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Die Seele der Zeit

Yu-Gi-Oh! Part 6
von

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Eigenartig.

Das war der erste Gedanken, der der jungen Frau durch den Kopf schoss, als sich die Dunkelheit allmählich zurückzog. Es war, als höre sie das Rauschen des Windes. Als rieche sie heißen Wüstensand. Als … fühle sie.

Aber das war unmöglich. In der Welt, in der sie sich befand, gab es keine Empfindungen. Alles war rein, klar – frei von Schmerz. Doch irgendetwas verriet ihr, dass sie sich all das nicht nur einbildete. Etwas stimmte nicht.

Als sie Lider aufschob, sah sie die Decke eines Gemäuers über sich. Sie konnte ihren eigenen Atem hören, spürte weichen Stoff unter sich. Ruckartig schnellte sie hoch.

Das konnte nicht sein! Hektisch sah sie sich um. Nein, das war falsch! Sie konnte, sie durfte nicht hier sein! Sie hatte diese Welt doch längst hinter sich gelassen! Warum war sie nun zurückgekehrt? Was war bloß geschehen?

„Wie ich sehe, seid Ihr endlich erwacht.“

Die unerwartete Stimme ließ sie herumfahren. Sie blickte in das Gesicht eines ihr unbekannten Mannes. Ein Lächeln, dem jegliche Wärme fehlte, umspielte seine Lippen. „Hast du gut geschlafen, Kisara?“
 

Sie ritten, als wäre Seth persönlich hinter ihnen her. Erst, als sie sicher waren, das ehemalige Versteck der Schattentänzer weit genug hinter sich gelassen zu haben, zügelten sie ihre Pferde und trieben sie langsamer voran. In Anbetracht der noch immer vorherrschenden schwülen Hitze, wäre alles andere unklug gewesen.

„Ein Glück, wir haben es geschafft“, befand Joey schließlich und schloss für einen Moment die Augen, während er nach Atem rang. „Das war echt knapp.“

„Allerdings“, stimmte ihm Ryou zu. „Seid ihr alle in Ordnung? Ist irgendjemand verletzt?“, erkundigte er sich anschließend an die gesamte Truppe gewandt. Als niemand bejahte, atmete auch er erleichtert auf.

„Dann klären wir doch gleich mal die erste Frage“, ergriff wieder Joey das Wort und wandte sich zu Tristan um, der hinter ihm saß: „Was macht ihr hier?“

„Das Gleiche könnten wir euch fragen“, kam die wenig aussagekräftige Gegenfrage von Duke, dem noch immer sichtlich der Schreck in den Gliedern saß.

„Und was ist hier eigentlich los? Wir waren in der Nähe von Men-nefer, bevor wir diesen Zombiefratzen ins Netz gegangen sind. Die Stadt besteht ja nur noch aus Trümmern! Und wer zum Geier ist dieser Caesian?“, fügte Tristan sogleich hinzu.

„Das ist eine lange Geschichte“, begann Joey. „Die Kurzfassung, um euch erst einmal auf den neusten Stand zu bringen: Wir waren im Stadtpark. Wir, damit meine ich Ryou, Marik, Tea, Yugi und mich. Im nächsten Moment haben wir uns in Ägypten wiedergefunden, mitten in einem Sandsturm – und ohne jeglichen Plan, wie wir hier her gekommen sind. Wir wurden von Mana gefunden, an die du dich bestimmt noch erinnerst, Tristan. Sie hat uns nach Men-nefer gebracht, wo wir festgestellt haben, dass Atemu wieder da ist und die Stadt belagert wird – von Caesian, der mit Hilfe von den Relikten der ägyptischen Götter versucht, das Land an sich zu reißen. Kurz darauf haben sich die Ereignisse überschlagen und wir haben die Stadt verloren. Im Moment haben wir uns in ein Versteck zurückgezogen und überlegen, wie wir Caesian wieder vom Thron des Pharaos treten können.“

„Das hört sich ja alles andere als rosig an“, kommentierte Duke, als der Blonde geendet hatte.

„Das ist es auch nicht, ganz im Gegenteil“, pflichtete Ryou bei. „Momentan sieht es gar nicht gut für uns aus, und das obwohl sich selbst die verfeindetsten Parteien Ägyptens zusammen getan haben, um gegen Caesian in die Schlacht zu ziehen.“

„Apropos ...“, überlegte Joey. „Wo bleiben die anderen Beiden so lange?“

„Welche anderen Beiden?“

„Nun, zum einen wäre da Risha. Sie ist mittlerweile Führerin eines Clans der sich die Schattentänzer nennt. Eigentlich will sie nichts lieber, als Atemus Untergang, aber sie hat zumindest vorübergehend eingesehen, dass eine Zusammenarbeit notwendig ist, um Caesian zu schlagen. Außerdem ist sie Bakuras Cousine.“

„Bitte? Ich dachte, seine Familie wäre in diesem Räuberdorf ums Leben gekommen?“, äußerte Tristan.

„Nicht ganz. Sie und Keiro, sein Bruder, haben überlebt. Um Joeys Erklärung fortzuführen: Der Andere, auf den wir warten, ist Bakura selbst“, erklärte Ryou.

„Was? Aber ich dachte, er sei tot. Zumindest hat es sich so angehört, als ihr von eurem Erlebnissen vor zwei Jahren erzählt habt“, fragte Duke argwöhnisch.

„War er auch. Genau wie Atemu. Aber sowohl der Pharao, als auch Bakura sind wieder da – und Marlic ebenso“, vollendete der Blonde schließlich den Schockmoment.

„Echt jetzt? Und du willst mir verklickern, die würden beide an Atemus Seite gegen Caesian kämpfen?“, platzte Tristan ungläubig heraus.

„Na ja, an seiner Seite ist vielleicht etwas viel gesagt. Aber im Augenblick haben sie zumindest das gleiche Ziel“, erklärte Ryou.

„Wow ... wie kann in zwei, drei Tagen nur so viel schief gehen?“, warf Duke in die Runde und fuhr sich durch die Haare. „Das ist ja abartig.“

„Zwei, drei Tage? Wovon sprichst du?“, hakte Joey sofort mit hochgezogener Augenbraue nach.

„Na ihr seid doch ungefähr vorgestern verschwunden – es wundert mich eben, wie viel in so kurzer Zeit passieren kann“, versuchte der Schwarzhaarige, sich zu erklären.

Nun sah ihn der Blonde Stirn runzelnd an. „Duke, wir sind nicht erst seit zwei Tagen hier, sondern schon bedeutend länger. Weißt du, wie lange genau?“, fragte er an Ryou gewandt, der vor Duke auf dem Rücken seines Pferdes saß.

„Nein, ich habe nicht mitgezählt. Aber ich würde sagen, schätzungsweise zwei, vielleicht auch schon drei Wochen“, entgegnete der Angesprochene.

„Aber das kann nicht sein“, meldete sich Tristan hinter Joey. „Wollt ihr uns verarschen? Vorgestern habt ihr plötzlich alle in der Schule gefehlt. Als ich versucht hab', euch die Hausaufgaben mitzuteilen, stand ich vor verschlossenen Türen oder eure Eltern wussten nicht, wo ihr seid. Am Tag darauf haben Teas Eltern und Yugis Großvater die Polizei alarmiert. Nachdem die mich befragt hatten, ist dann auch der Rest von euch auf der Liste gelandet, weil ich angegeben habe, dass ihr alleine lebt und eure Familien darum wohl nicht direkt mitbekommen würden, wenn ihr mal nicht zur Schule oder nach Hause kommt. Man hat Ishizu, sowie Serenity und deine Mutter kontaktiert, Joey, aber niemand wusste, wo ihr seid. Ryous Vater hat man noch nicht erreicht, aber ich bin sicher, sie versuchen es weiter – und fügen Duke und mich bald zu der Liste hinzu. Daheim geht die Post ab, Leute. Alle machen sich wahnsinnige Sorgen.“

Betrübte Stille folgte.

„Oh man … Serenity dreht bestimmt durch, wenn sie mich nicht finden kann …“, meinte Joey schließlich und biss sich auf die Unterlippe.

„Und unsere Eltern erst. Mal ganz davon abgesehen: Was sollen wir denn der Polizei erzählen, wenn wir wieder zurück sind? Wenn es überhaupt einen Weg nach Hause gibt …“, überlegte Ryou laut.

„Ich behaupte mal, darum machen wir uns Gedanken, wenn das hier vorbei ist. Die Polizei und – auch, wenn das hart klingen mag – unsere Familien, sind im Augenblick unser geringstes Problem. Sie sind zumindest in Sicherheit“, erwiderte der Blonde.

„Solange wir hier die Stellung halten zumindest. Du erinnerst dich an das, was wir schon einmal diskutiert haben? Wenn es keine Vergangenheit gibt …“

„… dann auch keine Zukunft“, beendete Duke Ryous Satz. „Man, und ich dachte, die Zeiten von Hokuspokus und all diesem Krimskrams wären vorbei!“

„Das dachten wir alle. Aber hey, was das Heimkommen anbelangt, können wir vielleicht helfen!“, mischte sich Tristan plötzlich ein. Er griff an seinen Gürtel und holte das goldene Ankh hervor, das ihn und Duke überhaupt erst in diese Misere hinein gezogen hatte. „Als wir das Teil berührt haben, sind wir hier her gekommen. Vielleicht kann es uns auch wieder nach Hause schicken.“

Ryou betrachtete den Gegenstand eingehend. „Dadurch seid ihr hier gelandet?“

„Ja. Es ist glühend heiß geworden. Wir wurden ohnmächtig und sind erst in Ägypten wieder zu uns gekommen“, erklärte Duke.

Joey und der Weißhaarige tauschten einen vielsagenden Blick. Ersterer sprach schließlich aus, was sie dachten. „Ich hab‘ die leise Vermutung, dass das Teil kein gewöhnliches Ankh ist, Jungs.“

„Ach ne, was du nicht sagst“, entgegnete Tristan sarkastisch. „Natürlich ist es das nicht, immerhin hat es uns einmal quer durch die Zeit katapultiert!“

„Ich glaube, das meint er nicht. Ich denke, Joey will vielmehr darauf hinaus, dass ihr beide eventuell ein Relikt der Götter gefunden habt“, klärte Ryou sie schließlich auf.

Die beiden Neuankömmlinge wechselten zunächst einen verdutzten Blick, der jedoch bald zu dem Ankh in Tristans Händen wanderte und dort haften blieb. „Ist das dein Ernst?“

„Könnte durchaus möglich sein. Gut wäre es jedenfalls, damit hätten wir schon vier von zehn Artefakten sichergestellt!“, meinte Ryou euphorisch.

„Allerdings. Pack das Ding lieber wieder weg, bis wir in der Himmelspforte sind, Tristan. Sollten wir irgendwelchen Soldaten über den Weg laufen, und die sehen das, werden sie es sicherlich haben wollen“, riet Joey seinem Freund.

Besagter tat wie ihm geheißen. Ryou sah sich indes suchend um, ließ den Blick über den Horizont schweifen. Die Wolkendecke über Ägypten hatte sich wieder geschlossen. „Sag mal, Joey, wunderst du dich nicht auch, wo die Anderen …?“

„Was macht ihr hier? Kaffeekränzchen?“

Die vier jungen Männer fuhren erschrocken zusammen und sahen sich panisch um. Einen Wimpernschlag später begann die Luft vor ihnen zu flirren, ehe sich Diabound langsam vor ihnen materialisierte. Tristan und Duke fielen vor Schreck rückwärts von den Pferden.

„Oh mein Gott, was ist denn das?!“

„Das ist Bakuras Ka-Bestie!“

Die Zwillingsseele war indes auf die beiden Menschen aufmerksam geworden. Sie beobachtete sie belustigt, ließ sich jedoch nicht von ihrer eigentlichen Aufgabe abbringen. „Ich wiederhole mich ungern: Was tut ihr hier?“

„Wir warten auf Bakura und Risha! Was denn sonst? Wo bleiben die beiden Scheusale?“, entgegnete Joey patzig.

„Sie warten auf euch“, erwiderte das Ka und zeigte mit einer langen Klaue gen Horizont.

„Ach ja? Und was machen die beiden dort drüben?“, erkundigte sich der Blonde und versuchte, in der Ferne irgendetwas – oder irgendjemanden – zu erkennen.

„Ähm … Joey?“

„Was ist denn?“

„Ich glaube, wir sind in die falsche Richtung geritten …“

Joeys Kopf schnellte erst zu seinem weißhaarigen Kumpanen herum, dann wandte er sich langsam wieder zu Diabound um und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Oh … tehe …“

Das Ka verdrehte einfach nur die Augen, ehe es sich in Bewegung setzte. Die Menschen folgten ihm.
 

Als seine Knochen vom langen Sitzen allmählich schmerzten, entschied Keiro, dass es Zeit wurde, zur Himmelspforte zurück zu kehren. Langsam stemmte er sich hoch und schritt zu Shadara hinüber, der im Schatten döste. Behutsam, um das Ka nicht zu erschrecken, legte er ihm eine Hand auf den mittleren Schädel und kraulte ihn hinter den Ohren, ehe er auch den anderen beiden die gleiche Behandlung zuteilwerden ließ.

„Ich bin wahrlich froh, dich zu haben, alter Freund“, murmelte er dabei. Worte waren zwischen einem Träger und seiner Bestie eigentlich unnötig, dennoch verspürte er den Drang, auszusprechen, was er in diesem Moment dachte. „Ansonsten wäre ich wirklich alleine.“

Keiro ließ den Blick über die Wüste gleiten. Es hatte ihn noch nie lange an einem Ort gehalten. Er war schon viel in der Weltgeschichte herumgekommen, hatte einiges gesehen und erlebt. Und dennoch war er immer wieder hierher zurückgekehrt. Fast so, als habe er gespürt, dass sich in Ägypten eines Tages etwas Großes ereignen würde. Und obgleich er wusste, dass man ihn hier brauchte, war der Drang, einfach auf Shadaras Rücken zu steigen und dem Horizont entgegen zu preschen, geradezu überwältigend. Hinfort von all den Problemen, den Streitereien … dem Krieg.

Aber er wusste, dass es nicht so einfach war. Er war zu einer der wenigen Figuren geworden, die noch nicht von ihrer Seite des Spielfeldes geschlagen worden waren. Es zählte jeder einzelne. Er konnte jetzt nicht einfach verschwinden – und wenn auch nur für Bakura.

Gerade wollte er sich vom Anblick der Wüste, die so friedlich und zugleich unter all den Wolkenbergen so bedrohlich wirkte, losreißen, da blieb sein Blick an etwas haften, das er aufgrund der Entfernung nicht klar erkennen konnte. Es wirkte wie … ja, ein Loch in der Landschaft, mitten in einem Hügel aus Sandstein.

„Was ist das?“, sprach er seine Gedanken abermals laut aus.

Shadara war seinem Blick gefolgt. „Fatamorgana?“, schlug der Zerberus vor und stemmte sich hoch.

„Dafür erscheint es mir doch etwas zu … wirklich. Komm mit, mein Junge, lass uns nachsehen“, entschied Keiro schließlich und schwang sich auf den Rücken der Bestie. Während sie dahin ritten, ließ er den Blick immer wieder wachsam umher wandern. Im war bewusst, dass das, was sie im Begriff waren, näher in Augenschein zu nehmen, durchaus eine Falle oder schlichtweg gefährlich sein konnte. Durch Caesians Missbrauch an den göttlichen Relikten hatte sich in dieser Welt bereits vieles verändert. Die Legenden ließen zudem vermuten, dass Ereignisse, wie der Regen in der vergangenen Nacht, nur Vorboten schlimmerer Auswirkungen sein konnten.

Schließlich erreichten sie die besagte Stelle. Für Keiro wurde augenblicklich klar, dass er keiner Fatamorgana aufgesessen war. Als sie nur noch zehn Schritt von der Felsformation entfernt waren, hielt Shadara an. Sein Träger kniff ratlos die Augen zusammen. „Was, in Horus‘ Namen, ist das?“

Im Schatten des Gesteins schwebte eine mannsgroße, pechschwarze Kugel gut zwei Finger breit über dem Boden. Sandkörner, die unter ihr aufwirbelten, ließen vermuten, dass sie um die eigene Achse rotierte.

„Ich habe keine Ahnung. Aber ich werde es mir näher ansehen. Du bleibst hier“, entschied Shadara schließlich und bedeutete Keiro mit einem Zucken der Schultern, abzusteigen.

Warum er ohne große Widerworte tat, was seine Zwillingsseele von ihm verlangte, wusste er nicht – vielleicht war es die Neugier, die danach verlangte, mehr über das eigenartige Gebilde zu erfahren.

Langsam setzte sich der Zerberus in Bewegung. Witternd und in geduckter Haltung schlich er näher, stets zum Angriff bereit.

„Sieht nicht aus, als könne man das essen“, befand schließlich einer der drei Köpfe.

„Ist das eigentlich alles, woran du denken kannst? Essen und schlafen?“, giftete ihn ein anderer an.

„Schnauze!“, fuhr der Letzte sie beide an und brachte sie zum Schweigen.

Schließlich stand Shadara direkt vor der schwarzen Kugel. Er schnüffelte erneut. Nichts. Von dem Objekt ging keinerlei Geruch aus. Zugleich wirkte es, jetzt, da er so nah war, nicht mehr real. Es vermittelte den Eindruck als … ja, als würde er hier etwas ganz genau vor sich sehen, ohne wirklich sicher zu sein, dass es da war.

Gerade wollte sich der Zerberus abwenden und in sicherem Abstand überlegen, was er als nächstes tun sollte, um herauszufinden, was das für ein Ding war, da blieb er wie angewurzelt stehen. Mit einem Mal fühlte er sich, als krieche etwas langsam in all seine Glieder. Zunächst war es Kälte. Eine Kälte, die er so noch nie verspürt hatte. Dann ein seltsame Ziehen … und plötzlich tiefste Furcht.

„Shadara?“, erkundigte sich Keiro überrascht, als seine Zwillingsseele mitten in der Bewegung verharrte. „Was ist? Stimmt etwas nicht?“

Synchron schossen die drei Köpfe herum und fixierten die Kugel. Diese Empfindungen … diese Dunkelheit … sie kamen von ihr!

„Keiro, la…!“

Weiter kam Shadara nicht mehr. Das schwarze Gebilde schoss nach vorne und schloss ihn ein, schien ihn regelrecht zu verschlingen. Er hörte Keiro Schreien, jedoch nicht vor Schreck – sondern vor Schmerzen. Denselben Schmerzen, die auch in Shadaras Körper und Geist wüteten.

Dann war es still.
 

Panisch warf sie die Lacken von sich und sprang aus dem Bett, in das man sie gelegt hatte. Dabei ließ sie ihr Gegenüber keinen Wimpernschlag lang aus den Augen. Sie wusste nicht, weshalb, aber irgendein Instinkt verriet ihr, vorsichtig zu sein. Erst, als die Distanz zwischen ihnen so groß war, dass sie mit dem Rücken zur Wand an der gegenüberliegenden Seite des Raumes stand, wagte sie, Fragen zu stellen.

„Wer bist du? Was … was mache ich hier?“

Der Mann musterte sie amüsiert. „Ah … ist das nicht eine Frage, die wir uns alle stellen?“, sinnierte er schließlich. „Woher kommen wir? Weswegen sind wir hier? Und vor allem: Wo gehen wir einmal hin? Der einzige Unterschied zwischen uns beiden, meine liebe Kisara, ist, dass du die Antwort auf die letzte Frage bereits kennst, während ich, so, wie sich die Dinge derzeit gestalten, auf ewig nicht wissen werde, was auf der anderen Seite liegt.“

Sie legte die Stirn in Falten. Was er da eben gesagt hatte … nein! „Ich … ich bin …“

„In Ägypten. Um es ein wenig genauer auszudrücken: Du bist am Leben. Dank mir.“

Er ließ die Worte sacken, ehe er sich in Bewegung setzte und langsam um das Bett herum ging. „Erlaube mir, mich vorzustellen: Mein Name ist Caesian. Herrscher aller Länder und Gebieter über die Relikte der Götter selbst.“

Kisara verstand die Welt nicht mehr. Wovon sprach dieser Mann? Was, in Horus‘ Namen, ging hier vor sich? Was war bloß in Ägypten passiert, nachdem sie gestorben war?

Caesian bedachte sie mit einem wissenden Seitenblick, während er zu einem Tisch hinüber ging und sich aus einer Karaffe Wein in einem Becher goss. „Es ist verständlich, dass du dich fragst, was geschehen ist. Immerhin hast du nichts davon miterlebt. Doch sei unbesorgt: Das Einzige, was du wirklich zu wissen brauchst, ist, dass du von nun an mir zu Diensten zu sein hast.“

Kisara ballte ihre zierlichen Hände zu Fäusten. „Die Einzigen, die über mich zu verfügen haben, sind die Götter Ägyptens und ihr Stellvertreter auf Erden. Sonst niemand.“ Es klang nicht so überzeugt, wie sie es hatte klingen lassen wollen. Doch für sie stand schon jetzt fest, dass sie nicht einen einzigen Befehl annehmen würde, der über die Lippen dieses Mannes kam, auch wenn sie noch immer nicht wusste, was hier vor sich ging.

„Ach ja, ihr Ägypter“, meinte Caesian und schwenkte den Wein an den Wänden des Gefäßes entlang, das er in Händen hielt. „Ihr seid mir wirklich ein paradoxes Völkchen. Entweder ihr liebt oder ihr hasst eure Herrscher über alles. Scheinbar gehörst du zu der zuerst genannten Sorte. Deshalb lass dir gesagt sein, dass keiner der Pharaonen, die du vielleicht noch gekannt haben könntest, mehr in dieser Stadt wandelt. Ich habe sie alle verjagt. Wie feige Schakale sind sie vor mir davon gelaufen.“

„Das ist eine Lüge! Kein Pharao würde Ägypten jemals im Stich lassen!“, entgegnete Kisara sofort.

„Ach, ist dem so? Dann sag mir, meine Liebe: Wo sind sie? Siehst du hier irgendeinen von ihnen? Wie hießen sie noch gleich? Atemu? Oder sprichst du etwa von jenem Pharao, der sich Sethos nannte?“

Die Gesichtszüge der jungen Frau erstarrten vor Entsetzen. Caesian grinste belustigt. „Sieh an, es scheint als habe ich einen wunden Punkt getroffen, wie? Keine Sorge, Mädchen, wie ich bereits sagte, ich habe sie alle verjagt, nicht getötet – noch nicht.“

Kisaras Gedanken schwirrten durcheinander. So viele Fragen – und immer, wenn sie glaubte, es könnten nicht mehr werden, warf dieser Mann neue auf. So sprach sie schließlich jene aus, die sie am meisten plagte.

„Warum hast du mich zurückgeholt?“, fragte sie tonlos.

„Ist das nicht offensichtlich?“, entgegnete Caesian, nachdem er von seinem Wein genippt hatte. „Du bist mein Köder. Sobald den guten Seto die Kunde erreicht hat, dass du hier bist, wird er alles daran setzen, dich zu befreien – und wenn es bedeutet, dass er seine eigene Heimat verraten muss.“

„Das wird er niemals tun!“

„Sei dir da nicht so sicher. Menschen tun für die Liebe so manche, eigenartige Dinge. Ich bin mir sicher, dass auch dein Hohepriester dieser Krankheit von einem Gefühl unterliegen wird.“

„Dein Plan wird nicht aufgehen“, drohte Kisara erneut. „Er weiß genau, dass ich niemals wollen würde, dass Menschen um meinetwillen leiden müssen! Lieber sterbe ich erneut! Du vergisst, dass mir dieses Schicksal schon einmal wiederfahren ist. Ich fürchte den Tod nicht!“

„Was hältst du davon“, begann Caesian, während er sich ihr langsam näherte und sie so Stück für Stück in eine Ecke drängte, „wenn wir einfach abwarten? Die Zeit wird zeigen, was geschehen wird.“ Als sie nicht mehr weiter zurückweichen konnte, umfasste er ihr Kinn und hob es an, sodass sie ihm in die Augen sehen musste. „Und selbst, wenn Seto wahrlich nicht so handeln sollte, wie ich glaube, dass er es tun wird, so wirst du dich immer noch gut in meinem Harem machen.“

„Nur über meine Leiche“, zischte Kisara.

Caesian lächelte nur ein kaltes, herzloses Lächeln. „Aber, aber Mädchen. Das beißt sich nun mit dem, was du soeben gesagt hast. Wolltest du nicht, dass niemand um deinetwillen leiden muss? Dann verrate mir, wie, glaubst du, habe ich dich aus den Händen des Todes befreit? Hast du eigentlich eine Ahnung, welchen Wert dein Leben besitzt?“ Er beugte sich näher zu ihr, sodass er in ihr Ohr flüstern konnte. „Den Wert eines Kindes und eines Gottes.“

Kisaras blaue Augen weiteten sich vor Entsetzen. Als er sich wieder von ihr entfernte, um sie anzusehen, rannen Tränen ihre Wangen hinab. „Nein …“, hauchte sie.

„Doch, allerdings. Darum sei vorsichtig mit dem, was über deine Lippen kommt, Liebes“, sagte Caesian und wischte eine der Tränen weg. Schließlich wandte er sich um und ging zur Tür. Doch ehe er sie öffnete, sah er sich noch ein letztes Mal zu ihr um. Noch immer stand sie fassungslos an der Stelle, wo er sie zurück gelassen hatte. „Wir wollen doch nicht, dass ihr Opfer umsonst war, hm?“

Ein einziger Schrei kam über Kisaras Lippen, als er gegangen war.
 

Der Ruf eines Wachtpostens von oberhalb der Klippen kündigte die Rückkehr der Truppe an, die ausgezogen war, um das ehemalige Versteck der Schattentänzer zu durchsuchen. Kurz darauf hallte bereits das Geräusch von Hufen, die auf Fels schlugen, durch die Gänge, die in die Himmelspforte führten. Atemu war angespannt. Hatten sie es geschafft? Hatten sie die Schriften bergen können, von denen sie sich so viel erhofften? Waren sie, insbesondere Joey und Ryou, wohlauf? Ihm schossen zahlreiche Fragen durch den Kopf – und es wurden nur umso mehr, als die Pferde heraus aus den dunklen Pfaden im Gestein und ins Freie preschten. Denn das, was er sah, hatte er nicht erwartet. „Aber das sind doch …“

„Duke und Tristan! Was machen die beiden hier?“, vollendete Yugi die Worte des Pharaos und eilte gemeinsam mit Tea und Marik zu der Stelle hinüber, an der die Tiere schließlich gehalten hatten. Auch Atemu wollte sich hinzugesellen, da streifte ihn Riells argwöhnischer Blick. Rasch schloss der Schattentänzer die Distanz zwischen ihnen. „Pharao, ist euch bekannt, was es mit diesen beiden Männern auf sich hat?“, erkundigte er sich ohne große Umschweife. Atemu entging nicht, dass eine Hand bereits auf den Griff seines Schwertes lag.

„Ihr könnt beruhigt sein“, versicherte er daher schnell. „Diese beiden sind auf unserer Seite, das kann ich Euch versichern. Ihre Namen sind Tristan und Duke.“

„Tristan und Duke …?“, wiederholte Riell mit hochgezogener Augenbraue.

Sein Gegenüber nickte. „Ja. Sie stammen ebenso wenig aus unserer Zeit, wie Yugi, Tea, Joey, Marik und Ryou.“

„Ich verstehe. Aber hieß es nicht, eure Freunde, die bislang unter uns weilten, seien die Einzigen, die das Schicksal ereilt hat, hierher zu kommen?“

„Das dachten wir auch“, bestätigte Atemu mit einem Nicken.

„Was auch besser gewesen wäre“, mischte sich plötzlich eine weitere Stimme in die Unterhaltung ein. Risha war herüber gekommen und ließ einen der Säcke mit Schriftrollen vor ihrem Bruder zu Boden plumpsen. „Wir haben schon genug Mäuler zu stopfen. Nun kommen noch zwei weitere hinzu.“

Ihr Blick verriet Atemu bereits, dass sie darauf aus war, ihn zu reizen. Doch Riell ergriff geistesgegenwärtig das Wort. „Ist bei dir alles in Ordnung? Die Frage, ob ihr erfolgreich gewesen seid, hat sich ja bereits erledigt“, meinte er mit Fingerzeig auf die Schriften.

„Es geht mir gut. Ein paar Soldaten können das nicht von sich behaupten. Wobei anzumerken wäre, dass wir deutlich weniger Ärger gehabt hätten, wären uns nicht diese beiden in die Quere gekommen. Ihretwegen haben wir uns offen zeigen müssen“, fuhr Risha mit Nicken in Dukes und Tristans Richtung fort.

„War Caesian …?“

„Nein. Und sein Fußvolk kommt so schnell auch nicht mehr auf die Beine, dafür haben wir Sorge getragen. Was mich zu dem eigentlichen Anliegen bringt, von dem ich glaube, dass es noch einmal dringend besprochen werden sollte – dass wir hier lauter unausgebildete Bauern unter uns haben, die aus einer Zeit kommen, in der ihnen scheinbar alles auf dem Silbertablett serviert wird und die nicht einmal wissen, wo bei einem Schwert vorne und hinten …“

„Ich danke Euch.“

Rishas Kopf zuckte augenblicklich herum. Entgeistert sah sie Atemu an, der eben gesprochen hatte. „Wie bitte?“

„Ich sagte, dass ich Euch danke. Ihr habt geholfen, meine Freunde zu befreien. Dafür ist in meinen Augen ein Dank angebracht. Wenn Ihr mich nun entschuldigen würdet – ich würde sie gerne begrüßen.“ Damit zog Atemu von dannen und ließ eine völlig perplexe Schattentänzerin und ihren breit grinsenden Bruder zurück.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Nun ist es doch nicht Sonntag geworden ... danke an meinen Internetanschluss und dessen Betreiber dafür, dass mein Internet nicht ging.
Jetzt ist es aber endlich geschafft. Nach erschreckenden 8 Monaten ein neues Kapitel ... viel zu lange. Ich werde versuchen, mich zu besser, kann aber aufgrund meiner Bachelorarbeit und der anstehenden Masterbewerbung samt eventuellem Umzug nichts versprechen. Ich werde es aber versuchen.

Ich hoffe, das Kapitel ist als kleiner Wiedereinstieg gelungen. Im nächsten folgt dann bedeutend mehr Action. Stay tuned! Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Cossette_Mirage
2014-06-03T18:49:04+00:00 03.06.2014 20:49
Aaah... das ist so toll zu sehen, dass es endlich weiter geht. *freu* :D

Ich hab mich schon die ganze Zeit über gefragt, ob Kisara ebenfalls noch auftauchen wird. Nun wurde meine Frage ja beantwortet. Nur frag ich mich dann ob Seto dann noch den weißen Drachen besitzt?

Sonst mal wieder wunderbar Geschrieben und erzählt. Freue mich jetzt schon auf ein neues Kapitel und herzlichen Glückwunsch zum YUAL! Hast du dir mehr als verdient! :)
Von:  Seelendieb
2014-05-30T14:46:19+00:00 30.05.2014 16:46
Sehr schön! Es geht weiter. und natürlich wieder toll geschrieben. musste sehr breit grinsen, als Atemu Risha den Wind aus den Segeln genommen hat! Kann es kaum erwarten, wenn es weiter geht ^___________^


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