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Kalendertage

Der Tag, an ...
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39 - Der Tag, an dem Yuuki Panik schob

Der Sommer verstrich ebenso unauffällig, wie der Wind die welken Blätter von den Zweigen der Bäume strich. In ihrem aschgrauen Gewand tanzten sie wild vor meinem Fenster vorbei just in dem Moment, in welchem ich durch jenes am Esstisch hinausblickte. Es war ein trüber Spätherbsttag, fast schon Winteranfang. In nur wenigen Tagen würde das Jahr schließen. Schon seit dem Morgengrauen hatten sich keine weiteren Farben an den Himmel gesellt. Dort hoch oben über den Dächern Konohas, wo man sonst von einem Azurblau und dicken Schäfchenwolken begrüßt wurde, klebte nun in ungreifbarer Höhe ein großes, grau gestepptes Tuch, und es machte keinerlei Anstalten, sich durch den frischen Wind entfernen zu lassen. Bald würde es Regen geben. Man konnte es förmlich riechen. Obgleich es für das Auge dort draußen vor dem Fenster keinen reizvollen Blickfang zu genießen gab, verlor ich mich mit meinen Blicken in dem feinen Wolkenmuster über mir und hing in einem Tagtraum fest. Meine Güte, so schnell sollte wirklich das Jahr schon zur Neige gehen? Wo waren die ganzen Wochen und Monate geblieben? Ich schmiegte mich an meine Kaffeetasse. Das schwarze Lebenselixier hatte das Porzellan angenehm erwärmt. Es war eine ganz besonders leckere Sorte. Man schmeckte die Herkunft der Bohnen aus dem Erd-Reich. Ich schätzte mich glücklich, in einer Seitenstraße Keishis die Kaffeerösterei entdeckt zu haben. Meine Backe klebte förmlich an dem Becher. Mir fehlte die Wärme und Zuneigung, war ich doch die letzte Zeit allein gewesen. Kakashi war in weiter Ferne im Wind-Reich. Das trübe Wetter und die elendige Stimmung ließen mich ihn nur um so mehr vermissen.

Die letzten Blätter tanzten vorbei. Die ersten Regentropfen setzten sich auf das Fensterglas zu einem ungeordneten Perlenmosaik zusammen. Erst wenige Tröpfchen, dann mehr und mehr. Schlagartig wurde es ungemütlich und düster. Wer jetzt nicht mehr hinausmusste, der vermied es tunlichst und wartete im Trockenen. Der Himmel öffnete alle Schleusen. Es klatschte nur so an das Fenster und ich ärgerte mich insgeheim, dass ich mich noch vor einigen Tagen todesmutig verrenkt hatte, um es zu putzen. Beim nächsten Mal würde ich meine Ninja-Familie zum Fenster putzen jagen. Die klebten Dank Chakra wie Kleister an den Außenwänden. Das gleichmäßige Rauschen des Regens lullte mich gänzlich ein, dass ich die Aktenberge zur Seite schob und für heute Feierabend machte. Es war Freitagnachmittag. Erst am Montag würde ich den ganzen Stapel wieder mit nach Keishi zurücknehmen.

Ruhig war es in den letzten Monaten bei uns in der Familie geworden, weil nun mittlerweile jeder seinen Weg gefunden hatte. Ja, inzwischen bezeichnete ich uns Vier tatsächlich als Familie. Es war nicht so, dass man darüber unglücklich sein konnte wie jeder seinen Alltag für sich und mit sich bewältigte, auch wenn man sich nur wenig untereinander sah. Ganz im Gegenteil: Noch vor gut einem Jahr war ich mit meinem Latein am Ende gewesen, weil ich kurz davor stand, obdachlos zu werden. Nun hatte es sich doch noch zum Guten gewendet, wenn auch nicht zum Perfekten. Aber wer hatte das schon? Die Ruhe und den stumpfen Rhythmus eines Alltages hatten wir nach dem letzten turbulenten Jahr wirklich gebraucht.

Die Korridortür wurde hastig geöffnet und ein bis auf die Knochen aufgeweichtes Kind stolperte in unsere Wohnung hinein. Yuuki war von der Schule heimgekommen, knallte genervt die Schultasche auf den Boden und pellte sich aus der durchnässten Regenjacke, dass die Wassertropfen nur so flogen.

„Hey Großer, schafft es ein Ninja nicht, zwischen den Tropfen hindurch zu hüpfen?“, zog ich ihn lachend auf.

„Boah ey, Mama! Du hast ja so was von keine Ahnung!“, wurde mir da entnervt unverblümt an den Kopf geknallt.

Nee, hatte ich auch nicht, aber damit hatte ich mich abgefunden. Ich beobachtete grinsend, wie mein Herr Sohnemann in sein Zimmer stapfte, um sich nun auch vom Rest der nassen Kleidung zu entledigen. Er hasste Regen. Kurz darauf saß er bei einer heißen Tasse Kakao mit am Tisch, starrte auf die Wasserfäden an der Scheibe und wartete geduldig, bis das Essen auf dem Herd fertigkochte.

„Wamm kommem Kakashi und Asa wiidaa?“, fragte er nur ein paar Minuten später mit vollem Mund.

„Mund zu beim Essen!“, belehrte ich gewohnheitsmäßig und überlegte laut. „Ich weiß nicht genau. Dienstag oder Mittwoch?“

Seit gut zwei Wochen hatten sich die beiden samt Kage-Tross auf den Weg gemacht. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Ziel der Reise war Sunagakure, da dort ein Kage-Treffen angesetzt worden war. Erst war Yuuki doch sehr sauer gewesen, weshalb nun ausgerechnet Asa auf so ein tolles Abenteuer mitgenommen wurde und er daheim die Schulbank drücken musste. Er sah aber schnell ein, dass es hier keineswegs um ein Abenteuer ging, obwohl es sicherlich spannend wäre. Auf der Rückreise würde man einen Umweg zur Hauptstadt des Fluss-Reiches machen. Auch wenn Asas Mutter nun nicht mehr unter uns weilte, so taten es doch noch deren und somit auch Asas Sachen. Kleidung, Spielzeug, Schulkram. Trennungskinder hatten immer zwei Kinderzimmer an zwei verschiedenen Orten. Es mochte nicht viel sein, was Hikki ihrer Tochter darüber hinaus überlassen hatte, dennoch musste man sich darum kümmern. Es hatte Kakashi einiges an Schriftwechsel gekostet, um die Erlaubnis zu erhalten, dass eine Horde an Konoha-Ninjas dort friedlich einfallen und eine Wohnung inspizieren durfte. Für Asa würden schmerzhafte Erinnerungen hochkochen. Ein Abschied konnte aber auch ein neuer Anfang sein. Man würde sehen müssen, wie sie es aufnahm. Es schien ihr allein schon sehr gut zu tun, permanent an der Seite ihres Vaters kleben zu können. Ich war gespannt darauf, wann die beiden wohl wieder in Konoha einträfen und was sie alles an Kram im Gepäck hätten. Oder noch spannender: Wohin man den Kram bringen würde. Weder hier, noch bei Kakashi selber gab es einen freien Quadratmeter an Stauraum, den man voll stellen konnte.

Yuuki hatte in der Zwischenzeit aufgegessen und bat mich nun, ihm bei einem Referat zu helfen. Noch mehr als Regen hasste er Referate. Er stand nicht gern im Mittelpunkt und schon gar nicht vorn vor der Klasse. Und dann sollte man auch noch etwas zeigen und erklären? Wo einen doch alle anglotzten und nur darauf warteten, dass man sich versprechen würde? Oder etwas herunterfällt? Oder ein Blackout einsetzte? Oder …? Yuukis Albtraumliste, was einem alles an Peinlichkeiten bei einem Referat passieren könnte, war ellenlang. Nichts konnte ihn vom Gegenteil überzeugen. Ich hatte ein paar Mitschüler von ihm schon einmal kurz kennen lernen dürfen, als sie Yuuki abholten, und nicht den Eindruck, dass diese ihn auslachen und bloßstellen würden. Doch Yuukis Lampenfieber und Prüfungsangst waren durch nichts zu bremsen. Da würden wir wohl das ganze Wochenende Moderationskärtchen schreiben, ein Plakat basteln und Schritt für Schritt den Vortrag üben, bis endlich alles sitzen würde. Wenigstens war es ein Thema, bei dem ich ihm helfen konnte. Es ging um ein Erdkundethema. Jeder Schüler sollte einen Landstrich vorstellen. Ich war schon sehr stolz, als mein Sohn seine Ergebnisse präsentierte, und fand den Vortrag super. Yuuki hingegen gruselig. Es kamen im unzählige Ideen, was noch optimiert werden könnte und sogar müsste. Dabei verzettelte er sich planlos. Yuuki liebte es mehr, im Team zu arbeiten, wo man nicht im Mittelpunkt stand. Da puzzelte man an seiner zugewiesenen Teilaufgabe und fügte es dann zu etwas Großem zusammen. Überhaupt machte er sich auf der Akademie sehr gut und hatte viel Spaß daran.

Das komplette Gegenteil zu Yuuki war nach wie vor Asa. Sie zog gern alle Aufmerksamkeit auf sich, war immer mit dem Munde voraus und meist voller Fröhlichkeit und Elan trotz des harten Schicksalschlags. Es gab Phasen, da ließ sie ihre Trauer heraus, war dann bockig, schmiss Gegenstände oder schloss sich in ihrem Zimmer ein. Im nächsten Augenblick konnte aber schon wieder ein aufgewecktes Kind durch die Tür treten, weil ihr irgendein Blödsinn eingefallen war, den man noch umsetzten musste. Konzentration war absolut nicht ihr Ding. Da wunderte man sich schon, wie sie auch nur ein einziges Jutsu zustande bringen konnte. Ständig zappelte sie herum. Man sagte, die Handschrift spiegelte das Innere wider. Das mochte wohl stimmen, dann alle ihre Schulhefte waren einem abstraktes Kunstwerk gleich. Da war nichts zu entziffern. Aber Schule oder Akademie wären eh total überbewertet, meinte sie. Ihr Zimmer daheim sah aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Daher gab es auch nur ein Regal mit Kisten, wo alles grob hinein sortiert wurde. Eine Kiste für Puppen, eine Kiste für Bücher, eine Kiste für Krimskrams und so weiter und so fort. Mehr Ordnung konnte sie nicht halten. Wie das wohl werden würde, wenn dann auch noch der Kram aus ihrem anderen Zimmer hinzukommen würde?

Es wäre eben ganz ruhig in der Klasse, wo Asa nicht da wäre, hatte Yuuki erzählt. Das konnte jeder Mitschüler und Lehrer ohne Nachdenken bestätigen.

Ich war solch ein Verhalten weder von mir noch von Yuuki gewohnt und musste oft an mich halten, mich nicht einzumischen. In einigen Situationen wäre ich sicherlich schon explodiert. Kakashi hingegen begegnete den Eskapaden mit einer stoischen Ruhe, die bewundernswert war. Vermutlich war das auch der einzige und richtige Weg. Aufregungen kosteten einen nur überflüssige Lebensjahre und änderten an der Gesamtsituation rein gar nichts.

Mittlerweile hatte ich auch verstanden, weshalb Asa nicht schon früher wie alle anderen Shinobi-Kinder aus den alteingesessenen Clans zur Akademie geschickt worden war.

„Asa soll später den Weg gehen, den sie will, aber bloß nicht meinen“, hatte Kakashi mal nebenbei verlauten lassen.

Das war ein ganz schöner Tiefschlag für mich gewesen, weil ich ihn in dem Punkt ganz anders eingeschätzt hätte. Daher rührte wohl auch sein Verständnis, dass ich die Akademie für Yuuki zuvor immer abgelehnt hatte. Viele Schattenseiten der Schattenkrieger hatte ich miterleben müssen. Da konnte man lange Zeit nur negativ auf das Shinobi-Thema gestimmt sein. Ich hätte vermutet, dass es Gang und Gäbe wäre, dass die Clans ihre Traditionen mit jeder Generation weiterführten und voller Stolz ihre Kinder ausbildeten. Die Älteren der Clans achteten sehr darauf, wie es mit den Jüngeren weiterging und maßregelten mit großem Einfluss die Mittleren. Aber auf der anderen Seite bildete Kakashi nur einen Ein-Personen-Clan. Wer hätte ihm da reinreden sollen? Seine Entscheidung war wohlüberlegt. Asa hieß noch nicht einmal Hatake, sondern trug den Nachnamen ihrer Mutter. Sähe sie ihm nicht so verdammt ähnlich, man hätte gar keine Verbindung zwischen beiden vermutet.

Es war nun späte Nacht geworden. Immer noch gleichmäßig monoton prasselte der Regen gegen die Fensterscheiben und begleitete unseren Schlaf.
 

Das gesamte Wochenende blieb ein einziger Regenguss. Obgleich die Briefkästen direkt unten vor der Haustür standen, hatte ich wenig Muße, mich unter den Regenbindfäden hindurch zu winden, um die Post und die Tageszeitung aus dem Kasten zu angeln. Wenn ich allein schon daran dachte, noch einen Abstecher bei Kakashis Wohnung entlang machen zu müssen, um nach dem Rechten zu sehen, sank meine Laune auf einen Tiefpunkt. Ach, was soll's? Früher war er viel länger auf Mission gewesen. Da hatte die Wohnung viel länger um seinen Besitzer ausharren müssen. Da würde schon nichts passiert sein. Kein Wasserrohrbruch, keine eingedrückte Fensterscheibe durch den Wind oder andere Schauermärchen. Und die letzte Zimmerpflanze, die Kakashi je besessen hatte, war vor über zehn Jahren bei der Zerstörung Konohas ebenfalls geplättet worden. Missmutig schlurfte ich in einer übergeworfenen Yukata die Stufen des Treppenhauses hinunter, empfing in der Haustür einen Regenschwall, grapschte patschnass nach der Zeitung und zu meiner Überraschung auch nach einem Brief und stapfte wieder nach oben. Das Wetter war zum Auswandern. Schnell verschwand ich wieder unter der Bettdecke, blätterte das Käseblatt durch und öffnete dann den Brief. Wir bekamen nur selten Post. Wenn sich dann doch mal ein Schriftstück in unseren Kasten verirrte, so waren es allerhöchstens Rechnungen. Zum zweiten Mal an diesem Tage staunte ich. Meine Bekannte, und seit einigen Monaten auch meine Chefin, war zu einem geschäftlichen Empfang bei einem ihrer Kunden eingeladen worden. Eine Memo klebte oben am Rande der Einladung. Meine Chefin wünschte, dass ich sie zu begleiten hätte und bat um Rückruf. Na, die hatte ja Ideen! Sie wusste doch, dass ich alleinerziehend war. Vermutlich würde sie vorschlagen, dass ich die Kinder doch ganz einfach bei meinem Freund abliefern könnte. Seufzend legte ich den Brief auf den Nachttisch. Ich hatte bloß einmal in einem Nebensatz erwähnt, dass Asa nicht meine leibliche Tochter, sondern die meines Freundes wäre. Mehr hatte ich aber nicht erzählt, doch damit war schlussfolgernd klar, dass ich kein Single war. Durch die nicht vorhandenen Informationen ihrerseits konnte sie ja nicht ahnen, dass Kakashi einen Rund-um-die-Uhr-Job hatte. Ich kuschelte mich in meine Bettdecke und beschloss, erst viel später bei meiner Chefin anzurufen. So recht mochte ich keine Ruhe finden. Ich drehte mich um und streckte den Arm aus. Ein kaltes Bettlaken auf einer leeren Matratze war alles, was meine Handfläche spürte. Das fühlte sich so wahnsinnig falsch und einsam an. Es machte mich mürrisch. Vielleicht würde eine heiße Dusche zur Entspannung helfen. Also schlug ich die Bettdecke wieder zurück und raffte mich auf. Auf dem Weg zum Bad verfluchte ich die Wohnung, weil sie keine Badewanne hatte und warf noch einen Blick ins Kinderzimmer. Yuuki daddelte an der Spielekonsole, bekam aber mein Vorübergehen mit und fragte nur in einem Halbsatz nach dem Frühstück. Das gäbe es, wenn ich geduscht hätte, antwortete ich und schlug vor, er könnte ja schon den Tisch decken. Meist tat er das sogar.

Eine gute Stunde später stärkte uns ein ausgiebiges Mahl, denn die Uhr zeigte schon halb Eins an. Man konnte so einen verregneten Tag auch sehr in die Länge ziehen ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Das Handy piepte.

„Wir kommen heute Nacht schon heim“, lautete die Bildunterschrift unter einem Foto mit gut zwei Dutzend Umzugskartons.

Das war weniger als erwartet, aber wenn ich die ganzen Kartons vor meinem geistigen Auge räumlich in Kakashis Wohnung unterbringen wollte, so blieb es mir ein Rätsel, wo die alle gestapelt werden sollten. Na, er würde sich schon etwas dabei gedacht haben. Ich tippte ihm zurück, dass wir beide uns sehr darüber freuen würden und luden Asa und ihn am kommenden Morgen zum gemeinsamen Frühstück ein. Kakashis Kühlschrank wies durch die geplante Dienstreise eh nur eine gähnende Leere auf.
 

Rumms, die Tür war zu! Voller Wut war Yuuki am nächsten Morgen wortlos vom Frühstückstisch aufgesprungen und hatte seine Zimmertür geknallt, dass der Putz von den Wänden rieselte. Zurück blieben drei verdutzt dreinblickende Familienmitglieder, welche diesen Vulkanausbruch nicht hatten kommen sehen und nun sprachlos irritiert einander ansahen. Der Morgen hatte noch nicht mal so recht begonnen, da war er schon im Eimer. Und das lag nicht allein an dem grauen Dauerregen vor der Haustür. Vermutlich war wohl ich die irritiertest Person in der Runde, denn gerade noch hatte ich von meinem Sohn behaupten können, er wäre doch so eine stille, aber auch sehr sensible Person. Nun aber hatte ich ihn zum ersten Mal absolut extrovertiert erleben können und konnte keine Erklärung finden.

Doch was war überhaupt geschehen? Eben gerade noch war es eine lustige Runde gewesen. Man brauchte kein Radio als Hintergrundgedudel. Asa erzählte wie die plappernde Mühle am rauschenden Bach. Wie groß Sunagakure wäre und das die Häuser dort ganz anders aussähen. Unglaublich heiß wäre es dort, aber nachts bitterkalt. So viel Sand hatte sie noch nie am Stück gesehen. Meterhohe Sanddünen erstreckten sich bis zum Horizont. Hatte man eine überwunden, so kamen noch hundert weitere. In allen Farben erzählte sie von den Bazaren und Märkten zwischen den Gassen, dass man Lust bekam, die Stadt selbst einmal besuchen zu wollen. Wir einigten uns darauf, dass wir dieses auch irgendwann in Angriff nehmen würden. Es gab so viele Orte, die man noch nie zu Gesicht bekommen hatte, die aber garantiert eine Reise wert wären.

Yuukis seelischer Super-GAU ereignete sich, als er ganz vertieft mit Asa Schnappschüsse von der Reise auf dem Tablet anschaute und sich Kakashi unbedacht mit der Aussage an mich wandte, dass er die vier anderen Kage von seinem Rücktritt nun in Kenntnis gesetzt hätte. Und bevor ich darauf eine Antwort geben konnte, knallte schon die Kinderzimmertür. Achselzuckend erhob ich mich und meinte zu den anderen, ich würde mal nachhaken, welche Laus Yuuki über die Leber gelaufen wäre.

Im Kinderzimmer musste ich mich erst einmal umsehen. Wenn mein Kind am Boden zerstört war, pflegte es Verstecke aufzusuchen. Unter dem Schreibtisch hockte eine Deckengeist. Es musste mein Kind sein, denn die Füße guckten raus. Es sah urkomisch aus, aber weil dieses hier eine todernste Angelegenheit war, biss ich mir auf die Lippe, um nicht laut loszulachen. Ich hockte mich vor die Schreibtischfestung und begrüßte den Deckengeist aufmunternd.

„Was ist los?“

„NICHTS!“, zischte es gefährlich.

Ja, genau! Deshalb hockst du ja auch mit der Decke über dem Kopf unter dem Schreibtisch. Weder Geduld, noch Hartnäckigkeit halfen weiter. Planlos wollte ich unverrichteter Dinge wieder hinausgehen. Noch im Türrahmen durchbohrten mich rücklings harte Worte, so messerscharf wie ein Shuriken, dass ich gelähmt dort stehen blieb.

„Ich komme erst raus, wenn der Verräter weg ist!“

„Yuuki …?!“, schnappte ich entsetzt nach Luft.

Ich war schockiert. Was ging denn hier ab? Mir musste die Farbe aus dem Gesicht gewichen sein, dann Kakashi sah besorgt zu mir herüber, und auch Asa war ausnahmsweise mal verstummt. Selbst das nervöses Baumeln ihrer Beine hatte geendet. Natürlich hatten beide wie Zaungäste alles mitbekommen. Keiner von uns verstand Yuukis Sinneswandel, bis plötzlich Kakashi aufstand, seine leere Tasse in die Spüle stellte und sich dann an mir vorbeischob. Dort im Zimmer platzierte er sich nicht so wie ich vor, sondern neben dem Schreibtisch, dass die beiden nur von den Tischbeinen getrennt waren. Es war eine geschickte Position, weil man sich so nicht ansah. Man saß deeskalierend nebeneinander auf Augenhöhe und nicht auf Konfrontationskurs gegenüber. Mir schien, dass Kakashi wohl ein Gedanken gekommen war.

„Die größte Diplomatie ist es, mit dem Feind zu sprechen. Wusstest du das?“

Kakashis ruhiger Ton brachte den Deckengeist dazu, den Kopf verneinend zu schütteln. Oder besser gesagt, der obere Deckenteil bewegte sich raschelnd. Yuuki war wirklich nicht auf den Kopf gefallen. Trotz seines jungen Alters von bald zehn Jahren konnte er solch Unterhaltungen gut folgen und geschickte Antworten geben. Eben war er aber von einem diplomatischen Gespräch noch nicht überzeugt. Dennoch hatte ich das Gefühl, unter der Bettdecke wurde angestrengt nachgedacht.

„Mir ist eingefallen, was du mich neulich etwas wichtiges gefragt hattest. Und ich hatte dir etwas versprochen“, setzte Kakashi daher unbeirrt fort.

„Aber, aber ...“, stotterte es verwirrte an die Außenwelt hervor.

Man hörte ganz klar an seiner Stimme, dass er vor Wut geweint hatte.

„Versprochen ist versprochen“, klang Kakashi doch sehr überzeugend.

„Schwörst du das?“, giftete es.

Kakashi lachte auf.

„Hey, seit wann sagt der Schüler dem Kage, was er zu tun hat?“, scherzte er.

„Du bist gar nicht mehr mein Kage!“, maulte es aus den Tiefen der Daunen.

„Ich sehe schon, das billige Fußvolk startet eine Meuterei. Da muss wohl mal hart durchgegriffen werden!“

Gesagt, getan. Yuuki wurde an den Füßen gepackt, aus seinem Versteck hervorgezogen und sah sich einer Wolke aus feinsten Lichtern ausgesetzt. Sie erinnerten mich an Glühwürmchen. Es waren aber natürlich keine Glühwürmchen, sondern winzig kleine elektrisch aufgeladene Teilchen, die Yuukis Haut so kitzelig reizten, dass er sich vor Lachen auf dem Boden wälzte und den Blitzpunkten dennoch nicht entkommen konnte. Es knisterte wie Knallerbsen. Böse Falle!

Noch immer stand ich im Türrahmen, glotze mit kuchentellergroßen Augen wie die Kuh auf dem Eis die beiden an und hielt sie nun für völlig durchgeknallt. Das sollte mal einer kapieren.
 

Wenigsten wurde mir viel später am Tage die Lösung nachgeschoben, dass mir ein ganzer Kronleuchter über meinem Kopf aufflammte und ich herzlich lachen musste. Mein armes, sensibles Kind! Was hatte er sich da wieder für einen Weltuntergang ausgemalt?

In rund vier Monaten würden wieder Genin- und Chûnin-Prüfunfen abgehalten. Auch wenn unsere beiden Kinder erst einmal die Zwischenprüfung zum Genin meistern mussten, bekamen sie doch die Anspannung bei den älteren Mitschülern mit. Die Prüfungen waren allgegenwärtiges Gesprächsthema. Die Akademie regelte und organisierte zwar die ganzen Prüfungen, den Ablauf zu überwachen, blieb dann aber doch beim Hokage hängen. Auch Urkunden schreiben und Stirnbänder feierlich verteilen, gehörte mit dazu, wie sich Yuuki erklären hatte lassen, als er eines abends mitbekam, wie Kakashi sich durch Listen wälzte, wer denn überhaupt zu welchen Prüfungen zugelassen werden sollte. Und so malte sich mein werter Sohn natürlich aus, dass auch er irgendwann mal seine Urkunde und sein Stirnband in Empfang nehmen dürfte. Und natürlich war es ihm ein großes Anliegen, eben jenes aus den Händen seines Allerliebstenlieblingshokage zu bekommen. Bloß, … Der war da nicht mehr im Amt, wenn es so weit wäre. Welch Fauxpax! Welch tiefer Riss in der zarten Kinderseele. Alle Träume zerstört!

Ein Kage blieb immer ein Kage. Der Titel war fest zementiert bis zum Lebensende, auch wenn man nicht mehr das Amt ausübte.

Ach Yuuki, nur für dich wird Kakashi extra nochmal vorbeikommen und wird dir irgendwann dein Stirnband geben. Nur für dich. Das hatte er dir doch versprochen!

Alles wird gut!



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