Zum Inhalt der Seite

Kalendertage

Der Tag, an ...
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

28 – Der Tag, an dem die Kirschbäume blühten

Nach dem ewigen Ausnüchtern kam die kopfschmerzende Nüchternheit, gefolgt von der bitter schmeckenden Ernüchterung. Ich wusste gar nicht mehr so genau, wie ich überhaupt wieder nach Haus gekommen war. Keineswegs hatte ich einen Filmriss. So sehr betrunken war ich nun auch nicht, aber halt einfach nur grenzenlos übermüdet. Nachdem ich meinen Sack voller Geld geschultert und zusammen mit Ûhei zum Bahnhof geschwankt war, hatte ich keinen Sitzplatz im völlig überfüllten Großraumabteil ergattern können. Also hatte ich mich mit meinem Geldsack auf den Fußboden gekauert und war eingeschlafen. Nur ein beherzter Hundebiss in meine Wade weckte mich rechtzeitig zum Ausstieg. Ansonsten wäre ich in Konoha durchgerauscht und wohl erst am Ende des Wind-Reiches wieder aufgewacht. Ein heftiger Bluterguss und ein Zahnabdruck an meinem Bein sollten mich noch sehr lange an meine Rückreise erinnern. Ich war niemals sauer auf Ûhei gewesen. Das bin ich auch heute nicht. Von all den acht Hunden, die Kakashi an seine Seite beschwören konnte, waren alle im Charakter so unterschiedlich, dass es keinen Vergleich untereinander gab, doch Ûhei blieb mir stets der Liebste. Das mochte wohl auch der Grund gewesen sein, dass er seitdem immer an meiner Seite war, wenn ich ihn brauchte, obgleich ich mich mangels Chakra nie in irgendeine Schriftrolle hätte eintragen oder gar einen vertrauten Geist hätte beschwören können. Wir verstanden uns einfach auf Anhieb gut.

Als der Kopfschmerz verflogen und die Lebensgeister wieder in meinen Körper zurückgekehrt waren, verriet mir ein Blick unter der Bettdecke hervor durch mein Zimmer hinweg, dass mein Ausflug kein bunter, wilder Traum, sondern Realität gewesen war. Denn zwischen meiner auf den Boden geschmissenen Kleidung lag mein Jackpot. Ganz ehrlich, ich hatte keine Ahnung, wie viel Geld da überhaupt drin war. Also kochte ich Kaffee und zählte den Inhalt. Es war sehr viel Kleingeld darunter, da man ja alle Einsätze der Mitspieler erhielt. Darüber hinaus hatte ich mich in meinem Suff getäuscht: Es gab doch noch zwei weiter Glückspilz, die auch „meine“ Nummer auserkoren hatten. Also ging die Summe schon einmal durch Drei. Dann wurde sie auch noch vor Ort sofort für den Feudalherren großzügig versteuert und es blieb ein magerer Rest, der zum Sterben zu viel, aber zum glückseligen Leben zu wenig wäre. Kurzum: Ich hatte einen mittleren, fünfstelligen Betrag in meinem Geldsack. In meinem Heimatdorf, könnte man davon einen kleinen Sprung beschicken. Wenn man dagegen die Lebenserhaltungskosten und die Immobilienpreise in Konoha ansah, so reichte das hier bei einer Eigentumswohnung gerade mal für die Haustür. Zu wahr um schön zu sein. Ich war planlos, was ich mit dem kleinen Geldsegen nun veranstalten könnte. Also verstecke ich Sack und Pack erst mal im Kleiderschrank und trabte dann mit einem Kopf voller Sorgen und Gedanken zum Krankenhaus. Mir war gar nicht wohl, dass ein Sack Geld in meinem Kleiderschrank stand. Ich sollte ihn noch einige Mal hervorkramen, nach neuen Verstecken suchen und ihn dann wieder zurück in den Kleiderschrank stellen, weil mir kein gutes Versteck einfiel.

Noch grausamer war aber die Regenbogenpresse, welche ich im Wartesaal des Krankenhauses durchblätterte, während ich auf Yuukis Entlassungspapiere wartete. Ohne jemals auch nur ein einziges Mal vom Inhalt Notiz genommen zu haben, flogen meine Augen über die vielen bunten Bilder. Aber an einem blieb ich diesmal sofort hängen. Es schockte mich in dem Moment so sehr, dass ich beinahe die Zeitschrift zerrissen hätte, dann sah ich unauffällig nach rechts und links, ob mich jemand beobachten würde, und knüllte das Käseblatt in meine Handtasche. DAS musste ich doch glatt mal in Ruhe betrachten. Ich hatte es mit meinem Sohnemann im Schlepptau plötzlich sehr eilig, wieder nach Hause zu kommen. Da strich ich am Küchentisch die Seiten mit der Hand glatt und starrte mich selber an. Ich, wie ich dort auf einem kleinen, unscheinbaren Bild Ûhei umarmte und mich über meine Glückszahl freute. Maaannn wie hatte ich nur so doof sein können zu glauben, es gäbe über die jährliche Jackpotziehung in Otafuku keinen Presseartikel? Ich war ohne mein Wissen fotografiert worden. Und da die beiden anderen Gewinner auch nicht direkt in die Kamera sahen, war es denen wohl genauso ergangen, wie mir. Eigentlich alles ganz harmlos, aber wer Insider war und kombinieren konnte, der zog sofort seine Schlüsse zwischen der Gewinnerzahl, Kakashis Hund und meiner Person. Sogar ein Blinder wurde sehend und sah eine tiefere Verbindung. Und genau das war eine Sache, die Kakashi und ich nicht an die große Glocke hatten hängen wollen. Und nun wusste es wohl die halbe Ninja-Welt. Ich war mir über die Tragweite meines Ausfluges nicht bewusst gewesen. Hoffentlich warf meine Sauf- und Spieltour kein negatives Licht auf Kakashis Job. Das wäre echt fatal und wäre niemals auch nur im Geringsten meine Absicht gewesen.

Ich hätte schon eher etwas merken müssen, dass mein „Auftritt“ Kreise zog, als mich eine blassblonde Frau mit zwei Zöpfen auf dem Bahnsteig in Konoha ansprach. Dort hatte ich verweilen müssen, weil die Müdigkeit meinen Körper nur hatte bis zur nächsten Bank getragen. Die Dame hatte große rehbraune Augen, mindestens so viel Oberweite und auch mindestens so viel Alkohol wie ich im Blute. Allerdings hatte sie, im Gegensatz zu mir, unglaublich viel Geld verloren. Dafür war ihr Mundwerk ebenso wie meines und ihr Temperament wohl ebenso. Sie war mir sofort sympathisch, obwohl ich die ganze Zeit hatte grübeln müssen, was wohl an ihrer Optik nicht stimmte. Ûhei klärte mich flüsternd auf, dass es ein Verjüngungsjutsu wäre, denn die Dame wäre schon fast siebzig Jahre alt. Wow! Wie dem auch sei, sie gratulierte mir zu meiner sehr „interessanten Gewinnnummer“, grinste schelmisch und leerte mit mir zusammen meine vierte und somit letzte Flasche des Ausflugs. Bäh, schon wieder saufen! Nicht Herrin meiner Sinne plapperte ich darauf los, wie mir der Mund gewachsen war und merkte schon wieder nicht, wie Ûhei immer kleiner und unauffälliger wurde und zum Schluss sich hinter meinen Beinen unter der Sitzbank versteckte. Bei der Verabschiedung grüßte sie Ûhei, woher auch immer sie ihn kannte, und setzte einen großen, roten Hut auf. Der hatte schon eine Ähnlichkeit mit dem Hokagehut, nur das weiße Feld mit dem Feuer-Kanji fehlte vorn. Da musste ich einfach loskichern und dumm herausplatzen:

„Mein Freund hat auch so einen, aber den setzt er nicht so gerne auf.“

„Das glaube ich Ihnen sofort, Jibek-san,“ lachte sie fröhlich auf. „Grüßen Sie ihn doch bitte von mir. Es freut mich sehr, ihre Bekanntschaft gemacht zu haben.“

Dann zog sie von dannen. Ûhei kam auch wieder unter der Bank hervor. Ob ich denn nicht gewusste hätte, wer die Frau gewesen wäre? Da ich aus dem Tal der Ahnungslosen stammte, schüttelte ich nur den Kopf und ließ mich belehren, dass mit der Fünften Hokage gerade einen Umtrunk gehalten hatte. Wie bitte? DAS war Tsunade? Die hatte ich mir total anders vorgestellt. Ich sah ihr noch nach, doch die Menschenmassen am Bahnhof verschluckten schnell ihre Gestalt.
 

So endete dann der Februar und ging wettertechnisch nahtlos in den März über. Es wurde milder, aber noch nicht so mild, dass es die Eisflächen gänzlich auftaute. Dafür war es nun morgens und abends merklich heller. Einige Tage später sollte dann aber wirklich der heißersehnte Frühling über unser Dorf hereinbrechen und die letzten Winterreste vertreiben. Die frische Brise trieb nicht nur die neuen Jahreszeit durch die Straßen, sondern wehte auch Kakashi wieder nach Hause. Und zwar ziemlich stürmisch. Erst zwei Tage später mit ihm rechnend, klopfte es in aller Frühe an meine Haustür. Schlaftrunken warf ich mir eine Yukata über und öffnete. Total unerwartet schoss etwas Rot-Weißes herein und umarmte mich als wäre ich die einzige Rettungsboje im ganzen Ozean. Mit soviel Aktionismus in den Morgenstunden konnte ich nichts anfangen und schon gar nicht, dass Kakashi zur Abwechselung mal durch die Tür kam. Also stolperte ich völlig verdattert mit ihm einige Schritte zurück, bis ich überhaupt verstand, was los war. Kurz darauf saßen er am Küchentisch, während ich den Kaffee aufsetzte.

„Musst du nicht zuerst ins Büro?“, versuchte dem Thema mit meinem Jackpot auszuweichen.

Aber das war eh unmöglich. Kakashi war nun mal neugierig. Der sah alles, wusste alles und konnte alles.

„Eigentlich schon...“; begann er während der seinen Mantel sorgfältig zusammenlegte und den Hut oben auf den Stapel ablegte. „Aber mein ehemaliger Schüler brennt schon von Kindesbeinen darauf, Hokage zu werden. Den arbeite ich schon eine Weile ein. Da kann der den Papierkram machen.

Und du? Du hast dir wohl auch gut die Zeit vertrieben, wie ich mitbekommen habe.“

Argh! Sah alles, wusste alles, konnte alles! Da waren wir beim Thema. Etwas überfallen sackte ich in mich zusammen, wie ich ihm da so gegenüber saß und auf unsere beide Tassen mit frisch gebrühtem Kaffee starrte.

„Bist du sauer?“, fragte ich verlegen.

Er schüttelte den Kopf.

„Nein, ich war im ersten Moment nur total verwundert. Ich bekomme vermutlich sowieso den Titel „Schlechtester Hokage aller Zeiten“. Da machen solche Storys auch nichts mehr.“

Schlechtester Hokage aller Zeiten? Hatte ich mich verhört? Nein, das war gerade von ihm genau so gesagt worden. Ich hatte keine Ahnung, wie seine Vorgänger ihre Ämter ausgeführt hatten und konnte es somit auch gar nicht vergleichen. Aber ich hatte stets gedacht, ich wäre die Person mit den ständigen Selbstzweifeln. Dass Kakashi diese anscheinend auch hegte, überraschte mich sehr. So hätte ich ihn gar nicht eingeschätzt. Ihn, der immer so perfekt und diszipliniert schien. Doch dann erinnerte ich mich an unsere Unterhaltung, als wir zwischen den verschneiten Reisfeldern standen, wo einst sein Elternhaus gestanden haben sollte. Da waren mir zum ersten Mal seine Selbstzweifel aufgefallen. Wir sprachen über unsere Lebensläufe. Seitdem brannte ich darauf, etwas mehr über ihn zu erfahren.

Wir konnten das Gespräch nicht vertiefen. Yuuki humpelte hervor, rieb sich dabei den Schlaf aus den Augen und freute sich über unseren Besuch. Gemeinsam frühstückten wir und verabschiedeten anschließend Yuuki, der zur Schule musste. Diesmal auf dem Fußweg und nicht über die Dächer. Maulig humpelte er los.

„Aber wenn der Fuß wieder OK ist, nehm' ich wieder die Abkürzung!“, hörten wir ihn noch ihm Treppenhaus.

Da wollte ich gerade schon noch eine Standpauke über akute Beratungsresistenz halten, als mir Kakashi zuvor kam und ihm hinterher rief: „Bestimmt, Yuuki!“

„Lass ihn! Er macht es doch eh sofort, wenn du nicht dabei bist. Das muss er selber lernen, wie er es am besten hinbekommt. Ich kann Asa auch nicht davon abbringen, immer alles in Schutt und Asche zu legen. Es macht halt viel Spaß“, wandte er sich dann mir zu.

Natürlich hatte er recht, gefallen tat es mir trotzdem nicht. Ich räumte den Frühstückstisch ab, schlüpfte endlich mal in Kleidung und machte mich soweit zurecht, dass man in der Öffentlichkeit herumlaufen konnte. Geduldig wartete Kakashi, bis ich alles beisammen hatte. Er hätte seine morgendliche Runde noch nicht gedreht und ich sollte ihn begleiten. Das klang interessant. Und so zogen wir los.

Es ging zunächst am Flussufer entlang Richtung Norden. Das Gesicht des Ufers veränderte sich. Alleereihen von Bäumen erstreckten sich auf beiden Seiten. Trauerkirschen, um genau zu sein. Ihr Knospen waren schon kurz vor dem Aufbrechen. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die Uferböschung im Blütenmeer versinken würde. Aber noch konnte man unter den Bäumen sitzen und durch ihre großen Kronen hindurch in den azurblauen Himmel sehen. Irgendwo zwischen den dunklen Stämmen taten wir dieses dann auch. Kakashi konnte das besonders gut. Einfach alle Viere von sich strecken und Wolken beobachten. Vereinzelte Schäfchenwolken trieben sachte am Himmelszelt vorüber. Was er wohl darin sah? Oder nahm er sie gar nicht wahr? Auf jeden Fall war er weit weg von unserer Welt und grübelte.

„Die Wolke da oben sieht aus Buru!“, deutete ich auf einen weißen Wattebatzen.

„Welche?“

Er den Kopf in die Richtung, zu der ich meinen Arm ausstreckte. Der Wind verformte den Batzen und schob ihn weiter fort.

„Die da!“, fand ich dennoch.

„Ach, so bullig ist er nun auch wieder nicht ...“, lachte er kurz auf.

„Siehst du auch Dinge in den Wolken?“

„Manchmal, aber so kreativ bin ich nicht, dass ich da etwas sehe. Die Wolken trösten mich, wenn ich nicht weiter weiß. Oder wenn ich mich mal wieder total hilflos und allein fühle. Egal, wo ich unterwegs war, der Himmel ist immer derselbe. Oft hab ich gehofft, ich könnte mit den Wolken mitziehen. Einfach so auf und davon.“

Wir schwiegen, sahen den ziehenden Wolken nach und lauschten dem leisen Wellenschlagen des Wassers an die Uferböschung. Die ersten Vögel zwitscherten ihre Frühlingslieder. Ich dachte nach, wie oft er doch verloren in die Wolken guckte und das machte mich sehr, sehr traurig. Auch das, was er gerade gesagt hatte, war voller Schmerz. Ich fröstelte. Innerlich, wie äußerlich. Der grasbedeckte Boden war von der Frühlingssonne noch nicht genügend aufgeheizt worden, dass man hätte lange auf ihm verweilen könnte.

„Du hast recht. Der Himmel ist immer gleich. Er verbindet uns, obwohl wir aus total verschiedenen Welten kommen“, philosophierte ich laienhaft. „Guck mal, da oben gehen schon die ersten Blüten auf!“

Tatsächlich wandte weit oben in den Zweigen vereinzelte Knopsen sich der Sonne zu und hatten sich bereits geöffnet.

Konaha sah wirklich wunderbar aus, wenn die rosa-weiße Blütenpracht sich entfaltete. Früher hatte ich mich stets gefragt, was an solch blühenden Obstbäumen so besonders wäre. Immerhin gab es das im Erd-Reich auch, aber so etwas wie dieses Schauspiel hier, musste man mit eigenen Augen gesehen haben. Es war mit nichts auf der Welt zu vergleichen.

„Komm mal her!“

Ein ausgestreckter Arm lud mich ein. Fingerspitzen suchten nach meiner Hand. Ich rollte mich hinüber in seine Umarmung, vergrub mein Gesicht in seiner grauen Weste. Es war das allererste Mal, dass wir in der Öffentlichkeit unsere Distanz überwanden und uns zuwandten. So eng waren wir uns noch nie außerhalb der vier Wände gekommen. Außer vielleicht, als er mich damals an den Händen über den Fluss hinüber geführt hatte. Aber das war eine komplett andere Situation.

„Ich schulde dir noch einen Lebenslauf. Wo soll ich anfangen?“, flüsterte er in meine Haar hinein, durch die seine Finger strichen.

Also fing man doch am einfachsten ganz vorne an. Dass es daheim sicherlich eine perfekte und glückliche Familie gewesen wäre, wenn seine Mutter ihn nicht bereits im Wochenbett verlassen hätte, und so sollte er das einzige Kind der Familie bleiben. Doch seinen Namen hatte er von ihr bekommen, weil er schon als Baby mit ziemlich vielen Haaren auf die Welt kam, die in alle Richtungen stünden. Sie hätte sich sehr gefreut und gesagt, so ein Junge könnte nur „Kakashi“ heißen. Alles andere ginge gar nicht. Überhaupt sei sie eine immer gutgelaunte Frau gewesen. Das wüsste er aber nur von seinem Vater, der immer streng, aber auch genauso fürsorglich gewesen wäre. Sein Vater war ein erfolgreicher und pflichtbewusster Jonin, den er immer als Vorbild gesehen und heißgeliebt hatte. Aber im Schatten von solch einem Vater zu stehen, hatte auch Nachteile. Kakashi erzählte, er selbst gehörte schon immer zu der Sorte: Übertalentiert, aber faul. Und weil alle im Dorf Shinobi wurden, wurde er auch Shinobi. Da gab es praktisch gar keine Alternativen. Eine logische Berufswahl aus Tradition heraus. Er brauchte nie viel trainieren, da ihm das Talent schon in die Wiege gelegt worden war. So war er den anderen Kindern immer einen Schritt voraus. Es war schwer, mit diesem Hintergrund Anschluss bei Gleichaltrigen zu finden. Sie sahen zu ihm auf, weil er Sakumos Sohn war und tolle Fähigkeiten hatte, aber als eigenständige Persönlichkeit sah man ihn nicht. Das wäre aber auch so eine Feuer-Reich-Tradition: Es zählte immer die Gruppe und das Wohl aller an sich, nicht die Probleme des Einzelnen. Kurzum, er legte sich unbewusst eine gewisse Arroganz zu, weil man grundsätzlich immer an der Spitze der Ergebnisliste stand. So stieg man auch schnell und mühelos der Shinobi-Karriereleiter nach oben auf. Ein beispielloser Weg, den kaum ein jemand anderes vollbracht hätte.

Schlagartig veränderte sich dann alles, als sein Vater seine Pflicht verletzte und lieber eine Mission in den Sand setzte, als seine Teamkameraden zu verlieren. Im ganzen Dorfe kippte die Stimmung. Selbst engste Vertraute zeigten mit dem Finger auf ihn, bis er eines nachts seinem Leben ein Ende setzte.

„Das Bild vergesse ich niemals. Das ganze Wohnzimmer war voller Blut. Eine riesige Blutlache. Und es war eine Gewitter draußen. Immer wieder zuckten die Blitze am Nachthimmel, dass das Licht so unheimlich flackerte. Und mein Vater lag in der Mitte zusammengekrümmt. Dabei sah er so friedlich aus. Kurz darauf wurde er abgeholt. Ich hatte noch mitbekommen, wie sie diskutierten, ob er nun einen Grabstein bekommt oder nicht. Makaber, oder? Die Bude durfte ICH natürlich putzen. Allein. Da war ich gerade mal acht Jahre alt. Danach bin ich irgendwie total abgedreht.“

Die Geschichte war so traurig und dürfte für ein Menschenleben genügen, doch wenn ich dachte, das wäre schon alles, so hatte ich mich getäuscht. Das war erst das Vorwort. Schwarz ist gar keine Farbe, sondern ein lichtleerer Raum. Doch wäre Schwarz eine Farbe, so hätte Kakashis Schwarzton noch unzählige Farbnuancen dunkler inne. Schwärzer als Schwarz. Ich bin nicht nur ein sprunghafter, flippiger Mensch, sondern auch nahe am Wasser gebaut, wenn ich traurige Dinge hörte oder sah. Aber Kakashi störte sich nicht daran, als ich stumm seine Weste vollheulte und ihn total nass machte. Und so erfuhr ich noch ganz viel. Ich lernte Minato, Obito und Rin kennen und was ein Sharingan ist und was man damit macht.

„Ich wollte nicht so sein wie mein Vater, und hab alle nur genervt mit meinem Pflichtbewusstsein. Ich hab nie gemerkt, wie Minato sich meinetwegen Sorgen gemacht hatte. Oder das Obito mir immer seine Sichtweise der Dinge klarmachen wollte. Oder Rin immer stets bemüht war, dass Obito und ich gut auskamen. Es hatte mich noch nicht einmal interessiert, als sie sagte, wie sehr sie mich liebte. Mal ehrlich, was sollte sie mit mir anfangen? Mit mir, der immer nur Fehlentscheidungen traf, nie die Verantwortung übernahm und keine Antennen für menschliche Gefühle hatte. Bei allem, was ich angefangen hatte, habe ich zum Schluss versagt. Obito wurde unter dem Stein begraben, weil ich zu starrsinnig auf das Missionsziel gepocht hatte und mich dafür lieber mit ihm stritt. Rin ist gestorben, weil ich trotz meiner Perfektion sie nicht beschützen konnte. Sie ist mir einfach ins Chidori reingesprungen... Einfach so, um das Dorf zu schützen. Obito hatte es gesehen, aber das wusste ich damals gar nicht. Ich hatte viele Jahre geglaubt, er wäre tot. Wir alle hatten das geglaubt. Stattdessen taucht er einfach als Verbündeter von Madara auf und lässt den Kyuubi auf Konoha frei. Aus Liebeskummer und Frust auf mich. Das ist allein meine Schuld. Meine Unfähigkeit und Arroganz hat Konoha zerstört. Nach Rins Tod bin ich in ein tiefes Loch gefallen. Minato nahm mich bei den ANBU auf, weil er dachte, es würde mir helfen, wenn ich näher an seiner Seite wäre. Aber das hatte alles nur noch schlimmer gemacht. Zum Schluss war ich wohl der meist gehasste Mensch im ganzen Dorf. Ich sprach mit niemanden mehr, tötete auf den Missionen alles grundlos, was mir in den Weg kam, und überlegte, ob ich nicht meinen Freunden folgen sollte. Als Minato und Kushina bei dem Angriff ums Leben kamen, hatte ich tatsächlich überlegt, mich der ANBU-Ne anzuschließen. Das Sterben geht da viel schneller.“

Aber nach rund zehn Jahren kam alles anders. Der Dritte Hokage entließ ihn aus der ANBU und drückte ihm den Ausbilderposten aufs Auge. Das war so ziemlich das Letzte, was er sich hatte vorstellen können, den Babysitter für eine Handvoll Bälger zu spielen. Erst die dritte Teamkonstellation sollte ein Umdenken bringen.

Was sollte man dazu noch sagen? Da konnte man nichts mehr zu sagen. So etwas hatte ich nicht erwartet. Ich war einfach nur schockiert. Was machte man mit so einem depressivem Trümmerhaufen neben einem? War das derselbe Kakashi in der Geschichte, der mich hier eben schützend im Arm hielt und mir zärtlich mit seinen Fingerspitzen den Rücken kraulte? Ich konnte es beim besten Willen nicht glauben. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf. Alles kreiste wild vor sich her, wie auf einer Achterbahn. Aber allmählich kapierte ich, was er mir damals mitteilen wollte, als er meinte, er wäre nicht beziehungsfähig.

„Tut mir leid, Nina-chan. Aber genau das, was du an unserer Berufsgilde so hasst, verkörpere ich par excellence mit Auszeichung.“

Ich wollte so viele Fragen fragen, stellte aber keine einzige. Shinobis sind bezahlte Auftragskiller. Das war mir schon immer bewusst. Doch mein Fang war ein eiskalter Massenmörder mit einer hohen pro Kopf Stückzahl. Das war krass.

„Wenn du jetzt gehst, verstehe ich das sogar und ...“

Da wurde ich sauer. Ich wurde so wütend, dass ich ihn einfach ins Wort fiel, hochschnellte und mit den Fäusten auf ihn eintrommelte. Tränen standen mir in den Augen.

„Hör auf damit! So bist du überhaupt nicht. So einen Kakashi voller Selbstzweifel kenne ich gar nicht. Und so einen will ich auch gar nicht kennen. Ich will den haben, der sich einfach so kackfrech in meiner Wohnung einnistet, mein billiges Leben auf den Kopf stellt und den ich in mein Herz gelassen habe. Und da bleibst du auch. Kapiert?!“

Die letzten Worte hatte ich richtig gebrüllt. Aus vollem Hals. In der Sekunde wurde mir erst so richtig klar, was ich da gerade ausgesprochen hatte und was ich überhaupt für ihn fühlte. Hatte ich zuvor meine Zweifel gehabt, so war ich mir nun sicher. Kakashi hatte meine trommelnden Fäuste behutsam aufgefangen, sich ebenfalls aufgerappelt und sah mich doch mit einer gewissen Fassungslosigkeit an. So eine Antwort hatte er wohl nicht erwartet. Gesten bringen mehr als zehntausend Worte. Ich wollte ihn einfach nur noch festhalten. Also tat ich es, vergrub mein Gesicht in seiner Kleidung und lauschte seinem Herzschlag. Schnell und aufgeregt. Ich spürte seine Arme, die sich langsam und unsicher um mich legten. Eine halbe Ewigkeit blieben wir wohl so.

Wir sind eins.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück