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kyou no oyatsu

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Versicherung gehörende Inflationsrate

„Meine Damen und Herren, wir haben ein Problem“, eröffnete der Vorstandsvorsitzende die Sitzung. „Unsere Kunden werden zu alt.“

Die Stimmung im Raum, die sich bei der Eröffnung spürbar angespannt hatte, sankt auf ein behaglicheres Level der Aufmerksamkeit zurück. Das war ein Thema, das alle Anwesenden bereits kannten. Der ein oder andere lächelte seinem Gegenüber am Tisch sogar leicht zu. Erwartet hatten sie ganz andere Kaliber. Unabgesprochene gesetzliche Regelungen zum Beispiel bei der Aufklärung bei Vertragsabschlüssen oder Enthüllungen von Geschäftsgebaren oder gar privatem Verhalten auf Plattformen wie Blogleaks.

„Die Prognosen sehen traurig aus. Wenn es mit der Gesundheit und damit der Lebenserwartung so weiter geht, werden die zu unserem Konzern gehörenden Versicherungen nur noch sieben oder gar nur sechs Prozent Gewinn im Jahr machen. Unser Aktienkurs wird ins Bodenlose fallen, wenn das so weiter geht, wir sind schließlich kein produzierendes Gewerbe. Ich erwarte Vorschläge, was wir tun können.“

Herr Schmidt, der als Versicherungsmathematiker angefangen hatte, lehnte sich zurück und ließ seinen Geist wandern. Er hatte seine Kontakte genutzt und das Thema schon vorher gekannt, deshalb konnte er sich für den Moment zurücklehnen. Solche Sitzungen kannte er schon. Jeder Einzelne von ihnen würde einen Standpunkt wiederkauen, den jeder andere schon kannte, nur um etwas gesagt und damit sein Geld verdient zu haben.

Was Anette wohl morgen zum Mittagessen machen würde?

Würde der BVB es dieses Jahr schaffen, Meister zu werden?

Was war eigentlich aus Julius geworden, den hatte er schon lange nicht mehr…

„Herr Schmidt, sie haben bisher noch gar nicht beigetragen. Was sagen Sie denn zu den bisherigen Vorschlägen?“

Schmidt holte seine Gedanken in die Gegenwart zurück. Jetzt war es Zeit, den Ball ins Rollen zu bringen. Wenn sein Vorschlag ankam, war ihm der Posten im Vorstand sicher.

„Bei allem Respekt den vielen guten Vorschlägen und Argumenten gegenüber“, er nickte zufällig ein paar Gesichtern zu „halte ich es für angebracht, einen deutlich aggressiveren Kurs zu fahren.“

„Was meinen Sie damit?“, fragte der Vorstandsvorsitzende neugierig geworden.

„Ich meine damit, wir sollten ein neues Versicherungsmodell einführen. Die gegenwärtigen Lebens- und Rentenversicherungen basieren alle auf alten Vorstellungen, die einer modernen und dynamischen Welt, die sich immer mehr globalisiert und dennoch lokal im einengenden Griff der Überalterung gefangen ist, nicht mehr angemessen.“

Ein bisschen Bullshit lohnte sich immer, hatte Herr Schmidt schon früh gelernt.

„Wir müssen daher ein neues Modell erschaffen, eines, das Kapitalströme abfängt, die bisher an unseren Unternehmen vorbeigehen. Ich habe daher (um ein Haar hätte er „meine Abteilung“ gesagt) ein Modell ausgearbeitet, das genau das erlaubt.“

Unter der aufmerksamen Blicken der Anwesenden öffnete er seine Mappe und holte die Übersichten hervor, die er vorbereitet hatte.

„Das Hauptproblem für unser Unternehmen, oder eher die gesamte Branche, ist fehlender Kapitalzustrom. Außerdem gibt es ein extremes Abschöpfungsproblem, bedingt durch die Konkurrenzsituation und gesetzliche Vorgaben.

Wir müssen daher ein neues Versicherungsmodell vorantreiben, eines, das politisch gesehen auf der demografischen Entwicklung beruht und uns neue Möglichkeiten des Umsatzes bietet.

Wie sie auf Abbildung zwei erkennen können, schwebt mir eine Umverteilung der Rentenversicherungsausgaben von der gesetzlichen zu unserer neuen Rente vor. Als Argument können wir hier den steigenden Rentneranteil anführen, der bei einer einfachen Fortschreibung zu einer starken prozentualen Zunahme der Rentenbeiträge führt und damit zur Zunahme der sogenannten Lohnnebenkosten.

Das können wir als Überzeugungspunkt nutzen. Wir erklären, dass dies Arbeitsplätze kostet (leises Lachen an dieser Stelle von einigen der versammelten Herrschaften, die wussten, mit Arbeitsplätzen konnte man alles verkaufen). Das muss natürlich verhindert werden, weshalb es nötig ist, diesen Zuwachs zu begrenzen. Dadurch fließt natürlich weniger Geld in die Kassen. Und hier kommen wir ins Spiel.

Da der Staat nicht mehr für die Rente sorgen kann, muss es der Einzelne tun. Wir nennen das Selbstverantwortung und eine Stärkung der individuellen Freiheit. Wir nehmen die zukünftigen Rentner in unsere starken Arme – und ihr Geld in unsere Hände.“

„Aber wie bringen wir die Leute dazu, das auch zu tun?“, fragte der Vorstandsvorsitzende, der wusste wie störrisch die Menschen sein konnte, wenn es um ihr Geld ging.

„Werbung hat auch ihre Grenzen. Warum sollte uns jemand sein privates Geld geben, nur weil die Sozialkassen weniger haben?“

„Ganz einfach. Weil der Staat ja weniger Geld hat, muss er das Rentenniveau senken, was wiederum die Begründung dafür ist, unser Rentenprodukt anzunehmen. Denn der Graben, der entstanden ist, muss ja gefüllt werden.“

Ein Murmeln zu seiner Rechten ließ ihn aufmerken.

„Ja, Herr Meier? Sie haben etwas zu sagen?“

Der alte Mann mit den immens dicken Brillengläsern klopfte auf das Blatt vor ihm und richtete eine Frage in die Runde.

„Ihr Vorschlag klingt sehr interessant, aber wie wollen sie in der Politik eine Rentensenkung durchsetzen? Das ist vergifteter Boden!“

Herr Schmidt war beeindruckt. Meier machte immer den Eindruck eines senilen alten Kerles, der nicht einmal mehr an Frauen, sondern nur noch an das nächste Essen dachte. Doch wiedereinmal war er direkt zum Kernproblem vorgestoßen.

„Das ist in der Tat ein harter Brocken. Aber wir können es schaffen. Wir haben eine einzigartige Gelegenheit dazu.

Die meisten von ihnen haben sicherlich schon von der Agenda 2011 gehört, die gerade ausgearbeitet wird. Viel ist ja noch nicht bekannt, aber es ist wohl jetzt schon klar, dass es viele Einschnitte im Sozialbereich geben wird. Das wiederum wird zu Protesten führen.

Die maßgebliche Politik ist jedoch wild entschlossen, die Reformen durchzusetzen. Da diese offiziell unter dem Stichwort der demografischen Entwicklung laufen, könnten wir uns einfach einklinken, denn mit dieser Begründung handeln wir ja auch. Da die Politik diese Agenda durchsetzen wird, ist alles, was einmal im Paket ist, auch am Ende umgesetzt.“

„Und wie stellen Sie sich es vor, diese neue Versicherung in die Agenda zu bekommen?“

Hier musste Herr Schmidt lachen.

„Das ist sogar der einfachste Teil. Hier spielt wieder die Demografie die entscheidende Rolle. In Zukunft wird der prozentuale Anteil der Rentner an der Bevölkerung deutlich zunehmen. Deshalb wird innerhalb das Reformpaketes ja auch die Einführung der Besteuerung der Renten enthalten sein. Das ist etwas, das schon feststeht, wenn man den Insidern zuhört.

Gleichzeitig wird aber auch die Anzahl der Sozialrentner steigen, zum einen wegen der hohen Anzahl der Arbeitslosen nach der Wende, zum Anderen wegen der Zunahme des Niedriglohnsektors, die ebenfalls schon in der Agenda festgeschrieben steht.

Und hier kommt unser Punkt, mit dem wir das Herz eines jeden Finanzministers zum Glühen bringen werden: Entweder, er kann unser Produkt im Alter voll besteuern, wenn diese Änderung umgesetzt wird, oder bei der großen Anzahl Sozialrentner alle Auszahlungen komplett als Einkommen anrechnen.“

Wäre Herr Meier fünfzig Jahre jünger, würde er wohl leise vor sich hin gepfiffen haben. So putzte er stattdessen die dicken Brillengläser.

„Es sollte mich nicht wundern, wenn wir es unter diesen Umständen schaffen, sogar noch eine gesetzliche Zulage zu bekommen. Das wäre hervorragende PR für beide Seiten. Wir erscheinen seriöser und die Politik kann sagen: Seht her, wir sorgen uns um eure Arbeitsplätze und begrenzen die Rentensätze.

Aber wir sorgen auch dafür, dass es auch nicht schlechter geht, indem wir auch etwas für eure private Vorsorge geben.

Wenn wir die Minimumzahlungen dafür gering halten, motivieren wir gerade diejenigen, unser Produkt zu nutzen, die dann in die Sozialrentenfalle tapsen werden, was den Zuschuss zu einem Gewinngeschäft für den Staatshaushalt macht – und natürlich auch für uns.“

Der Vorstandsvorsitzende, für seine Impulsivität bekannt, schlug mit der Hand auf den Tisch.

„Das klingt fantastisch. Aber wie hoch werden unsere Gewinne sein, da sie diesen Punkt schon einmal angesprochen haben?“

„Ich bin überzeugt, wir werden eine gute Rendite erzielen. Die Verträge erfordern nach dem Abschluss sehr wenig Arbeit, und den Abschluss selbst können wir uns ja in gewohnter Weise vergüten lassen, wir sind ja nicht der Staat. Außerdem können wir die Gelder in unsere eigenen Produkte stecken, für die natürlich die gewohnten Gebühren anfallen.

Drittens sollten wir nicht vergessen, wir sind eine Versicherung. Wir sind konservativ. Wir rechnen also vorsichtig und damit, dass die Lebenserwartung weiterhin stark ansteigt. Das entspricht zwar nicht dem aktuellen wissenschaftlichen Stand, der von einer deutlichen Verlangsamung des Anstiegs ausgeht, aber wie ich soeben sagte, wir sind eine Versicherung und rechnen mit sicheren Zahlen.

Das verringert die monatlichen Auszahlungen. Uns verbleibt mehr Geld mit dem wir arbeiten können, denn natürlich wird der Auszahlungsbetrag vom Kapitalstand beim Renteneintritt berechnet. Und falls der Rentenbezieher den Weg alles irdischen nimmt bleibt das Geld bei uns, denn schließlich ist der Rentenvertrag eine persönliche Versicherung zum Wohl des Betroffenen, und nicht etwa eine Vorsorge für die Hinterbliebenen.

Das ist übrigens ein Punkt, auf den wir besonders achten müssen, denn natürlich gilt das zu jedem Zeitpunkt des Vertrages.“

Der Vorstandsvorsitzende runzelte die Stirn, doch dann schien ihm ein Licht aufzugehen.

„Sie meinen, wenn jemand vierzig Jahre bei uns einzahlt und sich auf seiner Renteneintrittsfeier zu Tode säuft...“

„verlieren wir nicht einen Cent“, vollendete Herr Schmidt den Satz. „Genauso, wenn er mit fünfzig einen Autounfall hat oder mit sechzig einen Schlaganfall. Und so etwas trifft auf mehr Menschen zu, als es die meisten wahrhaben wollen. Allein das sollte unser Produktergebnis erheblich verbessern.“

„Genial!“, rief der Vorstandsvorsitzende begeistert. „Das ist genial! Wenn alles normal abläuft, kassieren wir kräftig an Gebühren, passiert dem Versicherten etwas, haben wir zwar weniger zukünftige Einnahmen, können aber alles bisherige behalten.“

„In diesem Fall sollten wir es auch umgekehrt machen“, warf Herr Plotzek in den Raum.

„Wie bitte?“

Der Vorstandsvorsitzende war die scheinbar zusammenhanglosen Einwürfe seines obersten Werbeverantwortlichen gewöhnt, konnte seine Irritation aber nicht verbergen.

„Ich meine“, erklärte Herr Plotzek „wir sollten den Versicherten eine Beitragsgarantie geben. Was auch immer sie einzahlen, sie bekommen es als Rente wieder ausgezahlt – sofern sie nicht vorher sterben, natürlich.

Da wir sicher sein können, dass eine ganze Anzahl tatsächlich vor Renteneintritt stirbt und die Überlebenden oft auch vor dem prognostizierten Lebensalter, ist das Risiko für uns äußerst gering. Ohnehin machen Einzahlungen nach mehreren Jahrzehnten nur noch einen Bruchteil des Kapitalstocks aus. Dafür sorgen zum einen der Zinseszins, der immer unterschätzt wird, und zum anderen die Inflationsrate. Im Grunde werden wir gar kein Risiko haben, sofern wir Laufzeiten von sagen wir mal unter zehn Jahren verhindern.

Der Werbeeffekt könnte allerdings enorm sein, wenn wir das richtig verpacken.“

„Wie ich sehe, nutzen sie die Situation gleich als Begründung für ihre Forderung, ihrer Abteilung mehr Mittel zu verschaffen“, meinte der Vorstandsvorsitzende lächelnd. „Ich habe die Botschaft vernommen.

Auf jeden Fall finde ich Herrn Schmidts Vorschlag sehr vielversprechend, wir sollten dem unbedingt nachgehen. Nur eines fehlt mit da noch, ein Name. Wie sollen wir es nennen? Neue Rente klingt doch etwas zu kommunistisch in meinen Ohren.“

Herr Plotzek zuckte mit den Schultern. „Nehmen sie einfach den Namen eines Ministers, der damit zu tun hat. Das macht das Durchbringen durch die Politik einfacher und alle negativen Schlagzeilen werden mit diesem Politiker in Verbindung gebracht, nicht mit uns Versicherungen. Wie heißt der Neue Arbeitsminister? Raster oder so ähnlich?“



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