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Raftel (2)

The Rainbow Prism
von

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40 - Das Haus im Nebel

Wenn irgendwo da draußen in der großen, weiten Welt alles zu Ende ging und die Zeit gnadenlos die Entwicklung vorantrieb, dann war es eine gute Wahl, dorthin zu streben, wo man nicht davon berührt würde. Das Regenbogen-Trio hatte sich ohne Hektik von Loguetown verabschiedet und war auf Weisung Takerus in den South Blue geritten. Eine interessante Insel ragte dort weit unter dem Regenbogen aus dem Meer heraus. Von oben wirkte sie wie ein silberner Kegel. Je näher man herankam, desto mehr nahm sie Gestalt an. Aus dem Kegel wurde beim Näherkommen ein Zuckerhut, dann ein gedrehtes Schneckenhaus. Und Taiyoko befand, dass es Ähnlichkeit mit Pikadons Horn hatte, der über diesen Vergleich fröhlich schnaubte. Es war allein die Form dieser Insel, welcher ihr den simplen Namen Zuckerhut-Insel gab. Doch wenn man kurz vor den Stadttoren angelangt war, so sah man, dass es ein spiralförmiger Wandelgang war, der von der Brandung und der Anlegestelle bis hoch zu einer Villa auf der Spitze des Kegels führte. Und auf diesem spiralförmigen Wandelgang quetschte sich ein Händlerstand an den nächsten.

Es war ein dichtes, farbenfrohes Gemenge. Unzählige Leute bevölkerten den Zuckerhut mit seinen Marktständen. Es lärmt bis in den Himmel hinauf wie ein Bienenschwarm. Immer wieder mischten sich Marktschreier und Musikfetzen dazwischen. Das blühende, unbekümmerte Leben tobte dort zwischen den Waren der Welt. Was man hier nicht zu finden verstünde, das fände man nirgends. Es war eine Freude, diesem Marktfest beiwohnen zu können. Leider musste Takeru Taiyoko zur Vorsicht und Eile mahnen. Gerne hätte er sie alleine ziehen und das Treiben entdecken lassen. Doch der Regenbogen war nebst seiner Geschwindigkeit ein sehr auffälliges Fortbewegungsmittel. Man konnte schon aus der Ferne den bunten Schweif am Himmel entdecken. Zudem war der Zuckerhut nicht nur von Zivilisten, sondern gleichermaßen von Pack und Gesindel heimgesucht. Es war ein marinefreier Ort fern ab jeglicher Gerichtsbarkeit und Kontrolle, was sehr verwunderlich schien, wurden doch hier unglaubliche Geldsummen umgesetzt. Eine Umsatzsteuer würde hier lukrativ für die Weltregierung ausfallen. Nur allein der Stadthalter würde in der Villa auf der Zuckerhutspitze residieren und von den Zöllen leben, so munkelte man. Es war jedoch genauso Tatsache, dass noch nie jemand den Stadthalter aus der Villa zu Gesicht bekommen hatte. Ein friedliches Phantom. Wie dem auch wäre, es wäre also angebracht, schnell die Besorgungen zu erledigen und weiter zu reiten. Enttäuscht musste das Mädchen diesem Rat zustimmen, und auch das Einhorn konnte Takerus Ansichten nur ernsthaft zustimmen.

Natürlich fielen sie auf in der Masse wie ein bunter Hund in der Tristesse des Alltags. Kaum berührte der Regenbogen den steinernen Untergrund, sprangen die Menschen erschrocken zur Seite. Und als dann auch noch wenige Sekunden später ein vermeintliches Pferd mit einem Fell wie tausend Gewitterwolken seine Spalthufe auf das Pflaster setze, stoben sie allesamt panisch davon. Es ging wie ein Lauffeuer von einem Munde zum anderen, dass dort ein magisches Geschöpf mit zwei jungen Reitern gelandet wäre. Es trieb die Händler in die hintersten Winkel ihrer Stände, das Pack hingegen aus den letzten Schlupflöchern heraus. Man wollte unbedingt das Pferd und dessen Passagiere sehen. Unbeeindruckt stieg Takeru von Pikadons Rücken, griff in die wallende Mähne und zog das Einhorn sanft hinterher. Er überhörte stumpf den Einwand des Marktaufsehers, dass auf dem gesamten Markt absolutes Tierverbot herrschen würde, es sei denn, man würde das Tier geschlachtet oder lebendig verkaufen wollen. Erbost schnaubte das Einhorn bei solchen Worten auf, beruhigte sich aber umgehend wieder, als Takeru im zart über die Nüstern strich. Die Umgebung misstrauisch beäugend ging er langsam den Wandelweg nach oben, dicht gefolgt von Taiyoko. Dabei musterte er die Marktstände. Medizin, Proviant, Kleidung und Waffen stapelten sich in Säcken auf des Einhorns Rücken, dass geduldig alles mitmacht, obwohl es schon anmerken musste wie das Mädchen ihre Kleider-Shoppingtour doch sehr übertrieb.

Sie hatten schon gut die Hälfte des Zuckerhutes auf dem Gang nach oben erklommen. Es waren so gut wie alle Dinge eingekauft worden, als Takeru plötzlich spürte, wie sich die Stimmung im Volke veränderte. Niemand stellte sich ihnen in den Weg. Wo sie langgingen, verstummte die Marktatmosphäre. Ängstlich Augenpaare blickten sie an. Doch Takeru war nicht entgangen, dass sie mittlerweile beobachtet wurden. Das neugierige Räubervolk witterte fette Beute. Was auch immer das magische Geschöpf oder dessen Reiter einbringen würden, es wäre sicherlich lohnenswert. Einen Abnehmer fände sich bestimmt. Einer dieser Beobachter, der sich für einen ganz ausgefuchsten Gauner und begnadeten Kopfgeldjäger hielt, stellte sich nun mit seinen Mannen in den Weg des Trios, besah sich die drei von oben bis unten, grinste dann schmierig und eröffnete das Wort:

„Ach, seht euch das an! Wenn das nicht mal Takeru, der Zwielichtwandler, ist! Was treibt so einen Abschaum wie dich hierher? Oh, und welch hübsche Begleitung?“

Die lachende, rauchige Stimme gehörte zu einem unglaublich fettem Riesen, dessen Kopf nahtlos zum Brustkorb überging. Der Hals war in unter dem Fettkragen nicht aufzufinden. Ebenso fettig waren seine Haare nach hinten gekämmt, und ein heißes Bad würde ihm sicherlich eine dicke Schicht an Dreck und Gestank nehmen. Er pofte drei dicke Zigarren auf einmal. Die bunt gestreifte Weste unter seiner schwarzen Samtjacke spannte, dass die güldenen Knöpfe Mühe hatte, sich am Stoff zu halten. Eine weite Schlabberhose und ausgetretene Stulpenstiefel komplementierten das Bild eines reisenden Straßenhändlers, dessen beste Zeiten des Lebens schon vorbei waren. Umringt wurde er von einigen seiner scheinbaren Familienmitglieder, die modisch allesamt den selben Trend wie ihr Oberhaupt verpasst hatten.

Augenblicklich war das Regenbogen-Trio stehengeblieben. Pikadon tat wie ein unschuldiges Pferd, Takeru blickte finster und Taiyoko versteckte sich Schutz suchend hinter Takeru.

„Hab ich dir erlaubt mich anzusprechen?“, knurrte Takeru zurück, denn ihm kam diese Begegnung ungelegen. Er hatte ein sicheres Versteck im Sinne und das wollte er ohne Aufsehen zu erregen erreichen. Alte Fehden, wie diese hier, passten da nicht in den Schlachtplan.

„Und wenn du es wagst, meine Schwester anzugrapschen, breche ich dir alle Knochen!“, drohte er in einer Lüge, dass sich die Balken bogen.

Schwester? Taiyoko wusste zwar nicht, was Takeru vorhatte, doch es schien besser, nicht zu protestieren, zumal die schmierige Truppe, welche ekelige Art des Handels sie auch immer trieben und ihnen nun den Weg versperrte, unberechenbar und feindlich ausschaute. Und wenn man sie beide mit ihrem dunklen Teint, den dunklen Augen und Haaren verglich, konnte man tatsächlich meinem, sie wären verwandt. Da wurden die grünen Strähnen schnell als neue Trendfrisur übersehen. Auch fragte so niemand mehr nach, weshalb ein Halbwüchsiger und ein Mädchen allein durch die Lande zogen.

Ein schallendes Gelächter brach los. Man fühlte sich Takeru überlegen und wollte eine offenen Rechnung begleichen. Takeru tat unschuldig und vergesslich, wollte er einen Konflikt umgehen. Leider waren die Schmierlöffel alles andere als vergesslich und zogen einfach ihre Schwerter. Takeru seufzte. Das Glück hatte ihn in den letzten Wochen verlassen und kam einfach nicht wieder zurück zu ihm. Mit schnellen Kicks und treffsicheren Schwerthieben streckte er die Bande nieder. Allerdings gab es dort, wo Gesindel war, meist noch mehr davon. Ähnlich den Motten vom Licht so wurde es von der Prügelei auf dem Wandelgang angezogen. Von allein Seiten drängten sie nun voran und umzingelten das Trio. Ein Seil wurde wie ein Lasso geworfen und legte sich um Pikadons Hals. Takeru versuchte in dem Gewühl die Übersicht zu behalten. So langsam bekam er arge Platznot auf dem engen Wandelgang. Auch die Masse an Angreifern zerrte an den Kräften. Plötzlich raunte es. Schlagartig riss Takeru den Kopf herum und staunte, wie Taiyoko selbstbewusst auf dem Rücken des Einhorns thronte und ein Schwert in der Hand hielt, von dessen Klinge das Blut nur so tropfte. Zu Pikadons Hufen wanden sich vor Schmerz schreiende Menschen oder das, was von ihnen übrig geblieben war. Anerkennend musste er nicken und gab für einen Sekunde seine Deckung auf. Hoppla, das wäre beinah ins Auge gegangen, als er einen gezielten Fußtritt gegen seinen Kopf gerade noch rechtzeitig auswich. Doch der Höhepunkt der Show sollte noch auf dem Fuße folgen. Pikadon stellte sich auf die Hinterbeine, schrie einen Schrei aus, der Gläser zum platzen brachte und zerstampfte beim Aufkommen auf den Boden mit seinen Hufen Körperteile. Dabei sprühte er Blitze, die immensen Schaden anrichteten. Nun war es Taiyoko, die auf dem Einhornrücken wegen der Säcke arge Platznot bekam. Verschreckt klammerte sie sich an Hals und Mähne fest. Takeru zögerte nicht, sprang aufs Einhorn und klopfte instinktiv mit seinen Hacken wild in die empfindlichen Bauchpartien.

„Los! Abflug!“ rief er dabei und Pikadon verstand.

Noch einmal keilte das Einhorn aus und schickte Blitze durch die Marktstände. Das Lasso riss. Pikadon rannte los auf die Brüstung zu und sprang. Doch noch bevor sie den freien Fall ins Meer erleben durften, leuchtete der Regenbogen zu seinen Hufen auf und sie flogen auf und davon.

Sie hatten schon eine gute Höhe erreicht und dem Zuckerhut keinen Abschiedsblick nachgeworfen, als Takeru sich bei Pikadon für sein Hackentrommeln murmelnd entschuldigte. Auf dem Zuckerhut könnten sie sich nun wohl auch für eine lange Zeit nicht sehen lassen. Pikadon schnaubte fröhlich, dass es doch recht lustig gewesen wäre. Doch von Taiyoko kam kein Wort mehr. Ihr verschwitzen Hände hielten die Mähne. Ihr Gesicht war glühend heiß. Das Mädchen hatte Fieber.

„Auch das noch!“, stöhnte Takeru auf. „Pikadon, kennst du auf der Redline das Nebeldorf auf dem Hochplateau? Dort machen wir Rast.“

Pikadon nickte und beeilte sich. Der Gesundheitszustand Taiyokos schien bedenklich.
 

Der Witterung nach machte das Nebendorf seinem Namen alle Ehre. Der Anzahl an Häusern nach war der Begriff „Dorf“ dann wohl doch übertrieben. Das Hochplateau erstreckte sich über ein zerklüftetes Gebirge. Schroffe Felsen ragten spitz aus dem satten Grün der kargen Kräuterwiesen. Die Baumgrenze lag einige hundert Meter tiefer. Hier oben kam nur selten ein Sonnenstrahl herbei, denn die Wolken rollten über die Berggippfel, zerrissen sich aber an den Klippen. So lag eine weit verstreute Ansammlung an Häuschen, wie von Gottes Hand planlos gestreut, auf dem Plateau und versteckte sich unter nasskalten Nebelfronten. Ein depressiver Traum aus Grau in Grau.

In einem von diesen kleinen, einfachen Häusern fand das Trio Zuflucht. Die Häuschen nahm man kaum wahr, denn ihre Art verschmolz förmlich mit der Natur. Die Flachdächer waren Moosbewachsen und die Wände aus den selben Felsbrocken wie das Gestein der Berge. Von alle dem bekam das Mädchen nichts mehr mit. In Takerus Armen war sie während des Ritts eingeschlafen und sollte auch nicht merken, wie sie von ihm in eines der Häuser getragen und auf einem Futonlager gebettet wurde. Es zog ebenso an ihr vorüber, wie in einem Ofen ein munteres Feuer entzündet und ein Teekessel aufgesetzt wurde. Die Einkäufe sortieren sich nach und nach in den einzigen Wandschrank ein. Sie verschlief, wie Takeru erst sich selbst unter der Dusche, dann später die verschmutzte Kleidung wusch und flickte. Wie er eine heiße Suppe kochte und viel Zeit auf dem Sofa verbrachte, wo er alle Viere von sich streckte und nur den Schneckenfernseher laufen ließ, damit jemand in der Stille mit ihm sprach. So sollten die nächsten zwei Tage vergehen, wo Taiyoko sich gesund schlief, Wadenwickel bekam und dann geschwächt das Fernsehbild mit müden Augen verfolgte. Die einzige Abwechselung war der Toilettengang und die Mahlzeiten. Am dritten Tage kamen die Lebensgeister zurück. Ihr Fieber war heruntergegangen. Doch die glasigen Augen, die roten Wangen, die heisere Stimme und die dicke, rote Schnupfennase sollten sie noch eine Weile begleiten, obwohl die auf dem Zuckerhut erstandene Medizin anschlug. Nun war auch die Zeit gekommen, wo sie überhaupt registrierte, wohin es sie verschlagen hatte. Das Haus hatten diesen einen großen Raum, welcher durch einen Vorhang ein spartanisches Bad abtrennte. Es gab zwei kleine Flügelfenster und die Eingangstür. Einmal quer durch den Raum spannte sich eine Wäscheleine. Gekocht werden konnte auf dem Ofen, der die Wärme und nachts das orangene Licht spendete. Abwaschen konnte man aber nur in dem Waschbecken bei Klo und Dusche. Es gab Strom, welcher durch das große Wasserrad in der Mitte des Dorfes erzeugt und an alle Haushalte verteilt wurde. Mit dem fließenden Wasser hatte man hier Glück, denn das Haus lehnte sich an einen großen Felsvorsprung an. Ein Rohr bohrte sich durch die Außenwand in den Felsen und zapfte eine frische Quelle an. Direkt neben dem Haus schmiegte sich noch ein kleiner Verschlag an die Hauswand. Doch der Stall war leer und bot nun dem Einhorn unterstand. Die Nebelkälte ließ es frösteln. Taiyoko war die Enge und das einfache Leben vom Leuchtturm gewohnt. Da störte sie die magere Ausstattung wenig. Es war alles da, was man brauchte und die warme Dusche war eine herrliche Entspannung, auch wenn sie Takerus mahnende Stimme hörte, sie solle nicht so viel Wasser laufen lassen. Erste Badepfützen spülten unter dem Vorhang durch in den Raum. Frisch gewaschen und gekleidet fühlte man sich schon fast genesen und mit dem Essen vor der Flimmerkiste ging es gleich doppelt so gut weiter. So erfuhr sie auch nebenbei einmal, dass es zwar nicht Takerus Haus war, sondern einem Freund gehörte, der bei einem Marineeinsatz sein Leben geben musste. Es wäre hier so abgeschieden, dass hier nie jemand vorbei käme. Lebensmittel bekam man beim Krämer vier Häuser weiter. Abends traf sich das Dorfvolk sieben Häuser weiter in der einzigen Dorfkneipe. Alle anderen lebten von der Schafzucht. Der nächste größere Ort läge erst einmal den Abhang hinunter und dann viele Kilometer weiter aus dem Talkessel heraus. Mehr wäre dort aber auch nicht los.

Am sechsten Tage war das Mädchen wieder gesund und gab sofort den Staffelstab der Erkältungssymptome an Takeru weiter. Nun durfte dieser sich mit Fieber quälen, lange Zeit gezwungen im Bett verbringen und später ohne Stimme und Rotznase herumlungern. Es waren Tage, die sich lang dahin zogen wie gekautes Kaugummi. Der Blick aus dem Fenster blieb weiß. Taiyoko hatte gelegentlich auch tagsüber die buntkarierten Vorhänge zugezogen. Das grelle Weiß konnte sie nicht länger ertragen. Das Bunt gefiel ihr deutlich besser. Draußen wallten immerwährend die Nebelbänke umher. Sie verschluckten Geräusche, Sonnenlicht und Fröhlichkeit. Keineswegs wollte Taiyoko behaupten, dass die Einheimischen hier höflich und nett wären. Doch als sie einmal den Weg zum Krämerhaus ging, um frisches Gemüse und einen Topf Reis zu holen, stellte sie fest, dass die Leute hier einen eigenwillig Humor besaßen, mit welchem sie nicht sonderlich viel anfangen konnte. Daher blieb sie bei einer höflichen Begrüßungsfloskel und dankte artig nach dem Einkauf. Und raus war sie wieder aus der Krämerei. Sie mochte das Wetter nicht sonderlich. Schon auf halben Wege wurden von den feinen Nebeltropfen die Haare nass und klebten an den Wangen. Die Kleidung war klamm. Es fröstelte sie bis auf die Knochen. Heilfroh stand sie nach dem Einkaufsgang dann wieder vor der heimischen Haustür, hinter der ein warmes Ofenfeuer alles wieder trocknete. Auch an diesem neuen Tage wollte sie losziehen. Teeblätter, Salz und Käse neigte sich in ihrem Regal dem Ende entgegen. Sie machte den Weg zu dem kleinen Laden recht gerne, denn so kam sie einmal aus den eigenen vier Wänden heraus und man sah etwas anderes als das Fernsehbild. Nun waren sie seit gut zwei Wochen hier. Das Wetter war unablässlich schlecht. Da kam die Langeweile auf. Doch es war diesmal ein ganz besonderer Morgen, als sie die Vorhänge zurückzog und so ungläubig nach draußen starrte, als geschehe gerade ein Weltwunder. Da wurde es doch tatsächlich hell? Die Sonne brach durch, und die Wolkendecke brach auf. Takeru meinte dazu, dass es hier einmal im Quartal vorkäme, dass die Wetterfront vorüberzog. Dann hätte man ein paar Tage klare Sicht. Also frühstückten sie schnell gemeinsam und machten sie zusammen auf den Weg. Die Sonne war schon über den Bergkamm gerochen und warf ihre langen Strahlen über das Tal. Es war ein weites Tal, wo man in der Ferne nun einen großen Bergsee ausmachen konnte. Das stets hörbare Geblöcke der Schafe wurde nun auch plastisch. Überall auf den Wiesen konnte man nun viele weiße Punkte zählen. In der Tat lebten hier mehr Schafe als Einwohner. Weiter zum See sollte man sich nicht alleine wagen, erklärte ihr Takeru, denn dort wären die Hochmoore. Ein Unkundiger würde sich dort sofort verirren und versinken. Es gäbe nur einen festen Weg und einen schmalen Trampelpfad durch das Moor. Weiter dahinter wäre dann der Abstieg hinunter in das größere Nachbartal. Sie schlenderten weiter, genossen die Wärme der Sonne und hatten dann nichts weiter zu tun, als ihrer üblichen Beschäftigung nachzugehen: Schlafen, Essen, Abhängen.

Takeru verfolgte aufmerksam die Möwenzeitung und die Nachrichten im Fernseher. Doch die politische Lage dort draußen war weiterhin undurchsichtig. Es gab unverändert unzählige Kriege und Krisenherde auf den Meeren, die einfach nicht abebbten. Doch von Blackbeard und seiner großen Schlacht hörte man nichts mehr. Das beunruhigte Takeru, denn die Strohhüte waren auf Kollisionskurs mit Blackbeard gewesen. Und auch zu denen war der Kontakt abgebrochen. Doch er behielt es wohl wissentlich für sich, wollte er Taiyoko keinen Kummer bereiten. Er hatte selbst keine Eltern mehr seit er klein war. Wenn er in seinem Gedächtnis kramte, dann konnte er sich noch nicht mal mehr richtig an ihre Gesichter erinnern. So etwas wünschte er Taiyoko nicht.

Der Sonnenschein währte nicht lange. Schon nach wenigen Tagen verabschiedete er sich und überließ wieder den Nebelbänken das Dorf. Pikadon, dem die Witterung gar nicht behagte, kam wieder einmal mit durchweichtem Fell vom Weiden zurück in seinen kleinen Verschlag. Zwar hatte so ein Tierfell eine natürlich Fettbarriere, doch auch die kam nach all den feuchten und kalten Tagen an ihre Grenzen. Dann verzog sich das Einhorn in seinen Verschlag, wo ihm Takeru eine dicke Strohschicht aus der Nachbarschaft besorgt hatte. Im Gegensatz zu Pferden schliefen Einhörner gerne mal im Liegen und kuschelten sich ins Stroh. Sein Kopf hing genießerisch herab, die Ohren klappten entspannt zur Seite und die Augen hielt er halb geschlossen. Taiyoko war gerade damit beschäftigt ihm mit etwas Stroh in der Hand das Fell trocken zu reiben, als ein Ruck durch seinen Körper ging.

„Was is`?“, fragte sie erschrocken, als das Einhorn dann Kopf hochriss, die Ohren aufstellte und aufmerksam lauschte.

„Man ruft mich!“ ertönte seine dunkle bronzene Stimme.

„Wer ruft dich?“

„Ich muss gehen. Doch ich kehre bald zurück.“

Dann stob er einfach los, dass die Strohhalme nur so flogen und staubten. Raus aus der Tür, über den Regenbogen und hinweg. Taiyoko rief ihm noch fassungslos hinterher, er solle doch bleiben. Was wäre denn los? Aber da war das Einhorn schon weit außer Hörweite und zurück blieb eine sichtlich erschütterte Taiyoko, die die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte.



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