Zum Inhalt der Seite

Raftel (2)

The Rainbow Prism
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

28 - Die Akte "Luna Sedata"

Es lief aber auch so rein gar nichts nach Plan. Es kam grundsätzlich nie so, wie man es im Leben brauchte. Da schien gerade das Taiyoko-Problem halbwegs passabel gelöst und der Schlachtplan für das letzte Gefecht angefertigt, da zerfiel schon wieder alles wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Es wäre zum Haareraufen gewesen, hätte man dieses Problem öffentlich in der Bande diskutiert und es somit bekannt gemacht. Eben wussten nur die beiden Piraten hier oben im Ausguck davon. Usopp hätte einfach besser fürs Erste nichts sagen sollen und bereute seine Aussage umgehend. Doch nun war es heraus und nicht rückgängig zu machen.

Was auch immer gerade in Zoros Hirn abgehen musste, es war für Usopp allein aus dessen Körpersprache heraus nicht zu ergründen. Stumm starrte er dem eine Handbreite größeren Nakama direkt in das graue Auge, was von einer Sekunde zur nächsten einen leichten Rotstich annahm. Für Usopp ein absolutes Alarmzeichen, dass gleich etwas Unerwartetes ablaufen würde.

Ansonsten war aus dieser wie in Stein gemeißelten Fassade kein Geheimnis zu entlocken. Kalte, emotionslose Gesichtszüge und ein Auge, dass härter zurückstarrte, als Usopp es jemals bei irgendjemand anderes auf dieser Welt gesehen hätte, erweckten die blanke, innere Panik in ihm. Nicht mal Luffy konnte das Gefühl auf diese Art und Weise nur durch das pure Anschauen erzeugen. Auch nicht mit Haki, und das hieß schon etwas. Zoros todbringender Blick funktionierte schon immer bei allem und jedem: Selbst jetzt, wo dieser nur noch ein einziges Auge besaß.

Obwohl Usopp wusste, dass er nichts zu befürchten hatte, trieb ihm dieser durchbohrende Blick den Angstschweiß aus den Poren. Kalt lief er langsam seinen Rücken hinunter. Eine Gänsehaut jagte über seinen Körper und die Knie schlotterten. Es war kaum auszuhalten. Weder das Schweigen, noch dieser Blick. Er wollte schnellstens aus dieser Situation heraus. Was auch immer nun aus Zoro herausbräche, es wäre nichts, was ihm gefallen würde. Soviel stand mal fest.

Plötzlich kam derart schnell Bewegung in den Gegenüberstehenden, dass Usopp es erst registrierte, als er schon mitten im Geschehen war. Ein Schraubstockgriff und ein folgender heftiger Ruck an seinem Handgelenk, grüne Funken und ein warmes Zwielicht tauchten ihn in eine andere Welt. Oh nein, nicht schon wieder! Usopp hasste das Zwielicht. Und noch mehr hasste er das Reisen durch das Zwielicht. Da war es ihm vollkommen egal, wenn Zoro davon sprach, wie schnell, zielsicher und abgekürzt der Weg auch sein mochte. Er ließ die „Das-Zwielicht-macht-Übelkeit“-Krankheit ausbrechen und hoffte so auf die nötige Flucht, die ihm hoffnungslos verwehrt blieb. Und während sein Körper noch überlegte, ob es das Frühstück rückwärts wieder ans Tageslicht befördern sollte, waren sie auch schon wieder heraus aus dem Licht. Mit dem nächsten Schritt wieder drin, dann wieder raus. Man konnte über so viele Dimensionswechsel nur Staunen!

Da hatte der Hanyô den Weg vom Ausguck über das Rasendeck bis hinüber zum U-Boot in einer einzigen Sekunde absolviert. Durch alle Materien und Dimensionen hindurch. Und den Umweg übers Rasendeck hatte er nur genommen, um mit der noch freien Hand einen schlafenden Chopper am Geweih mitzureißen. Am Ende des Weges stand er nun direkt auf dem U-Boot-Deck, wo ein im Liegestuhl sitzender Law keinerlei Anstalten machte, auch nur einmal von seiner Zeitung aufzublicken.

„Was immer du auch vorhast, du hast keine Hand mehr frei“, kam es da recht desinteressiert hinter den Zeitungsblättern hervor und schob ebenso gleichgültig nach: „Du stehst mir in der Sonne!“

Zoro stierte mit knallrotem Auge auf die Zeitung, als würde sie sich dadurch sofort selbst entzünden und verbrennen. Law war einfach zu cool für diese Welt. Er schnaubte einmal kurz auf, hatte Law definitiv Recht: In der einen Hand hing an einem halb verdrehten Arm Usopp. Sein Gesicht hatte dieselbe Farbe wie Zoros Haare angenommen und den Boden geküsst, wo es liegen geblieben war. Unter würgenden Geräuschen gab er von sich, dass er sofort seinen Platz aus Zoros eisernem Griff eintauschen würde gegen jeden anderen Ort auf der Welt. In der anderen Hand hing Chopper, dem Tode durch Schock nahe, war er doch ohne jegliche Vorwarnung aus dem Schlaf gerissen worden und wusste nun gar nicht, wie es um ihn geschah. Mit einem polternden Geräusch fielen beide Nakama schmerzhaft auf das gelbe Metall des U-Boot-Rumpfes, als Zoro beide Hände augenblicklich öffnete. Er schenkte beiden keine weitere Beachtung und kam sogleich zum Thema.

„Was weißt du über Rougetsu Island?“ sollte Law umstimmen, sich doch für Zoros Auftritt zu begeistern.

Tatsächlich sanken die Papierseiten raschelnd ein Stück nach unten. Laws Gesicht war ein einziges Fragezeichen. Er kannte tatsächlich Rougetsu Island aus medizinischen Vorträgen, doch was hatte das mit diesem aggressiven Auftritt zu tun? Und überhaupt: Was hatte den Hanyô so erzürnt, dass er hier vor ihm stand wie der letzte Alptraum der Menschheit mit seinem rotglühenden Auge, dem floral leuchtenden Bannkreis zu seinen Füßen und den grünen Lichtfunken, die wie die Glühwürmchen gen Himmel taumelten. Obgleich es helllichter Tag war, hatte man den Eindruck, das Licht der Sonne hätte schlagartig abgenommen. Es wirkte dunkler und kühler.

„Wie bei einer Sonnenfinsternis“, dachte Law und schielte aus den Augenwinkeln hinüber zur Sunny, wo er in fassungslose Gesichter blickte. Die Strohhutbande stand an der Reling, glotze mit großen Augen und offenen Mündern auf das U-Boot und wirkte über diesen Gefühlsausbruch ihres Mitstreiters bestürzt und entsetzt zugleich.

„Ok, die wissen also auch nichts“, schlussfolgerte Law innerlich weiter.

Seine Augen wanderten wieder in die Ausgangsposition in die Geradeaus-Stellung. Noch immer guckte Zoro ihn an. Da war rein gar nichts aus der Miene zu lesen, was Law auch nur im Mindesten hätte deuten können. Seufzend faltete er die Zeitung zusammen, legte sie neben sich auf den Boden und beugte sich vor, dass nun seine Ellenbogen auf den Oberschenkel ruhten. Seine Fingerspitzen berührten sich, über sein Gesicht huschte ein verschmitztes Lächeln und die dunklen Augen funkelten überheblich. Mal sehen, was da noch so kommen würde. Er hatte einen Moment gebraucht, den Groschen in seinem Kopf rund zu feilen, damit dieser auch umgehend fallen konnte. Rougetsu Island. Der Standort der Haibara Klinik. Obgleich die Klinik nicht Laws fachliches Spezialgebiet abdeckte, hatte Zoro aber nun das erreicht, was er erhofft hatte. Der Chirurg war ganz Ohr.

„Was genau ist da?“

Aus Zoros Munde klang der Satz weniger nach einer Frage, mehr nach einem Befehl. So hart und knapp war die Wortwahl ausgefallen.

„Nun, Dr. Chopper, was ist uns zum Luna-Sedata-Syndrom bekannt?“

Law hatte sich mit einem Grinsen in der Stimme von Zoro abgewandt und blickte aufmerksam zum Rentier, was die Orientierung und den Verstand wiedergefunden hatte. Es stand wieder mit beiden Beinen fest auf dem Boden. So sehr es jedoch in seinen Erinnerungen kramte, ein Luna-Sedata-Syndrom war ihm in all den Jahren während seiner medizinischen Ausbildung und späteren Arbeit als Arzt nicht untergekommen.

„Nun denn“, versicherte Law dem Rentier geheimnisvoll, fixierte aber wieder Zoros Gesicht, „dann werden sie staunen, wie düster und brutal unser Wissen missbraucht werden kann. Ein wahrlich schwarzes Kapitel der Medizingeschichte.“

Ob es an Laws ruhigem Tonfall lag oder an der Erkenntnis, einen Kenner um Rougetsu Island gefunden zu haben, der Bannkreis und die Funken verschwanden. Die Kälte und die Dunkelheit zogen sich so schnell wie sie gekommen waren zurück. Vielleicht war es aber auch nur die Tatsache, dass bei Zoro sofort wieder hämmernde Kopfschmerzen einsetzten, weil die kurze Hast durch das Zwielicht ein absoluter Hanyôkraftfresser war.

„Schwarzes Kapitel? Ich bin raus aus der Nummer!“

Usopp hatte sich ebenfalls wieder in die Senkrechte begeben und wollte den schnellen Abgang wagen, wurde aber sogleich am Gehen gehindert, als er Zoros krallende Hand am Schlafittchen verspürte. So gepackt, blieb er wie zu Eis gefroren stehen, fürchtete er doch, jede weitere Bewegung könnte seine Letzte sein.

„Hey, was quatscht ihr da unten eigentlich? Was ist hier überhaupt los? Zoro, bist du irre?“

Luffys Stimme gellte von der Sunny hinunter zur Ghost. Erst jetzt wurde es dem Quartett so recht um die Anzahl der Schaulustigen um sie herum bewusst. Die restliche Strohhutbande stand nach wie vor an der Reling und gafft herunter, die Heart-Bande hatte sich nun aufgeschreckt vom Lärm neugierig vor die Tauchluke geschoben. Man war umringt von Mitstreitern, die sich keinen Reim auf diese Szene machen konnten.

„Hey Spinatschädel, Luffy hat dich 'was gefragt!“, brüllte Sanji mit Nachdruck in die Tiefe hinunter.

„Wir müssen mal kurz weg. Wir treffen uns dann in ein paar Stunden wieder hier an Bord“, kam es von Zoro trocken und wenig erklärend nach oben geschallt.

Das Geräusch, dem eines zusammenziehenden Gummibandes gleich, zerschnitt den Streit. Luffy hatte seinen Gummiarm weit ausgestreckt, mehrmals um den U-Boot-Turm geschlungen und sich somit selbst hinüber zur Ghost geschossen.

„Was soll das heißen, ihr seid zum Abendessen wieder da? Als dein Captain verlange ich eine anständige Erklärung!“

Luffy schnaubte Dampfwölkchen aus einem hochroten Kopf heraus, hatte den Mund zu einem U geformt und bockig die Arme vor der Brust überkreuzt. Hatte er nicht neulich erst auf der Fahrt nach Shimotsuki den Gedanken gehabt, alle würden in seiner Bande nur noch das machen, was ihnen selber beliebte? Das passte ja hier wie die Faust aufs Auge. Er spürte, dass hier wichtige Dinge besprochen wurden. Dinge, die man an ihm vorbei diskutierte. Er hätte gedacht, der Schlachtplan für die nächsten Tage wäre klar abgesprochen und von allen akzeptiert worden. Was sollte da nun dieser Einzelexkurs?

Pff, und überhaupt. Dass ausgerechnet Zoro pünktlich wieder zurückkommen würde, glaubte der Strohhutpirat keineswegs. Dass er bei seinem Orientierungssinn überhaupt zurückkommen würde... Und so schlug Luffy gleich noch in die Kerbe, dass es sowieso alles Zoros Schuld gewesen wäre, wie lange sie beide über die Redline marschiert wären, worauf der Beschuldigte nur ebenfalls zurück schnaubte, sein Captain wäre keinen Deut besser. Der Schlagabtausch war kurz. Eine stille Pause folgte, in der man das Wutschnauben und das zornige Knistern nur so hören konnte.

Interessanter Weise reichte es jedoch bei den beiden, wenn sie sich wütend gegenüberstanden und stumm anstarrten, um sich wieder zu beruhigen. Als würden unsichtbare Worte zwischen beiden durch die Luft den anderen erreichen, glättete es die Wogen. Luffy verlor seinen hochroten Kopf und Zoro seine Eiszapfenhaltung. Wie die beiden das anstellten, hatte noch nie jemand herausbekommen können.

„Acht Stunden! Ich hab's echt eilig“, kam es deutlich von Luffy. Acht Stunden. Das war die ungefähre Zeit bis zur nächsten Insel. Dem Ausgangspunkt für alle weiteren Missionen. Und im Vorbeigehen, bevor er sich wieder zurück zur Sunny hinüber schwang, sprach er still und leise: „Ich vertraue dir!“

Einer hatte sich gar nicht um den Streit geschert. Es war Law, der ins Innere seines U-Bootes abgetaucht war und nun mit einer Schultertasche und seinem Schwert wieder auftauchte. Er brauchte sich nicht mit seiner Mannschaft streiten. Seit jeher waren die Hierarchien geklärt. Da käme es kaum einem in den Sinn, eine Kapitänsentscheidungen in Frage zu stellen. Er gesellte sich wieder in den engeren Kreis aus Zoro, Chopper und Usopp und gab Antwort auf die vorher von Luffy in den Raum geworfene Frage.

„Wenn es hilfreich sein soll, Rougetsu Island aufzusuchen, dann sollten wir das tun. Es macht doch Sinn, sich angesichts der aktuelle Lagen aufzuteilen. Das spart Zeit. Ihr segelt weiter bis zur letzten Insel vor dem Ringporneglyph und wir machen einen kurzen Abstecher und sammeln Informationen. Mir scheint, das Zwielichtwandeln ist eine Art Teleportation auf Basis der Raumzeitkrümmung? Ist es denn auch sicher?“

Stirnrunzelnd nahm er Chopper und Usopp in den Fokus, die beim Austritt aus dem Licht bei ihm Zweifel an dieser Art des Reisens aufkommen ließen. Immerhin hatte Usopp beinah mit einem Schwung Würfelhusten den Lack der Ghost beschädigt. Schiffsgrundierung und Magensäure waren nun mal keine Freunde.

„Na, dann los!“

Zoros Aufruf unterbrach Laws Gedankengang. Er streckte eine Hand aus, welche die anderen Drei ergriffen. Keinen Wimpernschlag später waren sie vor aller Augen verschwunden, als hätten sie niemals dort gestanden.
 

Plötzlich ward es eine klare Sommernacht. Eine milde Brise durchstriff die Grashalme und verlor sich über einem ruhigen Meer, welches tief unten an einer Steilküsten sanft die Klippen umspülte. Kreisrund prunkte der volle Mond am Sternenzelt und übergoss die Szenerie mit seinem Silberglanz. Rougetsu Island beherbergte seit Jahrzehnten und auf Grund eines mysteriösen Vorfalles, an den sich aber wegen seiner Unbedeutsamkeit für die restliche Welt niemand mehr so recht erinnern konnte, keine Menschenseele mehr. Dementsprechend sah der Vorplatz eines großen Gebäudes in traditioneller Bauweise auch vollkommen ungepflegt aus. Hohe Grasbüschel durchbrachen die Fugen des gepflasterten Areals. In den einst akkurat angelegten Blumenbeeten hatte mannshohes Unkraut den Kampf gegen die Blühpflanzen gewonnen. Auch das Gebäude selbst wirkte wenig einladend, wies es doch hier und da eine kaputte Fensterscheibe auf. Die Farbe blätterte vom Holz der Fensterläden und dem kunstvoll geschwungenen Torbogen über der breiten Eingangstür. Es musste eines der ersten Häuser gewesen sein, welches an Ort und Stelle erbaut worden war, denn der überdimensional große Gebäudekomplex, der sich weiter hinten als Anbau dem alten Haus anschmiegen sollte, überthronte es mit seiner Mächtigkeit. Es machte mit seinen klaren, kubischen Betonlinien einen modernen, aber auch absolut hässlichen und abweisenden Eindruck.

Das Quartett war eben dort vor dem altertümlichen Eingangstore gelandet, und jeder der Vier hatte den Sekundenschlaf anders überstanden. Law war schier beeindruckt. Teleportationen waren ihm selbst nur innerhalb seines Rooms und demnach nur über eine sehr begrenzte Strecke möglich. Nun aber war er gerade um die halbe Welt gereist und es war ihm nicht im Geringsten unwohl dabei gewesen. Sagenhaft, diese Hanyôkraft. Wie funktionierte das? Was gäbe er wohl drum, dieses Spezialgebiet einmal erforschen zu dürfen. Wenigstens so ein Kernspin vom Kopf müsste doch drin sein? Law war gedanklich ganz bei seinem wissenschaftlichen Element angelangt und übersah großzügig, dass es den restlichen Dreien nicht so gut ging, wie ihm selbst. Zoro war unmittelbar nach der Ankunft zu Boden auf die Knie gesackt und hielt sich schmerzhaft den Schädel. Usopps Gesicht war wieder grünlicher geworden. Er stürzte mit vorgehaltener Hand zum nächstbesten Busch und trennte sich vom Mageninhalt. In Choppers Augen quoll das Weiß hervor, als hätte man ein Rentier auf der Jagd erlegt und ausgestopft. Er rührte sich nicht und sagte auch nichts mehr. Law seufzte über die Zwangspause, verplemperte sie nur unnötig Zeit auf dem Vorplatz.

„Was genau suchen wir hier?“

Usopp hatte als erster aus dem schwächelnden Trio alle seine Sinne wieder beisammen und blickte auf das imposante Bauwerk. Der verwaiste Vorplatz, die Stille und das gespenstische Mondlicht taten ihr übriges, um Usopps „Ich-sehe-Geister“-Krankheit heraufzubeschwören, was Zoro nur mit einem breiten Grinsen quittierte. Wenn Usopp Geister sehen könnte, dann hätte dieser ja der Gruppe etwas voraus und wäre hier bestens aufgehoben. Innerlich verfluchte Zoro wieder einmal mehr, dass er kein Prismenträger mehr war und somit die Gabe des Geistersehens verloren hatte. Sich geschlagen gebend trippelte Usopp seinen Freunden zur großen Eingangspforte hinterher, welche sich trotz seiner heimlichen Stoßgebete problemlos aufstießen ließ.

Der Wind strömte durch das zerbrochene Fensterglas und spielte mit den Vorhängen. Zerrupft wallten sie sachte mit dem Luftstrom und zeichneten unnahbare Schatten an den vergilbten Wänden ab. Obgleich das Haus schon lange leer stand, zeugte es von einer wohnlichen Atmosphäre. Verstaubte Sitzmöbel und Vitrinen schienen einst gepflegt worden zu seine. Nur die eingestürzte Hallendecke vor dem Fahrstuhl und dem Treppenhaus störte die Idylle auf eine ganz eigene Weise.

Planlos standen die Vier nun in der verlassenen Halle und wussten nicht, wohin sie sich wenden sollten. Ohne sich auszukennen, reichte schon die grobe Einschätzung, dass man hier viele Stunden, gar Tage, verbringen könnte. Das Haus war verwinkelt wie ein Labyrinth und zudem unübersichtlich groß mit vielen Stockwerken, Zimmern und Sälen. Allein es zu durchqueren, würde schon eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen, wenn es denn überhaupt eine Verbindung zwischen diesem Altgebäude und dem neueren Anbau gäbe. Der Zahn der Zeit hatte tiefe Spuren an der Bausubstanz hinterlassen. Wenn bereits hier in der Halle ein Deckeneinsturz wäre, so sähe es in den anderen Räumen wohl nicht anders aus. Der Luftstrom durch die kaputten Fenster und schwarze Schimmelflecken an den Wänden vom eindringenden Regenwasser unterstrichen diese These. Plünderer hätten wohl auch schon ihren Weg über die Insel gemacht, denn altes Mobiliar und verrostetes Klinikinventar stand kreuz und quer umher und waren garantiert vom damaligen Personal nie so abgestellt worden. Erschwerend kam noch hinzu, dass bis auf Law wohl keiner eine rechte Ahnung davon hatte, was zwischen diesen Mauern in der Vergangenheit einst geschehen war. Also, nach was suchten sie?

Ohne sich weit von den anderen Mitstreitern zu entfernen, nahm jeder für sich die Eingangshalle unter die Lupe. Zoro kam mit seinem Kopfkrieg nicht weit, steuerte den nächsten Couchsessel an und wartete auf Linderung. Wenn ihm die Truppe nur noch ein paar Minuten mehr Ruhe geben würde, wäre er auch wieder voll da. In seinen Umständen, wie es da unter der Schädeldecke polterte, war mit ihm wenig anzufangen. Es war so ein Gefühl, als wäre da ein punktueller Schmerz, der brannte und explodierte. Und hätte er einen riesigen Eiszapfen, denn man durchs Ohr ins Schädelinnere schieben könnte, brächte einem die Kälte sicherlich den erwünschten Heilungsprozess. Natürlich wusste Zoro, dass diese Vorstellung der Fantasie entsprang und jeglicher Logik fern blieb. Aber zumindest fühlte sich sein Kopf so an, wenn ihn jemand fragte, wies es ihm ginge.

Usopp hatte seine Arme schützend und voller Angst um seinen Körper geschlungen, schlich so leise an den Vitrinen entlang, als könnte der Hall von Schritten irgendjemanden stören, und betrachtete die ausgestellten Exponate. Es war schwer, etwas durch die verdreckten Scheiben erkennen zu können. Er kramte in seiner unerschöpflichen Handtasche und förderte aus ihren Tiefen eine Taschenlampe zu Tage. Chopper folgte ihm, hielt unentwegt seine Nase in die Luft und ordnete die ganzen unbekannten Gerüche. Es roch nicht nach Krankenhaus. Der typische Desinfektionsmittelgestank war nicht auszumachen. Vielleicht war er aber auch über die Jahre längst verflogen. Dennoch befand das Rentier, dass es hier eher nach Hotel, als denn nach Klinik aussah. Law hat zielstrebig den Tresen der Klinikaufnahme angesteuert, hatte sich mit einem Hocksprung über diesen hinweg befördert und blätterte nun in der alten Besucherliste. Die Dunkelheit zwang ihn zum Abbruch. Mit dem Gästebuch und einem grob skizzierten Lageplan unterm Arm kehrte er wieder aus der Aufnahme zurück. Zeit, nun die anderen Drei über sein Halbwissen zu unterrichten.

„Dieses hier muss das Sanatorium sein. Die Klinik selbst ist wohl drüben im Neubau.“

Man müsste das Klinikarchiv finden, überlegte Law laut weiter in die Runde hinein und erkundigte sich, warum Zoro unbedingt nach diesem Krankenhaus suchte. Sich die Schläfen reibend, erwähnte Zoro Yurendas Name, wusste aber nichts um die Hintergründe dieses Hinweises.

Ein letzter grüner Funke flog zur Hallendecke empor, verlor sich dort und verglimmte. Law beobachtet nachdenklich das Glimmen. So langsam dämmerte es ihm.

„Luna Sedata bedeutet soviel wie „ruhender Mond“. Es ist angeblich ein neurologisches Krankheitsbild, was man nur auf dieser Insel jemals beobachtet wurde. Da es sich hier aber um eine psychologische Heilanstalt dreht, wird also mehr dahinter stecke. Man beobachtete seltsame Symptome, die man „Knospen tragen“ und „Blühen“ nennt. Ich habe mich damit nie beschäftigt, fand aber für mich den Teil der Neurochirurgie spannend. Leider war es nie möglich, Akten zu bekommen oder Fachleute zu befragen.“

Law unterbrach sich selbst für eine gedankliche Pause und fuhr dann ohne Umschweifen fort:

„Ich denke, der Hinweis bezieht sich auf dein Ausblühen. Es wird wohl ein Zusammenhang zu dem „Blühen“ gesehen, was man hier behandelt hatte. Ach, Usopp! Danke für die Taschenlampe.“

Entgeistert blickte Usopp auf Laws ausgestreckte Hand, die ihm eine Taschenlampe zurückgeben wollte.

„Das ist nicht meine?“

Nein, beim besten Willen war die Lampe in Laws Hand nicht die seinige. Demonstrativ hielt er seine eigene Taschenlampe in die Höhe.

„Hast du mir die nicht vorhin auf den Tresen gelegt?“ Law verzog perplex eine Augenbraue nach oben. Man konnte es unter seinem Hut auch in der Dunkelheit förmlich arbeiten sehen. Er war sich todsicher, dass dort zuvor keine Lampe gelegen hatte und erst, als ein Schatten vorbeihuschte, das leuchtende Hilfsmittel vor seiner Nase auftauchte.

„Nein, ich war nur da bei den Vitrinen...“, stotterte Usopp, machte eine Handbewegung, um seinen Weg durch die Halle nachzuzeichnen, und verfiel sogleich in das nächste Krankheitsbild, welches denn da hieß „Ich-habe-Verfolgungswahn“.

Schlagartig saßen alle Vier kerzengerade in ihren Sesseln. Nervös blickte man sich um. Sie waren wohl doch nicht so allein, wie zuerst angenommen.

Plötzlich kreischte das Rentier, wie es noch nie zuvor in seinem Leben gekreischt hatte. Mit einem Sprung war es bei Zoro angelangt, umklammerte dessen Kopf und heulte wahre Wasserfälle. Dabei glotzt es über die Häupter seiner Freunde hinweg zum anderen Ende des Raumes auf eine geschlossene Zimmertür. Die Augenpaare seiner Freunde taten es ihm gleich.

„Was zum …?“ brach aus Law heraus, während Usopp in den Kreisch-Chor mit einstieg.

Tatsächlich stand dort ein schemenhafter Mensch. Ein Geist. Männlein oder Weiblein war auf die Entfernung und dem fehlenden Licht nicht zu erkennen. Die Figur stand dort, murmelte gruselige Wortfetzen und löste sich aus ihrer Position. Sie hob langsam den Kopf, blickte die neuen Besucher mit seinen grell-grünen Augen durchbohrend an und drehte sich weg. Dann verschwand der Spuk durch das hölzerne Türblatt und ward verschwunden.

„Kenn' ich schon“, kommentierte Zoro äußerst gelassen die Gespenstererscheinung. „In den letzten Wochen besucht mich nachts eine ganze Horde von denen.“

„Auf der Sunny?!“ schrien Usopp und Chopper gleichzeitig vollkommen entsetzt.

„Quatsch, im Traum“, gab Zoro zurück.

Die Begriffsstutzigkeit seiner Freunde war manchmal hart an der Schmerzgrenze.

„Der Ort war aber nie dieser hier, sondern auf Raftel. Keine Ahnung, wer die sind oder was die machen.“

„Dann sollten wir mal fragen“, sagte Law entschlossen.

Ebenso wir Zoro erhob er sich und ging zielstrebig auf die Tür, dicht gefolgt von Chopper und Usopp, die sich zähneklappernd und schutzsuchend hinter ihren Freunden versteckten und hofften, dadurch unsichtbar zu werden.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  pbxa_539
2016-07-30T20:12:30+00:00 30.07.2016 22:12
Vielleicht funktioniert Zoros Blick gerade wegen des fehlenden Auges noch besser.
Usopp und seine Krankheiten...wobei: Phantasie hat er ja.
Law ist einfach zu cool für diese Welt! Genial.
Luffy verlangt ne anständige Erklärung? Der ist ja nun auch nicht gerade dafür bekannt, irgend etwas, was er selbst tut, anständig zu erklären.
Hmm, acht Stunden Zeit. Wieviel davon verplempern sie bei der Reise durchs Zwielicht? Ist das wirklich nur ein Wimpernschlag, gerade auch bei längeren Distanzen?
Da spukt ja doch ein Geist, ist ja lustig.
Und nun werden die armen Mitleidenden (-reisenden) doch tatsächlich dazu genötigt, den auch noch zu verfolgen.
Die alternative Option wäre ja, dass sie in der Halle warten, stellt sich nur die Frage, ob das erstrebenswert ist.
Da sind bestimmt noch mehr Geister.
Antwort von:  sakemaki
30.07.2016 22:41
Es ist ja ein Crossover: Die Haibara Klinik gibt es in Project Zero 4 aka Fatal Frame 4. :-)
Von:  fahnm
2016-04-03T09:56:59+00:00 03.04.2016 11:56
Super Kapitel


Zurück