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Spiel mit mir, Sibyl

von

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Hanayori Heisuke

Tokyo, 12.01.2117 - etwa vier Jahre später
 

In den letzten beiden Jahren konnte das Sibyl-System den Verlust zahlreicher Mitglieder durch Kamui Kirito, der zu der Verlangsamung einiger Auswertungen sämtlicher Anfragen geführt hatte, wieder relativ ausgleichen. Insbesondere die Qualität der Ergebnisse hatte sich dank Kirito erhöht. Personen, die dazu neigten, ihre Mitmenschen negativ zu beeinflussen, konnten schneller heraus gefiltert und isoliert werden, wodurch einige Bürger gar nicht in die Versuchung geraten, Schaden anzurichten. Ganz verhindern ließen sich die Verbrechen nicht, die Kriminalabteilung des Amts für Öffentliche Sicherheit hatte immer noch genügend zu tun, jedoch meist mit kleinen Delikten oder unbeabsichtigten Taten, die im Affekt geschehen waren. Das organisierte Verbrechen dagegen schien keinen Fuß mehr fassen zu können. So war die Gesamtsituation nun eine Friedlichere und auch in der Hauptstadt Japans war die Zahl der Verbrechen deutlich zurück gegangen.

Dieses Jahr hatte sehr ruhig begonnen. Das Amt für Öffentliche Sicherheit ebenso wie das Sibyl-System sahen dies als gutes Zeichen, als Zeugnis ihrer gestiegenen Leistung.
 

Die Mitglieder von Einheit 1 befanden sich am frühen Nachmittag des Wintertages im Analyselabor von Karanomori Shion. Am Mittag wurde dem Amt ein Video per Mail geschickt, welches soeben auf dem Bildschirm vor den Augen der Inspektoren und Vollstrecker sowie der Analytikerin abgespielt wurde.

Ein junger Mann mit glattem, schwarzem Haar im Bob-Schnitt, die Augen halb von dem Pony verdeckt erschien auf dem Bildschirm. Er schien noch ein paar Bildeinstellungen vorzunehmen - ganz offensichtlich hatte er dieses Video selbst aufgenommen -, ehe er sich zurück auf einen Stuhl hockte und der Kamera entgegen sah.

"Mein Name ist Hanayori Heisuke, ich bin 25 Jahre alt und am 23. August 2091 im Bezirk Koto der Präfektur Tokyo geboren. Heute, am 12. Januar 2117 werde ich um 18:30 Uhr in meiner Wohnung in Koto einen Mord begehen."

Erleichtert schien der Mann auf dem Video durchzuatmen, ehe seine Hand sich der Kamera näherte und kurz darauf das Bild verschwand.

"Was soll das denn? Wenn er das wirklich vorhat, haben wir ihn festgenommen, bevor es überhaupt so spät ist. Das sollte ihm doch selbst klar sein", meldete sich die Inspektorin Shimotsuki Mika zu Wort.

Für sie schien auch das ein ziemlich einfacher Fall zu werden. Sie brauchten nur diesen Heisuke aufzuspüren, den Dominator auf ihn zu richten und abzufeuern, dann würde dieser Mord niemals passieren können.

"Stand noch irgendetwas zusätzlich in der Nachricht?", hakte Ginoza Nobuchika, einer der vier Vollstrecker der Einheit, nach, worauf Shion den Kopf schüttelte.

"Nein, das ist alles, was ich bekommen habe. Ich habe die Mail bereits zurück verfolgt, sie stammt von dem PC in seiner Wohnung in Koto. Hier die Adresse", erklärte die Analytikerin und drückte ein paar der Tasten ihrer Tastatur, ehe bei den beiden Inspektorinnen eine Nachricht mit der Adresse Heisukes einging.

"Spielen Sie das Video bitte noch einmal ab", wandte die zweite Inspektorin, Tsunemori Akane, ein.

Bei dieser Wiederholung achtete sie insbesondere auf die Mimik und Gestik des zukünftigen Mörders. Sollte diese Ankündigung ein Scherz sein? War sie sein Ernst und wenn ja, war es sein eigener Wille, dies zu tun?

"Das ist nur ein Irrer, der sich aufspielen will. Genauso wie Verbrecher wie dieser Kamui, nur dass dieser im Gegensatz zu Hanayori wirklich gefährlich und talentiert war. Wir sollten aus einer Mücke keinen Elefanten machen", appellierte Mika insbesondere an ihre Partnerin, die sich daraufhin der Jüngeren zuwandte.

"Er könnte genauso gut ein Opfer sein, dass zu dieser Aufnahme gezwungen wurde. Siehst du seinen Gesichtsausdruck, kurz bevor er das Video beendet?" - Shion spulte noch einmal zu besagter Stelle - "So wie er ausatmet wirkt es als sei er darüber erleichtert, das hinter sich gebracht zu haben und nicht als würde er sich auf ein Spiel gegen uns freuen."

"Dafür wirkt er am Anfang des Videos so als wüsste er genau, was er tut", konterte Mika, die nicht einsehen wollte, dass immer nur ihre Kollegin Recht hatte, dass diese keine Fehler begann, während Mika das Pech hatte, selbst für Erfolge eher bestraft zu werden. Sie verstand nicht, wieso Akane der Liebling von Sibyl war, wieso Akane so viele Freiheiten zu haben schien, obwohl sie sich weniger an die Regeln hielt. Noch viel mehr störte sie allerdings, dass Akane instinktiv wirklich zu wissen schien, was die beste Handlung war.

"Ganz ruhig, Mika-chan. Es ist nicht verkehrt, vorsichtig zu sein", versuchte Shion auf die jüngste Anwesende einzureden, was dieser nur noch mehr das Gefühl gab, die Welt würde gegen sie stehen.

"Gibt es denn Auffälligkeiten in seinem Hintergrund, bei seinem Psycho-Pass?", warf Kunizuka Yayoi, eine weitere Vollstreckerin, ein.

"Ah, das hatte ich auch schon nachgeschaut. Es gibt nichts. Sein höchster Kriminalkoeffizient lag bei 92,4, als sein älterer Bruder vor drei Jahren gestorben ist, sein Farbton ist meist ein klares, helles Blau, er nimmt ein paar Pflegemittel für die Psyche, arbeitet als selbstständiger -", Shion brach in ihrer Erklärung kurz ab, lehnte sich zu einem Bildschirm weiter vor, von dem sie letztendlich nur das meiste ablas, wobei sich ihre Augen vor Erstaunen etwas weiteten - "als Hochzeitsplaner. Ziemlich ungewöhnlich für einen Mann, aber mit Sicherheit kein Beruf, bei dem man so viel Schlechtes sieht, dass man zu einem Mörder wird."

"Wie ist sein Einkommen?", fragte Akane, worauf Shion ein paar Eingaben am Computer vornahm, ehe sie antwortete.

"Normal für den Beruf. Es reicht für die Miete und einen sehr guten Lebensunterhalt für nur eine Person, aber da er sich noch keinen Namen gemacht hat, würde es sich nicht lohnen, ihn zu erpressen oder auszurauben."

"Ist es denn sicher, dass er das wirklich auf dem Bild war? Vielleicht haben wir es wieder mit einem Spezialisten für Hologramme zu tun", wandte Mika ein, um nun doch etwas auf die Idee ihrer Kollegin, mehr in die Sache hinein zu interpretieren, einzugehen, allerdings schüttelte Hinakawa Sho, Vollstrecker und ehemaliger Holodesigner, daraufhin den Kopf.

"Nein, das war kein Hologramm", fügte er hinzu, womit der Einwand der Inspektorin gleich vom Tisch war. Sho hatte sich schon in dem Fall von Kamui als Experte im Erkennen von Hologrammen gezeigt, so dass keiner der Anwesenden Zweifel an der Korrektheit seiner Aussage hatte.

"Ich habe übrigens auch seine letzten sowie aktuellen Kunden, Verwandte und nähere Bekannte überprüft. Bis auf einer Ausnahme sind alle von ihnen unauffällig. Vor zwei Wochen kam der Bräutigam eines Paares, das Hanayori für die Hochzeitsplanung engagiert hatte, in eine Rehabilitationsanstalt, aber ich glaube nicht, dass es dazu eine Verbindung gibt. Feinde lassen sich soweit auch keine ausmachen. Da müsste man wohl die Familie fragen, auch wenn sein Psycho-Pass ja dagegen spricht, dass er jemandem schaden will."

"Oder wir fragen gleich ihn selbst. Er hat sein Haus heute noch nicht verlassen, oder?", fragte nun Mika nach, worauf Shion nickte.

"Kein Straßenscanner hat ihn heute außerhalb seiner Wohnung erfasst", fügte die Blondine hinzu, worauf Mika sich schon dem Ausgang des Labors zu drehte.

"Na dann, gehen wir", ordnete sie an, wobei sie kurz darauf, als sie die Tür durchschritten hatte, überrascht darüber, dass Akane gar nichts einzuwenden hatte, über die Schulter zu dieser und den Vollstreckern sah.

Das Team begab sich geschlossen durch das Gebäude zu der Parkgarage, um dort in Polizeiwagen sowie Gefangenentransporter zu steigen und dann zu der Wohnadresse Heisukes zu fahren.
 

Das Gebäude, in dem Hanayori wohnte, befand sich mitten in einer Wohngegend bestehend aus einigen Hochhäusern, deren Fassaden lediglich durch Straßen voneinander getrennt waren. Hinter den Fahrzeugen des Amts für Öffentliche Sicherheit versperrten nun ein paar Drohnen die Ein- und Ausfahrt zur Parkgarage sowie sie sich ebenso vor dem Eingang zum Gebäude platzierten, damit der Verdächtige keine Chance zur Flucht haben würde und auch kein mögliches Ziel für den Mordanschlag das Gebäude betreten konnte.

In zwei Gruppen geteilt begab sich die Einheit 1 der Kriminalabteilung, jeder mit einem Dominator bewaffnet, über Aufzug und Treppenhaus in das 24. Stockwerk, in welchem die Wohnung Heisukes lag. Beide Gruppen erreichten ohne Probleme das Stockwerk, die eine etwas früher als die andere.

Geschlossen begab sich das Team durch den leeren Gang, bis zu der Wohnung des Verdächtigen, an deren Eingangstür Mika nun klopfte.

"Amt für Öffentliche Sicherheit! Öffnen Sie uns sofort die Tür!", rief sie dabei, während Akane und Sugo Teppei, der vierte Vollstrecker der Einheit, ihre Dominater auf die Tür richteten in Vorbereitung auf denjenigen, der die Tür öffnen sollte.

Eine Reaktion aus dem Inneren der Wohnung blieb allerdings aus. Auch als Mika noch ein weiteres Mal lauter und eindringlicher um Einlass verlangte.

"Das habe ich mir gleich gedacht", seufzte Nobuchika.

Mika versuchte, die Tür aufzudrücken, jedoch war diese verschlossen.

Unterdessen wählte Akane Shion über ihre Smartwatch an.

"Wie sieht es aus, Akane-chan?", meldete sich diese sogleich melodisch.

"Wir werden nicht in die Wohnung gelassen. Gibt es Überwachungskameras, so dass Sie herausfinden können, ob er die Wohnung verlassen hat und sich noch im Gebäude aufhält?", wollte Akane wissen.

Nach einer Pause antwortete Shion: "Nur in der Eingangshalle und in der Parkgarage. Wenn er nicht in seiner Wohnung ist, vielleicht bei einem Nachbar oder er versteckt sich im Gebäude, weil er weiß, dass ihr gekommen seid. Zumindest kann ich euch die Tür öffnen."

Kurz darauf vernahmen die Inspektoren und Vollstrecker schon das Klicken der Wohnungstür, die soeben entriegelt wurde. Sofort riss Nobuchika die Tür ganz auf, stürmte mit Akane hinein. Durch den Gang, die vorderen Räume hin zu den Seiten glitt der Blick Sibyls. Der Rest der Mannschaft trat weiter in das Innere vor, um ebenso den baldigen Täter zu suchen.

Es dauerte nur wenige Minuten, doch in diesen war fast jeder von ihnen so konzentriert, dass die eigentlich stille Wohnung durch die vielen, schnellen Schritte voller Lärm erfüllt zu sein schien. Die Türen und Schränke, die geöffnet und wieder geschlossen wurden, knarrten lauter in den Ohren der Polizisten als es eigentlich war. Jedoch ließ die Konzentration der meisten bald etwas nach, als ihnen klar wurde, dass Heisuke nicht an dem Ort war, an dem ein jeder Einzelne von ihnen suchte.

"Im Wohnzimmer ist er nicht", verkündete Mika, die schon wieder auf den Gang treten wollte, als ihr von dort Akane mit gesenktem Dominator entgegen kam.

"Im Bad ebenso wenig", erklärte diese.

Die Vollstrecker folgten mit ihren Berichten, die sich nicht von den anderen unterschieden.

"Also ist er wirklich nicht in der Wohnung", seufzte Mika, "dann können wir nun das ganze Haus durchsuchen."

"Oder wir warten, bis er wiederkommt", widersprach Akane, nachdem sie einen Blick auf ihre Uhr geworfen hatte. Noch waren es gut zwei Stunden bis zum angekündigten Mordanschlag hin.

Mika, die nun ebenso einen Blick auf ihre Uhr geworfen hatte, war von dem Einwand ihrer Kollegin nicht sehr erfreut. Sie hatte das Gefühl, hätte sie diesen Vorschlag gemacht, dann hätte Akane ihr auch widersprochen und darauf gesetzt, das Haus zu durchsuchen. Das Problem daran war nur, dass die junge Inspektorin genau wusste, dass die erfahrenere Polizistin sie nicht hasste und allein deswegen immer anderer Meinung war, sondern dass es an ihrer Intuition lag, mit der Akane leider viel zu oft richtig zu liegen schien. Und wenn Mika mal mit etwas richtig lag, dann endete das in einer Misere wie bei der Sache mit Togane Sakuya, dem Mann mit dem bisher am höchsten gemessenen Kriminalkoeffizient, einem Vollstrecker, der nur seiner Inspektorin schaden wollte und durch den Mika für einen viel zu hohen Preis, den sie eigentlich nicht zahlen wollte, es jedoch musste, die Wahrheit über Sibyl erfahren hatte.

"Der Mord soll in dieser Wohnung stattfinden, wenn weder Täter, noch Opfer bis jetzt hier sind, muss einer von ihnen noch kommen", fuhr Akane fort, was ihre Kollegin gar nicht überzeugte.

"Vielleicht sind wir ja auch die Opfer", entgegnete Mika.

"Daran könnte etwas dran sein", wurde sie nun von Yayoi unterstützt.

Akane überlegte daraufhin einen Moment. Sie sah ein, dass diese Möglichkeit bestand, jedoch glaubte sie nicht, dass Heisuke oder eine potentielle dritte Person, die den Hochzeitsplaner zu dem Video gezwungen hatte, es darauf abgesehen hatte, Mitarbeiter des Amts für Öffentliche Sicherheit niederzustrecken.

"Na gut. Kunizuka-san schicke bitte ein paar Drohnen hinauf, die die Wohnung auf mögliche Mordwaffen und Verstecke, in denen sich vielleicht auch Hanayori oder ein Opfer befindet, absuchen. Hinakawa-kun, du überprüfst die Hologramme in der Wohnung und ob es dabei irgendwelche Hinweise für die Art des geplanten Mordanschlags gibt. Ginoza-san, Sugo-san, ihr helft Shimotsuki-san bei der Suche nach Hanayori im Haus", beschloss Akane, worauf all ihre Kollegen zustimmend nickten.

Auch Mika hatte daran nun nichts einzuwenden, wandte sich stattdessen gleich den ihr zugeteilten Vollstreckern zu.

"Wir werden zuerst die Wohnungen auf dieser Etage durchsuchen und ihre Besitzer nach Hanayori befragen. Wenn wir Glück haben, finden wir ihn bei einen von ihnen ", erklärte sie diesen, worauf das Dreierteam gefolgt von Yayoi aus der Wohnung verschwand.

Akane trat weiter ins Wohnzimmer hinein. Sie ging auf ein Regal zu, in dem einige Ordner standen, deren Rücken allesamt beschriftet waren: Hochzeiten 2114, Hochzeiten 2115, Hochzeiten 2116, Aisawa Eisuke & Tomone Yukiko, Takagi Rintaro & Suzuki Ayase, sowie noch drei weitere Ordner mit den Namen je zweier Verlobter. Ein paar Ordner lagen ganz oben auf dem Regal, unbeschriftet. Akane nahm einen von diesen, er war komplett leer. Sie blätterte auch die beschrifteten Ordner durch, doch außer Abrechnungen oder eine Liste von Gästen, dem Kontakt von Blumenhändlern, Holodesignern, Schneidern, Bildern über mögliche Veranstaltungsorte, Fotos von Braut und Bräutigam, gab es nichts. Nichts, was für die Planung einer Hochzeit uninteressant war und dafür einen solchen Mann zu einem Mörder werden lassen sollte. Natürlich konnte unter all den vielen Namen einer sein, den Hanayori umbringen wollte, ebenso gab es vielleicht einen Weg, anhand dieser Ordner heraus zu finden, weswegen Hanayori das Amt für Öffentliche Sicherheit gewarnt hatte, jedoch fehlte dafür nun die Zeit.

Akane wandte sich lieber dem Computer des Täters zu. Es war in der heutigen Zeit mehr als unüblich, dass eine Person all diese Unterlagen in Ordnern in einem Regal aufbewahrte, anstelle auf dem PC. Was also konnte man dann auf diesem finden?

Mit Shions Hilfe erlangte die Inspektorin Zugriff auf den Computer und während Shion die Daten überprüfte, klickte sich auch Akane etwas durch die Ordner. Tatsächlich fand sie all die Ausdrücke und Bilder zu den Hochzeitsplanungen auch in diesen. Etwas Verdächtiges allerdings nicht. Hanayori Heisuke wirkte soweit wie ein ganz gewöhnlicher, junger Mann.

"Der PC ist clean. Nichts zu finden, Akane-chan", bestätigte auch Shion eine Weile später.

"Vielleicht war das auch nur ein Aussetzer und er ist inzwischen wieder zur Vernunft gekommen und plant niemanden umzubringen", überlegte Akane laut, ehe sie sich von dem Computer abwandte.

Kleine Drohnen durchquerten derweil die Wohnung, scannten Boden und Raumecken.

Eine ganze Stunde verging, dann war die Wohnung komplett durchsucht und jedes noch so kleine Eck von den Drohnen erfasst und ausgewertet worden. Die Drohnen hatten ebenso wenig Auffälligkeiten gefunden wie Akane oder einer der beiden Vollstrecker.

"Habt ihr ihn gefunden?", wandte sich die Inspektorin über ihre Smartwatch an Mika.

"Nein. Alle Nachbarn auf diesem Stockwerk wissen nichts Interessantes und in einer Wohnung ist er auch nicht. Wir überprüfen noch grob die anderen Stockwerke, laut Karanomori-san muss er immer noch im Gebäude sein", gab die junge Beamtin zur Antwort.

Akane beauftragte Sho damit, den Eingang zur Wohnung sowie den Flur des Stockwerks im Auge zu behalten, während sie selbst auf das Fenster im Wohnzimmer zuschritt, welches ein aufwendiges Design besaß. Mehrere Metallstäbe fixierten matte wie klare Glasstücke zwischen dem Fensterrahmen und bildeten so zwei sich zum Teil überlappende Herzen. Durch einige Metallstäbe, die von den Herzen in alle Richtungen hin zum Rahmen verliefen, schienen die beiden Herzen wie eine gemalte Sonne zu strahlen. Ein passendes Fenster für einen Hochzeitsplaner.

Einen Balkon besaß diese Wohnung nicht, die Fenster waren von Innen verschlossen und eine Flucht über diese schien auch nicht möglich zu sein. Es war unmöglich, an der glatten Fassade entlang zu klettern, die Abstände zwischen den einzelnen Fenstern waren für einen durchschnittlichen Menschen zu groß und sollte man stürzen oder springen, so fiel man etwa zehn Stockwerke tief auf eine Straße, welche selbst so breit war, dass man schon sehr geübt sein musste, um unbeschadet aus diesem Fenster in ein Zimmer des Hochhauses auf der anderen Straßenseite zu springen. Wahrscheinlich war dies auch eher eine Sache der Unmöglichkeit.

"Karanomori-san", wandte sich Akane nun wieder an Shion, "Welche Stockwerke grenzen an die Straßen an? Gibt es auf diesen Fluchtmöglichkeiten ohne Scanner?"

Die Analytikerin brauchte nicht lange für eine Antwort. "Erdgeschoss und 15. Stock. Es gibt in diesen Etagen extra Fluchtwege neben einer Feuerleiter, die über alle Stockwerke zugängig ist. Aber die Ausgänge sind wie die Tür zur Feuerleiter gesichert und würden einen Alarm auslösen, wenn sie benutzt werden. Der Alarm ist aktiv und wurde in den letzten 24 Stunden weder ausgelöst, noch abgeschaltet. Die einzige Flucht wäre also durch ein Fenster einer Wohnung auf die Straße, aber die Wahrscheinlichkeit dabei nicht von einem Straßenscanner erfasst zu werden, ist verschwindend gering."

"Danke", gab die Inspektorin zurück, ehe sie seufzend in den Gang der Wohnung trat.

Sie hatten keine Stunde mehr, dann sollte hier ein Mord geschehen. In der Wohnung selbst gab es keine großen Vorbereitungen für einen Mordanschlag, keine ferngesteuerten Geräte, die noch eine Gefahr darstellen konnten. Der Täter würde also direkt mit dem Opfer kommen oder einen der Beamten des Amts für Öffentliche Sicherheit angreifen, sobald die Zeit gekommen war. Der Täter befand sich irgendwo im Haus. Durch das verschlossene Fenster konnte er von außen nicht in die Wohnung, damit blieb die Eingangstür.

Akane überlegte einen Moment, ob sie Mika mit deren Gruppe zurückrufen sollte, jedoch hatte diese ja schon vorhin nicht auf sie hören wollen, als Akane bereits klar gewesen war, dass es das Beste war, bei der Wohung des Täters auf diesen zu warten.

So sah sie lieber davon ab, ihrer Kollegin eine Nachricht zu schicken, wandte sich dafür an Yayoi und Sho: "Wir warten draußen. Wenn Hanayori oder auch nur eine andere Person vorbei kommt, fangen wir sie ab, bevor ein Mord verübt werden kann."

Die beiden Vollstrecker erwiderten die Anweisung mit einem Nicken, bevor sie Akane nach draußen folgten. Ein paar kleine Drohnen folgten ihnen, scannten noch den Bereich vor dem Eingang der Wohnung, aber wie auch in dieser so gab es auch außerhalb keine versteckten Sprengsätze oder ähnliches.

Mit gezückten Dominatoren verteilten sich die Drei um die Wohnungstür herum.

Die Zeit verging für sie sehr langsam, während sie darauf warteten, dass irgendjemand auftauchen würde. Fünf Minuten vor dem geplanten Mordanschlag meldete sich Mika wieder per Funk.

"Und? Ist Hanayori bei euch schon aufgetaucht?"

"Nein", entgegnete Akane, wobei ihre Augen immer noch wachsam auf ihrer Umgebung lagen.

"Ich habe es ja gesagt, das war ein Scherz. Da wollte sich nur jemand wichtigmachen. Wahrscheinlich hockt er bei irgendwem in der Wohnung und trinkt einen Kaffee, während wir uns hier lächerlich machen. Wir sollten unsere Zeit nicht mit so etwas verschwenden, da draußen gibt es echte Mordfälle, bei denen wir gebraucht werden!"

"Noch ist es nicht 18:30 Uhr."

"Aber so gut wie!", murrte Mika, dann beendete sie das Gespräch.

Im nächsten Moment öffnete sich die Fahrstuhltür auf der 24. Etage. Schnell hob Akane ihren Dominator etwas höher, richtete ihn ebenso wie Yayoi auf den Lift, jedoch erfasste der Dominator keinen Fremden, sondern nur Kollegen.

Akane atmete auf, ließ die Waffe sinken, während Mika und ihre Gruppe auf die anderen drei zu kam. Ihre Uhren wechselten soeben von 18:29 Uhr auf 18:30 Uhr, aber außer ihnen war weiterhin niemand auf dem Gang zu sehen.

"Shion meint, am Eingang würden einige Bewohner darauf warten, hineingelassen zu werden. Hanayori ist allerdings nicht unter ihnen", teilte Mika mit, sollte es dem Mordandroher widererwarten gelungen sein, das Gebäude zu verlassen.

"Hm ... vielleicht war das Ganze hier auch nur ein Ablenkungsmanöver und ein Partner von ihm, plant wo anders einen größeren An-", äußerte Akane nachdenklich, als das laute Klirren von Glas sie unterbrach.

Ohne Zweifel kamen diese Geräusche aus Heisukes Wohnung. Sofort hielten die Mitarbeiter der Kriminalabteilung ihre Waffen bereit und stürmten wieder in das Innere der Wohnung. Schon im Gang konnte man sehen, dass das Fenster im Wohnzimmer blutüberströmt war. Sie rannten in das entsprechende Zimmer, wo sie mit schockierten Gesichtern stehen blieben und bald wieder ihre Waffen sinken ließen.

Die einzelnen Fensterstücke, die das Bild zweier Herzen gebildet hatten, lagen vor ihnen auf dem Boden, sie waren zum größten Teil unversehrt, als hätte man sie ohne große Mühen aus ihrer Verankerung heraus schlagen können. In dem metallenen Rahmen, der das strahlende Herz darstellte, hing statt dieser Scheiben dafür nun der Körper einer Frau. Die Fensterstäbe hatten sich so weit in den Körper geschnitten, dass man sie an diesen Stellen gar nicht mehr sehen konnte. Das Gesicht sowie ein Großteil des Körpers war ein gutes Stück weit gespalten und es schien als gäbe es an diesem Leichnam kein bisschen Haut, das nicht komplett von Blut überströmt war. Ebenso voller Blut waren die Wand unter dem Fenster sowie der Boden darunter.

Mika schlug die Hände vor dem Mund, während Akane auf die Leiche zu ging und an ihr vorbei aus dem Fenster sah.

Es wäre denkbar gewesen, dass der Täter ein Drahtseil zwischen diesem und dem gegenüberliegenden Gebäude gespannt hatte, um die Leiche in das Fenster zu befördern, jedoch konnte sie ein solches Seil jetzt wie auch schon vorhin nicht ausmachen. Damit fiel diese Möglichkeit weg und es gab nur noch eine, die in ihren Augen eingetroffen sein konnte.

"Er muss in einer der Wohnungen sein, die direkt über dieser liegen", teilte sie so ihre Schlussfolgerung ihren Kollegen mit.

Selbst wenn es besser wäre, erst die Drohnen die Leiche scannen zu lassen, so hatte Akane dafür nun keine Zeit. Sie öffnete das Fenster, von welchem noch reichlich Blut zu Boden tropfte und blickte hinaus. Ihr Blick wanderte mit gezieltem Dominator an den Fenstern über diesem nach oben, doch waren alle von ihnen bereits geschlossen, was auch für die Fensterreihen direkt neben dieser galt.

"Nichts", teilte sie ihren Kollegen mit, worauf diese aus der Wohnung stürmten, um eben jede der anderen Wohnungen zu überprüfen.

Vielleicht hätte es etwas gebracht, hätte auch Akane und die beiden Vollstrecker bei ihr, die letzte Stunde nicht mit Warten verbracht, sondern weitere Wohnungen im Gebäude überprüft. Akane bereute es ein bisschen, während ihre jüngere Kollegin Mika zu sehr damit beschäftigt war, eine Spur auf den Täter zu finden, als dass sie sich darüber freute, diesmal die Lage besser als Tsunemori eingeschätzt zu haben.

Akane ließ ihren Blick wieder sinken, wobei ihr nun auf dem beigen Mantel des Opfers, welcher am Rücken zu einem gewissen Teil noch sauber war, die roten Zeichen des Namens Hanayori Heisuke auffielen sowie die in dergleichen Farbe geschriebene Notiz darunter: 'Für das Ende Sibyls.'



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