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Psychisch instabil

von

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Eingefroren

Sie tänzelte durch die Küche und sang irgendein Kirchen-Lied, das ich wahrscheinlich kennen müsste. Ihre schwarzen Haare fliegen durch die Luft und sehen gegen das Licht aus wie Schlangen. Ich habe sie schon lange nicht mehr so fröhlich gesehen. Sie, meine Mutter.

Nicht die Frau die mich geboren hat, aber offziell meine Mutter. Neben mir am Frühstückstisch sitzt mein offizieller Vater. Er sitzt mit dem größt möglichen Abstand von mir und liest die Tageszeitung, die günstigerweise den Blickkontakt zwischen uns im Wege steht. Ich frage mich ob er das noch extra macht, oder es für ihn schon zur Routine geworden ist.

Die Beiden reden irgendwas, zumindest bewegt sich der Mund meiner Mutter, während sie ihn anguckt. Es drangen keine Melodien mehr an mein Ohr. Es kommen nur Wortfetzen an, die entweder keinen Sinn ergeben oder von meinem Gehirn nicht mehr zusammengesetzt werden können.

Das Grinsen auf dem Gesicht meiner Mutter wird breiter und entblösst ihre strahlend weißen Zähne. Kurz verschwimmen sie vor meinem inneren Auge zu Reißzähnen, bevor mir klar wird, was sie sagt.

Der Ehrengast ist da. Peter, mein offizieller kleiner Bruder. Das eigentliche Kind der beiden Erwachsenen in diesem Raum. Das sah man auch. denn er hatte genau wie seine Eltern dunkles Haar.

Mein offizieller Vater legt seine Zeitung weg und gibt seinem Sohn seine ganze Aufmerksamkeit. Er vermeidete dabei tunlichst mich anzusehen. Meine Mutter auch.

Sie fragt ihn was er frühstücken will. Ich wurde nicht gefragt.

Ich musste mir mein Frühstück selbst machen. Sie macht für ihn jetzt Pfannkuchen. Ich fände Pfannkuchen auch toll.
 

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Ich stehe auf der Treppe und sehe mir die Fotos an der Wand an. Ich weis nicht mehr wann ich aufgestanden und die Küche verlassen hatte.

Speziell, das eine Foto, auf dem tatsächlich die ganze offizelle Familie zu sehen ist. Es wurde vorletzen Herbst gemacht. Wir standen alle vor der großen Eiche der Grundschule. Peter hatte seine Zuckertüte in der Hand und den Schulranzen auf dem Rücken. Er lächelte herzerwärmend und stand zwischen seinen Eltern. Sein Vater stich ihm über den Kopf während seine Mutter neben ihm hockt und ihn umarmt. Ich stand ebenfalls lächelnd neben ihnen, schräg hinter meiner Mutter. Von meiner Einschulung gibt es keine Fotos mehr an dieser Wand.

Auf diesem einen Foto erkennt man wunderbar, dass ich adoptiert wurde bevor der Engel auf die Erde kam. Ich sah meine gespiegelten Augen im Glas. Graue kalte Augen, die auf mich zurückstarren. Allerdings war die Reflektion im Glas nicht mein Gesicht. Es war das Gesicht eines Junges meines Alters, wenn seine Augen auch älter wirkten. Gepeinigter, müder,... kälter. Wie meine. Seine Haut war ungesund blass was einen starken Kontrast zu seinen tiefroten Narben darstellt, die er unter den Verbänden verbag. Ich starre ihn an, und er mich. "Starren ist unhöflich." sage ich zu der Reflektion und gehe weiter zu meinem Zimmer.
 

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Ich sitze auf dem Bett und starre auf das leere Blatt vor mir. Meistens zeichne ich die gleichen Motive, bereits seit meiner Kindheit. Eine Scheune, Raben, Gehirne, Menschen ohne Gesicht und Sonnenblumen. Eigentlich immer Sonnenblumen. Ich habe vergessen warum. Ich sehe zu dem großen eingerahmten Bild über meinem Bett. Die Scheune, vor einem gelben Sonnenuntergang, umrundet von Sonnenblumen. Ich glaube ich habe es in der 3.Klasse gemalt.

"Erinnerst du dich daran?" Der Junge sitzt am Rand meines Bettes, dem Bild zugewandt. Der Rücken gerade, das hellblau gestreifte Hemd passte sich dem Oberkörper perfekt an. Als wäre es ihm angeschneidert worden.

Er kommt mir vertraut vor, allerdings erinnere ich mich nicht an ihn. "Wie ich dir das Zeichnen beigebracht habe?"

Ich sehe ihn nur an. Er war tatsächlich da, er sprach direkt mit mir. Ich konnte jede Pore seiner Haut direkt sehen, ich konnte ihn riechen, ich konnte ihn hören. Er zog nicht einfach an mir vorbei, wie alles andere. Seine Worte waren kein leeres Rauschen, sein Gesicht war nicht irgendeine Grimasse, sein Körper war wirklich da, nicht irgendein Fleischklumpen mit Organen und Gedanken. Ich sah ihn an und sah einen Menschen. Dann sah er mich an. In seinen Augen war Leben, sie waren nicht einfach Scheiben sondern Fenster. Ich konnte hindurchsehen.

Ich kann mich nicht mehr erinnern wann ich zuletzt einem Menschen so direkt wahrgenommen habe.

Mein Handy-Wecker klingelt. Es soll mich an die Tabletten erinnern.

Also stand ich auf und ging ins Badezimmer. Auf dem Weg dorthin fällt mir wieder auf, das die Dinge aufeinmal details haben. MIr fällt auf, dass die Sonnenstrahlen meine Haut wärmen. Es war als wäre ich aus einem Eisblock aufgewacht.

Im Badezimme sah ich mich an. Alles an mir war wie immer, doch irgendwie doch anders. Ich wusste immer das ich blonde Haare hatte, allerdings nie welche Farbe genau. Es war als würde ich all das noch nie gesehen haben.

Ich riss meinen Blick von meinem Spiegelbild und machte den kleinen Medizinschrank auf. Mit den Tabletten in der Hand sah ich wieder auf.

Der Junge lehntte hinter mir im Türrahmen und war damit beschäftigt, seinen Verband an der linken Hand neu aufzurollen.

Ich schluckte sie hinter. Der Kopf des Jungen zuckte sofort zu mir. Er stand auf und ging zwei große Schritte auf mich zu, bevoer er sich in Nebel auflösste.

Als ich mich wieder zum Spiegel drehte war alles wie immer. Ich war wieder eingefroren.

Kurz fragte ich mich noch, was ich gerade getan hatte, bevor es mir egal wurde. Denn die Welt um mich herrum zog wieder an mir vorbei.



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