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Mörderische Goldgier

"Geliebter Blutsbruder"- Teil II
von

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Kampf auf Leben und Tod

Wieder in der Gegenwart:
 

Während sich meine beiden Gefährten rüsteten, um ihren Aufgaben nachzukommen, blieb ich erst einmal an Winnetous Seite, um ihm immer mal wieder einige Schlucke Wasser einzuflößen. Ständig überwachte ich dabei auch seine Atmung und seinen Herzschlag, und vor allem Letzterer gefiel mir von Mal zu Mal weniger, von dem steigenden Fieber ganz abgesehen.

Und das war leider noch nicht alles, denn zusätzlich zu den Stich- und Schnittverletzungen entdeckte ich bei der weitergehenden Untersuchung meines Freundes jetzt auch noch großflächige Prellungen an dem linken seitlichen Brustkorb, die mit Sicherheit von den Fußtritten seiner Peiniger stammten und die, wenn es schlecht lief, vielleicht sogar für den Bruch einer oder mehrerer Rippen verantwortlich waren. Im Moment konnte ich einen solchen Bruch zwar noch nicht ertasten, aber das hieß nicht, dass die Rippen nicht zumindest angeknackst sein konnten. Sicher war auf jeden Fall, dass auch diese Verletzungen für starke Schmerzen sorgten.
 

Winnetou blieb aber trotzdem während meiner Behandlung ruhig und mit geschlossenen Augen liegen, um zumindest wieder ein wenig Kraft zu sammeln, die er für unsere Flucht so dringend benötigte. Nur manchmal warf er mir einen seiner liebevollen Blicke zu, der mir einerseits zeigen sollte, dass er noch bei Bewusstsein war, vor allem aber wollte er mir dadurch etwas Ruhe einflössen, was ihm in seiner einzigartigen Weise auch, zumindest zum Teil, gelang. Er gab mir mit seinen unvergleichlichen Augensternen großen Halt und noch mehr Hoffnung; sorgte somit dafür, dass ich nicht den Mut verlor.

Trotzdem konnte ich nicht anders, ich flüsterte ihm zwischendurch eindringlich, nein, eher schon ängstlich, zu:

„Halte durch, mein Bruder, ich bitte dich! Gib nicht auf, bleibe bei mir, ja?“ Jetzt zuckten seine Mundwinkel, er versuchte sich sogar an einem leichten, aber doch verkrampft wirkenden Lächeln, während er mir leise flüsternd zusicherte:

„Scharlih....Winnetou wird dich nicht verlassen – hast du das vergessen?“

Stumm und ergriffen schüttelte ich den Kopf, küsste ihm die Stirn, bemühte mich dann aber trotzdem, ihm irgendwie Trost zu spenden, denn ich sah ja, dass er Schmerzen hatte.

„Du hast es bald überstanden, mein Freund! Nicht mehr lange, und wir sind hier raus; dann wirst du dich lange erholen können, nicht wahr?“

Er nickte stumm, und ich bekam immer mehr das Gefühl, dass ich eher mir selber mit diesen Worten Mut zusprach als ihm, denn er war sich offenbar sehr sicher, was das Gelingen unserer Befreiung und sein Überleben anging.
 

Irgendwann wurde ich gewahr, dass auch Emery sich derweil neben uns gekniet hatte und mir bei meinen Bemühungen, die vielen Verletzungen des Apatschen zu versorgen, zu Hilfe kam. Wir bedienten uns dabei der Dinge, die im Zelt vorhanden waren, und das waren weiß Gott nicht sehr viele! Zwischendurch hörte ich den Engländer voller Zorn vor sich hin murmeln, er ergoss sich regelrecht in kleinere Wutausbrüche, was sich dann teilweise so anhörte:

„Wenn ich diese Kanaille namens Thomson in die Finger bekomme....dann Gnade ihm Gott.... mit bloßen Händen werde ich ihn zerquetschen....zu Brei zerstampfen...was ist das nur für eine Bestie?... Hol ihn doch der Teufel...“
 

Wir wussten dank Winnetous Auskünften, wo genau sich das andere Zelt befand, in dem sich Motawateh aufhielt. Allerdings war uns nicht bekannt, ob auch Thomson in diesem Zelt nächtigte und sich vielleicht auch noch weitere Kiowas dort befanden oder rings um unser Zelt Wache hielten. Um das herauszufinden, begab sich Sam jetzt, unseren vorherigen Absprachen gemäß, Richtung Ausgang, legte sich dort der Länge nach hin und begann vorsichtig, ganz langsam und fast unhörbar, hinauszukriechen.

Kaum war er soweit vorangekommen, dass er etwas sehen konnte, lag er erst einmal still und versuchte, sich einen Überblick über die Lage da draußen zu verschaffen und vor allem, um zu schauen, ob und wie viele Wächter sich vor unserem Zelt befanden. Offenbar war dem so - und ich hätte mich auch gewundert, wenn es anders gewesen wäre - denn Sam kroch jetzt ebenso leise wieder zurück und flüsterte uns zu:

„Zum Glück haben sich direkt am Eingang keine Krieger postiert, aber ein Wächter sitzt, einige Meter vom Zelt entfernt, an einem kleinen Feuer. Wir müssen hier auf jeden Fall auf Nummer Sicher gehen und das heißt, dass Ihr ihn Euch holen müsst, Shatterhand! Ihr seid von uns allen am besten dazu geeignet, auch wenn Ihr trotzdem ein für alle Mal ein Greenhorn bleiben werdet, wenn ich mich nicht irre!“

Er hatte recht, es musste jetzt schnellstmöglich gehandelt werden. Ich warf einen besorgten Blick auf Winnetou, doch der sah mich mit einem auffordernden Ausdruck im Gesicht an und sagte nur:

„Geh, mein Bruder!“ Und auch Emery drängte mich zum Handeln, wollte mich aber gleichwohl beruhigen:

„Charley, mach schon! Ich bleibe hier bei ihm und passe auf!“
 

Ich nickte, legte dem Engländer kurz die Hand auf die Schulter, sah noch einmal sorgenvoll zu meinem Freund herab; wandte mich dann aber doch entschlossen dem Ausgang zu. Mir an Sam ein Beispiel nehmend, kroch auch ich hier wie eine Schlange durch die Lederbahnen, blickte mich draußen kurz um, sah den Kiowa am Feuer ungefähr vier Meter rechts von mir entfernt sitzen und schlich mich dann langsam durch das zum Glück recht hohe Gras auf ihn zu.

Der Mann schien müde zu sein, er stierte in das indianisch geschürte Feuer und hatte sichtlich Mühe, die Augen geöffnet zu halten. Daher gelang es mir auch ohne große Schwierigkeiten, mich ihm von hinten zu nähern, ohne dass er auch nur das Geringste mitbekam. Hier sah ich mich nochmals um, um sicherzugehen, dass auch ja niemand anderer in der Nähe war, aber das restliche Lager schien im tiefsten Schlaf zu liegen. Dann ballte ich die Faust und schlug einmal hart zu. Sekundenbruchteile später kippte der Kiowa lautlos hinten rüber, wo ich ihn sofort auffing, um ihn dann langsam und leise zu Boden gleiten zu lassen.

Ich verharrte kurz, um zu überlegen: Sollte ich mich mit dem Kerl direkt wieder zurück zu "unserem" Zelt begeben oder sollte ich sofort weiter, um herauszufinden, ob Motawateh sich alleine in dem anderen Tipi befand, welches sich vielleicht zwanzig Schritte von mir entfernt am Rande eines kleinen Wäldchens schmiegte? Da entdeckte ich Sam, der mich von unserem Eingang aus beobachtet hatte und mir jetzt durch Handzeichen zu verstehen gab, dass er sich um den Bewusstlosen kümmern würde, während ich mich weiter an den Kiowa-Häuptling heranschleichen sollte.

Ich bewegte mich also abermals langsam und lautlos durch das hohe Gras, dabei fast auf dem Boden liegend, wobei ich aus den Augenwinkeln noch erkennen konnte, dass sich Emery in diesem Moment anschickte, den betäubten Kiowa zu schultern und in unser Zelt zu verfrachten. Sam hatte wohl lieber dem Engländer den Vortritt gelassen, der ihm an Größe und vor allem an Kraft nun mal eindeutig überlegen war.
 

Es herrschte weiterhin tiefste Stille, als ich mich auf die dunkle Masse zubewegte, die sich nur noch wenige Schritte vor mir aus dem Boden erhob. Immer wieder suchte ich meine Umgebung nach weiteren Wächtern ab, aber offenbar war der Krieger eben am Feuer wirklich der einzige gewesen, eine Tatsache, die mich schon verwunderte. Andererseits konnte ich mir durchaus vorstellen, dass Motawateh sich seiner Sache sehr sicher war und er keinerlei Möglichkeiten sah, wie wir Gefangenen uns eigentlich noch befreien sollten; immerhin hatte er ja höchstpersönlich am Abend unsere Fesseln überprüft – Winnetous Bande Gott sei dank ausgenommen!

Endlich war ich am Häuptlings-Zelt angekommen und lag erst einmal eine kleine Weile still, um zu lauschen und dadurch sicherzugehen, dass wirklich alles schlief und ich nicht doch schon entdeckt worden war oder vielleicht sogar verfolgt wurde.
 

Mit Sorge dachte ich währenddessen an meinen Blutsbruder. Ich hoffte so sehr, dass wir so schnell wie möglich aus dieser Situation herauskamen, damit er endlich ärztlich versorgt werden konnte. Noch während dieses Gedankenganges fiel mir aber ein, dass wir uns noch gar nicht darüber einig geworden waren, wohin genau unsere Flucht uns eigentlich führen sollte! Bis nach Farmington? Dort wartete zwar Dr. Hendrick samt den Butterfields und Winnetous Apatschen auf uns, aber die Stadt war noch weit entfernt, mindestens eineinhalb Tagesritte – würde Winnetou das bis dorthin überhaupt noch durchhalten?

Und konnten wir mit einem Schwerverletzten so schnell fliehen, dass wir vorher nicht eingeholt werden würden?

Unwillkürlich schüttelte ich den Kopf, denn diese Option schien mir keine allzu gute Lösung zu sein. Doch wie dem auch sei, jetzt galt es erst einmal, den Anführer dieser Mörderbande zu überwältigen, über alles andere konnten wir uns anschließend Gedanken machen.
 

Während dieser kurzen Zeitspanne des angestrengten Lauschens waren mir keinerlei verdächtige Geräusche aufgefallen, also wagte ich jetzt den nächsten Schritt. Leise, unendlich vorsichtig hob ich eine der Lederbahnen des Zeltes an. Das ging sogar recht problemlos, denn die Tipis waren nicht allzu festgezurrt und das Leder nur lose über das Gestänge befestigt worden, da sie ja ohnehin nur für kurze Zeit hier stehen sollten, denn morgen wollten die Kiowas uns ja zu ihrem Hauptlager am San-Juan-River schaffen.

Daher dauerte es auch nicht lange, bis ich die Tierhaut soweit hochgeschoben hatte, dass ich den Kopf in das Zelt hinschieben und mir einen Überblick verschaffen konnte – und wäre fast vor Schreck wieder zurück gezuckt, denn direkt vor mir lag Motawateh, so nah, dass ich ihn mit meiner Nase beinahe berührt hätte! Zu meinem Glück lag er offenbar im tiefsten Schlaf und hatte allen Anschein nach nichts von meiner unfreiwilligen Annäherung mitbekommen.
 

Wieder blieb ich eine ganze Zeit lang still liegen, lauschte angespannt auf die tiefen Atemzüge des Kiowa-Häuptlings und versuchte gleichzeitig, den Innenraum des Zeltes mit meinen Blicken zu erfassen, was sich durchaus als schwierig erwies, da es drinnen nun mal stockfinster war. Nach einer Weile war ich mir aber doch sicher, dass sich Motawateh alleine in seinem Tipi aufhielt, was mir und meinem Vorhaben jetzt natürlich sehr gelegen kam.

Ich schob mich also Millimeter für Millimeter weiter unter der Zeltplane hindurch, bis ich mich mit dem halben Oberkörper im Innenraum befand und dadurch eine ausreichende Bewegungsfreiheit meiner Arme erlangte. Da ich mich weiterhin in unmittelbarer Nähe Motawatehs befand, war es jetzt ein Leichtes, ihm meine Faust zweimal an die Schläfe krachen zu lassen, und das tat ich dann auch mit deutlich mehr Wucht, als eigentlich nötig gewesen wäre. Doch allein der Anblick dieser Bestie löste in mir pure Wut aus, da ich sofort wieder die Bilder meines gepeinigten Winnetou vor mir hatte; und eigentlich hätte ich den Kerl jetzt am liebsten geweckt und mit ihm einen Kampf auf Leben und Tod begonnen, so dass ich dadurch die Möglichkeit gehabt hätte, ihn dabei windelweich zu prügeln. Ich beherrschte meinen Zorn aber, als ich spürte, wie der Körper des Häuptlings erschlaffte, und handelte sofort.
 

Mit äußerster Vorsicht schleifte ich den nicht gerade kleinen und auch nicht sehr leichten Mann unter die Zeltplane hindurch ins Freie; verharrte dort aber sofort erst einmal wieder, wobei ich mich vergewisserte, dass ich wirklich nicht bemerkt worden war. Aber immer noch lag alles im tiefsten Schlaf, kein Mensch war zu hören oder zu sehen.

Also weiter, so schnell es irgendwie ging, ohne dabei laut zu werden, und nach mir ewig erscheinenden Minuten hatte ich es dann endlich geschafft. Als ich im Eingang unseres Zeltes erschien und Emery den Häuptling erkannte, stieß er einen kurzen Laut des überraschten Triumphs aus und griff sofort zu, um mich beim Hereintragen des Bewusstlosen zu unterstützen. Im Inneren ließ ich Winnetous Peiniger dann mit voller Absicht äußerst unsanft zu Boden krachen und hatte auch nicht die Spur eines schlechten Gewissens dabei!

Wir hatten zwar zuvor ausgemacht, dass wir versuchen wollten, ein oder vielleicht sogar mehrere Geiseln zu nehmen, aber dass es mir beim ersten Versuch schon gleich gelingen würde, ausgerechnet den Häuptling in meine Gewalt zu bekommen, das hätten wir dann doch nicht zu hoffen gewagt. Wenn es jetzt doch auch noch gelänge, Thomson zu erwischen! Allerdings, so sagte ich mir, sollten uns Motawateh sowie der andere, ebenfalls noch betäubte Krieger, eigentlich genügen, um uns alle freizupressen.

Doch vorher gab es noch Wichtiges zu tun: Da wir aber auf keinen Fall auf irgendeinen Zufall vertrauen wollten, war es nötig, herauszufinden, wo genau sich der Rest der Kiowas samt Thomson befanden; außerdem mussten wir so schnell wie möglich unsere Waffen und unsere Pferde wieder in unseren Besitz bringen.
 

Also handelten wir weiter nach Plan. Sam war schon dabei, den Häuptling zu einem ebenso handfesten Paket zu verschnüren wie zuvor auch den anderen Krieger. Er würde auch weiterhin in unserem Tipi bleiben, da irgendjemand ja auch an Winnetous Seite sein musste, um ihn zu versorgen und im Notfall vor den Feinden zu schützen.

Ich warf jetzt abermals einen Blick auf meinen Freund. Er hielt seine Augen wieder geschlossen, seine Atmung war flach, große Schweißperlen waren auf der Stirn zu erkennen – also alles andere als ein beruhigender Anblick für mich! Aber es half nichts, Emery und ich mussten jetzt wieder das Zelt verlassen.

Der Engländer begab sich auf den schnellsten Weg zu den Pferden, er kannte ihn ja dank Winnetous Beschreibung. Ich selber kroch noch einmal durch das hohe Gras zum Tipi des Häuptlings zurück, da mein Blutsbruder dort unsere Waffen und unser restliches Eigentum vermutet hatte. Wieder kam ich ungesehen an mein Ziel, aber diesmal hatte ich unterwegs einen Großteil der Kiowas entdecken können: Sie lagerten im Schatten der Bäume hinter dem Häuptlingszelt und schienen sich alle im Land der Träume zu befinden.

Wie sehr wünschte ich mir jetzt die Gefährten herbei! Mit einem unverletzten Winnetou und den anderen beiden erfahrenen Westmännern an meiner Seite wäre es ein Leichtes gewesen, die – ich zählte schnell durch: achtzehn Krieger, also mussten sich noch zwei bei den Pferden befinden - zu überwältigen und wieder Herr der Lage zu werden. So aber musste ich auf meine Fähigkeiten und auch auf mein Glück vertrauen, dass man mich abermals nicht bemerken würde, als ich wieder in das Häuptlingszelt schlich und es nach unseren Waffen absuchte. Ich konnte mich dabei nur auf meine Hände verlassen, denn im Inneren war es ja stockdunkel, so dass ich jeden Gegenstand erst abtasten musste, wobei natürlich immer die Gefahr bestand, dass ich etwas umwarf, und so ein lautes Geräusch hätte natürlich sofort die schlafenden Krieger auf den Plan gerufen.
 

Im Gegensatz zum Verlauf des gesamten letzten Tages schien uns jetzt aber in dieser so wichtigen, über Freiheit oder Tod entscheidenden Stunde, das Glück hold zu sein. Ich musste gar nicht lange suchen, da ertastete ich in der Nähe des Schlafplatzes von Motawateh einige längliche Gegenstände, die sich nach kurzer Untersuchung als unsere Gewehre herausstellten! Sofort holte ich mir meinen Henrystutzen hervor und überprüfte, so gut es im Finstern ging, ob er möglicherweise Schäden aufwies, konnte aber zum Glück keine feststellen. Im Gegenteil, er war sogar noch geladen! Offenbar hatte Motawateh nicht verstanden, wie man dieses komplizierte Gewehr bedient, und es dann erst einmal ungenutzt weggelegt.

Jetzt fühlte ich mich zum ersten Mal seit unserer Gefangennahme wieder wie ein freier Mann. Mit meinem Stutzen in der Hand war ich nun mal nicht so leicht zu überwinden, und das würden die Kiowas in Kürze zu spüren bekommen!
 

Rasch sammelte ich die restlichen Gewehre sowie unsere Messer auf und nahm auch von den anderen Gegenständen, die uns gehörten, so viel mit, wie ich tragen konnte; den Rest würden die Rothäute nachher hoffentlich von alleine wieder herausrücken.

Wieder musste ich auf mein Glück vertrauen, als ich den Rückweg antrat, und wieder gelang es mir, ungesehen mein Ziel zu erreichen.

Sam hatte mich mit wachsender Ungeduld erwartet und konnte jetzt nur mühsam einen Freudenschrei unterdrücken, als er die Waffen in meiner Hand gewahr wurde; er nahm nun auch seine geliebte „Liddy“ sofort an sich, wobei man fast den Eindruck gewinnen konnte, dass er kurz davor stand, seinen alten Schießprügel an sich zu drücken und zu liebkosen.

Motawateh war inzwischen aus seiner Ohnmacht erwacht, und ihm war anzusehen, dass er vor Wut fast platzte. Sein Gesicht hatte mal wieder eines seiner bemerkenswerten Farbenspiele angenommen, aber er konnte seinen Zorn nicht laut kundtun, denn er war von Sam natürlich sorgfältig geknebelt worden, damit er nicht um Hilfe rufen konnte. Aus seinen Augen sprühten daher nun regelrecht Blitze in meine Richtung, was mich aber nicht sonderlich interessierte.

Da wir, bevor wir weiter handeln konnten, erst auf Emery warten mussten, nutzte ich diese Zeit lieber, um mich wieder meinem Freund zu widmen, deshalb begab ich mich jetzt auch sofort an Winnetous Seite.
 

Mein Freund öffnete kurz die Augen, als er mich neben sich spürte, schenkte mir ein leises Lächeln und drückte leicht meine Hand, bevor sich seine Lider erneut schlossen. Ich legte mein Ohr auf seine Brust, um seinen Herzschlag besser erfassen zu können, da sein Puls kaum zu spüren war, aber das Ergebnis war auch nicht viel besser. Zudem strahlte sein Körper eine unnatürliche Hitze aus, da das Fieber ihn mittlerweile fest im Griff hatte, und all das half natürlich nicht im Geringsten, meine Ängste um meinen Geliebten irgendwie zu mindern.

„Halte durch, ich bitte dich!“, flüsterte ich ihm leise ins Ohr. Er nickte nur, mit geschlossenen Augen, und ich versuchte weiter, ihm Trost und Mut zuzusprechen:

„Es wird nicht mehr lange dauern, dann sind wir hier raus, und dann werden wir einen Ort finden, an dem du ganz in Ruhe genesen kannst. Du hast es bald geschafft, glaube mir, mein Bruder!“

Wieder nickte er, antwortete aber nicht, er war einfach zu erschöpft. Ich drückte nochmals seine Hand und legte dann, einer Eingebung folgend, vorsichtshalber das erbeutete Jagdmesser von Motawateh daneben, damit er im Notfall eine Waffe zu seiner Verteidigung bereit hatte.
 

Meine Worte hatten mich daran erinnert, dass wir einen wesentlichen Teil unseres Vorhabens noch gar nicht geklärt hatten, und somit wandte ich mich jetzt an Sam, um ihn zu fragen:

„Sam – wir haben noch gar nicht entschieden, in welche Richtung wir fliehen sollen! Bis Farmington ist es definitiv zu weit, das schafft Winnetou nicht mehr, außerdem könnten wir vorher möglicherweise von den Kiowas eingeholt werden. Habt Ihr vielleicht eine Idee?“

„Hm!“, kam es nur von dem kauzigen Westmann, der sich dabei gleichzeitig heftig am Kopf kratzte, wodurch seine Perücke gefährlich weit nach vorne rutschte und herunterzufallen drohte.

„Wenn Ihr schon keine Lösung anzubieten habt – woher soll ich denn dann so schnell eine aus meinem nicht vorhandenen Hut zaubern, verehrtes Greenhorn? Ich hatte bisher nicht den Eindruck, dass ich die hiesige Gegend wie meine Westentasche kenne, da ich vorher noch nicht die Ehre hatte, hier des öfteren zu Gast zu sein, wenn ich mich nicht irre. Deshalb hatte ich mich bis gerade eben sogar der trügerischen Hoffnung hingegeben, dass Ihr schon längst einen gut durchdachten Plan unter Eurem echten Skalp mit Euch herumschleppt - und nun werde ich so enttäuscht! Aber ich sage es ja immer wieder: Einmal Greenhorn, immer Greenhorn, wenn ich mich nicht irre, hihihi!“
 

„Nein, tut mir leid, lieber Sam“, antwortete ich, „aber diesmal bin ich selber noch ratlos. Doch vielleicht hat Emery...“ Weiter kam ich nicht, denn jetzt drang das leise Flüstern meines Blutsbruders zu mir durch, so leise, dass ich die einzelnen Worte nicht verstehen konnte. Sofort beugte ich mich zu ihm hinunter und hielt mein Ohr nahe an seinen Mund, woraufhin er seine Worte, mühsam und stockend, wiederholte:

„Mein Bruder denke.... an Old Firehands 'Festung'! Sie... liegt in südwestlicher.... Richtung von hier, der....Weg führt mitten...durch das Gebirge, also...werden die....feindlichen Krieger gerade dort....uns nicht vermuten....“

Er brach ab. Selbst diese wenigen Worte hatten ihn schon sehr angestrengt, also machte ich ihm schnell deutlich, dass ich ihn verstanden hatte:

„Es ist gut, mein Bruder, sprich jetzt nicht mehr, ja?“

Und zu Sam gewandt, klatschte ich mir leicht die flache Hand vor die Stirn und meinte kopfschüttelnd:

„Das ich da nicht von alleine drauf gekommen bin! Winnetou hat natürlich Recht – wir werden Old Firehand aufsuchen; er befindet sich ja zur Zeit mit Old Surehand und einigen anderen Fallenstellern in seiner sogenannten 'Festung'! Bis dorthin ist es höchstens ein halber Tagesritt, denke ich, vielleicht etwas mehr, wenn man bedenkt, dass wir Winnetou so schonend wie möglich dorthin bringen müssen. Und gerade weil der Weg durch schwieriges und bergiges Gelände führt, werden die Rothäute uns dort hoffentlich am wenigsten vermuten!“

„Nun, da habt Ihr natürlich vollkommen recht, geliebter Sir! Ich sage Euch ja immer, dass Ihr Euch ein Beispiel an unserem klugen Apatschenhäuptling nehmen solltet – Winnetou hat nämlich, im Gegensatz zu Euch, in seinem Oberstübchen immer die richtige Lösung parat, wenn ich mich nicht irre!“

Trotz der äußerst angespannten Situation kicherte mein ehemaliger Lehrer wieder einmal leise vor sich hin, aber das war halt seine Art, seine Nerven zu beruhigen.
 

Ich war richtiggehend erleichtert über diese mehr als gute Lösung, vor allem, weil wir von Firehand und Surehand die beste Unterstützung und den besten Schutz erhalten würden, den man sich nur denken konnte; außerdem war das kleine Tal, welches mit den hoch aufragenden Felswänden die sogenannte „Festung“ bildete, ein idealer Ort für einen Schwerverletzten, um dort in Ruhe genesen zu können.

Übrigens war es völlig unerheblich, dass Motawateh jetzt alles, was wir besprachen, mitbekam - wir wollten ihn ja sowieso mitnehmen, und die "Festung" war ein idealer Ort, um dort über ihn und eventuell auch noch über Thomson zu Gericht zu sitzen.
 

Jetzt kehrte auch Emery zurück und hatte ebenfalls eine gute Nachricht parat. Er hatte unsere Pferde aufgrund von Winnetous Beschreibung der Umgebung nicht nur gefunden, sondern auch gleich in die Nähe der Zelte geführt, so weit, wie er es riskieren konnte, ohne dass die am Waldrand schlafenden Kiowas durch die unvermeidbaren Geräusche erwachten. Dieses Vorhaben war ihm auch deswegen gelungen, weil er die beiden Wachposten, die die Pferde beaufsichtigten, zu unserem Glück völlig lautlos überwältigen und fesseln konnte.

Jetzt sah es schon richtig gut für uns aus: Wir waren der Fesseln ledig, hatten unsere Waffen wieder, die Pferde waren ganz in der Nähe und das Wichtigste – Motawateh, der Anführer der Mörderbande, befand sich in unserer Gewalt! Eigentlich hätten wir jetzt loslegen können, aber einer fehlte noch: Thomson! Dieses Erzschurken wollten wir unbedingt noch habhaft werden, um zu verhindern, dass er sich in dem kommenden Durcheinander und dem eventuell auftretenden Kampfgewühl aus dem Staub machen konnte. Diese Bestie, die das Leben meines Winnetou sogar zweimal fast ausgelöscht hatte, durfte auf keinen Fall ungestraft davonkommen, koste es, was es wolle.

Und eines war sicher: Dieses Mal würden wir ihn auf keinen Fall den Soldaten oder irgendwelchen Behörden übergeben, wo er eher frei kommen würde, als wir aus der Stadt wieder heraus geritten wären! Dieses Mal würden wir über ihn Gericht halten, und dann konnte sich dieser brutale Verbrecher nicht mehr aus der Schlinge ziehen!
 

Aber zuerst mussten wir natürlich herausfinden, wo genau sich der Bursche überhaupt aufhielt. Im Zelt Motawatehs war er nicht gewesen, und auch unter den schlafenden Rothäuten hatte ich ihn nicht ausmachen können. Es blieb mir also nichts anderes übrig, als zusammen mit Emery das gesamte Lager noch einmal zu umschleichen, obwohl ich Winnetou eigentlich nicht mehr aus den Augen lassen wollte.

Sam bemerkte meine beunruhigten Blicke, und wieder einmal zeigte er sein eigentliches Ich, sein mitfühlendes Wesen, indem er mir leise zuflüsterte, dass ich mich nicht ängstigen sollte, er würde über meinen Blutsbruder mit Argusaugen wachen wie über seinen eigenen Sohn. Er hatte zwar keine Kinder, aber ich wusste natürlich, wie er es meinte.

Also informierte ich den Engländer erst einmal über unsere Absicht, nach unserem Entkommen Old Firehand und Old Surehand aufzusuchen, der er auch sofort zustimmte. Anschließend besprach ich mit ihm unser weiteres Vorgehen, und dann verließen wir wieder einmal das Zelt, um in entgegengesetzten Richtungen das Lager, jeder in einem Halbkreis, zu umschleichen, um Thomson zu suchen.
 

Für dieses Unterfangen benötigten wir natürlich eine gewisse Zeit, denn wir mussten uns weiterhin so vorsichtig und leise wie nur irgend möglich bewegen, und daher dauerte es auch über eine halbe Stunde, bis wir am Endpunkt wieder zusammentrafen. Ich hatte den Verbrecher nicht entdecken können, aber Emery konnte da etwas mehr Glück vorweisen. Der Kerl hatte sich, etwas entfernt von den restlichen Kiowas, aber ebenfalls am Waldrand, einen kleinen Unterstand aus Ästen und dicht belaubten Zweigen gebaut, in dem er jetzt friedlich und mit offenbar ruhigem Gewissen schlief - er schnarchte sogar leise! Und nur aus diesem Grund hatte Emery ihn erst ausmachen können, ansonsten wäre er an der primitiven, in der Dunkelheit völlig unauffälligen Hütte wohl vorbei geschlichen.

Gemeinsam machten wir uns sofort auf dem Weg, um den zweiten Erzschurken ebenfalls in unsere Gewalt zu bekommen. Obwohl das ständige Anschleichen durch das hohe Gras zunehmend anstrengender wurde, gelang es uns abermals, unbemerkt an unser Ziel zu gelangen. Ganz langsam, ganz vorsichtig und äußerst konzentriert krochen wir durch die offene Seite des Unterstandes – und blieben plötzlich ganz starr vor Schrecken und hochgradig angespannt am Boden hocken, denn der Verbrecher begann ausgerechnet jetzt, sich zu bewegen! Ich spannte meine Muskeln an, um mich notfalls sofort auf ihn zu werfen, denn Thomson durfte auf gar keinen Fall die Möglichkeit erhalten, laut zu rufen und damit die anderen Rothäute zu wecken.

Dieser seufzte jetzt einmal herzhaft, wickelte sich fester in seine Decke, drehte sich auf den Rücken – ich saß sofort sprungbereit wie ein Tiger vor dem Angriff auf eine Antilope – und drehte sich dann aber doch wieder auf die Seite, um seinen Schönheitsschlaf fortzusetzen, woraufhin wir äußerst erleichtert aufatmeten.
 

Der Engländer und ich warteten vorsichtshalber noch eine kleine Weile, bis wir wirklich sicher sein konnten, dass der Verbrecher weiterhin fest schlief, dann erst wagten wir es, uns ihm langsam und vorsichtig so weit zu nähern, bis wir an seiner Seite saßen. Er lag immer noch im Tiefschlaf, und durch zwei wohlgezielte, kräftige und mit grimmigem Vergnügen durchgeführte Faustschläge sorgte ich dafür, dass er das Reich der Träume so schnell auch nicht wieder verlassen würde.
 

Endlich, endlich hatte ich ihn in meiner Gewalt! Wie sehr hatte ich mir genau das noch heute Nachmittag herbei gesehnt, wie sehr hatte der heiße Wunsch nach Vergeltung in mir gebrannt, seit ich hilflos mit ansehen musste, wie dieser Teufel in Menschengestalt meinen geliebten Blutsbruder gequält und misshandelt hatte! Jetzt würde der Kerl mir nicht mehr entkommen, jetzt würde er auf alle Fälle seiner gerechten Strafe zugeführt werden!
 

Noch während ich für mich überlegte, wie wir Thomson nun am besten zurück zu unserem Zelt transportieren sollten - denn wir mussten uns ja weiterhin in kriechender Position fortbewegen, falls doch mal einer der Kiowas aufwachen und einen Blick über das hohe Gras werfen würde - da handelte Emery schon. Ohne Umschweife warf er sich den Ohnmächtigen über die Schultern und lief mit ihm in tief gebückter Haltung, doch dabei fast unhörbar, quer über den Lagerplatz zu unserer Behausung, so schnell, dass ich ihm kaum folgen konnte. Es gehörte schon eine Menge Kraft dazu, einen ausgewachsenen Mann auf diese Weise zu tragen, und das konnte nur einer von der Statur eines Emery Bothwell fertigbringen!
 

Kurz darauf betraten wir mit unserem dritten Gefangenen unser Tipi und ernteten für unseren Fang bewundernde Blicke von Sam Hawkens, der sich sofort daran machte, auch diesen schnellstmöglich in Fesseln zu legen, nachdem Emery Thomson ebenfalls ohne irgendwelche Rücksicht einfach zu Boden hatte krachen lassen.

Wir hatten bei unserer Befreiung einen Teil der Stricke, mit denen wir gebunden worden waren, so durchtrennt, dass sie notfalls noch weiter zu gebrauchen waren, aber jetzt stellte sich heraus, dass es nicht reichen würde, um auch noch Thomson vernünftig und sicher zu binden. Also musste Sam einige Fesseln von Motawateh und dem anderen Kiowa wieder lösen und erreichte damit, dass alle drei Gefangenen nun an Händen und Füßen stramm gefesselt waren, allerdings nicht, wie vorher geplant, auch noch an den Pfählen befestigt werden konnten, an denen zuvor wir drei noch am Tage gebunden gewesen waren.
 

Leider zeigte ich selbst nicht genügend Interesse an der Festnahme der Verbrecher, sondern kümmerte mich lieber um meinen Winnetou. Aber ob ich an den kommenden Geschehnissen noch etwas hätte ändern können? Hätte ich sie vorausahnen können, nein, sogar vorausahnen müssen? Ich weiß es nicht, ich weiß nur, dass Sam unsere Gefangenen äußerst umsichtig gebunden hatte und sie jetzt mit höchster Aufmerksamkeit bewachte. Er hätte sie auch gar nicht besser fesseln können, denn mehr unversehrte Stricke waren einfach nicht vorhanden.

Meine Anwesenheit bei meinem Freund war aber auch durchaus vonnöten, denn ihm ging es alles andere als gut. Von seiner vormals schönen bronzenen Hautfarbe war, zumindest im Gesicht, fast nichts mehr zu sehen, er war aschfahl, nur einige rötliche Flecken deuteten darauf hin, dass der Apatsche zusätzlich zu seinen blutenden Verletzungen unter hohem Fieber litt. Seine Atmung war flach, sein Puls ging langsam und war kaum spürbar, die Haut des Oberkörpers war großflächig von Blut und Schweiß bedeckt.

Ab und zu wurde er von einem heftigen Schüttelfrost überwältigt, so wie jetzt in diesem Moment, und ich zog ihn deshalb sofort behutsam in meine Arme, um ihn so gut wie möglich zu wärmen.

Durch meine Berührungen beruhigte sich das Zittern etwas, und nun schlug mein Freund seine Augen auf. Sein Blick – dieser unvergleichliche Blick voller Liebe für mich, aber jetzt auch voller Schmerz, voller Erschöpfung, gleichzeitig aber auch erfüllt mit Zuversicht, Vertrauen und Hoffnung – dieser Blick aus seinen unendlich schwarzen Sternenaugen traf mich bis ins Mark. Ohne auch nur ansatzweise darüber nachzudenken, küsste ich ihn auf die Stirn und drückte ihn ganz vorsichtig an mich, strich ihm dabei immer wieder liebevoll über sein gequält wirkendes Antlitz. Er lehnte seinen Kopf an meine Brust, und das war jetzt ein Moment, in dem keine Worte nötig waren. In diesem Augenblick gaben wir uns gegenseitig Halt und Kraft; ich schenkte ihm Trost und Linderung, er mir Mut und die Zuversicht, dass wir das Ganze ohne weitere Verluste überstehen würden.

Emery kniete jetzt an unserer Seite und begann, Winnetou so viel Wasser wie möglich einzuflößen, und dieser tat auch trotz seiner großen Schwäche, was man von ihm verlangte. Ich hielt ihn derweil weiter fest umschlungen, und somit gönnten wir uns noch ein paar Minuten der Ruhe, um Kraft zu gewinnen für das Kommende.
 

Dann aber wurde es Zeit – und damit endgültig ernst. Jetzt würde sich herausstellen, ob unser Plan gut genug durchdacht war, um eine Flucht ohne Verlust von Leib und Leben oder auch nur unserer Besitztümer zu ermöglichen! Widerwillig löste ich mich daher von meinem Freund, bettete ihn möglichst behutsam wieder auf den Boden und ließ dabei meinen Blick sorgenvoll auf ihn ruhen. Winnetou bemerkte natürlich meine Ängste, die ich um ihn empfand, und versuchte mich zu beruhigen, indem er mir leise, fast schon hauchend, zuflüsterte:

„Es wird alles gut gehen, mein Bruder!“, wobei er jedes Wort einzeln betonte. Ich spürte nun einen Kloß im Hals und hatte dadurch Mühe, überhaupt zu sprechen, darum nickte ich nur, ergriff dafür seine Hände, zog sie nahe zu mir und küsste sie.
 

Nun wurde es aber wirklich höchste Zeit. Ich trennte mich also endgültig von meinem geliebten Freund und stellte mich dann an die Seite von Sam, der sich am Ausgang des Tipis postiert hatte. Emery hingegen hatte die Lederbahnen, die über dem Zeltgestänge lagen, an den anderen drei Seiten etwas hochgerollt, damit er drunter durchschauen und die Umgebung draußen überblicken konnte. Jetzt lag er bäuchlings lang auf dem Boden ausgestreckt, sein Gewehr im Anschlag, um sicherzustellen, dass sich kein Roter auch nur ansatzweise dem Zelt nähern konnte, ohne dass er von dem Engländer vorher niedergeschossen werden würde.

Mit lauter Stimme ließ ich nun folgende Botschaft an die schlafenden Kiowas über das Lager erschallen:

„Die unvorsichtigen Krieger der Kiowas mögen ihre Nachtruhe kurz unterbrechen, um mich anzuhören! Hier steht Old Shatterhand! Er ist genauso wie seine Gefährten Bothwell, Sam Hawkens sowie Winnetou, dem großen Häuptling der Apatschen, wieder ein freier Mann – im Gegensatz zu eurem Anführer! Motawateh befindet sich samt Thomson und einem weiteren Kiowa in unserer Gewalt, und sie werden alle eines langsamen, qualvollen Todes sterben, sollten die roten Männer nicht auf unsere Bedingungen eingehen!“
 

Nach einem kurzem Überraschungsmoment erfolgte dann die Antwort, sie bestand aus einem lauten, kriegerischen Geheul, das hier und da unterbrochen wurde von einigen verwunderten Ausrufen. Überall tauchten jetzt aus der Dunkelheit halbbekleidete Rote mit teils erschrockenem Gesichtsausdruck auf, die sich in einem kurzen Abstand vor dem Zelt versammelten. Ich hatte inzwischen Motawateh äußerst unsanft wieder auf die Füße gezerrt und zum Zeltausgang geschleift, damit sich die Kiowas von der Wahrheit meiner Worte überzeugen konnten.

Als sie ihren Anführer erkannten, brachen sie erneut in ein schauriges Kriegsgeheul aus, aber mit lauter Stimme unterbrach ich die Rothäute sofort wieder. Vorher hatte ich die Männer schnell durchgezählt und festgestellt, dass alle zwanzig im Lager anwesenden Krieger sich auch jetzt vor dem Zelt eingefunden hatten – mit Ausnahme der beiden von Emery überwältigten Pferdewächter - also mussten wir nicht befürchten, dass sich irgendjemand von hinten anschleichen und uns hinterrücks angreifen würde.
 

Jetzt übertönte ich nochmals das Geschrei der feindlichen Indianer mit den Worten:

„Die Krieger der Kiowas mögen Ruhe bewahren und sich nicht wie kleine Kinder benehmen! Sie können nun unschwer erkennen, dass ich vorhin die Wahrheit gesprochen habe und sich ihr Häuptling tatsächlich in unserer Gewalt befindet! Damit ihm nichts geschieht, sollten die roten Männer schnell auf folgende Bedingungen eingehen: Ich fordere freien Abzug für mich und meine Gefährten samt unseren Pferden, unseren Waffen und all den anderen Besitztümern, die sich noch bei den Kiowas befinden! Außerdem werdet ihr selber all eure Waffen an uns ausliefern! Solltet ihr darauf nicht eingehen, wird Motawateh hier vor euren Augen sterben, aber langsam und qualvoll, so wie er es für uns angedacht hatte! Wir geben euch die Zeit, die der Weiße Mann eine halbe Stunde nennt, um euch zu entscheiden. Nach Ablauf dieser Frist gibt es für den Häuptling keine Rettung mehr, und auch die restlichen Krieger der Kiowas werden dann nicht mit dem Leben davonkommen, denn mein Zaubergewehr und die Waffen meiner Gefährten wird euch alle dahinraffen!“
 

Nach diesen Worten zogen wir uns ein, zwei Schritte ins Zeltinnere zurück, aber nur so weit, wie wir das Geschehen draußen noch überblicken konnten. Dadurch konnten wir beobachten, wie die Rothäute sich nun etwa in der Mitte des Lagerplatzes zusammenrotteten und wild gestikulierend berieten. Ich stieß jetzt Motawateh kurzerhand wieder zurück auf den Boden, da er mich während meiner Beobachtung doch nur störte.

In diesem Augenblick erklang hinter mir ein unterdrücktes Stöhnen, gefolgt von einem wütenden Knurren, denn zu mehr war Thomson, der soeben wieder erwacht war, nicht in der Lage, da er ja ebenfalls von uns geknebelt worden war. Ich drehte mich zu ihm, sah ihm ins Gesicht, und schon brodelte in mir wieder eine unglaubliche Wut, nein, beinahe schon richtiger Hass, auf diesen elenden Dreckskerl hoch, so dass ich Mühe hatte, dem Drang zu widerstehen, ihm einen saftigen Fußtritt zu verpassen.

Statt dessen trat ich auf ihn zu, setzte ein süffisantes Grinsen auf, riss ihm – auch nicht gerade sanft - den Knebel aus dem Mund und begann:

„So, Mr. Thomson – jetzt sind die Karten wohl eindeutig anders verteilt, nicht wahr?“ Ich konnte es ruhig wagen, mich auf ein Gespräch mit dem Erzschurken zu konzentrieren, da Emery weiterhin durch die hochgerollten Zeltplanen die unmittelbare Umgebung unserer Behausung im Blick hatte, ebenso wie Sam, der pausenlos den Eingangsbereich kontrollierte.
 

Statt einer Antwort überschüttete mich der Angesprochene nun mit einer Flut von so fürchterlichen Schimpfwörtern, dass es mir unmöglich ist, auch nur eines davon hier wiederzugeben. Aus seinen Augen sprach der blanke Hass, sein Gesicht war hochrot und verzerrt vor hemmungsloser Wut.

Ich hörte eine Weile ruhig zu, aber als seine Hasstirade kein Ende zu nehmen schien, versetzte ich dem Banditen kurzerhand ein paar saftige Ohrfeigen, zückte mein Messer und hielt es ihm dicht vor die Augen, bevor ich ihn anraunzte:

„Jetzt hör mir mal ganz genau zu, du dreckiger Mistkerl! Noch ein Wort – noch ein einziges Wort von dir, und ich werde deine hässliche Visage in ein noch hässlicheres Schnittmuster verwandeln, so wahr ich hier stehe!“

Thomson war vor Schreck tatsächlich verstummt und sah mich jetzt mit angstvoll aufgerissenen Augen an. Mit grimmiger Stimme sprach ich weiter:

„Ich habe einige Fragen an dich, und du wirst mir jede einzelne davon wahrheitsgemäß beantworten, verstanden? Du antwortest nur auf die Fragen, ansonsten wirst du dein widerliches Mundwerk geschlossen halten, sonst ist es um dich geschehen – ich werde dich dann töten, aber hübsch langsam, genauso wie du es mit uns und vor allem mit Winnetou vorhattest und teilweise schon damit angefangen hast! Also?“
 

Mit einer Mischung aus rasendem Zorn und Erschrecken, aber auch sichtbarer Furcht sah mich der Schurke an. Er schluckte, holte dann tief Luft und wollte wieder loslegen:

„Du verfluchter....“, weiter kam er nicht, denn schon hatte ich ihm meine Messerspitze in die Haut knapp unter dem linken Auge gedrückt und ritzte sie leicht auf. Mit mühsam zurückgehaltener Wut in der Stimme fragte ich ihn gefährlich leise:

„Nun? Soll ich weiter machen?“

„Nein!“, flüsterte er, fast schon heiser, mit zittriger Stimme: „Ich werde alles sagen, was Ihr wissen wollt!“

„Na also, es geht doch!“, lobte ich ihn ironisch, behielt aber mein Messer konstant an dem gleichen Platz, damit er nicht wieder in seine alte Verhaltensweise zurückfiel. Nun stellte ich meine Fragen:

„Wie kommt es, dass du hier bist und mit den Kiowas gemeinsame Sache machst? Wie hast du unsere Spur überhaupt gefunden, und wie konntest du uns folgen, obwohl du nach deiner Flucht während unserer Befreiungsaktion der beiden Goldsucher doch kein Pferd mehr zur Verfügung hattest?“
 

Thomsons Augen versuchten ängstlich, mein Messer im Blick zu behalten. Er sah ein, dass er wohl keine andere Wahl hatte und begann leise, zähneknirschend:

„Mein Kumpan und ich mussten damals die ganze Nacht hindurch und auch noch den folgenden Tag laufen, bis wir durch Zufall auf einen Späher Motawatehs trafen, der mit seinem Stamm auf dem Weg zum San-Juan-River war. Bis wir an seinem derzeitigen Lager angelangt waren, verging noch einmal ein ganzer Tag, da wir ja laufen mussten. Ich kannte den Häuptling von früher, wir sind sozusagen Geschäftspartner."

Ich lachte einmal kurz und spöttisch auf. Geschäftspartner! Welch eine Umschreibung für die Räubereien, die die beiden bislang durchgeführt hatten! Aber ich sagte nichts, die Mühe wäre hier völlig vergebens gewesen.

Thomson fuhr fort:

"Motawateh gab uns...“ Weiter kam er nicht, da er plötzlich vom Kiowa-Häuptling unterbrochen wurde, dem wir kurz zuvor für seine Präsentation vor seinen Kriegern den Knebel abgenommen hatten:

„Schweig, Verräter!“, zürnte dieser, wieder einmal mit dunkelroter Gesichtsfarbe als Ausdruck seiner unbändigen Wut.

„Wenn du weiter sprichst, werde ich....“

Nun wurde er selber unterbrochen, diesmal von Sam.

„Nichts wirst du!“ drohte dieser und hielt Motawateh sein Messer in genau der gleichen Weise wie ich bei Thomson unter das Auge.

„Schön ruhig wirst du dich verhalten! Sonst wirst du bald im Dunkeln tappen, und das im wahrsten Sinne des Wortes, wenn ich mich nicht irre! Nämlich dann, wenn ich dir hübsch langsam die Augen ausgestochen habe, Freundchen!“

Das half. Der Häuptling verstummte augenblicklich, nur seine blitzenden Augen verrieten, dass er außer sich vor Grimm war.
 

Thomson schwieg noch, und auch als ich ihn erwartungsvoll ansah, machte er keine Anstalten, weiter zu sprechen. Erst als ich ihm noch einmal meine Messerspitze in die Haut ritzte, platzte es förmlich aus ihm heraus:

„Motawateh stellte uns also Pferde zur Verfügung und versprach auch, uns bei der Verfolgung der Goldsucher zu helfen, doch natürlich nicht ohne Gegenleistung, und er wollte mehr als nur ihre Besitztümer dafür. Erst wussten wir nicht, was wir ihm sonst noch hätten anbieten können, aber als wir ihm von Winnetou und Euch erzählten, wurde er hellhörig und war nun auf einmal ganz erpicht darauf, Euch und die Goldsucher in seine Gewalt zu bekommen. Wir ritten also zu dem Platz zurück, wo Ihr uns überfallen hattet, konnten aber Eure Spuren nicht mehr entdecken. Doch der Häuptling wusste, dass es in der Gegend um den Ship Rock herum Goldadern geben musste, ohne jedoch genau zu wissen, wo. Auf jeden Fall kam auf einem Gebiet von mehreren Tagesreisen nur die dortige Berggegend für einen Goldfund in Frage. Also beschlossen wir, auf gut Glück hin zu reiten und hofften, Euch oder Eure Spuren irgendwo dort zu entdecken.
 

Dieses Glück hatten wir dann auch, erstens weil wir auf einen Späher eines befreundeten Kiowa-Stammes trafen, in dessen Weidegründen wir uns nun befanden und der Euch seit geraumer Zeit verfolgt und beobachtet hatte, und zum Zweiten, weil unsere eigenen Späher dann vor ein paar Tagen eine große Staubwolke in weiter Entfernung ausmachen konnten. Sie näherten sich äußerst vorsichtig diesem Ort, um die Ursache herauszufinden und entdeckten Euch bei der Büffeljagd. Am gleichen Nachmittag gelang es ihnen, Euch zu belauschen, und somit wussten wir, dass nicht nur die Goldsucher, sondern auch Winnetou zwei Tage später einen großen Reichtum mit sich führen würden. Am nächsten Tag konnten die Kiowas Euch noch einmal belauschen und erfuhren, dass Ihr Euch von den Goldsuchern trennen wolltet, nachdem Ihr die Minen ausgebeutet hattet. Motawateh beschloss, eine Schar seiner Krieger zum Überfall auf die Goldsucher abzustellen. Er selber wollte bis zum nächsten Tag warten, um dann Euch zu verfolgen. Er vermutete, dass Ihr Richtung Süden reiten würdet und wollte Euch über eine Abkürzung den Weg abschneiden, um Winnetous Gold und vor allem seiner selbst habhaft zu werden.

Dann aber ging der Überfall schief, da anstatt der Goldsucher auf einmal Ihr dort auftauchtet und nun den Spieß umgedreht hattet. Motawateh war außer sich vor Zorn und wir setzten alles daran, Euch doch noch zu erwischen, da wir die Goldsucher nicht mehr finden konnten. Irgendwie gelang es dann tatsächlich, Eure Spuren noch wiederzufinden. Wir verfolgten Euch eine Weile, und dann konnten wir Euch endlich, endlich am gestrigen Abend erfolgreich überfallen!“
 

„Ihr? Du konntest uns überfallen?“, wandte ich erbost ein. „So wie ich das sehe, hast du dich die ganze Zeit über schön im Hintergrund gehalten – zu deiner eigenen Sicherheit, während die Kiowas die Drecksarbeit für dich getan haben! Du bist nicht nur ein Ausbund an Heimtücke und Sadismus, sondern auch noch ein elender Feigling!“

Mit diesen Worten wandte ich mich angewidert ab, dann aber fiel mir noch etwas ein.

„Noch eine Sache – wo ist eigentlich dein Kumpan abgeblieben? Der mit dir nach der Befreiung der beiden Goldsucher geflohen ist?“

Thomson schluckte wieder, sann einen Moment nach und behauptete dann:

„Der hat sich nach dem versuchten Überfall auf die Goldsucher, als Ihr den Kiowas die Falle gestellt hattet, aus dem Staub gemacht – der Feigling! Wollte mit der ganzen Sache nichts mehr zu tun haben! Hatte schlichtweg Angst, dass Ihr uns jetzt den Garaus machen könntet, die feige Ratte!“

Ich sah dem Verbrecher lange scharf ins Gesicht, um herauszufinden, ob er hier wirklich die Wahrheit sagte, kam aber nicht mehr dazu, die Sache weiter zu hinterfragen, da Sam vom Eingang her rief:

„Achtung, Sir! Die Rothäute haben ihre Beratung beendet; der Unterhäuptling kommt soeben herüber!“
 

Sofort verließ ich unseren Gefangenen und begab mich an Sams Seite, nicht ohne vorher noch einmal einen Blick auf Winnetou geworfen zu haben. Dieser lag, wie schon die ganze Zeit über, mit geschlossenen Augen und flachem Atem auf dem Rücken, und sein Zustand hatte sich alles andere als verbessert. Mir kam es so vor, als ob er noch um einige Nuancen blasser im Gesicht geworden war, als ob ihm vermehrt ein Gemisch aus Schweiß und Blut am Körper herunter lief.

Mich überfiel wieder eine heftige Sorge um meinen Freund, und als ich ihn leise anrief, um mich zu vergewissern, dass er noch bei Bewusstsein war, und er mich daraufhin ansah, schien es mir, als ob auch seine Augen einen erhöhten Glanz aufgrund des Fiebers angenommen hatten. Er nickte mir jetzt mit einem schwachen Lächeln zu, um mich zu beruhigen, und ich konnte nichts anderes tun, als sein Lächeln zu erwidern, so schwer es mir auch fiel, und dann anschließend dafür zu sorgen, dass wir meinen Blutsbruder so schnell wie möglich aus dieser Hölle hier herausbekamen.
 

Ich schaute kurz aus dem Zelt heraus und sah Sam Angaben bestätigt. Einer der Unterhäuptlinge näherte sich raschen Schrittes, also packte ich mir wieder Motawateh, zerrte ihn unsanft zurück zum Eingang und präsentierte ihn dort gut sichtbar seinen Kriegern. Ich selber stand hinter ihm und hielt ihm mein Messer an die Kehle; bereit, sofort zuzustechen, sollte irgend jemand auch nur den Versuch unternehmen, uns anzugreifen.

Als der Anführer das sah, unterbrach er sofort seinen schnellen Gang und kam stattdessen mit vorsichtigen, langsamen Schritten auf uns zu, die Hände halb erhoben, um uns zu suggerieren, dass er nichts Böses im Schilde führte. Als er nah genug herangekommen war, rief ich ihm zu:

„Halt! Der Krieger der Kiowas möge stehenbleiben!“ Er befolgte den Befehl sofort und sah mich abwartend an.

„Nun?“, fragte ich ihn. „Wie haben die roten Männer entschieden? Werden sie auf unsere Bedingungen eingehen oder lieber ihren Häuptling eines fürchterlichen Todes sterben lassen?“

Der Rote warf mir einen kurzen Blick zu und sah dann seinen Häuptling unsicher an. Offenbar wusste er nicht genau, ob dieser mit seiner wie auch immer gearteten Entscheidung einverstanden war. Um noch ein wenig mehr Druck auszuüben und das Ganze zu unserem Gunsten zu beeinflussen, drückte ich Motawateh die scharfe Klinge meines Messers tief in die Haut seiner Kehle, und er reagierte sofort. Er konnte aufgrund des Messers nicht mehr nicken, also bemühte er sich, keine heftige Bewegung zu machen, als er seinem Unterhäuptling heiser zurief:

„Sikah-teh möge das tun, was das Bleichgesicht befiehlt!“
 

Dieser nickte zustimmend und wandte sich zu mir:

„Old Shatterhand mag seine Bedingungen stellen!“

Zufrieden mit unserem Erfolg lockerte ich den Messerdruck auf Motawatehs Kehle, schob ihn zur Seite in Sams Obhut und begann dann, unsere Forderungen zu stellen, die ich Stunden zuvor mit den Gefährten abgesprochen hatte: „

Die Krieger der Kiowas werden sich jetzt bäuchlings zu Boden legen, die Hände im Nacken verschränkt!“

Abwartend sah ich die Männer an, die nach kurzem Zögern meiner Aufforderung dann auch folgten.
 

Nachdem sich alle in der vorgegebenen Position befanden, begab sich Emery hinaus, schnappte sich einen brennenden Holzscheit aus dem Feuer des Wächters, welches immer noch brannte, lief damit schnell in Motawatehs Tipi und suchte dort drinnen eine Weile herum, während ich mit meinem Henrystutzen die am Boden liegenden Rothäute bewachte. Nach kurzer Zeit kam der Engländer wieder heraus, mit zufriedener Miene, denn er hatte gefunden, wonach er gesucht hatte: Eine große Menge an Lederriemen, die wir natürlich dringend benötigten, um die Kiowas zu fesseln. Wahrscheinlich hatte man diese große Menge hergestellt, um die Goldsucher zu fesseln.

Emery machte sich auch sofort ans Werk, ließ aber zwei der Männer ungebunden. Diesen beiden trugen wir nun auf, all unsere Besitztümer zusammenzusuchen und herzubringen, und zwar vollständig. Das dauerte natürlich eine ganze Weile, denn die Roten hatten die Gegenstände schon längst unter sich aufgeteilt, daher mussten sie aus sämtlichen Satteltaschen und Lederbeuteln wieder zusammengetragen werden.

Während dieser Zeit glaubte ich, eine Bewegung Motawatehs aus meinen Augenwinkeln heraus wahrzunehmen, sah mich deshalb auch sofort nach ihm um, konnte aber nichts Ungewöhnliches feststellen. Er stand weiterhin an Sams Seite, an Händen und Füßen gefesselt, und wurde von dem kauzigen Westmann scharf im Auge behalten. Allerdings war es nicht zu vermeiden, dass auch Sam Hawkens ab und zu einen Blick nach draußen warf, um die Tätigkeiten der beiden Krieger zu überwachen und sicherzustellen, dass die gefesselten Männer keinen Befreiungsversuch unternahmen.
 

Gut eine Viertelstunde später befanden sich unsere Sachen wieder vollständig in unserem Besitz, selbst von Winnetous Nuggets fehlte nicht einer, und Emery machte sich jetzt daran, die beiden Überbringer ebenfalls zu fesseln. Ich überließ die Überwachung der Gefangenen Sam Hawkens und bemühte mich währenddessen, unsere Besitztümer so schnell wie möglich in unseren Satteltaschen zu verstauen, nachdem ich unsere Pferde bis an die Zelte geführt und in fliegender Hast gesattelt hatte.

Als der Engländer seine Arbeit beendet hatte, machte er sich nun daran, die Waffen der Feinde unbrauchbar zu machen und begab sich anschließend zu ihren Pferden, um sie weit auseinanderzutreiben, ausgenommen natürlich Motawatehs und Thomsons Gäule, so dass die Tiere von den Kiowas erst mühsam wieder eingefangen werden mussten, bevor sie unsere Verfolgung aufnehmen konnten – falls es ihnen gelingen sollte, sich von ihren Fesseln zu befreien.

Doch nun geschah etwas, was unseren Plan stark ins Wanken und Winnetou in allerhöchste Todesgefahr brachte! Sam berichtete uns später, wie genau sich Folgendes zugetragen haben musste, da Emery und ich uns ja außerhalb des Zeltes befanden und nichts mitbekommen hatten.
 

Motawateh hatte sich während der ganzen Zeit, in der er mit Sam im Eingangsbereich des Tipis stand, Millimeter um Millimeter zurückgezogen, so dass er am Ende etwas hinter seinem Bewacher zum Stehen kam, der diesen vorsichtigen Rückzug nicht bemerkt hatte, da er ja auch die Gefangenen auf dem Lagerplatz beobachten musste. Ebenfalls nicht bemerkt hatte mein einstiger Lehrer aber schon vorher die Abwärtsbewegung des Häuptlings, die ich aus den Augenwinkeln zu sehen geglaubt hatte. Motawateh hatte nämlich kurz zuvor mein kleines Taschenmesser entdeckt, mit dem Winnetou mich anfangs losgeschnitten hatte und welches Emery dummerweise einfach liegen gelassen hatte, nachdem er Sam befreit hatte. In der ganzen darauffolgenden Hektik hatte aber niemand von uns mehr auf das Messer geachtet, welches wahrscheinlich auch von herumliegenden Gegenständen halb verdeckt worden war.

Dem Kiowahäuptling war es nun gelungen, sich diesem Taschenmesser äußerst vorsichtig zu nähern, das zu seinem Glück auch noch in seiner Nähe lag, und mit der kurzen Abwärtsbewegung konnte er vorhin die kleine Waffe tatsächlich ergreifen.

Als er nun so halb hinter Sam stand, nutzte er einen Moment der Unaufmerksamkeit des kleinen Westmannes, in dem Sam von den Geschehnissen auf dem Platz vor dem Tipi gebannt wurde, beugte sich wieder schnell hinunter und zerschnitt zuerst seine Fußfesseln, um einen sicheren Stand zu bekommen, den er für sein kommendes Vorhaben dringend benötigte.
 

Nun machte er sich daran, seine Handfesseln zu durchtrennen, was mit zusammengebundenen Handgelenken aber äußerst schwierig war und einige ruckartige Bewegungen seiner Arme zur Folge hatte. Eine von diesen Bewegungen wurde jetzt aber doch von Sam bemerkt, der sich sofort umdrehte und dem Häuptling Einhalt gebieten wollte. Dieser aber reagierte geistesgegenwärtig, fuhr seinen Ellenbogen aus und traf damit Sam so unglücklich an der Schläfe, dass diesem kurzzeitig die Lichter ausgingen.

Dann ging alles rasend schnell.
 

Innerhalb von Sekunden gelang es Motawateh, sich vollständig von seinen Fesseln zu befreien, woraufhin er sich sofort auf Thomson stürzte, um auch diesen von seinen Banden zu erlösen; wahrscheinlich hätte er anschließend auch den anderen Kiowa befreit. Er mochte sich wohl sagen, dass sie zu dritt eine größere Chance hatten, uns zu entkommen, obwohl er seinen weißen Kumpan zuvor noch als „Verräter“ tituliert hatte. Emery und ich bemerkten von alledem nichts, da ich noch damit beschäftigt war, unsere Satteltaschen zu packen, während der Engländer weiterhin die Pferde der Kiowas auseinandertrieb.

Es gelang dem Häuptling allerdings nur, die Fußfesseln des Verbrechers zu durchtrennen, denn jetzt wurde er von einer Seite angegriffen, von der er überhaupt nicht mehr mit Widerstand gerechnet hatte.
 

Winnetou hatte nämlich alles mitbekommen, obwohl er sich teilweise schon am Rande der Bewusstlosigkeit befand. Trotz seines schlechten Zustandes zwang er seinem geschwächten Körper noch einmal seinen Willen auf, ergriff das Messer des Kiowa-Häuptlings, welches ich zu seiner Verteidigung bei ihm liegen gelassen hatte, warf sich dann mit voller Wucht auf Motawateh - und nun begann zwischen den beiden Häuptlingen ein Ringen auf Leben und Tod!

Unverletzt wäre es für meinen Freund natürlich ein Leichtes gewesen, den Schurken innerhalb kürzester Zeit zu überwinden, so aber brachte er sich in höchste Lebensgefahr, denn eigentlich war ihm der Kerl im Moment verständlicherweise weit überlegen.

Zu seinem Glück griff Thomson nicht in das Geschehen ein. Dieser sah offenbar keine Möglichkeit mehr, sich von seinen Handfesseln zu befreien, also suchte er lieber sein Heil in der Flucht und rannte, so schnell er konnte, aus dem Zelt, wahrscheinlich um sich ein Pferd zu suchen und seine Chancen damit deutlich zu erhöhen.

Erst durch diese Flucht wurde mir bewusst, dass irgend etwas nicht stimmte. Ich blickte zu unserem Zelt herüber und sah zu meinem Entsetzen Winnetou unter Motawateh liegen, der meinem Freund schon das Messer entwunden hatte und nun zornig wieder und wieder versuchte, ihm die Klinge in den Leib zu stoßen.
 

Gerade wollte ich Winnetou zu Hilfe eilen, der alle Mühe hatte, Motawateh vom tödlichen Stich abzuhalten, doch im gleichen Moment konnte ich erkennen, dass meinen Freund eine solche Wut über den verbrecherischen Häuptling erfasst hatte, dass er dadurch in der Lage war, seine Kraftlosigkeit einmal mehr zu überwinden und nun damit begann, seinerseits auf den Kiowa einzudringen. Aber wie lange würde er das noch durchhalten?

Ich saß in der Zwickmühle: Sollte ich ihm zu Hilfe kommen oder doch lieber Thomson verfolgen, den ich unbedingt in meine Gewalt bekommen wollte, um ihn seiner gerechten Strafe zuzuführen und dadurch gleichzeitig Winnetou endgültig vor ihm zu schützen? Natürlich entschied ich mich für meinen Freund; ich konnte nun wirklich froh sein, wenn es mir noch gelang, ihn lebend nach Hause zu bringen, da durfte ich jetzt auf keinen Fall auch nur das geringste Risiko eingehen.
 

Leider hatte ich einen Moment zu lange gezögert. Motawateh war es abermals gelungen, Winnetou zu Boden zu drücken; er lag halb auf ihm, sein Gesicht war verzerrt von Hass, er geiferte wie ein Jagdhund, und sein Messer senkte sich langsam, aber sicher in Richtung des Halses meines Freundes. Dieser hielt das Handgelenk seines Todfeindes umklammert und bemühte sich nach Kräften, die drohende Gefahr abzuwenden, aber seine große körperliche Schwäche machte sich jetzt mit aller Deutlichkeit bemerkbar. Er würde diesen Kampf nicht gewinnen können, das war von meinem Standpunkt aus zu meinem Schrecken klar zu erkennen. In höchster Eile sprang ich den beiden entgegen, doch die Messerspitze Motawatehs hatte den Hals meines Blutsbruders schon erreicht; ich würde unweigerlich zu spät kommen! Der Kiowa stieß ein siegessicheres Lachen aus und machte sich bereit für den letzten tödlichen Stoß.

Ich schrie auf vor Panik und Angst, erhöhte meine Geschwindigkeit nochmals, und dann, plötzlich, begann der Körper des Kiowa-Häuptlings zu zucken, bäumte sich kurz auf, sein Gesicht drehte sich dabei etwas in meine Richtung, die Augen waren erfüllt von irrem Hass - aber da war noch etwas anderes zu sehen: Todesangst, nein, die Gewissheit des Todes... Ein Blutstrom quoll aus seinem Mund, das Messer fiel ihm aus der Hand und dann brach der Körper der mörderischen Rothaut leblos über meinen Freund zusammen.
 

Doch auch Winnetou bewegte sich nicht mehr, beide Indianerhäuptlinge lagen da wie tot. Winnetou!? Das durfte doch jetzt nicht wahr sein! Mit einem wahren Hechtsprung war ich jetzt an seiner Seite angelangt, packte Motawatehs Körper an Hüfte und Schulter und warf ihn einfach beiseite.

Winnetou lag mit geschlossenen Augen regungslos da, und gerade wollte ich ihn in meiner blanken Panik schütteln, um ihn irgendwie wieder zum Leben zu erwecken, da bemerkte ich seine unregelmäßigen, krampfhaften Atemzüge, und ich weiß nicht, ob ich jemals solch eine Erleichterung verspürt hatte wie jetzt, in diesem Augenblick. Und nun sah ich auch das kleine Taschenmesser – mein Taschenmesser – in seiner Hand, das Motawateh nach dem Durchschneiden von Thomsons Fußfesseln aufgrund Winnetous unerwarteten Angriffs einfach fallen gelassen hatte und welches meinem Freund während des Kampfes wohl zufällig in die Hände geraten war - er hatte damit im buchstäblich letzten Moment das Herz Motawatehs durchstoßen.

Einer von Winnetous ärgsten Widersachern war nun von ihm getötet worden, aber dieser Kampf hatte den Apatschen alles an Energie gekostet, was noch in ihm war. Jetzt hatte mein Freund tatsächlich das Bewusstsein verloren, und dadurch verschlechterte sich unsere Situation natürlich um ein Vielfaches.
 

Thomson war frei, und wir mussten damit rechnen, dass er uns hinterrücks wieder angreifen und sich an uns rächen würde – außerdem war da ja noch das Gold, und die Gier danach würde ihn wohl nicht eher loslassen, bis er es sein Eigen nennen konnte!

Zudem stellte sich die Frage, ob mein Freund in seinem desolaten Zustand überhaupt noch transportfähig war. Wenn, dann würde es ein ganz langsamer und vorsichtiger Ritt werden, wodurch unseren Feinden natürlich alle Möglichkeiten gegeben wurden, unsere Verfolgung aufzunehmen - denn das Thomson die Kiowas befreien würde, sobald er die Gefahr durch uns gebannt sah, war so gut wie sicher!
 

Verzweifelt kniete ich mich an die Seite meines Blutsbruders und ergriff seine Hände. Wie sollte es jetzt nur weitergehen?



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Onlyknow3
2015-10-25T22:17:25+00:00 25.10.2015 23:17
Ja wie, würde Winnetou den anstrengenden Transport überstehen? Wird er es schaffen, so wie er es gesagt hat, oder würden sie nicht nur um sein Leben kämpfen müssen sondern auch noch mit Thomson und den Kiowas.
Vielleicht aber würde die sich auf kein weiteres Geschäft mit diesem einlassen nach dem sie ihren Häuptling verloren hatten.
Mach weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3
Antwort von:  Anmiwin
25.10.2015 23:34
Hallihallo!

Das war gerade lustig - in dem Augenblick, als ich auf meine Startseite gehe, klickt mein Nachrichten-Logo von 0 auf 1....
Aber wie schön, dass du weiterhin dabei bist! Mit deinem vorletzten Kommentar hast du mich besonders berührt - ich wollte eigentlich niemanden zum Weinen bringen, aber andererseits tut es so gut zu lesen, dass es Leser gibt, die so sehr mit der Geschichte mitgehen!
Ich hoffe, die Kapitel kommen für dich in einem annehmbaren Abstand - wenn ich mehr Zeit dazwischen lassen soll, dann gib bitte einfach Bescheid!

Liebe Grüße und bis bald

Anmi


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