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24 Farben der Liebe

Adventskalender 2015
von

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23. Türchen: Herz

Der Tag vor Heiligabend. Die Zeit des Jahres, auf die sich Theresa schon das ganze Jahr gefreut hatte. Das erste Weihnachtsfest, das sie mit Gabriel zusammen verbringen würde. Alles musste perfekt sein.

Immer wieder lief sie durch das Haus, kontrollierte die Sauberkeit, rückte hier und dort eine Kerze gerade. Heute Abend würden Gabriels Eltern kommen, und sie war schon mächtig aufgeregt, denn sie kannte sie noch gar nicht.
 

Daher hatte sie auch zwei Tage lang aufgeräumt, gesaugt und geputzt und das Haus dekoriert wie eine Wilde.

Gabriel, eigentlich ein Weihnachtsmuffel, hatte sich am Ende doch überreden lassen, mit ihr den Baum zu schmücken, mit Lametta, Strohsternen und einer Lichterkette. Bis sie die endlich drauf gehabt hatten!

Ach, wie schön der Baum dastand und wie herrlich er roch! Vorfreude, wie damals als Kind machte sich in ihr breit.
 

Fehlte nur noch Gabriel. Sie hatte ihn noch mal schnell zum Einkaufen zum Supermarkt um die Ecke geschickt, denn sie hatte nicht an Servietten gedacht. Was sollte ihre Schwiegermutter in spe von ihr denken, wenn keine Servietten da waren! Es waren immer die kleinen Dinge, die man vergaß… Und Kleinigkeiten, die den Gesamteindruck zunichte machten. Für den ersten Eindruck gab es nun mal keine zweite Chance.
 

Sie hatte ein Drei-Gänge-Menü vorbereitet, rührte noch mal die Gemüsesuppe um – vorsichtig, damit sie ihre Klamotten nicht bekleckerte. Als Nachtisch würde es Gabriels berühmt-berüchtigte Mousse au Chocolat geben.
 

Aber wann kam er denn endlich zurück? Nun war schon eine halbe Stunde vergangen! Ob sie im ganzen Supermarkt keine Servietten mehr hatten und er woanders danach suchen musste? Nicht mal sein Handy hatte er mitgenommen.

Um sich abzulenken, und weil es ihr einen Ticken zu still war, legte sie die Weihnachts-CD in den Player.

Die Töne von Last Christmas erklangen und sie sang fröhlich mit: „Last Christmas, I gave you my heart, but the very next day…“
 

Dieses Lied war ihre Hymne; das Lied von Gabriel und ihr. Heute vor einem Jahr hatten sie sich kennengelernt. Ausgerechnet durch Lucius, ihren Ex, auf jenem Benefiz-Ballabend. Sie, ihr Haar zu Locken gedreht und ein rückenfreies Kleid an, schüttelte Gabriels Hand. Ein Bekannter von Lucius. Noch vor Mitternacht tanzten sie zusammen. Und küssten sich. Es hatte gefunkt; war Liebe auf den ersten Blick.

Lucius war ab diesem Moment vergessen. Sie hatten eh nicht wirklich zusammengepasst, außerdem kam manchmal eine Seite in ihm zum Vorschein, die ihr Angst machte. Gabriel jedoch, der hatte ihr verkümmertes Feuer wieder zum Lodern gebracht…
 

Theresa lächelte vor sich hin. Mit Gabriel hatte sie wirklich jemanden fürs Leben gefunden. Einen der wirklich zu ihr passte. Ihre zweite Hälfte.
 

Jetzt läutete es an der Tür. Oh Gott! Die Eltern standen vor der Tür, und Gabriel war noch nicht da! Theresa zupfte sich im Flurspiegel die Klamotten zurecht, dann ging sie zur Tür.

Vor dem Eingang war das Licht angegangen, doch es war niemand zu sehen. Keine Menschenseele weit und breit.
 

„Gabriel?“, fragte sie laut.

Keine Antwort. Fast wollte sie die Tür schon wieder schließen, fest davon überzeugt, dass es ein Klingelstreich von Kindern gewesen war.
 

Dann bemerkte sie diesen einsamen, silbernen Metallkoffer auf dem Teppich vor der Tür. Eine breite rote Schleife war auf diesem befestigt.
 

„Was ist das denn? Ein Geschenk?“ Neugierig bückte sich Theresa und hob ihn auf. Schwer war er nicht. Sie trug ihn ins Haus und machte die Tür hinter sich zu. Auf den Esszimmertisch abgelegt, zog sie die Schleife ab und öffnete die Schnallen.

Auf einer braunen Pappschachtel lag ein Kuvert, ein Brief, der unverschlossen war und auf dem nichts geschrieben stand. War das ein Scherz von Gabriel?
 

Theresa fingerte das Blatt heraus, faltete es auseinander und las die feinsäuberliche, regelmäßige Handschrift, die in schwarzer Tinte geschrieben war und ihr vage bekannt vorkam:
 

Letzte Weihnachten schenkte ich dir mein Herz

Doch du hast es nicht wirklich verdient

Dieses Jahr, meine Liebste, um mich zu trösten,

für dich ein Herz von jemand ganz Besonderem!

Was hatte das zu bedeuten? War es tatsächlich Lucius, der ihr geschrieben hatte? Diese Handschrift konnte nur von ihm stammen.

Ein ungutes Gefühl machte sich in ihr breit, und fast schon widerwillig hob sie den Deckel des Stülpkartons an.
 

Ein markerschütternder, nicht enden wollender Schrei gellte durch die friedliche Nachbarschaft.
 

Theresas Atem ging flach. Sie war gelernte Krankenschwester, doch das hier war zu viel des Guten. Sie musste sich auf den Teppich übergeben.

Trotzdem musste sie wieder hinschauen, auf das morbide Grauen, das sich ihr bot.

Es zog ihren Blick wie magnetisch an und würde sie noch jahrelang verfolgen, bis in ihre Träume.
 

Auf Eiswürfel gebettet wie Versandhändler ihre Waren in Füllmaterial betteten, lag ein dunkelrotes, faustgroßes Organ. Ganz frisch. Feine blaue Äderchen durchzogen die Oberfläche und die Aorta war säuberlich mit einem scharfen Messer durchtrennt. Vor Minuten hatte es sicher noch geschlagen, diese kerngesunde, junge, menschliche Herz…
 

„Du gottverdammter Mistkerl“, flüsterte Theresa.
 

Nein, sie wollte nicht raten, von wem dieses Herz stammte!

Sie wollte nicht mal in Erwägung ziehen, dass in ein paar Minuten Gabriels Eltern auf der Matte standen, und sie ihnen erklären müsste, dass ihr Sohn jetzt irgendwo mit einem klaffenden Loch in der Brust im Dreck lag, weil sie ihn zum Einkaufen geschickt hatte. Von Servietten. Und er unterwegs seinem alten Kumpel, ihrem teuflischen, sadistischen Ex, in die Hände geraten war. Lucius, wer denn sonst. Der hatte immer schon alles wörtlich genommen, und vor allem persönlich.

Und geilte sich nun an dem Gedanken auf, dass er ihr das Weihnachtsfest und ihr Lieblingslied für immer versaut hatte.



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