Zum Inhalt der Seite

24 Farben der Liebe

Adventskalender 2015
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

15. Türchen: Alleinerziehend

Johanna trug ihre Haare heute in eleganten Wellen. Vereinzelte Strähnen ihrer roten Naturhaarfarbe schimmerten durch die schwarze Tönung hindurch, als trotzten sie der Chemie und somit auch dem Willen ihrer Besitzerin. Das gefiel mir; zeigte es, dass gegen die Natur eben nichts ankam.
 

„Ich mit einer anderen Frau in der Küche – nie hätte ich geglaubt, dass das so harmonisch sein kann wie mit dir“, gestand Johanna, die am Herd stand, während ich auf der anderen Seite der Arbeitsfläche mit dem Kurbeln ihrer selbstgemachten Nudeln beschäftigt war. Und ab und zu ihr herüber sah. Denn ihre leidenschaftlichen, fast schon feenhaft anmutenden Bewegungen faszinierten mich. Darin lag so viel Liebe und Achtung, egal ob sie Zwiebeln schälte oder eine Dose Mais öffnete. Jedes einzelne Pfefferkörnchen in der Pfeffermühle, mit der sie jetzt hantierte, schien sie zu ehren.
 

Mit einer anderen Frau in der Küche… Ich wusste selbst nicht, wieso ich in Gedanken „Küche“ mit „Bett“ austauschte und dabei einen warmen Schauer spürte. Mich für eine Sekunde nicht mehr nur als Mutter fühlte. Als hätte ich meinen Sohn Joel für diesen Augenblick vergessen. Mit Johannas Sohn Finn, der sein bester Freund war, spielte er in dessen Kinderzimmer. Beide würden nächstes Jahr zusammen eingeschult werden.
 

„Weil weißt du, ich kann nicht mal mit meiner Mutter in ein und derselben Küche stehen, das gibt bloß Stress und Streit.“ Sie lachte und warf mir über die Schulter ein Lächeln zu. „Maria, die Tomatensoße… wie findest du sie?“ Sie hielt mir einen Löffel zum Probieren hin, und ich kostete davon.

„Zucker. Und Basilikum. Außerdem eine halbe, gewürfelte Karotte“, verriet ich ihr. „Meine Oma…hach, die konnte kochen, für ihre Pasta würde man sterben wollen.“

Wir kicherten.

„Aber du könntest mir mal eben helfen, Johanna… Mit dieser Nudelwalze. Da geht echt überhaupt nichts, das fühlt sich an, wie eingerostet.“

„Lass mal sehen“, meinte meine Gastgeberin und nahm die Kurbel in die Hand. „Du hast Recht…Wie peinlich! Nnnnggh!“, gab sie schnaubend von sich, ohne einen Erfolg zu erzielen.
 

Wir rackerten uns zu zweit an dieser Maschine ab, während sich die Nudelteigmasse nur behäbig langsam durch die Walzen bewegen ließ. Unsere Daumennägel wurden schon weiß vor Anstrengung.

Zwischen meinen Haarspitzen zog Johannas heißer Atem hindurch wie Wind durch Grashalme. Ich realisierte erst jetzt, als man den Abstand zwischen uns nicht mehr Abstand nennen konnte, wie gut sie sich anfühlte. Und wie gut sie roch – nicht ihr fruchtiges Parfüm, sondern sie persönlich.
 

Ich blickte von der Kurbel, wo der Druck von Johannas Händen sichtbar nachgelassen hatte, ihre bebenden Schultern entlang hoch zu ihr. Traf ihren Blick. Interpretierte ihn richtig.

In der nächsten Sekunde lachten wir beide aus vollem Hals los. Die Augen zugekniffen, den Mund aufgerissen und jeden Muskel unserer Körper in Anspruch nehmend, so unbeschwert wie junge Frauen, denen die Bürden der Alleinerziehenden noch in weiter Ferne lagen.
 

Jeder Außenstehende würde uns sicher für verrückt erklären, weil wir ohne ersichtlichen Grund vor Lachen beinahe weinten, und allein durch diesen Gedanken musste ich noch mehr lachen.

Beide rangen wir um Fassung und steckten uns aber immer wieder gegenseitig mit Lachstakkatos an.
 

„So gelacht“, sagte ich atemlos und wischte sich Tränen aus dem Augenwinkel, „habe ich schon ewig lange nicht mehr!“

„Vergiss das Essen. Ich habe Bauchschmerzen.“

„Hoffentlich ist deine Knoblauchpresse nicht auch so eingerostet…“

Doch mit etwa Fett behob sie das Problem und ich konnte meine Nudeln walzen, während wir uns weiter unterhielten. Von unsinnigen Haushaltsgeräten und Männern die sie erfanden, und von den Männern allgemein, kamen wir schließlich auf unsere Söhne zu sprechen.
 

„Ehrlich gesagt. Wenn ich gewusst hätte, dass Ben sich aus dem Staub macht und ich das mit Finn ganz allein stemmen muss – ich hätte nie ein Kind bekommen, das kannst du mir glauben! Männer...“ Sie verdrehte die Augen. „Männer werden nie erwachsen, habe ich festgestellt. Sobald ihre eigene Mutter keine Lust mehr hat, holen sie sich eine Frau, die dann deren Aufgaben erledigt: Ihm Mut zusprechen, hinter ihm aufräumen, für ihn kochen und das Haus in Glanz erstrahlen lassen. Und die Verantwortung für ihn zu übernehmen, ihn an seine Termine erinnert... Ich fasse es nicht, wie viele Frauen so etwas mitmachen. Seit mir dieser Gedanke gekommen ist, kann ich Männer nicht mehr so ansehen wie früher.“

„Da ist viel Wahres dran“, pflichtete ich ihr bei.

„Du warst nicht verheiratet, oder?“

„Nein, verheiratet waren wir nie, Peter und ich. Ich … war die heimliche Geliebte, fünfzehn Jahre jünger als seine Frau, und er hat sich natürlich für sie entschieden“, gestand ich. „Vielleicht ist es besser so. Das hat mir ohnehin zu schaffen gemacht – dieses Gefühl, als betrüge ich zwei Menschen auf einmal. Er wollte auch gar nicht, dass ich Joel behalte“, sagte ich mit Bitterkeit in der Stimme. „Ich musste mich entscheiden – zwischen Peter und dem Ungeborenen! Aber weißt du, am Ende hätte ich gar nichts gehabt, das war mir irgendwie klar. Jetzt habe ich wenigstens Joel. Ich mag vielleicht nicht zur Ehefrau taugen, aber ich bin allemal eine gute Mutter!“

Ohne meinen Sohn hätte ich niemals diese tolle Frau kennengelernt, wurde mir bewusst. Wer sonst verstand genau, wie ich mich fühlte und was ich durchmachte?
 

Ich sprach nicht mehr weiter, denn in diesem Moment berührte Johanna mich; ihre kleine Hand mit den spitzen Fingernägeln lag plötzlich auf meiner eigenen. Diese Berührung brachte mich fast zum Explodieren. Alles zog sich in mir zusammen.

„Vielleicht …“, sagte sie mit ihrem Lächeln, das ich so an ihr mochte, „sollten wir öfters mal zusammen kochen? Nächstes Mal eine Pizza nach dem Rezept deiner Oma, und unsere Jungs sollen tatkräftig mithelfen.“

„Super Idee!“

„Maria…“

Johanna nahm die Hand von meiner, um mein Gesicht zu berühren, meine dunklen Haare beiseite zu streichen und mir tief in die Augen zu schauen. „Weißt du, was mir ehrlich gesagt am meisten fehlt, als Single? Kann sein, dass ich da auch eingerostet bin“, hauchte sie. Und schloss die Augen während sie gleichzeitig den Abstand unserer Lippen verringerte, deren alleiniger Anblick mir ein Kribbeln einjagten. Dieser Kuss war nur eine Frage der Zeit gewesen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück