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24 Farben der Liebe

Adventskalender 2015
von

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9. Türchen: Tannenbaum

Ich saß im Auto von der Arbeit nach Hause, als ich bemerkte, dass der Christbaumverkauf auf dem Parkplatz des Supermarktes geöffnet hatte, und parkte dort.
 

Heute konnte man den Schnee förmlich riechen in der Luft. Wenn ich das sagte, lachen mich die Leute oft aus. Aber dann erwidere ich, dass sie sich den Geruch, wenn Schnee liegt, nicht tief genug einprägen, um ihn wiederzuerkennen, bevor der Schnee fällt. Oberflächliche Leute halt.
 

Schon von Weitem sah ich die Spitze eines Baumes, der über die anderen ragte. Im Näherkommen bewunderte ich seinen kerzengerade gewachsenen Stamm und die dichten Zweige. Ich kannte mich mit Bäumen nicht aus, aber dieser hier erschien mir als ein besonders prachtvolles Exemplar. Einmal umrundete ich ihn, sog mit geschlossenen Augen diesen unverwechselbaren Duft ein, der mich an glückliche Feiertage mit der Familie erinnerte.
 

„Dich nehme ich!“, beschloss ich. Glücklich darüber, schon so früh gekommen zu sein, damit mir auch niemand diesen Baum wegschnappte.

„Der soll es sein!“, hörte ich eine Männerstimme hinter mir sagen, mit erschütternder Bestimmtheit in der Stimme. Mit dem Verkäufer trabte er auf mich und meinen Baum zu, sein grauer Wollmantel wehte hinter ihm her.

„Nichts da. Ich habe mich soeben entschlossen, ihn zu kaufen!“, entgegnete ich und starrte ihn finster an.

„Ich habe ihn zuerst gesehen“, entgegnete der Mann mit gereckter Brust. Er war etwa in meinem Alter, hatte ein spitzes Kinn, einen gepflegten Drei-Tage-Bart und eine interessant geschwungene Nase. Seine gescheitelten Haare trugen den Farbton von Vollmilchschokolade – mit Sicherheit gefärbt! – ebenso wie seine Augen, und fielen ihm in Föhnwellen nach hinten bis aufs Ohr, wobei sie eine hohe Stirn präsentierten.

Er schien ein typischer Gewinnertyp zu sein; diese unerträglichen Supertypen, denen aus unerklärlichen Gründen alles zuzufliegen scheint: Geld, gutes Aussehen, Erfolg, Frauen. Christbäume…
 

„Ich will ihn viel mehr, als Sie ihn wollen“, entgegnete ich trotzig. „Und er hat mich als Besitzer auserkoren. Sehen Sie? Die Spitze zeigt sogar in meine Richtung!“ Nun, ehrlich gesagt, der Wind blies in diesem Moment ziemlich günstig.

Der Mann zog seine eine Augenbraue so weit er konnte Richtung Haaransatz, und betrachtete mich abschätzend. „Gut, Sie sollen Ihre Chance bekommen. Mann gegen Mann.“

Auf mein Stirnrunzeln griff er in seine Tasche und holte eine kleine Blechbüchse heraus. „In einem Kartenspiel.“ Und zu dem Verkäufer sagte er: „Packen Sie ihn schon mal ein, der Gewinner wird ihn kaufen.“

„Ahahaha“, lachte der Verkäufer und hielt seinen kugelrunden Bauch. „Gut, ich mache ihn zurecht. Viel Glück!“
 

Der Fremde setzte sich auf einen Mauervorsprung und holte die Karten heraus, die er zu mischen begann.

„Ich soll hier und jetzt Karten spielen?“, fragte ich skeptisch und schaute zu, wie er mit flinken Fingern die Karten mischte.

„Ihnen bleibt wohl keine andere Wahl. Also. Welches ist ihr liebstes Kartenspiel?“

„Keine Ahnung?“

„Nun, dann schlage ich Mau-Mau vor, das dürften sogar Sie kennen, nicht wahr?“

„Ja“, sagte ich und setzte mich ihm gegenüber. „Ich kann es ganz gut.“ Keine Busfahrt von der Schule heim, auf der ich nicht mit meinen Kumpels eine Partie Mau-Mau spielte. Doch das war fast zwanzig Jahre her…
 

Föhnwelle teilte die Spielkarten aus und ich betrachtete sie. Französisches Blatt. Offensichtlich waren sie schon etliche Jahre alt, so geschmeidig und biegsam wie sie in der Hand lagen, und so vergilbt sie an den Kanten waren. Das Muster auf der Rückseite war teilweise abgeblättert. Dass sie arg abgenutzt waren, fand ich aber schön, zeigte es doch, dass zahllose Spiele mit ihnen ausgetragen worden waren.

Meine Karten waren gar nicht mal so übel. Immerhin eine Sieben darunter und ein Bube. Ich bekam den ersten Zug und drehte die Karte in der Mitte um.
 

Unser Spiel verlief stumm, bis ich einen Buben legte. „Ich wünsche mir Herz.“

„Hach ja, wer nicht?“ Und er legte ebenfalls einen Buben, worauf er Pik forderte.

Ich räusperte mich. „Ehhm… Ich meine mich zu erinnern…“, setzte ich an, auf den Herz-Buben deutend.

Föhnwelle sah mich herausfordernd an; die Art, wie er seine schmale Unterlippe mit den Schneidezähnen malträtierte, ließ mich fast bereuen, etwas gesagt zu haben.

„Dass Bube auf Bube stinkt? Nun, diese Regel habe ich geändert, um ein Zeichen zu setzen.“

„Ich verstehe“, sagte ich knapp, denn darüber wollte ich jetzt nicht ausführlich diskutieren. Nicht darüber. Nicht mit ihm. Scheiße, mir lief es kalt den Rücken hinunter, als er sich die Lippen leckte und ich schaute schnell weg.

Ich zitterte, als ich eine Karte ziehen musste und sein gewünschtes Pik legte. Ausgerechnet eine Pik Dame. Er zog die Brauen hoch, mustert mich nun noch durchdringender, ich jedoch zuckte bloß die Achseln.
 

Seine nächste Karte legte er ab, ohne den Blick von mir zu nehmen. Eine Sieben. Die ich mit einer eigenen Sieben triumphierend konterte. Bis er eine neue Sieben drauflegte. Mir blieb nichts anderes übrig, als nun sechs Karten zu ziehen. Während Föhnwelle nur noch zwei in der Hand hielt.

„Mau“, sagte er und legte die vorletzte Karte ab.

Ich musste abermals ziehen und legte den einarmigen König nieder und hoffte...
 

Föhnwelle zögerte zu lange für meinen Geschmack, genoss meine Anspannung. Er lächelte breit, wobei seine Augenfältchen sichtbar wurden, und ich wusste, dass ich verloren hatte. Noch bevor er seinen letzten König ablegte und das vernichtende „Mau-Mau!“ aussprach.
 

„Ich will Revanche!“, forderte ich lautstark. während er die Karten zurück in die Büchse packte und sie in seinem Mantel verschwinden ließ.

„Die bekommen Sie gerne.“ Er lächelte. „Bei Tee und Lebkuchen in meinem bescheidenen Heim, wo Sie die Tanne bewundern dürfen.“ Den Baum. Den hatte ich ja ganz vergessen während unseres Spiels…
 

Er reichte mir eine Visitenkarte. Frederik lautete sein Vorname.

„Und wem habe ich das Vergnügen?“, wollte Frederik wissen.

„Felix.“

Wir reichten uns die Hand und er schmunzelte. „Na sowas, dem Namen machen Sie ja nicht wirklich Ehre. Wobei – Pech im Spiel, Glück in der Liebe? Auf Widersehen, Felix.“
 

Ich weiß nicht wieso, aber irgendwie konnte ich es kaum erwarten, ihn wiederzusehen.



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