Zum Inhalt der Seite

24 Farben der Liebe

Adventskalender 2015
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

4. Türchen: Amore

Den Scheibenwischer seines Fiats hatte Michael auf die höchste Stufe gestellt, um dem Schneeregen Herr zu werden. Ja, allmählich wurde es Winter. Meine verhasste Jahreszeit, wie ich ihm verriet.

„Ich mag auch den Sommer lieber“, sagte Michael, und auf seinen Lippen zeigte sich ein Lächeln, während er geradeaus auf den Verkehr schaute. Unruhig rutschte ich mit den Füßen herum, heute war es so beengt unter dem Beifahrersitz, weil da noch eine Tasche von ihm lag, heute Morgen auch schon.
 

Michael war vier Jahre älter als ich, arbeitete in derselben Firma und wohnte in der nächsten Stadt. Daher nahm er mich mit zur Arbeit, wann immer ich keine Berufsschule hatte.

Anfangs hatte ich Magenschmerzen, und wagte kaum zu atmen im Beifahrersitz. Er lockerte die Atmosphäre durch ein Gespräch auf, doch das führte nur dazu, dass ich mich noch mehr verkrampfte.
 

Aus der Angst, dass er mich nicht mehr interessant fand, wenn er mich erst mal näher kennenlernte … Dass er mich zum Gähnen langweilig fand, und mich daher meiden würde. Während etwas in mir sich jedoch sehnlichst wünschte, dass wir Freunde wurden, denn er war so ein toller Kerl!

Zugegeben, ich hatte mir sogar einige Male vorgestellt, wie es wäre, mit ihm mehr als bloß befreundet zu sein…
 

Aber erstens würde sich Michael niemals auf mein Niveau herab begeben. Was sollte er von einem Azubi wollen, der noch bei seinen Eltern wohnte und obendrein noch Jungfrau war? Zudem waren wir Arbeitskollegen in derselben Abteilung. Nein, das war gar nicht gut.
 

„Ach ja, Luca, diese Tüte, die unter dem Sitz liegt, schau mal rein, da ist was für dich drin.“

„Für mich?“ Ich hievte die ausgebeulte Stofftasche hoch. Viele dicke Bücher. Und eine CD und eine DVD…

„Das alles?“ Ich nahm ein Buch nach dem anderen heraus. Italienisch für Anfänger. Wörterbücher Deutsch-Italienisch; ein Lehrbuch, ein Arbeitsheft, Sprach-CDs, Vokabelhefte…

„Ich möchte dir das geben, sieh es als Nikolausgeschenk an. In der Schule hatte ich Italienisch, aber leider nur zwei Jahre, danach habe ich alleine weitergemacht.“
 

Das hätte ich gestern in unserer Mittagspause besser nicht gesagt. Dass ich zur Hälfte italienischer Abstammung war. Sein Interesse war entfacht; er hatte mir regelrecht ein Loch in den Bauch gefragt. Ob ich die Sprache fließend sprechen konnte, ob ich schon oft in Italien gewesen war…was ich gerne italienisches kochte. Dabei hatte ich nur zufällig einen italienischen Vater, den ich nie kennengelernt hatte. Und in Italien war ich auch noch nie gewesen.
 

Am Stoppschild kam er zum Stehen, schaute mich eindringlich an. „Wenn dir das Lernen aus den Büchern zu mühsam ist, kannst du auch einfach die Kopfhörer aufsetzen und die Lektionen von der CD anhören. Glaub mir, der Tag wird schon sehr bald kommen, an dem du dir wünschst, dass du die Sprache gelernt hättest.“
 

Ich seufzte nur. „Das ist ja lieb von dir. Aber ich weiß nicht… Schon Englisch habe ich gehasst.“

„Hör dir wenigstens die erste Lektion an, okay? Eine Fremdsprache zu lernen, ist zwar harte Arbeit, aber niemals eine vergebliche. Es bedeutet immer eine Bereicherung! Verlieren kannst du gar nichts, nur gewinnen!“

Ich seufzte nachgiebig. „Okay, wenn es dir wichtig ist.“

„Nein, tu es nicht für mich, sondern weil du dir selbst etwas Gutes tun willst! Willst du denn nicht deine Wurzeln kennenlernen? Aus dir selbst muss die Motivation kommen, aus deinem Herzen!“

„Hm.“ Ich schaute aus dem Fenster, betrachtete meine vorbeiziehende weihnachtlich geschmückte Stadt, all die leuchtenden Girlanden an den Straßenlaternen.
 

Bald waren wir da. Anstatt mich auf der Hauptstraße raus zu schmeißen, wo ich zehn Minuten bis nach Hause zu laufen hätte, fuhr er jedes Mal durch die Dreißigerzone im Wohngebiet, in dem es vor engen, unübersichtlichen Gassen, wo rechts vor links galt, nur so wimmelt, vor bis zu meinem Haus. Und fuhr erst dann weiter und den ganzen Weg zurück, wenn ich den Schlüssel ins Schloss steckte.
 

„Ich glaube, deinen Vater würde es stolz machen. Überleg es dir. So. Da wären wir. Jetzt kommst du möglichst trocken an.“

„Danke. Bis Montag!“ Mit der Tasche stieg ich aus.
 

~
 

Später blätterte ich an meinem Schreibtisch das Lehrbuch durch, in das Michael bunte Post-ist hineingeklebt hatte, überflog Textpassagen und betrachtete witzige Illustrationen. Was hatte ihn dazu bewegt, diese Sprache zu lernen?

Wozu paukten die Leute überhaupt Fremdsprachen? Um einmal im Jahr im Ausland Urlaub zu machen und dort „un Latte Macchiato e un pezzo di tiramisù, per favore“ zu bestellen?
 

Plötzlich fiel mir zwischen den Buchseiten ein Foto in die Hände. Es zeigte eine jüngere Version von Michael, der mit einer blauen Badehose im Meer stand, bis zum Bauchnabel im Wasser. Im Hintergrund weißer Strand und viele bunte Sonnenschirme der Strandbesucher. Er lachte vergnügt. Und hatte einen dunkelhaarigen jungen Mann huckepack genommen, der genauso ausgelassen lachte und sich dabei an Michael festkrallte, als wären sie allein auf der Welt.
 

Auf der Rückseite des Fotos stand etwas geschrieben, auf Italienisch. Ich erkannte die Wörter „sole“ und „bella“ und am Schluss „Ti amo“. Ich gab den Text bei Google translate ein. Sinngemäß bedeuteten sie: Mein lieber Schatz, ich vermisse die Sonne und deine Lippen, die nach Salzwasser schmecken. Es war so ein schöner Sommer mit dir. Ich liebe dich, dein Angelo
 

Das musste ich erst mal sacken lassen…

Laut dem Datum musste Michael da siebzehn gewesen sein. Mir wurde heiß, meine Wangen glühten. Sollte ich dieses Foto entdecken?
 

Hast du für Angelo Italienisch gelernt? Ist das der Junge auf dem Foto, das im Buch war? Seid ihr noch zusammen? schrieb ich Michael.
 

Und er schrieb bald darauf zurück:
 

Es war bei meinem Austauschjahr in der zehnten Klasse. Angelo wurde mein erster Freund, aber die Fernbeziehung hielt nicht lang. Ich wusste gar nicht mehr, dass das Bild drin war, vermutlich habe ich es rein, damit ich beim Lernen an ihn denke.
 

Sekunden später folgte eine weitere Nachricht, die ich zwei Mal lesen musste:
 

Ich könnte mir aber vorstellen, einen süßen blonden Halbitaliener namens Luca in mein Herz zu schließen. Sag, magst du mal mit mir ausgehen?



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Finkel
2015-12-22T00:57:16+00:00 22.12.2015 01:57
Oh ein Weihnachtskalender :) Leider hab ich in jetzt gerade erst endeckt. Naja mehr zum aufeinmal lesen.
Sonst gab es immer einen auf Chibis Playground, ich weiß nicht ob man die Seite noch kennt.
Dieses Jahr gab da keinen und diese Geschichten wären ein würdiger Ersatz gewesen.

Kurz und ein wenig kitschig , aber machmal braucht man das :)




Zurück