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24 Farben der Liebe

Adventskalender 2015
von

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1. Türchen: Pink

Mürrisch verließ ich das Parkhaus, wo ich nach bestimmt zehnmal im Kreis fahren endlich einen Platz ergattert hatte, und zwar im obersten Stockwerk.

Ich rückte meinen Mantelkragen zurecht und ging die Straße entlang, auf die Ampel zu. Mein Ziel war das griechische Restaurant, wo heute unsere Weihnachtsfeier stattfand, die Betriebsweihnachtsfeier. Was hatte mich geritten, zuzusagen? Mein blöder Optimismus, gepaart mit der Hoffnung darauf, einen netten Abend mit Leuten zu verbringen, mit denen ich nichts gemeinsam hatte außer, dass wir täglich acht Stunden in dergleichen Firma arbeiteten?

Nun… manche Dinge musste man einfach hinter sich bringen.
 

Als ich an der Ampel den Blick schweifen ließ, wurde ich gefangen genommen von der pinkfarbenen Haarpracht einer Frau in Jeans und schwarzer Jacke auf der anderen Straßenseite.

Nicht das knallige Pink wie von jener Telefongesellschaft, sondern ein zartes, pastelliges Zuckerwattenpink.

Schon bog sie links um die Ecke, und da wurde die Ampel endlich grün.

Mein Herz tat einen Satz; schrie mich an, der langbeinigen Schönen zu folgen, das sollte oberste Priorität haben. Meine letzte Beziehung war schon ein Weilchen her. Natürlich musste ich es clever einfädeln, ihr zuvorkommen und es so aussehen lassen, als wäre ich ihr ganz zufällig hier über den Weg gelaufen und mir einen Einstieg in ein Gespräch überlegen, der nicht allzu plump war.
 

Statt nach rechts zum Griechen folgte ich ihr, die ganze enge Gasse entlang. Wo mochte sie bloß hinwollen? Wenn sie in einen Club ging, war das perfekt. Wenn sie allerdings Freunde besuchte, hatte ich schlechte Karten. Mein Adrenalinspiegel stieg merklich an. So viel Action würde ich jedenfalls nicht auf der Weihnachtsfeier haben. Auf der Arbeit gab es ja nicht mal Frauen, die mir gefielen.
 

Nun war mir klar, wohin sie wollte: Auf den Weihnachtsmarkt. Ich stand plötzlich inmitten von Buden, die ganz und gar in rosa Knisterpapier eingewickelt waren wie Geschenkpäckchen. Keine Bude, die nicht bunt, glitzernd oder funkelnd daherkam, oder manchmal auch alles zusammen. Das war kein normaler Weihnachtsmarkt...
 

„Dat es ija Wahnsinn. de janze Hötte! So bunt und kitschig!“,

hörte ich eine ältere Dame im Dialekt sagen, die neben einem Mann herging, der ihr Sohn sein könnte. „Wie lange jit et diesen Weihnachtsmarkt eigentlich?

„Erst wenige Jahre“, antwortete ihr Begleiter.
 

Die Pinkhaarige stand nur ein paar Buden weiter beim Glühweinstand an. Mir lief trotz der Kälte der Schweiß aus sämtlichen Poren, und um mich wieder zu sammeln, suchte ich an einem Stand, wo glitzernde Dekoartikel verkauft wurden, nach einem Geschenk für eine gute Freundin, die solche kitschige Kinkerlitzchen liebte. Meine Entscheidung fiel auf einen Engel, der dieselbe Pose eingenommen hatte wie einer der beiden auf dem Gemälde Raffaels.
 

Dann aber hielt mich nichts mehr davon ab, meine Schöne am Glühweinstand aufzusuchen, der die Quelle der musikalischen Untermalung war. Nach Chris Rea, und dem unverzichtbarem WHAM war nun „Do they know it's Christmas time“ an der Reihe.
 

„Spenden für den Welt-Aids-Tag heute?”, rief jemand in Marktschreierstimme hinter mir. Ich drehte mich um zu dem Mann, der mich strahlend anlächelte, als ich ein Zwei-Euro-Stück rauskramte und es in seine Spardose einwarf.

Warum nicht – die Adventszeit hatte begonnen; ich hatte noch keine nennenswerte gute Tat vollbracht dieses Jahr, also zumindest nicht, dass ich wüsste. Außerdem – wer so oft und gern Pornos konsumierte wie ich, und das auch noch gratis, der durfte auch mal zu diesem Zweck spenden.
 

Ich reihte mich in die Schlange vor dem Stand ein, als mir von der Seite überraschend ein Glas Punsch gereicht wurde. Neben mir stand mein Objekt der Begierde und mein Herz setzte aus.

„Ich dachte, ich gebe meinem Beschatter einen aus.“

Uff! Diese warmen braunen Augen und dieses Lächeln mit den Grübchen am Mundwinkel ganz aus der Nähe!
 

Aber es war keine Sie, sondern ein Er: Ein junger Mann mit weichen Gesichtszügen und androgyner Statur, die man leicht für die einer sportlichen Frau halten konnte, vor allem in einer dicken Winterjacke.

War ich überrascht? Vielleicht ein bisschen, aber nicht von meiner Reaktion auf ihn, die absolut nicht in Ekel umschlug. Genauso wenig wie ich Ekel bei den Pornos empfand, wo keine Frauen mitspielten…im Gegenteil. Unbewusst war ich wohl meinem Herzen gefolgt.
 

„Danke!“ Ich nahm einen Schluck, ohne den Blick von ihm zu nehmen, registrierte den süßen, zimtigen Geschmack. „Deine Haare…sie sind fantastisch! Steht dir ausgezeichnet, diese Farbe!“

Er lächelte mit gequältem Gesichtsausdruck. „Meinst du das im Ernst?“

„Aber ja! Pink ist eine coole Farbe. Pink ist das neue Schwarz! Es lebe Pink!!“

„Jetzt übertreibst du aber!“, lachte er. „Eigentlich habe ich eine Wette verloren. Von selbst wäre ich sicher nicht auf die Idee gekommen, sie mir schweinchenrosa zu färben.“

„Ach so ist das.“

Wir mussten beide lachen. Und nahmen dann noch einen Schluck Punsch.
 

„Kommst du von hier?“, wollte er wissen.

Ich nickte, und sagte, als was ich arbeitete. „Und was machst du?“

„Ich gehe hier auf die Universität. Und natürlich auch gerne ins Nachtleben...“ Verschwörerisch grinste er. „Übrigens, ich heiße Valentin. Nachher kommen noch ein paar Freunde und wir machen die Clubs unsicher. Kommst du mit?“

„Weißt du, ich sollte eigentlich schon seit einer halben Stunde bei meiner Betriebsweihnachtsfeier sein…“

„Und wieso bist du es nicht?“, fragte er frech nach. „Nicht, dass dein Chef noch schlecht von dir denkt.“

„Ich sah in der Masse einen Kopf mit Haaren wie Zuckerwatte, und dem musste ich einfach hinterher“, gab ich zu. „Also… krieg ich deine Handynummer, Valentin?“

„Meine Nummer?“ Er lächelte verschmitzt und zückte sein Smartphone. „Okay. Unter welchem Namen darf ich dich denn einspeichern?“

„Max.“

„Nun, Max. Ich sollte dir vielleicht noch offen was sagen…“ Seine Miene wurde ernst.

„Ich bin ganz Ohr?“

„Ich bin HIV-positiv, nur damit du es weißt.“

„Ok“, sagte ich dazu. Ich bewunderte seine Offenheit. „Deswegen meinst du, ich würde dich jetzt nicht mehr kennenlernen wollen?“

„Ist meine Sorge denn berechtigt?“

Ich schüttelte den Kopf. „Wenn es dir nichts ausmacht, dass ich dreiunddreißig bin?“

Sein Lächeln, oh, sein wunder, wunderschönes Lächeln! Scheiß auf die Weihnachtsfeier – die fand ja jedes Jahr statt. Ihn aber gab es nur heute, hier und in Pink.



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