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The Past Is My Problem

von

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Flashback

„Vater! Vater! Nein. Das kann nicht sein… VATER!“

Heiße Tränen liefen über meine glühenden Wangen. Das, was sich gerade vor meinen Augen abspielte, war so irreal, dass ich es immer noch nicht realisiert hatte. Diese riesige Blutlache… und mitten drinnen mein Vater. Mein geliebter Vater, mein ein und alles. Die letzte Person, die mir noch etwas bedeutet hatte. Tot. Für immer.

Meine zittrigen Hände legten sich langsam auf mein Gesicht, das immer weiter von den Tränen befeuchtet wurde. Die Dunkelheit, die sich langsam über mich ausbreitete, ließ mich für einige Sekunden vergessen, was ich gerade gesehen hatte. Die Stille im Raum beruhigte mich ein wenig. Vielleicht war alles wieder normal, wenn ich meine Hände von den Augen legte. Vielleicht würde Vater dann reinkommen, mich in die Arme schließen und mir besänftigend übers Haar streichen. Mein Wunschdenken wurde mit einem Schlag vernichtet, als eine tiefe, hässliche Stimme plötzlich laut zu lachen begann. Das Lachen drang in mein Ohr und lähmte mich. Ich riss die Hände von meinem Gesicht und drückte mir die Ohren zu. Die Lache war unerträglich. Sie hallte im ganzen Raum wider und wurde mit jeder Sekunde lauter.

„Bitte… bitte, hör auf…“, flüsterte ich, doch meine Versuche waren nutzlos. Die Person lachte weiter, spöttisch und überlegen.

Ich wagte es, mich ein wenig umzuschauen. Außer mir und der Leiche meines Vaters war niemand zu sehen. Es war so, als ob eine Kassette dieses Lachen abspielte, und dabei der Lautstärkeregler immer weiter nach oben gedreht wurde. Ich drückte meine Hände fester gegen meine Ohren und kniff die Augen zu. Ich versuchte, ruhig zu bleiben und den Kloß in meinem Hals zu ignorieren.

„Na, was ist los, kleine Sakura? Hast du Angst?“, fragte die hässlich klingende Stimme, womit plötzliche Ruhe in den Raum einkehrte. Meine Verkrampfungen lösten sich langsam, sodass ich meine Hände von den Ohren nehmen konnte. „Wer bist du? Und wo bist du?“, fragte ich; meine Stimme war kaum lauter als ein Flüstern.

„Ich bin hinter dir“, hauchte mir die hässliche Stimme ins Ohr.

Mein Herz krampfte sich so schlagartig zusammen, dass ich nicht mal die Kraft hatte, aufzuschreien. Ich blieb wie versteinert auf dem Boden sitzen, mit rasendem Puls darauf wartend jeden Moment auch umgelegt zu werden. Tränen liefen mir über das Gesicht, während ich auf die Leiche meines Vaters starrte.

„Leb wohl, Kleine!“, brüllte die Stimme und hallte bedrohlich durch den ganzen Raum. Ich hielt mir eine Hand an den Mund, um ein Schluchzen zu unterdrücken. Ich spürte, wie mir der kalte Lauf einer Pistole an die Schläfe gedrückt wurde. Die Hand, die diese Pistole festhielt, krampfte sich fester um die Pistole. Dann klickte der Abzug…
 

Ein Schrei riss mich aus meinem Schlaf. Ein Schrei, der aus meinem Mund kam. Mein Herz raste wie wild und Schweißperlen liefen mein Gesicht herab. Ich versuchte, mich ein wenig zu beruhigen, indem ich eine Hand an mein pochendes Herz hielt. Mein Atem ging so schnell, dass es einige Minuten dauerte, bis er sich normalisiert hatte.

„Mein Gott…“, murmelte ich und strich mir die rosafarbenen Haare aus dem Gesicht, die an meiner Stirn klebten. Den Albtraum, den ich gerade hinter mir hatte, hatte ich nicht zum ersten Mal erlebt. Seit 2 Monaten plagte mich regelmäßig ein und derselbe Traum. Ich befand mich in einem leeren Zimmer mit kahlen, weißen Wänden. In der Mitte des Raumes mein Vater – inmitten einer Blutlache. Tot. Unbeweglich. Es verpasste mir jedes Mal aufs Neue eine Gänsehaut. Ich schlang meine Arme um meinen zitternden Körper. Die Zelle, in der ich hockte, war kalt und ungemütlich. Die rostigen Gitter machten die Atmosphäre nicht gerade schöner, im Gegenteil, sie verdüsterten diesen unheimlichen Ort noch mehr.

Ich starrte auf mein dreckiges, beflecktes, einst weißes Kleid, das jetzt eher einem Grauton glich. Nicht mal regelmäßig die Klamotten wechseln konnte man hier. Es war die reinste Hölle. Und diese Hölle dauerte schon 2 Monate. Seit dem Tag, an dem mein Vater tot aufgefunden wurde – und ich dafür verantwortlich gemacht wurde.
 

„Sakura, Schatz, wann kommst du vorbei? Ich habe den Tee schon aufbrühen lassen.“

„Bin in 5 Minuten da“, antwortete ich meinem Vater gut gelaunt. Heute war ein wunderschöner Tag. Die Sonne schien hell am Himmel und kitzelte meine Haut. Ich überquerte gerade eine Kreuzung, während ich mein Handy fester an mein Ohr presste.

„Wie schön“, erwiderte Takashi Haruno. Man konnte seiner Stimme das Lächeln anhören. „Ich hole dann schon mal den Kuchen aus dem Kühlschrank. Ich liebe dich, mein Schatz. Bis gleich.“

„Ja, bis gleich“, verabschiedete ich mich und steckte mein Handy in die Tasche. Ich schob meinen großen, weißen Hut ein wenig tiefer ins Gesicht, um nicht in der Schusslinie der erbarmungslosen Sonnenstrahlen zu stehen. Es kam nicht oft vor, dass ich mich mit meinem Vater traf. Er, als Geschäftsführer der riesigen „Haruno Luxury Ltd.“, hatte den ganzen Tag mit Kunden oder anderen Geschäftssachen zu tun. Lediglich an Wochenenden, oder wenn er sich einen freien Tag nahm, konnte ich ihn sehen. Es machte mir zwar eine Menge aus, aber ich ließ es mir nicht anmerken, um meinem Vater keine Sorgen zu bereiten. Er hatte sich die ganzen Jahre schon Sorgen gemacht, weil ich ohne Mutter aufwachsen musste. Jetzt sollte er sich einfach mal entspannen und seinem Lieblingshobby nachgehen: Dem Geschäft. Heute jedoch, da er sich einen freien Tag genehmigt hatte, konnte ich ihn aber besuchen. An solchen Tagen stand ich an erster Stelle.

Ich lief den grünen Rasen entlang, der vor dem Haus meines Vaters vor sich hin wuchs. Ich klingelte und kurz darauf öffnete mir Jaques, der französische Butler, den mein Vater schon im Dienst hatte, seit ich geboren war.

„Guten Tag, Jaques!“, begrüßte ich ihn freundlich. Für mich war er eine Art Freund, auch wenn ich nicht viel mit ihm sprach. Er war ein sehr ruhiger Mensch, aber über die Jahre hinweg hatte ich ihn sehr gut kennengelernt. Er war ein sehr freundlicher und gewissenhafter Mensch, um die 40 Jahre alt. Sein glattes, schwarzes Haar glänzte im Schein der Sonne. Seine braunen Augen sahen mich freundlich an. „Mademoiselle Haruno. Schön Sie zu sehen. Treten Sie ein.“

Ich betrat das Foyer. Es war nicht sehr groß, jedoch mit vielem teurem Plunder ausgeschmückt. Der Boden war mit purpurnen, goldverzierten Teppichen ausgelegt. Die weinroten Vorhänge waren zugezogen, sodass nur wenig Licht ins Foyer fiel. Ich lief den Gang entlang und öffnete die Tür, die zum Wohnzimmer führte. Als ich die Tür öffnete, sah ich meinen Vater vor einem Schachtisch sitzend, mit einer nachdenklichen Miene auf dem Gesicht. Als er das leise Quietschen der Tür hörte, sah er auf und lächelte. „Sakura“, sagte er, seine Stimme voller Warmherzigkeit.

„Daddy“, rief ich glücklich, schmiss meine Tasche auf das samtweiche, diamantgrüne Sofa und lief zu meinem Vater hin. Ich umarmte ihn und setzte mich gegenüber von ihm an den Schachtisch.

„Wie geht’s dir, mein Engel?“, fragte mein Vater, während er mich lächelnd musterte.

„Gut!“, antwortete ich und lächelte zurück. „Und dir? Wie läuft das Geschäft?“

„Ausgezeichnet. Aber lass uns nicht davon reden. Komm lieber mit in die Küche. Jaques hat den Tee bestimmt schon eingegossen.“

Wir gingen zusammen in die Küche. Jaques stand an dem Tisch, zwei große Tassen in den Händen. Er stellte die Tassen zu dem Zuckerdöschen und dem Kuchen, die auf dem Tisch standen, wünschte uns guten Appetit und verließ die Küche wieder. Wir setzten uns. Vater schnitt den Kuchen an und legte mir ein Stück auf den Teller. Dann schnitt er ein Stück für sich ab.

„Erzähl mal“, forderte er mich auf. „Was ist bei dir so los? Hast du einen neuen Freund? Irgendwas Neues von der Arbeit?“

Ich lächelte ihn an. „Nein, kein neuer Freund“, sagte ich. „Bei der Arbeit ist alles beim Alten. Der Chefarzt versucht immer noch, sich bei mir einzuschleimen, indem er sagt, ich wäre die beste Auszubildende Ärztin, die er je hatte.“ Bei der Erinnerung daran musste ich lachen. Vater stimmte in mein Lachen ein. Draußen zwitscherten die Vögel.

Als das Zwitschern der Vögel erstarb, öffnete sich die Küchentür und Jaques Kopf lugte hinein. „Monsieur Haruno? Ein Gewisser Monsieur Higurashi möchte Sie sprechen.“

Vater zog die Brauen hoch. „Higurashi-san? Was will der denn?“ Er runzelte die Stirn. „Ich habe mir doch heute extra frei genommen…“ Dann wandte er sich an mich. „Es tut mir leid, Schatz, aber ich glaube, ich werde nicht drum herum kommen.“

„Ach, kein Problem“, antwortete ich lächelnd. Es war sehr wohl ein Problem für mich. Ich ließ es mir aber nicht ansehen. Ich wollte nicht, dass Vater sich Sorgen machte.

Vater lächelte und erhob sich dann. Er folgte Jaques nach draußen, der die Tür hinter sich schloss. Jetzt war ich alleine. Seufzend erhob ich mich und ging zum Fenster. Die Landschaft, die man von hier aus betrachten konnte, war wunderschön. Der Rasen strahlte in einem hellen Grün und sah frisch aus. Die Blätter der Bäume wehten sanft im Wind, wodurch vereinzelte Sonnenstrahlen immer von einem anderen Winkel durchschienen. Eine Reihe von Tulpen und Rosen erstreckte sich am Gartenzaun. Die Rosen hatten eine kräftige rote Farbe, während die Tulpen in einem hellen Orange schimmerten. Alles in allem war es ein sehr schöner Anblick. Alles war friedlich. Bis ich den Schuss hörte. Ich zuckte zusammen und war im ersten Moment irritiert. Im zweiten Moment realisierte ich, dass der Schuss wahrscheinlich von einer Pistole stammte, die in diesem Haus betätigt worden war. Ich rannte los, so schnell ich konnte. Lähmende Angst breitete sich in meinem Körper aus. Was war passiert? Wo kam der Schuss her? Wer hatte den Schuss getätigt? Ich stieß die Tür zum Zimmer des Büros meines Vaters auf.

Blut. Überall Blut. Und inmitten dieses ganzen Bluts – die Leiche meines Vaters.

Mir wurde plötzlich so schlecht, dass ich kurz vor dem Erbrechen war. Ich fiel auf die Knie. Tränen schossen mir in die Augen und liefen in Massen über mein Gesicht. Mein Schrei hallte durch das ganze Zimmer und musste auch im Foyer gehört worden sein. Jaques stürmte ins Zimmer. Er handelte schnell: mit seinem Handy rief er Polizei und Krankenwagen. Auf mein lautes Schluchzen hin kniete er sich zu mir und legte einen Arm um mich. Ich vergrub mein Gesicht in seiner Brust und weinte. Und weinte, bis er mich plötzlich von sich wegschob. Er starrte wortlos auf meine Hand. Irritiert folgte ich seinem Blick. Meine linke Hand war voller Blut. Vaters Blut. Geschockt starrte ich zu Jaques, der sich von mir entfernte.

„Jaques…“, murmelte ich. Wie konnte er glauben…? Wie war überhaupt das Blut auf meine Hand gekommen? Wahrscheinlich war es passiert, als mir die Knie nachgegeben hatten und ich mich mit den Händen am Boden abgestützt hatte.

Jaques sah mich befremdend an.

„Jaques…!“, murmelte ich wieder. Meine tränenerstickte Stimme versagte, bevor ich etwas anderes sagen konnte. Ich starrte auf die blutverschmierte Hand. Es war so irreal. Wie hätte ich jemals…? Jaques sah es anscheinend anders. Und die Polizisten, die Sekunden später ins Haus stürmten, auch. Sie sahen mich, meine Hand und das Blut. Das war genug für sie. Zwei der Polizisten packten mich am Arm, legten mich in Schellen und führten mich ab. Ich hatte nicht die Kraft, mich zu verteidigen. Es war zu viel auf einmal passiert.
 

Ich war mir sicher, dass Kuno Higurashi der wahre Mörder meines Vaters war. Es war mir ab dem ersten Tag meines Aufenthaltes im Gefängnis klar. Higurashi hatte sich seit diesem Vorfall nicht mehr blicken lassen. Es hieß, er wäre wie vom Erdboden verschluckt. Ich hatte mir geschworen, ihn zu finden und ihm seine gerechte Strafe zuzuführen. Er würde büßen für das, was er mir und meinem Vater angetan hatte. Schon am meinem ersten Tag hier hatte ich geplant, wie ich wieder rauskam. Einer der Wache-Polizisten war ziemlich schnell zu bestechen gewesen. 10.000.000 Yen waren schon ein nettes Sümmchen. Heute Nacht würde er mir helfen, auszubrechen. Und morgen würde ich dann meine Suche nach Higurashi beginnen. Mein Plan war idiotensicher. Fehlte nur noch die Ausführung.

Mission neue Identität

„10.000.000 Yen, so wie wir es abgemacht haben“, sagte ich zu dem nervösen Polizeiwachmann. Ich händigte ihm das Geld in Bar aus, das ich per Automat von meinem Konto abgehoben hatte.

Der Wachmann bedankte sich und machte sich schleunigst aus dem Staub. Anscheinend hatte er Angst, aufzufliegen. Ich konnte ihn verstehen, aber im Moment konnte ich es mir nicht leisten, auf die Gefühle anderer zu achten. Ich musste mich auf meine Aufgabe konzentrieren, wenn ich Erfolg haben wollte.

Die Dunkelheit der Nacht verschaffte mir den Vorteil, mich unbemerkt durch die Straßen zu schlängeln. Keiner würde mich als die Tochter von dem großen Unternehmer Takashi Haruno erkennen. Die, die mal so beliebt gewesen war und jetzt an den Rand der Gesellschaft abgerutscht war. Ich biss mir auf die Lippe. Diese Sache war nicht mal das Schlimme daran. Das Einzige, was mich immer noch fassungslos machte, war, dass die Menschen wirklich zu glauben schienen, ich hätte meinen eigenen Vater umgebracht. Es war erniedrigend.

Ich schlich mich zu meinem kleinen Haus, das mein Vater mir vor einem Jahr zu meinem 18. geschenkt hatte. Ich sah mich um und hoffte, dass mich keiner sah. Ich öffnete die Tür und trat schnell ins Haus ein. Dann lief ich ins Schlafzimmer, zerrte einen großen Koffer aus meinem Schrank und warf so viele Klamotten rein, wie hineinpassten. Dann packte ich meine Kreditkarten und das Bargeld, das ich noch übrig hatte, in meine Tasche. Mein Handy schmiss ich auch hinein. Ich ging ins Bad, packte alles in eine kleinere Tasche und warf diese in den großen Koffer. Dann schloss ich den Reißverschluss und stellte den Koffer an die Wand. Ich ging nochmal ins Bad zurück. Ich musste irgendetwas an mir verändern, um nicht erkannt zu werden. Ansonsten würde es verdammt schwierig werden, an Informationen über Higurashi zu kommen.

Ich strich mit meinen Händen über mein zartes, rosafarbenes Haar. Es war schön und lang. Es war aber auch ein herausstechendes Merkmal, mit dem man mich in jedem Fall identifizieren konnte. Ich hatte im Moment kein Haarfärbemittel zur Verfügung, aber eine Schere. Ich griff nach der Schere und schnitt das Haar bis zu den Schultern ab. Es kostete mich nur wenig Überwindung, da ich erstens wusste, dass es nachwachsen würde, und ich mir im Klaren darüber war, dass ich Opfer bringen musste, wenn ich das durchführen wollte, was ich mir vorgenommen hatte. Mein rosafarbenes Haar lag um mich herum auf den Boden. Ich kehrte sie mit einem Kehrblech zusammen, stopfte sie in den Mülleimer und holte die Mülltüte aus dem Eimer. Ich stellte die Tüte an die Tür, um sie später mit nach draußen zu nehmen. Dann wandte ich mich nochmal an mein Spiegelbild. Meine Haare waren zwar jetzt kurz, aber immer noch schön. Ich fand den Haarschnitt gar nicht so schlecht. Ich kämmte meine Haare kurz mit einem Kamm durch, band sie zu einem Zopf zusammen und verließ dann das Bad. Im Schlafzimmer zog ich das dreckige Kleid aus und hüllte mich in Jeans und ein Sweatshirt. Es war wichtig, dass ich Klamotten trug, die nicht teuer aussahen, sonst würde ich auffallen. Ich setzte mir einen weißen Hut auf den Kopf, damit man meine Haarfarbe nicht sofort erkennen konnte und zu guter Letzt setzte ich eine große Sonnenbrille auf meine Nase.

Ich holte den Koffer und die Tasche aus dem Schlafzimmer und nahm die Mülltüte aus dem Bad. Nachdem ich die Tür geöffnet hatte, lief ich einige Straßen weiter zu einer Bushaltestelle, in dessen Mülltonne ich meine Tüte stopfte. Sie passte gut hinein, weil nur die Haare in der Tüte lagen. Dann lief ich schnell zurück zu meiner Wohnung, schnappte mir mein Gepäck, schloss das Haus ab und ging gemütlich die Straße entlang. Ich musste mir jetzt nur noch einen neuen Namen zulegen, dann wären alle Vorbereitungen abgeschlossen. Zu aller erst musste ich mich aber irgendwo niederlassen. Irgendwo, wo man mich nicht kannte, damit ich mir sicher war, dass ich die Polizei nicht auf den Hals bekam. An der Bushaltestelle, an der ich vorher schon gewesen war, machte ich halt und wartete. In der Nachbarstadt würde ich nicht so bekannt sein wie hier, also beschloss ich, einen Bus nach Yokohama zu nehmen. Ich erkundigte mich bei dem Stadtplan, wann der nächste Bus fuhr. Es dauerte nicht mehr lange, also setzte ich mich auf die Bank und wartete.

10 Minuten später saß ich im Bus, hatte meine Fahrkarte eingelöst und saß mit meinem Gepäck in der hintersten Reihe. Es waren nur vereinzelte Menschen im Bus und sie schienen mich nicht erkannt zu haben. Das war schon mal gut. Die Fahrt zog sich lange hin. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, doch irgendwann waren wir endlich in Yokohama angekommen. Ich stieg aus und schaute mich erst mal um. Einige Meter weiter sah ich die Reklametafel eines 5 Sterne Hotels. Ich ging auf das Hotel zu. Vor den Eingangstüren standen zwei Bodyguards. Sie standen da, als ob sie am Boden festgewachsen wären. Sie blinzelten nicht mal. Ich ging an den beiden vorbei und öffnete die Tür zum Hotel. Das Hotel entsprach dem, was man von einem 5 Sterne Hotel erwartete: große Lounge, die mit teuren Sofas und Sesseln ausgestattet war, schön bestickte Teppiche und eine Rezeption, an der immer mindestens ein Angestellter stand. In der Lounge befand sich niemand außer dem Rezeptionisten. Kein Wunder um 4 Uhr morgens.

Der Angestellte begrüßte mich freundlich. „Was kann ich für Sie tun?“, fragte er mit einem Lächeln.

„Ich würde gerne ein Zimmer reservieren. Für wie lange weiß ich noch nicht“, sagte ich.

Der Mann nickte und begann, etwas am Computer zu tippen. „Wie heißen Sie?“, wollte er wissen.

„Sa- … yuri Sato.“ Ich biss mir auf die Zunge. Das wäre fast schiefgegangen. Er hätte mich wahrscheinlich sowieso nicht gekannt, aber wenn die Polizei die Suche nach mir öffentlich machte, wäre es ein Problem für mich gewesen.

„Okay… Alles klar. Ihr Zimmer hat die Nummer 207. Hier, Ihr Schlüssel.“ Er reichte mir einen Schlüssel.

Ich nahm den Schlüssel, bedankte mich und stieg die Treppen hoch. Mein Zimmer befand sich im ersten Stock am Ende des Gangs. Ich öffnete die Tür und trat ein. Das Zimmer war groß. Ein großes Doppelbett stand in der Mitte des Raums mit einem kleinen Schrank daneben, an der Wand daneben ein Balkon, der eine schöne Landschaft bot, die ich leider nur zum Teil sehen konnte, da die Vorhänge halb zugezogen waren. Gegenüber von dem Bett stand ein kleiner Tisch an der Wand. Auf ihm ein Fernseher. Neben der Eingangstür führte eine Tür ins Bad. Eine weitere Tür an der entgegengesetzten Wand führte in eine kleine Küche mit einer Kaffeemaschine und einem Toaster. Ich hoffte, dass in den vielen Schränken an der Wand auch Lebensmittel vorhanden waren. Oder wenigstens Kaffeepulver.

Ich stellte meine Koffer neben das Doppelbett und ließ mich mit dem Rücken auf das Bett fallen. Ich war mit den Vorbereitungen schon fast fertig. Ich brauchte nur noch einen gefälschten Ausweis mit dem Namen, den ich mir gerade ausgedacht hatte. Wenn das erledigt war, konnte ich loslegen. Zuerst jedoch brauchte ich eine Mütze Schlaf. Ich legte mich ganz auf das Bett und schlief sofort ein.
 

Die Sonnenstrahlen, die durch die Vorhänge drangen, kitzelten mein Gesicht. Ich öffnete müde meine Augen und warf einen Blick auf den Wecker. Es war kurz vor elf. Ich hatte gute sieben Stunden geschlafen. Das sollte reichen. Ich setzte mich im Bett auf und streckte mich kurz. Dann verschwand ich für 20 Minuten im Bad, um zu duschen und mich umzuziehen. Das Frühstück im Restaurant des Hotels hatte ich bestimmt schon verpasst, also schaute ich in der kleinen Küche nach, ob ich etwas Essbares finden konnte. Ich fand Kaffeepulver, Eine Tüte mit Toastbrot, Butter, Käse, Wurst, Zucker und Milch. Ich war zufrieden mit dem, was ich gefunden hatte und machte mich daran, mein Frühstück herzurichten. Um Viertel vor 12 verließ ich mein Hotelzimmer. Ich schloss das Zimmer ab und steckte den Schlüssel in meine Tasche. Ich lehnte es ab, meinen Schlüssel bei der Rezeption abzugeben, weil es mir unsicher erschien. Vielleicht war der Gedanke ein wenig paranoid, aber ich wollte nichts anbrennen lassen. Draußen schien die Sonne mit starker Intensität, doch ich merkte davon wenig, da ich wieder meine Sonnenbrille auf hatte. Ich setzte mich in Bewegung, ohne zu wissen, wohin ich wollte. Ich brauchte einen gefälschten Ausweis. Wer konnte mir so was besorgen? Nachdenklich ließ ich mich auf eine Bank fallen. Es würde schwierig werden, da war ich mir sicher. Für andere Menschen war so was vielleicht ein Kinderspiel, aber für mich, die noch nie irgendwelchen krummen Dingen gedreht hatte, war es eine ziemliche harte Nuss, die zu knacken galt. Ich beschloss, mir zuerst einmal die Stadt anzusehen. Ich stand wieder auf und marschierte los. Auf beiden Straßenseiten befanden sich Geschäfte und Boutiquen und die Wege waren demensprechend voll von Menschen, die diese besuchten. Um diese Zeit herrschte immer viel Betrieb auf den Straßen. Ich ging weiter und ließ die Geschäftsmeilen hinter mir. Die nächste Straße war voll bepackt mit Eiscafés und Restaurants. Sie sahen alle sehr nobel und teuer aus. Durch die großen Fenster konnte man die Menschen beobachten, die in den Räumen saßen und sich unterhielten, während sie ihr Eis oder eine andere Mahlzeit zu sich nahmen. Ich ging weiter und gelangte in eine Straße, in der sich ziemlich wenig Menschen aufhielten. Die Straße waren wie plötzlich leergefegt, kam es mir vor. Ich schaute mich um und entdeckte Discos und andere ominöse Gebäude. Anscheinend war dieses Straßenviertel für den Nachtbetrieb gedacht, denn keines der Gebäude war geöffnet. Vielleicht konnte ich ja heute Nacht hier fündig werden. Ich beschloss, ins Hotel zurückzugehen und am späten Abend wieder hierher zu kommen.

Zurück im Hotel wusste ich nicht, wie ich die Zeit rumkriegen sollte. Ich saß im Schneidersitz auf dem Bett und starrte an die Decke. Es dauerte noch mehrere Stunden, bis ich wieder zu diesem Viertel zurück konnte. Was sollte ich in der Zwischenzeit machen? In der Öffentlichkeit wollte ich mich möglichst nicht zeigen, da ja immer noch die Gefahr bestand, dass mich jemand erkannte. Hier war es zwar nicht zu erwarten, aber man konnte nie vorsichtig genug sein. Ich ließ meinen Blick durch das Zimmer schweifen. Es war ein wirklich schönes Zimmer. Mein Blick fiel auf den Fernseher. Ich rutschte näher an den Tisch, auf dem der Fernseher stand und streckte mich, um an den Schalter zu kommen, der sich neben dem Fernseher auf dem Tisch befand. Ich ließ mich nach hinten aufs Bett fallen und schaltete den Fernseher ein. Er zeigte einen Nachrichtenkanal. Ein etwas älterer, aber sympathisch wirkender Moderator las die neuesten Nachrichten von seinem Notizzettel vor. Passend dazu wurden Bilder hinter ihm auf einem großen Fernseher angezeigt.

„Wie sich herausgestellt hatte, war der Täter betrunken gewesen und daher nicht zurechnungsfähig. Kommen wir zu den News aus Tokio. Heute Nacht ist ein Häftling aus einem Gefängnis in Tokio ausgebrochen.“ Der Moderator legte das oberste Blatt seiner Notizen beiseite, schaute kurz in die Kamera und sah dann wieder auf seine Blätter.

Während ich dem Moderator zuhörte, wurde mir immer unwohler in meiner Haut.

„Es handelt sich dabei um eine Frau; genauer gesagt, die Tochter des verstorbenen Unternehmers Takashi Haruno. Die Polizei hat eine Großfahndung nach ihr gestartet. Sakura Haruno wurde vor 2 Monaten wegen dem Mord an ihrem Vater festgenommen. Merkmal ist ihr langes, rosafarbenes Haar. Nun das Wetter.“

Ich schloss für einen Moment die Augen. Die Polizei hatte es schneller bemerkt, als ich gehofft hatte. Und sie hatte verdammt schnell gehandelt. Jetzt war auch Yokohama ein gefährlicher Ort für mich. Natürlich wussten sie nicht, wie ich genau aussah, aber wer die rosafarbenen Haare unter meinem Hut sah, konnte natürlich Verdacht schöpfen. Ich hatte sie zwar abgeschnitten, aber jeder Mensch konnte so weit denken, dass ich sie mir entledigt hatte. Ich musste also verdammt aufpassen. Wenn ich heute Abend in dieses Viertel ging, musste ich mich besser tarnen. Am besten eine Perücke und Kontaktlinsen. Doch wo sollte ich das herkriegen, ohne aufzufallen? Ich durfte mich um keinen Preis verdächtig machen.

Ich sah nur eine einzige Möglichkeit, an diese Dinge zu kommen, ohne den Verkäufern aufzufallen. Ich musste sie klauen. Nachts, im Schutz der Dunkelheit. Ich wusste, das war keine gute Idee und es war dazu noch illegal, doch ich musste es tun. Natürlich war mir klar, dass der Diebstahl von bald entdeckt werden würde, deshalb musste ich mich, nachdem ich die gefälschten Papiere besorgt hatte, schnellstens aus dem Staub machen. Ich hatte zwar kein gutes Gefühl dabei, mich immer mehr in die Tiefen der Kriminalität zu stürzen, doch ich hatte keine andere Wahl. Wenn ich Higurashi finden und dingfest machen wollte, musste ich Risiken eingehen. Und dabei auch höllisch aufpassen.

In Aktion

Als ich mich nachts aus dem Hotel schlich, plagte mich ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Ob es vielleicht das Essen vom Abend war, oder doch die Aufregung, das konnte ich nicht genau sagen. Klar, ich war schon nervös wegen der Sache, die ich vorhatte. In ein Geschäft einzudringen und Artikel zu entwenden, das war nicht gerade etwas Gewöhnliches für mich. Ich, als Kind eines reichen Unternehmers. Ich hatte immer bekommen, was ich wollte. Und jetzt stand ich da, ganz in Schwarz gehüllt, mit einem Rucksack auf dem Rücken und auf dem Weg zu einem Billigladen, um eine Perücke und Kontaktlinsen zu klauen. Es hörte sich absurd und lächerlich an. Hätte mir jemand vor einem Jahr erzählt, dass ich so etwas tun würde, hätte ich ihn ausgelacht und für durchgeknallt erklärt.

Ich versuchte, mich zusammenzureißen und mich auf meine Aufgabe zu konzentrieren. Trödeln wurde die Sache nur unnötig herauszögern und dafür hatte ich wirklich keinen Nerv. Außerdem musste ich noch in dieses ominöse Viertel, um mir gefälschte Papiere machen zu lassen. Ich hatte extra dafür eine Menge Bargeld dabei, um anfallende Kosten sofort begleichen zu können, um von den Typen nicht auch noch verfolgt zu werden. Ich war gut ausgerüstet, fehlte nur noch die Ausführung.

Das Gebäude war gänzlich in schwarz gehüllt. Ich konnte fast nichts erkennen, nur die Fenster waren in dem Dunkel zu erkennen. Ich tastete mich an der Wand entlang, bis ich die Türklinke erfasste. Aus meiner Hosentasche kramte ich ein kleines Metallstück heraus, mit dem ich die Tür aufbrechen wollte. Ich hatte solche Szenen nur in unrealistischen Krimifilmen gesehen, hoffte jedoch, dass ich es irgendwie hinkriegen würde, diese Tür aufzubekommen. Ich tastete nach dem Schloss und steckte das Metallstück hinein. Ich drehte ein wenig im Schloss herum. Es knackte einige Male, passieren tat aber nichts. Stirnrunzelnd fuhr ich fort, das Metallstück im Schloss hin und her zu drehen. Es knackte wieder einige Male, dann klickte es plötzlich. Ich drückte die Klinke herunter. Die Tür öffnete sich mit einem leisen Quietschen. Erleichtert packte ich das Metallstück wieder in die Hosentasche, dann schlich ich mich in den Laden und schloss die Tür hinter mir. Ich hatte es fast geschafft, nur noch eine Perücke und Kontaktlinsen fehlten, damit ich hier wieder raus konnte. Vorsichtig tastete ich mich voran, erfühlte die Tische und die Artikel. Der erste Tisch schien mit Sprühdosen vollgestellt zu sein. Ich tastete mich weiter voran, bis ich etwas Weiches in die Finger bekam. Ich konnte einzelne Haarsträhnen erfühlen, die ungefähr bis zu den Schultern gingen mussten. Die Farbe der Perücke konnte ich zwar nicht sehen, aber das war nicht so wichtig. Hauptsache ich hatte etwas, um meine auffälligen Haare zu verbergen. Ich steckte die Perücke in meinen Rucksack ein und schlich weiter. Es würde nicht einfach werden, herauszufinden, wo sich nun die Kontaktlinsen befanden, doch ich wusste, dass sie in kleinen rechteckigen Schatullen verpackt waren. Nach einigem Gesuche fand ich etwas, von dem es möglich war, dass es diese Schatullen waren. Ich war mir aber nicht sicher. Wie sollte ich in dem Dunkel herausfinden, ob es die Kontaktlinsen waren? Ich musste irgendwie ein Licht machen, dass aber nicht zu auffällig war. Vielleicht lief noch der ein oder andere Mensch über die Straßen und sah das Licht. Das war ganz und gar nicht in meinem Interesse. Ein unauffälliges, kleines Licht musste also her. Vielleicht konnte mein Handy Abhilfe schaffen. Das Handylicht war hell, würde aber keine große Fläche beleuchten. Ich kramte schnell mein Handy aus meiner Hosentasche, machte es an und beleuchtete den Tisch. Ich nahm eine der Schatullen in die Hand und betrachtete es. Die Schatulle war ganz aus Glas, ich konnte also leicht den Inhalt identifizieren. Und tatsächlich, darin befanden sich zwei blaue Kontaktlinsen. Sehr gut. Jetzt konnte ich endlich von hier verschwinden. Ich schlich schnell wieder nach vorne zum Ausgang, nachdem ich die kleine Schatulle in meinem Rucksack verstaut hatte. Ich sah aus dem großen Fenster, um zu prüfen, ob sich Menschen auf der Straße befanden. Zu meinem Glück war weit und breit keine Seele zu sehen. Ich öffnete schnell die Tür und schlüpfte flink aus dem Gebäude. Nachdem ich die Tür behutsam hinter mir geschlossen hatte, ging ich mit schnellen Schritten die Straße entlang. Jetzt musste ich nur noch das Viertel wiederfinden, von dem ich mir erhoffte, dort eine neue Identität erkaufen zu können. Es war meine einzige Chance, unerkannt nach dem Mörder meines Vaters suchen zu können. Ich musste diese Chance ergreifen.

Zu meinem Glück fand ich das Viertel schnell wieder. Es war hell beleuchtet; überall blinkten Neonschilder und wollten die Leute in die Läden locken. Ich wusste noch nicht recht, wo ich mich zuerst umgucken sollte. Vielleicht sollte ich einfach mal in einen Laden gehen und nachfragen. Vorher musste ich aber erst Mal die Kontaktlinsen einsetzen und die Perücke über den Kopf ziehen, damit mich auch ja niemand erkannte und dann die Polizei rief. Das durfte ich nicht zulassen.

Ich versteckte mich in einer dunklen Gasse und holte meinen Rucksack hervor. Ich kramte die Perücke heraus und merkte, dass es eine blonde Perücke war. Ich machte sie an meinem Kopf fest. Dann nahm ich eine Sonnenbrille aus meinem Rucksack. Ich konnte die Kontaktlinsen in dieser Dunkelheit nicht einsetzen, also musste ich in irgendeinen Laden gehen, um das dort zu erledigen. Die Sonnenbrille würde meine auffallend smaragdgrünen Augen fürs Erste vor neugierigen Blicken schützen.

Ich verließ die Gosse und trat in den nächstbesten Laden ein. Es war ein Club, in dem sehr laute Musik spielte. Der Club war voll von Menschen, die sich alle auf eine Tanzfläche quetschten und sich zu der Musik bewegten. Verschiedenfarbige Neonlichter schwenkten durch den ganzen Club. Ich schaute mich um, auf der Suche nach einer Damentoilette. Am anderen Ende des Raumes entdeckte ich eine Tür, an dem die Aufschrift „WC“ befestigt war. Darunter sah ich einen Aufkleber, der das Symbol einer Frau darstellte. Ich drängte mich durch die breite Masse der Menschen, um zu dieser Tür zu kommen. Als ich endlich dort ankam, roch ich nach dem Schweiß der ganzen Menschen, die ich ausversehen angerempelt hatte. Ich ignorierte den unangenehmen Geruch und trat in die Damentoilette ein. Es war niemand da, also konnte ich hier in Ruhe die Kontaktlinsen einfügen. Ich legte meine Sonnenbrille ab und holte die kleine, gläserne Schatulle mit den blauen Kontaktlinsen heraus.

Als ich fertig war, bemerkte ich zufrieden, dass man mich nicht mehr erkennen konnte. Die blonden, schulterlangen Haare waren gewellt und umrahmten mein Gesicht, sodass mein Gesicht schmaler wirkte als er eigentlich war. Die blauen Augen, die ich jetzt durch die Kontaktlinsen hatte, machten die Verwandlung perfekt. Ich sah aus, wie eine gewöhnliche Blondine aus der Stadt. Zufrieden steckte ich meine Sonnenbrille in meinen Rucksack und verließ den Raum.

Die laute Musik der Clubs drang wieder in meine Ohren, doch ich versuchte es so gut es ging zu ignorieren. Ich beschloss, mich an die Bar zu setzen und den Barkeeper zu fragen, wo ich einen gefälschten Pass herbekommen konnte. An der Bar saßen einige andere Menschen, die jedoch völlig beschäftigt mit ihren Drinks waren. Die meisten waren schon sturzbesoffen, sie würden also sowieso nichts mitbekommen. Ich setzte mich trotzdem ein wenig abseits an die Bar und bestellte einen alkoholfreien Drink.

„Bitte sehr, die Dame“, sagte der Keeper mit einem charmanten Lächeln, als er mir den Drink reichte.

„Danke.“ Ich lächelte zurück. Dann beugte ich mich ein wenig zu dem Barkeeper vor und dämpfte meine Stimme, als ich weitersprach. „Ich hätte da eine kleine Frage“, flüsterte ich.

Der Keeper, an dessen Namensschild der Name „Bobo“ abgedruckt war, stütze sich an der Bar ab und hob fragend eine Augenbraue.

„Kennen Sie jemanden … der mir einen Ausweis besorgen kann?“

„Naja… ich kenne da schon jemanden, aber ich weiß nicht mehr so genau, wie er heißt…“ Bobo verzog das Gesicht zu einer gespielten, traurigen Miene. Ich wusste, was er wollte. Ich fasste in meine Hosentasche und zog 20.000 Yen aus der Tasche, die ich dem Barkeeper reichte. „Frischt das Ihr Gedächtnis auf?“

Bobos Augen leuchteten erfreut auf. „Oh, ja, jetzt fällt es mir ein“, murmelte er, während er mir die Scheine aus der Hand riss. „Er heißt Noda Yokami. Du musst einfach nur die Straße weitergehen, bis du einen Laden findest, der nicht mit irgendwelchen Neon-Schildern beleuchtet ist. Der Laden sieht ein bisschen verfallen aus und eigentlich denken die Leute, dass der Laden seit Jahren unbenutzt ist. Also sei vorsichtig, wenn du ihn betrittst.“

„Danke.“ Ich rutschte vom Hocker und verließ den Club schnellstmöglich. Hoffentlich hatte der Barkeeper mir die Wahrheit erzählt, denn sonst musste ich mit meiner Suche noch mal von vorne beginnen. Ich ging in schnellen Schritten die Straße entlang. Links und rechts von mir leuchteten die Neonschilder und beleuchteten so den Weg für mich. Es dauerte eine Weile, bis die Läden in weiteren Abständen voneinander standen, also auch die Neonlichter weniger wurden. Irgendwann kam ich endlich am Ende der Straße an, an der sich keine Läden mehr befanden – außer einem, ohne Neonschild. Wie Bobo gesagt hatte. Ich amtete tief durch, sah mich kurz um und lief dann die wenigen Meter zu dem Laden hin. Es war so dunkel, dass ich nur wenig erkennen konnte. An der Tür befand sich keine Klingel, also klopfte ich. Nichts rührte sich. Komisch. Hatte Bobo vielleicht doch gelogen und der Laden war tatsächlich verlassen? Ich fasste die Türklinke und drückte sie herunter. Zu meiner Überraschung ließ sie sich öffnen. Ich lugte in den Raum, der völlig in Dunkelheit gehüllt war. Es machte mir schon ein wenig Angst, da reingehen zu müssen, ohne zu wissen, was mich erwartete. Ich machte mir Mut, indem ich daran dachte, dass ich das alles hier dafür tat, meinem Vater die letzte Ehre zu erweisen und seinen wahren Mörder ins Gefängnis zu befördern.

Ich trat in die Dunkelheit ein und schloss die Tür hinter mir. Was sollte ich jetzt machen? Ich schluckte die Angst herunter und beschloss, nach dem Mann zu rufen, der hier angeblich seine illegalen Geschäfte tätigte. „Noda Yokami…? Sind Sie hier?“, fragte ich mit klopfendem Herzen in den dunklen Raum hinein.

„Wer will das wissen?“, fragte eine tiefe Männerstimme. Ich konnte nicht sagen, von wo die Stimme kam, also musste ich weiter im Gespräch mit dem Mann bleiben.

„Ich brauche einen Ausweis. Ich habe Geld, das reicht doch, oder?“

„Wie viel Geld?“

„Wie viel wollen Sie denn?“

„50.000 Yen.“

„Können Sie haben.“

Plötzlich sah ich am anderen Ende des Raumes ein kleines Licht aufblitzen. Das Licht kam von einem Nebenraum, dessen Tür geöffnet war. In diesem Nebenraum, der so klein war wie ein Abstellraum, saß ein Mann auf einer Holzkiste. Der Mann hatte helles, braunes Haar, das ihm ins Gesicht fiel, sodass ich von seinem Gesicht nichts erkennen konnte. Er trug eine schwarze, enge Hose und ein braunes T-Shirt mit schwarzer Weste darüber. Er hob den Kopf ein wenig, strich sich die Haare aus dem Gesicht und winkte mich heran.

Als ich näher kam, erkannte ich, dass er ein recht gutaussehender Mann war. Er hatte dunkelbraune Augen, die in einem Kontrast zu seinen Haaren standen. Sein Gesichtsausdruck war sehr ernst.

„Ich will keine Verarschen, Mädchen.“

„Ich habe nicht vor, Sie zu verarschen. Ich brauche lediglich einen Ausweis.“

„Okay.“ Noda sprang von der Holzkiste herunter und setzte sich an einen Schreibtisch, der in einer Ecke des Raumes stand und den Großteil des Raumes aufbrauchte. Da neben der Holzkiste sonst nichts mehr in dem Raum stand, konnte man sich ein wenig darin bewegen. Ich stellte mich zu ihm an den Tisch. „Und… wie wird das jetzt ablaufen?“, fragte ich.

„Erst Mal will ich eine kleine Anzahlung“, verlangte Noda. „10.000 Yen. Hast du so viel dabei?“

Ich nickte und kramte in meiner Hosentasche herum, bis ich das Geld zusammen hatte. Ich legte die Scheine auf den Tisch. Noda betrachtete die Scheine und hielt sie dann ins Licht, um ihre Echtheit zu überprüfen. Als er fertig war, stopfte er das Geld in seine Hosentasche und reichte mir einen Stift, während er einen Zettel an das Ende des Tisches schob, an dem ich stand. „Schreib die Daten auf, die du auf dem Ausweis haben willst. Name, Nachname, Geburtstag und –ort, Nationalität. Ein Bild brauche ich natürlich auch.“

Ich beugte mich über den Tisch, um die Daten auf den Zettel zu schreiben, die Noda mir aufgezählt hatte. Der Name vor schon Mal klar: es musste derselbe sein, den ich bei der Reservierung des Hotelzimmers genutzt hatte.

Name: Sayuri Sato, schrieb ich auf den Zettel. Als nächstes:Geburtstag: 17.05.1990. Geburtsort: Yokohama. Nationalität: japanisch.

Ein Bild musste ich noch machen lassen. Vielleicht konnte Noda das ja auch erledigen. „Ich habe kein Bild dabei. Können Sie eins machen?“, fragte ich und legte den Stift auf den beschriebenen Zettel.

Noda öffnete eine Schublade des Schreibtisches, aus der er nach kurzem Suchen eine Kamera herausholte. „Stell dich an die weiße Wand da“, befahl er mir.

Ich tat, was er gesagt hatte und kurz darauf hatte er schon das Foto gemacht. Er versprach mir, den Ausweis am nächsten Tag fertig zu haben. Ich verabschiedete mich und machte mich auf den Weg zurück ins Hotel, voller Hoffnung, morgen endlich mit meiner Suche beginnen zu können.

Den Schatten, der mir folgte, bemerkte ich nicht.

Mysteriöser Schwarzhaariger

Ich bemerkte zu spät, dass mich jemand verfolgte. Bevor ich reagieren konnte, hatte mich ein stämmiger, großer Mann überwältigt. Ich wollte aufschreien, doch er hielt mir mit einer riesigen, kratzigen Hand den Mund zu. Er hatte mich mit einem Arm umschlungen und packte mich ziemlich grob an der Hüfte. Da wir uns immer noch in dem Viertel befanden, das so gut wie keine neonbeleuchteten Läden aufwies, war es stockdunkel und keiner war in der Nähe, um mir zu helfen. Der unheimliche Mann schleppte mich einige Meter, bis er vor einem Auto stehen blieb. Er würde eine seiner Hände brauchen müssen, um die Autotür aufzuschließen. Obwohl ich vor lauter Angst und Wut zitterte, versuchte ich, einen klaren Kopf zu behalten. Ich witterte eine Chance. Vielleicht konnte ich ihn irgendwie austricksen, wenn er versuchte, die Autotür aufzumachen.

Meine Chance verpuffte, als ich Schritte hörte, die näher kamen. Anscheinend hatte der Kerl einen Komplizen. Als ich Umrisse erkannte, sah ich, dass er genauso stämmig war, wie der Kerl, der mich im Moment im Griff hatte. Ich schloss die Augen und versuchte, ruhig zu bleiben.

Was wollten diese Kerle von mir? Was hatte ich ihnen getan, dass sie mich entführen wollten? Ich kannte doch niemanden hier. Wie hatte ich ihnen also etwas antun können?

Plötzlich kam mir eine mögliche Erklärung in den Sinn. Vielleicht hatte ich ihnen gar nichts getan. Vielleicht hatten diese Kerle mich einfach nur durch Zufall erwischt – weil ich mich alleine in diesem Viertel rumgetrieben hatte. Verdammt. Warum war mir nicht früher eingefallen, dass es hier sehr gefährlich werden würde? Immerhin wurden hier illegale Geschäfte verrichtet.

Der zweite Typ packte mich nicht weniger grob als der erste. Ich hatte das Gefühl, dass er mir mit seinem festen Griff die Arme brach. Auch er legte mir die Hand auf den Mund, damit ich ja keinen Mucks von mir gab.

Der andere Mann, dessen Hände jetzt frei waren, öffnete die Autotür. Ich wurde unsanft in die hintere Bank verfrachtet. Der Typ, der mich festhielt, setzte sich neben mich. Der andere Kerl setzte sich vorne ans Steuer und gab Gas.

Ich hatte keine Ahnung wo sie mich hinbringen würden. Aber ich hatte panische Angst. Wer weiß, was das für komische Typen waren. Ich war mir hundertprozentig sicher, dass sie mich vergewaltigen wollen. Warum sonst sollten sie nachts in dunklen Gassen herumlungern und eine junge Frau verschleppen? Mein Herz begann, laut und schnell gegen meinen Brustkorb zu hämmern. Was sollte ich machen? Wie sollte ich mich vor diesen beiden Männern verteidigen? Sie waren zu stark für mich und außerdem waren sie zu zweit. Ich hatte keine Chance. Vielleicht hätte ich es geschafft, gegen einen der beiden anzukommen, aber beide würde ich niemals austricksen können. Bleib ruhig, Sakura, befahl ich mir. Ich durfte jetzt bloß nicht in Panik ausbrechen. Ich musste Ruhe bewahren und überlegen, wie ich aus dieser Sache wieder rauskam. Ich würde mich sicher nicht von diesen zwei Schweinen vergewaltigen lassen.

Ich versuchte, aus dem Fenster zu sehen und herauszufinden, wo wir uns befanden. Da es draußen aber stockdunkel war und ich mich in der Stadt nicht besonders gut auskannte, hatte ich keine Orientierung. Egal. Ich musste jetzt erst Mal überlegen, wie ich diese zwei Idioten loswurde. Ich ließ meinen Blick langsam zu dem Mann gleiten, der mich fest umklammert hielt. Er starrte nach vorne zu dem anderen Typen. Anscheinend schien er nicht so sehr auf mich zu achten. Ich wusste nicht, ob mir das eine Hilfe war. Immerhin war da noch der Mann am Steuer, den ich nicht überwältigen konnte, auch wenn ich den hier austricksen könnte. Ich seufzte in mich hinein. Solange wir in diesem verfluchten Auto waren, würde ich nichts unternehmen können.

Die Fahrt kam mir wie eine Ewigkeit vor. Die Männer schwiegen den ganzen Weg über. Ich hatte keine Chance, irgendetwas über sie oder ihre Pläne herauszufinden. Ich selbst konnte ja auch nichts sagen; der Typ nehmen mir hielt seine Hand die ganze Zeit über auf meinen Mund. Als das Auto endlich zum Stehen kam, versuchte ich, mir die Erleichterung nicht ansehen zu lassen. Der Typ neben mir öffnete mit seiner freien Hand die Autotür und zerrte mich nach draußen. Der andere Mann stieg ebenfalls aus. Er deutete auf irgendein Haus, das ziemlich verfallen und alt aussah. Na toll. Noch so ein ominöses Viertel, in das sich bestimmt kein Mensch verirrte.

Der Kerl setzte sich in Bewegung und zog mich vor sich her. Meine Versuche, auf der Stelle stehen zu bleiben, waren nicht sehr erfolgreich, da der Typ viel stärker war als ich. Ich brauchte eine andere Idee. Und zwar schnell, denn wenn ich erst Mal in diesem Haus war, würde es viel schwerer werden, zu entkommen. Ich begann, mit den Füßen zu strampeln und meine Arme in die Höhe zu ziehen, sodass der Kerl ein wenig aus dem Gleichgewicht kam. Ich schüttelte mich so heftig ich konnte und schaffte es, dass der Typ seinen Griff lockerte. Ich witterte meine Chance; ich wand mich geschickt aus seiner Umklammerung und traf ihn mit einem gezielten Tritt in die Weichteile. Er stöhnte auf und krümmte sich. Ich setzte mich in Bewegung. Jetzt schnell weg hier, bevor der andere Mann merkte, dass ich dabei war, zu fliehen.

Ich hatte heute anscheinend nicht sehr viel Glück. Bevor ich weit genug außer Sichtweite der Männer kam, hatte mich der andere Kerl schon eingeholt und grob am Arm gepackt. Ich strauchelte und fiel fast zu Boden, doch der Typ bewahrte mich davor, indem er mich mit dem Arm umschlang und an sich zog. Ich schrie so laut auf, wie ich konnte. Dem Kerl schien das nicht sehr gefallen zu haben, denn er presste seine Hand wieder fest an meinen Mund und starrte mich wütend an. Ich sah zu dem Mann hoch und betrachtete ihn das erste Mal genauer. Er hatte sehr kurz geschorenes, helles Haar. Seine Gesichtszüge waren sehr kantig und grimmig. Der Typ machte mir Angst. Ihn anzusehen reichte, um mir das Herz in die Hose rutschen zu lassen. Er sah aus wie eine dieser Mafia-Typen aus den Krimi-Filmen, die ich früher immer angesehen hatte. Eine unangenehme Gänsehaut lief mir über den Rücken, als er näher an mich herantrat. Ich versuchte, mich wie vorhin bei dem anderen Mann aus seinem Griff zu befreien, doch dieser hier war stärker. Er ließ sich von meinen Befreiungsversuchen nicht beeindrucken. Im Gegenteil, ich hatte nur dafür gesorgt, dass er seinen Griff noch mehr verstärkte. Er drängte mich gegen einen Baum und drückte sich an mich. Hatte er jetzt etwa vor, mich hier zu… Ein unglaubliches Ekelgefühl kroch meinen Hals herauf. In meinem Bauch kribbelte es so heftig, dass ich mich schütteln musste.

Der Typ drückte sich noch ein Stück mehr an mich und spürte, dass er eine Erektion hatte. Ich unterdrückte den Würgereiz, der sich in meinem Hals ausbreitete. Ich versuchte zu atmen, doch der Ekel und die Angst raubten mir die Luft. Als er begann, den Reißverschluss meiner Jacke zu herunterzuziehen, bekam ich es mit der Panik zu tun. Ich konnte mich nicht wehren; ich war wie gelähmt. Aber auch wenn ich mich hätte bewegen können, hätte ich nicht viel ausrichten können. Er war zu stark für mich.

Gerade als ich in meiner Verzweiflung akzeptieren wollte, dass ich keine Chance hatte, dem Mann zu entkommen, wurde er plötzlich von mir weggerissen. Ich spürte einen schnellen Luftzug, dann sah ich, wie eine Faust genau in das Gesicht des Mannes traf. Ein lautes Knacken war zu vernehmen, bevor er zu Boden stürzte. Verwirrt riss ich meinen Blick von dem am Boden liegenden Mann los, um nach der Person Ausschau zu halten, die mich gerettet hatte. Ich konnte gerade noch erkennen, wie ein junger, schwarzhaariger Mann mit wunderschönen, dunklen Augen ein Lächeln über sein Gesicht huschen ließ, bevor er einige Schritte rückwärts machte und in der Dunkelheit verschwand. Ich wollte etwas sagen, um ihn aufzuhalten, doch meine Stimme war nur ein leises Krächzen. Der schwarzhaarige Mann war verschwunden. Und ich hatte ihm nicht mal danken können.

Ich schüttelte kurz den Kopf, um meine Gedanken von dem Mann zu befreien. Ich hatte jetzt wichtigeres zu tun, als ihm hinterher zu träumen. Ich musste schnell fliehen, bevor einer der Männer mich wieder schnappen konnte.
 

Als ich am nächsten Morgen im Hotelbett erwachte, blieb ich erschöpft einige Minuten auf dem Bett liegen, ohne mich zu bewegen. Ich hatte keine Ahnung, wie ich es in der letzten Nacht geschafft hatte, das Hotel zu finden. Ich wusste nur noch, dass ich nach langem Herumirren irgendwann wieder vor dem Hotel gestanden hatte. Ich war heilfroh, in dem warmen, weichen Bett zu liegen. Ich kuschelte mich tiefer ins Kissen und schloss die Augen. Vor meinem inneren Auge tauchte plötzlich der mysteriöse, schwarzhaarige Mann von letzter Nacht auf. Seine Gesichtszüge waren verschwommen, sodass ich nicht erkennen konnte, wie er genau aussah. Nur ein Merkmal stach heraus: Seine dunklen, fast schwarzen Augen. Sie sahen so bezaubernd aus, dass spürte, wie es ein Lächeln auf meine Lippen zauberte. Der mysteriöse Schwarzhaarige. Mein Retter. Zu schade, dass er nicht geblieben war. Ich hätte mich zu gerne bei ihm bedankt. Und weiter in seine schönen Augen gesehen.

Ich seufzte. Warum bekam ich diesen Mann nicht mehr aus dem Kopf? Ich hatte weiß Gott wichtigeres zu tun, als für irgendeinen Mann zu schwärmen, den ich nicht mal kannte. Schluss jetzt damit, befahl ich mir. Ich hatte viel zu tun, bis ich endlich aufbrechen konnte, um Kuno Higurashi zu finden und ihn dingfest zu machen. Ich musste heute erst Mal meinen gefälschten Ausweis abholen. Noda hatte gesagt, dass ich gegen Mitternacht kommen sollte. Für dieses Mal brauchte ich eine Begleitung, sonst würde vielleicht wieder etwas passieren und das wollte ich nicht ein zweites Mal erleben. Doch wen sollte ich fragen? Bobo, den Barkeeper dieses Clubs vielleicht. Gegen ein bisschen Geld würde er sicher einen guten Bodyguard abgeben. Ich beschloss, in dem Club vorbeizuschauen, bevor ich zu Noda gehen würde. Bis Mitternacht war aber noch viel Zeit übrig. Ich krabbelte aus dem Bett und schlurfte mit langsamen Schritten ins Bad. Ich würde mich heute nicht groß in der Stadt rumtreiben, da ich zu erschöpft von der letzten Nacht war. Ich würde den ganzen Tag im Hotel verbringen und mich so gut wie möglich ausruhen.
 

Kurz vor Mitternacht saß ich an der Bar des Clubs, in dem ich schon in der letzten Nacht gesessen hatte. Es war genauso voll wie letzte Nacht, was mich nicht sehr verwunderte. Alle Clubs dieser Art waren nachts rappelvoll. Die meisten Menschen, die an der Bar saßen, waren wie erwartet wieder sturzbesoffen und konnten kaum noch gerade sitzen. Ich versuchte diese Leute so gut wie möglich zu ignorieren, während ich auf Bobo wartete. Es dauerte nicht lange, bis er mich entdeckte. Er kam lächelnd auf mich zu. „Was darf’s denn sein, junge Dame?“, fragte er freundlich.

„Ich brauche Ihre Hilfe“, sagte ich, um sofort zum Punkt zu kommen.

Seine Augenbraue schoss fragend in die Höhe. „Ich hatte dir doch gestern schon geholfen, oder nicht? Was willst du denn jetzt?“

Ich kramte in meiner Hosentasche, aus der ich 10.000 Yen herausfischte. „Ich brauche einen Bodyguard. Wenn du mich zu Noda bringst und von dort aus zurück in mein Hotel, kriegst du diese hübschen hier.“ Ich knisterte ein wenig mit den Scheinen, damit seine Aufmerksamkeit auf sie fiel.

Bobo starrte das Geld begeistert an. „Ich bin gleich bereit“, murmelte er und war kurz darauf hinter einer Tür verschwunden. Es dauerte nicht lange, bis er wiederkam, umgezogen und bereit, zu gehen. Ich steckte ihm das Geld zu, dann gingen wir los.

Während des Weges sprachen wir nicht viel. Bobo versuchte, herauszufinden, wozu ich den gefälschten Pass brauchte, doch ich blockte ab. Ich würde mich niemandem anvertrauen, schon gar nicht Fremden. Irgendwann verstand er das und blieb still.

Bei Noda ging dann alles sehr schnell. Ich gab ihm den Rest des Geldes und erhielt im Gegenzug den fertigen Pass. Ich bedankte mich und verschwand schnell wieder. Bobo begleitete mich bis zu meinem Hotel, dann verschwand auch er. Als ich in meinem Hotelzimmer ankam, nahm ich als erstes eine lange, warme Dusche. Ich hatte alle Vorbereitungen getroffen. Meine Suche nach Kuno Higurashi konnte endlich beginnen.

Geheimnisvolles Mädchen

Er bekam sie einfach nicht mehr aus dem Kopf.

Mit ausgestreckten Armen lag er auf seinem Bett und dachte an dieses Mädchen von letzter Nacht. Er schloss die Augen und versuchte, sich an ihr Aussehen zu erinnern. Vor seinem geistigen Auge erschien das Mädchen; ihre blonden, schulterlangen Haare umrahmten ihr schmales Gesicht. Einige Strähnen waren zu kleinen Löckchen aufgewickelt, die ihn der kühlen Nachtluft leicht hin und her wippten. Sie hatte ein schönes Gesicht mit großen, meerblauen Augen, die weit aufgerissen waren, aber trotzdem noch schön aussahen. Wie sie wohl aussah, wenn sie lächelte?

Er schüttelte den Kopf, um das Bild aus seinen Gedanken zu bekommen. Er würde sie nie wieder sehen. Er hatte sie vor diesem widerlichen Kerl gerettet und das war es auch schon gewesen. Er war nicht bei ihr geblieben, hatte sie nicht gefragt, ob es ihr gut ging. Er hätte nicht bleiben können, auch wenn er dem Mädchen gerne geholfen hätte. Er hatte an diesem Ort etwas zu tun gehabt, das viel wichtiger gewesen war. Hätte er auch nur wenige Minuten seiner Zeit verloren, hätte er den Massenmörder niemals in die Finger bekommen, der sich in einem der verfallenen Häuser mit einer Geisel versteckt hatte. Doch zum Glück war alles gut gegangen. Er und seine Kollegen hatten das Haus umstellt, die Geisel gerade noch rechtzeitig gerettet und den Massenmörder verhaftet und abgeführt. Eigentlich sollte er ja zufrieden sein; er hatte seinen Job erledigt. Doch er war nicht zufrieden. Seit er dieses Mädchen gesehen hatte, konnte er an nichts anderes mehr denken. Warum faszinierte sie ihn so? Er hatte gespürt, dass sie eine geheimnisvolle Aura umgab. Vielleicht war es das, was sie so anziehend für ihn machte. Aber auch wenn, es war nicht von Belang. Das Mädchen war irgendeine Fremde gewesen, die er nie wieder zu Gesicht bekommen würde. Seufzend setzte er sich in seinem Bett auf. Er musste sie so schnell wie möglich vergessen.

Ein lauter Ton, den sein Handy verlauten ließ, schreckte ihn auf. Er schnappte sich das Gerät, das auf einem keinen Nachttisch neben seinem Bett lag, und sah auf den Display. Er hatte eine SMS erhalten.
 

Eeeeey!

Komm mal vorbei. Wir sitzen hier alle rum und es ist echt gemütlich! Mach dich auf die Socken alter!

Naruto
 

Ein Grinsen huschte über sein Gesicht, während er den Kopf über seinen besten Freund Naruto schüttelte. Er war impulsiv und ein richtiger Hitzkopf. Wenn er nicht bei ihm auftauchen würde, müsste er sich morgen im Präsidium eine Standpauke von ihm anhören.

Noch ein wenig träge glitt er von seinem Bett. Er beeilte sich nicht, als er in seine Jacke schlüpfte und seine Schuhe überzog. Auch als er aus seiner Wohnung trat, die Tür hinter sich zuzog und losging, bemühte er sich nicht, möglichst schnell voran zu kommen. Er hatte heute nicht so viel Lust, mit den anderen abzuhängen und ihnen zuzusehen, wie sie sich volllaufen ließen, herumgrölten und sich über Dinge totlachten, die nur begrenzt lustig waren. Seine Gedanken waren noch zu voll von dem Mädchen von letzter Nacht. Egal wie sehr er sich bemühte, nicht an sie zu denken, konnte er nicht verhindern, dass sie sich immer und immer wieder in seine Gedanken schlich. Vielleicht würden seine Freunde ihn ein wenig ablenken können. In dieser Hinsicht war es eigentlich schon gut, dass er jetzt auf dem Weg zu Naruto war. Er beschleunigte seinen Schritt ein wenig, um schneller anzukommen.
 

„Da bist du ja endlich!“, begrüßte Naruto ihn mit einer Flasche Bier in der Hand und leicht geröteten Wangen. „Wir haben dich schon vermisst!“

Er lächelte seinen blonden Freund entschuldigend an. „Sorry, Naruto. Ich hab ein wenig getrödelt.“

„Na, is‘ ja nicht so schlimm!“ Naruto grinste und schob ihn dann ins Wohnzimmer. „Mach’s dir gemütlich, Kumpel!“

Im Wohnzimmer erwarteten ihn schon eine Menge anderer Leute. Es waren Freunde und Kollegen aus dem Präsidium, die sich auf den Sofas breit gemacht hatten, mit grinsenden Gesichtern und dutzenden von Bierflaschen auf dem kleinen, ovalen Tisch, der vor einem der Sofas platziert war. Das Wohnzimmer sah eigentlich sehr gemütlich aus; der große Flachbildfernseher am anderen Ende der Wand war eingeschaltet und zeigte ein Fußballspiel der japanischen Liga. Der große Balkon, der sich über die ganze Länge der angrenzenden Wand ausstreckte, bot einen schönen Ausblick auf das Viertel. Die Balkontür war geöffnet, sodass die frische Luft von draußen das Wohnzimmer gut durchlüftete, was ihn sehr erfreute, da er nun nicht fürchten musste, vom Geruch des ganzen Bieres erstickt zu werden. Er setzte sich auf einen freien Platz, der sich zwischen einer blauäugigen Blondine, die ihr Haar zu einem Zopf gebunden trug, und einem mürrisch dreinblickenden jungen Mann mit langem, braunem Haar befand.

„Hey, Süßer!“, begrüßte ihn die Blondine, die den Namen Ino trug, mit einem koketten Lächeln. Sie war Narutos Nachbarin und zugleich gut mit ihm befreundet. Sie hatte ein recht hübsches Gesicht mit freundlichen hellblauen Augen, die vielleicht ein wenig zu sehr mit schwarzem Eyeliner untermalt waren. Einige Strähnen ihrer platinblonden Haare waren nicht in den Zopf mit eingebunden, sodass sie ihr ins Gesicht fielen und ihr linkes Auge halb verdeckten. Sie hatte anscheinend ein Auge auf ihn geworfen, was er daraus schloss, dass sie bei jedem Treffen, das Naruto veranstaltete, versuchte, sich an ihn ranzumachen. Er selbst war aber nicht so sehr an der Blondine interessiert, obwohl er zugeben musste, dass sie eine sehr hübsche Frau war. Sie war aber einfach nicht sein Typ. Sie war zu gekünstelt, zu sehr auf Schönheit bedacht.

„Hallo Ino.“ Er rückte unauffällig ein kleines Stück von ihr weg, damit sie nicht versuchen konnte, einen Arm um ihn zu legen oder andere körperliche Berührungen zu tätigen.

Ino hielt ihm eine bereits geöffnete Bierflasche unter die Nase. „Hier, trink einen Schluck, dann wirst du etwas lockerer!“, sagte sie und setzte ein verführerisches Lächeln auf ihre Lippen.

Er nahm die Flasche an, stellte sie aber auf dem Tisch ab, statt sie an seinen Mund zu führen. „Ich trinke nicht, danke. Solltest du eigentlich schon wissen, so oft wie du schon versucht hast, mich betrunken zu machen“, entgegnete er trocken.

Ino seufzte und ließ ihren Kopf gegen die Rückenlehne fallen. „Ich hab‘ echt schon alles versucht… wann lässt du das mit uns beiden endlich zu…?“ Sie streckte einen Arm aus und fuhr mit ihren Fingern sanft seinen Arm entlang. Dabei schielte sie mit einem bittenden Blick in den Augen zu ihm rüber.

Er presste die Lippen aufeinander, während er beobachtete, wie sie ihre Hand auf seinen Schoß gleiten ließ. Er packte ihre Hand und legte sie auf das Sofa. Er quittierte ihren enttäuschten Blick mit Ignoranz, indem er stur geradeaus blickte. Nachdem ein weiterer Seufzer aus ihrem Mund erklungen war, stand sie auf und gesellte sich zu einem Mädchen mit braunen Haaren, die zu jeweils einem Dutt auf der linken und einem auf der rechten Seite aufgewickelt waren. Es handelte sich dabei um Tenten, die eine Freundin von Ino und gleichzeitig auch eine Kollegin von Naruto und ihm war. Erleichtert entspannte er sich, als er merkte, dass Tenten und Ino in ein intensives Gespräch verfielen. Ino würde für die nächste Stunde beschäftigt sein, was hieß, dass sie ihn solange nicht mehr belästigen konnte.

Kaum dass Ino weg war, machte sich Naruto auf ihrem Platz breit. „Hey, Kumpel!“, begrüßte er ihn grinsend, während er mit seiner Bierflasche wedelte. „Was geht?“

„Ino hat mich wieder angemacht“, erzählte er in beiläufigem Ton. Für keinen der hier anwesenden Leute wäre es eine neue Nachricht gewesen. Jeder wusste, dass Ino ein gewisses Interesse an ihm hatte, aber sie wussten auch, dass er dieses Interesse nicht erwiderte. Dieses Wissen der anderen spornte Ino nur noch mehr an, es immer wieder bei ihm zu versuchen.

Naruto lachte. „Ich glaube, sie wird niemals aufgeben! Warum weist du sie eigentlich immer ab?“

„Ich hab’s dir doch schon oft gesagt: Sie ist nicht mein Typ.“

„Ich versteh‘ nicht, wieso. Sie ist doch voll hübsch. Also wenn ich du wäre…“

„Dann nimm‘ du sie doch.“

„Mensch, du Nuss, du weißt doch, ich mag doch-…“

„Ich weiß, du bist in Hinata verknallt.“ Ein Grinsen huschte über sein Gesicht, als er sah, wie Naruto bei der Erwähnung von Hinata zusammenzuckte. Schmunzelnd beobachtete er, wie Naruto sich hektisch im Raum umschaute, bis er das blauhaarige Mädchen entdeckte, rot anlief und dann schnell wieder wegsah.

„Sei mal nicht so laut, sonst hört sie dich!“, brummte der blonde Chaot, der plötzlich, entgegen seiner Art, sehr nervös war.

„Ach, Naruto. Siehst du eigentlich nicht, wie sie immer tomatenrot anläuft, wenn sie mit dir spricht?“, erwiderte er schmunzelnd. Er wartete Narutos Reaktion ab, die auch schon kurz darauf folgte.

„W-Was redest du da? Stimmt doch gar nicht….“, stammelte er und wurde noch nervöser. Er starrte auf seine Bierflasche herab, die er unruhig in seinen Händen hin und her drehte. Das Klingeln seines Handys in seiner Tasche ließ in zusammenzucken. Hastig stellte er die Flasche auf dem Tisch ab und zerrte sein Handy aus der Hosentasche. „Hallo?“ Er lauschte der Stimme, die aus dem Handy ertönte. „Okay, wir sind in 10 Minuten da.“ Er steckte sein Handy wieder in die Tasche und blickte ernst zu seinem Freund auf. „Sie haben eine Leiche gefunden – an der Stelle, an der wir gestern den Massenmörder geschnappt haben.“

Für einen kurzen Moment weiteten sich seine Augen überrascht. Doch schon wenige Sekunden später hatte er sich gefasst und war bereit aufzubrechen. „Ich gehe schon mal vor. Klär du alles mit den Gästen und komm dann mit Tenten nach.“ Nachdem er ein Nicken von Naruto registriert hatte, stand er auf und verließ die Wohnung.
 

„Anscheinend hatte der Mistkerl noch eine zweite Geisel.“ Naruto kniete neben der entstellten Leiche und ballte wütend die Hände zu einer Faust. Sie lag ausgestreckt mitten im Wohnraum des verfallenen Hauses, in dem der Massenmörder der vergangenen Nacht die Geisel festgehalten hatte. So wie es aussah, hatte er eine zweite, unerwähnte Geisel hier ebenfalls festgehalten, die innerhalb der letzten Nacht ermordet worden war.

„Es kann nicht der Massenmörder gewesen sein“, schlussfolgerte Tenten. „Der war nämlich schon auf dem Weg ins Kittchen, als die Frau umgebracht worden ist.“

„Da hast du Recht“, erwiderte Naruto nachdenklich und erhob sich. „Wir müssen mit dem Doc sprechen und herausfinden, wer diese Frau ist und was sie mit dem Massenmörder zu tun hatte. Vielleicht kommen wir durch ihn auf eine Spur, die zum Mörder dieser Frau führt. Stimmt’s, Kumpel?“

„Hmh…“, murmelte er abwesend. Seine Gedanken waren nicht bei der toten Frau, die da auf dem Boden vor ihm lag. Obwohl er eigentlich voll auf seine Arbeit konzentriert sein musste, schweiften seine Gedanken in eine völlig andere Richtung ab. Dieser Ort, an dem er war, rief die Erinnerung an eine ganz bestimmte, andere Frau in ihm wach. Eine Frau, die er erst letzte Nacht kennengelernt hatte und an die er unentwegt denken musste, obwohl er nicht ein einziges Wort mit ihr gewechselt hatte.

„Kumpel?“, versuchte es Naruto noch einmal und schaffte es dieses Mal, ihn aus seinen Gedanken zu reißen. „Was ist denn mit dir los?“, fragte er verwundert.

„Nur ein bisschen müde…“, flunkerte er, um nervigen Fragen auszuweichen. „Hab nicht so gut geschlafen, diese Nacht.

„Ach so. Vielleicht solltest du nach Hause gehen und dich ein wenig ausruhen. Tenten und ich machen das schon, nicht wahr?“ Mit einem Augenzwinkern wandte er sich Tenten zu.

Tenten lächelte und nickte. „Klar schaffen wir das. Ruh dich ein wenig aus. Du hast in den letzten Wochen echt hart gearbeitet, das hast du dir verdient.“

„Danke, Leute.“ Er ließ ein dankbares Lächeln über sein Gesicht huschen. Ein wenig Ruhe würde ihm wahrscheinlich tatsächlich guttun. Vielleicht konnte er durch ein wenig Schlaf seine wirren Gedanken ordnen. Und vielleicht konnte eine Mütze Schlaf dieses mysteriöse Mädchen endlich aus seinem Kopf jagen. Er musste sie unbedingt so schnell wie möglich wieder vergessen. Sie behinderte ihn nur in seiner Arbeit, wenn er weiterhin so abwesend und nachdenklich war. Außerdem, was brachte es, den Großteil seiner Zeit damit zu verbringen, an einen Menschen zu denken, den man ohnehin nie wieder sehen würde? Recht wenig. Also musste er sie vergessen. Denn er würde sie sowieso nie wiedersehen.

Risikoreiche Informationsbeschaffung

Ich hatte alles vorbereitet. Ich war bereit, den Mörder meines Vaters ausfindig zu machen und ihm das Handwerk zu legen.

Heute war es endlich soweit. Ich wusste noch nicht genau, wie ich Kuno Higurashi finden sollte, aber ich war entschlossen ihn zu finden und hatte auch schon einen ersten Ansatz. Ich wollte die damalige Firma meines Vaters besuchen (die übrigens jetzt von einem ehemaligen Assistenten geführt wurde) und mich dort nach ihm erkundigen. Es war kein sehr origineller Plan, aber bis jetzt fiel mir nichts anderes ein. Higurashi war wie vom Erdboden verschluckt, da bestand keine Chance, dass ich ihn durch Zufall auf der Straße treffen würde. Ich musste also noch ein letztes Mal zurück nach Konoha und herausfinden, wo sich der Mörder meines Vaters befand.

Ich hatte meine Sachen schon zusammengepackt und aus dem Hotelzimmer ausgecheckt. Nun stand ich, verhüllt durch die Perücke, die Kontaktlinsen und sicherheitshalber auch dem Hut, in der Lounge herum und überlegte, wie ich weiter vorging. Sollte ich ein öffentliches Verkehrsmittel nutzen oder mir lieber ein Auto besorgen? Ich wusste ja nicht, wo sich Higurashi befand. Vielleicht war er in einem anderen Staat und ich würde gezwungen werden, mit dem Flugzeug zu fliegen. Ein Auto würde mir da nicht viel nützen. Am besten war es, wenn ich fürs Erste noch einmal mit dem Bus fuhr. Sollte sich herausstellen, dass Higurashi sich noch im Land aufhielt, konnte ich mir immer noch ein Auto kaufen.

Ich setzte mich langsam in Bewegung. Auch wenn ich jetzt unerkannt war, durfte ich nicht auffällig wirken, das war mir klar. Ich war niemals sicher. Inzwischen war bereits ganz Japan darüber informiert, dass ich ausgebrochen war. Es war verdammt gefährlich, doch ich musste das Risiko eingehen. Es gab in meinem Leben sowieso nichts mehr, das irgendwelchen Wert für mich hatte. Das einzige, wofür ich lebte, war die Rache für meinen verstorbenen Vater.

Als ich an der Bushaltestelle ankam, stellte ich meine Koffer neben einer Bank ab, auf die ich mich kurz darauf erschöpft fallen ließ. Ich schob meinen Hut tiefer in mein Gesicht, da sich langsam die Mittagssonne breit machte und eine Hitze verbreitete, der ich nur ungern ausgesetzt war. Ich versuchte, mich ein wenig zu entspannen und für einen Moment zu vergessen, wie viel Stress mich in den nächsten Tagen oder sogar Wochen erwarten würde. Ich versuchte an die Zeit zu denken, in der ich glücklich gewesen war. Die Zeit, in der mein Vater noch gelebt hatte und er mich jeden Tag angerufen hatte um zu fragen, wann er denn endlich einen Schwiegersohn bekäme. Oder um zu sagen, dass er sich darauf freute, irgendwann mal Großvater zu werden und mit den Kindern im Garten herumzutollen. Ich seufzte unglücklich. All das würde nun nicht mehr möglich sein, denn mein Vater war jetzt tot. Und egal woran ich auch schönes zu denken versuchte, es schlich sich immer wieder in meine Gedanken ein. Es kontrollierte meine Gedanken. Alles, was ich tat, tat ich aufgrund dieser Tatsache.

Ich unterbrach meine Gedanken, als endlich der Bus an der Haltestelle hielt. Ich packte mir meine Koffer und stieg in den Bus ein. Die Sitzbank ganz hinten war leer, also machte ich mich dort breit. Einige Menschen starrten meinen Koffern hinterher, als hätten sie noch nie einen Reisenden gesehen, doch ich ignorierte ihre Blicke so gut es ging. Sie konnten unmöglich ahnen wer ich war, da ich mein Aussehen vollkommen verschleiert hatte, also brauchte ich mir keine Sorgen zu machen. Dazu kam, dass ich nicht auffallen durfte, also musste ich ganz ruhig und unscheinbar bleiben, damit ja niemand auch nur die leiseste Ahnung von meiner waren Identität hatte.

Die Fahrt verlief sehr ruhig und ohne Zwischenfälle. Als ich an der Haltestelle vom Zentrum von Konoha ausstieg, war alles wie gewöhnlich. Die Menschenmassen trudelten durch die Straßen und unterhielten sich unbekümmert. Der Verkehr war sehr dicht, jedoch nicht zu überfüllt. Es hatte sich nicht viel verändert, auch wenn seit einigen Tagen eine vermeintliche Verbrecherin aus dem Gefängnis geflohen war.

Ich hielt mich nicht lange damit auf, mir die bekannte Umgebung näher anzusehen. Stattdessen machte ich mich zielstrebig auf den Weg zur Firma, die mein Vater damals geleitet hatte. Haruno Luxury Ltd. Ich konnte die großen, neonbeleuchteten Lettern, die das riesige Gebäude der Firma betitelten, schon von weitem erkennen. Ich hatte mich damals nie wirklich für die Firma meines Vaters interessiert. Für mich war sie eher mit einem negativen Gedanken verbunden, da mein Vater aufgrund seiner Pflichten als Geschäftsführer nur sehr wenig Zeit für mich übrig hatte. Ich konnte mich nur nur kaum an meinen letzten Besuch in der Firma erinnern. Es war an dem Tag gewesen, an dem mein Vater seinen runden Geburtstag hatte und ich ihn in der Firma mit einem kleinen Geschenk überraschen wollte. Es war zu einem ziemlich enttäuschenden Erlebnis geworden, da die Sekretärin sehr sturköpfig gewesen war und mich partout nicht in das Büro meines Vaters reinlassen wollte, da er „wichtige Angelegenheiten“ zu besprechen hatte. Im nachhinein hatte ich das Geschenk abends zwar doch abgegeben, jedoch hatte mich diese Erfahrung entmutigt, jemals wieder einen Fuß in diese von Hektik und Stress geprägte Firma zu setzen.

Ich überprüfte mein Aussehen in der gläsernen Eingangstür, bevor ich sie aufdrückte und in das riesige Gebäude eintrat. Seit meinem letzten Besuch hatte sich einiges verändert. Alles sah moderner aus und vermittelte nur noch mehr die Atmosphäre von Hektik, Stress und unermüdlicher Arbeit. Die Angestellten der Firma sprinteten durch die langen Gänge, bepackt mit unzähligen von wichtigen Papieren, die entweder kopiert, unterzeichnet, eingeheftet oder zerschreddert werden mussten. Die Empfangsdame tippte mit flinken Finger auf ihrer Tastatur herum und machte ab und zu ein paar Klicks mit der Maus. Alles in allem betrachtet fühlte ich mich in dieser Gesellschaft nicht sehr wohl. Ich beschloss, meine Angelegenheit in dieser Firma schnell zu beenden, damit diese Hektik nicht allzu sehr auf mich abfärbte. Ich ging langsam auf die Rezeption zu und versuchte, dabei nicht zu auffällig auszusehen. Ich musste immer noch darauf achten, dass man mich nicht erkennen konnte. Besonders da ich jetzt in Konoha war und hier die Polizeibesatzung, die auf mich angesetzt war, am höchsten war.

Eine freundlich aussehende junge Dame mit zusammengebundenen blonden Haaren saß an dem Schreibtisch. Sie sah konzentriert durch ihre Brille hindurch auf den Bildschirm ihres PCs und tippte auf der Tastatur herum, ohne mich zu bemerkten.

Ich räusperte mich kurz, um die Frau auf mich aufmerksam zu machen. „Guten Tag. Ich suche Kuno Higurashi.“

Die blonde Frau sah überrascht zu mir auf. „Kuno Higurashi? Der hat die Firma nach dem Tod von Mr. Haruno verlassen.“

„Warum?“

„Man sagt, dass er so geschockt von dem Ereignissen war, dass er depressiv wurde und nicht mehr in der Firma weiter arbeiten konnte.“ Die Frau wandte sich wieder ihrem PC zu und fuhr fort, auf ihrer Tastatur herumzutippen.

Ich bewegte mich nachdenklich ein paar Meter von der Rezeption weg. Was bezweckte Higurashi mit dieser Nummer? Warum hatte er die Firma nicht sofort übernommen, nachdem er Vater getötet hatte? Wozu spielte er diese Trauernummer?

Da ich diese Fragen sowieso nicht beantworten konnte, solange ich keine weiteren Informationen beschaffen konnte, beschloss ich, nach der Adresse von Higurahi zu fragen und einen kleinen ‚Hausbesuch‘ zu machen.

Die Frau an der Rezeption sträubte sich zunächst dagegen, mir den Wohnort von Higurashi zu verraten, doch nachdem ich sie einige Minuten vollgequatscht hatte, hatte sie die Nase voll von mir und gab die Adresse widerwillig und ziemlich entnervt raus. Mir war es ziemlich egal, wie es der Frau im Moment ging; die Hauptsache war, dass ich diese Adresse hatte und heute Nacht in das Haus von Kuno Higurashi einbrechen würde.
 

Gegen Mitternacht schlich ich mich in schwarzer Ganzkörperkleidung an das Haus von Higurashi an. Zu aller erst würde ich herausfinden, ob sich jemand in dem Haus befand. Ich klingelte und versteckte mich schnell hinter einem Baum, damit mich niemand sehen konnte, sollte irgendwer die Tür öffnen.

Dieser Fall traf nicht ein, also schlich ich mich wieder an das Haus. Da niemand da war, konnte ich mir Zugang zum Haus verschaffen und mich in aller Ruhe umsehen und nach irgendwelchen Hinweisen suchen, die mir weiterhelfen könnten.

Ich kramte eine kleine Haarnadel aus meiner engen Hosentasche und machte mich am Schloss zu schaffen. Es war jetzt schon das zweite Mal, dass ich eine Straftat beging. Ich fühlte mich langsam wirklich wie ein Verbrecher. Vielleicht sollte ich mich stellen und wieder zurück ins Gefängnis.

Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte keine Zeit für solche Sprüche; ich musste mich konzentrieren, wenn ich hier vorankommen wollte. Ich wusste, dass das, was ich tat, nicht gut war und gegen das Gesetz verstieß, doch ich musste es tun, weil ich ein viel größeres Verbrechen aufdecken musste. Wenn das hier alles vorbei war, würde ich freiwillig eine Geldstrafe zahlen, doch erstmal musste ich Higurashi überführen.

Nachdem ich das Schloss geknackt hatte, öffnete ich sehr leise und langsam die Tür gerade so weit, dass ich mich hindurchzwängen konnte, ohne ein Geräusch zu verursachen. Ich schloss die Tür behutsam wieder und knipste eine Taschenlampe an. Ich schaute mich ein wenig in dem Raum um, ließ die Taschenlampe hin und her schwenken. Ich entdeckte einen Schrank mit vielen kleineren Schubladen. Den wollte ich mir mal näher ansehen. Ich ging zu dem Schrank rüber, nahm die Taschenlampe in den Mund und öffnete die erste Schublade. Ich fand nichts, also öffnete ich die zweite. Und die dritte und die vierte. In der fünften und letzten fand ich ein kleines, rotes Telefonbuch. Ich steckte es ein. Vielleicht beinhaltete es irgendwelche nützlichen Kontakte, die mich auf die Spur von Higurashi führen könnte.

Ich schloss die Schubladen wieder und machte mich auf den Weg ins nächste Zimmer. Ich war mir sicher, dass Higurashi die wichtigen Dokumente in seinem Schlafzimmer aufbewahrte. Ältere Menschen wollten ihre wichtigen Dinge doch immer bei sich haben, wenn sie schliefen, um sicher zu sein, dass sie am nächsten Morgen noch da waren.

Ich leuchtete in den Flur, der sich vor mir erstreckte. Ich fand vier Türen vor; rechts von mir eine, gegenüber von mir zwei und eine weitere versetzt gegenüberliegend von den beiden Türen, die nebeneinander lagen. Welche Tür führte ins Schlafzimmer? Da ich keine Ahnung hatte, beschloss ich, in jedes einzelne Zimmer zu gehen und sie mit meiner Taschenlampe auszuleuchten. Zu erst wandte ich mich der Tür zu meiner Rechten zu. Ich legte eine Hand auf die Klinke und drückte sie herunter. Mit der anderen Hand hielt ich die Taschenlampe fest umklammert. Langsam öffnete ich die Tür. Ich hatte es gerade geschafft, sie zur Hälfte zu öffnen, als eine eiskalte Hand meinen Arm grob umfasste und mich brutal zurückzerrte. Mein Herz setzte für einen Moment aus; meine Taschenlampe fiel mit einem kleinen ‚klack‘ zu Boden. Ich unterdrückte nur mit großer Mühe einen lauten Schreckensschrei.

Ein dreckiges Lachen ertönte direkt neben meinem Ohr. Dann spürte ich den Lauf einer Pistole an meiner Stirn.

Panik kroch in mir hoch, doch ich versuchte krampfhaft, mir nichts anmerken zu lassen. Was hatte dieser Typ hier zu suchen? Ich hatte doch geklingelt, wieso hatte er nicht geöffnet?

„Du…“, hauchte der unheimliche Typ mir mit seiner rauchigen, kratzigen Stimme ins Ohr. „Du wirst hier und jetzt sterben, meine Hübsche!“

Nein! Das durfte ich nicht! Ich hatte eine Mission zu erfüllen und ich durfte nicht sterben, bis ich diese nicht erfüllt hatte. Danach war mir alles egal. Aber diese eine Mission musste ich noch erfüllen.

Ich nahm all meinen Mut, der mir übrig geblieben war, zusammen und holte mit dem Ellbogen von meinem freien Arm aus; dann rammte ich ihn mit voller Wucht in den Typen rein, der sich hinter mir befand und immer noch meinen anderen Arm in seiner Gewalt hatte. Ich merkte, wie sich die Pistole von mir entfernte. Ich nahm dies als Anlass, meine Beine in die Hand zu nehmen und so schnell loszurennen, wie ich nur konnte.

Im Hintergrund hörte ich den Typen dreckig lachen. „Ha..ha…. du hast keine Chance, du Göre…“, murmelte er bedrohlich, doch ich achtete nicht auf ihn und lief einfach weiter. Ich musste hier sofort raus.

Ich hatte die Haustür fast erreicht und wollte schon nach der Klinke greifen, als sich mir plötzlich ein weiterer stämmiger Mann in den Weg stellte. Meine Hand prallte an seinem harten Oberkörper ab. Ich spürte einen pochenden Schmerz in dieser Hand, sodass ich sie ruckartig zurückzog.

Als der Mann ein hässliches, dunkles Lachen von sich gab, zuckte ich panisch zusammen. Ich sah angsterfüllt zu dem großen Mann hoch und konnte nur noch auf ein Wunder hoffen.

Im Konoha Krankenhaus

Ich stand wie angewurzelt vor dem breitschultrigen Mann, der mich frech, aber dabei auch gleichzeitig bedrohlich angrinste. Er wartete nur darauf, mich zu packen und mir irgendwie Schmerzen zuzufügen. Und ich konnte nichts dagegen tun, denn der andere Mann hatte sich wieder aufgerafft und kam von hinten auf mich zu.

Der Typ vor mir ließ seine Finger knacken und schlug sich dann anschließend zwei Mal mit der Faust gegen die ausgestreckte Handfläche. In Sekundenschnelle hatte er mich gepackt, herumgerissen, mir die Arme hinter dem Rücken verschränkt und mich an sich gedrückt.

„Wir werden dich jetzt erledigen…“, raunzte er mir mit einem dreckigen Unterton in der Stimme ins Ohr. Ich unterdrückte das aufkommende Bedürfnis loszuheulen und schluckte meine Tränen herunter. Meine Situation war aussichtslos. Wer oder was sollte mich jetzt noch retten? Warum war ich hier bloß hingekommen? Ich hatte nicht damit gerechnet, dass dieser verdammte Higurashi clever genug war, hier Leute zu postieren, die auf sein Haus aufpassen. Wie hätte ich auch darauf kommen sollen?

Ich hatte nicht gut genug aufgepasst. Und jetzt musste ich den Preis dafür zahlen.

Der andere Typ hatte seine Waffe auf mich gerichtet, während er uns immer näher kam. Was sollte ich jetzt machen? Mich meinem Schicksal hingeben und hier sterben? Nein, das durfte nicht passieren! Ich war nicht so weit gekommen, um jetzt zu sterben. Ich schloss die Augen und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich hörte die schlurfenden Schritte des Mannes, der immer näher kam und mit jeder Sekunde meine Fluchtmöglichkeiten verminderte.

Scheiße. Scheiße, scheiße, scheiße!

Ich kniff die Augen so fest zusammen, dass sie anfingen zu schmerzen. Mein Kopf war voller panischer und verzweifelter Gedanken, dass ich nicht mehr klar denken konnte. Ihr fasste mit einer Hand an meinen pochenden Kopf.

Ich hörte ein leises Klicken. Ich atmete einmal schnell durch, nahm all meinen Mut zusammen und öffnete die Augen, während ich meinen Kopf hob.

Der Typ stand nur noch wenige Meter von mir entfernt und hatte seine Waffe genau auf meinen Kopf gerichtet. Wenn jetzt nicht irgendein Wunder geschah, war es zu Ende mit mir.

Das Wunder geschah. Es passierte alles sehr schnell – Eine Sirene ertönte plötzlich; die Männer erschraken und stießen einige Flüche aus. Ich nutzte die Ablenkung, indem ich dem Typen der mich gefangen hielt einen kräftigen Tritt in seine Kronjuwelen verpasste. Er keuchte überrascht und lockerte seinen Griff um meine Arme - dann geschahen zwei Dinge gleichzeitig. Während ich die Ablenkung des einen Mannes ausnutzte, um loszurennen, hatte der andere Typ reflexartig seine Waffe betätigt. Mit einem lauten Knall schrammte die Kugel an meinem Arm vorbei und hinterließ einen brennenden Schmerz. Ich fiel auf die Knie, konnte mich jedoch genug fassen um schnell in ein anderes Zimmer zu krabbeln. Jetzt musste ich hier schnell abhauen. Ich sah mich hektisch um, während ich mich aufrichtete. Ich erblicke ein großes Fenster – daneben ein Tisch, auf dem ein Werkzeugkoffer lag. Wie für mich gerufen. Ich rannte zu dem Werkzeugkoffer und legte mir hektisch einen Hammer zu. Ich würde jetzt Spuren hinterlassen, doch das war mir egal. Mit aller Kraft schlug ich das Fenster ein, ignorierte die Scherben und stieg hindurch. Ich sammelte meine letzten Kräfte und lief los so schnell ich konnte. Der Schmerz in meinem blutenden Arm und die kleinen Glassplitter, die überall in meinen Körper eingedrungen waren, machten es mir nicht leicht, mich zusammen zu reißen und meine letzten Kräfte zu mobilisieren. Ich wagte es nicht, mich umzudrehen, als ich einige weitere Schüsse aus dem Haus ertönen hörte. Ich versuchte einfach nur, schneller von diesem Ort wegzukommen. Viel hatte ich dort nicht gefunden – eher im Gegenteil. Ich hatte mich in eine lebensgefährliche Gefahr begeben, nur um ein kleines, rotes Telefonbuch aus diesem Haus zu entwenden. Hoffentlich hatte es wenigstens wichtige Informationen für mich. Aber das musste ich später untersuchen; erst mal musste ich wieder ins Hotel kommen. In der Ferne konnte ich die Innenstadt schon erkennen, doch in meinem Zustand konnte ich mich dort unmöglich sehen lassen. An meinem Arm tropfte das Blut herunter, außerdem hatte ich überall kleine Glassplitter, die in meine Haut eingebohrt waren. Man würde mich sofort in ein Krankenhaus stecken, wenn mich jemand sähe. Und wenn ich schon dort war, konnte ich mir ausmalen in wie kurzer Zeit sie meine wahre Identität erkannt hatten…

Ich verlangsamte meinen Schritt, um überlegen zu können. Was sollte ich jetzt machen? Mein Arm schmerzte höllisch, ich musste ihn unbedingt abbinden, sonst würde ich zu viel Blut verlieren. Mich selbst zu verarzten wäre kein Problem gewesen, wenn ich das nötige Material dazu hier hätte… Aber das hatte ich leider nicht. Was sollte ich jetzt nur machen? Bis zu dem Hotel, in dem ich heute Nachmittag eingecheckt hatte, war es ein weiter Weg; Ich würde niemals dort ankommen, ohne von irgendwem entdeckt zu werden. Ich war schon völlig erschöpft und mir war schwindelig. Was sollte ich nur tun? Mein Kopf war leer, ich konnte nicht mehr denken.

Mein Arm war inzwischen vollständig mit Blut bekleckert. Das Blut würde weiter fließen, wenn ich nicht schnell etwas unternahm, doch mir wurde langsam immer schummriger. Die schillernde Stadt, die ich in der Ferne beobachtet hatte, verschwamm vor meinen Augen. In meinem Kopf begann sich alles zu drehen; ich konnte kaum noch aufrecht stehen. Ich hatte nicht mehr genug Kraft um mich auf den Beinen zu halten und die Wunde machte es zusätzlich noch schlimmer. Ich stürzte auf die Knie, während ich mit der Hand meines unversehrten Armes nach meinem verletzen Arm griff und fest zudrückte. Ich durfte nicht noch mehr Blut verlieren, sonst würde ich bewusstlos werden und das durfte nicht passieren. Wenn mich jemand finden und ins Krankenhaus bringen würde… Nein, ich musste wach bleiben… Doch bevor ich noch irgendetwas tun konnte, fiel ich schwankend zu Boden.
 

Als ich meine Augen wieder öffnen konnte, wusste ich bei meinem ersten Blick, der auf die Wand fiel, wo ich mich befand. Kahle, weiße Wände. Natürlich war ich im Krankenhaus, wie sollte es anders sein. Ich atmete erst mal tief durch. Ich hoffte inständig, dass es nicht das Krankenhaus war, in dem ich damals gearbeitet hatte. Es war nahezu unmöglich, dass mich kein einziger meiner Kollegen erkennen würde. Doch was, wenn ich schon erkannt worden war….? Ich richtete mich ruckartig auf und griff nach der Perücke. Sie war noch auf meinem Kopf befestigt. Ich atmete erleichtert auf und ließ mich wieder in das Kissen sinken. Es war trotzdem gefährlich hier, ich durfte mich nicht zu früh freuen. Wer hatte mich überhaupt hierher gebracht? Und wo war das rote Telefonbuch das ich mit mir herumgetragen hatte?

Ich sah mich in dem Krankenzimmer um. Neben meinem Bett befanden sich noch zwei weitere, jedoch leere Betten. An der gegenüberliegenden Wand standen drei Schränke mit jeweils verschiedenfarbigen, runden Markierungen. Am Fenster an der rechten Wand befand sich ein kleiner Tisch und ein Stuhl. Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Ich war im Konoha Krankenhaus, der Ort, an dem ich meine Ausbildung zur Ärztin begonnen hatte, bis man mich weggesperrt hatte. Es war mir eigentlich schon klar gewesen, dass man mich in dieses Krankenhaus bringen würde, wenn man mich aufgefunden hatte. Ich hatte aber noch die Hoffnung gehabt, hier nicht landen zu müssen… Wie sollte ich es nur schaffen, hier unerkannt wieder raus zukommen? Und wie lange musste ich hier überhaupt bleiben?

Ich biss mir nachdenklich auf die Lippe. Über Higurashi hatte ich in meiner halsbrecherischen Aktion der letzten Nacht auch nicht viel herausgefunden. Nur dieses rote Telefonbuch… Ich wandte mich zu dem kleinen Nachttisch, der neben meinem Bett stand. Hoffentlich hatte man das Buch hier reingesteckt. Ich machte die Schublade des Tischchens auf und entdeckte sofort das kleine Büchlein, dass ich in der letzten Nacht aus dem Haus von Higurashi entwenden konnte. Ich schnappte es mir und öffnete die erste Seite. Sie war leer. Ich ging die nächsten Seiten durch und entdeckte hin und wieder ein paar Eintragungen von Geschäftsleuten und Privatfreunden, doch nichts verdächtiges. Keine Nummern von irgendwelchen Killern, die in seinem Haus herumschleichen und Eindringlinge erledigen sollten. Doch würde so was in einem Telefonbuch stehen? Wohl kaum. Ich seufzte unzufrieden. Was konnte ich in dieser Angelegenheit noch machen? Diese ganzen Leute abklappern und nachfragen wo Higurashi war? Ich war mir nicht sicher, ob das von Erfolg gekrönt war. Wahrscheinlich hatte er sogar die ganzen Leute davor gewarnt, seinen Standort preiszugeben, wenn er ihnen überhaupt erzählt hatte, wo er sich jetzt befand.

Stirnrunzelnd legte ich das Büchlein wieder in den Nachtschrank. Was sollte ich jetzt machen? Der Typ hatte sich irgendwo verschanzt und heckte irgendeinen Plan aus, für er meinen Vater umgebracht hatte. Doch was hatte er vor? Ich hatte erwartet, dass er die Firma übernehmen wollte und deshalb meinen Vater aus dem Weg geräumt hatte. Doch jetzt war er wie vom Erdboden verschluckt. Ich konnte es mir nicht erklären. Im Moment war ich auch zu erschöpft, um über das Ganze weiter nachzudenken. Ich musste mich ein wenig ausruhen und überlegen, wie ich hier möglichst schnell wieder rauskam, bevor irgendjemand meine wahre Identität herausbekommen konnte.

Als es plötzlich kurz an der Tür klopfte, zuckte ich erschrocken zusammen. Bevor ich irgendetwas sagen konnte wurde die Tür auch schon geöffnet. Ein schwarzhaariger, junger Mann mit dunklen Augen kam herein – Sai, der Junge, mit dem ich zusammen die Ausbildung begonnen hatte. Ich versuchte, nicht allzu geschockt auszusehen, denn sonst würde ich noch Verdacht erwecken. Ich ordnete meinen Gesichtsausdruck zu einem freundlichen Lächeln an, als Sai auf mich zukam. Eigentlich war er ein ganz hübscher Bursche; seine dunklen Augen hatten einen freundlichen Ausdruck, genau wie seine ganze Ausstrahlung. Er war immer sehr darauf bedacht, einen freundlichen Eindruck zu machen. Er sah fast schon dem mysteriösen Schwarzhaarigen ähnlich, der mich vor wenigen Tagen vor den Vergewaltigern gerettet hatte…

„Guten Tag, Miss Sato. Wie geht es Ihnen?“ Sai trat an mein Bett und lächelte mich an.

Ich versuchte, sein Lächeln so ungezwungen zu erwidern wie möglich. „Ganz gut, danke“, erwiderte ich mit krächzender Stimme und täuschte somit eine Erkältung vor. Ich wollte mich schließlich nicht an meiner Stimme verraten.

„Oh, sind Sie erkältet? Wie haben Sie das denn angestellt?“, fragte er lachend mit einem Blick auf das Fenster, welches strahlenden Sonnenschein präsentierte.

Ich stimmte ein wenig nervös in das Lachen ein. „Hab wohl nachts zu viel im Pool gebadet…“, schwindelte ich.

„Nun gut, Miss Sato“, erwiderte Sai. „Sie sind gestern Nacht von einem netten Herren hier eingeliefert worden. Ihr Arm hat stark geblutet und sie hatten viele kleine Glassplitter im Körper. Können Sie sich daran erinnern, wie das passiert ist?“

Ich schwieg für ein paar Sekunden unschlüssig. Was sollte ich ihm erzählen? Am besten täuschte ich einen Blackout vor. „Na ja…. Leider kann ich mich an gar nichts erinnern“, murmelte ich leise und ließ meinen Blick mit einer traurigen Miene zu Boden gleiten.

„Das ist doch nicht schlimm…“, sagte Sai aufmunternd und legte einen Arm um mich. „Das wichtigste ist, dass Sie hier sind und wieder gesund werden, nicht wahr?“

Ich sah wieder auf und erwiderte das Lächeln, das Sai mir schenkte. „Ja“, krächzte ich.

Einige Sekunden lang sah er mich nur schweigend an. „Sie erinnern mich an jemanden, der hier mal gearbeitet hat“, erzählte er. Ein Schauer durchflutete meinen Körper. Oh nein, er durfte mich bloß nicht erkennen…!

Ich drehte meinen Kopf ein wenig zur Seite. „Oh… und an wen?“

Sai machte einige Schritte zurück. „Ach, ich möchte Sie gar nicht damit belästigen! Sie brauchen noch ganz viel Ruhe. Ich werde später nach Ihnen sehen.“ Er schenkte ihr ein letztes Lächeln. „Bis dann, Miss Sato.“

Als die Tür hinter ihm zugefallen war, atmete ich erleichtert durch. Wie gut, dass Sai eher der schüchterne Typ war und sich mehr zurückhielt. Wäre er aufdringlicher gewesen, hätte er wahrscheinlich schnell begriffen, dass ich tatsächlich diejenige war, an die ich ihn erinnerte. Aber die Gefahr war trotzdem noch nicht vorbei. Er hatte angekündigt, dass er wiederkommen würde und in jeder Minute, in der wir beide zusammen waren, bestand die Gefahr, dass er mich erkennen könnte. Ich musste hier also unbedingt raus. Und zwar so schnell wie möglich.

Es ist allein meine Mission

Es war unmöglich, sich aus dem Krankenhaus zu schleichen. Die Fenster führten geradewegs auf die offene Straße hinaus und die Flure waren sogar nachts aufgrund von Sicherheitspersonal nicht begehbar. Andere Möglichkeiten zur Flucht gab es nicht. Ich ließ enttäuscht vom Fenster ab und ließ mich auf mein Bett fallen. Zumindest war war noch undercover, es war also noch nicht alles verloren. Aber wie sollte ich es nur schaffen, nicht von Sai oder einem anderen Mitarbeiter erkannt zu werden? Ich war mir nicht sicher, dass die Anderen ebenso naiv waren wie Sai und mich nicht erkennen würden. Wenn der Chefarzt hier auftauchen würde... er würde sofort wissen, wer ich war. Ich spürte, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildete und ich vor Verzweiflung und Wut am ganzen Körper zu zittern begann. Ich fasste mir an die Stirn und schloss die Augen. Beruhige dich, Sakura. Aber wie sollte ich mich nur beruhigen? Ich hatte nur noch einen Lebensinhalt und das war diese Mission. Es war das einzige, wofür es sich für mich noch zu Leben lohnte und diese eine Sache stand nun auf dem Spiel. Aber ich hatte nichts, um dem entgegen zu wirken. Ich konnte mich in dieser Situation nur noch auf mein Glück verlassen. Was bedeutete, dass ich eigentlich schon verloren war. Ich zwang mich, tief durchzuatmen. Schluss jetzt, ich durfte jetzt nicht durchdrehen. Ich musste mich jetzt zusammenreißen und einfach sehen, was auf mich zukommt. Wer weiß, vielleicht würde sich das Universum ein Mal gnädig mit mir zeigen und mir die Chance geben, meine Mission fortzuführen. Ich durfte mir diese Möglichkeit nicht kaputt machen, indem ich die Nerven verlor. Die Sache war eigentlich ganz einfach: Ich musste hier noch ein paar Tage verweilen und mich dabei nicht entlarven lassen. Wenn es nur Sai war, der ab und zu nach mir sah, sollte es keine großartigen Schwierigkeiten geben. Er würde nicht den Mut haben, mich darauf anzusprechen, selbst wenn er einen Verdacht hätte.

Alles ist gut, ich habe alles im Griff. Alles ist gut..

Ich schreckte aus meinen Gedanken auf, als die Tür zaghaft aufgedrückt wurde. Ich zog schnell die Decke über meinen Körper und legte den Kopf zur Seite.

„Miss Sato?“

Ich rührte mich nicht und hielt die Augen geschlossen. Ich hörte, wie die Tür leise wieder zuging. Er war wieder gegangen. Sehr gut. Ich öffnete die Augen und wollte gerade die Hände anheben, um mich im Bett aufzusetzen, als ich Schritte hörte. Ich schloss meine Augen sofort wieder. War Sai etwa hereingekommen anstatt zu gehen? Mein Herzschlag beschleunigte sich, als ich hörte, wie die Schritte immer näher kamen und schließlich eine Person an meinem Bett stehen blieb. Was sollte das werden? Warum tat Sai das?

Eine kalte Hand berührte meine Wange. Wusste er etwa...?

Ich riss die Augen auf, stieß einen spitzen Schrei aus und richtete mich ruckartig im Bett auf. Ich atmete in kurzen Abständen schnell ein und wieder aus, versuchte ein geschocktes Gesicht zu machen und sah dann Sai an. Er sah mich erschrocken an. „Miss Sato, ist alles in Ordnung? Entschuldigen Sie bitte, ich wollte Sie nicht erschrecken...“

Ich konnte in seinem Gesichtsausdruck nicht erkennen, ob er mich verdächtigte oder nicht. Jedenfalls hatte ich ihn mit meiner kleinen Show ein wenig aus dem Konzept gebracht und so Zeit gewonnen. Er würde mir definitiv nicht mehr so nahe kommen, aus welchem Grund auch immer er es heute getan hatte.

„Es ist alles in Ordnung... ich habe bloß schlecht geträumt...“ Ich lächelte Sai an, versuchte aber, noch eine gewisse Bestürzung in meiner Miene zu behalten.

Sais Blick schweifte verlegen durch den Raum. „Oh... ach so.“ Er schwieg einen Moment, fasste sich dann aber wieder. „Ich wollte nur nach Ihrer Verletzung sehen. Darf ich?“

„Ja, sicher.“ Ich hielt ihm den Arm hin, der mit einem Gipsband umwickelt war. Sai öffnete das Band behutsam und legte die Wunde frei. Glücklicherweise war die Kugel an meinem Arm vorbeigeschossen, sodass ich nur eine oberflächliche Verletzung davongetragen hatte. Wenn ich Glück hatte, würde ich morgen wieder entlassen werden.

„Sieht ja schon viel besser aus.“ Sai lächelte mich freundlich an, während er die Wunde desinfizierte. Ich lächelte zaghaft zurück und drehte den Kopf dann ein wenig zur Seite. Ich musste immer noch aufpassen. Ich wusste nicht, was in ihm vorging, deswegen durfte ich kein Risiko eingehen. Auch wenn es mir schwer fiel, Sai derart zu belügen.

„Wissen Sie... ich vermisse die Kollegin, an die Sie mich erinnern, sehr.“

Ich zwang mich, mich nicht ruckartig Sai zuzuwenden und ihn entgeistert anzustarren. Egal, was er zu sagen hatte, ich musste mich zusammenreißen und unauffällig reagieren...

„Sie wurde verhaftet, aber ich glaube fest daran, dass sie unschuldig ist.“

Sai...

Ich konnte nicht anders. Ich musste ihn ansehen. Er lächelte mich entschuldigend an. Es war kein aufrichtiges Lächeln, sondern ein Lächeln, dass seine Traurigkeit verbergen sollte. Ich hatte nie daran gedacht, wie sich die Menschen in meinem Umfeld fühlen könnten... Ich hatte nur an meine Rache gedacht. Alles andere war mir egal gewesen.

„Es tut mir Leid, das interessiert Sie alles doch überhaupt nicht. Ich bin heute ein bisschen neben der Spur...“ Sai wollte sich aufrichten, aber ich hielt ihn am Arm fest.

„Bitte... erzählen Sie mir mehr“, bat ich. Im nächsten Moment fragte ich mich, warum ich Idiotin das getan hatte, doch als ich Sais erheitertes Gesicht sah, wusste ich warum.

„Ihr Vater wurde ermordet und sie wurde als einzige am Tatort gefunden. Es ist aber völlig absurd, zu glauben, dass sie ihren eigenen Vater getötet hätte. Sie liebte ihn. Überhaupt, sie war ein nettes und hilfsbereites Mädchen.“ Sais Gesichtszüge wurden weich, als er die letzten Worte sage. „Sie ist erst vor Kurzem aus dem Gefängnis geflohen. Ich hoffe einfach nur, dass es ihr gut geht und dass sie bald wieder ein normales Leben führen kann.“

Ich spürte die fast übermächtige Versuchung, mich in Sais Arme zu werfen und ihm alles zu erzählen, mich ihm anzuvertrauen. Er war der loyalste Freund, den man sich vorstellen konnte, er würde mir bestimmt helfen können... Sakura schüttelte innerlich den Kopf. Nein, ich konnte und würde nicht auch noch weitere Menschen in diese Sache hineinziehen. Es war allein meine Aufgabe. Ich musste das alleine durchstehen, auch wenn das hieß, meine Freunde hier in Ungewissheit zurückzulassen.

„Ich habe davon im Fernsehen gehört. Ich drücke Ihrer Freundin die Daumen, dass sich alles zum Guten wendet.“ Ich schenkte Sai ein freundliches Lächeln.

„Danke, das ist nett von Ihnen.“ Sai erhob sich und lächelte schüchtern zurück. „Und danke, dass Sie mir zugehört haben.“

„Gerne.“

Als Sai die Tür hinter sich geschlossen hatte, stieß ich einen langen Seufzer aus. Ich konnte nur hoffen, dass ich morgen entlassen wurde, bevor ich meiner Seele noch mehr belastende Gefühle aufbürden musste.
 

Am nächsten Morgen wurde ich von einer Krankenschwester geweckt, die ich nicht kannte. Sie wurde wohl nach meiner Zeit im Krankenhaus hier angestellt. Gut so, dann musste ich mich nicht übermäßig anstrengen, mein wahres Ich zu verstecken. Sie sah nach meiner Wunde und stellte mit Begeisterung fest, dass sie vorbildlich verheilte.

„Ich glaube, Sie können heute Nachmittag schon entlassen werden!“, teilte sie mir fröhlich mit. Dies war in der Tat ein Anlass, sich zu freuen. Ich konnte in Kürze endlich meinen Plan weiter verfolgen. Ich hatte hier schon viel zu viel Zeit verloren. Außerdem hatte ich keine Ahnung, auf welchem Stand die Polizei sich befand. Vielleicht hatten sie irgendwie schon eine Spur zu mir gefunden und würden früher oder später hier auftauchen. Ich musste mich dringend über den Kenntnisstand der Polizei informieren, bevor ich weitere Risiken einging.

Die Krankenschwester verband meinen Arm wieder und teilte mir mit, dass der behandelnde Arzt heute Nachmittag noch ein Mal nach der Wunde sehen würde und ich danach höchstwahrscheinlich nach Hause gehen könne. Ich musste also nur noch den Tag irgendwie herumkriegen. Also machte ich den Fernseher an und machte es mir in meinem Krankenbett gemütlich. Vielleicht würde in den Nachrichten etwas über den Kenntnisstand in meinem Fall berichtet, das würde mir zumindest einen kleinen Anhaltspunkt darüber geben, inwieweit die Polizei informiert war. Ich verbrachte den halben Tag damit, durch die Kanäle zu schalten, bis ich endlich einen kleinen Bericht fand. Natürlich gab es immer noch „keine Spur von der gesuchten Straftäterin“. Wäre auch zu schön gewesen, wenn die Polizei ihre Erkenntnisse in den Medien breitschlagen würde. Mit dieser Aussage durfte ich mich nicht zufriedengeben. Ich musste weiterhin aufpassen.

Am Nachmittag kam Sai endlich, um die abschließende, letzte Untersuchung durchzuführen. Er sah sich ein weiteres Mal die Wunde an, konnte nicht über den Heilungsprozess klagen und umwickelte den Arm wieder mit einem Verband.

„Also dann, Miss Sato, sind Sie entlassen!“ Sai reichte mir die Hand zum Abschied. Sie waren kalt, wie immer. Früher fand ich es unangenehm, seine kalten Hände zu berühren, doch jetzt wollte ich sie am liebsten nicht mehr loslassen. Wenn ich jetzt ging, würde ich nie wieder so etwas vertrautes erleben. Es war mein letzter Moment in einer geborgenen Umgebung, in der ich mich wohl fühlen konnte.

Sai sah mich noch lange an, bevor er schließlich das Zimmer verließ. Ich glaubte, dass sein Gefühl ihm die Wahrheit über mich sage, jedoch wusste ich, dass er diesem Gefühl niemals nachgehen würde. Ich musste mir eingestehen, dass ein kleiner Teil von mir sich wünschte, dass er mich erkennen und mich unter seinen Schutz nehmen würde, aber dies würde nicht passieren und das sollte es auch nicht. Ich musste diese Mission durchziehen. Ich hatte mich für diesen Weg entschieden.

Als ich in das Hotelzimmer zurückkehrte, das ich vor meinem Ausflug in das Haus von Higurashi gebucht hatte, war alles an seinem Platz. Ich hatte befürchtet, dass ich durch meine zweitägige Abwesenheit Aufsehen erregt hatte, doch es schien man sich dafür nicht sonderlich interessiert zu haben. Umso besser. Ich verschloss die Tür hinter mir, zog mich aus und entledigte mich der Perücke. Meine kurzen, rosafarbenen Haare hingen strähnig von meinem Kopf herunter und gaben kein schönes Bild ab. Eine lange Dusche würde ihnen und meinem Körper gut tun, also sprang ich gleich unter die Dusche. Während ich das heiße Wasser über mich ergoss, fragte ich mich, wie ich nun vorgehen wollte. Ich hatte das Telefonbuch mit den spärlichen Notizen darin. Es war bisher meine einzige Spur. Ich musste diese Menschen anrufen und versuchen, ein paar Informationen zu bekommen. Aber wie sollte ich das anstellen, ohne verdächtig zu wirken? Ich konnte ja nicht einfach drauf los fragen, da hätte ich Higurashis Mafia schneller wieder am Hals als ich gucken könnte. Ich musste mir etwas anderes ausdenken, womit ich an Informationen kommen konnte. Ich musste mir die Namen noch ein Mal ansehen, vielleicht würde mich das auf eine Idee bringen.

Nachdem ich mir ein Handtuch um den Kopf gewickelt und mich wieder angekleidet hatte, nahm ich das Telefonbuch zur Hand und blätterte durch die Seiten. Insgesamt waren sieben Namen verzeichnet, vier davon wurden als Geschäftspartner bezeichnet, die anderen drei waren anscheinend Freunde von Higurashi. Konnte ich mich bei denen vielleicht als Polizistin ausgeben? Ich wusste nicht, was mit Higurashi seit meiner Verhaftung geschehen war. Ich wusste nur, dass er jetzt weg war. Er hatte die Firma verlassen und war Zuhause nicht mehr anzutreffen. Hatte er die Stadt verlassen? Ich kaute nachdenklich auf meiner Lippe herum. Ohne jegliche Information durfte ich nichts ausrichten. Es war einfach zu gefährlich. Ich musste wohl oder übel wieder versuchen, heimlich an Informationen heranzukommen. Doch wo sollte ich suchen? In Higurashis Haus konnte ich unmöglich zurückkehren. Verdammt, gab es denn keine Möglichkeit, ihm auf die Spur zu kommen?! Eine Welle der Wut durchzuckte mich. Das konnte nicht sein, es musste einfach etwas geben, das sie tun konnte! Plötzlich kam mir eine Idee. Der einzige Ort, an dem ich erfahren konnte, ob Higurashi seinen Wohnort geändert hatte, war das Rathaus. Sollte er legal die Stadt oder gar das Land verlassen haben, würde es dort verzeichnet sein. Es war glasklar, wie meine nächste Aufgabe nun lauten würde. Ich musste in das Rathaus von Konoha einbrechen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Entschuldigt die Wartezeit. Ich würde mich sehr über Feedback freuen :) Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (22)
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Von:  Cosplay-Girl91
2015-10-21T22:13:50+00:00 22.10.2015 00:13
Tolles Kapitel :)
Mach weiter so.
Schreib schnell weiter , ja? ?
LG
Von:  Akikou_Tsukishima
2015-10-21T21:34:30+00:00 21.10.2015 23:34
Ich gebe dir nen kleinen Tipp
Entscheide dich bitte entweder für ich oder er Form des Erzählens ☺

Hier ein Beispiel:
"Ich ließ enttäuscht vom Fenster ab und ließ mich auf mein Bett fallen. Zumindest war war noch undercover, es war also noch nicht alles verloren. Aber wie sollte ich es nur schaffen, nicht von Sai oder einem anderen Mitarbeiter erkannt zu werden? >Sie< war sich nicht sicher, dass die Anderen ebenso naiv waren wie Sai und mich nicht erkennen würden."

Das verwirrt wenn die Erzählform mittendrin wechselt

Antwort von:  Sakura-95
22.10.2015 12:23
Das "sie" an dieser Stelle war natürlich nicht absichtlich. Aber danke für den Hinweis :)
Von:  DarkBloodyKiss
2015-10-21T21:22:24+00:00 21.10.2015 23:22
Hi Nabend ^^

Sehr sehr tolles Kappi !!!!
bin sehr gespannt wie es weiter geht !!!!
freue mich sehr aufs nächste Kappi !!!!


gglg & einen sehr tollen Mittwoch Abend DarkBloodyKiss ^^
Von:  Cosplay-Girl91
2015-10-14T22:26:32+00:00 15.10.2015 00:26
Tolles Kapitel :)
Mach weiter so.
LG
Von:  DarkBloodyKiss
2015-10-14T16:37:12+00:00 14.10.2015 18:37
Hi Nabend ^^

Super tolles Kappi !!!!!
freue mich sehr aufs nächste Kappi !!!!


gglg & einen ganz tollen Mittwoch Abend DarkBloodyKiss ^^
Von:  fahnm
2015-10-14T11:12:19+00:00 14.10.2015 13:12
Interessante Story
Von:  An_san
2015-10-12T19:42:51+00:00 12.10.2015 21:42
Ich habe die FF grade angefangen und bin voll hin und weg. Du schreibst wirklich gut und flüssig. Es ist schön so etwas lesen zu können. :) Bin schon voll gespannt was jetzt als nächstes passieren wird. Kommt Sasuke und wird sie wieder retten? Was passiert wenn sie sich jetzt offiziell kennenlernen, bzw. wenn er herausfindet was sie im Begriff ist zu tun. Uiiihh. Freu mich schon auf alle folgenden Kapitel!! Mach schnell weiter, hast au jeden Fall schon nen neuen Fan dazubekommen ;) LG ItaSaku
Von:  Cosplay-Girl91
2015-10-10T15:54:52+00:00 10.10.2015 17:54
tolles Kapitel :)
Mach weiter so.
Lg
Von:  Akikou_Tsukishima
2015-10-10T09:32:17+00:00 10.10.2015 11:32
Wäre ja auch zu einfach gewesen ohne jegliche Hindernisse
Von:  DarkBloodyKiss
2015-10-09T21:40:49+00:00 09.10.2015 23:40
Hi Nabend ^^

Super mega Hammer tolles Kappi !!!!
Ohje Hoffentlich kann ihr jemand im letzten Moment Helfen !!!!
bin sehr gespannt wie es weiter geht !!!!!
freue mich sehr aufs nächste Kappi !!!!!

gglg & ein ganz ganz tolles Wochenende DarkBloodyKiss ^^


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