Zum Inhalt der Seite

Wahre Liebe

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 4

Kapitel 4
 

Die erste Woche verging und Gilbert und Anne unterhielten sich ziemlich oft. Manchmal sah Gilbert in seiner Mittagspause bei ihr herein. Es fiel ihm unendlich leicht, mit ihr zu reden. Sie sprachen über alles Mögliche und verstanden sich bestens.
 

Gilbert fiel jedoch auf, dass Anne nie Besuch bekam. Sie reden zwar viel miteinander aber trotz allem wusste er noch recht wenig von ihr. Anne unterrichtete in einem Waisenhaus in Hopetown. Doch warum sie niemand von besuchen kam, wusste er nicht. Er erkundigte sich bei Martha, ob sie mal mitbekommen habe, dass Miss Shirley Besuch bekommen hätte. Doch Martha schüttelte verneinend den Kopf.
 

"Nein! Mir ist niemand aufgefallen. Obwohl ich das ziemlich seltsam finde, wo sie doch eine so nette junge Dame ist." Ja, es war wirklich seltsam. Gilbert beschloss, sie einfach danach zu fragen.
 

Anne bemerkte ihn nicht sofort, als er ins Zimmer trat, denn sie war vollkommen in ihre Arbeit vertieft. Sie saß im Bett und schrieb eifrig, die Blätter vollbeschriebenen Seiten lagen ein wenig verstreut auf ihrer Bettdecke. Gilbert beobachtete sie einen Augenblick lang still. Eine Haarsträhne hatte sich aus ihrem Zopf gelöst und hing ihr ins Gesicht. Sie schien alles um sie herum vergessen zu haben.
 

"Was schreiben sie da bloß die ganze Zeit?" fragte Gilbert lächelnd.
 

Erschrocken sah Anne auf, ihre Wangen röteten sich leicht und hastig begann sie die Seiten auf einen Stapel zu packen. "Nichts...ich meine nichts besonderes", antwortete sie hastig. "Ich...ich versuche nur meine Gedanken auf Papier zu bringen." Sie legte die Seiten beiseite und lächelte. "Ich hab nun manchmal meine literarischen Träume. Aber ich glaub nicht, dass es mir wirklich je gelingen wird ein Buch zu schreiben. Eben noch war der Gedanken gut, doch in Worte gefasst, klingt er irgendwie hölzern und nicht so, wie ich ihn mir erträumt habe." Sie lachte und strich die widerspenstige Haarsträhne zurück.
 

"Ich wusste ja gar nicht, dass sie eine Schriftstellerin sind."
 

"Ich bin noch keine Schriftstellerin. Aber ich wäre es gerne." Gab Anne offen zu. Ein Blatt Papier, das sie übersehen hatte, war vom Bett heruntergerutscht und lag auf dem Boden. Gilbert bückte sich danach und hob es auf. Er sah auf die hübsche Handschrift und strich vorsichtig eine Ecke glatt.
 

"Bitte nicht lesen!" Rief Anne laut aus. Er lachte über ihren Ausruf und reichte ihr das Papier.
 

"Haben sie solche Angst, jemand könnte es lesen?"
 

Anne senke beschämt den Blick: "Ein wenig schon. Ich befürchte, dass es viel zu sentimental ist."
 

"Das glaube ich nicht. Ich schätze, sie schreiben wundervolle Geschichten."
 

Nichts an seiner Stimme klang unehrlich und Anne lächelte ihn dankbar an. Für einen Augenblick fühlte er sich regelrecht gefangen von ihren grau- grünen Augen.
 

"Äh... ich denke sie werden in den nächsten Tagen bald mal aufstehen können. Es sollte ihnen möglich sein, mit Krücken zu laufen, " wechselte er rasch das Thema.
 

"Wirklich?" Rief Anne begeistert aus. "Sie müssen wissen, ich bin es allmählich leid, immer nur im Bett zu liegen."
 

"Sie haben sich gut erholt, es spricht nichts dagegen. Ich wollte sie noch etwas fragen, Miss Shirley." Er setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett und sah sie an. "Warum besucht sie eigentlich niemand?"
 

"Wer sollte mich den besuchen?" Fragte Anne und sah ihn erstaunt an. "Na, die meisten Leute bekommen Besuch von ihrer Familie oder ihren Freunden."
 

"Ich habe zwei sehr gute Freundinnen aus meiner College Zeit, doch eine befindet sich in Japan und die andere ist in den Westen gegangen." Erklärte Anne.
 

"Aber was ist mit ihren Eltern?" Fragte er verwundert weiter.
 

"Meine Eltern sind tot. Ich bin eine Waise, sie starben, als ich drei Monate alt war."
 

"Oh, das wusste ich nicht. Tut mir leid, dass ich so dumm gefragt habe. Aber ich möchte einfach gerne mehr von ihrem Leben wissen."
 

Anne lachte zaghaft: "Es gibt nicht viel über mein Leben zu wissen. Meine Eltern habe ich nie gekannt. Aufgewachsen bin ich an verschiedenen Orten. Mal war ich bei irgendeiner Familie und mal wieder im Waisenhaus. Das ging immer so hin und her. Zuletzt bin ich dann im Waisenhaus geblieben. Ich habe mein Lehrexamen abgelegt und seit dem unterrichte ich in Hopetown, wo auch ich einige Zeit meiner Kindheit verbracht habe. Ich weiß, wie das Leben als Waisenkind ist und ich möchte meinen Schülern und Schülerinnen zumindest ein bisschen Freude ins Leben bringen. Mehr gibt es eigentlich nicht von mir zu erzählen. Erzählen sie mir lieber, woher sie kommen? Ich meine wo leben ihre Eltern?"
 

"Ich komme von Prince Edward Island. Genauer gesagt aus einem kleinen Dorf namens Avonlea?"
 

"Avonlea?" Anne starrte ihn mit einem erstaunten Gesichtsausdruck an. Gilbert nickte und fragte sich, was sie daran so seltsam fand. "Ich war schon einmal in Avonlea", ihr Gesicht nahm plötzlich einen verträumten Ausdruck an und sie blickte abwesend aus dem Fenster. Es schien, als sei sie mit ihren Gedanken plötzlich meilenweit entfernt von ihm.
 

"Sie waren in Avonlea? Wann denn?" fragte Gilbert erstaunt.
 

"Vor vielen Jahren. Kennen sie Matthew und Marilla Cuthbert von Green Gables? Ich hätte beinah dort gelebt. Aber dieser Traum sollte nicht Wirklichkeit werden. Die Cuthberts wollten damals ein Waisenkind bei sich aufnehmen."
 

"Ja, davon hab ich mal gehört. Meine Mutter hat es mir mal erzählt."
 

"Es war leider alles nur ein Missverständnis. Denn sie wollten einen Jungen und ich war leider ein Mädchen, " sie blickte jetzt zu ihm auf und die Traurigkeit die er aus ihrer Stimme und ihren Augen entnehmen konnte, schnitt ihm ins Herz. Er wollte sie nicht traurig sehen.
 

"Oh, tut mir leid das zu hören."
 

"Ich habe einen wunderschönen Tag auf Green Gables verbracht und ich habe es nie vergessen. Jede Kleinigkeit habe ich versucht in Erinnerung zu behalten. Ich lebte danach einige Zeit bei den Blewetts. Wenn der Tag bei Mrs. Blewett dann mal wieder furchtbar war, habe ich mich mit der Erinnerung an Green Gables getröstet. Ich habe mir vorgestellt, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich dort aufgewachsen wäre. Wissen sie zufällig wie es den Cuthberts geht?" Fragte sie und die Traurigkeit war plötzlich wieder aus ihrer Stimme gewichen.
 

"Ja, ich kannte die Cuthberts. Mr. Cuthbert starb bereits vor vielen Jahren und auch Miss Cuthbert ist letztes Jahr gestorben."
 

"Oh, sie waren beide trotz allem sehr nett zu mir. Besonders in Mr. Cuthbert habe ich sofort eine verwandte Seele gefunden." Erneut blickte sie aus dem Fenster.
 

"Eine verwandte Seele? Was meinen sie damit?" Gilbert musste lächeln.
 

"Jemanden mit dem man sich auf anhieb versteht. Der die Gedanken des anderen verstehen kann."
 

Gilbert lächelte sie an: "Was meinen sie, bin ich eine verwandte Seele, Miss Shirley?" Er versuchte sie zu necken und sah fragend an sich herab.
 

Einen Moment lang schwieg sie und dann sagte sie: "Ja, sie sind eine verwandte Seele, Dr. Blythe. Das habe ich vom ersten Moment an gewusst."
 

Gilbert sah sie an, mit ihren grau-grünen Augen, die so wunderschön glitzerten Das rote Haar, die hübsche Nase und natürlich jede einzelne Sommersprosse fiel ihm auf. Sein Herz schlug plötzlich heftig in seiner Brust und in diesem Augenblick wurde ihm bewusst, dass er sie liebte. Ja, er war verliebt in diese seltsame Miss Shirley und jetzt wusste er, dass er das bereits im ersten Augenblick gewesen war, als er sie gesehen hatte. Sie schwiegen beide einen Moment lang.
 

Dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht: "Es freut mich, dass zu hören." Anne lächelte zurück und ihre Wangen röteten sich leicht. "Nun, ich...ich muss zurück an die Arbeit." Versuchte Gilbert seine Fassung wieder zu gewinnen. "Wir sehen uns."
 

Sein Herz klopft immer noch, als er die Zimmertür hinter sich schloss. Aber er war glücklich. Es schien, als könnte Miss Shirley auch ihn leiden. Eine verwandte Seele, war für ein netter Gedanke.



Fanfic-Anzeigeoptionen
Blättern mit der linken / rechten Pfeiltaste möglich
Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück