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이상한 경우 (Isanghan Kyeong'u)

Seltsame Situationen
von

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Eine seltsame Ergriffenheit

Ich saß in einem Café nahe der Namyeong Station in Namyeong-dong, welche zu Fuß nur einige Minuten südlich der Seoul Station lag, in deren Nähe ich am Vortag die SonderBAR gefunden hatte. Ich studierte die liebevoll gestaltete Karte und entschied mich nach einer Weile für einen Sweet Potato Latte und einen Petit Gâteau, der in der koreanischen Umschrift als 페티 가토 (P'et'i Kat'o) durchging und mich zuerst ins Grübeln brachte. Das Geld dafür hatte ich mir von Earl Gray geliehen und dank seiner Wohnsituationen hatte ich dabei auch gar kein schlechtes Gewissen, zumal ich meine Schulden sowieso bald möglichst zurückzahlen würde.

Der ausgewählte Coffeeshop trug den etwas kitschigen, aber klangvollen Namen „CoffeeBeans of Destiny“. Für soviel Protz vorab war der Eingang relativ unscheinbar, durch gute zehn Meter Weg von der Hauptstraße getrennt und trotz des Schildes leicht übersehbar. Aber genau solche Stübchen bevorzugte ich in der Regel. In Korea galt sowohl für Kaffee- und Teehäuser, als auch für Bars und viele Restaurants, dass man niemals nach dem Äußeren urteilen durfte. Es sind ganz oft die versteckten, durchaus auch schlecht besuchten Etablissements, welche einen am positivsten überraschen können. Nicht nur im Verhältnis zur Erwartungshaltung, sondern tatsächlich auch mit Qualität, Preis und Atmosphäre. Ich liebte die koreanische Kaffee- und Kneipenkultur und zählte es zu meinen Hobbies, immer wieder neue Orte zu entdecken und testen. Hin und wieder fiel ich dabei auch mal auf die Nase, aber ein Großteil meiner Abenteuer endete mit einem warmen Gefühl der Zufriedenheit. Für gewöhnlich alleine, mit der Tageszeitung oder einer interessanten Lektüre – hin und wieder auch mit Gesellschaft, die ich mit etwas Forsch- und Offenheit leicht bekommen konnte, wenn mir danach war. Ich hatte eine kommunikative Ader und irgendetwas Einladendes, unterstellte mir einmal ein guter Freund; die Leute würden sich natürlich zu mir hingezogen fühlen. Ich glaubte es ihm ohne groß darüber nachzudenken und es würde tatsächlich auch einer Erklärung für die Ereignisse des Vortags helfen.

Populärer waren zu meinem Unverständnis aber die großen Ketten, vor allem was Coffeeshops betraf. Da waren zum Beispiel die internationale Topmarke 'Starbuck's', das dieses geradezu kopierende 'Tom n Toms', das ebenfalls ähnliche 'Coffee Beans & Tea Leaf' oder 'Café Pascucci', dessen knallrote Lettern auch in jedem Bezirk von Seoul irgendwo zu sehen waren. Noch eine Spur schlimmer war die Kette 'A Twosome Place', welche als Werbefigur den berühmten Schauspieler und Sänger Lee Min-ho gewonnen hatte und das im Extremen ausnutzte, so dass dort an jeder Wand, an jeder Säule und selbst auf der Menükarte Fotos von diesem abgebildet waren, mit immer dem selben künstlichen Lächeln und stets einer Kaffeetasse in der Hand. Ich ging davon aus, dass selbst, wenn man Lee Min-ho mochte, zuviel Input für Jedermann kontraproduktiv sein musste.

Mein jüngst ausgewählter Favorit unter den Seouler Kaffehäusern war hingegen das Café Homeo hinter dem Gyeonghuigung Palace, dessen Inhaber früher Filmproduzent war und sich ungaublich gerne mit seinen Gästen über Kaffee oder Filme unterhielt. Die Atmosphäre dort war gemütlich und der Kaffee verdammt gut. Wenn seine Filme so gut waren, wie heute sein Kaffee... ich sollte beizeiten mal einen Blick wagen.
 

Das 'CoffeeBeans of Destiny' bestach wie die meisten kleineren Etablissements mit einer sehr individuellen Ausstattung und vielen Pflanzen. Jeder Platz hatte verschiedene Stühle und Tische – in diesem Moment erspähte ich sogar einen Tisch, der direkt mit der Wand verkuppelt schien, optisch ganz ohne Verbindung und ohne Tischbein. An diesem Tisch saß eine einzelne Person, das Gesicht in einer Zeitung vergraben. Ein silberner Aktenkoffer von Zero Halliburton zu ihrem Fuße verriet mir, dass die Person einigermaßen wohlhabend sein musste und sich in diesen Minuten wahrscheinlich nur eine kurze Pause zwischen der Arbeit genehmigte.

An einem anderen Tisch nahe der Theke saß eine Frau, ebenfalls alleine. Sie bekam in diesem Moment ihre Bestellung, dem Augenschein nach ein heißer Tee und einen likorgefüllten Donut, was mir die äußere Glasur verriet. Im ersten Moment warf ich nur einen halbinteressierten Blick auf die Situation und die Bestellung, aber als ich sie genau musterte, musste ich zugeben, dass ich wahrscheinlich selten, vielleicht noch nie eine hübschere Lady gesehen hatte. Für einen Moment war ich wie paralysiert und konnte nicht wegschauen, selbst als der Kellner weiter zu meinem Tisch kam, um die Bestellung aufzunehmen. Ich berappelte mich und bestellte um ein Haar einen Blueberry Latte, konnte mich aber rechtzeitig korrigieren. Wieso Blueberry...? Vielleicht hing es mit dem schönen Blau ihres Kleides zusammen...

Obwohl der Kellner (der zugleich auch Inhaber des Ladens sein konnte, was in den kleineren Kaffeehäusern nicht selten der Fall war) mein Starren in Richtung eines anderen Gastes höchstwahrscheinlich zur Kenntnis nahm, schwenkte ich meinen Blick im Anschluss an die Bestellung sofort wieder in ihre Richtung. Obgleich ich für gewöhnlich sehr darauf bedacht war, auf fremde Personen seriös und unpersönlich zu wirken. Aber sie bewegte etwas in mir, als würde ein Hebel in meinem Kopf eine lange unbewusste Barrikade lösen. Und sie hatte mich noch nicht einmal angesehen, wandte sich im Augenblick nur liebevoll und mit weichen, eleganten Bewegungen ihrem Tee zu, den sie mit etwas Zucker verrührte.

Meinem Gefühl nach mussten meine Wangen in diesem Moment rot anlaufen.

Ohne dass ich es mir erklären konnte, und ohne irgendeinen Plan, entschied ich in Sekundenbruchteilen, dass ich diese Person hier in diesem Café ansprechen musste. Dass ich diesen angeblichen Magneten in mir ausnutzen musste, zur Not über mich hinauswachsen musste...

Noch weiter – Ich erklärte alle Geschehnisse der letzten beiden Tage kurzerhand zu meinem Schicksal, das mich hierhin führen wollte – hin zu dieser Person, derer Eleganz ich mich nicht entziehen konnte. Derem Anmut ich instantan ausgeliefert war.

Ich war eigentlich jemand, der weder Liebe auf den ersten Blick als reelle Möglichkeit wahrnahm, noch optisches Aussehen und Stil zu einem 'Non-plus-ultra-Kriterium' bei der Partnerwahl kürte. Aber just in diesem Moment war es die Ausstrahlung und die (in meinen Augen) pure Schönheit dieser Dame, welche mich ganz spontan eines Besseren belehren wollten. Ihr Gesicht war makellos, aber nicht zu perfekt, hatte etwas sehr angenehm Markantes. Aus den geschätzten 5,6 Metern Entfernung sah ich keine direkten Spuren von in Korea nicht unüblichen Schönheitsoperationen, aber von solch einer wohlgeformten Nase würden die koreanischen Männer wohl des nachts oder auch tagsüber träumen. Trotz der Gefahr, beim Starren von ihr erwischt zu werden, ließ ich den Blick von ihrem Gesicht nicht ab, musterte jede Bewegung ihrer Lippen, Mundwinkel, Augen...

Innerlich dankte ich meinem Vermieter dafür, dass er zuvor nicht zu Hause gewesen war, aber einen Zettel für Suchende hinterlassen hatte, dass er nicht sehr viel später schon zurückzukommen plante. Nur deshalb saß ich jetzt in diesem schmucken Kaffeestübchen in Namyeong.
 

Im folgenden Moment legte die Person an dem anderen Tisch ihre Zeitung weg und offenbarte mir schockierend, dass ich vielleicht doch das falsche Kaffeehaus ausgewählt hatte. Hier in den Tiefen Seouls war nicht unbedingt darauf gefasst, ihn anzutreffen, aber manchmal kommen die Dinge wie sie kommen und gerade die beiden vorangegangenen Tage haben dazu geführt, dass mich so schnell nichts mehr aus der Fassung bringen konnte. Wobei es streng genommen gerade beide anderen Gäste schafften.

Er war eine griesgrämiger alter Herr, gute sechzig Jahre alt, aber alles andere als lebens- oder arbeitsmüde. Ein Vorzeige-Koreaner, der wahrscheinlich auch mit 80 Lenzen noch auf Vollzeit im Büro sitzen würde. Meine Verbindung zu ihm war... äußerst schwierig. Da unsere letzte Begegnung schon gut ein Jahr verdauerte, hoffte ich im ersten Moment, dass er vielleicht senil und vergesslich geworden sei, aber ich kannte ihn gut genug, um diese Möglichkeit sogleich wieder auszuschließen.

Wenn andere Leute von ihrem persönlichen Teufel sprachen, von einem Erz- oder Todfeind, einem personifizierten schlechten Karma... das alles wäre wohl er für mich.

Den Hintergrund dafür kann ich so ohne Weiteres nicht erläutern, aber kurz und knapp sei gesagt, dass dieser alte Herr einen starken Einfluss auf meine Familie besaß und sich dies leicht zu meinem Nachteil auswirken könnte. Wann immer ich ihn traf, endete eine solche Situation damit, dass ich irgendetwas Aufwendiges für ihn erledigen musste, um seine Missgunst zu vermeiden; teilweise Sachen, die eine gehörige Portion Überwindung erforderten.
 

Nun befand ich mich in einem richtigen Dilemma.

Auf der einen Seite der Engel, auf der anderen der Teufel.
 

Beide bemerkten mich noch nicht direkt (oder suggerierten mir das erfolgreich), so dass ich in der Situation war, eine Option auszuwählen. Aber das war nicht einfach. Man konnte sagen, dass ich mich unmöglich einfach zu der Frau an den Tisch setzen, oder gar irgendetwas über die Tische hinweg sagen konnte. Der alte Mann würde genau wissen, wie er meinen Flirt ruinieren könnte und es ganz sicher auch in der schlimmstmöglichen Art tun.
 

Während ich hin und her überlegte, brachte mir der Kellner meinen Sweet Potato Latte und den französischen Kuchen. Wo Letzterer normalerweise sofort meine volle Aufmerksamkeit bekommen hätte, vernahm ich die Leckerei gerade eher als Randnotiz, beinahe schon störend. Beiläufig grub ich meine Gabel durch die feste Rinde des Gâteaus und versuchte die herausquellende flüssige Schokolade mit dem suboptimal gewählten Besteck in meinen Mund zu führen. Das sah höchstwahrscheinlich genauso unbeholfen aus, wie ich mich gerade auch fühlte.
 

Ich musste jetzt etwas tun...


Nachwort zu diesem Kapitel:
-> Ich selbst liebe ebenfalls die Kaffeekultur in Korea. Ich habe hier meine persönlichen Gedanken 1:1 in den Protagonisten meiner Geschichte transferiert. Allerdings habe ich das Café Homeo nicht selbst besucht; ein persönliches Lieblingscafé habe ich nicht und die Namen der potentiellen Kandidaten kenne ich leider nicht ㅠ_ㅠ
-> Ich gebe zu, dass die Introduktion des alten Mannes zu schmal geraten ist. Vielleicht ändere ich das sogar noch nachträglich, aber beim Schreiben habe ich mich vorläufig nicht danach gesehnt , eine weitere Extra-Geschichte bzw. einen Flashback einzubauen. Komplett anzeigen

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