Zum Inhalt der Seite

이상한 경우 (Isanghan Kyeong'u)

Seltsame Situationen
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Eine seltsame Runde

Erstmal ein paar Worte zu mir – ich bin gebürtiger Koreaner und auch in diesem Land aufgewachsen, habe aber eine Koreanisch-deutsche Mutter (deren deutsche Gene offensichtlich ziemlich dominant sind, denn viele Koreaner halten mich für einen Ausländer). Aus Interesse an der deutschen Kultur bin ich zweimal dort gewesen – einmal während des Studiums im Zuge eines Auslandssemesters und später noch einmal für anderthalb Jahre, in denen ich unter Anderem in der koreanischen Botschaft in Bonn gearbeitet hatte. Persönlich hatte ich das Leben in Europa zu schätzen gelernt und bin eher widerwillig zurück nach Korea gegangen; aber ohne eine Heirat ist der Erhalt einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung ohne festen Job kein Selbstläufer. Ich hatte zwar geplant, mich durch die bürokratischen Hindernisse zu arbeiten (meine Ideen reichten von Praktika oder speziellen Forschungen über frühe Beantragung auf Staatsbürgerschaft aufgrund meiner Wurzeln, bishin zu einer Fake-Heirat oder gefälschten Papieren), aber kurz darauf wurde meine in Korea lebende Mutter krank und ich entschied mich daher zur Rückkehr. Dies ist gut anderthalb Jahre her und mittlerweile habe ich in Korea wieder einen festen Job und es sieht daher nicht nach einer baldigen Rückkehr aus. Aber so genau weiß man das auch nie.
 

Jedenfalls saß ich in diesem Moment an einem Tisch mit vier weiteren Personen, die ich durchaus eine seltsame Runde nennen dürfte. Die Namen der beiden Frauen wusste ich bereits, daher nenne ich sie ab hier dann und wann mit diesen. Ironischerweise wurde die koreanisch aussehende Lady mit 'Melissa' angesprochen, was nun fürwahr kein koreanischer Name ist. Die andere Dame hingegen stellte sich mir mit dem Namen 'Kang Hyeonjee' vor, obwohl an ihr wiederum überhaupt gar nichts an eine koreanerische Herkunft erinnerte. Sie hatte halblange braune Haare, sehr schön gelockt und über der Stirn mit einem roten Haarreif verziert, den sie wahrscheinlich eher aus designtechnischen Gründen trug. Ich hielt die Haare für gefärbt, aber je nach ihren Wurzeln könnte ich auch falsch liegen. Melissa hingegen trug unter dem roten Mantel, den sie im anderen Raum gelassen hatte, eine ebenfalls rote Bluse und dazu einen bis zum Boden reichenden schwarzen Rock. Ihre langen Haare fielen ganz glatt – für eine jüngere asiatische Frau nicht untypisch. Erst ab dem etwas höheren Alter konnte man in Korea zumindest davon ausgehen, dass ausnahmslos jede Frau denselben Haarschnitt trug. Das war entweder so etwas wie ein Ritual, oder eine Regel die ganz vorne in einer Instruktion für das Leben der koreanischen Frau stand. Jedenfalls konnte man die Ausnahmen dieser Regel an einer Hand abzählen.

Über die beiden Männer im Raum wusste ich bisher überhaupt nichts. Aber die Vorstellungsrunde war ja bereits angekündigt, daher wartete ich ab. Während ich die köstlichen Meeresfrüchte etwas sacken ließ, hörten wir aus der Küche die Geräusche von benutzten Küchenutensilien, was wohl einen Fortschritt am Hauptgericht bedeutete, vor dem die Lady in Rot mich bereits gewarnt hatte.

Schließlich, nachdem die Jukebox ein etwas schaurig daherkommendes, aufgrund der leicht heraushörbaren Janggu wahrscheinlich nicht aus einem Pansori stammendes Volkslied ausklingen ließ, nahm 'Till Eulenspiegel' das Wort in den Mund: „Nun, wir sind zwar eigentlich heute hier, um über die Sache mit dem Bonobo-Affen zu sprechen, aber der Bedarf nach Hilfe geht nach unserem Kodex grunsätzlich vor.“

Er zupfte sich kurz mit der linken Hand an der zugehörigen Seite seines Schnurrbarts, während sein Sitznachbar nickte. Er fügte noch schnell besorgt, mit hochgezogener Augenbraue an: „Wir sind jetzt keine Sekte, um das klarzustellen!“

Kang Hyeonjee konnte sich ein leichtes Lachen nicht verkneifen und verwies mit ihrer rechten Hand auf ein Schild an der Wand gegenüber ihres Platzes, was ich aufgrund der auf die Raummitte zentrierten Beleuchtung vorher nicht wahrgenommen hatte.
 

CARPE VINO

CARPE OMNIA
 

„So nennen wir uns, kann man sagen“, erklärte die braunhaarige Lady und nickte dem Schalk zu, welcher daraufhin etwas gezwungen zu mir hin nickte. „An sich kann man sagen, dass wir einfach nur eine Art Freundeskreis sind. Wir haben uns über die Jahre kennengelernt und kennen uns wohl mittlerweile besser als unsere Familien.“

„Das Entscheidende ist, dass wir uns nach einer Weile diesen Namen gegeben haben.“, entgegnete der Bartträger, womit er selbst seinem stillen Sitznachbarn ein leicht amüsiertes Lächeln auf das Gesicht setzte.

„Übersetzt bedeutet es soviel wie 'Nutze das Leben, nutze alles'. Wir konnten uns irgendwie nicht für eins von beiden entscheiden.“, fuhr Kang Hyeonjee mit ihrer Erklärung fort. „Der Sinn dahinter soll sein, dass wir uns zum Ziel gesetzt haben, das Leben voll auszuschöpfen und ganz nebenbei auch anderen Leuten dabei zu helfen.“

„Obwohl uns selbst kaum zu helfen ist.“, bemerkte ein Mann, der plötzlich in der Tür zu Küche stand. Im Gegensatz zu allen anderen Anwesenden sah dieser ziemlich normal aus; die kurzen, gelockten schwarzen Haare ließen ihn auf mich in Verbindung mit der Brille recht intelligent wirken. Er trug einen schwarzen Anzug und sah durchaus festlich eingstellt aus. Während er mit der linken Schulter an der Wand lehnte, trug er unter dem rechten Arm ein, zwei braune Briefumschläge. Er wurde von den anderen erfreut mit „Jihoon!“ begrüßt, was demnach wohl sein Name war. Und der bis dahin absolut stille Mann mit der Narbe freute sich offensichtlich sehr über die Briefumschläge, wie sein Blick verriet.

„Komme gerade richtig zum Hauptgang.“, bemerkte der lässig an der Wand Lehnende, als er hinter sich die Dame aus der Küche mit einem gut gefüllten Wagen heranfahren hörte. „Aber erzählt ruhig weiter, ich finde es immer wieder interessant, zu hören, wie jeder einzelne den Club beschreiben würde.“

Er ging kurz zur Jukebox und stellte wahrscheinlich irgendeinen eigenen Songwunsch in die Warteschleife, griff sich dann einen neben der Maschine stehenden Stuhl und stellte ihn verkehrt herum in den breiten Freiraum zwischen mir und dem bärtigen Europäer, ehe er sich setzte, die Arme und das Kinn auf der hohen Stuhllehne aufstützend.

„Nun, ich persönlich spüre eine gewisse Art von 'Daseinsberechtigung', wenn ich anderen Leuten helfe, die ernste Probleme haben. Ich schätze ich bin hier die Motivierteste im Raum. Deshalb habe ich dich auch eingeladen, ohne groß nachzuhaken.“, versuchte Melissa die Vorstellung fortzusetzen. Ich freute mich sehr und faltete die Hände bei einer kurzen Verbeugung zu einer Dankesgeste zusammen. „Mein Name ist übrigens Melissa Chun. Ich habe in Taiwan studiert, bin aber schon vor vielen Jahren nach Seoul gezogen.“

Ich war für einen Moment sehr überrascht, denn ihre Erscheinung und ihr perfektes Koreanisch ließen mich sie bis hier für ein Koreanerin halten. Auch sah sie nicht unbedingt wie eine Person aus, die ihr Studium schon vor langer Zeit abgeschlossen hatte. Für einen weiteren Moment beäugte ich sie leicht penetrant, ehe sie fortfuhr.

„Der mit der bunten Kleidung nennt sich Earl Gray, mit A. Sein richtiger Name ist uns allen ein Rätsel, er hat sich mir schon vor vielen Jahren so vorgestellt.“, gab sie nun schmunzelnd der Vorstellung der einzelnen Personen den Vorzug, bevor weiter über Carpe etc. diskutiert wurde. „Earl kommt aus Luxemburg, er hat zuvor schon in Frankreich, Deutschland und Belgien gelebt.“

„Und Italien.“, fügte der Gemeinte an.

„Er ist ziemlich stolz auf seine Fremdsprachenkenntnisse.“

„Englisch, Französisch, Italienisch, Deutsch, Japanisch, Koreanisch und etwas Holländisch.“

Ich staunte nicht schlecht, war ich doch schon stolz auf mein relativ flüssiges Deutsch. Solide Englisch- und Japanischkenntnisse waren mir auch vergönnt, aber Französisch war mir wiederum so fremd wie einem Kamel der Schnee.

Kurz musste ich an Ski fahrende Sultane und Scheichs denken, welche ich erst neulich erstaunt in einer Dokumentation gesehen habe. Haben sie in Dubai doch tatsächlich eine Skianlage errichtet... ich hatte – wie wohl die meisten – nur ein Kopfschütteln dafür übrig.

„Der stille Herr neben ihm ist Sarge. Er ist Wahl-Amerikaner, schon sein Großvater hat im Korea-Krieg für die Amis gekämpft. Deshalb auch der Name. Sein eigentlich...“

Der Gemeinte räusperte sich in dem Moment unüberhörbar und schaute Melissa finster an.

„Nun egal... man sieht es ihm nicht an, aber er ist der Gewissenhafteste von uns. Er sorgt dafür, dass wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, wenn wir irgendein gemeinsames Ziel haben.“

Ich stellte die These auf, dass die große Narbe irgendetwas mit dieser Charaktereigenschaft zu tun haben könnte – und nicht wie bisher von mir angenommen in einem Bandenstreit irgendwelcher um Einfluss kämpfenden Straßengangs. Ich tadelte mich kurz für diese Idee.

Die Küchenfrau traute sich mittlerweile, in das Gespräch einzudringen und das Essen auf den großen Tisch zu stellen. Tatsächlich war ich erneut beeindruckt... nein, begeistert! Zwar wurde das Hauptgericht nicht so kunstvoll angerichtet wie die Häppchen zuvor, aber der Duft verriet mir unverzüglich: „Caldeira de Carne!“

Die drei Frauen im Raum schauten alle synchron auf, als ich das sagte. Sie hatten offensichtlich nicht damit gerechnet, dass mein Fachwissen über Gourmetkultur bis in die portugiesische Provence reichte. Aber es war lange Jahre eins meiner Hobbies gewesen, Nationalgerichte verschiedener Kulturen selbst zu kochen. Und ja, man kann sagen Caldeira de Carne gehörte definitiv zu meinen Top 3!

Kurz wunderte ich mich, dass ich den herben Geruch von Weißwein nicht schon vorher bemerkt hatte, aber ich wusste auch ehrlich gesagt nicht, wie groß nun die Küche war.

Nichts desto trotz... als alle einen gut gefüllten Teller des portugiesischen Weißweineintopf vor sich stehen hatten, bedurfte es keiner weiteren Erklärung, wieso die Vorstellung der Anwesenden – inklusive mir selbst – einmal mehr für eine Weile versandete. Gefräßige Stille würde man das Folgende in Deutschland nennen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
→ Die Selbstvorstellung des Erzählers ist freu erfunden. Vielleicht ist es indirekt an mich angelehnt, da ich im Zuge meines Studiums z.B. für ein Semester in Korea war ;)
→ Die Janggu ist eine zweifellige Trommel mit einem sanduhrförmigen Korpus. Sie wird in allen Musikstilen der koreanischen Musik von der höfischen Musik bis zu schamanischen Zeremonien (Muak) mit Ausnahme der epischen Gesänge (Pansori) eingesetzt. //Pansori ist im Übrigen traditionelles koreanisches Theater. Ich habe ganz by the way selbst schon einmal versucht, Pansori zu singen bzw. das bereits erwähnte Volkslied "Arirang" ;) aber diese Art des Gesanges beherrschen nur ganz wenige Frauen auf diesem Planeten^^
→ Was den Namen des 'Clubs' (bzw. der lustigen Runde) angeht, war eigentlich ich es, der sich nicht für einen der beiden Namen entscheiden konnte ;)) Carpe omnia (oder omnium) klingt meiner Meinung nach cooler, ist aber irgendwo doch zu unkonkret, während ich Carpe Vino hingegen vom Klang her nicht so machte. Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück