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Bruderliebe

von

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Wie lange ich auf solch eine Situation gewartet hatte, fühlte sich für mich wie ein ganzes Menschenleben an und ließ mich innerlich aufheulen. Tränen der Freude, aber auch des Schmerzes überrollten mich. Ich versank in diesen Kuss wie in einem Strudel der Gefühle, die nun an die Oberfläche kamen. Meine Sinne lagen für diesen Mann sensibel offen.

Als Darian spürte, wie ich weiche Knie bekam, hielt er mich in seinen starken Armen fest und gab mir dadurch den Halt, nicht einzuknicken. Ich öffnete meine Lippen für ihn, als seine Zunge sich ungeduldig in meinen Mund drängte. Die Ungeduld ging auch auf mich über, ihn endlich zu schmecken. Bald fand er sein Gegenstück, während ich nur fühlte und meine Umgebung kaum noch wahrnahm. Der Kuss wirbelte so viel in mir auf, sodass ich schließlich und endlich stöhnte, dann erst ließ er von mir ab und ich sah ihn wie durch einen Nebelschleier an.

„Was ist los?“ Er keuchte erregt.

„Was los ist? Warum? Warum jetzt erst?“ Ich stellte seine Gefühle, seinen Kuss infrage, und kam mir zeitgleich total töricht vor.

„Kein Warum. Du bist alles, was ich jemals wollte. Die Zeit ohne dich ließ mich schier verzweifeln – es war eine Qual. Nur durch dich erkannte ich meine Lebenslüge, die ich nicht mehr aufrechterhalten konnte und wollte.“

„Warum hast du mir damals nur so wehgetan?“, stellte ich ihm die Frage, die so lange in mir brannte.

„Ich wollte diese Gefühle nicht zulassen. In der Hütte, da war ich nicht so weit. Dir aber so weh zu tun, war nicht richtig. Ich war völlig durcheinander, begehrte dich schon damals sehr, dann mit deinen durchnässten Klamotten, deiner femininen Art wirktest du so zerbrechlich.“ Ich lauschte gebannt seinen Worten, saugte jedes Detail in mich auf, während er mich immer wieder dazwischen auf den Mund küsste. „Es tut mir so leid. Ich war ein verdammtes Arschloch zu dir. Ich bin das Loch!“ Seine Stimme war nur noch ein Flüstern.

Einerseits schwebte ich gerade auf Wolke Sieben, andererseits … Hatten wir wirklich eine reelle Chance, oder würde mich meine Vergangenheit einholen? Und ein anderes Problem bahrte sich vor mir auf. Was war mit Miguel – was war mit der Verlobung? Alles schien wie in einem Traum, aus dem ich aber nicht aufwachen wollte. Noch immer hielt mich Darian fest im Arm und ich schmiegte mich kurz an ihn, bis mir bewusst wurde, dass uns eventuell jemand so sehen könnte. Flüchtig schaute ich mich um, vergewisserte mich, dass wir alleine waren, aber was war mit den Fenstern?

„Mir egal“, sagte er nur, als ob er genau gewusst hatte, worüber ich mir gerade Sorgen machte und doch musste ich ihn das fragen.

„Was ist mit deiner Verlobung?“, fragte ich rau und nahm von ihm Abstand.

Er zuckte mit der Schulter und zeigte dann seine Hände. Es war kein Ring zu erkennen.

„Noch sind wir es nicht. Das war ein Hilfeschrei, ich hatte gehofft, dass mich jemand davon abhalten würde. Darum habe ich die Bekanntmachung immer weiter nach hinten verschoben.“ Er nahm seine Hände runter und steckte sie in die Hosentasche. Im Gegensatz zu mir hatte er keine Jacke angezogen und schien in seinem blauen Jeanshemd zu frieren.

„Ja?“ Meine Augen wurden immer größer.

„Meine Gebete wurden erhört, es ist für nichts zu spät“, erwiderte er sanft, schaute mich aus dunkler werdenden grünen Augen an, nahm dann mein Gesicht zwischen seine kalten Fingern, und küsste mich mal zärtlich, dann wiederum fordernd. Mir wurde es ganz anders, und ein süßes Ziehen machte sich in meinen Lenden bemerkbar. Ich ließ all seine Zärtlichkeiten zu. Auch wenn es so kalt war, wärmten mich seine Küsse, liebkosten mich seine Lippen, streichelten mich seine Finger, wo sie nur konnten. Ab da wusste ich, ich war verloren, denn ich liebte ihn mehr als mein eigenes Leben.

Ein schlechtes Gewissen kam auf, aber schnell dachte ich mir, wenn Carsten nicht gestorben wäre, wäre alles anders verlaufen, dann wäre Carsten mein Lebensinhalt geworden.

Carsten, es tut mir so leid!, kommunizierte ich in Gedanken mit meinem toten Partner, erhielt jedoch, wie sollte es anders sein, keine Antwort darauf. Dies musste ich mit meinem Gewissen selbst vereinbaren.

Ich fiel in seinen Kuss, in seine Umarmung, ließ mich buchstäblich in die Gefühle hineinfallen, ließ Darian seine Leidenschaft ausleben und klammerte mich an ihm fest, wie einer, der beinahe am Ertrinken war. Ich kostet seine Zunge, liebkoste sie, kostete seine Lippen, die wie meine bebten. Spürte seinen Bartansatz, den man so nicht sah. All das liebte ich, von Sekunde zu Sekunde mehr und vergaß dabei um uns herum die Welt. Daher bemerkten wir zu spät, dass wir einen Zuschauer bekommen hatten.

„Ich verstehe“, sagte auf einmal derjenige zu uns, dessen Stimme einem Eisklotz sehr ähnelte, da sie kalt und emotionslos klang, aber dennoch konnte ich sie einem ganz Bestimmten zuordnen. Erschrocken drehte ich meinen Kopf in Miguels Richtung, wollte mich von Darian loseisen. Doch der hielt mich noch einen Tick fester und drückte mich ganz an sich, als wollte er mich vor ihm beschützen.

Darian schien gefasster als ich, als er in die versteinerte Miene seines Verlobten in spe blickte. „Miguel, du hast gewusst, dass es irgendwann passieren würde. Du kanntest meine Gefühle für ihn ganz genau“, verteidigte er sich, und ich betrachtete die Sache mit einer gewissen Skepsis und einem flauen Gefühl im Bauch.

„Pah, du machst es dir sehr einfach. Diese Liebe ist nicht zulässig“, spie er seine Worte wutentbrannt aus. Dies hatte ich befürchtet. „Es ist unsere Verlobungsparty!“, schrie er außer sich und er hatte seine Hände zu Fäusten geballt. Wie gut, dass drinnen die Musik laut war, so war es noch keinem aufgefallen.

„Es war deine, nicht meine Idee gewesen“, stellte mein Bruder kühl und sachlich fest. Dabei versuchte er, so ruhig wie möglich zu wirken, war es aber nicht. Ich fühlte seine Unruhe, spürte das Zittern seines Körpers und das kam nicht nur von der Kälte hier draußen.

Ich betrachtete weiterhin Miguel, dem der Zorn ins Gesicht geschrieben stand, trotz der Dunkelheit konnte ich seine Wut auf uns regelrecht fühlen.

„Du machst es dir verdammt einfach, du Arschloch!“, knurrte der Südländer unheilvoll.

Irgendwie tat er mir trotzdem leid, da ich nur zu gut wusste, wie es war, wie man sich fühlte, abgewiesen zu werden. So konnte ich ihn dennoch verstehen. Wer wäre nicht sauer?

„Nein, nicht einfach … das hier, Jaden und ich, das wird niemals einfach werden und doch … ich kann nicht anders. Ich liebe ihn – und das schon sehr, sehr lange.“

Miguel sagte nichts mehr und drehte sich wortlos um, ging davon, aber nicht zum Haus, sondern nahm die Richtung entlang der Straße. Auch er hatte keine Jacke an. Ich trat an Darian heran, nahm ihn bei der Hand. Die Worte, diese Liebeserklärung, sie hatten mich in einem Maße berührt, dass mir die Tränen in die Augen traten und doch musste ich jetzt auch ein wenig die Vernunft walten lassen.

„Darian, sprich dich mit ihm aus, bitte“, flehte ich ihn an, denn die Angst, man könnte uns verraten, war größer und auch die Angst, Miguel könnte eine Dummheit begehen, so wie er weggegangen war.

Mein Bruder sah mich an. In seinen Augen bemerkte ich Schmerz und Leid.

„Wo kann ich dich erreichen?“

„Ich bin bei meiner Mutter untergekommen.“

„Deiner Mutter?“ Er hatte wirklich nicht gewusst, dass ich hier war. Susan hatte dichtgehalten. Was war sie doch für eine tolle Freundin, niemals mehr würde ich sie gehen lassen.

„Erkläre ich dir morgen, okay!“ Ich sah ihn voller Liebe an.

Er nickte stumm, drückte kurz meine Hand, ging im Laufschritt ins Haus, um seine Jacke zu holen und dann an mir vorbei.

„Bis morgen.“ Er rannte los, suchte seinen Exfreund und dieses Mal war ich nicht eifersüchtig – im Gegenteil.

 

 

©Randy D. Avies 2012



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