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Bruderliebe

von

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Die Nervosität, die ich den ganzen Tag hatte, war nicht mehr zu überbieten. Ich hatte mir sogar in der Stadt ein neues Oberteil gekauft, das ich nun unter meiner dicken Winterjacke trug. Ein schwarzes Shirt mit Engelsflügeln drauf. Zudem eine schwarze Jeans und die passenden Stiefel dazu, einzig und alleine die Winterjacke, die in Braun war, passte nicht dazu. Aber die konnte ich auf der Party ausziehen.

Meine Mutter löcherte mich mit Fragen, auch wegen Darian, bis ich ihr sagte, dass er eine Party schmiss und ich ihn damit überraschen wollte.

Sie wirkte selbst überrascht. „Darian gibt eine Party?“ Ihre Hände waren noch vom Spülwasser feucht und sie wischte sie sich an ihrer Schürze trocken. Seit gestern ging sie wieder arbeiten. Eine ganze Woche krankmachen hatte sie nicht übers Herz gebracht und ging am Freitag wieder zur Arbeit.

„Ich geh dann mal los, keine Ahnung, wann ich zurück sein werde“, verabschiedete ich mich aufgeregt von ihr.

„Du bist erwachsen und kannst machen, was du möchtest. Dein Bruder wird Augen machen, wenn er dich sieht.“ Ich lächelte, und gab ihr einen Kuss. Unser Verhältnis war nun wirklich super.

Ich entschloss mich, mit dem Auto hinzufahren, und würde es gegebenenfalls stehen lassen, sollte ich ein Bier zu viel dort trinken.

Endlich würde ich Darian sehen, ihn treffen. Aber was sollte ich ihm sagen?

Wir waren beim letzten Mal nicht gut auseinandergegangen. Ich wusste noch, wie er auf dem Motorrad davon gefahren war und Carsten mich in die Arme genommen hatte, mich tröstete. Ein Teil war damals mit ihm gefahren. Und nun würden meine beiden Teile wieder zusammengefügt werden. Doch ein Problem blieb – Miguel. Er war Darians Freund.

Ich parkte in der Straße, in der er wohnte, stieg aus und klapperte die Nummern ab, bis ich vor seinem Haus stand und staunte nicht schlecht. Es war keine Wohnung, wie ich vermutet hatte, nein, es war ein Häuschen mittlerer Größe, gepflegt und die Musik drang nach draußen.

Techno? Na prima!

Der Geschmack meines Bruders war schon immer grauenhaft. Etwas, was wir niemals gemein haben werden …

Ich drückte auf die Klingel, zuckte leicht zusammen, da sie ziemlich laute Töne von sich gab, die Tote aufwecken konnten. Die Unruhe in mir wuchs.

Denn keine Minute später machte mir ein mir Unbekannter mit einer Bierflasche in der Hand auf. Die Enttäuschung jedoch stand mir ins Gesicht geschrieben, hatte ich gehofft, Darian würde seinen Gästen selbst die Tür öffnen, oder Miguel. Wobei ich auf Letzteren doch weniger vorbereitet gewesen wäre. Auf emotionaler Ebene auf jeden Fall.

„Bin ich richtig hier bei Darian?“, erkundigte ich mich höflich und mein Herz klopfte dabei schneller.

„Jep“, war seine knappe Antwort. Er fragte nicht nach meinem Namen, sondern ließ mich eintreten. Ich war also richtig hier. Achselzuckend betrat ich das Haus.

Das Haus schien voller Menschen, von denen ich bis jetzt keinen kannte, auch nicht von früher. Doch war ich hier tatsächlich richtig, denn ich erkannte einige Fotos noch von früher, die zum Teil als Familienbilder an der Wand hingen. Darunter war auch ich zu sehen, als Jugendlicher. Mich fröstelte es, nicht weil mir kalt war, sondern ich war aufgeregt, daher entschied ich mich, meine Jacke anzubehalten, machte sie aber vorne auf.

Die Party war voll im Gange, es wurde getanzt, gelacht, gegessen, getrunken, geraucht … aber Darian sah ich nicht, auch nicht Miguel, was mir jetzt nicht so viel ausgemacht hätte, wenn ich ihn gar nicht sehen müsste. Die Eifersucht auf ihn war in mir tief verankert. Gegen diese Gefühle konnte ich nichts machen, sah ich in ihm einen Rivalen. Und es wurde verstärkt, als mir bewusst wurde, dass beide hier zusammen wohnten.

Vielleicht sollte ich gehen, ihn morgen anrufen und ihm endlich sagen, dass ich schon eine Woche hier war. Vielleicht wusste Darian es bereits. Wenn nicht durch meine Mutter, dann eventuell durch Susan oder meinem Vater. Ich grübelte.

Nein, meine Mutter hätte es mir gesagt, sie hatte ja nicht einmal von seiner Party gewusst. Missmut und Unlust setzten sich fest, denn ohne jemanden zu kennen, kann selbst die lustigste Party sich wie Kaugummi ziehen, in der man nicht wusste, was man hier verloren hatte.

Ich wollte schon Absatz kehrt machen, entschied mich aber dagegen. Nein, ich war doch hauptsächlich wegen meines Bruders in München.

Die Wohnung roch nach Rauch, Alkohol, Essen … all die Dinge, gegen die ich so angekämpft hatte. Kurz verspürte ich den Drang nach einer Zigarette, als mir einer seinen Zigarettenrauch ins Gesicht blies und ich dadurch husten musste. Dabei fiel mein Blick auf Darian.

Darian, da bist du ja!

Mein Bruder stand in der Ecke des Wohnzimmers mit ein paar Leuten und schien in Gesprächen vertieft. Ich konnte nur auf seine Lippen starren, die wohlgeformt aus dem Bierglas nippten. Immer wieder diese Lippen, diese Augen, die Art, wie er das Glas hielt. Seine Haare, die er zu einem Zopf zusammengebunden hatte. Überhaupt wie er aussah, ließ meine Knie weicher werden, mein Herz schneller schlagen und meine Gedanken sich überschlagen. Unbewusst leckte ich mir über die Lippen, als ich seinen Körper betrachtete. Als es mir bewusst wurde, dass ich ihn regelrecht anstarrte, schaute ich verlegen weg. Er hatte mich zum Glück noch nicht bemerkt und anstatt zu ihm zu gehen, um Hallo zu sagen, drehte ich mich um und ging woanders hin, Hauptsache weg von ihm. Mein Herz schlug inzwischen so rasend schnell, dass ich das Blut in meinen Ohren rauschen hören konnte und meine Beine drohten mir zu versagen, von meinen wirren Gedanken ganz zu schweigen, die nur einen Namen, wie ein Durchlauferhitzer, ständig wiederholten: Darian!

Jetzt, wo mir bewusst wurde, dass ich Single war – frei war, sah es mit meinen Gefühlen für meinen Bruder nochmals ganz anders aus. Früher hatte ich einen Grund und der hieß Carsten, aber jetzt? Aber Darian war mein Bruder, eine Tatsache, die man nicht außer Acht lassen konnte. Verdammt! Homosexuell zu sein war schon nicht einfach, aber seinen Bruder zu lieben war eine Last, die einen erdrücken konnte, von der Gesellschaft ganz zu schweigen, die einen steinigten, wenn sie es wüssten. In diesem Falle wünschte ich mir Carsten an die Seite zurück. Seine Ratschläge, sein Halt, der mir immer geholfen hatte.

Jetzt war ich auf mich alleine gestellt und ich hatte mich in die Höhle des Löwen begeben. Nur mit dem Unterschied, der Löwe hatte einen Partner, was mich gewaltig wurmte.

Ich merkte kaum, wo ich hinlief, und lief, wie konnte es anders sein, Miguel in die Arme. Er stand in der Küche. Scheiße!

„Jaden!“ Er klang erstaunt.

„Ja … hallo, ich wollte …“ Ja, was wollte ich? Was machte ich hier überhaupt und vor allem in der Küche? Mir wurde mein Eindringen immer mehr bewusster. Die beiden waren ein Paar, ich sollte wieder gehen.

„Ich bin überrascht, das ist alles. Seit wann bist du wieder hier?“ Miguel war nicht unfreundlich und doch merkte ich eine gewisse Ablehnung in seinen Augen. Wusste er von mir und Darian?

Ein schlechtes Gewissen kam auf und ich wurde rot im Gesicht. Auch das noch. Ich zwang mich, stark zu bleiben.

„Seit Carsten tot ist?“, gab ich mich pikiert.

„Das tut mir leid, wir waren, ich meine, Darian und ich, nur kurz auf der Beerdigung, aber du warst so blass und da …“, er brach ab. Kein Mitleid lag in seinen Worten, er spulte ein Programm ab. Und ich hingegen hatte mir also die Fata Morgana damals auf der Beerdigung nicht eingebildet. Ich hatte sie tatsächlich gesehen.

Darum ging ich in die Offensive: „Ihr seid aber schnell verschwunden, dachte schon, ich hätte mir euch eingebildet.“

„Nein, hast du nicht.“ Bitterkeit lag in seiner Stimme. Er ging aber nicht näher darauf ein und mir schnürte es die Stimme ab.

Ich konnte außer einem „Oh“ nichts mehr von mir geben.

Miguel bemerkte meine Unsicherheit.

„Willst du was trinken?“, fragte er mehr höflich als freundlich. Ich spürte die Feindseligkeit, eigentlich sollte ich gehen, aber irgendetwas hielt mich auf.

„Ja, ein Wasser, danke“, erwiderte ich nun ebenso kühl. Alles an Freundlichkeiten, die Mal zwischen uns geherrscht hatten, war verschwunden.

„Wasser?“ Er schüttelte den Kopf, kam aber meinem Wunsch dann nach und holte ein Glas aus einem der Küchenschränke und schenkte mir einen Sprudel ein, während ich mich nach Darian umsah. Darian ließ sich nicht blicken.

Er musste mich doch gesehen haben? Wollte er mich nicht sehen, mich nicht begrüßen? Ich fühlte mich schlecht.

„Danke!“ Ich nahm das Glas entgegen und ließ dann Miguel einfach stehen. Diese Geste stand mir nicht wirklich, doch konnte ich nicht anders.

Ich zwang mich durch die Massen an Menschen hindurch, brauchte frische Luft, blieb aber im Flur, lehnte mich an die Wand und schloss die Augen. Mir war warm, da ich meine Jacke immer noch nicht ausgezogen hatte. Wie gut, dass mich die anderen Gäste nicht ansprachen, sie waren mit ihren Freunden genug beschäftigt.

Verdammt, wie viele hatten Darian und Miguel denn eingeladen? Was für eine Party sollte das überhaupt werden?

Ich öffnete die Augen, vernahm, wie Paare sich vor meinen Augen küssten und da merkte ich, dass es nicht nur Frauen und Männer waren, die hier zum Teil herumschmusten, es waren auch Männer mit Männern. Darian lebte jetzt seine Liebe offen aus.

Verdammt.

Mein Körper dürstete nach meinem Bruder und ich konnte mich nicht dagegen wehren. Ich schloss wieder die Augen, um mich auf mich zu konzentrieren, denn ich hatte einen Halbsteifen, und auch wenn ich eine weite Hose anhatte, war es mir peinlich. Trotzdem bewegten sich meine Gedanken immer wieder in seine Richtung, ob ich wollte oder nicht. Immer wiederkehrend sah ich vor meinem geistigen Auge seine Gestalt, sein Gesicht … mir wurde bewusst, wie sehr ich ihn vermisste.

Wie gerne würde ich mich von ihm jetzt küssen lassen. Wie gerne würde ich von diesen Lippen berührt werden. Damals in der Hütte hatte er mich nie so berührt, wie ich es gewollt hätte. Nein, damals da war er so anders. Doch liebte ich ihn. Und jetzt verzehrte ich mich mit jeder Faser meines Herzens nach Berührung – einfach nach ihm.

„Ich liebe dich so sehr, Darian, mein Bruder! Liebe meines Lebens!“, flüsterte ich die Worte so leise, sodass nur ich sie hören konnte. Zeitgleich schämte ich mich für meine tiefen Gefühle und bekam Schuldgefühle gegenüber Carsten. Doch Carsten war tot.

Ich musste hier raus, sofort!

Das Wasserglas, das ich nicht einmal angerührt hatte, stellte ich auf den Telefontisch, dann verschloss ich meine Jacke, und ging nach draußen, begrüßte die frische Luft. Eisig wehte sie mir entgegen und ließ meine heißen Wangen abkühlen wie auch den Rest vom Körper, der sich verbotenerweise erlaubt hatte, die Gefühle meines Bruders auszudrücken.

Warum war ich nach München zurückgekehrt? Warum nur? Ich brauchte Darian nicht! Ich durfte meinen Gefühlen Darian gegenüber nicht nachgeben.

Nicht noch einmal das durchmachen, was nach der Hütte mit mir passierte, schwor ich mir in diesem Moment. Auch wenn Darian jetzt schwul war oder zumindest bisexuell, war das keine Garantie, dass er mich nicht wieder derart verletzen würde. Nein, das durfte ich einfach nicht zulassen. Er sollte mit Miguel glücklich sein.

Dann fragte ich mich, was das eigentlich überhaupt für eine Party war?

Ein recht angetrunkener junger Mann rempelte mich an. „Hey, pass doch auf?“, motzte ich, denn was ich nicht ausstehen konnte, war, wenn man angerempelt wurde.

„Sorry, ist das die Verlobungsparty?“, fragte er lallend.

Ich traute meinen Ohren nicht. „Bitte?“, erwiderte ich entgeistert.

„Ich will Miguel eine in die Fresse schlagen, der hat mich einfach sitzen lassen wegen dem … dem Arsch.“ Die Fahne, die er mir entgegenschlug, war nicht auszuhalten.

Miguel hatte noch einen Verflossenen? Und ich hatte immer gedacht, er wäre lange solo gewesen. So konnte man sich irren. Aber was anderes versetzte mir einen festen Stich. Darian würde sich hier auf der Party mit Miguel verloben oder waren es bereits schon.

Ich war zu spät, wie mir schien.

Darians Verlobungsparty.

Die Nachricht hätte nicht verheerender auf mich wirken können.

Meine Mutter hatte es nicht gewusst, sonst hätte sie es mir gesagt und Susan? Tja, jetzt machten ihre letzten Worte vor Tagen Sinn. Oh Susan! Irgendwie konnte ich ihr nicht böse sein … Ihre Absichten schienen mir klar und deutlich, ich sollte meinen Bruder davon abhalten.

Eigentlich wollte ich hier nur noch weg. Da ich bereits draußen stand, entschied ich, nicht mehr zur Party zurückzukehren, einfach zu gehen, ohne mich zu verabschieden.

Was wollte ich hier wirklich noch, warum war ich nur zurückgekehrt? Morgen würde ich wieder nach Hause fahren. Ja, so würde ich es machen.

Mit meiner Mutter hatte ich mich ausgesöhnt, mein Vater blieb ein Arsch, mich hielt also nichts mehr hier …

Ich war gerade im Begriff, an mein Auto zu laufen, als ich aufgehalten wurde.

„Hey, wo willst du hin?“ Die Stimme meines Bruders. Ich hörte, wie er näher kam und ich drehte mich nicht zu ihm um, sondern setzte meinen Weg weiter fort in Richtung meines Autos. „Jetzt bleib stehen! Bitte.“

Das war eine klare Aufforderung und die wirkte, denn ich blieb stehen, drehte mich herum. „Warum sollte ich?“, fragte ich nur und klang dabei äußerst verletzt.

„Weil ich dich vermisst habe. Weil ich dich will, verstehst du. Ich will dich mehr als alles andere auf dieser Welt!“ Seine Stimme war lauter als beabsichtigt, und klang leidenschaftlicher als alles, was ich bis jetzt an ihm jemals festgestellt hatte. Ich bekam eine Gänsehaut und sogleich auch die Angst, es könnte ein Traum sein, eine Lüge, die unwiderruflich zurückkehrte, wenn ich in meinem Bett aufwachte.

Und doch wusste ich, dass ich nicht schlief, dass das hier kein Traum war.

„Warum jetzt erst? Du hast eine komische Art, mir das zu zeigen. Oder jemand anderem und musstest ja Carsten verprügeln, auch wenn er angefangen hatte. Jetzt ist er ja tot … “ Die Gefühle brachen aus mir heraus und ich schrie mir die Seele aus dem Leib. „Warum? Warum … verdammt.“ Ich heulte. Es war keine gute Idee, zu seiner Party zu gehen. Es hatte meine Gefühle für ihn nur noch verschlimmert.

„Weil ich ständig an dich denken muss. Weil ich nur noch dich vor Augen habe. Carsten hatte damals auf der Hochzeitsfeier nicht angefangen, ich war es, ich hatte den Streit provoziert. Nur verstehe ich jetzt nicht, was das damit zu tun hat.“ Er kam mir immer näher, während ich weiter zurückwich, bis ich eine kalte Wand hinter mir spürte.

Endstation! Dann ging es nicht mehr weiter. Ich fühlte das raue Gestein, spürte meine aussichtslose Lage. Er hatte mich da, wo er mich haben wollte. Mein Hals war wie zugeschnürt und ich sah nur noch in seine Augen, die sogar im Dunklen funkelten und lauernd auf mich herabsahen.

„Darian ... ich ...“ Just in diesem Moment verschloss er mir mit seinen Lippen den Mund und erstickte den Satz im Keim.

 

©Randy D. Avies 2012



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