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Bruderliebe

von

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~°~27~°~

 

 

Mein Gesicht war von der Schminke verschmiert und ich wusste, ich würde bei den Hochzeitsgästen einen erbärmlichen Eindruck hinterlassen. So wollte ich vom Rest nicht mehr gesehen werden und distanzierte mich von der Festlichkeit. Die Hochzeit war für mich gelaufen. Ich verabschiedete mich weder von dem Brautpaar noch von Freunden. Ob man meinen Abgang gemerkt hatte, war mir ziemlich egal. Die Hochzeitsgäste, die Party überhaupt ließ ich immer weiter hinter mir. Als ich weit genug weg war, blieb ich kurz stehen, sah mich um.

Carsten war mir nicht gefolgt. Warum er mich einfach hatte gehen lassen, darüber zerbrach ich mir nicht einmal den Kopf. Es war mir egal. Ich wollte nur noch weg hier und setzte meinen Weg fort. Meine Schritte wurden wieder zügiger. Ich muss hier weg, dachte ich und nahm während des Laufens mein Handy aus meiner Rocktasche, behielt es aber nur in der Hand. Ich lief auf die Kirche zu, dann an ihr rechts vorbei, und die Baumallee entlang, bis ich völlig außer Atem an einer kleinen Ortschaft ankam. Erst dann blieb ich stehen und rief mir, als ich mich atemtechnisch beruhigt hatte, ein Taxi. Ich wartete etwas im Verborgenen auf das Auto. Als es ankam, fiel mir ein, dass ich kaum Bargeld dabei hatte, und fragte sofort den Fahrer, ob ich mit Kreditkarte zahlen könnte. Der nickte schließlich und ich stieg erleichtert ein.

Endlich zu Hause angekommen war meine Geldkarte um 120 € leichter. Die Fahrt war sehr teuer gewesen, aber das spielte keine Rolle. Ich war zu Hause, alles andere war unwichtig. Basta hatte ich bewusst nicht vom Nachbarn abgeholt. Ich wollte nicht. Und schon gar nicht mit meinem verheulten Gesicht. Es war mir peinlich genug gewesen, als mich der Taxifahrer dreimal fragte, ob mit mir alles in Ordnung wäre. In dem desolaten Zustand, in dem ich mich befand, wollte ich keinesfalls bei unserem Nachbarn klingeln. Zudem war ich zu aufgewühlt, um Bastas Anwesenheit ertragen zu können. Mir tat der Hund leid, liebte ich ihn doch über alles. Doch heute konnte ich einfach nicht anders.

Im Haus hatte ich bewusst kein Licht gemacht und ließ alles im Dunkeln. Es war zwar dämmrig, aber ich konnte noch genügend sehen, außerdem kannte ich alles im Schlaf auswendig. Das Mobiliar hinterließ Schatten, das Haus wirkte düster. Mein Blick fiel auf die Badezimmertür, die ich ansteuerte und mit einem Schwung aufstieß. Ich blieb mit meinen Augen an der Duschwand hängen, die im Schatten des Abends gut zu erkennen war. Wie ferngesteuert, stellte ich das Wasser an. Ich wollte meine Emotionen mit kaltem Wasser wegspülen. Dabei kreisten ständig meine Gedanken um meinen plötzlich aufgetauchten Bruder.

Warum bist du aufgetaucht, was willst du von mir?

Ich hatte mir nicht einmal die Mühe gemacht, mich von meinen Klamotten, oder Schuhen zu befreien, als ich in die Dusche stieg und mich sofort die nasse Kälte umfing.

Ich zitterte, fing laut zu weinen an und rutschte schließlich mit dem Rücken an den Fliesen entlang, bis ich unten am Duschboden ankam. Dort kauerte ich in sitzender Haltung, gab ein erbärmliches Bild ab. Mit beiden Armen umschlang ich meine Beine und bettete meinen Kopf darauf, während ich unaufhaltsam weiter weinte und Trauer und Kälte meinen Körper mitnahm. Das kalte Wasser prasselte fortwährend auf meinen Körper herab. Ich weiß nicht, wie lange ich so dagesessen hatte. Aber irgendwann waren meine Tränen versiegt. Ich lauschte dem Rauschen des Wasser, vernahm aber keine weiteren Geräusche. Carsten war noch immer nicht zurück.

Zitternd wie Espenlaub und mit tauben Fingerspitzen hangelte ich nach meinem nassen Handy. Es funktionierte seltsamerweise, als ich es anmachte. Schnell stellte ich das Wasser ab. Ich holte meine Geldbörse heraus. Die hatte es schlimmer erwischt. Die wenigen Geldscheine pappten aneinander, das Leder war aufgeweicht. Einzig die Plastikkarten machten der Nässe nichts aus. Ich schmiss den Geldbeutel, so wie er war, aus der Dusche. Nass und schwer fiel er dumpf auf die Fliesen. Dann schaute ich erneut auf mein Handy, dass ich mit einem Handtuch trocken wischte. Keine Nachricht für mich – Nichts.

Gewissensbisse, Schuldgefühle, sie stürmten auf mich ein und ließen mich nicht los. Die Selbstvorwürfe Carsten gegenüber erdrückten mich immens. Ich hätte ihn nicht so anfahren und vor allem nicht weglaufen dürfen. Nein, das war der absolut falsche Weg gewesen. Es war feige.

Eine bittere Selbsterkenntnis, die leider nun zu spät kam. Ihn anrufen konnte ich aber auch nicht.

Auf mich sauer, warf ich das Handy zum Geldbeutel, wo es scheppernd auf den Boden knallte. Ob es jetzt nun kaputt war, interessierte mich nicht.

Indessen befreite ich mich von den schwer gewordenen, nassen Sachen und warf sie aus der Dusche. Traurig schaute ich auf den Boden, da wo meine Klamotten lagen.

Mein schöner Rock. Ein schwarzes Bündel. Das war es dann mit meinen Lieblingsklamotten, sie waren ruiniert, das Leder war völlig aufgequollen!

Vor Kälte zitternd und zähneklappernd stellte ich das Wasser auf warm. Zuerst kam kalt heraus, dann wurde es wärmer und hüllte mich angenehm ein. Dabei kamen Bilder von der Hütte in mein Gedächtnis. Sie kamen wie bei einer Diashow, einzeln eingeblendet, immer fortlaufend. Ich konnte sie nicht abstellen, so sehr ich es auch wollte, spulte der Film unaufhörlich weiter. Dabei sah ich nur den jetzigen Darian, nicht den von früher.

Darian hatte so gut ausgesehen und ich war auf Miguel, den ich eigentlich mochte, total eifersüchtig. Es zerriss mir das Herz. Aber was war mit seiner Frau? War sie nicht auch eine Betrogene? Ich bekam Mitleid mit Stefanie. Waren sie verheiratet, hatten sie überhaupt geheiratet? Wie lange ging das schon, dass Darian einen Freund hatte? Auf all diese Fragen bekam ich keine Antwort. Wie auch. Was wusste ich schon von meinem Bruder, dessen Leben, wie meines, weiter gegangen war?

Ich strich mir die Haare aus dem Gesicht, die in meinen Augen hingen. Mein Kopf war voller Gedanken.

Vielleicht war Darian nur ein leichter Freund zu Miguel? Ich schüttelte den Kopf. Wem wollte ich etwas vormachen – mir etwa? Nein, Männerfreundschaften sahen anders aus. Man berührte sich anders, nicht so intim. Ich wusste den Unterschied.

Verdammt, du siehst so gut aus, Darian!

Dieser Gigolo! Mit seinen langen Haaren! Unverschämt! Ich wurde wieder wütend und hatte unbewusst meinen Mund geöffnet. Wasser lief hinein. Ich hustete, spuckte das Wasser wieder aus. Dann senkte ich den Kopf, lehnte mich an die Duschwand. Ich ließ den Wasserstrahl weiterhin auf mich niederprasseln. Meine Finger und Zehen waren bereits schrumpelig. Keine Ahnung, wie lange ich unter der Dusche gestanden hatte, hörte ich, trotz Wasserplätschern, wie unten die Haustür aufging und mit einem Knall in ihre Verankerung fiel. Ich zuckte zusammen.

Hatte ich mir das Geräusch eingebildet? Rasch stellte ich das Wasser ab und lauschte. Ich wollte Gewissheit, nicht, dass ich mir was einbildete, war ich mit meinen Nerven nicht gerade in stabiler Verfassung. Nach kurzer Pause hörte ich deutlich Schritte, die näher kamen.

Nein, ich hatte es mir nicht eingebildet, es waren eindeutige Schritte, die nach oben kamen.

Carsten – er war zurück! Ich sah unter dem Türspalt den Schatten seiner Füße, die davor stehen geblieben waren. Den Atem anhaltend, machte ich mich schon auf alles gefasst. Doch es tat sich nichts. Keine Tür, die aufgemacht wurde, keine Worte, die an mich gerichtet wurden– Nichts!

Der Schatten verschwand. Carsten war weitergegangen.

Von schlechtem Gewissen geplagt, trocknete ich mich rasch ab und schlang nur mein Handtuch um meine Hüfte. So wie ich war, öffnete ich die Tür. Die Lichter im Flur trieben mir kurz das Wasser in die Augen, bis ich mich an die Helligkeit gewöhnt hatte. Zielstrebig ging ich in unser Schlafzimmer, weil ich ihn dort vermutete.

Dort angekommen war es hingegen dunkel, die Vorhänge zusätzlich zugezogen. Doch sah ich sofort die Silhouette von meinem Partner. Carsten stand in der Ecke, die Hände in der Hose vergraben, in geduckter Haltung. Kein gutes Zeichen. Schuldgefühle, Scham, alles kam nach oben. Was hatte ich angerichtet? Ich war nicht vernünftig geblieben, das wurde mir jetzt bewusst. Ich hatte Carsten einfach stehen gelassen und viele Fragen hatten sich bestimmt bei den Hochzeitsgästen angesammelt.

„Carsten … es tut mir leid“, fing ich als Erster an. Mein Hals war dabei wie zugeschnürt.

„Schon gut, wir reden morgen.“ Carsten klang müde, traurig, abgeschlagen, als ob er einen langen Arbeitstag hinter sich gebracht hätte.

Schon gut?, dachte ich und war völlig verwirrt.

„Ich hätte dir sagen sollen, wie mein Bruder heißt.“ Meine Stimme bebte.

„Hätte das etwas geändert? Es gibt einige Menschen mit dem Namen Darian. Das Schlimme daran ist, dass ich diesen Menschen therapiert habe … weißt du auch, warum?“

Mir wich all meine Farbe aus dem Gesicht. Ich stand weiß wie eine Wand vor meinem Partner. Das Handtuch war mir von meiner Hüfte gerutscht. Ein Außenstehender hätte die Situation jetzt als erotisch sehen können, doch war sie es nicht. Nein, sie wirkte keinesfalls so.

„Warum?“, hauchte ich, denn mehr an Stimme gab mein Körper nicht her.

Carsten war immer noch nicht richtig zu erkennen, aber er schnaufte verächtlich. Ich sah die Körperhaltung, die ablehnend auf mich wirkte. Auch wenn es dunkel war.

„Ich therapierte ihn, weil er in seinen eigenen Bruder verliebt ist. Und ich redete ihm diese Gefühle aus.“

Der Schlag ins Gesicht konnte nicht deutlicher sein. Ich tastete mich trunken und betäubt nach dem Lichtschalter, erfasste ihn und knipste nun das Licht an. Da drehte sich Carsten zu mir um. Sein Gesicht war geschwollen, schimmerte bläulich. Er hatte sich geprügelt – mit Darian.

 

 

 

©Randy D. Avies 2012 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Veri
2015-08-28T10:14:24+00:00 28.08.2015 12:14
Omg that feeeeeeeeels :((((((((

Antwort von:  randydavies
29.08.2015 08:53
Tja, das war dann das Wiedersehen...


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