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Bruderliebe

von

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~°~23~°~

 

 

Drei Jahre später

 

Seit drei Jahren waren wir nun ein Paar. Ich war bereits 29 Jahre. Wie die Zeit verging. Vor einem Jahr hatte Carsten sich endlich seinen Wunsch verwirklicht und sich selbstständig gemacht und eine eigene Praxis eröffnet. Ich half seit Kurzem in seiner Praxis aus und machte mich nicht schlecht darin. Meine Lehre hatte ich absolviert, war aber nicht übernommen worden. Es war kein Drama für mich, wusste ich schon länger, welche Pläne mein Partner mit mir hatte. Ich stieg mit in die Buchhaltung ein, den ganzen Verwaltungskram eben, wozu er keine Zeit, vielleicht auch nicht die Lust dazu hatte, denn unrecht war es ihm nicht, dort unterstützt zu werden. In Abendkursen hatte ich mir das Wissen angeeignet, so konnte mich Carsten einstellen. Der Job gefiel mir. Zudem war ich ganz in Carstens Nähe, auch wenn wir uns nicht wirklich oft sahen, reichte es, zu wissen, dass wir uns im gleichen Gebäude befanden. Ich saß in einem kleinen Raum, welches sich ein Stockwerk über seinen Therapieräumen befand. Und wenn ich mal so gar keine Lust hatte, aus dem Haus zu gehen, erledigte ich seine Finanzen von zu Hause aus, wenn es nicht allzu viel war. Carsten hatte zusätzlich eine Sprechstundenhilfe angeheuert – Beate, eine Aushilfskraft, Mitte fünfzig, die seine Telefonate entgegennahm und Termine mit Patienten vereinbarte, wenn er gerade in einer Sitzung war und sich nicht loseisen konnte. Ich hingegen sah seine Patienten niemals und war dankbar, dass er mich damit nicht konfrontierte. Nein, seine Patienten wollte ich nicht wirklich sehen. Ich denke, es hätte mich heruntergezogen. Menschen mit Vergangenheit, Leute mit einer traurigen Lebensgeschichte – am Rande des Abgrundes stehen zu sehen, soweit war ich noch nicht und dennoch … Mein Leben hatte ich, dank Carsten, schon lange im Griff. Er hatte es tatsächlich geschafft, meine Dämonen zu besänftigen.

Eigentlich hatten wir eine perfekte Beziehung.

Doch manchmal wurde ich schwermütig, wenn ich an meinen Bruder zurückdachte. Die stillen Momente, wenn ich für mich alleine war und Zeit zum Nachdenken hatte. Es kam nicht oft vor, doch waren die Augenblicke da und wurden intensiviert, wenn ich an das Bild denken musste. Ich hatte den Koffer behalten, in dem das Foto von Darian lag. Ab und zu nahm ich das Foto an mich, weinte still in mich hinein, und mein Herz zog sich schmerzvoll zusammen, wenn ich die Fotografie betrachtete. Das Lächeln, diese Augen – mein Darian! Dann aber kamen Momente auf, in denen ich wütend wurde. Wütend auf mich, auf Darian, auf das, was niemals zwischen uns passierte – Liebe und Zuneigung. Viel zu sehr hing ich an dem Teil, der mir quasi als Erinnerung an mein früheres Leben geblieben war.

Ich hatte das Foto von Darian weder aufgestellt oder jemals Carsten gezeigt. Seinen Namen hatte ich ihm noch nicht verraten. Ich wollte es auch nicht, war er immer noch nicht gut auf meinen Bruder zu sprechen. Dennoch war ich unsagbar dankbar um Carstens Liebe, die Fürsorge, einfach alles. Denn er liebte mich wirklich, so wie ich war. Und ich schenkte ihm so viel Liebe, wie ich nur konnte. Er tat mir gut. Warum alte Wunden aufreißen? Für wen sollte es gut sein? Denn mir ging es gut – uns ging es zudem finanziell überhaupt nicht schlecht. Auch wenn ich bei Weitem nie so viel Geld wie Carsten verdienen würde, konnte ich doch mit zur Haushaltskasse beisteuern, was mich mit gewissem Stolz erfüllte. Das war für mein Selbstbewusstsein sehr wichtig. In meiner Freizeit, wenn Carsten auf Lehrgänge musste oder irgendwelche Seminare abhielt, schrieb ich übers Internet Artikel, für die ich ein wenig Geld bekam. Reiseberichte, Werbung, bis hin zu kleineren Biografien. Irgendwann waren meine Artikel so gut, dass man mich sogar unter Vertrag genommen hatte, den ich von mir aus jederzeit kündigen könnte, wenn ich wollte. Mein Leben war ausgefüllt, alles in dem Sinne perfekt.

 

„Jaden, weißt du, wo meine Unterhose geblieben ist?“ Ein Szenario der herrlichsten Art spielte sich gerade in unserem Schlafzimmer ab. Carsten hatte die beige Decke aus Satin, auf der mit roter Schrift: ‚Guten Morgen, liebe Sorgen‘ stand, nun schon zum dritten Mal umgedreht, auf der Suche nach seiner Unterhose, die ich ihm sehr oft in der Nacht auszog, wenn wir unseren Trieben nachgaben.

Ich kicherte, hielt mir kurz die Hand vor den Mund. Dann räusperte ich mich, versuchte etwas ernsthafter zu wirken, was mir nicht wirklich gelang.

 „Meinst du etwa die?“ Ich hielt das monströse Etwas, das die Frechheit besaß, sich Herrenhotpants zu nennen, hoch und wedelte damit vor seiner Nase herum, schüttelte den Kopf, und warf sie ihm quer über das Bett zu.

Carsten setzte einen wehleidigen Blick auf.

„Das sind meine Lieblingsunterhosen“, mokierte er den Beleidigten.

Manchmal hatte Carsten wirklich keinen Geschmack, worüber sich ständig streiten ließ.

„Wenn es nur deine Unterhosen sind.“ Ich krabbelte über das Bett und griff nach dem linken Arm meines Partners, bevor dieser sich wegdrehen konnte, und zog ihn zu mir runter. Sofort, als er unter mir lag, verschloss ich seine Lippen zu einem alles verzehrenden Kuss. Als Carsten versucht war, sich zu wehren, machte ich ihn mit meiner Zunge gefügiger und hielt ihn mit meinem Körper in Schach. „Dann kann ich das schmerzlich verkraften.“ Ich war stärker geworden, nicht mehr ganz so mager, aber immer noch sehr feminin und schlank. Das sollte auch so bleiben.

„Du, na warte.“ Carsten versuchte, mich unter sich zu bekommen.

Wir rangelten im Bett umeinander, was schließlich dazu führte, dass wir beide sehr erregt waren und ich mir die Tube schnappte, die stets vorrätig in meiner Schublade verstaut war. Getestet waren wir beide schon lange und es verstand sich von ganz alleine, es ohne Kondom zu machen. Es war zwar nur ein kurzes Intermezzo, aber jeder war befriedigt und Carsten musste mit einem erhitzten Gesicht in seine Praxis fahren.

Ich war nicht weniger erhitzt, konnte mich aber im Gegenzug abkühlen, was Carsten zum Schmunzeln animierte. „Das ist nicht fair“, hatte er mir noch gesagt, mich ein letztes Mal geküsst, bevor er verschwand.

Basta saß am Fußende. „Na du? Du hast uns doch nicht wieder gestalkt. Böser Hund“, scherzte ich mit ihm, dann stand ich selbst auf, duschte ausgiebig. Ich kam eine halbe Stunde später an, und nahm Basta mit. Ich ließ selten den Hund alleine zurück.

 

„Jaden.“ Carsten stand von seinem Sitz auf.

„Mmh.“ Ich tippte gerade den Bericht über Norwegen und seine Gezeiten und war in deren Recherchen darüber vertieft. Dabei saß ich konzentriert vor meinem PC, während Basta zu meinen Füßen lag und sich nicht rührte.

Fauler Hund.

„Ich geh mal die Post holen.“

„Mmh.“ Ich ließ mich nicht herausbringen und war weiter in meinem Bericht über Norwegen vertieft.

Mein früheres Zimmer war inzwischen zu einem kompletten Arbeitszimmer umgestaltet worden, seitdem Carsten und ich nun zusammen ein Schlafzimmer hatten, war meines als solches unnötig geworden. Wir hatten beschlossen, es gemeinsam zu gestalten, wo jeder seine Ecke besaß. Der Raum war nun mit schwarzen Lackmöbeln bestückt. Die Wände waren weiß geblieben. Schwarze Jalousien, ohne Gardinen und einem übergroßen Gummibaum als Farbtupfer, der zudem für gute Luft sorgte.

Auch Carsten hatte sich hier eine Ruheecke eingerichtet, mit einem Gesundheitssessel, ebenfalls dunkel gehalten, sodass es zu der übrigen Einrichtung passte. Mit einem rundlichen kleinen Glastisch daneben, auf dem sich Zeitschriften und Rätselhefte stapelten, rundete es das ganze Ambiente ab. Wir fühlten uns beide richtig wohl und waren hier öfter als im Wohnzimmer.

„Jaden.“ Carsten kam mit der Post in der Hand zurück und Basta war nun doch aufgesprungen, als er das zweite Mal meinen Namen hörte. Er lief schwanzwedelnd zu seinem Herrchen. Ich nahm am Rande wahr, wie Carsten mit seinem Hund spielte, ihn aber nach kurzer Zeit herausschickte.

„Hast du endlich mal ein wenig Zeit für mich. Jaden, bitte!“ In seiner Stimme lag eine gewisse Bitte.

Ich wurde hellhörig. „Ja?“ Ich blickte von meinem roten Laptop auf, nahm dabei meine unscheinbare, rahmenlose Brille ab, die ich seit einem halben Jahr brauchte, wenn auch nur zum Lesen und Schreiben, rieb mir kurz über die Augen, da sie zu tränen angefangen hatten. Der Beitrag forderte einen. Mir fielen ein paar längere Strähnen in die Augen, die ich mir zurückstrich. Ich sah immer noch nicht zu Carsten, sondern war wieder in meinem Beitrag vertieft, auch ohne Brille, die ich in der linken Hand hielt.

„Jaden, schau doch mal.“ Carsten klang nun etwas ungeduldig.

„Hat das nicht Zeit, ich bin gerade in Norwegen.“ Gedanklich war ich total integriert in dieses Land und seine Gepflogenheiten. Ich brauchte nur noch einen Satz, dann wäre ich fertig gewesen.

„Nein, hat es nicht.“

Ich seufzte, legte die Brille nun doch auf die Seite und sah ihm ins Gesicht. „Ist es wichtig?“

„Ja.“ Carsten blieb beharrlich.

War es etwas Schlimmes? So schnell sich die düstere Wolke vor mich schieben wollte, verschwand sie auch schon wieder, als ich Carsten lächeln sah.

„Peter und Inge heiraten“, jauchzte er beinahe, wedelte mit einem geöffneten Brief und wippte auf seinen Fersen auf und ab. Dieser Anblick ließ mich schmunzeln.

Aha Inge heiratet, na endlich und unheimlich wichtig, dass es nicht warten kann, ja, ja.

Inge war Carstens Ex-Frau. Sie hatten seit zwei Jahren wieder ein gutes Verhältnis, vor allem seit Carsten mich vorgestellt hatte und ich denke, das war der wichtigere Aspekt. Waffenstillstand war nun angesagt, seitdem sie selbst wieder liiert war – mit Peter. Ich mochte Inge eigentlich sofort, erinnerte sie mich stark an Susan und ich wurde traurig, dass ich mich in dem Punkt Susan gegenüber nicht fair verhalten hatte. Ein wenig vermisste ich sie, und wenn ich ehrlich war, auch meine Eltern – meine Mutter und …

„Ja und?“, fragte ich nun. Rückblickend gesehen waren die Anzeichen schon vor Wochen zu erkennen. Die letzten Zeilen meines Beitrages waren endlich getippt – als ich automatisch die Brille wieder aufgesetzt hatte und weitermachte – Carsten kurz ausblendete, als er vertieft in diesen Brief schien.

„Jaden, kannst du nicht mal deinen Beitrag lassen und mir zuhören.“

„Ich höre dir doch zu“, motzte ich. Nun ja, fast. Inge und Peter würden heiraten. Den anderen Teil hatte ich nicht mehr mitbekommen – hatte er denn noch etwas anderes gesagt? Ich versuchte nun, meine volle Aufmerksamkeit meinem Partner zu widmen und sah ihn an. „Also – sie heiraten, schön für sie.“

„Für mich kommt das ein wenig überraschend.“ Er hatte seine Augenbrauen hochgezogen.

Mein Blick wandte sich ab von Carsten und wanderte zu meinem Bildschirm.

„Verflucht“, schimpfte ich laut. Die ganzen Tippfehler stachen mir rot unterstrichen ins Auge.

„Was ist denn, mein Schatz?“ Carsten war sofort an Ort und Stelle, hatte die Post auf den Glastisch geschmissen und stolperte schon beinahe über seine eigenen Füße. Das war etwas, womit ich nie ganz zurechtkam – seine übertriebene Fürsorge.

„Nichts, ich schreibe immer nur wahllos und hinterher habe ich dann die Arbeit“, motzte ich pikiert über meine Konzentrationsschwäche.

„Ach, mein Schatz, dafür hat man doch ein Korrekturprogramm.“ Er küsste mich kurz auf den Mund, den ich zu gerne erwiderte, strich mir dann sanft über die Schulter, bemerkte meinen steifen Nacken. Er stellte sich hinter mich und begann, mich zu massieren. Dabei fing er am Nacken an und arbeitete sich dann abwärts. Sofort reagierte mein Körper auf seine recht fordernde Behandlung. Etwas, was mir immer gefiel.

Mann, tut das gut.

Ich stöhnte, worauf ich sofort einen weiteren Kuss von Carsten erhielt. Da war seine übertriebene Fürsorge angebracht, doch hörte ich ein Seufzen, das sich aus seinem Mund nicht gerade fröhlich anhörte.

Ich atmete tief durch, fühlte, wie seine Hände wieder sanfter wurden. Seit einigen Tagen spürte ich, dass er nicht mehr ganz so glücklich über unser Sexleben war. Nicht, dass es ihm nicht gefallen würde, das nicht. Ich war immer noch der Aktive von uns. Carsten wollte auch mal, das merkte ich, verübeln konnte ich es ihm nicht. Aber war ich schon so weit? Ein wenig horchte ich in mich hinein. Sofort fing mein Herz schneller zu klopfen an. Ich lenkte mich ab und kam auf das eigentliche Thema zurück. „Also, was ist mit der Heirat?“

„Inge und Peter, ich fasse es immer noch nicht. Gerade die beiden, die so auf ihre Unabhängigkeit gepocht hatten.“

„Freu dich doch, sie sind ein schönes Paar.“

„Wir sind eingeladen. Wird groß aufgezogen.“

Ich verzog das Gesicht. Auch wenn ich die beiden mochte, mied ich gewisse Dinge. „Du weißt, wie ich Menschenmengen meide, ja?“ Ich seufzte theatralisch.

„Ich weiß. Wir gehen dorthin und bleiben nur so lange wie nötig. Mmh. Ich bin so froh, dass ich mit meiner Ex-Frau ein gutes Verhältnis habe, habe ich auch dir zu verdanken. Du hättest von uns der Therapeut werden sollen.“

„Ach was. Bei seiner eigenen Familie ist es immer besser, auf Fremdeinfluss zu hören.“

Ich wusste, Carsten litt unter der Trennung von seinen Eltern, die ihm niemals verziehen hatten, dass er sich damals von Inge hatte scheiden lassen. Ich selbst hatte sie noch nicht kennengelernt. Jedes Mal, wenn ich das Thema anschneiden wollte, winkte er ab. Und so ließ ich es bleiben. Nur einmal bekam ich seine Mutter ans Telefon, als sie ihrem Sohn zum Geburtstag gratulierte. Sie wirkte kühl.

„Fremdeinfluss … von wegen. Tze, du gehörst zu mir.“ Er lächelte. „Stürzen wir uns auf die Hochzeit?“ Hoffnungsvoll wartete Carsten auf meine Reaktion.

„Klar, wir gehen hin, sagen Inge und Peter: Alles Gute, blabla, schmeißen den beiden Turteltauben ein Päckchen zu und verschwinden wie der Heilige Geist.“ Guter Plan! Ich lachte.

„Aham, ein wenig länger müssen wir schon bleiben. Im Übrigen wird es eine Strandhochzeit. Romantisch mit Kerzen und so …“

Ich drehte mich abrupt in meinem Drehsessel herum: „Wirklich?“ Jetzt war ich es, der staunte.

 

 

©Randy D. Avies 2012

 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Veri
2015-08-26T17:18:04+00:00 26.08.2015 19:18
Ja .. Fremdeneinfluss hilft immer ganz gut :)

Gefällt mir alles wieder sehr gut :)
Antwort von:  randydavies
27.08.2015 04:18
Hauptsache, dass Leben geht irgendwie weiter ...


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