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Bruderliebe

von

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Darian hatte mich nach seinen vernichtenden Worten stehen gelassen und packte seinen Rucksack ungehemmt von meinem geschockten Zustand weiter ein. Er tat so, als wäre ich Luft. Aber dann drehte er sich zu mir um und eine gewisse Hoffnung einer Entschuldigung keimte in mir auf. Was dann kam, ließ mich noch mehr frieren.

„Ich hoffe, ich habe mir kein Aids geholt.“ Blass sah ich ihn an, verneinte, indem ich mit dem Kopf schüttelte. Ich war sauber, und er? „Wehe, Bruder, ich habe mir was geholt bei dir? Dann ...“, drohte er erneut.

Durch seine verletzenden Worte wie betäubt, und zu keinem Wort in der Lage, zog ich die feuchten Klamotten an, spürte kaum die klamme Kälte der Sachen und selbst das Kratzen im Hals nahm ich nur noch am Rande wahr. Ich wusste, mir stand eine fette Erkältung bevor, denn die Nase lief ununterbrochen. Ich schniefte. Wie konnte er nur denken, dass ich mir diese Krankheit hätte holen können, vor allem, mit wem?

Trotz, dass mein Magen zu knurren anfing, da er nach Nahrung schrie, würde ich in dieser Situation nichts herunterbringen. Nicht so. Nach Essen stand mir wirklich nicht der Sinn und ignorierte die Signale meines Körpers. Stumm schaute ich ab und an zu Darian, der versunken in Gedanken, alles wieder ordentlich einpackte. Dabei würdigte er mich keines Blickes mehr, als ob ich für ihn Luft wäre. Obwohl ich psychisch völlig neben der Spur stand, packte ich selbst meine Sachen zusammen. Auf keinen Fall wollte ich, dass er das auch noch für mich tun musste. Es fiel in dieser Zeit kein einziges Wort zwischen uns. Die ganze Zeit über fühlte ich mich, je mehr die Zeit verstrich, ungerecht behandelt. Was hatte ich ihm denn wirklich getan? Er war es doch, der mir Leid zufügte, nicht umgekehrt.

Als die Rucksäcke gepackt waren, fing ich das Gespräch von mir aus an.

So stellte ich mich vor ihm hin, als er gerade seine Schnürsenkel zuband. Er bemerkte meine Anwesenheit und richtete sich auf. Doch anstatt mich anzusehen, sah er einfach weg.

„Warum bist du so gemein zu mir?“, fing ich an. Es kostete mich immense Kraft, nicht dabei weinerlich herüberzukommen. „Was habe ich dir denn getan?“ Ich kämpfte mit meiner Enttäuschung, als von ihm gar nichts kam, im Gegenteil, mein Frust über diese Lage, nahm zu.

Darian ließ mich stehen, ignorierte mich weiterhin, als ob ich Luft für ihn wäre, beugte sich zu seinen Wanderschuhen und zog die Senkel fester, als ob es das Wichtigste auf Erden wäre, und kehrte mir als krönenden Abschluss den Rücken zu. Da ergriff ich erneut die Initiative und fasste ihn am Jackenärmel. Was konnte mir noch passierten, außer dass ich wieder geschlagen werden würde?

Zischend drehte er sich zu mir um, sah mich mit seinen grünen Augen wütend an. Doch als er etwas sagen wollte, klingelte sein Handy. Wir hatten wieder Netz und er nahm das Gespräch entgegen.

Mist. Gerade jetzt!

Und wer anrief, konnte ich an einer Hand abzählen. Stefanie. Seine erhellte Miene verriet es mir. „Hi Steffi, meine Süße.“

Mir war hundeelend zumute. Erstens, weil er so fröhlich dabei klang, zweitens saß die Angst tief im Nacken, dass er mich verraten würde. Denn seinen Ausrutscher, da war ich mir gewiss, den würde er vor seiner Freundin nicht gestehen. Ich kam mir weggeworfen vor und hörte paralysiert dem Gespräch widerwillig zu.

„Das Wetter war so schlecht … Ja, wir haben eine Schutzhütte gefunden … Nein, wir kommen heute zurück, hat keinen Sinn, unsere Wanderung fortzuführen. Die Wege sind zu unsicher, zu rutschig … Nein, es ist alles in bester Ordnung … Wir haben uns vertragen … Ja, es hat was genutzt.“

Alles in Ordnung? Zwischen Darian und mir? Mir wurde alleine bei seinen Worten schlecht. Ich schulterte wütend wegen seiner Lüge meinen Rucksack, ließ ihn alleine zurück und öffnete die Tür, trat aus der Hütte.

Die Sonne schien auf mein Gesicht.

Von wegen schlechtes Wetter?

Ich sah auf einen wolkenlosen Himmel. Und mit jedem Sonnenstrahl mehr erwärmte sich die Luft zunehmend.

Der Schnee war so gut wie weggeschmolzen. Ich sah auf meine Uhr, es war kurz nach zehn. Ich schaute mich um, stellte fest, dass die Hütte auf einem Sattel gebaut worden war, der hoch oben lag und von zwei Bergen eingekesselt wurde. Eines war sicher: Wir hatten einen langen Abstieg vor uns. Der Drang, alleine hinunterzugehen, war groß, doch die Angst mich zu verirren, alleine durch die Wälder zu streifen, ließ mich zu einem Feigling werden. Darum schob ich den Fluchtgedanken beiseite. Instinktiv fasste ich nach meiner Wange, die sich wieder normal anfühlte. Die Narben jedoch, die mir mein Bruder hinterlassen hatte, waren tief und würden lange Zeit nicht heilen. Dass ich etwas ändern musste und so nicht weitermachen konnte, wusste ich mit jeder Minute, die voranschritt, während Darian immer noch mit Stefanie telefonierte.

Seine Stimme, wie auch sein Lachen, hörte man bis nach draußen. Wie ich seine aufgesetzte Fröhlichkeit hasste, da es mein Herz nur noch mehr bluten ließ. Ich fasste einen Entschluss, einen neuen Weg einzuschlagen, mich von meinem Bruder zu trennen, sobald wir zu Hause waren. Ich hoffte, ich brachte auch die Kraft dazu auf, denn im Moment fühlte ich mich zu schwach dafür.

Da es bei Darian anscheinend noch länger andauerte, drehte ich in der Zwischenzeit eine Runde um den Sattel. Der Anblick der Natur war atemberaubend. Das Bergmassiv beeindruckend. Ich hätte all dies genießen können, doch konnte ich mich an der Schönheit der Natur nicht erfreuen, zu sehr war ich verletzt worden. Ich wandte mich der Natur ab und der Hütte zu, sah, wie Darian rauskam und zu mir schaute, da wusste ich: Ich würde ihn trotzdem immer lieben. Wie er vor der Hütte stand, mit dem Rucksack auf dem Rücken, der klare Blick zu mir und der nun weiche Gesichtsausdruck. Schlagartig verflüchtigte sich das etwas positive Gefühl, weil mir klar wurde, dass diese Wärme in seinem Gesicht, der Blick eben, keinesfalls mir galt, sondern noch von dem Gespräch mit seiner Freundin herrührte. Auch wenn ich ihn so sehr liebte, so hasste ich ihn zugleich für das, was er mir angetan hatte. In diesem Moment spürte ich die gestrige Vereinigung, fühlte ihn in mir, wie ein Pfahl mit Dornen – die Strafe Gottes? Die Strafe dafür, dass ich schwul bin und auch noch die inzestuösen Gedanken hegte, ihn immer noch zu lieben, auch wenn ich ihn mehr hassen müsste. Meinen Schmerz darüber konnte ich kaum in Worte fassen. Ich riss mich zusammen. Fassung, ja, das war es, was ich zu bewahren versuchte, obwohl meine Seele um Hilfe schrie, mein Leid immer größer wurde, und die Enttäuschung in meiner Brust mich schier erdrückte.

Bring dich auf andere Gedanken – „Loch ist Loch“, sprang in mein Gedächtnis. Wie blanker Hohn hallte seine Stimme in meinem Kopf.

Ich war für Darian nur ein „Loch“, und genau in ein solches war ich gefallen – in mein eigenes. Ich fühlte mich beschissen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

©Randy D. Avies 2012



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Veri
2015-08-16T13:52:59+00:00 16.08.2015 15:52
So sad :(
Antwort von:  randydavies
17.08.2015 10:11
Jep, da fehlen einem die Worte und mir lagen sie zum schreiben auf der Hand... *seufz*


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