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Veränderung

von

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Vergangenheit

Es war ihm nicht aufgefallen, dass ich offensichtlich nicht einmal sicher war, ob Julia nun tod war, denn, ehrlich gesagt, wusste ich es auch nicht. Vielleicht wäre ich dann Hannah in ihrem alten Körper gegenüber gestanden. Ich brauchte rasch eine Ausrede, und sie fiel Hannahs nüchternem Gehirn schneller ein als mir. Vielleicht hatte es in der Schule Gerüchte gegeben, und ich wollte mich vergewissern, ob sie stimmten. Ja, das war gut. Auf jeden Fall besser als zu erklären, dass ich eigentlich noch lebte, aber unsicher war, wie das so mit Hannah war.

Ich trank den letzten Schluck vertraut-bitteren Kaffees, und trug die Tasse zum Waschbecken, in dem eine Tasse, zwei Teller und zwei Gläser standen. Jakob hatte keinen Geschirrspüler, er wusch immer mit der Hand ab, aber in den letzten Monaten hatte das größtenteils ich erledigt.

Die Handgriffe erledigte ich schon fast automatisch. Das Wasser wurde erwärmt und eingelassen, Spülmittel hinzu, einen Fetzen nehmen. Normale, vertraute Tätigkeiten. Voller Erinnerungen.
 

Das erste Mal, als ich hier gewesen war. Damals waren Jakob und ich nur befreundet, und nicht einmal das. Eine Freundin von mir, die er manchmal küsste, war auf eine dieser Feiern eingeladen, die wir damals immer besuchten, intim und ruhig, wo alle einander irgendwie kannten, der gleiche Kern kam, zudem auch jene Freundin gehörte, aber die Statisten, wie ich, wechselten häufig. Es lief ab wie immer, es war üblich, einige Flaschen Bier oder Wein mitzubringen, die eine nahm auch einmal Haschisch mit, der andere dann wieder ein paar Gramm Gras, etwas stärkeres gab es damals noch nicht für uns, schon das Haschisch behandelten wir, als wäre es Heroin.

Von Jakob wusste ich nicht viel, nur von meiner Freundin, dass er gut küssen konnte, und eben alleine wohnte, seit kurzem erst. Es war für sie üblich, sich zu verspäten, also war ich nicht weiter überrascht, und wartete bei der Straßenbahnstation auf sie. Als der Regen einsetzte, machte ich mich allein auf den Weg, vorbei an den hohen Häusern, die in mir kein besonderes Gefühl auslösten. Ich wohnte selbst in so einem. Damals.

Ein Freund Jakobs, Nick, ließ mich ein, als ich angekommen war. Er nahm mir die feuchte Jacke und die Weißweinflasche ab, lotste mich ins Wohnzimmer, in dem noch andere waren, einige aus der Hauptgruppe, Tim, Anne, Katharina und wie sie sonst noch hießen. Jakob war ein Statist, hielt sich für mich den ganzen Abend im Hintergrund. Er wäre mir nicht weiter aufgefallen, und der Abend verlief unspektakulär. Nick hatte mir einmal zu oft nachgeschenkt, und meine Erinnerungen an die Nacht waren verschowommen. Ich erinnerte mich noch, dass er meine Freundin geküsst hatte und sie in seinen Armen eingeschlafen war.

Am nächsten Morgen war sie verschwunden, genau so wie die anderen, außer Nick und Jakob, die ich in der Küche fand. Anstatt gleich zu gehen, saßen wir lange Zeit gemeinsam um den kleinen Tisch, lasen Zeitung, tranken Kaffee und diskutierten endlos über die Artikel, die Welt und unsere Freunde.

Als ich am frühen Nachmittag ging, weinte der Himmel. Es kam zu weiteren Treffen mit Freunden, bis wir überhaupt unsere Telefonnummern austauschten. Jener Abend war nur deshalb besonders, weil er der erste gewesen war, an dem sich Jakob für mich langsam in den Vordergrund gedrängt hatte. Ein paar Stunden voller Glück. Die ersten.
 

Anstatt nur meine Tasse abzuwaschen, wie es sich vielleicht für eine höfliche, allein gelassene Besucherin schickte, erledigten die Hände die Handgriffe automatisch. Es hatte eine Zeit gegeben, vor etwa anderthalb Jahren, in der es Jakob schlecht gegangen war. Nich tkörperlich, er hatte es an manchen Tagen einfach nicht geschafft, außer Haus zu gehen, und falls er es doch geschafft hatte, kam er nach Hause und spülte Schmerzmittel mit Alkohol hinunter. Das Gleiche tat er nachts mit Schlafmitteln, es war der einzige Weg, ihm einen halbwegs ruhigen Schlaf zu ermöglichen, aus dem er nicht aufschreckte. Niemand wusste so genau warum, aber Jakob war ohnehin noch nie eine Person gewesen, die sich leicht einschätzen ließ. Er war ab und zu zu einem Arzt gegangen, der ihm Schmerzmittel verschrieben hatte, und ein, zwei Mal auf das Drängen seines Bruders zu einem anderen, der seine Sucht untersuchen sollte. Irgendwann hatte er es aufgegeben.

Er hatte versucht, dies vor mir zu verbergen, aber auch wenn ich damals noch ab und zu daheim geschlafen hatte, war es mir aufgefallen. Ich hatte viel Zeit mit ihm verbracht.

Wir haben uns nie gestritten, nie wirklich. Nur immer gegangen. Weder Jakob noch ich hatten gerne unsere Stimme erhoben. Er tastete nach meiner Hand, ich lehnte an seiner Schulter. So versöhnten wir uns wieder. So simpel.

An manchen Tagen hatte sich das Geschirr gestapelt, als ich zu Jakob gekommen war. Ich hatte es abgewaschen.

Auch als Jakob sich wieder gefangen hatte, spülte ich wieder ab. Sogar, als es mit mir bergab ging, versuchte ich, es so oft wie möglich zu erledigen. Gewohnheit.
 

Mit einem herumliegenden Tuch trocknete ich die Gläser ab. Im Glascontainer standen einige leere Flaschen, größtenteils Zeug, dass wir kaum bis nie angerührt hatten, Vodka, Whiskey, Schnaps, sogar eine Flasche, von der ich mir ziemlich sicher war, dass wir darin Absinth aufbewahrt hatten. Aber Jakob hatte nüchtern gewirkt. Vielleicht hatte er ausgerechnet, wie lange er trocken bleiben musste, um mich nicht zu enttäuschen oder zu blamieren.

Es roch schwach nach Rauch, und nicht nach dem, den man von Zigaretten roch. Es überraschte mich ehrlich gesagt nicht, weder Jakob noch Julia waren in den letzten Jahren allzu nüchtern gewesen. Oh nein. Ich begann, von mir selbst in der dritten Person zu sprechen. Ich begann, mich zu verlieren, und mich gleichzeitig an etwas beunruhigendes zu erinnern.
 

Als ich jünger war, hatte ich mir oft überlegt, wer wohl zu meiner Beerdigung kommen würde. Wer weinen würde. Wer die Lippen aufeinander pressen würde, weil es ihnen zu peinlich war. Wer nur da war, weil sie gezwungen wurden.

In welchem Sarg ich liegen würde. Ob er offen sein würde, oder geschlossen. Ob Bäume neben meinem Grab stehen würden, oder Steine. Welches Kleid man mir anziehen würde.

Wer trinken würde. Wer nichts essen könnte. Wer sich streiten würde. Wer wen trösten. Es gab so viele Fragen.
 

Das vertraute Geräusch der sich öffnenden Badezimmertüre machte mir klar, dass ich drauf und dran war, es zu erfahren.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Entschuldigung für den Cliffhanger -.-' Komplett anzeigen

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