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On my Way

von
Koautor: abgemeldet

Vorwort zu diesem Kapitel:
Nach längerer Pause (*abgemeldet böse anguck*) kommt hier endlich das dritte Kapitel :) Ich danke euch vielmals für die Kommentare bisher und hoffe, dass ich es irgendwann auch mal schaffe zurückzuschreiben >.<"
Ich werde auch bald einen Glossar anlegen - danke an Lhasbelin für den Vorschlag - und eine Übersicht der Fraktionen. Wann genau kann ich noch nicht sagen, aber spätestens im Februar, da hab ich ohnehin frei.
So, genug Gelaber, viel Spaß bei Kapitel 3 :) Komplett anzeigen

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Decisions

Altruan? Also damit hätte ich nun am allerwenigsten gerechnet. Ich war noch nie sehr selbstlos gewesen, weshalb mich das Ergebnis des Tests etwas … überraschte. Aber meine Reaktionen in der Simulation zeigten anscheinend was anderes. Na gut, wenn sie meinten. Die Familie war nun einmal wichtig, egal ob man selbstlos war oder nicht. Und das wusste ich schon bevor ich mir The Fast and The Furious angesehen hatte.

Ich verabschiedete mich von Alice und ging wieder zurück zu meinen Freunden. Ein leichtes Lächeln lag auf meinen Lippen, als ich mich neben Kelly auf einen freien Platz fallen ließ. Altruan war … okay. Irgendwie zumindest. Wenn ich genauer darüber nachdachte, hätte mich wohl jedes Ergebnis überrascht. Denn wenn ich mich selbst genauer unter die Lupe nahm, war ich weder recht selbstlos, oder klug, oder mutig, oder allzu freundlich und schon gar nicht ehrlich. Wenn es die Situation erforderte, konnte ich lügen wie gedruckt.

»Na wollen wir dann?« Ein übermotivierter Zeke grinste durch die Runde und bewegte uns alle aufzustehen und zu gehen. Die Tests waren vorbei und wir waren entlassen. Gut, denn ich brauchte nämlich eindeutig viel Zeit zum Nachdenken. Morgen wäre die Zeremonie der Bestimmung. Neben der Hoffnung, dass ich mir mit dem vorgesehenen Messer tief genug in die Hand schnitt damit Blut heraustropfte, musste ich immer noch abwägen in welche Fraktion ich wechseln sollte. Gestern schien mir alles noch ziemlich klar zu sein - so schnell wie möglich von den Ferox abhauen, weil es sonst mein sicherer Tod sein würde. Doch inzwischen … ich musste zugeben, dass ich meine Freunde wirklich gern hatte. Mein Ferox-ich hatte wirklich guten Geschmack bewiesen. Und ich wusste ja, dass Shauna, Zeke und Lauren schon mal nicht wechseln würden. Bei Kelly war ich mir auch ziemlich sicher, um ehrlich zu sein. Es war wirklich schwierig …

Wir liefen gemeinsam zum Zug, der auch nach wenigen Minuten in unser Blickfeld rollte. Zeke wandte sich grinsend zu mir um und ich verdrehte die Augen. »Schau mich nicht an«, meinte ich gespielt beleidigt und schubste ihn etwas weg. Er lachte nur und meinte: »Ach wieso? Ich könnte dir den ganzen Tag zusehen, wie du dich in den Zug hineinwindest.« Mit einem belustigten Grinsen im Gesicht verdrehte ich erneut die Augen und begann, wie die anderen, neben den Schienen herzulaufen. »Ich finde das nicht witzig, Zeke!«, rief ich über das Donnern des Zuges hinweg, als ich bemerkte, dass er nur wenige Schritte hinter mir lief und mich immer noch grinsend beobachtete. Kurzerhand streckte ich ihm meinem Mittelfinger entgegen, beschleunigte meine Schritte und lief neben Kelly her. Diese war Sekunden später auf den Zug aufgesprungen und wandte sich zu mir um. Die letzten eineinhalb Tage hatten mich wohl so abgehärtet, dass ich mit der Einstellung lebte, dass ich ohnehin früher oder später sterben würde. Und ob ich jetzt einfach umfallen, oder unter einen Zug kommen würde, war auch schon egal. Gott würde schon wissen, was er tat. Meine rechte Hand langte nach dem Griff, während sich meine linke um Kellys Hand schloss, die sie mir entgegenstreckte. Ich stieß mich vom Boden ab und in Gemeinschaftsarbeit schafften wir es mich irgendwie in den Zug zu befördern. »Sag einfach nichts«, ermahnte ich Zeke, der kurz nach mir herein sprang und bis über beide Ohren grinste.

Ich setzte mich zu Shauna und Kelly auf den Boden und mein Blick fiel auf Leaf und Lauren, die am anderen Ende des Waggons heftig miteinander diskutierten. Ich hob eine Augenbraue und sah die beiden anderen Mädchen fragend an. Shauna zuckte nur mit den Schultern und meinte: »Das hat schon angefangen, nachdem du zu deinem Test gegangen bist. Ich glaub die beiden wissen selber nicht mehr worum es eigentlich geht. Aber ihre Beschimpfungen werden immer kreativer.« Shauna grinste und da musste ich ihr wirklich Recht geben. Neben ›Sackgesicht‹ und ›Arschgeige‹ fielen auch Wörter wie … nah, vielleicht sollte man die besser nicht wiedergeben. Irgendwas war wohl mit ihren Eltern, so viel konnte ich raushören, doch eigentlich ging es mich ja eh nichts an.
 

Der Streit der beiden hielt an, bis es Zeit war aus dem Zug zu springen. Wie immer stieg mir die Nervosität in den Magen und ich war kurz davor mich zu übergeben, als Kelly mich schon an der Hand nahm und mit sich zog. Das Mädel war aber auch impulsiv … Innerlich schrie ich um mein Leben. Äußerlich biss ich mir einfach nur auf die Lippe, bis ich Blut schmeckte. Wir landeten im Gras und stolperten ein paar Schritte nach vorne. Kelly schaffte es ihr Gleichgewicht zu halten, zumindest so lange bis ich uns beide umriss. Sie landete auf mir drauf und während ich vor Schmerz, Verzweiflung und Erniedrigung leise stöhnte, begann sie laut loszulachen. Ich hatte keine Ahnung warum und auch keine Zeit darüber nachzudenken, denn nur wenige Momente später stürzten sich Lauren, Shauna, Zeke und Leaf auf uns. »Ah, ihr spinnt doch!«, rief ich und kam nicht umhin in Kellys Lachen mit einzustimmen. Vielleicht war es der letzte Augenblick, den wir als Gruppe teilten. Ich wusste es nicht. Dafür war es umso schöner, lustiger … feroxiger.

»Was macht ihr denn da?« Eine etwas für ihr Alter zu überhebliche Stimme erreichte uns. Lily hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sah uns an, als hätten wir alle einen Dachschaden. Man könnte fast meinen sie würde sich für unser Verhalten schämen. »Kuscheln. Und Lea zu Brei verarbeiten«, gab Zeke grinsend als Antwort und lachte. Shauna und Lauren rappelten sich auf und streckten sich einmal durch. Leaf zog Kelly mit sich auf die Beine, während ich immer noch unter Zeke begraben lag. »Kuschelstunde ist vorbei«, meinte ich und versuchte ihn von mir runter zu schieben, doch das war leichter gesagt, als getan. Schließlich erhob er sich doch und zog mich gnädigerweise auch auf die Beine. »Seid ihr jetzt fertig?«, fragte Lily genervt und verdrehte die Augen.

Gemeinsam gingen wir zum Ferox Hauptquartier. »Sagt mal habt ihr Lust heute Nachmittag noch was zu machen?«, fragte Kelly Shauna, Lauren und mich. Lauren schien sofort hellauf begeistert von der Idee. »Klar, ich bin dabei. Wir könnten uns ein neues Tattoo stechen lassen«, sinnierte sie sofort vor sich hin und zwinkerte Kelly zu. Shauna zuckte nur mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Eher nicht. Ich bleib lieber zu Hause bei meiner Familie.« Kelly lächelte. »Auch kein Ding. Ist ja keine Pflichtveranstaltung. Was ist mit dir, Lee?« Lily warf mir einen kurzen Blick zu, den ich nicht wirklich deuten konnte. »Dad will heute noch mit dir reden«, meinte die Jüngere an mich gewandt. Ihr Ton hatte sich geändert und sie schien nicht mehr genervt von uns zu sein, sondern viel mehr besorgt. Keine Ahnung warum. Aber vielleicht wollte sie gar nicht, dass ich den Nachmittag mit meinen Freundinnen verbrachte? Ich biss mir kurz auf die Unterlippe, die immer noch nach Blut schmeckte. Vielleicht sollte ich die Chance nutzen, um mehr über meine Familie herauszufinden? »Sorry, Kelly. Ich passe auch«, antwortete ich schließlich und merkte wie sich Lilys Miene schlagartig wieder entspannte.

»Wieso werden wir eigentlich nie zu einem Mädelsnachmittag eingeladen?«, beschwerte sich Zeke als wir die Grube erreichten. Ich lachte auf und Kelly verdrehte nur die Augen. »Ihr könnt natürlich gerne auch kommen.« Ein Schmunzeln lag auf ihren Lippen als Zeke die Arme vor der Brust verschränkte und sich gespielt beleidigt wegdrehte. »Nein danke. Jetzt will ich nicht mehr.« Shauna gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf, bevor sie uns alle umarmte und sich von uns verabschiedete. Lily stand ungeduldig neben mir und wartete, bis auch ich mich von den anderen verabschiedet hatte. »Wir sehen uns dann morgen. Viel Spaß noch.« Ich zog Kelly in meine Arme und fühlte mich für einen kurzen Moment richtig glücklich. Was wenn das Leben hier gar nicht so scheiße war, wie ich gedacht hatte?

»Komm jetzt endlich«, beschwerte sich Lily und zog an meiner Jacke, damit ich mitkam. Was war denn mit dem Mädel heute los? Gestern wäre es beinahe zu viel gewesen, dass sie mir Guten Tag sagt und heute ist sie anhänglich wie ein kleiner Hund. Oder so. Vielleicht auch doch eher eine Ratte oder so - nichts für ungut, aber Lily mit einem kleinen, niedlichen Welpen zu vergleichen war beinahe so als würde man sagen Schnee wäre warm.

»Was ist denn heute los mit dir?«, fragte ich meine Schwester und warf ihr einen fragenden Blick zu. Ein leichter Rotschimmer legte sich auf ihre Wangen als sie irgendwas von Geschenk murmelte. Ich hob meine linke Augenbraue, zuckte mit den Schultern und folgte ihr nach Hause. Kaum hatten wir unser trautes Heim erreicht, verschwand Lily auch schon in ihrem Zimmer. Etwas verwirrt sah ich ihr hinterher und schenkte mir ein Glas Wasser ein. Die kühle Flüssigkeit rann meine Kehle hinunter und ließ mich erleichtert aufseufzen. Nachdem ich den heutigen Tag ja beinahe verschlafen hätte, war mein ›geregelter‹ Tagesablauf im Eimer und ich immer noch unendlich müde - am liebsten würde ich mich hinlegen und die nächste Woche durchschlafen. Doch anscheinend hatte Lily etwas vor und mein Vater wollte ein Gespräch mit mir führen. Ich ließ meinen Rucksack in eine Ecke fallen und kramte in meinem Kleiderkasten nach frischen Klamotten. So langsam gefiel mir das Leben als Ferox - hier hatte ich wenigstens keine Mutter, die sich beschwerte, wenn ich nur schwarze Sachen trug. Ich entschied mich für eine kurze Hose und ein Top, dann suchte ich noch ziemlich hilflos nach frischer Unterwäsche bevor ich mich hinaus in den Irrgarten wagte und schließlich im Badezimmer verschwand. Ich hatte all meine Hoffnungen in das lauwarme Wasser gesetzt, das mich etwas wacher werden lassen sollte - doch stattdessen war mir einfach unendlich kalt und ich wollte mich jetzt erst recht in meinem kuschligen Bett verkriechen. Aber Lily machte mir einen Strich durch die Rechnung. Sie hämmerte wie wild geworden gegen die Badezimmertür und brabbelte irgendetwas von ich solle mich beeilen. Ich verdrehte die Augen, trocknete mich in Windeseile ab und hängte mein Badetuch über die Dusche. Das Frisieren ließ ich aus, obwohl ich wusste, dass ich es spätestens morgen bereuen würde.
 

Fünf Minuten später stand ich in der Küche und … wartete. Denn Madam Lily hatte sich wohl wieder in ihrem Zimmer verkrochen. Die Tür der Wohnung ging auf und gerade wollte ich zu einer Schimpftirade ansetzen, als ich meinen Vater entdeckte. »Hallo, Liebes. Wie war der Test?« Ich verzog das Gesicht und zuckte nur mit den Schultern. Ich hatte keine Ahnung, was ich ihm groß erzählen sollte - es war verboten über die Ergebnisse zu reden, das hatte Alice mir auch noch einmal klar gemacht. Mein Vater lachte und zog mich kurz in eine Umarmung, die mich noch mehr irritierte. »Schon gut, ich weiß du darfst nicht darüber sprechen. Aber ich möchte mich heute Abend trotzdem kurz mit dir unterhalten, okay? Ich leg mich jetzt hin und ich glaube Lily hat noch etwas für dich«, fügte er mit einem Zwinkern hinzu, bevor er die Küche verließ. Etwas verwirrt sah ich ihm hinterher. Heute war ein komischer Tag.

»Lily?«

Ich ließ mich auf einen Stuhl fallen und seufzte. Dieses Mädchen brachte mich früher oder später noch ins Grab. Hoffentlich später, denn eigentlich wollte ich ganz gerne in einem ganzen Stück wieder nach Hause. Daheim … das war alles so weit weg. Und es war beinahe so, als hätte es daheim nie gegeben - ich hatte hier Freunde, eine Familie, ein richtiges Leben … es wirkte so, als wären meine bisherigen Lebensjahre ein Traum gewesen. Außerdem gefiel mir die Tatsache, dass ich jetzt 16 und nicht mehr 20 war schon mal gar nicht…

»Erde an Lea!«

Die genervte Stimme meiner kleinen Schwester riss mich aus den Gedanken. Sie stand vor mir und hielt die Hände hinter dem Rücken versteckt. Auch wenn sie aufgeregt schien, hielt sie das nicht davon ab, dass sie die Augen verdrehte. »Sorry«, murmelte ich und richtete mich etwas auf.

»Ich hab etwas für dich.«

Lily strahlte übers ganze Gesicht, als sie mir nun offenbarte, was sie hinter ihrem Rücken versteckt hatte. Es war … ja … was war es eigentlich? Die komischen Holzstecken sahen aus wie Pfeile. Und mit viel Phantasie konnte das andere ein Bogen sein. Ah … Pfeil und Bogen, ja das erklang mir logisch. Lily sah mich erwartungsvoll an und ich nahm ihre Bastelei vorsichtig entgegen. Ich legte die Sachen neben mich auf den Tisch und begutachtete es kurz. Irgendwie hatte ich Angst, dass es auseinander fallen könnte, wenn ich es allzu lang anstarrte.

»Wow, Lily. Das wäre echt nicht nötig gewesen.« Ich wandte mich zu ihr und erwiderte ihr strahlendes Lächeln. »Gefällt es dir?«, fragte Lily in einem Ton, der keine Widerrede dulden ließ. »Natürlich gefällt es mir.« Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter und zog sie dann in eine kurze Umarmung. »Gut, ich hab wirklich eine halbe Ewigkeit gebraucht und dachte schon ich werde nicht mehr rechtzeitig fertig. Dann ist mir auch noch das Holz ausgegangen, aber Naya hat mir Gott sei Dank Nachschub vorbei gebracht«, plapperte Lily gleich los und nahm den Bogen in die Hand, als würde sie ihre Worte bestätigen wollen.

Ich griff nach den Pfeilen und dem Bogen, den Lily nun wieder auf den Tisch gelegt hatte und wollte sie in mein Zimmer bringen, als Lily auch schon übereifrig fragte, ob wir sie nicht ausprobieren wollten. So begeistert hatte ich das Mädchen noch nie gesehen. »Ja klar. Können wir gerne.« Ich setzte ein Lächeln auf, als Lily vor Freude in ihr Zimmer hüpfte um ihre Schuhe zu holen. Dann riss sie mir Pfeil und Bogen aus den Händen, damit ich selbst in meine Schuhe schlüpfen konnte. »Und wo willst du die Pfeile testen?«, fragte ich, als ich mir meine total coole Lederjacke überwarf und mit Lily nach draußen ging. »Willst du nach oben?«, fügte ich sogleich hinzu und hoffte der kleine Wicht würde verneinen, denn ich hatte nur wenig Lust Millionen von Treppen nach oben zu steigen. »Nein, wir gehen zum Fluss«, meinte Lily bestimmend und stapfte mir voraus zum Fluss, der sich durch das Hauptquartier schlängelte.

Keine fünf Minuten später saßen wir nebeneinander auf einem Felsen und wechselten uns damit ab Pfeile über in den Fluss zu schießen. Ich hatte ja irgendwie Angst, dass der Bogen auseinanderbrechen würde, wenn ich den Pfeil zu stramm zurückziehen würde. Doch Lily schien das egal zu sein, denn sie spannte den Bogen so weit, dass ich dachte, er würde jeden Moment in alle Einzelteile zerbrechen - tat er aber nicht. Das Fräulein hatte offenbar doch ein technisches Geschick. Was ihr aber nicht dabei half, dass sämtlich Pfeile trotzdem gerade mal drei Meter weit flogen - wenn überhaupt; ich war zwar nicht gut im Entfernungen schätzen, aber dass das nicht die normale Flugweite eines Pfeiles war, erkannte sogar ich. Der Großteil der Pfeile landete im Fluss und wurde mit gerissen. Doch das schien sie nicht weiter zu stören, denn eigentlich schien es sie nur noch mehr zu motivieren. Ich hatte zwar keine Ahnung, woher auf einmal diese vielen Pfeile kamen, doch ich war mir inzwischen fast sicher, wieso Naya Lily Holznachschub hatte bringen müssen. Ein Lachen entwich mir, als einer von Lilys Pfeilen sehr elegant durch die Luft flog und schließlich einen Sturzflug in den Fluss machte - dem Pfeil schien es wohl auch zu reichen. Lily boxte auf meinen Oberarm und streckte mir die Zunge entgegen. »Machs doch besser!« Schmollend verschränkte sie die Arme vor der Brust und freundschaftlich stupste ich mit meiner Schulter gegen ihre. »Du weißt, dass du viel besser bist als ich«, meinte ich gut gelaunt, griff dann aber nach einem Pfeil und dem Bogen und versenkte ihn mehr oder weniger absichtlich im Fluss. Das schien ihre Laune wieder zu heben und sie riss mir den Bogen wieder aus der Hand.

»Wechselst du eigentlich die Fraktion?«, fragte Lily nach einer Weile geradeheraus und sah mich fragend an. Die Frage überraschte mich und eigentlich wollte ich gar nicht darauf antworten, doch als ich mich zu ihr drehte, sah sie mich immer noch mit diesen großen, traurigen Kulleraugen an und wartete auf eine Antwort. Ein leises Seufzen entwich mir und ich ließ den Bogen sinken. »Ich weiß es nicht«, antwortete ich wahrheitsgemäß. Seit dem Test hatte ich noch keine Zeit gehabt mir richtig darüber Gedanken zu machen, was die Situation nicht unbedingt vereinfachte. »Ich will nicht, dass du gehst«, meinte Lily nach kurzem Schweigen leise und bettete den Kopf an meine Schulter. Wie automatisch legte ich meinen Arm um sie und drückte sie leicht. Sie hatte wohl wirklich Angst davor, dass ich wechseln könnte - dabei hatte ich bisher gedacht, dass ich ihr eher auf die Nerven ging als sonst was.

Eine Zeit lang saßen wir so schweigend nebeneinander, bis Lily leise zu schnarchen begann. Das war jetzt hoffentlich nicht ihr Ernst oder? Ich verdrehte die Augen und stupste sie sanft mit dem Pfeil in meiner Hand in die Seite. »Lily, aufwachen.« Die Jüngere schrak auf und setzte sich kerzengerade hin. Ich hielt sie am Oberarm fest, aus Angst sie könnte vielleicht hinunterfallen, doch diese Tragödie blieb Gott sei Dank aus. »Komm, gehen wir wieder nach Hause«, meinte ich lächelnd und zog sie mit mir auf die Beine. Sie schien wirklich erschöpft zu sein - vielleicht hatte sie die letzten Nächte an meinem Geschenk gebastelt oder sie hatte sich Sorgen gemacht, dass ich wechseln könnte? Oder sie hatte sich einfach die Nächte mit ihren Freunden um die Ohren geschlagen, was ja auch eine Möglichkeit war. Und ehrlich gesagt würde ich ihr das sogar zutrauen …

Etwas orientierungslos stand ich nun inmitten der Grube, in der einen Hand hielt ich die übrig gebliebenen Pfeile und den etwas lädiert wirkenden Bogen, und mit der anderen Hand versuchte ich zu verhindern, dass Lily auf den Boden knallte. »Was hab ich eigentlich verbrochen …«, murmelte ich zu mir selbst und versuchte etwas verzweifelt Lily auf den Beinen zu halten. Wie konnte man eigentlich im Stehen einschlafen? Das hatte selbst ich noch nicht auf die Reihe gebracht. Ich legte mir ihren Arm um meine Schultern, während ich meinen um ihre Taille schlang. Mit sehr langsamen Schritten wanderten wir durch die Grube und ich hatte das Gefühl, dass das wohl zu den schlimmsten Erlebnissen hier werden könnte. Ich hatte keine Ahnung wo unsere Wohnung war und noch weniger wusste ich, wie ich Lily heil nach Hause bringen sollte.

Doch anscheinend hatte ich irgendwann einmal eine sehr gute Tat vollbracht und wurde nun dafür belohnt. Keine zwei Meter entfernt, liefen Kelly und Lauren an uns vorbei. »Hey!«, rief ich etwas atemlos und hatte schon Angst, dass sie mich überhören könnten, doch Kelly wandte sich sofort zu mir um. »Lea, ich hab dir schon einmal gesagt, dass du sie nicht unter Drogen setzen sollst und darfst«, lachte Kelly, als sie uns sah und zu uns kam. Belustigt verdrehte ich die Augen. »Ich hätte ihr zwar gerne was in ihr Essen gemixt, aber sie ist einfach eingeschlafen. Und nicht mehr aufgewacht«, fügte ich unnötigerweise hinzu. Kelly legte sich kurzerhand Lilys zweiten Arm um die Schulter, während mir Lauren die Pfeile und den Bogen abnahm. »Danke.« Ich lächelte die beiden an und mit Kellys Hilfe schafften wir es in einem halbwegs angemessenen Tempo nach Hause. Den Weg hatte ich mir zwar erneut nicht gemerkt, aber egal. Lauren öffnete uns die Tür und Kelly half mir noch meine kleine Schwester in ihr Bett zu legen. Ich hatte gar keine Möglichkeit mich darüber zu wundern, dass Lilys Zimmer braver aussah, als es eigentlich sollte, denn Kelly hatte mich schon wieder mit zur Wohnungstür gezogen. »Also. Wir sehen uns dann morgen.« Es schien ihr sichtlich schwer zu fallen sich zu verabschieden und ich konnte verstehen warum. Sie hatte sicher genauso viel Angst, dass sich unsere Gruppe auflösen würde, wie meine Schwester Angst hatte, dass ich wechseln könnte. Am liebsten hätte ich ihr versichert, dass Lauren, Shauna, Zeke und die anderen sowieso hier bleiben würden, doch ich sah noch rechtzeitig ein, dass das wohl etwas dämlich wäre. »Ja. Wir sehen uns morgen«, antwortete ich also nur und lächelte leicht. Kelly und ich umarmten uns länger, als die letzten paar Mal und für einen Moment hatte ich das Gefühl in ihr eine wahre Freundin gefunden zu haben. Auch wenn ich sie eigentlich nicht kannte. »Danke noch mal für eure Hilfe«, meinte ich, als ich Pfeile und Bogen von Lauren entgegen nahm und auch sie kurz in meine Arme schloss.
 

Eigentlich hatte ich nie vorgehabt hier zu bleiben. Irgendwie musste ich wieder nach Hause kommen, doch wie sollte ich das bitteschön anstellen? Das Gespräch mit meinem Vater war auch nicht gerade das gewesen, was man als aufschlussreich bezeichnete. Natürlich wollte er, dass ich hier blieb - Naya war schließlich auch hier geblieben. Aber im Prinzip wollte er ja nur das, was mich glücklich machte.

Seit geschlagenen drei Stunden lag ich nun mit offenen Augen in meinem Bett und starrte die Decke an, als ob sie mir jeden Moment die Lösung für mein Problem offenbaren könnte. Doch sowohl die Decke als auch ich wussten, dass das nie passieren würde. Leider … Es war wirklich die schwerste Entscheidung meines ganzen Lebens. So richtig wollte ich in keine der Fraktionen hineinpassen - bei den Amite würde ich wohl noch am meisten geschont. Auch wenn ich nicht wirklich Bock auf Feldarbeit hatte, aber das Leben wäre friedlich und ich müsste nur freundlich sein, obwohl das schon ein ziemlicher Auftrag war. Aber immer noch besser als selbstlos, klug, ehrlich oder mutig zu sein. Nur würde ich am Rande des Zauns die geringste Möglichkeit überhaupt haben um wieder nach Hause zu kommen. Ich könnte höchstens mitten auf den Feldern zu beten beginnen. Ob mir das allerdings weiterhalf, wagte ich zu bezweifeln. Ich könnte abhauen und nach Europa reisen - aber auch das erschien mir nicht gerade sinnvoll, logisch und einfach.

Seufzend drehte ich mich zur Seite. Es war zum Durchdrehen. Bei den Ken hätte ich vielleicht eine Chance, immerhin gab es dort Unmengen an Computerzeugs und schlauen Leuten. Das Problem war nur, dass ich nicht so schlau war, wie ich dort sein sollte. Und die ganzen schlauen Menschen dort, waren großteils einfach nur überheblich, und darauf hatte ich auch keine große Lust. Candor fiel sowieso weg, da meine ganze Existenz hier eine Lüge war, die ich verheimlichen musste. Blieben nur noch Altruan und Ferox. Ich könnte mich damit abfinden selbstlos zu werden, und anscheinend war ich das ja auch irgendwie, denn mein Testergebnis sprach für sich. Doch könnte ich mich auch damit abfinden meine ganzen Freunde hier zurück zu lassen? Gestern noch wäre ich am liebsten sofort abgehauen. Mehr als 24 Stunden und tausende Lachanfälle später, sah die Sache schon anders aus. Ich war zwar nicht mutig, doch die Leute mit denen ich hier zu tun hatte, waren genau die Art von Leuten, mit denen ich auch in meinem echten Leben zu tun hatte. Lustig und für jeden Blödsinn zu haben. Doch würde ich die Initiationsphase überhaupt schaffen? Ich wusste ungefähr was mich erwartete, und ich wusste auch, dass die Initiationsphase in zwei Jahren härter werden würde als jetzt … immerhin war Eric noch nicht Möchtegernchef. Der Gedanke mich in einer Simulation mit meinen schlimmsten Ängsten zu befinden, war noch gar nicht das Schlimmste daran. Viel mehr fragte ich mich, ob ich es erstens überleben und zweitens weiter schaffen würde, wenn es darum ging, mit den anderen Initianten zu kämpfen. Wenn ich daran dachte eine Waffe in die Hand nehmen zu müssen, wurde mir schon übel. Bisher hatte mir mein Wissen über diese Welt weniger gebracht, als ich es manchmal gebraucht hätte - doch dass ich wusste, wie die Initiationsphase aussehen würde, war nicht gerade hilfreich. Konnte man das nicht irgendwie abstellen? Etwas verzweifelt zog ich mir die Decke übers Gesicht, doch das hielt die bösen Gedanken an Waffen, Kämpfe und Boxsäcke auch nicht draußen. Ich würde mir spätestens nach einer Trainingsstunde irgendetwas brechen…

Ich drehte mich auf den Bauch und vergrub das Gesicht halb in meinem Kissen - ich war kein Fan von auf-dem-Bauch-liegen, doch so ging es und war sogar halbwegs bequem. Meine Augen brannten und ein dicker Kloß in meinem Hals erschwerte mir das Schlucken. Eigentlich hatte ich mich entschieden diese Fraktion so schnell es ging zu verlassen. Doch jetzt wünschte ich mir nichts sehnlicher, als noch einen weiteren Tag ohne an die Zeremonie der Bestimmung denken zu müssen. Und noch einen am besten. Ich wollte es solange es ging hinauszögern. Doch schon in ein paar Stunden, würde ich vorne stehen und mir mit diesem blöden Messer in die Hand schneiden. Bei meinem Glück bekam ich auch noch eine Infektion … Wieso konnte mir die Entscheidung niemand abnehmen? Ich hatte furchtbare Angst vor dem was kommen würde. Viel lieber würde ich jetzt auf einen Zug springen, als daran denken zu müssen, was mich erwartete. Ein leises Schluchzen entwich mir und ich konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Wieso gab es niemanden, mit dem ich offen über alles reden konnte? Über den Test, über meine Ängste und vor allem darüber, dass ich eigentlich gar nicht hierher gehörte!

Dennoch - die Entscheidung konnte mir niemand abnehmen. Auch wenn es schwer war, musste ich mir darüber im Klaren sein, wo ich die größten Chancen hätte wieder nach Hause zu kommen. Wo ich am besten hin passte. Und wo ich bodenständige Freunde hatte, die mir helfen würden, egal wie blöd ich mich anstellte. Freunde, die immer zu mir halten würden, egal ob ich ich war oder nicht. Freunde, die mein Ferox-ich besser kannten, als sonst jemand.

Die Entscheidung war im Prinzip schon gefallen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Dieses Kapitel lassen wir es ein wenig ruhiger angehen, gewöhn dich nur nicht zu sehr daran ;)

✗ auf dem Weg zurück ins Dauntless Headquarter beobachtest du einen Streit zwischen Lauren und Leaf
✗ Kelly fragt Lauren, Shauna und dich, ob ihr euch am Nachmittag treffen wollt, entscheide, ob du mit ihnen gehen oder lieber Zeit mit deiner Familie verbringen möchtest
✗ Lily hat ein Geschenk für dich - zeige angemessene Begeisterung!
✗ Überdenke genau in welcher Fraktion du dein Abenteuer fortsetzen willst - du kannst ohnehin nicht schlafen, hast also viel Zeit dafür! Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Erenya
2016-01-19T12:03:01+00:00 19.01.2016 13:03
Habs während ich beim HNO Arzt saß gelesen und es ist wieder ein tolles Kapitel. Man kauft dir ab, dass du selbst in den wenigen Tagen eine beziehung zu den Menschen aufgebaut hast. Und merkt auch, dass es gerade weil es nicht deine Welt ist, dir schwer fällt, dich zu entscheiden. Da kollidieren dann die Wünsche die man selbst hat, die Eigeneinschätzung und Ängste. Unterschwellig. Aber man merkt es deutlich.
Das hebt natürlich die Spannung, wie du dich entscheiden wirst. Ich bin also schon ganz wild drauf zu erfahren wie es aussieht. Mach weita~ XDD
Ich will auch wissen wie deine Freunde darauf reagieren und ob unter ihnen nicht vielleicht doch ein paar Überraschungen sind.
Antwort von:  Zaje
19.01.2016 17:01
Dankeschön :D So viel Lob bin ich gar nicht gewöhnt ich fühle mich geehrt :3
Das freut mich ungemein, dass es so rübergekommen ist. Es war teilweise nämlich gar nicht so einfach zu schreiben, weil es ja zum einen in der Welt eigentlich die wichtigste Entscheidung ist und zum anderen betrifft es ja auch das Zurückkommen in meine Welt. Es ist mir auch unheimlich schwer gefallen mich zu entscheiden, weil ich schon seit dem ersten Kapitel eigentlich überleg, was am besten wäre usw.
xD Jaja, ich beeil mich ja :P Aber ich muss sagen die Aufgaben fürs nächste Kapitel sind so genial, dass es mich wundert, dass ich noch nicht fertig bin :'D
Danke auf jeden Fall für dein Kommi und auch die davor <3


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