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Broken Genius

von

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Morgens

Ich schreckte hoch, als die Tür aufgerissen wurde. Verdammt, wo war ich? Als ich mich umsah, merkte ich, dass es draußen bereits wieder hell war. Ich musste auf der Couch eingeschlafen sein. Nur wer hatte mich jetzt geweckt?

Mokuba stand vor mir und sah mich fragend an.

„Du hast hier übernachtet?“

„Sieht so aus." Ich streckte mich erst mal ausführlich. Ich musste in einer unmöglichen Position geschlafen haben, denn mein Kreuz tat weh. „Ich bin wohl eingeschlafen.“

Der Kleine zuckte mit den Schultern. „Wenn das so ist. Und wo ist Seto?“

War er denn nicht im Bett? Schwer zu sagen. Irgendwie sah ich nur ein riesiges Knäuel. Ob er auch darin verwickelt war, ließ sich nicht genau sagen.

Schwerfällig krabbelte ich von der Couch und ging mit Mokuba näher ans Bett heran. Das Knäuel bestand aus mindestens zwei Decken und… bei genauerem Hinsehen auch Kaiba. Er war tief in dem Gewühl vergraben, nur eine Hand und ein paar dunkle Haarsträhnen ragten heraus. Wenn ich bedachte, wo ich ihn gestern Abend abgelegt hatte und wo er jetzt lag, dann musste er wirklich einmal quer durchs ganze Bett gerollt sein. Und anscheinend schlummerte er noch friedlich vor sich hin.

Ich hätte ihn ja weiterschlafen lassen, aber Mokuba sah das wohl ganz anders. Mit einem Satz sprang er aufs Bett und rüttelte ungeduldig an dem Knäuel herum. Aus den unendlichen Tiefen der Decken kam ein ärgerliches Murren.

„Jetzt steh schon auf!“ Mokuba rüttelte weiter und weiter, bis Kaiba endlich entnervt aufgab und zumindest mit dem Kopf aus den Decken hervorschaute.

„Was denn?“, fragte er genervt und noch sichtlich verschlafen. Aber seine Augen waren scheinbar auch nach dem Aufstehen so unfassbar blau. Naja, kein Wunder. Erst durch seinen kalten Blick wurden sie schließlich dunkel.

Mokuba strahlte ihn über das ganze Gesicht an. „Aufstehen.“, flötete er. „Ist schon nach zehn.“

„Und?“

„Du willst doch nicht den ganzen Tag verschlafen, oder?“

Kaiba grummelte leise, setzte sich aber immerhin endlich mal auf. „Aber ausschlafen wäre ja wohl noch erlaubt gewesen.“

„Wieso?“, fragte Mokuba verwundert. „Wann bist du denn gestern ins Bett gegangen?“

„Keine Ahnung." Er rieb sich die Augen. Dabei erinnerte er mich immer an einen Waschbären. Einfach nur niedlich. Aber wenigstens sah er nach dem Aufstehen auch nicht perfekt aus. Sein Gesicht war zerknautscht vom Kissen und seine Haare zerzaust. Ha, soviel zu den immer perfekt liegenden Haaren.

Aber dann strich er einmal mit der Hand durch seinen Schopf, wirklich nur ein einziges Mal, und schon fielen sie wieder ganz locker und umrahmten sein Gesicht. Argh! Was erzählte der mir von Kamm? Der brauchte sowas doch gar nicht.

„Um ehrlich zu sein, erinnere ich mich gar nicht daran, überhaupt ins Bett gegangen zu sein." Kaiba warf mir einen misstrauischen Blick zu.

„Ich konnte ja wohl schlecht zulassen, dass du dir den Fuß am Tisch einschlägst.“

„Du hättest mich einfach wecken können!“, grummelte er.

„Du hast aber einen verdammt tiefen Schlaf.“

„Stimmt allerdings.“ Mokuba nickte bekräftigend. „Wenn du schläfst, könnte die Welt untergehen und du würdest es nicht merken.“

Kaiba gab nur ein unwilliges Knurren von sich. Etwas unbeholfen krabbelte er zum Bettende. Zuvorkommend wie ich nun einmal war, reichte ich ihm die Krücken. Ohne ein Wort des Dankes nahm er sie entgegen und humpelte ins Badezimmer. Anscheinend war er von diesem Start in den Tag alles andere als begeistert. Aber Mokuba schien das nicht sonderlich zu stören. Er schnappte einfach meine Hand und schleifte mich hinter sich her in Richtung Küche.

„Dann können wir ja schon mal Frühstück machen.“, flötete er.

Na wenn er meinte…

Er hatte zwar Wir gesagt, aber eigentlich machte er alles allein. Er buk ein paar Brötchen im Ofen auf, richtete ein Tablett mit Belag her, setzte Kaffee auf… Aber wenn ich auch nur in Erwägung zog, etwas zu machen, scheuchte er mich sofort weg.

Also sah ich nur zu, zur Untätigkeit verdammt. Der Kleine schien ja in der Küche richtig aufzublühen. Er wäre bestimmt ein guter Koch.

Aber als er fertig war, verstand ich, warum er mich mit nach unten geschleift hatte. Mir wurde nämlich die Ehre zuteil, die zwei voll beladenen Tabletts wieder nach oben zu tragen. Innerlich verfluchte ich den Zwerg dafür, dass er die Tassen wirklich bis zum Rand gefüllt hatte. Aber irgendwie schaffte ich es, alles unversehrt nach oben zu bekommen.

Als wir ins Zimmer kamen, war Kaiba gerade dabei, sich in ein neues T-Shirt zu kämpfen. Ich ließ vor Schreck fast die Tabletts fallen bei dem Anblick, den er bot. Einerseits sah es ziemlich albern aus, wie er da auf einem Bein vor dem Kleiderschrank balancierte, aber andererseits schimmerte seine noch leicht feuchte Haut im fahlen Sonnenlicht, das durch die Fenster drang. Scheiße, sah das sexy aus! Als hätte jemand einen Scheinwerfer auf diese makellose Brust gerichtet, der mich dazu zwang, hinzuschauen. Die feinen Muskeln spannten sich bei jeder Bewegung und sie glänzten durch die Wasserreste auf dieser so weich aussehenden Haut. Aber leider war er viel zu schnell angezogen. Mit einem eleganten Handgriff zog er das Shirt zurecht. Ade, du schöner flacher Bauch.

„Joey, deine Hand!“, rief Mokuba entsetzt aus.

Was? Ich sah hinab. Verdammt, mir war die eine Kaffeetasse umgekippt und ihr brühend heißer Inhalt ergoss sich über meinen Handrücken. In letzter Sekunde konnte ich den Impuls unterdrücken, das eine Tablett fallen zu lassen. Ich schaffte es sogar noch, beide bis zum Couchtisch zu manövrieren.

Bevor Mokuba mich darauf hinweisen musste, war mir das gar nicht aufgefallen, aber jetzt brannte meine Hand wie Feuer. Fluchend wedelte ich damit herum, in der Hoffnung, der Luftzug würde den Schmerz lindern. Tat er aber nicht.

Kaiba befahl Mokuba einen nassen Lappen zu holen, während er ohne Eile mit einer Krücke zu mir gehumpelt kam. Es ärgerte mich, dass er so gelassen war, obwohl meine Hand wie verrückt brannte. Am liebsten hätte ich ihn angeschrien, um meinem Ärger Luft zu machen. Immerhin war er schuld! Hätte er nicht so verdammt heiß ausgesehen, wäre mir der Kaffee nicht umgekippt.

Aber als er meine Hand in seine nahm, um sich die verbrühte Stelle genauer anzusehen, verpuffte jegliche Wut. So weiche warme Hände, die so zärtlich über meine Haut strichen… Allein dafür hätte ich ihm wirklich alles verziehen.

„So schlimm ist es nicht.“, meinte er nur. „Wenn du es kühlst, dürfte danach alles wieder in Ordnung sein.“

Ich nickte abwesend. So schlimm war es wirklich nicht mehr. Aber was konnte auch schon schlimm sein, wenn man von diesen wundervollen Händen berührt wurde?

Doch als er unmerklich sein Gewicht verlagerte, fiel mir auf, dass er sich ja gar nicht richtig auf seine Krücke stützen konnte, solange er meine Hand inspizierte. Mehr schlecht als recht stützte er sich mit dem Ellbogen darauf und versuchte, so das Gleichgewicht zu halten. Ein vernünftig denkender Mensch hätte einfach seine Hand freigegeben, aber ich wollte nicht, dass er losließ. Kurzerhand umfasste ich mit der unversehrten Hand seine Taille und zog ihn zum Sofa, damit auch wirklich nicht auf die Idee kam, loszulassen. Er hatte gar keine andere Wahl, als meiner Bewegung zu folgen, wenn er nicht stürzen wollte. Etwas unbeholfen zog er die Gehhilfe nach und sank auf die Couch. Vor Schreck hatte er meine Hand fester als nötig umklammert, aber den Schmerz nahm ich in Kauf.

Aus großen blauen Augen sah er mich an. „Was… sollte denn das?“

Gute Frage. „Wollte nur verhindern, dass du mit dem Fuß auf den Boden kommst.“

Er musterte mich kritisch, aber anscheinend gab er sich mit der Antwort zufrieden. Zumindest wurden seine Augen wieder dunkler.

Er machte Anstalten, meine Hand loszulassen, aber das wusste ich durch ein improvisiertes Jammern zielsicher zu verhindern. Sofort betastete er noch einmal mit größter Vorsicht die gerötete Stelle. Es kribbelte richtig, wenn seine Finger so behutsam über meine Haut glitten.

Während er sich weiter meine Hand besah, musterte ich ihn genauer. Seine Haare waren noch feucht und einfach nach hinten gestrichen. Wenn sie nass waren, sahen sie fast schwarz aus. Und das T-Shirt klebte noch an seiner Haut, ließ die Konturen des Oberkörpers gut erahnen.

Unwillig schüttelte ich den Kopf. Ich sollte aufhören, ihn so anzustarren. Als ich meinen Blick ziellos umherwandern ließ, bemerkte ich wieder seinen Gips.

„Wie duscht man eigentlich mit Gips?“

Er sah auf, bedachte mich mit einem äußerst schiefen Blick. „Wieso fragst du?“

„Reine Neugier. Ich stell mir das ziemlich schwierig vor.“

Er runzelte missbilligend die Stirn, äußerte sich aber nicht weiter dazu. Aber irgendwie interessierte es mich doch. Obwohl… eigentlich lag die Lösung ja auf der Hand. Er konnte ja sowieso nicht stehen, also würde er sich wohl einfach in die Wanne legen. Das war der ganze Trick. Als ich ihm meine Lösung präsentierte, nickte er zwar, sah mich aber trotzdem merkwürdig an.

„Wieso interessiert es dich?“

„Nur so. Ich stell mir das nur anstrengend vor, mit Gips in die Wanne zu klettern. Aber ich nehme an, du duschst trotzdem mindestens einmal am Tag, richtig?“

Er sah mich lange durchdringend an. Aber dann ließ er kopfschüttelnd von meiner Hand ab und griff nach der noch vollen Kaffeetasse. „Manchmal bist du merkwürdig.“

„Warum?“

Ganz in Ruhe nippte er an seinem Kaffee, ließ sich dabei Zeit, ehe er antwortete. „Du fragst mich ständig nach meiner Körperpflege.“

„W-was?“

„Du fragst mich, ob ich zur Maniküre gehe, ob ich mir die Augenbrauen zupfe, ob ich mich sonst irgendwie pflege… und jetzt willst du auch noch wissen, wie oft ich dusche.“ Er schnaubte leicht, ließ mich dabei aber nicht aus den Augen. „Was kommt als nächstes? Willst du vielleicht noch wissen, welches Duschgel oder welches Shampoo ich benutze?“

Ich musste mir auf die Zunge beißen, um nicht mit Ja zu antworten. Er hatte ja recht, vielleicht waren meine Fragen wirklich ein bisschen indiskret. Aber ich wusste auch nicht, was ich großartig dazu sagen sollte.

„Nun sag schon! Wieso fragst du das alles?“

Bei seinem durchdringenden Blick fiel es mir schwer, klar zu denken. „Nur… so?“, meinte ich lahm. Selbst wenn ich gewollt hätte, wäre mir keine logische Antwort darauf eingefallen.

Da! Wie immer, wenn er die Stirn runzelte, kräuselte er dabei leicht die Nase. Dieser Kerl konnte dermaßen niedlich dreinschauen! „Willst du mit diesen Fragen irgendetwas andeuten? Sehe ich ungepflegt aus? Rieche ich streng? Ist es das?“

Allein der Gedanke, sein Geruch könnte nicht in Ordnung sein, schien ihm Unbehagen zu bereiten. Dabei war das Blödsinn.

Ich schüttelte hastig den Kopf. „Du riechst eigentlich immer ganz gut.“ An seinem Geruch war nun wahrlich nichts auszusetzten. Also… bisher zumindest. Vielleicht war das heute ja anders.

„Eigentlich?“ Er hob fordernd eine Augenbraue. Dieses Eigentlich schmeckte ihm wirklich gar nicht.

Innerlich keimte in mir ein fieser Gedanke auf. So gesehen wollte er ja eine ehrliche Antwort, also musste ich mir auch ein ehrliches Urteil bilden. Ehe er auch nur ansatzweise reagieren konnte, beugte ich mich vor und schnupperte an seiner Halsbeuge. Mir drang schwach der Duft seines Shampoos in die Nase, aber das blendete ich aus.

„Irgendwie riechst du heute anders als sonst.“, bemerkte ich. Sofort verspannte er sich.

Aber was war heute anders? Ich schnupperte weiter. Ja klar, jetzt hatte er kein Deo, kein Aftershave drauf. Diesmal war es sein ganz eigener Geruch, pur und unverfälscht. Der Duft war nur schwach auszumachen, weil er ja gerade erst geduscht hatte, aber er war durchaus ansprechend. Sehr maskulin, ein wenig herb. Und unglaublich betörend. Er stieß definitiv irgendetwas aus, das mich magisch anzog.

Lautlos seufzend wich ich von ihm ab. Dieser Typ vernebelte mir vollkommen die Sinne. Alles an ihm machte mich wahnsinnig!

Aus großen Augen starrte er mich an, noch sichtlich angespannt und ein wenig geschockt.

„Du hast kein Deo benutzt.“, meinte ich lahm, als würde das meine Aktion von eben erklären. Als ich sah, dass ihm das anscheinend Unbehagen bereitete, setzte ich schnell hinzu. „Aber das macht nichts. Du riechst auch so ziemlich gut, wenn dich das beruhigt.“

„Du spinnst doch!“ Er sagte das durchaus überzeugend, aber seine Augen straften ihn Lügen. Ich sah darin Erleichterung, also beruhigte es ihn sichtlich.

Ohne weiter auf das Thema einzugehen, hielt ich ihm ein Brötchen hin. „Iss erst mal. Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit am Tag.“

Wunderbar, diese hellen Augen. Wenn er seinen eiskalten Blick nicht drauf hatte, konnte man in ihnen lesen wie in einem offenen Buch. Und im Moment erkannte ich darin, dass er im Moment überhaupt nichts mehr verstand. Mein Verhalten verwirrte ihn, er wusste nicht, wie er mich einschätzen sollte. In gewisser Weise verschaffte es mir Genugtuung, dass ich scheinbar doch nicht so leicht zu durchschauen war wie er dachte. Aber in seinen Augen erkannte ich auch, dass ihn das ein bisschen ärgerte. Er mochte es nicht, wenn sich etwas seinem Verständnis entzog. Er war einfach der Typ, der immer alles verstehen musste. War mir nur recht, denn seine Natur zwang ihn dazu, meinem Verhalten auf den Grund gehen zu wollen. In seinen Augen konnte ich so deutlich erkennen, dass er mich nun anders sah. Nicht nur als dummen kleinen Köter, sondern als dummen kleinen Köter, den er nicht durchschauen konnte. Es war keine große Veränderung, aber immerhin ein Anstoß, seine Sicht auf mich zu verändern.

„Ich hab einen Lappen, ich hab einen Lappen.“

Mokuba kam so laut und unpassend wie nur möglich in das Zimmer gerannt. Er wedelte mit einem nassen Tuch herum und kam auf mich zugestürmt. Ach ja… meine Hand. Durch Kaiba hatte ich das glatt vergessen, aber es tat auch nicht mehr wirklich weh. Trotzdem nahm ich den Lappen entgegen und drückte ihn auf die Rötung.

„Das hat ja ganz schön gedauert.“, merkte Kaiba kritisch an.

Mokuba schnaufte, noch sichtlich außer Atem. „Ist ja nicht so, als wäre die Küche direkt um die Ecke. Und da habe ich einfach keinen Lappen gefunden. Also musste ich durchs ganze Haus rennen, bis ich endlich einen hatte. Und dann musste ich wieder in die Küche rennen, um ihn nass zu machen.“

„Und du bist nicht auf die Idee gekommen, einfach bei mir ins Bad zu gehen und ein Handtuch zu nehmen?“ Kaibas Augen blitzten spöttisch. Anscheinend amüsierte ihn Mokubas Marathon.

Der Kleine starrte ihn ungläubig an. „A-aber du hast gesagt, ich soll einen Lappen holen.“

Da verdrehte Kaiba nur die Augen. „Was habe ich dir beigebracht?“

„Ich bin kein kleines Befehlsäffchen, ich soll selber denken.“, murmelte Mokuba. Er wirkte ein bisschen beleidigt, aber die Lektion war gut. Kaiba wollte seinen Bruder zu einem eigenständigen Menschen erziehen, der selber nachdachte und nicht einfach nur Befehle ausführte. Wirklich löblich.

Schmunzelnd zog Kaiba den Kleinen zwischen uns aufs Sofa und wuschelte ihm durchs Haar. „Das lernst du schon noch. Aber jetzt frühstücken wir erst mal.“

Das schien Mokuba nur recht zu sein. Beherzt langte er zu.

Erstaunlich. Die beiden hatten wirklich ein außergewöhnlich gutes Verhältnis zueinander, obwohl Kaiba ja eigentlich nicht unbedingt als warmherzig bekannt war. Aber so gesehen hatten sie ja auch nur sich. Wenn ich die beiden so beobachtete, konnte ich mich des Gedankens nicht erwehren, dass Kaiba für Mokuba nicht nur der große Bruder war, sondern ihm in gewisser Weise auch den Vater ersetzte. Irgendwie traurig, für beide. Es zwang Kaiba dazu, so große Verantwortung in so jungen Jahren zu übernehmen. Ich wusste nicht, ob er der Rolle wirklich gerecht werden konnte. Wie sollte ein Jugendlicher denn einen Jungen vernünftig erziehen können, zumal ja Kaiba selbst quasi das passende Vorbild dafür gefehlt hatte? Obwohl er trotzdem gute Arbeit geleistet haben musste, denn schließlich war aus Mokuba ein wohlerzogener Junge geworden.

„Willst du nichts essen?“ Mokuba sah mich fragend an, während er sich bereits das dritte Brötchen einverleibte.

„D-doch.“ Ich schnappte mir schnell ein Käsebrötchen und aß. Frühstücken war ja schließlich wichtig.

„Was machen wir heute?“, fragte Mokuba neugierig.

Gute Frage. Aber viele Möglichkeiten gab es ja nicht.

„Ich nehme an, Wheeler möchte nach Hause und Hausaufgaben machen.", merkte Kaiba an.

„Nein nein, das passt schon" Ich winkte seine lasche Aufforderung zum Gehen einfach mal ab. Kaiba quittierte das nur mit einem genervten Augenrollen, aber den Elan, mich einfach mit Nachdruck rauszuwerfen, brachte er nicht auf. Sooo sehr konnte ich ihn ja dann doch nicht stören.

„Da wir weiterhin ein fußschonendes Programm fahren müssen, schlage ich vor, wir schauen uns den Film von gestern zu Ende an.“, meinte ich.

Die beiden Brüder sahen alles andere als begeistert aus.

„Ohne mich!“ Mokuba sprang von der Couch und rannte aus dem Zimmer. „Ich treff mich lieber mit meinen Freunden.“ rief er noch und dann war er weg.

Auch gut. Kaiba konnte nicht weglaufen, also war er meinen Plänen ausgeliefert. Seinem unbegeisterten Blick zufolge war er sich dessen auch bewusst.

Ich grinste schadenfroh. „Wenn wir schon den ganzen Tag Zeit haben, können wir ja alle drei Teile nochmal von Anfang an schauen. Immerhin hast du ja bestimmt nicht so gut aufgepasst, dass du noch wüsstest, worum es geht.“

Er sah mich nur hilflos aus großen blauen Augen an, schluckte unbehaglich. So begeistert war er von dem Herrn der Ringe wohl doch nicht. Na gut, wollten wir mal nicht so gemein sein. „Dann schauen wir eben ab der zweiten Hälfte des zweiten Teils, in Ordnung? Das dürfte ungefähr die Stelle sein, bei der du eingeschlafen bist.“

Er grummelte unwillig, aber er ergab sich seinem Schicksal.

„Dann hole ich nur noch schnell ein paar Sachen.“

Den Weg in die Küche fand ich inzwischen im Schlaf. Ich brühte eine neue Kanne Kaffee auf, bereitete noch ein paar Brötchen zu, weil Mokuba ja die meisten selber vernichtet hatte. Nebenbei schnappte ich mir noch eine Schale Obst und bugsierte das Ganze auf einem Tablett nach oben.

Kaiba schien milde überrascht von meiner Aktion. Er betrachtete neugierig, was ich ihm denn da brachte. Als ich die Obstschüssel auf den Tisch stellte, wollte er nach einem Apfel greifen. Aber da fiel mir wieder seine Reaktion auf die Möhre ein. Hastig zog ich die Schüssel zurück.

„Sicher, dass du gegen nichts allergisch bist?“

Er bedachte mich mit einem äußerst schiefen Blick. „Hältst du mich tatsächlich für so dumm, dass du glaubst, ich würde freiwillig etwas nehmen, gegen das ich allergisch bin?“

„Auch wieder wahr.“ Warum sollte er freiwillig etwas nehmen, das ihm so starke Schmerzen zufügte? Ich stellte die Schüssel wieder auf den Tisch und er schnappte sich seinen Apfel so schnell, als dächte er, ich könnte doch nochmal auf die Idee kommen, sie wieder wegzunehmen.

Während er seine strahlend weißen Zähne in den Apfel rammte, ließ ich mich seufzend aus Sofa fallen. Sowas wie Danke zu sagen, kam ihm wohl nicht in den Sinn. Aber egal. Ich schenkte uns Kaffee ein und startete dann den Film.

Ich hatte die Trilogie schon lange nicht mehr gesehen und folgte dem Geschehen deshalb voller Begeisterung. Kaiba hingegen schien den Kaffee wesentlich spannender zu finden. Zumindest schenkte er der Kaffeetasse mehr Aufmerksamkeit als dem Film. Aber damit hatte ich mich abgefunden. Ich tat mein bestes, um ihm eine Möglichkeit der Unterhaltung zu bieten, aber wenn er darauf nicht ansprang, konnte ich das auch nicht ändern. Ab Morgen würde für ihn ja sowieso alles anders laufen. Mit dem neuen Gehgips würde er mehr Möglichkeiten haben, denen er nachgehen könnte.

Obwohl… was wenn der Knöchel noch nicht gut genug verheilt war? Was, wenn er doch operiert werden müsste? Dann würde Kaiba noch länger gar nicht laufen können. Ob er das verkraften würde? Er wusste ja so schon nichts mit sich anzufangen.

„Glaubst du, dein Knöchel ist jetzt verheilt genug für den Gehgips?“, fragte ich vorsichtig.

„Sicher. Wieso nicht?“ Seine Antwort war so gleichgültig als hätte ich nach dem Wetter gefragt. Interessierte ihn das nicht? Oder hatte er zu viel Angst davor, sich der Frage wirklich zu stellen?

„Was macht dich so sicher?“

Nachdenklich stellte er den Kaffeebecher auf den Tisch, betrachtete dabei den Gips. „Es ist besser geworden.“, meinte er langsam.

„Aber woher weißt du das?“

„Weil es nicht mehr wehtut.“ Sein Blick richtete sich auf mich, er war sich vollkommen sicher. „Letzte Woche hat es immer wehgetan. Tagsüber beim Arbeiten, und wenn ich kurz aufgetreten bin, hat der Schmerz stundenlang angehalten. Dieses elende Pochen im Knöchel hat mich fast wahnsinnig gemacht! Nachts war es meist so schlimm, dass ich kein Auge zubekommen habe. Selbst die Schmerzmittel konnten keine Abhilfe schaffen. Aber jetzt…“ Ein schwaches, fast schon schüchternes Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab. „… tut es nicht mehr weh, schon seit Tagen nicht mehr. Also muss es doch besser geworden sein.“

Mir stockte der Atem, als ich ihm lauschte. So schlimm waren die Schmerzen gewesen? Er hatte so sehr darunter gelitten?

„Du bist ein riesen Idiot!“, fauchte ich ungehalten.

Er sah mich nur überrascht an, verstand meine Reaktion nicht.

„Wenn du solche Schmerzen hattest, warum hast du dann nicht darauf reagiert?“

„Aber… ich musste arbeiten.“

„Musstest du gar nicht!“ Ich schnaubte verächtlich. „Wie konntest du nur so dumm sein? Nimmst keine Rücksicht auf dich selbst!“

Ich sprang auf und holte vom Bett noch ein paar weitere Kissen. Ohne auf seinen fragenden Blick zu achten, baute ich einen kleinen Schutzwall aus Kissen um seinen Fuß. Wenn er nicht darauf achtete, musste ich das eben machen. So ein Idiot!

Kaiba beobachtete das Ganze nur stumm. Er wagte es nicht, noch einmal das Wort zu erheben, vielleicht ahnte er, dass ich ihn dann ihn Grund und Boden geschrien hätte. Wie konnte er denn auch nur so verantwortungslos sein, einfach weiterzumachen, obwohl er solche Schmerzen gehabt hatte? Hatte ihm sein gesunder Menschenverstand denn nicht gesagt, dass er spätestens dann eine Stufe hätte runterschalten müssen, wenn es schon so schlimm war?

Allerdings… war das Seto Kaiba. Der verstand sowieso keine reine menschliche Logik, er verstand nur das Extrem. Vielleicht hatte er wirklich erst den Weckruf von Doktor Hikawe gebraucht, um sich wirklich realistisch mit seiner Verletzung zu befassen. Um zu verstehen, dass sie nicht besser wurde, nur weil er ihr Ausmaß herunter redete. Vielleicht hatte er tatsächlich erst dadurch verstanden, dass es gar nichts brachte, so zu tun, als würde er darüber stehen. Es ging nicht darum, wie viel Schmerz er ertragen konnte, sondern darum, dass der Bruch bei dauerhafter Belastung einfach nicht vernünftig heilen konnte.

Aber was half es da noch, zu meckern? Er gab wirklich sein bestes, den Knöchel nicht zu belasten und mehr konnte man von ihm nicht verlangen. Gezwungenermaßen beschäftigte er sich nicht mehr mit der Firma, Geschäftsmeetings oder der Schule, nein er konzentrierte sich vollkommen auf seine Genesung. Mehr als ihn dabei zu unterstützen war da einfach nicht drin.

Resignierend sank ich neben ihm wieder aufs Sofa.

„Was wirst du tun, wenn du morgen den Gehgips kriegst?“, fragte ich lahm.

„Hm.“ Er tat so, als müsste er ernsthaft überlegen. „Als erstes werde ich einen langen Spaziergang unternehmen, dann gehe ich eine Runde joggen und danach mache ich einen langen ausgedehnten Einkaufsbummel.“

Im Ernst? „Ist das nicht ein bisschen zu viel?“

Er warf mir einen finsteren Blick zu. „Was soll ich schon groß machen? Ich versuche, die nächsten fünf Wochen zu überleben, mehr bleibt mir ja nicht!“

So groß fand er den Fortschritt, wieder auftreten zu können dann wohl doch nicht. Naja, im Grunde war es ja auch kein großer Unterschied. Der Gehgips erlaubte ihm ja quasi nur, den Fuß zwischen der Humpelei mal kurz abzustellen, aber laufen konnte er damit bei weitem noch nicht.

„Du könntest damit Klavier spielen.“, meinte ich kleinlaut.

„Fünf Wochen lang?“

„Da könntest du dein Spiel bestimmt unglaublich verbessern.“

Er knurrte nur. „Mein Spiel ist perfekt, da gibt es nichts zu verbessern!“

Das konnte ich nicht beurteilen, aber wenn er meinte… Hoffentlich spielte er mir mal was vor.

„Vielleicht… könntest du das Haus mal verlassen.“, schlug ich vor.

„Klar, ein netter Spaziergang durch die Innenstadt wäre bestimmt genau das Richtige!“

„Vielleicht nicht gleich die Stadt. Dein Garten reicht ja erst mal.“

„Und was soll ich da?“

„Sonne tanken?“

Er überdachte den Vorschlag gründlich, und letztendlich gab er mir Recht – nachdem ich ihn als bleiches Gespenst beschimpft hatte. Aber es stimmte, er war ungewöhnlich blass. Wie sollte es auch sonst sein, wenn man sich in seinem Haus verschanzte? Der Kerl brauchte mal wieder ein bisschen Sonnenlicht. Und er war immer sehr schnell von allem zu überzeugen, was mit seinem Aussehen zu tun hatte. Er konnte sagen, was er wollte. Er war eitel.

„Wir können auch jetzt in die Sonne.“, meinte er, nachdem wir uns noch eine Weile den Film angeschaut hatten, den er sowieso sterbenslangweilig fand.

„Und wie? Wir sollten bis morgen warten, bevor du durch den Garten rennst.“

Er verdrehte nur die Augen, das tat er auch ziemlich gern. „Erstens will ich nicht rennen und zweitens muss ich dafür ja nicht in den Garten.“

„Sondern?“

„Terrasse?“

„Du hast eine Terrasse?“

Er deutete auf die Glastür neben dem Bett.

„Klingt nach einem Plan.“ Einem ziemlich gutem sogar. Ein bisschen frische Luft war auf jeden Fall besser, als den ganzen Tag vor dem Fernseher zu hocken.

Ich half ihm, aufzustehen. Klar hätte er das auch allein gekonnt, aber wenn ich schon mal hier war… Außerdem hatte er ja nur eine Krücke griffbereit, die andere lehnte noch am Bett. Und ich konnte ihn doch schlecht den ganzen weiten Weg nur mit einer Gehhilfe zurücklegen lassen. Ich ließ ihm auch gar nicht erst die Wahl, ich schnappte mir einfach seinen Arm, legte ihn mir um die Schulter, umfasste seine Hüfte und los ging es.

Die Terrasse war wirklich riesig und sie lag direkt in der Sonne. Perfekt. Ich half Kaiba, sich auf einer Liege niederzulassen, ehe ich mich genauer umsah. Von hier oben hatte man einen tollen Ausblick übers ganze Grundstück. Unten gab es sogar einen kleinen Teich und einen künstlich angelegten Bach.

Und hier oben erst. Auf der Terrasse gab es zwei Liegen, eine Hollywoodschaukel und sogar einen Jacuzzi.

„Die Terrasse ist der Wahnsinn!“, rief ich begeistert aus. „Warum bist du nicht viel öfter hier?“

„Wer sagt, dass ich das nicht bin?“, erwiderte er träge. Er blinzelte der Sonne entgegen, war wohl ein wenig geblendet vom hellen Licht. Kein Wunder, er hatte sich ja die letzte Woche völlig in seinem Zimmer verschanzt, dieser Stubenhocker. Wenigstens würde er jetzt wieder ein bisschen Farbe im Gesicht bekommen. Die Tage wurden immer wärmer und heute war der Himmel strahlend blau.

„Du hast für gewöhnlich nicht gerade einen dunklen Teint, wenn du verstehst. Und im Moment wäre vermutlich sogar ein Vampir neidisch auf deine Blässe.“

„Wie schmeichelhaft!“ Seine blauen Augen fixierten mich. Wahnsinn, allein mit einem einzigen Blick konnte er einem zeigen, dass er aufs tödlichste beleidigt war, ohne auch nur seine Mimik zu bemühen.

„Ach...“ Ich winkte beschwichtigend ab. „Wir tanken heute einfach ein bisschen Sonne und dann hast du auch mal eine gesunde Bräune im Gesicht.“ Ich warf mich schwungvoll auf die Liege neben ihm. „Ein bisschen in der Sonne dösen ist doch auch mal ganz nett.“

Nach kurzem Zögern tat Kaiba es mir gleich und schwang die Beine ebenfalls auf die Liege, wobei er mich allerdings argwöhnisch ansah. Ich ignorierte es, so lange ich konnte, aber nach einer gefühlten Ewigkeit ging es mir doch auf den Keks. Also erwiderte ich seinen Blick.

Es war schwer. Anscheinend erachtete er es in meiner Nähe nicht mehr als nötig, den kalten Blick aufzusetzen. Einerseits zeigte es mir, dass er mir in der Hinsicht zumindest ein winziges bisschen vertraute, andererseits waren diese hellen Augen ganz schön gewöhnungsbedürftig. Vielleicht lag es daran, dass ich dieses intensive Blau das erste Mal gesehen hatte, als er benebelt vor Schmerz gewesen war, aber es fiel mir schwer, mich damit anzufreunden. Sie waren zweifellos unbeschreiblich schön, aber an den Fakt, dass das tatsächlich seine ganz normale Augenfarbe war, musste ich mich erst noch gewöhnen. Ich musste erst begreifen, dieses Blau nicht mit Schmerz oder Leid zu assoziieren.

Es fiel mir schwer, seinem Blick standzuhalten, einfach weil er so viel Ausdruckskraft hineinlegen konnte, dass mich allein der Anblick schon völlig fertig machte. Dabei hatte ich gar keine Ahnung, was er überhaupt von mir wollte.

Okay, nach einer Weile wurde es mir doch zu blöd. Wir könnten uns den ganzen Tag anstarren, bis mich seine Augen absorbiert hatten, aber dann wüsste ich immer noch nicht, was er von mir wollte. Also fragte ich einfach.

„Ich hab Durst.“ War die einfache Antwort. Er hob auffordernd die Augenbraue.

„Und du meinst, ich soll springen, wenn du etwas willst?“, fragte ich entgeistert. „Das ist ziemlich dreist, findest du nicht?“

Da wurde sein Blick spöttisch. „Soll ich selbst laufen?“

Er wusste ganz genau, dass ich das nicht zulassen würde, was mich in seinen Augen wohl quasi zu seinem Bediensteten machte. Dem sollte ich ganz schnell entgegen steuern – sobald mir ein Konter einfiel. Bis dahin ergab ich mich meinem Schicksal und räumte die Tabletts nach draußen. Auf einen weiteren kritischen Blick hin, holte ich auch noch Wasser für ihn. Und ein Kissen für seinen Fuß. Und eine Sonnenbrille, weil es ja so hell war. Aber als er dann auch noch ein Buch wollte, streikte ich.

„Jetzt ist aber mal gut!“, knurrte ich genervt, denn natürlich fiel ihm jede Kleinigkeit erst ein, nachdem ich es mir wieder auf meiner Liege bequem gemacht hatte. Als würde er nur darauf warten. Ich war mir ziemlich sicher, dass er sehen wollte, wie weit er es denn treiben konnte. Aber irgendwann reichte es ja auch mal. Schnaufend rückte ich mich auf der Liege zurecht, verschränkte demonstrativ die Arme. „Wenn du ein Buch willst, dann hol es dir selbst!“

Er sah mich schon wieder so durchdringend an, lauernd, ob ich nicht doch nachgeben würde. „Kannst du das denn mit deinem Gewissen vereinbaren?“, fragte er freundlich. „Bedenke, dass ich dabei stürzen könnte.“

Er kam mir auf die Tour? Das konnte er gleich wieder vergessen! „Du konntest ja auch zwei Wochen lang zur Firma und durch die halbe Weltgeschichte humpeln. Da wirst du es bis zum Bücherregal schon schaffen.“

Treffer! Er knurrte böse, warf mir einen feindseligen Blick zu. Ja, darauf reagierte er immer noch empfindlich. Aber zumindest hatte ich gekontert. Das hatte er jetzt davon!

Doch genauso schnell passte er seine Strategie scheinbar an. Er ließ ein schweres Seufzen vernehmen, das klang, als würde er eine schwere Bürde tragen. „Was soll ich sonst tun, wenn nicht lesen?“

„Dich unterhalten?“

Seine Augen blitzten auf. Hatte ich ihm jetzt in die Hände gespielt? Was ging nur in seinem Kopf vor? „Okay, dann unterhalten wir uns.“

Er sah mich abwartend an. Wollte er, dass ich ein Thema vorschlug? Okay, nichts leichter als das. Wir würden uns ja wohl wie zwei normale Menschen unterhalten können. Aber worüber? Ich dachte angestrengt nach. Schule? Ganz blöd. Seine Firma? War er im Moment auch nicht gut drauf zu sprechen. Wetter und Gesundheit schieden auch aus. Er las gern. Sollte ich nach seinem Lieblingsbuch fragen? Lieber nicht. Lesen gehörte definitiv nicht zu meinen Hobbies und das würde er bestimmt als Bildungslücke bewerten. Von Filmen hatte er keine Ahnung und Sport? Er würde wohl kaum Fußball oder sonst irgendein Spiel schauen.

Aber… da war doch was.

„Treibst du Sport?“

Er legte den Kopf schief, sah mich an, als hielte er die Frage für einen schlechten Witz. „Ich kann nicht mal stehen, was soll ich da für Sport treiben?“

„Ich meine auch nicht im Moment, sondern normalerweise.“

„Wieso fragst du?“

Ich verdrehte die Augen. „Weil du für einen Bürohengst körperlich ziemlich fit bist.“

„Woher willst du das wissen?“

Wieso antwortete er immer mit Gegenfragen? War das irgendeine Strategie, die ich nicht verstand? „Weil ich Augen im Kopf habe!“, knurrte ich unwirsch. „Ich hab dich mit freiem Oberkörper gesehen und daher weiß ich, dass du körperlich fit bist, okay? Also treibst du Sport oder nicht?“

„Du meinst normalerweise?“

„Ja!“

„Ja.“

„Was, ja?“

„Ja, normalerweise treibe ich Sport.“

Na Wahnsinn! Nach sinnlosem hin und her, konnte ich ihm aus der Nase ziehen, was ich mir eh hatte denken können. Er wollte mich in den Wahnsinn treiben! Definitiv! Aber so leicht ließ ich mich nicht abschütteln! Beharrlich bleiben.

„Und was für Sport?“, fragte ich betont ruhig.

Seine Augenbraue zuckte kurz. Vielleicht imponierte es ihm ja, dass ich mich nicht in Rage versetzen ließ. „Schwimmen.“ war die knappe Antwort.

„Schwimmen? Das ist doch kein Sport!“

Er runzelte die Stirn „Ach nein? Was denn dann?“

„Wenn es warm ist, gehe ich mit meinen Freunden auch im Schwimmbad toben. Aber dieses Plantschen ist doch kein Sport!“

Da verdrehte er nur die Augen. „Vielleicht haben wir diesbezüglich einfach eine unterschiedliche Definition.“

„Von Sport?“

„Vom Schwimmen! Du verstehst darunter anscheinend eher Spiel und Spaß und ich sehe eher den sportlichen Aspekt.“

„Na dann erklär doch einfach mal, was du darunter verstehst.“

Er brummte leise. „Für mich ist Schwimmen einfach die perfekte Sportart. Du trainierst deine ganze Muskulatur. Arme, Beine, Rücken, Brust, Bauch. Es ist nicht sonderlich anstrengend, man hat seine Ruhe und es hilft mir, nach einem anstrengenden Tag im Büro abzuschalten. Und man ist danach nicht verschwitzt.“

Ah, da hatte er recht. Zumindest wenn sein Körper tatsächlich nur vom Schwimmen so gut definiert war, sollte man sich doch mal überlegen, selbst damit anzufangen. Mein Blick glitt zu seinen Beinen. Da er wegen dem Gips auf knielange Hosen umgestiegen war und die beim Liegen noch ein bisschen höher rutschten, konnte ich mir wirklich ein verdammt gutes Bild von seinen Beinen machen. So schön lang und trainiert…

„Es scheint zumindest fit zu halten.“, meinte ich lahm.

Was sollte ich schon noch dazu sagen? »Hey, schön, dass du dich so in Form hältst, ich find deine Beine nämlich ziemlich heiß. Und wenn wir schon dabei sind, ich hab mir vorhin die Hand verbrüht, weil mich dein nackter feucht in der Sonne glänzender Oberkörper so abgelenkt hat«

Ich schüttelte unwillig den Kopf. Jetzt aber genug! Ich musste das Thema wechseln, um auf andere Gedanken zu kommen.

„Und sonst so?“, fragte ich schnell. „Wie geht’s Mokuba?“

„Wieso fragst du mich das?“ Er schnaubte leicht, trank einen Schluck Wasser, bevor er mir antwortete. „Er läuft dir doch ständig über den Weg. Frag ihn doch selber!“

Auch wieder wahr. „Aber vielleicht weißt du ja einige Details, die er mir nicht erzählen würde.“

„Zum Beispiel?“

Da musste ich mir selbst etwas überlegen. Mokuba war mir im Moment ehrlich gesagt ziemlich egal. Aber ich musste ja den Schein wahren. „Ob er vielleicht schon mal verliebt war oder eine Freundin hatte?“

Er bedachte mich mit einem äußerst verständnislosen Blick. „Wenn er dir das nicht selbst erzählen würde, warum sollte ich das dann tun?“

„Weil du als sein Bruder bestimmt mehr weißt und man darf ja wohl neugierig sein, oder nicht?“

„Hast du nicht eine Schwester?“

„Ja, warum?“

„Würde sie dir erzählen, mit wem sie rummacht?“

Bitte was? Was erzählte er da.

Er zog demonstrativ mit überlegenem Blick eine Augenbraue hoch. „Oder bist du wirklich so naiv, zu glauben, sie würde so etwas nie tun?“

Grrr!

„Nein, lass mich raten. Du willst es nicht wissen.“ Er nickte bedächtig, genau wissend, dass er recht hatte. „Und ebenso geht’s mir mit Mokuba. Wenn er eine Freundin hat, gut für ihn. Wenn er mir davon erzählt, in Ordnung. Wenn nicht, werde ich ihm nicht hinterher spionieren.“

„Glaubst du denn, er würde dir erzählen, wenn er… sagen wir… sein erstes Mal hatte?“

„Das wird sich zeigen.“

„Was macht dich so sicher, dass es nicht schon längst passiert ist?“

Er winkte ab. „Mokuba ist noch viel zu schüchtern und unreif. Das dauert noch.“

„Woher willst du das denn wissen?“

„Ausgeprägte Menschenkenntnis?“

Kaiba und Menschenkenntnis. Dann war ich der neue Albert Einstein! Der Kerl war doch so weltfremd wie sonst keiner. Der hielt Yugi doch ernsthaft für bösartig.

„Du glaubst mir nicht.“, stellte er fest. Er kräuselte die Nase und setzte einen beleidigten Blick auf.

„Naja… sagen wir, ich bin davon nicht so überzeugt.“, ich musste bei seinem Gesichtsausdruck einfach nur schmunzeln. Wenn er wollte, konnte er wirklich eine sehr ausdrucksstarke Mimik haben.

„Ach?“ Seine Augenbraue schnellte herausfordernd nach oben. „Ich wette, ich habe dich genauer durchschaut, als du ahnst.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hat er Joey durchschaut, hat er nicht? Na mal schauen ^^ Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von: abgemeldet
2014-12-27T22:06:36+00:00 27.12.2014 23:06
Gut möglich, dass Seto ihn durchschaut hat, aber so genau kann man es noch nicht sagen. Aber diese ganze Fragerei ist ziemlich verdächtig. Joey, pass auf, was du fragst und tust.^^
Von:  kuschelmietz
2014-07-31T08:48:09+00:00 31.07.2014 10:48
Und wieder so ein toll geschriebenes Kapi. ^^
Ich bin echt gespannt wie es weiter geht und was Kaiba über Joey alles zu sagen hat. *grins*
Vlt hat er ja die heimlichen Blicke bemerkt.... . ;)
Ich freu mich schon auf dein nächstes Kapitel und bin gespannt wie sich die Beziehung zwischen den beiden weiter entwickelt.
Hoffentlich in die richtige Richtung. *schnur*
LG
mietze
Von:  JK_Kaiba
2014-07-30T16:39:48+00:00 30.07.2014 18:39
Ahh wie gemein genau jetzt aufzuhören, wo es spannend wird.
Schreib bitte ganz schnell weiter.
Aber Joey ist schon genial, wie er als auf Kaibas Äußeres achtet und sich dann noch verbrüht xD
Seto der Sturkopf, treibt Joey ganz schön an seine Grenzen aber das macht es ja gerade interessant und außerdem muss das ja auch sein, damit er sieht das Joey anders kann...
Aber wenn Seto Joey wirklich als ungepflegt sieht, sollte Joey da mal dringend einiges nachholen, sonst stehen seine Chancen vermutlich nicht so gut...
Bin so gespannt wie es weitergeht :-D

LG Jacky
Von:  Lunata79
2014-07-30T10:41:08+00:00 30.07.2014 12:41
Echt fies, an dieser Stelle aufzuhören. XD
Ahnt Kaiba etwa, dass Joey ihn scharf findet? Na, dann hoffen wir mal, dass Joey keine Probleme deswegen bekommt.
Es muss Kaiba ja schon auffällig vorkommen, dass Joey immer nur Fragen stellt, die seinen Körper betreffen.
Da frage ich mich fast schon ernsthaft, hat Joey dann überhaupt Chancen bei Kaiba? Ich mein, er stempelt Joey ja als ungepflegt ab.
Na, ich lass mich mal überraschen, was du so geplant hast.
Freu mich schon aufs nächste Kapitel.

Lg
Lunata79


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