Erneut bei Raelyn
Maramas Bedingung, sie zu unterstützen war etwas, das Daragh nicht wirklich gefallen wollte.
„Wenn ihr einem Dämon begegnen wollt, müsst ihr die Umgebung kennen, in der ihr kämpfen werdet“, hatte sie gesagt und sie dann dazu angehalten, gemeinsam mit ihr die Stadt zu erkunden.
Er glaubte durchaus, dass es sich hierbei um eine bei Lazari verbreitete Methode handelte, aber für ihn – und auch Zashi – war sie bislang nicht weiter von Belang gewesen. Als Federmagier hatte er ohnehin alles nach seinem Willen beeinflussen können und Zashi sah in die Zukunft, in der es für ihn keinerlei Alternativen gab. Etwas funktionierte einfach nach seinem Prinzip der Vorsehung und das schon immer, wie Daragh bestätigen konnte.
Aber Marama kümmerte sich nicht um diese Dinge. Sie war derart traditionell, dass es sie ganz offenbar störte, dass jemand es anders sah als sie und deswegen zwang sie die beiden einfach, sich ihr anzuschließen, während sie am nächsten Tag durch die Stadt streifte.
Zashi gefiel es offenbar, er folgte ihr mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht und blickte sich immer wieder interessiert um, während Daragh sich ihnen lediglich notgedrungen angeschlossen hatte. Es störte ihn an und für sich nicht daran, sich die Stadt anzusehen, da er diese wirklich als interessant erachtete, dafür gab es andere Dinge, die ihm aufstießen.
Zum einen grämte er sich darüber, dass sie für diesen Auftrag einen derartigen Aufwand betreiben mussten, obwohl er doch viel lieber etwas anderes getan hätte und zum anderen war die Stadtführung nach Maramas Vorbild nicht sonderlich interessant. Sie betrachteten keine Kunstwerke, keine besonderen Auffälligkeiten, an denen sich Reisende zweifelsohne gerne aufhielten, stattdessen waren finstere Gassen und verwinkelte Ecken ihre Hauptattraktion. Nichts, was man sich unbedingt ansehen musste, wie Daragh fand, auch nicht für einen Kampf mit einem Dämon. Nicht einmal, weil Zashi ohnehin bereits alles über den Angriff wusste, sondern auch weil selten ein Kampf derart lang dauerte, dass man sich die Umgebung, oder das Wissen darüber, zunutze machen musste. Demzufolge hielt er es auch diesmal für überflüssig, aber das ließ Marama natürlich nicht gelten.
Während sie die beiden durch eine kaum benutzte Seitenstraße führte, wanderten seine Gedanken wieder zu Raelyn. Er fragte sich, ob sie wohl mit dem Bild vorangekommen war oder ob sie schon wieder ihren Selbstzweifeln nachhing und dankte der Tatsache, dass Menschen sich nicht in Dämonen verwandeln konnten. Zumindest nicht wegen so etwas.
Während er noch in Gedanken versunken war, hörte er, wie Marama seinen Namen sagte und dabei deutlich gereizt klang. Blinzelnd kehrte er in die Realität zurück und sah zu ihr hinüber. Sie hatte die Arme in die Seiten gestemmt und blickte ihn mit zusammengezogenen Brauen an. „Woran denkst du denn gerade?“
„Soll ich ehrlich sein?“, fragte er. „Oder soll ich lügen?“
Während Zashi sich die Hand vor den Mund hielt, um unbemerkt lachen zu können, hob Marama drohend ihre Augenbrauen, worauf Daragh sofort nachgab: „Ich habe an Raelyn gedacht.“
Er war davon überzeugt, dass sie wütend oder frustriert sein würde, aber stattdessen schüttelte sie seufzend mit dem Kopf. „Du bist gerade ziemlich unnütz. Zashi und ich erledigen das allein, verschwinde endlich.“
Es störte ihn nicht weiter, so bezeichnet zu werden, aber bevor er wirklich verschwand, blickte er zu seinem Partner hinüber, der ihm lächelnd zunickte. Nachdem er das sichergestellt hatte, verabschiedete er sich knapp von den beiden und lief dann eilig davon.
Natürlich bekam er da nicht mehr mit, dass Marama sich mit einem frustrierten Laut an die Stirn griff. „Wie hältst du das mit ihm nur aus?“
„Normalerweise ist er nicht so“, sagte Zashi. „Er ist einfach nur verliebt.“
„Er kennt diese Frau doch erst seit vorgestern.“
„In gewisser Weise stimmt das – aber er hat das Buch, das sie geschrieben hat, so oft gelesen ... er kennt ihre Seele vermutlich besser als so manch andere Sache.“
Marama wandte ihm den Blick zu. Es war eindeutig, dass sie nicht im Mindesten verstand, was er damit ausdrücken wollte, also erklärte er es ihr: „Daragh wird nicht nur als Federmagier bezeichnet, weil er – früher jedenfalls – mit seiner Feder alles tun konnte, was er wollte. Es ist ihm auch möglich, anhand eines Textes auf die Person rückzuschließen, die ihn geschrieben hat.“
„Davon habe ich noch nie gehört“, merkte sie an. „Ist das wirklich eine Lazarus-Fähigkeit?“
„Ich schätze nicht.“
Während Daragh davon überzeugt war, glaubte Zashi, dass es eher daran lag, dass er einfach von Natur aus ein Gespür für Literatur und deren Autoren besaß. Aber das musste er ja nicht alles haarklein vor Marama ausbreiten.
„Lass uns lieber weitermachen“, sagte sie schließlich und wandte sich von ihm ab. „Irgendwann wirst du mir dafür noch dankbar sein.“
Zashis Lächeln erlosch für einen kurzen Moment, doch dann rief er es sich wieder ins Gedächtnis und folgte ihr direkt, um diese Sache endlich hinter sich zu bringen.
Daragh kam derweil an der Buchhandlung an, wagte aber nicht, hineinzugehen. Stattdessen stand er ein wenig abseits vom Schaufenster, in der Hoffnung, dass er von drinnen nicht gesehen werden konnte, während er selbst reinsehen konnte.
An diesem Tag war der Raum hell erleuchtet, so dass er eher wie eine Buchhandlung anmutete, aber Daraghs Interesse galt aktuell nicht den angebotenen Waren, sondern den beiden Personen, die gerade anwesend waren. Die eine war Raelyn, die sich amüsiert lachend mit einem Mann unterhielt, den Daragh nicht im Mindesten kannte – und den er auch gar nicht kennen lernen wollte.
Er kam allerdings nicht umhin, sich zu fragen, worüber sie eigentlich sprachen, wenn sich Raelyn dabei so gut unterhalten fühlte. Da er sie kaum kannte, wusste er, dass es ihn nicht stören dürfte, aber aus irgendeinem Grund tat es das doch – und das war absolut nicht gut.
Also lehnte er sich gegen die Wand, schloss die Augen und versuchte, sich auf etwas anderes zu konzentrieren, etwas Wohltuendes. Er erinnerte sich an das Gefühl, wenn er schrieb, wenn Worte über sein Handgelenk durch die Feder auf das Blatt flossen und dabei Welten freisetzten, die sich sonst nur tief in seinem Inneren befanden, für niemanden sichtbar. Ihn durchströmte das Gefühl, wenn er Dinge berührte, die sich sonst außerhalb seiner Reichweite befanden, und er diese an die Oberfläche brachte, um sie dort auf ewig festzuhalten und immer wieder betrachten zu können.
Es war angenehm, beruhigend und es half ihm, diese irritierende Empfindung wieder zu vergessen.
Seit, dank Kieran, in der ganzen Gilde bekannt war, dass verzweifelte Lazari zu Dämonen wurden und für manche sogar einfach ein emotionaler Schub ausreichte, waren sie alle angehalten, eine Methode zu finden, die sie bei Bedarf wieder beruhigte.
Für Daragh war es ganz einfach gewesen, denn nichts war für ihn so besänftigend wie das Gefühl, wenn er schrieb, auch wenn er das inzwischen schon lange nicht mehr wirklich getan hatte.
Als er hörte, wie sich die Tür neben ihm öffnete, schlug er die Augen auf und beobachtete, wie der Fremde an ihm vorbeiging, ohne ihn zu beachten. Daragh sah ihm hinterher, bis er aus seinem Blickfeld verschwunden war, aber diesmal verspürte er nur ein angenehmes, sanftes Empfinden in seinem Inneren, gleich einem See, dessen Wasseroberfläche vollkommen glatt war.
Wenn er so darüber nachdachte, musste die Gilde Kieran wirklich für vieles dankbar sein, immerhin gab es seit dieser Enthüllung wesentlich weniger Dämonenwandlungen als früher.
Nachdem der Mann fort war, überlegte er, ob er einfach ins Gasthaus zurückkehren sollte, aber seine Neugier und der Wunsch, Raelyn doch wiederzusehen, gab ihm den notwendigen Elan, die Buchhandlung doch zu betreten.
Raelyn hatte sich gerade in ein Dokument vertieft, das auf dem Tresen lag und hob auch nicht den Blick, als Daragh eintrat, da sie offenbar annahm, er sei jemand anderes: „Hast du was vergessen?“
„Nicht, dass ich wüsste“, erwiderte Daragh.
Kaum hörte sie seine Stimme, hob sie nun doch den Kopf, um ihn anzulächeln. „Tut mir leid, ich dachte, du wärst jemand anderes.“
„Derjenige, der gerade hier war?“, hakte er nach. „Wer war das?“
Ihr Lächeln erlosch, als sie ihre Brauen zusammenzog. „Nur ein Freund, den ich schon sehr lange kenne.“
Er biss sich fast schon auf die Zunge, um nicht die Frage hinterherzuschieben, worüber sie so sehr gelacht hatten, sie dankte ihm das, indem sie wieder lächelte. „Was führt dich heute hierher?“
„Nichts weiter. Ich dachte nur, ich schaue mal vorbei, solange ich hier bin und sehe mir an, wie du mit dem Bild vorankommst.“
„Oh~. Damit bin ich vorhin fertig geworden. Nachdem ich euch in der Stadt getroffen habe, ging es mir richtig schnell von der Hand.“ Sie lächelte ein wenig bedauernd. „Allerdings kann ich es dir nicht zeigen, weil die Auftraggeber es schon abgeholt haben.“
Er winkte rasch ab. „Das ist schon in Ordnung.“
Sie bedeutete ihm näherzukommen und erst in diesem Moment fiel ihm auf, dass er noch immer neben der Tür stand. Also ging er rasch zum Tresen hinüber, um sich über diesen zu beugen, wie sie ihm dann signalisierte, indem sie sich ebenfalls darüber beugte.
So nah bei ihr zu sein war ungewohnt. Aber er konnte nicht sagen, dass es schlecht war. Unbekannt war ihm das Gefühl dennoch, deswegen versuchte er, sich nicht zu sehr darauf zu konzentrieren.
„Was gibt es?“
Diese Nähe verriet ihm, dass sie etwas mit ihm besprechen wollte und ihn interessierte nur noch, worum es sich dabei handelte. Sie sah ihn allerdings erst einmal ernst an, als würde sie allein durch das Starren ihre Antwort herausfinden wollen.
Das funktionierte allerdings wohl nicht zu ihrer Zufriedenheit, also stellte sie die Frage laut: „Deine Kollegen gestern waren ein wenig seltsam für Psychologen, oder?“
„Wie viele Psychologen kennst du denn, um das zu beurteilen?“
Seine Gegenfrage bewirkte ein erneutes Stirnrunzeln bei ihr, aber sie ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „In Gladshem gibt es genug davon, glaub mir.“
Er wusste nicht, ob er das glauben sollte, immerhin bestand die Wahrscheinlichkeit, dass sie nur bluffte, weil sie unbedingt die Wahrheit erfahren wollte. Dass seine Lüge immerhin nicht sonderlich gut gewesen war, wusste er selbst.
„Gut, dann lass mich ehrlich sein“, sagte er und sah ihr dabei in die Augen, die voller Neugier waren. „Wir sind wirklich keine Psychologen.“
Sie stellte sich aufrecht hin und klatschte leicht in die Hände. „Ich wusste es doch. Aber warum hast du gelogen? Und was macht ihr dann?“
Wie er das beantworten sollte, wusste er nicht so recht. Lügen fiel ihm nicht leicht, aber die ganze Wahrheit zu sagen, war auch nicht die beste Wahl, vor allem da er immer noch nicht wusste, wie sie darauf wohl reagieren würde. Also blieben ihm wohl nur Ausflüchte.
„Na ja, das was wir machen, ist eine geheime Sache. Wir können das nicht jedem verraten.“
Das nahm sie als Ausrede hin, aber sie überlegte dennoch weiter, runzelte die Stirn und legte sich sogar einen Finger an die Lippen. „Es ist geheim, aber ihr braucht dafür psychologische Kenntnisse ... das muss also etwas sehr Wichtiges sein.“
„Extrem wichtig“, ergänzte er, obwohl er wusste, dass er ihre Neugier damit nur unnötig antrieb.
Tatsächlich blickte sie ihn erneut mit zusammengezogenen Brauen an, als erhoffte sie, dass die Antwort direkt auf seiner Stirn stand. Aber er erwiderte ihren Blick gefasst, in der sicheren Erwartung, dass sie es ohnehin nicht herausfinden könnte.
Schließlich gab sie aber seufzend auf. „Hast du vielleicht eine Taschenuhr?“
Verwirrt deutete er ein Kopfschütteln an. „Nein. Willst du denn wissen, wie spät es ist?“
Sie wirkte tatsächlich enttäuscht über diese Antwort. „Uh-uh, ich hatte gerade nur einen Einfall, was du und deine Kollegen wohl machen könntet, aber das geht nicht ohne Taschenuhren.“
Er fragte sich, was das wohl bedeuten mochte und welcher Tätigkeit man nur mit einer solchen Uhr nachgehen könnte, aber er hielt es für besser, das nicht laut auszusprechen.
„Also ich habe jedenfalls keine“, sagte er stattdessen. „Für die anderen kann ich aber nicht sprechen.“
Allerdings konnte er sich nicht vorstellen, dass Zashi oder Marama eine Taschenuhr besaßen. Wenn überhaupt, dann verbarg der Arzt der Gilde vielleicht eine in der Tasche seiner Weste ... ja, dem würde er das durchaus zutrauen. Er müsste ihn bei Gelegenheit danach fragen, vielleicht wüsste er dann ja auch eine Tätigkeit, die man nur mit einer solchen ausüben konnte.
„Dann bin ich ratlos“, sagte Raelyn, es klang als würde sie tatsächlich aufgeben. „Aber wenn du es nicht verraten willst, ist das schon in Ordnung.“
Daragh blickte sie zweifelnd an, aber sie erwiderte das mit einem Lächeln und wechselte fröhlich das Thema: „Morgen findet das Fest statt, das die ganze Zeit vorbereitet wird. Du wirst doch auch da sein, oder?“
„Ja, ganz sicher sogar. Eigentlich bin ich nur deswegen hier.“
Seit ihrer Ankunft war kein Dämon gesichtet worden, sie hatten keine Spur von einem solchen finden können, deswegen ging Daragh inzwischen davon aus, dass der Dämon, wegen dem sie hier waren, nur auf dem Fest angreifen würde, so wie Zashi es vorhersagte.
Raelyn lächelte vergnügt. „Dann musst du unbedingt an meinem Stand vorbeikommen. Ich werde wahrscheinlich ohnehin nur dasitzen und schreiben.“
Er horchte sofort auf. „Hast du die Blockade überwunden?“
„Vielleicht.“ Sie zwinkerte ihm zu. „Ich hatte jedenfalls gerade eine Idee, die mir vielleicht beim Schreiben helfen wird. Deine Besuche sind wohl sehr heilsam.“
„Das freut mich sehr.“
Wenn er es schaffte, sie dazu anzuspornen, wieder zu schreiben, gab ihm das neben seiner Tätigkeit als Lazarus einen Grund für seine Existenz.
Zashi würde mich schlagen, wenn ich so etwas vor ihm ausspreche.
Also sollte er das wirklich für sich behalten, wenn er noch eine Weile unverletzt leben wollte. Jemandem auszuweichen, der in die Zukunft sehen konnte, war ohnehin vergeblich.
Die Tür öffnete sich mit einem leisen Klingeln, was bei Raelyn zu einem Stirnrunzeln führte, das allerdings nur für den Bruchteil einer Sekunde anhielt, ehe sie die hereingekommene Person mit einem professionellen Lächeln willkommen hieß.
Daragh verstand das Signal sofort und richtete sich nun selbst wieder auf, um nicht mehr auf dem Tresen zu lehnen. „Ich gehe dann besser mal. Wir sehen uns morgen.“
„Ja, bis morgen, Daragh“, sagte sie mit einem ehrlichen Lächeln in seine Richtung. „Ich freue mich schon darauf, dir zeigen zu können, was ich bis dahin geschrieben habe.“