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Dead Society

Die Hoffnung stirbt zuerst
von

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Living corpse

Herzlich willkommen zu meiner neuen FF *verbeug*

Danke, dass ihr euch hierher verirrt habt. Ich mag keine lange Rede halten, es solle nur gesagt sein, dass dies mal eine FF der anderen Art sein soll. Nebst all den gegebenen Warnungen noch einmal eine Erinnerung: Es handelt sich um AU! Ich missbrauche die Charaktere nicht nur für meine FF, ich entehre sie auch noch, indem ich ihnen ein neues Gesicht verpasse. Demnach sind sie natürlich auch ein wenig OOC, denn in einer anderen Rolle agieren sie natürlich auch anders. Desweiteren möchte ich darauf hinweisen, dass die FF nicht nur meiner kranken Phantasie entspringt, sondern auch noch von System of a down, den toten Hosen, den Ärzten und anderen Bands beeinflusst wird. Und noch etwas zur Erinnerung: Ich empfehle diese FF für Leute ab 16! (geistigem Alter)

Um Kommentare wird gebeten ^.^ Viel Spaß wünscht: Gepo
 

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Die Schulglocke verkündete den Beginn des Unterrichts. Die Türen zu den Klassenzimmern wurden verschlossen, die Lehrer zogen sogar die Rollläden zu den Fluren herunter. Es war brütend heiß und die Luft stand in den Räumen, obwohl die Fenster weit geöffnet waren.

Die Schüler wurden sofort still, als die Tür geschlossen worden war, die meisten Blicke richteten sich auf den Stapel Papier in der Hand der Lehrerin. Die Mädchen griffen sich bei den Händen, die Jungen lehnten sich zurück und sahen aus dem Fenster, bemerkten dabei nicht, wie sie mit den Fingern auf ihre Tische klopften oder mit dem Fuß hin und her wippten. Sobald die Lehrerin den Tisch erreicht hatte, ertönte lautes Knirschen, die Stühle wurden verrückt, die Schüler stellten sich auf.

„Guten Morgen, Frau Kuskabe!“, erschall es.

„Morgen…“, erwiderte die Frau mit einem Seufzen, wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und ließ ihren Blick durch die Runde schweifen.

Alle Schüler standen artig, hatten die Blusen und Hemden wegen der Hitze weit geöffnet und kauten auf der Lippe, kratzten sich oder hüpften von einem Fuß auf den anderen. Nur einer setzte sich aus der Masse ab. Ein junger Mann stand nicht, er saß am Fenster und blickte hinaus. Völlig desinteressiert.

Frau Kuskabe seufzte. Wo sollte es nur mit ihm hingehen? Er würde noch einmal in der Gosse enden. Nicht nur waren ihm seine Noten egal, er kam normalerweise noch nicht einmal in die Schule. Es war schon ein Wunder, dass er heute überhaupt erschien. Und wenn sie es genau bedachte, lebte er auch jetzt schon in der Gosse. Er war einfach nur ein hoffnungsloser Fall.

„Guten Morgen, Katsuya.“

Er richtete seinen Blick auf sie, rümpfte die Nase und warf dabei den Kopf in den Nacken. Seine Augen suchten wieder einen Punkt außerhalb des Klassenraumes.

„Wenn du schon zur Zeugnisausgabe erscheinst, wie wäre es, wenn du dich auch am sozialem Leben der Schule beteiligst?“

Sein Blick wanderte zu ihr, er musterte sie und zog eine Augenbraue nach oben. Mit einem spöttischen Lächeln auf den Lippen wandte er sich wieder dem Fenster zu.

Die Dame seufzte noch einmal und griff nach den Zetteln, die sie neben sich auf den Tisch gelegt hatte. Ein Schüler nach dem anderen wurde nach vorne gerufen. Als sie bei J angekommen war, stand auch der junge Mann vom seinem Stuhl auf.

Beim Erheben rasselten die Ketten, die an seinem Gürtel hangen. Wäre sie nicht zu klein gewesen, hätte man sicher auf die gehört, die sich von dem obersten Ohrring seines rechten Ohrs zum unteren zog. Auf dieser Seite prangten vier metallene Gegenstände an seinem Ohr, auf der anderen drei. Darüber fielen die blonden Haare, die in einem völligen Kontrast zu seiner Kleidung standen. Unter der schwarzen Lederjacke trug er ein Shirt mit einem Totenkopfaufdruck, darüber stand der Name irgendeiner Band. Und unter der an manchen Stellen zerrissenen, ebenfalls dunklen Hose ragten eng geschnürte Springerstiefel. Ein Lederreif mit Nieten lag sich um seinen Hals, darüber, auf der linken Seite, war ein Tattoo eingebrannt. Beim Gehen lehnte er sich nach vorne, schlürfte so fast zum Pult.

„Ich hoffe, dein neuer Lehrer wird besser mit dir klarkommen.“, meinte Frau Kuskabe mitleidig, während sie ihm sein Zeugnis unter die Nase hielt, „Und was diesen Wisch angeht, so hätten deine Noten nicht der Mühe bedurft, ausgedruckt zu werden.“

Braune Augen mit einem eiskalten Blick funkelten sie an, ohne dass sich Katsuya die Mühe macht, seinen Kopf zu heben. „Wie war das?“, knurrte er sie an.

„Sie haben mich schon verstanden. Und ich muss zugeben, ich bin froh, sie nie mehr wieder auf meiner Schülerliste zu haben. Obwohl ich schätze, sie sowieso nie wieder zu sehen, so oft, wie sie zur Schule kommen.“

Der junge Mann senkte seinen Kopf noch tiefer, wandte seinen Blick allerdings nicht ab. Seine Lippen verzogen sich zu einem grausamen Lächeln. „Wissen sie, auf Mord im Affekt stehen für mich nur fünf Jahre Knast.“, er wurde leiser, „Ich glaube, das könnten sie wert sein.“

Sie schluckte, hielt kurz den Atem an und wich einen kleinen Schritt zurück. „Nun…“, sie atmete tief durch, „Ich hoffe, sie werden sich fangen. Bedenken sie, dass sie ohne einen guten Schulabschluss sicherlich keine Arbeit finden werden. Ich wünsche ihnen viel Glück für das neue Schuljahr.“

Er zog beide Augenbrauen nach oben, lehnte sich zurück und hob das Kinn, so als würde er auf sie herabblicken. „Fällt ihnen sonst noch irgendein Schwachsinn ein?“

Die zierliche Frau zog den Kopf etwas nach unten und einen Arm schützend vor die Brust. Zwischen ihren Augenbrauen bildeten sich kleine Fältchen. „Sie können sich setzen.“

„Tz!“, er riss ihr das Zeugnis aus der Hand, drehte sich um und ging zurück zu seinem Platz.

Die Lehrerin atmete aus, entspannte ihre verkrampften Muskeln und fuhr fort, die Schüler aufzurufen. Dieser junge Mann war wirklich ein Problemfall! Dass er sitzen blieb, war wirklich das Beste, das ihr passieren konnte. Sie hätte ihn nicht weiter ausgehalten. Nicht nur war er völlig respektlos, er war sogar arrogant! Und vor allem machte er ihr Angst. Sie konnte nur hoffen, der Lehrer der Klasse, in die er wechseln würde, käme besser mit ihm klar. Sie wünschte dem Kollegen auf jeden Fall Glück, egal, wer es werden würde. Die Hiobsbotschaft würde schließlich erst in den Ferien mitgeteilt werden. Aber sie bemitleidete ihn jetzt schon.

Das neue Schuljahr

Das Beste an FFs ist das Hochladen, finde ich. Man hat dieses wunderbare Animexx-Fenster vor sich und soll sich irgendeinen Kommentar aus den Fingern saugen. Ich muss sagen, dass gefällt mir. Genauso gut wie das Lesen von Kommentaren. Ich danke also schonmal im Voraus (und Nachhinein ^.-) allen Kommentarschreibern.

Dieses Kapitel soll ein wenig aus Katsuyas Leben berichten. Ich finde, er ist wie Seto eine sehr tragische Figur. Ich habe immer überlegt, was aus ihm geworden wäre, wenn er Hiroto und Yugi nicht getroffen hätte. Das Ergebnis ist das hier.
 

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Wolken verdeckten den Mond in dieser stürmischen Nacht. Die Uhr auf dem Neonschild des Kaufhauses zeigte 23:47 und der Zeile darunter 08-09. Eine Gruppe von schwarz Gekleideten saß an der Ecke zu einer Seitenstraße, die sich schnell in einen Haufen von Mülltonnen und –tüten verwandelte.

„Hey, Katsuya.“, rief einer von der Häuserwand, an der er lehnte, zur gegenüberliegenden.

Angesprochener saß an eben dieser und führte sich gerade eine Flasche an die Lippen. „Hm?“

„Was machs’e heut’ noch?“

Er setzte sie ab, nachdem er einen Schluck genommen hatte und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen. Hinter diesem konnte man durch das Licht der Stadt ein Grinsen erkennen. „Was glaubst’e denn? Ich geh heim und dann brav ins Bettchen.“

Die anderen lachten und setzten sich zu ihm. Dankend nahmen sie die angebotene Flasche an.

„Ne, jetzt ma’ ehrlich.“

„Das war glatt ernst gemeint. Ich krieg morgen ’nen neuen Lehrer, den muss ich doch erstma’ von der Schule graulen.“, er fuhr mit der Hand an die Brust, „Und die Tugend eines guten Schülers ist Pünktlichkeit.“

Alle Vier lachten und die Flasche landete wieder bei dem Blonden.

Er wollte noch einen Schluck nehmen, doch sie war bereits leer. „Hey, ihr Spacken, habt ihr meinen ganzen Alk’ ausgesoffen?“

„Ruhig Blut, is’ doch nur ’ne Flasche.“

„Tz! Hier geht’s ums Prinzip.“, er hielt die Flasche hoch, „Wer’s gesüffelt hat, der muss Neues holen.“

„Wo geh’n wa hin?“, fragte ein anderer.

„Shinshitsu, der is’ am leichtesten.“, der Erste lachte, „Der Alte würde nich’ ma’ merken, wenn wa sein Hirn klau’n.“

Alle lachten wieder und standen auf.

„Dann geh’ ich, Leute. Muss ja morgen früh auf sein.“, meldete sich Katsuya.

„Jo, viel Spa’z mit dem Typen.“

Sie verabschiedeten sich mit einem Händedruck und einem leichten Schlag auf die Wange.

„Ach, wart’ ma’, könn’ wa die Stange ham’?“

„Mein Eisenrohr?“, der Blonde sah zu der Waffe in seiner Hand, „Klar.“

Er gab sie seinem Gegenüber, winkte noch einmal kurz und verschwand in Richtung der Hinterhöfe. Der Weg war lang und er musste sich langsam mal beeilen.
 

Schule… er könnte kotzen, wenn er nur daran dachte.

Und er würde mit diesem Scheißlehrer auskommen müssen. Wenn er das Schuljahr nicht packte, würden sie ihn endgültig von der Schule werfen. Und so ungern er es zugab, das konnte er sich nicht leisten. Er hatte echt keinen Bock, wie Yami zu enden. Der war zwar sein bester Freund, aber das bedeutete noch lange nicht, dass er gut fand, was er tat. Katsuya hatte nicht vor, auf den Strich zu gehen. Da ertrug er lieber diese beschissene Anstalt, zu der man ihn gezwungen hatte. Wo lag schon der Unterschied zwischen der Schule und einem Gefängnis? Er musste verschwindend gering sein. Wenigstens waren ihm die Lehrer lieber als die Wärter im Knast. Nachdem er einen Monat wegen Diebstahl da gewesen war, war die Schule echt wie eine Wallfahrt gewesen. Lehrer waren einfach leichter zu handhaben. Die konnte man manipulieren und kontrollieren. Sie kuschten vor ihm. Meist gaben sie ihm auch die Noten, die er brauchte. Alles, was er tun musste, war, sie alle paar Wochen daran zu erinnern, wie gefährlich er war. Mit einem blutigen Eisenrohr in der Schule aufzutauchen war da noch die einfachste Methode. Eigentlich war es ein Wunder, dass er noch nicht geflogen war.

Aber jetzt? Er brauchte verdammt noch mal ein paar bessere Noten, sonst flog er wirklich. Erstmal gucken, wie der neue Lehrer so drauf war, danach könnte er ja mal einen Plan machen. Wie kam es bloß, dass gerade er – Katsuya Jonouchi – sich jetzt mit Schule befassen musste? Es war wirklich zum Kotzen. Wirklich. Und ihm wurde auch wirklich schlecht, wenn er an die verdammte Speichelleckerei denken musste, die ihm bevor stehen würde. Diesen Scheißtypen irgendwelche Meldungen in den Arsch zu schieben und Klausuren zu schreiben war einfach nur eine Schande für ihn. Und Hausaufgaben erst! Wenn das einer von ihm verlangte, griff er lieber wieder zum Eisenrohr. So lief das ja nicht. Keiner, wirklich keiner dieser Idioten, sollte sich für etwas Besseres als er halten! Wenn sie es schon zu nichts mehr gebracht hatten, als solch einen Scheißjob zu machen, sollten sie gefälligst auch nichts erwarten. Und wenn irgendwer ihm wieder ein D oder schlimmer reinwürgen würde… nun, der Mathelehrer hatte ja schon mal einen Vorgeschmack bekommen. Und kein Arsch wusste, dass er es getan hatte. Aber was interessierte ihn das? Eigentlich hätte er ja eh erwartet, bereits dieses Jahr zu fliegen. Wozu zur Hölle brauchte man die Oberschule? Er war neunzehn und hatte noch drei Klassen vor sich. Wozu den Scheiß? Aber das war doch eh egal. Er konnte nichts dran ändern. Er konnte an dem ganzen Scheiß, durch den er stiefelte, auch nichts ändern. Seinen Vater konnte man auch nicht ändern.

Bei dem Gedanken wurde ihm wieder übel. Der Arsch war ja auch noch da. Saß wahrscheinlich wieder vor der Glotze, noch weit besoffener, als er selbst es war. Obwohl er sich eigentlich nüchtern fühlte. So viel war es heute noch gar nicht gewesen. Den Großteil der Ferien hatte er im Delirium verbracht, irgendwo zwischen Gut und Böse, wo ihn kein Schwein rausholen konnte. Das Geld und die Drogen hatte er sich zusammengeklaut. Aber langsam sollte er wieder aufhören, in der Schule durfte er nicht mit so was erwischt werden. Das hieß, die Flasche vorhin war die letzte für die nächsten sieben Wochen gewesen. Katsuya hatte die Tage schon ausgerechnet und sich einen Kalender gebastelt. Ein bisschen was tat ja sogar er. In einem nüchternen Moment hatte er sogar daran gedacht, Mathe zu lernen, aber nach zehn Minuten hatte er wieder aufgegeben. Das Zeug war echt nix für ihn. Hoffentlich bekam er einen pflegeleichten Lehrer, sonst würde er wieder mit "Failed" enden. Er hatte schon raus gefunden, dass sein Klassenlehrer sein Japanischlehrer werden würde. Irgend so ein Neuer. Den Namen hatte er auch noch nie gehört. Der Rest war ihm noch unbekannt. Was interessierte ihn das auch? Echt, so tief war er gesunken, dass er sich schon um Schule kümmern musste. Sein Leben war echt beschissen.
 

Er drehte den Schlüssel im Schloss um und trat in die Wohnung. Wie er vermutet hatte, hang sein Vater vor dem laufenden Fernseher, schnarchend, ein Flasche Schnaps noch in der Hand.

Katsuya schaltete das Gerät aus und nahm das Gefäß aus dem Griff des Schlafenden. Mit einem Seufzer betrachtete er das Wrack eines Menschen vor ihm und ließ seinen Blick durch die Wohnung schweifen. Überall leere Flaschen, unterbrochen von Müllsäcken und ungewaschener Kleidung. An der Wand klebte eine fette Spinne, an der Fensterscheibe hangen die Mücken. Eine Fliege zog ihre Runden um seinen Vater, der immer noch schnarchend auf dem Sofa saß.

Nein, so wollte er nicht enden! Da schleppte er sich lieber in die Schule. Musste er seine Kumpels eben mal vergessen, eigentlich waren sie ihm eh scheiß egal. Sie waren da, um irgendwelche bescheuerten Witze zu reißen und ihm zu helfen, über die Runden zu kommen. Zu mehr waren sie auch nicht gut. Außer seinem besten Freund war ihm sowieso niemand wichtig. Nun, sein Nachbar vielleicht noch, dieser komische Herr Honda. Er hatte ein paar Mal mit ihm geredet, schien ganz nett, der Kerl. Er arbeitete in einem Club im Szeneviertel als Kellner und hatte ihm mal einen Teil der glitzernden und strahlenden Welt Dominos gezeigt. Von Nightlife wusste Katsuya vorher nur, dass man besoffen randalierte und vor der Polizei wegrannte. Das war mal was anderes gewesen. War richtig gut, wenn er ehrlich war. Das Leben musste echt schön sein, wenn man Geld hatte. Vielleicht war Schule ja doch nicht so schlimm. Wenigstens kam man so an einen Job. Aber zwölf Jahre seines Lebens dafür opfern, irgendwo einen halbwegs guten Job zu kriegen? Das war doch echt bescheuert. Neun Jahre mussten ja hier in Japan mindestens sein, das ging ja auch noch, aber zwölf waren echt zu viel. Und er war erst im zehnten Jahr! Wenn er vielleicht nicht abgerutscht wäre und auch nicht auf die schiefe Bahn gekommen wäre, sondern früher in die Schule gegangen wäre… wenn er nicht zweimal sitzen geblieben wäre… ob er dann ein guter Schüler hätte sein können? Wenn er an Mathe dachte, so wäre die Antwort sicher „Nein“ gewesen. Aber ansonsten war er ja gar nicht so schlimm. Wenn er mal kam, dann kapierte er ja auch ein bisschen. Ob er wohl in dem Schuljahr irgendetwas schaffen könnte? Ob er vielleicht doch zu irgendetwas imstande war? Bisher war er wertlos gewesen. Er hatte sich in all der Scheiße begraben, nur um wenigstens irgendwelche Aufmerksamkeit zu kriegen. Aber durch Schule? Nein, das war echt zu abwegig. Schule war beschissen, ohne Frage. Er würde eh nichts zustande bringen. Dafür war er eben nicht geschaffen. Er war nur ein Straßenköter, sonst nichts.

First Lesson

Bald ist das Schuljahr vorbei und die Ferien beginnen. Urlaub, Sonne oder einfach nur zuhause rumliegen - Freizeit! Zeit zum Schreiben für mich. Aber was geschieht nach den sechs Wochen?

Die Hölle bricht aus. Man zitiert uns wieder in die Schule. Ich für meinen Teil muss das im Gegensatz zu Katsuya nur noch zweimal machen. Und ich habe keinen Klassenlehrer mehr. Katsuya schon. Und ob man ihn darum beneiden sollte, müsst ihr selbst entscheiden ^.-
 

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Ein Sonnenstrahl fiel durch die fast zugezogenen Fensterläden in ein sonst dunkles Zimmer. Die Wände waren mit Postern tapeziert oder durch Möbel verdeckt, sodass man sie nicht sehen konnte. Abgebildet waren in rot oder weiß gehaltene Namen auf schwarzem Hintergrund, manchmal stachen Figuren in dunklen Klamotten aus der einheitlichen Farbe hervor. Neben einem Schreibtisch standen zwei Kisten, auf der anderen Seite lag eine Matratze auf dem Boden. Schränke gab es keine. Der einzige Schmuck des Zimmers war eine kleine Drachenstatue auf dem Schreibtisch und einige selbst gemalte Bilder, die im Zimmer verstreut lagen. Ein Packen dreckiger Wäsche stapelte sich in einer Ecke.

Piep. Piep. Piep.

Die Gestalt auf der Matratze murrte, zog das Kissen über den Kopf und schlang beide Arme darum.

Piep. Piep. Piep.

„Scheiße!“, fluchte der Mensch, schmiss das Kissen gegen eine Wand und setzte sich auf. Er rieb sich die Augen und bemerkte dabei, dass es die Uhr um sein Handgelenk war, die piepste. Seufzend stellte er sie aus und sah sich im Zimmer um. Nachdem er sich gestreckt hatte, stand er auf und zog zuerst einmal die Jalousie herunter. Wie er Sonne hasste! Und das auch noch an einem so beschissen Tag! Was war da noch mal? Ach ja, er musste zur Schule. Grund genug, auf dem Weg von einer Brücke zu springen.

Grummelnd machte er sich auf den Weg ins Bad, putzte Zähne und duschte. Wenigstens roch er nicht wie ein Köter und hatte auch keine Flöhe. Was eigentlich ein Wunder bei ihm war…

Er öffnete die Tür des Kühlschrankes, sah hinein und schloss sie wieder. Hatten sie nicht mal was zu essen? Er brauchte dringend Geld, sonst würde er nicht lang überleben. Mit einem Blick ins Wohnzimmer, der ihm verriet, dass sein Vater noch nicht wach geworden war, schnappte er sich seinen Schlüsselbund und schlug die Haustür hinter sich zu.

Beschissen! Sein Leben war einfach nur beschissen!
 

…doch wenn es schon schlimm war, konnte es nur noch schlimmer werden.

Katsuya war glatt ohne Umweg zur Schule gegangen, ohne sein Messer, ohne sein Eisenrohr, aber auch ohne Schulsachen. Er hatte ja nicht mal Geld, sich einen Block zu kaufen! Er hatte nicht mal Geld für was zu essen! Er besaß grad mal ein paar Stifte.

Und jetzt saß er in einem Klassenraum, wie immer am Fenster, wie immer allein. Um ihn herum schwatzende Mädchen und albernde Jungen, die ihm andauernd angstvolle Blicke zuwarfen. Was zur Hölle hatte er ihnen denn getan? War er halt Punk! Musste die doch nicht interessieren! Kein Grund, so über ihn abzulästern. Und sie taten es trotzdem. Er würde gleich einem die Fresse einschlagen, wenn das so weiter ging! Um es einfach zu sagen, es war wie immer. Sein Leben war auch wie immer. Alles beschissen!

Und wenn dieser Lehrer nicht sofort auftauchen würde, dann würde echt noch ein Unglück passieren. Wo blieb dieses Schwein? Er war pünktlich und jetzt verspätete sich der Lehrer! Echt, verkehrte Welt. Hatten diese Idioten nicht eine Vorbildfunktion? Sollten sie ihren Arsch mal etwas schneller schwingen! Was waren das denn für Typen, die-

Katsuya stockte in seinen Gedanken. Der Neue hatte soeben die Klasse betreten. Er war hoch gewachsen, sicherlich über eins-neunzig groß und sehr elegant gekleidet. Der hellblaue Anzug stand ihm wirklich gut. Sein Haar war braun und seine Augen blau, die Lippen strahlten in einem rose-rot. Und er sah gut aus, wahnsinnig gut. Er konnte noch nicht einmal dreißig sein.

Einer von den Jungen also… Katsuya lächelte böse. Die waren am einfachsten zu manipulieren. Nichts leichter als das. Und diesen Typen würde er gleich in zwei Fächern haben! Besser konnte es nicht kommen. Aber man sollte sich auch vor stumpfen Zähnen in Acht nehmen. Vielleicht war da Typ ja doch anders. Zumindest wurde sein Blick eiskalt, als er Katsuya sah. Böses Omen.
 

„Guten Morgen.“, der Lehrer ließ den Blick über die Stehenden schweifen. Selbst Katsuya war diesmal aufgestanden.

„Guten Morgen.“ , begrüßte die Klasse. Manche lehnten etwas zur Seite, um freien Blick auf den Lehrer zu haben. Andere standen nur stumm an ihrem Tisch oder sahen desinteressiert an die Decke, auf den Boden oder aus dem Fenster.

Katsuya hingegen sah ohne sich zu regen auf den Punkt, an dem er den Lehrer vermutete. Was war denn das gewesen? Der Typ kannte ihn nicht einmal und speiste ihn mit nur einem Blick ab! Er hatte nicht einmal mit der Wimper gezuckt! Nein, er hatte ihm kurz in die Augen gesehen, ein grausames Lächeln aufgesetzt und sich weggedreht. Wie unverschämt konnte man eigentlich sein! Glaubte der etwa, mit so einem Schwachsinn durchzukommen? Oh, er würde ihn noch kennen lernen… und zwar mehr, als ihm lieb war. Er ballte die Hände zu Fäusten. Im selben Moment kam der Lehrer auch wieder in sein Blickfeld.

„Mein Name ist Kaiba. Ich bin euer neuer Klassenlehrer, die Lehrperson für Japanisch und Religion und weiterhin der neue stellvertretende Schulleiter.“, stellte der Brünette sich vor, „Ich bin der Überzeugung, dass wir gut miteinander auskommen, wenn ihr euch benehmt und euch an die Regeln haltet.“

Katsuyas Augenlider zuckten gefährlich hoch und runter. Was bildete der Kerl sich eigentlich ein? Was sollte diese beschissene Mentalität, dass alles, was nicht Liebkind war, gleich verabscheut werden musste? Das war ja wohl eine Kampfansage! Und vor allen Dingen eine Provokation! Dieses verdammte Miststück eines hirnverbrannten Idioten! Er atmete tief aus. Er musste Ruhe bewahren. Er würde sich von diesem Typen nicht dazu bringen lassen, irgendetwas Dummes zu tun. Als stellvertretender Rektor konnte dieser Neue ihn schließlich rausschmeißen. Er musste erstmal vorsichtig sein. Aber sollte er sich das wirklich gefallen lassen?

„Für alle Individuen in diesem Raum, die damit nicht klarkommen: Ich empfehle euch, euch zu fügen oder ich werde höchstpersönlich dafür sorgen, dass ihr spurt.“

Beinahe hätte Katsuya geknurrt. Dieses Schwein! Wie widerwärtig konnte man sein? Das war keine Kampfansage mehr, das war eine Kriegserklärung! Das konnte er nicht tolerieren! Er fixierte den Lehrer mit einem hasserfüllten Blick. „Und wenn wir mit ihnen nicht klarkommen, sollen wir dann auch dafür sorgen, dass sie spuren?“

Ein Paar blauer Augen richtete sich auf ihn, kalt, arrogant, herablassend. Das Lächeln von vorhin schlich sich wieder auf seine Lippen. „Das können sie gerne versuchen.“, meinte der Ältere amüsiert, wobei seine Stimmlage im krassen Gegensatz zu seinem Blick stand, „Am besten wir diskutieren das heute nach der Schule, da führe ich Aufsicht über die Leute, die nachsitzen müssen.“

„Ich glaube nicht, dass ich da Zeit habe.“, konterte Katsuya trocken, während der Funke in seinen Augen zu lodern begann.

Sein Gegenüber zog die Augenbrauen hoch, legte den Kopf schief und lächelte noch grausamer. „Ich glaube nicht, dass das in ihrer Entscheidungsgewalt steht.“

„Wenn es so wichtig ist, dann sollten wir das vielleicht sofort klären. Ich möchte ja schließlich nicht, dass sie aus einem Missverständnis heraus eine schlechte Meinung von mir haben.“, erwiderte der Blonde höflich, während sich seine Lider noch weiter verengten und seine Lippen sich zu einem ähnlich gemeinen Grinsen verzogen.

„Ich freue mich, einen so aufgeschlossenen Schüler zu haben. Unsere Diskussionen werden sicher eine Bereicherung sein. Ich sehe sie ja dann heute Nachmittag.“, der Lehrer wurde lauter und erstickte so Katsuyas Kommentar, „Um dies als eine gute Einführung zu nutzen, werde ich nun mit dem Unterricht beginnen. Unser erstes Thema werden die verschiedenen Formen der kontroversen Kommunikation sein. Im Rahmen dieses Themas werden sie mit Diskussionen, Debatten, Disputationen und anderen Möglichkeiten zur Auseinandersetzung bekannt gemacht. Ich bitte sie zunächst einmal das Buch auf Seite achtundneunzig aufzuschlagen und kurz diese Zettel zu verteilen.“, er reichte einem Schüler in der ersten Reihe die Stundenpläne und begann daraufhin mit dem Unterricht.

Lehrertum

Das bisher längste Kapitel... immer noch unter der durchschnittlichen Wortanzahl bei meinen Fanfickapiteln. Eigentlich ist es eine eher schwierige Szene, aber sie ging mir sehr leicht von der Hand. Vielleicht krieg ich ja ein, zwei mehr Kommis als beim letzten Kapitel ó.ò Büttö! Ich freue mich wirklich über jeden!

Aber zurück zum Text. Ich muss sagen, so sehr ich Katsuya mag, Kaiba verstehe ich immer noch besser. Ich finde seine Denkweise immer noch am logischsten - sie ist so wunderbar verschachtelt ^.^ Und falls jemand glaubt, dass wäre die volle Wahrheit, dann war Kaiba wirklich überzeugend - aber ehrlich ist er hier nicht. Trotzdem würde ich mich freuen, wenn irgendwer über seine Worte nachdenkt. So viel als Vorwort ^.-

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Katsuya warf einen Blick auf seinen Stundenplan. War eigentlich gar nicht so schlecht. Er hatte nie länger als dem späten Nachmittag Schule. Aber da war etwas, das ihn störte. Die Fächer, die da für Dienstag standen. Zwei Stunden frei – besser konnte es kaum sein. Dann Japanisch, Doppelstunde Mathe und schließlich Religion. Der Rest ging eigentlich noch, Hauswirtschaft, Mittagspause und noch ein paar unwichtige Fächer. Aber wie bitte sollte er die ersten vier Stunden aushalten? Zwei Stunden seines absoluten Hassfaches und zwei Stunden bei diesem... diesem... es gab wirklich kein Wort, um diese Kreatur zu beschreiben.

Er blickte zur Uhr. Am Ende dieser Stunde sollte er eigentlich frei haben. Aber nein, dieser Unbeschreibliche musste ihn ja vorladen. Nein, er bereute es nicht, sich gegen ihn aufgelehnt zu haben. Aber er bereute es, je einen Fuß in diese Schule gesetzt zu haben. Warum er nicht schon längst gegangen war, wusste er auch nicht wirklich. Aber er gab sich mit der Ausrede zufrieden, dass er seine neuen Feinde kennen lernen musste. Und er konnte einfach nicht gehen. Er konnte nicht einfach nicht kommen. Es wäre Flucht. Und diesem Kaiba wollte er die Stirn bieten.

Noch fünfzehn Minuten. Warum ließ er sich von diesem Typ eigentlich so provozieren? Seine Stärke lag in der Ruhe, dieser kalten, gefährlichen, tödlichen Ruhe. Aber dieser... Mensch regte ihn einfach nur auf. Allein dieser Blick! Dieser total hochnäsige, arrogante Blick! Diese verdammt tiefen, blauen Augen, die sich durch ihn gebohrt hatten. Für was musste der Typ sich eigentlich halten? Einen Gott? Eins war klar, Katsuya konnte ihn nicht ausstehen. Er konnte eigentlich sowieso niemanden außer seinen Freunden ausstehen. Er konnte diese ganze Welt nicht ausstehen. Aber interessierte das irgendwen? Nein! Sein bester Freund hatte ja noch weit größere Probleme mit seinem Leben – und das konnte er glatt verstehen. Wenn er so leben müsste, hätte er sich schon längst umgebracht. Aber gerade das tat Yami ja eigentlich. Seine Seele war tot. Er ließ sich erniedrigen, um zu spüren, dass er überhaupt noch am Leben war. Und er fand Gefallen daran. Würde er auch so enden? Ein Schauer durchfuhr ihn bei dem Gedanken daran. Etwas Kaltes lief seinen Rucken herab. Nein! Das würde er nicht mit sich machen lassen! Er würde verdammt noch mal seinen Schulabschluss kriegen! Und wenn er diesen Kaiba dafür umbringen müsste!

Es klingelte.
 

Hier stand er nun. Zwischen ihm und der Hölle lag nur eine Tür.

Sollte er das wirklich tun? War er vorbereitet, die härteste Diskussion seines Lebens zu führen? Er schüttelte den Kopf. Dieser Kaiba war es nicht wert, als sein Feind zu gelten. Aber als eine ernsthafte Herausforderung konnte man ihn gelten lassen. Und er hatte sicher schon mehr Diskussionen als diese geführt. Und er kannte sich sicher auch schon mit schwierigen Schülern wie ihm aus. Hatte er also überhaupt eine Chance?

Katsuya seufzte. Er konnte das einfach nicht. Er ließ die Schultern hängen und drehte sich um. Seine ganze Wut war plötzlich verraucht. Das war einfach nur aussichtslos.

„Wo willst du hin?“, fragte eine dunkle Stimme kurz hinter seinem Nacken.

Katsuyas Kopf fuhr wieder hoch. Er sprang von der Gestalt weg, drehte sich im Sprung. Unbewusst hob er sofort die Fäuste und fixierte seinen Gegner.

Kaiba. Wie könnte es anders sein? Aber woher hatte der Typ gewusst, dass er vor der Tür stand?

Er knurrte leicht.

„Wenn du dich dann wieder eingekriegt hast, könntest du ja hereinkommen.“, Kaiba drehte sich im Türrahmen und wies mit der Hand in den Raum für die Nachsitzenden.

Katsuya knurrte noch einmal kurz und ging, während er einen tödlichen Blick auf diesen warf, an Kaiba vorbei. Wow, fünf Nachsitzende! Wer war so bescheuert, schon am ersten Tag Scheiße zu bauen? ... ... ... Er.

„Na, mal wieder in der Schule?“, meinte einer der Jungen, als er sich zur Tür drehte.

„Schnauze, Arschloch, oder ich polier’ dir die Fresse.“, zischte der Blonde.

Kaiba zog eine Augenbraue hoch. „Weißt du, mit einer anderen Ausdrucksweise wärst du der perfekte Lehrer. Das wollte ich auch gerade sagen.“

Katsuyas Gesicht entspannte sich, der ganze Ausdruck wich daraus. Seine Lider öffneten sich etwas weiter. Langsam drehte sich sein Kopf zu dem Lehrer, der immer noch neben ihm stand. Beide Augenbrauen zuckten nach oben. „ ... Sie sind komisch.“

„Das höre ich öfters.“
 

Beide gingen nach vorne zum Pult und Katsuya zog sich einen Stuhl heran. Kaiba griff zu seinem Becher und trank einen Schluck.

„Auch einen Kaffee?“

„Nein...“, der Blonde wippte hin und her, „Sagen sie, warum haben sie mich her bestellt? Sicher nicht zum Kaffeetrinken, oder?“

„Nun, das wäre ein Anfang.“, er setzte sich auch und lehnte sich zurück. „Weißt du, warum man mich hier genommen hat und zum stellvertretenden Direktor ernannt hat?“

„Ich weiß nicht mal, wo in dieser Schule das Sekretariat ist.“, schnaubte Katsuya, „Ich kenne das Büro des Direx, den Raum zum Nachsitzen und die Toiletten.“

Kaiba seufzte und setzte sich auf, lehnte sich dabei vor. „Ich bin einer von den Idioten aus irgendeinem beschissenen Amt, dessen Angestellte ihre Tage damit verbringt, rum zu sitzen und sich irgendwelche Regeln zu überlegen, womit sie an den Schulen für Zucht und Ordnung sorgen können. Wenn ich mich mal wie du ausdrücken soll.“

Katsuya hob die Augenbrauen und legte die Stirn in Falten.

„Und da diese Typen dort das nicht auf die Reihe kriegen, allein schon, weil sie keine Ahnung vom Leben an einer Schule haben, schickt man Leute wie mich. Ich soll hier hinkommen, neue Regeln einführen, alles, was sich nicht dran hält, eliminieren und dann wieder gehen.“

Katsuya verschränkte die Arme und lächelte amüsiert. „Ist ein ziemlicher Scheißjob, oder?“

„Wenn du es so ausdrücken willst, ja.“

„Pech gehabt.“, auch er lehnte sich vor, „Und jetzt müssen sie mich eliminieren, oder was?“

„Entweder wir einigen uns auf etwas, sodass du nicht mehr als Störfaktor giltst oder ich muss dich von der Schule werfen.“

Der Braunäugige legte einen zweifelnden Ausdruck in seinen Blick, lehnte sich wieder zurück und fuhr sich mit der Hand über die Augen.

Das war’s also. Er würde es nie hinkriegen, sich zurückzunehmen und für jedes verdammte Arschloch Liebkind zu spielen. So also sah ein Rausschmiss aus...

„Und wie wollen sie das hinkriegen?“

Kaiba legte den Kopf schief und setzte ein leichtes Lächeln auf. „Was? Dich von der Schule zu schmeißen?“

„Nein, verdammt, mich zu einem beschissenen Streber zu machen.“, antwortete der Blonde mit einem Seufzen.

„Will ich gar nicht.“

Na toll. Hatte er also doch Recht gehabt. Der Typ hatte die Hoffnung auch schon aufgegeben, aus ihm irgendetwas zu machen. Warum war die ganze Lehrerschaft gegen ihn? Warum war die ganze Welt gegen ihn? Nur weil er ein Rebell war? Nur weil er etwas ändern wollte? Ach was... das war doch nur aus ihm geworden, weil er gehasst werden wollte. Weil er Abschaum sein wollte. War da überhaupt irgendein Unterschied zwischen Yami und ihm?

„Bleib einfach, wie du bist. Ich mag deine Art.“
 

Katsuya riss die Augen auf. Er starrte seinen Lehrer an, als käme dieser von einem fernen Planeten. Seine letzten Worte wollten einfach nicht in seinen Kopf.

Was hatte der Typ gesagt? Dass er ihn mochte? Hatte er einen Totalschaden? Das konnte doch nicht sein Ernst sein! Kein Mensch mochte ihn. Lehrer noch am wenigsten. Er kannte ihn nicht einmal. Wie konnte der Typ so einen Quatsch behaupten?

Seine Augen wurden zu Schlitzen. Er funkelte seinen Lehrer an. Versuchte ihn zu erstechen mit einem Blick irgendwo zischen Hass und Verachtung. „Sie lügen.“

„Und woher willst du wissen, was ich denke?“, der Braunhaarige lächelte.

„Ich habe keine Ahnung, was sie denken. Ich weiß nicht, warum sie so eine gequirlte Scheiße erzählen. Aber ich kann sicher sagen, dass sie mich nicht mögen. Mich mag niemand! Ich bin Abschaum und das wird niemand ändern. Und sie werden mich nie verstehen, wenn sie nicht selbst am Arsch der Gesellschaft leben! Man kann mich nicht mögen!“

„Warum? Nur weil du nicht zu den ganzen kleinen Scheißern gehörst, die sich auf Pfiff in einer Reihe aufstellen und mit den Schwänzen wackeln? Weil du eine eigene Meinung hast? Und weil du genug Mut hast, dafür zu kämpfen?“

Katsuya wandte den Blick ab. Seine Arme schlangen sich um seinen Körper, erst leicht, dann immer stärker. Er biss sich auf die Unterlippe. „Warum... ? Warum sagen sie so was? Sie sind doch verdammt noch mal hier, um meinen Willen zu brechen. Wie all die anderen Scheißkerle hier. Schule ist nicht dazu da, uns mit Wissen voll zu stopfen oder uns aufs Leben vorzubereiten. Schule ist da, um uns Ordnung beizubringen. Und Disziplin. Und Gehorsam ohne Nachzufragen. Man macht uns zu willenlosen Puppen. Nur damit wir danach unser ganzes Leben arbeiten und die Beine breit machen, um uns täglich von der Gesellschaft vergewaltigen zu lassen. Dafür ist Schule da! Und weil sich ein paar dagegen wehren, gibt es Leute wie sie. Sie gehören zu den verdammten Arschlöchern, die ihr ganzes Leben damit verbringen Leute wie mich niederzumachen. Und wenn das nicht klappt uns dahin zu bringen, wo wir keinen Schaden mehr anrichten können. Als Alkoholleichen in den Gassen oder Stricher auf den Straßen. Das ist es doch, was sie machen, oder?“

Er war immer lauter geworden. Er hatte geschrieen. Er war aufgesprungen und hatte seinen Lehrer angeschrieen. Seinen Lehrer! War er denn verrückt geworden? Jetzt würde er ihn doch erst recht von der Schule schmeißen! Er hatte ihm ja gerade einen Freischein vorgelegt. Und so wie er diesen Typen einschätzte, war es genau das gewesen, was er wollte. Er hatte ihn manipuliert! Mit diesen eiskalten Augen und dem gottverdammten Lächeln auf den Lippen. Es war schon besser zu erkennen. Der Typ lachte ihn förmlich aus! Wie konnte er nur so bescheuert sein? Jetzt hatte dieser Kaiba ja auch allen Grund zu lachen. Er hatte gewonnen. So eine Scheiße!

„Ja.“, antwortete Kaiba weiterhin lächelnd, „Das ist genau das, was wir machen. Ein Scheißjob, wie du schon sagtest.“
 

Katsuyas Gesichtsausdruck entgleiste wieder. Dasselbe Entsetzen wie nur einige Minuten vorher schlich sich wieder auf sein Gesicht. Kaiba musste einfach ein Alien sein.

Anders war sein Verhalten nicht zu erklären. Welche Schraube hatte der denn bitte locker? Der war ja total abgedreht! Nein, abgebrüht! Wie konnte er einfach so kalt bleiben? So ruhig? Wie konnte er so etwas einfach so mit einem Lächeln auf den Lippen sagen? War der denn aus Eis, oder was?

„Und ich liebe diesen Job.“, Kaiba lächelte auf einmal fast freundlich, „Willst du wissen, warum?“

Der Blonde ließ sich auf den Stuhl zurücksinken und stützte den Kopf mit den Händen ab. Zu etwas anderem war er einfach nicht mehr fähig. Der Typ machte ihn fertig. Was zur Hölle ging in dessen Kopf vor?

„Weil dieser Job einfach unglaublich interessant ist.“, plauderte Kaiba munter weiter, „Du lernst jede Menge solcher Freigeister kennen. Und bis auf ein paar Ausnahmen sind es alles hochintelligente Menschen, die die Irrsinnigkeit unserer Welt verstanden haben. Und die meistens nicht wissen, was sie dagegen tun sollen. Und fast immer sind es nebenher unglaublich einsame Menschen, die in ihrem Leben auch unheimlich viel durchgemacht haben. Sie sind daran gewachsen, doch eins bleiben sie auf diese Art immer: Einsame, hoffnungslose Kinder. Die meisten, die einen Job wie ich machen, können das nicht verstehen. Sie versuchen die Menschen wirklich zu brechen und ihnen die letzte Hoffnung zu nehmen, an die sich noch halten. Und sie enden dann, wie du gesagt hast. Sie liegen vor dem Zug, mit dem ich in den Urlaub fahre. Oder vor meinem Auto, wenn ich zur Arbeit muss. Oder ich sehe sie sich von einer Brücke stürzen, wenn ich spazieren gehe. Und ich weiß, dass das nicht nötig wäre. Dass man allen diesem Menschen helfen kann. Und ich versuche so viele zu retten, wie ich nur kann.“
 

Katsuya konnte sich nicht regen. Alle seine Muskeln schienen plötzlich schlaff, die ganze Kraft war aus ihm verschwunden. Sein Gesicht war nur noch ausdruckslos.

Was sollte er davon halten? Was zur Hölle ging in diesem braunhaarigen Kopf vor? Was für eine Absicht lag hinter diesen saphirblauen Augen? Was wollte dieser Typ bloß? Meinte er diese Predigt etwa ernst? Er war Lehrer geworden, weil er jungen Menschen helfen wollte? Was für ein Mensch hatte so einen Totalschaden? Dieser Typ und Menschen helfen? Keine zehn Pferde würden ihn das glauben lassen. Der Typ war doch kalt wie ein Fisch. Ach was, wie ein Eisblock! Menschen helfen – was für ein Quatsch! Sein ganzes Leben für andere aufopfern, wer tat so was schon? Und selbst wenn, wer käme da auf die Idee, das als Lehrer zu tun? Kein Schwein. Entweder der Typ war verrückt oder hatte einfach nur einen Totalschaden. Oder er log.

„Ich sehe schon, du glaubst mir nicht.“, Kaiba hatte seine Gedanken erraten, „Brauchst du auch nicht. Du sollst nur wissen, dass ich nicht dein Feind sein will.“

„Wäre auch besser für ihre Gesundheit.“, knurrte der Blonde.

Er wusste nicht warum, aber das leichte Lächeln dieses Idioten machte ihn wahnsinnig. Wahnsinnig sauer. Aber diese Forderung konnte man akzeptieren. Er verstand ihn zwar immer noch nicht, aber einen Feind weniger zu haben war auch mal etwas Gutes. Halt, wollte er nicht die ganze Welt zum Feind? Scheiße, der Typ verwirrte einen aber auch. Er wollte die Schule schaffen, darauf sollte er sich erstmal konzentrieren. Und da wäre ein netter Lehrer nichts Schlechtes. Seine Ideologiekrise sollte er wann anders austragen.

Der Braunhaarige lächelte noch immer. Er schien auf etwas zu warten. Er saß völlig locker auf seinem Stuhl, die Beine übereinander geschlagen, die Arme lässig auf den Stuhllehnen liegend. Er trank einen Schluck Kaffee.

Es klingelte.

„Ihr Fünf dürft gehen, genug rum gesessen für heute. Und stellt bis morgen nicht zuviel Blödsinn an.“, meinte er mit einem kurzen Blick zur Klasse.

Katsuya errötete leicht. Scheiße! Die hatte er total vergessen. Die hatten ja die ganze Zeit zugehört. Himmel, war das peinlich... aber auch egal. Würden sie halt lästern. War ja schließlich nicht so, als wäre er das nicht gewohnt.

Doch sie blieben sitzen. Sie wollten scheinbar wissen, wie das hier enden würde.

Kaiba wartete noch immer. Er warf einen Blick auf die Uhr. „Wisst ihr...“, er richtete sich auf und blickte wieder in die Klasse. Sein Blick war kalt. Eiskalt. Er fixierte einen jeden der Fünf damit. „Wenn ich sage, ihr sollt gehen, dann solltet ihr auch gehen. Es könnte sonst sein, dass ich sehr, sehr ruhig werde. Und das wollt ihr sicher nicht erleben.“

Die Schüler sahen sich unruhig an, griffen ihre Taschen und versuchten möglichst nicht mehr zum Pult zu sehen. Nur wenige Sekunden später waren sie verschwunden.

Katsuya schluckte. Und dieser Typ wollte sich aufopfern, andere Leute zu retten? Guter Witz! Der brauchte ja wohl selbst eine Therapie! Der Blick war tödlich. Mehr als tödlich. Ein Schauer rann seinen Rücken herab. Die Predigt von eben konnte ja wohl kaum sein Ernst gewesen sein, oder?

Kaiba wandte sich wieder zu ihm. Und er lächelte.
 

„Sie machen mir Angst.“, entgegnete Katsuya sarkastisch.

„Die Freude ist ganz meinerseits.“, konterte der Braunhaarige.

„Und jetzt? Sind wir meinetwegen keine Feinde. Aber wie wollen sie aus mir einen annehmbaren Schüler machen, ohne meinen Willen zu brechen?“

Er setzte sich wieder, trank einen Schluck Kaffee, schlug die Beine übereinander und lehnte sich zurück. „Was hast du dir denn so vorgestellt für deine Zukunft?“

„Ich dachte, ich mach’ einen Schulabschluss.“, murmelte der Blonde.

„Du willst regelmäßig zur Schule kommen und dich dafür anstrengen?“, hackte der Blauäugige nach.

„Ja...“

„Das ist doch schon mal ein wunderbarer Anfang.“, meinte er mit einem plötzlichen Funkeln im Blick, „Normalerweise muss man den meisten Freigeistern erstmal beibiegen, dass sie zurzeit ihr Leben wegwerfen.“

„Ich kenne genug abschreckende Beispiele.“

„Gut. Dann weißt du, was der wahre Abgrund der Gesellschaft ist. Aber obwohl du erscheinst und vielleicht mitarbeitest, wird man dich nicht tolerieren. Es gibt ein paar Regeln, über die kann auch ich mich nicht hinweg setzen.“

Der Blonde zog eine Augenbraue hoch.

„Zum Beispiel, dass du eine Schuluniform tragen musst.“

„Vergessen sie’s.“, konterte der Blonde ohne Umschweife.

„Lass mich ausreden. Ich denke, wir können einen Kompromiss finden, meinst du nicht?“

„Der da wäre?“, fragte er leicht genervt.

„Du trägst die Jacke und die Hose. Genauso wie jeder andere. Nicht zerrissen, nicht umgenäht, nicht umgekrempelt, eben wie die anderen auch. Dafür kannst du dir den Rest aussuchen. Schuhe, T-Shirt, Schmuck – das sei alles dir überlassen. Du darfst nur nichts tragen, was die zwei wichtigsten Uniformteile verdeckt.“

Katsuya knurrte wieder. „Hab ich überhaupt eine Wahl?“

„Nein, das ist schon das Beste, was ich dir bieten kann.“

„Verdammte-“

„Und du darfst nicht mehr fluchen.“, unterbrach der Lehrer ihn, „Und du musst clean sein. Keine Alk und keine Drogen, ist das soweit klar?“

„Super, vorhin schwingen sie Reden von Freigeistern, jetzt setzen sie mir Regeln vor...“, der Blonde verdrehte die Augen.

„Das ist nun mal mein Job.“, meinte der Ältere mit einem Lächeln.

„Und sie lieben ihn, ich hab’s kapiert. Leute quälen ist immer ein guter Job. Also, was noch?“

Kaiba griff nach seinem leeren Becher und seiner Tasche und ging zur Tür. „Das war es schon, mehr will ich vorerst nicht. Nur eins noch.“, er öffnete die Tür, „Für deine Frechheit heute morgen wirst du die Tafelschwämme ausklopfen. Schönen Tag noch, Hündchen.“

Die Tür fiel ins Schloss.

Katsuyas Kinnlade war nach unten gekippt.

Taste of darkness

So, wieder ein neues Kapitel. Das Interessante hieran - so finde ich - ist die Entwicklung, die Katsuya durchmacht. Vielleicht kennt das einer von euch. Man ist wütend, aber man kann diese Wut nicht rauslassen - mach versucht sich zu beruhigen - die Wut wandelt sich in Seelenschmerz - und dieser Schmerz zu Depressionen, wenn man nichts dagegen tut. Ich kann über das Kapitel eigentlich sonst wenig sagen.

Ich kann nur sagen, dass ich mich sehr über eure Kommentare freue! Und was ich noch anfügen möchte: Nein, Katsuya wird sich nicht Hals über Kopf in seinen Lehrer verlieben - das wäre zu einfach.
 

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Und er hasste ihn doch!

Katsuya spuckte auf den Weg und knurrte wieder. Der Weg nach Hause war weit, er würde sicher etwas finden, um sich abzureagieren. Um nicht an ihn denken zu müssen.

Was fiel diesem Arschloch eigentlich ein? War dieses Gespräch nicht Strafe genug? Nein, da musste er noch eine Stunde opfern, um irgendwelche beschissenen Schwämme auszuklopfen! Und das, wo er – nach der Rede dieses Lehrers – doch eigentlich etwas Gutes getan hatte. Widersprochen. Hatte es diesem Scheißkerl nicht imponiert? Konnte der Typ nicht einfach bei einer Meinung bleiben? Was ging in diesem blöden Kopf eigentlich vor? Es war einfach zum Haare raufen!

Er zuckte zusammen, sah sich um und ging noch etwas gekrümmter weiter. Hoffentlich konnte hier niemand Gedanken lesen. Das wäre zu peinlich.

Hündchen.

Er schlug die Hände über dem Kopf zusammen und stampfte mit dem Fuß auf. War doch egal, was die ganzen anderen Idioten hier dachten! Solang niemand mitbekommen hatte, was diese... Kreatur zu ihm gesagt hatte.

Hündchen.

Es war doch echt nicht wahr! Straßenköter, Flohschleuder, Kläffmaschine – nur nicht Hündchen! Er wurde ja andauernd mit diesen Tieren verglichen, aber doch nicht... so!

Hündchen.

Das war verdammt noch mal irgendein kleines Fellknäuel mit großen, wässrigen Augen, das verwirrt durch die Gegend tapste, weil es noch nicht laufen konnte. Wie kam dieser... dieser Kerl auf so einen schwachsinnigen Vergleich?

Hündchen.

Es war einfach nur zum Durchdrehen! Der Typ hatte einfach nur einen Totalschaden und das war auch noch ansteckend. Hatte er schon genug eigene Probleme, da musste dieser Idiot ihn auch noch so verwirren. Was ging in diesem bescheuerten Kopf denn nun vor? Was zur Hölle noch mal dachte sich dieser Kerl bloß?

...

Versuchte er hier wirklich einen Lehrer zu verstehen?

Ja, dieser Totalschaden war definitiv ansteckend. Er verwirrte. Er brachte sein heiles Lügenkonstrukt zum Wackeln. Zum Einsturz! Wie konnte dieser Typ ihn bloß mögen? Und wie konnte er so etwas Peinliches sagen? Und das auch noch so... ruhig. Und selbstsicher. Diese Selbstsicherheit war einfach nur zum Kotzen! Dieses verdammte arrogante Lächeln!

So ein Arsch konnte man nur hassen!

Hündchen.

„Rrrrrrraaaaaaaarrrrrrrrrgh!“, er schlug gegen die Wand neben ihm, „Arschloch!“
 

„Alles okay, Alter?“

„Was fluch’se hier rum?“

Er drehte sich zu der Gruppe Jungen, die plötzlich neben ihm aufgetaucht war.

„Was’s los?“

Katsuya seufzte. „Ach, mein neuer Lehrer macht nur Ärger.“

„Sollen wir ihn vermöbeln?“, der eine grinste.

„Nein, schon gut. Ich kümmer’ mich selbst um ihn.“, der Blonde stemmte die Fäuste in die Hüften, „Was macht’er hier?“

„Suchen ’nen nettes Fressen. Komm’se mit?“

„Ne, lass ma’... hab schon was and’res vor.“

„Könn’ wa’ helfen?“

„Ne, Alter, schon gut. Dat is’ ’ne Sache, da werd’ ich mich selbst drum kümmern.“

Katsuya verabschiedete sich mit dem traditionellen Schlag auf die Wange und schlürfte weiter den Weg entlang.

Die Kerle wollte er jetzt einfach nicht sehen. Erstmal, weil diese Spatzenhirne ihn zurzeit eh nur nervten und vor allen Dingen, weil er ihnen nicht in die Augen sehen konnte. Es war doch echt beschämend. Der Typ hatte mit ihm gespielt wie es ihm gefiel. Und er hatte mitgemacht. Hatte sich provozieren lassen. Er war definitiv als der Schwächere aus diesem Kampf gegangen. Warum nur? Warum hatte der Typ so eine Macht? So eine... Autorität? So eine verdammt beschissene Ausstrahlung, die einem einfach Angst machen musste?

Und er tanzte nach seiner Pfeife! Was hatte er denn jetzt noch für eine Wahl? Er musste einfach nachgeben! Musste in dieser beschissenen Uniform kommen! Und der Typ hatte ihm alle Wege verstellt, ihn doch noch irgendwie zu ärgern! Es war einfach nur zum Kotzen. Beschissen. Dieser ganze Typ. Von den blank polierten Lederschuhen bis in die letzte braune Haarspitze. Wenn er diese verdammten Regeln nicht befolgen würde, würde er nicht nur fliegen. Es würde seinen Stolz zertrümmern. Das wäre es, was irgendein stures Kind tun würde – einfach sich widersetzen. Und er war kein Kind! Aber seinen Stolz kratzte es genauso, in dieser beschissenen Uniform kommen zu müssen.

Er stoppte. Drehte sich ruckartig um und brüllte: „Wartet!“

Die Vier, die schon einige Meter entfernt waren, wandten sich zu ihm.

Nach Luft schnappend kam er bei ihnen an. „Wo ist mein Eisenrohr?“

„Hier.“, der Größte unter ihnen reichte ihm die Stange, die er in der Hand hielt.

„Thanks.“, meinte Katsuya nur, nahm sie und ging ohne ein weiteres Wort wieder.

Hey, gut, das war fast genauso kindisch. Aber der Typ hatte nichts von Waffen gesagt, nicht? Wenigstens rettete ein Stück seiner Ehre. Wenn er schon in Schuluniform kommen musste... so eine Schande! Nun, wenigstens besaß er eine. Das war ein Anfang.

...

Von was denn bitte? Einer Zeit, wo er brav in die Schule dackeln würde und sogar dafür lernen würde? Zum Kotzen! Er sollte die Uniform verbrennen! Mitten auf dem Schulhof. Ja, das war mal echt eine gute Idee. Das wäre ein Freudenfeuer. Und er würde lachend und kreischend drum herum hüpfen und sein Eisenrohr schwingen!

Scheiße, dieser Totalschaden färbte wirklich ab.
 

Er rannte. Ohne Unterlass, ohne Pause, ohne Atemholen. Er rannte einfach nur.

Hündchen.

Er könnte ihn erschlagen!

Katsuya atmete heftig. Er war nach vorn gebeugt, stützte sich auf den Knien ab und keuchte. Seine Lungen brannten. Er stand vor einer besprayten, heruntergekommenen Kaschemme, von der er knapp zehn Quadratmeter sein Eigen nannte. Er war gerannt, den ganzen Weg nur gerannt.

Und es ging nicht weg! Diese verdammten Gedanken gingen einfach nicht weg! Was sollte er denn noch tun? Dieser verdammte Typ verwirrte ihn. Er machte ihn sauer. Er machte ihn verdammt noch mal wütend! Und er wusste einfach nicht warum.

Er war ein Kämpfer. Er gab nicht nach und er gab niemals auf. Er war mutig und er war stark. Aber dieser Kerl zerstörte alles, was er aufgebaut hatte! Er hatte ihm die Stirn geboten. Und das war gut so, denn Katsuya liebte den Kampf. Er liebte die Herausforderung. Er war froh, einen würdigen Gegner zu haben. Und dennoch! Während er die Zähne fletschte, ballte der Typ die Hand nicht zur Faust, sondern öffnete sie zum Friedensgruß. Es war doch einfach nicht möglich! Warum konnte er ihn nicht wie jeder andere hassen? Das wäre um so vieles einfacher.

Wenn man gehasst wurde, dann konnte man nicht mehr tiefer fallen. Wenn man gehasst wurde, dann hatte man keine Erwartungen mehr. Wenn man gehasst wurde, dann konnte man nicht mehr verletzt werden. Nur Yami durfte ihn mögen. Der war noch weit tiefer gefallen. Er hasste sich sogar selbst. An ihn stellte man auch keine Erwartungen. Man wurde nie enttäuscht. Er hatte sowieso alles verloren, selbst seinen Stolz. Warum mochte Katsuya ihn überhaupt? Vielleicht gerade weil er noch tiefer stand. Weil er ihm zeigte, dass er noch nicht alles verloren hatte. Weil er ihm den Beweis von etwas gab, an dem er festhalten konnte. Jene letzte Hoffnung, von der dieser Kaiba gesprochen hatte. Verdammt, wieso kam er immer auf diesen Schwachsinn zurück?

Diese Worte machten ihn einfach nur wütend. Weil dieser gottverdammte Kerl Recht hatte. Aber er wollte es nicht hören! Er wollte die Wahrheit nicht wissen! Er hatte nie danach gefragt und nie darum gebeten. Er wollte es nicht hören… er wollte daran glauben, dass nicht alles umsonst war. Er wollte glauben, dass seine Existenz einen Sinn besaß. Und wenn es nur Rebellion war. Was wollte er eigentlich? Wofür kämpfte er? Glaubte er wirklich, auf diese Weise irgendetwas erreichen zu können?
 

Er schloss die Tür der Wohnung auf. Wie jeden Abend umhüllte ihn eine Wolke von Alkoholgestank, Verfaultem und verbrauchter Luft. Sein Magen schien sich von einer auf die andere Sekunde umzudrehen, die Galle stieg ihm hoch und sein Hunger verrauschte. Zurück blieb nur die Übelkeit.

Sinnlos. Es war einfach alles sinnlos. Er taugte nicht einmal zum Objekt des Hasses, als verachtenswürdige Kreatur. Es war einfach nur egal, ob er existierte. Er war der Welt egal.

„Wo bist du gewesen, Köter?“, knurrte die Stimme seines Vaters hinter ihm.

„In der Schule.“, erwiderte er, drehte sich zu jenem und musterte sein Gegenüber. Seine Finger krallten sich fester um das Eisenrohr.

„Mit dem Ding, hä?“, lallte sein Vater, während er ungewöhnlich schnell und gewandt nach der Stange griff.

„Lass es los.“, befahl Katsuya und zog leicht an dem Rohr.

Herr Jonouchi ballte eine Hand zur Faust und schlug zu, während er mit der anderen das Eisenrohr aus Katsuyas Griff riss. „Verdammter Bastard!“

„Verreck doch endlich am Alkohol!“, schrie der Jüngere zurück. Er wurde ein weiteres Mal von der Faust zurückgeschleudert. „Ich hasse dich!“

Die Augen des Betrunkenen weiteten sich, er nahm die Stange in die andere Hand und schlug zu.

Katsuya schrie. Der Schmerz zuckte von seinem Arm aus durch den ganzen Körper.

„Du Stück Dreck!“, grollte sein Vater.

Sein Bein wurde getroffen.

Er krabbelte weg, versuchte die Tür zu erreichen.

Der nächste Schlag fuhr auf seinen Rücken nieder. Es knackte gefährlich.

Heiße Tränen rannen seine Wangen hinab. Er biss sich auf die Lippe, die bereits blutete.

Er wollte nicht schreien.

Er wollte seinem Vater dieses Vergnügen nicht geben.

Er wollte sich nicht wie ein Wurm am Boden winden.

Doch das tat er.

Jedes Stück seiner Haut schrie vor Schmerz.

Der letzte Schlag traf seinen Kopf.

Es wurde schwarz.

Alles schwarz.

Die letzte Hoffnung

Das ist nun das letzte Kapitel vor meinem Urlaub - es wird drei Wochen keine geben. Als Entschädigung hier ein etwas Längeres und in gewissem Maße Lustiges. Es werden übrigens über die ganze FF immer wieder ein paar Vorschläge von Lehrern kommen, die meinen Vorschlägen entsprechen. Wer also noch zur Schule geht, kann gerne mal versuchen, sich danach zu richten. Ich bin damit ganz gut durchgekommen. Zum Kapitel selbst kann ich nur eins sagen:

In die Klasse möchte ich auch! Viel Spaß und danke für die Kommentare ^.^

Und kurz noch ein kleiner Insider: Kats verschenkt hierfür einen Labello ^.-
 

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„Uuuh…“, Katsuyas Hand wanderte zu seinem Kopf. Die Haare waren klebrig und als er die Hand zurückzog, hatte sie schwarze Flecken. Ohne Frage, das war Blut.

Woher? Er versuchte sich zu erinnern. Aber die Antwort, die er bekam, war ein stechender Kopfschmerz. Er versuchte den Kopf aufzurichten und öffnete die Lider. Alles vor seinen Augen verschwamm, doch wurde mit der Zeit klarer. Das war seine Wohnung. Er kombinierte, dass sein Vater ihn wieder zusammengeschlagen haben musste. Als er jedoch versuchte, sich aufzurichten, brach eine Welle der Übelkeit über ihm zusammen. Er würgte, erbrach seinen Magensaft und kippte zur Seite. Herrje, er hatte ja nicht mal was im Magen, das er auskotzen könnte! Was zur Hölle war bloß jetzt wieder los?

Er blieb kurz liegen und rollte sich dann zur Seite. Irgendwo musste es ja einen Hinweis geben. Mit seiner Schulter stieß er gegen etwas Hartes, fühlte danach und erkannte sein Eisenrohr. Selbst mit Kopfschmerzen ließ sich das Ganze wohl rekonstruieren. Er lag im Flur, neben ihm ein Eisenrohr und daran klebte Blut. Er selbst blutete am Kopf. Logische Schlussfolgerung: Sein Vater hatte mit dem Eisenrohr auf ihn eingeschlagen. Das erklärte auch die Schmerzen an seinem Körper. Und als Dank für diese Erkenntnis folgte eine weitere Welle Kopfschmerz.

Die Uhr an seinem Handgelenk verriet ihm, dass es kurz nach acht war. Wenn er jetzt duschen und sich dann anziehen würde, hätte er genug Zeit, um sich auf der Krankenstation behandeln zu lassen. Falls sie ihn behandeln würden. Aber man konnte ja noch hoffen, nicht? Er lachte hohl. Ehrlich, verarschen konnte er sich selbst. Hoffnung war das schwachsinnigste Gefühl, was es gab. Danach kamen Liebe, Vertrauen und Freundschaft. Echt, da war selbst der Wahnsinn besser. Wenn er sich schon selbst verletzen wollte, dann gab es einfachere Methoden als jemanden zu mögen. Zum Beispiel seinen Vater anzuschreien. Ach, was sagte er da eigentlich? Einfach nur zu existieren war Grund genug, geschunden und gequält zu werden. Er sollte jetzt trotzdem aufstehen. Sonst würde der nächste Schmerz zu lange dauern. Sein Vater schnarchte schließlich im Wohnzimmer, der musste erstmal seinen Vollrausch ausleben. Warum also nicht wirklich zur Krankenstation gehen? Die nächste Ablehnung und schon würde es ihm noch beschissener gehen. Und dann zum Unterricht, um sich mit den Lehrern zu streiten und wieder von den Schülern seelisch vergewaltigt zu werden. Ja, so ließ es sich wirklich leben. Am besten direkt in der ersten Stunde, wo er-

Er schlug die Augen wieder auf. Sein Blick wanderte die Decke entlang zur Haustür. Von der Haustür zum Bad. Vom Bad zu seinem Zimmer. Zurück zur Haustür.

Die erste Stunde, wo er Kaiba hatte.

Kaiba.

Er wusste immer noch nicht, was er von ihm denken sollte. Und was er jetzt machen sollte. Duschen, Schuluniform anziehen, zur Krankenstation gehen und dann in den Unterricht? So wie Kaiba es wollen würde? Aber wollte er es denn?

Katsuya seufzte.

Blieb ihm eigentlich eine Wahl? Irgendwie war es ja doch das Sinnvollste. Das wusste er trotz seiner Kopfschmerzen und der Übelkeit. An irgendetwas musste er festhalten. Auch wenn der Strom des Lebens ihn schon zu weit vom Ufer weggetrieben hatte, als dass er zurück schwimmen konnte, er musste sich an etwas festhalten. Und wenn es Hoffnung war.

Er richtete sich auf, missachtete die wieder aufkommende Übelkeit und schleppte sich zum Bad. Sein Magen knurrte dabei bedrohlich.

Wie lange hatte er jetzt nichts mehr gegessen? Zwei Tage? Drei? Er wusste es schon nicht mehr. Aber wenn er nicht bald wieder etwas aß, dann würde auch diese bescheuerte Hoffnung nix bringen. Ein Glück, dass er heute Hauswirtschaft hatte. Endlich mal wieder etwas zwischen die Zähne! Sein ganzer Stolz auf den Müll, wenn er dafür nur etwas zu essen bekam.

Er stockte.

Ob Yami das damals wohl auch gedacht hatte, als er begann, sich auf der Straße zu verkaufen?
 

Er hielt den Kopf unter Wasser und versuchte die blutverschmierten Haare aus der Wunde zu lösen. Das stellte sich als nicht gerade einfach heraus, denn das Blut war längst getrocknet. Vor allen Dingen tat es saumäßig weh. Und wenn Katsuya sich so etwas eingestand, dann war es echt schmerzhaft.

Er zog seine Sachen aus und schmiss sie in die Badewanne, bevor er in die Dusche stieg. Frei von Blut und Schmutz, doch nicht von dessen Geschmack, kam er kurz darauf wieder heraus, griff sich auf dem Flur eine noch ungeöffnete Flasche Wodka und goss ein wenig davon über seine Wunde. Der Spiegel verriet ihm, dass er eine mächtige Platzwunde an der linken Seite der Stirn hatte, die sich vom Haaransatz bis kurz über die Augenbraue zog. Das müsste auf jeden Fall genäht werden. Da er aber weder Pflaster noch Verband besaß, wickelte er nur ein alkoholgetränktes Stirnband um den Kopf, bevor er in sein Zimmer ging. Nachdem er dort seine Schuluniform aus einer der Kisten gekramt hatte, suchte er schnell noch ein schwarzes T-Shirt mit einem Totenkopf und ein Nitenhalsband, sowie zwei Armbänder. Eigentlich hätte er gern ein Netzshirt oder ein zerrissenes Oberteil angezogen, aber das Rohr hatte einen riesigen blauvioletten Fleck auf seiner linken Seite hinterlassen. Und wenn ihn seine mittlerweile gute Kenntnis seines Körpers nicht getäuscht hatte, war eine Rippe angebrochen. Hoffentlich würde man ihn auf der Krankenstation nicht fragen, woher er das hatte. Wenn das Jugendamt davon Wind bekam, dann würden sie ihn direkt in ein Heim für schwer Erziehbare stecken. Und da ließ er sich doch lieber verprügeln.

Nur eine halbe Stunde nach seinem Erwachen schlüpfte er auch schon in seine Springerstiefel und schnappte sich seinen Schlüssel. Außer diesem hatte er ja sowieso keinen Besitz. Sein Bein schmerzte bei jedem Schritt, aber um kurz vor neun Uhr erreichte er die Schule. Entgegen seiner Vermutung behandelte man ihn dort auch, legte ihm feste Bandagen um alle getroffenen Stellen und riet ihm, einen professionellen Arzt aufzusuchen. Die Schwester fragte nicht einmal nach dem Grund seiner Verletzungen. Ob das nun an der Schuluniform oder seinem sehbar schlechtem Zustand lag, konnte er zwar nur raten, aber er tippte auf reines Mitleid der Frau. Sie nähte sogar seine Wunde auf seine Bitte hin, obwohl sie das eigentlich nicht durfte. Da sie kein Narkosemittel hatte, biss Katsuya die Zähne zusammen, aber die sechs Stiche schmerzten weniger als das Gefühl, dass er beim Aufstehen gehabt hatte. Seine Kopfschmerzen wurden jedoch noch schlimmer. Sie entließ ihn mit einer Überdosis Paracetamol intus zur ersten Stunde seines Tages, zu der er glatt noch pünktlich kam.
 

Katsuya keuchte, als er die Tür erreichte, die Kaiba gerade öffnen wollte.

„Bin pünktlich.“, quetschte er zwischen zwei tiefen Atemzügen hervor.

„Ich sehe es…“, meinte der Ältere kühl.

Der Blonde sah auf und traf den eiskalten Blick des Gegenüberstehenden. Dieser richtete seine Augen auf den Verband und senkte sie danach wieder in die Bernsteine Katsuyas. Doch er fragte nicht. Und der Jüngere war dankbar dafür.

„Lust auf eine Stunde Japanisch?“, fragte Kaiba mit einem leichten Lächeln.

„Sicher nicht.“, konterte der andere, „Aber wenigstens haben wir ein Thema, bei dem ich mitreden kann.“

„Na, dann komm.“, der Lehrer öffnete die Tür, befahl dem Jüngeren mit einem Nicken, die Klasse zu betreten und folgte diesem schließlich. Während der Schüler zu seinem Platz schlenderte, begrüßte er die Klasse und begann seinen Unterricht. Für heute hatte er eine Debatte über die Klonforschung angesetzt, auf die sich die Schüler hatten vorbereiten sollen. Beim Rumgehen legte er Katsuya einen Block und einen Füller auf den Tisch, bevor er in sein Heft eintrug: Hausaufgaben vergessen. „Katsuya, dafür wirst du beim nächsten Mal an der Debatte teilnehmen. Ich möchte, dass du dich auf das Thema »Sollte man die Schulzeit auf elf Jahre verkürzen« vorbereitest.“

Katsuya hob eine Hand, als wollte er aufzeigen.

„Einwände?“

„Ja. Können wir das Thema abändern auf »Sollte man die Schulzeit auf neun Jahre verkürzen«?“

„Wenn du einen Vorschlag hast, wie man den Stoff von zwölf Jahren auf neun Jahre kompensieren soll, dann ja.“

Er grinste. „Sich beeilen?“

Kaiba zog die Augenbrauen hoch und senkte die oberen Lider, während er mit der Hand kurz durch Katsuyas Haar wuschelte. „Scherzkeks.“

„Hey, sie zerstören meine Frisur!“

„Eine Frisur? Wo?“, er grinste ebenso fies wie der Jüngere und ging dann weiter die Reihe entlang, „Wakaba, Hausaufgaben vergessen.“

Katsuya sah ihm nach, ließ dann seinen Blick zu dem Block auf seinem Tisch schweifen und schnappte sich den Füller. Schwarz war der, mit hübschen silbernen Ornamenten darauf. Linien, die sich ineinander verschlangen, doch nie berührten. Der Block gefiel ihm genauso gut. Der war auch schwarz und es waren die beiden Hauptcharaktere aus „Boys next door“ abgebildet. Kaiba war ja wirklich super! So was Tolles hatte er nicht erwartet. Er schlug den Block auf und bemerkte, dass die erste Seite beschrieben war. »Arbeite gefälligst mit« stand da. Er blätterte weiter. »Ehrlich, wenn du dich nicht meldest, dann muss ich dir trotz Anwesenheit ein D geben«. Katsuya blickte auf und bedachte seinen Lehrer mit einem spöttischen Blick, während dieser wieder zur Tafel ging. Mit einem Schnauben wendete er ein letztes Mal die Seite. »Und starr mich nicht so an, Hündchen«.

„Nun, wer möchte einen Standpunkt zu unserem Thema beziehen?“, unterbrach Kaiba seine Gedanken.

Katsuya hob die Hand. Das würde er büßen!
 

Der Blonde streckte die Arme in die Luft und gähnte ausgiebig. Nachdem er noch mal einen kurzen Blick auf seinen neuen Block geworfen hatte, stand er auf und ging nach vorne zum Pult.

Kaiba war gerade dabei, seine Sachen vom Unterricht zusammenzuräumen, als Katsuyas Stimme ihn aufblicken ließ.

„Danke.“

Er legte den Kopf ein wenig schief. „Wofür?“

„Für den Block und den Füller. Is’ hübsch.“, murmelte der Jüngere.

„Ich habe meinen Dank doch erhalten. Normalerweise sind meine Schüler nicht so aufmerksam und arbeitsam.“, Kaiba konzentrierte sich wieder auf seine Akten.

„Ich hab’ ihnen doch die ganze Zeit nur widersprochen.“

„Aber du hast deine Einwände doch belegt. So etwas nennt man argumentieren. Genau das ist es, was ich euch hier beizubiegen versuche.“, er klappte seine Mappe zu und verstaute sie in seinem Rucksack.

„Lehrer zu kritisieren?“, fragte Katsuya leicht zweifelnd.

„Zum Beispiel. Das gehört auch dazu. Du kannst Menschen mit so was auf die Palme bringen, aber solang du es gut belegst, kann niemand etwas dagegen sagen. Pass nur auf, dass du dir dadurch keine Feinde machst.“

„Ich hab’ nur Feinde.“

„Wir hatten uns darauf geeinigt keine zu sein.“, konterte Kaiba und warf den Rucksack über seine Schulter, „Wir sehen uns dann in der sechsten Stunde.“

Damit war das Gespräch wohl beendet. Der Lehrer verließ die Klasse und Katsuya blieb am Pult stehen wie bestellt und nicht abgeholt. Mit einem Knurren machte er kehrt und ging zurück in Richtung seines Platzes.
 

„Schaut mal, das Baby hat eine neue Mama.“, ertönte eine Jungenstimme in seiner Nähe, „Jetzt werden ihm schon die Schulsachen hinterher getragen.“

Er blieb stehen, richtete seine Augen auf den Sprechenden und fixierte ihn mit einem kalten Blick.

„Gestern noch spielte er den Mächtigen, heute kriecht er den Lehrern hinterher und macht einen auf Streber. Was für ein Jammerlappen!“, redete er weiter. Dabei sah er Katsuya in die Augen und warf den Kopf in den Nacken. „Und morgen muss Mami ihn zur Schule bringen!“

„Wie wär’s, wenn du herkommst und mir das ins Gesicht sagst, statt dich hinter deinen Freunden zu verstecken?“, zischte der Blonde.

Der Andere zog die Augenlider gefährlich nahe zusammen und beobachtete ihn aus dem zurückgebliebenen Spalt heraus. „Glaubst du etwa, ich hätte Angst vor dir?“

„Sieht ziemlich danach aus, Hosenscheißer.“, der Ältere machte eine auffordernde Bewegung mit dem Zeigefinger, „Komm, ich warte.“

Der Junge schluckte langsam, stand aber auf und ging zu Katsuya hinüber. Er blieb in einem Meter Entfernung stehen und ließ die Brust anschwellen, um mächtiger zu wirken. Gegenüber dem Älteren, der fast einen Kopf größer war, wirkte das jedoch ziemlich affig.

„Sag mal, was glaubst du eigentlich, wie lange du kotzt, wenn ich dir jetzt die Faust in den Magen ramme?“, flüsterte er mit einem scharfen Unterton.

Sein Gegenüber schwieg, biss nur die Zähne zusammen.

„Und was glaubst du, wie oft ich zuschlagen müsste, damit du dir wünschen würdest, dass deine Mutter dich morgen zur Schule bringt?“

Auch hierauf erhielt er keine Antwort. Allerdings erreichte er, dass seinem Gegenüber die Fäuste bebten.

Er überwand den Meter mit nur einem Schritt und stellte sich so nah an den Jungen, dass er ihn gerade nicht berührte. Während er den Kopf leicht nach hinten legte, blieb sein Blick auf den Kleineren fixiert, während er noch leiser fortfuhr: „Oder wie wenig Zeit es mich kosten würde, dafür zu sorgen, dass du erst gar keine mehr hast.“

Da das niedergeschlagen wirkende Etwas vor ihm sich nicht mehr regte, vermutete er, dass er genug gedroht hatte. Mit einem „Pfffh.“ trat er von ihm weg und drehte sich um.

„Drohen kannst du, aber genug Mumm dazu hast du ja doch nicht!“, schrie der Jüngere plötzlich, die Augen jetzt auf den Fußboden gerichtet.

„Kleiner.“, Katsuya schloss die Augen, doch drehte sich nicht um, „Ich vermute mal, du hast keine Ahnung, mit wem du hier sprichst. Ich gebe dir jetzt einen guten Rat, bevor ich meine Selbstbeherrschung verliere: Provozier mich nicht.“

„Tu ich aber!“, rief der Andere laut.

„Ein Hoch auf deinen Mut.“, meinte Katsuya und drehte sich um, „Aber was genug ist, ist genug.“

Der Jüngere sah nun auf, schluckte und wich zurück, während der Blonde auf ihn zukam und dabei mit seiner Rechten auf seine Handfläche schlug. Er packte den Kleinen mit der Linken am Kragen, zog ihn hoch und hob die Rechte bereit zum Schlag nach oben. Der Andere riss die Augen auf, die Hände vor sein Gesicht und bückte sich so weit er konnte. Katsuya hielt inne, spürte den Körper des Jungen schlaff werden und hörte ihn wimmern. Mit einem Seufzen ließ er ihn los, sodass die Gestalt auf den Boden plumpste.

„Herrje…“, knurrte der Blonde, „Jetzt muss ich mich schon mit solchen Memmen schlagen.“ Er warf der zusammengekauerten Gestalt einen abschätzenden Blick zu und nahm den zweiten Versuch, ungestört seinen Platz zu erreichen. Doch er kam nicht weit.

An der Tür des Klassenzimmers stand ein junger Mann und klatschte.
 

„Ups.“, meinte Katsuya, als er seinen alten Sportlehrer in der Tür stehen sah. Wo kam der denn plötzlich her? Er schluckte hörbar. Und wieso zur Hölle klatschte er?

In der Klasse war es still geworden, jeder hatte seinen Blick entweder auf den Lehrer oder auf den Blonden gerichtet. Letzterer schien erstarrt, mehr vor Verblüffung als vor Angst, während Erstgenannter sich vom Türrahmen abstieß und seine Tasche auf dem Pult abstellte.

„Was machst du denn hier, Yugi?“, brach der Schüler das Schweigen.

„Erstmal dich ermahnen, dass ich immer noch dein Lehrer bin und du mich nicht duzen sollst.“, meinte der trotz seines Alters Kleinere, während er eine Schnute zog und so noch mehr nach einem Kind aussah.

„Aber du bist Sportlehrer.“, sagte Katsuya weiterhin leicht verdattert und achtete nicht darauf, dass er ihn immer noch duzte.

„Und Mathelehrer.“, warf sein Gegenüber ein, „Und wenn du deinen Stundenplan noch nicht verlegt hast, dann müsstest du wissen, dass du jetzt Mathe hast.“

„Mit dir?“, er zog die Augenbrauen zusammen, sodass die Stirn in Falten lag.

„Siehst du hier sonst noch jemanden?“, konterte der Lehrer.

Der Blonde sah sich wirklich kurz um und meinte mit spöttischem Gesichtsausdruck: „Einen Haufen Bohnenstangen.“

Der Ältere kicherte hinter seinem Lächeln, wand seinen Blick zum Fenster und seufzte. „Ich frage mich wirklich, wie weit Kaiba es bringt.“

Katsuyas Lider zuckten, während sein restlicher Körper erstarrte.

Er wusste es! Er wusste alles! Dieser beschissene Kaiba hatte seinem Kollegen von dem Gespräch erzählt! Oh ja, das sah ihm wirklich ähnlich. Nach außen den netten Kerl rauskratzen und dann hinter vorgehaltener Hand lästern. Das Schwein war doch echt nicht besser als die anderen! Wie konnte er diesem Arschloch nur-

„Katsuya.“, wurde er unterbrochen, „Bevor du gleich mit einer Mordswut losstürmst, um meinem besten Freund den Kopf abzureißen, sei so gut und zeige dieselbe Selbstbeherrschung wie eben. Er ist nicht so lebensmüde, dich zu betrügen.“

Er atmete langsam aus und richtete seinen Blick wieder auf seinen Lehrer, nur um kurz darauf eine Augenbraue hochzuziehen und ein Lachen zu unterdrücken.

Yugi und Kaiba? Beste Freunde? Nie im Leben! Kaiba war kalt, beherrscht und intrigant, während Yugi rum lief, als würde er sich jeden Morgen drei Happy-Pills einwerfen. Die passten doch um kein Stück zusammen! Aber gut, man sagt ja, Gegensätze ziehen sich an…

„Um noch mal auf die Szene von eben zurückzukommen – was hältst du von einem Deal?“, der Lehrer zwinkerte ihm zu.

Irgendwie kam ihm diese Szene bekannt vor. Vielleicht waren sich die beiden ja doch ähnlich?

„Ich gehe nicht zum Direktor und petze und dafür hörst du auf, mich zu duzen und sprichst mich mit meinem Titel an.“

Katsuya atmete einmal ein und aus, lächelte dann leicht und verbeugte sich tief. „Wie ihr wünscht, eure Exzellenz.“

Der Dunkelhaarige lachte laut los und hielt sich den Bauch dabei. Zwischen zwei Gackern prustete er: „Ich bin Mathelehrer, nicht Papst!“

Der Jüngere grinste nur.

Nachdem er sich beruhigt hatte, wischte der Lehrer sich die Tränen aus den Augen und lehnte sich wieder ans Pult. „Akzeptiert?“

„Ja, schon gut.“, winkte Katsuya ab, „Aber wie heißen sie überhaupt mit Nachnamen?“

Appearance and reality

Ich glaube, in diesem Kapitel stelle ich einen Rekord auf im "Wie oft kann die Laune wechseln?"-Wettbewerb. Diese ganzen Höhen und Tiefen...

Und das hier ist dann wirklich das allerletzte Kapitel vor dem Urlaub! Noch eins schreib ich nicht! Würde ich auch nicht mehr hinkriegen. Aber in drei bis vier Wochen geht es weiter ^.^

Ich danke allen Lesern und besonders den Kommischreibern, dass sie sich hier durchkämpfen! Und nun viel Spaß ^.^

P.S.: Falls sich schon jemand über die Titel gewundert hat - sie haben alle einen Bezug zum Text, machmal schwerer, manchmal leichter zu erkennen...
 

_________________________________________________________________________
 

Katsuya lehnte sich zurück und ließ den Blick schweifen. Er blieb an dem Baum hängen, der vor dem Fenster stand und dessen Blätter im Licht der Sonne glänzten. Er saß noch immer im Klassenzimmer, noch immer in Mathe und noch immer – auch nach über fünf Jahren – verstand er nicht das Kleinste bisschen des Unterrichtsstoffes. Während Herr Muto also mehrere Funktionen sowie deren Ableitungen an die Tafel zeichnete und deren Bedeutung erklärte, konnte er die Gedanken in Ruhe schweifen lassen, ohne auch nur eine Sekunde ein schlechtes Gewissen zu haben.

Muto.

An dem Namen war er hängen geblieben. Und er wusste ganz genau warum. Es war mittlerweile sogar so weit, dass er sich selbst fragte, ob er blind sei. Nicht nur der Name, nicht nur das Alter, nein, auch das Aussehen! Sein Lehrer hatte schwarze Haare mit einem leichten Rotstich und mittelblonde Ponysträhnen, dazu schwarze Augen mit einem Hauch rot-violett. Sein bester Freund hatte dieselbe Haarfarbe mit einem kräftigen Schuss violett, die Ponysträhnen waren etwas dunkler, glänzten aber mehr und die Augen hatten auch mehr violett. Aber ansonsten vollkommen identisch, sogar dieselbe Frisur. Vielleicht war sein Lehrer etwas kleiner, aber das machte nicht viel aus. Beide waren sechsundzwanzig Jahre alt. Beide hießen Muto mit Nachnamen. Der eine hieß Yugi, der andere Yami. Sie mussten einfach Zwillinge sein! Aber Katsuya konnte das nicht glauben. Nicht, dass es ihn völlig aus der Bahn geworfen hätte, dass der Bruder seines besten Freundes sein Mathelehrer war – aber es würde ihn völlig aus der Bahn werfen, einen Mathelehrer zu haben, dessen Bruder sich schon durch die ganze Stadt gevögelt hatte. Irgendwo dachte er immer, Lehrer müssten anständige Menschen sein. Sie mussten schließlich ein Vorbild für die Schüler sein, auch wenn die wenigsten das konnten. Aber Yugi Muto war immer einer der Menschen gewesen, mit dem er sich verstand und den er respektierte. Natürlich hatte er auch ihn niedergemacht und seine Autorität untergraben, aber das war zwischen beiden mehr ein Spiel gewesen, denn eigentlich hatten sie sich akzeptiert. Das jedoch hätte er nie von diesem Humorbündel gedacht. Er wäre wirklich nie darauf gekommen, dass es da einen sehr großen schwarzen Fleck in seinem Leben gab. Katsuya würde alles darauf verwetten, dass dieser Mann nicht gerade stolz auf seinen Bruder war. Und auch der sonst so redefreudige Yami hatte über seinen Bruder nie mehr gesagt, als das einer existierte. Aber damit gab sich der Blonde nun nicht mehr zufrieden. Er wollte wissen, ob er richtig lag. Ob Yami und Yugi wirklich Brüder waren.

Die Schulglocke schellte und beendete so die Doppeltstunde Matheunterricht, von der Katsuya nicht mehr als ein großes Fragezeichen behalten hatte. Ohne Verzögerung sprang er auf und stiefelte in Richtung des Lehrers. Muto schien schon darauf gewartet zu haben, denn er lehnte lässig am Pult und beobachtete den Herannahenden.

„Na? Du bist doch sonst nicht so still.“, neckte er ihn.

„In Mathe schon.“, Katsuya trat näher heran, sodass er mit Muto flüstern konnte, „Ich hätte da mal eine persönliche Frage.“

Der Blick seines Gegenübers verfinsterte sich, doch er fragte locker wie immer: „Was denn bitte?“

„Ich wollte fragen, ob sie einen Bruder haben. Einen Zwillingsbruder vielleicht sogar. Einen, der Yami heißt.“

Er verlor sein Lächeln, atmete tief durch und fixierte den Blonden. „Junge, du lebst definitiv in der falschen Gegend.“

„Yami ist mein bester Freund.“, versuchte Katsuya ihn irgendwie in Schutz zu nehmen.

„Du weißt, ich bin für alles offen und ich beantworte dir auch diese Frage: Ja, Yami Muto ist mein Bruder. Aber wenn du mich nicht verärgern willst, dann frag nicht weiter danach und lass es auch keinen wissen.“

„Entschuldigung.“, sagte Katsuya nur knapp, obwohl selbst das schon nicht seiner Art entsprach. Nach einer leichten Verbeugung kehrte er zu seinem Platz zurück und ließ sich auf dem Stuhl nach unten sacken.

Das musste er erstmal verdauen.
 

Yami war Yugis Bruder. Sein bester Freund war der Bruder seines Lehrers. Ein Lehrer hatte einen Stricher zum Bruder.

Mit dem letzten Punkt musste er sich wohl abfinden. Und wie er schon vermutet hatte, war Muto nicht gut darauf zu sprechen. Er wäre es auch nicht. So sehr er seinen Freund mochte, er fand es immer noch widerwärtig sich selbst zu verkaufen. Ob als Stricher oder Model, es war einfach würdelos. Ob er genauso geschockt wäre, wenn sein Lehrer einen Bruder hätte, der Model wäre? Eher nicht. Also sollte er der Angelegenheit nicht so viel Bedeutung beimessen. Yami war, wie er war und hatte außer Blutsverwandtschaft nichts mit Yugi zu tun. Für seinen Lehrer galt das genauso. Es hatte keinen tieferen Sinn. Es war so, man musste es akzeptieren.

Es nagte dennoch an ihm. Sollte er das wirklich einfach so hinnehmen? Wie war es denn jemals so weit gekommen? Wenn Yugi Lehrer werden konnte, warum hatte Yami dann so ein schlechtes Los gezogen? Auch wenn er es jetzt als Teil seines Lebens ansah, damals hatte er es doch sicher nicht gewollt. Warum also? Warum war Yami Stricher geworden? Warum hatten er und Yugi so ein schlechtes Verhältnis?

Katsuya seufzte. Das Rätsel würde er wohl kaum lösen können. Ob er Yami einfach fragen sollte? Nun, alles hatte ein erstes Mal. Ein Versuch wäre es also wert. Er sah auf die Uhr. Drei... Zwei... Eins...

Die Tür des Klassenzimmers öffnete sich und Kaiba trat ein.

Wieso war dieser Typ eigentlich so überpünktlich? Als würde er vor der Tür stehen und nur darauf warten, dass der Zeiger umsprang. Lehrer waren wirklich ein komisches Volk.

Eigentlich eine ganz interessante Sippe, wenn man sie mal als Analyseobjekte betrachtete. „Die Eigenschaften eines Lehrers“ – darüber könnte man doch mal ein Referat halten. Oder „Die Eigenarten eines Lehrers“. Oder einfach mal „Das Eigenverständnis eines Lehrers“. Alles mal sehr interessante Themen. Ob er mal Kaiba um so ein Referat bitten sollte? Allein um diesen Typen zu ärgern…

„Noch einmal guten Morgen, bleibt bitte sitzen.“ , begrüßte Kaiba und fuhr auch gleich fort, „Da schon für übernächste Woche ein Test für euch angesetzt wurde, werden wir nun den Stoff bis dahin etwas schneller durch nehmen. Ich hoffe also auf eure volle Aufmerksamkeit – wenn ich die nicht kriege, dann stört mich das zwar auch nicht, aber ich habe keine Lust, einen Streit mit eurem Direktor wegen eurer schlechten Noten anzufangen. Thema des Testes und der nächsten zwei Wochen ist die Buddhistenverfolgung von 1868. Wer kann darüber einige grundlegende Informationen liefern?“

Keine Hand hob sich.
 

Katsuya grinste nur.

Und die ganze Geschichte wollte der in nur zwei Wochen durchkauen? Das würde er nie schaffen. Na gut, er hatte selbst fast keine Ahnung, aber es hatte sich damals sehr schwer angehört. Worum ging es da noch mal?

„Katsuya, wie sieht es denn mit dir aus? Was fällt dir dazu ein?“

Sein Füller verselbstständigte sich und landete scheppernd auf dem Boden.

„Äh, ich?“, wieso musste der Typ denn jetzt ihn drannehmen? War er denn ein wandelndes Lexikon? Es wusste doch jeder, dass er keine Ahnung hatte!

„Siehst du hier noch einen Katsuya?“

„Nun, die Buddhistenverfolgung... war 1868.“

„Das hast du dir gut gemerkt.“, meinte Kaiba sarkastisch.

„Und sie ging von der Regierung aus. Ähm… man hat damals jede Menge Tempel verbrannt und Mönche getötet und… es gehörte zu einem der ersten Taten des Meiji-Regimes… ähm… ach ja! Es gab Geld für alle Dörfer, die die buddhistischen Tempel von sich aus beseitigten. Dabei ging es noch recht human zu, da die Mönche nur vertrieben wurden. Aber dann entwickelte sich daraus ein Wettrennen zwischen den Dörfern und schließlich ein Massaker, dem damals jede Menge Leute zum Opfer fielen. Und die Gründe für die Verfolgung waren, dass die Regierung zum einen den Einfluss der anderen Religion auf ihre Legitimation fürchtete als auch durch eine Verbreitung des Shintoismus das Nationalgefühl stärken wollte.“, er atmete aus. Wow, er hatte echt etwas Sinnvolles zustande gebracht! Aber ob das alles stimmte... die Hälfte hatte er sich ja gerade ausgedacht...

„Und warum meldest du dich nicht, wenn dir so viel einfällt?“

„War das etwa richtig?“, fragte Katsuya sofort nach.

„Und ich dachte schon, du würdest denken, bevor du redest... selbst wenn es falsch wäre, tu doch einfach so, als wärst du davon überzeugt. Es war nämlich richtig.“

„Oh...“, warum fiel ihm jetzt nichts ein? Er würde doch wohl nicht einen Lehrer in einem Wortspiel gewinnen lassen! Was könnte er erwidern? „Ich finde eher, sie sollten es honorieren, dass mir trotz nicht vorhandenem Vorwissens so viele Dinge eingefallen sind.“

„Ich soll es honorieren, dass du dir in so kurzer Zeit eine komplette Geschichte zusammenraten konntest?“

„Ja!“

„Träum weiter. Ich honoriere es, dass du eine Geschichte erfunden hast, die komplett richtig war. Zumindest an Glück scheint es dir ja nicht zu mangeln.“

„Ich glaub, ich sollte das öfter machen...“

„Wäre ganz nützlich. Um auf die Gründe der Regierung zur Schließung der buddhistischen Tempel zurückzukommen...“, Kaiba fuhr mit seinem Unterricht fort.

Geschichten erfinden, um sich gute Noten zu holen? Alles zusammenreimen, was in irgendeiner Form logisch klang? Nun ja, das wäre zumindest mal etwas Neues. Und es hörte sich gar nicht mal schlecht an.
 

Katsuya klemmte sich seinen neuen Block und den dazugehörigen Füller unter den Arm und erhob sich von seinem Platz.

Er hatte schon vier Stunden überstanden! Und gleich gab es etwas zu Essen! Und ihm war nicht einmal langweilig!

Es war, als würde alles in ihm jubilieren. Er fühlte sich so gut wie seit Jahren nicht mehr. Er war einfach nur… fröhlich. Er verstand sich mit seinen Lehrern, er hatte gute Laune und er freute sich auf den Rest des Tages. Was konnte man mehr wollen? Nun ja, ganz schön viel. Obwohl, wenn er ehrlich war, dann würde es reichen, wenn er sich einmal in seinem Leben freuen könnte nach Hause zu kommen und sagen zu können »Ich bin daheim«.

Katsuyas Lächeln erstarb.

Wieso kam er plötzlich auf solche Gedanken? Wieso machte er sich plötzlich Gedanken, dass sich sein Leben bessern könnte? Wieso machte er sich irgendwelche verdammten Hoffnungen? Er war ein Straßenköter, sonst nichts.

„Hündchen?“, fragte eine dunkle Stimme, als er am Pult vorbeiging.

„Lassen sie den Scheiß.“, knurrte Katsuya zurück.

Sein Blick schnellte zu Kaiba. Und er traf eisblaue Augen, in denen ein Hauch von Besorgnis lag.

„Entschuldigung.“, hauchte er kurz, während er den Kopf senkte.

Er sollte sich wirklich mal benehmen. Sein Lehrer konnte auch nichts dafür, dass es ihm so beschissen ging. Warum eigentlich? War er nicht eben noch fröhlich gewesen?

„Vielleicht sollte ich es wirklich lassen. Aber sagst du mir, woran du gerade gedacht hast? So ein radikaler Stimmungsumschwung ist nicht unbedingt üblich.“

„Danke für ihre Sorge, aber es geht sie nichts an.“, der Blonde drehte sich zur Tür.

„Katsuya?“

Er seufzte, sah seinen Mitklässlern hinterher, die gerade die Klasse verlassen hatten und wandte sich wieder zu seinem Lehrer um.

„Gibt es irgendetwas, das du mir sagen willst?“

„Nein.“, antwortete er schlicht.

„Wie du möchtest. Aber wenn irgendetwas ist, dann kannst du dich ruhig an mich wenden, okay?“

Was wollte dieser Typ eigentlich von ihm? Er hatte ihn immer noch nicht durchschaut. Warum tat er das bloß alles? Warum war er so nett zu ihm?

„Okay…“, mehr konnte er einfach nicht sagen. Da waren so viele Dinge, die ihm auf der Zunge lagen. Aber keine davon könnte er über die Lippen bringen. Warum war er bloß so schwach?

„Und was kann ich tun, damit du wieder lächelst?“

Katsuya sah auf. Sein Blick wanderte von dem locker ans Pult gelehnten Körper, über die zu einem Lächeln gezogenen Lippen, hinauf zu strahlenden Augen. Woher hatte dieser Mann nur dieses helle Blau?

„Warum haben sie blaue Augen?“, fragte der Junge, während er den Kopf ein wenig zur Seite legte.

Scheiße, das hatte er doch jetzt nicht laut gesagt, oder? Was musste denn Kaiba jetzt denken? Da machte der sich Sorgen, dass es seinem Schützling schlecht ging und der dachte über die Farbe seiner Augen nach? Er war doch echt so ein Idiot!

„Kleines Quiz?“, der Lehrer stieß ein wenig Luft aus und schmunzelte, „Die Augen habe ich von meiner Mutter. Sie kam aus Europa.“

„Und was ist jetzt mit ihr?“

„Sie ist tot. Aber schon ganz lange.“

„Ach so…“, musste er immer Mist bauen? Da fragte er nach einer Augenfarbe und landete nach drei Sätzen bei einer Toten. Er war ein Vollidiot!

„Ich glaube, du musst zur nächsten Stunde. Wir sehen uns ja übermorgen, ja? Und vergiss nicht, du kannst jederzeit zu mir kommen.“

„Okay.“, meinte Katsuya mit einem Lächeln.
 

„Guten Morgen.“, begrüßte die Lehrerin die Klasse vor sich.

Katsuya stand in der Küche der Schule, vor ihm eine Herdplatte auf einem Schrank und neben ihm ein weiterer Schrank, auf dem er seine Schulsachen abgelegt hatte. Hauswirtschaft! Die Stunde, auf die er sich den ganzen Tag gefreut hatte. Endlich etwas zu Essen!

„Da ihr euch nun in der Oberschule befindet, gibt es ein paar Änderungen im Unterrichtsverlauf. In der Mittelschule kam es darauf an, dass ihr etwas lernt und dass ihr gute Noten habt. Hier in der Oberschule sollt ihr aber gleichzeitig auch auf das Leben vorbereitet werden. Auf dieser Schule wird das soziale Engagement sehr hoch geschätzt, deshalb möchte auch ich euer Sozialverhalten fördern. Als ersten Schritt möchte ich also, dass ihr in Gruppen arbeitet. Diese Gruppen werden für die nächsten sechs Wochen bestehen bleiben, eure Wahl ist also nicht ganz so schwerwiegend. Ich bitte nun darum, dass ihr euch in Gruppen von mindestens zwei Personen einteilt.“

Katsuya starrte seine Lehrerin an, als hätte sie ihn soeben zum Friedensnobelpreisträger ernannt. Gruppenarbeit?

Er sah sich um. Er sah zu den Mädchen, die vor Freude quietschten und sich gleich ihre beste Freundin geschnappt hatten. Er sah zu den Jungen, die sich gegenseitig auf die Schuler klopften und sich zu ihren Cliquen zusammenfanden. Und er sah zu der Person, die ihn soeben auf die Schulter getippt hatte.

Neben ihm stand ein Junge, der nicht älter als fünfzehn wirkte. Sein Haar fiel in Strähnen über seinen Rücken, hatte aber trotzdem sehr viel Volumen. Als wäre das bei einem Mann nicht ungewöhnlich genug, das Haar war auch noch schneeweiß. Und seine Augen schienen fast durchsichtig. Sie waren ebenso strahlend blau wie die von Kaiba. Und erst diese Haut… er sah aus wie eine Porzellanpuppe. Das – was auch immer es für ein Wesen war, denn irgendwie schien es nicht menschlich – war wirklich mal ein ungewöhnlicher Typ.

„Guten Tag.“, der Kleinere lächelte ihn an, „Mein Name ist Ryou.“

Okay, höflich war er auf jeden Fall. Schüchtern scheinbar auch, denn auf seinen Wangen zeigte sich ein leichter Schimmer von Rot. Aber was wollte er?

„Kann ich dir helfen?“

Sein Gegenüber legte die Arme hinter dem Rücken zusammen und richtete sich so ein wenig auf. Ein Lächeln strahlte von seinen Lippen.

Mal ehrlich, der Typ war wirklich wie Zucker. Einfach nur süß.

„Ich wollte fragen, ob wir eine Gruppe bilden könnten.“
 

Eine Hand schlug auf die Ablagefläche des Schrankes. Katsuya hustete leicht, als hätte er sich verschluckt. Ehrlich, er hatte viel erwartet, aber das sicher nicht!

„Hör mal…“, begann er, „Ich glaube, da fragst du den Falschen. Wenn du dir nicht alles verderben willst, dann solltest du besser nicht mit mir reden. Ich bin kein guter Umgang für dich.“

Der Kleine legte den Kopf schief. „Das hörte sich an, als wärst du meine Mutter.“, meinte er mit seiner Mädchenstimme, „Wenn du nichts mit mir zu tun haben willst, dann kannst du das ruhig sagen.“, er wurde leiser und sein Blick glitt zu Boden, „Ich versteh das schon.“

„Hey!“, rief Katsuya erschrocken und legte seine Hände vorsichtig auf die Schultern des Jüngeren, „Hör mal, so meinte ich das nicht!“, er seufzte, „Irgendwie mache ich heute am laufenden Band alles falsch…“, er ließ den Kopf nach unten sacken und sah wieder auf, um dem anderen in die Augen zu sehen, „Ich meine nur, dass dich keiner mehr mögen wird, wenn du irgendetwas mit mir zu tun hast.“

Der Kleinere legte den Kopf zur Seite und sah an Katsuya vorbei. „Mich mag eh keiner…“, seine Augen verloren plötzlich seinen Glanz, „Ich dachte, dass du mich vielleicht mögen könntest.“

Katsuya zog die Augenbrauen zusammen und legte die Stirn in Falten.

Aus diesen Augen sprach Schmerz.

Verzweiflung.

Hoffnungslosigkeit.

„Was hat man dir angetan?“, flüsterte er.

Die Augen veränderten sich um keinen Deut, nur die Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, während sich die Stirn in Falten legte.

Dieser Ausdruck war wie ein Keil von Schmerz, der Katsuya ins Herz gerammt wurde.

„Ryou!“, zischte der Blonde leicht panisch und zog sein Gesicht zu sich, „Ryou! Ist okay, wir können gern eine Gruppe bilden! Ich tu dir nichts, ja?“, langsam fanden die ausdruckslosen Augen seine eigenen, „Ich pass auf dich auf, ja? Lass und Freunde sein, ja?“

Langsam nahmen die Augen wieder Ausdruck an. Ryou schloss sie und legte seinen Kopf auf Katsuyas Schulter ab.

Instinktiv schloss der Ältere ihn in die Arme.

Ein Luftzug wehte das einzige Wort des Kleinen in sein Ohr.

„Danke…“

Erste Schritte in den Käfig

Da bin ich wieder! Und ich muss direkt eine Sache loswerden:

Danke für eure ganzen Kommis! Danke! Wirklich danke! Ihr seid einfach nur klasse! Und ich bin ehrlich überrascht, dass euch Ryou so mitnimmt - ich habe noch kaum etwas über ihn geschrieben und schon weint ihr ihm Tränen nach. Aber es folgen ein paar Kapitel über ihn ^.- Ich für meinen Teil hab ihn sehr lieb.

Und jetzt will ich ganz schnell schweigen und euch lesen lassen. Nur kurz noch ein paar Neuigkeiten: Ich habe vier Kapitel dieser FF geschrieben, eine ganz kleine FF, die ich auch gleich hochlade und wobei der Titel alles sagt (Titel: "Dead Society - Kleine Nebensequenzen") und auch ein kleines Stück bei meinem Buch. Näheres findet ihr in meinem Weblog.

Ich freue mich, wieder da zu sein! Und nun viel Spaß beim Lesen:

P.S.: Mir ist Ryous und Bakuras Augenfarbe entfallen ^.^" Jetzt sind sie eben blau... (danke für den Hinweis)
 

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„Und achtet darauf, dass der Fisch nur leicht anbrät! Er darf nicht braun werden, er muss von einem leichten Goldton überzogen werden. Hijiri, pass mit dem Fett auf!“

Die Lehrerin hechtete von einem Tisch zum nächsten, wiederholte alle zwei Minuten ihre wirklich konstruktiven Vorschläge für alle und gab hier und da noch ein paar spezifischere Anweisungen. Nur bei einem Tisch hatte sie bisher noch keinen einzigen Kommentar gegeben. Nicht nur, da das Essen richtig gut aussah – was bei den anderen aber auch nicht half, um vor ihren Kommentaren geschützt zu werden – sondern auch, weil sie wohl eine leichte Angst vor der Reaktion hatte. Ihr Blick war immer wieder über Katsuyas mit Metall durchlöcherte Ohren, seinen Verband mit dem Blutfleck an der rechten Seite und seine Nitenbänder gewandert. Und ebenso oft zu dem Jungen, der neben dieser in sich selbst zusammengefallenen Gestalt stand. Der Kleine pfiff während der Arbeit vor sich hin und schien ohne jeglichen Gegenkommentar auf den Älteren einzureden. Als sie das letzte Mal bei beiden vorbeigekommen war, sprach er gerade von den neu entwickelten Tiefseenetzen, mit denen man die Umwelt noch effektiver zerstören konnte. Der Punk stand seelenruhig daneben und schnitt gerade Gemüse für eine Beilage. Und er sah auch nicht so aus, als wollte er den Redefluss stoppen.

„…du musst bedenken, was für ein immenser Beifang dabei gemacht wird! Nicht nur, dass der Seeboden unheilbar zerstört wird und verschiedenste Fischarten ausgerottet werden, nein, man muss auch noch den größten Teil des Fanges tot zurück ins Meer werfen! Die Fischbestände leiden darunter und wenn man da auch noch an die Umweltverschmutzung denkt… diese Raubfischerei ist wirklich unverzeihbar. Wie denkst du darüber?“

Katsuya wendete gerade den Fisch in der Pfanne und drehte den Herd herunter, damit auch die Lehrerin endlich zufrieden war. Nach ihrem Kommentar am Nachbartisch konnte er ja schließen, dass die kleinste Bräune schon eine schlechte Bewertung geben würde. Aber eigentlich waren seine Gedanken eher beim Essen all dieser Dinge als bei der Zubereitung. Trotzdem machte er sich ganz gut – wenn man sich nun mal ein Leben lang selbst versorgte, dann lernte man das Kochen mehr oder weniger unausweichlich. Aber das Schwierigste war wohl, währenddessen auch noch dem Monolog neben sich zu folgen. Aber wenigstens hatte er es geschafft, diesen Ryou auf andere Gedanken zu bringen – das war es doch glatt wert.
 

„Wenn ich ehrlich bin, ich habe mich damit nie viel beschäftigt.“

„Echt nicht? Na gut, ich bin auch nur durch Zufall darauf gekommen. Mein Bruder arbeitet ja immer lange und so habe ich abends meist nichts zu tun. Und da er mir verboten hat einen Nebenjob anzunehmen, habe ich begonnen alles zu lesen, was ich so in die Hände bekomme. Der Nachbar hat angefangen, mir seine Tageszeitungen zu schenken und über uns wohnt eine Studentin, die sich immer von mir abfragen lässt. Und im ersten Stock lebt eine Hausfrau, die hat wegen der kleinen Wohnung fast nie etwas zu tun und daher erzählt sie mir gern den neuesten Klatsch. Und seit Bakura – also mein Bruder – mir einen Computer geschenkt hat und mir sogar eine Internetverbindung bezahlt, kann ich mich nach Lust und Laune über ganz viele Sachen informieren.“

Es war wirklich auffällig, wie oft dieser Junge seinen Bruder erwähnte. Ryou hatte dem Älteren schon erklärt, dass sein Bruder sein Ein und Alles war und die beiden zusammen in einer Wohnung am Stadtrand lebten. Und dass sein Bruder beider Lebensunterhalt mit jeder Menge Jobs verdiente und manchmal kaum zum Schlafen kam. Und wie sehr es den Jungen belastete, dass er nichts für eben diesen Bruder tun konnte und ihm nur auf der Tasche lag. Aber Bakura schien ein ganz netter Typ zu sein. Nach Ryou wollte er seinem kleinen Bruder eine gute Ausbildung mit auf den Weg geben, damit der einmal besser endete als er selbst. Und dass sich beide wirklich gern hatten und sie trotz der Armut ihr Leben sehr liebten – Glück musste man halt haben.

Aber mehr erzählte der Weißhaarige auch nicht.

Er hatte noch mit keinem einzigen Wort seine Eltern oder irgendwelche sonstigen Verwandten erwähnt. Er hatte nicht gesagt, was in seiner Vergangenheit passiert war. Und er hatte auch noch nicht verraten, warum ihn keiner mochte.

Und all diese Fragen brannten Katsuya auf der Zunge.

„Meinst du, der Fisch ist gut so?“, meinte er stattdessen.

Ryou richtete seinen Blick in die Pfanne, drehte die beiden Stücke Lachs und nickte zustimmend. Während der Blonde die gebratenen Tiere elegant aus der Pfanne fischte, füllte der Kleinere schon mal Reis auf und stellte auch die restlichen Utensilien auf den Tisch – das Beste an Hauswirtschaft war doch wirklich das Essen. Und nachdem Ryou die Lehrerin gerufen hatte und sie das Essen mit einer zufrieden stellenden Note abgesegnet hatte, konnte es auch losgehen.

Und Katsuya sah seine Chance.
 

„Sag mal, darf ich dich eigentlich etwas Persönliches fragen?“

„Darf ich vorher eine Frage stellen?“

Katsuyas Augenbraue fuhr nach oben und sein leicht missfälliger Blick traf Ryous bittende Augen. Er harrte noch kurz aus, doch lehnte sich kurz darauf zurück und seufzte.

„Meinetwegen…“

„Ich wollte eigentlich nur wissen, warum du so hungrig bist.“

Der Blonde zog die Augenbrauen zusammen. „Bitte?“

„Na ja, du verschlingst dein Essen mit Heißhunger und wenn ich ehrlich bin, dann siehst du sogar ein wenig ausgezehrt aus…“

Katsuyas Blick verfinsterte sich.

„Ah, natürlich musst du nicht antworten! Entschuldige, ich wollte nicht unhöflich sein!“, Ryou ruderte mit seinem Armen und errötete leicht.

Na gut, er wollte ja auch etwas Persönliches von dem Zuckerstück wissen – also sollte er auch etwas von sich preisgeben.

„Nun, nicht jeder hat einen Bruder, der einem das Leben finanziert. Und ich habe nun mal keinen Job.“, okay, viel hatte er nicht wirklich verraten. Aber Ryou konnte sich ja seine Reime darauf machen.

„A- ach so… bist du böse, wenn ich von meinem Bruder erzähle?“

Darüber musste Katsuya dann doch lächeln. „Nein, ganz sicher nicht. Aber ein bisschen beneiden muss ich dich trotzdem. Das Schicksal hat es mit dir wohl etwas besser gemeint.“

Doch entgegen seiner Vermutung hellte sich das Gesicht des Jüngeren nicht auf, sondern wurde plötzlich sehr traurig. Und seine Augen nahmen wieder diese leichte Leere an.

„Ryou!“

Sofort fokussierte der Weißhaarige ihn wieder und fand in die Realität zurück.

„Willst du mir nicht mal endlich sagen, was mit dir los ist? Ich krieg Angst, wenn du plötzlich so abschweifst. Diese Leere ist wirklich grauenhaft mit anzusehen.“

„Entschuldige…“, sein Blick wandte sich dem noch unangerührten Fisch zu.

„Nein, nicht entschuldigen. Ich weiß ja, woher das kommt, ich hab so was schließlich auch. Aber sag mir doch, warum du so leidest.“

Ryou sah scheu zu ihm auf, ließ die Augen wieder sinken und blickte zurück. Die Holzstäbchen in seinen Händen wurden ruhelos durch die Luft geschwungen, während die Arme doch an den Körper gepresst waren. Er wandte den Blick von rechts nach links, von links nach rechts und zurück zu Katsuya.

„Hast du morgen Nachmittag Zeit?“
 

Natürlich hatte Katsuya Zeit und natürlich hatte er zugestimmt. Und nicht unnatürlicher Weise hatten sie das Thema auch nicht mehr angeschnitten.

Ryou hatte noch von dem Jurastudium der Nachbarin erzählt, bei dem er sie immer abfragte und von dem Horrorfilm, den er letztens zusammen mit seinem Bruder gesehen hatte. Und Katsuya hatte die Gegenfragen geflissentlich überhört, welche Filme er denn am liebsten mochte und was er mal studieren wollte. Studieren konnte er eh vergessen, er musste arbeiten, da konnte man auch nichts dran ändern. Er hatte kein Geld, um etwas zu Essen zu kaufen, er hatte kein Geld, die Rechnungen zu bezahlen und er hatte erst recht kein Geld, um sich Filme anzusehen. In dem Sinne hatte das Essen übrigens sehr gut geschmeckt – aber seinen Hunger hatte es nicht gestillt. Auch die fünfte Portion Reis nicht. Erst die zwei Extraportion, die er nach dem Unterricht von einem Nachbartisch geklaut hatte, weil sie dort über waren, hatten ihn satt gemacht. Aber wie lange würde das anhalten? Das nächste Mal Hauswirtschaft hatte er erst Freitag.

Also war klar, was er heute Abend noch tun würde. Er brauchte einen Job und das dringend. Aber wo bitte ließ sich außer in der Prostitution schnell Geld machen? Er konnte nicht bis zum Monatsende warten. Und Schwarzarbeit war seit der letzten Razzia wirklich schwer zu kriegen. Was also tun? Eigentlich gab es da wie immer nur eine Antwort: Beziehungen spielen lassen. Auch wenn er das hasste, eine andere Chance hatte er wohl nicht. Und da weder sein Vater noch Yami hier irgendeine Hilfe waren, hatte er auch nur eine Anlaufstelle: Sein Nachbar Hiroto.

Und vor genau dessen Tür stand er nun.

Und wie immer nagten die Zweifel an ihm. Ob er abgewiesen werden würde, ob er sich überhaupt Hoffnungen machen sollte und ob irgendjemand ihn bei seinem schrägen Outfit nehmen würde.

Er konnte es nicht verleugnen, er war eine lebende Leiche. Er lebte im Armenviertel von Domino in einer ziemlich abrisswürdigen Bude, in der Wasser- und Stromversorgung eigentlich schon ein Wunder darstellten. Er wurde von der Polizei gehasst und von dem Gesetz im Stich gelassen. Er hatte einen arbeitslosen Alkoholiker zum Vater und eine Mutter, die mit seiner Schwester abgehauen war. Er hatte kein einziges gutes Zeugnis und keinen Schulabschluss. Er hatte straßenköterblondes Haar und war ausgedörrt wie ein Bulimiekranker. Auf seinen Armen prunkten Selbstverletzungswunden und Spritzeneinstiche. Er lief als Punk rum und sein einziges Vermögen stellten die Piercings an seinem Körper dar. Wer zur Hölle sollte ihn denn einstellen wollen?

Aber er wäre nicht Katsuya Jonouchi, wenn er nicht wenigstens den Versuch wagen würde. Nachdem er noch einmal tief eingeatmet hatte, betätigte er die Klingel und lauschte den Schritten auf dem Flur, die auf die Tür zuwanderten. Diese wurde einen Spaltbreit geöffnet, geschlossen und nach Entfernen des Vorhängeschlosses endlich aufgemacht.
 

„Katsuya!“, rief Hiroto erstaunt, blickte kurz über den Flur und zog den Jüngeren in die Wohnung, „Welch seltener Besuch…“

„Ich hoffe, ich störe nicht…“

„Meine Güte, welch Höflichkeit… wenn du schon so nett bist, dann willst du doch sicher etwas, oder?“

Katsuya atmete tief ein – direkt formuliert, es war manchmal echt beschissen, wenn jemand einen kannte. Aber irgendwie ersparte es ihm auch eine Menge Arbeit. „Ich fass mich kurz, bin ja schließlich kein Mann des Wortes. Ich brauche Geld.“

„Halt.“, unterbrach Hiroto ihn, „Du möchtest vom ärmsten Schlucker der Gegend Geld?“

„Du bist einer der Reichsten und ich will ja eigentlich auch gar kein Geld.“

„Was denn dann?“

„Einen Job.“, damit war es also raus. Und seine Hoffnung war eh erloschen, also war es auch egal, was Hiroto sagen würde. Es war nicht wichtig. Überhaupt nicht wichtig. Und wenn er ihn auslachen würde, dann wäre das ganz normal. Vollkommen normal. Er hatte eben nichts anderes verdient.

„Ein Job…“, murmelte Hiroto, „Das ist schwer… ich hab ja selber nicht einmal einen sicheren Arbeitsplatz. Die können mich tagtäglich feuern… egal, komm erstmal rein.“, unterbrach er sich schließlich selbst und zog Katsuya in das hinterste Zimmer.

Hiroto Honda lebte in der Wohnung direkt neben der der Jonouchis. Jedoch war seine Wohnung noch kleiner, neben dem Flur, der Küche und dem Bad hatte es nur ein Zimmer. Manch anderer hätte selbst das noch als Luxus ansehen können, aber alles war so heruntergekommen, dass man sogar den Schimmelpilz von der Wand kratzen konnte. Und manchmal wurde dieser noch von dunklen Flecken geziert, die wohl einst mal Insekten waren.

Katsuya schüttelte sich. Er brauchte einen Job und das dringend!

„Was hattest du dir denn vorgestellt?“

„Total egal, ich mach alles außer Leute ficken und mich ausziehen. Und das Geld am besten Cash, denn ich brauche sofort etwas.“

Hiroto kicherte. „Na, willst du ein Mädchen mit ein paar Geschenken rumkriegen?“

Katsuya setzte sich schweigend.

„Ach ja, die Jugend…“

„Du bist nur ein paar Jahre älter als ich.“, konterte der Blonde leicht säuerlich.

„Tja, aber ich bin in dem Alter, wo man dem Ernst des Lebens ins Gesicht sehen muss. Du kannst deine Jugend ja noch ein wenig genießen…“

Er ballte die Hand zur Faust, biss die Zähne aufeinander und schluckte seinen Kommentar. Oh Mann, was hatte er gute Freunde… das mit dem Kennen nahm er zurück.

„Aber ich mag dir gern ein wenig unter die Arme greifen, wenn es irgendwo hapert… und wenn das mit den Geschenken nicht klappt, kannst du ruhig mich fragen. Aber zurück zum Job. Ich ruf erstmal meinen Chef an und frage da ein wenig, ob er nicht jemanden kennt, der eine Arbeitskraft sucht. Wenigstens bist du ein kräftiger Bursche…“

Und schon tippte er eine Nummer in sein Handy – übrigens ein Diensthandy, er selbst hätte sich kaum eins leisten können. Und nur eine halbe Stunde später hatte Katsuya einen Job. Ihm war, als fiele ihm ein ganzes Bollwerk vom Herzen. Er hätte Hiroto nachträglich küssen können – aber seine sonstige Abneigung hielt ihn zurück. Klar, mit dem Kerl konnte man die Zeit verbringen, konnte sicher allen möglichen Scheiß anstellen, konnte über alles reden, aber das hatte nie etwas Persönliches. Außer vielleicht, dass Hiroto in etwa wusste, was bei seinen Nachbarn vorging. Wäre auch ungewöhnlich, wenn nicht – Katsuyas unterdrückte Schreie jede Nacht konnte man sicher nicht überhören.

Aber sie sprachen nicht darüber.

Er sprach niemals darüber.
 

Jetzt hatte er also einen Job.

Ohne Vorstellungsgespräch, ohne Kennen lernen, ohne Fragen nach der Person. So lief es nun mal in der Gosse. Man fragte nicht, was der Wirt nach der Arbeit tat, nicht, was der Vermieter nachts in den Wohnungen machte, nicht, was der junge Punk neben der Arbeit erlebte. Er würde arbeiten, er würde bezahlt werden und irgendwann würde er gehen, ohne dass sich jemand an ihn erinnern würde. Für die Jobs in den Hinterhöfen der Kneipen stellte man billige Arbeitskräfte ein, die sowieso nach einigen Monaten meist irgendwo tot aufgefunden wurden und somit keine Arbeit machten, da sich eh niemand für sie interessierte. Man arbeitete das ab, was einem aufgetragen wurde und was man sonst machte, war egal. Man lebte zwischen den Huren und Strichern, die es zu nichts Größerem mehr schafften oder versuchten sich aus dem Dreck zu reißen. Oder sich um den Dreck zu reißen. Den Dreck der Menschheit, dessen einziger Vorzug eine spendable Hand war, die einem im Gegenzug zwischen die Beine packte. Katsuya wusste jetzt schon, dass ihm das öfter passieren würde. Aber was half’s? Ob er hinter oder in der Kneipe arbeitete, es gab keinen Unterschied. Die Wesen dort hatten das Menschliche verloren, sie waren schlimmer als Tiere. All ihr Geld landete in den Händen der Prostituierten, des Wirtes oder der Dealer. Und wenn jemand dabei getötet wurde, dann interessierte das auch nicht weiter.

Die Gosse hatte ihr eigenes Gesetz und an das galt es sich zu halten. Ebenso wie an die Hierarchie. Katsuya stand ganz unten, er war kaum mehr als ein Junkie. Und er wusste, dass man ihn wie Dreck behandeln würde. Schläge und Tritte standen an der Tagesordnung, Mord begegnete einem alle paar Meter.

Dafür war die Gegend eine eingeschworene Gemeinde. Kein Polizist wagte es in die Nähe, sie notierten nur brav die Todesfälle. Katsuya galt hier nichts und auch der Job würde nicht mehr aus ihm machen. Da musste er sich schon hocharbeiten. Vom Hinterhofsjunkie zum Kellner, vom Kellner zum Barkeeper, vom Barkeeper zum Verwalter. Und eben das nahm er nun in Angriff.

Das war die Welt, in der er aufgewachsen war und er sollte sich ihr endlich stellen.
 

Und doch, eine Frage nagte an ihm. Er hatte in den letzten Tagen oft an diesen Mann denken müssen und sich oft mit ihm verglichen.

Yami.

Das ewige Mysterium.

Er hatte auch in den Hinterhöfen angefangen, nur hatte er eine andere Karriere gemacht, wenn man es so nennen konnte. Und er stand ganz oben in der Hierarchie. Das war der Platz, den Katsuya nun auch ansteuern musste. Bis er seine Schulausbildung hatte, würde ihn nichts aus der Gosse holen. Die höchste Stellung, die er mit dem ihm vermittelten Job erreichen konnte, wäre eine eigene Wirtschaft. Yamis war ein eigenes Bordell.

Und das hatte Yami bereits erreicht, er war unabhängig. Dass er keine anderen verpflichtete, konnte Katsuya ihm hoch anrechnen – aber Yami war eh nicht der Typ, der auf Geld aus war. Und auch nicht einer, der seinen Stand verlassen wollte. Er ließ sich gern vögeln – und Katsuya konnte es nicht verstehen.

Und dennoch kam er nicht umher, sich mit seinem besten Freund zu vergleichen. Noch vor einigen Tagen hätte er sie für grundverschieden erklärt. Es war erst zehn Tage her, dass er versunken in Depressionen, mit einer Spritze Heroin im Arm an die Wand gestarrt und sich irgendwann gefragt hatte, wie es wohl wäre, mit den reichsten und schönsten Typen der Stadt zu schlafen. Und es erschien ihm wie die höchste Freiheit, während er im Dreck gesessen hatte und mit dem Messer langsam und fast zärtlich über die Haut an seinem Handgelenk gefahren war. Es war beruhigend, zuzusehen, wie das Blut im Rhythmus seines Herzschlages aus der Wunde gesickert und seinen Arm entlang gelaufen war. Wer stark war und sich behauptete, der konnte in der Hierarchie aufsteigen. Wer aufstieg, der entfloh dem Dreck. Und wer oben angekommen war, der konnte die Gosse verlassen. So wie Yami.

Yami war ein starker Mensch. Oder er war so labil, dass man ihn einfach für stark halten musste. Er hatte Katsuya gesagt, warum er sich Nacht für Nacht von anderen vergewaltigen ließ. Er meinte, er wolle etwas spüren. Und das konnte Katsuya verstehen – aber warum es diese Art sein musste, das verstand er nicht. Aber sie hatte Vorzüge, das musste er zugeben. Nur glaubte er nicht, dass sich Yami dessen bewusst war. Wenn er in die leeren, ausdruckslosen Augen sah, dann konnte ihm nur schlecht werden. Immer wenn Yami von einem Freier kam, ging es ihm so schlecht, dass er sich umbringen wollte. Und jedes Mal sagte er nur, dass er seine Schmerzen schon erhalten habe. Dass er die Strafe für seine Taten empfangen hatte. Bis er irgendwann in die Wirklichkeit zurückfand und das Feuer seiner Augen wieder zu brennen begann. Und dann war er ein anderer. Er wurde stark, er wurde ein Optimist, er baute Katsuya auf. Er begann so sehr zu strahlen, dass der Blonde sich ohne Bedenken diesem Licht hingeben konnte. Er traf auf Verständnis, auf Freundschaft, auf ein Lächeln. Und waren sie denn da irgendwie anders? Nein, so lautete die Antwort. Sie beide litten, aber sie beide konnten neben den Leid noch leben. Sie brauchten nur die richtigen Orte und sie konnten wieder erblühen. Wie Wüstenblumen, die auf den Regen warteten. Und der Job, so beschissen er auch war, war wie die ersten Tropfen Wasser. Katsuya wollte auch mal wieder blühen, nicht nur in der Schule, die für ihn wie ein kräftiger Schauer war. Aber wenn er an die Schule dachte, dann erkannte er den Unterschied zwischen Yami und ihm:

Er hatte noch Hoffnung.
 

„Vater?“

Katsuya sah sich in der Wohnung um und fand seinen Erzeuger vor dem Fernseher sitzen, diesmal mit einem einfachen Wein in der Hand – dann war er zumindest noch nicht sturzbetrunken.

„Was willst du, Ratte?“, die Gestalt drehte sich zu ihm um.

„Ich dachte, ich wäre unter deinen Beleidigungen schon zum Köter aufgestiegen.“

Die einzige Antwort darauf war ein Knurren.

„Ich brauche Geld.“

„Wofür’n das?“, er musterte den Jüngeren von unten nach oben, „Hast’e was ausgefressen?“

„Nein, aber der Kühlschrank ist leer. Ich muss einkaufen.“

Herr Jonouchi wandte sich dem Fernseher zu, schaltete ihn aus und ging um das Sofa herum, an das er sich anlehnte. „Warum klaust du dann nix? Hattest’e sonst auch kein Problem mit.“

Katsuya verdrehte die Augen. „Freut mich, dass du mal halbwegs nüchtern bist, aber vielleicht erinnerst du dich dann auch, dass du mir das Stehlen verboten hast.“

„Dann geh Geld verdienen.“

„Tu ich doch.“

„Ach?“, die Augenbraue des Älteren wanderte ein Stück nach oben.

„Ja, ab Samstag. Und Freitag kann ich in der Schule essen. Aber bis dahin bin ich verhungert!“

Er gähnte ausgiebig und streckte die Arme in die Luft, bevor er wieder zusammensackte. „Du gehst zur Schule?“

Katsuya seufzte nur und lehnte sich an den Türrahmen. „Hat Montag wieder begonnen.“

„Welcher Tag ist heute?“

„Dienstag.“

Herr Jonouchi fuhr mit der Hand über die Augen und sah auf die Uhr. „Du musst ins Bett.“

„Vorher brauch ich noch Geld.“

„Ja ja…“, er zog eine abgewetzte Brieftasche aus der Hose und einen Tausend-Yen-Schein aus eben diesen, „Das sollte für euer Kantinenessen reichen.“

„Noch einen und ich lebe länger als einen Tag.“, meinte Katsuya schnippisch und zog den Schein aus der Hand des Älteren.

Sein Vater hob nur die Faust und schlug einmal hart zu, sodass der Kleinere zurücktaumelte.

„Undankbarer Straßenköter!“

„Womit wir beim Anfang wären…“, flüsterte der Schwächere, während er sich die Wange rieb.

„Auf dein Zimmer! Ich hoffe, du schläfst beschissen.“

„Sauf gut.“

Damit wurde die Tür hinter ihm zugeschlagen.

Rain in the morning

So, hier mal wieder ein etwas kürzeres Kapitel. Zur Erklärung (mal wieder auf Anregung durch einen Kommentar) sollte ich kurz noch erwähnen, dass Katsuya nicht drogensüchtig ist. Dass er keine Entzugserscheinungen hat, ist hingegen ein Fehler meinerseits - ich bitte um Verzeihung (ich denke, ihr könnt sie euch hinzudenken - oder ihr nehmt seine Kopfschmerzen jetzt als Entzugserscheinung *drop*). In diesem und dem nächsten Kapitel geht es Ryou - ich habe ja schon die verschiedensten Vermutungen gehört, langsam sollte es aufgedeckt werden. Ich wünsche euch also viel Spaß ^.^ Und nochmal danke für die Kommis! Mein letztes Wort hier sei: Überraschung!
 

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Wie jeden Morgen wurde Katsuya von seiner Armbanduhr geweckt. Sie piepte so dröhnend und unabänderlich, dass er sie nicht ignorieren konnte. Und er hatte das Gefühl, sie piepte ihm das Gehirn aus dem Kopf. Woher hatte er diese verdammten Kopfschmerzen?

Gähnend streckte er sich und sah sich in seinem Zimmer um. Eigentlich war alles wie immer. Seine Matratze unter dem Fenster, sein unbezogenes, fleckiges Bettzeug, die Klamotten in den Pappkartons, schmutzige Wäsche und Müll in den Ecken des Raumes – er könnte mal wieder aufräumen. Und auf seinem Schreibtisch stand die Drachenstatue. Wie jeden Morgen blickte sie zu ihm herab und begrüßte ihn so.

Shizuka hatte sie ihm einst geschenkt. Wie viele Jahre war das her? Seine Eltern hatten sich getrennt, als er neun war. Der Drache war sein Abschiedsgeschenk gewesen. Und mehr war ihm auch nicht geblieben. Er wusste nicht mal, ob seine Kleine noch lebte. Zehn Jahre waren nun vergangen… er hatte nicht einen Brief erhalten. Ebenso wenig wie die Adresse, unter der er sie erreichen konnte. Ob sein Vater sie kannte? Selbst wenn, die Erinnerung hatte er sicher schon weg gesoffen. Warum hatte man ihnen nichts gelassen? Ob seine Schwester ihn auch vermisste? Ob sie noch lebte?

Er stellte sich unter die Dusche und drehte den Hahn auf.

Es kam kein Wasser.

„Scheiße!“, fluchte Katsuya.

Er schlang sich ein Handtuch um und eilte ins Wohnzimmer. Sein Vater lag immer noch auf dem Sofa, schnarchend, zwei leere Flaschen Wodka hatten sich zu den anderen gesellt.

„Alter!“, Katsuya packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn durch, „Hey, betrunkenes Wrack! Schalt dein Hirn ein!“

Langsam öffnete der Ältere die Augen und schlug irgendwann nach dem, der ihn immer noch schüttelte. Dabei traf er Katsuyas Brust, dessen Besitzer ihn losließ und ihn anschrie.

„Hast du die Rechnungen nicht bezahlt, du Säufer? Irgendwer hat uns das Wasser abgedreht! Das ist jetzt das dritte Mal dieses Jahr, du verdammtes Arschloch! Kümmer’ dich um den Scheiß oder ich schlage dich einmal zusammen!“

Damit drehte sich der Wütende um und stapfte in sein Zimmer. Fertig angezogen und mit dem neuen Schulzeug bepackt rauschte er ebenso sauer fünf Minuten später aus der Wohnung.

Er hasste diesen Kerl! Er hasste diesen verdammten Alkoholiker! Warum musste er so einen Scheißkerl zum Vater haben? Wieso hatte seine Mutter ihn nicht mitgenommen? War er ihr etwa so wenig wert? Warum hatte sie ihn mit diesem Säufer zurückgelassen? Warum hatte sie nur seine Schwester mitgenommen? Warum? Warum? Warum? Warum!

Katsuya sackte zusammen und lehnte sich an die Wand neben ihm. Das Schluchzen ließ ihn keine Luft mehr holen. Er rang unter seine Tränen um seinen Atem. Seine Hand presste auf die Stelle, wo sein Herz lag.

„Warum…“, flüsterte er und fuhr mit einer Hand an die Stirn.

Verdammt! Er hatte den Verband nicht wieder drum gemacht. Jetzt musste er auch noch zur Krankenstation…

Er griff nach dem Block und dem Füller, die nun neben ihm auf dem Asphalt lagen. Beides an sich drückend setzte er seinen Weg fort.
 

Katsuya klopfte an der Klassentür und wurde hereingebeten.

„Sie sind zu spät.“, setzte sein Englischlehrer ein.

„Tut mir Leid, ich musste noch auf die Krankenstation.“, der Blonde fuhr sich mit der Hand durch sein Haar und wollte seinen Weg zu seinem Platz fortsetzen.

„Halt! Glauben sie etwa, diese Ausrede zieht? Auf den Flur mit ihnen!“, der Mann packte ihn am Arm und zerrte ihn aus dem Raum, „Glauben sie ja nicht, ich lasse irgendetwas durchgehen, nur weil ich neu bin.“, giftete er und schlug die Tür zu.

Katsuya starrte die Tür an, zog eine Augenbraue leicht hoch, seufzte und stellte sich ans Fenster, das hinter ihm war. Noch einmal seufzend ließ er den Blick über den leeren Schulhof gleiten. Während er die Augen schloss, drückte er die neu verbundene Stirn gegen das Glas.

Das war ja mal wieder ein toller Anfang gewesen. Wenn er sich recht erinnerte, so hatte im letzten Jahr auch ungefähr jede Stunde so angefangen. Wollte er nicht einmal etwas richtig machen?

Gestern war es doch ganz gut gelaufen. Er hatte bei Kaiba mitgearbeitet, in Mathe hatte er zumindest einen Lehrer, den er mochte und in Hauswirtschaft arbeitete er mit einem netten Typen zusammen. Und jetzt verpatzte er gleich die erste Stunde Englisch. Was sollte er dem Lehrer denn jetzt sagen? Sollte er sich noch mal formvollendet entschuldigen? Ehrlich, Lehrer waren ein schweres Volk. Allen voran Kaiba – er war so undurchschaubar wie ein kilometerweiter Gletscher. Und dieses Lächeln ging ihm nicht aus dem Kopf… es passte einfach nicht. Kaiba war jedem gegenüber eiskalt, nur in Diskussionen fing er Feuer. Er diskutierte mit Ironie und Sarkasmus, beleidigte einen gern mal zwischendurch und unterstützte seine Argumente mit eiskalten Blicken. Aber dieses Lächeln passte nicht. Was sollte das bedeuten?

Nein, Kaiba war ein schwerer Fall. Ebenso wie er selbst wahrscheinlich. Was war er schon? Er war Vieles. Um kein Nichts zu sein, hatte er dafür gesorgt, dass ihn alle hassten. Schon kurz nachdem er in die Gosse kam, weil sein Vater seinen Job verlor und sich nur noch der Trinkerei unterwarf. Das war, als er gerade in die Mittelschule gekommen war. Kaum dreizehn Jahre alt war er gewesen… er hatte die Schule geschmissen und das Kämpfen gelernt. Er hatte sich sein Essen zusammengeklaut und ein klein wenig Geld mit dem Austragen von Zeitungen verdient. Er hatte seine Kleidung gewechselt, sich die Haare abgeschnitten und gefärbt. Ein paar Monate später sah er zwar wieder wie vorher aus, aber jeder hatte die Botschaft verstanden. Die Welt hatte ihn ausgestoßen – jetzt stieß er jeden ab. Über sechs Jahre war das her. Was hatte die Zeit aus ihm gemacht?

Die Glocke klingelte zum Ende der Stunde.
 

„Guten Morgen, Jonouchi.“

„Morgen, Ryou.“, der Blonde blickte auf das Energiebündel vor ihm, das extra für ihn aufgestanden und zur Tür gelaufen war, „Kannst mich übrigens Katsuya nennen.“

„Kommst du heute Nachmittag wirklich zu mir?“

„Klar.“, Katsuya setzte sich auf seinen Platz und ordnete sein Schulzeug auf dem Tisch.

„Juhu!“, rief Ryou und sprang beinahe in die Luft.

Ohne Frage, der Kleine war wirklich süß. Ein klein wenig kindisch, schüchtern und anscheinend ewig gut gelaunt – man würde nicht glauben, dass sich etwas Böses dahinter verstecken konnte. Wenn Katsuya ehrlich war, dann war er mehr als gespannt, was er heute Nachmittag hören würde. Warum die anderen nichts mit dem Jungen zu tun haben wollten. Denn der Punk konnte sich nicht vorstellen, was das sein sollte – er schien das genaue Gegenteil von ihm selbst zu sein.

„Katsuya?“

„Äh, was?“, er schüttelte den Kopf und wachte aus seinen Gedanken auf.

„Ich fragte, ob du wirklich auf der Krankenstation warst.“

„Natürlich! Warum sollte ich lügen?“, fuhr er ihn harsch an.

„Entschuldige!“, der Weißhaarige verbeugte sich vor seinem Tisch, „Ich wollte dir das nicht unterstellen! Tut mir Leid, tut mir ehrlich Leid!“

Der Ältere zog ihn sanft wieder nach oben, nachdem er vor Schreck von seinem Stuhl aufgesprungen war. Er sollte vielleicht daran denken, wie ängstlich der Andere auf Wut reagierte.

„Ryou… ist gut…“, er strich ihm sanft über die Wange, „Wenn ich jemanden anfauche, dann ist das ganz normal. Ich bin dir nicht böse.“, versuchte er zu erklären.

„Okay…“, murmelte der Weißhaarige und lächelte schließlich wieder.

„Hey, guckt mal.“, rief einer der Jungen, „Dornröschen hat einen Prinzen gefunden!“

„Wieso Prinzen?“, schrie ein anderer, „Einen König! Den König der Idioten!“

Ein paar Mädchen kicherten.

„Küsst euch doch, ihr Schwuchteln!“, meinte einer hinter ihnen.

Dann begannen ein paar im Chor: „Schwuchteln! Schwuchteln!“

Katsuya warf einen Blick auf Ryou.

Der versteckte sein Gesicht hinter seinen Händen und schniefte, während seine Muskeln sich alle gespannt hatten, sodass er am ganzen Leib zitterte.

Mit einem Seufzer legte der Ältere die Arme um ihn und drückte sein Gesicht an seine Brust.

Die Jungen verstummten augenblicklich.

Katsuya warf ihnen einen mehr als tödlichen Blick zu und zischte in die Stille: „Glaubt mir, dafür bezahlt ihr nachher…“
 

Der Rest des Schultages verlief ziemlich ereignislos bis auf die Tatsache, dass Katsuya zum ersten Mal in über einem Jahr die Kantine der Schule betrat. Und wie er schon vermutet hatte, brauchte er das ganze Geld um auch nur ein Essen bezahlen zu können. Nach der Hälfte der Pause verabschiedete er sich von Ryou und verschwand bis zu dessen Ende – der Kleine brauchte nicht zu wissen, dass er die Gruppe Jungen, die ihm schon seit Montag mit ihrem Beleidigungen auf die Nerven ging, verprügelte. Aber wahrscheinlich vermutete er es sowieso, als die Sechs mit ein paar grünen, blauen und violetten Stellen im Gesicht wieder auftauchten. Und er wusste es spätestens, als sie zu dem Lehrer gingen, den sie in der nächsten Stunde hatten um Katsuya anzuschwärzen. Aber bei eben diesem handelte es sich um ihren Mathelehrer, Herrn Muto, der mit einem Lächeln auf den Lippen antwortete, dass Katsuya immer nur so fest zuschlug, wie man es verdient hatte und sie lieber an ihrem Benehmen arbeiteten sollten – Freunde musste man haben.

So kamen beide im späten Nachmittag schließlich in Ryous Wohnung an. Sie lag zwar in einer ähnlich schlechten Gegend wie die Katsuyas, aber sie war sauber, die Wände waren tapeziert und nirgendwo war Müll zu sehen. Keine leeren Flaschen, keine Bierdosen, keine schmutzige Wäsche – das war wie das Paradies auf Erden.

„Ich hab ein bisschen aufgeräumt.“, meinte der Weißhaarige mit roten Wangen, „Und geputzt.“

„Trinkt dein Bruder?“, fragte der Blonde gleich.

„Nein!“, rief Ryou etwas zu schnell für Katsuyas Geschmack. Er zog den Kopf etwas ein unter seinem prüfenden Blick. „Na ja… er hat es früher getan… aber seit wir hier wohnen, hat er keinen einzigen Tropfen mehr gehabt, Ehrenwort.“

Er war doch wirklich zu süß um wahr zu sein. Und er sagte die Wahrheit, das fühlte der Ältere.

„Dann lebst du glücklicher als die meisten Menschen. Also was bedrückt deine Seele?“

„Komm.“, der Kleine griff seine Hand und zog ihn in den Raum rechts von der Eingangstür – es war die Küche, „Magst du etwas zu trinken?“

„Hast du Sprudel?“

„Klar.“, er machte zwei Gläser fertig.

„Cool.“, Katsuya nahm einen Schluck, „Das hab’ ich ewig nicht mehr getrunken.“

Ryou zog leicht die Augenbrauen hoch, aber fragte nicht.
 

„Dann erzähl mal.“, meinte der Blonde mit einem Lächeln.

„Kann ich vorher etwas fragen?“

War das nicht irgendwie klar gewesen? Aber gut, Katsuya würde auch nicht einfach so jedem von seinem Leben erzählen. Also nickte er.

„Du hast doch die Jungen heute verprügelt, oder?“

„Klar.“

„Warum?“

Katsuya fühlte sich plötzlich von den hellblauen Augen durchbohrt. Ryou konnte ja glatt Blicke verteilen, die einem Angst einjagten. Nun gut, die Antwort konnte er ja geben.

„Weil sie dich beleidigt haben. Vor allen Dingen weil sie dich zum Weinen gebracht haben.“

Der Weißhaarige lächelte glücklich. „Du bist genauso wie mein Bruder.“

„Ich nehme das mal als Kompliment.“, Katsuya zwinkerte ihm zu, „Freunde sollten füreinander da sein.“

Sein Gegenüber lächelte mit noch mehr Strahlen in den Augen.

„Darf ich nun deine Geschichte hören?“

„Ja.“, er schloss die Augen, trank einen Schluck und sah ihn dann noch einmal durchdringend an, „Aber wenn du danach nichts mehr mit mir zu tun haben willst, dann sag das bitte. Ich bin zu oft enttäuscht worden und kann die Wahrheit vertragen.“

Katsuya wurde langsam etwas mulmig zumute. Was hatte dieser Junge denn nun erlebt? Und wieso glaubte er, alle Welt würde ihn deshalb verachten?

„Also beginne ich am besten mit dem Schockierenden zuerst.“

Er lehnte sich vor, schob das Glas zur Seite und versuchte es sich dabei auf seinem Küchenstuhl etwas bequem zu machen. Er war nicht weniger hart als der Tisch. Seine rechte Schuhspitze tippte auf die Fliesen.

„Ich bin schwul.“

Katsuya atmete einmal tief durch.

Okay, das war verkraftbar. Bei einem wie Ryou sogar denkbar. Selbst wenn man den Charakter beiseite nahm, sah er immer noch aus wie eine Frau. Aber was sagte schon Aussehen? Aber irgendwo ließ es darauf schließen.

So durchdringend wie der Jüngere ihn ansah war das aber sicher noch nicht alles.

„Und weiter?“, hackte der Blonde schließlich nach.

„Ich bin mit meinem Bruder zusammen.“

Die Seele eines Kämpfers

Ich sitze hier mit einem ganz breitem Grinsen vor dem PC - denn dies ist bisher mein Lieblingskapitel. Nicht nur, weil ich Ryous Geschichte niederschreiben kann, sondern auch, weil mein absoluter Liebling seinen Auftritt hat - und nein, es ist nicht Yami! (das ist mein zweiter Liebling)

Ich hoffe, die Personen wirken nicht zu OOC, hier habe ich mich wirklich bemüht, nahe dem Original zu bleiben - das war diesmal echt nicht einfach. Besonders nicht bei meinem Schatzi ^.^

Aber ich rede zu viel, hier sollt ihr euer schon erwartetes Kapitel haben - Bezahlung bitte cash diesmal, ohne Blatt vor dem Mund *lach* Nein, jetzt mal ehrlich: Vielen Dank für die lieben Kommis! Rückmeldungen sind wirklich gern gesehen, es freut mich zu hören, wie die Geschichte auf euch wirkt.

Und jetzt nicht lang drumrumgeredet, hier euer Kapitel:
 

P.S. Die FF "Dead Society - Kleine Nebensequenzen" ist on.
 

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„Mit deinem Bruder?“

Katsuya atmete tief ein, schluckte und blies die Luft durch den Mund wieder aus. Er stützte seine Ellbogen auf die Tischplatte und sein Kinn auf seine Hände. Sein Blick blieb in Ryous Augen hängen.

Dieser hielt dem stand. Seine Hände lagen ruhig gefaltet vor sich. Er zitterte nicht, er wandte den Blick nicht ab, er zeigte nichts von der Unruhe, die in seinem Körper sein musste.

Ganz schön mutig für den Jungen, das musste er zugeben. Ebenso mutig wie ihm dieses Geheimnis anzuvertrauen. Ryou stand also ebenso wie er selbst am Abgrund der Gesellschaft.

„Schneiden die dich deshalb in der Schule?“

„Die wissen nur, dass ich schwul bin.“, antwortete der Weißhaarige mit fester Stimme.

Katsuya wusste trotzdem, dass er nervös war. Und er sollte den Armen auch nicht weiter im Unwissen lassen. Freundlich lächelte er den Kleinen an, lockerte sich und nahm noch einen Schluck Wasser.

„Willkommen in meiner Welt, Mitverstoßener.“, er reichte ihm die Hand.

Ryou lächelte, atmete erleichtert aus und schlug ein.

„Es macht dir nichts aus?“

„Na ja…“, Katsuya legte die Stirn in Falten, „Ich kann nicht sagen, dass es mir nichts ausmacht. Mit dem eigenen Bruder zusammen zu sein ist schon nichts, was man als Außenstehender… leicht verdaut. Aber man gewöhnt sich ja an allem, auch am Dativ.“

Der Jüngere lachte leise. „Danke für die Ehrlichkeit.“

„Ich bin grottenehrlich.“, meinte der Blonde nur, „Und ich tue oft genug anderen damit weh. Aber dafür bin ich eine treue Seele.“, er grinste.

„Willst du auch den Rest hören?“

„Rest?“, sagte er mit fragendem Blick.

„Meine gottverdammte Lebensgeschichte.“, Ryous Blick wurde traurig, „Ich glaub’, dir kann ich sie erzählen. Du siehst ja auch nicht so aus, als kämst du aus einer glücklichen Familie.“

Katsuyas Miene wurde wieder ernst, bevor er nickte.

Und so begann der Junge zu erzählen.

Er erzählte, wie sein Vater seine Mutter gequält hatte. Er erzählte, wie sein Bruder und er, als er vierzehn Jahre alt war, seine Mutter das letzte Mal gesehen hatten. Sie lag mit aufgeschnittenen Pulsadern in der Badewanne. Er erzählte, wie er einen Monat später seinen Bruder voll mit Drogen in seinem Zimmer gefunden hatte. Der war damals knapp achtzehn gewesen. Er erzählte, wie sein Vater seit dem Tod seiner Frau seine Wutanfälle an den Jungen ausgelassen hatte. Bakura hatte den Kleinen wohl vor dem Gröbsten beschützt, indem er sich immer verprügeln ließ. Und schließlich erzählte er, wie sein Vater ihn vor einigen Monaten vergewaltigt hatte, als sein Bruder nicht da war. Den Rest hatte er dann von ihm erfahren, denn er selbst hatte ab diesem Zeitpunkt bis etwa einen Monat später keine Erinnerung mehr. Sein Bruder hatte wohl sofort die Sachen gepackt und war mit ihm abgehauen. Die Wohnung war die eines alten Freundes, der sie den beiden übergeben hatte und umgezogen war.

Katsuya schwieg die gesamte Geschichte lang und reichte Ryou nur immer wieder Taschentücher. So etwas hatte er nicht erwartet, das musste er zugeben. Auch wenn es nichts wirklich Ungewöhnliches in seiner Gegend war. Im Stillen musste er sich sogar eingestehen, dass Ryou echt Glück gehabt hatte, so einen Bruder zu haben. Normalerweise fand man solche Fälle auf dem Armenfriedhof wieder. Aber er unterließ es das laut auszusprechen.
 

Ryou war alles in allem trotz seiner Tränen ruhig geblieben und so wagte Katsuya es schließlich ein paar Fragen zu stellen.

„Warst du eigentlich schon immer schwul? Wann hast du es entdeckt?“

Der Weißhaarige schmiss gerade die Taschentücher in die Mülltonne, setzte sich zurück an den Tisch und antwortete erst dann: „Ob ich es immer war, keine Ahnung… ich habe mich ein paar Mal verknallt und das war nun mal immer in Jungen. Ich schätze also, dass ich von Natur aus so bin. Und entdecken musste ich es daher eigentlich auch nie… ich hab’ mich eben verknallt und fertig war’s. Ich empfand das nicht als schlimm oder widernatürlich und geschockt hat es mich auch nicht. Ich schätze, ich empfand das nicht anders als andere, die sich in ein Mädel verknallen.“

„Hattest du denn schon öfters Beziehungen?“

„Himmel, nein!“, er lächelte sogar dazu, „Verknallt hab’ ich mich, aber ich traute mich ja nicht einmal, es den Jungen zu sagen…“

„Und wie wirkte sich die Vergewaltigung aus?“

Brennpunkt… hoffentlich ging er nicht zu weit.

„Tja…“, Ryous Blick verlor sich ein bisschen, „Wie gesagt, an einen Monat kann ich mich nicht einmal erinnern. Danach habe ich mich geweigert, das Haus zu verlassen. Im Nachhinein wundert es mich, wo ich doch Angst vor wirklich allem hatte, dass mein Bruder mir niemals Angst machte. Ich glaube, in Wirklichkeit war ich schon immer in ihn verliebt, Jahre schon.“, er lachte kurz, doch es klang freudlos, „Für einige Wochen habe ich ihn jedoch fast verflucht. Er hat mich einfach über die Schulter geworfen und durch die Gegend getragen. Durch die Stadt, durch Supermärkte, sogar durch Menschenmassen. Manchmal habe ich vor Angst geschrieen. Ich habe ihm gesagt, wie sehr ich ihn hasse und verachte, aber er zuckte nur mit den Schultern und hat weitergemacht. Selbst zu seinen Jobs hat er mich mitgeschleppt. Er hat fast Tag und Nacht gearbeitet und ich bin zwischendurch immer mal wieder ohnmächtig geworden – geschlafen habe ich nun mal nie, außer wir waren in der Wohnung, weil ich einfach solche Angst hatte. Schlaf war wie Tod. Nicht nur weil ich glaubte, es könnte alles noch mal passieren, sondern auch weil ich immer wieder davon träumte, wie es passierte. Aber er war immer da, egal, ob ich schlief oder wach war. Wie er selbst das machte, kann ich dir echt nicht sagen.“, er nahm einen kleinen Schluck Wasser, „Er dürfte nicht mehr als drei Stunden pro Nacht geschlafen haben…“
 

Katsuya schluckte und versuchte, seine verkrampften Augenbrauen zu lockern. „Sag mal… war das nicht… grausam? Dass er dich durch die Menschenmengen zog, obwohl du vor Angst fast gestorben wärst…“

„Glaub ich eigentlich nicht. Klar, in dem Moment dachte ich sogar, er täte das, damit ich an einem Herzinfarkt sterbe, aber so im Nachhinein war das wohl das Beste, was er tun konnte. Ich habe in nur drei Wochen meine Angst vor anderen Menschen fast komplett wieder vergessen. Wenn jemand wie mein Vater aussieht, dann wird mir zwar mulmig, aber ansonsten ist alles wieder ganz normal geworden.“

„Und wie ging es dann weiter?“

„Na ja, Bakura hat mich immer länger allein gelassen, bis mir das nichts mehr ausmachte. Alles normalisierte sich wieder – für meine Verhältnisse, meine ich. Ich war schon immer sehr ängstlich… selbst dieses Gefühl, als wäre ich immer schmutzig, verschwand. Wer weiß, was passiert wäre, wenn ich meinen Bruder nicht hätte…“

Seine Seele hätte sich selbst in Fetzen gerissen und ihn in den Tod oder die Drogen getrieben. Die Frage konnte Katsuya leicht beantworten. Aber das sollte er wohl auch nicht laut sagen.

„Und wie seid ihr dann zusammengekommen?“, fragte er stattdessen.

„Tja…“, Ryou kratzte sich am Hinterkopf, „Das ist ein bisschen peinlich…“

„Muss nicht.“, erwiderte der Blonde mit einem Lächeln.

„Erstmal hörten die Träume von der Vergewaltigung auf… das war schon nach anderthalb Monaten. Danach war bis zum Sommer der Schlaf völlig traumlos und dann träumte ich das Ganze wieder…“, der Blauäugige wurde rot, „Nur mit meinem Bruder über mir. Und das Ganze war so gut…“, er legte noch eine Nuance zu, „Ich war fast außer mir. Ich dachte nie wieder jemanden etwas von mir berühren lassen zu können und dann träumte ich plötzlich so etwas! Es war einfach nur…“, er schnurrte leise, „…himmlisch.“

„Hört sich ganz so an.“, neckte Katsuya ihn mit einem spöttischen Blick.

Ryou überging das einfach. „Aber erstmal standen die Zeugnisse an und die Schule meldete sich, dass ich wegen der langen Zeit, wo ich gefehlt hatte, die Klasse wiederholen sollte. Mein Bruder war außer sich und hat sich vier Stunden lang an meinem Direktor heiser geschrieen.“

Der Blonde verfolgte fasziniert seinen Gesichtsausdruck. Mittlerweile war dieser ins Träumerische geschwankt.

„Und schon wurde ich zur Nachprüfung zugelassen.“

Jetzt runzelte er jedoch die Stirn. „Hast du nicht über sechs Monate gefehlt?“

„Ja.“, Ryou lächelte ihn an, „Aber was mein Bruder will, das kriegt er auch. Und da wird ihm kein Direktor im Weg stehen.“

„So einen Bruder bräuchte ich mal…“

„Er hat all die Zeit, wo er nicht arbeitete oder schlief, mit mir geübt. Und dadurch habe ich schließlich auch die Nachprüfungen bestanden.“

„Wie gut oder schlecht?“

„Alle mit voller Punktzahl.“

Katsuya verschluckte sich an seinem Wasser und hustete erst einmal.

„Weißt du, mein Bruder hat sich zwar nie etwas aus Schule gemacht und war demnach mehr schlecht als recht, aber für meine Laufbahn hat er sich immer eingesetzt.“

Tja, Hut ab, er hatte da wohl ein Genie vor sich. Vielleicht konnte der Kleine ihm ja in Mathe helfen?
 

„Und wie seid ihr nun zusammengekommen?“, fragte Katsuya noch einmal.

„Nachdem ich mein Zeugnis hatte, hab ich ihm gesagt, was ich fühle und was ich so träume…“, Ryou seufzte, nahm sein Glas und trank den letzten Schluck. Sein Blick wanderte zum Fenster und verharrte dort.

Der Blonde lehnte sich noch etwas weiter vor, beobachtete den Jüngeren für einige Sekunden, bis er schließlich nachhackte: „Und?“

„Er sagte mir, ich hätte den Verstand verloren.“

„Das war… drastisch.“

„Und sehr direkt, ganz nach seiner Art. Aber entgegen meiner Art habe ich mich nicht damit abgefunden. Nur wusste ich nicht, was ich tun sollte…“

Katsuya musste noch einmal auf die Antwort warten, sodass er – diesmal etwas schneller – nachfragte, was er getan hatte.

„Ich hab’ ein Aphrodisiakum in seinen Kaffee gemischt.“

Beinahe fiel ihm das Glas aus der Hand. Im letzten Augenblick griff er noch danach und stellte es behutsam auf den Tisch. „Du tust bisweilen Dinge, die man nicht von dir erwartet…“

„Mag so sein. Stille Wasser sind tief. Aber vielleicht weißt du auch, dass sich das Zeug mit Kaffee nicht so verträgt…“

„Ich muss sagen, damit habe ich mich noch nie beschäftigt…“

„Bakura hat es bemerkt und sich in seinem Zimmer eingesperrt, bis jede Wirkung vorbei war. Und ich glaube, du hättest nicht in meiner Haut stecken wollen, als er wieder alle Sinne beisammen hatte…“

„Nein, ganz sicher nicht.“, Katsuya ließ sich auch das Glas wieder füllen, „Was hat er getan?“

„Mich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich angeschrieen. Er murrt eigentlich immer und ist unfreundlich, als wäre er der Teufel persönlich, aber er schreit eigentlich nie jemanden an. Außer natürlich er ist wirklich sauer… und dann schreit er für Stunden.“

Ryou schien schon wieder schweigen zu wollen, also fragte der Blonde direkt nach.

„Nun… als er sich heiser geschrieen hatte, trank er eine ganze Flasche Wasser in einem Zug und fragte mich, ob ich mir wirklich sicher sei, was es bedeuten würde, wenn er meine Liebe erwidert. Dass es unsere Bruderschaft zerstören würde, wie wir unter der Gesellschaft leiden würden und alles andere…“

Bakura schien ein rational denkender Mensch zu sein, wenn er in dieser Situation an so etwas dachte.

„Ich war wegen seiner Schreierei sowieso schon am Ende, aber das gab mir den Rest. Ich hatte natürlich über nichts davon nachgedacht. Die ganze Nacht habe ich in seinen Armen geheult…“

Trotz allem hatte er ihn für Stunden im Arm gehalten? Okay, Liebe in allen Ehren, aber so etwas? Bakura war entweder ein Übermensch oder einfach nur selbst krank. Engel oder Teufel, das war wohl die Frage.
 

„Aber als ich in seinen Armen aufwachte, da war es mir egal, ob er mein Bruder war oder ob die Gesellschaft das nicht akzeptieren würde oder ob ich mir damit mein Leben verbauen könnte und so weiter. Ich habe ihn geküsst, als wäre es meine letzte Chance.“

„Hat er dich weggestoßen?“

„Nein. Er hat es mit sich machen lassen, das war alles. Ich dachte schon, er würde das alles nicht wollen und mich nur nicht verletzen wollen, aber…“

„Ja?“, fragte Katsuya fast gereizt. Der Kleine wusste aber auch, wie man Leute auf die Folter spannen konnte.

„Na ja…“, Ryou wurde wieder rot, „Er war so hart, ich konnte es nicht fassen.“

„Und?“, drängte der Blonde weiter.

„Er sagte, wenn ich ihn noch einmal küssen würde, dann würde er mich ohne jede Achtung meiner Gefühle und Ängste vergewaltigen.“

Der Ältere stützte, atmete kurz durch und hackte dann doch nach.

„Ich küsste ihn und er vergewaltigte mich.“

„Er hat es echt getan?“, rief Katsuya schockiert.

„Ja.“, der Weißhaarige trank einen Schluck, „Es war alles so wie in meinem Traum. Er stürzte sich auf mich, riss mir die Kleider vom Leib, drang in mich ein und ich schrie vor Schmerz.“, plötzlich lächelte er und sah sein Gegenüber wieder an, „Aber der Rest war himmlisch gut. Ich habe es eigentlich nicht mehr als Vergewaltigung empfunden.“

Dieser legte den Kopf schief und die Stirn in Falten. „Bisher hast du immer nur erzählt, dass dein Bruder so fast immer das Beste tat, auch wenn es nicht unbedingt deinen Wünschen entsprach, aber ist das nicht… ein bisschen viel?“

„Natürlich wäre eine etwas sanftere Art die Bessere gewesen, aber… mein Bruder hat komplett die Beherrschung verloren. Und er hatte mich schließlich gewarnt.“

„Ich hätte das… für einen Scherz gehalten.“, meinte Katsuya immer noch schockiert.

„Mein Bruder scherzt nicht. Er hat sowieso eine… unbeschreibliche… Art mit anderen Menschen umzugehen. Entweder man mag ihn oder man hasst ihn. Aber du wirst ihn sicher mal kennen lernen.“

Er atmete ein paar Mal tief durch, trank noch einen Schluck Wasser und sah schließlich auch mal aus dem Fenster. Dass in dieser Gegend ein Baum stand, grenzte wohl an ein Wunder. Und mit der einfallenden Sonne sah es richtig friedlich aus. Ob die Nachbarn wussten, was in dieser Wohnung so vor sich ging?

„So gesehen, eigentlich sollte er langsam mal kommen. Es ist schon halb neun…“

„Bitte?“, er wandte sich dem Weißhaarigen wieder zu, „Wie spät?“

„Halb neun.“

Er blinzelte kurz, warf selbst einen Blick auf seine Uhr und verarbeitete alles, was er nicht sagen konnte, in den Worten: „Lange Lebensgeschichte.“
 

Aber das Schicksal schrieb wie immer seine eigenen Gesetze: Wenn man vom Teufel sprach…

Im Schlüsselloch drehte sich geräuschvoll das Metall, kurz darauf fiel ein Schlüsselbund auf eine Holzfläche und Schritte näherten sich der Küchentür. Ryou eilte dem Ankommendem schon entgegen, sprang förmlich in seine Arme, als er den Raum betrat und wandte seinen Blick von Katsuya ab, indem er ihn in einen Kuss verwickelte. Es dauerte eine ganze Weile, bis er von dem Jüngeren frei kam und sich endlich war zu Katsuya drehte, der sich bei dem, was er beobachtete, doch ein wenig unwohl fühlte.

Bakura war das Ebenbild seines kleinen Bruders, nur war er älter, größer und seine Gesichtszüge wirkten reifer. Aber auch er hatte hellblaue Augen und weiße Haare, welche im Gegensatz zu Ryous jedoch kurz geschnitten waren. Doch von der freundlichen Ausstrahlung seines Kleinen hatte er keinen Funken. Sein Blick wirkte herrisch, fast bedrohlich, sodass selbst Katsuya sich gleich noch etwas schlechter fühlte.

„Und wer ist das?“, knurrte er seinem Bruder zu.

Definitiv war das nicht der nette Typ, von dem Ryou die ganze Zeit erzählt hatte!

„Ein Freund von mir. Wir gehen in dieselbe Klasse.“, der Jüngere lächelte glücklich.

Das konnte er nicht sein, das durfte er nicht sein, oh Himmel, lass nicht ihn es sein!

„Ziemlich beschissene Klamottenkombi.“, meinte Bakura nach einer Musterung, „Entweder ganz Punk oder ganz Streberkind, du solltest dich für eins entscheiden.“

Katsuya schaffte es nicht, irgendetwas zu erwidern. Er schaffte es nicht einmal, seinen Mund wieder zu schließen.

„Vielleicht nennst du mir mal deinen Namen statt mich so anzugaffen. Ich vermute mal kaum, dass ich mich vorstellen muss.“

Er atmete einmal tief durch, schloss den Mund wie auch die Augen, nachdem er seinen Blick zu Boden gesenkt hatte und sammelte kurz seine Kraft. Nein, er würde Bakura jetzt nicht zusammenschlagen. Er musste sich jetzt beherrschen. Er musste… scheiß drauf! Ein eiskalter Blick bohrte sich durch den Blauäugigen, der das mit einer hochgezogenen Augenbraue quittierte.

„Ich glaube, du hast deine Manieren an der Tür vergessen, Milchbubi.“

„Was für Manieren?“, konterte der Andere sofort.

Katsuya stand auf, zog seine Schuljacke aus und lockerte sein schwarzes Shirt.

„Oh, soll ich jetzt Angst kriegen?“, spottete der Weißhaarige.

„Das wäre ein guter Anfang, Milchbubi.“

Beide bedachten sich mit tödlichen Blicken.
 

„Hört auf!“, schrie Ryou dazwischen.

Beide wandten sich zu ihm und unterbrachen ihre gegenseitiges Anstarren vorzeitig.

Der Jüngste hatte die Arme um seinen Oberkörper geschlungen und sah von einem zum anderen mit Tränen in den Augen. Wenn er eins beherrschte, dann war es wohl auf Kommando zu weinen. Und sein Hundeblick war wirklich zum Herzerweichen.

Bakura schwieg erstmal, seufzte dann und resignierte angesichts dieser stummen Bitte. Ein wenig grummelnd legte er die Arme um seinen Bruder und strich ihm beruhigend über das Haar. „Ich bin ja schon lieb…“

Okay, der Wolf hatte auch einen Schwachpunkt – und Ryou konnte mit seinen Tränen wohl alles kriegen, was er wollte. Aber dieser Typ schaffte es wirklich noch unfreundlicher zu sein als Katsuya selbst. Er schoss seine Worte direkt in offene Wunden! Klar, bei Leuten, die er nicht mochte, streute er auch mal gern eine Runde Salz, aber bei jedem? Ryou hatte seine Worte wohl wirklich so gemeint, wie er sie sagte: Entweder man mochte Bakura oder man hasste ihn. Mal sehen, wie das hier weitergehen würde.

„Bakura.“, er hielt ihm die Hand hin, während er den anderen Arm noch immer um seinen Bruder liegen hatte.

„Katsuya Jonouchi.“, der Blonde wollte einschlagen, doch sein Gegenüber zog den Arm weg.

„Ach, du bist das?“, der Weißhaarige wurde schon wieder giftig.

„Bin ich so bekannt?“

„Zumindest mir. Seit Tagen muss ich mich mit deiner Akte rumschlagen.“

„Meiner Akte?“, fragte Katsuya vorsichtig nach.

„Bakura arbeitet zurzeit bei der Polizei.“, erklärte Ryou mit einem Lächeln.

Der Blick des Ältesten wanderte langsam wieder zu dem Wolf, der ihn mit ähnlich kalten Augen ansah.

„Ich glaube, wir sind nicht dazu gemacht uns zu mögen…“

„Wahrlich nicht.“

„Und was ist mit meiner Akte?“

„Polizeigeheimnis.“, Bakura zwinkerte fast freundlich, „Irgend so ein Idiot hat dich angezeigt. Er meint, du hättest ihn verprügelt, aber es gibt rein gar keine Beweise. Nach einer längeren Befragung kam heraus, dass ihn vier Maskierte angegriffen haben, aber er macht dich trotzdem verantwortlich dafür.“

Das konnte nur sein ehemaliger Mathelehrer gewesen sein.

„Ist er denn schon wieder aus dem Krankenhaus?“

„Also warst du es wirklich.“

„Klar war ich das. Aber das wird mir nie jemand nachweisen können, ich war ja nicht einmal dabei. Ich besitze sogar ein Alibi.“

Bakura verdrehte nur die Augen.

Ryous Blick hingegen war vollkommen undeutbar.
 

„Ich frage mich, ob du ein guter Umgang für meinen Bruder bist…“, meinte der Wolf leicht säuerlich mit einem Blick auf das Bündel in seinem Arm.

„Bin ich nicht.“, Katsuya zuckte mit den Schultern, „Aber das wollte er nicht hören.“

„Eins sag ich dir vorher.“, Bakuras Augen verengten sich zu Schlitzen, „Wenn ihm wegen dir auch nur ein Haar gekrümmt wird, dann bring ich dich persönlich um.“

Die Drohung klang ernst. Und Ryou hatte ihm ja prophezeit, dass er keine Scherze machte.

Der Blonde hob die Hände. „Ich pass auf ihn auf.“

„Gut.“, der Weißhaarige lächelte, „Dann kannst du dich ja jetzt verpissen.“

„Wie wäre es mit »Ich bin müde von meinem Tag und würde jetzt gern einen gemütlichen Abend mit meinem Bruder verbringen. Fändest du es also sehr schlimm, wenn ich dich bitten würde zu gehen«?“

„Ich hab eine scheiß Laune von meinem beschissenen Job und will jetzt Sex mit meinem Freund haben. Also zieh Leine oder ich schmeiß dich raus.“

„Okay, das tut’s auch.“, Katsuya trank sein Glas aus, griff seine Schulsachen und ging zu Ryou, der mittlerweile nicht mehr an den Lippen seines Bruders hing.

„Ähm, Katsuya…“

„Ja?“

„Er meint es nicht so.“

Bakura zog eine Augenbraue hoch.

„Ich denke, er meinte das genau so, wie er es sagte.“

Ryou wollte etwas erwidern, doch der Blonde kam ihm zuvor.

„Außerdem war er doch freundlich seit deiner kleinen Unterbrechung. Ich glaube, dass wir uns auf dem Level ganz gut unterhalten können.“

„Echt?“, der Kleine strahlte ihn an.

„Ja.“

Und selbst wenn nicht, er musste sich ja auch nicht mit jedem verstehen. Erst recht nicht mit jemandem wie Bakura.

Oder Kaiba.

„Dann wünsch’ ich dir noch einen schönen Abend.“, riss ihn Ryou aus seinen Gedanken.

„Äh, ja, bis morgen. Viel Spaß im Bett.“

Er wurde noch mal kurz rot, doch solche Sprüche schien er von seinem Bruder wohl schon gewohnt.

„Und pass auf, dass er morgen noch sitzen kann. Unsere Schulstühle sind hart.“, er verabschiedete Bakura mit der unter seinen Freunden üblichen Geste – und der erwiderte, „Bis morgen dann, Ryou!“

Katsuya entschwand durch die Haustür und lehnte sich an sie, nachdem er sie geschlossen hatte.
 

Dieser Scheißkerl hatte ihn also angezeigt.

Ryou war schwul und mit seinem Bruder zusammen.

Bakura war Polizist.

Zu viele Gedanken schwirrten durch Katsuyas Kopf auf seinem Weg zu seiner eigenen Wohnung. Ein kleiner Fußmarsch durch die zwei Blöcke würde ihm hoffentlich helfen, das alles zu ordnen. Aber wo sollte er anfangen?

Die Sache mit seinem Mathelehrer war zu verkraften, davon würde er wahrscheinlich nicht einmal etwas mitbekommen. Der Typ kam mit seiner Klage nie durch. Und seine Kumpels konnte er nicht erkannt haben – darum musste er sich nicht sorgen.

Auch Ryous Geschichte war nicht das Größte aller Probleme. Dass er schwul war, war kaum eine Schwierigkeit, das machte Katsuya schon lang nichts mehr aus. Seine Beziehung zu seinem Bruder konnte er auch verkraften, nachdem er die beiden erlebt hatte, war das alles gar nicht mehr zu abwegig. Seine Lebensgeschichte war noch das Kleinste aller Übel.

Bakura war schon eher ein Problem. Mit Ryou als Freund, hang der nämlich auf jeden Fall mit dran. Wahrscheinlich bräuchte er für jede Verabredung sowieso dessen Segen. Aber der Jüngere von beiden hatte ja seine Waffen den anderen zu bezwingen. Da war nur die Frage: Konnte Katsuya mit ihm auskommen? Das war wahrscheinlich ähnlich abwegig wie mit Kaiba zusammen zu leben. Argh! Kaiba! Wieso musste er nur an unbedingt den denken? Und dann in dem Zusammenhang?

Katsuya seufzte.

Bakura erinnerte ihn an den Drachen. Sie hatten dieselbe Augenfarbe und denselben eiskalten Blick. Außerdem waren sie ähnlich unfreundlich – aber Kaiba hatte wenigstens noch Stil dabei. Verdammt, wieso verteidigte er ihn eigentlich? Der Brünette war ebenso ein Idiot wie der Weißhaarige. Die hielten sich wohl für die Herren der Welt! Man musste sie mal auf den Teppich zurückholen. Aber beide hatten etwas an sich, was Katsuya auch bei sich selbst entdeckte. Sie waren Kämpfer und sie kämpften allein. Aber jeder tat es auf seine eigene Weise.

Bakura hatte ihn im ersten Moment an einen Wolf erinnert. Ein Wolf, der sein Rudel verlassen hatte und nun allein durch die Wälder streifte. Einer, der alles verloren hatte und es bei nichts davon bereute. Einer, der die Dunkelheit liebte und die Einsamkeit nicht fürchtete. Einer, der bis zum Tod kämpfen würde für das, was ihm etwas bedeutete.

Kaiba hingegen war ein Drache. Ein Einzelkämpfer von Natur aus, der die Einsamkeit suchte, weil Liebe und Freundschaft für ihn eine Schwäche war. Er war stolz und nichts galt ihm mehr als Macht. Er kämpfte für sich selbst und das, was er als sein Eigentum bezeichnete.

Er selbst war ein Straßenköter, den man so lange geschlagen hatte, bis er aufbegehrte. Ein Einzelkämpfer, weil er niemandem mehr trauen konnte. Einer, dem man so lange die Rechte genommen hatte, bis er bereit war für sie zu töten. Eine Kreatur, die aus reiner Verzweiflung handelte.

Aber eines hatten sie wohl alle Drei gemein: Der Wunsch, dass eine Hand sie nicht schlug, sondern streichelte.

A new day, a new way

Und noch ein neues süßes Pitelchen ^.^ Eigentlich wollte ich noch etwas warten, aber wenn so viele süße Kommis kommen, wie soll man da widerstehen? Hier also wieder ein neuer Abschnitt aus Katsuyas Leben. Und wir machen einen großen Sprung auf Samstag! Morgen kommt die Szene aus den Nebensequenzen *lach* Kleiner Scherz am Rande, die kommt natürlich nicht vor. Allein schon, weil Kats sicher nie an Kaibas Nummer käme. Aber gut, ich schweife ab. Ich wünsche viel Spaß mit den ganzen neuen Charakteren, ich hoffe, ihr behaltet den Überblick: (P.S.: Viel Spaß!)
 

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Katsuya gähnte ausgiebig, trocknete seine frisch gewaschenen Haare – sein Vater hatte doch wirklich dafür gesorgt, dass sie wieder Wasser bekamen – und zog seine enge Lederhose über seine Beine. Seinen Oberkörper bedeckte er mit nicht mehr als einen Netzshirt und einer offenen Lederjacke. Sein Bluterguss war endlich wieder abgeschwollen! Bald könnten sogar bereits die Fäden auf seiner Stirn gezogen werden. Die Schwester hatte ihn beglückwünscht, dass er so gute Heilungskräfte besaß – er würde sich sicher gesund ernähren. Wenn sie denn meinte… in Hauswirtschaft hatte er auf jeden Fall etwas Gutes zwischen die Zähne bekommen. Ryou konnte wirklich super würzen.

Es war Samstags morgen und Katsuya fühlte sich wie neu geboren. Seine Rippe schmerzte nicht mehr, er musste keine Verbände mehr tragen und sein Vater hatte drei Abende lang nicht auf ihn eingeschlagen. Das war mal eine richtig gute Wochenbilanz! Das Beste war noch, dass wieder etwas zu Essen im Kühlschrank stand. Sein Vater hatte ihm doch glatt gestern Abend Geld zum Einkaufen gegeben. Katsuya konnte sein Glück noch gar nicht fassen.

In einer Stunde sollte er bei seiner Arbeitsstelle sein. Genug Zeit zum Frühstücken und Polieren seiner Stiefel. Wie er seine Schuhe liebte! Obwohl ihm Sneaker eigentlich genauso lieb waren. Aber die passten nicht zu seinem sonstigen Outfit. Glücklich pfiff Katsuya vor sich.

Kaiba hatte ihn gelobt.

Irgendwie versetzte ihm das noch den heftigsten Stoß.

Man hatte ihn, den ewigen Loser, gelobt. Und nicht man, sondern Kaiba! Es war einfach zu schön um wahr zu sein.

Er hatte ihm gesagt, dass er die Diskussion richtig gut gemacht hatte. Ja, er, Katsuya Jonouchi, hatte wirklich an der Diskussion teilgenommen. Arbeitstitel: »Sollte man die Schulzeit auf neun Jahre verkürzen« - allein das war doch schon ein Sieg an sich! Kaiba hatte das nur für ihn geändert. Katsuya dachte nur zu gerne daran.

An für sich genommen war Kaiba gar kein so schlechter Typ. Gut, sein Ego war wahrscheinlich ungeschlagen, aber für normal hielt sich seine Selbstherrlichkeit in Grenzen. Er suchte Streit mit Katsuya, wo er nur konnte, aber es machte einfach einen Heidenspaß, sich kleine Mätzchen mit ihm zu liefern.

Nur eins blieb ein Traum: Kaiba einmal ehrlich lächeln zu sehen. Sein kaltes Lächeln setzte der Typ immer auf, wenn etwas so geschah, wie er wollte oder wenn er jemandem willentlich verletzte, so viel hatte Katsuya mittlerweile bemerkt. Aber nie, wirklich nie lächelte er mal, weil er sich freute. Auf den ersten Eindruck hatte der Blonde gedacht, Kaiba würde seine Gefühle zeigen und ausdrücken, aber das war nur Schein gewesen. Kaiba spielte eine endlose Maskerade, er zeigte nicht ein einziges Mal etwas von seinem Inneren. Keine Trauer, keine Verzweiflung, keine Freude. Keine Freundlichkeit irgendwem gegenüber. Nichts, was man in irgendeiner Form gegen ihn verwenden konnte. Man könnte sagen, er war aalglatt. Nur manchmal, ganz selten, glaubte Katsuya eine Spur von Schwermut in seiner Stimme zu finden, wenn sie sich mal wieder mitten im Unterricht eine Diskussion leisteten. Also würde es ihn an etwas erinnern, was er gern vergessen würde – aber so gut kannte Katsuya ihn ja dann doch nicht. Dennoch war es eine Herausforderung, es heraus zu finden. Und die nahm er an!

Jedoch sollte er jetzt erstmal zur Arbeit, sonst konnte er all seine hochtrabenden Träume gleich wieder auf den Müll werfen.
 

„Herr Umura?“, Katsuya wandte sich an den etwas dicklichen Mann hinter der Theke.

„Ja?“, er putzte gerade über die Tresen.

„Ich bin Katsuya Jonouchi, man sagte mir, sie hätten Arbeit für mich.“

Der Blick des Wirts glitt über seinen ganzen Körper. „Man sagte mir etwas von kräftig.“

„Ich bin kräftig.“

Es gab wirklich nichts, was er mehr hasste, als unterschätzt zu werden.

„Was bist du für eine Kampfklasse?“

„Schläger, ehemaliger Boss der Boots.“

Der Beleibte kaute auf seinem Tabak. „Danach siehst’ nicht aus.“

Katsuya zog seine Jacke aus, unter der er schließlich nichts als dem Netzhemd trug.

„Als Stricher oder Stripper könntest du eine Menge verdienen…“

„Das sind aber keine Jobs, die ich machen will.“

Der Wirt verdrehte nur die Augen. „Ihr Jugendlichen werdet immer unverschämter.“

„Ich hab’ einfach meinen Stolz.“

„Ja ja…“, er winkte ab, „Aber so ein Bürschchen brauch’ ich hier nicht. Selbst wenn du stark bist, ich brauch’ jemanden, dem man’s auch ansieht. Mir scheint jedoch, du hast ’ne Menge Glück.“

Katsuya zog eine Augenbraue hoch, während er sich seine Jacke wieder überwarf.

„Kennst du das Sixth Heaven?“

Welch eine Frage! Wer kannte es nicht? Das Sixth Heaven war die Edelkneipe der Gegend, da gingen nur Persönlichkeiten der gehoberen Welt und die Bosse der Gosse ein und aus. Aus so einem Laden nahm Yami seine Kunden – der war da auch Stammgast.

„Mein Bruder ist der Besitzer des Ladens. Er ist zwar ein verdammtes Arschloch, der mich mit meinem Laden hier verhungern lässt, aber wenn er etwas braucht, dann bin ich immer die erste Anlaufstelle. Und er braucht einen neuen Kellner.“

Kellner im Sixth Heaven! Der Himmel schickte ihm sein Halleluja! Na, wenn das kein guter Anfang war, dann wusste er auch nicht weiter.

„Das Ganze hat sicher einen Haken…“, meinte Katsuya stattdessen – nur nicht zu einfach verkaufen lassen.

„Nicht so misstrauisch.“, wies der Wirt ihn zurecht, „Natürlich hat es einen Haken.“

„Ach?“

„Die Einstellungskriterien. Das Aussehen hast du, die Manieren wirst du haben müssen, aber die Konditionen sollte ich checken.“

Katsuya atmete tief ein.

„Nimmst du Drogen?“

„Seit zwei Wochen nicht mehr und für die nächsten paar Monate werd’ ich’s auch nicht.“

Der Wirt sah ihn leicht verdutzt an.

„Ich hab’ Schule, da muss ich clean sein.“

„Ach so. Okay, wie trinkfest bist du?“

„Ein Fass ohne Boden, aber nicht abhängig.“

„Hast du schon mal gekellnert?“

„Ein paar Mal als Kellner sowie als Barkeeper.“

Und meistens innerhalb eines Monats wieder rausgeschmissen – aber das sagte man besser nicht.

„Hört sich ganz gut an. Ich mach’ dir kurz einen Brief fertig, den bringst du meinem Bruder und der klärt dann den Rest.“

Katsuya rang sich sogar eine Bedankung ab und verließ ein paar Minuten später den Laden mit dem Brief in der Hand wieder. Auf zum Sixth Heaven!
 

Knapp eine Viertelstunde später stand Katsuya im Büro des Besitzers des Sixth Heaven. Der Wirt der anderen Kneipe hatte recht gehabt, sein Bruder lebte wirklich ganz schön gut. Er musste sich um nichts als die Verwaltung kümmern. Demnach war sein Schreibtisch auch voller Unterlagen, unterbrochen von einem Aschenbecher und einer Packung Zigarren. Der Besitzer schien so seinen Reichtum ausdrücken zu wollen, denn der ganze Raum stank nach Tabak und Rauch.

„Und du bist?“, fragte Herr Umura.

„Der neue Kellner, den ihr Bruder schickt.“, Katsuya überreichte ihm den Brief.

Okay, er war auch wirklich so unfreundlich, wie der andere gesagt hatte – aber wer bekam in dieser Gegend schon einen netten Boss? Der Blonde wartete erst einmal ab, bis sein Gegenüber den Brief gelesen hatte.

„Katsuya Jonouchi. Na gut, er hat sich wirklich mal Mühe gegeben, schlecht siehst du nicht aus. Zieh die Jacke aus.“

Er verzog leicht die Mundwinkel und antwortete stattdessen: „Ich möchte weder strippen noch irgendwelche Leute auf ihre Zimmer begleiten.“

„Ja ja, das steht schon in dem Brief. Ziehst du jetzt endlich diese gottverdammte Jacke aus?“

Unfreundlich war gar kein Ausdruck! Widerwillig gehorchte Katsuya.

„Doch, doch, das passt. Willst du einen festen Job oder einen Aushilfsjob?“

„Ich kann nur am Wochenende.“

„Dann sind deine Arbeitszeiten samstags von zwölf bis acht, klar?“

„Klar.“

„Du kriegst deinen Lohn cash und auch nur für die Zeit, wo du arbeitest. Bist du krank, dann gibt’s auch kein Geld. Kapiert?“

„Ganz in meinem Sinne.“

„Schlaues Bürschchen. Dann geh runter zum Barkeeper, der wird dir Klamotten geben und dich einweisen.“

„Danke, Herr Umura.“

„Ein Fehler und du fliegst, nur damit das klar ist!“

Katsuya schloss die Tür hinter sich und seufzte.

Da war er wohl echt mal an ein Musterbeispiel von Arbeitgeber geraten…
 

„Hi. Ich bin Katsuya.“, reichte dem jungen Barkeeper die Hand.

„Marik, freut mich.“, dieser schlug ein.

Er schien nicht viel älter als Katsuya zu sein, vielleicht gerade erst volljährig. Dafür ähnelte er diesem, wie ihm auffiel. Auch er hatte helles Haar und dunkle Augen – auf jeden Fall war er Ausländer, aber sein Japanisch schien einwandfrei.

„Ich bin die neue Samtagsaushilfe. Der Boss sagt, du sollst mich einweisen.“

„Immer ich.“, Marik seufzte gespielt gequält und trat hinter der Bar hervor.

Unverkennbar, auch ein gut aussehender Jüngling. Aber der Schuppen war wohl nicht umsonst der Beliebteste der Gegend.

Der Hellblonde brachte ihn in einen Raum neben der Theke und stellte ihm dies als das Bedienstetenzimmer vor. Er zeigte ihm, wie er von draußen hereinkam, ohne gleich durch die ganze Wirtschaft zu müssen. Und nachdem er Katsuya in einen Kellneranzug gesteckt hatte, welcher auffallend eng anlag und dessen Hemd auch auffallend dünn war, stellte er ihm seine zwei Kolleginnen vor, die in ihrer Abwesenheit die Kneipe geleitet hatten.

Beide waren – wie Katsuya sich auch schon vorher denken konnte – auffallend hübsch und hatten eine auffallend große Oberweite. Und wie auch bei ihm waren ihre Hemden auffallend dünn, sodass man auffallend viel Haut sah. Sowieso war alles in der Kneipe auffallend erotisch gehalten. Aber gut, darüber sollte er sich kaum beschweren, solange die Bezahlung gut war. Wenigstens waren seine Mitarbeiter alle sehr nett, auch wenn eine der Frauen ein wenig arrogant war, die andere dafür leicht hysterisch. Aber wer verstand schon eine Frau?

Die Hübschere von beiden hieß Mai und war ebenso blond wie er selbst. Die andere dagegen hatte dieselbe Haarfarbe wie Hiroto und hieß Anzu. Die erste war älter als er und fest angestellt, die andere jedoch jünger und jobte neben der Schule. Sie kam jeden Abend und samstags. Es gab noch einen Kellner für die Abende unter der Woche und eine Nachtschicht mit vier Kellnern – aber die musste er ja nicht alle kennen lernen.

Wichtig war, dass er einen Job hatte. Dass er sein Geld bekam und dass ihm das alles gefiel. Und das tat es. Wer weiß, vielleicht würde er ja auch Yami treffen? Der ging hier schließlich ein und aus. Doch, das gefiel ihm. Besser hätte er es nicht treffen können.
 

Die Uhr an der Bar verriet Katsuya, dass es sieben war.

Seufzend fiel er fast auf einen Barhocker, als er sich setzte. Das war anstrengender als er gedacht hatte! All die Bestellungen, immer lächeln, aber vor allem das gezielte Abwehren von Grabschern – und von denen gab es hier viele.

„Trink mal was. Was möchtest du? Tequila? Bloody Mary?“

„Wasser.“, krächzte Katsuya. Er war ausgetrocknet!

„Hilfe, bist du anspruchslos…“, Marik schüttete ihm trotzdem ein Glas ein, „Trinkst du keinen Alk?“

„Nur wenn’s sein muss.“, der Blonde nahm einen Schluck, „Ist ganz schön voll geworden.“

„Klar, es wird spät. Je später es ist, desto mehr Leute sind hier, desto fröhlicher wird es und desto öfter begrabscht man dich.“

Katsuya stöhnte nur gequält.

„Nimm es als Kompliment. Oder lern das Cocktailmixen, dann kannst du mir hier helfen. Der Tresen hält die meisten Hände von dir fern.“

Er legte einen Arm auf eben diesen und das Kinn darauf, während er mit bittendem Blick Marik beobachtete.

„Was? Soll ich ein Wunder geschehen lassen? Eine Stunde wirst du noch arbeiten müssen.“

„Das ist ja nicht schlimm… aber diese ganzen Hände auf meinem Hintern und diese ekelhaften Männer und Frauen dazu und diese ganzen grauenhaften Angebote…“

„Lehn' höflich ab und hoff’ einfach, dass es bald aufhört. Irgendwann kapieren die Leute es.“

„Wie viele Monate dauert das?“, fragte Katsuya deprimiert.

Marik derweil nahm eine Bestellung von Mai an und mischte zwei Cocktails.

Der Blonde entschied, dass das Gespräch damit vorbei war, dankte dem Anderen flüchtig und begab sich wieder an die Arbeit. Er war keine fünf Meter gegangen, als schon wieder jemand über seinen Hintern strich. Wütend blies Katsuya die Luft durch die Nase aus, fasste die Hand und wies deren Besitzer zurecht. Warum immer er? Nach Ausliefern der Bestellung stellte er sich wieder an die Theke.

Sehnsüchtig warf er einen Blick zur Tür, die sich soeben öffnete. Herein trat ein junger Mann, nicht sehr groß, doch dafür wirklich gut aussehend. Seine Beine umfasste eine sehr enge, schwarze Lackhose mit leichtem Schlag, unter dem man Stiefel erkennen konnte. Seinen Oberkörper hingegen eine dicke Jacke mit hellem Fellbesatz am Kragen. Extravagant, sicher, aber auch sehr stilvoll. Und ebenso auffallend wie seine zweifarbige Frisur und seine amethystfarbenen Augen, die strahlten, als er Katsuya erblickte.

Sein bester Freund live und in Farbe.

Das war Yami!
 

„Sieht er mal wieder gut aus…“, seufzte Marik neben ihm.

„Yami sieht immer gut aus.“, meinte Katsuya nur und warf dann doch einen Blick auf den Träumer neben ihm, „Täte er es nicht, wäre er schneller aus seinem Job, als ihm lieb ist.“

Der junge Mann hatte seinen besten Freund natürlich auch entdeckt und steuerte auf die Bar zu, all die Männer ignorierend, die ihn auf dem Weg anhalten wollten.

„Was machst du denn hier, Kats?“

„Dir auch einen schönen guten Abend, Yami.“

Der verdrehte nur die Augen, setzte sich neben Katsuya und sandte einen auffordernden Augenaufschlag in Richtung Marik. Nur Sekunden später stand ein fertiger Cocktail vor ihm. Und es war an dem Punk, die Augen zu verdrehen.

„Nach Austausch dieser Höflichkeiten…“, Yami wandte sich wieder zu seinem Freund, „…wie kommt es, dass du hier arbeitest?“

„Dass ist eine sehr lange Geschichte, die ich dir unglaublich gern erzählen würde, würdest du nicht andauernd im Bett rum liegen sondern mich mal besuchen.“

„Hey.“, er zwickte Katsuya in die Seite, „Ich liege nicht rum, ich arbeite. Die Leute werden immer anspruchsvoller, da ist nichts mehr mit rum liegen.“

„Verschone mich mit den Einzelheiten.“

„Du wirst mich noch mal anflehen, sie dir zu verraten, wenn du einen Freund hast.“

„Ich vermute, du bist die wandelnde Kama Sutra.“, spottete der Blonde.

Yami schickte ihm erst einen lasziven Augenaufschlag, darauf seinen gefürchteten Schlafzimmerblick und formte mit seinen Lippen lautlos die Worte „Fick mich“

Katsuya seufzte nur und meinte: „Schon gut, du bist besser als die Kama Sutra.“

„Das will ich aber schwer hoffen. Ich bin schließlich eine Edelnutte.“

Ein weiteres Augenrollen des Blonden.

„Also, wann soll ich dich besuchen?“

„Wie ist es mit heute Abend?“

„Pah!“, Yami warf den Kopf in den Nacken, „Du stellst Ansprüche…“

Mit einem Kopfschütteln zog er seinen Terminkalender, blätterte etwas, schaute auf die Uhr, blätterte wieder und fragte ohne auf zu sehen: „Wie lange arbeitest du?“

„Acht.“

„Dann kriegst du drei Stunden umsonst Therapie al á Yami. Um Mitternacht muss ich aber bei meinem nächsten Kunden sein, so viele kann ich dann doch nicht absagen.“, er tippte kurz eine Nachricht in sein Handy und verschickte diese.

„Wird dein Freier nicht traurig sein?“

„Du bist wichtiger.“

Und damit war die Sache für Yami erledigt – er war und blieb herzlich unkompliziert. Und drei Stunden waren wahrlich mal ein Wort! Endlich hatte er mal wieder jemanden zum Reden. Das war sein bester Freund. Sein Yami!

Sinnesfreude

Ich muss sagen, ich bin mit dem Titel sehr unzufrieden. Genau so wie der des nächsten Kapitels... natürlich haben beide wieder eine tiefere Bedeutung (Ach? Welche? Du hast dir was dabei gedacht?), aber insgesamt bin ich mit beiden nicht sehr glücklich. Ich hoffe mal, das Kapitel ist besser als der Titel...

Wie man sich schon denken kann, geht es hier um Yami ^.^ Ich wünsche euch viel Spaß mit ihm - und entschuldigt, dass er total OOC ist. Ich habe zwar versucht, Yami Yami sein zu lassen, aber die Situation ist einfach eine komplett andere... damit eben auch ein stark abgeänderter Charakter. Viel Spaß beim Lesen ^.^

P.S.: Ich quatsche hier dauernd in Yen, hier mal eine kleine Umrechnungstabelle: 1000 Yen sind 7 bis 8 Euro.
 

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Katsuya schaute immer wieder auf die Uhr.

Noch einunddreißig Minuten.

Noch acht.

Noch drei.

Zwei.

Anderthalb.

Fünfundvierzig Sekunden.

Fünfzehn.

Drei.

Zwei.

Eins.

„Wechsel!“, rief Marik durch die Wirtschaft.

„Endlich!“, erwiderte Katsuya noch fast im selben Moment. Nach dem Abliefern einer Bestellung ging er auch sofort zurück zur Bar, an der Yami noch immer wartete – und Cocktails trank.

„Na?“

„Na?“, er knuffte ihn lieb, „Der wievielte Cocktail ist das jetzt?“

„Öhm…“, der schwarz Gekleidete überlegte kurz, „Vierter oder Fünfter.“

„Aber sonst geht es dir gut?“, fragte der Punk leicht anklagend.

„Echt gut.“, Yami lächelte, „Schön, dass du fertig bist. Wie lange brauchst du zum Umziehen?“

„Lenk nicht ab. Seit wann trinkst du so viel?“

„Wenn du mich auch eine Stunde warten lässt – außerdem bin ich ziemlich trinkfest.“

„Du bist aber kein Alkoholiker, oder?“

Er blickte kurz verdutzt. „Ach, daher weht der Wind. Nein, ich bin nicht abhängig.“

„Okay…“, flüsterte der Blonde, „Entschuldigung.“

„Ich lass das mit dem Alkohol in deiner Gegenwart, okay?“

„So schlimm geht’s mir auch nicht!“, fauchte Katsuya und wandte sich ab.

Yami folgte ihm in den Angestelltenraum, wo die Mädchen gerade fertig mit Umziehen waren. Beide wurden gleich schrecklich rot, als sie ihn sahen, doch lenkten damit ab sich schminken zu müssen. Marik hingegen stierte unverhohlen auf seinen Hintern.

„Mein Gott, nehmt euch ein Zimmer…“, knurrte der Braunäugige letzteren an. Niemand erlaubte sich so etwas bei seinem besten Freund, selbst wenn der Stricher war!

„Immer doch…“, säuselte der Hellblonde und schmiegte sich Yami, „Oder was sagst du?“

„Fünfzigtausend und ich bin dein.“, meinte der nur gelassen.

Marik biss sich nur auf die Lippe und wandte sich ab. „Es ging ja nur mal das Gerücht, dass du die Typen, die gut sind, umsonst in dein Bett lässt…“, grollte er eingeschnappt.

„Stimmt auch. Aber über das Argument in mein Bett zu kommen, zieht nicht. Da könnte ja jeder antraben.“

Der Gebräunte schmollte weiter und sagte keinen Ton mehr dazu.
 

Aber auch Katsuya schwieg.

In ihm kochte einfach nur kalte Wut. Abscheu. Sorge.

Warum tat Yami sich das an? Warum? Er wusste doch, dass der Ältere das über alles hasste, wenn man ihn auch nur antatschte. Ebenso wie er selbst es hasste. Also warum? Warum ließ er es zu, dass andere so über ihn redeten? Ihn so ansahen?

Sie behandelten ihn wie ein Stück Vieh! Ein Gegenstand zur Benutzung und Befriedigung, den man gebrauchte und wegschmiss, wenn man ihn nicht mehr mochte. Einmal bezahlt und schon bekam man alles, was man wollte. Eine schöne Lüge und eine Truggestalt von Liebe. Das war ein Betrug am Leben. Ein Betrug an sich selbst. Ein Betrug an den Gefühlen.

Es war ekelhaft! Diese Typen waren ekelhaft! All diese Typen, die Yami so behandelten. Seinen besten Freund Yami. So ein wunderbares Wesen, das durch diese dreckigen Kerle zerstört wurde. Geschändet. Konnten sie denn nicht sehen, wie sie ihm die Federn ausrissen?

Katsuya schreckte auf.

Die Typen? War das, was ihn ekelte, nicht das, was Yami mit ihnen tat? Sondern das, was sie Yami antaten? Hatte er sich selbst die ganze Zeit falsch verstanden? Stimmt eigentlich, Sex zwischen Männern war nichts Schlimmes, nichts, was ihn ekelte. Hatte er sich selbst so oft falsch gedeutet? Waren es die Typen, die ihn ekelten? Die, die seinen besten Freund so niedermachten? Die seinen Stolz durch den Schmutz zogen? Die einen solchen Engel zum Sterben verurteilt hatten?

Er warf einen Blick auf den jungen Mann, der schweigend neben ihm durch die Gassen ging.

Er hatte ihm so viel erzählen wollen. Von seinem neuen Leben, von der Schule, von Ryou und Bakura. Von Kaiba. Und jetzt?

„Yami?“, fragte er vorsichtig an.

„Ja?“

Seine Stimme war sanft und beruhigend. Es lag so viel Sicherheit darin. Sie war ausdrucksstark, beherrscht, selbstsicher. Und doch so weich…

„Was empfindest du dabei?“

„Wobei?“

Sein Blick lag weiter auf dem Weg, seine Gesichtszüge waren entspannt, sein Atem ruhig. Er hätte sogar Priester sein können, so wunderbar war die Aura, die er ausstrahlte. So eine unglaubliche Ruhe und Sicherheit.

„Nun, wenn einer… wenn so ein Typ… wenn…“, Katsuya geriet trotz allem ins Stottern. Er konnte es nicht aussprechen.

„Wenn ich einen Freier habe?“, meinte der andere vorsichtig, während er sich seinem Freund zu wand.
 

Katsuya nickte zaghaft. Ihm war das mehr als nur peinlich.

„Was ich dann fühle…“, Yami atmete tief durch, „Das kommt auf den Typen an. Es gibt die verschiedensten – manche versuchen dich ein bisschen zu erregen, machen sich dadurch aber nur selbst scharf. Ein paar muss man da sogar erinnern, ein Kondom anzulegen und dich einzucremen. Ansonsten nehmen sie dich dann einfach nur und befriedigen sich. Das sind Typen, die sind wie Bauerntölpel. Die nehme ich normalerweise nur, wenn ich schnell Geld brauche. Ich finde die einfach nur ekelhaft, aber es ist einfach und es geht schnell. Das kommt einer Vergewaltigung ziemlich nah…“, seine Stimme war leiser geworden, doch hob sich nun wieder, ebenso wie sein Kopf, „Dann gibt es manche, die wollen erst von dir erregt werden, um dich im Endeffekt auch nur durchzuvögeln. Die kümmern sich genauso wie die erste Gruppe auch nur einen Dreck um dich. Da musst du sogar noch dafür sorgen, dass alle Vorbereitungen stimmen, sonst vergewaltigen die dich wirklich. Und die meisten von denen schlagen auch gern mal zu, wenn du nicht auch lustvoll stöhnst und tust, als wären sie die Größten im Bett. Bei denen kommt mir die Galle hoch. Ich würde sie am liebsten alle aus meinem Terminplan schmeißen, aber leider ist das die größte Gruppe Kunden. Wenigstens kann ich von denen eine Menge Geld verlangen.“

Der Blonde spürte auch, wie ihm allein bei der Erzählung übel wurde. Er hätte den Älteren am liebsten umarmt und nie mehr zu einem dieser Teufel gelassen. Alles in ihm sträubte sich gegen diese Unbekannten, von dessen Geld Yami da lebte.

„Dann gibt es die ganz Unangenehmen, die dich wirklich vergewaltigen. Sie reißen dir die Klamotten vom Leib, schmeißen dich aufs Bett und dringen ohne jede Vorbereitung in dich ein. Sie stoßen immer wieder zu und freuen sich noch, wenn du vor Schmerzen schreist. Das ist der totale Horror…“

Katsuya konnte es nicht genau erkennen, aber er war sich allein vom Gefühl her sicher, dass Yami Tränen in den Augen standen. Was hatte man ihm bloß schon alles angetan? Verzweifelt seufzend legte er einen Arm um den Kleineren.

„Zu denen geh ich auch nie wieder. Meisten kriegt man eh kein Geld und wird einfach nur rausgeworfen. Manchmal sogar nackt, blutend und schmutzig. Das ist das Schlimmste überhaupt. Und dir hilft natürlich kein Mensch. Die musst mit höchstens einer Zeitung bekleidet zu irgendwem, der dir ein paar Klamotten leiht und dich ein bisschen pflegt. Und solche Leute sind für Abschaum wie mich rar gesät.“

„Ich hab dich lieb, Yami…“, schluchzte Katsuya. Er weinte. Jedes Wort seines Freundes war wie ein Messer in seinem Herz. Warum tat man ihm das an? Warum tat man seinem Yami das an? Warum tat er selbst sich das an?
 

„Soll ich aufhören?“, fragte der Ältere vorsichtig.

„Nein…“, flüsterte der Blonde nur, „Ich weine nur die Tränen, die du nicht weinen kannst.“

„Lieb von dir.“, Yami kuschelte sich in die Umarmung, während beide weiter gingen, „Wenn du einmal mit Blut und Sperma zwischen den Beinen nackt durch drei Blocks wandern musstest, dann weißt du, was die Hölle ist. Die Hälfte der Typen, die an dir vorbeikommen, schlagen dich oder reißen dich nieder. Manche vergewaltigen dich sogar. Alle anderen sehen einfach nur weg oder lachen dich aus. Und wenn du dann schmutzig und blutend und nackt vor der Tür deines Nachbarn stehst, um um deinen Schlüssel zu bitten, dann weißt du, dass du echt das Ende der Hierarchie bist. Selbst das Vieh ist mehr wert als du. Da kann man sich noch so hart einen guten Status in der Gosse erarbeitet haben, an solchen Tagen bist du wieder ein Nichts. Da interessiert das nicht, ob du so exklusiv bist, für eine Nummer ganze fünfzigtausend Yen verlangen zu können. Da bist du nur ein zusammen geprügelter Hund.“

Katsuya wusste, was das war. Wenn man am Boden lag. Wenn der ganze Körper schmerzte und man sehen konnte, wie sich das eigene Blut auf dem Beton ausbreitete. Wenn der Stolz gebrochen war.

„Aber das sind wirklich nur die schlimmsten Fälle. Na gut, es gibt noch echte Psychopathen, aber an die bin ich zum Glück noch nie geraten… nun… sonst wär’ ich wohl heute nicht hier. Das sind die, die dich während oder nach dem Sex umbringen.“, sein Blick sah genauso aus wie Ryous, „Und es gibt manche, die verlangen die scheußlichsten Sachen. Die wollen, dass du die schlimmsten Stellungen einnimmst. Oder fesseln dich ans Bett und knebeln dich und schlagen zu. Oder sie nehmen irgendwelche Sachen… Gerten und Lackzeug oder so ist ja noch ganz harmlos. Aber es gibt ganz schreckliches Zeug, das sie an dir ausprobieren wollen. Kneifzangen, heißes Wachs oder… heißes Eisen. Messer und ganz harte Dinge. Oder Elektroschocker…“, ihm versagte die Stimme.

Katsuya heulte laut auf und drückte den anderen an sich. Warum? Warum tat man ihm das an? Warum?

„Danke…“, flüsterte Yami ganz leise, „Danke für die Tränen…“

„Und was… machst du… wenn sie… dich zwingen?“, schniefte der Blonde.

„Rennen. So schnell es geht. Nur rennen.“, der Blick des Älteren klärte sich wieder ein wenig, „Ich hab’s mir angewöhnt, meinen Schlüssel nie mit mir mitzuschleppen. Dafür passiert es zu oft, dass ich irgendwo wegrennen muss. Ohne Klamotten meistens. So etwas passiert sogar bei Kunden, die ich seit Jahren kenne…“

„Warum?“, fragte Katsuya endgültig, „Warum tust du dir das an?“
 

Yami schwieg.

Er schwieg noch immer, als sie sich auf das fast zerrissene Sofa im Keller der Kaschemme setzen, in der Katsuya lebte. Er schwieg auch, als der Blonde ihn wieder in den Arm nahm.

„Ich bin Abschaum…“, flüsterte der Ältere.

„Nein.“, meinte Katsuya fest überzeugt und sah dem anderen in die Augen, „Du bist mein bester Freund. Du bist der wundervollste Mensch, den ich kenne. Du bist der einzige, der mich versteht. Du bist der einzige, der all meine Sorgen und Ängste kennt. Du bist die wichtigste Person meines Lebens.“

„Du hast eben gehört, was für einen tollen Job ich habe. Womit ich so meine Zeit verbringe. Du hast es schon immer verabscheut, genau so, wie du mich verabscheust.“

„Yami!“, Katsuya ohrfeigte ihn – sanft natürlich, „Zweifel niemals an unserer Freundschaft! Ich würde dich nie verabscheuen! Mein Ekel trifft nur alle, die dich so sehr verletzt haben!“

Der junge Mann zwinkerte verwirrt, lächelte mit Tränen in den Augen und schluchzte schließlich doch. Verzweifelt klammerte er sich an Katsuya und weinte. Weinte, ohne sich irgendwie beruhigen zu können. Als würde all die Trauer mit einem Schlag aus ihm heraus fließen. All die Verzweiflung und der Schmerz. Als wäre das Blut seiner Wunden jetzt seine Tränen. All die Angst und all die schrecklichen Erinnerungen.

Zumindest erklärte Katsuya es sich so. Alles, was er wusste, war, dass sein bester Freund heulend in seinen Armen lag. Er hatte Yami noch nie weinen gesehen. Sonst erzählte er immer all den Scheiß, der ihm so passierte und heulte sich die Augen aus. Das war nichts, wirklich gar nichts gegen Yamis Schmerzen! Und trotzdem hatte sich sein bester Freund immer um ihn gekümmert und ihn aufgebaut. Jetzt musste er mal endlich etwas von all der Liebe zurückgeben.

Es dauerte fast eine Viertelstunde, bis Yami langsam ruhiger wurde. Katsuya kraulte ihn unentwegt im Nacken und am Schopf, fuhr ihm über den Rücken und drückte ihn mit dem anderen Arm an sich. Ganz leise summte er eine sanfte Melodie und wiegte seinen Freund, den er auf seinen Schoß gezogen hatte, wie ein kleines Kind. Die Veränderung merkte man eigentlich nur, da Yami nun lautlos weinte und die Arme um Freund schlang.

„Möchtest du ein Taschentuch?“

So etwas besaß sogar Katsuya. Bei Ryou geklaut, um es genau zu nehmen.

Der Ältere nickte nur.

„Geht es dir besser?“, fragte der Blonde etwas später.

„Ja, danke… sorry, dass ich gedacht habe, du würdest dich vor mir ekeln. Unsere Freundschaft ist mir heilig!“, er betonte das letzte Wort besonders.

„Nur deswegen weinst du wie ein Schlosshund?“

„Du bist der Hund.“, Yami kicherte, „Ich bin das Kätzchen, vergessen?“

Katsuya lächelte glücklich.

„Jetzt geht’s mir besser.“, der frisch Ausgeweinte strahlte wieder, „Ich glaub’, ich hab soeben all den Mist der letzten acht Jahre in den Wind gepfiffen. Ich fühl’ mich wie neu geboren!“

„Echt?“, fragte der Blonde verdutzt.

Jetzt lachte Yami sogar leise. „Echt.“
 

„Und jetzt?“, fragte Katsuya irgendwann in die Stille, in der sie sich angelächelt hatten.

„Och, ich kann dir ja mal von den lieben Freiern erzählen.“, der Ältere grinste ihn an.

„Ob ich das hören will?“, der Blonde lachte, „Mal gucken, ob ich das verkrafte.“

„Tja, ganz selten kriegen mich Typen mal zu einem Orgasmus. Da müssen sie aber wirklich gut sein. Oder wirklich gut aussehen.“, sein Grinsen wurde noch böser, „Das ist echt klasse, wenn dich mal ein gut aussehender Mann bestellt, der auch noch auf deine Bedürfnisse achtet.“

Katsuya zog eine Augenbraue hoch. „Die gibt’s?“

„Rar gesät, aber ja, die gibt’s.“

„Wieso bestellen die Stricher? Die müssten doch haufenweise Typen an sich kleben haben.“

„Haben sie meistens auch.“, noch breiteres Grinsen, „Aber die wollen lieber mich statt tausend jammernde Jungfrauen.“

„Das Gegrinse wird langsam unheimlich.“, Katsuya knuffte ihn mit dem Ellbogen in die Seite, „Und was soll das mit den jammernden Jungfrauen?“

„Ach, Kats…“, Yami lachte auf, „Du bist so süß, wenn du naiv bist.“

„Ich bin überhaupt nicht naiv!“

„Doch.“, er wurde wieder ernst, aber lächelte weiter, „Stell dir einen gut aussehenden, reichen, jungen Mann in der Blüte seiner Jahre vor, der selbst im Bett noch gut ist. Was, meinst du, hat der für Probleme?“

„Gar keine?“, meinte Katsuya, während er die Augenbrauen zusammenzog und den Kopf schief legte.

Yami lächelte nur.

Und der Blonde musste unwillkürlich an Kaiba denken – der passte perfekt ins Profil.

„Beziehungsprobleme.“, schlussfolgerte er, „Ein Benehmen, durch das so ungefähr jede Beziehung scheitert – außer eine reine Sexbeziehung.“

„Erfasst.“, lobte ihn sein bester Freund, „Und welche Probleme hat eine Sexbeziehung zu einem stinknormalem Typen?“

„Dass er mehr will, Forderungen stellt, Probleme macht, Sexstreik verhängt, einen mit vielen anderen betrügt oder plötzlich mit HIV positiv auftaucht.“, wiederholte Katsuya, was Hiroto ihm mal erzählt hatte.

„Exakt. Was ist also das Unkomplizierteste?“

„Sich den Sex zu kaufen.“, endete der Punk seine Überlegungen.

„Schlaues Hündchen.“, und schon wieder grinste Yami.

Das war echt ungewöhnlich und hieß eigentlich immer, dass er etwas Böses tat oder jemanden ärgern wollte. Dieses Grinsen war eine Provokation! Was hatte er ihm jetzt gesagt?

Hündchen!

Katsuya knurrte.

„Na?“

„Du hörst dich schon genauso an wie mein Lehrer…“

„Ach ja, du wolltest mir was erzählen.“, meinte Yami – diesmal freundlich lächelnd.
 

Und Katsuya erzählte.

Von der Schule, von Ryou und Bakura. Von seinen Ferien und von dem Fall mit dem Mathelehrer. Und von Kaiba.

Von Kaiba ganz besonders, um es genau zu nehmen. Doch der Blonde achtete strikt darauf, weder seinen Namen noch sein Aussehen zu erwähnen – wenn Yami den erkannte, er würde vor Scham im Boden versinken. Ihm, dem nichts peinlich war! Ihm! Und warum? Weil Kaiba irgendwie anders war.

Und Yami leider ziemlich offen.

„Bist du in ihn verknallt?“, fragte er dreist dazwischen, als Katsuya wieder auf seine ungewöhnliche Augenfarbe gekommen war.

„Bitte was?“, fragte jener nur erstaunt nach.

„Hast du dich in deinen Lehrer verknallt?“

„Spinnst du?“, schrie der Größere sofort zurück, „Doch nicht in dieses Arschloch!“

„Ach, schon gesehen?“

Katsuya zwinkerte verwirrt mit den Augen.

Was wollte Yami denn damit sagen?

Und er dachte…

…und dachte…

…und wurde knallrot.

„Yami!“

„Entschuldige, ich konnte es mir nicht verkneifen…“, dieser kugelte sich vor Lachen auf der kaputten Couch, „Du sahst zu gut aus!“, er suchte nach Halt, „Ich hätte es nicht besser treffen können…“

„Was ist so schlimm daran, dass ich seine Augen interessant finde?“, giftete Katsuya.

„Ach komm, das ist doch nicht alles, oder?“, der Kleinere piekste ihn in die Seite, „Komm, komm… sei ein braves Hündchen und sag’s dem Herrchen.“

„Du bist nicht mein Herrchen!“

„Ne, das ist dein Lehrer, was?“

„Yami!“

Doch der kugelte sich schon wieder vor Lachen – noch so eine komische neue Charaktereigenschaft. Und diesmal schien er sich gar nicht mehr einzukriegen. Er lachte, bis er vor Krämpfen gar nicht mehr lachen konnte und schließlich nach Luft japste.

„Pah, du bist doof.“, meinte Katsuya nur, drehte sich weg und schmollte.

An Kaiba fand er sicher nichts! Okay, sein Wesen war interessant, sein Art unnachahmlich und er schien völlig undurchschaubar – aber ansonsten waren es nur die Augen. Nur die Augen!

Fairytale

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Fairytale - die geschnittene Fassung

Ich verstehe einfach nicht, warum die ungeschnittene Fassung als Adult gilt...

Egal. Hier gibt es jetzt eine geschnittene Fassung, Yami lässt die Pfoten von Katsuyas Hose. In Wirklichkeit hat er sie aber doch da, das müsst ihr euch dann einfach dazudenken ^.^

Hier also die geschnittene Version:
 

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„Aber um noch mal auf vorhin zurückzukommen…“, wechselte Katsuya das Thema, „Zumindest so es dich nicht allzu sehr schmerzt…“, er warf einen fragenden Seitenblick zu seinem besten Freund, „Prostitution ist ein ziemlich hartes Pflaster, oder?“

„Lass dir von niemandem was anderes erzählen.“, mahnte Yami mit erhobenem Finger, „Dieser ganze Quatsch von wegen Job für welche, die nur mal schnell Geld brauchen, ist nicht. Es ist eine seelische Qual! Und oft auch eine körperliche.“

„Warum machst du es dann?“

Der Ältere mit der wilden Frisur atmete tief, sehr tief, durch. Fast zischend zog die Luft zwischen seinen Zähnen her, bevor sie mit einem Schnauben wieder aus seinen aufgeblähten Nasenflügeln drang. Sein Blick wanderte zur Seite, wich Katsuya aus.

Natürlich hatte er diese Frage schon oft gestellt. Und er hatte die verschiedensten Antworten bekommen. Und nicht eine war je wahr gewesen. Was versteckte Yami?

„Jonouchi…“

Nein! Das war nicht gut! Gar nicht gut!

„Ich weiß deine Anteilnahme an meinem Leben zu schätzen, aber… hör doch bitte endlich auf das andauernd zu fragen.“

Sollte er? Sollte er nicht? Er musste: „Warum?“

„Weil ich es selbst nicht weiß!“, schrie er plötzlich. Mit einem Sprung war er auf den Beinen, wanderte zur Wand und zurück und fuhr sich durch die Haarpracht.

Katsuya schwieg.

Yami richtete seine violetten Augen auf ihn und in seinen sonst so überlegenen Augen standen Tränen. Er atmete noch einmal ein und aus. Er wandte sich noch einmal ab. Aber er log nicht noch einmal: „Entschuldige… ich verstehe mich einfach nicht mehr… ich…“

„Ja?“

„Ich…“, sein Blick legte sich nun doch auf den Blonden, „Sonst war ich immer so sicher… aber… weißt du…“

„Was ist passiert?“, fragte Katsuya sanft.

„Ich war gestern in der Stadt. Ich musste noch einkaufen und bin deshalb früh los… und… ich hab’ meinen Bruder gesehen…“

„Und?“

„Das hat mich irgendwie völlig aus der Bahn geworfen.“, er seufzte, „Ich weiß nicht, warum, aber… es hat mich aufgewühlt. Und plötzlich weiß ich nicht mehr, ob das so richtig ist, was ich mache… ob ich nicht vielleicht doch die Chance auf etwas Besseres hätte… ob ich… so wie du… vielleicht irgendwo Hoffnung habe?“

„Du meinst, du könntest wie dein Bruder sein?“

„Nein!“, Yami starrte ihn an, „Nicht wie der! Bloß nicht!“

Katsuya zwinkerte nur fragend mit den Lidern.

„Ich hasse ihn!“, der Kleinere schnaubte unwillig, „Wirf uns ja nicht in einen Topf!“

„Aber du bist doch eifersüchtig auf ihn, oder?“
 

Yamis Augen funkelten vor Zorn. Sein Blick bohrte sich tief, sehr tief, in Katsuyas Innerstes. Seine sonst so freundlichen Amethyste funkelten vor Wut. Vor Hass gar. Und vor Ekel. Das war reine Abscheu.

„Ich bin nicht eifersüchtig!“, donnerte seine Stimme durch den Raum.

Katsuya schluckte. So hatte er seinen besten Freund noch nie erlebt. Dass er stolz war, manchmal herrisch, bisweilen sogar arrogant, ja – aber noch nie so… gekränkt?

„Entschuldige bitte.“, meinte der Ältere sofort ruhiger, „Ich wollte nicht schreien.“

Was war das eben für ein Ausbruch gewesen?

„Yami? Was ist zwischen dir und deinem Bruder passiert?“

Einen langen Moment lang herrschte Schweigen. Totaler Stillstand. Keiner bewegte sich auch nur um Millimeter, nur der gleichmäßige Atem verriet, dass die Zeit nicht stehen geblieben war. Beide sahen sich tief in die Augen, als würden sie versuchen daraus zu lesen.

„Wir… wir leben einfach nicht in derselben Welt.“, wich Yami aus, „Wir haben uns auseinander gelebt.“

„Warum?“

„Frag nicht dauernd warum!“, fauchte er wiederum erzürnt, „Ich will nichts mit ihm zu tun haben.“

Katsuya seufzte und erwiderte ungewöhnlich ruhig: „Yami, du hast nichts mit ihm zu tun.“

Der Stehende senkte den Blick und atmete immer langsamer. Seine Augenlider schlossen sich wie müde und sein Kopf folgte den Augen. Es war, als erschlaffe sein ganzer Körper.

„Du sprichst nicht mit ihm und auch nicht über ihn. Es fehlt nur noch, dass du seine Existenz leugnest. Erst ist dein Zwillingsbruder! Ihr seid doch zusammen aufgewachsen, oder? Wie verschieden kann man da sein?“

Die Antwort darauf war geflüstert und kraftlos: „Acht Jahre ändern einen Menschen…“

„Aber du hast die ganzen acht Jahre nicht mit ihm gesprochen!“

„Was weißt du schon von ihm?“, fuhr Yami wieder auf – der Zorn packte ihn erneut.

„Ich sehe ihn jeden Tag.“
 

Jeglicher Zorn wich aus seinem Blick. An dessen Stelle traten Verblüffung, Erstaunen und Unglauben. Ruckartig zog er die Augenbrauchen in die Höhe und zusammen. Seine Stirn legte sich in Falten. Ein abschätziges Lächeln brannte sich auf seine Lippen und mit einem Schnauben warf er den Kopf in den Nacken.

„Das wird ja immer besser… du verknallst dich in deinen Lehrer, freundest dich mit einer Inzestschwuchtel an und fragst mich über das Leben eines Strichers aus. Und nun erzählst du mir, dass du dich täglich mit meinem ach so tollen Bruder triffst. Hast du sonst noch was auf Lager?“

„Ja, ich bin clean und ich hab’ seit heute einen Job. Aber das weißt du auch. Und bezeichne Ryou gefälligst nicht als Inzestschwuchtel, du bist noch weit tiefer gesunken.“, knurrte Katsuya zurück.

Yami ging definitiv zu weit! Psychische Störungen hin oder her, aber irgendwo musste Schluss sein. Immerhin war der Typ vor ihm immer noch sein bester Freund.

Und dieser verhielt sich vollkommen untypisch. Er biss sich auf die Lippe, während sich seine Augen mit Tränen füllten. Er hatte wirklich einen echten Heulkrampf. Er… er, der nie weinte! Er, der immer stark war. Er brach zusammen unter Katsuyas Worten.

Dass sie zu hart gewesen, bemerkte der Blonde jetzt auch. Bei seinem Bruder war der sonst so Starke sowieso ziemlich dünnhäutig und wenn auf so eine Offenbarung auch noch schwere Kritik kam, wo der andere eh gerade an sich zweifelte, war das wohl einfach zu viel.

Yamis Beine knickten ein und unter unterdrückten Schluchzern schlangen sich seine Arme um seinen Oberkörper. Er brauchte Hilfe und das dringend!

Also tat Katsuya das Erste, was ihm einfiel.

Er nahm den Kleineren in den Arm und drückte dessen Kopf an seinen Hals.

Das hatte bei seiner Schwester immer geholfen, warum nicht auch bei Yami?

Und es schien wirklich zu klappen. Der andere krallte sich in seine Schultern, drückte sich gegen ihn und klammerte schließlich wie ein kleines Kind an ihm. Über sieben Jahre Altersunterschied und doch schien der Ältere plötzlich um Jahre jünger. Wie es kommen musste, putschte es Katsuyas Beschützerinstinkt auf die höchste Stufe.

Wie ein Vater oder eine Mutter strich er über das rotviolette Haar und stützte den Weinenden mit dem anderen Arm. Und während sich dieser langsam beruhigte, begann der Blonde zu erzählen: „Dein Bruder arbeitet als Lehrer an unserer Schule. Letztes Jahr hat er bei mir Sport unterrichtet. Wir haben uns ziemlich schnell angefreundet und er war damals der einzige, den ich in dieser Anstalt mochte. Er scherzt gern und hat auch kein Problem mit Sarkasmus. Solange ich nicht handgreiflich wurde, durfte ich mir eigentlich alles erlauben. Er fand sich sogar damit ab, dass ich ihn duzte, obwohl das ja eigentlich streng verboten ist. Dieses Jahr hab’ ich ihn in Mathe. Nur leider hab’ ich von dem Fach echt gar keine Ahnung. Deswegen halte ich mich jetzt auch gebührend zurück. Allerdings ist er der beste Freund von dem Lehrer, von dem du behauptest, ich hätte mich in ihn verknallt. Und daher weiß er auch, dass ich allgemeine Besserung gelobt habe. Nur leider hat er direkt mitbekommen, wie ich fast einen meiner Mitschüler zusammengeschlagen hätte. Netterweise hat er mich nicht gemeldet und dafür muss ich ihn jetzt siezen. Daher habe ich seinen Nachnamen zum ersten Mal bewusst wahrgenommen. Und urplötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen! Er hatte genau die gleiche Frisur wie du, fast genau die gleiche Statur und auch die Augen sind sich sehr ähnlich. Seine sind nicht so ausdrucksstark und glänzend und auch sein Haar ist nur schwarz mit einem Stich violett, aber ansonsten sieht er genauso aus wie du. Als wäre er dein Spiegelbild. Und genau wie du hat er ein sehr fröhliches Wesen, lächelt viel und spaßt gern. Wenn ich es so sagen darf, nach außen hin wirkt ihr sehr ähnlich.“

„Aber?“, nuschelte Yami in Katsuyas Halsbeuge.

„Ich glaube, ihr seid in einigen Dingen unterschiedlich. Ich müsste Yugi besser kennen lernen, um da etwas Genaues zu sagen… auf jeden Fall bin ich zu ihm hin und fragte ihn, ob er einen Bruder namens Yami hat.“

An dieser Stelle legte der Blonde eine Pause ein. Er wusste nicht wieso, aber er wollte unbedingt erst die Reaktion seines besten Freundes sehen. Vielleicht war er schon zu verletzt?

„Hat er mich verleugnet?“, murmelte Yami noch leiser als vorher.

„Nein.“

Darauf folgte Stille.
 

Katsuya hörte, wie Yamis Atem langsam ruhiger wurde und löste sich kurz darauf ein wenig von ihm. Mit einem Lächeln auf den Lippen zwickte er den Älteren sanft in die Seite und meinte: „Hey, nicht einschlafen.“

„Hrmgh…“, jener rümpfte die Nase, kuschelte sich enger an seinen besten Freund und hielt die Augen geschlossen, „Noch fünf Minuten, Mama.“

Der Blonde kicherte nur, während Yami schon wieder lächelte.

„Du bist so schön warm…“

„Is’ klar, du kuschelst dich hier ja auch an meine nackte Haut. Hätt’ ich das gewusst, hätt’ ich sicher kein Netzshirt angezogen.“

„Du bist viel muskulöser als früher…“, säuselte der Ankuschelnde.

Die Aussage wurde mit einer hochgezogenen Augenbraue quittiert.

„Und deine Haut ist so schön weich…“, er strich mit den Fingerkuppen über die straffe Brust und drehte kleine Kreise um eine von Katsuyas Brustwarzen. Über die andere leckte er mit seiner rauen Zunge, die er durch die weiten Maschen des Netzshirts durchschlängelte.

„Äh… Yami? Was-“, er unterbrach sich selbst mit einem Keuchen.

[...] Der Kleinere schnurrte!

„Yami!“, rief der Blonde erschrocken.

Die Zunge zog sich von seiner Brust zurück und kurz darauf blickte Katsuya in glasige, fast geschlossene Augen. Die Stirn des Älteren lehnte sanft an der seinen und hypnotisierend näherten sich Yamis Amethyste immer mehr seinen eigenen Juwelen. Seine Nasenspitze stupste zärtlich an die eigene und ein warmer Atem strich über seinen leicht geöffneten Mund. Der Blonde spürte jede Bewegung seines Gegenübers, die sich mit jedem Zug aufbläuenden Nasenflügel, die gegen seine drückten, die flatternden Lider, deren Wimpern über seine Haut strichen und die Lippen, die gegen sein leises Stöhnen anflüsterten:

„Willst du mich?“

Katsuya schwirrte der Kopf. Kein klarer Gedanke drang mehr in sein Bewusstsein. Sein Blick hang an diesen betörenden Augen, auch wenn langsam alles vor seinen Augen verschwamm. Nur die süßen Worte und das Keuchen drangen an seine Ohren. Engelsküsse wurden auf seine Lippen gehaucht [...].

[...] [Yamis linke] Hand malträtierte nun seine noch nicht schmerzende Brustwarze. Die raue Zunge, die eben diese kurz zuvor noch umspielt hatte, focht nun mit Katsuyas eigener. Die Lippen trennten sich, um sich nach einem Keuchen sofort wieder zu vereinen. Sie rissen sich voneinander, lechzten nacheinander, krachten aufeinander, saugten, liebkosten und folterten einander.

Nie, noch nie hatte ihn jemand so berührt.

[...] Das Keuchen wurde zu Stöhnen, das Stöhnen verschluckt von den leidenschaftlichen Küssen, die Küsse unterbrochen von den immer wilderen Zungen. Und alles, was den Blonden noch hielt, war der feste Blick in seine Augen. Der feste Blick, aus dem er sich nicht abwenden konnte. Diese tiefen, ausdrucksstarken Augen.

Der Blick der eisblauen Augen.

Böses Erwachen

Hier an dieser Stelle noch einmal ein Dank an Talia-chan, die mir ihren Computer zur Verfügung stellt. Und an das Hotel in Krakau, wo man kostenlos ins Internet darf ^.^ Das Kapitel konnte nicht hochgeladen werden wegen einem Formatierungsfehler ^.^" Jetzt sind alle Anführungszeichen oben, hoffe, das stört nicht...

Nebenbei: Wer an diesem Thema hier interessiert ist, ich empfehle "In the end" von Pink Psycho. Und keine Sorge, diese FF endet nicht so. Ich habe das Buch gestern entdeckt ^.- Und natürlich gibt es auch "Boy's next door" von Kaori Yuki, dass dieses Thema fast trifft.

Und Danke für eure ganzen, lieben Kommentare ^.^ Ihr seid die besten Leser überhaupt! Und das meine ich wirklich ernst!

Was haltet ihr eigentlich von Yamis Psyche? Irgendwelche Vermutungen über seinen Zustand?
 

_______________________________________________________________________________
 

"Lass mich los!", schrie Katsuya, schlug mit der Rechten auf das Gesicht vor seinen Augen ein und riss den anderen so von seinem Schoß.

Dieser beschissene Kaiba sollte verdammt noch mal seine Klauen bei sich behalten!

Der Blonde atmete schwer, dann tief und beruhigte sich schließlich. Während sein Blick sich klärte, ordnete er seine Kleidung. Seine harte Erektion wurde kurzerhand ignoriert und einfach zurück in die Hose gesteckt, die noch an seinen Oberschenkeln hin. Sein wütender Blick schnellte Richtung Boden, wo…

… Yami saß …

… und sich zusammengekauert hatte.

Einzelne Szenen setzten sich in Katsuyas Kopf zusammen.

Yami hatte ihn verführt.

Aber waren da nicht plötzlich Kaibas Augen?

Der Blonde schüttelte den Kopf und bannte das Geschehen erstmal in die hinterste Ecke seines Bewusstseins. Sein bester Freund war jetzt wichtiger.

"Yami?", er setzte sich neben den Älteren und legte nach kurzer Überlegung einen Arm um ihn, "Hey, Yami…"

Doch der zeigte keine Reaktion.

Katsuya zog dessen Gesicht zu ihm und sah, was er schon befürchtet hatte.

Der hohle Blick.

"Was ist los, Yami? Hm?", er rüttelte leicht an dem wie leblos wirkenden Körper.

Einige Sekunden später zog er den Kleineren dann doch wieder in seine Arme – das würde heute echt einen Rekord geben.

"Nicht mal das…", flüsterte dieser tonlos, "Nicht mal das krieg’ ich noch hin…"

"Das sollst du auch nicht hinkriegen. Den besten Freund zu verführen ist nicht ganz das Richtige. Aber du hättest es fast geschafft.", der Ältere wurde auf das Sofa gehoben, "Und jetzt sag mir mal, was das eben werden sollte, Yami."

"Ich…", sein Blick klärte sich und seine Haut nahm wieder Farbe an – abgesehen von dem rot glühenden Abdruck auf seiner Wange, "Ich weiß auch nicht… tut mir Leid."

Der Blonde knuffte ihn leicht in die Seite. "Na komm. Sag’s Mama."

"Na ja… ich hatte irgendwie einen Austicker, als du von meinem Bruder erzählt hast…", Yami lehnte sich an den Jüngeren, der nun neben ihm saß, "Es ist einfach so, dass er immer alles besser kann. Er weiß jenes besser und kann dieses besser und… ich bin der, der nie was hinkriegt.", er seufzte, "Ich glaub’, ich wollte mir selbst beweisen, dass ich wenigstens eine Sache besser kann. Und wenn’s Verführen ist…"

Zärtlich strich Katsuya mit seinen Fingern über Yamis Wange.

"Wer sagt das? Dass er alles besser kann?"

"Alle! Alle sagen das!", der Ältere drückte sein Gesicht gegen die Hand, "Meine Eltern sagen das…"
 

"Was sagen deine Eltern noch so?", fragte Katsuya so lieb wie möglich.

"Ach, Kats…", Yami schlang seine Arme wieder um ihn, "Lass uns über etwas anderes reden…"

"Warum weichst du dem Thema immer aus?"

"Ich will mit meiner beschissenen Familie nichts mehr zu tun haben!", fauchte der Kleinere böse.

"Sag wenigstens, warum du sie so sehr hasst.", der Blonde drückte ihn von sich, doch ließ die Hände auf seinen Schultern liegen, "Ich möchte dich doch nur verstehen…"

Yami seufzte nur und warf ihm als Antwort einen gequälten Blick zu.

"Irgendwann vielleicht?"

"Irgendwann mal.", erwiderte er.

"Versprochen?"

"Versprochen."

"Okay, du magst deine Familie nicht und bist neidisch auf deinen Bruder-"

"Ich bin nicht neidisch!"

"Doch.", stellte Katsuya ruhig fest, "Und du bist mit achtzehn von zu Hause abgehauen, richtig?"

"Das war nicht mein zu Hause…", schmollte der Ältere.

"Manchmal bist du echt kindisch…", neckte ihn der Braunäugige dafür.

"Selber."

Katsuya grinste nur. "Ich darf das, ich bin siebeneinhalb Jahre jünger."

"Haarspalterei…"

"Soll ich dir mal was sagen?", er zwickte den Eingeschnappten in die Seite, "Du bist ganz schön alt."

"Und du bist ganz schön blöd."

Katsuyas Augen strahlten im Dämmerlicht und ein ehrliches Lächeln umspielte seine Lippen. Fast gehaucht flüsterte er: "Danke."

Yami zwinkerte nur verwirrt.

"Danke, dass ich deine verletzbare Seite kennen lernen durfte. Es ist mir eine Ehre."

"Na ja…", druckste er plötzlich peinlich berührt, "Wir sind doch Freunde, oder? Dann kann ich doch auch so sein wie ich bin, oder?"

"Ja, wir sind Freunde.", Katsuya lächelte selig, "Danke, Yami."

"Atemu…", flüsterte dieser.

"Wie?"

"Mein Name… ist Atemu."

Der Blonde zwinkerte überrascht und legte den Kopf schief. "Nicht Yami?"

"Nein, Atemu. Zumindest steht das auf meinem Originalpass."

"Und auf dem Gefälschten steht Yami?"

"Jupp… darum darf das auch keiner wissen. Ich sag dir das nur… also… falls mein Bruder dich jemals auf mich anspricht… na ja, wenn du meinen Namen weißt, dann weiß er, dass du ein Freund von mir bist. Ob das gut oder schlecht für dich ist… das kannst du entscheiden.", der Sechsundzwanzigjährige wurde ein ganz klein bisschen rot bei diesen Worten.

"Dann noch mal danke.", Katsuya schlug ihn freundschaftlich auf die Schulter, "Danke, Atemu."
 

"Was macht ihr denn hier unten?", kam eine Stimme von der Tür.

"Hiroto?", fragte Katsuya zurück.

Der Braunhaarige trat in den eher spärlich beleuchteten Raum.

"Und was machst du hier?"

Aber Katsuya erhielt keine Antwort. Yami starrte Hiroto an, Hiroto starrte zurück.

"Äh, kennt ihr euch?"

"Ihr… ihr kennt euch?", fragte der Braunhaarige zurück.

"Ja?", meinte der Blonde unschuldig.

"Wir sind Freunde.", mischte sich Yami ein, "Nicht das, was du grad' denkst."

"Ach so…", seufzte der Neuankömmling erleichtert.

"Und ihr beide?", Katsuya sah zwischen beiden hin und her.

"Einer meiner Betthasen.", erklärte der Stricher mit einem Schulterzucken.

"Verratzt und verkauft.", Hiroto wiederholte die Geste, "Aber oft sehen wir uns nicht…"

"Ansprüche stellen verboten.", der Amethystäugige grinste.

"Was macht ihr hier denn jetzt?"

"Quatschen."

"Und das soll ich dir glauben, Yami?"

"Klar.", ein breiteres Grinsen.

"Und du?", mischte sich Katsuya wieder ein.

"Ich… kam zufällig hier vorbei."

Der Blonde zog eine Augenbraue hoch, der Violetthaarige tat es ihm nach.

"Okay… Katsuya, dein Vater legt oben die Bude in Schutt und Asche, weil du nicht auftauchst. Ich wollte mal gucken, ob du hier irgendwo bist."

"Ist der betrunken?“

"Was sollte er denn sonst sein?"

"Na, man weiß ja nie… wie viel Uhr ist es?"

"Elf."

"Schon?", quatschte Yami dazwischen.

"Och nö…", der Blonde zog die Unterlippe vor.

Der Älteste lächelte. "Wie war das mit dem kindisch sein?"

Hiroto legte die Stirn in Falten.

Ein paar Sekunden später kraulte Katsuya eine Hand durchs Haar. Erst lehnte er den Kopf dagegen, kurz darauf lag er auf Yamis Schoß.

"Na, wie war das mit meinen Verführungskünsten?"

"Du bist der größte Verführer aller Zeiten…", schnurrte der Jüngste.

Hirotos Falten wurden nur noch tiefer.
 

"Und… was ist jetzt mit deinem Vater?"

"Besser, er lässt sich am Mobiliar aus, als an mir."

"Ganz schön abgeklärt, Jungchen.", scherzte Yami.

"Was soll ich denn sonst tun? Die Schulden werden auf seinen Kopf eingetrieben, er landet im Knast, ich nicht."

"Und wie wird das dann mit deiner Schulausbildung? Du kriegst keine staatliche Hilfe, wenn dein Vater im Gefängnis hockt. Um es genau zu nehmen, du wirst dann zu deinen nächsten Verwandten gebracht."

"Und meine Mutter steckt mich dann ins Heim. Ich gehe zwei Jahre zur Schule, dann bin ich volljährig und habe meinen Abschluss – perfekte Lebensplanung."

"Stimmt, Schule schließt du mit einundzwanzig ab…"

"Viel zu alt.", entschied Hiroto.

"Besser spät als nie."

Yami beendete seine Streicheleinheit. "Sag mal… bis dato wolltest du in kein Heim, deswegen hast du auch nie deinen Vater angezeigt. Wann hast du deine Meinung geändert?"

Der Blonde kniff die Lippen zusammen und setzte sich wieder auf.

"Krieg ich eine Antwort?"

"…"

"Soll ich raten?"

Hiroto setzte sich währenddessen auf den Fußboden vor dem Sofa.

"Soll ich mal deinen Lehrer erwähnen?"

"Ich bin nicht in ihn verliebt!"

"Hat auch keiner gesagt…", säuselte Yami und wandte sich an den Braunhaarigen, "Den Kleinen hier hat es ganz schön erwischt…"

"Du bist viel kleiner!"

"Ich gleiche das mit Stil aus. Ich bin älter.", sprach der Älteste und legte sich die Hand aufs Herz, "Ich habe das Vorrecht des Alters."

"Du hast einen Knall."

"Das schließt sich nicht aus.", konterte Yami zurück.

"Manchmal bist du echt schwer…"

"Das Kompliment gebe ich zurück."

"Wo zur Hölle hast du diskutieren gelernt?"

"Bei einem meiner Betthäschen.", er zuckte mit den Schultern, "Der ist da so bewandert, dass wir uns noch beim Sex streiten."

"Erspar uns die Details…", grummelte Hiroto leicht eingeschnappt.

"Tja, ich lebe extravagant. Und exzentrisch. Ich brauche eben echte Tiger im Bett."

"Apropos, du hattest noch einen Termin.", erinnerte ihn Katsuya.

"Scheiße! Du hast Recht!", mit diesem Worten sprang er auf, griff sich seine Jacke und rannte zur Tür, "Bis wann anders, Schätzchen!"

"Komm mal öfter vorbei, Kama Sutra!"

Der letzte Anblick Yamis war seine ausgestreckte Zunge.

"Und ich krieg keine Verabschiedung?", murrte der Brünette und seufzte, "Na dann, bis morgen, Katsuya."
 

Herr Jonouchi wütete immer noch.

Stellen sie sich nur vor die Tür und sie werden es klar und deutlich hören – so hätte ein Schild vor Katsuyas Wohnung lauten können. Zumindest, wenn es irgendwen interessieren würde und das gute Stück niemand geklaut hätte – ja, selbst Schilder klaute man. Wie oft wurde schon in ihre Wohnung eingebrochen? Wenigstens zahlte bei so etwas das Sozialamt. Doch nicht, wenn sein Vater mal wieder irgendwelche Möbel zusammenschlug. So gesehen hatte er gelogen – es wäre ihm lieber gewesen, wenn der Alte ihn geschlagen hätte. Er heilte wieder, die Möbel nicht. Der Fernseher war sicher schon zerbrochen. Und der Kühlschrank wahrscheinlich umgekippt. Und von der Duschwand dürfte auch nicht mehr viel übrig sein. Wahrscheinlich war der Spiegel in Scherben auf dem Flur verteilt. Was konnte man sonst noch zerschmeißen? Scheiße, sein Zimmer war nicht abgeschlossen!

Katsuya stürzte in die Wohnung.

"Alter! Hey, Alter? Wo bist du?"

Ein Grunzen kam aus dem Wohnzimmer.

Er rannte zur Tür.

Ja, der Fernseher war zerschmettert. Der kleine Holztisch ebenso. Das Sofa war umgekippt. Die Mülltüten waren zerrissen, der Inhalt verteilt. Und einige Alkoholflaschen lagen in Scherben. Und mitten in diesem Chaos ein dunkelblonder Mann mit Bartstoppeln, Jeans, einem losen Shirt und einer Pulle in der Hand.

"Hörst du mich, Vater? Bist du halbwegs bei Verstand?"

"Ruhje, du kleier Scheisar!", lallte der leicht Schwankende.

Die Flasche wurde auch nicht sehr zielgenau geworfen, sie schlug gut einen Meter neben dem Jüngeren in die Wand. Den berührte das gerade nicht sehr.

"Sühst du dasch? Dasch – hicks – isch ne Schei… Scheihung. Dasisch du… nur du Schull!", der Betrunkene torkelte auf seinen Sohn zu.

O ja, das würde Prügel geben. Das würde harte Prügel geben. Was jetzt?

Katsuya warf einen Blick auf seine Zimmertür.

Wo hatte er den Schlüssel?

Konnte er sie zuhalten?

War er schnell genug?

Der Betrunkene lehnte sich nach vorne und stolperte auf den Blonden zu.

Die Faust traf fast.

Der Jüngere wich zurück.

Im Fallen klammerte sich der Aggressive an dessen Beine.

"Waaah!", auch Katsuya fiel zu Boden.

"Du! Du bisch Schuld!", schrie der Stärkere und packte dessen Jacke, "Schürb!"

In the morning sun

Hey, willkommen beim neuen Kapitel ^.^

Und bei einem neuen Abschnitt. Ich habe ja schon eine Anmeldung bekommen:

Kaiba wird vermisst - und hier ist er wieder ^.^

Aber seit seinem letzten Auftritt ist eine ganze Menge passiert, meint ihr nicht? Dieses Kapitel ist trotzdem keine Entschuldigung für die seine lange Abwesenheit. Denn wer mir dies schreibt, hat vollkommen Recht: Das Kapitel ist viel zu kurz! Aber hey - es hat vier Seiten in Word. So kurz ist es gar nicht. Nur passiert eben so ungefähr gar nichts. Außer natürlich der Auftritt einer neuen Person, die wirklich vollkommen OOC ist - was mir aber nicht wirklich etwas macht. Kleiner Tipp: Sie redet gerne zweideutig.

Für eure ganzen Einschätzungen Yamis will ich mich noch einmal kurz bedanken und auch für eure wundervollen Kommis ^.^ (wenn ich schon wieder in dieser Ecke bin...)

Nun, genug gequatscht, hier das neue Kapitel:
 

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Katsuya biss die Zähne zusammen und fiepte leise unter dem heißen Wasserstrahl.

Schmerzen. Nichts als Schmerzen. Schmerzen!

Mit Tränen und Wasser seinen Körper herabperlend stieg der Blonde aus der Dusche und griff nach dem Handtuch. Ganz vorsichtig tupfte er damit über seine lädierten Stellen, bevor er sich ganz abtrocknete.

Kindern sagte man, sie sollten sich von spitzen Gegenständen fernhalten. Alten sagte man, sie sollten sich vor steilen Stellen fernhalten. Jugendlichen sollte man sagen, sie sollten sich vor rauen Dingen fernhalten. Erst recht, wenn der Vater mit einem auf sie einschlug. Auf ihn einschlug.

Seine Haut war an mehreren Stellen im Brust-, Hals- und Gesichtsbereich so abgewetzt, dass man das Gewebe darunter sehen konnte. Mit einer Nagelschere hatte Katsuya bereits den Rest der Fetzen abgeschnitten, aber die sehr, sehr tiefen Schürfwunden heilten nicht gerade schnell. Und sie schmerzten! Und wie sie schmerzten!

Samstagabend hatte sein Vater ihn zusammengeschlagen – okay, das war nicht zu scheußlich, der Alte war ja schließlich ganz schön zu gewesen. Aber am Sonntag! Als Katsuya zurückkam, war sein Vater nüchtern. So nüchtern wie schon seit Jahren nicht mehr. In der einen Hand die Scheidungspapiere, beide Hände in Raufaserhandschuhen. Insgesamt in ordentlichen Klamotten und noch mit Jacke. Er sagte, er wäre soeben beim Gericht gewesen und hätte sich erkundigt – danach sah er glatt auch aus.

Er dachte, sie könnten mal reden.

Sich über die Scheidung unterhalten.

Er dachte, jetzt könnte er ihn in die Realität zurückholen.

Aber er hatte es schon mal festgestellt. Hoffnung ist das trügerischste aller Gefühle. Mit ihr wird man immer enttäuscht.

Und nun? Jetzt stand er hier, Teile seiner Haut von einem Handschuh zerfetzt, an manchen Stellen blutverkrustet. Und es schmerzte, er könnte schreien!

„Mutter, Shizuka…“, murmelte er leise, „Wenn diese Scheidung wirklich stattfindet, dann wird man mich zu euch schicken. Was werdet ihr mit mir machen? Liebst du mich noch, Shizuka? Hasst du mich noch, Mutter?“

Wie müde ließ er den Kopf sinken.

Hatten sie noch irgendwo Bandagen? Oder Mullbinden? Irgendetwas?

Seufzend wandte er sich ab, verschwand in sein Zimmer und machte sich fertig.

Montags morgens, erste Stunde Deutsch. Kaiba…
 

„Herr Lehrer?“

Kaibas blaue Augen richteten sich auf den Blonden.

„Dürfte ich die erste Stunde auf der Krankenstation verbringen?“

„Hast du Schmerzen?“, fragte der Ältere zurück.

Wie meinte er das jetzt? Was genau meinte er? Warum nahm er dieses harte Wort? Wusste er etwas? Konnte er etwas ahnen? Na gut, die Wunden in seinem Gesicht sprachen sicher Bände.

„Ja.“, antwortete Katsuya kurz angebunden.

Kaiba hob leicht die Augenbrauen, nickte dennoch.

Worüber er sich wohl wunderte? Dass der Punk verletzt war? Dass er nicht lachte? Dass er keine Schulsachen mit hatte? Wo er ihm die schon extra geschenkt hatte…

Der Blonde drehte sich wortlos um und verließ den Klassenraum. Seine Füße trugen ihn zur Krankenstation. Ohne die Schwester zu grüßen zog er die Jacke und sein Shirt aus. Sie nahm es hin. Sie fragte nicht. Irgendwie war sie richtig sympathisch. Warum fragte sie nicht?

„Interessiert es sie nicht, warum ich hier sitze?“

„Warum sollte es?“, konterte sie mit einem Lächeln, „Es geht mich nichts an. Zumindest würdest du mir das antworten, nicht?“

Ja, das hätte er ihr gesagt. Sie kannte ihn schließlich. War nicht das erste Mal, dass er hier saß…

„Aber eigentlich würdest du dich freuen, wenn ich frage, nicht?“

„Wieso sollte ich?“

„Weil du es magst, wenn sich jemand für dich interessiert. Du möchtest einfach nur ein bisschen Aufmerksamkeit und Liebe, nicht?“

„Pah.“

Aufmerksamkeit hatte er genug. Schließlich wurde er täglich geschlagen.

Er beobachtete, wie sie eine rote Paste auf seine Haut auftrug. Er biss einfach nur die Zähne zusammen und zog die Luft scharf ein.

„Du darfst ruhig weinen.“

Was? Wie meinte sie das denn jetzt? Er blinzelte verwirrt, während sie ihn mit Binden und Bandagen verpackte.

„So.“, sagte sie kurz darauf, „Fertig.“, sie strahlte ihn an, „Komm morgen früh wieder vorbei, ja? Dann wechseln wir die Verbände.“

„Und meine morgendliche Dusche?“

„Du überlebst auch mal ohne.“, sie zwinkerte.

Katsuya legte die Stirn in Falten.

Was war das denn für eine Frau?
 

„Ich dachte, Frauen mögen keine ungepflegten Männer.“, er grinste sie an.

Doch, die mochte er. Die war echt komisch. Genau sein Geschmack.

„Lieber stinkst du morgen, als dass all deine Wunden aufreißen. Das würde mir viel zu viel Arbeit bereiten.“, sie ging nicht auf seine Anmache ein.

Katsuya zog eine Augenbraue hoch.

„Und du machst sowieso schon genug. Falls du die Verbände doch abmachst, weil du ja eh nie auf mich hörst, dann wundere dich nicht, wenn deine Haut gelb ist. Das ist normal bei dieser Salbe.“

„Wie seh’ ich denn dann bitte aus?“, murrte der Jüngere.

„Gelb.“, sie räumte währenddessen die Utensilien weg und schloss die Tube wieder in den Arzneimittelschrank, „Wie geht es eigentlich deiner Stirn?“

Ach ja, die gab’s ja auch noch… war kaum eine Woche her, dass sie ihm die genäht hatte. Am Wochenende hatte er ein Stirnband darüber getragen.

„Könnten sie es sich mal ansehen?“, bat der Punk.

„So höflich?“, sie lächelte, „Irgendwie bist du seit letzter Woche anders. Das ganze letzte Jahr kommt kein freundlicher Ton über deine Lippen und plötzlich werde ich sogar gesiezt...“

Katsuya schwieg lieber.

„Magst du es deiner lieben Krankenschwester Isis nicht sagen?“

„Nein.“, murmelte er beleidigt.

Hatte er sich echt so verändert?

„Schade.“, sie seufzte, „In letzter Zeit ist es so ernst hier… als hätten alle plötzlich schlechte Laune.“

„Das könnte an unserem stellvertretenden Direktor liegen.“, meinte Katsuya.

„Kaiba? Wieso er?“

„Weil er ganz schön fies sein kann. Und weil er andauernd Schüler von der Schule wirft.“

„War er zu dir auch schon gemein?“, fragte sie mit fürsorglichem Ton.

„Er ist mein Klassenlehrer.“, wich der Jüngere aus.

„Das beantwortet meine Frage nicht.“

„Nun… er…“, unwillkürlich wurde er leicht rot, „Zu mir war er eigentlich ganz… freundlich.“

„Freundlich?“, hackte sie nach.

Verdammt, er hatte doch keine Ahnung, wie er das nennen sollte! Mit positiven Gefühlen kannte er sich nicht so aus. Aber verhielt sich Kaiba wie ein Freund?

„Na ja… auf seine Art eben. Hinter dem Eis glüht ein ganz schönes Temperament…“, versuchte Katsuya sich zu erklären.

„Was hat er getan?“

„Mich bedroht. Mich gedemütigt. Mich zu dieser Uniform gezwungen.“, fasste er zusammen.

Stimmt, er war ja wirklich richtig fies gewesen…

„Und?“, in ihren Augen konnte man sehen, dass sie wusste, dass das nicht alles war.

„Er hat mir Schulsachen geschenkt. Und diskutiert gerne mit mir…“

„Er schenkt dir eine Menge Aufmerksamkeit, nicht?“

Sie lächelte undeutbar.
 

Die Schulglocke klingelte.

Ein paar Türen zum Flur öffneten sich, Schüler kamen und gingen, überall lautes Geplapper und Lachen. Freundinnen hielten Händchen, Freunde klopften sich auf die Schultern. Lehrer baten verzweifelt um Ruhe.

„Ich glaube, ich werde die Fäden ziehen.“, eröffnete ihm Isis das Kommende.

Katsuya knurrte nur.

Noch mehr Schmerzen.

Was tat eigentlich mehr weh? Wenn sein Vater ihn schlug oder die Schmerzen danach?

Sie griff nach einem Knipser und durchtrennte den ersten Faden.

Definitiv die Schmerzen nachher.

Nach dem Knipsen begab sie sich daran, ihm die Nylondrähte aus der Stirn zu ziehen.

„Haben sie dieses komische Betäubungsspray noch?“, fragte der Blonde hoffnungsvoll.

„Ja.“, sie zog am ersten Fadenstück, „Aber nicht für dich.“

Er gab keinen Ton mehr von sich.

Sie öffnete den Schrank, holte die Tube wieder raus und tupfte ihm auch auf die Stirn das halbfeste Rot. Es brannte nicht sehr, aber unangenehm war es trotzdem. Hinterher wurde noch ein schön großes, breites Pflaster draufgeklebt und er war endlich fertig.

„Na, da kann ich ja mal richtig stolz sein.“, lächelte sie, „Ärztliche Versorgung in Rekordzeit war das.“

Während sie wieder zusammenpackte, betrachtete Katsuya sein Spiegelbild auf der Fensterscheibe. Ob er sein Shirt überhaupt wieder überziehen sollte? Brauchen würde er es sicher nicht.

„Ich glaube, da kommt dein Erlöser.“

Der Punk versuchte, die Stirn in Falten zu legen, doch das Pflaster hinderte ihn daran. So traf die lächelnde Isis nur ein verwirrter Blick.

Sie nickte Richtung Flur.

Katsuya wandte sich um, doch seine Nachfrage blieb ihm auf der Zunge haften.
 

Eine hoch gewachsene Gestalt betrat soeben das Krankenzimmer, nickte der Schwester zu und musterte den Blonden in seinen Bandagen mit seinem kalten Blick eingehend.

„Du siehst nicht gerade gut aus…“, entschied Kaiba für sich.

„Das tu ich ohne Bandagen auch nicht.“, konterte Katsuya leicht eingeschnappt.

„Ach?“, ein fieses Lächeln stahl sich auf die Lippen des Brünetten, „Hast du das denn schon mal gesehen, kleiner Rebell?“

„Was? Mich ohne Bandagen?“, fragte der Jüngere leicht irritiert nach.

„Oder einen Spiegel.“

„Hey! Ich besitze sehr wohl einen Spiegel!“, knurrte er.

„Na dann.“, Kaiba hob die Klamotten des Verletzten von der Stuhllehne und drückte sie diesem in die Hand, „Scheint dir ja ganz gut zu gehen. Und da du mehr als die Japanischstunde gerade nicht frei hast, solltest du dich mal ganz schnell zur Klasse begeben.“

„Und wenn ich nicht will?“, fragte Katsuya fies.

„Dann wird deine eine Stunde Nachsitzen heute um eine weitere verlängert.“

Und Kaibas leichtes Grinsen war glatt noch fieser.

Nachsitzen?

Ich glaube, das hier ist das erste Mal in dieser Geschichte, dass ich einen Titel, den ich vor dem Schreiben eines Kapitels ausgesucht habe, genau so belasse. Er trifft zu ^.^ Und hat keine tiefere Bedeutung, womit auch nichts falsch gemacht werden kann.

Und der erste Kommentar dieses Kapitels wird mein Rekordbrecher ^.- Und dem 80. Kommischreiber schenke ich hiermit einen Jubiläumsknuddel. Und jetzt ganz schnell, ohne viele Worte, das neue Kapitel:
 

P.S.: Die Zitate sind natürlich geklaut. Das erste ist von der englischen Königin über die deutsche Reichsgründung, das Zweite von einem Prince of Wales über seinen Cousin, dem letzten deutschen Kaiser.
 

P.P.S.: Bei den Nebensequenzen ist ein neues Kapitel on ^.^
 

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Katsuya durchbohrte seinen Lehrer mit tödlichen Blicken.

Die arme Englischunterrichtskraft, die ihn letzte Woche vor die Tür gesetzt hatte, wand sich nun unter seinen Augen. Er zuckte zusammen, wenn er in Katsuyas Richtung sah. Er ordnete seine Krawatte, er tupfte sich die Stirn ab und lockerte sein Jackett. Er schwitzte und man sah es ihm an. Nackter Angstschweiß.

Dabei dachte der Blonde nicht einmal an den Lehrer vor sich. Nein, er war mit seinen Gedanken am Nachmittag. Im Nachsitzraum. Bei Kaiba.

Warum wurde er denn schon wieder zu ihm zitiert? Nur weil er eine Stunde auf der Krankenstation verbracht hatte? Okay, seine Wunden lagen nicht unter der Versicherungspflicht der Schule und eigentlich hätte er weder behandelt noch befreit werden dürfen, aber schließlich war das hier doch eine humane, soziale Einrichtung, oder? Warum also Nachsitzen?

Er wettete, das war eine von Kaibas Ideen gewesen, nur um ihn zu quälen. Anders war seine Strafe nicht erklärbar. Was hatte er denn falsch gemacht? Oder gefiel es Kaiba plötzlich doch nicht, dass er Contra gab?

Ach, Lehrer waren einfach nur kompliziert!

„So, can someone tell me a sentence that all English pupils have to know?“

Meine Güte, dieser Englischlehrer war aber auch ein Schwachkopf… was sollte denn die blöde Frage?

Lehrer hatten doch echt alle einen Schaden.

Sah man auch daran, dass sich niemand meldete.

Katsuya zeigte auf.

Der Lehrer zuckte nur leicht, hob seinen zitternden Arm, um den Jüngeren dran zu nehmen.

„We are not amused.“, zitierte dieser.

Der Mann zog den Kopf ein Stück ein, als wären die Worte des Blonden Geschosse, mit denen er auf die Lehrkraft feuerte.

„Doe- does someone know another sentence?“, piepste jener.

Katsuyas Gedanken glitten wieder ab.

Warum bestellte ihn Kaiba zu sich?

Warum setzte sich Kaiba überhaupt für ihn ein?

Warum mochte Kaiba ihn überhaupt?

Seine Rede der letzten Woche hatte Katsuya sowieso schon als komplette Lüge abgestempelt. Das war gespielt gewesen, ohne Frage. Allein die Ausdrucksweise hatte überhaupt nicht zu Kaiba gepasst. Und diese Ehrlichkeit und Freundlichkeit und besonders die Komplimente erst recht nicht. Das war nicht Kaiba persönlich! Das war einfach nur Theater gewesen.

Manipulation.

„Anyone?“

Aber warum?

Warum spielte Kaiba ihm etwas vor?

Warum versteckte er sich?

„No one?“

Warum war er nicht einfach er selbst?

Katsuya hob den Arm wieder.

„Yes?“

„He is the most brilliant failure of history.“
 

„Welch ein Wunder, dass du es hergeschafft hast.“, begrüßte Kaiba ihn im Hereinkommen, „Du bist fünf Minuten zu spät.“

Wie auch schon beim letzten Mal saß er am Pult, lehnte lässig auf dem Stuhl und trank Kaffee – diesmal aus einem Snoopy-Becher.

Und der immer noch aufgewühlte Katsuya kam einfach nicht umher, an das letzte Gespräch mit einer Begebenheit dieser Art erinnert zu werden.

Hündchen.

Ein Glück, dass Kaiba damit aufgehört hatte.

Aber wer wusste, wie lang dieser gute Vorsatz noch anhielt…

„Bin ich zu spät?“, fragte eine heitere Stimme hinter Katsuya.

„Natürlich bist du das.“, erwiderte Kaiba vom Pult.

Der Blonde drehte sich ein Stück und erblickte Yu- nein, Herrn Muto.

„Was wird das hier?“, fragte er mit einer hochgezogenen Augenbraue – die andere wurde vom Pflaster zurückgehalten.

Es war sehr auffällig, dass er heute der einzige Nachsitzende sein sollte.

Und dann mit zwei Lehrern?

Nein, hier war irgendetwas im Busch.

„Ein konspiratives Treffen.“, meinte der Brünette mit einem Lächeln.

Das Lächeln hieß, er wusste, dass Katsuya keine Ahnung hatte, was das Wort konspirativ bedeutete.

„Aha…“, äußerte dieser jedoch nur.

Was sollte das hier bloß werden?

„Setzt euch doch.“, bot Kaiba freundlich an.

Freundlich!
 

Der hölzerne Schulstuhl war unbequem.

Das war zwar keine Neuigkeit an sich, aber heute traf es ganz besonders zu. Er war härter als sonst und kantiger als sonst und… allgemein unbequemer als sonst.

„Wieso muss ich hier sitzen?“, fragte Katsuya.

„Du kannst auch stehen, wenn dir das besser gefällt.“, erwiderte sein Japanischlehrer.

„Argh, sie wissen verdammt noch mal, wie ich das meine!“, knurrte der Blonde und sprang auf.

„Ruhe, setzen.“, sein Gegenüber trank einen Schluck Kaffee, „Achte auf deine Manieren und fang ja nicht an zu fluchen.“

„Was ist das hier? Ein Benimmkurs?“, er wurde lauter.

„Bellende Hunde brauchen manchmal ein Klaps.“

„Wenn sie so weiter machen, dann brauche ich eine Klapsmühle!“, er stemmte seine Hände auf den Tisch, „Was wird das hier?“

„Würdest du mal ein paar Sekunden stillhalten, dann könntest du es auch erfahren.“, meinte Kaiba sichtlich amüsiert. Er hatte schon wieder sein fieses Lächeln aufgesetzt.

Katsuya atmete tief durch.

Einatmen.

Ausatmen.

Sollte er sich setzen oder Kaiba an die Kehle springen?

Er entschied sich für Ersteres.

„Yugi und ich haben uns über dich unterhalten.“, begann der Brünette, „Und wir sind zu dem Schluss gekommen, dass du für diese Institution akzeptabel bist, wenn du so weitermachst wie bisher.“

Halleluja! Er war angenommen! … Nein, das hieß, er war nicht abgewiesen. Aber andererseits hieß es, dass sie ihn mochten, oder? Oder fanden sie nur einfach nichts mehr wegen dem man ihn rauswerfen konnte? Ach was! Kaiba hatte doch selbst dafür gesorgt, dass dem so war. Aber wenn das Gespräch letzte Woche Schauspiel gewesen war, was hatte es dann zu bedeuten? Und was sollte dies?

„Allerdings müssten wir da noch ein bisschen über dich wissen.“

Ach so, es ging um den Haken an der Sache…
 

„Yugi meinte, du könntest finanzielle Probleme haben. Dieselbe Überzeugung vertrete ich auch, auch wenn ich nichts von dir weiß-“

„Glauben sie das, weil ich Atemu erwähnt habe?“, richtete sich der Blonde an den jüngeren Lehrer.

Mal sehen, wie er reagierte…

„Ja.“, erwiderte Herr Muto eher trocken, „Wenn jemand meinen Bruder kennt, dann muss dieser jemand schon ganz schöne Probleme haben.“

„Hey!“, fuhr Katsuya auf, „Er ist auch nur ein Mensch, okay?“

„Nenn mir mal einen Bekannten von ihm, der normal ist.“, forderte der Ältere.

„Normal ist eh niemand!“

Er kannte wirklich keinen Bekannten von Yami, der „normal“ war.

„Dürfte ich mal fragen, was da mit deinem Bruder ist?“, mischte sich Kaiba ein.

„Nein.“, der Schwarzhaarige stand auf und stellte sich ans Fenster.

„Entschuldigung, aber er ist mein bester Freund und er gehört zu den nettesten und vor allem freundlichsten und freundschaftlichsten Menschen dieser Erde. Vielleicht kenne ich einfach eine andere Seite an ihm, eine, die er ihnen nicht zeigt.“

„Erzähl mir nichts über meinen Bruder, du hast doch keine Ahnung!“, schrie der Ältere. Es standen Tränen in seinen Augen.

„Kommen wir mal zurück auf dich.“, wechselte Kaiba sofort das Thema.

Katsuya hätte dasselbe getan.

„Hast du finanzielle Probleme?“

„Ja.“, antwortete der Blonde ohne Umschweife, „Aber ich habe zurzeit einen Job als Kellner, da krieg ich genug, um mir etwas zu Essen zu leisten.“

Der Brünette zog eine Augenbraue hoch und sagte: „Erstmal ist arbeiten neben der Schule verboten-“

„Echt?“, fragte Katsuya erstaunt wie verängstigt.

Die würden ihn deshalb doch nicht rausschmeißen, oder?

„Ja. Ich schreibe dir eine Sondergenehmigung. Zum zweiten. Hast du genug Geld für Schulsachen und Schulbücher?“

„Ich sagte, mein Geld reicht, um mir etwas zu Essen zu kaufen…“, dennoch war er erleichtert, dass man ihn nicht von der Schule warf.

Kaiba schrieb ihm echt eine Sondergenehmigung?

„Dann muss dir wohl oder übel jemand die Schulsachen bezahlen.“, schloss der Lehrer, „Hast du Verwandte?“

„Keine, die mir auch nur einen Yen geben würden.“

„Freunde?“

„Ich könnte mir bei Ryou die Schulbücher leihen…“

„Lebt der nicht auch an der Armutsgrenze?“, fragte Kaiba fast überrascht.

„Zumindest hat er Bücher, Hefte, Stifte und einen Internetanschluss.“

„Dann brauchst du nur eine Grundversorgung, richtig?“

Katsuya überlegte kurz und nickte.

„Dann bleibt das wohl auch an mir hängen…“
 

„Was?“, hauchte Katsuya, während seine Augen sich weiteten.

Hatte Kaiba gerade gesagt, er würde ihm die Schulsachen bezahlen? Hatte Kaiba das wirklich gerade gesagt? Und hatte er das so gemeint? Hatte er das wirklich, ganz wirklich, so, und auch nur so, gemeint?

Schrei!

„Bilde dir ja nichts darauf ein, irgendwer muss das nun mal tun und bis man irgendwelche Anträge beim Sozialamt durchkriegt, hat man die zwei Jahre Schulzeit wahrscheinlich schon hinter sich.“

Der Blonde allerdings blieb bleich wie er war, starrte den Blauäugigen abwesend an und ließ dann seinen Blick nach rechts schweifen. Er traf Herrn Muto, der seinen besten Freund nicht minder erstaunt ansah. Auch er schien sprachlos.

„Seid wann interessierst du dich für das Wohlergehen anderer?“, fragte er nach kurzer Zeit.

„Was soll das denn heißen?“, meinte Kaiba schnippisch, „Es geht mir nur auf die Nerven, dass er ohne irgendwelche Vorbereitung und Mitarbeitsmöglichkeit in meinem Unterricht sitzt. Zeit mich um andere zu kümmern habe ich ganz sicher nicht!“

Der Braunäugige stutzte, zog die Brauen leicht zusammen und presste die Lippen aufeinander.

„Was sollten mich die Probleme anderer interessieren?“

Sein Blick sank zu Boden, sein Atem wurde tiefer, seine Gesichtszüge verzerrten sich im Schmerz.

„Ich interessiere mich nur für mich selbst, das müsstest eigentlich mittlerweile bemerkt haben.“

Katsuyas rationales Denken schaltete sich wieder ein, während sein Zorn aufwallte.

Der Brünette machte das nur für seine Nerven?

Und er hatte keine Lust sich um andere zu kümmern?

Okay, dann eben alles auf eine Karte!

Sprach er die Frage eben aus, die ihm schon einige Zeit auf der Zunge lag.

„Dann war das letzte Woche also wirklich reine Lüge?“

Truth

Der Titel sagt alles und nichts ^.- Er gefällt mir.

In diesem Kapitel geht es um die Wahrheit, ich bringe mal wieder ein paar philosophische Aspekte herein. Nachdem ich mich ja über die Hoffnung nun schon einigermaßen ausgelassen habe, wird nun die Wahrheit aufs Korn genommen.

Wahrheit und Lüge - Schein und Sein.

Das sind die Leitthemen der nächsten Kapitel. Und ihr dürft wieder raten, was wozu gehört ^.- Ich wünsche euch viel Spaß mit dem ersten (wirklich sehr kurzen, aber ausdrucksstarken) Kapitel dieser Reihe:
 

P.S.: Ich habe eine neue FF hochgeladen. Und habe ich bereits geschrieben, dass es noch zwei andere Neue gibt? Reviews sind gern gesehen ^.^
 

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Kaiba merkte auf und wandte seinen Blick zu Katsuya.

Der Blonde wusste nicht warum, aber er konnte aus den blauen Augen lesen, dass der Brünette wohl vergessen hatte, dass er im Raum war. Der Eindruck verschwand aber sofort wieder. Zurück blieb nichts als Kälte.

„Wundert dich das?“, fragte der Lehrer aggressiv zurück.

O ja, diesem Mann schien es gar nicht zu passen, dass man ihm aus dem Konzept gebracht hatte.

Aber war das noch wichtig?

Man hatte ihn belogen.

Mal wieder.

Wie immer.

Warum hatte er denn etwas anderes geglaubt? Warum hatte er an so etwas Schwachsinniges wie Hoffnung geglaubt? Warum hatte er an so einem Typen wie Kaiba geglaubt?

„Kaum. Ich hätte nichts anderes erwartet.“, erwiderte Katsuya in der selben Kälte, die auch die blauen Augen ausstrahlte.

„Dann sind die Fronten ja geklärt.“

„Freut mich, dass wir ehrlich zueinander sind.“

„Dann kann ich dir ja auch ganz ehrlich sagen, was ich von dir halte. Du gehst mir ganz schön auf die Nerven. Als Spielzeug warst du ja ganz lustig, aber langsam wirst du lästig.“

Der Blonde atmete tief durch.

„Dann kann ich ja die Schule auch wieder schmeißen, wenn ich eh von ihr katapultiert werde. Und somit kann ich ihnen auch mal die Meinung sagen. Sie sind ein Eisblock, dessen einzige Gefühlsregungen Sarkasmus und Sadismus heißen! Ich habe die Nase voll davon, dass sie mit mir tun und lassen, was ihnen gerade einfällt.“

„Was sollte ich denn sonst mit dir machen, Köter?“, höhnte Kaiba zurück, „Glaubst du etwa, du wärst für irgendetwas anderes zu gebrauchen?“

„Ignorieren sie ruhig, dass ich auch nur ein Mensch bin! Ist klar, dass sie davon nichts verstehen.“

„Du hast keine Ahnung von Menschlichkeit, Köter.“

„Und sie keine davon, wie man Versprechen einhält. Aber große, wenn es darum geht andere zu quälen!“

„Ich vermute, aus deinem Mund darf ich das als Kompliment nehmen.“

Katsuya sprang auf. „Sie sind unausstehlich, wissen sie das?“

„Und du ein Insekt der Gesellschaft, das zertrampelt gehört.“

„Oh, anhand meines Status kann ich das ja glatt als Kompliment nehmen.“, äffte er seinen Lehrer nach.

„Wenn dir nichts Besseres mehr einfällt als mich zu kopieren, kannst du auch verschwinden.“

„Mit größtem Vergnügen, sie Eisdrache!“

„Auf nimmer Wiedersehen, Köter!“

Beide standen sich gegenüber und funkelten sich an.
 

„Habt ihr diesen Schwachsinn jetzt endlich beendet?“, fragte Yugi dazwischen.

Sie wandten sich ihm zu.

„Ihr verhaltet euch echt wie Kleinkinder. Stur und unmöglich, alle beide!“

Katsuya klappte die Kinnlade leicht herab, als er etwas erwidern wollte. Doch weder kam ein Ton heraus noch konnte er den Mund wieder schließen.

„Und jetzt gebt ja Ruhe und überlegt euch, was ihr wirklich wollt. Das ist nämlich sicher nicht, dass ihr euch gegenseitig verletzt. Nur ist das genau das, was ihr gerade veranstaltet.“

Der Blonde wandte irritiert und aus dem Konzept gebracht seinen Blick von dem Schwarzhaarigen zu Kaiba. Dieser guckte nicht anders als er selbst. War ja richtig süß, wenn Kaiba überrascht war. Und gar nicht mehr süß, wenn sein Blick ins Eiskalte wechselte und sich das Gesicht in Wut verzerrte.

„Was fällt dir ein mich so zu diffamieren?“, knurrte Kaiba in einer sehr ruhigen Tonlage.

„Du solltest mal wieder auf den Teppich kommen, Seto. Die Realität ist das Hier und Jetzt und nicht die Vergangenheit. Und im Hier und Jetzt solltest du besser mal leben.“

„Erzähl mir nicht, was ich tun und lassen soll.“, der Ton ruhig, die Stimme tief.

Der Drache war geweckt. Und er war sichtlich verstimmt. Wenn es so weiter ging, würde gleich wirklich eine Feuersbrunst ausbrechen.

Aber Seto war ein schöner Vorname…

„Was ist Wahrheit, Herr Lehrer Kaiba?“, quatschte Katsuya kurzerhand dazwischen.

„Bitte?“, wieder aus der Situation herausgerissen wandte sich der Brünette zu ihm.

„Was ist Wahrheit?“

„Was soll denn die dumme Frage?“

„Was – ist – Wahrheit?“

Kaiba zog die Augenbrauen zusammen.

Sein Blick schien zu fragen, ob Katsuya komplett durchgedreht war.
 

„Wahrheit… Wahrheit ist das, was der größte Teil der Menschen als richtig erachtet.“

„Und wenn sich nun die meisten irren?“

„Dann ist deine eigene Wahrheit so lange Wahrheit, bis dir das Gegenteil bewiesen wird.“

Der Blonde atmete tief durch.

„Und wenn ich nun denke, dass sie mich hassen, teilen sie dann meine Ansicht oder beweisen sie mir das Gegenteil?“

Kaiba blinzelte.

Himmel, er hatte verwirrt geblinzelt!

Das stand ihm auch mal.

So einen Typ verwirrt zu sehen, der Anblick war köstlich.

„Ob ich dich hasse?“, fragte der Brünette noch einmal nach.

„Bleib im Diesseits, Seto.“

„Klappe dahinten!“, fauchte er und massierte sich die Schläfen, während er den Kopf gesenkt hielt. Er seufzte geräuschvoll und schüttelte ganz leicht den Kopf. Sein Blick hob sich wieder, während er die Hände verschränkte und sein Kinn darauf abstütze. Resignierend antwortete er leise: „Nein, ich hasse dich nicht.“

„Und wenn ich nun überzeugt bin, dass sie es doch tun?“

„Dann ist mir das jetzt scheißegal!“, fuhr der Blauäugige auf und schnappte sich seine Tasche und seinen Becher, „Ihr könnt mich mal! Beide!“

Mit kalt blitzenden Augen umrundete er den Tisch und war mit wenigen Schritten am anderen Ende des Raumes. Sekunden später hatte er den Raum verlassen.

Katsuya starrte die Tür an.

Was war denn das jetzt? Kaiba flüchtete? Vor was?

„Entschuldige.“, der Mann hinter ihm kicherte, „Ich glaube, das war meine Schuld… Seto ist ganz schön dünnhäutig.“

„Dünnhäutig?“, fragte der Blonde mit in Falten gelegter Stirn nach, nachdem er sich zu dem Sprechenden umgewandt hatte.

Kaiba und dünnhäutig?

In seinen Gedanken hatte der Drache einen ganzen Schuppenpanzer.

„Ja. Ich hab’ ihm in eine seiner Wunden gepiekt. Er verdrängt seine Vergangenheit am liebsten, aber sie steuert ihn. Manchmal muss man ihn einfach darauf aufmerksam machen.“

„Seine Vergangenheit?“, diesmal war er interessiert.

Hatte Kaiba auch schwere Schicksalsschläge hinter sich?

Nun, jeder hatte nun mal sein eigenes Dilemma.

„Was ist passiert?“

Aber Herr Muto legte nur den Finger auf die Lippen und lächelte.

Zum Leben verurteilt

Ich lade nur so schnell hoch, weil ich mal wieder über drei weitere Kapitel fertig habe! Ich denke nicht, dass das zur Gewohnheit wird, dass es hier alle drei Tage ein neues Kapitel gibt >.< Nein, nein, nein, das muss nicht sein!

Aber was soll ich tun, eure ganzen Kommentare geben so viel Inspiration, ich kann nicht anders als zu schreiben. Und heute habe ich schon wieder ein ganzes Kapitel verfasst. Und ich habe es extra nicht bei einem Cliffie enden lassen!

Nun, um mal endlich auf dieses Kapitel zu kommen - es ist ein wenig depressiv. Aber dass es Katsuya schlecht geht, das konntet ihr euch ja sicher schon denken. Und während im letzten Kapitel zu wenig Gefühle waren, gibt es hier zu viel - trotzdem viel Spaß ^.^
 

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Katsuya ging leicht nach vorne gebeugt, die Hände in den Hosentaschen, die Straße entlang.

Leer.

Menschenleer.

In diese Gegend kam kein anständiger Bürger, wenn er nicht sterben wollte.

Er war kein anständiger Bürger.

Er war nie einer gewesen. Würde er einst einer sein?

Seine Zukunft lag in Scherben.

Seine Vergangenheit ebenso.

Seine Mutter hatte ihn gehasst. Warum, das wusste er nicht. Er würde es wohl auch nie erfahren. Seine Schwester hingegen wurde geliebt. Manchmal machte ihn das eifersüchtig. Aber eine Erinnerung an das unschuldige Lächeln der Kleinen ließ ihn das wieder immer wieder vergessen. Und sein Vater… war der überhaupt da gewesen? Er hatte nicht viel Erinnerung an ihn.

Ob es überhaupt sein Vater war? Vielleicht war seine Mutter vergewaltigt worden? Das wäre eine Erklärung. Warum sie ihn hasste. Warum sein so genannter Vater ihn hasste. Warum sie ihn zurückgelassen hatte.

Aber das war irrsinnig. Seine Mutter war eine anständige Bürgerin. Man vergewaltigte keine anständigen Bürgerinnen. Nein, denen fehlte das Flair. Bei denen fehlte das Risiko. Es fehlte der Touch des Erotischen.

War seine Mutter vielleicht keine anständige Bürgerin? Einfach damals keine gewesen? Ja, vielleicht war sie nur eine verdammte Nutte. Sie hatte sich an den am meisten versprechenden Mann geschmissen und ihren Status mit ihren Kindern gesichert. Bis er zu Trinken begonnen hatte. Darauf war sie mit dem Geld abgehauen, das sie durch ihren Anwalt bekommen hatte. Shizuka hatte sie mitgenommen. Vielleicht hatte sie wenigstens sie geliebt.

Er war zurückgeblieben.

Ihn hatte sie nicht haben wollen.

Ihn nicht, der doch seinem Vater so ähnlich sah.

Aber wer wusste schon, was damals war?

Fakt war, dass er nicht genug wert gewesen war, damit sie ihn mitnahm.
 

Und nun war er hier.

Die Gosse, wie die anständigen Bürger so gerne sagten.

Der Ort, den er Heimat nannte.

Hier hatte er Bestätigung gefunden.

Hier hatte man ihn akzeptiert.

So gesehen war er ganz schön undankbar.

Er tat alles, um von hier weg zu kommen.

Der Ort, wo er hinwollte, war die Gesellschaftsschicht, in der die höher Gestellten nicht mehr auf ihn spuckten.

Ja, er hatte ein anständiger Bürger werden wollen.

Er wollte einer von denen werden, die ihn jetzt quälten.

Mit Schulausbildung und Job und allem drum und dran.

Eine Woche hatte er diesen Traum gelebt.

Sieben Tage lang.

Sieben Tage Glück.

Was hatte ihn zerstört?

Es war ein schleichendes Gift gewesen.

Worte, die ihn nicht getroffen hatten.

Nein, sie waren ganz langsam unter seine Haut gekrochen, durch seine Adern geflossen und sich in sein Herz genistet.

„Ich bin ein Insekt der Gesellschaft, das zertrampelt gehört…“, flüsterte Katsuya.

Ja, er hatte es sich gemerkt. Jedes einzelne, verdammte Wort hatte er sich gemerkt. Alles, was Kaiba gesagt hatte ab dem Zeitpunkt, wo zwischen ihnen alles gesagt gewesen war.

Hatte es ihn gewundert, dass der Brünette gelogen hatte?

Hatte es ihn gewundert, dass er ihm auf die Nerven gegangen war?

Hatte es ihn gewundert, dass er als Spielzeug lästig geworden war?

Nein.

Und hatte es ihn überrascht, dass er wertlos war?

Nein.

Es war doch eigentlich wie immer.

Er war beleidigt worden. Er war belogen worden. Er war betrogen worden.

Er war lästig geworden.

Er stand noch immer im Regen und schaute dem Wagen hinterher, in dem seine Mutter mit seiner Schwester von ihm gegangen war.
 

„Was suchst du denn hier?“, grollte sein Vater, der im Türrahmen des Wohnzimmers stand.

„Ich wohne hier.“, meinte Katsuya und wollte an ihm vorbei gehen.

Doch ein Arm hielt ihn zurück.

„Was kommst du so spät?“, schlug es dem Jüngeren gepaart mit einer Dunstwolke von Alkoholgestank entgegen.

„Ich hatte noch ein Gespräch mit meinem Lehrer.“, er versuchte, sich frei zu winden.

„Hast du wieder Scheiße gebaut?“

„Nein!“, schrie Katsuya, „Nein, habe ich nicht! Ich habe nichts falsch gemacht! Ich habe nichts getan!“

„Sei ruhig!“

Eine flache Hand schlug auf seinen Hinterkopf.

Sein Kinn schlug an seine Brust und er taumelte vorwärts.

Sein Vater packte seinen Ärmel und zog ihn zurück, während er mit der anderen wieder ausholte.

Die Schläge prasselten nur so auf ihn nieder.

Wenn er fiel, wurde er wieder hoch gezogen, um weiter zusammengeschlagen werden zu können.

Wenn er am Boden lag, setzte es Tritte.

Wenn er schrie, lachte sein Vater.

Manches Mal wurde nur sein Kopf wie eine fliegende Kugel durch die Gegend gescheuert.

Manches Mal traf es seinen Magen oder Darm.

Manches Mal schlug er gegen die Wand.

Sein Atem ging schnell, unterbrochen durch Keuchen und Husten.

Seine Augen blieben geschlossen, während Tränen heraus rannen.

Seine Arme schlagen sich um seinen Körper, um die Wucht abzufangen.

Bis er gegen die Wand gedrückt wurde.

Ja, dann war alles aus.

Die Wand bedeutete Schmerz.

Entweder durch die nicht abzubremsenden Schläge.

Oder durch die rohe Gewalt, wenn er hilflos war.

Oder durch den Gürtel.
 

Katsuya lehnte an der Wand.

Sein Rücken drückte sich dagegen, seine Beine waren angewinkelt, die Arme darum gelegt.

Nein, das war nicht irgendeine Wand.

Das war eine gute Wand.

Mit echter Tapete.

Ohne die Reste von toten Tieren, die hässliche Flecken auf der durch den Schimmel einheitlich weißen, grünlichen oder braunen Fläche hinterließen.

Wie war er hier gelandet, nachdem sein Vater ihn aus der Wohnung geworfen hatte?

Er erinnerte sich nur noch an den Aufprall auf der Treppe.

Und das Aufkommen an deren Ende.

An endlose Schmerzen.

Doch jetzt war da nichts mehr.

Alles war leer.

Sein Kopf war leer.

Frei von all den schlimmen Gedanken, von all den Ängsten und Schmerzen.

Warum lebte er noch?

Eigentlich stellte er sich diese Frage nicht.

Sie hatte sich in sein Unterbewusstsein gegraben und drang nun hervor. Langsam und stetig wie das Gift der Worte schlich sie sich in sein Bewusstsein und begann ihn von innen heraus zu zerfressen.

Warum war er so schwach?

Warum war er so geschaffen worden?

Warum war die Welt wie sie war?

Warum all diese Grausamkeit? Warum die Schmerzen? Warum das Leiden? Warum die Qual? Warum der Hass?

Warum?

Warum?

Warum?

Nur weil er ein Mensch war?

Tenderness

Also doch Dreitagestakt... ich gebe mich geschlagen. Aber nur solange ich mit dem Schreiben mitkomme ^.- Ich bin jetzt bei Kapitel 22, das wäre hier Nr.23 (remember? Eins gibts zweimal ^.-)

So mal abgesehen davon, gerade mal eine wusste, wer als nächstes auftauchen könnte ^.- Haltet euch mit euren Vermutungen nicht zurück, ich nehme alle gerne ^.^ Die Vermutung war übrigens richtig. Hier kommt der Star: Yami!

Okay, angesichts der Situation sollte ich hier nicht so fröhliche Kommentare schreiben, aber wie erwartet soll es Kats ja hier gleich besser gehen ^.-

Viel Spaß mit dem Kapitel ^.^
 

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„Katsuya?“, fragte eine freundliche Stimme neben ihm.

Die Person kannte er doch! Yami!

Aber wie kam der denn plötzlich in seinen Alptraum?

„Hey, Katsuya…“

Als sich eine Hand auf seine Schulter legte, zog der Blonde scharf die Luft ein.

Schmerzen!

Verdammte Schmerzen!

Tausend Dolche, die durch seine Brust wirbelten!

„Entschuldige.“, die Hand wurde zurückgezogen, „Sieh mich doch bitte an.“

Mit Tränen in den Augen hob der Jüngere seinen Blick.

„Autsch.“, war der einzige Kommentar darauf.

Fünf Minuten später saß er in einer modern eingerichteten Küche mit einem Becher warmer Milch in der Hand, den er lautlos trank. Yami wirbelte einen Meter entfernt vom Kühlschrank zur Spüle, zur Ablage, zum Herd und in beliebiger Reihenfolge wieder zurück. Der Blonde musste auch gar nicht mal lange warten, da hatte er schon einen Teller mit einem dicken Pfannkuchen vor sich stehen, der himmlisch duftete.

„Zucker? Zimt? Nussnougatcreme? Ahornsirup?“, fragte Yami nach.

Der mittlerweile nicht mehr weinende junge Mann schüttelte nur den Kopf und machte sich über die Leckerei her.

...

„Was ist geschehen, Kats?“

Der Angesprochene, der gerade fertig gegessen hatte, kauerte sich auf seinem Stuhl ein wenig zusammen.

„Du brauchst es mir nicht sagen.“, der andere lächelte ihm entgegen, „Soll ich dich neu verbinden?“

„Unsere Krankenschwester hat gesagt, ich soll da bis morgen nicht drangehen…“

„Aber dein Vater hat drauf geschlagen, oder?“

Katsuya wandte seinen Blick ab.

„Dann sollte man eigentlich neu verbinden. Weißt du, was für eine Wundheilsalbe sie benutzt hat?“

„Ähm… eine rote. Und sie sagte, dass ich danach gelb aussehe, wenn sie den Verband abmacht.“

„Dann war es eine Iodsalbe. Kein Problem, so was habe ich auch da.“, sein Blick verfinsterte sich ein wenig, „Wenigstens von Wundsalben habe ich eine Ahnung…“

„Yami…“

„Und waschen können wir dich dann gleich auch. Mit der richtigen Technik klappt das fast schmerzfrei und es entspannt hinterher ungemein.“, er lächelte dem Blonden entgegen.

„Danke…“
 

Katsuya fragte sich wirklich, warum er so selten bei Yami vorbeischaute.

Es waren immer nur schlimmste Umstände, die ihn hertrieben.

Aber der Ältere konnte einen wirklich alles vergessen lassen.

Himmlisches Essen, himmlische Pflege, himmlische Lebensart.

Die Wohnung war wunderschön, stilvoll eingerichtet, sauber und hygienisch. Mit seinem kleinen Vermögen hatte der Stricher wirklich etwas Gutes angefangen. Kochen konnte er wie kein anderer, auch wenn es meist nur ganz einfache Gerichte gab. Bei Katsuya war sowieso immer Not am Mann, da scherte er sich nicht um ein kunstvoll variiertes Essen und das wusste auch Yami. Er hatte sich da schon perfekt drauf eingestellt, obwohl der Blonde fast nie in seiner Wohnung auftauchte. Und die Zärtlichkeit, mit der der Ältere ihn pflegte, war einfach umwerfend. Er hatte den Größeren mit Umsorgtheit aus seinen Klamotten und vor allem aus den Bandagen geschält, die teilweise auf dessen Haut klebten. Es war schmerzhaft gewesen, ohne Frage, aber Yami hatte dagegen schon Mittel gewusst. Waren die Stofffetzen einmal ab, war ja schon alles viel besser gewesen. Mit Sanftheit hatte der Violetthaarige Katsuyas Körper mit einem weichgespülten, grob gewebten Baumwolltuch abgetupft und diesen somit vom Schmutz wie auch von der kränklich gelben Färbung befreit. Von Yami wieder neu eingecremt zu werden war ebenso schön. Gegen den besorgten Freund war Isis richtig grob gewesen. Und mit frischen Bandagen sah die Welt doch gleich viel anders aus!

Gesprochen hatten sie jedoch keinen Ton.

„Danke…“, flüsterte Katsuya.

Er lag auf der Couch, eingewickelt in eine leichte Sommerdecke, mit dem Kopf in Yamis Schoß. Wie gemütlich das alles war, konnte er einfach nicht beschreiben. Wie viele Jahre schon hatte er einen solchen Luxus nicht mehr erlebt? So weit konnte er sicher noch nicht einmal zählen. Hatte er so was denn überhaupt schon mal gehabt?

„Darf ich hier bleiben?“, fragte er hoffnungsvoll.

„Klar.“, antwortete Yami sofort, „Aber ich für meinen Teil muss heute Nacht arbeiten. Da gibt es ein paar Termine, die kann ich wirklich nicht verlegen. Aber nach Mitternacht bin ich wieder da.“

„Versprochen?“

„Versprochen.“

„Dann schlafe ich bis dahin…“, murmelte der Blonde noch, bevor sein Bewusstsein langsam in die Dunkelheit davon glitt.

„Schlaf gut.“, ein Kuss wurde ihm auf die Stirn gesetzt.
 

„Mhm…“, Katsuya verzog leicht das Gesicht und drehte sich weg von der Hand, die ihm über die Wange gestreichelt hatte, „Grmbl…“

„Aufwachen…“, jemand pustete in sein Ohr.

„Wah!“, er schreckte zusammen und wandte sich zu der Person, die ihn aus dem Schlaf gerissen hatte.

„Na, du?“, Yami lächelte ihm entgegen, „Ich weiß ja nicht, wann du in die Schule musst, aber ich glaube, dass jeder nach zwölf Stunden Schlaf mal aus den Federn sollte.“

„Zwölf Stunden?“, nuschelte der Blonde noch ganz verschlafen.

„Ja. Es ist jetzt sieben Uhr morgens.“

Katsuya schloss nur die Augen wieder und drehte sich zurück in die Decke.

„Muss ich den Waschlappen holen?“, scherzte der Ältere.

„Noch fünf Minuten, Mama…“

„Na komm, ich habe Essen gemacht.“

„Frühstück!“, sogleich war der Neunzehnjährige hellwach, „Komme!“

„Erstmal gehst du dich waschen. Apropos, ich habe deine Klamotten gewaschen. Sie liegen im Badezimmer.“

„Danke!“, er drückte Yami einen Kuss auf die Wange und verschwand im Badezimmer.

Fröhlich pfeifend hüpfte er förmlich kurz darauf auch in die Küche.

Wow!

Yami war ein Genie!

Eine hübsche Küche, einfallendes Sonnenlicht und ein mit Essen bepackter Tisch.

Was gab es Schöneres?

Croissants, Muffins, Amerikaner, Brötchen, Graubrot, Vollkornbrot, Stuten, Körnerbrot, Schwarzbrot, ja, selbst Brezeln! Und das hier in Japan! Ein Traum, ein einst in unendliche Ferne gerückter Traum erwachte zu neuem Leben.

„Yami…“, flüsterte der Blonde voller Rührung.

„Ich hab’ doch keine Ahnung, was du so magst. Gefrühstückt haben wir noch nie zusammen.“

„Du hast das nur für mich eingekauft?“, fragte er überrascht.

„’Türlich.“

„Oh, Yami!“, Katsuya umarmte seinen Freund stürmisch, „Ich hab’ seit Jahren nix anderes als Reis mehr gegessen. Das ist der Wahnsinn!“

Und ab dem Moment gab es kein Halten mehr.

Der Blonde futterte, bis er glaubte, zu platzen.
 

„Musst du nicht zur Schule?“, fragte Yami irgendwann mal.

Er hatte kaum mehr als eine Schnitte gegessen und stattdessen lächelnd den Blonden beobachtet. Ob er auf Diät war? Ach nein, er musste ja vorher schon etwas gegessen haben. Gegen vier Uhr ungefähr, wenn er sich richtig erinnerte.

„Ich hab’ erst zur dritten Stunde.“, Katsuya lehnte sich zurück, „Und wenn ich ehrlich bin… ich weiß nicht, ob ich überhaupt hingehe.“

Der Ältere verlor sein Lächeln und wurde ernst. „Was hat der Typ dir angetan?“

„Wer?“

„Dein Lehrer.“

„Ach…“, der Braunäugige lenkte seinen Blick zu Boden, „Na ja…“

Yami kannte ihn wirklich gut. Wenigstens einer, der ihn verstand…

„Weißt du, er… also gestern…“

„Ja?“, fragte dieser sanft.

„Er hat… gelogen.“

„Wobei?“

„Bei allem, was er letzte Woche gesagt hat… er meinte gestern, ich wäre als Spielzeug lästig geworden. Und dass ich ihm auf die Nerven gehe… und… dass ich wie ein Insekt für die Gesellschaft bin… und zertreten gehöre.“

Katsuyas Arme schlagen sich um seinen Körper und ein leichtes Zittern befiel ihn. Mit den Augen geschlossen und den Lippen aufeinander gepresst konnte er die Tränen auch nur schwer zurückhalten.

Er hörte einen Stuhl über den Boden schaben und spürte, wie Yami um den Tisch kam. Dieser setzte sich breitbeinig auf seine Beine und legte ihm die Arme auf die Schultern.

„Hey.“, er pustete mitten in Katsuyas Gesicht, „Guck mal.“

Dessen Augen öffneten sich und blickten direkt in Yamis schöne Amethyste.

„Wein’ ruhig. Liebeskummer ist eine böse Sache.“

„Aber ich liebe ihn nicht!“, nörgelte Katsuya, während ihm schon die Tränen über die Wangen liefen, „…oder?“

„Weiß ich nicht, ich kann nicht in dich hineinsehen. Aber es hörte sich danach an.“

„Warum immer ich?“, jammerte er weiter.

„Tja, das Glück hat bei dir wirklich noch nicht zugeschlagen… aber vielleicht wurde es nur für einen ganz bestimmten Moment aufgehoben.“

„Wirklich?“

„Ich denke schon. Da lohnt es sich doch richtig weiter zu leben. Irgendwann schaut das Glück auch bei dir vorbei.“, der Ältere zwinkerte ihm zu.

„Okay…“, murmelte der Blonde und lehnte sich an Yamis Schulter, um da stumm weiter zu weinen.
 

„Und was soll ich jetzt tun?“, fragte Katsuya eine Ewigkeit später, während er sich wieder aufrichtete.

„Auf jeden Fall nicht wegen einem Idioten deine ganze Schullaufbahn in den Müll werfen.“

„Aber er ist mein Klassenlehrer!“

„Dann überzeuge ihn davon, dass du mehr als ein Spielzeug bist.“, meinte Yami voller Ernst, blickte Katsuya tief in die Augen und bewies einmal mehr, dass er einer der willensstärksten Menschen dieser Welt war. Seine Amethyste funkelten vor Entschlossenheit, Durchsetzungskraft und Selbstbewusstsein. Eben so, wie Katsuya ihn seit Jahren kannte.

Das war der Blick, der zeigte, wie stark Yami in Wirklichkeit war. Derselbe Blick, den er auch bei ihrem ersten Treffen hatte. Damals, als er in einer der unzähligen dunklen Gassen auf dem kalten Beton gelegen hatte, drei Männer hinter sich, einer davon über ihm, der immer und immer wieder in ihn eindrang und ihm dabei ein Messer an die Kehle hielt. Eine Vergewaltigung wie sie hier täglich geschah.

Doch Yami hatte nicht geschrieen. Er hatte nicht um sich geschlagen oder sich sonst wie gewehrt. Er hatte nicht einmal den hohlen, stumpfen Blick gehabt, den die meisten aufsetzten, wenn sie in eine andere Dimension abglitten, um der Realität zu entkommen. Er hatte nur da gelegen und Katsuya angesehen, der mehr zufällig um die Ecke gekommen war.

Mit eben diesen Augen. Diesen starken, ausdrucksvollen Augen, die in diesem Moment nur eins sagten:

Ihr könnt mich nicht brechen.

Katsuya lächelte.

Auch seine Augen begannen zu funkeln.

„Das wird er früher merken als ihm lieb ist!“

Neuer Kampf, neues Ziel

FAQ:

1) Warum zieht Kats nicht bei Yami ein?

Weil bei Yami die Freier manchmal ein und aus gehen (so Yami es erlaubt) und Kats das gewaltig gegen den Strich geht.

2) Warum zieht Kats nicht bei Hiroto ein?

Vor seinem Vater geschützt wäre er damit auch nicht, Hiroto wohnt doch direkt neben Kats ôo

3) Warum zieht Kats nicht bei Ryou ein?

Die beiden kennen sich erst seit sieben Tagen, darf ich daran erinnern?

4) Warum sucht Kats sich nicht eine eigene Wohnung?

Weil er erst neunzehn ist und man dafür entweder einundzwanzig sein muss oder eine Sondergenehmigung des Jugendamtes braucht. Was meint ihr, wie oft und schnell die vergeben wird?

5) Wie ist Kats in Yamis Wohnung gekommen?

Indem er reingelassen wurde, nachdem er zu Yamis Behausung gewandert ist.

6) Wo wohnt Yami überhaupt?

Am Stadtrand, in direkter Nähe zur "Gosse", aber einem halbwegs sicheren Gebiet.

7) Wann tritt Kats Kaiba endlich in den Hintern?

JETZT! - zumindest versucht er es.

Viel Spaß beim Lesen ^.^
 

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Katsuya stand am Schultor und beobachtete mit funkelnden Augen die Außenfassade des Gebäudes. Sein Haar fiel wie immer ungebändigt in sein Gesicht, über seine metallbesetzten Ohren und das schwarze Tattoo an seinem Hals. Unter der blauen Schuluniform blendete ein weißes Shirt und die Füße steckten in modischen Sneakers – Leihgaben von Yami.

Er hatte es wirklich geschafft, wie ein ganz normaler Schüler auszusehen.

„Bereit?“, fragte der Schwarzgekleidete neben ihm.

„Dem zeig’ ich’s.“, knurrte Katsuya.

„Viel Glück, Drache.“, der Kleinere zwinkerte, „Ich geh dann schlafen. Ab sechs Uhr bin ich wieder zu erreichen.“

„Schlaf gut, Yami.“

Der elegante Mann neben ihm machte sich auf den Weg und hob nur die Hand zum Verabschiedung.

„Hey, Yami.“

„Hm?“, er drehte sich nicht um.

„Danke!“

„Mach ihn fertig.“, mit einem Lächeln, das er Katsuya über die Schulter zuwarf, setzte er seinen Weg fort.

Der Blonde seufzte.

Kaiba seinen Wert beweisen… das war leicht gesagt.

Aber wie sollte er das anstellen?

Er war nicht mehr der Junge, der sich gedankenlos in jeden Kampf stürzte.

Und dies war ein Kampf, dessen Ausgang wohl vollkommen in den Sternen stand.

Konnte man Kaiba umstimmen?

Warum legte er überhaupt so viel Wert auf dessen Meinung?

Liebte er ihn wirklich?

Wie sollte er dazu kommen sich in so ein Arsch zu verlieben?

Oh shit…

Dieses Wort sollte er nicht im Zusammenhang mit Kaiba benutzen.

Das brachte irgendwie auf falsche Gedanken.

Ganz Falsche!
 

„Guten Morgen…“, meinte der Ältere mit einem undeutbaren Ton.

Seine Stimme war ruhig, tief, aber auch lauernd. Gemischt mit einer Stimmung zwischen Verwunderung, Unglauben und eiskalter Selbstsicherheit. Gepaart mit einer unterschwelligen Drohung. Gewandelt in einen einfachen Gruß.

„Der Hund traut sich in die Drachenhöhle?“

„Ich muss doch die Prinzessin retten.“

„Das hatte ich erwartet.“

Lüge!

„Wo sind deine Schulsachen?“

Mist.

„Nicht dabei? Dann hast du sicher auch deine Hausaufgaben nicht mit.“

„Welche Hausaufgaben?“

„Die, die ich gestern aufgegeben habe.“

Scheiße!

„Aber ich war nicht da…“, versuchte Katsuya sich zu retten.

„Du hättest dich erkundigen können. Setz dich.“

Während der Blonde leicht niedergeschlagen zu seinen Platz ging, konnte er im Augenwinkel beobachten, wie Kaiba sein Heft zückte und etwas hineinschrieb – was das war, konnte man sich ja denken.

Ein Minus.

Erste Runde verloren…
 

„Guten Morgen.“

„Guten Morgen, Herr Lehrer Kaiba.“

„Setzt euch.“

Alle gehorchten stillschweigend.

Was hatten sie bloß letzte Stunde gemacht? Hätte er doch dableiben sollen?

„Katsuya.“

Nein!

Der Blick zweier blauer Augen bohrte sich in ihn.

„Da du letzte Stunde leider abwesend warst, darfst du mir heute ein wenig assistieren.“

Nein, nein, nein!

Das tat der Typ doch nur, um ihn zu quälen!

Warum war er bloß hergekommen?

„Gerne, Herr Lehrer Kaiba.“, erwiderte der Blonde mit einem Lächeln.

„Dann komm an die Tafel.“

Oh, Himmel, warum er?

Warum ausgerechnet er?

Nein, nicht zweifeln – er würde das schon irgendwie schaffen.

So schwer konnte der Unterricht ja nicht sein, oder?

„Welche Formen der schriftlichen Argumentation sind dir bekannt?“

Oh scheiße…

„Ähm…“, er kratzte sich leicht an der Wange, „Pro und Contra?“

Lautes Gelächter aus der Klasse war Antwort genug.

Zweite Runde verloren…
 

„Für so blond hatte ich dich nicht gehalten.“, meinte Kaiba nur kalt.

„Hey, das ist Diskriminierung!“

„Nun, deine Klassenkameraden, die alle nicht blond sind, wissen die Antwort aber. Auffallend, nicht?“

Dieses verdammte Arschloch!

Ja, bei den Göttern, er wurde seit er klein war wegen seiner Haare gehänselt!

„Nun, die wissen das aber eher, weil sie das letzte Stunde durchgenommen haben und nicht, weil sie nicht blond sind. Und die Dummköpfe, die nicht aufgepasst haben, wissen es nicht, egal, ob blond oder nicht.“

„Wir haben es nicht letzte Stunde durchgenommen, das ist Wissen aus der Mittelschule. Und die Dummköpfe, die da nicht aufgepasst haben, sind zu neunzig Prozent blond. Das liegt daran, dass die meisten Querschläger sich die Haare blond färben. Und eben die sind es auch, die nicht aufpassen.“

Scheiße, scheiße, scheiße!

Alle guten Dinge sind drei, was?

Alle beschissenen auch!

„Aber meine Haare sind naturblond!“

„Ein Querschläger, der in der Mittelschule nicht aufgepasst hat, bist du trotzdem.“

„Das hat trotzdem nichts mit meiner Haarfarbe zu tun!“

„Und was willst du mit dem Kommentar erreichen?“

„Dass sie ihre Beleidigung zurücknehmen. Das ist Diskriminierung gegen Blonde!“

„Es ist eine bewiesene Tatsache.“

„Sie machen aber ein Vorurteil daraus!“

„Was fällt dir eigentlich ein mich hier anzuschreien?“

Katsuya zuckte zusammen.

Er war blöd, so blöd, einfach nur blöd…

„Ich denke, du solltest die Stunde auf dem Flur verbringen. So eine miserable Assistenz wie dich brauche ich nicht.“

Wow, neuer Rekord.

Zwei Minus in einer Stunde.

Eine nette Beleidigung gab es gratis.

Und die dritte Runde verloren…

Fight back

Wie von allen erwartet hier ein weiterer Versuch Katsuyas Kaiba eine zu verpassen. Ob er es schafft oder nicht, das liegt wohl ganz im Auge des Betrachters. Gerade zu diesem Kapitel würde ich mich übrigens sehr über Kommis freuen ^.^ (nicht, dass ich mich sonst nicht freue, aber hier bin ich sehr an eurer Meinung interessiert und... ich höre mich schon an wie Kats v.v)

Auch würde ich sehr gerne wissen, was IHR eigentlich über Wahrheit denkt.
 

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„Oh je… hat er dich rausgeschmissen?“

Katsuya wandte sich vom Fenster ab.

„Dein böser Blick sagt alles.“, stellte Herr Muto fest.

Die Mundwinkel des Schülers sackten gefährlich nach unten.

„Ach, nun guck nicht so verbittert.“, der Ältere ging auf ihn zu und lehnte sich neben ihm an das Fenster, „Erzähl, was hat er getan?“

„Mich rausgeschmissen.“, antwortete der Blonde knapp.

„An dem Punkt waren wir schon.“

„…“

„Warum hat er dich rausgeschmissen?“

„Weil ich ein miserabler Schüler bin – O-Ton.“

Der junge Mann mit den Amethystaugen atmete tief ein und seufzte langsam.

„Warum mutiert er plötzlich zu so einem Arschloch?“

„Aus Angst…“, flüsterte er.

Katsuya wandte den Kopf zu ihm, blinzelte und schüttelte verwirrt den Kopf, nachdem sich seine Stirn in Falten gelegt hatte.

„Du hast schon richtig gehört.“

„Wieso sollte er Angst haben?“

Mit einem Schlenker über den Boden richtete auch der Lehrer seinen Blick auf ihn.

Die Brauen des Braunäugigen zogen sich schmerzhaft zusammen und lockerten sofort wieder.

„Warum nicht?“, flüsterte der Ältere.

„Aber…“, der Größere schüttelte wieder leicht den Kopf, „Wovor hat er Angst? Und warum?“, mit einem Seufzer sah er nach draußen, „Außerdem wirkt er überhaupt nicht so, als hätte er Angst.“

„Dann solltest du ihn erstmal kennen lernen, bevor du es wagst über ihn zu urteilen.“

„Ich… Entschuldigung, ich habe mich vergessen.“

„Schon gut.“, der Schwarzhaarige legte den Kopf in den Nacken, „Vielleicht sollte ich dir ein wenig über deinen frisch erkorenen Feind erklären…“

Katsuyas Lider zuckten kurz und zogen sich langsam zusammen. Sein Blick fixierte einen Punkt jenseits des Horizonts. Durch einen tiefen Atemzug schwoll seine Brust an, während sich seine Hände zu Fäusten formten. „Nein.“

Der Kleinere zeigte keine Regung.

„Nein.“, wiederholte der Blonde und richtete seine brauen Augen auf den Regungslosen, „Ich besiege meine Feinde nicht, indem ich auf ihre Schwächen ziele. Ich greife frontal an. Entweder gelingt es – oder eben nicht.“

Der Andere schnaubte nur, schloss die Augen und lächelte.

Die Glocke klingelte.

„Komm, wir haben Mathe.“
 

„Sag mal, Katsuya, was war das vorhin?“, fragte Ryou, während er sich auf einem Stuhl vor diesem sitzend auf Katsuyas Pult abstützte, „Ich dachte, du und Kaiba, ihr würdet euch verstehen… der hat dich ja echt total vorgeführt. Richtig gruselig…“

„Deine ewig gute Laune ist viel gruseliger.“, konterte der Angesprochene.

„Was – ist – mit – Kaiba?“

„Sag mal, was bist du? Ein Mann oder ein Klatschweib? Bis’ ja richtig sensationsgeil.“

„Entschuldige bitte…“, betrübt lehnte sich der Jüngere zurück.

„Wah! Nein! Ryou, Stopp!“

Der sah nur verwundert auf.

„So war das doch nicht gemeint…“, der Blonde seufzte, „Ich mag das nur nicht erzählen, wo uns jeder zuhören kann…“

„Sag das doch einfach!“

„Männer sind halt manchmal etwas kompliziert…“, er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und wollte sich gerade wieder aufstützen, „Ah, nein! So war das jetzt auch nicht gemeint!“

Der Weißhaarige sah schon wieder bedrückt aus.

„Das soll jetzt nicht heißen, dass du nicht auch ein Mann bist! Oder irgendwie keine verstehen kannst! Ich meine nur- also- ich wollte- eben… ach, verdammt!“

Aber Ryou lachte nur herzhaft über den errötenden Punk – um sich danach sofort wieder zu entschuldigen.

„Sag mal, kannst du mir einen Gefallen tun?“, wechselte der Ältere das Thema.

„Welchen denn?“, fragte der Kleinere gleich wieder vergnügt.

„Könntest du mir Mathe beibringen? Ich blick’ da voll nicht durch.“

Ryou nickte nur lächelnd.

„Danke, Kumpel.“, auch Katsuya lächelte.

„Morgen Nachmittag wieder?“

„Klar.“

„Aber ich verlange da für auch etwas…“, Ryou zwinkerte, „Morgen will ich die volle Wahrheit über Kaiba.“
 

Die volle Wahrheit?

Was war das denn überhaupt?

Er wusste ja nicht einmal, was in ihm vorging.

Und seine Gefühle waren wahrlich mehr als nur gemischt, während er Kaiba zusah, wie vor dem Pult stand, ein ganz klein wenig breitbeinig, in der linken Hand das Religionsbuch und mit der Rechten seine Aussagen mit Gesten unterstrich. Er wirkte so kraftvoll, stark und zugleich anmutig… und Katsuya kam die Galle hoch bei dem Bild.

Was zur Hölle fühlte er für diesen Mann?

Er kannte ihn gerade mal eine Woche und sein Kopf spielte einfach nur verrückt.

Womit hatte er das denn nur verdient?

Und vor allen Dingen: Was sollte er jetzt nur tun?

Kaiba würde ihn doch nie wieder mögen! Das war so gut wie aussichtslos. Er hatte ihn ja nicht einmal gemocht. Da gab es kein wieder…

„Katsuya!“, donnerte es von vorne.

„Äh… ja?“

„Ich habe dir eine Frage gestellt.“

Der Blonde schluckte nur. „Und… welche war das bitte?“

„Ob du heute Abend mit mir ausgehen willst.“, erwiderte der Lehrer sarkastisch und brachte die Klasse damit zu lachen – bis auf einen, „Ich habe gefragt, welche wichtigen Ereignisse außerhalb von Japan im Jahre 1866 geschahen.“

„Es gab einen Krieg in Europa.“, antwortete der Blonde so überzeugt wie möglich.

Hey, nur weil Kaiba ihn nicht mochte, hieß das nicht, dass auch alle seine Tipps falsch waren, was? Und in Europa gab es sowieso andauernd Krieg, also konnte in dem Jahr auch einer gewesen sein.

„Richtig.“, sagte der Ältere etwas leiser, „Kannst du mir auch sagen, welcher?“

„Nein.“, Katsuya hatte kaum Ahnung von Europa, „Vielleicht einer mit Frankreich?“

„Der war fünf Jahre später.“

Okay, gar nicht so falsch gezielt…

„Kann mir jemand etwas Genaueres sagen?“, fragte Kaiba nun wieder die gesamte Klasse.

War das jetzt eigentlich die vierte verlorene Runde?

Eigentlich nicht, etwas hatte er ja gewusst.

Vielleicht Nummer dreieinhalb…
 

„Herr Lehrer Kaiba?“

„Was ist?“, knurrte dieser schon fast und würdigte seinen Schüler keines Blickes, während er gerade seine Sachen wieder zusammen räumte.

„Ich… wollte sie fragen, ob sie heute vielleicht nach der Schule Zeit haben. Ich würde gerne mit ihnen sprechen.“, brachte der Blonde mit einem Seufzen heraus.

„Tu’s doch jetzt.“, meinte der Ältere nur schnippisch.

Katsuya senkte den Blick zu Boden.

Da war etwas in seiner Brust, das hatte sein Herz betäubt, um jetzt daran zu ziehen und zu reißen und es zu fressen. Man konnte zwar keinen Schmerz spüren, aber seine Brust wurde leerer und leerer…

Angst?

Was sollte denn daran bitte Angst sein?

Das war Hass, nichts außer purer Verachtung.

„Ist noch irgendetwas?“, fragte Kaiba gelangweilt und nahm seine Unterlagen, „Sonst würde ich jetzt gehen, ich habe glatt noch etwas Besseres zu tun.“

Der Blonde ließ den Blick gesenkt, starrte die makellos glänzenden Schuhe seines Lehrers an.

Echte schwarze Herrenschuhe aus Leder…

Unter dem Verband an seiner Brust begann es zu jucken.

Schwarzes Leder, Angst, die kalten Worte…

„Verkriech’ dich in deiner Hundehütte, Köter.“, die Schuhe verschwanden aus seinem Blickfeld, „Na ja, falls du eine besitzt.“

Die Sohlen hinterließen ein leichtes Quietschen auf dem Boden.

Alle waren bereits draußen, alles war still.

Nur das Quietschen, das immer leiser werdende Quietschen.

„Wahrheit…“

Kein Quietschen mehr.

„Was ist Wahrheit?“

„Vergesslich bist du auch noch…“, höhnte der an der Tür Stehende.

Ein einziges Quietschen.

Er hatte sich zu ihm gedreht.

„Wahrheit… der Mensch hat keine Ahnung, was Wahrheit ist.“

„Was?“, zischte es durch den Raum.

„Was haben sie schon für eine Ahnung von Wahrheit?“

Katsuya hob seinen Blick.

Der Brünette funkelte ihn mit seinen schwarzen Pupillen zwischen den zusammengezogenen Lidern an. Die Nasenflügel leicht aufgebläht, die Mundwinkel nach unten gezogen, die Falten tief.

Der Braunäugige seufzte.

„Keine.“
 

Keine Antwort.

Kein Zucken.

Keine Bewegung.

Keine Veränderung.

Stillstand.

„Wahrheit…“, setzte Katsuya an, „Wahrheit muss etwas sein, das keine Lüge ist. Und gelogen ist eine ganze Menge.“

Die Lider wirkten nicht mehr so verkrampft.

„Der ganze Mensch baut sich seine Wirklichkeit aus einer Menge Lügen auf. Beginnend bei der Frage, wie es einem geht, bis hin zu der Frage, ob das Leben überhaupt einen Sinn hat. Unsere ganze Existenz begründen wir auf Lügen und Unwahrheiten. Wieso sollte denn irgendwer uns mal gewollt haben? Gott oder Eltern oder sonst wer.“, er schnaubte verächtlich, „Uns kannte damals keiner und vermisst hätte uns darum auch niemand. Warum wurden wir denn geboren? Oh ja, weil unsere Eltern uns liebten und uns haben wollten – was für eine Heuchelei. Wir entstehen durch Zufall oder Gewalt oder manchmal dem Egoismus irgendwelcher Erwachsener, die Kinder für einen Nutzen gebären. Und warum gibt es überhaupt Menschen? Weil die Götter es so wollten. Weil auch sie uns so lieben. Pah! Es ist doch alles nur eine elende Heuchelei! Wir kommen mit der Wahrheit nicht klar und genau deshalb erschaffen wir erst Lügen.“, er wurde lauter, „Ohne diese Lügen wären wir doch schon längst tot. Wir ertragen die Wahrheit nicht, zumindest nicht die ganze. Wir erschaffen tausende von Lügen, um uns gut zu fühlen und verleugnen die Wahrheit oder blenden sie einfach aus. Wir sind heuchlerisch. Genau deshalb wollte ich nie Teil dieser Gesellschaft sein! Ich will nicht so stumpf werden und wie alle anderen die Wahrheit verneinen! Alles, was ich möchte, ist doch nur ein kleines bisschen Wahrheit…“, er wandte den Blick ab, „Alles, was ich wollte, war Wahrheit… ein klein bisschen ehrliche Zuneigung… nur…“, er konnte die Tränen nur schwer zurückhalten, „Warum verachten sie mich so?“

Kaiba warf den Kopf in den Nacken und schnaubte, während er mit den Augen rollte.

„…wa…rum?“, wiederholte Katsuya mit gebrochener Stimme und kniff die Augen zusammen.

„Du benimmst dich wie ein Kleinkind, dem man sein blaues Förmchen weggenommen hat. Erst nein schreien, dann ich will, ich will und schließlich zurück gekrochen kommen und auf den Arm wollen. Sonst noch irgendwelche Probleme?“

Er schniefte und versuchte seine Tränen hinter den herabhängenden Strähnen zu verstecken.

„Du willst also Wahrheit?“, antwortete der Ältere im Herausgehen, „Ich hasse dich.“

Katsuyas Beine gaben nach.

Sinnlos…

Gebrochen

Der Titel sagt schon eine Menge, denke ich.

Was ich sehr interessant finde, ist die Vorstellung, die hier einige von Setos Gefühlswelt haben. Dass er Kats eigentlich liebt, aber das nicht zeigt. Wer meine FF "Oni-Onii" gelesen hat, der weiß, ob dem so ist oder nicht ^.-

Übrigens ist weder das Thema Hoffnung noch Wahrheit damit abgehakt - das wird euch noch lange verfolgen.

So, genug der Vorrede, hier das neue Kapitel ^.- Viel Spaß! (ob man den hier hat... ôo)
 

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Katsuya blieb einfach liegen.

Mitten im Klassenzimmer.

Warum auch nicht?

Stören würde er kaum jemanden.

Die waren alle in Hauswirtschaft und schlugen sich den Bauch voll.

Nein, hier konnte er bleiben.

Hier störte er niemanden, hier musste sich keiner für ihn interessieren.

Hier war er ein Nichts.

Und der Boden kühlte schön.

Die schönen, kalten Fliesen.

Es war schön hier zu liegen.

Alles war so schön, wenn man der Realität einfach mal entfloh…

So wunderschön…

Die Uhr tickte fast lautlos.

Doch hier in der Stille waren es Paukenschläge, die sie von sich gab.

Wenn man noch genauer lauschte, dann konnte man sogar einige Schüler von einer anderen Etage hören.

Und man konnte sehen.

Ein starker Wind war aufgezogen und wog die Bäume im Wind.

Hin und her tanzten die Äste und Blätter.

Wenn man sich dafür interessierte, konnte man auch die ganzen Stuhl- und Tischbeine zählen.

Ja, in der Schule war es schön.

So friedlich und ruhig und heimelig…

Freundlich.

Ja, es war freundlich.

Überall helle Farben, die Wärme des Sommers, die sich in den Räumen staute und diese wunderbare Ruhe.

Und der Boden war so weich.

Er war glatt und kühl und reflektierte das Sonnenlicht.

Es war schön hier zu liegen.

Alles war einfach wunderschön.

Wie schön, dass er hier willkommen war…
 

Zuhause gab es nur Dreck und Müll und Alkohol.

Zuhause war ekelhaft.

Zuhause war grausam.

Aber Zuhause war der Ort, wo sein Herz lag.

In seinem Zimmer, auf dem einzigen Möbelstück, was er hatte.

Auf seinem Schreibtisch.

Da stand sein Herz.

„Großer Bruder! Großer Bruder!“, rief Shizuka in seinen Gedanken, „Aufstehen!“

„Grmbl…“, meinte der Neunjährige nur und drehte sich um, bevor er sich die Decke auch über den Kopf zog.

„Wach auf! Wach auf!“, kleine Hände packten sie und zogen sie ihm weg.

„Lass das…“, grummelte der Blonde und suchte mit der Hand nach seinem Bettzeug, „Gib die Decke wieder her…“

„Nein.“, die Fünfjährige stellte sich stur.

„Aber es ist Sonntag!“

„Du hast Geburtstag!“, rief sie dagegen, „Du musst aufstehen.“

Katsuya guckte sie nur ganz gequält an, streckte sich dann aber doch und gähnte.

„Juhu!“, jubelte die Kleine und sprang in sein Bett.

„Aber nur, weil du so süß bist…“

„Ich hab’ auch ein Geschenk für dich.“, plapperte sie fröhlich drauf los und unterbrach sich selbst, indem sie ihm einen Guten-Morgen-Kuss aufdrückte, „Mama hat mich mit zum Einkaufen genommen und da habe ich das gefunden! Ich hab’ zwar ganz dolle betteln müssen, aber dann hat sie es gekauft. Und jetzt hab’ ich ein Geschenk für dich.“, sie entließ ihn aus ihrer Knuddelattacke, „Wie alt bist du denn jetzt?“

„Neun.“, grinste der Ältere stolz.

„Wie viele Finger sind das?“

„So viele.“, er zeigte es mit seinen Händen und sie versuchte es nachzumachen.

„Bald bist du zu alt für meine Finger.“, entschied sie.

„Bis dahin bist du schon in der Schule und kannst bis zwanzig zählen.“, meinte er nur.

„Und wenn du noch älter wirst?“

„Dann kannst du auch viel weiter zählen.“

„Juhu!“, wieder jubelnd sprang sie wieder aus dem Bett und zog ihren Bruder an einer Hand ins Bad.

Ja, so war das damals gewesen.

Seine süße kleine Schwester.

Seinen elften Geburtstag, wo ihre Finger nicht mehr reichten, hatte sie nicht mehr erlebt.

Seinen zehnten auch nicht.

Das war der letzte Geburtstag gewesen, den sie zusammen gefeiert hatten.

Das erste und letzte Mal, dass sie ihm etwas schenken konnte.

Die wunderschöne Drachenstatue.

Es war ein Abschiedsgeschenk an ihn, auch wenn sie damals beide nicht wussten, dass es bald zu Ende sein würde.

Das einzige, was ihn noch mit seiner Familie verband.
 

„Katsuya.“, sagte seine Mutter kalt.

Komisch… ihr Gesicht war ganz verschwommen. Nur Shizuka auf ihrem Schoß war klar. Und war sein Vater im Raum? Er konnte sich kaum erinnern.

„Dein Vater und ich, wir werden uns trennen.“

Ja, sein Vater war auch im Raum gewesen. Er stand am Fenster, während seine Mutter auf der Couch saß. Und er selbst hatte hinter dem Glastisch vor der Couch gestanden.

„Aber warum?“, fragte der Neunjährige.

„Wir haben uns eben nicht mehr lieb.“, wehrte sie ab, „Man hat entschieden, dass du bei deinem Vater bleibst.“

„Warum?“, fragte er noch einmal. Er verstand nicht, was das auf einmal sollte.

„Ich werde mit Shizuka das Haus verlassen.“, sie strich dem jetzt sechsjährigen Mädchen über das Haar.

„Hast du mich nicht mehr lieb?“, fragte der Junge verzweifelt.

„Das ist es nicht…“

„Was habe ich falsch gemacht? Was habe ich denn falsch gemacht, Mama? Egal was, es tut mir Leid! Es tut mir ganz schrecklich Leid! Du darfst nicht gehen…“

„Was ich tue oder nicht, hast du mir nicht zu sagen.“, meinte sie schroff.

Er lief um den Tisch und kniete sich zu ihren Füßen.

„Es tut mir Leid. Es tut mir wirklich Leid. Bitte geh nicht weg, Mama.“

Sie zog die Beine weg und erwiderte nur: „Geh deine Hausaufgaben machen.“

„Bleibst du dann, Mama?“, er weinte mittlerweile.

„Geh!“, fauchte sie ihn an.

Schniefend zog er den Kopf ein, stand auf und ging hinaus.

Hausaufgaben machen…

Natürlich war sie nicht geblieben, auch wenn er getan hatte, was sie befahl.

Und es hatte sehr lange gedauert, bis er verstanden hatte, dass sie nicht wegen ihm gegangen war.

Jahrelang hatte er sich die Schuld gegeben, dass sie weg war.

Und dass sie Shizuka mitgenommen hatte, die nun wegen ihm weinen musste.

Er spürte, wie sich seine Brust verkrampfte.

Es war, als würde man sein Herz auswringen wollen.

Zitternd zog er die Beine an und legte die Arme darum.
 

Von da an war es bergab gegangen.

Wenn er morgens aufwachte, dann war da niemand, um ihn zu wecken oder wenigstens zu begrüßen. Kein Guten-Morgen-Kuss mehr, kein Knuddeln. Nicht mal jemand, mit dem er morgens frühstücken konnte.

Sein Vater arbeitete von ganz früh bis sehr spät.

Eher gesagt, er arbeitete sehr früh und ging sich danach amüsieren.

Katsuya blieb allein im Haus.

Nachmittags, wenn die Schule vorbei war, blieb er dort mit Freunden. Denn wenn er nach Hause kam, dann war die Tür zu.

Jedes Mal setzte er sich auf die Stufen und wartete.

Wartete, bis sein Vater irgendwann einmal nach Hause kam.

Alles, was er hatte, waren Hausaufgaben.

Und seit er begonnen hatte, die Hausaufgaben zu beschuldigen, dass seine Mutter wegen ihnen gegangen war, hatte er auch keine mehr gemacht.

Seinen Lehrern war das irgendwann auch egal, solange er mitarbeitete und alles halbwegs konnte. Wozu auch sich Mühe machen? Die Geschichte des Jungen war ja stadtweit bekannt. Aus dem würde eh nix mehr werden.

Mit zwölf musste das Haus verkauft werden, da sein Vater eine Menge Schulden gemacht hatte. Freundlicherweise zogen sie nach Domino, wo der Junge mittlerweile zur Schule ging. Damals wusste er noch nicht, dass sein Vater längst ein Alkoholproblem hatte. Das kam ganz schleichend wie Gift.

Erst fiel nur auf, dass sein Vater mehr schlief. Sein Blick war meistens glasig und er konnte sich nicht mehr so gut konzentrieren. Dann kam die Wende – er verlor seinen Job. Ab dann wurde wirklich an allen Enden gespart, ernährt wurde sich nur noch von Reis und manchmal Fisch oder Fleisch, Obst gab es kaum noch. Die Schulbücher konnten nicht mehr bezahlt werden und Kleidung wurde auch keine neue mehr gekauft. Katsuya trug seine Jeans als Dreiviertelhosen und nähte seine Shirts eigenhändig um. Schuhe gab es die Alten vom Vater und was der Blonde sonst noch brauchte, musste er halt stehlen.

Herr Jonouchi verfiel zusehends. Erst ging er noch raus, brach zusammen, wenn er wieder kam und schlief ansonsten. Dann blieb er größtenteils in der Wohnung. Er rasierte sich nur noch selten und die Körperpflege allgemein wurde immer schlechter. Weil die Entzugserscheinungen ihn beutelten, trank er immer mehr. Manchmal glatt so viel, dass er kaum noch ansprechbar war. Es gab Zeiten, da schwebte er nur noch zwischen Apathie und Schlaf. Darauf folgte der geistige Verfall. Es kam vor, dass er versuchte aus leeren Flaschen zu trinken oder im Müll wühlte. Teilweise aß er verfaulte Lebensmittel und erbrach sie kurz darauf wieder. Läuse und noch so anderes Viehzeug begannen ihn zu bevölkern.
 

Das war der Zeitpunkt, als Katsuya es nicht mehr aushielt.

Er versteckte die Flaschen und verkaufte sie später, brachte seinen Vater mit Gewalt dazu sich zu waschen und säuberte die Wohnung regelmäßig.

Sein Vater begann dafür ihn zu schlagen.

Als er vierzehn war, eskalierte die Lage.

Sein Vater warf ihn halbtot geprügelt aus der Wohnung.

Das war an sich nichts vollkommen Ungewöhnliches, aber in Kombination schon.

Für Katsuya war das der Moment, wo er die Hoffnung aufgab.

Sein Vater würde nicht mehr gerettet werden können.

Er selbst ebenso wenig.

Okay, seine ganzen Bemühungen hatten wenigstens ein bisschen Nutzen – sein Vater wusch sich und betrank sich nicht mehr bis zum Delirium. Dafür wurde er zum Prügelknaben.

Der Blonde verbrachte nur noch wenig Zeit in der Wohnung.

Er schloss sich einer Schlägerbande an, jedoch nur einer kleinen Jugendgruppe.

So gesehen – das war unglaubliches Glück gewesen.

Es gab Gruppen, aus denen kam man nie wieder raus. Entweder mitmachen oder sterben. Das waren die Extremen, die meist sogar Verbindungen zu den Yakuza hatten. Einmal hin, nie wieder weg – außer zum Grab.

Nein, er hatte wirklich Glück gehabt.

Die Boots waren eine so kleine und unbedeutende Gruppe, dass sich niemand wirklich um sie scherte. Und nach nur drei Jahren war er ihr Anführer geworden.
 

Sich einen Namen zu machen war eine sehr riskante Sache.

Entweder es half einem für immer zu entkommen und für den Rest seines Lebens Ruhe zu haben – oder es riss einen noch tiefer hinein. Bekannt zu sein hieß Feinde zu haben. Bekannt zu sein hieß im Visier der Yakuza oder einiger Untergrundorganisationen zu sein. Das Beste war es eigentlich, gerade mal die Polizei zum Freund oder Feind zu haben.

Und ja, da musste man sich entscheiden – doppeltes Spiel war ein sicheres Todesurteil.

Bekannt zu sein hieß diplomatisch begabt sein zu müssen, denn sonst war man schneller tot als man wollte.

Aber Katsuya war gerade mal durch Schlägereien und Messerstechereien bekannt geworden und das auch wiederum nur in der Jugendszene. Wenn man jetzt darüber nachdachte, musste er einen ganz gewaltigen Schutzengel gehabt haben.

Er war wieder raus gekommen.

Und jetzt hatte er seine Ruhe.

Solange keiner alte Geschichten aufwärmte und ihn anheuern wollte, würde er auch weiter seine Ruhe haben.

Aber wer wusste schon, was passieren würde?

Das ganze Leben war ungewiss.

Vielleicht starb er auch einfach hier und jetzt, wo er gerade lag.

Vielleicht wäre das wirklich das Beste.

Einfach hier liegen bleiben und warten, bis der Körper ganz ausgekühlt war.

Ob er bis morgen früh erfrieren konnte?

Wahrscheinlich nicht, es war Sommer.

Er könnte sich in der Sporthalle erhängen.

Oder in der Chemie ein paar nette Sachen schlucken.

Sich vom Schuldach stürzen – als würde dieser blöde Maschendraht irgendwen aufhalten.

Vielleicht war das wirklich gut.

So könnte er dem ganzen Spuk ein Ende machen.

Aber er hatte keine Kraft mehr dazu.

Er wollte nur noch liegen.

Liegen und schlafen…

Salvation

Was jetzt kommt, ist das, was viele schon vermutet haben - und der Titel sagt wohl alles. Ich hoffe, mir wird diese sehr abrupte Wendung verziehen... ich wünsche seiner Seele Frieden.

Nebenher spreche ich mal eine Widmung aus. Für Taja-chan und greenflower, die mir Kommentare mit mehreren tausend Worten zugesandt haben. Aber natürlich auch allen anderen Schreibern, die mich so fleißig unterstützen. Ich liebe euch alle und danke euch für eure lange Treue!
 

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Katsuya sah sich seinen Arm an, auf dessen Ende er seinen Kopf gelegt hatte.

Die Jacke war ein Stück nach unten gezogen, sodass der halbe Unterarm frei war.

Narben.

Teilweise schon Monate alt.

Es schien als wollten sie gar nicht mehr verheilen.

Wie auch?

Waren sie einmal weg, schnitt er Neue hinein.

Manchmal auch ohne dass sie vorher verheilt waren.

Die meisten waren gerade, doch einige überkreuzten sich auch.

Es waren nie die Schmerzen, die ihn zum Messer hatten greifen lassen.

Nicht die Befriedigung etwas zu spüren.

Nicht die Befriedigung etwas verletzen zu können.

Nicht die Befriedigung der Macht.

Nicht die Befriedigung der entsetzten Blicke seiner Mitschüler.

Nicht die Befriedigung die Gefühle in sich selbst abtöten zu können.

Nichts von diesen Dingen, weswegen die meisten sich verletzten.

Es war der unwiderstehliche Drang sein Blut zu sehen.

Weswegen er auch immer so tief schnitt.

Ja, sein Blut.

Es war faszinierend.

So eine unglaublich schöne Farbe und Konsistenz.

So eine wunderschöne Flüssigkeit.

Blut war verzaubernd, nein, verlockend!

Blut zu schmecken war ein Hochgenuss.

Sein Blut.

Seins und kein anderes.

Sein Blut war sein Leben.

Er konnte entscheiden, ob er sein Leben fließen ließ oder es in sich aufnahm.

Vielleicht doch nur eine Illusion von Macht?

Eigentlich war es doch egal.

Es war ein gutes Gefühl.

Mittlerweile empfand er nicht einmal mehr Schuldgefühle.

Es war gut, was er tat, denn es tat ihm gut.

Und wenn die Welt ihm schon nichts Gutes tat, dann musste er es eben selbst tun.

Er wollte Blut sehen.

Und das Messer war wie immer in seiner Hosentasche.

Vorsorge halt.

Es sollte Blut fließen…
 

Katsuyas freie Hand glitt in Richtung Tasche, während er weiter seinen Arm fixierte.

Gerade wollte er hinein greifen, da hörte er Schritte auf dem Flur.

Scheiße!

Wer kam denn jetzt um diese Uhrzeit hier vorbei?

Wie aus einem Alptraum erwacht schreckte der Blonde hoch und starrte zur Tür, die sich gerade öffnete.

„Katsuya?“, fragte Muto verwundert.

„Yugi…“, der Ton des immer noch auf dem Boden Sitzenden war flehend, fast beschwörend.

Der Ältere verzog das Gesicht.

Der Braunäugige wandte den Kopf ab.

Er hörte ein Seufzen, sich nähernde Schritte und bemerkte im Augenwinkel, wie sich der Schwarzhaarige neben ihn kniete.

„Das mit der Anrede üben wir später noch mal. Was ist mit dir los?“

„Ich wollte mich gerade aufschlitzen.“, erwiderte der Jüngere nur kalt und setzte ein verzweifeltes Lächeln auf.

Der Lehrer schwieg.

Katsuya ließ seinen Blick abgewandt und starrte auf seinen vernarbten Arm.

Warum weinte er denn plötzlich?

Mit einem Schnauben wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht.

Eine zierliche Hand ergriff seine und zog sie von seinem Gesicht weg.

„Weinen ist in Ordnung.“

Dieselbe Hand legte sich auf seine Wange und zog sein Gesicht wieder in Mutos Richtung.

Der lächelte.

„Na, erfreut dich mein Elend?“, giftete Katsuya.

„Nein.“, er lächelte weiterhin, „Ich versuche dich einer vertrauensvollen Atmosphäre einzulullen, damit du mir willig in mein Büro folgst.“

„Willst du mich vögeln?“

„Nein.“, er seufzte während seines Lächelns, „Musst du wieder so wie früher werden, nur weil Seto böse zu dir ist? Du warst sicher nicht wegen ihm auf einmal für deine Verhältnisse freundlich, er hat höchstens den Anstoß dazu gegeben. Ergo musst du auch nicht wieder garstig werden, nur weil er jetzt nicht mehr freundlich ist.“

„Du hast doch keine Ahnung!“, fuhr Katsuya ihn an und schlug seine Hand weg.

„Du brauchst nicht aggressiv werden, nur weil es dir nicht passt, was ich sage.“

Der Braunäugige warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

„In dem Sinne bist du Seto übrigens sehr ähnlich.“

„Vergleich mich nicht mit diesem Scheißkerl!“, schrie er dagegen.

„Dieser Scheißkerl ist mein bester Freund, Katsuya.“

„Na und? Yami ist mein bester Freund und du beleidigst ihn auch!“

Beide funkelten sich an.

Bernstein traf auf Amethyst.

Waren Augen nicht der Spiegel zur Seele?

„Meinetwegen kannst du ja weiter schreien…“, erklärte Muto sachlich, „Aber lass uns dafür in mein Büro gehen.“
 

Warum zur Hölle war er mitgegangen?

Muto schloss die Tür hinter ihnen.

Warum?

„Was hältst du davon, wenn wir beide jetzt unsere Fassung wieder finden statt einander zu beleidigen?“

„Sie klingen wie ein verkorkster Therapeut, der mich in eine Anstalt einweisen muss.“

„Danke.“, Yugi bot Katsuya einen Sessel an, „Möchtest du etwas trinken?“

„Seit wann haben sie ein Büro?“

Muto goss sich ein Glas Wasser ein. „Hätte ich gesagt, dass es Setos ist, wärst du nicht mitgekommen.“

„Das ist ein Kaibas?“, knurrte der Blonde, während er aufsprang.

„Noch nie hier gewesen?“, fragte der Ältere nach.

Einen Fluch zischend setzte der Punk sich wieder.

Er wollte verdammt noch mal hier weg!

„Warum bin ich hier?“

„Damit du nicht woanders bist.“, der Lehrer trank einen Schluck, „Und dir etwas antust.“

„Was sollte ich denn tun?“

Er nickte zu Katsuyas Arm, der von dessen Besitzer sofort aus der Blickrichtung gezogen wurde.

„Du hast vorhin gesagt, was du tun würdest.“

Der Braunäugige knurrte abermals.

„Allein aus medizinischer Sicht ist es mir lieber, du lässt deine aufgestaute Energie an mir ab als an dir selbst.“

„Energie?“, fragte er nach.

„Ich vermute mal, unser so genannter Scheißkerl hat wieder etwas sehr Böses gesagt.“

Katsuya zog bei der Betonung des Wortes den Kopf ein. „’Tschuldigung.“

Yugi war viel zu sehr Freund, als dass er solch eine harsche Behandlung verdient hatte.

Er hätte echt nicht so eine Szene machen sollen…

„Schon gut, ich kann deine Wut verstehen. Man muss Seto lange kennen, bis man versteht wie er tickt.“

Der Satz ließ ihn lächeln, doch der Name riss sein Inneres wieder auf.

„Also, was hat er diesmal gesagt?“

Dieses unglaubliche Gefühl als würde alles in ihm zerreißen und in ein großes schwarzes Loch gezogen kam wieder. Und es hatte sich mal wieder mitten in sein Herz gesetzt.

„Ich…“, er beobachtete seine gegen das rote Leder tippenden Schuhe, „Er…“

„Ja?“, fragte der Sanfte und riss so Katsuyas Blick wieder nach oben.

Auf einmal war alles klar.

Als hätten diese Augen den ganzen Nebel durchbrochen.

Es klang wie eine Feststellung, als der Blonde weiter sprach.

„Er hasst mich.“
 

Yugi setzte sein Glas wieder an die Lippen, nippte daran und stellte es dann auf den schweren Holztisch. Elegant und anmutig, wie es sonst nur Yamis Art war, ging er auf den Sessel neben Katsuya zu und setzte sich.

„Hass…“, flüsterte er und blickte aus dem Fenster vor ihm, „Was ist Liebe und was ist Hass? Das sind beides Gefühle, über die wir nichts sagen können. Und es sind welche, in denen wir uns am meisten täuschen.“

Katsuya beobachtete seine Mimik aufmerksam.

„Ich dachte immer Atemu würde mich lieben.“

Yugis Blick verirrte sich in der Ferne und seine Gesichtsmuskeln verzogen sich. Sein Ausdruck wirkte wehmütig, sehnsüchtig und schmerzerfüllt.

„Bis zu dem Abend, an dem er das Haus verließ. Er schrie mich an, er warf mir alles an den Kopf, was er an mir hasste. Schließlich schlug er mich, sodass ich bewusstlos in seinem Zimmer zusammensank. Und als ich wieder aufwachte… war er weg.“, er wandte sich wieder an den Blonden, „In Liebe und Hass wird am meisten betrogen.“

Das sollte Yami getan haben?

Das konnte nicht wahr sein!

Er würde niemals jemanden aus Wut schlagen. … Oder? Vielleicht konnte sich ein Mensch in acht Jahren doch sehr verändern?

Und was wollte ihm Yugi denn damit sagen?

Halt mal, seit wann erzählte er freiwillig von seinem Bruder?

Katsuya runzelte die Stirn.

Irgendetwas lief hier falsch…

„Du willst wissen, warum ich das erzähle?“, fragte Yugi lächelnd.

Der Blonde nickte nur.

„Ich dachte immer, dass Atemu mich liebt so wie ich ihn. Aber er hasste mich. Du glaubst, dass Seto dich hasst und das aus demselben Grund, warum ich dachte, Atemu würde mich lieben. Du kannst nicht in sein Inneres sehen. Und er sagt nicht, was in ihm vorgeht.“

„Er hat gesagt, er hasst mich.“, der Blonde seufzte, „Reicht doch.“

„Und du gibst einfach auf und wirfst alles hin?“, Yugi lächelte, „Hast du ihm nicht gestern erst nach Wahrheit gefragt?“

Katsuya verzog das Gesicht.

Bitterer Nachgeschmack…

„Ja. Und da hat er gesagt, dass er mich nicht hasst. Heute habe ich ihn noch einmal nach Wahrheit gefragt und er hat gesagt, er hasst mich. Ist das nicht klar?“

„In der derzeitigen Situation glaubst du das eine, letzte Woche hättest du das andere geglaubt.“

„Letzte Woche habe ich auch noch den Schwachsinn von Montag geglaubt.“

„Heute glaubst du den Schwachsinn von heute.“

„Wieso sollte er denn lügen?“, er fuhr auf.

Der Schwarzhaarige hob lächelnd eine Augenbraue.

„Er versteckt mal wieder etwas.“, stellte Katsuya nüchtern fest.

Der Andere nickte langsam.

„Und es hat mit seiner Vergangenheit zu tun.“

Weiteres Nicken.

„Und was?“

Wie auch beim letzten Mal legte Yugi nur einen Finger auf den Mund.

Der Blonde seufzte.

„Wenn du jetzt gehst, hast du nur anderthalb Schulstunden verpasst.“

Katsuya verdrehte die Augen.

Lehrer!
 

„Wie geht es dir?“, fragte Ryou besorgt.

„Besser.“, meinte der Blonde knapp und lächelte kurz.

Der Andere lächelte zurück. „Ich hab’ für dich mitgekocht. Hast du Hunger?“

Der Tisch war gedeckt, Reis und Fisch – was auch sonst? – waren schon fertig.

Vielleicht war die Gruppenarbeit doch nicht so schlecht?

„Aber Ryou…“, Katsuya legte theatralisch die Hand aufs Herz, „Der Fisch ist viel zu braun geworden!“

Der Blick der Lehrerin brannte sich in seinen Rücken. „Jonouchi!“

„Ups…“

Ryou kicherte ebenso wie der Blonde, während sie sich zum Essen setzten.

„Was soll ich denn der Zimtkuh gleich als Ausrede sagen?“

„Gibt’s irgendeinen Lehrer, der dich decken würde?“

„Ah.“, der Braunäugige nickte verstehend.

„Aber ich muss zugeben…“, beide drehten sich erschrocken zu der Lehrerin um, „Jonouchi hat Recht. Bakura, der Fisch ist ein wenig zu braun. Aber im Anbetracht der Tatsache, das ihr Partner abwesend war, sei ihnen dies vergeben.“

Und was hätte er bitte durch seine Anwesenheit an dem Fisch ändern sollen?

„Jonouchi, wo sind sie gewesen?“

„Bei Herrn Muto. Es ging um mein… äh, Sozialverhalten.“

„Ach.“, die Lehrerin zog eine Augenbraue hoch, „Wie gut, dass sich da mal jemand drum kümmert. Ich kann ja nicht einmal verstehen, wie ein fleißiger und talentierter junger Mann wie Bakura hier mit ihnen befreundet sein könnte. Wäre ich seine Mutter, würde ich das ja nicht zulassen.“

„Ich habe keine Mutter.“, Ryou durchbohrte sie mit einem eiskalten Blick.

Wo hatte er den denn her?

Die Frau musste ihn gerade wirklich verletzt haben…

„Oh, ich…“, sie wich ein wenig zurück, „Entschuldigung, das wusste ich natürlich nicht…“

Und schon war sie verschwunden.

„Wow.“, meinte Katsuya leicht sarkastisch, „Jetzt hast du’s ihr gezeigt.“

„Meinst du, das war zu hart?“, fragte Ryou verunsichert nach.

„Nein, das war gut so.“, der Blonde lächelte, „Woher kannst du denn so böse gucken?“

„Hab’ ich von Bakura.“, der Weißhaarige lächelte.

„Halt mal, er heißt Bakura Bakura, oder?“

Er sah von seinem Essen auf. „Ich glaube unseren Eltern ist kein Name eingefallen.“

„Na, ein Glück, dass sie mich nicht Jono genannt haben.“

„Stimmt, ziemlich einfallslos.“

„Namen sind Schall und Rauch, was?“

„Solange wir sie uns nicht selbst geben, ja, ich glaube schon.“

„Wie würdest du dich denn nennen, wenn du dir einen Namen aussuchen dürftest?“

Ryou legte sein Besteck ab und lehnte sich zurück. Gedankenverloren starrte er die Decke an. Er schien wohl ernsthaft darüber nachzudenken. „Hikari.“

„Das Licht? Ist aber ein Mädchenname.“

„Egal. Und du?“, er lächelte erwartungsvoll.

„Susano.“, erwiderte Katsuya sofort, „Der Sturm.“

Blauer Himmel

Ich spüre über mir ein Beil schwingen... mir fällt gerade auf, wie kurz meine Kapitel doch sind *lach* Matael meckert zu Recht, würde ich mal behaupten.

Nun ja, dafür lade ich aber auch oft hoch, nicht? Seien wir also nicht pingelig und sehen großzügig darüber hinweg ^.^ Ich gelobe Besserung. (obwohl - das nächste Kapitel ist auch nicht viel länger - das danach aber!)

Viel Spaß beim Lesen ^.^
 

______________________________________________________________________________
 

Katsuya wanderte die Straße entlang, den Blick zu Boden gesenkt.

Ein Kleinkind…

Er hörte sich an wie ein Kleinkind.

Ja und?

Er wollte wirklich mal ein bisschen Zuneigung und Liebe!

Und wenn er dafür schreien musste, dann schrie er eben.

Und wenn einem auch noch die Wärmequelle entzogen worden war, dann schrie man erst recht.

War doch gut sich wie ein kleines Kind zu benehmen.

Einfach so lange schreien, bis man bekam, was man wollte.

Der totale Egoismus.

Jeder machte, was er wollte und nervte damit alle anderen. Aber weil alle das taten, dürfte es keinen stören, oder? Natürlich taten es nur nicht alle.

Es gab genug Konstrukte von einer guten Gesellschaft. Aber egal welche, es gab immer Querschläger – und solange es die gab, funktionierte das System nicht. Irgendjemand war immer dagegen. Und deshalb würde es auch nie ein harmonisches Zusammenleben geben.

Schade, oder?

Aber trotz allem tat jeder das, was er für sich für richtig hielt. Und das war auf jeden Fall das, was ihn selbst weiterbrachte oder ihm ein gutes Gefühl gab. Ein bisschen Egoismus war immer dabei.

Warum sollte er nicht mal egoistisch sein?

Er schrie nach Liebe.

Vielleicht auf eine sehr verquere Weise, aber er tat es doch. Alles, was er trug, war zum Abschrecken – aber eigentlich wollte er, dass nur die richtigen Leute zu ihm durchkamen. Alle oberflächlichen Grünschnäbel sollten ihn gefälligst in Ruhe lassen. Leute, die wirklich nachdachten, die wirklich lieben konnten, die konnten auch durch seine Maske sehen. Und die sahen, was hinter den Stacheln und der schwarzen Wand lag. Ja, vielleicht war das die ganze Zeit sein Gedanke gewesen… vielleicht hatte er es sich nicht eingestehen wollen, weil er für sich allein stark sein wollte, vielleicht hatte er diesen Schrei immer als Schwäche empfunden. Vielleicht wollte er nur Liebe. Und weil er das nicht einsehen wollte, tat er das Gegenteil dessen, was er eigentlich wollte. Abschrecken als ein Zeichen des Suchens nach Nähe…

Seine Seele schrie wirklich.

Sein stummer Schrei nach Liebe.
 

„Hey, Katsuya.“, rief jemand hinter ihm, dann eine andere Stimme, „Jo, hi, Alter.“

„Hm?“, der Blonde warf einen Blick über die Schulter.

Die vier Jungs hinter ihm atmeten stoßweise durch den Mund.

„Wo bissen du mittem Kopf, Alter?“

„Jo, bis’ voll an uns vorbei gerausch’.“

„Bei dir issoch alles Rausch.“

Der eine grinste nur schief.

„Nä, jetzt ma’ ehrlich, was mach’se so?“

Die Vier beruhigten ihren Atem und wandten sich ihm erwartungsvoll zu.

„Ich…“, er ließ seinen Blick über die Gesichter schweifen, „Also…“, Katsuya stockte, kniff die Lippen zusammen, seufzte, richtete seinen Blick auf die Erde, schüttelte den Kopf und sah die Vier wieder an, „Sagt mal, habt ihr eigentlich kein Zuhause? Ihr hängt den ganzen Tag nur in der Gegend rum und besauft euch oder labert sinnloses Zeugs. Findet ihr das lebenswert? Oder seid ihr echt so dumm, dass es gar nichts anderes gibt, was ihr machen könntet? Haben euch die Drogen mittlerweile schon das Gehirn weggeblasen, oder was? Wenn ihr nicht wisst, was ihr mit eurer Zeit anfangen sollt, dann geht arbeiten oder so etwas, aber nervt nicht die Allgemeinheit mit euren zugekifften Fratzen.“

Die anderen sahen ihn mit großen Augen an.

Schließlich begann einer zu lachen.

Der Rest fiel ein.

Katsuya schüttelte nur noch einmal den Kopf und drehte sich um.

Heilige Scheiße!

So hirnverbrannt war er doch nicht etwa auch gewesen, oder?

Drogen machten einen echt hohl.

Warum zur Hölle hatte er sich selbst diesen Schwachsinn angetan?

Das konnte es doch echt nicht gewesen sein.

Das konnte doch kein Leben sein!

Nie wieder…

Nie wieder zurück in diese Hölle.

Nie wieder würde er Drogen auch nur länger als eine Sekunde ansehen.

Für ihn selbst!
 

Worüber dachte er hier eigentlich nach?

Liebe bekommen und nie mehr Drogen nehmen, seinen Kleidungsstil ändern und seine Art mit anderen umzugehen… Himmel und Hölle! Was war denn nur plötzlich mit ihm los?

Verdammter Kaiba…

Das war alles seine Schuld! Warum musste dieser Typ bloß solche Hoffnungen in ihm wecken?

O je, Thema Hoffnung…

Vielleicht sollte er Kaiba mal nach seiner Meinung zur Hoffnung fragen? Würde wohl ganz lustig werden. Der Gute würde es sicher schaffen ihm wieder einen Strick daraus zu drehen. Und er würde wieder blindlings in die Falle rennen und sich selbst erhängen.

Wenn er es Kaiba wirklich heimzahlen wollte, dann brauchte er einen Plan… halt mal, was wollte er ihm denn bitte heimzahlen? Nur diese kleine Lüge, die vielleicht gar keine war? Bei den Göttern, das war mal wieder kompliziert… was, wenn Kaiba ihn nun doch mochte? Und wenn er das nur nicht zeigen konnte? Wenn er vielleicht auch zu den Typen gehörte, die erstmal genau das Gegenteil von dem taten, was sie eigentlich tun wollten, nur weil sie die Tat an sich nicht akzeptieren konnten… wirklich, herrlich kompliziert.

Unter dem Aspekt gesehen wäre es wohl ganz intelligent etwas mehr über Kaiba zu wissen… wo er wohnte, wie er lebte, ob er Familie hatte und-

Was war, wenn er verheiratet war?

Verdammt!

Das schwarze Loch nahm seinen Dienst wieder auf.

Was sollte er denn nur tun, wenn Kaiba wirklich verheiratet war? Dann bestand ja wohl überhaupt keine Hoffnung. Er würde kaum einer Frau den Mann ausspannen können. Oder wollen! Nein, da stand seine Moral gegen. Das würde zu sehr an seiner Ehre kratzen. Eher das ganze Leben unglücklich verliebt sein als einer Person die Liebe zu stehlen… oder konnte er doch so skrupellos sein?

Bei allen Göttern, er kam vom Thema ab… Kaiba war doch nie im Leben verheiratet. Und selbst wenn, sein Herz zu gewinnen war doch sowieso ein sinnloses Unterfangen. Reine Sisyphusarbeit! Und er konnte den Stein ja nicht einmal ins Rollen bringen.

Nein, da sollte er sich wirklich keine Hoffnung machen…

Und er tat es doch.

Wie konnte man die Hoffnung bei solch blauen Augen denn aufgeben?
 

Katsuya klopfte mit der Faust an die Holztür vor ihm, welche auch gleich darauf aufging.

„Ich glaube, du brauchst ein neues Schloss…“, begrüßte er die Person, die gerade in den Flur getreten war.

„Und ich glaube, du solltest nicht so brutal mit meiner Tür umgehen.“

„Ich habe nur geklopft!“

Zwei Paare brauner Augen warfen sich herausfordernde Blicke zu.

„Möchtest du etwas trinken?“, fragte Hiroto schließlich gastfreundlich.

„Wenn du etwas anderes als Leitungswasser hast…“

„Das ist so versüfft, das kann man eh nicht trinken.“, er winkte den Jüngeren in die Küche, „Möchtest du Alk haben?“

„Nein.“, antwortete der Blonde überzeugt, „Ich möchte möglichst keinen mehr trinken.“

„Was issen mit dir los? Hab’ ich was verpasst?“, der andere drehte sich mit verwirrtem Gesichtsausdruck zu ihm.

„Es war einfach ein sehr langer Tag…“, Katsuya seufzte.

„Was is’ passiert?

„Tja…“, er bekam ein Glas Cola in die Hand gedrückt, „Ich hab’ die letzte Nacht bei Yami verbracht.“

„Ihr habt also doch etwas miteinander!“

„Nein!“, erwiderte er leicht genervt, „Mir ging es einfach nur beschissen und er hat sich um mich gekümmert.“

Hiroto setzte ein Grinsen auf – klar, dass er ihm nicht glaubte.

„Yami hat mich dann zur Schule gebracht, ich hatte Stress mit meinem Lehrer, wollte mir nach vier Stunden die Pulsadern aufschneiden, wurde dann aber von einem Freund gerettet und wieder aufgebaut und den Nachmittag habe ich dann mit Nachdenken verbracht…“

Zum Glück schaute der andere wieder ernst.

„Und ich habe entschieden, dass mit Drogen, Alk und so weiter jetzt erstmal Schluss ist. Und zwar komplett. Ich spüre ja meinen Körper noch und ich weiß, was der will. Aber Drogen wird er nicht mehr kriegen. Und der Alk… tja, den hab’ ich dann einfach mit abgesetzt. Ich hab’ meine alte Clique zum Teufel gejagt und jetzt…“, Katsuya seufzte, „Jetzt wollte ich das einfach irgendwem sagen.“

„Das hört sich zwar echt verquer an…“, meinte der Brünette, „Aber ich find’s gut. Das mit dem Alk versteh’ ich zwar nicht, aber keine Drogen mehr zu nehmen halte ich für eine super Idee.“

„Danke…“, der Jüngere lächelte, „Ich glaube, genau das wollte ich hören.“

„Häh?“

„Schon gut.“
 

„Und was machst du heute Abend noch?“, setzte Hiroto irgendwann wieder an.

„Mich in mein Zimmer schleichen oder verprügeln lassen.“

„Dein Zimmer kann man abschließen, oder?“, fragte er, „Ist das Schloss besser als das an meiner Tür?“

„Wie meinen?“

„Würde dein Vater die Tür aufkriegen?“

Katsuya lehnte sich zurück auf seinem Stuhl, trank einen Schluck aus seinem Glas und antwortete: „Ich glaube nicht. Aber sicher kann man da nicht sein.“

„Soll ich dich vielleicht bis zu deinem Zimmer begleiten?“

„Nein.“, erwiderte er schnell, „Nein, ich… ich will dich da nicht mit reinziehen.“

„Schon gut, ich kann mich ja wehren. Stimmt schon, der Typ jagt einem eine Scheißangst ein, aber im Gegensatz zu dir kann er mich damit nicht gleich lähmen.“

„Trotzdem…“

„Nein, keine Widerrede. Du hast dir einen ruhigen Abend verdient.“

„Danke, Alter.“

„Schon gut.“, Hiroto winkte ab, „Was macht eigentlich dein Job?“

Katsuya stand lächelnd auf, während er sprach: „Der ist toll! Ich bin Kellner im Sixth Heaven geworden. Aber diese Grabscher sind schlimm…“, er verzog ein wenig das Gesicht, „Zumindest sind es eindeutig zu viele.“

„Die auch etwas sehr eindeutiges von dir wollen.“

„Ist das bei dir auch so?“

„Och…“, der Brünette kratzte sich am Kopf, „Eigentlich nicht. Ich arbeite ja in einem sehr seriösen Laden… da gibt es so was selten.“

„Kann ich nicht da einen Job haben?“, der Jüngere schloss seine Haustür auf.

„Man kann nicht alles haben. Sei doch mal zufrieden.“, meinte der andere scherzhaft.

Beide verstummten, als sich die Haustür öffnete.

Katsuya ging voran, schaute ins Wohnzimmer, in die Küche, ins Bad und schließlich in sein eigenes Zimmer, was er vorsorglich auch abgeschlossen hatte.

Sein Vater war nicht da.

Mirror of imagination

FAQ (false-answered-questions ^.-)
 

Was hat Katsuyas Entscheidung über eine Änderung seines Kleidungsstils für eine Bedeutung?

1) Er ändert seine Klamotten nur für die Schulzeit, weil er in der Schule eh eine Schuluniform tragen muss und ein Kleidungsmix - wie Bakura schon sagte - ziemlich komisch aussieht.

2) Er hat die Klamotten am letzten Tag schon getragen! (Schuluniform, T-Shirt und Sneaker von Yami)

3) Seine militante Haltung steht zwar in Kongruenz mit seiner Kleidung und diese ist von Erstgenannter abhängig, doch eben diese Haltung ist nicht gleich an seine Klamotten gebunden. Kurz: Nix Punk, trotzdem militant!

Und als kleines Bonbon: Piercings und Tattoo bleiben ^.- Und die Haare wird er auch nicht färben!
 

Schlag mich bitte nicht, ich weiß, das Kapitel ist echt kurz T.T War gar nicht extra! Hat sich leider so ergeben. Dafür ist das nächste ja weit länger. Und es wird definitiv nicht von Kaiba handeln ^.- (ernst gemeint)

Und noch ein Tipp, was das Halten von Referaten angeht: Ihr solltest niemals - unter keinen Umständen - bei einem Referat den Satz "Am XX.XX.XXXX heiratete er XY und gebar X Kinder" sagen. Euch wird sonst nicht mehr viel Aufmerksamkeit geschenkt... (ich hatte echt Mitleid mit den Vortragenden...)
 

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Piepen.

Och nö!

Nicht schon wieder aufstehen… irgendwann hörte es mal auf Spaß zu machen. Irgendwann war man doch selbst das Aufstehen satt…

Und, was jetzt?

Scheiße… er hatte vergessen, auf die Krankenstation zu gehen. Ob er die Verbände jetzt abmachen dürfte? Er wollte duschen. Yami hatte sie auch abgemacht, oder? Konnte also nicht so schlimm sein, nicht? Und wenn er sich beeilte und Isis etwas früher da war – was sie übrigens öfters tat, wie er im letzten Schuljahr festgestellt hatte – dann konnte er noch vor Schulbeginn wieder fertig sein.

Aber… sollte er da wirklich hingehen?

Okay, Yugi hatte ihm wieder Mut gemacht und dass sein Vater nicht da gewesen war, konnte ja auch ein gutes Zeichen sein, aber…

Verdammt, so viele abers!

Was sollte er tun?

Was sollte er denn denken?

Kaiba brauchte ihn, Kaiba hatte es nicht so gemeint, Kaiba hatte eigentlich Angst… was war denn, wenn Yugi sich täuschte? Oder wenn er ihn belog? Vielleicht machten sich die beiden ja einen Spaß daraus so mit ihm umzuspringen? Yami musste ja irgendwoher seine schlechte Meinung von seinem Bruder haben. Und Yami vertraute er nun mal…

War das eigentlich richtig? Yami zu vertrauen?

Verdammt, so viele Lügen!

Er wollte nicht gerade Yami anzweifeln, oder?

Was für ein Quatsch! Wenn man sich in dieser Welt auf einen Menschen verlassen konnte, dann auf Yami. Er war der einzige, der sein Vertrauen auch nach all den Jahren noch nie missbraucht hatte. Yami anzuzweifeln wäre das Ende von allem. Da konnte er ja gleich die ganze Welt und seine Existenz anzweifeln! Obwohl… auch das lag ihm nicht fern.

Wenn man es mal so sah, dann war Yami doch das einzig Wahre in seinem Leben – er hatte etwas Wahres! Er hatte eigentlich mehr als die meisten Menschen dieser Welt.

Ob Kaiba etwas Wahres hatte?

Ob er irgendetwas hatte, an dem er sich festhalten konnte?

Ob es irgendetwas gab, was ihn am Leben hielt?

Würde ihn denn überhaupt jemand vermissen?

Yugi? Katsuya selbst?

Eigentlich war man doch schon tot, wenn keiner an einen dachte.

Vielleicht brauchte Kaiba ihn ja wirklich?

Vielleicht war er nur eine einsame Seele…

Der Blonde flüsterte sehnsüchtig: „Seto…“
 

„So schlimm kann es ja nicht wehtun.“, stellte Isis nüchtern fest, als er den Raum betrat.

„Gestern hatte ich schlimmere Probleme.“, meinte Katsuya nur, zog aber trotzdem grinsend den Kopf ein.

„Macht es dir Spaß mich in Sorge zu versetzen?“, fragte sie und holte die Tube mit der Salbe aus dem Schrank, „Ich dachte schon, dich hätte es endgültig erwischt.“

„Keine Sorge, so schnell kratze ich nicht ab.“, er setzte sich auf den Stuhl.

„Da du deine Bandagen in der Hand trägst, vermute ich, dass du sie abgemacht hast.“

„Duschen muss sein.“

Sie schüttelte lächelnd den Kopf und rieb ihn wieder ein, während sie sich anschwiegen. Isis wusste sicher, dass es höllisch wehgetan hatte. Aber ohne Dusche war es einfach zu kalt! Klar, es war Sommer, aber die Wände waren dünn und nachts ging es in diesen Regionen auch gerne mal unter die fünfzehn Grad. Heizung hatten sie ja eh nicht. Meine Güte… bald wäre wieder Winter. Arschkalte Saison!

„Und, was macht die Affäre mit Kaiba?“, fragte sie in die Stille.

Katsuyas Blick verdunkelte sich.

„Er war gestern hier.“

„Was?“, fragte der Blonde plötzlich hellwach, „War er verletzt?“

„Nein.“, aus ihrem Blick konnte man den Nachsatz „Idiot“ lesen, „Er war wegen dir hier.“

„Wegen… mir?“, seine Lider weiteten sich.

„Nun ja, hauptamtlich, um seine Wut über dich an mir auszulassen. Ich weiß zwar nicht, warum er damit unbedingt bei mir war, aber er hat nicht so viele vertrauenswürdige Leute hier…“

„Was hat er über mich gesagt?“, fragte Katsuya flehend nach.

„Tja, was du für ein Idiot bist, wie sehr du ihn anwiderst, dass er dich aus vollem Herzen hasst, wie schlecht du dich im Unterricht anstellst, wie unfreundlich, frech und aufmüpfig du bist und so weiter und so fort…“, sie seufzte, „Und schließlich fragte er, ob ich wüsste, wie es dir geht. Schließlich wärst du ja gestern ganz schön verwundet gewesen.“

Katsuya sah sie an, als hätte sie ihm gerade eröffnet, dass er der Vater ihres Kindes sei.

„Mach dir keine allzu großen Hoffnungen. Als ich ihm sagte, dass du öfters so aussehen würdest, hat er gesagt, dass du auch nichts anderes verdient hättest.“

Katsuya schwieg.

„Aber allein die Frage ist positiv, nicht? Zumindest bist du ihm nicht gleichgültig.“

„Ich denke, er erfreut sich an meinem Elend.“

„Denke ich auch.“, Isis befestigte die Klammer an den Verbänden, „Und da das jetzt geklärt ist, bist du entlassen. Vielleicht kannst du deine Dusche ja auf morgen Abend verlegen, sodass ich morgen normal weitermachen kann. Und deine Anwesenheit würde dabei sehr hilfreich sein.“

Katsuya murmelte einen Dank, griff sein Schulzeug wieder und wandte sich zum Gehen.

„Aber wer weiß… vielleicht will er sich auch nur daran erfreuen.“
 

„Morgen, Ryou.“

Der Weißhaarige warf ihm ein Lächeln zu.

„Klappt haute Nachmittag alles?“, der Ältere ließ sich auf einem Stuhl neben ihm nieder.

„Meinst du, du könntest seinen Arsch verfehlen?“, meinte eine Stimme im Vorbeigehen.

Katsuyas Arm schnellte zur Seite, packte das Handgelenk des Jungen und zog ihn nach vorne, während sich sein Fuß vor dessen beiden stellte – und wie geplant flog er dadurch der Länge nach hin.

„Was sagtest du gerade?“, fragte er mit einem Lächeln in Richtung Ryous, während er den fluchenden Jungen ignorierte.

„Ähm…“, jener warf einen Blick auf den Niedergestreckten, „Danke…“

„Ich meinte wegen heute Nachmittag.“

„Ja…“, er fuhr durch seine langen Haare, „Macht es dir etwas, wenn noch jemand kommt?“

„Wie meinen?“

„Mich hatte noch jemand anderes wegen Mathe gefragt und… ich dachte, dass könnte man dann verbinden.“

„Hm…“, Katsuyas Lächeln schwand, „Was ist das denn für eine Person? Kenne ich sie? Meinst du, wir würden uns verstehen?“

Ryou begann auf seiner Lippe zu kauen. „Na ja… ich denke schon. Ist ein junges Mädchen in meinem Alter… ich wollte ja nur die mathematischen Grundformeln aus der Mittelschule wiederholen und da das für euch beide dasselbe wäre, dachte ich… also… es muss nicht sein. Wäre halt nur praktisch… aber wenn es nicht geht, ich kann auch-“

„Schon gut.“, unterbrach der Blonde wieder lächelnd, „Ich habe dich doch um etwas gebeten, also kann ich auch mit ihr auskommen. Vielleicht verstehen wir uns ja. Wenn nicht, dann hast schließlich auch nur du Probleme, nicht?“, er zwinkerte, „Ausprobieren kann man es ja.“

„Danke.“, Ryou seufzte erleichtert.

„Wie heißt sie denn?“

„Anzu.“

„Anzu…“, Katsuya überlegte, „Hat sie braune Haare und blaue Augen, ist dünn und immer so ein bisschen schicki-micki-tussig?“

„Du kennst sie?“

„Ich glaube schon. Zumindest habe ich eine Kollegin namens Anzu.“

„Kollegin?“

Und schon musste Katsuya erklären, woher und warum er denn einen Job hatte, obwohl das doch gegen die Schulordnung verstieß – wo ihm wieder einfiel, dass Kaiba ihm ja eine Sondergenehmigung schreiben wollte. Ob das wohl noch galt?
 

Katsuya klopfte an der Bürotür – gut, dass er sich gestern den Weg gemerkt hatte.

Jetzt wusste er zumindest, wo Kaibas Büro lag. Was die Sache allerdings auch nicht einfacher machte… würde Kaiba ihm überhaupt zuhören?

Und…

Konnte er ihm nach gestern überhaupt unter die Augen treten?

Würde er überhaupt einen klaren Gedanken fassen können?

So viele Dinge zogen auf einmal vor seinem geistigen Auge her. Kaiba, wie er ihn zum ersten Mal sah, Kaiba, wie er ihm seine Freundschaft anbot, Kaiba, wie er zugab, dass alles eine Lüge war, Kaiba, wie er ihm sagte, dass er ihn hasste, Yugi, wie er über Kaiba sprach, Yami, wie er über seine Gefühle rätselte… seine Gefühle…

„Was willst du denn hier?“

Widerwillen, Trotz, ein Drang zur Flucht und Wut – und irgendwo immer noch die Frage, ob das alles hier nur Schein war.

Braune Augen trafen blaue – mit einer Kälte, die der der Zweitgenannten ebenbürtig war.

„Ich wollte sie kurz sprechen.“

„Ich habe Pause.“, der Ton hätte sicherlich jeden anderen vertrieben.

„Und ich sie gestern schon um ein Gespräch gebeten.“

Wie war das noch mit den Diskussionen mit Lehrern? Immer aufpassen, dass man im Recht war. Und auf alles ohne große Pause antworten.

Kaiba verzog den Mund und rümpfte die Nase. Auch ihm sah man den Widerwillen an. Warum unterhielten sie sich eigentlich, wenn sie es doch beide nicht wollten? Immer diese utopischen Zielvorstellungen… Ein letzter vernichtender Blick traf Katsuya, als er schließlich doch zur Seite trat, um den Jüngeren einzulassen.

„Ich wollte auf ihr Versprechen von Montag zurückkommen.“

Gut, dass Wort Angebot schon mal nicht verwendet – sonst hätte Kaiba ja doch nein sagen können.

„Sie sagten, dass sie mir eine Erlaubnis für meine außerschulischen Tätigkeiten erteilen.“

Gut, das Wort Job auch vermieden – das hätte noch mehr Widerwillen hervorgerufen.

„Und da sie mich ja noch nicht von der Schule geworfen haben, obwohl ich ihnen ja – wie sie sagten – solch eine Last bin, kann ich wohl davon ausgehen, dass sie auch weiterhin mit eben diesen Aktivitäten einverstanden sind, Herr Lehrer Kaiba.“

Die letzten Worte waren fast spottend – gegen logische Argumentationen konnte sich auch kein Kaiba wehren. Seine eigene Dummheit ihm das beigebracht zu haben. Schicksal, was?

Das Einzige, was nicht ins Bild passte, war Kaibas amüsiertes Lächeln.

Lebensphilosophie

So, da bin ich wieder ^.^ Göttingen war toll. Zwei Kapitel hab ich geschrieben ^.-

Mit diesem Kapitel erfülle ich einen Wunsch von Matael, im nächsten erfülle ich den nächsten. Hat noch jemand Wünsche? (außer: Lad schneller hoch! Schreib schneller! Schreib längere Kapitel! Bring endlich XY und YX zusammen! Sex!!!)

So, aber jetzt mal ernst. Denn dieses Kapitel ist ernst. Das, was hier beschrieben ist, ist eine humanistisch-existentialistische Lebenseinstellung - ich weiß, die ist nicht ganz leicht. Aber Leben ist nie leicht, oder? Ich würde jeden bitten mit einer gewissen Portion Ernst hieran zu gehen. Und ich bitte sogar inständig um eure eigene Meinung zu diesem Thema. Das hier ist mal etwas, das mir am Herzen liegt. Und hey! Hier kriegt ihr zum ersten Mal etwas von meiner eigenen Meinung zu hören ^.- (auch wenn es nur ein kleiner Teil ist, den ich in dieser Formulierung auch schon wieder nicht stehen lassen kann)
 

Definition Hoffnung (wegen mehrfachen Missverständnis):

Hoffnung ist für mich die Hoffnung, die aus Erwartungen heraus resultiert. Wenn man also erwartet, dass etwas eintrifft, nicht, wenn man sich wünscht, dass etwas eintrifft. Sie ist aber auch weiterhin nicht mit der Erwartung gleichzusetzen, denn Erwartung im Sinne von Antizipation von Zielen (sozial-kognitive Theorie nach Bandura) ist eine Notwendigkeit jeder Handlung. Kurzum, Hoffnung ist die Erwartung von Fremdinitiative.
 

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„Und, was hat er gesagt?“, fragte Ryou gespannt nach und zog ungeduldig an seinem Jackenärmel.

„Nix.“, der Blonde seufzte.

„Was heißt hier nix? Irgendetwas muss er doch gesagt haben!“

„Nein… er hat sich an seinen Computer gesetzt, mir eine Erlaubniserklärung geschrieben, sie ausgedruckt, unterschrieben und mich mit einem Lächeln zur Tür verwiesen.“

„Und keinen Ton gesagt?“

„Nein.“, er schüttelte den Kopf, um seine Aussage zu unterstreichen.

„Hm…“

„Was soll ich jetzt denken, was meinst du?“

Ryou starrte den Bordstein an, während er weiter neben Katsuya herwanderte. Er schien wirklich angestrengt darüber nachzudenken. Wie viele tausend Gedankengänge ratterten wohl täglich durch dieses zierliche Köpfchen?

„Für den Fall, dass sein ganzes Benehmen seit Montag ein Test an dich war, könnte das die Bestätigung sein, dass du bestanden hast. Für den Fall, dass er dich eigentlich mag und nur nie zeigen wollte, könnte das das Zeichen sein, dass er es dir ab jetzt doch zeigen will. Aber wenn er dich wirklich hasst, dann…“, Ryou atmete einmal tief durch, „Dann könnte das auch nur seine Belustigung über deine in seinen Augen sinnlosen Rettungsversuche sein. Zumindest scheint er allerdings froh darüber zu sein, dass du nicht aufgegeben hast.“

„Warum sollte er das, wenn er mich doch hasst?“

„Damit er dich noch mal niederschlagen kann. Er könnte eine sadistische Ader haben…“, der Weißhaarige zuckte mit den Schultern, „Ganz ehrlich, sein Verhalten ist sehr… abstrakt.“

„Abstrakt?“, Katsuya wurde zum Lächeln verführt.

„Nun ja… abnormal eben. Es ist so gegensätzlich – ich wünschte, ich könnte seine Gedankengänge nachvollziehen. Ich weiß ja auch nicht, wie er nun eigentlich zu dir steht.“

Ja, das war doch schon mal eine gute Frage! Eine, auf die er so bald sicher keine Antwort kriegen würde. Warum musste dieser Typ auch so kompliziert sein?

„Wie geht es denn Bakura?“, wechselte der Ältere kurzerhand das Thema.

„Um in seinen Worten zu sprechen, er fühlt sich grottig. Was normalerweise heißt, dass er eine diebische Freude am Leben hat.“, der Kleine zwinkerte.

„Ich hoffe, er hat nichts Schlimmes mit meiner Akte angestellt…“

„Hätte er das gewollt, er wäre letzten Donnerstag in die Schule gekommen, um dich festzunehmen. Also scheint wohl alles gut gegangen zu sein.“

„Ein Glück…“, Katsuya seufzte, „Die Polizei wäre jetzt das Letzte, was ich gebrauchen könnte.“

„Ähm, du…“, der Weißhaarige verfiel wieder in seine schüchterne Art – hieß, dass er sich zu irgendetwas durchringen musste, „Darf ich was Persönliches fragen?“

„Schieß los.“, erwiderte der andere mit einem Lächeln – Ryou war aber auch zu süß.

„Hattest du denn schon mal Ärger mit der Polizei? Und wenn, warum?“

Noch eine lange Geschichte… Katsuya schien heute gar nicht mehr aufhören zu können mit Erzählen. Wenigstens füllte es die Zeit, bis sie bei Ryous Wohnung angekommen waren.
 

Der Blonde nahm einen Schluck von seinem Wasser und beobachtete Ryous Handbewegungen, während er dessen Erklärungen lauschte.

„Wenn du dann die Zahl für x, die sich aus dem Produkt ergibt, damit die Division stimmt, hier einträgst und das mit allen weiteren Stellen ebenso machst, kommst du auf das Ergebnis. So einfach ist die schriftliche-“

Ein Klingeln aus Richtung der Eingangstür unterbrach ihn.

„Das muss Anzu sein. Bin sofort wieder da.“

Während Ryou sich zur Tür begab, schnappte der Ältere sich den Stift und rechnete die Aufgabe zu Ende. Okay, so schwierig war schriftliche Division ja wirklich nicht. Irgendwann in der Grundschule hatte er das auch mal gelernt… na ja, daran erinnerte er sich eh kaum.

„Du kommst genau richtig.“, hörte er den jungen Mann an der Tür sagen, „Wir haben gerade den Stoff fertig, den wir letztes Mal schon zusammen gemacht haben.“

Dieser trat wieder ins Zimmer und ihm folgte genau die Person, die Katsuya irgendwie schon erwartet hatte. Es war wirklich Anzu, seine Kollegin aus dem Sixth Heaven – die Welt war wirklich klein. Musste sie nicht unter der Woche abends arbeiten? Dann müsste er sie ja nicht allzu lange ertragen – irgendwie hatte er jetzt überhaupt keine Lust auf ihre Anwesenheit.

„Hi, Anzu. Wie geht’s?“

„Oh.“, war alles, was sie im ersten Moment über die Lippen brachte, „Warte… arbeitest du nicht auch bei uns? Als Samstagsaushilfe?“

„Ich heiße Katsuya…“, grummelte Angesprochener.

„Ach ja, stimmt. Hallo, Katsuya.“

Er unterdrückte den Drang einmal laut aufzuseufzen und mit den Augen zu rollen und widmete sich stattdessen wieder seinem Blatt, dessen Aufgaben er zwar schon alle gelöst hatte, aber welches trotzdem noch interessanter als das Mädchen ihm gegenüber war.

„So, da du nun ja auch da bist, können wir ja den Stoff aus der Mittelschule wiederholen. Ich dachte, wir beschränken uns auf Bruchrechnen, Prozentrechnung, Gleichungen, Ungleichungen, Geometrie und Körper, rationale Funktionen, Wahrscheinlichkeitsrechnungen, pq-Formel, binomische Formeln und lassen Sinus-, Cosinus- und Tangensfunktionen sowie Kreisberechnung erstmal raus. Und wir könnten noch mal Maß- und Längeneinheiten wiederholen.“

Vorsicht, großes Neonreklameschild mit der Aufschrift: „Hä?“

„Keine Sorge, wir haben ja zwei Stunden Zeit.“, Ryou lächelte ihn an.
 

A-Quadrat und B-Quadrat gleich C-Quadrat im Dreieck und A plus B zum Quadrat gleich A-Quadrat plus zwei mal A mal B plus B-Quadrat und A plus B mal A minus B gleich A-Quadrat plus B-Quadrat und A minus B zum Quadrat-

„Ich kann nicht mehr!“, rief Katsuya und warf seine Formelsammlung auf den Tisch, „Meiner ganzer Kopf besteht nur noch aus A und B und C!“

„Na, wenigstens ist damit sicher, dass du den Anfang des Alphabets nicht vergisst.“, neckte Anzu ihn.

„Sehr witzig…“, knurrte der Blonde.

Okay, die Brünette war eigentlich ganz in Ordnung. Nicht so ganz schrecklich zickig und hysterisch, wie er am Anfang gedacht hatte. Für ein Mädchen ganz nett. Aber manche ihrer Kommentare hätten auch aus Kaibas Mund kommen können… aber ehrlich, beide hatten braune Haare, beide blaue Augen, beide ein Faible für Modeklamotten – sie hätten verwandt sein können. Aber nein, das waren sie nicht. Dafür gab es eine andere Verwandtschaft! Anzu war Hirotos Schwester. Wie das irgendwann mal ins Gespräch kam, wusste er nicht mehr, aber das war hängen geblieben. Hiroto hatte er noch nie nach seiner Familie gefragt, fiel ihm auf. Hatte ihn auch nie interessiert. Er könnte ja nachher mal nachfragen.

„Oh, schon halb sieben!“, rief die Teenagerin plötzlich.

„Schon?“, fragte Ryou nach und warf einen schnellen Blick aus dem Fenster, „Dabei ist es noch gar nicht dunkel…“

„Wir haben ja auch Spätsommer.“, warf der Blonde ein.

„Ich muss dann auch mal los.“, meinte Anzu schnell, während sie auch schon ihre Unterlagen in ihre Tasche stopfte, „Vielen Dank, Ryou. Sehen wir uns Montag oder wieder Mittwoch?“

Der Jüngste warf einen kurzen Blick zu Katsuya, bevor er sagte: „Ich halte Montag für gut, wir machen als nächstes deinen jetzigen Stoff. Ist das okay?“

„Ja, klar.“, sie warf sich ihre Handtasche um und griff sich ihre Jacke von der Lehne, „Dann noch mal danke und bis zum nächsten Mal. Wir sehen uns Samstag?“, fragte sie an Katsuya gewandt, der nur nickte, „Dann bis dann.“

Mit den Worten hatte sie den Raum auch schon verlassen. Eine öffnende, dann sich schließende Tür und es war wieder Ruhe.

„Ich hoffe, sie hat dich nicht allzu sehr gestört…“

„Nein, schon gut.“, der Blonde lehnte sich zurück, „So schlimm ist sie nicht. Muss zwar nicht meine beste Freundin werden, aber sonst ist sie ganz okay.“

Ryou lächelte nur.

„Können wir aber Mathe hier mal beenden? Mein Kopf raucht wirklich schon…“

„Wasser?“, fragte der Weißhaarige nach und hielt die Flasche hoch.

Katsuya blinzelte nur, legte den Kopf schief und lachte schließlich, als er verstanden hatte.
 

„O je… jetzt bin ich schon so benebelt, dass ich Witze nicht mehr verstehe…“, er kicherte noch immer leicht.

„Was machen wir denn, wenn nicht Mathe?“

Katsuyas Augen blitzten förmlich, als er sich zur Seite beugte und knapp vor Ryous Gesicht stoppte. „Och, ich wüsste da schon etwas…“, hauchte er, „Wir könnten doch ein wenig spielen…“

„Karten?“, fragte der Weißhaarige nach.

Süß, zu süß und viel zu unschuldig…

„Ja, Karten.“, lächelte der Blonde, während der Jüngere schon aufgesprungen war und jetzt nach einem Kartenspiel suchte.

Wie machte Bakura das bloß? Mal ehrlich, das war wie Wolf und Lamm. Die beiden passten ja wirklich überhaupt nicht zueinander. Aber Gegensätze zogen sich an, oder? Kaiba und er würden auch nie zusammenpassen. Oder hatten vielleicht beide noch eine weiche Seite? Nun, Bakura sah man seine Schwäche für seinen Bruder ja wirklich an. Vielleicht passten sie durch ihre Unterschiedlichkeit ja gerade zusammen. Man könnte glatt sagen, sie ergänzten sich. Bakura hatte keine Scham Dinge offen zu sagen, was genau das war, was Ryou brauchte. Und Ryou konnte sich dafür beherrschen und zurückhalten, was wiederum Bakura fehlte. Ja, eigentlich ergänzten sie sich. Wenn Ryou Hikari war, dann war Bakura auf jeden Fall Yami. Und der echte Yami? Also, Atemu… könnte man Yugi den Namen Hikari geben? Die beiden waren auch so ein Paar, das sich ergänzte. Und Kaiba? Da bräuchte man eine Person, die aus dem Bauch heraus entscheidet, die spontan ist, einfach nachzuvollziehen, offen, direkt und kumpelhaft. Wie Feuer oder Wind. Ja, gute Attribute. Wenn Kaiba das Eis und Yami war, dann musste der Hikari ein Feuer- oder Windtyp sein. Ein kleiner Wirbelwind vielleicht. Ob es so jemanden in Kaibas Leben gab?

„Was möchtest du denn spielen? Maumau oder Mogeln oder Bauernskat oder Rommee oder was? Irgendwie fehlt uns für jedes gute Spiel ein Spieler…“

„Wir können ja deinen Bruder fragen, wenn er wieder da ist.“

Hatte er das jetzt echt gesagt? Na gut, vielleicht taute der bei einem guten Spiel ja auf.

„Echt? Würdest du? Das wäre super! Hast du heute lange Zeit?“

„Öhm, ja, schon… wieso?“

„Mein Bruder würde niemals eine Niederlage auf sich beruhen lassen. Außer bei mir, da ist das irgendwie okay… er grummelt zwar, aber er gönnt mir Siege. Bei anderen lässt er so was aber nie und nimmer auf sich sitzen.“

„Ach, ein schlechter Verlierer?“

„Nur jemand, der nie aufgibt.“, der Kleine zwinkerte.
 

„Schach.“, meinte Ryou mit einem Lächeln.

Nachdem sie entschieden hatten, dass sie mit den Kartenspielen warten würden, bis Bakura kam, hatte Ryou ihm Schach beigebracht. Nur war das Spiel definitiv schwer! Und zwei Siege hatte der Jüngere schon davongetragen. Man sollte wohl keine Strategiespiele gegen intelligente Menschen spielen…

„Ich ziehe mit dem König auf B-7.“

„Ich setze meinen Läufer auf D-9. Damit bist du Schachmatt.“

„Nicht schon wieder!“, rief Katsuya verzweifelt und ließ seinen Kopf auf die Tischplatte sinken, „Gibt es nicht irgendwelche Tricks bei diesem Spiel?“

„Nein.“, der Kleine lächelte, „Deswegen mag ich es ja so. Alles, was man tun muss, ist, die Strategie des Gegners zu erkennen und eine Gegenstrategie zu entwickeln. Im Zweifelsfall kann man aus der Strategie des Gegners sogar eine eigene Falle für ihn machen. Du musst einfach scharf aufpassen und jeden einzelnen Schritt genau bedenken.“

„Und wenn man zu dumm ist, die Strategie des Gegners zu durchschauen?“

„Dann kann man versuchen zu überlegen, was man selbst an der Stelle des Gegners tun würde. Manchmal dauert es ein bisschen, bis man es versteht, aber mit der Zeit durchschaut man jemanden immer.“

„Und wenn der Gegner nun Züge macht um einen zu verwirren?“

„Dann beherrscht er zumindest das Spiel. Man muss einfach noch vorsichtiger sein.“

„Und wenn man nun aber keine Ahnung hat, was man zu seinem eigenen Schutz tun soll?“

„Dann ist Angriff manchmal die beste Verteidigung. Man muss nur den Mut habe, alles auf eine Chance zu setzen und seinen Figuren vertrauen. Und vor allen Dingen muss man sich selbst vertrauen.“

„Irgendwie bist du einem Freund von mir sehr ähnlich… der sagt mir so etwas auch öfters.“

„Dann beherrscht er das Spiel wohl sehr gut.“

„Ja… man könnte sagen, er ist der König der Spiele. Nur gegen sich selbst verliert er immer.“

Katsuya kreuzte seine Arme auf dem Tisch und legte sein Kind darauf.

„Und du? Wie spielst du selbst?“

„Offensiv. Immer offensiv. Ich kann nichts anderes als auf mein Glück zu setzen. Aber manchmal ist der Gegner einfach stärker…“

„Da kann man wohl nichts tun außer sich selbst bis zum Untergang treu zu bleiben und niemals nachzugeben.“

„Und zu hoffen?“

Ryou stockte, atmete tief durch und schüttelte erst langsam, dann immer heftiger den Kopf. „Nein, nicht hoffen.“
 

„Nicht hoffen?“, fragte Katsuya nach.

„Kennst du die Geschichte mit der Büchse der Pandora?“

Er setzte sich wieder gerade hin und verneinte kurz.

„Das ist eine altgriechische Legende. Zeus versiegelte das Übel in einer Büchse. Diese gab er Pandora, damit sie darauf aufpasste. Aber sie wusste nicht, was darin war und somit plagte sie die Neugier. Eines Tages hielt sie es nicht mehr aus und öffnete die Büchse. Alles Übel strömte heraus und verbreitete sich auf der Erde. Von Schuldgefühlen geplagt schloss sie die Büchse wieder, sodass eines darin blieb – die Hoffnung.“

Katsuya lehnte sich wieder vor und blickte unverwandt in die blauen Augen.

„Diese Geschichte hat eine Menge Aspekte. Zum ersten stellt sich die Frage, warum Zeus das Böse denn überhaupt geschaffen hat. Und es gibt nur eine Antwort. Nämlich, dass gar nicht er es war, sondern die Menschen selbst, die es schufen. Zeus nahm es nur von ihnen, weil er ihnen etwas Gutes tun wollte. Doch es war ein Mensch, der das Übel wieder zurückbrachte, weil er menschlich handelte. Menschlichkeit beinhaltet Gutes wie Böses und kommt nicht ohne einander aus. Und schließlich kommt der Aspekt der Hoffnung. Die Menschen verehrten fortan die Hoffnung als das größte und seltenste Gut, weil der größte Teil davon in der Büchse geblieben war. Ich muss allerdings fragen, wenn das Übel in der Büchse war, warum war dann die Hoffnung darin? Doch nur, weil auch Hoffnung ein Übel ist.“

Das klang definitiv plausibel.

„Hast du jemals Sartre gelesen?“

Katsuya schüttelte den Kopf.

„Sartre war Existenzialist. Existenzialisten denken, dass der Mensch ein Wesen ist, das volle Verantwortung übernehmen muss. Ein Mensch darf nicht einfach Verantwortung abschieben, sagen, dass jemand anderes die Schuld trägt – denn zu einem gewissen Grad trägt der Mensch immer Schuld an etwas. Um mal mich selbst als Beispiel zu nehmen, ich würde nach dieser Auffassung Schuld am Tod meiner Mutter und Schuld an meiner Vergewaltigung tragen.“

Harte Auffassung… und unglaublich, dass Ryou plötzlich so offen sprechen konnte.

„Schuld am Tod meiner Mutter hätte ich insoweit, dass ich ihr nicht geholfen habe, dass ich meinen Vater nicht vorher umgebracht oder ihn habe einsperren lassen. Und Schuld an meiner Vergewaltigung hätte ich insoweit, dass ich nicht vorher weggelaufen bin oder meinen Vater etwas angetan habe.“

„Denkst du so?“, unterbrach Katsuya ihn kurz.

Ryou seufzte. „Ich behalte es im Hinterkopf und weiß es somit, aber… wirklich daran glauben kann ich nicht. Das wäre einfach zu schmerzhaft. Ich… es… es tut auch so genug weh.“, urplötzlich schossen Tränen hervor, „Ich… nein, ich will daran einfach nicht glauben. Nicht jetzt zumindest… dafür sind die Wunden… zu frisch.“

„Entschuldige.“, meinte Katsuya schlicht und rückte zu dem Jüngeren herum.

„Warte kurz… geht gleich wieder.“, dieser lehnte sich kurz an ihn und genoss die Wärme.

Ein paar Minuten dauerte es, bis Ryou sich wieder beruhigt hatte. Das Ganze wirbelte anscheinend eine Menge auf… ob er vielleicht das Thema wechseln sollte? Das alles interessierte ihn wirklich, aber er wollte Ryou nicht verletzen.
 

„Es ist nicht leicht darüber zu sprechen…“, sagte der Weißhaarige irgendwann, „Es ist zwar jetzt schon acht Monate her, aber… trotz allem, was mein Bruder getan hat, schmerzt es. Manchmal mehr, manchmal weniger. Manchmal fühle ich mich unglaublich verloren und einsam, manchmal fühlt es sich an, als würde mein Herz ausbluten… aber dann ist immer mein Bruder da. Ich weiß nicht, wie das kommt, aber er ist wirklich immer da, wenn es mir beschissen geht. Im Sommer bin ich einmal einem Mann auf der Straße begegnet, der sah meinem Vater unglaublich ähnlich. Ich war so… es… ich weiß gar nicht mehr, was alles passierte. Ich bin einfach sofort nach Hause gelaufen und… da war mein Bruder. Obwohl er eigentlich bis abends arbeiten musste, er war an dem Mittag zu Hause. Er hat sich um mich gekümmert und… ich weiß bis heute nicht, warum er auf einmal zu Hause gewesen war. Ich… solche Zufälle sind mehrmals passiert. Das ist… Ich war… ach, irgendwie passiert das einfach immer. Manchmal frage ich mich, ob es nicht irgendwelche übersinnlichen Kräfte gibt. Ich meine, die Sache mit dir ist doch auch komisch. Ich kannte dich gerade mal zwei Tage, da habe ich dir meine komplette Lebensgeschichte erzählt. Ich weiß nicht, warum, ich habe dir einfach vertraut. Und mein Gefühl hat mich nicht enttäuscht. Und auch jetzt bist du noch hier, obwohl du all das über mich weißt…“, er seufzte und schüttelte sich, „Und ich kann mit dir darüber sprechen. Obwohl ich eigentlich nie jemandem etwas sagen wollte…“, er sah Katsuya in die Augen, errötete leicht und senkte den Kopf, „Ähm… sag mal… du…“

Okay, Schüchternheitsanfall – was gab es diesmal?

„Ich… dürfte ich mich auf deinen Schoß setzen? Ich glaube, ich brauche etwas, woran ich mich festhalten kann.“

Als Antwort breitete Katsuya nur die Arme aus.

„Danke…“, der Jüngere kuschelte sich bei ihm ein, „Wo war ich, bevor ich meinen kleinen Anfall bekam?“

„Existentialisten denken, dass ein Mensch die volle Verantwortung trägt und diese nicht abschieben darf.“, wiederholte der Blonde – so was blieb hängen.

„Ach ja.“, Ryou lächelte, „Des Weiteren glauben Existentialisten, dass die Menschen sich Gott nur ausgedacht haben, um Verantwortung an ihn abschieben zu können.“

„Beispiel?“, fragte der Ältere nach, dem das ein bisschen hoch war.

„Nun, im Christentum kann man das ziemlich gut sehen. Da heißt es, dass es einen gütigen Gott gibt, der einem die Sünden verzeiht. Wenn ein Mensch also wissentlich etwas Böses tut, dann kann er sich denken, dass Gott ihm das verzeiht. Er kann zum Beispiel beichten gehen und bekommt dann als Buße, dass er drei Gebete sprechen muss. Damit ist dann alles wieder gut. Und so kann sich ein christlicher Mensch immer wieder reinwaschen und neues Böses tun ohne dabei ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Er schiebt die Verantwortung für seine Taten einfach auf Gott ab.“

„Kapiert.“, meinte Katsuya nur.

Bei allen Göttern, ob es sie nun gab oder nicht, das war hoher Stoff. Aber logisch war es allemal, das stimmte schon…

„Das ist im Groben das, was ein Existentialist glaubt. Sartre geht in seinen Schriften auch von diesem Ansatz aus. Und er behauptet, dass Hoffnungslosigkeit der größte Optimismus ist.“

„Wie bitte?“, fragte er ziemlich überrascht.

Hoffnungslosigkeit der größte Optimismus? Wie kam man denn da drauf?
 

„Ja.“, Ryou lächelte ihn von seiner Schulter aus an, „Genau das sagt er.“

„Und wie kommt er darauf?“

„Nun, man muss sich noch mal in Gedanken rufen, dass er davon ausgeht, dass Menschen ihre Verantwortung gerne abschieben. Zum Beispiel auch auf die Hoffnung. Solange man hofft, dass etwas eintrifft, tut man nicht alles dafür, dass es eintrifft. Somit sorgt die Hoffnungslosigkeit dafür, dass man wirklich etwas tut und damit die Verantwortung dafür übernimmt. Somit ist nicht die Hoffnung, dass etwas Gutes geschieht, der Optimismus, sondern die Hoffnungslosigkeit, da man da wirklich dafür arbeitet, dass etwas Gutes geschieht.“

„Beispiel…“, jammerte Katsuya gespielt.

„Nehmen wir dich und Kaiba. Für dich wäre es etwas Gutes, wenn er deine Gefühle erwidert, oder?“

„Na ja…“, er wurde etwas rot, „Darüber muss ich noch nachdenken…“

„Gehen wir mal davon aus. Du möchtest also, dass Kaiba sich in dich verliebt. Dann kannst du natürlich hoffen, dass es passiert oder sogar darauf vertrauen, dass es passiert. Manche Menschen nennen das eine gute Lebenseinstellung und Optimismus. Da denke ich allerdings anders, genau so wie Sartre. Denn erst wenn du diese Hoffnung aufgibst, doch das Ziel nicht verlierst, dann tust du wirklich alles, damit er sich auch in dich verliebt. Und genau das ist wahrer Optimismus! Nur glauben oder hoffen oder vertrauen bringt nichts, man muss etwas tun! Du kannst also dein Leben lang hoffen, dass er sich in dich verliebt oder wirklich etwas tun, damit es passiert. Und entweder es klappt oder es klappt eben nicht. Wenn es nicht klappt, dann kannst du es auch immer wieder versuchen. Und gerade damit übernimmst du auch Verantwortung. Die Verantwortung für dein eigenes Leben.“

Der Ältere musste erstmal tief durchatmen. Wie kam ein Fünfzehnjähriger zu solchen Überzeugungen? Das war ja echt nicht mehr normal. Da hatte sich glatt mal jemand mit dem Leben auseinandergesetzt. Und ihm kam noch ein ganz anderer Gedanke… die Wahrheit hinter dem Leben musste wirklich unfassbar grausam sein.

„Ich kann also entweder hoffen, dass Kaiba sich irgendwann in mich verliebt oder etwas tun, damit er es wirklich tut? Aber muss ich die Hoffnung wirklich aufgeben, damit ich es tue? Ich meine, ich kann ja auch hoffen und etwas tun…“

„Aber so lange du hoffst, tust du nicht alles, was in deiner Macht steht.“

„Das ist schwer… wenn ich die Hoffnung aufgebe, woran halte ich mich fest? Was ermutigt mich, es immer wieder zu versuchen und immer mehr zu tun, um mein Ziel zu erreichen?“

„Das ist wie mit dem Leben. Was ermutigt uns denn immer weiter zu leben und trotz aller Rückschläge immer wieder aufzustehen um weiterzumachen? Was haben wir denn im Leben für einen Halt? Manche nehmen sich Gott oder sonst was, an dem sie sich festhalten. Und da kommt eben die zweite Überzeugung der Existenzialisten ins Spiel. Dieses Abschieben der Verantwortung, das ist die Sache mit dem Halt. Und Existenzialisten sagen, dass wir die Verantwortung nicht abschieben, sondern selber übernehmen sollen. Und das heißt weiterhin, dass nur wir selbst unser Halt sind. Wir leben für uns selbst! Das ist der springende Punkt. Wir leben für unsere Wünsche und unsere Träume, wir leben dafür uns selbst das zu geben, was wir haben wollen. Wir leben um das Ziel unseres Lebens zu erreichen. Wir leben dafür unser Glück zu finden. Und auf diesem Weg dürfen wir nicht einfach hoffen, dass das Glück von selbst kommt. Wenn wir glücklich werden wollen, dann müssen wir etwas dafür tun, dass wir glücklich werden! Das bedeutet es Verantwortung zu übernehmen. Wir können unser ganzes Leben auf Gott vertrauen und daran glauben, dass er uns nach dem Tod das Glück schenkt. Aber bringt uns das etwas? Nein, definitiv nicht. Wir haben keine Ahnung, was nach dem Tod kommt und wir wissen nicht einmal, ob es so etwas wie Gott überhaupt gibt. Wir drücken uns damit nur davor Verantwortung zu übernehmen, weil das definitiv eine schwere Sache ist. Denn wie du schon erkannt hast, bedeutet es, dass wir immer weiter machen und kämpfen, obwohl wir keinen Halt außer uns selbst haben. Aber genau das ist es, was wir tun sollen. Um jetzt das Ganze mal wieder in den alltäglichen Bezug zu bringen…“, Ryou atmete einmal tief durch, bevor er fortfuhr, „Nach unserer Annahme ist es für dich Glück, wenn Kaiba deine Gefühle erwidert. Das ist Teil deines Ziels. Und um das zu erreichen, musst du darum kämpfen! Du darfst nur nicht von deinem Weg abkommen oder aufgeben. Denn das hieße dich selbst aufzugeben. Und sich selbst aufzugeben, das heißt die Träume und Wünsche und Sehnsüchte aufzugeben. Das hieße, dass du dein Ziel aufgibst. Und wenn man sein Ziel aufgibt, dann gibt man sein Leben auf. Dann lebt man nicht mehr, sondern existiert nur noch. Denke einfach immer daran, was dein Ziel ist. Das gibt dir die Kraft zu kämpfen.“
 

Nach diesem Vortrag brauchte Ryou erstmal eine Pause und zwei Gläser Wasser.

Und Katsuya brauchte Zeit zum Denken. Kämpfen? Immer auf sein Ziel hinarbeiten? Sich niemals selbst verlieren? Trotz jedes Schlages wieder aufstehen um weiterzumachen? Das war viel, sehr viel auf einmal… was wollte er denn eigentlich mit seinem Leben anfangen?

„Ryou, du solltest Philosoph werden.“, stellte der Blonde fest.

„Pah! Philosoph?“, man konnte seine Brust anschwellen und seine Augen vor Feuer glühen sehen, „Philosophen sind Leute, die sich den Mund fusselig reden über Dinge, die meistens eh nicht wichtig sind. Oder vollkommen theoretische Konstrukte erfinden, die mit dem Leben eh nichts mehr zu tun haben. Es gibt schon genug gute Meinungen, aus denen sich jeder Mensch eine eigene bilden sollte. Da brauche ich kein Philosophiestudium und keine ach so schlauen Leute, die sich nur oberflächlich mit diesen Dingen auseinandersetzen. Ein paar Diskussionen mit wirklich schlauen Menschen, die auch wirklich etwas zu dem Thema sagen können, reichen mir völlig. Ich kann mit meinem Leben Besseres anstellen.“

„Wie kommt man zu solch einer Lebensauffassung?“, fragte Katsuya schon fast entsetzt, denn die Rede von vorhin hatte sein Hirn immer noch nicht ganz erreicht.

„Man muss nur einmal den Tiefpunkt erreicht und nicht aufgegeben haben. Selbstmord ist etwas für die, die an diesem Punkt nicht mehr weiter wollten oder verzweifelt sind. Aber wer weiter macht, für den kann es nur noch bergauf gehen. Wenn einem irgendwann die Kraft fehlt, dann kann man immer noch aufgeben und sich dann in Sinnlosigkeit das Hirn betäuben oder dem Leben ein Ende setzen. Aber wenn man die Kraft nutzt, die jeder von uns hat, dann kann man für sein Glück kämpfen. Und dann erkennt man, dass das Leben eine Chance für uns ist glücklich zu werden.“

„Aber…“, Katsuyas Blick verdunkelte sich, „Das Ganze hat auch schlechte Seiten… was ist, wenn jemand seine Beine verliert und sein Traum es ist einen Marathon zu gewinnen? Was ist, wenn man gar nicht erst die Chance bekommt sein Ziel zu erreichen? Wie soll ein dummer Mensch den Physiknobelpreis gewinnen? Wie soll jemand, der keine Freunde hat, jemals Vertrauen lernen? Wie soll jemand, der nie geliebt wurde, jemals wahre Liebe erfahren? Manchmal sind uns einfach die Chancen nicht gegeben, jemals unser Ziel zu erreichen.“

„Natürlich sind sie das.“, erwiderte Ryou, „Der Beinlose kann so lange forschen, bis er künstliche Beine erschaffen hat, mit denen er laufen kann. Der dumme Mensch kann so lange denken, bis auch ihm neue Erkenntnisse zuteil werden. Der Freundlose kann immer wieder Vertrauen schenken, bis es erwidert wird. Der Ungeliebte kann so lange nach Liebe suchen, bis er sie findet. Jeder von ihnen wird auf dem Weg oft scheitern und zwischendurch verzweifeln – aber jeder von ihnen kann immer wieder an sein Ziel denken und es wieder versuchen. Man darf nur nie aufgeben.“

„Und wenn man sein Ziel nun nie erreicht? Wenn man stirbt, bevor man sein Ziel erreicht?“

„Glaubst du denn, irgendein Mensch würde sein Ziel je erreichen?“, fragte der Weißhaarige mit einem Lächeln nach.

Katsuya blinzelte verwirrt. Bitte? Die ganze Zeit so eine positive Lebenseinstellung und jetzt das? „Na ja… der Dumme könnte ja wirklich den Nobelpreis gewinnen.“

„Natürlich könnte er das. Aber es liegt in der Natur des Menschen nie zufrieden zu sein. Danach wird er sich ein neues, ein höheres Ziel stecken. Aber denkst du, es wäre etwas Schlechtes, dass ein Mensch nie zufrieden ist? Nein, das ist gerade das Gute. Ein Mensch wird sein Ziel nie erreichen, genau so ist es gedacht. Er kann zwischendurch immer wieder Ziele erreichen, aber er steckt sich immer Neue.“

„Aber dann kann ein Mensch doch nie glücklich werden!“, warf der Ältere ein.

„Habe ich denn irgendwo gesagt, dass es das wahre Glück wäre, wenn man sein Ziel erreicht?“
 

Katsuya schwieg.

Welch eine Diskussion… nein, er konnte sich nicht erinnern, dass Ryou das gesagt hatte. Aber das Ganze war eh schwer zu erinnern… die Worte hatten ihn im Herz getroffen. Da saßen sie nun fest und sein Bewusstsein konnte sie nicht mehr fassen. Er fühlte sich so beflügelt, so euphorisch und gleichzeitig so verzweifelt. All diese Überzeugungen, die ganzen Konsequenzen, er konnte es nicht fassen. Das war so viel, so unglaublich viel! Es trieb ihn in solche Höhen, wie er sie sich nie vorgestellt hatte. Und was käme jetzt? Dass alles doch nur Schein ist und dass es gar kein Glück gab? Ryou sollte antworten. Ja, er wollte Antworten! Endlich konnte er seine Fragen stellen und endlich bekam er Antwort. Die Frage nach Gott, die Frage nach dem Übel, die Frage nach dem Sinn… es gab Antworten!

„Nein, das Ziel zu erreichen ist nicht das wahre Glück. Ziele zu erreichen gibt einen ein riesiges Glücksgefühl, aber das hält nicht an. Man kann nicht dauernd glücklich sein. Aber wahres Glück, das kann man immer empfinden, wenn man will.“, Ryou legte eine bedeutungsschwere Pause ein, „Indem man an seinen Zielen festhält. Wahres Glück kann man immer erleben, so lange man nur sich selbst treu bleibt.“

Sich selbst treu bleiben… es war schwer, aber das war die Herausforderung. Man musste für sein Glück kämpfen. Man durfte nur nicht aufgeben. Welch Ideale!

„Dann ist man eigentlich immer glücklich, solange man nicht aufgibt, oder?“

„Ja.“

„Würdest du es bereuen, wenn du hier und jetzt sterben müsstest?“

Da musste selbst Ryou kurz überlegen. „Nun… ich glaube nicht. Ich wäre traurig darüber, doch, denn eigentlich habe ich noch eine Menge vor. Aber bereuen würde ich nichts. Die letzten acht Monate haben mir wirklich alles bedeutet. Ich habe mich selbst gefunden und ich habe mir immer wieder kleine Ziele gesetzt, die ich erreicht habe. Ich kann von mir sagen, dass ich glücklich bin, doch. Jetzt zu sterben wäre schade, ja, aber ich würde nichts bereuen.“

„Glücklich?“, fragte Katsuya überrascht nach, „Aber… ich will nicht allzu böse sein und dich nicht verletzen, aber… ich meine, du bist schon ziemlich gestört, wenn ich das mal so sagen darf. Du hast Angstzustände, Anfälle, bist schwer traumatisiert und hast gerade mal deinen Bruder und ein, zwei Freunde. Trotzdem sagst du, du bist glücklich?“

„Natürlich.“, sagte Ryou sofort, „Jeder Mensch ist doch irgendwo krank, mehr oder weniger halt. Aber das ist ein Teil von mir und ich habe ihn akzeptiert. Was würde es mir denn bringen, wenn ich mich selbst nicht annehme? Selbsthass ist das Schlimmste, was ein Mensch sich antun kann. Denn kämpfen kann man nur, wenn man selbst der eigene Halt ist und der kann man nicht sein, solange man sich nicht selbst vertraut und sich akzeptiert. Dass ich meine Krankheit akzeptiere, heißt ja auch nicht zwangsläufig, dass ich nichts daran ändere oder sie zu bessern versuche. Aber sie ist ein Teil von mir und ich kann nur mit ihr glücklich sein. Sich selbst treu zu bleiben erfordert sich selbst zu akzeptieren, das habe ich bereits gelernt.“

Katsuya stand vor Staunen der Mund leicht offen.

War das überhaupt noch ein Mensch? Diese Worte trieben ihm Tränen in die Augen und machten ihn gleichzeitig unglaublich glücklich.

„Nachdem ich vergewaltigt wurde, war es sehr schwer mich selbst zu akzeptieren oder gar zu lieben. Ich fand mich selbst abstoßend. Aber mein Bruder hat mir wieder beigebracht, was ich eigentlich bin. Indem er mir seine bedingungslose Liebe gab, konnte ich mich wieder selbst lieben. Das war die wahre Therapie. Man muss nur lernen sich selbst zu akzeptieren, dann kann man glücklich werden, egal, wie oft man auch niedergeschlagen wird. Und das ist es, was den meistens Menschen fehlt. Selbstakzeptanz, Selbstliebe und Stolz. Das sind die Dinge, die wir Menschen verloren haben.“
 

Einige Sekunden herrschte Stille.

Ryou hatte die Augen geschlossen und hielt sich noch immer an Katsuyas von Yami geliehenen T-Shirt fest. Ruhig, entspannt, wärmend. Wie ein kleiner Engel.

Katsuya hingegen rannen die Tränen aus den Augen. Er wusste nicht warum und er konnte sie nicht stoppen. Aber diese Worte hatten ihn erschüttert. Irgendetwas tief in ihm war bewegt worden, irgendetwas, was schon lange auf Bewegung gewartet hatte.

„Ist…“, begann er zögerlich, „Ist das Wahrheit?“

„Was meinst du damit?“, fragte der Weißhaarige zurück.

„Ist das die Wahrheit hinter dem Leben?“

Sein Blick verdunkelte sich, wurde schwer und traurig. Er senkte den Kopf wieder, schüttelte ihn und drückte ihn wieder gegen Katsuyas Brust. „Nein…“, hauchte er, „Wahrheit ist das nicht.“

„Nicht?“, die Tränen stoppten – dafür schien sein Herz ins Bodenlose zu fallen.

„Nein.“, er seufzte leicht, „Ein schlauer Mann hat vor über zweitausend Jahren gesagt: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Er hatte nicht ganz Recht. Denn der Mensch kann wissen, dass die Wahrheit, nach der du fragst, für ihn nicht zu erkennen ist. Ein Mensch kann sie niemals erfahren. Was ich dir gerade gesagt habe, dass ist eine Einstellung zum Leben, die Rückschlüsse auf die Wahrheit gibt. Aber hast du eine andere Einstellung, dann ist auch Wahrheit etwas anderes für dich. Die Religion, die den meisten Menschen in der Kindheit gegeben wird, das ist nichts anderes als eine Einstellung zum Leben, in die etwas Göttliches mit eingebracht wird. Es ist alles nur eine Sache des Glaubens, egal, ob dieser Glaube nun etwas Göttliches enthält oder nicht.“

„Aber es gibt keine Götter! Eine religiöse Einstellung ist falsch!“

„Nein.“, widersprach Ryou wieder, „Das ist nicht falsch. Du kannst nicht sagen, dass es keine Götter gibt, nur weil es keine Beweise für Götter gibt. Ein Mörder ist auch nicht gleich unschuldig, nur weil man ihm die Tat nicht nachweisen kann. Jede Einstellung ist richtig, es gibt keine falschen Einstellungen. Die Einstellungen sind nur immer verschieden. Menschen nach ihren Einstellungen zu verurteilen, das ist Diskreminierung. Einstellungen können anders sein, aber niemals falsch. Wenn du eine Einstellung wirklich beurteilen willst, kannst du nur schauen, wie gesund sie ist.“

Katsuya zog eine Augenbraue hoch.

„Es gibt zum Beispiel erzkonservative christliche Einstellungen, in denen man das menschliche Dasein nur für eine Prüfung Gottes hält. Da ist es dann normal, dass man zwei Stunden am Tag eine Büßerkette umlegt und sich einmal die Woche geißelt. In beiden Fällen werden dir Eisenhaken in die Haut gerannt. Wurde im Film Sakrileg gezeigt und selbst da in gemäßigter Form.“

Hey, den Film hatte er letztes Jahr in Religion gesehen! Einer der seltenen Tage, wo er wirklich mal die Schule besucht hatte. Was kam da noch mal drin vor?

„Solche Einstellungen gibt es wirklich und wie du dir denken kannst, sind es keine gesundheitsfördernden. Du kannst auch die ganze Welt als einzige Lüge ansehen, als reine Qual, die man zu überwinden hat. Das führt meistens dazu, dass man wahnsinnig wird. Die Einstellung zum Leben ist eine sehr wichtige Sache. Und man darf nie vergessen, dass sie sich öfters auch mal ändern kann. Deswegen sollte jeder Mensch versuchen sich seine eigene Auffassung bewusst zu machen.“

„Und deine Auffassung ist eine gesundheitsfördernde?“

„Halb und halb.“, meinte Ryou lächelnd, „Solange dein Selbstbewusstsein unerschütterlich ist, ist die Einstellung recht gesund. Du wirst nicht enttäuscht, du arbeitest hart, um dich selbst glücklich zu machen und du hast Spaß am Leben. Aber sobald du Selbstzweifel hast, kann das ins Gegenteil umschlagen… ich habe zum Glück Bakura, der mich immer wieder aufbaut, mich an meine Träume erinnert und mein Selbstbewusstsein stärkt, aber wäre er nicht da, würde ich in völliger Verzweiflung versinken.“

„Hm…“, der Blonde legte den Kopf schief und fixierte die Decke, „Ich weiß gar nicht, was ich eigentlich über das Leben denke… ich versuche mal es raus zu finden.“

Der Kleine lächelte und seine Augen begannen zu strahlen. „Ich bin gespannt auf das Ergebnis.“

Return

Vorsätze bröckeln schnell, was? Ich bin schon wieder unter der 2000-Wörter-Grenze. Aber vielleicht entschädigen euch zwei neue FFs von mir? Nun, ich habe jede Menge Kitsch verzapft. Abgefüllt und eingekorkt unter den Namen "Die Kunst des Küssens" und "Back to us". Ich wünsche auch dort viel Spaß beim Lesen ^.-

Ansonsten möchte ich mich noch mal herzlich bei den Lesern bedanken, die beim letzten Kapitel ihre Gedanken zum Text aufgeschrieben und mir geschickt haben. Ich danke euch wirklich, das bringt mich weiter. Und auf die vielfache Frge hin, ob das meine eigene Meinung war: Jein. Es ist eine Meinung, die mit meiner viel zu tun hat. Aber ich vertrete verschiedene Meinungen.

Viel Spaß beim Lesen dieses Kapitels ^.-
 

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„Sollte ich jetzt eifersüchtig werden?“, fragte eine tiefe Stimme von der Tür aus.

Ryous Kopf schnellte herum, er sprang auf, schlug beim Laufen fast gegen die Tischkante und warf sich seinem Bruder in die Arme. Ob das wohl seine alltägliche Begrüßung war? Irgendwie rührend…

Ein Kuss, ein zweiter, Bakura konnte sich nur noch mit seiner Ryou-Klette am und um den Hals fortbewegen. Ob es einen Unterschied machen würde, wenn man die beiden einfach zusammenklebte? Halt mal, was dachte er hier eigentlich? Ach, die Rede hatte ihn aufgewühlt…

„Na, Blondi, wie steht’s so?“

„Nix steht wie du siehst. Ich kann nicht sagen, dass ich von deinem Bruder die Finger lasse, aber zumindest reichen meine Finger nicht so weit.“

„Gegen Langfinger habe ich auch ganz entschieden was.“

„Ich dachte, du hättest eine diebische Freude am Leben.“, feixte Katsuya zurück.

„Ich gehöre aber zu den Meisterdieben. Das hat nichts mit langen Fingern mehr zu tun.“, Bakura schloss die Augen und warf den Kopf in den Nacken und lachte kurz, „Aber ich erwarte nicht, dass du das verstehst, Blondi.“

„Wenn ich ’ne Blondine bin, bist du eine Perloxidperle, Wölfchen.“

Dafür fing er sich glatt einen bösen Blick ein.

„Nicht jeder hat den Mut, über die Normen hinauszugehen.“

„Verdammt noch mal, das ist meine natürliche Haarfarbe!“, der Blonde sprang auf.

„Meine auch.“, erwiderte das so genannte Wölfchen ruhig.

Katsuya zwinkerte zweimal und legte den Kopf schief. „Das soll Natur sein?“

„Glaubst du denn, Ryou würde seine Haare färben?“

„Nein, aber seine Farbe kann ich mir mit einem extrem hellen Blond erklären. Deine aber nicht. Ich dachte, der Silberglanz wäre dazugefärbt…“, er trat auf die beiden zu und schnappte sich jeweils eine Strähne zum Vergleichen, „So eine Haarfarbe kann doch nicht normal sein…“

„Würde mein Bruder meine Arme nicht beschlagnahmen, du hättest meine Faust schon in der Fresse…“, knurrte Bakura.

„Hm?“, die braunen Augen schnellten wieder nach oben und trafen eiskalte blaue mit schwarzen, sehr tief schwarzen Pupillen, die unter Feuer zu stehen schienen, „Ähm…“, er ließ die Strähnen wieder los, „’Tschuldigung?“, fragte er kleinlaut.

„Nicht. Angenommen.“, die Lider um die Gletscher zuckten zusammen, sodass nur die endlose Schwärze zurückblieb.

Katsuya machte einen Schritt zurück und warf einen Blick zu Ryou.

Er wollte sich ganz sicher nicht mit dem Wolf anlegen! Wolf gegen Hund war keine gute Idee! Und dabei aß man Hundegulasch nur in China!

Der Silberhaarige grinste plötzlich. „Ich denke…“, begann er mit einem Unglück verheißenden Unterton in der Stimme, „Wir sollten darum spielen.“

Hilfe! Wabberten da gerade geisterhafte Schatten um den schwarz Gekleideten?

Der Eingeschüchterte schluckte.

„Toll!“, Ryou lächelte zwischen beiden hin und her, „Wir wollten Karten spielen. Jetzt haben wir endlich unseren dritten Mann. Danke, Kura.“

Das sah nicht so aus, als täte er das für seinen Bruder!

Hilfe!
 

„Trumpf, mein Stich.“, Bakura nahm die Karten an sich und legte sie auf seinen Stapel, bevor er einen weiteren Buben aufs Feld schmetterte.

Seit einer geschlagenen Stunde hatte Bakura jeden – wirklich jeden! – Stich gewonnen und selbst Ryou hatte mittlerweile schon nachgefragt, ob er ihn nur manchmal hatte gewinnen lassen. Der Silberne hatte ein unglaubliches Spieltalent und eine Taktik, die Katsuya definitiv zu hoch war. Und sein Partner sah auch nicht so aus, als würde er sie allzu bald knacken.

Bakura erhielt denn auch diesen Stich wieder. Ein Ass, eine Dame, ein weiterer Bube und sogar eine Pik acht! Er gewann mit wirklich jeder Karte. Aber auch nur, weil er den Trumpf bestimmen konnte – zumindest fand der Blonde diese Ausrede passend.

„Hundertzwanzig, sieben.“, verkündete der Wolf für die Wertung, die ja eigentlich gar nicht nötig wäre. Ihn konnte man eh nie im Leben wieder einholen.

Katsuya seufzte und ließ den Kopf auf die Tischplatte sinken. „Ich gebe mich geschlagen.“

„Wurd’ auch Zeit, Verlierer.“, Bakura grinste ihn an.

„Bin ich auch ein Verlierer?“, fragte Ryou dagegen, während seine Augen zu einem wirklich gelungenen Hundeblick ansetzten. War das jetzt ernst gemeint oder gespielt?

Egal, auf jeden Fall funktionierte es. Der ältere Bruder war beschäftigt, seinen Spatz im Arm zu halten und zu küssen und dieser bekam, was ihm gefiel. Nur Katsuya saß daneben und war nicht glücklich. Mann, er wollte auch! Selbst wenn er sich Kaiba schnappen konnte, der würde ihn doch nie im Leben vor den Augen anderer küssen… ob er ihn überhaupt küssen würde? Er machte ja nicht den Anschein eines sehr gefühlsbetonten Menschen – außer natürlich es ging ums Diskutieren. Der Mann konnte auch wirklich keine Gegenmeinungen akzeptieren. Wie sollte man mit dem bloß eine Beziehung führen?

Wieso dachte er darüber eigentlich nach? Er würde Kaiba eh nie kriegen.

„Na?“

Katsuya zuckte, schoss hoch und warf beinahe Bakura um, der vor ihm stand und sich vorgebeugt hatte. Seine Hand schnellte an sein Herz und im Takt des gestockten Atems blinzelte er mit den braunen Augen.

Währenddessen musste sich der Silberne an seinem Freund festhalten, weil sein eigener Lachkrampf ihn fast von den Beinen gerissen hatte.

„Das ist nicht lustig!“, schmetterte der Blonde ihm entgegen.

Bakura ließ sich davon nicht stören.

„Hey! Wolf! Silberhaar! Grinsekatze! Spielfanatiker!“, doch dem Schreienden fiel noch eine bessere Ryou-gerechte Beleidigung ein, „Langfinger!“

Stille.

Der Wolf richtete sich zu voller Größe auf, drehte den Kopf langsam – sehr langsam – in Richtung des Älteren und warf ihm einen tödlichen – sehr tödlichen – Blick zu. Und das bevor, Betonung auf bevor, er einen Stahlgriff aus der Hosentasche zog und mit einem leisen Klicken das Messer aufschwang.

„Ähm… Bakura?“, der Fixierte hob die Hände und machte einige Schritte rückwärts, um Abstand zu dem Heranschleichenden zu halten, „Du willst hier nicht wirklich eine Messerstecherei beginnen, oder?“

Okay, das war sein Fach, aber nicht in der Wohnung eines Freundes mit dessen Bruder!

Aber sagte Ryou nicht, dass er keine Scherze macht?

Bakuras Blick wurde nur noch härter.
 

Katsuya spürte, dass die Wand nicht mehr weit lag.

Ein Blick zu Ryou – verwirrt, eingeschüchtert, ängstlich. Keine Hilfe zu erwarten.

Seine Gesichtsmuskeln erschlafften. Mit einer flüssigen Bewegung hielt er sein Messer in der Hand. Das linke Bein schob sich ein Stück nach vorne, seinem Feind wandte er die Seite zu, die Waffe wurde auf einen schnellen Stich von unten zurückgezogen.

Sein Blick fixierte den Herannahenden.

Zwei Schritte.

Einer.

Der Blonde schnellte vor.

Bakuras linke Hand packte seine, dessen Körper drehte sich in der Bewegung, die rechte Hand mit dem Messer schoss auf Katsuyas Schlagader zu.

Der blockte.

Der Silberne führte sein Messer wie ein Schwert! Etwas mehr Körperkraft und er hätte sich eher den Arm gebrochen als den des anderen halten zu können.

Katsuyas Mundwinkel zuckten.

Pat.

In einem Turnier würde hier abgebrochen und neu begonnen. Im echten Leben nicht.

Das war der Kick!

Er spürte das Adrenalin durch seine Adern rauschen.

Bakura stand mit einer zweiten Drehung fast in der Ausgangsposition, schoss unter seinem Arm her und zielte auf seine verwundbarste Stelle. Direkt zwischen Rippen und Becken.

Der Blonde riss dafür den Arm hoch, vollbrachte eine Drehung auf Kuras waffenloser Seite, zog der Arm herab und sprang hinter dessen Rücken, sodass dieser ihn loslassen musste.

Frei, Rückenposition, Vorteil.

Katsuyas Messer schoss von hinten auf die Schlagader seines Gegners zu.

Irgendetwas packte seinen Hosenbund und Bakura verschwand nach hinten. Mitten durch seine Beine! Nein!

Ein Arm packte ihn im Fallen an der Brust, zog ihn zurück, bis er gegen einen Körper schlug und sich eine Klinge an seine pulsierende Halsader drückte.

Der Blonde ließ sein Messer fallen.

Niederlage.

Ob Bakura auch das verstand und respektierte?

Der Stunt war unfraglich gewagt und genial gewesen. Zwischen seinen Beinen hindurch, hinter ihm wieder hoch und Angriff von hinten.

Starker Gegner.

Stolzer Feind.

Hätte er den Stolz einen Wehrlosen freizugeben?
 

„Bakura!“, schritt Ryou endlich ein.

Angeschrienen konnte Katsuya in seinem Nacken knurren hören und fühlen.

Es jagte ihm einen Schauer herab. Es schüttelte ihn. Es ließ ihn aufkeuchen.

Der Griff lockerte sich leicht, das Messer nahm gut einen Zentimeter Abstand. Genug um sich zu befreien. Zu wenig zur Flucht.

Er musste auf Ryou vertrauen.

„Bakura, lass ihn los!“

Er ließ wirklich von ihm ab.

Allen Göttern sei Dank!

„Pass auf, was du sagst.“, zischte der Wolf ihm ins Ohr und brachte ihn mit einem plötzlichen Stoß von hinten zu Boden.

Katsuya griff sein Messer, rollte zur Seite und kam wieder zu Stehen.

Doch sein Feind fuhr seelenruhig seine Waffe wieder ein und ließ sie in seiner Hosentasche verschwinden.

Der Ältere tat es ihm gleich, während er tief durchatmete und versuchte seinem Kreislauf zu sagen, dass der seinen Blutdruck jetzt wieder normalisieren konnte.

„Ich musste ihm nur mal Manieren beibringen.“, meinte Bakura schlicht, küsste seinen Bruder auf die Wange und verließ den Raum.

Stille…

Was war denn das jetzt bitte? Eine nett gemeinte Messerstecherei unter Freunden? Die lustige Abendunterhaltung zwei Neunzehnjähriger? Versteckte Kamera?

Katsuya sah sich vorsichtshalber mal um. Der letzte Gedanke war wohl noch am realistischsten. Aber entdecken tat er nix.

„Ähm… Ryou?“, wandte er sich nach einigen Momenten an den Erstarrten.

„Hm?“, dieser drehte sich zu ihm.

„Sag mal… was war das gerade?“

„Tja…“, er atmete tief durch, „Bakuras Antwort auf eine Beleidigung, schätze ich.“

„Äh…“, Katsuya blieb der Mund leicht offen stehen, während sich seine Augenbrauen zusammenzogen, „Ist das nicht etwas… extrem?“

Den Weißhaarigen brachte die Frage nur zum Kichern.

„Was?“

„Ach, das… das hast du mich schon mal gefragt.“, erwiderte er mit einem Lächeln, „Und wieder muss ich antworten: Er ist nun einmal so.“
 

„Aber…“, der Blonde warf einen Blick zur Tür, „So schlimm war die Beleidigung ja wirklich nicht.“

Ryou schwenkte den Zeigefinger vor dessen Gesicht. „Bedenke, dass du es mit Bakura zu tun hast. Er versteht sich selbst als Meisterdieb. Versuche ja nicht an seinem Stolz zu kratzen. Er zahlt dir jede Schramme heim.“

Katsuya nickte nur bedächtig. „Ja… ich merk’s.“

„Man sollte wohl niemals die Arbeit von Leuten schlecht machen, auf die diese stolz sind. Allgemein wohl nichts, was von persönlichem Wert ist. Wahrscheinlich ist alles nur eine Frage der Wertschätzung. Wahrscheinlich würde die ganze Menschheit gut miteinander auskommen, wenn nur jeder immer an die Werteinschätzungen des Gegenübers denkt.“

Er zog eine Augenbraue hoch. „Ryou, du sprichst in Rätseln.“

„Na ja, du wärst doch auch sauer, wenn ich über Kaiba herziehen würde, oder? Und er hat eine hohe persönliche Bedeutung für dich.“

„Aber wenn es stimmt…“

„So du das auch denkst. Denk dir mal, du würdest denken, dass er freundlich ist und ich behaupte, er sei kalt. Da ist es ganz egal, ob er nun freundlich oder kalt wäre, du wärst böse, dass ich so denke. Wahrnehmung ist schließlich etwas ganz Subjektives.“

„Wahrheit ist das, was ein Mensch denkt, sei Wahrheit…“, Katsuya seufzte, „Hat Kaiba gesagt.“

„Kann man wohl so stehen lassen.“

Erneutes Seufzen. „Menno… da höre ich mir deinen ganzen Vortrag über die Einstellung zum Leben an und es hilft mir nicht weiter, außer dass ich mich selbst ein bisschen besser verstehe.“

„Frag doch noch ein paar mehr Leute zu dem Thema aus. Wie gesagt, es gibt ein paar Milliarden guter Meinungen, aus denen sich jeder seine eigene bilden sollte.“

Der Blonde grinste den Lächelnden an. „Du bist ganz schön altklug, Jungspund.“

Aber Recht hatte er trotz allem. Und Katsuya brannte darauf einer Person all diese Sachen zu erzählen und sie nach der eigenen Meinung zu fragen. Denn wer könnte mehr zu diesem Thema sagen als Yami?

Frag Yami!

Ein ungewöhnlicher Titel? Ja, finde ich auch. Unkreativität meinerseits? Vielleicht schon, denn einen anderen Titel habe ich einfach nicht gefunden. Aber er umfasst wirklich das ganze Kapitel ^.^

Was hier nun zu lesen ist, ist ein Menschenbild. Eine Lebenseinstellung beruht normalerweise auf einem Menschenbild, daher möchte ich hier ein gemischt tiefenpsychologisch(psychodynamisch)-humanistisches Menschenbild geben. Diesmal weniger philosophisch sondern auf psychologischen Theorien basierend. Also noch ein ganz schreckliches Kapitel ^.- Keine Sorge, danach ist erstmal lange Ruhe.

Und warum es ein Weihnachtsgeschenk ist: Es hat Überlänge.

Frohe Weihnachten ^.^ Ich wünsche allen ganz viel Liebe! Und viel Spaß beim Lesen ^.-
 

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„Katsuya? Verdammt noch mal, es ist…“, Yami warf einen Blick auf seine Armbanduhr, „Es ist ein Uhr nachts mitten unter der Woche! Bist du jetzt auf Borderliner umgestiegen, oder was?“

„Was für’n Bord?“, fragte der in der Tür Stehende nach.

„Borderliner…“, der Rothaarige seufzte, „Ich erklär’s dir, komm rein.“

Mit einem Lächeln auf den Lippen folgte der Blonde seinem Freund in das extravagante, doch heimelig schöne Appartement. Und wohin als erstes? Die Küche natürlich, schließlich hatte er ja – wie Yami wusste – so ungefähr immer Hunger.

„Was möchtest du haben?“, der Kleinere drehte seinen Oberkörper in seine Richtung, während er sich ein wenig zurücklehnte und die rechte Hand auf die Hüften stemmte.

„Antworten.“

Yami lächelte. „Kann ich nicht kochen.“

„Gebratene Eierrolle – und Antworten.“

Der Ältere verschwand sofort in den Tiefen der Schränke, um eine Pfanne, Öl und Gewürze zusammen zu tragen. Katsuya half ihm dieses eine Mal sogar insofern, dass er die Eier für das Gericht selber aus dem Kühlschrank holte.

„Du hast ziemliches Glück, dass ich schon wieder da bin. Und das nur weil mir meine Verabredung abgesagt hat. Sagte irgendetwas von Aggressionen und Kopfschmerzen. Echt schade drum, er ist wirklich eine Wucht im Bett.“

„Du bist auf der Suche nach einem Freund?“

„Freund?“, der Kniende zog seinen Kopf aus dem Schrank und blinzelte verwirrt, „Kats, gerade du solltest wissen, dass Leute, mit denen ich schlafe, nicht gleich mein Freund sind.“

„Ich dachte ja nur…“, meinte der Blonde, wandte den Blick ab und legte den Kopf schief, „Weil du Verabredung gesagt hast…“

„Jupp.“, der andere stand auf und zog eine Pfanne mit heraus, „Ich nehm’ kein Geld von ihm, das ist richtig, aber wir führen eine reine Sexbeziehung. Er will nicht mehr, ich will nicht mehr und wir sind beide glücklich damit.“

„Bist du wirklich… glücklich?“

Es war ja wirklich nicht so, als würde er aus reinem Zufall mitten in der Nacht hier auftauchen. Er war nach Hause gegangen, hatte ein paar wenige Schläge von seinem Alten kassiert, der wohl die letzte Nacht im Gewahrsam in einer Zelle verbracht hatte, hatte versucht zu schlafen und hatte es nicht geschafft sich von seinen Fragen zu lösen. Er hätte wohl noch die halbe Nacht wach gelegen – also lieber los und nachfragen gehen.

„Bist du glücklich, Yami?“
 

Da stand er also.

Atemu Muto alias Yami, sechsundzwanzig Jahre alt, seit acht Jahren Stricher, Bewohner der wohl am geschmackvollsten eingerichteten Wohnung der ganzen Gegend, mit einer Bratpfanne in der Hand und stand vor der Frage, ob er glücklich war.

Und er schwieg.

„Bitte… bitte antworte ehrlich.“, Katsuya seufzte, „Meine Fragen quälen mich.“

Der Ältere seufzte, stellte die Pfanne auf den Herd und fragte mit sanfter Stimme: „Bist du nur hergekommen, um mich das zu fragen?“

„Das und noch mehr.“, erwiderte der Blonde sofort.

„Gib mir bitte die Eier.“

Er reichte ihm schweigend das Gewünschte und hielt ihm die Schale für die Bioabfälle hin.

Es herrschte wiederum Schweigen, während der Überlegende die Eier an der Schrankkante aufschlug, den Inhalt in die ölbedeckte Pfanne laufen ließ und dort mit einigen Gewürzen verrührte.

„Weißt du… es gibt Tage, da denke ich, ich sei glücklich. Und es gibt Tage, da verfluche ich mein Leben und würde mich am liebsten umbringen. Das gehört beides zum Leben dazu. Deshalb wird ein Mensch wohl niemals vollkommen glücklich sein. Aber ja, ansonsten denke ich, kann ich ganz zufrieden sein. Vielleicht kannst du das nicht verstehen, weil du die Prostitution ja ziemlich verabscheust, aber für mich ist es einfach nur ein Beruf. Einer wie viele andere auch.“

„Lass mich raten… deine Einstellung ist anders als meine?“, er lehnte sich an den Kühlschrank, neben dem er noch immer stand, „Ich habe heute lange mit Ryou geredet. Er hat mich mit ziemlich viel philosophischen Hirnfutter voll gestopft, aber… es war ganz hilfreich. Er hat mir seine Einstellung zum Leben erklärt. Und jetzt…“

„Jetzt willst du wissen, was du eigentlich vom Leben denkst?“, der Kochende lächelte ihn an, „Die meisten Menschen denken immer, sie wüssten alles, aber haben meistens keine Ahnung. Frag sie mal nach ihrem Inneren, nach ihren Gefühlen, nach ihrem Selbstverständnis – du triffst auf große Leere.“

Katsuya strahlte. „Ich wusste auf dich kann man sich verlassen.“

„Verlass dich auf mich und du bist verlassen.“, der Ältere lachte, „Ich tu mein Bestes, um genug Schirme aufzutreiben.“

„Damit niemand im Regen steht? Du würdest nie jemanden im Stich lassen, denke ich.“

Yami lächelte weiter, doch in seinen Augen spiegelte sich keine Freude. Als wäre plötzlich, ganz plötzlich etwas in ihm gestorben. Das Feuer flackerte müde.

„Yami?“

„Ich… ich habe keinen Schirm gefunden. Und weil ich selber ganz nass war, bin ich einfach nicht zurückgelaufen durch den Regen… um ihn zu holen.“

„Wen?“, fragte Katsuya vorsichtig nach.

„Yugi…“
 

Er wendete die in Streifen geschnittene Eiermasse in der Pfanne, würzte nach und schaltete die Platte ab. Aus dem Schrank schräg links von ihm griff er sich einen Teller, auf den er die aufgerollten Streifen legte. Er wusch die Pfanne aus, griff sich Stäbchen aus der Schublade und legte die Sachen auf dem Tisch bereit. Monoton, emotionslos. Kein fröhliches Pfeifen, kein Lächeln im Gesicht, nur endlose Müdigkeit in seinem Blick.

Katsuya trat näher, als er sich nicht mehr bewegte und legte von hinten sanft die Arme um ihn.

Keine Regung.

„Yami?“

Mit einer Hand fuhr er seine Wange entlang, doch diese war nass. Eine Tränenspur.

„Hey, Yami… Erde an Yami! Sieh mich an, bitte.“

Immer noch keine Bewegung.

„Yami! Bitte!“

Dessen Kopf legte sich in den Nacken, kam auf des Blonden Schulter zu liegen.

„Schlaf mit mir…“

„Was? Yami, was soll das?“

„Lass mich vergessen, bitte… lass es mich vergessen. Ich will mich nicht erinnern.“, mit der Nase fuhr der Ältere Katsuyas Hals entlang, „Es ist so tief in mir vergraben. Es soll nicht wieder hervorbrechen… ich will mich nicht erinnern. Es tut so weh…“

„Die Erinnerung tut weh? Die Erinnerung an Yugi?“

„An damals…“

Der Braunäugige zog sich einen Stuhl heran, setzte sich und zog Yami dabei mit sich. Irgendwie wurde das langsam zur Sitte irgendwelche Leute auf seinem Schoß zu haben… ziemlich viel Körperkontakt in letzter Zeit. Aber gut, ihm sollte das recht sein. Das war schließlich das, was er seit Jahren vermisste.

„Was war damals?“, fragte er freundlich nach.

„Ach, Kats…“, flüsterte der Rothaarige, „Bitte frag’ nicht immer. Ich will nicht, dass es hochkommt.“

„Aber wenn du es immer unterdrückst, dann wird es dich auch immer quälen. Willst du deine Gefühle nicht einmal rauslassen?“

Der Kleinere lächelte und strahlte den Jüngeren mit seinen noch leicht feuchten Augen an – von Tränen keine Spur mehr. „Kats, du hörst dich an wie ein verkorkster Therapeut.“

„Wenn’s hilft.“, der lächelte dagegen.

„Iss dein Ei, bevor es kalt wird.“, mit diesen Wort war Yami auch schon wieder auf den Beinen.

„Du hörst dich an wie eine Mutter.“

Ein belustigter Blick über die Schulter und- „Wenn’s hilft.“

Es war so klar gewesen…
 

„Danke…“, der Blonde wischte sich den Mund ab, „Endlich Futter…“

„Schon gut.“

„Aber mal zum Thema zurück.“, er schob sein Geschirr zur Seite und legte die Ellbogen auf den Tisch, „Was ist jetzt ein Borderliner und wie ist deine Einstellung zum Leben?“

„Borderline ist ein Begriff aus dem der psychologischen Diagnose. Kurzum, eine Geisteskrankheit. Einfach beschrieben eigentlich nur der schwammige Begriff für die Menschen, bei denen man nicht weiß, ob sie noch im Bezug zur Realität stehen oder nicht.“

„Und wieso sollte ich so einer sein?“

„Weil der Realitätsbegriff normalerweise ziemlich gestört ist, wenn Leute mitten in der Nacht aufstehen um Freunde zu besuchen.“, meinte Yami spaßhaft scharf.

Katsuya steckte ihm nur die Zunge raus.

„Du willst also hören, was ich vom Leben und den Menschen so denke?“

Ein Nicken.

„Nun, wie du weißt, bin ich ja so eine Art Hobby-Psychologe.“

Weiteres Nicken.

„Und ich kann mich dabei am besten mit dem Menschenbild der Tiefenpsychologie anfreunden.“

Nicken – was auch immer Tiefenpsychologie jetzt wieder war.

„Kennst du dieses Menschenbild?“, ohne auf eine Antwort zu warten fuhr Yami fort, „Nein, okay, ich erklär’s dir.“

Na toll… okay, er kannte es nicht, aber musste er das unbedingt so raushängen lassen? Manchmal war Yami ganz schön eitel…

„Es gibt fünf verschiedene Richtungen in der Psychologie, die man auch Paradigmen nennt. Behaviorismus, Tiefenpsychologie, humanistische Psychologie, Kognitivismus und Psychobiologie. Diese fünf Kategorien unterscheiden sich alle in ihrem Menschenbild. Und das der Tiefenpsychologie in einer etwas abgewandelten Version finde ich ganz passend.“

Oh nein, jetzt begann sogar ein Stricher schon ihm irgendetwas Intellektuelles zu erzählen…

„Ich versuche das mal kurz und prägnant zu formulieren…“

Und jetzt fing er sogar noch an intelligent zu reden!

„Es gibt ein Modell von Freud, das besagt, dass der Mensch ein Es, Über-Ich, Ich, eine Realitätswahrnehmung und das Unbewusste besitzt. Das Ich ist das Bewusstsein, das aus den anderen vier Richtungen Befehle empfängt, die meistens ziemlich gegensätzlich sind. Es muss also ganz schön viel regeln und denken. Die Wahrnehmung der Realität, da ist wahrscheinlich klar, was das ist. Das Unbewusste ist wie der Name schon sagt etwas, was wir sonst gar nicht bewusst wahrnehmen. Es sind die Impulse aus Erinnerungen, Ängsten, Instinkten und solchen Dingen. Ein Vergewaltigter nimmt zum Beispiel öfters Flucht vor großen, starken Männern – weil sein Unbewusstes ihm das rät. Das Es ist sehr eng damit verbunden, das sind die Triebe. Hunger bis Sexualtrieb, natürliche Grundinstinkte wie Flucht, sogar Stressauslöser… all das, was wir von Geburt an haben. Und schließlich das Über-Ich. Das sind unsere Werte und Normen, unsere Moralvorstellung, unsere Religion – all dieses Zeug eben. Über-Ich und Es liegen eigentlich im immerwährenden Krieg und unser Bewusstsein, das Ich, ist der Vermittler. Und zwischendurch funken Unbewusstes und Realität noch dazwischen. Der Mensch ist also ziemlich arm dran…“

Wetten, dass er das alles in nur fünf Minuten wieder vergessen hatte? Zu viel Input – Error.

„Um es kurz zu machen, der Mensch ist ein Wesen, das von seinen Trieben und seinen Moralvorstellungen regiert wird. Meine Sicht weicht davon allerdings etwas ab, hat aber dasselbe Grundprinzip.“

Reset? Gab es irgendwo den Knopf für Neustart?

Hilfe!
 

„Okay… ich habe jetzt ungefähr die Hälfte nicht kapiert, aber bitte weiter.“

„Wenn du die Hälfte nicht kapiert hast, dann bringt es nicht viel weiter zu reden.“, eröffnete Yami ihm mit durchbohrendem Blick, „Was verstehst du nicht?“

„Ich versteh’s schon, aber… das ist ein bisschen viel auf einmal.“

„Willst du ein Beispiel haben?“

„Ja!“, warum hatte er nicht gleich danach gefragt? Vielleicht weil er Ryou damit schon genervt hatte. Aber gut, damit verstand man Sachen wirklich besser.

„Nehmen wir dich als Beispiel. Du im letzten Schuljahr. Du stehst morgens auf und überlegst, ob du zur Schule gehst. Das Es, deine Triebe, die sagen natürlich, dass du etwas weit Besseres tun könntest. Dein Über-Ich, deine Moral, die lenkt dagegen und sagt, dass du eigentlich zur Schule gehen solltest. Dein Unbewusstes nutzt die Erfahrungen, die du mit Schule gemacht hast und sagt dir, dass es dich eh nicht weiterbringt und du meistens auch nur wieder von irgendwem zusammen geschrieen wirst. Deine Realitätswahrnehmung sagt dir, dass es keine schlimmen Konsequenzen hätte, wenn du nicht gehst. Drei gegen einen, nicht zu vergessen, dass manche Impulse stärker oder schwächer sein können. Und der Impuls, dass es deine Pflicht ist zur Schule zu gehen, der ist nicht unbedingt groß. Das Ergebnis ist, dass du nicht zur Schule gehst. Und dann nehmen wir dich noch mal zur heutigen Zeit. Dein triebgesteuertes Es will immer noch etwas anderes machen, gleichzeitig aber auch deinen Lehrer sehen, wenn du nicht gerade wieder schlecht auf ihn zu sprechen bist. Dein Über-Ich erzählt auch immer noch dasselbe von wegen, du musst zur Schule und so. Dein Unbewusstes hat jetzt in letzter Zeit gute Erfahrungen mit der Schule, mal abgesehen von einigen Eskapaden mit eben genanntem Lehrer. Und deine Realitätswahrnehmung, die sagt, dass es jetzt nicht mehr egal ist, ob du kommst oder nicht und dass es Konsequenzen hätte, wenn du es nicht tust. Ergebnis ist, dass du zur Schule gehst.“

„Und wenn ich jetzt nur noch schlechte Erfahrungen habe, dann ändern Realitätswahrnehmung und Unbewusstes die Meinung wieder und ich gehe wieder nicht?“

„Je nachdem wir stark dein Drang deinen Lehrer zu sehen und deine Moralvorstellung ist.“

„Ah ja… ich habe aber Schlechtes erlebt und gehe immer noch hin. Ist das, weil ich den unglaublichen Drang verspüre, meinem Lehrer eine in die Fresse zu schlagen?“

„Klar. Auch das ist ein Grund in die Schule zu gehen. Lehrer ärgern.“, der Ältere zwinkerte nur.

Katsuya zog die Augenbrauchen hoch und nickte langsam. Okay… weswegen war Yami in der Schule gewesen? „Und das ist das Menschenbild?“, fragte er stattdessen.

„Ja, das ist das Grundkonstrukt des Menschenbildes der Tiefenpsychologie.“

„Und dein eigenes Menschenbild… ?“

„…baut darauf auf, ja. Ich denke, auf diesem Hintergrund trifft der Mensch Entscheidungen, was er tut.“
 

„Und was für ein Hirnfutter erwartet mich als nächstes?“, fragte Katsuya spaßig nach.

„Das Spannungsreduktionsmodell.“

Sein Lächeln gefror und schmolz dahin. Die Augenbrauen wanderten langsam nach oben, während der Kopf in selber Geschwindigkeit Richtung Tisch wanderte. „Und so was erzählst du mir um ein Uhr nachts?“

„Zwei.“

„Häh?“

„Es ist zwei Uhr. Mittlerweile.“, stellte Yami richtig, „Wenn du so spät hier auftauchst… soll ich jetzt weiterreden oder nicht?“

„Aber mit Beispielen…“, jammerte der Blonde.

„Das Spannungsreduktionsmodell hört sich nur schwer an, ist aber ganz easy. Heißt eigentlich nur, dass ein Mensch Energie entwickelt, die abgebaut werden muss. Diese Energie wird aus Impulsen des Es oder des Unbewussten gewonnen und durch Handlung wieder abgebaut. Als Beispiel nehmen wir einfach nur Hunger. Dein Es sagt, es will jetzt etwas essen. Es wird Spannung aufgebaut und sie wird wieder abgebaut, indem du etwas isst. Wenn du jemanden anschreien willst, dann schreist du ihn an. Ohne Spannung keine Handlung. Man kann den Menschen also als vollkommenen Egoisten bezeichnen, denn wenn er keinen Anlass hat etwas zu tun, dann tut er es auch nicht. Interessanter wird es, wenn du jetzt jemanden anschreien möchtest, aber es nicht tust. Dann wird die Energie nicht abgebaut. Bei so etwas setzen Abwehrreaktionen des Ichs ein, aber die jetzt noch durch zu sprechen, das geht zu weit. Wichtig wird’s, wenn die Energie, die nicht raus gelassen wird, zu groß wird. Denn dann wird sie durch psychische Störungen verarbeitet oder durch Sucht betäubt. Deswegen sollte man Energie auch rauslassen. Zum Beispiel durch Sport oder lautes Schreien zwischendurch, Entspannung wie beim autogenen Training oder einfach der Kunst. Schreiben oder Malen oder Singen. Solche Dinge halten die Psyche stabil und sauber. Irgendein komischer Mann hat das Psychohygiene getauft.“

Ganz easy, ja klar… sonst noch was?

„Okay… ich hab’ ’ne ganze Zeit Drogen genommen, wie du weißt. Meine Psyche war also ganz schön dreckig. Und du willst mir jetzt sagen, dass das so ist, weil meine Triebe nicht befriedigt wurden? Aber, ich mein’, man nimmt keine Drogen, nur weil man Hunger hat, oder?“

„Lass mich da gleich drauf zurückkommen, ja? Ich wollte noch was zu den Trieben erzählen.“

„Dann noch ’ne Frage… ich hab’ mich entschieden, dass ich keine Drogen und keinen Alkohol mehr nehmen will. Das heißt, dass ein beträchtlicher Teil Hygiene wegfällt. Womit halte ich meine Psyche denn dann sauber?“

„Als Ausgleich kannst du Sport machen. Wenn du dich erinnerst, als du noch keine Drogen nahmst, da bist du als Schläger durch die Gegend gerannt, um da deine Energien abzubauen.“

„Soll ich das wieder machen?“

Yami seufzte. „Kats, es gibt mehr Sport als Schlägereien und Messerstechereien und so was.“

„Oh, stimmt…“

„Außerdem kannst du dafür sorgen, dass der Großteil deiner Triebe befriedigt wird und auch dein Unbewusstes keine schädlichen Impulse mehr aussendet. Das tut es zum Beispiel durch traumatische Erfahrungen oder Angst oder Stress. Gegen diese Dinge kann man ankämpfen.“
 

„Womit hältst du denn deine Psyche sauber?“, fragte der Blonde nach.

„Mit Sex.“

Katsuyas Kinn rutschte von seinem Handballen und zog seines Besitzers Kopf Richtung Tisch. Doch eben dieser Besitzer fing sich nach einem Schreckmoment. Mit – Sex? Das war jetzt nicht sein Ernst, oder? Okay, er hatte sicherlich viel davon, aber damit hielt man nicht die Psyche sauber, oder?

„Du guckst mich an als wäre ich der heilige Geist.“, der Kleinere schmunzelte, „Aber ja, ich empfinde Sex als ein wirklich gutes Mittel zur Reinigung. Was glaubst du, warum ich mehrere Sexbeziehungen führe? Sicherlich nicht, weil ich nicht ausgelastet bin. Nein, es macht einfach Spaß. Es befriedigt meine Triebe und baut sogar durch die sportliche Komponente noch eine Menge Energie ab. Sex ist echt gesund.“

Ruhig, ganz ruhig… nein, er würde jetzt nicht vor Scham im Boden versinken. Bei allem Heiligen, das hier war Japan! Das Land, wo allein das Wort nicht einmal laut ausgesprochen wurde! Klar, Yami war da offen und sicher noch offener als andere, aber… ach, er hätte einfach nicht fragen sollen.

Der Ältere kicherte. „Wie süß, du bist ganz rot…“

„Ich bin nicht rot!“

„Doch, wie eine Tomate…“

Katsuya knurrte nur.

„Vielleicht kommst du auch irgendwann auf den Geschmack.“, ein Zwinkern.

Und lauteres Knurren…

„Nun ja, ansonsten sind Reisen oder Wellness ganz gut. Oder eben die Ausübung von Kunst jeder Art. Das hält fit und die Seele stabil.“

„Das hört sich an wie ein Kochrezept…“

„Oh, Hausarbeit kann auch ganz gut sein. Das zählt übrigens auch zu Kunst. Kunst ist das Tun von etwas mehr oder minder Kreativem, an dessen Ende ein Ergebnis steht. Auf jeden Fall sollte man sich mit dem Endergebnis identifizieren können.“

„Häh?“

„Nun, wenn du bei einem Auto nur eine Schraube festdrehst, dann kannst du kaum am Ende stolz auf das Ergebnis sein, oder? Du hast nicht viel mit dem Ergebnis zu tun. Deswegen ist Fließbandarbeit ja auch der langsame Tod. Mal abgesehen von der Tatsache, dass monotone Arbeit einen sowieso durchdrehen lässt.“

„Aha…“, wie viel Uhr war es jetzt bloß?
 

„Ich glaube, du wolltest noch etwas zu den Trieben sagen… meine Frage ist immer noch nicht beantwortet.“

„Ob man Drogen nimmt, nur weil man Hunger hat, was? Gut, dann jetzt zu den Trieben. Das ist jetzt meine persönliche Auffassung, das hat nichts mehr mit Tiefenpsychologie zu tun. Denn jetzt nehme ich mir ein Modell aus der humanistischen Psychologie. Man nennt es auch das Bedürfnismodell. Es hat acht verschiedene Ebenen, die musst du dir wie eine Pyramide vorstellen. Ganz unten das größte Bedürfnis, ganz oben das kleinste. Hast du ein Bild vor Augen?“

„ ’Ne Pyramide kriegt ich glatt noch auf die Reihe. Auch wenn es sicher schon bald drei ist.“

„Halb drei.“, erwiderte Yami, „Okay, wir haben unsere acht Stufen in der Pyramide. Die untersten vier sind die Defizitbedürfnisse. Wenn die über lange Zeit nicht erfüllt werden, dann ist man nicht nur unglücklich sondern könnte sogar sterben. Und die obersten vier sind die Wachstumsbedürfnisse. Wenn die erfüllt werden, dann ist der Mensch zufrieden. Aber er überlebt auch ohne Erfüllung dieser.“

„Erzähl mir mal lieber endlich, was das nun für Bedürfnisse sind.“

Yami griff sich aus der Schublade einen Block und einen Stift. „Ich mal es dir doch lieber auf.“, mit Gefühl zeichnete er eine Pyramide und unterteilte sie durch waagerechte Striche, „Ganz unten sind die biologischen Bedürfnisse. Nahrung, Wasser, Sauerstoff, Ruhe, Entspannung, Sex – unsere Grundbedürfnisse eben.“

„Halt mal!“, stoppte Katsuya den Älteren, „Also für mich ist Sex – kein – Grundbedürfnis.“

„Wirklich? Noch nie daran gedacht deinen Lehrer flachzulegen?“

Der Blonde wurde krebsrot. Nein, hatte er nicht! Zumindest… nur sehr selten. Nicht so oft eben. Na gut, er hatte! Schon gut, er hatte dieses Bedürfnis doch… blöder Kaiba.

„Siehst du.“, stellte Yami mit einem Zwinkern fest, „Also, die biologischen Bedürfnisse. Wenn die einigermaßen erfüllt sind, dann sucht der Mensch nach Sicherheit. Einem Dach über dem Kopf, Behaglichkeit, gesicherte Freiheit, Verminderung der Angst und so weiter. Als nächstes sucht er dann nach Bindung. Zugehörigkeit, Verbindung mit anderen, Liebe, Freundschaft. Und schließlich hat der Mensch das Bedürfnis nach Selbstwert. Vertrauen von anderen und in sich selbst, Wertgefühl, Schätzung der eigenen Person, Anerkennung des Ichs, Kompetenz und so weiter und so fort. Das sind unsere Defizitbedürfnisse. Wehe, die sind nicht erfüllt, denn dann geht es Menschen einfach nur beschissen. Wenn da ein, zwei Punkte nicht erfüllt sind, dann ist das nicht schlimm, dann verkraftet man das, aber wenn zu viele dieser Punkte oder ein paar über längere Zeit nicht erfüllt werden, dann stirbt der Mensch langsam ab. Einfach weil die daraus entstehende Energie so gewaltig ist, dass der Mensch sie nur schwer abbauen kann. Wenn man da nicht in irgendeine Sucht verfällt, dann folgen daraus die psychischen Krankheiten. Depressionen sind in unserer Zeit ein sehr beliebtes Mittel. Man könnte sagen, das ist eine Modekrankheit unter den psychischen Störungen. Und die, die am schwersten zu heilen ist.“

Okay, die Bedürfnisse kannte er. Die hatte wohl wirklich jeder Mensch, stimmt schon. Und wenn die nicht da waren, dann war derjenige schon extrem gestört…
 

„Das sind die Bedürfnisse, die wir aus unseren animalischen Ursprüngen haben. Je entwickelter eine Spezies ist, desto hoher ist ihre Stufe in dieser Pyramide. Und der Mensch ist dadurch das höchste Wesen, dass er ganz oben steht. Der hat sogar noch die Wachstumsbedürfnisse dazu. Aber auch da muss man unterscheiden. Es gibt ein paar Menschen, die kommen mit den Bedürfnissen gar nicht so hoch. Zum Beispiel durch Hemmungen in der Entwicklung oder psychische Störungen oder auch Krankheiten.“

„Okay… und wo stehe ich?“

„Irgendwo zwischen sieben und acht.“

„Oh, cool.“, das war ja richtig hoch, „Und was ist sieben und acht?“

„Nun, die Wachstumsbedürfnisse. Stufe fünf sind die kognitiven Bedürfnisse. Das Streben nach Wissen und Verstehen und die Neugier auf Neues. Wird im Kindes- und Jugendlichenalter durch die Schule erfüllt. Was viele Leute vergessen, ist, dass das Leben nach der Schule noch weiter geht. Sie lernen nichts mehr und verstehen nicht, warum sie dauerhaft unglücklich sind. Bis zum Tod strebt der Mensch nach mehr Wissen. Nun ja, das ist Stufe fünf. Als nächstes kommt das ästhetische Bedürfnis. Wir sehnen uns nach Ordnung und nach Schönheit, nach diesem Schein einer heilen Welt. Bei uns muss es gut aussehen. Die meisten Menschen fühlen sich im Chaos einfach schlecht. Deswegen machen wir uns ja auch Pläne. Fahrpläne, Terminpläne, Uhrzeiten, Pläne für’s Leben. Aus dem Grund haben viele Menschen auch ein Problem mit Spontaneität.“

„Ich liebe Chaos.“, quatschte Katsuya mal wieder dazwischen.

„Aber nur das, was du selbst schaffst, nicht? Denk mal, du müsstest jeden Tag umziehen und jeden Tag wäre in dem neuen Zimmer alles anders geordnet. Du würdest ziemlich schnell irre werden.“

Nun gut, wahrscheinlich würde er das. Aber er wollte es lieber nicht austesten.

„Und noch die letzten zwei Bedürfnisse. Das ist erstmal das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung. Der Ehrgeiz Großes zu schaffen und zu erreichen, das Bedürfnis sein Potential auszuschöpfen und seine Träume zu verwirklichen.“

Hey, das war das, was Ryou auch erzählt hatte!

„Und schließlich die Transzendenz.“

„Häh?“

„Spiritualität.“, erklärte Yami mit einem Gesichtsausdruck, der Katsuya irgendwie sagte, dass er dieses Wort verstehen sollte.

„Was ist das?“

„Die Suche nach dem Sinn des Lebens, die Frage nach Gott, Religion, Auffassung vom Leben. So’n Kram halt.“

Okay, bei der Stufe war er wohl wirklich gerade. Was waren noch mal die Defizitbedürfnisse?

„Und das muss man jetzt weiter ausführen.“

Nein! Hilfe! Nicht noch mehr! Warum war Yami auf einmal so intelligent?
 

„Noch mal kurz zum Mitdenken, die Defizitbedürfnisse sind die biologischen Bedürfnisse, Sicherheit, Bindung und Selbstwert. Und die Wachstumsbedürfnisse sind die kognitiven, die ästhetischen, die Selbstverwirklichung und die Transzendenz.“

Danke, Yami…

„Und auch in der Reihenfolge werden sie normalerweise befriedigt. Ein Mensch, der weder Essen noch Trinken hat, fragt selten nach Bildung. Und ein Mensch ohne Selbstvertrauen strebt auch nicht nach Selbstverwirklichung. Allerdings kann ein Mensch auch Bedürfnisse unterdrücken, um andere zu befriedigen. Ein buddhistischer Mönch zum Beispiel gibt seine Sicherheit auf und betreibt Askese, um seine Transzendenzebene zu befriedigen. Oder wenn jemand ganz viel lernt und nach extrem großem Wissen strebt, vernachlässigt er manchmal seine sozialen Bindungen. Aber so etwas ist erst möglich, wenn ein Mensch die darunter liegenden Bedürfnisse schon einmal befriedigt weiß. Wenn ein Mensch nie geliebt wurde oder Freunde hatte, dann ist er nicht ehrgeizig, dann fragt er noch nicht einmal nach Gott. Nach Gott fragt nur jemand, der alle anderen Bedürfnisse schon einmal befriedigt hatte. Wenn ein Mensch sein Leben lang auf der Flucht ist und niemals Sicherheit kennt, dann sehnt er sich nicht nach Wissen oder Ordnung, dann ist für ihn nur das Bedürfnis nach Sicherheit und natürlich das biologische Bedürfnis von Bedeutung. Und wenn jemand immer allein ist, dann fragt dieser jemand auch nicht nach Gott, um das noch mal aufzugreifen. Es gibt extrem viele Menschen, die Gott verfluchen, weil sie der eigenen Meinung nach ja so arm dran sind und immer allein waren oder so etwas. Aber das geht nicht. Sie reden sich ihr Elend gerne ein, aber sobald sie von etwas wie Gott sprechen, dann ist klar, dass es ihnen eigentlich nicht so schlecht geht wie sie immer denken. Du hast bis heute nie nach Gott gefragt oder dem Sinn des Lebens. Das war dir bis vor zwei Wochen sogar vollkommen egal. Aber jetzt? Jetzt hast du genug zu essen, du hast von deinem Vater mal abgesehen Sicherheit, du hast Freunde, du bist verliebt, dein Lehrer hat dir sogar ein Gefühl der Selbstwertschätzung gegeben und dich anerkannt und gefördert, du hast viel Neues gelernt, hast deinem Leben eine Ordnung gegeben, bist ehrgeizig geworden, deinen Lehrer zu schnappen und dich zu beweisen, jetzt fragst du sogar nach philosophischen Dingen… und das nur in zwei Wochen. Nur wegen einer einzigen Person. Würde er sich jetzt nicht wie ein beschissenes Arschloch dir gegenüber verhalten, ich würde ihn glatt als dein Glück bezeichnen. Denn es ist sein Verdienst, dass es dir jetzt um so viel besser geht. Weil er dich aufgerichtet hat und dir den Rücken stärkte. Mich macht es glücklich dich so zu sehen. Mal abgesehen davon, dass es drei Uhr nachts ist.“
 

Wow… dass Kaiba so eine große Rolle in seinem Leben spielte, das hätte er nicht gedacht.

„Und… Drogen habe ich genommen, weil meine Defizitbedürfnisse nicht befriedigt waren? Weil ich kein Selbstwertgefühl hatte und auch nur wenig Bindung? Und vor zwei Wochen stand ich gerade mal zwischen Stufe drei und vier?“

„Exakt.“

„Und wie ist das jetzt mit dem Hunger? Würde jemand denn aus Hunger Drogen nehmen?“

„Nun, wenn jemand so viel Hunger hätte, dass allein das genug Energie produzieren würde, dass jemand zu Drogen greift, dann wäre der Mensch tot, bevor da irgendetwas passiert. Es heißt ja nicht grundlos biologisches Bedürfnis. Ohne kannst du nicht überleben.“

„Dann müsste man ohne Sex auch nicht überleben können…“, ein leichter Rotschimmer schlich sich auf Katsuyas Wangen, „Richtig?“

„Zumindest sehr schwer. Aber unter Sex solltest du dir nicht nur Geschlechtsverkehr vorstellen. Sex ist ein weitläufiger Begriff. Auch das Stillen eines Kindes ist für eine Frau etwas Ähnliches wie Sex. Weil dabei eine erogene Zone stimuliert wird. Vielleicht wirst du das Problem nie haben, aber viele Frauen haben nach der Geburt von einem Kind überhaupt keine Lust mehr auf den Geschlechtsverkehr an sich. Auch das Schauen eines Pornos oder eine Massage sind Sex. Einfach weil sie eine erregende Wirkung haben. Oder das Lesen von erotischer Literatur. Ist auch Sex. Es gibt eine Menge junger Frauen, die gerne Geschichten mit Schwulen darin lesen, weil die eine besonders erotisierende Wirkung auf Frauen haben, weil sie durch unsere Gesellschaft als Sexsymbole angeprangert werden. Hübsche Blondinen haben eine ähnliche Wirkung. Ist alles Sex.“

„Vielleicht solltest du deinen Freiern Geschichten vorlesen…“, neckte Katsuya den Älteren.

„Leider sind das eher schwache Reize. Der Akt an sich ist natürlich das, was am meisten befriedigt.“

„Schon klar…“

„Aber jetzt mal zurück zum Menschenbild.“, Yami legte den Stift beiseite und schob Katsuya den Block hin, „Diese Bedürfnisse bezeichne ich als die Triebe des Menschen. Von ihnen und vom Unbewussten geht Energie aus, die durch Handlung wieder abgebaut wird. Und die Art der Handlung wird bestimmt durch die erstgenannten Faktoren, das Über-Ich und die Realität, wie sie vom jeweiligen Menschen wahrgenommen wird. Um noch mal das Beispiel Sex aufzugreifen… da sagt dir die Realität, dass nicht sofort irgendjemand mit dir ins Bett gehen wird. Und dein Über-Ich sagt dir, dass Geschlechtsverkehr außerhalb einer Beziehung oder Ehe unsittlich ist. Deshalb musst du Sex eben anders ausleben. Nämlich unter den von der Gesellschaft vorgegebenen Normen, solange du nicht psychisch krank bist und diese daher einfach missachtest wie z.B. ein Vergewaltiger das tut. Und das machst du wie?“

Ähm… was machte er denn im sexuellen Bereich? „Gar nicht?“

„In dem Fall würdest du die Energie durch deine Abwehrmechanismen abwenden und umwandeln. Kommt zum Beispiel raus, dass du dreimal kontrollierst, ob du deinen Schlüssel dabei hast, bevor du das Haus verlässt.“

„Weil ich keinen Sex habe, kontrolliere ich meine Schlüssel?“, Katsuya zog eine Augenbraue hoch.

„Zum Beispiel. In dem Fall befriedigst du dein Ordnungsbedürfnis übermäßig. Du kannst die Energie natürlich auch krankhaft abbauen… als Aggression. Du könntest jeden Morgen jemanden anschreien. Das Hirn ist so komplex, es findet die interessantesten Wege.“

„Diese Abwehrmechanismen interessieren mich irgendwie…“

„Aber nicht mehr heute Nacht. Auch Schlaf ist ein biologisches Bedürfnis und das geht vor dein kognitives Bedürfnis.“

„Och menno… und wonach dürftet es dich?“

Yami grinste nur, zog seinen Kalender und sein Handy aus der Tasche und blätterte in erstem, bevor er eine Nummer in sein Handy eintippte. Und was er der Person am anderen Ende sagte, scheuchte Katsuya mit geröteter Gesichtsfarbe auch gleich ins Wohnzimmer, wo er es sich mit einer Decke gemütlich machte. Befriedigung der Bedürfnisse erster, zweiter und sechster Ebene, nicht?

Eigentlich egal.

Schlaf…

Different kind

Ich wünsche allen ein frohes neues Jahr, bedanke mich für die vielen Weihnachtsgrüße und die wundervollen Weihnachtskommentare ^.^ Und allen Lesern viel Freude in unserem tristgrauen Lande...
 

Edit: Ich werde auf Arzus Kommentar mal kurz eine allgemeine Antwort an alle geben. Diese "schweren" Kapitel wurden geschrieben, weil das Wissen im Weiteren gebraucht wird. Eigentlich hatte ich auch nicht vor alles noch weiter auszuführen sondern tue dies nur, weil viele danach gefragt haben. Was die Abwehrmechanismen angehen, so möchte ich mal allgemein nachfragen:

Wer möchte, dass sie noch erläutert werden und wer ist dagegen?

Ich kann die Geschichte mit und ohne weitergehen lassen, sie wären für die Handlung nicht weiter wichtig. Ich wäre sonst in diesem Kapitel fertig mit all dem schweren Kram. Die Handlung geht so oder so weiter ^.-
 

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Kaiba beugte sich zu ihm hinab und berührte mit den Fingerkuppen Katsuyas Wange, welcher sich sofort dagegen lehnte. Sie fuhren sanft auf und ab, strichen ein paar vereinzelte Haarsträhnen hinter sein Ohr und wanderten dessen Konturen entlang. Die blauen Augen funkelten glücklich und ein zärtliches Lächeln zierte das Gesicht des Brünetten.

„Guten Morgen, Katsuya.“, flüsterte er.

Seine Finger zwickten ihn leicht in die Wange.

„Na los, wach auf.“, das Lächeln wurde breiter, „Aufwachen, Schlafmütze.“

Der Blonde lächelte, rieb sich die Augen und blinzelte beim Strecken. Die Konturen fanden sich wieder und-

„Yami!“, rief er erschrocken.

„Wer sonst?“, lächelte der Ältere, „Nun komm, steh auf.“

Doch kein Kaiba? Katsuya sah sich extra noch mal um. Schade… das wäre doch zu schön gewesen. Obwohl, dass Kaiba ihn mit einem Lächeln und Zärtlichkeiten wecken würde, das war wohl das Letzte, was passierte…

„Lass mich raten… du hast von deinem Lehrer geträumt?“

Er richtete seinen Blick wieder auf Yami, legte etwas gespielt Böses hinein und streckte ihm die Zunge raus.

Der andere lehnte sich lächelnd zurück, zog die Augenbrauen hoch und nickte bedächtig. „Bitte entschuldigt meine Unverfrorenheit. Ich fürchte, meine Offenheit könnte von euch missverständlich aufgefasst worden sein. Ich möchte euch doch nicht erzürnen…“, plapperte Yami hoheits- und salbungsvoll zugleich und deutete eine Verbeugung an, „Darf ich euch als Zeichen meiner Untertänigkeit zum Essen geleiten?“

„Frühstück!“, rief Katsuya erfreut und setzte sich auf.

Yami kicherte nur.

„Lass mich raten, was du denkst…“, sagte der Jüngere leicht beleidigt, „Das klappt bei ihm immer?“

Der Rothaarige nickte nur, während er sich eine Träne aus den Augen strich.

„So lustig ist das nun auch wieder nicht!“

„Doch…“, gluckste er.

„Nein!“

Der Ältere schnappte sich nur seine Hand und zog ihn zur Küche, während er sich den Bauch hielt.

„Wie viel Uhr ist es?“

„Kurz nach sechs.“, antwortete Yami etwas ruhiger und drückte den anderen auf einen der Holzstühle.

„Erst?“, Katsuyas Kopf sank auf seine stützende Hand, „Ich fühl’ mich irgendwie gerädert…“

„Du hast ja auch nur drei Stunden geschlafen. Möchtest du ein gekochtes Ei?“

„Ne, danke… hach, ich liebe Brezeln.“, er griff nach Besagtem, „Wo kriegst du die bloß her? Ich kenne kein Geschäft, das welche verkauft…“

„Nahe der Innenstadt gibt es einen Bäcker, der verkauft sie. Und der Sohn dieses Bäckers… ach ja, der ist ein Sahnetörtchen.“, die violetten Augen suchten träumerisch den Weg durch das Fenster.

„Lass mich raten… deine Verabredung.“, meinte Katsuya, der trotz Müdigkeit und dementsprechender Leichenblässe ein wenig rot wurde.

„Was denn sonst? Sonst käme ich kaum morgens um fünf an Brezeln, oder? Scherzkeks.“

Der murmelte etwas Unverständliches.
 

„Ich hab’ noch ’ne halbe Stunde, bis ich los muss…“, sagte der Blonde mit einem Blick auf die Küchenuhr.

„Magst du dir vielleicht ein oder zwei Shirts von mir mitnehmen? Dann brauchst du nicht dauernd bei mir vorbei.“

„Magst du mich nicht mehr hier haben?“

Yami warf ihm einen Seitenblick mit hoch gezogenen Augenbrauen zu.

„Ich mein’, ich hab’ dir schon die Schuhe geklaut… darf ich echt noch Shirts mitnehmen?“

„Ist dir doch eh alles fast zu klein. Wie wär’s, wenn wir heute Nachmittag zusammen einkaufen gehen?“, fragte der Stricher stattdessen.

„Ähm… ich hab’ schon was vor.“

„Ich kann dir das Geld auch leihen.“, erwiderte der Kleinere.

Katsuya seufzte.

„Okay, nimm erstmal meine Sachen. Und nächste Woche denken wir noch mal drüber nach, ja?“

„’Kay…“

Einen Moment herrschte Schweigen.

„Wie geht das weiter mit dem Menschenbild? Gestern bin ich ja drüber eingeschlafen…“

Yami schmunzelte. „An was erinnerst du dich noch?“

„Öhm… das Ich wird von vier Faktoren beeinflusst und die Triebe kann man in einer Pyramide darstellen, die man in acht Teile unterteilt. Handlung entsteht durch Spannung. Und übermäßige Spannung wird durch Abwehrmechanismen verarbeitet.“

„Weißt du noch, was das alles war?“

„Ich denke schon.“, brummte Katsuya leicht verschlafen.

„Gut, dann erstmal den Rest zu den Trieben.“

„War das noch nicht alles?“, fragte er mit einem Hundeblick nach.

„Nein.“, meinte Yami streng, „Das war ja ein humanistisches Modell. Und die sehen alles viel zu positiv.“

Aha… waren nicht eher die Tiefenpsychologen zu negativ? Okay, er kannte sich nicht aus…

„Freud entwickelte das duale Triebmodell.“

Nicht um halb sieben…

„Er unterschied in Libido und Destrudo.“

Error…

„Libido wäre das Modell der humanistischen Psychologen, die Pyramide also, nach meiner Meinung. Fehlt noch Destrudo, die zerstörerische Kraft im Menschen.“

„Noch ’ne Pyramide?“, fragte Katsuya nach.

„Nein, ganz einfach.“, zwinkerte Yami.

Wer’s glaubt, wird… heilig.
 

„Okay, eine einfache Pyramide…“

„Wäre ich nicht scharf darauf dieses Mürbchen zu essen, ich würde es dir jetzt an den Kopf klatschen.“, murmelte der Rothaarige.

„Jaaa klaaar…“

Vielleicht hätte er das nicht sagen sollen. Denn just in diesem Moment traf ihn das Spültuch an der Stirn. Ein Glück, dass es noch nicht benutzt war…

„Zurück zum Thema.“, meinte Yami als wäre nichts gewesen, „Destrudo ist die zerstörerische Kraft im Menschen. Der Mensch hat das Bedürfnis nach Streit und Auseinandersetzungen. Aus dem tierischen Bereich erst nur um sich zu beweisen und sich durchzusetzen. Als es immer mehr von unserer Rasse gab, wurden die Jagdgründe zu klein. Um Futter musste gekämpft werden. Menschen begannen einander zu töten. Es ging damit weiter, dass der Mensch Gewalt nutzte, um Macht zu demonstrieren. Und Mord um sich zu bereichern. Daraus entsprang die Sklaverei, die sich immer subtiler bis in unsere heutige Zeit weiterverfolgen lässt. Mittlerweile hat der Mensch einige dieser zerstörerischen Bedürfnisse verinnerlicht. Als schlimmstes das Bedürfnis zu töten. Rede mal mit kleinen Kindern, wo das Über-Ich, dass sie nicht töten dürfen, noch nicht ausgeprägt ist. Sie erzählen dir Geschichten von Massenmorden, endlosem Blutvergießen, sogar von Folter, wenn man sie nicht stoppt und ihnen beibringt, dass man so etwas nicht tun darf. Wie gesagt, das Bedürfnis zu töten und anderen Schmerzen zuzufügen hat jeder von Geburt an. Weiterhin gibt es bei der Libido das Bedürfnis nach Macht. Und Destrudo geht da weiter, indem es sagt, dass diese Macht nicht nur dadurch erreicht wird, dass ein Mensch sich extrem anstrengt sondern auch, indem er andere klein macht. Der Mensch hat somit auch das Bedürfnis anderen zu schaden. Solche Sachen wie Mobbing gibt es in jeder Altersklasse, weil auch da das Bedürfnis für da ist.“

„Das heißt, dass eigentlich jeder Mensch gerne andere niedermacht?“

„Leider, so muss ich sagen, leider ja.“

Aber das hieß, dass es das immer geben würde, oder? Das hieß, dass es immer andere gab, die einen hassten, sobald man in irgendetwas gut war, nicht wahr?

„Aber gab es nie Zeiten, wo jemand für etwas gemocht wurde, wenn er es gut konnte? Wurden solche Leute immer nur runter gemacht?“

„Das kommt wieder auf das Umfeld an. Denn dein Umfeld und deine Erziehung bestimmen dein Über-Ich. Wenn die Umwelt sagt, dass man Leute, die etwas gut können, dafür loben soll, dann wird dieses Bedürfnis unterdrückt und anders ausgelebt. Aber wir leben in einer Gesellschaft, wo solche Diskriminierung sogar gefördert wird. Guck ins Fernsehen, lies die Boulevardpresse. Je berühmter und bekannter jemand ist, desto mehr lieben die Menschen Skandale. Weil sie gerne andere runterziehen. Unsere ganze Gesellschaft ist voll davon. Um ein sehr krasses Beispiel zu nehmen, denk an den zweiten Weltkrieg. Da ging es um die so genannte Judenfrage. Über die Juden zu schimpfen und sie klein zu machen, das wurde von der Gesellschaft gefördert. Hitler war auch nur ein Kind seiner Zeit und Wien, wo er aufwuchs, war eine Hochburg der Judendiskriminierung. Ihm wurde beigebracht, dass Juden etwas Schlechtes sind und er tötete sie dafür. Und entgegen allem, was heute so gerne gelehrt wird, die Welt fand das wirklich gut. Italien, Österreich, Holland – die haben ihre Konzentrationslager freiwillig gebaut. Und die Deutschen haben nur die Oberkontrolle gehabt, weil sie die beste Organisation hatten. Die ganzen polnischen und tschechischen Vernichtungslager wurden von Polen und Tschechen geführt. Solche Dinge will heute keiner mehr hören, das wird verteufelt. Die Schuld wird komplett auf Deutschland geschoben, obwohl in Deutschland noch am meisten gegen den Nationalsozialismus gekämpft wurde. Und da kommt ein weiteres Destrudo-Bedürfnis. Das Abschieben der Schuld auf andere. Hier geht es wieder um Macht und Anerkennung. Wenn ein Mensch schuldig ist, dann ist er schlecht, so wurde uns das beigebracht. Deswegen schiebt der Mensch die Schuld gerne auf andere ab. Sehr gerne wird da zum Beispiel auch der Satz benutzt: Die anderen tun es doch auch. Das war zur Zeit des Nationalsozialismus so und es war vorher so. Man denke zurück an die Zeit der Kolonien. England war ein riesiges Imperium, es hatte wirklich überall Kolonien. Frankreich, Spanien, zum Teil auch Russland und Holland. Deutschland zog einige Jahre vor dem ersten Weltkrieg nach. Die Ureinwohner der Orte wurden versklavt oder, nachdem das verboten wurde, als Billiglohnarbeiter eingestellt. Und wem das nicht passte, der wurde umgebracht. Es ist heute nicht mehr so bekannt, aber teilweise wurden ganze Stämme abgeschlachtet. In Berlin wurden Schwarze als Attraktion im Zoo ausgestellt. Und warum das alles? Andere taten es auch. Für das Land war es ein wirtschaftlicher und – zumindest glaubte man das – auch außenpolitischer Vorteil. Und fast keiner hatte da irgendwelche Bedenken. Denn andere taten es ja auch. Nicht zu vergessen, dass auch das natürlich Diskriminierung war. Rassismus, Antisemitismus… es ist doch alles eins. Und auch heute geht es noch weiter. Warte nur ab, bis sie das nächste schwarze Schaf finden, dass sie abschlachten können. Das wird dann der dritte Weltkrieg. Das alles geht aus von unseren Destrudo-Bedürfnissen.“
 

„Aber dagegen muss man doch etwas machen können!“, rief Katsuya.

„Nun, wie du weißt steht den Trieben das Über-Ich gegenüber. Man muss Menschen einfach dazu erziehen, dass man so etwas nicht tun darf. Die ganze Gesellschaft müsste man eigentlich erziehen.“

„Und wie macht man so etwas?“, fragte er etwas ruhiger nach.

„Durch Aufklärungsarbeit an öffentlichen Stellen. Besonders an Schulen. Alle Respektpersonen, Eltern, Lehrer, Politiker, Stars und Sternchen uns so weiter – man bräuchte Leute, die mit gutem Vorbild vorangehen. Aber was ist? Nix ist. An den Schulen werden solche Dinge so ziemlich nie angesprochen. Und einige so genannte Vorbilder leben uns sogar das genaue Gegenteil vor. Denk mal an Amerika. Was machen die seit Jahrzehnten? Krieg mit Korea, Krieg mit Vietnam, Krieg mit dem Irak. Und warum? Um dort Frieden einzuführen und Demokratie. Hört sich eigentlich gut an, oder? Tja, dann sage ich dir jetzt mal, was dahinter steckt. Man bezeichnet das mit dem Fachbegriff Sendungsbewusstsein. Menschen haben irgendein System wie zum Beispiel Demokratie. Das halten sie für richtig gut, deswegen wollen sie es anderen auch geben. Das kann ich nur unterstützen. Aber dann kommt die Art, wie man das macht. Amerika macht es, indem es andere Länder angreift und dort dann eine eigene Herrschaft errichtet, die danach von dem Land selbst geführt werden soll. Soll ich dir mal sagen, was das gebracht hat? Millionen von Toten und keine Änderung. Kein einziges Land behält das aufgezwungene System nämlich. Und am Besten ist noch, dass sie andere Länder zwingen ihnen zu helfen. Deutschland hat da nur mitgemacht, weil Amerika damit gedroht hat wirtschaftliche Sperren zu errichten. Auch das erinnert mich nur wieder an die Kolonialzeit. Da sprach der letzte deutsche Kaiser auch vom Sendungsbewusstsein und alle unterstützten das. Und unter dem Deckmantel wurden die Kolonien gegründet und die Ureinwohner versklavt. In Ostafrika gab es sogar einen Militäroberst, der hat nur wegen eines Aufstandes mehrere Stämme in die Wüste gejagt und dort elendig verdursten lassen. Und alle die zurück gerannt kamen, die hat er niederschießen lassen. Alles Dinge, von denen heute keiner weiß oder niemand mehr wissen will, weil sie unsere heile Welt stören. Gäbe es nur ein bisschen mehr Aufklärungsarbeit, könnte eine Menge Schwachsinn vermieden werden. Würde die Gesellschaft nur mal gegen ein paar ihrer Triebe ankämpfen, das Leben sähe weit besser aus. Aber so etwas alles wird verschwiegen.“
 

Katsuya schwieg.

Nicht, dass es dazu nichts hätte zu sagen geben, aber… wo sollte er anfangen? Es hörte sich einfach nur richtig an, was Yami da sagte. Aus diesen Bedürfnissen entwuchs eine Menge Mist. Aber… „Warum haben wir solche Bedürfnisse dann überhaupt?“

Der Ältere seufzte, atmete erstmal tief ein und lehnte sich zurück. „Schon mal eine Dokumentation über Löwen gesehen?“

Der Blonde legte den Kopf schief, dachte kurz nach und schüttelte dann den Kopf. „Zumindest kann ich mich an keine erinnern.“

„Nun, wie bei allen Tieren kämpfen die Männchen gegeneinander, sobald Paarungszeit ist. Und sobald die Kinder da sind, tötet der Rudelführer bei den Löwen, das Alpha-Männchen, alle Kinder, die nicht von ihm sind. Warum machen sie das? Warum sucht sich nicht jeder Löwe eine Löwin und gut ist’s? Nun, das hat biologische Gründe. Einfach gesagt können nur die Stärksten überleben. Deswegen suchen die Weibchen sich auch die stärksten Männchen. Und um zu wissen, welche am stärksten sind, kämpfen die Löwen gegeneinander. Und am Ende werden alle Kinder getötet, die nicht vom Rudelführer sind. Schließlich ist der Rudelführer der Stärkste.“

Ging’s noch grausamer? Ein Glück, dass er kein Löwe war.

„So eine Einstellung haben eigentlich alle Tiere, einschließlich des Menschen.“

Bitte? Katsuya blickte den anderen zweifelnd bist entsetzt an.

„Nur dass viele andere die Kinder nicht töten, weil sie sonst zu wenig Population haben. Der Löwe, der allerdings nicht bedroht ist, kann so etwas machen. Der Mensch, der auch nicht bedroht ist, könnte das ebenso.“

„Das sind aber jetzt keine Destrudo-Bedürfnisse, oder?“

„Nein, wir haben eine komplett andere Gesellschaftsform. Wir leben ja nicht in Rudeln in freier Wildbahn, mit Alpha-Männchen und Paarungszeiten. Obwohl der Mensch das Programm dafür auch verinnerlicht hat. Siehe Cliquenbildung.“

… Kein Kommentar …

„Was allerdings auch bei uns als Programm drin ist, ist der Kampf gegeneinander, um den Stärksten zu finden. Bei Männern. Und bei Frauen ist es der Kampf, wer am attraktivsten für die Männer ist. Die Strukturen haben auch wir noch. Ebenso der Hang zum Töten von Schwächeren, um uns Nahrung zu beschaffen. Alles ganz sinnvolle Systeme. Aber mit der Zeit haben sich aus diesem System unsere Destrudo-Bedürfnisse entwickelt. Es gibt Destrudo-Bedürfnisse, die sind sinnvoll, denn sie dienen dem Selbstschutz und dem Überleben, sowie einem geregelten Miteinander. Aber es gibt ebenso welche, die sollte man einfach abschaffen.“

„Hm…“, der Blonde dachte kurz nach, „Wenn ich jetzt mal an Ryou denke, der war irgendwie der Auffassung, dass alles einen Sinn hat. Was sollten denn diese Bedürfnisse nun für einen Sinn haben?“

„Bin ich Gott?“, fragte Yami dagegen, „So hart es klingt, vielleicht ist der Sinn ja, dass wir uns gegenseitig ausrotten. Mal von der Natur aus gesehen, der Mensch zerstört ja irgendwo alles. Und wenn man das stoppen will, dann muss entweder der Mensch die Kontrolle richtig einrichten oder sich halt gegenseitig vernichten.“

„Das ist… brutal.“

„Wäre der einzige Grund, der mir einfällt. Aber diese ganze Sinn- und Ursachensuche in allem und jedem, das geht mir auf die Nerven. Für mich ist’s wie es ist. Ich konzentriere mich auf das hier und jetzt und wie ich mein Leben verbessern kann. Und derzeit geht es mir gut. Ende.“

„Dich interessiert Transzendenz also nicht?“

„Zumindest nicht übermäßig.“

„Das ist dann eine knappe Lebenseinstellung.“

„Kurz, bündig und ausreichend.“, fasste der Stricher zusammen, „Und jetzt musst du zur Schule.“

„Aber die Abwehrmechanismen… !“

Der Ältere hielt ihm nur die Uhr vor die Nase und meinte: „Heute Abend.“

Realität

Vorwort? Nun, es gibt wohl nicht viel zu sagen. Außer, wie ihr euch vorstellen könnt, dass Katsuya am Abend nicht bei Yami sein wird, um dessen Erklärungen anzuhören.

Wer sich für Abwehrmechanismen interessiert, ich verschicke die Erklärungen per ENS, schreibt einfach in eurem Kommentar dazu, dass ihr sie gerne hättet.

Ich wünsche ein gutes Lesen:
 

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Katsuya joggte durch die verschiedenen Straßen und Gassen des Randbezirkes Dominos.

Ein Glück, dass seine Wohnung fast auf dem Weg zur Schule lag. An seine Schulsachen hätte er gestern – oder sollte er heute sagen? – beim Weggehen gar nicht gedacht. Nun, musste er eben noch kurz zu Hause vorbei. War ja keine große Sache und massig Zeit hatte er auch. Genug Zeit zum Überlegen.

Was Yami ihm erklärt hatte, das war keine Lebenseinstellung sondern ein Menschenbild. Etwas, dass den Menschen erklärte und definierte. Mal ausgehend davon, es wäre so richtig – dann braucht jede Handlung einen Grund, der in den Trieben oder dem Unbewussten lag. Folglich musste Kaiba einen Grund haben ihn so zu behandeln. Mal angenommen also, er hasste ihn wirklich. In dem Fall wären der Hass und die Abneigung der Grund für sein Benehmen. Aber auch der Hass brauchte einen Grund. Irgendwie musste er Kaiba also verärgert haben. Und zwar nicht nur verärgert sondern wirklich zum Hassen gebracht. Und um sich den Hass eines Menschen zu verdienen musste man schon ganz schöne Scheiße bauen. Aber mal rational betrachtet – das hatte er nicht. Er hatte getan, was Kaiba wollte. Aber… der hatte auch gesagt, dass er es mochte, wenn man sich widersetzte. Aber nicht gegenüber ihm, zumindest nicht in großem Maße, wenn er ihn weiterhin richtig verstanden hatte. In dem Sinne hatte er also alles richtig gemacht. Entweder musste ihm Kaiba also von Anfang an feindlich gegenüber gestanden und den Rest gespielt haben oder Katsuya hatte etwas übersehen. Was hatte sich verändert, seit ihrem ersten Zusammentreffen und Montag? In dieser einen Woche…

Katsuya war freundlich geworden, er hatte neue Freunde gefunden und sich fast pflichtbewusst verhalten. Weil er Kaiba gefallen wollte, wie er sich eingestehen musste, aber auch weil es ihn selbst weiterbrachte. Zuerst hatte er das Bild einer lebenden Leiche gegeben, ausgezerrt von Drogen und Hunger, aschfahl mit schwarzen Augenringen und in seiner dunklen Kleidung. Was musste Kaiba über ihn gedacht haben? Nach seinen Worten musste er ihn für einen Kämpfer und Freigeist gehalten haben. Aber das war Lüge, wenn Kaiba im zweiten Gespräch ehrlich war. Und ganz rational gesehen, musste das ehrlich gewesen sein. Denn um wirklich Kämpfer und Freigeist zu sein, hatte er zu beschissen ausgehen. Nur die Kleidung und der rebellische Sinn, ja, dann vielleicht, aber nicht so. Was musste Kaiba gesehen haben? Und was hatte Kaiba zu seinem Tun bewegt? Er hatte mit seiner Rede irgendetwas erreichen wollen, ja. Man tat nichts grundlos, nur zu eigenem Zweck. Er musste ein Vorteil für sich darin gesehen haben Katsuya so etwas zu sagen. Und dass er ihn jetzt hasste, musste dann das Resultat sein, dass eben das, was Kaiba wollte, nicht geschehen war. Jetzt war nur die Frage, was er erreichen wollte. Was sollte ein Lehrer, stellvertretender Schulleiter, schön und gebildet und anscheinend auch nicht gerade arm, von einem halbtoten Neunzehnjährigen wollen? Kein Geld, das war sicher. Ob Kaiba jemanden umbringen wollte? Nicht wenige Leute hielten ihn auf den ersten Blick für einen jungen Yakuza. Das wäre schon mal eine Option. Vielleicht hatte der Brünette auch gedacht, er sei Stricher? Die Möglichkeit bestand immer bei Leuten aus seiner Gegend. Und so schlimm sah er ja nun nicht aus. Aber ehrlich, da gäbe es leichtere Wege… nein, das war ausgeschlossen. Außerdem wirkte Kaiba nicht wie der Typ für so etwas. Kaiba war hübsch genug um sich alle möglichen Männer zu leisten, wenn er sie haben wollte. Ein wirklich plausibler Grund fiel Katsuya nicht ein. Um so etwas zu bedenken, müsste er erstmal mehr über Kaiba wissen.

Er zog den Schlüssel aus seiner Hintertasche und öffnete die Tür zu seiner Wohnung.

Das wäre doch schon mal ein Anfang… er musste mehr über Kaiba herausfinden.
 

Okay, er sollte also einen Plan entwickeln. Bedürfnis sechster Ordnung – Pläne aufstellen. Zuerst einmal würde er sich Informationen über Kaiba beschaffen. Namen hatte er ja, also brauchte er noch Wohnort, Familienstand, Herkunft, direkte Verwandte, Freunde, Hobbys, Sexualität und den alltäglichen Lebensrhythmus. So weit, so gut. Das wären mal die wichtigsten Punkte. Einzige Anlaufstelle war allerdings die Schule. Die verwarten Akten über jeden Schüler wie Lehrer – gut abgeschlossen. Seinen Unterrichtsplan könnte er im Sekretariat bekommen. Yugi könnte man befragen, aber das wäre wahrscheinlich zu auffällig. Das Lehrerzimmer in seinen Freistunden oder Pausen zu beobachten wäre wahrscheinlich sinnlos, wenn man daran dachte, dass er ein Büro besaß. Und dessen Fenster waren von keinem Punkt aus einsehbar…

Irgendwie würde das schon werden.

Ob das wohl eine gute Tat war? Jemanden hinterher zu spionieren? Nicht wirklich, oder? Yami hatte gesagt, ein paar Leute sollten als Beispiele voran gehen… er war sicher kein Beispiel. Er war gewalttätig. Er setzte immer seinen Kopf durch und ging eher weniger auf andere Leute ein… bei ihm zählte nur seine Sicht. Aber war er da wirklich so schlimm? Er tratschte nicht und machte andere nicht schlecht. Okay, früher hatte er das getan, aber jetzt nicht mehr. Er konnte sich langsam auch Fehler eingestehen, selbst wenn sein Stolz dagegen stand. Obwohl… eigentlich war es ja nicht sein Stolz sondern sein Trieb. Hach… herrlich kompliziert. Eigentlich wäre es ja nicht so schlimm ein gutes Beispiel zu sein. Wenn das nicht bedeutet, dass man tugendhaft sein soll, sondern nur, dass man nicht lasterhaft sein darf… irgendwie erinnerte das an die zehn Gebote. Da stand auch nicht, was man tun sollte, sondern nur, was man nicht tun sollte. Wie gingen die noch gleich? Nicht töten, nicht lügen, nicht stehlen… und noch irgendetwas. Aber ganz so sinnvoll waren sie auch nicht wirklich. Vielleicht sollte mal jemand neue Gebote erfinden? Man könnte mal Yami fragen. Und dann konnte man mit gutem Beispiel voran gehen.

Einer predigte und alle folgten ihm nach… erinnerte doch sehr an die Bibel.

Ob in diesen Geboten wohl stand, dass man anderen nicht nachspionieren sollte?

Egal, er brauchte die Infos. Es geht vor Über-Ich. Triebe vor Moral. Es schadete doch keinem, oder?

Als gutes Beispiel vorangehen konnte er auch später noch.

Er griff nach seinem Block und dem Füller und wandte sich wieder zum Flur.
 

„Kaschuya?“

Oh nein…

„Bis’ du dasch?“

Was hatte der denn intus, dass er auf einmal lallte? Schnell weg.

„Heh?“, der Betrunkene lehnte sich aus der Wohnzimmertür und packte Katsuya am Oberarm.

„Lass mich los.“, befahl dieser kalt.

„Hall die Klappe!“, Herr Jonouchis freie Hand schlug gegen Katsuyas Brust und ließ ihn so einen Schritt zurück machen, während der Ältere sich vor ihn stellte, „Wo warschu heu’ nach’?“

„Bei einem Freund.“

„Vöscheln, eh?“, er stützte sich an seinem Sohn mit einer Hand auf der Schulter, „Warse gut?“

„Ich muss zur Schule.“, erwiderte der Jüngere und versuchte an dem anderen vorbei zu kommen.

Doch der schlang einen Arm um ihn und schob ihn zurück, bevor er weiter sprach und Katsuya dabei seinen scharfen alkoholischen Mundgeruch ins Gesicht blies. „Isch hab’ disch was gefrascht…“

„Ich habe mit niemandem geschlafen und jetzt lass mich gehen!“

„Keen Weib?“, er versuchte die Augenbrauen hochzuziehen, doch das führte nur dazu, dass er blinzeln musste, „Aber du brausch en Weib.“

„Deine Frau ist dir weggerannt.“, stellte Katsuya ziemlich nüchtern fest.

„Willschu ’ne Mutda?“

„Nein, danke, ich verzichte.“, sagte Katsuya fast höflich, „Meine Schwester hätte ich gerne wieder.“

„Du wilsch ’eine Schweschter vöscheln?“

„Nein, verdammt!“, schrie der Jüngere, „Ich will jetzt zur Schule! Lass mich gehen!“

„Aber isch will reden.“, meinte Herr Jonouchi wie verwirrt.

„Ich aber nicht! Wir können reden, wenn du nüchtern bist!“

„Aber isch bin nüschtern…“

„Dann guck mal ins Wohnzimmer, was du heute schon gesoffen hast!“

„Isch hab’ nisch getrunken…“, sein Kopf drehte sich ein wenig in Richtung des Wohnzimmers, „Nur scho’n paar Flaschen…“

„Reden wir, wenn du gar nichts getrunken hast. Und das für mindestens drei Tage.“, legte Katsuya fest.

Ordnung musste sein. Regeln mussten sein. Gesetze auch. Ohne ging nichts. Irgendwie war das Ganze immer logischer. Man brauchte eben nur ein gutes Beispiel. Tja, wenn nur einer vorangehen würde…
 

„Drei Tahsche?“, wiederholte Herr Jonouchi.

„Ja, drei Tage. Drei Tage keinen Alkohol. Gar keinen.“

Der Ältere stellte sich auf und guckte etwas über Katsuya hinweg. Er kratzte sich an seinem Drei-Tage-Bart, als würde er angestrengt nachdenken.

Der junge Blonde blieb stehen und wartete auf eine Antwort. Oder… irgendein Zeichen, dass sein Vater ihn verstanden hatte.

Und das kam.

Als Schlag.

Mitten ins Gesicht.

Katsuya taumelte rückwärts.

„Dschu…“, knurrte der Betrunkene, „Dschu hasch nischts schu schagen!“

Dessen Linke krallte sich in des Jüngeren T-Shirt, sein Ellbogen drückte sich in den Bauch, ein weiterer Faustschlag fuhr auf Katsuya nieder.

„Nischts!“

Ein Schlag mit dem Handrücken, er wurde nach hinten gedrückt, die Linke traf ihn ebenfalls.

Katsuya hustete, beugte sich etwas vor und zog einen Arm vor den Kopf.

Eine Faust traf seinen Magen.

Er keuchte, hustete, krümmte sich.

Eine Hand packte seinen Kopf, zog diesen an den Haaren zur Seite und schlug ihn gegen die Wand – die, modrig wie sie war, etwas nachgab.

Katsuya versuchte die Augen zu öffnen, doch alles verschwamm vor seinen Augen. Er spürte seine Knie auf dem Boden.

Die Hand löste sich, schlug als Faust gegen seine Wange.

Seine Stirn prallte wieder gegen die Pilzschicht.

Er kippte zur Seite weg, Rücken gegen die Wand, zog instinktiv Arme und Beine an.

Ein Tritt traf nur das Unterbein.

Der nächste von oben traf in seine Seite.

Nicht wimmern… nur nicht wimmern.

Die Schuhspitze traf zwischen seinen Armen und kratzte über die Haut.

Kein Laut…

Katsuya kniff die Augen zusammen.

Dieselbe Spitze tippte fast sanft seinen Kopf an.

Der Blonde zuckte und zog so leise wie möglich die Luft ein.

Die Sohlen standen still, entfernten sich dann.

Ende.

Die braunen Augen folgten durch ihr Versteck mit dem Blick den Schuhen, die aus dem Sichtfeld verschwanden.

Die Tür des Wohnzimmers schlug zu.

Die Gliedmaßen erschlafften. Eine Hand Katsuyas strich über dessen Stirn und der Schmerz durchzuckte ihn wieder. Verdammt…

Tränen bahnten sich ihren Weg.

Nur einer. Wenn nur einer… ein einziger… nur ein einziger…

Der Blonde schloss die Augen.
 

Ein Schritt.

Ein weiterer Schritt.

Katsuya stützte sich an der Wand und setzte einen Fuß vor den anderen.

Seine freie Hand drückte er fest auf seine Stirn.

Ein Schritt.

Noch ein Schritt.

Tränen rannen aus seinen Augen.

Es tat weh. Es tat so verdammt weh.

Schritt.

Schritt.

Schmerz.

Schritt.

Sein Atem ging schwer.

Sein Bauch krampfte.

Seine Kiefer brannten.

Sein Nacken…

Kopfschmerzen.

Schritt.

Ein Schritt.

Weiter – immer weiter.

Jemand ging an ihm vorbei, hielt Abstand, wandte den Blick ab.

Noch ein Schritt.

Sein Blick blieb gesenkt.

Schritt.

Der Boden wurde dunkler.

Seine gesamte Sicht…

Schritt.

Er griff nach der Klinke vor sich.

Lasse es die Richtige sein…

Schritt.

Alles schwarz.

Er fiel vornüber.

Den Aufschlag spürte er nicht mehr.

Ein einziger…

Dimension skip

So, das nächste Kapitel ^.^ Nur eine einzige hat richtig geraten, wo Katsuya ist.

Nun, ich habe überlegt, dass Kapitel ab jetzt eine Mindestzahl von 1500 Wörtern haben müssen. Kleines Entgegenkommen ^.- Ansonsten wünsche ich euch viel Spaß beim Lesen.

Kleines Geschenk: Kaiba is back ^.-
 

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Frau und Herr Jonouchi standen in der Balkontür, sie rauchend, er sich gegen den Rahmen lehnend. Katsuya lag auf dem Sofa, beobachtete die beiden.

Wo war Shizuka?

Wenn alle beisammen waren, dann war der fünfjährige Wusel doch nie weit.

Sie waren schließlich fast nie zusammen.

„Halten sie einen Krankenwagen nicht für angemessen?“, fragte der blonde Mann.

„Er hatte schon Schlimmeres. Wir sollten warten, bis er aufwacht.“, erwiderte die Rauchende.

Seine Eltern siezten sich? Und warum einen Krankenwagen? War etwas mit seiner Schwester? Oder… wer war „er“?

„Meinen sie, er hat sich geprügelt?“

Oh… er selbst war gemeint. Wieso sollten seine Eltern einen Krankenwagen rufen?

Er versuchte sich aufzurichten, doch sein Körper bewegte sich nicht.

Was war denn nun los?

„Oh, er scheint wach zu werden.“

Sein Vater sah ihn an.

Und alles wurde schwarz.

Katsuya blinzelte. Da lag eine Decke über ihm und jemand saß an der Erhöhung, auf der er lag. Und weiter hinten stand eine weitere Person. Das war definitiv nicht das Wohnzimmer. Außerdem waren seine Eltern doch geschieden. So etwas musste Jahre her sein. Nein, er war… in der Krankenstation.

Er riss die Augen auf und wollte aufstehen.

Kaiba.

Eine Hand drückte ihn hart in die Kissen.

Katsuya wimmerte, worauf sich die Hand sofort löste. Ganz waren diese Schürfwunden wohl auf noch nicht verheilt. Er wollte die Stirn in Falten legen, doch es fühlte sich an, als wäre er geradewegs gegen eine Mauer gerannt. Schön war es, wenn der Schmerz zurückkehrte…

„Hey, ganz ruhig…“

Was machte Kaiba hier?

„Lassen sie mich das machen.“, bestimmte eine weibliche Stimme, der Brünette wurde aus seinem Sichtfeld gezogen und eine Person beugte sich über sich.

Das musste Isis sein. Ja, jetzt erkannte er sie auch.

„Kannst du sprechen?“

Katsuya murmelte mit geschlossenen Lippen eine Bestätigung.

„Weißt du, wo du bist?“

„Hm…“

„Weißt du, wer ich bin?“

„Hm…“

„Nenn mir deinen Namen.“

„Kaschya…“

„Sollen wir gehen und dich in Ruhe schlafen lassen?“

Warum? Weil sein Kopf dröhnte? Weil allein das Liegen schmerzte, dass er eigentlich schreien könnte? Weil erst jetzt langsam alles wirklich Konturen annahm?

„Moment…“, sprach er etwas klarer und deutete an sich aufrichten zu wollen.

Isis gab ihm eine Hand zum Halt und ordnete sein Kissen, sodass er sich zumindest im Halbliegen befand.

Was machte Kaiba hier?
 

„Bist du jetzt geistig anwesend?“

„Ja.“, antwortete Katsuya zwar leise, aber bestimmt.

„Soll ich leiser sprechen?“

„Bitte…“

Sie senkte die Stimme so weit, dass er sie noch gerade verstehen konnte. „Bevor ich dir alles erkläre, muss ich kurz ein paar Tests machen, ja?“

Er schloss einmal kurz die Augen als Bestätigung.

Es war als würde jemand stetig mit einem Hammer auf seinen Kopf einschlagen.

„Okay.“, sie hob ihre Hand, „Wie viele Finger siehst du?“

„Was soll’n das?“, murmelte er statt einer Antwort.

„Mit dem scheint alles in Ordnung.“, stellte Kaiba trocken aus dem Hintergrund fest.

Isis warf einen Blick zur Seite – sah er falsch oder waren ihre Augen gerade sehr eisig?

„Ich weiß, dass das komisch wirkt, aber ich muss eben ein paar Dinge überprüfen. Wir können eine Gehirnerschütterung nicht ausschließen, also mach bitte mit. Ich werde jetzt einige Punkte deines Körpers berühren und du sagst mir bitte, wo das ist.“

Na, solange Kaiba das nicht tat…

Sie drückte erst in seine Seite, kniff ihm dann ins Bein, quetschte seine Haut zwischen Daumen und Zeigefinger, zwickte einen Zeh und legte zuletzt ihre kalten Hände in seinen Nacken – das einzige, was irgendwie gut tat.

„Ich sollte jetzt traditionell auch deine Reaktionszeiten überprüfen, aber es hört sich sehr danach an, als wäre dir nichts allzu Schlimmes passiert.“, Isis nahm ihre Hände wieder fort und zog sich einen Stuhl heran, „Ich werde jetzt noch Puls und Blutdruck messen und dir in die Pupillen schauen und dann bist du erlöst.“

Musste das alles vor Kaiba sein?

Sie griff sich seinen Arm, legte einiges an ihn an und wieder ab, schrieb einige Dinge auf ein Blatt Papier auf einem kleinem Tisch neben dem Bett, überprüfte seine Augen und schien die Untersuchung damit zu beenden.
 

„Ich will ja nicht unhöflich sein…“, begann Katsuya irgendwann, „Aber was macht Herr Kaiba hier?“

„Stehen.“, antwortete jener kühl, „Weil alle anderen Stühle hier festgeschraubt sind.“

„Ich habe ihn geholt.“, erklärte Isis, „Du kamst ja wie aus dem Nichts hier herein und bist mir direkt in die Arme gekippt. Ich muss sagen, ich war geschockt im ersten Moment. Ich hatte erst Angst, du hättest innere Blutungen oder schwere Gehirnschäden. Nachdem ich aber durch kurze Untersuchungen feststellte, dass keine gravierenden Schäden vorliegen, habe ich dich notdürftig versorgt. Normalerweise würde ich danach sofort die Familie rufen, aber…“, sie stockte, „Nun, zumindest habe ich Kaiba geholt.“

Aha… war Kaiba schon Familienmitglied… na, Prost auf.

„Und jetzt?“, fragte der Blonde.

„Wir überlegten, ob wir dich ins Krankenhaus bringen sollten. Dich dort professionell untersuchen zu lassen, wäre weit besser.“

„Nein.“, antwortete er schlicht, „Das wird keiner zahlen.“

„Normalerweise dürftest du dich hier auch nicht behandeln lassen.“, warf Kaiba ein, „Die Krankenstation ist für Schulunfälle da.“

„Eine Krankenstation ist da, um Kranken und verwundeten Schülern zu helfen. Und mir ist egal, woher er seine Verletzungen hat.“, hielt Isis dagegen und stand auf, um Katsuya zur Not verteidigen zu können, „Und ich bin mir sicher, dass er sie nicht freiwillig hat.“

„Das kann sie ihren Job kosten.“, reagierte der Blauäugige sofort, „Das habe ich ihnen bereits beim letzten Mal gesagt.“

„Was soll ich denn bitte tun? Ihn abweisen?“

„Nein, aber wir können ihn nicht auf Kosten der Schule behandeln lassen.“

„Und wer soll es zahlen? Eine Spendenorganisation für die vom Staat allein Gelassenen? Für Katsuya müsste selbst die Welt-Hunger-Hilfe noch zahlen! Er kann sich ja nicht mal etwas zu Essen leisten. Wenigstens seine Wunden sollte man versorgen.“, Katsuya griff nach ihrer Hand und zog sie nach unten – sie sollte aufhören.

„Er fällt doch eh nur zur Last. Dem Staat und meinen Nerven am schwersten.“

„Wie können sie so etwas sagen!“, zischte die Schwarzhaarige scharf.

„Bitte…“, ging Katsuya dazwischen, „Mein Kopf platzt…“

„Entschuldige…“, sie strich ihm einige Strähnen aus dem Gesicht ohne seinen Kopf zu berühren, „Ich kann dir leider keine Medizin geben, das würde dein Kopf jetzt nicht vertragen. Und Schmerzmittel will ich dir nur ungern verabreichen.“

„Was ihnen nebenbei auch gar nicht erlaubt ist.“, mischte sich Kaiba wieder ein.

Isis richtete ihren Blick langsam von Katsuya zu dem Lehrer, kniff die Lippen erst zusammen und flüsterte dann – eisig wie Blauauge es nur schwer konnte – zu ihm: „Sie würden auch noch einem fast Erfrorenem die Tür vor der Nase zuschlagen, nicht wahr?“

„Natürlich.“, erwiderte der Brünette, „Wenn jemand in der Kälte frieren muss, dann hat er es eh zu nichts gebracht und wird es auch in Zukunft nicht. Da kann er mir meinetwegen draußen bleiben. Wer nichts wert ist, der gehört auch nicht in dieses Land. Ist etwas kaputt, dann sollte man es auch wegschmeißen. In jedem Supermarkt kann man ein neueres Modell kaufen. Mit Menschen ist es da bei weitem nicht anders.“

„Sie sind ein Unmensch.“, warf die Frau ihm vor.

„Mag sein.“, er zuckte mit den Schultern, „Ich habe sie nicht gebeten mich zu mögen.“, er dreht sich zur Tür und ging, „Außerdem hat mich das jetzt bereits eine ganze Stunde gekostet. Das ist völlig unverantwortlich den Schülern gegenüber. Guten Tag.“
 

Isis starrte ihm mit hasserfülltem Blick hinterher.

„Er hat keinen Respekt vor dem Leben…“, murmelte sie.

Katsuyas Pochen im Kopf wurde weniger und die ersten klaren Gedanken ließen sich wieder schmerzfrei führen. „Vielleicht ist er menschlicher als viele… er hat schon Recht. Wer nichts kann, aus dem wird auch nichts und er fällt allen anderen nur zur Last. Vielleicht ist das nicht unbedingt eine humane und soziale Einstellung… aber eine menschliche. Vernunftbezogen und ökonomisch gesehen wohl auch eine weit Bessere als die humane… wenn man das mit seinen Gefühlen in Einklang bringen kann – dann ist es eine sinnvolle Einstellung.“

„Du willst ihm doch wohl nicht Recht geben, oder?“, fragte ihn die Ältere fast entsetzt.

„Ich weiß zurzeit gar nix…“, er schloss die Augen, „Könnte ich ein Kühlpaket in den Nacken haben?“

„Natürlich.“, sie ging zu dem kleinen Kühlschrank, in dem die Pakete und weitere Medikamente lagerten, „Du hast sicher starke Kopfschmerzen, nicht wahr?“

„Ja.“

„Wie geht es dir ansonsten? Ist dir übel? Hast du Schmerzen in deinen Gliedmaßen?“

„Nur die Haut tut weh… und Magen, da hab ich einen Schlag hinbekommen. Aber Übelkeit is’ nich’.“

„Na, das hört sich ja schon wieder ganz nach meinem Lieblingspatienten an.“, sie lächelte ihn an, „Gibt es sonst irgendwelche Verletzungen, die ich noch nicht kenne?“

Sogar Katsuya rang sich ein Lächeln ab. „Wäre das hier ein Kitschfilm, würde ich sagen, mein Herz schmerzt.“

„Das sagt man aber, wenn man Frau Doktor verführen will. Außerdem ist das ein ganz schlechter Spruch.“, witzelte sie.

„Echt? Ich habe ein paar solcher Filme als Kind gesehen. Fiel mir nur gerade ein.“

„Katsuya…“, sie setzte sich wieder, „Sag mal… war es eine gute Idee deine Eltern nicht anzurufen?“

„Wir haben eh kein Telefon.“, erwiderte der Blonde.

„Entschuldige, dass ich Kaiba geholt habe. Ich war nur ein wenig verzweifelt, ich war noch nie in so einer Situation… und das, obwohl ich schon so lange im Beruf bin.“, sie drückte seine Hand kurz.

„Schon okay… ich weiß eh nicht weiter. Er hasst mich. Daran wird sich wohl eh nichts ändern.“

„Letzte Woche konnten wir noch scherzen.“, stellte sie etwas traurig fest.

Ja, letzte Woche hatten sie wirklich scherzen können. Bevor Kaiba ihn zerschmetterte. Was war denn auf einmal los mit ihm? Er wollte doch Kaibas Anerkennung zurückgewinnen… wenn er sie je hatte. Aber es war alles so sinnlos. Vielleicht sollte er wirklich aufgeben. Kaiba war einfach nicht der Typ…

Was dachte er da? Hatte Ryou ihm nicht lang und breit genug einen Vortrag gehalten, dass man seine Ziele nicht einfach aufgeben und resignieren darf? Dass man mit aller Härte alles versuchen musste, bis man wirklich alles getan hatte? Er hatte diese Einstellung gemocht. Ja, sie hatte ihn bewegt. Und das war einer dieser Punkte gewesen, die er behalten wollte.

Er gab doch sonst nie auf! Seit Jahren kämpfte er, egal, wie utopisch das Ziel war. Und jetzt bei Kaiba aufgeben? Nur weil es schwer war und es tausend Hürden gab? Nie und nimmer! Seinen Schlachtplan hatte er doch erstellt. Daran sollte er festhalten. Und diese marginalen Blessuren würden ihn ja wohl auch nicht davon abhalten. Was waren schon Kopfschmerzen? Er hatte Größeres zu erledigen.

Er blickte Isis tief in die Augen und sprach mit fester Stimme: „Das werden wir morgen auch schon wieder können.“

Daruma

Erklärung: Darumas sind Figuren aus Pappmache. Man malt ihnen ein Auge, wenn man sich etwas wünscht und das Zweite, wenn man es erreicht hat. Das Interessante an Darumas ist, dass sie sich immer wieder aufstellen, egal wie man sie umwirft, weil sie in ihrem rundlich geformten Boden ein Gewicht verankert haben.
 

Ich möchte mich einfach noch einmal mit einem Dank zu Wort melden. 200 Kommentare... wenn ich das sehe, da könnte ich vor Freude gleich aufspringen. Schon über 30 Kapitel haltet ihr mich schon aus und das Ende ist noch lange nicht in Sicht ^.- Und wenn ich daran denke, was ihr mir schreibt, wie ernst ihr diese Geschichte nehmt und was für Gedanken ihr habt - da kann ich nur Danke sagen. Ich bin gerührt... hach, ja, das wollte ich nur mal loswerden. Viel Spaß beim Lesen ^.-
 

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Katsuya blinzelte und schlug langsam die Augen auf.

Das Erste in seinem Blickfeld war die weiße Decke. Das Zweite der brünette Haarschopf. Das Dritte waren blaue Augen. Und das Vierte… halt, er sollte bei den Augen bleiben.

„Wieder unter den Lebenden?“

„Ich spüre meine Kopfschmerzen zurückkehren.“, giftete er dagegen.

„Wie unschön, ich hatte schon Hoffnung, dass du nicht wieder aufwachst.“

„Hätten sie die, dann hätten sie zu radikaleren Methoden greifen müssen. Obwohl auch ihre Anwesenheit schon eine beachtliche Lebensbedrohung darstellt.“

„Ja, ich dachte, du stirbst vor Schrecken. Obwohl auch dein Erkennen meiner Person schon eine beachtliche Leistung darstellt.“

„A-“, er verstummte, als Isis den Raum betrat.

„Sie haben ihn doch nicht geweckt, oder?“, fragte sie den Lehrer sofort, als sie den Jüngeren bemerkte.

„Das ist für mich nur nachteilig.“, bemerkte Kaiba nur, ohne sie auch nur anzusehen, „Schließlich fletscht er schon wieder die Zähne.“

„Ich beiß auch gern.“, knurrte der Blonde.

„Ich weiß.“, erwiderte Kaiba kühl.

Isis stockte in der Bewegung und sah beide stumm an.

„Was soll das wieder heißen?“, fragte Katsuya gereizt.

„Kleine Hunde laufen gerne im Kreis um ihr Hinterteil zu schnappen. Genau wie du.“

Er setzte sich mit einem Ruck auf, ignorierte seinen Schwindel und lehnte sich zu dem Brünetten: „Erstens: Ich bin kein Hund. Und sie wollten mit diesem blöden Hundegeschwafel aufhören, wenn ich sie freundlich erinnern darf. Zweitens: Ich laufe nicht im Kreis. Sie haben überhaupt keine Ahnung von meinem Leben. Und drittens: Wäre ich nicht verletzt und sie nicht stellvertretender Schulleiter und Lehrer in zwei meiner Fächer, sie hätten mit Garantie bereits meine Faust im Gesicht kleben.“

„Beste Bedingungen für eine funktionierende Kommunikation.“, urteilte Kaiba, „Schön, dass du deinen Platz schon mal erkannt hast.“

„Hätte ich keine Kopfschmerzen, mir würde sicher eine passende Beleidigung einfallen.“, knurrte Katsuya und legte sich zurück auf die Matratze.

„Freut mich, dass du deine Inkompetenz selber einsiehst.“

„Es wird ihre einzige Freude bleiben.“, er drehte sich auf die Seite, damit er aus dieser Position besser mit Kaiba streiten konnte – auch wenn sein Kopf heftig dagegen protestierte.
 

„Ich hoffe sie wissen Katsuya zu schätzen.“, warf Isis ein, „Er dürfte der einzige Mensch sein, der ihre Launen aushält.“

„Aber Yugi hält es auch mit ihm aus.“, stellte er klar, als Kaiba selbst nicht antwortete.

„Es ist nicht so als würde ich deiner Verteidigung bedürfen.“, zischte dieser ihn an.

„Ich sollte mich geehrt fühlen, weil sie mir antworten, oder? Dass sie sich zu so etwas herablassen.“

„Du bist einfach ein notorischer Störfaktor.“

War das ein verhaltenes Lob?

„Und man sollte immer bedenken, was du sonst mit deinen Aggressionen anstellst.“, er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust, während er ein Bein über das andere legte, „Sonst muss ich Isis wirklich kündigen.“

„Wenn ich sie schlagen darf, nur heraus damit…“, zischte Katsuya.

Wehe, er tat der Dame irgendetwas, nur weil sie ihm, dem Köter, half!

„Ich denke um handgreiflich zu werden, bist du gerade in der falschen Verfassung.“

„Sagen sie nicht, sie würden sich Sorgen machen.“, meinte der Blonde sarkastisch.

„Ich hatte es nicht vor.“, der Ältere wandte den Blick ab und sah durch das Fenster nach draußen.

Katsuya folgte der Richtung mit seinen Augen.

Es war dunkel.

Das hieß, es musste schon richtig spät abends sein! Neun Uhr vielleicht. Wie lange hatte er bloß geschlafen?

„Es ist kurz vor zehn.“, antwortete die Medizinerin auf seine nicht gestellte Frage.

„Machen sie nur wegen mir Überstunden?“, fragte Katsuya leise nach und zog den Kopf ein.

„Nein.“, antwortete Kaiba um ihr das Wort abzuschneiden, „Es steht so in der Schulordnung, dass sie dich nicht alleine lassen darf.“

Isis warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

„Und sie?“, wandte sich der Blonde an seinen Klassenlehrer, „In der Schulordnung steht sicher nicht, dass der stellvertretende Schulleiter wegen einem Verletzten da bleiben muss.“

„Ich passe auf Frau Ishtar auf. Nicht, dass du ihr noch etwas antust.“

„Wieso sollte ich ihr etwas antun?“, Katsuya legte trotz Schmerzen die Stirn in Falten.

Das meinte er doch nicht ernst, oder?

„Dir und deinesgleichen traue ich alles zu.“, zischte der Brünette mit einem vernichtenden Blick in den Augen.

Darauf herrschte Schweigen.

Isis schüttelte den Kopf und setzte sich in den Untersuchungsstuhl, Katsuya sah zu Kaiba, dieser aus dem Fenster.
 

„Es ist zehn Uhr.“, bemerkte die Medizinerin mit einem Blick auf ihre Uhr.

„Sie dürfen wegen mir nicht nach Hause gehen, nicht wahr?“, fragte der Blonde.

„Schon in Ordnung.“, sie lehnte sich zurück und schloss die Augen.

Kaiba seufzte.

Katsuya senkte den Blick.

„Hast du irgendein Zuhause? Eine Wohnung oder so etwas?“

Er sah auf in blaue Augen. „Schon…“

„Aber?“

Aber da würde er nie wieder lebend rauskommen.

Er zog die Decke bis zu seiner Nase hoch.

„Irgendein Freund, bei dem du unterkommen kannst?“

„Einer…“, nuschelte er in das Wollstück.

„Hast du eine Nummer von ihm?“, der Lehrer zog ein Handy aus seinem Hemd.

Der Blonde warf die Decke ein wenig zurück und setzte sich auf. „Darf ich?“

„Sonst würde ich es dir kaum geben.“, Kaiba verdrehte die Augen kurz.

„Danke…“, der Jüngere nahm es an sich, tippte Yamis Nummer ein und hielt es an sein Ohr.

Nach dem dritten Klingeln meldete sich eine mechanische Stimme: „Hier der Anrufbeantworter von Yami Muto. Wenn sie-“

Katsuya legte auf. „Er ist nicht zu erreichen…“

Seufzend gab er dem Älteren das Gerät zurück.

Hätte er sich auch denken können. Das war Yamis „heiße Zeit“ – zwischen zehn und elf Uhr waren seine Preise am höchsten. Es wäre auch ziemlich ungewöhnlich gewesen, wenn er da war. Obwohl… eigentlich hatte sich Katsuya ja für diesen Abend angekündigt. Was, wenn Yami nach ihm suchte, weil er nicht da war? Dann war er sicher bei Hiroto. Nein, konnte nicht sein… Hiroto arbeitete bis elf. Ob er bei dem übernachten könnte? Ach nein, es war Donnerstag. Da hatte er länger Schicht. Er könnte ja vor seiner Tür warten.

„Ich kann zu einem Freund gehen.“, sagte Katsuya, „Der kommt sicher kurz nach Mitternacht wieder, dann kann ich da bleiben.“

„Wo wohnt er?“, fragte der Brünette nach.

„Bezirk neunzehn-zwölf.“

„Neunzehn-zwölf? Das ist doch eines dieser Sozialhilfegebiete, wo man nicht mal mehr Straßennamen erfunden hat, oder? West End.“

„Ich wohn’ da auch.“, knurrte der Braunäugige, „Der Typ ist mein Nachbar.“

Kaiba musterte ihn stumm.

„Was?“

„Nun…“, er wandte den Blick ab, „Ich wurde nur gerade an etwas erinnert.“

„Was denn?“, fragte Katsuya etwas freundlicher. Immer schön Infos sammeln…

„Das geht dich einen Scheißdreck an.“, zischte der Brünette gereizt.

Isis riss die Augen auf und starrte auf seinen Rücken.

Er verschränkte nur die Arme wieder und warf der Fensterscheibe giftige Blicke zu.
 

Katsuya seufzte, fühlte nach der Beule an seinem Kopf, ließ seinen Blick auf die Decke gleiten, schlug die zurück und stand von der Liege auf.

„Willst du nicht liegen bleiben?“, fragte die Krankenschwester besorgt und stand auf um den Jungen bei Not zu stützen.

„Nein.“, er sah an sich herab, „Wo sind mein T-Shirt und meine Jacke?“

Sie zeigte auf den Kleiderständer am Ende des Bettes.

Während Katsuya sich einkleidete, fragte er: „Kann ich etwas Paracetamol haben?“

„Ich…“, Isis seufzte, „Ich gebe dir etwas Saft.“

„Danke.“

„Wo willst du hin?“, mischte sich Kaiba ein.

Gute Frage. Yami kam frühmorgens gegen vier Uhr wieder. Hiroto wäre wahrscheinlich gegen Mitternacht zuhause. Ob er wohl zu Ryou gehen dürfte? Bakura würde ihm den Hals umdrehen, aber… er hatte Katsuyas Anerkennung. Das hieß, er musste Stolz und Ehre kennen. Man schlug geprügelten Hunden nicht die Tür vor der Nase zu – solange man nicht Kaiba war. Und es gab ja auch noch Ryou, vielleicht würde er ein gutes Wort für ihn einlegen. Katsuya wusste zwar noch nicht, wie er das wieder gut machen sollte, aber da würde sich schon eine Gelegenheit ergeben.

„Zu Ryou.“, antwortete der Blonde also nach einer halben Ewigkeit, als er sein Nitenhalsband schloss.

Der Brünette schwieg.

Isis währenddessen hielt Katsuya bereits ein Messgefäß mit Paracetamol hin, welches er auch sogleich trank.

„Vielen Dank, dass sie extra wegen mir hier geblieben sind.“

Sie schenkte ihm ein Lächeln.

Aus dem Augenwinkel beobachtete der Braunäugige wie Kaiba sein Jackett anzog und hinter ihm vorbei zur Tür ging, diese öffnete und mit der Hand noch auf der Klinke stehen blieb und einen Blick über die Schulter warf.

„Kommst du?“

Katsuya blinzelte. War er jetzt gemeint, oder…?

„Nicht-Hündchen, leg einen Zahn zu. Ich will auch endlich nach Hause.“

„Ähm… ich bin gemeint, oder?“, fragte er mal treudoof nach.

Kaiba verdrehte die Augen. „Zum Mitschreiben: Wenn dir auf dem Weg etwas passiert, kriegt unser Schwesterchen hier einen Nervenzusammenbruch. Also fahre ich dich. Ryous Wohnung liegt eh auf meinem Weg.“

„Sie wissen, wo er wohnt?“, fragte der Blonde mit in Falten gelegter Stirn nach.

„Zumindest seine Adresse ist in den Schulakten verzeichnet.“, der Lehrer ließ sie Klinke los und ging.

„Abend noch!“, rief Katsuya schnell der perplexen Isis zu und rannte seinem Lehrer hinterher.
 

„Echt, du machst einen Ärger…“, murrte der Brünette, während er seinen Wagen startete.

„Sie müssen mich nicht fahren…“

„Alles andere verbietet mir die Ehre.“

Katsuya senkte den Kopf, beobachtete wie der Ältere anfuhr, den Gang wechselte und das Radio ausschaltete. Schöne Hände hatte er. Kräftig und groß, wenn auch ein wenig sehnig an den Fingern. Gefeilte Fingernägel… welch ein Perfektionismus. Wetten, er benutzte Handcreme?

„Was denkst du dir dabei dich derartig zusammenschlagen zu lassen?“

„War sicher nicht meine Entscheidung…“, meinte Katsuya verärgert, lehnte sich zurück und sah aus seinem Fenster.

„Wehr dich doch. Von mir lässt du dich schließlich auch nicht zusammenstauchen.“

„Kann ich nicht!“, knurrte Katsuya.

Warum redete er unbedingt darüber? Warum? Es tat weh, verdammt! Von allen Themen dieser Welt, warum unbedingt dieses?

„In deiner Akte steht, du lebst mit deinem Vater zusammen.“

„Könnten wir dieses Thema bitte beenden?“, fragte der Blonde mit gequältem Unterton und bittendem Blick.

„Sicher?“

„Wenn ich drüber reden will, sag ich Bescheid.“, er wandte sich wieder dem Fenster zu.

Wenn er mit jemandem reden würde, dann sicher nicht mit diesem Individuum, das da neben ihm saß! Aber das sollte er Kaiba nicht an den Kopf werfen. Trotz allem war es ja irgendwo schon nett, dass er – wenn auch auf sehr brutale Art und Weise – nachfragte.

Für die Länge von drei Ampeln herrschte Stille.

„Warum wehrst du dich nicht?“, fragte der Brünette leise, ja, fast vorsichtig, nach.

Katsuya seufzte, schloss die Augen, lehnte die Stirn gegen die kalte Fensterscheibe.

„Wieso denn?“, flüsterte er, öffnete die Augen einen Spalt und schlang die Arme um den Körper, „Was bringt mir das?“

Kaiba schwieg und schaute unentwegt auf die Straße.

„Noch mehr Schmerzen…“, eine Träne lief seine Wange entlang und der Rest war nur noch ein Wispern, kaum mehr als ein Windhauch, „Ich habe Angst…“

„Angst…“, wiederholte der Fahrer leise.

Katsuya drückte sich tief in seinen Sitz, legte das Kinn auf die Brust und warf Kaiba einen schnellen Blick zu.

Dessen Miene war vollkommen emotionslos.

„So was wie du schreckt doch sonst vor nichts zurück.“, stellte er mit einem unterkühlten Unterton fest und sandte der Straße einen bösen Blick, „Aber wenn es an deine Haut geht, bekommst du es mit der Angst zu tun?“, er rümpfte die Nase, „Das ist jämmerlich.“

Der Blonde zog wie unter Schmerzen die Augen zusammen, schwenkte den Kopf ein Stück zur Seite als hätte man ihm eine Ohrfeige verpasst und kniff die Lippen zusammen.

Kaiba stieß die Luft in einem Zug durch die Nase aus.

„Das ist grausam…“, flüsterte der Jüngere.

„Das ist ehrlich.“
 

Katsuya schwieg, während der Lehrer den Wagen unterhalb des Wohnblocks parkte, in dem Ryou lebte. Waren sie also wirklich angekommen…

Der Blonde seufzte.

„Wenn du etwas zu sagen hast, tu es.“, meinte Kaiba nur, wartete einen kurzen Moment und stieg dann aus. Mit der Eile, mit der er auch sonst durch die Gänge der Schule schritt, ging er zur anderen Seite des Wagens und öffnete Katsuya die Tür, „Kommst du mal endlich?“

„’Tschuldigung…“

Er stieg aus, folgte Kaiba zur Tür, beobachtete, wie dessen schönen Finger die Reihe der Anwohnernamen abfuhr und klingelte, stieg hinter ihm die Treppe hinauf, nachdem man sie durch Freizeichen eingelassen hatte und übernahm dann selbst die Führung.

Allerdings war es Kaiba, der oben gegen das Holz klopfte.

Ein Vorhängeschloss und darauf die Tür wurden geöffnet – und eine Pistole dem Brünetten an die Stirn gedrückt.

Katsuya stolperte einen Schritt zurück, der Ältere blieb regungslos.

„Und sie sind?“, knurrte eine tiefe Stimme.

„Bakura!“, rief der Blonde erschrocken und stellte sich neben Kaiba, der den Kleineren vor ihm mit einem eiskalten Blick durchbohrte.

„Was machst du Penner hier?“, kam die Rückfrage, „Und wer ist das?“, er nickte zu dem Ältesten, den er immer noch das Ende des Pistolenlaufs gegen den Kopf drückte.

„Kaiba.“, meinte dieser kühl.

„Ryous und mein Klassenlehrer.“, erläuterte Katsuya hastig.

„Eine Freude mit ihnen Bekanntschaft zu machen.“, sagte Bakura gehässig, „Ich dachte, sie erst beim Elternsprechtag kennen zu lernen.“

„Die Freude ist ganz meinerseits.“, erklärte der Lehrer kalt.

„Könntest du vielleicht die Waffe runter nehmen…?“, fragte der Blonde nach.

Der Lauf legte sich an Kaibas Herz. „Unten.“

Scheiße! Was für eine gottverdammte Situation! Was zur Hölle sollte er nur tun?

„Was machst du hier?“, fragte der Silberhaarige.

„Ich…“, warum musste unbedingt Bakura an die Tür kommen? „Ist Ryou da?“

„Schläft schon.“

„Oh… äh…“, Katsuya suchte nach Worten, „Ich… ich weiß ja, wir verstehen uns nicht unbedingt gut, aber…“, er konnte ein gefährliches Blitzen in den blauen Augen sehen, „Könnte ich vielleicht hier übernachten?“

Das, was Bakura da tat, kam einem Zähnefletschen doch sehr nahe…

„Was bin ich, eine Obdachlosenstätte? Scher dich zum Teufel!“

Der stand doch schon neben ihnen… immer noch mit der Waffe an der Brust.

„Bakura, bitte!“, er lehnte sich ein Stück nach vorn, „Du weißt, ich bettele nicht und bitten ist mir verhasst, aber wenn ich nicht heute Nacht hier bleiben kann, dreht mir der Typ den Kopf um.“, er zeigte auf Kaiba, „Also… bitte.“

„Ist das mein Problem?“, die Augen sprühten vor Gift und Bosheit, „Ein Verlust wär’s kaum.“

„Ganz meine Worte…“, mischte sich Kaiba ein.

Katsuya warf ihm einen schockierten Blick zu.

„Die Preise für Stricher steigen, erzählt man sich…“, murmelte der Silberhaarige mit einem Seitenblick.

„An dem ist zu wenig dran.“, erwiderte der Älteste tonlos.

„Außerdem fickt sich unwilliges Fleisch schlecht, was?“, stichelte Bakura.

„Nimm und friss.“, zischte der Brünette, drückte Katsuya vornüber in die Wohnung, wandte sich ab und ging.

„Na, da hast du dir ja ein wahres Engelchen gesucht.“, der Silberhaarige grinste, zog den Anderen ganz hinein und schloss die Tür, „Couch steht noch immer im Wohnzimmer, Decke liegt daneben, und gibst du noch einen Mucks von dir, knall ich dich ab.“
 

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Wenn jemand fragen möchte, woher Bakura die Pistole hat - er ist Polizist und das Ding ist seine Dienstwaffe ^.-

Ass

Da seht ihr mal, was ihr mir antut ^.- *lach* Das Kapitel ist fertig und meine Finger sind immer noch entzündet. Teilweise tut es weh, aber ich schreibe trotzdem weiter. Was habt ihr nur aus mir gemacht? *lach*

Nun, mal etwas ernster. Dieses Kapitel ist meine Abrechnung mit unseren Sekretärinnen. Ich möchte hervorheben, dass ich nichts gegen Büroangestellte, insbesondere Sekretärinnen habe, aber diese spezielle, wahrscheinlich nur an unserer Schule ausgeprägte Rasse ist verachtenswert. Alles, was Miss Obertussi da von sich gibt, habe ich auch schon hören dürfen - und das, wo ich mich normalerweise nicht wie Kats aufführe. Und was den Rest angeht - viel Spaß beim Lesen ^.-
 

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„Kaiba war hier?“, fragte Ryou überrascht, lehnte sich etwas vor und stellte die leere Schale zur Seite, die vorher mit Müsli gefüllt gewesen war.

„Ja, wie gesagt, er hat mich hergebracht. Und Bakura hat uns mit gezogener Waffe die Tür geöffnet.“

„Oh, ich hoffe, er hat euch nicht erschreckt. Einbrecher würden zwar nicht klingeln, aber Schläger tun so etwas schon mal. Man sollte immer auf Nummer sicher gehen, sagt Kura.“ , der Kleine nippte an seinem Kakao.

„Aha…“, Katsuya zog eine Augenbraue hoch, „Nummer sicher…“

Er sollte das Ganze den Jüngeren wohl nicht in allen Details erzählen. Das richtete sicher nur Schaden an… andererseits, vielleicht könnte man so Bakura davon abhalten Kaiba oder ihn doch noch zu erschießen?

„Aber Kura hat doch trotz allem ein gutes Herz.“, der Weißhaarige lächelte verliebt, „Ich meine, er hat dich rein gelassen und dir sogar seine Klamotten geliehen.“

„Aber auch nur, weil du ihn mit deinen Hundeaugen malträtiert hast.“, Katsuya sah Bakura im Türrahmen auftauchen und bekam einen warnenden Blick zugeworfen, „Obwohl… trotz allem ist es ja noch sehr freundlich…“

Ryou zog eine Augenbraue hoch, drehte sich nach hinten und begann zu strahlen. „Guten Morgen, Kura!“

„Morgen, Kleiner.“, Angesprochener kam herüber zum Tisch, küsste seinen Bruder flüchtig und bekam sogleich eine Schale Reis gereicht.

Oh Mann… das war derselbe, der gestern noch mit einer Pistole Kaiba bedroht hatte.

„Bakura?“

Er bekam einen kalten Blick zugeworfen.

„Könnten wir vielleicht ein Abkommen machen?“

Der Andere wandte die Augen nicht ab.

„Wie wäre es, wenn du mich nicht tötest oder angreifst und ich dich dafür auch nicht?“

Angesprochener wandte sich wieder seiner Schale Reis zu.

Das… war wohl eine klare Antwort. Nur… welche?

Katsuya warf dem Jüngsten einen fragenden Blick zu.

„Das heißt ja.“, dieser lächelte breit.

Okay… das hieß ja. Vielleicht sollte er einen Kurs in Bakura-Kunde belegen? O ja, uns Kaiba-Kunde gleich dazu. Den würde er wohl nie verstehen.

Der Blonde seufzte laut auf.
 

„Bakuras alte Uniform passt dir sogar richtig gut.“, stellte Ryou fest, als sie schon fast ihre Klasse erreicht hatten, „Ehrlich… sogar besser als deine eigene.“

„Wieso das?“

„Sie ist weiter…“, er betrachtete ihn mit kritischem Blick, „Nein, nein. Bei deiner sind die Beine zu kurz, aber hier passen sie gut. Und sie ist nicht weiter, sondern enger. Die Alte war weit ausladender.“

Der Blonde rümpfte ein wenig die Nase.

„Steht dir besser.“

„Dass du mich in sein Muskelshirt gekriegt hast…“

„Was dir auch sehr gut steht.“, warf der Kleinere ein.

„Trotzdem… zum einen sah er aus, als würde er mich massakrieren wollen, zum anderen ist das Ding echt eng. Bakura ist ein eher graziler Typ, bei mir merkt man die Muskeln durch.“

„Was nichts daran ändert, dass du gut aussiehst. Und es war eigenartigerweise eins der einzigen Shirts, wo man die Bandagen nicht bemerkte. Apropos, was ist mit deinen Kopfschmerzen?“

„Sind eigentlich so gut wie weg. Bei einer falschen Bewegung tut es weh und es gibt so eine Art Grundschmerz, aber… ich hab’ Schlimmeres erlebt.“

Ryou beobachtete den Älteren ernst, seufzte leicht, ging einen Schritt schneller und öffnete ihm die Tür.

„Danke.“, lächelnd deutete Katsuya eine Verbeugung an – was doch ein wenig im Magen zog, aber ihn jetzt auch nicht weiter interessierte – und betrat den Klassenraum.

„Guckt mal, Aschenputtel.“, höhnte einer der Jungen aus dem hinteren Teil, „Woher hast du denn die hübschen Veilchen?“

Die braunen Augen verdunkelten sich.

Musste das denn schon morgens losgehen?

Katsuya ging direkt nach hinten durch, stellte sich nahe – um nicht zu sagen, sehr nahe – an den Jungen und zischte böse: „Wieso woher? Wohin. Und da ich meinen sozialen Tag habe, schenke ich sie dir gerne.“

„Vergiss es.“, der Andere wich ein Stück zurück, direkt zwischen zwei seiner Freunde, „Freitags haben wir weder Kaiba noch Muto, also keiner da, der dich schützt. Jeder andere Lehrer wird dich mit Freude von der Schule werfen.“

Katsuyas Gesichtsausdruck wurde freundlich, er lächelte sogar ein wenig.

Die Drei dagegen zuckten zusammen.

„Glaubt mir…“, begann der Punk mit salbungsvollem Ton, „Die beiden wären sicher die einzigen, die es überhaupt wagen würden mir etwas zu tun.“

Damit drehte er sich einfach um und setzte sich zu Ryou, der das Ganze von seinem Platz aus ruhig beobachtet hatte.

„Du jagst ihnen Angst ein.“, stellte er ruhig fest.

„Natürlich. Ich bin größer, älter, körperlich stärker und nebenher bis auf mehrere grünviolette Verfärbungen leichenblass. Nicht zu vergessen, dass ich blond, gepierct und tätowiert bin. Und schwul. Das ist doch deren totales Horrorszenario.“

„Du setzt auf Autorität…“, der Weißhaarige drehte sich zur eben geöffneten Tür, sah den Lehrer und stand auf.

„Und? Ist das schlimm?“

„Kaiba tut das auch.“
 

Kaiba tat das auch…

Natürlich tat er das. Er war Lehrer. Er war Autoritätsperson. Ein Vorbild, wenn man so wollte. Und weil sie beide einander übertrumpfen wollten, gerieten sie schließlich immer aneinander. Ob Ryou ihm irgendetwas damit sagen wollte? Nein, wahrscheinlich nicht. Man sollte wohl nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen.

Aber wenn man es mal bedachte… sie würden so lange Krieg führen, bis einer von beiden sich unterwerfen ließ. Und ganz realistisch gesehen – bei Kaibas Ego – würde er das sein. Er musste sich also darauf vorbereiten irgendwann nachzugeben. Aber verlor er nicht den einzigen Reiz, den er für Kaiba haben konnte, wenn er seinen Widerstand aufgab? Eine schwierige Frage…

Katsuya stockte und errötete leicht.

Selbst im Bett würden sie beiden wohl noch Krieg führen… apropos… für den Fall der Fälle sollte er sich wohl mal ein bisschen von Yami aufklären lassen… okay, eine Nacht mit Kaiba, das war so wahrscheinlich wie Ryous Wahl zum Mann des Jahres in der Playgirl, aber es gab ja auch noch mehr Männer auf diesem Planeten.

Halt mal.

Wieso dachte er unbedingt an Männer? Frauen gab es auch noch. Und nur weil Kaiba ein Mann war, musste er-

Oh nein…

Er hatte Ryou nicht wirklich gesagt, er sei schwul, oder?

Doch, verdammt, genau das hatte er… heilige… das war doch eigentlich…

Der Blonde seufzte.

Na toll.

Da hatten sicher mindestens acht Ohren mitgehört. Und morgen war jeder der Überzeugung, er sei schwul. Wunderbar hingekriegt, Kats.

Am besten hörte das als nächstes Kaiba.

Besser konnte es doch gar nicht werden.

Das wäre doch mal ein richtig schöner Grund ihn von der Schule zu werfen…

Herzlichen Glückwunsch! Sahnetorte drauf!

Er versenkte sein Gesicht in seinen Handinnenflächen.

Das einzige Glück war wohl, dass er wirklich gleich etwas zu Essen bekam. Gedankt sei der Hauswirtschaft. Wahrscheinlich das einzige Fach, in dem er eine gute Note verdient hätte. Obwohl ihn die Lehrerin wirklich mal kreuzweise konnte… na egal. Konnte sie nicht. Kaiba könnte.

Verdammt, wieso musste er die ganze Zeit an dieses Arsch denken?

Korrektur: Wieso musste er die ganze Zeit an diesen Arsch denken?

Hach, es war doch echt zum Verzweifeln…

So ein beschissener Typ und solche Gefühle.

Das würde ihn wohl noch mal den Kopf kosten.

Warum hatte er sich in solch einen… ach, Mensch, ihm fiel immer noch keine Bezeichnung ein… warum hatte er sich in dieses Individuum verliebt?

Ach ja… da war ja noch sein Plan… eigentlich… wie wäre es, wenn er den gleich mal begann? Also, sich Infos besorgen und so… Wozu hatte man denn Pausen?
 

Katsuya öffnete die Tür zum Sekretariat und trat ein.

Hier war er wirklich noch nie gewesen…

Interessant. Eine Art Tresen, dahinter ein Doppeltisch mit Computern, Druckern, Telefonen, Kalendern, Ordnern… sah ja richtig professionell aus.

Eine der Sekretärinnen warf ihm einen abschätzigen Blick zu und spitzte die Lippen.

Mit dem Gesichtsausdruck hätte sie ihren Ekel auch gleich herausschreien können.

Nur wegen ein paar Piercings, einer Tätowierung und blonden Haaren?

Bei allen Göttern… er sollte definitiv noch mal in seinen Punkerklamotten wiederkommen.

„Was willst du hier?“, fragte eben genannte Dame, sah aber sichtbar keinen Sinn darin überhaupt aufzustehen.

„Herr Kaiba und ich wollten einen Besprechungstermin ausmachen. Ich soll mal auf seinen Plan gucken, wann er Zeit hat. Könnte ich also seinen Stundenplan haben, bitte?“, das letzte Wort spie er schon fast heraus.

Wie lange hatte er das schon nicht mehr benutzt…

„Ich wüsste nicht, warum ich dir den geben sollte. Wenn Herr Kaiba das will, dann wird er ihn dir selber geben.“

Verfickte, kleine, bescheuerte Tusse…

„Er hatte aber nun mal seinen Plan verlegt. Ich muss schon für ihn durch die halbe Schule hierher rennen, das ist schon beschissen genug, also geben sie mir verdammt noch mal diesen blöden Plan. Sehe ich so aus, als würde es mir Spaß machen irgendwelche Gespräche mit Lehrern zu führen?“

„Weißt du eigentlich, dass du ziemlich unverschämt und dreist bist?“, zischte sie boshaft.

„Ja und jetzt geben sie mir den gottverdammten Plan.“

Sie warf ihm noch einen giftigen Blick zu, nahm dann einen der Ordner und knallte ihn vor Katsuya auf den Tresen.

„Such ihn dir selber raus.“

Wow, dass er unfreundlich war, das wusste er ja, aber das… was für Megazicken.

Na gut, er hatte, was er wollte. Kaiba, Seto.

„Ich soll Kaiba noch eine Kopie davon bringen. Könnten sie das also kopieren?“, er zog den Plan aus seiner Klarsichthülle, „Bitte.“

„Moment.“, sie nahm den Hörer des Telefons und rief erstmal jemanden an.

Klang so, als ginge es um irgendeinen Handwerker. Aha, die Fenster in B-2 sollten repariert werden. Und das war jetzt ganz wichtig, ja? Na endlich, sie war fertig.

„Was willst du?“

„Eine Kopie.“, knurrte er.

„Wir kopieren nichts für Schüler. Das muss ein Lehrer für dich machen.“

„Herrgott noch mal, wie blöd sind sie eigentlich!“, schrie Katsuya, „Herr Kaiba will eine Kopie, weil er seinen Plan nicht mehr finden kann. Er ist der stellvertretende Schulleiter, ja? Reicht ihnen das an Rang und Namen um das Privileg eines Abzugs zu bekommen?“

Das Bürofräulein klimperte mit ihren durch Maskara verlängerten Wimpern.

„Kaiba. Will. Eine. Kopie.“, wiederholte er etwas ruhiger, „Soll ich das auch selber kopieren?“

„Das darfst du nicht.“, erwiderte sie, stand wieder auf und riss ihm das Blatt aus der Hand.

Ein paar Sekunden später hielt er dann doch wirklich eine Kopie in der Hand.

Sollte er… ?

Sie musterte ihn noch einmal und rümpfte die Nase.

Ja, definitiv, er sollte.

„Sehen sie?“, fragte Katsuya lächelnd, „War doch gar nicht so schwer.“

Und unter ihrem entsetzten Blick verließ er den Raum.
 

Okay…

Kaiba hatte montags genau so lange Schule wie er. Dienstags hatte er die ersten zwei Stunden, aber dafür auch dieselbe Zeit früher Schluss. Und ansonsten bis auf ein paar Freistunden zu denselben Zeiten Beginn und Ende. Ganz passend.

Der erste Schritt war also getan. Und jetzt?

Er bräuchte solche Daten wie Geburtstag, Adresse und Familienstand. Das konnte er ihn selber schon gar nicht fragen. Vielleicht sollte er doch zu Yugi gehen? Wäre ja eigentlich eine Idee…

Gesagt, getan.

Warum auch nicht? Mehr als blamieren konnte er sich nicht und das war ihm doch eh egal. Und wenn Kaiba etwas herausfinden sollte… dann hätte er sicher jede Menge gute Ausreden.

„Herr Muto?“, sprach der Blonde den Vorbeigehenden „zufällig“ an.

„Morgen, Katsuya.“

„Kann ich sie kurz sprechen?“, der Kleinere blickte ihn kurz mit seinen großen Augen an, lächelte dann und stellte sich mit ihm ein wenig an die Seite, „Es geht um Kaiba…“

Der Ältere lehnte sich gegen die Wand und sah ihn ernst an.

„Sie sagten, es ist besser seinen Feind zu kennen. Daher würde ich gern ein paar Dinge über ihn wissen. Wohnort, Familie, Freunde… Geburtsdatum vielleicht. Könnten sie mir ein paar Anhaltspunkte geben?“

Der Lehrer kniff die Lippen zusammen, ließ den Blick schweifen und seufzte. „Das darf ich eigentlich nicht…“, er sah wieder zu Katsuya, „Aber ich denke, du kannst mit einigen Dingen nicht viel Quatsch anstellen. Geburtstag hat er am 25. Oktober. Er wohnt nicht weit von hier in einer Reihenhaussiedlung. Aber das Haus ist nur gemietet. Wegen seines Jobs kommt es oft vor, dass er umzieht. Vielleicht weißt du es noch nicht, aber er ist so ein Ministeriumslehrer. Die kommen und gehen.“

Stimmt, am ersten Tag hatte Kaiba ihm mal so etwas erzählt… er würde also bald wieder gehen?

„Über seine Familie weiß ich selber nichts. Da redet er eher wenig drüber. Und andere Freunde von ihm kenne ich auch nicht. Wie gesagt, er erzählt ja auch kaum etwas. Es kann sein, dass er unglaublich viele hat, es kann auch sein, dass er außer mir keine hat. Er ist nicht verheiratet und auch noch nie gewesen… ganz ehrlich, er interessiert sich sowieso nicht für Beziehungen. Allein schon, weil es ihm lästig ist auf andere zuzugehen. Das hat er mal gesagt. Was willst du noch hören?“

Das war schon weit mehr als er erwartet hatte. Keine Beziehung also…

„Hat er Kinder? Irgendwelche unehelichen? Und wohnt er mit jemandem zusammen?“

„Glaubst du irgendetwas davon?“, fragte Herr Muto belustigt.

„Kann ja sein…“, murmelte Katsuya. Hey, besser vor- als nachsorgen!

„Neugier gesättigt?“

„Hm… eigentlich wirft es immer mehr und mehr Fragen auf…“

„Dann lass sie dir von ihm beantworten. Bis Montag, Katsuya.“

Der Schwarzhaarige stieß sich ab und wanderte Richtung Lehrerzimmer weiter.

Keine Frau, keine Kinder, keine Beziehung… aber auch kein Interesse daran…

Hm…

Schneesturm

Wisst ihr eigentlich, dass ich die ganze FF nur für dieses und die nächsten Kapitel geschrieben habe? Willkommen beim ersten Wendepunkt der Geschichte.

Ach ja, ich weiß, dass Kaiba eigentlich Ferraris fährt, aber die fand ich jetzt ein bisschen hochstechend für einen einfachen Ministeriumslehrer. Genanntes Auto ist somit eine Mittelklasse-Limousine.

Viel Spaß beim Lesen ^.^
 

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Religionsunterricht, neunte Stunde, Raum C-3.

Da war Kaiba jetzt – währenddessen saß Katsuya in einer zum Gähnen langweiligen Geschichtsstunde. Wer interessierte sich denn bitte für die dreihundert Jahre dauernde Isolation Japans von anderen Großmächten? Keinen? Ja, das hätte er sich auch denken können. Der Unterrichtsstoff war doch wirklich vollkommen idiotisch gewählt. Wozu brauchte man so etwas? Menschen lernten aus der Vergangenheit und ihren Fehlern doch eh nichts. Darüber könnte Yami wahrscheinlich Stunden wettern.

Apropos… er sollte vielleicht heute Abend zu ihm gehen. Er sollte erklären, warum er gestern nicht konnte und er sollte wohl auch um einen Schlafplatz bitten. Irgendwie war er nicht in der Stimmung nach Hause zu gehen. Und schließlich wollte er immer noch wissen, was Abwehrmechanismen waren. Auf dem Wege könnte man Kaiba vielleicht etwas besser verstehen.

Zurück zu dem Brünetten… wie sollte seine Informationsbeschaffung eigentlich weitergehen? Er konnte ja kaum Kaibas Auto verfolgen. Selbst mit schnellem Rennen, das schaffte er nun wirklich nicht. Vielleicht ging der Lehrer auch nicht sofort zum Wagen? Das wäre natürlich ideal. Nun, nachsehen konnte nicht schaden. Er müsste nur schnell sein.

Und wenn das nicht klappte, dann sollte er Ryou hinterher. Schließlich waren seine eigenen Sachen noch bei ihm in der Wäsche, während er hier in Bakuras Klamotten herumrannte. Obwohl, seine eigenen Sachen war übertrieben – das T-Shirt gehörte Yami. Und die Schuhe, die er auch jetzt trug, ebenfalls… nun, er könnte ein paar Klamotten gebrauchen.

Wenn er mal an seinen Karton zuhause dachte, der war zwar voll, aber das waren gerade mal zwei Paar Stiefel und ein Paar Turnschuhe, zwei Hosen und drei oder vier Shirts – wobei wiederum Shirts auch übertrieben war, eines davon war schließlich gerade mal ein Netzshirt. Und eine einzige Jacke. Heureka… gerade mal Shorts und Socken besaß er ein paar mehr, wobei letztere ihm auch schon etwas klein wurden. Bis auf ein paar Messer waren Klamotten irgendwie sein einziger Besitz. Neben der Armbanduhr, versteht sich. Eigentlich schon ein ganz ansehnliches Vermögen, oder?

Obwohl… jetzt besaß er auch einen schönen Füller…

Das Ertönen der Schulglocke unterbrach seine Gedanken.
 

Katsuya griff seine Sachen, rannte vorbei am Lehrer, der gerade erst den Unterricht beendete und den Gang entlang.

C-3, das war im dritten Stock. Der Brünette würde danach die linke Treppe nehmen. Und er war auf der rechten – perfekt. Jetzt musste der Ältere nur noch genau das tun, was der Blonde erwartete. Utopisch? Na und! Er hatte keine Zeit sich auf jeden möglichen Fall vorzubereiten.

Halt mal, war er das nicht gerade gewesen?

Katsuya sprang die Treppe wieder herunter, warf einen vorsichtigen Blick auf den Mittelgang, an dem die Klassenräume lagen und sah sein Opfer gerade die Treppe herunter gehen. Hatte er sich also nicht getäuscht. Dem war es wohl verdammt wichtig aus der Schule zu kommen. Na gut… wem nicht? Er schlich die nächste Treppe hinab, sah noch Kaibas Rücken, nahm die nächste und beobachtete wie der Verfolgte sein Büro betrat.

Was wollte der denn jetzt noch im Büro? Doch nicht arbeiten, oder? Ob Kaiba bis spät in den Abend arbeitete? War er wohl so ein Typ? Zuzutrauen wäre es ihm. Aber ehrlich, wie viel hatte man denn als stellvertretender Direktor zu tun? Oder gab das Ministerium ihm auch Aufgaben? Er musste sicher irgendwelche Berichte schreiben.

Oh, da war er ja wieder. Ach so… der Mantel… ja klar, den lässt man intelligenterweise im Büro statt ihn herum zu schleppen. Anbei… im Mantel sah der Mann ja verboten gut aus… da bekam man ja gleich Lust ihm den vom Lei- verdammt, was zur Hölle dachte er da?

Nebenbei… er dachte! Schmerzfrei! Seine Kopfschmerzen waren weg. Na, gedankt sei es den Göttern, das hatte auch lange genug gedauert. Schmerzen hatte er jetzt wahrlich lange genug gehabt. Seit wann schlug sein Vater denn seinen Kopf gegen die Wand? Das war echt noch nie passiert. Normale Schläge ins Gesicht, ein Schwinger, Ohrfeigen, einmal in die Magengrube – alles Dinge, die bei seinem Alkoholgrad vielleicht noch zu ertragen waren. Aber so etwas?

Den Blonden erfasste urplötzlich ein Schüttelfrost.

Woher kam der denn?

Er umfasste seinen Oberkörper.

Nachwirkungen von den Drogen?

Mal ehrlich, dafür war es doch wohl etwas spät, oder?

Die hätten gut zehn Tage vorher einsetzen müssen.

Tränen perlten aus seinen Augen.

Was zur Hölle war denn jetzt los?

Da hatte man mal Freizeit und keinen Stress und wollte seiner Liebe nachstellen und-

Ungewollt drang ein Schluchzen über seine Lippen.

Verdammt! Was bei allen Geistern war denn jetzt kaputt?

Aufhören!

Er wollte doch Kaiba nach.

So würde der ihn doch sofort bemerken.

Scheiße…

Hart fuhr er mit dem Handrücken über die Wangen, zog ein Taschentuch – wieder mal bei Ryou geklaut – heraus und nahm die Stufen in Rekordzeit.

Mist, Kaiba war schon raus.

Er rannte zur Tür herüber, warf einen Blick nach draußen und sah den Lehrer seelenruhig über den Vorhof spazieren. Also doch noch nicht so weit. Den würde er schon nicht verlieren.
 

Katsuya riss die Hand hoch und presste sie auf den Mund.

Einen kurzen Moment drehte sich seine ganze Sicht, dann stützte er sich am Türgriff.

Mit den Knien schlug er auf den Boden.

Sein Atem ging flach, doch regelmäßig.

Er starrte auf die Fliesen.

Bei allem Heiligen und Unheiligem – was war los mit ihm?

Es hatte ihn doch nicht härter erwischt, oder?

Nein, unmöglich.

Seinem Kopf ging es gut, die Wirbelsäule war nicht verletzt und alles andere schmerzte kaum.

Was hatte er denn bloß…

Ob er doch ins Krankenhaus gehen sollte?

Keinesfalls.

Das hatte nichts mit seinem Körper zu tun.

Er richtete sich auf und trat heraus, um mit gemäßigtem Schritt dem Älteren zu folgen, der bereits um die Ecke gebogen war.

Seinem Körper ging es gut, zumindest für seine Verhältnisse.

Es musste etwas anderes sein… nur was?

Etwas Falsches gegessen? Nein, das gab keinen Schüttelfrost.

Eine Grippe? Ähnlich unwahrscheinlich.

Und die Tränen? Woher sollten die gekommen sein? Er hatte keine Schmerzen.

Egal.

Jetzt war es doch wieder gut, nicht?

Warum noch dran denken?

Nein, weg damit.

Und wenn das noch mal kam, dann könnte er ja irgendwo fragen.

Oder Yami heute Abend, der kannte sich ja überall so ein bisschen aus. Mehr oder weniger eben.

Wo war Kaiba jetzt hin?
 

Wie viel Glück konnte ein Mensch denn haben?

Er war nicht zum Auto gegangen.

Nein, der Herr in dem eleganten Mantel schien so etwas wie einkaufen zu wollen.

Chancen über Chancen!

Er könnte etwas über Kaibas Modegeschmack erfahren. Vorlieben, Hobbys, vielleicht gehegte Wünsche. Oder… Geheimnisse… ein Kaiba, der einen Sexshop betrat, das wäre ja wirklich der Knaller. Okay, nicht dran denken. Besser, er tat es nicht.

Katsuya konnte sich nicht erinnern die Stadt in den letzten Jahren schon einmal bei Tag gesehen zu haben. Hier war er öfters nachts entlang geschlichen, hatte vor Läden gelungert, um die Inhaber mit der Kasse zu beklauen oder einfach nur mit ein paar Flaschen Alk und irgendeiner Gang abgehangen.

Bei Tag sah alles ganz anders aus.

Beleuchtete Läden.

Ausgelegte Ware.

Keine Läden, keine Schlösser oder Ketten.

Er könnte überall hineingehen.

Wie als kleiner Junge, als er seiner Mutter beim Einkaufen immer abgehauen war.

Damals hatten sie ja noch in einem noblen Vorort gewohnt.

Und in die Stadt fuhr man nur zum Einkaufen.

Was das für Zeiten gewesen waren… glückliche… zusammen mit seiner Schwester hatte er so viel Quatsch gemacht. Seine Mutter hatte er schon damals gerne aufgeregt um ihre Aufmerksamkeit zu haben. Sie sah ja nur Shizuka.

Ach, was soll’s… lange vorbei.

Wenn er noch öfter mit den Gedanken ins Nirgendwo irrte, würde er Kaiba wirklich noch aus den Augen verlieren.

Der war jetzt bereits in zwei Schreibwarengeschäften gewesen. Und nun stand er im Dritten. Bei allen Göttern, konnte der denn mal etwas anderes tun als Lehrer sein? Der Typ musste ja echt zu leben verlernt haben. Nicht zu verstehen dieser Mann…
 

Was er wohl diesmal gekauft hatte?

Sicher Papier.

Oder etwas in der Art.

Die Tüte hatte in etwa DinA4-Größe.

Und unten waren ein paar Stifte drin, das konnte man ja noch durch das gelbe mit roter Schrift bedruckte Plastik sehen. Ehrlich, wenn dieser Typ mit dieser Tasche und diesem Gesichtsausdruck in den Unterricht käme, er würde laut loslachen.

Zu süß… das sah fast aus wie ein Lächeln. Ganz, ganz fast. Aber auf die Entfernung war es eh schwer zu erkennen.

Der Lehrer sah sich um.

Katsuya fiel mit einem Rückschritt in einen Ladeneingang zurück.

Mist, er steuerte in seine Richtung.

Der wollte doch nicht nach drei Schreibwarengeschäften seinen Einkauf beenden, oder?

Der Blonde verzog sich hinter zwei Ständer mit Nici-Plüschtieranhängern.

In so einen Laden würde der Brünette wohl kaum kommen, oder?

Hier gab es zwar auch Schreibwaren, aber die hatten alle rosa Puschelbesatz oder aufgedruckte oder genähte Schäfchen oder Pferde oder… bei aller Güte, wer kaufte so einen Mist? Okay, das konnte er selbst beantworten. Seine so genannten Klassenkameradinnen. Aber welcher nicht vollkommen gestörte Mensch kaufte so etwas?

Wäre Ryou eine Frau, er würde sich wahrscheinlich sogar noch mit so einem Zeug behängen.

Oh, Kaiba!

Perfekt, er war vorbei gegangen.

Das wäre auch wirklich zu sehr Zufall gewesen, wenn der unbedingt diesen Laden betreten hätte.

Katsuya verließ das Geschäft wieder und versuchte den Älteren auszumachen.

Dieser für den Sommer völlig unpassende Mantel hatte ja glatt einen Sinn.

So konnte man den Älteren ja gar nicht verlieren.

Der schien mit seiner bloßen Präsenz auch einen Keil in die Masse zu schlagen – so ziemlich jeder wich ihm aus. Und der Mann warf wirklich nie einen Blick über die Schulter. Interessantes Verhalten.

Seine Brieftasche steckte in der linken Mantelinnentasche.

Was man nicht alles an einem Nachmittag erfahren konnte…
 

Na toll.

Kaiba war definitiv langweilig.

So was von einem 08/15-Büroarbeiter mit Zusatzausbildung zur vollkommen inkompetenten Lehrkraft.

Idiot!

Aber was hatte er auch erwartet?

Dass Kaiba einen Juwelier betrat? Einen Konditorei? Eine Fast-Food-Bude?

Alles wäre interessanter gewesen als das hier!

Er fuhr davon.

Und als letzter Anblick blieb nur das Heck des schwarzen Mercedes Benz S 430.

Ganz toll.

Drei Schreibwarengeschäfte!

Dafür ging der Typ einkaufen?

Also, echt, der regte ihn auf.

Katsuya seufzte lang und tief.

Was soll’s… besser als nix.

Und jetzt?

Er warf einen Blick auf die Uhr am Schuleingang.

Yami müsste seit ungefähr einer Stunde wach sein. Und in zwei Stunden begann seine Tour. Ob er jetzt schon hingehen sollte? Für Yami wäre das weit besser. Aber eigentlich sollte er vorher noch bei Ryou vorbei. Seine Uniform dürfte trocken sein. Und er sollte Bakuras Laune nicht zu sehr herausfordern. Vielleicht war er auch noch nicht zurück? Ja, besser, er ging jetzt. Viertelstunde hin, halbe Stunde zu Yami. Ja, gute Idee.

Er hatte langsam echt nix mehr mit dem er sich bedanken konnte… Ryou gab ihm ja nicht nur Nachhilfe, jetzt wusch er auch noch seine Klamotten. Nicht zu vergessen, dass er einen Schlafplatz bekommen hatte. Die Couch war zwar schrecklich hart gewesen und längst abgenutzt, aber schöner als die Wohnung war das allemal. Und ob man sich nun vor dem Vater oder vor Bakura fürchtete – war doch eh eins. Fürchtete er sich eigentlich? Sein Vater hatte ihn noch so fast nie aus dem Schlaf geholt. Warum fürchten? Mehr als der Tod konnte nicht kommen.

Er versuchte im Gehen mit den Schultern zu zucken, doch sie fühlten sich schlapp an.

Na ja, war ja auch recht turbulent gewesen in letzter Zeit. Klar, dass er müde war. Warum nicht? Gedanken ans Schlafen machten halt müde.

Warum mussten Ryou und Yami eigentlich so weit voneinander entfernt wohnen?

Beide lebten irgendwo am Stadtrand im Übergang zur Gosse.

Von der Schule aus gesehen trotzdem in vollkommen entgegen gesetzter Richtung. Da würde er ja heute glatt noch mal da vorbei kommen… so sehr hang er an dem Ort jetzt auch nicht.

Okay, es war weit schöner, seit Kaiba da war und Ryou, aber… alles in allem blieb es doch eine blödsinnige Einrichtung. Sollte aufs Leben vorbereiten… pah! Was wussten die denn schon vom Leben? Gar nichts.

Rein gar nichts.
 

Hach, da fühlte man sich doch gleich besser.

Dieses Muskelshirt wurde mit der Zeit auch einfach zu eng. Weitere Shirts waren einfach besser. Oder Netzshirt. Shirt einfach. Nur nicht figurbetont… obwohl, das Netzshirt betonte die Figur eigentlich ganz gut. Aber das war luftiger.

Und die Jacke war weiter viel besser.

Die Beine waren wirklich zu kurz, das fiel sogar Katsuya jetzt auf.

Aber hey – man konnte ja wohl nicht alles haben, oder?

Er sollte sich echt nicht so anstellen.

Und selbst wenn, eigentlich musste die Schule doch Ersatzuniformen stellen, oder? Wo lag da – mal rational betrachtet – der Sinn? Die Klamotten musste man selber bezahlen, obwohl die Schule sie vorschrieb? Weil die Schüler den Unterricht vom Staat bezahlt bekamen, mussten sie zumindest die Uniformen selber kaufen? Was für ein Quatsch. Aber wieso erwartete er auch Rationalität von so einer Anstalt? Egal.

Intelligenz sollte man eben nie erwarten. Da wurde man nur enttäuscht. Erwartungen führten zu Enttäuschungen. Warum es also drauf ankommen lassen?

Nein, einfach nichts erwarten, dann wurde man auch nicht enttäuscht.

Wie nannte es Ryou?

Hoffnungslosigkeit ist der wahre Optimismus.

Wenn Hoffnung nichts anderes als eine Erwartung war, ja, dann konnte er dem wahrhaft nur zustimmen. Aber ob man das umsetzen konnte? Hach… wie immer, Fragen über Fragen.

Er lehnte sich noch etwas vor und beschleunigte seine Schritte.

Eigentlich wäre es ein Wunder, wenn er sich heute keine Blasen lief.

Es war ja wirklich ein gutes Stück von Ryou zu Yami.

Selbst mit den geliehenen Schuhen.

Aber wenigstens hatte er es heil überstanden.

Jetzt noch ein paar Treppen hoch und schon wäre er da.

Er nahm drei Stufen gleichzeitig und rannte die letzten Meter sogar.

Und jetzt würde er endlich erfahren, was Abwehrmechanismen waren!

Ja keine Ausflüchte, Yami!
 

Halt mal… die Tür war offen?

Hatte der Ältere vergessen abzuschließen?

Oder erwartete er irgendjemanden?

Oh nein… er hatte jetzt keinen Freier da, oder?

Verdammt, er hätte doch eher kommen sollen.

Na ja, vielleicht spekulierte er hier auch nur Quatsch zusammen.

Hm… im Schlafzimmer war es auf jeden Fall ruhig. Aber die Dusche, die man von dem Raum aus erreichen konnte, die lief. Sollte er jetzt nachsehen oder nicht?

Mal ehrlich, was sollte denn passieren?

Im schlimmsten Fall lag irgendein ekelhafter Typ im Bett.

Katsuya drückte entschieden die Klinke herunter und trat ein.

Er erstarrte in der Bewegung, sein Atem stoppte, seine Lider weiteten sich.

Nein…

Alles war eingefroren. Die ganze bizarre Situation. Nur die Dusche im Nebenraum wurde abgestellt.

Er hätte es nicht tun sollen.

Der Stricher trat mit einem Badetuch umschlungen aus dem Bad, blieb im Rahmen stehen, warf einen Blick zur Tür, zur Person, die halb zugedeckt auf dem Bett saß, zurück zu seinem Freund.

Katsuya krallte sich mit den Fingern in den Türrahmen.

Nein…

Er schüttelte langsam den Kopf ohne den Blick abzuwenden.

Ein hübscher Mann.

Ein wahrhaft schöner Mann.

Die Zigarette lag elegant zwischen Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand.

Er starrte zurück.

Stille.

Bizarr.

Einfach nur bizarr.

Nein, das war nicht wahr…

„Katsuya…“, sagte Yami vorsichtig und riss den Jüngeren aus seinen Gedanken.

Dessen Blick schnellte zu dem Geduschten, zurück zu dem Mann auf dem Bett, zum Flur.

Weg.

Bloß weg.

Er riss die Einganstür auf, rannte so schnell ihn seine Beine trugen, sprang die Treppenstufen hinab, ignorierte die aufsteigende Übelkeit.

Weg. Einfach nur weg. Weit weg.

Er wollte diese verdammten Augen nicht sehen.

Nicht diese.

Nie wieder…

Kaiba sollte verrecken!

The true meaning of hate

Kommi-Boom O.O Da wagt sich euer Küken von Schreiberin doch mal aufs Eis.

Ich habe in diesem Kapitel ein neues Stileelement beigefügt - Poesie.

Nein, keine Angst, unsere Protagonisten fangen nicht an sich gegenseitig zu verherrlichen. Aber ich benutze mehr Metaphern, mehr Bilder, teilweise etwas Blumigeres. Das ist an sich nichts Neues. Aber ihr wisst, wie die Geschichte an diesem Punkt steht. Ich verbinde also Black mit Poesie - wie sich das Ergebnis anhört, würde mich natürlich interessieren ^.- Das ist wie Harfe bei Metal - kann auch gut klingen.

Ansonsten viel "Spaß" beim Lesen ^.^ Ach, und... wenn ihr einen Teil kitschig findet, ihr könnt es ruhig sagen. Es ist ein deutlicher Umbruch spürbar, der nicht unbedingt leicht nachzuvollziehen ist. Auch andere Kritik ist natürlich immer gern genommen. Und danke für all die lieben Kommis ^.^
 

EDIT: Vergesst bitte nicht, dass in Japan Ganztagsschulen gibt. Das heißt, es ist mittlerweile 21 Uhr!
 

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Katsuya keuchte, nahm seine Hand von seiner Brust und drückte sie wieder auf seine Lippen. Der andere Arm schlang sich um seinen Bauch.

Übel. Speiübel.

Er stolperte noch einige Schritte vorwärts, sackte auf die Knie, auf seinen Hintern.

Heftig atmend starrte er den Boden vor sich an.

Kaiba.

Er zog ruckartig den Arm herunter, beugte sich vornüber und erbrach.

Verdammt…

Er versuchte durch den Mund einzuatmen, doch eine weitere Welle überkam ihn.

Speichel und Magensäure tropften von seinen Lippen, zogen sich fadenartig zu Boden.

Bitter…

Tränen schossen aus seinen Augen, er erzitterte, übergab sich wieder.

Ja, das war bitter…

Er sammelte etwas Speichel und spuckte so viel wie möglich von dem aus, was sich noch in seinem Mund befand. Sein Blick schwankte ins Wehmütige.

Mit dem Handrücken fuhr er über seinen Mund, wölbte darauf die Oberlippe, schob die andere vor und ließ die Ränder herabsacken. Er verfolgte mit den Augen den Strom, der sich langsam in Richtung Straßenabfluss seinen Weg bahnte.

Er versuchte einzuatmen, doch das schaffte er kaum.

Alles zog sich zusammen, die Brust, der Magen, die Lungen.

Sein Herz…

Eine weitere Welle der Übelkeit unterdrückte er, lehnte sich zurück, setzte sich wieder auf die Füße.

Sein Blick verlor sich im Himmel, doch er schloss die Augen.

Träume, Wünsche, Hoffnungen…

Nichts als Scherben.

Zerbarsten an der Realität.

Er hob die Lider wieder, legte die Stirn in Falten, zog die Augenbrauen zusammen und die Mundwinkel in die Tiefe. Er schluckte schwer.

Bitter.

Es war so bitter.

Mit beiden Händen wischte er die Tränen von seinem Gesicht, doch hielt inne, hob sie vor seinen Augen.

Sie glitzerten da, wo seine Tränen sich im Mondlicht spiegelten.

Seine Scherben…
 

Katsuya lehnte sich zurück gegen die Wand und ließ den Blick schweifen.

Sein Erbrochenes hatte er um gut zwei Meter hinter sich gebracht. Solange er es nur nicht mehr sehen musste. Seine Schwäche…

Auf der anderen Seite befand sich ein Müllcontainer, doch er war überfüllt, lose Gegenstände lagen weit darum verteilt. Ein Müllsack stand nur gut einen Meter neben ihm. Dunkler Asphalt belegte den Weg, unterbrochen von wenigen Kanalisationsdeckeln. Ein guter Ort. Ein schöner Ort. Hier musste man keine Leichen in den Containern vermuten.

Sein Blick fiel zurück auf das Messer in seiner Hand.

Es war so schön ruhig.

So wunderbar still.

Alles in ihm schwieg.

Aber er konnte es fühlen.

Das Zittern.

Die Tränen.

Das Blut.

Es lief seinen Arm hinab.

Aus dem riesigen Kreuz, das er in seinen Unterarm geschnitten hatte.

Der senkrechte und der waagerechte Pfeiler.

Ähnlich in der Form und zum gleichen Zweck bestimmt.

Und doch trafen sie sich nur in einem Punkt.

Berührten einander fast flüchtig.

Beiläufig.

Und hatten dabei doch so eine unglaubliche Bedeutung.

Dieser Punkt hatte Bedeutung.

Er hatte Bedeutung.

Hatte sie gehabt…

Neue Tränen schossen hervor.

Der junge Mann hob den Arm, hielt ihn auf Augenhöhe.

Das Blut erschien im Dunkeln so finster.

So schwarz.

Kein Licht mehr.

Kein Lichtblick.

Kein Ende des Tunnels.

Nur ewige Dunkelheit.
 

„Katsuya…“, flüsterte jemand.

Mit einem Seitenblick konnte der Punk sofort Yami erkennen, der nicht mehr als eine kaum geschlossene Hose und offene Turnschuhe trug. Seine Haut glänzte im Licht und die Haare hingen schlaff hinab. Eine blonde Strähne hatte sich ihren Weg nach vorne gesucht, ein paar andere schlängelten sich ungewöhnlich abstehend vom Kopf herab. Seinen Körper zierte eine Gänsehaut, doch er atmete stockend.

„Katsuya…“, wiederholte er, streckte den Arm in dessen Richtung aus und machte wie taumelnd einige Schritte auf ihn zu.

Nein...

Der Blonde drückte die blutbesudelte Hand gegen seine Lippen und wandte den Blick ab. Er setzte das Messer an seine Kehle, sodass der Stricher es gut sehen konnte.

Nein.

„Katsuya, lass den Scheiß.“, sagte dieser streng, ließ die Hand sinken und ging entschlossen auf den Jüngeren zu.

Nein!

Der Tränende drückte mit dem Messer kurz zu, erzitterte jedoch und verlor jegliches Gefühl in seinen Finger.

Er hörte Metall aufschlagen.

„Geht doch.“

Ein leises Schrappen, Yami setzte sich neben ihn und klappte das Messer zusammen.

Katsuya zitterte heftiger, schloss die Augen und schluchzte.

Scheiße…

„Katsuya…“

Wo war die Ruhe? Wo?

Er krümmte sich wieder nach vorne zusammen, nahm die blutige Hand vom Mund und schlang auch sie um seinen Bauch.

„Kats, ich weiß, gerade mich willst du jetzt am allerwenigstens sehen, aber lass uns das klären, bevor du dir alles Mögliche denkst. Also komm erstmal wieder zu dir.“

Der Blonde erstarrte, biss die Zähne fest zusammen und schluckte.

„Ich weiß ja, dass du es hasst, wenn ich mit irgendwem schlafe, besonders für Geld. Aber er ist wirklich nur ein Freund. Das läuft rein freiwillig.“

Sein Blick richtete sich aus seiner gekrümmten Position heraus direkt auf Yami, der durch die Kälte darin zusammenzuckte.

„Was… ? Was denn?“, fragte der Ältere verunsichert.

Die Übelkeit war verschwunden.

Der Druck hinfort.

Die Tränen trocken.

Katsuya richtete seinen Oberkörper auf, bedeckte seinen noch leicht blutenden Arm mit dem Ärmel und wandte sich wieder zu Yami.

„Du verstehst überhaupt nichts.“
 

Der Andere zog die Augenbrauen zusammen und den Kopf ein wenig ein.

„Gar nichts.“, bekräftigte der Punker mit leerem Blick.

„Dann erklär’ es mir!“, rief Yami, stützte sich mit einer Hand und kniete sich hin.

Der Blonde lächelte lieblos.

„Katsuya…“, bettelte der Besorgte schon fast.

Eine Hand legte sich sanft an Katsuyas Wange, sein Gegenüber lehnte sich nach vorne um ihm näher zu kommen und seine Stirn durchzogen tiefe Falten.

„Was ist denn los?“

„Du…“, zischte der Wütende, dessen Lider kaum mehr einen Spalt bildeten, „…bist ein mieses Stück Scheiße.“

Yami stoppte die Streichelbewegung seiner Hand, löste die Innenfläche von der Wange, strich mit den Fingerkuppen ein Stück hinab, bevor der ganze Arm wie leblos herunterfiel und kraftlos an seiner Schulter hing. Seine Augen blieben weit aufgerissen, starrten den Jüngeren mit glanzlosem, erschrockenem Mattviolett an.

Scherben.

Auch sie waren gebrochene, glitzernde Scherben, über die sich die Dunkelheit fraß um jedes Funkeln zu rauben.

„Was… ?“, flüsterte der Geschockte.

Katsuya lehnte sich tief einatmend zurück und lächelte befriedigt.

Der Ältere ließ den Kopf ein Stück zur Seite sinken.

„Heul’ doch.“, entgegnete der Blonde kalt, „Heul’, kotz’ dich aus, schneid’ dir die Arme auf, verreck’ an den Schmerzen. Vielleicht weißt du dann im Entferntesten, wie es mir geht.“

Yami schüttelte abwesend den Kopf, ganz langsam wanderte er von rechts nach links und zurück ohne Katsuya aus den Augen zu lassen.

Dieser stand auf, ignorierte das Zittern seiner Gliedmaßen, wandte sich ab und ging.

Ein Schritt vor den anderen.

Wie immer.

Nur weitermachen.

Funktionieren.

Trotz Motorschaden.

„KATSUYA!“, schrie Yami sich zusammenkrümmend.
 

Er blieb stehen.

Kaputt.

Alles kaputt.

Nur Scherben.

Kein fester Gedanke.

Kein Gefühl.

Motorschaden.

Schatten.

Mit einer Hand fasste er sich an den Kopf, krallte sie in seine Haare, unterdrückte das Zittern.

Chaos.

„Katsuya…“, hörte er hinter sich eine tränenerstickte Stimme, „Katsuya…“

Er stellte ein Bein etwas zur Seite für besseren Halt, ging ein wenig in die Knie und barg seinen Kopf in beiden Händen.

„Katsuya…“

Fest drückte er sie auf beide Ohren.

„Katsuya…“

Tränen bahnten sich ihren Weg, der durch das heftige Kopfschütteln verlief.

„Katsuya…“, klang es heiser.

Übelkeit stieg wieder in ihm auf.

Bis auf Schluchzen blieb es hinter ihm still.

Er riss den Oberkörper nach vorn, verharrte auf den Boden starrend.

„Katsuya?“

„Rrraaarrrgh!“, schrie Katsuya laut auf, stürzte auf die Knie, krümmte sich, schrie, zog den Oberkörper vor und zurück, schrie unablässig, "AAARGH!"

„Katsuya!“, Schritte von hinten, ein Arm schlang sich um ihn, die Person setzte sich vor ihn, „Katsuya! Katsuya! Komm zu dir!“

Er wurde geschüttelt, schrie nur lauter, verstummte abrupt, fiel nach vorne.

Scherbenhaufen.

Schrotthaufen.

Finsternis.

„Katsuya?“, Yami zog ihn in eine halbwegs bequeme Position, wischte sich die Tränen von den Wangen, schlang seine Arme um den Jüngeren und wiegte ihn wie ein Kind.

Ein Kind, das herzzerreißend schluchzte.
 

Vor. Zurück. Vor. Zurück. Vor... zurück...

Schnell fing Katsuya sich wieder, wurde ruhiger und entspannte sich.

„Kats? Hey, Kats.“, er öffnete leicht die Augen, beobachtete die Lippen des Sprechenden, die sich sanft bewegten, „Hör mal… wenn du mich schlagen willst oder anschreien willst oder sonst was, dann tu das. Friss das nicht in dich rein. Mir ist es lieber zu wissen, woran ich bin.“

Er blinzelte sich langsam zurück in die Realität. „Yami… ?“

„Ja?“

Er drehte sich in dessen Armen zu ihm und klammerte sich selbst an ihm fest, damit er nicht so schwer halten musste.

Licht.

Licht war schmerzhaft.

Licht war schön.

Keine Schönheit ohne Schmerz.

Er hatte zu viel gefühlt um die Dunkelheit ertragen zu können.

„Tut mir Leid. So war das nicht gemeint.“, meinte er ruhig – weiter ruhiger, als er selbst es in diesem Moment von sich erwartet hätte.

Das Chaos war klar.

„Eigentlich will ich nicht zurück in deine Arme. Das ist schmerzhaft.“, erklärte er, „Ich wollte dir eigentlich nicht schon wieder vertrauen. Denn das gerade tat scheiße weh. Aber wie du merkst, tu ich’s trotzdem.“

„Danke…“, flüsterte der Ältere.

„Alles liegt in Scherben. Und trotzdem fühle ich irgendwo noch Positives. Ich bete darum, dass du mir das nicht absichtlich angetan hast. Mir bleibt keine Wahl als mich daran festzuhalten. Sonst hätte ich mich wohl gerade schon umgebracht.“

Yami warf einen schnellen Blick zu dem teilweise roten Ärmel.

„Komisch wie klar alles ist…“, flüsterte Katsuya.

„Ich könnte dir das jetzt mit Abwehrmechanismen erklären.“, der Kleinere lächelte ihn an.

Und er lächelte sanft zurück.

„Aber…“, begann der Andere etwas ernster, „Kannst du mir vielleicht sagen, was genau ich dir angetan habe? Ich weiß, das klingt jetzt ziemlich beschissen, aber ich blicke gerade leider nicht durch.“

Katsuya schloss die Lider, lehnte seinen Kopf zur Seite und kuschelte ihn auf Yamis Arm.

„Ich bin ein Träumer.“, sagte er leise, „Seit letzter Woche. Und ich habe verlernt zu träumen. Ich musste wohl ganz von neu anfangen und meine Fehler wiederholen, um das Richtige zu erlernen.“
 

Als er schwieg, zuckte der Ältere mit seinem Arm um ihn zum Weiterreden zu bringen.

„Mein Lehrer sprach von Mögen, von Intelligenz, von Anerkennung.“, fuhr er fort, „Vom Wert eines jeden, selbst mir. Vor ein paar Tagen hat er mir gesagt, dass er gelogen hatte, doch ich wollte es nicht glauben. Ich wollte es erst gar nicht hören. Er hat trotz dieser Worte nicht viel an seinem Verhalten geändert. Ich fühlte mich trotzdem irgendwo angenommen. Ich begann zu hoffen. Aber Hoffnung ist trügerisch. Ich hätte auf Ryou hören sollen.“

Einen Moment herrschte Schweigen.

„Was… hat das mit mir zu tun, Kats?“

„Wie oft habe ich dir eigentlich von ihm vorgeschwärmt? Die blauen Augen, die seidigen Haare, die langen Beine, der feste Hintern…“, er öffnete die Augen wieder und sah Yami fest an, „Klingelt’s langsam?“

Der Kleiner blinzelte kurz, erstarrte dann, weitete langsam die Lider.

„Anscheinend…“, seufzte Katsuya, setzte sich ein wenig auf und vergrub sein Gesicht in Yamis Halsbeuge.

„Du… ich…“, stotterte dieser, drückte Katsuya weg, zog ihn wieder an sich, „Ich…“

„Schon gut.“

„Aber…“

„Du hattest keine Ahnung.“

„Ich hab’ dich lieb…“, beteuerte Yami, „Ich hab’ dich wirklich lieb.“

„Schon gut…“

Ein Funkeln.

Funkelnde Scherben.

Ein Lichtblick.

Wie hatte er nur an Yami zweifeln können?

Es gab Dinge, auf die konnte man vertrauen.

Katsuya lächelte an Yamis Hals, welcher ihn dafür einmal richtig drückte.

„Danke, Atemu…“, flüsterte der Blonde, legte seinen Kopf etwas höher, indem er sein Kinn auf der Schulter seines Freundes platzierte und öffnete die Augen.

Nein…

Ruckartig drückte er den Älteren von sich, fiel dabei auf sein Steißbein, doch schwieg.

Oh, bitte nicht…

Mit geweiteten Lidern schüttelte er kaum merklich den Kopf.

„Ihr seht ziemlich erbärmlich aus.“, schallte es kalt.

Gletscher

^.^

Meine Facharbeit ist fertig ^v^ Das heißt, ab jetzt habe ich wieder mehr Zeit zum Schreiben ^.- Die habe ich auch gleich genutzt, um das Kapitel eine halbe Woche früher hochzuladen. Dafür kommt das nächste dann am Montag - denn am Wochenende bin ich nicht da. Ist Karneval nicht toll? (Ich hasse es, okay, aber wenn ich damit meine Lehrer ärgern kann, gefällt es mir doch ^.-) Ich werde morgen in voller Punkermontur streiken gehen! ALLE haben frei - nur wir nicht. So ist das Leben... *seufz*

Vielleicht sollte ich mal endlich etwas zu diesem Kapitel sagen? Ja, defintiv. Ich dachte, ich gebe euch mal ein bisschen Input für Kaiba, da da ja alle im Dunkeln tappen. Und einige neue Details über Katsuya. Ich vermute allerdings, dass es eher verwirrt als hilft - obwohl ich bei einer Leserin vermute, dass sie es versteht ^.- Viel Spaß beim Rätseln.
 

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„Kaiba…“

Katsuya saß auf dem kalten Asphalt, die Glieder in alle vier Richtungen gespreizt, wie eine Spinne auf dem Rücken, zurückgedrängt in die einzige Ecke der Umgebung. Die Augen vor Schreck tellergroß, die Zähne zusammengepresst, als wären sie Landmassen bei einer Erusion.

Yami drehte sich blitzschnell zu der Person hinter sich, warf einen Blick zu Katsuya, zurück zu Kaiba, kroch schließlich zu dem Blonden, während die Szenerie um ihn erstarrt war.

Katsuyas linker Arm krallte sich an Yamis, er schluckte, brachte seine Gesichtszüge wieder unter Kontrolle und durchbohrte den Ältesten mit einem dunklen Blick.

„Eins will ich dir nur sagen.“, hob Kaiba die Stimme wieder, „Wenn du vorhast mit diesem Wissen irgendetwas anzustellen, glaub mir, ich kann dir dein Leben noch mehr zur Hölle machen als es jetzt schon ist.“

Katsuya erfasste wieder ein Zittern, doch er stand auf und ging mit bebenden Knien auf sein Gegenüber zu. „Ich habe rein gar nichts vor, auch wenn sie mir liebend gern alles Mögliche unterstellen und an den Kopf schmeißen. Anscheinend das einzige, wo sie noch nicht jedes Gefühl bei verloren haben.“

Ihm lag so viel auf der Zunge.

Jede mögliche Beleidigung fiel ihm ein.

Tausende Vorwürfe.

Gemeinheit ohne Sinn und Ende.

Aber im Endeffekt – gar nichts.

Der Brünette blieb regungslos stehen, verzog keine Miene und schien auf irgendetwas zu warten.

Aber was?

Katsuyas Zittern währenddessen nahm ab, während er gut zwei Meter von seinem Lehrer entfernt stand.

Auf was zur Hölle wartete er?

Ob er etwas sagen sollte?

Was?

Kaiba, wie können sie mit meinem besten Freund schlafen? Tja, wie konnte er auch nicht, die halbe Stadt hatte das wohl schon getan. Warum hatte ihn das Ganze eigentlich so geschockt? Mal ehrlich bedacht, er hatte vollkommen überreagiert. Schockmoment halt. Yami hatte nichts gewusst und Kaiba… der hatte von vorneherein nur gelogen. Ein Problem aus allem hatte wirklich nur er selbst gemacht…

„Ich…“, der Blonde steckte die Hände in die Hosentaschen, „Ich habe gar nicht bemerkt, dass sie rauchen.“

„Seit letzter Woche wieder.“, erwiderte Kaiba kurz, zog Packung heraus, entnahm eine weitere Zigarette und sein Feuerzeug, verstaute den Rest wieder und zündete den Tabak an.

„Montag vielleicht?“, fragte Katsuya mit eingezogenem Kopf, nachdem er fast fasziniert das Schauspiel beobachtet hatte.

„Wie du da bloß drauf kommst…“, spottete der Lehrer, hielt den Stängel wieder elegant zwischen Zeige- und Mittelfinger und blies den Rauch durch den Mund aus, „Du kostest echt Nerven.“
 

Wieder Schweigen.

Yami saß immer noch regungslos im Hintergrund, immer noch ohne Hemd, die Hose und die Schuhe mittlerweile aber geschlossen. Kaiba war komplett angezogen und rauchte seine Zigarette. Und Katsuya? Der wusste nicht, was er sagen sollte.

Er kostete Nerven.

Glückwunsch, da wäre er glatt selber draufgekommen.

Aber dass Kaiba das zugab?

Dass er nicht nur Nerven raubte, sondern seinen Lehrer rückfällig werden ließ.

Ungewöhnlich für einen Kaiba.

Er musste auch ganz schön durcheinander sein.

Wenigstens schloss das die Vermutung aus, dass er dieses… Treffen… in irgendeiner Art geplant hatte.

Na, zum Glück hatte sich sein eigenes Chaos ein klein wenig gelegt.

Warum war er eigentlich so ausgetickt?

Okay, Kaiba in Yamis Bett… aber Yami wusste nichts davon… und Kaiba? Nein, ausgeschlossen. Scheiß Zusammenspiel des Schicksals halt. Aber ob…

„Wissen sie eigentlich, dass Yami Yugis Bruder ist?“

Kaiba, der gerade an der Zigarette zog, hustete kurz, atmete einmal tief durch und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Ja… schon…“

Wow, der war ja wirklich komplett durch den Wind.

Katsuya spürte seine Brust anschwellen.

Hey, er hatte Kaiba in der Hand.

Er könnte ihm seinen Job und seinen Ruf nehmen.

Jetzt hatte er die Macht.

„Schon?“, fragte er so beiläufig wie möglich.

„Na ja… ich… sag mal, was geht dich das eigentlich an?“, schnauzte der Brünette.

Oh… schnell gefangen.

Hin war die Macht.

„Halt mal, halt mal, Auszeit.“, Yami kam von hinten heran, „Du hast Kontakt mit meinen Bruder?“

„Sein bester Freund.“, antwortete Katsuya für den Älteren.

„Was?“, fast entsetzt starrte der Rothaarige den Rauchenden an.

„Ich… ich…“, definitiv – total durch den Wind, „Wir haben uns vor zwei Monaten wieder getroffen…“

„Weiß Yugi, dass du mich vögelst?“, verlangte der Aufgebrachte zu wissen, kam näher, als er keine Antwort erhielt, blieb kurz vor Kaiba stehen, „Oder… schläfst du mit ihm etwa auch?“

„Nein!“, fauchte der Älteste, sah sich um, fuhr sich wieder durch die Haare, „Nein, ich… er ist ein ganz normaler Freund.“

Der Stricher packte sein Gegenüber am Kragen und zog ihn etwas runter, durchbohrte ihn mit einem sicher nicht freundlichen Blick seiner dunklen Augen und zischte: „Sicher?“
 

Kaiba packte Yamis Hand und quetschte sie mit seiner Pranke, sodass der Kleinere ihn losließ.

„Reg dich ab, du kleine Straßennutte.“, knurrte er wütend, „Wenn ich sage, er ist nur ein Freund, dann ist das auch so.“

Okay, der hatte sich gefangen.

„Lass mich los!“, schrie Yami und versuchte seine Hand zu befreien, „Das tut weh!“

„Heul doch.“, meinte der Brünette, ließ die Hand aber dennoch los.

„Hey, schlagt euch nicht.“, mischte sich auch Katsuya wieder ein, trat zwischen beide, drückte sie auseinander und stellte sich neben Yami.

Autsch… an der Hand konnte man jede Hautfalte Kaibas erkennen.

„So was wie du sollte da mal lieber die Klappe halten.“

Katsuya erstarrte, verengte die Lider, warf einen Blick zu dem Lehrer und ließ den Kopf folgen, bis er sich ganz zu ihm gedreht hatte.

Kaiba verteilte währenddessen kalte Blicke.

„Was. Soll. Das. Heißen?“

Doch der Ältere hob nur die Nase und blickte den Blonden von oben herab an.

„Das…“, setzte Yami an, doch schwieg darauf.

„Was soll das? Sie wissen, dass ich geschlagen werde! Sie tun ja gerade so, als würde ich mir das extra antun lassen!“, schrie Katsuya in voller Lautstärke.

Der Ältere zuckte nur mit den Schultern. „Wer weiß?“

Der Punker riss die Lider weit auf, biss die Zähne aufeinander und ballte die Hände zu Fäusten.

„So wie du dich mir gegenüber verhältst, könntest du glatt Masochist sein. Oder einfach nur ein blöder Köter.“

„Sie…“, Katsuya Rechte zitterte unter dem Druck, mit dem er seine Hand zusammenkrallte, „Sie…“, er schüttelte den Kopf langsam, fletschte die Zähne und ließ die Lider zucken, „Sie sind einfach nur…“

Yami bewegte sich kein Stück mehr. Er war einfach nur geschockt.

„Was?“, provokativ hielt Kaiba ihm die linke Wange hin, „Tu’s doch. Die perfekte Gelegenheit dich nie mehr sehen zu müssen.“

„Katsuya…“, flüsterte der Stricher und warf ihm von der Seite einen flehenden Blick zu, „Lass das sein. Das ist er nicht wert.“

Der Blonde knurrte nur.

„Zu feige?“, fragte der Älteste nach, „Ich wusste, dass du keinen Mumm hast.“

Yami stellte sich zwischen beide, mit dem Rücken zu Kaiba und versuchte durch leichtes Zupfen an der Jacke Katsuya abzulenken.

„Du bist einfach nur jämmerlich, du Memme.“, der Brünette richtete sich wieder auch und ließ seinen Blick erneut erkalten.
 

Katsuya legte den linken Arm um Yami, zog ihn an sich, griff mit der Rechten ein eine der Hintertaschen der Hose, zog sein noch blutiges Messer hervor, drückte den Kleineren zur Seite, machte einen Schritt nach vorne und legte Kaiba die Waffe an die Kehle.

Einen Moment fror alles ein.

„Das…“, begann der Älteste ruhig, „…scheint in letzter Zeit sehr beliebt zu sein. Hast du das von diesem Bakura gelernt?“

„Nein, ich bin glatt selber drauf gekommen.“, zischte der Blonde kalt, „Auch sieben Jahre Gosse können bilden.“

Kaiba atmete tief ein, doch sein Ausatmen zitterte – wohl doch nicht so kalt, der Gute.

Katsuya hob von dem anderen unbemerkt ein Bein und stieß mit voller Kraft von hinten in seine Kniekehle.

Was seine Wirkung nicht verfehlte und Kaiba nach unten zwang.

Ein weiterer, etwas gedämpfter Tritt ging zwischen dessen Beine, worauf Katsuya seinen Fuß quer in den Schoß des Brünetten stellte und ihn somit noch weiter herab zwang.

„Besser.“, urteilte der Blonde mit Kaiba vor ihm auf dem Asphalt sitzend, „Und jetzt…“, seine Hand hinter dem Kopf des Brünetten krallte sich in dessen Haare und zog so sein Gesicht nach oben, „Jetzt kann ich mir überlegen, wie viel Blut ich heute noch vergießen will.“

„Katsuya!“, Yami versuchte dazwischen zu gehen, doch Katsuya richtete nur kurz das Messer auf ihn und brachte ihn somit zum Schweigen.

Die Klinge legte sich wieder an Kaibas Kehle, der mittlerweile schnell und heftig atmete.

„Wissen sie…“, begann der Braunäugige, „Das vorhin war mir eigentlich relativ egal. Meinetwegen, vögeln sie eben meinen besten Freund. Aber erzählen sie einem nicht gleichzeitig etwas vom Wert des Lebens, von der Entfaltung des Individuums und dem sonstigen Schrott aus ihrem Mund.“, er kratzte leicht an der Haut ohne sie zu beschädigen, „Denn Hoffnungen zu zertrümmern ist das Beschissenste überhaupt.“

„Ich weiß.“, antwortete der Sitzende mit einem grausamen Lächeln, „Was glaubst du eigentlich, was ich tun wollte?“, er versuchte seinen Atem zu beruhigen, doch es gelang ihm eher kläglich, „Du wolltest Wahrheit? Bitte. Ich wollte dir alle möglichen Hoffnungen machen, bis du vollkommen von mir abhängig bist. Und dann wollte ich dich ganz langsam sterben lassen, indem ich jede einzelne wieder zerstöre. Das sollte mein Spaß sein. Aber selbst den musstest du mir ja noch zerstören.“

Katsuya traf ein eiskalter Blick.

Er selber blinzelte verwirrt, ungläubig, erstaunt.

Das…

Das war es gewesen?

Kaiba wollte ihn… quälen?

Ihn seelisch abtöten?

„Aber ich war doch schon tot…“, flüsterte der Blonde, selbst auch etwas schwerer atmend.

Yami starrte stumm den Brünetten an.

„Deswegen hat’s wohl nicht geklappt.“, dieser zuckte mit wehleidiger Miene mit den Schultern.
 

Katsuya fuhr mit dem Messer zu der für ihn linken Seite Kaibas Halses.

Sein Daumen legte sich auf die Rückseite der Klinge.

Zart drückte er gegen das blasse Fleisch, bis sich ein roter Film millimeterdick auf dem Metall sammelte.

Blut zu Blut.

Sein eigenes hatte sich bereits braun verfärbt und war getrocknet.

Das frische Kaibas dagegen glänzte noch in seinem dunklen Rot.

„Tu’s endlich…“, flüsterte der Ältere und drückte sich das Messer so noch ein wenig tiefer in den Hals.

Katsuya hob den Blick von Kaibas Hals zu seinen Augen.

Funkelndes Blau traf dunkles Braun.

Kaibas Hand legte sich auf Katsuyas.

„Tu’s…“

Der Sitzende schloss die Augen.

Und lächelte.

Katsuya schluckte.

Eine Träne sammelte sich an Kaibas rechtem Augenlid, rollte blitzschnell seine Wange hinab, tropfte auf die Klinge, vermischte das angetrocknete Blut mit dem neuen.

„Wollen sie sterben?“, flüsterte der Punk.

Kaiba erhöhte den Druck auf Katsuyas Hand.

Doch dieser zog sie weg.

„Den Gefallen tu’ ich ihnen nicht.“

Er trat einen Schritt weg von seinem Opfer, klappte das Messer zusammen und beobachtete, wie Kaiba in sich zusammensackte.

„Katsuya…“, murmelte der Stricher neben beiden, ließ seinen Blick zwischen ihnen wandern.

Der Blonde steckte das Messer weg, erzitterte plötzlich.

„Kaiba?“, fragte er vorsichtig.

Dessen Kopf schnellte in die Höhe und durchbohrte den Jüngsten mit einem noch kälteren Blick als sonst. Seine Lider waren nur zu einem kleinsten Spalt geöffnet. Doch das Blau dahinter schien zu brennen.

Katsuya atmete tief durch.

„Ich werde nicht zum Mörder.“, antwortete er fest, trotz zitternder Stimme, „Auch nicht für sie.“

„Du bist ein Mörder.“, zischte Kaiba.
 

„Katsuya!“, schrie Yami mit voller Kraft.

Doch er rannte.

Rannte ohne Unterlass.

Nicht zurückblicken.

Nur nicht zurückblicken.

Der Anblick war tödlich.

Überall Blut.

Die Schreie in seinen Ohren.

Eine durchgeschnittene Kehle.

Nicht zurückdenken.

Das war damals.

Das war lange vorbei.

Und doch rannte er.

Rannte davon.

Vor sich selbst.

Vor seiner Vergangenheit.

Vor Kaiba.

Wusste er etwas?

Wusste er von damals?

War er dabei gewesen?

Nein, unmöglich.

Katsuya rannte.

Er rannte ohne einen Blick oder Gedanken an das, was hinter ihm lag.

Vergangenheit…

Er rannte.

Bis er seine Tür erreichte.

Hastig schloss er auf, steckte den Schlüssel wieder weg, schloss hinter sich mit dem Innenschloss ab.

„Vater?“, rief er laut.

Ein Brummen kam aus dem Wohnzimmer.

Katsuya stürmte herein, erblickte den Älteren sich auf dem Sofa aufrichten und kam zu ihm herüber.

„Wasch’n?“, murmelte der Betrunkene.

„Schlag mich!“, verlangte der Stehende.

„Häh?“

„Du sollst mich schlagen, du verdammtes, betrunkenes, begriffsstutziges Stück Dreck!“, schrie Katsuya ihm entgegen, packte ihn am Kragen und riss ihn hoch.

Herr Jonouchi packte sich an den Kopf und versuchte taumelnd Halt zu finden.

„Rrraaarrrgh!“, der Jüngere ballte seine Rechte und schlug zu.

Der Betrunkene flog zurück auf das Sofa.

„Steh auf!“

Dieser fasste sich an den Kiefer, blinzelte, schien langsam zu sich zu kommen.

„Steh endlich auf!“, schrie der Andere.

Herr Jonouchi stütze sich an der Lehne, kam wieder auf die Beine und öffnete seinen Gürtel…

Have a good morning, everyone!

Hier mal wieder ein "normales" Kapitel. Keine neuen Eröffnungen, Intrigen oder psychische Zusammenbrüche. Einfach mal etwas zum Entspannen... könnte man denken. Ob es das ist, sei eure Entscheidung ^.-

Ich habe ja heute und morgen frei und das Ganze natürlich gut genutzt. So habe ich am heutigen Tag nicht nur in der Gärtnerei eingekauft und ein Beet bepflanzt und mit Kies ausgelegt - nein - ich habe auch geschrieben. Und zwar sieben volle Seiten nur Sex. Wer auch andere FFs von mir liest, der weiß, dass ich zurzeit über jedes Pairing eine Songfic schreibe. Und so habe ich ein schön langes Adult-Kapitel über Bakura (Yami Bakura) und Seto geschrieben. Und der morgige Tag ist Dead Society und Hausaufgaben gewidmet, also hoffe ich auch das nächste Kapitel bereits morgen zu schreiben. Es kommt auf jeden Fall ganz normal am Samstag on. Ansonsten erstmal viel Spaß mit diesem Chapter ^.-
 

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Piep.

Piep.

Piep.

Katsuya zog die Augenbrauen zusammen, stöhnte und drehte sich zur Seite.

Piep.

Er blinzelte, kniff die Augen und öffnete sie schließlich ganz.

Piep.

Er griff zu seinem Handgelenk und schaltete die Armbanduhr aus.

Hatte nur er das Gefühl oder stand sein Kopf kurz vor dem Platzen?

Er murrte, drehte sich auf den Rücken und zuckte zusammen.

Autsch…

Sein Rücken brannte.

Er fuhr mit einer Hand nach hinten und tastete ihn ab.

Na, wenigstens blutete er nicht.

Das hätte man durch die Klamotten durch gesehen und sein-

Scheiße, sein Chef!

Samstag plus Wecker gleich Arbeit!

Aber…

Was sollte er da?

Sein Geld konnte man unehrlich leichter verdienen… und jetzt, da… da… da dieser Typ für ihn gestorben war…

Er atmete tief durch.

Kaiba.

Sein Name war Kaiba.

Nicht Typ.

Und gestorben war er auch nicht.

Katsuya konnte sich das nicht einmal denken.

Wieso betrog er sich selbst so sehr?

Nur dieses Bild… die braunen Haare, die weiße Haut, die blauen Augen, die grüne Tafel im Hintergrund… sein eigener Körper schien ihn brechen zu wollen.

Wie konnte man dieses Herzklopfen unterbrechen?

Er wollte es nicht…

Er wollte einfach nicht mehr…
 

Katsuya seufzte.

Wohin sollten diese Gedanken denn noch führen?

Er konnte es halt nicht ändern.

Kaiba war fraglos der größte Sadist der Geschichte.

Fast zumindest.

Dracula war schlimmer.

Der hatte seinen Leuten die Gliedmaßen abgeschlagen, die Augen ausgestochen und sie auf Pfähle aufgespießt.

Aber Kaiba war fast genau so schlimm.

Warum musste er Idiot sich in genau diesen Sadisten verlieben?

Die ganze Nacht hatte es ihn wach gehalten – nun ja, der schmerzende Rücken hatte sein Übriges getan.

Das kam davon, wenn man einmal so gut schlief, dass man nicht mehr wie tot ins Bett fiel und alles andere um einen komplett verdrängte.

Kaiba war ein Lügner.

Kaiba war grausam.

Kaiba tat alles um ihn leiden zu lassen.

Und er liebte ihn trotzdem.

War das krank?

Vielleicht.

Vielleicht hatte er durch die ganze Bedürfnisbefriedigung und Wertschätzung und verdeckte Freundlichkeit… vielleicht glaubte er nur zu lieben?

Er kannte nur die Liebe zu seiner Schwester.

Dies hier war anders.

Aber wenn es nun nicht Liebe war?

Hach, das war alles so kompliziert…

Es stellte sich nur noch eine Frage.

Weiterkämpfen oder nicht?

Die Karten lagen nun offen.

Jeder hatte die gleichen Chancen.

Kämpfen oder… Aufgeben?

Er und Aufgeben?

Katsuya und Aufgeben?

Hah!

Wehe dem, der diese beiden Worte in einem Satz in den Mund nahm!

Er und Aufgeben?

Niemals!

Wenn Kaiba dachte ihn nun gebrochen haben – Pech gehabt.

So leicht gab er nicht auf.

Wenn Kaiba so etwas dachte, dann hatte er sich schwer getäuscht. Er würde weitermachen. Und wenn nicht für den Blauäugigen – so für ihn selbst.

Er würde immer aufstehen.
 

„Hey, Kats!“, Marik winkte ihm von der Bar aus zu, wo er gerade einige Gläser abtrocknete.

„Nichts los?“, fragte der Blonde verwundert.

„Ne, noch nicht. Aber das ändert sich schneller als du dir das wünscht.“

„Hm…“, er erreichte Theke.

„Heilige…“, der Sandblonde stellte das Glas weg, warf den Lappen zur Seite und packte Katsuyas Kinn, „Was ist denn mit dir passiert?“, er strich die Haare etwas nach hinten und begutachtete die übrig gebliebenen blauen Flecken von… von wann noch mal?

„Kleine Prügelei.“, Katsuya zuckte mit den Schultern.

„Prügelei?“, fragte Marik zweifelnd, „Umura bringt dich um, wenn er das sieht. Kellner sind gehören zum Inventar, sagt er, und wehe sie sind kaputt. Du fliegst im hohen Bogen…“

Der Blonde sank etwas in sich zusammen.

„Hey, hey, warte…“, der Ältere ließ ihn los, kam hinter der Theke her und packte ihn am Arm, „Nicht gleich so traurig, das kriegen wir hin.“, er zog ihn Richtung Bedienstetenzimmer. Warum zur Hölle hieß das Ding nicht einfach Staffroom? Na, wahrscheinlich weil jeder das gleich mit Stuff room verwechselte…

„Was kriegen wir hin?“, fragte der Braunäugige vorsichtig, doch schon wurde er in die derzeitige Umkleide der Mädchen geschubst.

„Wah!“, schrie Mai und zog ihr Shirt vor ihren BH.

„Sorry, Mädels, Notfall. Und er ist eh schwul.“, meinte Marik, hob die Hand zum Gruß und schloss die Tür.

Hier stand er also.

Mitten in einer Umkleide mit zwei halbnackten Mädchen.

Glückwunsch.

Zumindest war er ganz eindeutig schwul… woher zur Hölle wusste Marik das?

Ach ja, er war mit Yami befreundet… hieß das gleich, dass man schwul sein musste?

„Warum sind alle gut aussehenden Männer schwul?“, fragte die Blonde mit einem Seufzen und zog sich weiter an.

„Naturgesetz.“, Anzu zuckte mit den Schultern und knöpfte ihre Bluse weiter zu, „Aber was ist denn bitte ein Notfall? Zu spät bist du doch nicht, oder?“

„Eigentlich nicht…“, Katsuya starrte auf seine Schuhe um nicht unhöflich zu wirken, „Ich glaube, es geht um mein Gesicht.“

„Gesicht?“, die Braunhaarige stand auf und hob dieses mit einem Finger unter Katsuyas Kinn an, „Meine Güte… was hast du gemacht? Rugby?“

„Äh… nein.“

„War auch eher ein Witz.“, auch sie begutachtete ihn wie Marik gerade, „Das kriegen wir hin.“

„Worüber redet ihr alle zur Hölle?“, fragte Katsuya – mittlerweile vollends verwirrt.

„Na, das können wir überdecken.“

„Überdecken?“, er zog die Augenbrauen zusammen und legte die Stirn in Falten.

„Ja, klar.“, sie ließ ihn los, „Noch nie geschminkt?“

„Was?“, schrie der Blonde leise.
 

Na toll…

Sein Lehrer hatte ihn komplett betrogen, sein bester Freund schlief mit eben diesem, er saß in einem Hinterraum einer Nobelbar, wurde von einer blonden Silikonpuppe über den Unterschied zwischen Kajal und Eyeliner und Vor- und Nachteile des ganzen Zeugs aufgeklärt und von einer Sechzehnjährigen geschminkt.

Konnte sein Leben noch beschissener werden?

Nein?

Ja, der Meinung war er auch.

Danke vielmals.

Und jetzt?

Irgendwer mit konstruktivem Vorschlag?

Er könnte Mai sagen, sie solle die Klappe halten, aber Anzu benutzte ihre Schminke, also käme das wohl reichlich schlecht. Und sich nicht schminken lassen konnte er auch nicht, denn sonst verlor er seinen Job. Und verlor er seinen Job, musste er sein Essen wieder zusammenklauen und konnte Kaiba nicht mehr unter die Augen treten. Das konnte er zwar auch so nicht, aber andernfalls hätte er wenigstens die Möglichkeit.

Krise!

Aber mal ganz ehrlich, geschminkt sah er ja gar nicht schlecht aus…

Die blonden Wimpern mal schwarz, die Augenbrauen gepudert, eine Abdeckcreme und darüber Make-up, die Lippen mit Vaseline glänzend, die Haare erst ordentlich gebürstet, dann gekämmt und schließlich „ordentlich“ wieder verwuschelt.

Nett.

Wahrlich nett.

Er schwenkte sein Gesicht ein wenig.

„Wir sollten die Bandagen unter dem Hemd abmachen.“, meinte Anzu, während sie ihn musterte.

„Was?“

„Denk’ ich auch.“, bestätigte Mai.

„Aber-“

„Kein Aber. Oder sind die Wunden blutig?“

„Das nicht, aber…“

„Aber?“, beide sahen ihn an.

„Sie sind… lila. Ziemlich dunkel.“

Mai wandte das Gesicht zur Seite, doch beließ den Blick auf seinem Oberkörper.

„Aua.“, meinte Anzu nur.

„Ja… aua.“, bestätigte der Blonde.

„Haben wir Bandagen hier?“, fragte die Brünette.

„Klar. Medizinschrank. Wieso?“, die Älteste zog die Augenbrauen zusammen.

„Ich hab’ ’ne Idee.“, sie hatte sich bereits umgewandt und zog einige kürzere Bandagen heraus, „Wir wickeln ihn noch mehr ein.“

„A… ha…“, meinte die andere ungläubig, „Dann sieht er noch schlimmer aus.“

„Eben nicht! Wir nehmen ein kurzes Stück der Ober- und der Unterarme. Links unten ist ja schon bandagiert. Dann sieht es auch als wäre es extra. Hipp. Neue Mode eben.“

„Das soll wirken?“

„Wirst schon sehen.“, sie wandten sich dem Schweigenden zu, „Hemd wieder aus!“
 

„Also, was denkst du?“

„Besser als nix.“, bestätigte Mai.

„Find’ ich auch. So können wir ihn auf die Horde loslassen.“

„Die bemerkt das im besoffenen Koppe eh nicht.“

„Habe ich eigentlich auch ein Recht etwas zu sagen?“, fragte Katsuya vorsichtig.

„Nein.“, entschieden die Frauen einstimmig.

„Wir könnten auch noch-“, begann Anzu.

„Kommt ihr?“, die Tür hatte sich geöffnet und Marik warf einen Blick hinein, „Schick.“, urteilte er bei einer Musterung Katsuyas, „Hat was. Ich wollte nur sagen, dass die ersten Gäste kommen.“

„Auf dem Weg.“, Mai folgte ihm direkt.

„Schade, ich wollte noch eine Maniküre machen…“, Anzu seufzte, „Ein andermal. Du bist ein gutes Model, weißt du das?“

„Danke.“, antwortete Katsuya ernst.

„Meine Güte, zieh nicht so eine Sargmiene bei dem schönen Make-up.“

„Nein, ehrlich…“, setzte der Blonde noch einmal an, „Danke.“

Sie lächelte.

„Ich brauch’ den Job.“

„Ist ja gut…“, meinte sie und winkte ab, „War mir eine Ehre. Immer wieder gerne. Obwohl du uns irgendwann eine neue Palette Schminke schuldest, wenn das öfter vorkommt.“

Er lächelte ebenfalls.

„Und jetzt wieder eine freundliche Miene, bitte. Verscheuch’ uns keine Kunden. Schließlich bist du unser neues Prinzchen. Auf dich achten sie ganz besonders.“

„Echt?“, fragte er überrascht.

„Oh ja. Kein Club ohne gute Leute. Alles stürzt zusammen, wenn der erste Eindruck schlecht ist. Dann ist es wirklich schwer doch noch an jemanden zu gelangen.“

„Aber möglich?“, fragte Katsuya leiser.

„Öhm… ich denke schon… aber zu wenig Kunden haben wir ja nun auch nicht.“, sie strahlte ihn an, „Na komm. Du musst für unsere Schminkkünste modeln.“

Er ließ sich lächelnd mitziehen.
 

„Die grabschen ja heute wieder wie die Wilden.“, stellte Marik mit einem Lächeln fest.

„Ich fauche auch ganz gut.“, erwiderte der Blonde.

„Ja… du hast hier so etwas wie ein Gangsterimage. Die Bandagen machen sich gut. Bandagen, durchsichtiges Hemd, eiskalter Blick und geschminkt. Du bist einfach krass. Da steh’n die Typen drauf.“

„Na super.“, er seufzte, „Ich will doch nur, dass sie mich in Ruhe lassen.“

„Dann müsstest du weniger süß aussehen. Aber du hast jetzt den von mir so getauften Mai-Stil. Die hat auch etwas von Gangsterbraut.“

„Aber Anzu hat mich fertig gemacht.“

„Und Anzu berät Mai.“

Katsuya zog eine Augenbraue hoch.

„Und sie selbst ist sehr jung. Das kann man benutzen. Schön jung wirken, Augen groß schminken, kokettieren. Das kann sie gut. Da hier einige aus der Untergrundszene sitzen, kommt sie damit auch gut an. So etwas weckt Beschützerinstinkte. Und die Wölfe kriegen Lust zum Zerfleischen.“

„A… ha…“

„Um die Ecke ist ein Bordell. Die müssen uns mittlerweile Geld zahlen, weil unsere Kunden deren größte Einkommensquelle sind. Chef Umura versucht auch schon das Ganze aufzukaufen.“

„Aha…“, Katsuya trank einen Schluck des gereichten Wasserglases, „Warum erzählst du mir das alles?“

„Mir ist langweilig und du brauchst eine Pause. Und damit du mir nicht gleich wieder abhaust, quatsch’ ich dich eben voll.“, er mixte in einer silbernen, sehr ungewöhnlich aussehenden Dose irgendwelche Flüssigkeiten, „Du brauchst dich hier nicht zu Tode arbeiten.“

„Tu’ ich doch auch nicht.“, meinte der Blonde etwas leiser.

„Doch.“, Marik füllte den Inhalt des jetzt aufgeschraubten Geräts auf zwei Gläser auf, „Du arbeitest seit sieben Stunden und hast nicht fünf Minuten mal nichts getan. Glaubst du, das ist gesund?“

Katsuya schwieg und beschränkte sich darauf etwas zu trinken.

„Gäbe es hier fest eingehaltene Arbeitsgesetze müsstest du eine halbe Stunde Pause zwischendurch kriegen.“, er dekorierte die Gläser mit einem Fruchtstück, befeuchtete die Ränder, streute Zucker darüber und setzte ein Schirmchen in jedes Glas, „Aber anders geht so natürlich die Zeit schneller rum. Was machst du nach Feierabend?“

„Weiß nich’…“, murmelte der an der Theke Sitzende.

„Kommt Yami dich wieder abholen?“

Ach, darauf wollte er also heraus…

„Willst du ihn immer noch ins Bett kriegen?“

„Natürlich!“, Marik pfiff ansteigend, „Der Typ ist rattenscharf.“

„Er ist mein Freund.“, sagte der Braunäugige ruhig.

„Glückwunsch…“, ihm wurde ein neidischer Blick zugeworfen, „Obwohl es wahrscheinlich auch nicht einfach ist mit einem Stricher zusammen zu sein.“

„Nicht so ein Freund!“, grummelte Katsuya, „Ein ganz normaler Freund.“

Marik zog eine Augenbraue hoch.
 

Na toll.

Gab es eigentlich irgendjemanden, der Yami nicht als ein Stück Fleisch ansah?

Gut, Marik war nett, aber das konnte er einfach nicht verstehen.

Katsuya seufzte, nahm die nächste Hand von seinem Hintern und quetschte sie leicht, bevor er sie zur Seite stieß.

Wie musste das sein für andere nicht mehr als ein Lustobjekt zu sein?

Was Schönes zum immer wieder anschauen?

Vor zwei Wochen hatte er gedacht, Yami ginge es schlechter als ihm selbst. Aber er hatte nie bedacht, wie schlecht es Yami eigentlich ging! Und dann machte er gestern auch noch so einen Terz, nur weil Yami mal etwas tat, was ihm Spaß machte.

Glückwunsch.

Yami war umsichtig. Wenn Kaiba nächstes Mal auftauchte, er würde ihn vor die Tür setzen. Aber war das so Sinn der Sache?

Natürlich tat es weh, aber… wenn es Yami damit besser ging… er sollte wohl noch mal mit ihm sprechen.

Die Aktion gestern war vollkommen selbstsüchtig gewesen.

Natürlich wollte er Kaiba haben.

Immer noch.

Aber damit sollte er nicht anderen auf die Nerven gehen.

Wenn er kämpfte, dann fair – und gestern hatte er ohne jeden Sinn und Hintergrund seinen besten Freund fertig gemacht.

Er sollte sich wirklich entschuldigen.

Ob Yami ihn wirklich heute Abend abholen würde?

Schön wäre es ja.

Er wusste ja, dass er hier arbeitete.

Und er war Stammkunde.

Also… vielleicht…

Katsuya warf einen sehnsüchtigen Blick zur Tür und zur Uhr.

Noch eine halbe Stunde.

Fünfzehn Minuten.

Zehn.

Acht.

Fünf…

Nein, Yami schien nicht zu kommen.

Schade.

Katsuya seufzte traurig.

Sehr geehrte Samen und Herren...

Nein, ich habe mich bei der Überschrift nicht verschrieben. Die ist so ernst gemeint ^.-

Nun, einige haben sicher die Krise mit meinem Laptop mitbekommen. Der ist kaputt, definitiv, aber meine Daten konnten wie durch ein Wunder gerettet werden. Demnach muss ich die anderthalb Kapitel nicht neu schreiben und es geht im normalen Takt weiter. Und nun die total kitschige Ansprache: Ich danke allen, die mich in dieser schweren Krise unterstützt haben! *eine falsche Träne aus dem Augenwinkel wisch*

Jetzt aber mal endlich zum Kapitel. Dass sich Kats sehr extrem ungewöhnlich verhalten hat, besonders zum Ende hin, ist nur einer aufgefallen. Deshalb mag ich hier noch einmal darauf hinweisen. Genau das wird in diesem Kapitel aufgegriffen. Und ich hoffe, das es ohne große Erklärungen verständlich ist, denn hier helfen jetzt die psychologischen Modelle zum Verständnis. Egal, lest einfach ^.^ Viel Spaß ^.-
 

Edit: Die von Yami angewandte Methode am Ende des Kapitels ist KEINE gängige Psychotherapiemethode und nur in ausgewählten Fällen anzuwenden. ERST RECHT NICHT bei Traumapatienten. Also bitte NICHT übernehmen oder ausprobieren.
 

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„Na, Schöner…“, hauchte ein blondes, durch ihre Haarlänge als weiblich zu identifizierendes Individuum, „Du hast doch gleich Feierabend, nicht? Hast du schon etwas vor?“

Er stellte den Drink ab, lächelte honigsüß und antwortete freundlich: „So Leid es mir tut, ja.“

„Vielleicht wünscht er auch einfach männliche Begleitung.“, raunte eine dunkle Stimme hinter ihm.

Katsuya warf einen Blick über die Schulter und schlug gegen eine Mauer alkoholischen Atems. Seinen Ekel unterdrückend trat er einen Schritt zur Seite.

„Oder, Schöner?“

Er betrachtete den Mann kurz und antwortete ohne Umschweife: „Wie gesagt, ich habe bereits etwas vor.“

„Wirklich?“, der Betrunkene kam auf ihn zu und versuchte ihn zu fassen, doch Katsuya wich zurück, „Was denn, Schöner?“

„Ich treffe einen Freund.“, antwortete der Blonde schnell und bewegte sich rückwärts Richtung Bar.

„Den kannst du doch auch mitbringen…“

Der war vielleicht penetrant!

„Nein. Setzen sie sich bitte wieder oder verlassen sie das Lokal.“, er warf Anzu und Mai einen Blick zu und beide setzten sich sofort in Bewegung.

„Aber mein Schöner…“, der Mann schnellte plötzlich vor, griff nach Katsuyas Arm und versuchte dessen Besitzer zu küssen.

Der Blonde zog einen Arm hoch, löste den anderen und schob den Betrunkenen von sich.

Sogleich waren die beiden Mädchen zur Stelle und ihn zu seinem Platz zurück zu bringen – wobei sie ihn mehr schleiften als freundlich leiteten.

Katsuya seufzte auf.

War der Abend nicht schon mies genug?

Er warf einen Blick auf die Uhr.

Feierabend!

Lächelnd drehte er sich zur Bar.

„Yami!“, rief er erschrocken.

Da… da stand Yami.

Sein Yami.

Sein Freund.

Was machte der denn hier?

Der Blonde beeilte sich zur Theke zu kommen, an der der Rothaarige lehnte.

„Abend, Katsuya.“, meinte dieser.

Seine Augen lagen auf seinem Drink, er hob kaum den Kopf zur Begrüßung.

Der Braunäugige stellte sich neben ihn und warf einen Blick auf sein Gesicht.

Traurig.

Es sah einfach nur traurig aus.

Wo war Yamis immerfrohes Wesen?

Wo war der Mensch, der sich nie brechen ließ?

„Yami…?“, flüsterte Katsuya besorgt.
 

Der Mann mit den violetten Augen nahm einen tiefen Schluck seines – wie Katsuya jetzt erkannte – nicht alkoholischen Getränkes und schob Marik das Glas rüber.

„Hör mal…“, begann er leise, „Ich…“, er presste die Lippen zusammen, starrte auf den Tresen, seufzte, fuhr sich durch die Haare und wandte sich dem Blonden zu, „Katsuya, ich wollte mich entschuldigen.“

Der Jüngere blinzelte verwirrt, setzte sich auf den Barhocker neben Yami und fragte überrascht: „Wofür?“

„Wofür?“, wiederholte Yami ungläubig, richtete sich ganz auf und drehte den ganzen Stuhl in die Richtung seines Gegenübers, „Was meinst du mit wofür? Ich meine… gestern da…“

„Gestern war ich total durch den Wind.“, unterbrach der Blonde ihn und senkte den Kopf, „Und ich wollte mich entschuldigen. Ich habe vollkommen überreagiert.“

Der Rest der Kneipe schien meilenweit entfernt.

Da saß nur noch Yami auf seinem Barhocker, der ihn mit großen Augen regungslos ansah und langsam, ganz langsam zu lächeln begann.

Nur noch dieses Lächeln.

Mehr gab es gerade nicht.

„Katsuya… du bist der unglaublichste Mensch auf den großen, weiten Welt.“, sagte der Rothaarige ehrlich gerührt, „Und wäre Kaiba nicht das größte Arsch der Nation, ich würde ihm glatt danken, dass er dir dafür den Anstoß gegeben hat. Auch wenn es ein eher trauriger Anstoß war…“

Der Blonde nickte kurz, schenkte seinem Gegenüber ebenfalls ein Lächeln und wandte sich an Marik, der breit grinsend vor beiden stand. „Ich mach dann Feierabend.“

„Einen wunderschönen Abend…“, flötete der nur und wandte sich dem Putzen eines Zapfhahnes zu.

„Gehen wir spazieren?“, fragte er weiter an Yami gewandt.

„Gern.“, bestätigte dieser und sprang von seinem Hocker.

Ja, er hatte sich verändert.

Und definitiv nicht zum Schlechten.
 

„Du siehst übrigens sehr gut aus.“, bemerkte der Stricher.

„Danke.“, erwiderte der Blonde lächelnd, löste die überflüssigen Bandagen und suchte seine Punkerklamotten aus dem Schrank – schön war es, wenn es Wochenende war.

„Wie geht es deinem Arm?“

„Tut nicht weh. Der Schmerz konzentriert sich gerade auf meinen Rücken. Mein Vater war nicht unbedingt zimperlich.“

Yami zog eine Augenbraue hoch, atmete tiefer und musterte den sich Umziehenden.

„War schmerzhaft. Aber es hat mich zur Besinnung gebracht.“

„Katsuya…“, flüsterte der an der Tür Stehende.

„Ja?“, der Blonde drehte sich zu ihm.

„Ist mit dir wirklich alles in Ordnung?“

„Ja, wieso?“, er wandte sich wieder seinen Sachen zu.

„Du bist verändert, ja… aber so?“

„Sagt deine Psychologie nichts dazu? Ich kann es auch nicht erklären. Es gefällt mir nur.“

Der Kleinere löste sich von der Wand, gegen die er lehnte und schritt auf den anderen zu.

„Findest du das besorgniserregend?“

„Ja.“, antwortete er knapp.

„Ach, komm… es hat wehgetan, ja. Aber es geht mir wieder gut.“

„Das geht mir ein bisschen schnell.“, eröffnete er, legte seine Hände an Katsuyas Schläfen und zwang ihn so ihm in die Augen zu sehen, „Wer ist Kaiba?“

„Was soll denn das jetzt werden?“, fragte der Blonde irritiert.

„Antworte einfach.“

„Ach, komm, lass uns lieber ein bisschen Spaß haben.“, meinte der Lächelnde, „Ich will jetzt nicht über ihn reden.“

„Ich aber.“, bestimmte Yami.

„Atemu.“, flüsterte der Jüngere, als wäre das das Passwort für bessere Laune.

„Nein.“, erwiderte der Andere streng, „Ich will jetzt eine Antwort. Wer ist Kaiba?“

Der Blonde seufzte. „Mein Lehrer.“, antwortete er schließlich, „Der Mann, in den ich verliebt bin.“

„Und?“, hackte der Ältere nach.

„Nichts und. Ich weiß da nicht viel. Er ist beim Ministerium angestellt, hat am 25. Oktober Geburtstag und ist anscheinend schwul.“

„Und was fühlst du, wenn du an ihn denkst?“

„Liebe.“, antwortete der Blonde, „Begehren auch. Und eine gewisse Form von Verehrung…“

„Und was ist mit Wut?“, fragte Yami mit leicht verzweifeltem Gesichtsausdruck, „Enttäuschung?“

„Wieso sollte ich das fühlen?“, fragte der Braunäugige, „Ich habe ihm nichts vorzuwerfen. Ich habe einfach eine spinnerte Idee entwickelt, irgendwelche komischen Vorstellungen und mir ein Traumschloss gebaut. Daran trägt er keine Schuld.“

Yami stieß die Luft aus seinen Lungen, schüttelte langsam den Kopf und löste die Hände von Katsuya um einen Schritt zurück zu treten. „Kats…“, flüsterte er, „Kats, das ist krank. Das ist Verdrängung in der härtesten Stufe, das… das kann nicht dein Ernst sein…“

Der Blonde legte nur mit einem Blinzeln den Kopf schief.
 

„Und was mache ich jetzt?“, fragte Yami mit einem Seufzen.

„Wieso? Mir geht es doch gut.“

„Jetzt ja.“, er fuhr sich durch die Haare, „Du verdrängst die Gefühle über die gestrige Situation. Du intellektualisierst. Vielleicht rationalisierst du sogar. In deiner Situation sollte man weinen, schreien, in Depressionen versinken oder sich den Kopf mit irgendetwas zudröhnen…“

„Sei doch froh, dass ich es nicht tue.“, meinte Katsuya mit einem Schulterzucken.

„Bin ich aber nicht.“, der Ältere packte ihn an der Hand und zog ihn durch den Hinterausgang ins Freie, während dieser noch schnell das bereitliegende Geld griff, „Weißt du… eigentlich ist es ja wirklich gut, dass du dir nichts getan hast. Jetzt kann ich dir helfen. Aber alles zur Seite zu schieben, das macht krank. Und ich will nicht, dass deine Seele krank wird. Du hast bisher alles bewältigt, wenn auch manchmal mit Suchtmitteln oder Depressionen oder Selbstverletzung oder Verletzung anderer, aber… jetzt frisst du etwas in dich hinein. Und das ist das einzig Schlimme. Ich will nicht, dass du mit Neurosen oder gar Psychosen endest…“, er wandte sich zu dem Blonden, „Ich habe dich zu lieb, als das ich das verantworten könnte.“

Katsuya schwieg.

Was sollte er auch sagen?

Für ihn redete Yami da einen ziemlichen Müll zusammen.

Aber wenn es stimmte?

Okay, sein Verhalten war nicht unbedingt normal, aber kam es nicht daher, dass er stark genug war die Situation zu bewältigen?

War er krank?

Das hörte sich so unsinnig an.

Er fühlte sich zum ersten Mal gut und gesund, hatte einen guten Tag gehabt und sein bester Freund sagte ihm, er wäre krank?

Nur weil er anders war?

Weil er sich entschuldigt hatte?

Weil er offen das Problem mit seinem Vater angesprochen hatte?

Machte ihn das plötzlich krank?

„Yami, ich weiß deine Sorge zu schätzen, aber ich glaube, du übertreibst.“, schlussfolgerte der Blonde.

„Katsuya…“, der Ältere seufzte und ließ den Kopf sinken, „Letzte Woche sind wir diesen Weg gegangen… das hast du für mich geweint, denn ich habe von meinen Problemen erzählt. Und jetzt weiß ich, dass du leidest und kann es dir nicht begreiflich machen…“, er lehnte sich gegen der Größeren, „Am liebsten würde ich jetzt für dich weinen.“

Sie gingen einige Meter schweigend nebeneinander her.

Wieder wusste der Blonde nicht, was er sagen sollte.

„Vielleicht bist auch nur du krank und denkst daher, ich sei es?“, fragte er leise.

Eine einzelne Träne rann Yamis Wange herab.
 

Immer noch schweigend schloss der Ältere seine Tür auf, zog Katsuya am Schlafzimmer vorbei in die Küche und stellte den Herd schon mal an.

Mechanisch griff er eine Pfanne und nahm zwei Schalen aus dem Kühlschrank. Den Inhalt beider schüttete er in das heiße Fett am Pfannenboden und griff sich einen Küchenfreund um mit diesem das Gemisch zu wenden.

„Yami?“, flüsterte der Blonde vorsichtig.

„Ja?“, kam es eher lustlos zurück.

„Bist du sauer?“

Der Ältere warf einen Blick über die Schulter in Katsuyas Augen, senkte ihn zu dessen Schuhen und seufzte. „Nein.“, antwortete er, „Ich weiß auch nicht… vielleicht bin ich krank. Vielleicht bist du krank. Vielleicht ist auch nur der Rest der Welt krank. Krankheit misst sich an dem, was die Masse als gesund bezeichnet. Ausgehend davon halte ich dich gerade für krank. Du nicht. Dein Verhalten ist nicht krank, das stimmt… aber in dieser Situation ist es krank.“, er wandte sich wieder dem Essen zu, „Gestern habe ich dich in einer Hintergasse gefunden, ausgekotzt, blutend und am Ende aller geistigen Kräfte. Kaiba hat dich gequält, dein Vater dich geschlagen… und du entschuldigst dich bei mir für dein Verhalten. Das ist… krank.“

„Was soll ich denn tun?“, fragte Katsuya leise.

„Reißt du dich gerade zusammen?“

„Nein.“, antwortete er schnell.

„Unterdrückst du etwas?“

„Nein.“

„Lügst du mich an?“

„Nein.“

Yami seufzte. „Fällt dir auf, dass du mit gestern heute keine Gefühle mehr verbindest?“

Der Blonde zog die Augenbrauen zusammen.

„Ein einfaches Beispiel. Freuds Patientin Bertha Pappenheim, besser bekannt als Anna O. Sie saß am Bett ihres Vaters, der sterbenskrank war, hörte Musik durch das geöffnete Fenster und dachte ans Tanzen. Ihr fiel aber sofort der kranke Vater ins Auge und fand sich abstoßend durch den Gedanken, dass sie ans Tanzen gedacht hatte. Also schloss sie das Fenster und es wurde immer wärmer im Raum. Sie hustete. Und ab diesem Moment musste sie chronisch husten, Tag und Nacht. Warum? Der Gedanke über ihr Verhalten war für ihr Bewusstsein so abscheulich, dass sie die Energie von der Situation trennte und in ein psychotisches Symptom umwandelte, weil sie immer glaubte, es wäre zu heiß und deshalb hustete. Man konnte sie nur heilen, indem man die Situation mehrfach durchsprach und so die Energie wieder mit dem Inhalt verband – sie schrie sich einmal ihrer selbst wegen an und gut war es. Damit hatte sie die Energie schon abgebaut.“, er hob die Pfanne ein Stück an und rüttelte sie etwas, „Du hattest gestern echt einen harten Abend. Du hast eine Menge Energie entwickelt und ziemlich hart wieder abgebaut. Aber ich kann nicht glauben, dass das schon alle Energie war. Und jetzt sitzt du hier und sagst mir, dir geht es gut. Wenn du demnächst in Kaibas Gegenwart anfängst zu kläffen, wissen wir ja, dass es dir nicht gut ging.“
 

„Das kann passieren?“, fragte Katsuya erschrocken.

„Na ja, es wäre unwahrscheinlich… eher kriegst du Depressionen oder Essstörungen, das ist bei uns eher vertreten. Modekrankheiten.“

Katsuya zog eine Augenbraue hoch. „Und… was kann ich dagegen tun?“

Der Andere füllte den Inhalt der Pfanne auf einen Teller und brachte ihn zusammen mit Besteck zu dem Blonden.

„Nun, da gibt es mehrere Möglichkeiten. Der direkte und der indirekte Weg. Der direkte wäre, wenn du zu Kaiba gehst, ihn zusammenschlägst und mich zusammen schreist. Der indirekte wäre Sport treiben oder Meditation oder so etwas… oder halt der so genannte kranke Weg über Drogen oder Depressionen oder sonst etwas.“

„Statt ritzen meditieren oder wie?“, fragte Katsuya mit einem ungläubigen Seufzer und Kopfschütteln.

„Du glaubst mir nicht?“

„Yami, das sind Modelle irgendwelcher Psychologen. Das ist kein wahres Leben. Das hat nichts mit mir zu tun. Mir geht es gut.“

„Tut es?“, fragte der Rothaarige und durchbohrte den Jüngeren mit seinen violetten Augen, stellte ohne den Blick abzuwenden das Essen zur Seite und stützte sich mit beiden Armen durchgedrückt auf den Tisch, „Okay. Dir geht es also gut. Dass dein Vater dich schlägt, das stört dich nicht. Die Schmerzen spürst du nicht mehr. Und dir persönlich ist es vollkommen egal. Du kommst auch ohne deine Eltern aus. Du kannst sein Verhalten verstehen und vergibst ihm. Und deine Mutter ist einfach eine viel beschäftigte Frau, sie konnte nur ein Kind mich sich nehmen. Vollkommen verständlich. Dein Leben ist besser als das der meisten anderen. Du hast Spaß daran und freust dich auf jeden neuen Tag.“

„Hör auf…“, flüsterte Katsuya.

„Besonders dein großer Freundeskreis kümmert sich immer gern um dich.“, fuhr Yami unbeirrt fort, „Und deine Lehrer loben deine Talente. Kaiba ist hellauf von dir begeistert. Und weil er immer so freundlich ist, liebst du ihn auch. Er fördert dich, hilft dir bei fortwährend und kümmert sich um deine Probleme. Mit mir hat er nur geschlafen, weil er ja keinerlei Ahnung hatte, dass das irgendeine Auswirkung haben könnte. Er hat sich nur ein bisschen beschäftigt. Und dabei hat er stets auf die Wertschätzung meines Wesens geachtet. Bei jedem Kuss, jedem Wort, jedem über meine Haut streichenden Finger. Er ist eine Ausgeburt an Zärtlichkeit und Feingefühl. Jedes Mal, wenn er mit der Zunge über meinen Hals leckt, wenn er meine Brustwarzen zwirbelt oder meine Lippen zwischen seine Beine legt.“

„Hör auf!“, rief der Blonde.

„Und wenn seine Finger erst über meinen Muskelring streichen und langsam in meinen Anus dringen-“

„Hör auf!“, schrie Katsuya, sprang auf und wollte zur Tür.

Yami griff seinen Arm und zog ihn grob zurück, zwang ihn mit einer Hand ihm in die Augen zu sehen.

„Und bei jedem Stoß fühlt man seine unglaubliche Menschenliebe, mit jedem Stöhnen, jedem Keuchen, jedem Orgasmus.“

Dem Jüngeren rannen die Tränen über die Wangen.

„Und dir bringt er nichts als höchste Achtung entgegen und zeigt dir seine Herzenswärme, während er mir alle drei Tage das Gehirn rausvögelt.“

Katsuya schluchzte auf und sank zu Boden.

„Kaiba ist vollkommen liebenswürdig.“

Break out

300 Kommentare... sagt mir, ist das wirklich wahr?

Irgendwie ist das... unglaublich O.O Ich kann einfach nur DANKE für solche Unterstützung und Lesertreue sagen. Ihr seid einfach alle ganz unglaublich ^.^ Unglaublich gut! Dafür gibt es auch ein richtig schönes Kapitel ^.-

Eine Philosophie zum Thema Liebe. Ich vermute ein paar Gegenmeinungen zu hören, denn ich verhehle nicht, dass ich auch erschüttert war, als man mich mit diesen Dingen das erste Mal konfrontierte. Liebe ist wohl ein Thema, über das man Monate und Jahre sprechen könnte. Und ich hoffe, dass auch die Leute, die wenig mit Psychologie am Hut haben, hiermit etwas anfangen können. Zumindest die, die gerne den Verlauf und die Charaktere analysieren, werden an diesem Kapitel sicher ihre Freude haben ^.^

Viel Spaß beim Lesen ^.-
 

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„Was kann ich denn dafür, dass ich ihn liebe?“, schrie Katsuya, „Ich habe mir das verdammt noch mal nicht ausgesucht! Ich kann nichts dafür, dass er ein verdammtes Arschloch ist!“

Yami schwieg und wartete ab.

„Er… er… er benutzt dich. Er fühlt nichts. Er ist eiskalt. Er benutzt dich.“, flüsterte der Sitzende, der mit den Händen an seinen Kopf griff, „Er benutzt dich nur… dich… dich… und mich… Spaß, ja?“, er hob den Kopf und blickte den Älteren mit seinen verweinten Augen an, schrie: „Spaß? Er hat seinen Spaß mit mir? Er will mich quälen? Ja? Ich bring ihn um! Ich bringe dieses verdammte Arschloch um! Dreckschwein!“, er schüttelte wild den Kopf, „Ich hasse ihn… ich hasse ihn… wieso hat er das getan? Wieso?“, er krallte sich an Yamis Hose, „Wieso immer ich?“, seine Augen fanden Yamis wieder, „Wieso ich?“, seine Stirn lehnte gegen die dunkelblaue Jeans, „Wieso gerade ich?“

Der Rothaarige atmete tief durch.

„Wieso hasst er mich?“, wimmerte der auf den Fliesen Sitzende, „Was habe ich ihm denn getan?“

Der Ältere kniete sich herab, löste Katsuyas Hände von seiner Hose und legte sie sich über die Schultern um den Blonden zu umarmen.

„Yami…“, flüsterte der Weinende, drückte seinen Freund fest an sich, sodass einer seiner Knochen nicht gerade leise knackte.

„Katsuya.“, sagte dieser ruhig, „Lass locker. Das schmerzt.“

Der Blonde presste ihn noch stärker an sich, löste dann jedoch seine Umklammerung.

„Danke.“, er umarmte ihn mit normalem Druck, „Ich kann dir nicht sagen, warum Kaiba so ist wie er halt ist. Aber er scheint dich wirklich zu hassen. Warum er das tut, weiß jedoch wohl nur er.“

Katsuya schluchzte auf, sackte in sich zusammen und lehnte sich mit vollem Körpergewicht auf Yami, der ihn kurz hielt, etwas weiter zurück setzte und sich seinen Kopf in den Schoß legte. Reflexartig schloss der Jüngere die Arme um die Taille vor ihm.

Kaiba hasste ihn.

Kaiba hasste ihn.

Kaiba hasste ihn.

Katsuya legte seinen Kopf auf Yamis Oberschenkel und seine Stirn in seine Seite.

„Shhht…“, hauchte der Ältere, strich über die blonden Haare und kraulte deren Besitzer im Nacken.

Kaiba hasste ihn.

„Wein’, solang’ du magst.“

Kaiba hasste ihn.

„Mir ist übel…“, flüsterte der Braunäugige.

„Dacht’ ich mir.“, Yami streichelte ihn nur weiter, „Bei dir schlägt die Psyche auf den Magen.“

Kaiba hasste ihn…

„Ist das normal?“

„Zumindest geht es einigen Menschen so.“

Kaiba hasste ihn.

Und er liebte Kaiba.

„Ich bin krank…“, flüsterte er.
 

„Vorübergehend.“, urteilte der Ältere, „Die Übelkeit geht wieder.“

Katsuya erschlaffte und ließ sich von ihm die Tränen aus dem Gesicht streichen.

„Nein…“

„Was nein?“, fragte Yami freundlich nach.

„Ich bin krank.“

„Warum denkst du das, Katsuya?“

„Ich bin krank.“, murmelte der Blonde wieder.

„Das hast du schon gesagt. Rede bitte weiter.“, der Ältere musterte ihn genau und beobachtete Katsuyas weitere Mimik.

„Ich bin krank…“

„Warum?“, verlangte er etwas deutlicher.

„Ich bin krank. Das ist alles krank…“, Yami wartete stumm, „Dass ich ihn liebe. Das ist krank.“

Der Blonde fixierte eine Falte vom Hemd des Anderen statt weiter wie durch ihn hindurch zu starren.

„Wieder da?“, fragte dieser lächelnd.

Der Größere drehte sich auf den Rücken um ihn besser zu sehen.

„Das war ein bühnenreifer Anfall.“

„Anfall?“, flüsterte Katsuya und ließ sich weiter kraulen.

„Aggression, Verzweiflung, Apathie und Erwachen. In sehr schneller Abfolge.“

Er schloss wie müde die Augen.

Yami griff mit der freien Hand nach der seines Freundes und drückte diese.

„Ist das gut oder schlecht?“, fragte dieser Sekunden später nach.

„Gut. Ich hoffe, du hast jetzt alle Energie wieder verknüpft.“

„Und jetzt?“

„In der Therapie käme jetzt das Verarbeiten.“

„Willst du mich therapieren?“, der Blonde lächelte kurz, aber seine Gesichtszüge erschlafften schnell wieder.

„Man sollte eigentlich niemals Bekannte therapieren. Eine gute Therapie kann nur klappen, wenn man zur betreffenden Person keinen persönlichen Bezug hat. Aber du wirst jetzt kaum zu einem fremden Therapeuten gehen.“, Yami lächelte amüsiert, „Also, fassen wir mal zusammen. Kaiba schläft mit mir. Das Problem ist schnell gelöst. Er wird es ab jetzt nicht mehr tun.“
 

„Aber…“, begann der Liegende und öffnete die Augen.

„Aber?“

Yami sollte glücklich sein.

Nicht er.

Yami ging es schlechter.

Er hingegen…

„Katsuya, was immer dir durch den Kopf geht, sprich es aus.“

„Dir macht es Spaß mit ihm zu schlafen, also sollte ich nicht so selbstsüchtig sein von dir zu verlangen, dass du damit aufhörst.“, antwortete der Blonde ohne Bedenken.

Yami würde ihn für seine Auffassungen schon nicht auslachen.

Oder?

Dieser lächelte.

„Die Idee hat sich bei dir festgesetzt, was?“

„Äh… ja?“

Er schüttelte lächelnd den Kopf.

„Findest du das blöd?“, fragte der Blonde wie ein kleines Kind.

„Nein. Das ist süß. Aber trotzdem nicht richtig. Zum einen kannst du in Sachen Liebe ruhig selbstsüchtig sein. Das bist du schließlich auch sonst gerne.“, er piekste den Jüngeren in die Seite, „Bisher hattest du noch nie ein Problem damit mir in meinen Terminplan zu platzen und dort Chaos zu veranstalten.“

Katsuya lächelte zurück.

„Und zum anderen… denk mal, du wärst an meiner Stelle. Könntest du ohne schlechtes Gewissen einfach weitermachen wie bisher? Mit dem Typen schlafen, wo du weißt, dass du damit deinen besten Freund verletzt? Nein. Für mich ist Seto nur einer von vielen. Okay, er ist auf seine Art auch einzigartig, aber ich komme auch problemlos ohne ihn aus. Ich habe schließlich noch mehr solcher... Bekanntschaften.“

Der Blonde blinzelte zweimal.

„War das verständlich?“

Yami wurde ein breites Lächeln geschenkt.

„Also kannst du von dieser Idee ruhig ablassen. Für mich gehört Seto dir, auch wenn er da wohl anderer Meinung ist.“

„Das werde ich zu ändern wissen.“, meinte Katsuya mit einem Gesichtsausdruck eines kleinen Jungen, der einen sehr, sehr bösen Streich plante.
 

„Ah, dein Kampfesmut ist zurückgekehrt.“, stellte der Stricher fest.

„Obwohl...“, Katsuya wurde wieder ernst, „Es ist doch wirklich krank, oder? Dass ich ihn liebe...“

„Tja...“, der Ältere schien über seine Worte nachzudenken, „Wir können uns nicht aussuchen, wen wir lieben. Das passiert einfach. Wenn ich dich richtig verstanden habe, dann hast du dich in ihn verliebt, weil er dir Achtung geschenkt und dich ernst genommen hat, völlig ohne Gegenleistung. Und das, obwohl er allen Grund hatte dich nicht zu mögen. Gesellschaftliche Konventionen und so. Im Nachhinein hat sich ja auch genau das als Lüge erwiesen – zweiter Punkt auf der Therapieliste – aber du liebst ihn trotzdem noch. Obwohl der Grund, warum du dich verliebt hast, nicht mehr gegeben ist. Das heißt entweder, dass du irgendetwas anderes an ihm auch noch liebst oder dass du krank bist.“

„Kann Liebe krank sein?“

„Natürlich.“, erwiderte Yami sofort, „Liebe hat immer einen Grund, obwohl Leute am liebsten nie danach suchen. Denn oft ist der Grund nur die Attraktivität des Anderen – ein Grund, der schnell verfliegt, weil man sich satt sieht. Oder aber die Höflichkeit oder die Manieren oder sonst etwas – was auch vergeht, sobald man sich näher kennt. Manchmal sind es auch nur die Hormone. Krank ist eine Liebe, wenn der Grund krank ist. Wenn du zum Beispiel eine Frau liebst, weil sie dich an deine Mutter erinnert. Oder – und das ist am schlimmsten – wenn du dich in jemanden verliebst, weil du zu ihm in einer Abhängigkeitsbeziehung stehst. So wie beim Stockholm-Syndrom.“, Katsuya hob währenddessen eine Augenbraue, „Das Stockholm-Syndrom bezeichnet die Krankheit, wo eine Person sich in ihren Entführer verliebt, weil er die einzige Bezugsperson ist, von der betreffende Person auch komplett abhängig ist.“, wieder Lächeln, „Liebe kann also durchaus krank sein.“

„Und ich könnte demnach krank sein?“, fragte der Blonde nach.

„Ja. Zum Beispiel zählt Verliebtheit zu einer Autoritätsperson zu den Krankheiten. In dem Fall wird Liebe als Machtfaktor benutzt. Du hast eine Person, die ist mächtiger als du – da wird dein Bedürfnis nach Macht geweckt. Du willst diese Person stürzen, mächtiger sein. Und ein Weg dazu ist zum Beispiel die Person zu verführen und so dem eigenen Willen zu unterwerfen. Dafür ist aber, wenn man in so etwas unerfahren ist, Liebe zu der Person nötig. Eher gesagt, dein Kopf macht dich glauben zu lieben. Diese Liebe verschwindet, sobald du triumphiert hast.“

Katsuyas Augen hatten während dieser Worte immer weiter geöffnet, während der Rest seines Gesichtes verhärtete.

„Du siehst, du kannst durchaus krank sein.“, sprach der Rothaarige offen, „Denn dass du Seto deinem Willen unterwerfen willst, das kannst du nicht leugnen.“
 

„Ich...“, begann der Braunäugige, „Ich...“

„Du?“

„Meinst du, ich könnte ihn nur deshalb lieben?“

„Gut möglich.“, der Ältere beendete das Kraulen und strich dem Anderen ein paar Strähnen aus dem Gesicht, „Aber dass er sich dir unterwirft, das betrachte ich als unmöglich.“

Katsuya hörte ein Knacken.

Wie ein Diamant, der von innen her zerbröselte.

Eigentlich hörte er es nicht.

Er fühlte es.

Und er wusste, es war sein Herz.

„Manchmal...“, fuhr Yami fort und wandte seinen Blick zum Fenster, „Manchmal ist es schöner, wenn du nicht weiß, was in dir vorgeht. Es ist leichter wegzusehen, wenn du nicht einsiehst, wie niederträchtig dein Handeln ist...“, sein Augen schienen sich in der Ferne zu verlieren, „Aber wenn wir jemals etwas verbessern wollen... dann dürfen wir nicht mehr wegsehen.“

Es war, als konnte er Ryous Stimme hören.

Wenn du niedergeschlagen wirst...

Wenn du verzweifelst und den Glauben an dich selbst verlierst...

Wenn du aufgeben willst...

Steh auf.

Und kämpfe bis zum bitteren Ende.

Denn du bist erst verloren, wenn du dein Ziel aus den Augen verlierst.

„Ich will ihn.“, bestimmte Katsuya.

„Seto Kaiba...“, der Rothaarige ließ sich den Namen auf der Zunge zergehen, „Bist du sicher?“

„Ja.“, antwortete der Jüngere überzeugt, „Vielleicht aus niederen Gründen. Vielleicht will ich ihn nur besiegen. Vielleicht will ich der Stärkere sein. Vielleicht will ich auch nur angenommen sein. Vielleicht will ich sein wie er, ja, vielleicht beneide ich ihn um seinetwillen. Vielleicht will ich auch wirklich ihn, seinen Körper und seine Seele. Was auch immer es ist, eins weiß ich: Ich will ihn.“

„Starke Worte.“, Yami lächelte amüsiert, „Und, wie willst du das schaffen?“

Katsuya seufzte tief.

Der Ältere hob eine Augenbraue.

„Musst du mich daran erinnern, dass ich keine Ahnung habe, wie ich das machen soll?“, fragte der Liegende mit einem Schmollmund.

Yami grinste nur.

„Na ja... er hasst mich. Wie bringt man jemanden dazu nicht zu hassen?“

„Weißt du...“, begann er leiser, „Auch Hass hat immer einen Grund.“

Katsuya zog die Augenbrauen leicht zusammen.

Der Ältere wurde ernst.

„Du...“

„Katsuya.“, unterbrach er den angefangenen Satz, „Was meinte Seto, als er sagte, du seist ein Mörder?“

Schmerzen einer Erinnerung

Dieses Kapitel gehört zwar nicht zu meinen längsten, aber sicher zu den gehaltvollsten. Worum es geht, wisst ihr ja.

Ich bin jetzt schon auf eure Kommentare gespannt.

Viel Spiel, Spaß und Spannung beim Lesen!
 

P.S.: Es sind einige neue FFs bei mir on ^.-
 

Edit: Betrug! Entweder verzählt sich Mexx bei den Wörtern oder mein Wordprogramm -.- Bei mir waren das über 1600!
 

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Katsuya sog scharf die Luft ein.

Einige Sekunden sah er in Yamis Augen, rollte sich dann jedoch von dem warmen Schoß und rückte einige Armlängen von ihm weg.

„Wenn du mir das nicht sagen willst...“, begann der Ältere vorsichtig, „Dann kann ich das natürlich verstehen.“

Der Blonde wandte den Blick zur Seite.

Mörder...

Mörder.

Mörder!

Es trommelte in seinem Kopf, so tief wie ein Glockenschlag, immer näher, immer lauter.

Es überrannte ihn.

Katsuya hielt sich die Ohren zu und schüttelte den Kopf.

„Katsuya...“, der Rothaarige streckte die Hand nach ihm aus.

„Lass mich in Ruhe!“, schrie der jedoch.

Einige Sekunden war es still.

Die Küchenuhr tickte leise.

Das Essen war kalt.

Die Pfanne stand ungewaschen in der Spüle.

„Unterdrück‘ es nicht...“, bat Yami.

„Ich...“, der Blonde drückte stärker, als wollte er seinen Kopf zerquetschen, „Blut... so viel Blut...“, er stieß einen kurzen Schrei aus, drückte die Lider zusammen, „Röcheln... Blut... der starre Blick...“

„Katsuya!“, schrie der Ältere auf, blieb aber sitzen.

Die verwirrten braunen Pupillen fanden die zwei Amethysten, verharrten in diesem Blick, bis sich Katsuyas Atem beruhigt hatte und er die Arme wieder senkte.

„Ganz ruhig...“, Yami machte eine beschwichtigende Geste, „Ich wollte dich nicht so schocken. Entschuldige.“

„Ich- ich-“, der Blonde seufzte und atmete langsam ein, „Ist schon okay. Ich... denke nur nicht gerne daran.“

„Magst du vielleicht wieder herkommen?“, der Kleinere streckte seine Hand aus.

Katsuya krabbelte sofort auf ihn zu und ließ sich wieder in den Arm nehmen.

„So...“, er wurde wieder gekrault, „Sagst du mir, was passiert ist?“

„Hmhm...“, murmelte er zustimmend.

Einige Sekunden schwiegen sich beide an.

„Es... das ist jetzt fünf Jahre her...“, begann Katsuya.
 

Ein Husten.

Irgendjemand neben ihm zog scharf die Luft ein.

Ein Röcheln.

Der junge Mann griff an seinen Hals, doch das Blut presste zwischen seinen Fingern hindurch.

Ein Schwall Rot kam über seine Lippen.

Die Beine knickten ein, sein Oberkörper sank gegen die Wand.

Überall Blut.

Der Mann.

Der Boden.

Seine Hände.

Blut...

„Es ist fünf Jahre her.“, wiederholte Katsuya etwas kräftiger, „Ich war vierzehn und noch nicht lange bei den Boots. Hirutani war damals der Boss der Truppe und er liebte Gewalt. Eines Abends waren wir mit einer kleinen Gruppe unterwegs und in einer Seitenstraße sahen wir einen Typen. Der war... vielleicht so alt wie ich jetzt. Neunzehn. Er hatte tiefe Augenringe, sein Blick war ziemlich hohl und er atmete durch den Mund. Sah aus, als wäre er ziemlich stark auf Droge. Hirutani grinste uns zu und ein paar lachten. Wir waren vier oder fünf... wir sind auf ihn los.“, der Blonde drückte seinen Kopf in Yamis Halsbeuge, „Er lag ziemlich schnell am Boden und wir haben auf ihn eingetreten. Irgendwann hat Hirutani Schluss gemacht und den Typen durchsucht. Aber er hatte kein Geld und keinen Stoff mehr. Also zog Hirutani sein Messer...“

Katsuyas Stimme erstarb.

Yami kraulte ihn nur weiter, wartete ab.

Ein Schluchzen durchschnitt die Stille.

„Er hat ihm gedroht, aber der Typ hat gar nicht zugehört... er war ja komplett zu. Als er blöd gegrinst hat, hat Hirutani ihm in die Wange geschnitten. Aber der Mann hat das gar nicht gespürt... zumindest sah es so aus. Und Hirutani sagte, der müsste wohl mal ein bisschen fester rangenommen werden. Wir zogen alle die Messer. Die... die haben wir nur selten benutzt... nur für leichte Schnitte... meist zum Drohen...“

„Ihr habt zugestochen?“, fragte der Ältere leise.

„Erst nicht...“, ein weiteres Schluchzen, „Er... wir haben die Klamotten angeschnitten und aufgerissen... aber einer hat ihn in den Arm geschnitten... und... dann war da Blut... irgendwer hat gelacht...“, Schluchzen, „Ich wollte das nicht... ich wollte das nicht...“

„Was hast du getan?“, Yamis Stimme blieb vollkommen ruhig.

„Der Typ hat wieder gegrinst... da hab ich ihm das Messer unter die Nase gehalten. Aber einer hat mich angerempelt...“, leises Schluchzen, „Und wer anders hat zugeschlagen... er ist direkt gegen das Messer geflogen... und dann war da Blut. Überall Blut...“

Der Körper in Yamis Armen erzitterte, doch bis auf das Schluchzen blieb es still.
 

„Katsuya...“, erhob der Ältere die Stimme irgendwann ruhig, „Katsuya, das war ein Unfall.“

Der schluchzte nur auf.

„Du bist kein Mörder. Das war ein Unfall.“

„Aber...“, der Blonde krallte sich in Yamis Shirt, „Aber ich habe das Messer hingehalten... ich war das... ich hätte das sehen müssen...“

„Nein.“, er wurde weiter gekrault, „Nein, das konntest du nicht kommen sehen.“

„Aber...“

Einige Sekunden waren erfüllt von haltlosem Schluchzen.

„Ja?“

„Ich wusste, dass das falsch war... als wir die Messer zogen... ich hätte etwas sagen sollen...“

„Ich will dir eine Geschichte erzählen.“, unterbrach ihn Yami.

Das Schluchzen stoppte, Katsuya drehte den Kopf und schniefte nur leise.

„Aber erst putzt du dir die Nase.“, entschied der Rothaarige und reichte dem Jüngeren ein Taschentuch.

Der machte davon auch sofort Gebrauch, verzog sich darauf aber wieder in Yamis Arme. „Was für eine Geschichte?“

„Eine wahre Geschichte.“, kündigte der Ältere an, „Stell dir eine einfache Wohngegend vor, nicht vornehm, aber auch nicht arm. Ein Mittelklassewohngebiet mit hübschen kleinen Häusern.“

Katsuya legte seinen Kopf auf der Schulter Yamis ab, die nicht von Tränen nass war.

„Da, wo jeden morgen Post und Zeitung geliefert werden, wo die Leute hübsche Mülltonnen haben und ihre Vorgärten pflegen. Es ist abends, Sommer, ungefähr die Zeit des Sonnenuntergangs.“

Ein leichtes Lächeln bildete sich auf den Lippen des Blonden.

„Und aus einem Haus dringen Schreie.“

Er wurde sofortig ernst.

„Die Frau von gegenüber tritt auf den Balkon, wirft einen besorgten Blick herüber, schaut die Straße hinunter und verschwindet danach im Haus und verriegelt die Türen. Die Nachbarn schalten den Fernseher lauter oder Musik an. Aber die Schreie bleiben. Die ganze Nacht schreit jemand um Hilfe. Am nächsten Morgen kommt ein Freund zu diesem Haus, es sind noch immer Schreie zu hören. Er bricht die Tür auf und durchsucht das Haus. Was glaubst du, was er findet?“

Katsuya zog die Augenbrauen zusammen.

„Vier Leichen. Und die Frau, die die ganze Nacht um Hilfe schrie und fast verblutet in ihrem Schlafzimmer liegt.“

Der Blonde sah den Älteren an, als wäre dieser plötzlich vom Wahnsinn ergriffen worden.

„Kein Mensch hatte nachgesehen. Kein Mensch hatte herüber gerufen. Kein Mensch hatte die Polizei informiert. Sie alle hatten nur schweigend in ihren Häusern gesessen und darauf gewartet, dass ein anderer es tut.“, Yami machte eine bedeutungsvolle Pause, „Die Frau konnte gerettet werden. Ein Einbrecher hatte die Familie überrascht und alle niedergestochen.“
 

Katsuya schluckte.

Der Rothaarige begann wieder ihn zu kraulen.

Die Uhr tickte immer noch.

Das Essen war kalt.

Die Pfanne ungespült.

„Wahres Ereignis?“, fragte der Blonde mit zitternder Stimme nach.

„Wahres Ereignis.“, bestätigte Yami, „Und? Was, glaubst du, waren diese Menschen? Würdest du diese Nachbarschaft wollen?“

„Sicher nicht!“, zischte der Jüngere, „Das ist... das...“, er senkte den Blick, „Monster...“

„Was du da als Monster bezeichnest...“, er hob den Blick wieder, „...sind Menschen. Ganz normale Menschen, psychisch vollkommen gesund.“

Katsuya blieb still.

„Sie handelten vollkommen menschlich. Sie verdrängten die Schreie. Das passte nicht in ihr Weltbild. Sie hatten Angst herüber zu gehen. Sie hatten Angst nachzufragen. Und warum die Polizei rufen? Was, wenn es nur einen Streit gab? Was, wenn man sich unbeliebt machte, weil keine Hilfe erwünscht war? Was, wenn nur ein Kind einen Streich spielte? Und keiner der anderen tat es. Warum also man selbst?“, der Stricher fuhr über das Tattoo, „Diese Gedanken macht man sich nicht bewusst. Aber es ist das, was das Unbewusste denkt. Die Situation steuert uns manchmal sehr. Die Menschen wollten das Richtige tun und weil sie nicht wussten, was das Richtige war, weil sie unsicher waren, deshalb taten sie das Naheliegenste: Dasselbe wie alle anderen auch.“

Einige Sekunden schwiegen sich beide an.

„Du meinst...“, begann der Blonde leise und blinzelte.

„Ja.“, beantwortete Yami die ungestellte Frage, „Auch du hast in der Situation das Naheliegenste getan: Dasselbe wie die anderen. Und der Mensch will immer überperfekt sein. Die Situation schaukelt sich hoch. Hirutani brachte es in Gang, indem er zuschlug. Alle anderen machten es nach. Hirutani fühlte sich gestärkt und zog sein Messer. Die anderen machten es nach. Hirutani schnitt dem Mann in die Wange. Die anderen waren unsicher, nahmen die Kleidung. Einer ging weiter und schnitt in den Arm. Und jetzt bedenke deine Position. Du warst jung, unsicher und wolltest dich beweisen. Du hattest Angst vor Ablehnung, du brauchtest die anderen und den Mann sahst du als Opfer an. Du wolltest auch etwas überperfekt sein. Also ahmtest du Hirutani nach und wolltest ihm drohen. Aber die anderen achteten nicht auf dich. Und daraus resultierte der Unfall.“

Katsuya ließ langsam den Blick sinken.

„Du bist nicht schuld.“, schloss der Ältere.

Midnight

So, da bin ich wieder ^.-

Und kann endlich wieder ENS beantworten.
 

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„Ich bin nicht schuld...“, flüsterte der Blonde.

Nicht schuldig…

„Natürlich bist du nicht unschuldig, du hättest definitiv von Anfang an nicht mitmachen sollen und dich überwinden müssen gegen deine Freunde etwas zu sagen, aber auf jeden Fall bist du nicht schuldig.“

Nicht unschuldig…

Nicht schuldig…

„Was dann?“

Yami kraulte ihn weiter. „Menschlich.“

„Menschen sind nicht schuldig und nicht unschuldig?“

„Oft, ja.“, sein Blick schweifte zum Fenster, „Bei all dem Schlimmen, was passiert, sehen die meisten Menschen weg. Das heißt, sie können nicht unschuldig am Leid der Welt sein. Aber schuldig sind sie auch nur, wenn sie es willentlich vermehren.“

„Und unwillentlich?“

Der Ältere lächelte leicht. „Ich denke, das bezeichnet man als normal.“

„Normal ist das, was die Mehrheit der Menschen tut, richtig?“

„Richtig.“

Katsuya drehte sich auf den Rücken, rückte sich selbst auf den Fliesen in eine gemütliche Position und ließ den Kopf wieder auf Yamis überkreuzte Beine sinken. Sein Blick weilte in dessen Gesicht. „Aber… ist es dann normal, dass man mich als Mörder bezeichnet?“

Der Rothaarige seufzte leise.

Der Braunäugige verschränkte die Arme.

„Ich weiß es nicht… die meisten Menschen gehen nach dem Anschein und wenn man nicht alle Umstände kennt und sie zu deuten weiß, dann bezeichnet man dich für diese Tat wohl als Mörder, ja. Du spielst auf Kaiba an, hm?“

„Ja…“, der Blonde musterte die Decke, „Ich verstehe nicht, woher er überhaupt davon weiß… ich meine, wir sind weggerannt und mich hat sicher keiner meiner damaligen Freunde angezeigt.“

„Hm…“, Yami strich sich mit einer Hand über das Kinn, „Vielleicht hat er es gesehen?“

„Gesehen?“, ihre Blicke fanden einander, „Tja… ich glaube nicht, dass irgendwer der Anwohner uns gesehen hat… wie du sagst, die meisten gucken weg. Und dass Kaiba da wohnte, kann ich mir auch nicht vorstellen. Ich…“

Blut.

Alles rot.

Die Leiche.

Weit aufgerissene Augen.

Der Mund steht offen.

Ein Schrei.

„Ich… ich kann mich nicht mehr genau erinnern. Ich war so geschockt… ich… jemand hat mich mitgezogen. Ich habe geschrieen.“

Katsuya kniff die Augen zu.

Blut.

Überall Blut.

Das Messer fest umklammert.

„Wer hat geschrieen?“, fragte Yami nach.

„Ich…“

„Hast du an jenem Abend geschrieen?“, er kraulte ihn weiter.

„Ich… ich…“

Blut.

Messer.

Leiche.

Kapuze.

„Nein! Da… da war ein Mann. Da… ich habe nicht geschrieen… er hat geschrieen. Ein Mann mit einer Kapuze.“
 

Yami kraulte weiter.

„Wer war dieser Mann?“

„Ich weiß es nicht…“

Blut.

So viel Blut.

Er wollte es nicht sehen.

Er wollte die Augen öffnen.

„Sag mir, wer dieser Mann war.“

„Lass mich…“, flüsterte Katsuya.

„Wer war der Mann?“

Blut.

Blut!

Der Blonde riss die Augen auf.

Yami seufzte nur.

„Was… was war das?“, fragte der Jüngere.

„Hypnose.“, Yami beendete das Kraulen, „Ich habe dich hypnotisiert. Ich dachte mir schon, dass du die Erinnerung verzerrt haben könntest.“

Katsuya blinzelte nur.

„Ein Mann mit Kapuze also? Hm… vielleicht war es wirklich Kaiba.“

„Was redest du da?“, fragte der Blonde relativ desorientiert.

„Oh, entschuldige.“, der Violettäugige wandte sich ihm zu, „Traumatische Erinnerungen werden meist verdrängt oder verzerrt. Beim ersten kann man sich nicht erinnern, dass das jemals geschehen ist und beim zweiten wird die Erinnerung verändert. Freud hatte eine Patientin namens Cecile, die sagte immer, die Katzen von Neapel hätten ihren Vater umgebracht. Der Familie hatte sie über den Tod ihres Vaters gesagt, dass er krank gewesen war und in Neapel ins Krankenhaus kam, wo man sie auch hinbrachte, damit sie ihren Vater identifizierte. Bei genauerer Befragung sagte sie aus, dass die Ärzte an ihrer Tür klopften, sie ins Krankenhaus brachten, wo Musik lief und man sie dann zum Zimmer ihres Vaters führte. Das machte Freud natürlich stutzig. Er hypnotisierte sie und es kam heraus, dass es die Polizei war, die an ihrer Tür klopfte, sie in ein Bordell brachte und ihr Vater von einer Prostituierten ermordet worden war. Sie hatte das damals nicht verkraftet, dass ihr Vater bei einer Prostituierten war.“

„A…ha…“, murmelte Katsuya.

„Wenn man unter Schock steht, schreit man normalerweise nicht. Du hast verzerrt, dass dich jemand bei dem Unfall beobachtet hat.“

Der Blonde schwieg.

„Ich vermute, dass hört sich jetzt sehr ungewöhnlich für dich an.“, Yami schenkte ihm ein Lächeln.

„Du hast mit deinem Psychozeugs einen Heidenspaß an mir, oder?“, fragte der Jüngere traurig.

„Entschuldige, ich wollte dich nicht verletzen. Ich wollte dich nur erklären. Aber das behagt dir nicht, oder?“

„Hör auf mich zu analysieren!“

„Wichtig ist, dass wir herausgefunden haben, dass Kaiba dich damals wohl beobachtet hat.“

„Hat er nicht!“, schrie er plötzlich und fuhr auf, „Da war kein Mann! Ich habe geschrieen und da war kein Mann!“
 

Yami schwieg abwartend.

„Da war kein Mann!“, schrie Katsuya noch einmal. Er atmete heftig und starrte dem anderen in die Augen, „Da war… war keiner… ich…“

Der Ältere legte nur leicht den Kopf schief.

„Da…“

Was redete er hier eigentlich?

„Da war ein Mann mit einer Kapuze.“

Natürlich war er da, er erinnerte sich doch wieder.

„Warum mache ich gerade so einen Aufstand?“

„Das ist meine Schuld.“, erwiderte Yami leise, „Menschen wollen manchmal einfach nicht analysiert werden, manchmal ist es ihnen zu viel. Ich hab’s übertrieben.“

Katsuya atmete tief durch.

„Deswegen sind Therapien auch nur fünfzig Minuten lang.“

„Alles klar…“

Yami ließ seinen Blick zum Tisch schwenken. „Möchtest du das Thema wechseln?“

„Ja.“

Es war als würde sein Kopf Achterbahn fahren.

Er wollte nur noch sitzen und nichts mehr tun.

Oder schlafen.

„Komm, du solltest dich etwas ablenken. Ich mach dir dein Essen in der Mikrowelle warm.“

Oh, ja, er hatte ja Hunger…

Der Ältere stand auf, griff nach dem Teller und brachte ihn zurück zur Küchenzeile, während sich Katsuya aufraffte und auf seinen Stuhl fallen ließ.

„Kannst du mir den Weg zur Toilette beschreiben?“, fragte Yami nach.

„Häh?“

Die Toilette?

In der Wohnung?

Klar, die war... der Blonde warf einen Blick zur Küchentür… ähm…

„Kannst du?“

„Ne…“

„Alles klar.“, der Violettäugige trat um den Tisch um und legte seine Arme um Katsuyas Schultern, „Schließ am besten etwas die Augen.“

Der Jüngere tat wie ihm geheißen.

Und alles wurde schwarz.
 

„Uh…“, Katsuya strich sich mit der Hand die Strähnen aus dem Gesicht.

Er lag auf etwas Weichem.

Und auf ihm eine Decke.

Er öffnete die Augen.

Ah, das Wohnzimmer.

Er musste eingeschlafen sein.

„Yami?“, flüsterte er.

„Ich bin hier.“, Angesprochener trat ans Sofa und setzte sich an Katsuyas Seite.

„Was machst du?“, nuschelte der Liegende.

„Lesen.“

„Und was?“

„Den neuen Zimbardo.“, er strich die Strähnen zurück, die dem Jüngeren schon wieder ins Gesicht gefallen waren, „Ein Psychologie-Fachbuch für Einsteiger. Stehen schöne Einführungen drin.“

„Hm…“, der Blonde krümmte sich ein bisschen um den Kopf auf Yamis Schenkel zu legen, „Ich bin eingeschlafen, ’ne?“

„Ja.“, eine Hand begann ihn wieder zu kraulen, „Du hast jetzt achtzehn Stunden durchgepennt.“

„Echt?“, die schlaftrunkenen Bernsteinaugen suchten ihren Weg nach oben.

„Du hattest eine Menge zu verarbeiten, denke ich. Hast du Hunger?“

„Bissel….“, der Blonde murrte, „Will lieber schlafen…“

„Nachher wieder.“, der Ältere lächelte, „Na komm, hoch mit dir.“

Wieso denn schon aufstehen?

Viel zu früh…

„Wie viel Uhr isses?“

„Fünf am Nachmittag.“, Yami knuffte ihn in die Seite, „Na komm schon.“

„Noch fünf Minuten…“

„Jetzt steh endlich auf, du Punkschnecke.“

Katsuya murrte nur.

„Soll ich den nassen Waschlappen holen?“

„Nein!“, er saß kerzengerade, „Bin schon wach.“

Der Ältere gluckste.
 

„Willst du wirklich nicht hier bleiben?“, fragte Yami nach.

„Nein, ich sollte mal wieder zuhause vorbeischauen.“, der Jüngere seufzte.

„… Ja?“

„Ich…“, er warf einen Blick zur Tür, „Ich muss mich dem stellen. Und wenn ich ihn zusammenschlagen muss, damit er mir zuhört.“

Auch der Rothaarige lehnte sich gegen die Wand des Flures. „Was willst du ihm sagen?“

Katsuya betrachtete seine Schuhe.

Immer noch Yamis Sneaker.

Und seine Klamotten waren schon wieder total muffig.

Dabei waren sie doch erst vorgestern frisch gewaschen.

Tja…

Er könnte sie ja zuhause ein bisschen auslüften lassen.

„Dass ich ihn lieb habe.“, flüsterte der Blonde, „Aber dass ich ihn nicht ausstehen kann.“

„Willst du einen Schlussstrich ziehen?“

Und die Unterwäsche musste er wechseln.

Bei allen Göttern, es war ein Wunder, dass er keine Flöhe, Läuse oder Zecken hatte.

„Keine Ahnung.“

Vielleicht konnte er irgendwo ein paar billige Shirts kriegen?

Der Typ über ihnen hatte doch so’n kleinen Laden.

„Ich will nur, dass er es weiß.“

„’Kay. Soll ich mitkommen?“

„Schaff’ ich schon.“, er warf dem Kleineren ein Lächeln zu, „Du schuldest sicher einigen Leuten ihre Dates. Das musst du nachholen.“

Yami drückte sich von der Wand ab, der andere tat es ihm nach.

„Viel Glück.“, er legte seine Hand auf Katsuyas Schulter und drückte kurz, „Lass dir nicht wehtun.“

Der Blonde verabschiedete sich mit einem weiteren Lächeln und machte sich auf den Weg.

Tja, was genau wollte er zuhause?

Wieso wollte er gerade jetzt mit seinem Vater reden?

Er wusste es auch nicht so wirklich.

Irgendetwas war da in ihm, etwas Neues, etwas Starkes.

Der unglaubliche Drang danach etwas zu ändern.

Wieso jetzt?

Wieso nach all diesen Jahren?

Wieso gerade dann, wenn er am Ende war?

Oder war er es nicht?

Konnte es denn noch tiefer gehen?

Wahrscheinlich.

Es ging immer schlimmer.

Es ging immer noch weiter runter.

Sein Abgrund war wohl bodenlos.
 

„Vater?“

Ihm schlug wieder einmal der unverwechselbare Geruch von Alkohol, Müll und Urin entgegen. Das Wohnzimmer hatte keiner aufgeräumt. Der Müll lag noch immer überall herum, die Scherben der leeren Falschen und der zertrümmerte Fernseher bedeckten noch immer den Boden. Doch auf der Couch lag keiner.

Oh, in der Küche war er schon länger nicht gewesen. Wann hatte sein Vater noch mal gewütet? Letzten Samstag? Auf jeden Fall lagen schimmelige Lebensmittel auf dem Boden. Hatte er in der letzten Woche eigentlich noch etwas anderes als sein Zimmer gesehen? Hatte er das überhaupt? Er erinnerte sich schon nicht mehr.

Sein Vater war wohl nicht da...

Das Badezimmer sah ungewöhnlich aufgeräumt aus. Klar, hier war sein Vater auch nicht gewesen, oder? Nur der Spiegel lag in Scherben. Hatte er das vorher auch schon getan?

Katsuya kniff die Augenbrauen zusammen.

Eigentlich nicht, oder?

War er seit Samstag mal im Bad gewesen?

Auch keine Ahnung, aber das war irgendwie befremdlich.

Doch, der zerbrochene Spiegel war neu.

Hatte sein Vater noch einmal gewütet?

Weil er nicht da gewesen war?

Aber die Wohnung lag doch schon in Trümmern.

Was sollte man denn noch zerstören können?

Er erstarrte.

Oh nein…

Er stolperte zurück, rannte die zwei Schritte zu seinem Zimmer und riss die Tür auf.

Scharf zog er die Luft ein, kniff die Lippen zusammen und ließ den Blick langsam sinken.

Seine zwei Pakete Klamotten waren unberührt.

Aber der Schreibtisch lag quer über seiner Matratze.

Auf diese, die Decke und seinen Boden waren zwei oder drei Flaschen Alkohol ausgegossen worden.

Deren Scherben lagen auf dem Beton.

Seine Zeichnungen wölbten sich durch die Feuchte.

Manche waren verlaufen.

Andere zerknittert.

Sein Vater hatte auf ihnen rumgetrampelt.

Und seine geliebte Statue, der wunderschöne Drache, den seine Schwester ihm geschenkt hatte…

Er lag in Scherben.

Überall Scherben.

Scherben

So, fertig ist es ^.^ Und ein weiteres Kapitel auch schon, wobei ich die Vorwarnung gebe: Das nächste wird wieder kurz und dafür inhaltsreich.

Bleiben wir aber erstmal bei diesem. Viele haben es bereits erkannt: Das Ende des letzten Kapitels war ein weiterer Wendepunkt. Was für eine Wendung es genau gibt, das erfährt man im übernächsten Kapitel. Ich freue mich aber bereits über die Spekulationen ^.-
 

________________________________________________________________________________
 

Katsuya zog seine Knie näher an sich, rieb seine Hände und hauchte sie an.

Mit den Ellbogen drückte er die schwarze Lederjacke gegen seinen Schenkel, die Finger hatte er wieder zwischen diese geschoben.

In seinen Schuhen hatte er die Zehen angezogen, seine Lippen presste er hart aufeinander.

Auch die Nase versuchte er so gut wie möglich zwischen seine Beine zu drücken.

Seine – einst kunstvoll zerrissene – Hose hielt kaum Wärme bei ihm.

Und auch das Netzshirt trug kaum dazu bei, dass er sich wohl fühlte.

Er ließ den Blick zur Seite gleiten.

Ja, das da wäre warm.

Aber er wagte es nicht näher dran zu gehen.

Zwischen ihm und dem hatte er vorsorglich die blutige Eisenstange gelegt.

Mittlerweile wäre es wohl auch schon kalt.

Katsuya seufzte leise.

Seinetwegen könnten sie Plätze tauschen.

Dann läge er mit aufgeschlagenem Schädel tot da.

Und das Tier würde frieren.

„Köter…“, flüsterte der Blonde mit einem verzweifelten Lächeln.

O ja, da könnte auch er liegen.

Hündchen…

Süß, was?

Aber das desorientierte, tapsige, kleine Etwas war nur eine ausgehungerte Töle, die vor Kraftlosigkeit schon nicht mehr bellen konnte.

Kaiba traute ihm also alles zu?

Schön.

Recht hatte er.

Schließlich hatte er gerade erst einen Artgenossen getötet.

Der hatte doch auch nur Hunger gehabt und wollte sein Heim verteidigen.

Mord für den Platz unter’m Lüftungsschacht.

Und warm war das auch nicht.

Mitten in der Nacht war vom Sommer wahrlich nichts zu spüren…

Oder war er das?

Spürte er nur keine Wärme?

Vielleicht.

Die einzige Wärme seines Lebens war zerbrochen.
 

Katsuya blinzelte.

Sonne?

Er war bei der Kälte eingeschlafen?

Unglaublich…

Er versuchte seine Hände aus ihrer steifen Umklammerung zu holen, doch er schaffte es kaum sie zu bewegen. Sie waren wie festgefroren. Er hob beide in Augenhöhe und versuchte sie zu strecken.

„Tsss…“, er drückte die Kiefer fest zusammen, „Arrrgh…“

Der Großteil seiner Haut war eher kalkweiß, die Fingerspitzen leicht blau.

Gut, das ging noch.

Keine Erfrierungen also.

Oder…

Er streckte langsam die Zehen aus.

„Aaargh!“, Tränen schossen ihm in die Augen.

Mit den steifen Fingern öffnete er den rechten Schuh, zog seinen Fuß hinaus und rollte die Socke hinunter.

Oh… weiß mit leichtem Violettstich.

Er packte seinen Fuß mit beiden Händen und versuchte zu reiben.

Aber so ganz gehorchten die fast tauben Pfoten ihm nicht.

„Scheiße.“, fluchte der junge Mann, zog die Socke wieder hoch und steckte den Fuß zurück in den Stiefel, „Und jetzt?“

Er ließ den Blick schweifen.

Mülleimer waren manchmal warm.

Und wenn er was zum Verbrennen entdeckte…

Er seufzte und ließ langsam den Kopf sinken.

Nein.

Er brauchte einen warmen Ort.

Es war Montag, oder?

Er schluckte, atmete tief durch und schloss die Augen.

Er hatte keine Wahl.

Yami war zu weit von hier.

Seine Lider zogen sich wieder nach oben, während seine Lippen sich zusammenkniffen.

Er verlagerte das Gewicht langsam nach vorne, fing sich mit den Händen ab und stabilisierte seine kniende Haltung so.

Seine Zähne wurden zusammengebissen, während er das Kreuz streckte und sich so aufrichtete.

Erst das rechte, schließlich auch das linke Bein wurde mit dem Fuß auf den Boden gestellt und durchgestreckt.

Eine Träne rann über seine Wange.

Tja, Glückwunsch… er stand.
 

Die Uhr über dem Eingang der Schule hatte beide Zeiger fast geradlinig nach unten zeigend.

Halb sieben…

Um diese Uhrzeit wäre nie und nimmer jemand da.

Selbst Lehrer waren nicht so verrückt…

Der Punk lenkte seine Schritte zum Parkplatz.

Intelligenterweise der erste Ort, an den irgendjemand kommen würde.

Hoffentlich Isis…

Er wüsste nicht, wie er reagieren sollte, wäre es Kaiba.

Die Chance bestand ja.

Kaiba gehörte sicherlich zu den Verrückten, die schon eine Stunde früher in die Schule kamen.

Ob Isis so etwas auch tat?

Vielleicht musste sie ja Medikamente ordnen oder so…

Der Blonde seufzte.

Okay, die Chancen in nächster Zeit überhaupt jemanden zu treffen, waren ziemlich gering.

„Katsuya?“

Allen Engeln und Göttern und was auch immer sei Dank!

Er drehte sich in Richtung der Stimme.

„Was machst du denn hier?“, der Lehrer musterte ihn, „Und dann… so?“

Allen Mächten und übersinnlichen Kräften den größten Dank…

„Herr Muto…“, flüsterte der Jüngere glücklich.

„O mein… was ist das für Blut? Wo kommt das her?“, der Mann trat auf ihn zu und hob seine Ponysträhnen, „Heilige- du bist ja vollkommen ausgekühlt!“

Katsuya lehnte sich gegen die warme Hand.

„Komm rein, schnell.“

Der Schwarzhaarige packte seinen Arm und zog ihn grob Richtung Seiteneingang des Schulgebäudes.

Das Eisenrohr ließ Katsuya über den Boden schleifen, bis der Ältere es ihm schließlich aus der Hand riss.

„Was?“, der Lehrer blieb abrupt stehen und starrte das Stück Metall an, „Katsuya, das… das ist Blut…“

„’N Hund hat mich angegriffen.“, murmelte der Blonde.

Der Kleinere warf ihm einen verstörten Blick zu.

„Ehrlich…“

Muto zog scharf die Luft ein, biss kurz auf seine Lippe und wandte sich wieder zur Tür.

„Lass uns erstmal reingehen…“
 

Natürlich war das Krankenzimmer verschlossen.

Aber Muto war definitiv durch den Wind.

Setos Büro war auch zu.

Also endeten sie im Lehrerzimmer.

Irgendwie… bedrückend.

Zu wissen, dass man in dem Raum saß, wo sonst hunderte Lehrkörper vor sich hin siechten…

„Ich… ich… brauchst du irgendetwas?“, fragte der Lehrer eher verzweifelt.

Katsuya ließ sich erstmal nieder und zog die Schuhe und Socken aus.

Der Schwarzhaarige zog scharf die Luft ein.

„Handtuch oder Geschirrtuch mit heißem Wasser…“, murmelte der Jüngere nach einer Musterung seiner Füße.

Muto rannte sofort Richtung Küche und Bad los, die an das Zimmer angeschlossen waren und war kurz darauf mit Besagtem wieder zurück.

Der Blonde hatte währenddessen die Heizung eingeschaltet und sich dagegen gelehnt.

„Ich… ähm…“, er stellte die Sachen ab, „Noch etwas? Soll ich dir helfen?“

Katsuya packte seine zitternde Hand, drückte sie kurz und bedankte sich, bevor er sich – den Lehrer vollkommen ignorierend – an das Aufwärmen seiner Haut begab.

Er tauchte das Geschirrtuch ins Wasser, wrang es aus und legte es wie einen Verband an seinen Fuß an – anderer Fuß, selbe Prozedur. Seine Finger tauchte er direkt in die Wärme.

„Gibt es hier vielleicht etwas zu essen? Ich brauche ein paar Kohlenhydrate. Schokoriegel oder Banane oder Traubenzucker oder etwas Derartiges?“

„Ich… ich hätte einen Apfel.“, Mutos Stimme hatte sich etwas gefestigt.

„Dürfte ich den haben, bitte?“, fragte der Blonde höflich.

„Klar.“, der Ältere sprang wieder auf und griff nach seiner – bei allen Göttern, sie war pinkrot! – Frühstücksdose, „Hier…“

„Danke.“

Katsuya wischte seine Hände an der Hose ab und griff nach dem Obst.

„Möchtest du das Brot auch haben?“

„Sehr freundlich.“, erwiderte er knapp und nahm dem Lehrer die ganze Dose aus der Hand.

Während er aß, tat der Ältere so, als müsste er dringend seine Unterlagen durchsehen.

Sein Anblick musste Muto wohl wirklich mitnehmen…
 

„Danke, Herr Muto.“, wiederholte Katsuya noch einmal förmlich und reichte dem Lehrer seine Dose zurück.

„Ähm… kein Problem.“, er beobachtete den Jüngeren, wie dieser sich die Umschläge von den Füßen wickelte, die mittlerweile ein leichtes gelbweiß aufwiesen, „Aber was ist denn mit dir passiert?“

Ach ja, was war denn passiert…

Zu erzählen, was nicht passiert war, wäre wohl einfacher.

„Wollen sie es ausführlich oder kurz?“

Er tauchte das Tuch mit einer Ecke wieder ins Wasser und säuberte damit sein Gesicht.

Meine Güte, diese Schminke hatte zwei Tage überstanden…

„Tja…“, der Ältere rutschte etwas auf seinem Stuhl herum, „Ich denke… die kurze Version…“

„Okay.“, Katsuya schmiss das Handtuch zu Boden, „Freitag Abend habe ich ihren besten Freund bei ihrem Bruder im Bett erwischt.“

Mutos Miene versteinerte mit einem Ausdruck zwischen Unglauben und Entsetzen.

„Ich kam ziemlich down nach Hause und mir wurde der Rücken zu Brei geprügelt.“

Der Ältere schluckte.

„Ich war Samstag arbeiten, habe die Nacht bei Atemu verbracht, achtzehn Stunden geschlafen und fand beim Nachhausekommen mein Zimmer in Trümmern.“

Seine Lider wurden bedenklich gespannt.

„Dann bin ich abgehauen und hab' mir draußen ein halbwegs warmes Plätzchen gesucht. Da kam allerdings der Hund und dachte, ich wäre wohl ein ganz guter Mitternachtssnack. Bei uns muss man töten um nicht getötet zu werden. So stand es dann auch mit dem Hund. Vor ungefähr einer Stunde bin ich dann neben seiner Leiche wieder aufgewacht und war halb tot gefroren. Also bin ich hier her in der Hoffnung auf etwas Wärme.“

Muto fiel scheppernd die Dose aus der Hand.

„Das war eigentlich die Kurzversion.“
 

Einige Sekunden starrten sie sich an.

Zumindest, bis Katsuya etwas Regung in die eingefrorene Szene brachte, indem er sich mit einem Seufzer zurücklehnte und die mittlerweile warme Heizung an seinem leicht pochendem Rücken genoss.

Wow…

Dass er das jemals jemandem sagen würde…

Und dann Yugi? Oder eher seinem Lehrer Muto?

Na ja, manchmal musste man sich selbst einfach nicht verstehen.

„Du…“, der Ältere fuhr sich durch die Haare, „Ich… ich weiß nicht, was ich sagen soll.“

„Kann ich verstehen.“, flüsterte der Blonde.

„Wahrscheinlich bringt es gar nichts, wenn ich nach deinem Befinden frage oder Mitleid bekunde oder dir sage, dass du immer zu mir kommen kannst…“

„Ja.“

„Ich… ähm…“

Ob es doch nicht gut war, ihn mit seiner Psyche zu belasten? Er hatte gar nicht daran gedacht, dass er Muto schaden könnte.

„Ähm…“

„Mir reicht es, dass sie mir glauben.“, beendete Katsuya das Gestammel.

„Dass ich dir… glaube?“

„Ja.“, er starrte weiterhin zur Decke, „Zu viele Menschen der ach so tollen Gesellschaft wollen gar nicht sehen, dass es in der Welt etwas Schlechtes gibt. Also schließen sie die Augen statt zu helfen.“, er seufzte, „Mir reicht der gute Wille.“

„Wie meinst du das?“, fragte Muto verunsichert.

„Sie sagen mir nicht, dass ich lüge. Sie sagen mir nicht, dass ich übertreibe. Und sie nehmen mich und meine Situation ernst.“, beide Blicke trafen einander, „Das reicht mir.“

Der Lehrer schluckte hörbar.

„Wussten sie, dass Kaiba mit ihrem Bruder schläft?“, wechselte der Blonde das Thema.

„Ich… Nein.“, Muto wandte den Blick ab, „Ich dachte nie… bist du dir sicher?“

„Ja.“, der Jüngere zog die Jacke aus und lehnte sich – extrem vorsichtig – wieder an die Heizung, „Ach ja, ich soll es niemandem sagen, hat er befohlen. Also nicht weitersagen.“

Der Schwarzhaarige hustete einmal. „Einen Teufel würde ich tun…“

„Ich dachte nur, sie interessiert das.“

„Das tut es ganz sicher…“, er seufzte und fuhr sich abermals durch die Haare.

Katsuya beobachtete seine Bewegungen.

Es war auch er gewesen, der ihm gesagt hatte, dass Kaiba single war, oder?

Und wenn man jetzt an Yamis Worte dachte…

„Schläft er auch mit ihnen?“
 

Der Lehrer hustete laut auf, mehrfach hintereinander.

Sein entsetzter Blick traf Katsuyas musternden.

Und glitt zu Boden.

Jetzt wich er ihm also aus…

„Ich… ich…“

„Also ja?“

„Nein!“

Und vehemente Leugnung bestätigte die angenommene These…

Auch Katsuya ließ den Blick sinken.

Yugi also…

Tja, ein hübscher Fang.

Und Yami noch dazu…

Aber nein, natürlich hatte Kaiba es nicht gewusst, natürlich hatte er nie bemerkt, dass sie Zwillinge waren. Natürlich hatte er nur mit einem Fremden geschlafen. Natürlich…

„Ehrlich nicht…“, versuchte der Ältere es noch einmal.

„Schon gut, ich kann das verstehen…“, Katsuyas Stimme brach.

„Nein, das…“, der Lehrer seufzte, „Das war eine einmalige Sache… das ist schon Monate her…“, und wieder fuhr er sich durch die Haare, „Wir sind Freunde. Mehr ist da nicht…“

Ganz neue Perspektiven…

Kaiba hatte sich Yami geschnappt als Ersatz für Yugi.

Schön…

Und, gab es auch ein noch schöner?

„Wieso erzähl’ ich das überhaupt? Ach, verdammt…“

„Sagen sie nur noch, er hat einen Hund und eine Kinderleiche im Keller, dann haben wir die größten Sexualverbrechen durch.“, erwiderte Katsuya sarkastisch.

Der Andere warf ihm einen Blick voller Entsetzen und Ekel zu.

O ja, zu lange hatte er darauf verzichten müssen.

Da war er also wieder.

Punk Katsuya.

Er gegen den Rest der Welt.

Corpse's Revival

So, hier das kurze Mittwochskapitel, nächste Woche Mittwoch gibt es wieder ein längeres ^.- (extra für Matael, die ja zurzeit nicht zum Schreiben kommt)

Und nein, der erste Abschnitt ist kein Scherz - ich bin froh, dass mal endlich jemand dies nicht vorher erraten hat ^.- Das wurde ja teilweise richtig unheimlich...

Nun denn, ich wünsche viel Spaß beim Lesen ^.-
 

Und schonmal im Voraus: Nein, Katsuya schminkt sich nicht regelmäßig und wird es auch nicht tun!
 

_______________________________________________________________________________
 

Katsuya hockte sich auf, griff nach seiner Jacke und erhob sich.

O ja, er wusste, dass er beobachtet wurde.

Seine blonden Haare, seine Muskeln, seine Blutergüsse und sein geschundener Rücken.

Es war nicht so, dass er nicht bemerkt hatte, dass gerade das ihn für manche sehr attraktiv machte – ob nun Hirutani, sein ehemaliger Geschichtslehrer oder jetzt Muto.

Es war auch nicht so, dass er keine Ahnung hatte, wie er seine Reize einsetzen sollte.

Es war strikt und einfach so, dass er es normalerweise vermied so gesehen zu werden.

Er hasste dieses Wrack von einem Körper.

Die Verfärbungen, die Narben, die blutigen Wunden.

Die Schnitte, die Nadeleinstiche.

Die gespannte Haut über den Knochen.

Und doch konnte er einfach nicht sagen, dass er hässlich war.

Auch diese Unebenheiten seines Körpers waren ein Teil von ihm.

Sie gehörten zu ihm.

Das war alles er.

Wieso sie also verstecken?

Nein.

Er versteckte sich nicht länger hinter seinen Tausenden von Masken.

Ab jetzt hatte er nur noch sich selbst zu spielen.

Jetzt, wo alles vorbei war…

Vielleicht hatte Kaiba jenen Montag nicht gelogen.

Vielleicht war er bis Dienstag ehrlich gewesen.

Als er ihm jenen Block und Füller schenkte.

Doch dann war da Muto.

Und sie sprachen über ihn.

Jetzt wusste er, was es war, das Kaiba zerfraß – Eifersucht.

Wahrscheinlich hatte er es vollkommen anders gemeint, als er ihn Mörder nannte.

Liebesmörder.

Denn er wusste, was dieser Blick bedeutete.

Dieser Blick in Yugis Augen.

Deshalb also hatte er ihn in Sport immer so hervorgehoben.

Deshalb hatte er ihn immer verteidigt.

Deshalb hatte er ihm immer beigestanden.

Dieser Blick war pures Begehren.

„Ich… ich muss gehen…“, stammelte der Lehrer, griff seine Sachen und stürzte aus dem Lehrerzimmer.

Sieben Uhr, dreiundvierzig Minuten.
 

Katsuya band sich seine Jacke um die Hüften, zog sein Netzshirt zurecht und schlenderte zum Lehrerbadezimmer.

Autoritärkampf also?

Schüler begehrten die Lehrer, denn sie hatten Macht.

Und Lehrer begehrten Schüler, denn sie könnten über sie bestimmen.

So sah es wohl aus.

Schule war ein schweres Pflaster.

Deshalb wurden Ordnungsverstöße wohl so schwer geahndet.

Einmal verführt, immer verführt.

Deshalb durften Schüler keine Beziehungen zu Lehrern haben.

Hätte er Kaiba jemals bekommen, man hätte sie beide rausgeworfen.

Oder anders…

Wollte er Kaiba wirklich etwas antun, er müsste ihn flachlegen und sich dabei erwischen lassen.

Als Schlussfolgerung müsste er Kaiba in seinem Büro verführen.

Wenn ein Lehrer also Autorität genoss, dann müsste er Kaiba heiß machen, seine eigene Autorität ausdrücken und im geeigneten Moment nachgeben und sich dominieren lassen.

Und da Kaibas Büro in der Nähe des Sekretariats lag, müsste er nur laut stöhnen und schon würden die Schnepfen gelaufen kommen.

Die würden dann wissen, wozu er als Schüler unbedingt den Lehrplan eines Lehrers brauchte – um diesen so oft wie möglich zwischendurch vögeln zu können.

Sie würden demnach auf eine längere Beziehung schließen und deshalb sofort zum Direktor rennen.

Der würde Kaiba rausschmeißen.

Ihn wahrscheinlich gleich mit.

Außer natürlich, er sagte aus, der Lehrer habe ihm mit dem Rausschmiss gedroht, wenn er sich nicht fügte.

Und als Zeugen hätte er alle Schüler vom Nachsitzen an jenem Montag.

Und wenn das nicht reichte, dann konnte er die Geschichte mit Yami mitbenutzen.

Er dürfte bleiben.

Kaiba würden sie aus dem Ministerium werfen.

Und wenn er ihm dann noch wirklich wehtun wollte... dann brauchte er nur Yugi nehmen.

Nun?

Jedes Zahnrädchen hatte eine Bedeutung.

Und griffen sie ineinander, konnte man Berge bewegen.

Das Leben auf der anderen Seite...
 

Der Blonde blickte in den Spiegel, griff nach einem herumliegenden Kamm und begann sein Haar zu bändigen.

Sicher hatte auch irgendeine Lehrerin Schminke hier.

Maskara, Eyeliner, vielleicht Lipgloss?

Lippenstift würde nicht passen.

Dafür also hatte er sich Mais Vortrag angehört.

O ja, die Zahnräder…

Bei allen Göttern, eine komplette Schminkschatulle!

Hm…

Nein, kein Make-up, keine Grundierung und auch keine andere Abdeckung.

Seine Blutergüsse sollte man sehen.

Aber Maskara…

Seine Augenbrauen auch?

Nein, nur die Wimpern.

Grün?

Himmel, welche Verrückte trug Grün?

Nie im Leben.

Zu blond passte… blau.

Royalblau…

Nett.

Doch, den nahm er.

Aber leicht nur.

Oh, nein, das passte nicht zu den Bernsteinaugen.

Ob es hier wohl Bronze gab?

Interessant, womit Lehrer so ausgestattet waren…

Bei allen Göttern, es gab wirklich Bronze.

Hm… das stach nicht wirklich hervor.

Zu einfach.

Sollte er bei dezentem Schwarz bleiben?

Das würde auf jeden Fall mit der Lederjacke passen.

Und selbst wenn nicht, wozu hatte er als Punk darauf zu achten, ob die Schminke passte?

Es sollte seine Augen hervorheben und dabei nicht stören.

Also schwarz.

Demnach auch schwarzen Eyeliner.

Durchsichtiges Lipgloss.

Den Scheitel etwas weiter nach links…
 

„Was machst du denn hier?“, fragte Kaiba entsetzt, als Katsuya gerade aus dem Lehrerzimmer trat.

Ach ja, der Musterlehrer, immer ein Viertelstündchen früher da.

Nur keine Blöße vor den Kollegen.

„Ich habe sie gesucht.“, antwortete der Punk mit einer etwas tieferen Stimme als sonst.

Der Lehrer ließ seinen Blick über den jungen Mann wandern und fragte gen dessen Oberkörper: „Warum trägst du keine Schuluniform?“

„Die liegt zuhause.“

„Und du warst nicht zuhause?“, sein Blick löste sich auch weiterhin nicht von Katsuyas Brust.

„Zumindest hatte ich keine Chance meine Uniform zu holen.“, der Blonde legte den Kopf leicht schief und sah die ersten Lehrer in der Ferne, „Aber wollen wir das nicht in ihren Büro besprechen?“

„Ich…“, Kaiba atmete langsam ein und fast lautlos wieder aus, warf einen Blick über die Schulter, trat auf den Jüngeren zu, packte sein Handgelenk und zog ihn grob hinter sich her.

Noch während er die Tür öffnete, legte er seine Hand auf Katsuyas nackten Rücken und drückte ihn in das Büro, dessen Tür er so schnell wie möglich hinter sich schloss.

„Jetzt mal Klartext.“, verlangte er leicht wütend, „Was wird hier gespielt?“

„Wieso?“, fragte der Blonde, senkte das Kinn und fixierte den Älteren, während er mit eher festem Schritt auf ihn zutrat und seine Finger über Kaibas Schlüsselbeine fahren ließ, über denen noch stramm das Jackett lag.

„Lass sofort los.“, befahl dieser kalt.

Katsuyas Fingerkuppen strichen leicht über die Schulterpolster, aber lösten sich schließlich doch. Er verschränkte die Arme hinter dem Rücken, streckte das Kinn und lehnte sich mit dem kompletten Oberkörper gegen Kaiba, sodass er ihm nun von unten in die Augen sah.

Der Lehrer wurde gegen die Bürotür gedrückt, doch wehrte sich nicht.

„Was willst du?“, flüsterte Kaiba mit tiefem Atem, „Rache, weil ich deinen besten Freund gevögelt habe?“, seine Arme ließ er schlapp herunter hängen, „Oder hast du irgendeine psychische Störung, die mich einbezieht?“

Katsuya löste seine Hände und ließ sie auf den Armen auf Wanderschaft gehen.

„Wenn zu den Störungen Begehren zählt…“, hauchte er ohne den Blick abzuwenden, „Dann sind wir beide krank.“

Ob ein Eisblock wie Kaiba zu solchen Metaphern überhaupt fähig war?

Er brach sich auf jeden Fall die Zunge ab…

Der Ältere seufzte fast unmerklich. „Ich hätte nicht gedacht, dass du sogar so weit sinken würdest deinen Körper zu verkaufen.“

Bitte?

„Verkaufen?“, der Punk lachte leise, „Verlange ich denn Geld?“

„Wer weiß…“, ein Arm legte sich in Katsuyas Rücken und die Kälte sandte ein Prickeln über seine Haut, „Vielleicht Geld. Vielleicht Rache. Vielleicht Macht.“

„Macht?“

„Die Macht mich von der Schule zu schmeißen zum Beispiel.“
 

Katsuya atmete tief ein, während sein Gegenüber die Augenbrauen in die Höhe zog.

„Aaah…“, Kaiba hob den Kopf, „Daher weht der Wind.“

Die zweite Hand legte sich unter den Hintern des Blonden und drückte ihn nach oben, wodurch er den Boden unter den Füßen verlor.

„Du bist ganz schön mager.“, bemerkte der Lehrer, während er ihn zum Schreibtisch trug und auf diesem absetzte, „Ein netter Plan, ich muss schon sagen…“, er pfiff leise, „Würde ich dich nicht abgrundtief hassen, es wäre wirklich einen Gedanken wert gewesen.“

Katsuya warf ihm einen kalten Blick zu.

Dass Kaiba ihn durchschaute… nun ja, ja – aber so schnell?

Und solch ein Verhalten nur wegen Eifersucht?

„Ich weiß, ich bin ganz schrecklich böse.“, der Ältere lächelte maliziös und lehnte seinen Stirn gegen die des Blonden, „Aber eins muss ich dir sagen, du Perloxidhure: Ich bin ruhig bereit alles Mögliche aufzugeben für dich – ob nun mein Geld, meinen Job oder meinen Stolz.“

Was?

Was sollte das nun heißen?

„Aber vorher will ich meine Rache.“

Durch die Nähe war Katsuya gezwungen seinem Gegenüber in die Augen zu sehen.

Doch selbst wenn er die Chance gehabt hätte, den Blick hätte er nicht abgewandt.

Nicht jetzt.

Nicht bei diesem Blau, was zum ersten Mal trotz aller Überheblichkeit eine Spur Verletzbarkeit innehatte.

„Rache?“

„Rache.“

Kaiba hielt seinen Oberkörper durch seine beiden Arme, die links und rechts von Katsuya auf dem Schreibtisch lagen. Auf diesem würde sein Leib gehalten, da der Lehrer ihn mit seiner ganzen Masse von der Flucht hinderte. Und seinem Blick konnte er nur ausweichen, indem er die Augen schloss.

Ein untrügerisches Gefühl sagte ihm, dass er sich in Kaiba getäuscht hatte.

Und dieses Gefühl fraß an ihm.

Jetzt war er kein Hund.

Jetzt war er eine Maus in der Falle.

Und Kaiba der verrückte Wissenschaftler.

„Wofür?“

Die Lider um die hellblauen Augen zogen sich zusammen, sodass es nur noch Schlitze waren, durch die die tiefschwarzen Pupillen ihn fixierten.

„Für den Mord an meinem Bruder.“

Wahrheit?

So, hier euer - längeres - Kapitel, auf dass ich etwas weniger Drohungen bezüglich der Wörteranzahl erhalte XD

Und nein, Kaiba wird Katsuya nicht umbringen, sonst wäre diese Geschichte hier viel zu schnell zu Ende und ich würde meine 102 Kapitel nicht voll kriegen. Wir sind hier ja gerade mal am Montag der dritten Woche und ich habe schließlich bis in die fünfte Woche geplant ^.- Und die Frage, ob Katsuya mit Kaiba oder doch Yami, Yugi oder sonst wem zusammenkommt, werde ich auch weiterhin nicht beantworten - auch beim tausendsten Mal nicht ^.-

Ich danke euch erstmal noch mal herzlich für die lieben Kommentare (wisst ihr eigentlich, was für Rekorde ihr hier sprengt? ô.o) und wünsche euch jetzt viel Spaß beim Lesen.
 

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Mord?

Mord an seinem Bruder?

Der Mann, der damals umgekommen war, war… Kaibas Bruder?

„Guck nicht so überrascht.“, wies der Lehrer ihn an.

„Ich… ich…“, stammelte Katsuya und wandte den Kopf ab.

Dieser Blick war nicht zu ertragen.

Dieses eiskalte Blau…

„Deine Reaktion zeigt mir, dass mein Gedächtnis noch gut genug arbeitet dich auch nach fünf Jahren noch wieder zu erkennen.“

Fünf Jahre…

Fünf Jahre, die er das alles verdrängt hatte.

Und nun…

„Es war ein Unfall…“, flüsterte der Blonde.

„Unfall?“, Kaiba stieß sich vom Tisch ab und warf mit einem trockenen Lachen den Kopf in den Nacken, „Unfall? Sicher. Ich bezeichne es auch als Unfall, wenn ich jemandem wissentlich die Kehle durchschneide.“

„Ich wollte das doch nicht!“, schrie der Jüngere und sah ihn mit seinen von Tränen schimmernden Augen an, „Ich wollte nicht, dass er stirbt! Und ermorden wollte ich ihn erst recht nicht!“

Der Lehrer schüttelte – von seinen eigenen Lachen zitternd – den Kopf und wandte den Blick ab. „Fakt ist, dass du es warst, der das Messer in der Hand hielt und mein Bruder, der sich nicht wehrte…“, seine Stimme erstarb.

„Und sie der Mann mit der Kapuze…“

Kaiba stieß die Luft aus.

Also doch…

Wie hatte er auch auf den Gedanken kommen können, dieser Typ könnte für irgendwen mal etwas empfinden?

Auch für Yugi nicht.

„Wir stritten.“, erhob der Brünette wieder die Stimme, „Er rannte weg, genau dahin, wo ich ihn immer vor warnte. Diese tollen Gegenden, die du Heimat nennst. Er zog sich mit Drogen zu und ich hielt die Sorge nicht mehr aus. Ich dachte mir schon, dass er in euer Viertel gerannt war. Ich habe mich vor so einigen Gangs verstecken müssen, aber ich war schon froh, dass sie meinen Bruder noch nicht erwischt hatten. Und dann dieses Gelächter…“, er schien das Wort auszuspeien, „Erinnerst du dich eigentlich noch? Ihr habt laut gelacht. Ein paar von euch noch irrer, als das Blut floss. Und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl sterben zu müssen…“

Sterben…

Er war das gewesen.

Nur er.

Schuldig…

„Es tut mir Leid.“, flüsterte Katsuya unter Tränen, „Es tut mir so Leid…“

„Das hilft mir jetzt auch nicht mehr.“, erwiderte der Ältere kalt.
 

Ein Schrei.

Er hörte nur diesen Schrei.

Schreiende Kapuze.

Schatten.

Etwas zog ihn davon.

Blut an seinen Händen…

Katsuya starrte sie an.

Mit diesen Händen…

„Tut das weh?“, flüsterte der Ältere, „Tut es dir jetzt weh?“

„Ich wollte es nicht…“, murmelte der Blonde.

Der Blauäugige trat wieder auf ihn zu.

„Ich wollte das nicht…“

„Du hast es dennoch getan.“

Katsuya ließ seine Hände auf die Knie, seinen Blick nach unten und seinen Kopf gegen Kaibas Schulter sinken.

Dieser hob seinen Arm und ließ seine Linke durch das blonde Haar fahren.

„Sagst du mir das?“, flüsterte er, „Warum musste mein Bruder sterben?“

Die Antwort war leises Schluchzen.

Warum unbedingt er?

In diesem verdammten Viertel gab es genug Obdachlose ohne Familie oder Hintergrund, genug Typen, bei denen es keinen interessieren würde, wenn sie abkratzten.

Warum also er?

„Fünf Jahre habe ich nach dir gesucht um dir diese Frage zu stellen.“, durchbrach Kaiba die entstandene Stille, „Und alles, was ich finde, ist ein abgemagerter, halbtoter Junkie. Kreidebleich bis auf die blauvioletten Flecken und ein paar blutige Wunden.“, er atmete tief durch, „Ich weiß nicht genau, was ich überhaupt erwartet hatte…“, die Hand kraulte weiter in seinem Haar, „Aber du warst es nicht.“

Enttäuschung?

Kaiba war… enttäuscht?

Hatte er Sadismus erwartet?

Brutalität?

Kaltblütigkeit?

„Ich wollte nur jemanden, den ich hassen kann… dem ich die Schuld geben kann…“, die Hand sank zu seiner Schulter und wanderte dort die Musterung des Nitzshirts entlang, „Dich zu finden und zu quälen, das war fünf Jahre lang alles, was ich wollte…“

Rache…

Rache war kein guter Sinn des Lebens.

Man konnte Rache nicht befriedigen.

„Und dann finde ich ein wehrloses, gebrochenes Hündchen…“

Er war eine Enttäuschung.

Nicht mal als Symbol des Hasses reichte er mehr.

Er war Punk ohne Punk zu sein…

Abschaum ohne Hintergrund.

Auch sein Leben hatte keinen Sinn.
 

Susano.

Sturm.

Das wollte er sein.

Frei und ungestüm, selbst bestimmend, stark genug allem zu trotzen.

Und nun riss seine Vergangenheit ihn nieder.

Stürme kümmerten sich nicht um die Orte, an denen sie gewesen waren, sie kümmerte nicht einmal die Zerstörung, die sie hinterlassen hatten.

Stürme blickten immer nach vorne.

Aber er konnte nicht nach vorne blicken.

Vor ihm stand Kaiba, versperrte den Weg.

Er hielt ihn fest, raubte ihm die Freiheit – durch die sanfte Gewalt einer Umarmung.

Katsuya war vom Tisch gehoben worden, lehnte nun an diesen.

Er krallte sich in Kaibas Jackett.

Kaiba war kein sehr emotionsbestimmter Mensch.

So hatte der Blonde zumindest gedacht.

Doch Kaiba hatte eine Maske getragen.

Genau wie er.

Jetzt war der Moment, in dem die Masken fielen.

Und hinter diesen Masken liefen die Tränen.

Sie weinten – beide.

Zumindest im Schmerz waren sie vereint.

Doch auch wenn eine Träne ihren Weg über Kaibas Wange suchte, war seine Stimme fest und sein Körper behielt dieselbe straffe Haltung wie sonst auch.

Einzig die Hand an Katsuyas Rücken, die diesen sanft gegen den Größeren drückte, war untypisch.

„Was soll ich mit dir machen, hm?“, fragte der Lehrer.

Töten…

„Was immer wenigstens ihrem Leben Sinn gibt.“, flüsterte der Blonde stattdessen, „Meins ist eh im Eimer.“

Der Ältere ließ seinen Kopf auf Katsuyas Schopf sinken.

„Mein Leben ist verwürgt.“, zitierte er mit bebender Stimme, „Drum nimm den Dolch und stich.“

Bizarr.

Einfach bizarr.

Situationen mit Kaiba waren bizarr.

Irreal.

Denn er lächelte.

Sie lächelten beide.
 

„Nun, was wirst du jetzt machen?“

Katsuya atmete tief ein und seufzte.

„Also?“

„Sterben bringt mich auch nicht weiter.“, er löste sich langsam von dem Älteren, lehnte sich wieder an den Schreibtisch und sah ihm in die Augen, „Ryou sagt, mit dem Tod ist alles vorbei. Sterben ist also noch sinnloser als Leben. Wenn sie mich nicht töten, werde ich demnach leben.“

„Das heißt praktisch gesehen?“

„Ich gehe zur Krankenstation und lasse meine Hände und Füße untersuchen.“, Katsuya hob seine kreideweiße Hand, „Da – totes Gewebe.“

Weiß hieß tot.

Rosa hieß lebendig.

Schwarz hieß Amputation.

„Hast du die Nacht etwa draußen verbracht?“

„Hm-hm…“, bestätigte der Jüngere mit einem Nicken.

Kaiba seufzte.

„Wenn du so weitermachst, stirbst du schneller, als du willst.“

„Ich konnte nicht nach Hause.“, erwiderte der Blonde leise, „Meine Familie ist zerbrochen.“

„Deine… Familie?“

„Mein Drache.“, flüsterte er, „Den mir meine Schwester zum Abschied geschenkt hatte.“

Ein Paar blauer Augen beobachtete ihn still.

„Bevor sie mich in die Hölle warfen…“

„Du hattest ein Leben vor dem Ghetto?“, fragte der Lehrer nach einigen Sekunden nach.

Katsuya nickte still.

„Eine Schwester? Und eine Mutter?“

Nicken.

„Warst du glücklich?“

Katsuya stockte.

War er damals… glücklich?

War er unter der Ignoranz und dem Hass seiner Mutter glücklich gewesen?

„Nein.“, antwortete der Blonde schließlich, „Aber es war schöner als heute. Demnach bin ich dankbar es erlebt haben zu dürfen.“, er wandte den Blick ab, „Auch wenn ich nicht glücklich war…“
 

Sie schwiegen sich einige Zeit an.

Es könnten Minuten gewesen sein.

Sekunden.

Oder Stunden.

Eine Ewigkeit, in der Katsuya den Blick abwandte.

Weg von diesem Blau.

Blau, das ihn schon wieder durchschaute.

Und jedes Geheimnis aufdecken wollte.

Ein Stille, bis Kaiba sie brach.

„Wir stehen uns zum ersten Mal ehrlich gegenüber.“

Eine reine Feststellung.

Eine wahre Feststellung.

Ein kalter, sachlicher Ton.

Waren sie sich nicht näher gekommen?

Waren sie es und sich jetzt wieder fremd?

Es war alles so bizarr…

„Dennoch, die erste Stunde ist schon fast rum. Nach allem bin ich immer noch dein und euer Klassenlehrer. Und wir haben gerade Japanisch.“, der Lehrer griff nach der Tasche, die er am Eingang fallen gelassen hatte.

Katsuya ließ den Kopf sinken.

Doch die Aufforderung dem Älteren zu folgen, die er als nächstes aussprach – sie war nicht mehr kalt.

Sie hatte eine Spur Belustigung, gar Lebensfreude in sich.

„Kommst du?“

Der Blonde sah überrascht auf.

Schlug ihm kein Hass mehr entgegen?

Warum diese freundliche Stimme?

Dieses ernste Lächeln?

Das leichte Glitzern in den blauen Augen?

„Na los, schlag keine Wurzeln.“

Irgendwo war es bizarr.

Der ganze Mann war bizarr.

Doch irgendwo konnte Katsuya trotz allem nicht verneinen, dass er ihn faszinierte.

Und eines war sicher.

Es war dieses Lächeln, was sein Herz schneller schlagen ließ.
 

„Morgen, erhebt euch, Wakaba, sprich ein Gebet.“, begrüßte Kaiba die Klasse mit wenigen Worten und ließ Katsuya eintreten, bevor er die Tür schloss und mit schnellem Schritt zum Pult ging.

Innerlich den Kopf schüttelnd wandte sich der Blonde zu seinem Platz.

Wie zur Hölle machte er das?

Gerade noch schien er einen halben Zusammenbruch gehabt zu haben – denn Katsuya vermutete nicht, dass es oft vorkam, dass Kaiba eine Träne über die Wange rann – und jetzt sah man ihm nichts an.

Konnten Masken so stark sein?

Denn unzweifelhaft trug der Ältere nun wieder eine.

Die Rolle Lehrer.

Nur eine von vielen Seiten.

„Morgen…“, flüsterte Ryou und musterte den Größeren unverhohlen.

Oh verdammt, er hatte ja gar keine Schuluniform an.

Er… hatte nicht einmal ein Hemd an…

Sein ganzer Rücken…

Er warf einen Blick über die Schulter.

Kaiba erwiderte ausdruckslos.

Nun, der konnte sich wohl seinen eigenen Reim darauf machen.

Aber die anderen?

Was interessierten ihn die anderen?

Zwar hatte sich die Situation gewandelt, aber mussten es seine Einstellungen deswegen auch gleich tun?

Nein – er kämpfte und daran änderte sich nichts.

Und auch diese Blicke hielt er aus.

Es war ja nicht so als wäre er ein unschöner Anblick.

Er war nur ziemlich blauviolett.

Katsuya atmete tief ein.

Ein Sturm blickte nach vorn…

Er würde kämpfen.
 

Kein Mensch wagte ihn anzusprechen.

Nicht einmal Ryou.

Irgendwo war das schmerzhaft.

Ryou hatte Angst vor ihm… wegen den Flecken, den Narben, den Nadeleinstichen?

Den Verbänden, den Blutflecken, den Muskeln?

Dem Eisenrohr, das er im Lehrerzimmer liegen gelassen und nun geholt hatte?

Anders konnte er diesen leicht verstörten Blick nicht deuten.

Er erinnerte den Jungen doch hoffentlich nicht an seinen Vater, oder?

Oder seinen Bruder in seiner Zeit als Junkie und Alkoholiker?

Das wäre natürlich super beschissen…

„Ryou?“, sprach er ihn schließlich in der letzten Stunde an.

„Äh, ja?“, der Junge schien aus seinen Gedanken zu schrecken.

„Mache ich dir Angst?“

Er blieb regungslos stehen und atmete tief durch.

Katsuya währenddessen lehnte sich gegen seinen Einzeltisch und verschränkte die Arme.

„Ein wenig…“, antwortete der Jüngere irgendwann, „Ich habe Angst davor, dass es jemanden gibt, der dazu…“, er nickte zum Oberkörper des Blonden, „…fähig ist.“

„Mich so zu verunstalten?“

„Ja…“, der Blauäugige schlang die Arme um seinen Körper, „Das macht mir Angst…“

„Wieso?“

Er seufzte.

Katsuya lehnte sich etwas vor um das Flüstern zu verstehen.

„Es erinnert daran, dass in jedem von uns ein Monster steckt…“

Monster?

Ach ja, Yamis Gerede von den Trieben und der Gedanke, dass der Mensch mit Willen dagegen ankommen könnte… sein Vater war wohl das lebendige Gegenteil. Aber wollte der sich denn ändern? Wahrscheinlich nicht…

„Ich dachte, mit der Erkenntnis seiest du groß geworden.“

Der Weißhaarige schloss wie müde die Augen.

„Wolltest du sagen, du verdrängst sie erfolgreich?“

Ein kraftloses Nicken.

„Aber wenn du sie nicht beachtest, was hat es dir dann gebracht, dass du all diese Gewalt ausgehalten hast? Wenn kein Sinn dahinter steckte, wie konntest du sie ertragen? Wenn du deine gewonnen Erkenntnisse nicht nutzt, wofür machtest du sie dann? Sie sind doch ein fester Teil unseres Lebens… und vielleicht sind sie für uns da.“

„Das Leiden der Welt? Für uns? Als Teil eines sinnerfüllten Lebens?“, fragte der Kleinere ungläubig nach.

„Warum nicht?“, erwiderte der Blonde, „Alles ist möglich.“

Außer Kaiba zu verführen…
 

Katsuya klopfte eher zaghaft an der Tür für die Nachsitzenden.

Das erste Mal dieses Jahr musste er nicht nachsitzen und er ging freiwillig zu diesem Raum… was tat man nicht alles für einen sturen Eisblock?

Obwohl, solch ein Eisblock war er ja eigentlich nicht.

Heute hatte sich ihm noch eine ganz andere Seite geöffnet – eine wahrhaft verletzliche.

Der Mann war Kaibas Bruder gewesen…

Katsuya schluckte.

Diese Aktion war Wahnsinn…

Doch irgendwo wusste der Blonde, dass das sein einziger Weg war.

Nicht der einzig mögliche – aber der einzig sinnvolle.

„Katsuya?“, fragte Kaiba überrascht, als er die Tür geöffnet hatte.

„Könnte ich noch einmal kurz mit ihnen sprechen?“

Die blauen Augen musterten ihn eindringlich.

Ein Seufzen.

War er so eine Last? Wenn er nur eine Enttäuschung war, dann…

Katsuya spürte wie sein Herz sich zusammenzog.

Nein, nicht daran denken.

Kaiba bellte den Schülern im Raum einen Befehl zu und zog den Blonden ein wenig abseits auf den Flur.

„Was kann ich für dich tun?“

Wäre das eine Komödie, Katsuya hätte sicherlich gelacht.

Allein diese Formulierung…

Kein unhöfliches was-willst-du?

Oder ein Knurren.

Nein, eine freundliche Frage.

Und dann in dieser Formulierung…

„Es gäbe da tatsächlich etwas…“, begann Katsuya etwas unsicher.

Sollte er das tatsächlich durchziehen?

Kaiba hob eine Augenbraue.

Dieser Lehrer raubte einem auch jedes Selbstvertrauen.

„Ich weiß nicht genau, wie ich es freundlich sagen soll…“

„Dann sag’s unfreundlich.“

Er forschte im Blick des Älteren.

Abwehr? Angst? Anspannung?

„Ich will bei ihnen wohnen.“

Changes

Wie bereits in der Kurbeschreibung beschrieben wurde mir eine Prüfung mitten in die Ferien gelegt *seufz* Da bin ich also wieder ^.^

Und mir ist etwas sehr Obskures widerfahren - ich habe den japanischen Manga Yu-Gi-Oh (37!!!) auf Französisch in Belgien gefunden und mir überlegt, dass ich als Deutsche mit Latein- und Englischkenntnissen wahrscheinlich nicht in der Lage sein werde das Gesagte zu verstehen. Aber die gezeichnete Version von Priest Seto (oder Seth für die Liebhaber hier ^.-) gefällt mir wahrlich gut *.*

Ich wünsche euch also viel Spaß beim Lesen und hoffe euch nicht zu lange auf die Folter gespannt zu haben ^.- (Übrigens habe ich noch zwei weitere Kapitel fertig ^.- Und nicht vergessen: Das hier ist nur das eine kurze dazwischen - nicht erdolchen, bitte!)
 

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Fraglos – das war das Schrägste, was er je getan hatte.

Das Sinnloseste und zugleich Sinnvollste überhaupt.

Sinnvoll, weil es die beste Wohnmöglichkeit für ihn war, weil es ihn von all der Scheiße seines Lebens wegholte und weil er Kaiba so näher kam.

Sinnlos, weil Ebengenannter sicher lieber freiwillig von einem Hochhaus springen würde als dem hier zuzustimmen.

Andererseits…

Er hatte dem Brünetten das Leben ziemlich kaputt gemacht.

Er hatte ihm unbewusst die letzten fünf Jahre zur Hölle gemacht.

Er hatte ihm jeglichen Sinn seiner Existenz genommen.

Wenn er das nur irgendwie wieder gut machen konnte…

Katsuya richtete seinen zu Boden gesunkenen Blick wieder auf Kaiba.

Dieser bewegte sich nicht.

Keine hochgezogenen Augenbrauen, kein eiskalter Blick, keine spöttisch verzogenen Lippen.

Reine Starre.

Mit Augen nahe dem Entsetzen.

„Ich… ich…“, stotterte der Blonde, „Ich weiß, dass ist… das… ach, vergessen sie es einfach.“

Mit einem Seufzer wandte er sich ab und ging schnellen Schrittes auf die Treppe zu.

„Warte.“, hielt Kaiba ihn ruhiger Stimme an. Ein wenig Kälte lag in ihr, aber keine Wut.

Für Zorn und Hass war er wohl noch zu überrascht.

Es war höchstwahrscheinlich etwas gewesen, was er nicht von Katsuya erwartet hatte.

Wenn der Jüngere ehrlich war, dann war es auch nichts, was er von sich selbst erwartet hatte.

Er drehte den Kopf etwas zur Seite als Zeichen, dass er zuhörte.

In die Augen sehen konnte er dem Lehrer jetzt keinesfalls.

War ihm diese Frage… peinlich?

Nein, nicht wirklich.

Aber dennoch fraß sich ein ungewolltes Gefühl durch seine Brust.

„Du möchtest bei mir wohnen?“

Noch immer schien die Stimme keinerlei Emotionen außer eine leichte Überraschung und Kälte zu beinhalten.

„Ich… ich dachte ja nur…“, murmelte der Blonde leise.

Das bekannte Geräusch von Kaibas Schuhen ertönte.

Hatte er aus Empörung beschlossen einfach zu gehen?

Eigentlich passte das nicht zu diesem Mann.

Obwohl… einmal war er ja schon geflohen.

Doch die Schritte näherten sich ihm.

„Wie kommst du auf die Idee?“
 

Eine leichte Gänsehaut überzog Katsuyas Arme, Schultern und Rücken.

Sicher nicht, weil es zu kalt war.

Außer man sah den Mann, der nur wenige Zentimeter hinter ihm stehen geblieben war, immer noch als Eisblock an – in dem Fall war es natürlich zu kalt.

Doch in Katsuya, tief in ihm, ließ diese Kälte ihn entflammen.

Er atmete tief ein.

„Nun… nach Hause kann ich nicht mehr. Und zu Yami möchte ich nicht. Da sind einfach… zu viele… Männer.“, versuchte er es zu formulieren, „Und Ryou kenne ich erst seit zwei Wochen.“

Und Bakura würde ihm den Hals umdrehen…

„Mich auch.“

„Hm?“

„Mich kennst du auch erst seit zwei Wochen.“

Katsuya drehte sich langsam um.

Zwei… Wochen?

Stimmte…

Sie kannten sich erst zwei Wochen.

Das war ihm vollkommen entfallen…

Es war als kannte er dieses Blau schon eine Ewigkeit.

„Und außer mir fällt dir niemand ein?“

„Na ja… ich kann versuchen eine eigene Wohnung zu kriegen, aber…“

„Keinesfalls.“, unterbrach ihn Kaiba sofort, „Dafür müsstest du die Schule schleifen lassen.“

Er senkte den Blick, seufzte und betrachtete die Wand.

Worüber er wohl nachdachte?

Er… er hatte doch nicht vor zuzustimmen, oder?

Überlegte er wirklich darüber?

Schwer vorstellbar…

„Du hast schon Recht…“, murmelte er, „Es wäre das Sinnvollste…“

„Ich dachte, sie hassen mich.“, sagte der Braunäugige verwirrt.

Kaiba schloss die Augen und atmete tief durch.

„Es ist schwer jemanden zu hassen, den man täglich sieht…“

„Sie hassen mich nicht?“

Vollendete Verwirrung…

Was ging bloß in diesem Mann vor?

„Ich kann es nicht.“
 

Er… konnte es nicht?

Er konnte ihn nicht hassen?

Katsuya legte den Kopf schief.

Das war doch wohl ein schlechter Scherz, oder?

„Ich kann es nicht.“, wiederholte der Brünette, „Ich konnte es so lange, wie ich dich noch nicht kannte. Aber man kann einen Menschen nicht mehr hassen, wenn man sich einmal auf ihn einlässt und sich für seine guten Seiten öffnet.“

„Sie glauben, ich habe gute Seiten?“, fragte der Jüngere zweifelnd.

„Sicher.“, ihre Blicke trafen einander wieder, „Jeder Mensch hat gute Seiten, wie auch jeder Mensch seine schlechten hat. Man mag jemanden nicht, wenn die schlechten auffälliger als die guten sind. An anderes gewöhnt man sich. An dein Temperament habe ich mich gewöhnt. Und deine schlechten Seiten sind hauptsächlich Teil meiner Erinnerungen.“

Katsuya hob die Brust und senkte das Kinn.

„Kann man… seine Erinnerungen bewältigen?“

„Nein.“, der Lehrer legte ihm eine Hand auf die Schulter, „Man kann dafür sorgen, dass sie einen nicht überwältigen.“

Sein Blick suchte die Ferne durch das Fenster.

Ein Seufzen.

Er schwenkte zurück.

„Du darfst bei mir wohnen.“

Stille.

Katsuya war erstarrt.

Er… durfte…?

Verwirrtes Blinzeln.

War das… sein Ernst…?

„Ehrlich?“, hauchte der Blonde.

„Ehrlich.“, bestätigte Kaiba mit einem kurzen Lächeln.

Er… durfte?

Er durfte wirklich bei seinem Lehrer wohnen?

Er hatte zugestimmt?

Mit Kaiba in einem Haus…

Mit seinem Geliebten…

Er errötete leicht.

Was dachte er denn hier?

Kaiba wusste doch gar nichts davon!

Und er würde es nie erfahren.

Er sollte es zumindest nicht…
 

In Kaibas Züge kehrte die Kälte zurück.

„Natürlich gibt es gewisse Regeln, die du einzuhalten hast.“, begann er seine unheilvoll klingende Ansage.

Regeln?

Gar nicht gut…

Bei Kaiba waren Regeln sicher nicht zum Brechen da, nicht?

„Und die wären?“, fragte Katsuya unsicher nach.

„Dass du bei mir wohnst, ändert rein gar nichts zwischen uns. Du bleibst der Schüler und ich der stellvertretende Direktor. Wenn wir wegen irgendetwas Stress haben, dann wird das zuhause ausgetragen und nicht in der Schule.“

Das war gut.

Egal, wie sehr er Kaiba auf die Nerven ging, der würde ihn nicht aus der Schule schmeißen.

Wo war da die Einschränkung?

„Und es hat keinen zu interessieren, dass du bei mir wohnst. Also halt die Klappe darüber und lass dir nicht durch irgendeine neue Verhaltensweise anmerken, dass du mich näher kennst.“

Okay, da war der Haken.

„Warum darf das niemand wissen?“

Kaiba warf ihm einen scharfen Blick zu.

Der Blonde zog nur den Kopf ein.

War doch wohl eine berechtigte Frage, oder?

„Du weißt schon noch, was du heute morgen machen wolltest, oder?“

„Äh… ja…“

Worauf wollte er hinaus?

Er wollte Kaiba verführen um ihn von der-

Ups…

Ach, das meinte er.

„Ich sehe, dir kommt die Erkenntnis.“, der blaue Blick wandelte seinen Ausdruck in Herablassung, „Ohne Job kann ich nichts bezahlen, kein Haus, kein Essen – dich erst recht nicht.“

Irgendwie hörte sich das jetzt ein bisschen zweideutig an…

„Außerdem bin ich für die komplette Zeit, die du bei mir wohnst, dein Vormund. Ich unterschreibe alles Offizielle, ich bestimme, wann du schlafen musst, wohin du gehen darfst und ich schreie dich auch zusammen, wenn du dich nicht benimmst.“

Katsuyas blasses Gesicht wurde glatt noch weißer.

„Ohne mich gibt es keine Tattoos, keine Piercings, nicht einmal eine neue Haarfarbe und wenn du dich nicht für die Schule anstrengst, werden wir eine Menge Ärger miteinander haben.“, drohte der Größere kalt.

Bei allen Göttern, er kam von einer Hölle in die nächste.

Welcher Philosoph hatte noch einmal gesagt, Freiheit sei die Wahl seines Käfigs?
 

„Ich darf mich aber schon noch wehren, oder?“, fragte der Braunäugige angesäuert nach.

„Ich denke, du wirst schnell merken, wie weit du gehen darfst.“

Wie viele Kältegrade konnte Kaibas Stimme eigentlich anschlagen?

Katsuya seufzte.

„Waren das die Regeln?“

„Wenn du mir etwas Zeit gibst, mir werden sicher noch mehr einfallen.“, erwiderte der Lehrer sarkastisch, „Sind deine Sachen noch in deiner Wohnung?“

Der Blonde presste die Lippen zusammen.

Kaiba wollte da doch nicht etwa hin?

Es lag doch alles in Schutt und Asche und wenn sein Vater…

Katsuya schluckte.

„Schon…“

„Wie lange dauert es sie zu holen?“

Der Jüngere atmete unregelmäßig, seine Augenbrauen zogen sich zusammen und sein Blick wandelte sich zu einem Ausdruck, den er eigentlich nie wieder haben wollte – Flehen.

Der Brünette seufzte.

„Schon gut, ich komme mit dir.“, er verzog das Gesicht, „Aber setz’ diesen Hundeblick ab, das ist ja scheußlich.“

Er hatte nicht wirklich soeben ein Mittel gefunden Kaiba zu etwas zu überreden, oder?

Vielleicht sollte er seinen Stolz öfters mal ablegen.

In diesen Minuten wäre es möglicherweise angemessen, dann könnte er sich ihm in die Arme werfen – obwohl das auch tödlich enden könnte.

„Und danach fahren wir zum Arzt.“

Apokalypse!

„Warum?“, jammerte der Blonde schon fast, „Können wir nicht einfach zu Schwester Isis?“

„Frau Ishtar.“, verbesserte der Ältere, „Und nein, du musst geimpft werden. Wahrscheinlich bist du nicht einmal entlaust und entwurmt, oder?“

Katsuya setzte einen sehr bösen Blick auf, doch zog gleichzeitig die Unterlippe vor.

Er hatte schon verstanden, dass Kaiba das eher scherzhaft meinte.

„Und wegen deinen Händen und Füßen müssen wir auch schauen. Nicht, dass sie abfallen.“

Der Blonde wurde wieder ernst.

Es war nicht so, als wäre das ein Witz gewesen.

Die meisten Leute hatten zwar von Erfrierungen keine Ahnung, aber es konnte wirklich gut sein, dass die Gliedmaßen nach einigen Wochen abfielen - mit entsprechenden Schmerzen vorher, das verstand sich ja von selbst.

„Und vermutlich müssen wir morgen einkaufen, oder? Du brauchst etwas Ordentliches zum Anziehen. Und ich einen vollen Kühlschrank.“

Katsuya ließ den Blick sinken.

„Wie soll ich das denn alles bezahlen? Ich hab’ doch überhaupt kein Geld… na ja, noch siebeneinhalbtausend Yen, aber davon kriegt man nicht einmal eine Impfung. Und versichert bin ich sicher nicht…“

„Das lass mal meine Sorge sein.“

„Aber-“

„Kein Aber.“, unterbrach der Größere ihn, „Ungeimpft und in Lumpen nehme ich dich nicht, du wandelnde Altkleidersammlung. Also bezahle ich.“

Der Blonde wollte erwidern, doch ihn traf ein kalter Blick.

Ein tiefes Seufzen folgte.

Warf er seinen Stolz also wirklich über Bord…

Dankbarkeit

Dies ist eines meiner Lieblingskapitel.

Ich weiß nicht, wer von euch schon einmal tief dankbar für etwas war, so dankbar, dass ihr alles hingegeben hättet, nur um diese Dankbarkeit zu zeigen. Aber ich hoffe, ich konnte das Gefühl gut beschreiben. Da das ja allgemein immer schwer ist, erwarte ich allerdings nicht, dass es mir geglückt ist...

Viel Spaß beim Lesen ^.^ (und vielleicht Analysieren von ein, zwei dieser Szenen? Es bietet sich an ^.-)
 

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Katsuya lehnte sich zurück.

Also, ans Autofahren konnte er sich echt gewöhnen – das war super bequem.

Wahrlich ein Gefühl, was man vermissen konnte.

Das letzte Mal, dass er mit einem PKW unterwegs war, war er mit seiner Mutter gefahren.

Also, wenn man jetzt das eine Mal mit Kaiba nicht mitzählte, natürlich…

Die letzte Stunde war mittelprächtig an ihm vorbei geflogen.

Kaiba hatte die Nachsitzenden mit den Worten, sie sollten sich bei ihm, Katsuya, bedanken, rausgeworfen. Er hatte den Braunäugigen in seinen Mantel gesteckt mit den Worten, dieses Blauviolett würde sich mit dem blonden Haar stechen und wäre einfach nicht auszuhalten. Und er hatte ihn zu der Wohnung seines Vaters – und Katsuya genoss diesen Ausdruck – gefahren, war mit hoch gekommen und hatte eine der beiden Kisten, in denen seine einzigen Besitztümer weilten, herunter getragen mit den Worten, es würde viel zu lange dauern, wenn der Blonde beide selbst zu schleppen habe.

Man konnte eine ganze Menge mit einem einzigen Hundeblick erreichen, nicht?

Der Punk war in Hochstimmung.

Sein Vater war nicht da gewesen, Kaiba hatte dem Chaos, den teilweise zerbrochenen Flaschen, dem herum liegenden Müll und den Blutflecken im Flur nicht einmal einen längeren Blick geschenkt und vor allen Dingen: Er hatte Katsuya nicht darauf angesprochen.

Und er würde bei Kaiba wohnen, bei Kaiba wohnen, bei Kaiba wohohnen!

Er hätte tanzen können vor Freude.

„Und jetzt geht es zum Arzt.“, riss der Brünette ihn aus seinen Träumereien.

Katsuyas Laune sackte auf den Tiefpunkt.

Oh nein… das hatte er erfolgreich verdrängt.

Er wollte nicht zum Arzt.

Der würde ihm nur einen Vortrag halten wegen der Drogen und blöde Fragen stellen wegen den Wunden und ihm im besten Fall direkt in die Entzugsklinik einweisen – das konnte er sich wahrlich sparen!

„Muss das sein?“

„Ja.“, bestimmte der Brünette unnachgiebig, „Der Mann ist ein Bekannter von mir und schuldet mir noch einen Gefallen, deswegen opfert er seinen Feierabend für dich. Also sei nicht so undankbar.“

Katsuya zog den Kopf etwas ein.

Undankbar?
 

„Die meisten Jugendlichen heute wissen das, was ihnen gegeben wird, überhaupt nicht zu schätzen.“

Der Blonde warf dem Älteren einen tödlichen Blick zu.

„Ja?“, fragte der kalt.

„Soll ich dankbar dafür sein, dass mein Vater sich dazu herablässt mich zu verprügeln? Soll ich dankbar sein, dass die Menschen mir ihre geschätzte Aufmerksamkeit zuwenden um mich zu beleidigen? Soll ich dankbar dafür sein gehasst zu werden, weil ich für meine Freiheit kämpfe? Es gibt eine Menge Jugendliche, die vollkommen undankbar sind für das Leben, was sie führen, aber bei mir ist man da leider an der falschen Adresse.“

„Wirklich?“, giftete der Ältere zurück, „Und warum höre ich nicht ein Danke dafür, dass ich dir gerade das Leben rette? Ich hätte auch nein sagen können.“

Abruptes Schweigen.

Nur das leise Geräusch des Motors und dem über die Straße hinweg gleitenden Wagen, das sanft die Luft verdrängte.

Katsuya schluckte.

„I… ähm…“, er drückte sich ins Leder, „Entschuldigung.“

Der Fahrer seufzte.

„So schlimm ist das jetzt auch nicht. Ich wollte es dir nur für die Zukunft sagen. Ich kann mich nur einfach nicht… nett ausdrücken.“

„Wenn sie das nächste Mal irgendetwas ärgert, sagen sie es gleich… das ist einfacher…“

Kaiba lächelte und warf dem Blonden einen schnellen Blick zu.

„Dann höre ich gar nicht mehr auf mich zu beschweren.“

Auch Katsuyas Mundwinkel hoben sich etwas und er setzte sich wieder auf.

„Na also.“

Es folgte einträchtiges Schweigen.

Auch wenn der Blauäugige sich nicht nett ausdrücken konnte, so konnte er einen doch mit nur wenigen Worten wieder aufmuntern. Und hinter dieser Schroffheit steckte doch schließlich immer ein netter Sinn – meistens zumindest.

„Ist das ein netter Arzt?“

Kaiba stieß amüsiert die Luft durch die Nase aus.

„Er hält mich aus – reicht das als Antwort?“

Der Blonde lächelte.

„Er wird dir schon nichts antun. Und wenn doch, kann ich ihn immer noch böse angucken.“

„Tun Impfungen denn weh?“, fragte er mit besserer Laune.

„Normalerweise nicht. Außer du verkrampfst dich. Oder gehst zur Krebsvorsorge.“

„Krebsvorsorge?“, Katsuyas Stirn legte sich in Falten, „Sie gehören aber jetzt nicht zu den Menschen, die megaanfällig für Krebs sind, oder?“

„Es gibt schnellere Arten zu sterben.“, der Lehrer bog von der Straße ab, „Nein, der Arzt schwatzt nur gern und weil ich meistens schweige, tut er es bei mir noch dreimal so gern.“, er parkte den Wagen und zog die Handbremse, „Wir sind da.“
 

Der Blonde hielt seinen Arm noch immer und war der festen Überzeugung, er würde in nächster Zeit absterben und abfallen.

„War doch gar nicht so schlimm, oder?“, fragte der Ältere mit einem maliziösen Lächeln.

Ihn traf Katsuyas tödlicher Blick.

„Ich hasse den Spruch auch.“, bestätigte der Brünette und sah auf seine Uhr, „Aber sieh es mal so, für dich war es ein kleiner Pieks, für mich ist es nun der Besitz aller wichtiger medizinischen Unterlagen deinerseits, weil der gute Mann mir von einem Impfpass bis zu den Jugenduntersuchungsakten alles ausgestellt hat, was ich brauchte. Nebst der Tatsache, dass diese Unterlagen mich berechtigen deine Vormundschaft als Pflegeperson zu übernehmen, weil dein Vater nicht sorgerechtsberechtigt mehr ist. Für den Fall, dass er dich also polizeilich zurückholen will, kann ich damit das dann fällige Gerichtsverfahren gewinnen.“

Katsuya war stehen geblieben und sah ihn schweigend an.

Kaiba warf einen Blick über die Schulter.

„Überrascht?“, fragte er leise nach.

Der Jüngere musste es bejahen, wenn er ehrlich war.

„Ich verspreche dir nicht jetzt Freiheit um sie dir morgen wieder zu nehmen.“, der Größere trat auf ihn zu und fuhr mit einer Hand in die blonden Haare, „Ich pass’ auf dich auf.“

Pochen.

Lautes Pochen.

Katsuya konnte das Blut durch seine Venen und Arterien strömen fühlen.

Es war, als hätten Ketten sein Herz gefesselt und seien nun zersprungen.

Ihn durchflutete ein Gefühl, das er kaum beschreiben konnte.

Als hätte er flüssiges Leben getrunken.

Als hätte er Flügel, die er nach tausenden Jahren in Gefangenschaft endlich wieder ausbreiten konnte.

Als würde er nach Minuten unter Wasser endlich wieder frische Luft atmen.

Einfach unbeschreiblich.

Es trieb ihm die Tränen in die Augen.

Es ließ ihn erzittern.

Und als er die Augen wieder öffnete, drückte er sich gegen Kaibas Brust und krallt seine Nägel in dessen Schulterpolster.

„Danke…“ flüsterte zwischen nicht kontrollierbaren Schluchzern, „Danke…“
 

Wichtig war es angenommen zu werden.

Das oder etwas Derartiges hätte Yami wohl zu der Szene gesagt.

Vollkommen unabhängig davon – Katsuya empfand es im Nachhinein als mehr als peinlich.

Er hatte sich Kaiba ja förmlich in die Arme geschmissen!

Dankbarkeit, Freude, extreme Angespanntheit mit plötzlichem Nachlassmoment – also eins musste man sagen, Yami machte wahrlich einen Psychofreak aus ihm, wenn er sich jetzt schon selbst analysierte – hin oder her, er hatte sich gehen lassen.

Dementsprechend schweigsam war auch der Brünette jetzt, der wieder am Steuer saß – kein Wunder, wenn der sauer war.

Er benahm sich echt wie ein kuschelsüchtiges Kleinkind.

Am besten, er fragte den Älteren heute Nacht noch, ob er bei ihm schlafen konnte, weil die neue Umgebung ihm solche Angst machte.

Hallo?

Er war neunzehn!

Nicht zu vergessen mit was er alles groß geworden war.

Und jetzt so etwas…

Okay, er gab zu, es war recht angenehm sich an Kaiba zu schmiegen und seine Nähe zu genießen, aber der hatte seine Regeln recht klar formuliert: Schüler und Lehrer – nicht mehr.

Die erste Regel hatte er schon mal gebrochen.

Echt, Glückwunsch.

Aber wo er schon beim Regeln brechen war…

„Darf ich Ryou sagen, dass ich bei ihnen wohne?“

„Wieso willst du das denn?“, fragte der Ältere recht eisig.

„War nur eine Idee…“, murmelte der Blonde und ließ den Kopf gegen die Scheibe sinken.

Kaiba seufzte.

„Erzählst du es Ryou, erzählt er das diesem Bakura. Und ich traue ihm zu einen Heidenspaß daran zu haben mir das Leben zur Hölle zu machen.“

Okay, das war nachvollziehbar…

„Und wenn Ryou verspricht ihm nichts zu sagen?“

„Auch nicht.“, bestimmte der Ältere, „Wenn jemand etwas über dich weiß, dann muss er es nicht einmal sagen, damit andere es auch wissen. Die Person muss dieses Geheimnis nicht einmal bewusst verraten. Wenn du also nicht willst, dass irgendwer etwas erfährt, dann solltest du es niemandem sagen.“

Katsuya seufzte traurig.

Der war vielleicht misstrauisch…
 

„Wenn etwas ist, dann sag’ es.“, meinte Kaiba mit neutralem Ton.

„Ich find’s nur übertrieben…“

„Was glaubst du denn, was – egal wer – denkt, wenn er kontextlos erfährt, dass ein Lehrer und ein Schüler zusammenwohnen?“

Der Blonde schwieg.

Ja, eigentlich hatte der Ältere ja Recht, aber…

„Es geht hier auch um meine Haut.“, Kaibas Blick war starr auf die Straße gerichtet, „Was ändert es denn, wenn Ryou es weiß?“

„Na ja…“, der Braunäugige atmete tief ein, „Ich freue mich halt so und wenn sich noch jemand mit mir mit freut, der das versteht und sich dann keine Sorgen mehr um mich machen muss und… das wäre einfach ein gutes Gefühl.“

Sie schwiegen sich einige Zeit an.

Ob Kaiba wohl über diese Worte nachdachte?

Oder ob er sie als Schwachsinn abtat und daher ignorierte?

„Sagen sie es Yugi?“

Der Brünette zog die Augenbrauen zusammen.

„Herr Muto für dich. Wieso sollte ich ihm das sagen?“

„Na ja…“, der hatte schon mitgekriegt, dass Yugi scharf auf ihn war, oder? „Ich meine, er ist ihr bester Freund, oder? Und… nun… vielleicht denkt er sonst, sie würden ihn hintergehen wollen, wenn sie nichts sagen… oder so…“

„Was zwischen Yugi und mir ist, hat dich nichts anzugehen.“, schnitt ihm Kaiba scharf ins Wort, „Du weißt doch nicht mal irgendetwas über uns.“

„Ich weiß, dass sie mit ihm geschlafen haben.“, erwiderte Katsuya etwas sauer – musste der Typ ihm so vor den Kopf stoßen? Das konnte man wahrlich auch anders sagen.

Ihn traf ein schneller Blick der blauen Augen.

„Und ich weiß, dass Herr Muto…“, er betonte die beiden letzten Worte, „…mich ziemlich gerne flachlegen würde.“

Er konnte Kaiba schlucken hören.

„Demnach wird es ihn wahrscheinlich treffen, dass ich bei ihnen wohne.“

„Zieh’ doch zu ihm, wenn ihr euch so gut versteht.“, zischte der Ältere ziemlich böse, doch starrte weiter die Straße an.

Katsuya verdrehte die Augen.

Was hatte er denn jetzt schon wieder angestellt, dass der andere so schlechte Laune hatte?

Nur weil er ein bisschen etwas über ihn wusste und sich erdreistete sich Sorgen zu machen?

Na danke, darauf konnte er verzichten.

„Entschuldigung, dass ich gefragt habe.“, knurrte er und wandte sich dem Fenster zu.
 

Bis der Wagen wieder hielt, herrschte einträchtiges Schweigen.

Die zwei Männer waren hoffnungslos wütend aufeinander.

Wie zur Hölle sollten sie es miteinander in einem Haus aushalten?

Warum bei allen Göttern hatte er diese Idee eigentlich gehabt?

Das würde nie klappen.

„Das ist mein Haus.“, Kaiba nickte zu dem Ein-Familien-Reihenhaus aus rotem Backstein, vor dem sie gehalten hatten.

„Das?“, fragte der Blonde zweifelnd und betrachtete es mit in Falten gelegter Stirn.

Er hatte… etwas anderes erwartet.

Ein graues Schloss mit Eisengittern als Fenster.

Oder vielleicht ein modernes Gebäude aus Stahl und Glas.

Ein Hochhaus in der Innenstadt.

Aber nicht… so was.

Ein stinknormales Vorstadthäuschen.

Schwarze, glänzende Dachziegel, ein kleiner Vorgarten mit ungefähr vier Quadratmetern Rasen, Tulpen den Aufgang entlang, abgegrenzt durch kleine Holzpfeiler und neben der weiß gestrichenen Tür hoch gezogene Rosen an einem Metallgitter mit Blumenmuster.

So… gewöhnlich.

„Das ist nicht ihr Ernst, oder?“

„Wieso nicht?“, fragte der Ältere und hob eine Augenbraue.

Kaiba sah ihn recht verwirrt an.

Ob das wohl daran lag, dass er diesen im Gegenzug anstarrte, als hätte er erzählt, er sei in Wirklichkeit eine Frau?

„Haben sie Minen in den Rasen gepflanzt?“

Verständnisloses Blinzeln.

„Überdimensionale Mausefallen für nervige Vertreter?“, Katsuya warf noch einen Blick auf das Haus, „Reißzwecken auf der Straße? Eine Killerkatze gegen die Kinder, die Klingelstreiche spielen?“

„Sag mal, was hast du eigentlich erwartet?“, fragte der Ältere – mittlerweile amüsiert.

„Godzillas abgehakten und konservierten Kopf als Eingangstür.“, antwortete der Braunäugige wahrheitsgemäß, „Und dahinter einen riesigen Eispalast voller funkelnder Kristalle.“

„Du hast eine blühende Phantasie.“, urteilte der Brünette, „Ich habe eine Designerküche und für mein Schlafzimmer ist ein Innenarchitekt gekommen. Reicht das an Außergewöhnlichkeit?“

„Passt schon…“, murmelte Katsuya und schnallte sich ab.
 

Kaiba schloss die Tür auf und ließ den Jüngeren eintreten.

Das war wirklich ein ganz normales Haus.

Nun ja, so normal wie ein Haus mit einem Perserteppich im Eingang eben sein konnte…

Wie reich war der Typ eigentlich? So viel verdiente man als Beamter doch sicher nicht.

Was Kaiba wohl in seiner Freizeit noch so tat?

„Direkt hier vorne ist das Gästebad.“, erklärte der Ältere und deutete auf die Tür zu seiner Rechten, „Dahinter ist das Wohnzimmer. Und links sind die Küche und die Treppen.“

Katsuya quälte sich aus seinen Stiefeln – seine Füße waren eingecremt und verbunden worden – und nahm ein Paar Hausschuhe von Kaiba entgegen.

Erkundungstour!

Das war ja echt eine Designerküche… richtig hübsch. In weiß mit grau und schwarz gehalten, mit hellen Fliesen auf dem Boden. Ein moderner Tisch, eine hängende Deckenlampe aus gebürstetem Aluminium und milchige Halbvorhänge an dem Fenstern über der Spüle und der Arbeitsfläche.

Er wandte sich ab und ging weiter.

Irgendwie hatte er es ja schon vermutet…

Ein blaues Wohnzimmer.

Royalblaues Sofa, gelbe, mit Goldfasern bestickte Kissen, hellblaue Wände, ein flauschiger Teppich vor einem Flachbildfernseher, ein Schrank mit Glastüren mit jeder Menge DVDs und – Katsuya traute seinen Augen nicht – eine Spielkonsole!

Seine Bewegungen waren einem Sturzflug auf das gewisse elektronische Gerät nicht unähnlich. Amerikanische Rennspiele, japanische Rollenepen, Karten- und Strategiespiele hoch und runter…

„Irgendwie dachte ich mir schon, dass dir das gefallen wird.“

Katsuya wandte sich mit glänzenden Augen zu dem lächelnden Lehrer um.

„Darf ich? Darf ich?“, der Blonde setzte seinen besten Bettelblick auf.

Irgendwie fand er das gar nicht mal schlimm.

War doch für einen guten Zweck, oder?

Mal ehrlich: Jahre!

Jahre war es her, dass er das letzte Mal eine Spielkonsole auch nur gesehen hatte.

„Hast du schon für den Test morgen gelernt?“

„Test?“, fragte er unschuldig.

Test? Hatte er etwas verpasst?

„Der Religionstest über Buddhistenverfolgung morgen.“

Dem Blonde wich jeder Ausdruck aus dem Gesicht.

Oh nein…

Religion? Die hatte er doch aussortiert für den Test und in seinem–

Katsuya zog scharf die Luft ein.

Scheiße – die lagen noch in seinem alten Zimmer.

„Lass mich raten.“, Kaiba drückte sich vom Türrahmen ab, „Du hast den Test komplett vergessen und keine Mitschriften?“

Katsuya senkte den Kopf.

„Spielen kannst du nach dem Lernen.“, der Lehrer seufzte, „Nach dem Essen gebe ich dir meine Notizen. Komm.“

Palace of glass

BITTE LESEN!

1. Wir haben ziemlich viele Leser, was? Danke dafür! Aber ich selbst hätte damals nicht mit so viel Rückmeldung gerechnet. Und jetzt - so muss ich zugeben - ist es immer ein ziemlicher Zeitaufwand die Benachrichtigungen über neue Kapitel zu verschicken. Wenn ich die Zeit zum Schreiben nutzen würde, ich könnte sicher noch mehr hochladen ^.- Deswegen möchte ich hiermit sagen, dass ab jetzt nur noch Benachrichtigungen an die verschickt werden, die zu mindestens einem der jeweils letzten sieben Kapiteln einen Kommentar abgegeben haben.

2. Ich möchte mich noch einmal bei allen entschuldigen, denen ich nicht innerhalb von drei Tagen antworten kann. Ich finde das von mir selbst ziemlich respektlos. Leider kann ich derzeit nicht sehr schnell Antwort geben, da ich sehr viele schulische und nebenschulische Belastungen habe.

3. Ich empfehle die Vorworte zu lesen, denn normalerweise stehen da auch die Termine drin, wann das nächste Mal ein Kapitel hochgeladen wird oder auch Infos zu anderen FFs von mir UND manchmal auch Dinge über das jeweilige Kapitel.
 

Und nun zum Vorwort: (in aller Kürze)

Dead Society Nebensequenzen zwei neue Kapitel, eine neue FF namens "Wüstensand" (abgeschlossen), mehrere andere abgeschlossene FFs von mir, bei denen ich hier gar keine Meldung gegeben habe, das nächste Kapitel von DS lade ich außerplanmäßig nächsten Montag oder Dienstag hoch (ich bin von Freitag bis Montag nicht da und kann deshalb nichts beantworten) und das danach entweder Samstag Abend oder Sonntag. Und wer ganz nett ist, der drücke mir bitte am Montag die Daumen für meine Horrorprüfung (ich muss eine 1+ schreiben), ebenso nächste Woche Donnerstag und Samstag (TOEFL T.T)..

So, jetzt reicht's aber - viel Spaß beim Lesen ^.-
 

________________________________________________________________________________
 

Katsuya schlug nach der Fliege, die sich andauernd wieder auf sein Gesicht setzte.

Doch diese positionierte sich auf seiner Schulter.

Das Ding nervte!

Und jetzt drückte sie sogar gegen sein schmerzendes Schlüsselbein.

Der Blonde murrte.

Jetzt rüttelte diese verdammte… halt… das war…

Er hob den Arm noch etwas und stieß gegen etwas Hartes.

Etwas warmes Hartes.

Es löste sich von ihm.

„Los, aufstehen.“, befahl eine Stimme.

Die Polizei?

Katsuya blinzelte.

Wo war er?

Seine Sicht klärte sich.

„Kaiba!“, rief er erschrocken und schnellte hoch, „Was machen sie hier?“

„Ich… wohne hier?“, fragte dieser mit einer hochgezogenen Augenbraue, „Erde an Spatzenhirn, du bist gestern umgezogen.“

Der Braunäugige verengte die Lider und saugte am unteren Teil seiner Unterlippe.

Shit, vergessen – er war zu Kaiba gezogen.

„Wäre auch verwunderlich gewesen, wenn du es mitbekommen hättest.“, neckte der Ältere ihn, „Dabei habe ich dich doch extra um elf vom Fernseher weggeholt.“

Ach ja, er hatte einige Autorennen gefahren…

Katsuya seufzte leise.

Er hatte nicht schlafen können.

Sich die ganze Nacht hin und her gewälzt und sich den Schlaf gewünscht, während er gleichzeitig keinesfalls träumen wollte.

Denn was ihn in den Träumen erwarten würde… er wollte es nicht sehen.

„Katsuya?“, fragte der Brünette leiser und trat wieder ans Bett heran, „Alles in Ordnung?“

„Eh?“, Angesprochener sah auf, „Ja, ich… war nur Gedanken.“

Kaiba musterte seine Augen, ließ den Blick sinken und hob ihn wieder in einer fließenden Bewegung. „In der Küche gibt es Frühstück.“, beendete er das kurze Schweigen, drehte sich zur Tür und verließ das Zimmer, „Ich warte unten.“

„’Kay…“, murmelte der Jüngere, obwohl sein Lehrer es wohl längst nicht mehr hören konnte.

Hier war er also.

Gästezimmer, zweiter Stock, Kaibas Haus.

Er seufzte, wanderte mit seinem Blick über die Bettdecke und lächelte.

Alles war besser als die Hölle der Gosse und seines Vaters.

Eine Träne rann über seine Wange.

Er war frei.
 

„Du siehst grässlich aus.“, begrüßte ihn der Lehrer.

Na, sah er doch mal so aus, wie er sich fühlte.

„Ihnen auch einen guten Morgen…“, murmelte der Schläfrige und zog den Ärmel seiner Schuluniform zu recht.

„Du brauchst eine neue.“, bemerkte der Ältere und nickte zu Katsuyas Klamotten.

„Schreiben sie mir einen Schuldschein?“, fragte der Blonde leicht bissig.

„Katsuya, wir hatten das Thema schon. Du bist eine wandelnde Lumpensammlung, also wirst du nichts dagegen tun können, dass du neu eingekleidet wirst.“

„Aber meine Klamotten gehen doch! Nur weil sie etwas zu klein sind, sind sie keine Lumpen!“, knurrte er.

Ob sie sich die nächsten zwei Jahre jeden Morgen so streiten würden?

„Wenn du sie noch länger trägst, fallen sie auseinander.“

„Sie haben nicht einmal Löcher!“

„Katsuya, was soll das? Was ist so schlimm daran, dass wir neue Sachen für dich kaufen?“

„Na, das…“, der Blonde wurde leiser, „Ich will es einfach nicht…“

„Wegen der Kleidung oder dem Geld?“

„Dem Geld…“, murmelte er.

„Und was genau ist daran schlimm?“, fragte Kaiba etwas sanfter.

„Dass es ihr Geld ist.“

„Und?“

Katsuya atmete tief ein und seufzte.

„Man hat versucht mir meinen Stolz zu nehmen…“, sagte er leise und ließ sich auf einen Küchenstuhl sinken, „Ich habe doch immer nur versucht ihn zu erhalten. Ich habe alles versucht um meine Selbstachtung nicht zu verlieren. Wenn ich etwas schaffen will, dann aus eigener Kraft, sonst kann ich mich nicht mögen. Und wenn es nur Klamotten sind… ich verdiene das Geld dafür selber.“

Schweigen.

Irgendwie waren diese Worte aus ihm herausgesprudelt.

Und jetzt… fühlte er sich nackt.

Nackt unter Kaibas Blick.

Seine Hand, die er betrachtete, zitterte.

Der Lehrer trat auf ihn zu, wie er am Geräusch der Schuhe erkannte.

Ein Stuhl wurde gerückt und Kaiba ließ sich neben ihm nieder.

„Ich verstehe.“, flüsterte er, „Auch ich tue mich sehr schwer damit Hilfe anzunehmen. Es läuft sogar vollkommen gegen meine Prinzipien. Ein Grund, warum ich auch normalerweise niemandem helfe.“

Katsuya sah auf und traf auf einen ruhigen Blick.

„Aber manchmal muss man sich helfen lassen und selbst helfen. Denn in einigen Fällen führt das zu weit größerer Selbstachtung. Auch wenn es einem manchmal schwer fällt sich zu überwinden erst ein Opfer zu bringen und sich dabei sogar oft des Ausgangs ungewiss zu sein.“, er seufzte leise, „Und in einigen Fällen enttäuscht zu werden, da der Ausgang öfters nicht das ist, was man erwartet hat. Oft enttäuscht zu werden ist schmerzhaft und prägend, auch das kann ich nachvollziehen. Aber das sollte niemanden davon abhalten es nicht immer wieder zu versuchen. Denn tun wir es nicht, ist das, was wir hier machen, nicht mehr Leben zu nennen.“
 

Katsuya seufzte, ließ seinem Blick über den gedeckten Frühstückstisch wandern und stoppte bei Kaibas Hand.

Er kannte diese Worte.

Es waren Yamis Worte.

Oder hatte auch der sie von dem Brünetten?

Als sein bester Freund sie ihm damals sagte, hatte er sie für irgendeine Predigt über Sinn und Unsinn des Lebens gehalten. Er hatte sie nicht ernst genommen. Und er hatte nicht gedacht, dass diese Worte etwas mit seinem Leben zu tun hatten. Aber jetzt…

Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen.

„Ich hätte nicht erwartet diese Worte gerade von ihnen zu hören.“

„Yami auch nicht.“, erwiderte Kaiba, „Er hat mich angesehen, als hätte ich ihm soeben erzählt, ich sei eine Frau.“

Katsuya prustete kurz.

Woran erinnerte ihn das nur?

„Ich glaube, ich hätte mich selbst auch so angesehen, als sie das erste Mal über meine Lippen kamen. Mein Bruder hat jahrelang um – wie er sagte – meine Menschlichkeit gekämpft.“

Den Blonden durchzuckte es.

„Ich denke, zum Ende hin waren ihm einige Erfolge beschienen.“

Er senkte den Blick.

„Auch wenn ich wohl nie wieder zu so etwas wie kindlicher Naivität zurückkehren und jedem und allem immer eher negativ gegenübertreten werde, so hat er doch einiges in mir bewegt.“, eine Hand legte sich auf Katsuyas Schulter, sodass er aufsah, „Sein Tod damals hat mir nicht nur den Bruder weggenommen, er hat auch mich zerstört. In den letzten Jahren mit ihm habe ich versucht aus meinem Eis auszubrechen um das zu werden, was ihn glücklich machen würde. Ich wollte ein anderer Mensch sein – für ihn. Als er starb, hat mich das in ein sehr tiefes Loch der Verzweiflung geworfen. Ich hatte mein Eis für ihn hinter mir lassen wollen und er war tot. Der Schmerz darüber traf mich ziemlich schutzlos. Und lange Zeit habe ich damit verbracht all dieses Eis wieder aufzubauen und immer weiter zu verbittern, genährt vom Hass auf dich.“, Kaibas Blick schweifte zum Fenster, „Ich begegnete Yugi, wir mochten einander und ich verstand mich selbst nicht mehr. Er passte irgendwie überhaupt nicht in meine Welt der Verbitterung und des Hasses. Ich verführte ihn in einer Bar in der Hoffnung, das würde meine Welt wieder ins Gleichgewicht bringen. Aber stattdessen wankte noch mehr, denn ich erkannte, dass ich weder Lust noch Liebe für ihn empfand. Es hat ziemlich lange gedauert, bis ich das Wort Freundschaft verstand.“, die blauen Augen fanden wieder zu den braunen zurück, „Und durch ihn ging es mit mir wieder bergauf. Das, was mein Bruder mir als Menschlichkeit erklärt hatte, kehrte zurück und ich öffnete mich wieder für die Welt um mich herum. Es hat einige Zeit gedauert, aber ich begann aufzuleben. Ich dachte mich gefangen zu haben und nun ich selbst zu sein. Und dann bist du mitten in diese Selbstsicherheit geplatzt und hast dort ziemliches Chaos veranstaltet.“, der Ältere warf Katsuya ein Lächeln zu, „Du hast eine Menge in mir wieder aufgewühlt. Das, was ich empfand, war eine Mischung aus Abwehr, Hass, Angst und Verzweiflung. Und ich kann derzeit nicht sagen, dass sich dieses Chaos schon wieder gelegt hat. Aber ich habe es ganz gut unter Kontrolle, denke ich.“
 

Katsuya schluckte.

Das war… ehrlich.

Seine Augenbrauen zogen sich leicht zusammen.

„Warum ich dir das sage?“, las Kaiba aus seinem Gesicht, „Weil es nichts bringt, dass wir den lieben langen Tag einander anschreien. Und wenn wir uns verstehen wollen, müssen wir einander wohl erst einmal Verständnis entgegen bringen können.“

„Sie wünschen, dass… ich sie verstehen kann? So, im Sinne von nachvollziehen?“

Der Brünette nickte kurz und zog seine Hand weg.

Kaiba verstehen?

Kaibas Verhalten verstehen?

Seit er ihn kannte, wünschte er sich kaum etwas mehr!

Kaiba verstehen zu können, das wäre…

Katsuya senkte den Blick und schluckte.

Das wäre wahrscheinlich ein weiterer Grund ihn abgöttisch zu lieben.

Womit hatte er das verdient?

„Ich denke, dieses Wissen über meine Psyche ist ausreichend um mein Verhalten zu verstehen.“, der Lehrer zog eine Scheibe aus dem Brotkorb und griff nach der Margarine, „Des Weiteren wollte ich mich entschuldigen.“

„Entschuldigen?“, fragte Katsuya mit einem verwirrten Blinzeln.

„Ja.“, Kaiba atmete tief durch, „Und wie du weißt, tue ich mich auch damit schwer. Aber es muss halt sein. Ich glaube, ich habe dich in den letzten zwei Wochen oft ziemlich verletzt.“

„Das kann man wohl sagen…“, murmelte der Blonde ohne darauf zu achten, was er da gerade zugab.

„Dachte ich mir.“, ein Seufzen, „Nun ja, dafür wollte ich mich entschuldigen. Ich war ziemlich durch den Wind, aber das ist keine Entschuldigung dafür, dass ich dir wehgetan habe. Ich glaube, wir hatten einen schlechten Start. Was hältst du von einem gegenseitigen Vergeben und Vergessen?“

Der Blick aus blauen Augen traf Katsuyas, der unruhig seine Pupillen zucken ließ. Als wären sie Gefangene, die immer wieder auszubrechen versuchten, doch jedes Mal zurückgezogen worden. Ja, dieser Blick hielt wahrlich gefangen…

Saphirauge.

Wunderschön…

Der Blonde nickte langsam.

„Ja…“, er lehnte sich zurück und ließ seine Muskeln erschlaffen, „Bitte.“

Vergeben und… vergessen…

Kaiba warf ihm ein schnelles Lächeln zu, griff nach der Marmelade und fragte ohne wieder aufzusehen: „Nun, wie viele Menschen sind bei der Buddhistenverfolgung umgekommen?“
 

Katsuya strahlte.

Nicht nur weil sein Haar durch Kaibas Shampoo unglaublich gut die Sonnenstrahlen reflektierte, seine Augen ein ganz klein wenig mit Tränen gefüllt waren und durch sein breites Grinsen seine Zähne blitzten – nein, auch seine Stimmung und damit seine Ausstrahlung waren glänzend.

Er hatte noch nie – wirklich noch nie – so einen guten Test geschrieben.

Okay, er hatte nur noch einen der drei höchsten Regierungsbeamten benennen können und die Frage über die Unterschiede der buddhistischen und der shintoistischen Religion hatte er unter Garantie vollkommen versaut, aber hey, wen interessierte das? Wenn man nur daran dachte, wie viel er gewusst hatte! Echt der Hammer.

„Na, wie lief’s?“, fragte Ryou von der Seite.

„Spitze!“

„Wer’s glaubt, wird heilig.“, warf Kaiba im Vorbeigehen ein, während er gerade nach vorne ging, nachdem er hinten den letzten Test eingesammelt hatte.

„Das wäre sicherlich der erste heilige Seto.“, hielt der Blonde sofort dagegen.

„Na besser nicht.“, der Lehrer steckte die Papiere in seinen Aktenkoffer, „Nach den neuen Richtlinien muss man für eine Heiligsprechung tot sein.“

Katsuya schluckte seinen Kommentar.

Das hätte Kaiba wahrscheinlich verletzt.

Irgendwie war das mit dem gegenseitigen Necken weit schwerer, wenn man sich besser kannte.

Der Älteste warf einen Blick auf seine Uhr, auf ein Blatt in seiner Hand, wieder auf die Uhr und verkündete: „Ich erkläre die Stunde für beendet. Die restlichen fünfzehn Minuten habt ihr Pause. Keine Hausaufgaben.“

„Yeah!“, der Braunäugige drehte sich sofort zu Ryou, „Das ist doch mal was, oder?“

„Unser Lehrer Kaiba scheint ja ungewöhnlich gute Laune heute zu haben…“, murmelte dieser und sah Katsuya durchdringend an, „Und auch du bist ungewöhnlich fröhlich…“

„Ähm… findest du?“

„Ja.“

Der Blonde schluckte leise und warf einen Blick zum Pult.

„Katsuya, sei ehrlich. Was ist hier los?“

„Los?“, seine Augen verfolgten den Lehrer bis zur Tür, „Was sollte denn los sein?“

„Hat er dich flachgelegt?“
 

Katsuya hustete, als hätte man soeben versucht ihn zu erwürgen.

Bitte was?

Er… Kaiba… also…

Flachgelegt?

Kaiba?

Ihn?

„Ganz weit weg…“, flüsterte der Blonde mit leichter Verzögerung.

Ryou schreckte etwas zurück und zischte: „Du ihn etwa?“

„Nein, verdammt!“, der Punk wurde lauter, „Denk doch mal an was anderes als Sex!“

Katsuya verstummte abrupt.

Er konnte die Blicke im Rücken förmlich spüren.

Das hatte er jetzt nicht laut gesagt, oder?

Oh Mist, die würden Ryou wieder nieder machen.

Obwohl… der Kleine wurde immer selbstbewusster, oder?

Doch, eigentlich schon.

„Kein Sex?“, fragte der Weißhaarige mit gedämpfter Stimme nach, „Ein Date vielleicht?“

„Ganz falsche Richtung.“, erwiderte der Blonde mit ein wenig Erleichterung in der Stimme.

Ryou zog eine Augenbraue hoch. „Verabredung zum Duell auf Leben und Tod?“

Der Ältere prustete.

„Was denn? Bei euch weiß man nie.“

„So krass in eine andere Richtung jetzt auch nicht…“, er hielt sich mit einer Hand dem Bauch, „Aber frag bitte nicht weiter, ich darf nicht drüber reden.“

Ob es jetzt überhaupt noch möglich war Ryou von der Idee abzubringen?

Was musste der Kleine ihn auch so schnell durchschauen?

„Ich kann ja raten. Und du nickst, wenn es richtig ist.“

Es gab auch für alles eine Lösung nicht?

Aber ihm war schon klar, wie Kaiba das gemeint hatte.

Er sollte das nicht tun, wenn er nicht alles aufs Spiel setzen wollte.

Der Lehrer hatte sicher nicht ohne Grund nein gesagt.

Aber das war so… ach, der war viel zu misstrauisch.

Dennoch…

Sie betraten den Hauswirtschaftsraum und legten ihre Sachen dort ab.

„Nein.“, bestimmte Katsuya, „Kaiba hat es verboten. Er hat mit einen Regelkatalog vorgelegt und das ist Regel Nummer eins.“

Na gut, eigentlich war es zwei, aber wen interessierte diese Haarspalterei?

„Seit wann hältst du dich denn an Regeln?“, fragte der Kleinere mit kaibaischen Sarkasmus in der Stimme – ungewohnt, aber erfrischend.

Und Recht hatte er.

Seit wann ließ er sich bitte etwas vorschreiben?

Kaiba war schlimmer als eine erzkonservative Großmutter.

Katsuya grinste. „Kein Wort zu niemandem, ja?“

Ryou nickte eifrig.

„Ich wohne jetzt bei ihm.“

Und die Mundwinkel seines Gegenübers zogen sich ganz langsam in die Höhe…

Jugendsünden

Ich möchte doch einmal darauf hinweisen, dass Kaiba im letzten Kapitel sehr nett war. Zu nett für seine Verhältnisse. Nur so als Hinweis.

Ich hoffe, ihr habt alle einen schönen Feiertag ^.^

Hier ist also das neue Kapitel. Wir stochern mal ein wenig in der Vergangenheit. Und ich habe eine Gastrolle vergeben ^.^ Es ist nicht geplant, dass diese Figur noch einmal auftaucht, aber das könnte sich vielleicht noch ändern. Ich bin bei einer Szene etwas unsicher, ob er nicht auch vorkommen sollte. Aber egal, das entscheide ich wohl nicht heute - ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen ^.^
 

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„Welch eine…“, Ryou lehnte sich in seine Richtung und durchbohrte ihn mit seinen blauen Augen, „…fabelhafte Neuigkeit.“

„Ich meine das ernst!“, zischte der Blonde.

Der Kleinere antwortete mit einem Lächeln.

„Du glaubst, ich phantasiere?“

Der Weißhaarige zuckte mit den Schultern. „Ich will dich nur nicht für größenwahnsinnig erklären.“

Katsuya verdrehte die Augen.

„Und, wann findet die Hochzeit statt?“

„Darf man doch hier in Japan nicht, dachte ich.“, erwiderte er verwirrt.

Der Jüngere lehnte sich an die Arbeitsplatte und zog langsam die Augenbrauen zusammen.

Der Braunäugige verschränkte die Arme.

„Du… meintest das wirklich ernst?“

„Sag’ ich doch.“

„Du wohnst bei ihm?“

Er nickte mit einem Seufzen.

Einige Sekunden schwieg Ryou regungslos.

„Und jetzt?“

„Was jetzt?“

„Habt ihr was miteinander?“

„Ryou!“, jetzt errötete Katsuya doch ein wenig, „Er ist mein Lehrer.“

Was ihn auch nicht davon abgehalten hatte ihn in sein Büro zu locken und geschminkt mit nacktem Oberkörper breitbeinig auf seinem Schreibtisch zu hocken und-

„Aber du hast irgendetwas gemacht.“, stellte der andere fest, „Du wirst immer roter.“

Der Blonde wandte sich ab.

„Gestern ist noch etwas geschehen, nicht?“, mutmaßte der Kleine, „Hat er dich angemacht, weil du halbnackt durch die Gegend gerannt bist?“, seine Augen weiteten sich, „Er hat dich doch nicht sexuell genötigt, oder?“

Ein weiteres Seufzen – anders herum, Ryou…

„Katsuya?“

Angesprochener drehte sich wieder zu dem Jüngeren und stemmte die Fäuste in die Hüften.

„Ryou.“

Der Blauäugige zog der Kopf ein, wich jedoch nicht zurück.

„Vor zwei Wochen standen wir hier und du warst zu schüchtern um normal zu sprechen. Jetzt stellst du Vermutungen über mein Sexleben an.“

Er schluckte, was man deutlich an seinem Adamsapfel erkennen konnte.

„Ich habe nichts mit Kaiba und da du ihn kennst, müsste dir klar sein, dass da auch nie etwas sein wird. Vielleicht möchte ich das, aber er wird nie dasselbe empfinden wie ich.“

„Entschuldigung…“, kam es kleinlaut, „Warum bist du dir sicher, dass er nie dasselbe empfinden wird?“

„Ich darf es dir nicht sagen.“, Katsuya seufzte, „Aber ich weiß es.“

„Und warum hat er dich dann aufgenommen?“
 

Berechtigte Frage.

Warum hatte Kaiba ihn aufgenommen?

Reine Nächstenliebe?

Keinesfalls.

Und er hatte selbst gesagt, dass er generell niemandem half.

Katsuya seufzte.

Den Grund für Kaibas Verhalten herauszufinden war wahrscheinlich ähnlich wie die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen.

Kaiba wollte also, dass sein neuer Mitbewohner ihn verstand – und wie bitte sollte er das anstellen? Die Erklärung heute Morgen war hilfreich gewesen, zweifelsohne, es erklärte einiges, sogar für Katsuya teilweise extreme Verhaltensweisen. Aber das hier?

Er warf einen Blick zur Seite, wo Kaiba am Steuer saß.

Nein, das verstand er nicht.

So wie er Kaiba kennen gelernt hatte, war er ein durch und durch egoistischer Mensch, der gerne die Wahrheit verdrehte, sich stritt und gleichzeitig von aller Welt ein wenig verehrt werden wollte. Ein Mann mit einem unglaublichen Ego halt.

Dieses Ego hatte sich letztlich als gar nicht so unglaublich erwiesen, wie Katsuya immer gedacht hatte.

Auch Kaiba war verletzbar – vielleicht sogar sehr verletzbar – und seine Selbstsicherheit war oft gespielt. Er kämpfte, wie Katsuya sich schon gedacht hatte, aber sein Gegner war wohl eher er selbst. Kaiba kämpfte um sowie gegen sich. Keine leichte Sache.

Dennoch, Kaiba tat nichts ohne Grund.

Und dieser Grund musste einen persönlichen Vorteil beinhalten.

Nur welchen?

„Herr Lehrer und stellvertretender Direktor Kaiba?“

Der Angesprochene warf dem Jüngeren einen sehr irritierten Blick zu.

Katsuya blieb regungslos.

„Ja?“, fragte der Fahrer etwas unsicher.

„Warum haben sie mich aufgenommen?“

Kaiba heftete seinen Blick auf die Straße, seufzte leise und drückte sich in seinen Sitz.

Der Blonde biss sich leicht auf die Unterlippe.

Keine gute Idee?

„Ist das warum nicht egal, solange ich es getan habe?“

Auch Katsuya achtete auf die Straße.

„Es würde mich nur interessieren… es scheint nicht ihre Art zu sein, wenn ich sie richtig verstanden habe.“

Ein tieferes Seufzen.

„Mein Bruder ist seit fünf Jahren tot.“, erklärte der Brünette tonlos, „Ich möchte endlich damit abschließen. Es akzeptieren und ihn auch in meinen Gedanken begraben. Um meinen Blick nicht länger nach hinten zu wenden.“

„Und…“, begann Katsuya einige Momente später, „…sie brauchen mich dafür?“

„Ja.“
 

Ende des Gespräches.

Ende des Themas.

Manchmal war Kaiba doch wirklich ein wenig wortkarg.

Wie sollte er denn bitte bei irgendeinem innerpsychischen Prozess helfen? Na ja, wenn Kaiba dachte ihn zu brauchen, dann war er halt da. Das war wohl das Mindeste, was er tun konnte. Nach allem, was er angestellt hatte…

Das Auto wurde während seiner Gedankengänge in einem Parkhaus direkt in der Innenstadt abgestellt und beide stiegen aus.

Er… er war hier schon einmal hier gewesen.

Jahre zuvor.

„Da habe ich mit Mutter eingekauft…“, murmelte Katsuya, dem Tränen in den Augen standen, die fest auf ein Kinderbekleidungsgeschäft gerichtet waren, „Für meine Schwester.“

Kaiba schwieg und ging unbeirrt weiter.

„Da war sie immer für ihre Zigaretten.“, der Blick des Blonden fiel auf ein Spielzeuggeschäft direkt neben ihm, was ihn anhalten ließ, „Und hier… hier hat sie Spielzeug für mich gekauft…“

Selbst der Ältere blieb kurz stehen.

Katsuyas Fingerkuppen strichen sanft über das Glas des Schaufensters und ein Lächeln legte sich auf seine Lippen.

„Was hat sie dir gekauft?“, fragte der Lehrer nach.

„Ein Plastikauto. Und Kreide, damit ich dem Auto auch eine Fahrbahn malen konnte. Und ein paar Bauklötze…“

„Wie alt warst du da?“

Der Kleinere seufzte, lehnte seine Stirn gegen das Glas und antwortete leise: „Sieben.“

„Nicht unbedingt das, was man normalerweise einem Siebenjährigen schenkt.“, urteilte Kaiba.

„Sie wollte nicht viel Geld ausgeben.“, der Blonde seufzte, „Und ich war glücklich damit.“

„Und wann hast du eine Spielkonsole gekriegt?“

Er blinzelte.

„Du wusstest sie zu bedienen. Also musst du mal eine gehabt haben.“

Katsuya trat von der Scheibe weg und nuschelte: „Gehörte einem Freund…“

Der Brünette legte den Kopf schief, wandte sich nach einigen Sekunden schließlich ab und betrat den Laden.
 

„Kaiba, mein Junge!“, begrüßte ein älterer Mann hinter der Theke den Lehrer.

„Guten Nachmittag, Herr Muto.“

„Muto?“, fragte Katsuya verwirrt, der Kaiba unsicher in den Laden gefolgt war.

„Yugis und Yamis Großvater.“, erklärte der Ältere.

„Yami?“, der Opa legte die Stirn in Falten, „Meinst du Atemu?“

Der Brünette sah zu seinem Anhang.

„Ich weiß, dass sein richtiger Name Atemu ist. Ich habe ihn doch letzte Woche vor Herrn Muto so genannt.“, antwortete Katsuya auf die ungestellte Frage.

Kaibas Augenbrauen zogen sich kurz zusammen, dann nickte er langsam.

„Kennt ihr beide Atemu?“, fragte der Alte.

„Er ist mein bester Freund.“, der Blonde lächelte ihn an, „Wir nennen ihn aber alle Yami.“

„Yami…“, der Opa überlegte, „Hat er sich das ausgesucht?“

„Jupp.“

„Es passt zu ihm.“, breites Lächeln, „Geht es ihm gut? Ich habe ihn nicht mehr gesehen, seit er von zuhause weggelaufen ist.“

„Ja, alles okay.“, Katsuya schluckte.

Sollte er fragen, was in Yamis Vergangenheit passiert war?

Der Mann könnte es ihm sicher sagen…

Nein.

Das wäre Verrat.

Yami sollte ihm das selber sagen.

„Sag ihm doch bitte, dass er bei mir immer willkommen ist, ja? Ich werde ihn auch nicht fragen, weshalb er gegangen ist. Ich würde ich nur gerne sehen.“, der Alte lächelte freundlich.

„Mach ich.“

Der Mann schien wirklich nett zu sein.

So ein Opa zum Liebhaben halt.

Was war denn Yami bloß passiert?

„Nun, wie kann ich euch denn helfen?“, fragte der Herr Kaiba, der schweigend dem Gespräch gelauscht hatte.

„Drei Packungen Magic&Wizards hätte ich gerne. Und eine Table Arena… bitte.“

Der Alte lachte, während er unter die Theke griff und das Gewünschte herauszog.

Magic&Wizards?

Table Arena?

Fragezeichen?

„Ich dachte, du hättest aufgehört.“, meinte Muto und packte die Sachen in eine Tüte, „Woher der plötzliche Sinneswandel?“

„Ich werde nicht wieder offiziell spielen.“, der Lehrer zog einen Schein aus seinem Portmonee.

„Die Medien würden Kopf stehen.“, der Mann suchte das Wechselgeld zusammen, „Vielleicht würde sogar Yugi wieder anfangen.“

„Vielleicht.“, Kaiba nahm es entgegen, „Ich werde es nicht ausprobieren. Noch einen schönen Nachmittag.“

„Komm öfter mal vorbei!“, rief der Alte, während die beiden Jüngeren wieder auf die Straße traten.
 

„Medien? Offiziell spielen? Magic&Wizards? Was läuft hier?“, fragte Katsuya stürmisch, während sich die Tür schloss.

„Ich bin Vizeweltmeister.“, erklärte der Ältere ohne jede Gefühlsregung, „Yugi ist Weltmeister. Wir haben beide vor zehn Jahren aufgehört.“

„In diesem Spiel?“

„Nein, im Eiskunstlauf.“, Kaiba warf ihm einen abschätzigen Blick zu.

Der Blonde zog eine Schnute.

Hey, das war doch wohl etwas überraschend, oder? Da konnte man auch mal ein bisschen verwirrt sein.

Vizeweltmeister…

„Warum sind sie dann beide Lehrer geworden?“

Ein leichtes Lächeln schlich sich auf Kaibas Züge.

„So als weltbekannte Menschen…“

„Keine Lust mehr. Keine guten Gegner. Und nur von alten Titeln kann man sich nicht ernähren. Dass wir beide Lehrer sind, ist Zufall. Ich habe ihn erst vor zwei Monaten wieder getroffen. Vorher waren wir Erzfeinde.“

Katsuya nickte langsam.

Vizeweltmeister… wow…

Vor zehn Jahren war Kaiba achtzehn und Yugi sechzehn gewesen.

„Was haben sie in ihrer Jugend noch so gemacht?“

„Ich war Firmenchef der Kaiba Cooperation.“

„Echt jetzt?“, fragte der Blonde entsetzt und trat einen Schritt von dem Lehrer weg.

Kaiba Cooperation?

KC?

Der riesige Spielzeughersteller?

Firmenchef?

„Ja.“, Kaiba ging einfach weiter, sodass auch der Jüngere sich wieder in Bewegung setzte, „Ich habe die Firma mit fünfzehn übernommen und sie mit neunzehn meinem Stiefbruder Noah geschenkt.“

„Mit fünfzehn?“, erwiderte Katsuya entsetzt.

„Ja.“

„Wie haben sie das denn geschafft?“

„Ich habe meinen Adoptivvater umgebracht.“, antwortete der Ältere ohne jede Gefühlsregung und zeigte zur Seite, „Hier ist der Bekleidungsladen. Rein mit dir.“
 

Katsuya schwieg.

Was sollte er auch sagen?

Kaiba sah nicht aus, als wäre das ein Scherz gewesen.

„Muss man dafür nicht ins Gefängnis?“

Der Brünette packte nur Katsuyas Arm und zog ihn hinter sich her in das Geschäft.

„Herr Kaiba?“

„Er hat Suizid begangen, okay? Offiziell bin ich von jeder Schuld frei. Es weiß zwar jeder, dass ich ihn dazu gebracht habe, aber das interessiert die Justiz nicht. Hält mir eine Menge Ärger vom Hals. Und jetzt frag’ nicht weiter.“

Ups…

So ein unbeschriebenes Blatt schien der Gute nicht zu sein.

„Was haben sie noch so in ihrer Jugend gemacht?“

„Blonde Hunde tot gestarrt.“, Katsuya traf ein eiskalter Blick.

„Okay, ich frag’ nicht mehr…“

„Gut.“

Der Lehrer richtete den Blick nach vorne, da gerade eine Verkäuferin auf sie zukam.

„Wie kann ich ihnen helfen?“

„Eine Schuluniform der Domino High für diesen jungen Mann, bitte.“, der Größere setzte ein charmantes Lächeln auf, was auf Katsuya nur umso falscher wirkte, je mehr er an Kaibas letzte Sätze dachte.

Schweigend ließ er sich von der Dame zu Abteilung für Schulbekleidung führen, wo sie seine Größe vermaß und ihm einige Kleidungsstücke zum Anprobieren gab.

Der Blonde zog der Vorhang der Umkleide zu, lehnte sich gegen die Wand und seufzte.

Sein Blick traf sein Spiegelbild.

Zu kleine Klamotten, mager, bleich.

Er war echt ein Schandbild.

„Er hatte etwas anderes erwartet…“

Katsuya schloss die Augen.

„Der Sinn seines Lebens war es mich zu hassen und seinen Bruder zu rächen…“

Er ließ den Kopf sinken.

„Er hat seinen Adoptivvater umgebracht…“

Ein Seufzen.

„Na, Katsuya… in was hast du dich jetzt schon wieder reingeritten?“, er sah zu seinem Spiegelbild auf, „Du gerätst echt andauernd an Psychos.“, ein Lächeln verzerrte seine Züge, „Was meinst du, was der Kerl mit seinen Eltern angestellt hat? Oder seinem Bruder, dass der ein Junkie war? Und wie krank muss man sein, um eine Milliarden-Dollar-Firma zu verschenken?“

Er hob die Nase und sah auf sich selbst herab.

„Aber guck…“, seine Lider verengten sich, „Der ist noch kranker als du.“

Ladylike

Hach, meine Horrorprüfungen sind alle durch ^~^ Jetzt nur noch drei kleinere Klausuren und den TMS, dann sind meine Prüfungen für dieses Halbjahr durch. Entspannung pur! Nun, ich danke allen, die mir die Daumen gedrückt haben ^.^

Dieses Kapitel ist dem letzten nicht unähnlich, nur setzt es nicht auf Kaiba sondern auf Katsuya. Ich hoffe, jeder bemerkt, dass er hier eine Entwicklung durchmacht. Und zwar eine wichtige... Viel Spaß beim Lesen ^.-
 

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Katsuya und Kaiba verließen den Laden mit zwei neuen Schuluniformen, einer Jeans, zwei weißen T-Shirts und einem Sportanzug.

Gute Ausbeute.

„Und jetzt?“, fragte der Blonde.

„Brauchst du Schuhe.“

„Schuhe?“

„Eine für den Menschen typische Fußbekleidung aus Leder und Stoff.“, erklärte Kaiba mit so ernster Miene, dass Katsuya losprustete, „Anbei, hast du eigentlich mal Yamis Schuhsammlung gesehen?“

Was war das denn jetzt für ein Thema?

„Nö, ich habe nur seine Turnschuhe.“

„Alle seine Schuhe zum Ausgehen haben Absätze. Hast du ihn schon mal auf seinen Zehn-Zentimeter-Teilen gesehen? Dass er damit auch nur einen Schritt gehen kann, finde ich wahrlich unverständlich.“

„Ist das viel?“

„Verdammt viel.“, sie schlenderten die Straße entlang, „Normalerweise tragen nicht einmal Frauen so hohe Schuhe. Am schlimmsten ist es eigentlich, dass er sie zum Sex anbehält. Das macht einem echt Angst.“

„Warum?“, fragte der Blonde und versuchte belustigt zu klingen – wenn er ehrlich war, das hatte ihm einen Stich versetzt.

„Ich muss daran denken, wie es sich anfühlen würde, würde er mich damit treten…“

Katsuya unterdruckte sein Lachen, während er sich die Szene vorstellte.

„Herr Muto wäre wohl geschockt, wenn er wüsste, was sein Enkel so treibt.“

Er nickte abwesend.

„Und das ich da auch noch drin hänge. Er mag mich ja gerade mal, weil Yugi mich mag.“

Es war definitiv Kaiba, der dieses Thema angeschnitten hatte, oder?

Hieß, er war bereit darüber zu reden, oder?

„Was fühlen sie eigentlich für Yami?“

„Fühlen?“, der Ältere wandte sich zu Katsuya, zog eine Augenbraue hoch und senkte den Kopf dabei, „Was sollte ich denn bitte für ihn fühlen?“

Errötend wandte der Blonde den Blick ab.

„Ich habe Sex mit ihm. Das heißt nicht, dass ich etwas für ihn empfinde.“

„Aber er ist ihnen nicht vollkommen egal, oder?“

„Hm…“, der Brünette ging langsam weiter, „Nein, egal ist er mir nicht. Aber er ist ersetzbar. Außer Yugi und meinem Bruder waren eigentlich alle Menschen in meinem Leben ersetzbar.“

Ersetzbar…

„Und ich?“, flüsterte Katsuya so leise, dass der Ältere es nicht bemerken konnte.
 

„Ich bin nun mal kein sehr emotionaler Mensch.“

Der Blonde sah vom Gehweg auf und studierte Kaibas Gesicht.

„Hm?“, ihre Blicke trafen sich.

Angespannt.

Wieso hatte er das eigentlich nicht vorher schon bemerkt?

Kaiba war gar nicht ausdruckslos – sein Gesicht war jederzeit angespannt und ein wenig verkrampft, selbst wenn er sich unbeobachtet glaubte.

„Sind sie kein emotionaler Mensch oder wollen sie keiner sein?“

Kaibas Wangengrübchen zuckten.

„Wieso sollte ich keiner sein wollen?“

„Tse…“, der Braunäugige wandte sich wieder dem Weg zu, „Dafür gibt es doch tausende Gründe. Nicht verletzt werden wollen, mächtig wirken, seine ganze Angst verstecken, als stark gelten, akzeptiert werden, vor Hass, Vorwürfen und Anklagen geschützt werden… besonders wenn man ein sensibler Mensch ist das wohl der beste Weg sich selbst zu schützen.“

„Der beste Weg…“, hauchte der Brünette mit einem undeutbaren Unterton, während sein Blick sich in die Ferne richtete, „Wie kommst du auf die Idee, ich könnte ein sensibler Mensch sein?“

„Warum nicht?“, Katsuya verschränkte die Finger, hob beide Arme und streckte sich, „Sie verstehen meine Stimmung ganz gut und können darauf eingehen. Sie können sie auch nutzen um mich ziemlich zu verletzen. Dafür müssen sie aber meine wunden Punkte erkennen, was sicher nicht jeder kann. Dass sie mir wehtun können, beweist schon, dass sie sensibel sind.“

„Das kommt wohl ganz auf die Definition von sensibel an…“, murmelte der Ältere und ließ seinen Blick auf den imaginären Horizont hinter all den Häusern weilen, während er sprach, „Es gibt wohl wenige Menschen, die mich als sensibel bezeichnen würden.“

„Weil sie sich kalt geben?“, der Blonde stieß die Luft aus, „Das sind dieselben, die mich für emotionslos und grausam halten.“

„Wer tut das?“, fragte der Brünette und sah Katsuya wieder an, der bei dieser Frage laut auflachte, „Was denn?“

Der war jetzt nicht wirklich verwirrt, oder?

„Guter Witz…“, murmelte der Jüngere.

„Hey, wieso Witz? Was heißt das? Wer glaubt das denn?“, der Ältere zog die Augenbrauen zusammen und drückte die Unterlippe ein paar Millimeter vor.

Ach du…

Der Mann schien das echt nicht zu checken…

„Fragen sie doch einfach mal die anderen Lehrer, was sie von mir denken.“, erwiderte der Blonde mit einem Grinsen, „Anscheinend werden sie sehr überrascht werden.“

Aber ganz nebenbei… der Blauäugige war richtig süß, wenn er etwas nicht verstand.

Wie ein kleines Kind, das versuchte böse zu gucken…
 

Katsuya stieß einen sehnsüchtigen Seufzer aus, als sie an einem Cosplay-Geschäft vorbei kamen, worauf ihn ein fragender Blick traf.

„Cosplay?“, der Ältere musterte das Schaufenster, „Oh, Visual Kei. Ah, natürlich.“, er stieß die Luft aus, „Springerstiefel und Nietenketten. Was findest du daran eigentlich hübsch?“

„Leder.“, beide waren stehen geblieben, „Außerdem kombiniere ich gerne Punk mit Gothic im Kleidungsstil, auch wenn das nicht immer leicht ist. Gothic setzt auf schwarz, Punk oft auf Farbe und vor allen Dingen Auffälligkeit. Punk vermittelt Rebellion, Gothic ist eine friedliche Bewegung. Ich mag schwarz und gleichzeitig Rebellion. Das soll sich in meiner Kleidung und an meinem Körper widerspiegeln. Andere setzen auf Piercings und Tattoos, die nächsten auf Bodypaintings. Ich bin halt einfach für Klamotten zu haben.“

Kaiba zog eine Augenbraue ein Stück nach oben.

„Komm’ mir jetzt noch mit einem Ideologiekampf, dann halte ich dich endgültig für komisch.“

„Komisch?“, der Braunäugige warf den Kopf in den Nacken, „Wenn ich in Japanisch in den wenigen Stunden meines Lebens, wo ich da war, aufgepasst habe, ist Komik gleichzusetzen mit Tragik. Und beides zusammen ist ein Drama.“

„Es ist tragisch.“, bestätigte der Lehrer, „Denn alles, was ich sehe, ist Verzweiflung.“

Katsuya, der den Blick noch immer zum Himmel gerichtet hatte, sah die Wolken langsam mit dem Himmel verschwimmen.

„Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit.“

Die Massen um sie herum eilten die Straße hinab.

Doch mit ihrem Stehen stand auch die Zeit still.

„Ich habe mit Ryou und Yami gesprochen.“, flüsterte er gerade noch hörbar, „Mir ist klar geworden, dass ich nur leben kann, wenn ich einen Sinn habe und mindestens ein Ziel verfolge. Ich dachte, jedes Ziel wäre recht dafür…“, er schloss die Augen und ließ den Kopf sinken, „Aber ich merke, es gibt Dinge, an denen kämpft man sich selbst zu Tode. Denn es gibt Wege, die sind einfach nicht begehbar. Rache ist kein Sinn, kein Ziel, nicht einmal ein Weg. Ebenso wenig wie Hass. Ich kann nicht leben um zu hassen.“, er schüttelte langsam den Kopf, „Und ich kann nicht leben um gehasst zu werden.“

Eine Hand legte sich auf seinen Schopf, fuhr ihn hinab und eine seiner Strähnen wurde um einen Finger gewickelt.

„Wenn man jemanden wahrhaft hasst, führt das nur zu Selbsthass. Und Selbsthass zu größerem Hass. Das ist ein Teufelskreis, dem man nur entkommen kann, indem man beginnt sich selbst zu schätzen. Und damit hast du doch begonnen, nicht wahr?“

Katsuya schaute mit Tränen in den Augen zu Kaiba auf.

„Der Weg ist steinig, aber gib’ nicht auf.“

Sein Blick wanderte zum Schaufenster zurück.

Es war wie ein Spiegel.

Er wusste, er stand hier – und doch wünschte er sich auf die andere Seite.

Aber man konnte nicht auf die andere Seite.

Die Welt hinter dem Spiegel war nur zum Anschauen da.

Mit einem Lächeln über seine Gedanken wandte Katsuya sich ab und ging weiter.
 

„Leder ist nett.“, warf Kaiba eher beiläufig ein.

Der Blonde warf ihm einen schnellen Seitenblick zu.

Na klar, Yami trug schließlich Leder.

Seinen Worten nach das, aus dem er sich am liebsten schälen ließ.

Für Kaiba war Leder demnach wohl wie Geschenke auspacken…

Er seufzte.

Woher kam seine schlechte Laune, dass er plötzlich so fies war?

„Findest du eigentlich den Fehler in deiner Logik?“

„Fehler?“

„Da sagst: Hass ist der falsche Weg. Aber eine Maske aufzuziehen um sich selbst zu schützen – das nennst du den besten Weg.“

„Eine Maske ist kein Hass.“, erwiderte der Jüngere.

„Du stimmst mir zu, dass jedem Hass auch Selbsthass zugrunde liegt?“

Nicken.

„Und man Selbsthass nur mit Selbstakzeptanz gegenübertreten kann?“

Nicken.

„Ist eine Maske nicht ein Widerspruch zur Selbstakzeptanz und somit der erste Schritt zum Selbsthass?“

Schlucken.

„Eine Maske ist eine Verzerrung deines selbst. Eine Rolle ist eine Verzerrung, die es immer geben muss und die mit deinem Wesen konsistent bleibt. Aber eine Maske ist widernatürlich, sie macht dich zu etwas, das du nicht bist. Eine Maske gebrauchst du nur, wenn du nicht du selbst sein kannst – aus welchen Gründen auch immer. Bist du nicht du selbst, verleugnest du dich und beginnst deinen Selbsthass damit. Warum ist eine Maske für dich der beste Weg?“

„Es ist leichter…“, flüsterte der Blonde.

„Der beste Weg soll der leichteste sein?“, Kaiba lachte freudlos, „Junge, damit wirst du nicht weit kommen.“

„Sie sind mit einer Maske reich geworden…“, warf der Jüngere ein.

„Spielst du auf KC an?“, ihn traf ein abschätziger Seitenblick, „Eigentlich sagte ich, du sollst nicht nachfragen.“, Seufzen, „Nun, das sollte ich allerdings klären. Dieses Ich, das skrupellos seinen Adoptivvater umgebracht und mit fünfzehn Jahren eine der führenden Firmen dieser Welt übernommen hat – dieses Ich war keine Maske. Das war ich. Es ist ein Teil meines Ichs, den ich irgendwann zu akzeptieren gelernt habe. Sicher ein Teil, den ich mittlerweile zumindest nicht mehr schätze, aber dennoch ein Teil von mir.“

„Sie akzeptieren es wissentlich einen Menschen in den Tod getrieben zu haben?“, fragte Katsuya entsetzt nach, „Und ihr Gewissen?“

„Wurde mir nicht anerzogen.“, entgegnete der Ältere kalt.
 

„Was soll das heißen?“

Es wurde ihm nicht anerzogen?

Hieß das, er hatte keins?

Aber dann hätte er sich nicht entschuldigt!

Er musste ein Gewissen haben.

Jeder Mensch hatte ein Gewissen!

Obwohl… wie war das noch? Jeder Mensch hatte ein Über-Ich. Ja, so hieß das.

Also, auch Kaiba hatte ein Über-Ich.

Aber… wenn das Mord zum Erreichen der persönlichen Ziele nicht ausschloss…

„Vielleicht hat man mich zu Recht ein Monster genannt…“, murmelte der Ältere, während sie die Straße überquerten, „Schau, da ist der Schuhladen. Jetzt kriegst du noch zwei paar Turnschuhe und dann ist’s gut für heute.“

Hä, Schuhladen?

Der Braunäugige sah auf.

Ach ja, sie wollten ja Schuhe kaufen…

„Sneaker – nicht Turnschuhe.“, wechselte Katsuya mit einem leisen Seufzer das Thema.

„Was sind Sneaker?“

„Amerikanische Turnschuhe.“

Kaiba verdrehte theatralisch die Augen.

„Das ist ein wichtiger Unterschied!“

„Katsuya, das sind ganz normale Turnschuhe, in China oder Südamerika hergestellt wie alle anderen auch, nur mit einem Aufdruck drauf.“

„Aber nicht, wenn man nach High-Tech-Sneakern sucht!“

„Ich wette, du kommst ohne aus.“

„Dann spar’ ich halt auf welche.“, beschloss der Blonde.

„Tu’, was dir Spaß macht.“

Sie betraten den Laden.

Was ihm Spaß machte?

Komischer Ausdruck…

Er ließ den Blick sinken.

Nein, keine schlechte Laune schieben! Yami zu treffen und mit Hiroto durch die Straßen zu ziehen machte Spaß – weg mit den blöden Gedanken.

Er hatte eine zweite Chance, also sollte er nicht andauernd seiner Vergangenheit nachhängen.

Trotz allem blieb er doch der Sturm, nicht wahr?

Susano…

Der Keil

Wenn selbst die schlimmsten Zweifler jetzt anfangen ihre Zweifel abzulegen, wird es wahrlich Zeit für dieses Kapitel. Ich denke, der Titel sagt alles.

Übrigens danke ich allen für's Daumendrücken, ihr habt meine Note gerettet ^.^ Jetzt kann ich mich guten Gewissens an der Uni bewerben.

Das nächste Kapitel gibt es natürlich wieder Samstag ^.- Viel Spaß beim Lesen!
 

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Katsuya rannte bereits zum dritten Mal zum Wagen um diesen auszuräumen.

Spielzeug, Klamotten, Schuhe, Lebensmittel… irgendwie hatten sich eine Menge Tüten angesammelt.

„Beeil dich, sonst wird die Milch sauer!“, rief der Lehrer aus der Küche.

„Ja-aah…“, entgegnete der Blonde genervt.

Die blasslila gekleidete Frau mit dem Cocker-Spanier auf der anderen Seite der Straße schüttelte pikiert den Kopf, überquerte das Pflaster und steuerte auf das Haus drei Nummern weiter zu.

„Ungewöhnliche Nachbarschaft…“, murmelte der Braunäugige, während er zwei weitere Taschen auf dem Esstisch an der Seite der Küche abstellte.

„Ich hab’ sie mir noch nie angesehen.“, erwiderte der Ältere und kam auf ihn zu, „Und die Tüte mit der Milch hast du immer noch im Auto stehen.“

„Das war die letzte Tasche!“

„Hast du hinter dem Fahrersitz nachgesehen?“

Der Kleinere verdrehte die Augen und ging wieder los.

Und das vierte Mal…

Er ging nie wieder mit Kaiba einkaufen!

Und dass der Typ auch immer Recht haben musste…

„Hier. Das war jetzt aber die Letzte, oder?“

„Ich schätze ja.“

„Und was kann ich nun für euch tun, Majestät?“, spöttelte er.

„Was hast du an Hausaufgaben?“

Langer Seufzer…

„Japanisch haben wir ja zum Glück nichts aufgekriegt.“, er warf einen Seitenblick auf den auspackenden Kaiba, „Von Mathe habe ich eh keinen blassen Schimmer, da habe ich morgen Nachmittag erstmal Nachhilfe. In Religion haben wir den Test geschrieben, Hauswirtschaft nichts und… äh… ach ja, Geschichte. Da habe ich nicht so wirklich aufgepasst…“

„Und das heißt?“

„Dass ich nicht weiß, was wir gemacht haben und erst recht nicht, was wir aufhaben?“

Dritte Regel gebrochen… oder war es die vierte? Oh je…

„Wozu bist du dann da gewesen?“

„Schüler haben vielleicht Anwesenheitspflicht?“

„Wenn du eh nicht aufpasst, kannst du die Zeit auch besser nutzen.“

„Ich habe Englischhausaufgaben gemacht!“, verteidigte sich Katsuya, „Ups…“

Es war nicht so, dass Kaiba ihn sehr dunkel ansah.

Das war überhaupt nicht so!

Er bildete es sich nur ein…

„Katsuya…“, war es ungewöhnlich, dass das a so gehoben und in die Länge gezogen wurde?

Nein, nur Einbildung…
 

Katsuya atmete tief ein, seufzte und versuchte Kaibas leicht krakelige Schnellschrift zu entziffern.

Namentlich die Schrift, die dieser benutzte, wenn er nur eine Hand frei hatte.

Kurzum, wenn er etwas schrieb und gleichzeitig telefonierte.

Und genau zu sein… mit seiner Geschichtslehrerin telefoniert hatte…

Noch ein Seufzen.

Warum mussten stellvertretende Direktoren nur ein Namens- und Telefonregister aller Lehrer besitzen? Und die Nerven haben abends anzurufen – nur für eine kleine Disziplinarmaßnahme…

Nein, Kaiba hatte ihm keine Standpauke gehalten, ihn nicht angeschrieen und ihn auch nicht in der Luft zerrissen.

Er hatte freundlich nach dem Namen der Lehrerin gefragt, diese angerufen und gesagt, er hätte da einen ganz verzweifelten Schüler, der angerufen hatte, weil sein Ranzen verloren gegangen war, wo alle Notizen zum Unterricht drin gewesen wären. Ob sie denn wohl so freundlich sein könnte ihm die Materialien aufs Fax zu legen?

Aber natürlich war sie das – schließlich war er ja ihr Vorgesetzter!

Das gehörte wohl echt zu den peinlichsten Aktionen des Jahres…

Allein Kaibas überspitzt liebliche Stimme und seine theatralische Gestik und Mimik über diesen äußerst tragischen Fall…

„Ich glaub’, ich muss kotzen…“, murmelte Katsuya bei der Erinnerung daran.

„Ich habe keine Scheu das bei jedem Lehrer zu tun, bei dem du mal wieder nicht…“, er zischte das nächste Wort, „…aufpasst.“

Er traute dem Mann kein Pädagogikstudium zu.

Aber Ahnung von Psychoterror hatte er.

Das war wohl wirkliche eine der schlimmsten Demütigungen…

Katsuya war unweigerlich klar, dass er in nächster Zeit nicht wieder unaufmerksam sein würde.

„Es ist doch nur Geschichte…“, jammerte der Blonde, „Das ist sowieso so was von trocken!“

„Und es ist dennoch eines deiner Fächer und ich erwarte in jedem Fach mindestens ein B im mündlichen und C im schriftlichen – für’s erste.“

„Das ist Wahnsinn!“, schrie Katsuya auf, „Das schaffe ich nie!“

„Du wirst es schaffen müssen, wenn du hier wohnen willst. Geh’ ins Büro oben und kopiere mir deinen Stundenplan. Danach möchte ich dich im Wohnzimmer oder in der Küche bei den Hausaufgaben sehen.“

„Ich soll den Stoff von zwei Wochen nachholen und Hausaufgaben machen?“, fragte der Jüngere und setzte seinen so bezeichneten Hundeblick auf, „Muss das denn wirklich sein?“

„Ja.“, erwiderte Kaiba kalt, „Und beeil’ dich, denn du wirst nicht früher schlafen als das du alles fertig hast – und ich es gegengelesen habe.“

Oh Himmel, schick’ ’nen Blitz…
 

Katsuya gähnte, blinzelte und überflog die letzten Zeilen seines Textes.

Fertig!

Und gar nicht mal so schlecht. Okay, er hatte keinen blassen Schimmer vom japanischen Bürgerkrieg, aber was seine Lehrerin dazu erzählt hatte, das wusste er jetzt. Und wirklich schwierig war das ja nun auch nicht. Eigentlich nur stupides Auswendiglernen…

Er warf einen Blick zur Couch, auf der Kaiba saß. Dieser war über irgendetwas gebeugt, was er über den ganzen Tisch ausgebreitet hatte.

„Sind das unsere Tests?“

Der Brünette sah auf.

„Bist du fertig?“

Der Jüngere nickte, wobei er den Kopf auf seiner Faust abgestützt ließ – er lag mitten auf dem Boden.

„Ja, das sind eure Tests.“

„Und? Wie sind sie so?“

„Ich habe Schweigepflicht.“, erwiderte Kaiba, doch machte dabei so ein gequältes Gesicht, dass man die Antwort daraus ablesen konnte.

„Und meiner?“

„Warum hast du die letzte Frage nicht beantwortet?“

„Weil ich keine Ahnung hatte?“, Katsuya machte seinen Füller zu, „Ich weiß nichts vom shintoistischen Glauben.“

„Bist du nicht religiös?“

Der Blonde zog die Augenbrauen zusammen und sah zu seinem Lehrer auf.

„Du kannst nicht an etwas Göttliches glauben, willst du sagen? Nun, ich kann es dir nicht verübeln. Aber sag Bescheid, wenn du deine Meinung änderst.“

Seine Meinung ändern?

Nie im Leben.

Da würde wohl eher der Fuji Lava spucken.

Oder Kaiba eine Frau sein, ganz wie man will.

„Du hast Glück gehabt.“, fuhr Kaiba fort, „Die Aufgabe hat nicht so viel Punkte gegeben. Aber wenn Tests oder Arbeiten sowieso mit Punkten versehen werden, dann kannst du auch den größten Schwachsinn schreiben, Abzug darf man dir dafür nicht geben. Du hättest es versuchen können. Nächstes Mal?“

„’Kay.“, der Blonde reichte dem Älteren seine Geschichtshausaufgaben, „Wann ist das nächste Mal?“

„In anderthalb Monaten. Das neue Thema wird dir übrigens gefallen.“

„Was machen wir?“

Kaiba richtete seinen Blick auf die Aufgaben vor ihm und murmelte: „Atheismus.“

„Was ist das denn?“, der Jüngere streckte sich.

„Religion ohne Gott oder mit Gott, welcher keine Auswirkung auf das Leben hat.“

Dann waren er und Ryou schon mal Atheisten.

Yami wahrscheinlich auch.

Hörte sich doch ganz interessant an…
 

„Als du in der Grundschule warst, hast du nicht am Stadtrand gewohnt, oder?“, fragte der Lehrer während des Lesens.

„Woher wissen sie das?“

„Wegen der exzellenten Rechtschreibung und Zeichensetzung.“

Wow.

Das war ein Kompliment, oder?

„Für den Rest der Aufgabe bräuchtest du ein Geschichtsbuch, oder?“

„Jupp.“

Kaiba griff nach einem Zettel auf dem Tisch.

„Wo brauchst du noch Bücher?“

„Mathe, Chemie, Physik. Englisch, Kunst und Sport keins, Hauswirtschaft und Sozialwissenschaft wurde uns nicht gesagt, Japanisch und Religion wissen sie.“

„Also fünf Bücher. Dann treffen wir uns morgen in der Mittagspause vor meinem Büro und gehen zusammen in den Bücherkeller. Die Sachen sollten wir schließlich da haben.“

„Muss man die Bücher nicht kaufen?“

„Katsuya, ich bin stellvertretender Direktor. Wenn man kein Geld für Bücher hat, stellt man einen Antrag welche leihen zu dürfen. Und bevor du fragst, solche Anträge landen natürlich bei mir.“

„Wüsste gar nicht, dass das geht…“, murmelte der Blonde.

„An Schulen geht vieles, aber die wenigsten wissen wie.“, der Lehrer seufzte und überflog weiter die Zeilen, bis er plötzlich das Blatt sinken ließ und Katsuya direkt ansah, „Sag mal, wie kommst du denn ohne jegliche Ausstattung in Kunst zurecht?“

Tiefes Seufzen.

„Wir machen seit Schulbeginn Theorie.“

„Und wie schaffst du Physik, wenn du Mathe nicht kannst?“

„Ähm… gar nicht. Obwohl es derzeit geht, ich hatte ja schon eine Nachhilfestunde, die war ziemlich hilfreich.“

„Und wie funktioniert Englisch, wenn du die ganze Mittelstufe kaum da warst?“

„Tja…“, Katsuya setzte sich in den Schneidersitz, „Eigentlich ganz gut. Aber mir fehlen oft die Vokabeln. Außerdem mag ich den Lehrer nicht.“

„Ich auch nicht.“, gab der Ältere zu, „Ich habe den Direktor auch schon gebeten den Mann zu entlassen. Aber der will ihm noch eine Chance geben.“

Der Blonde verdrehte die Augen und kippte gespielt zur Seite.

„Was halten sie denn allgemein von dem T-Rex?“

„T-Rex?“, Kaibas Mundwinkel zogen sich ein wenig in die Höhe, „Wenig Standfestigkeit, viel zu gutgläubig und ein wenig eingerostet. Er ist eher so der nette, konservative Opa. Nicht unbedingt zum Direktor geeignet.“, der Brünette reichte Katsuya seine Hausaufgaben, „Aber das habe ich nicht gesagt.“

„Und ich habe es nie gehört…“, ein Grinsen hatte sich auf seine Züge gelegt.
 

„Es ist fast zehn.“, stellte der Ältere fest, „Ab ins Bett mit dir.“

„Ich kann das so lassen?“, fragte Katsuya nach.

„Ja, gut gemacht.“, bestätigte Kaiba mit einem kurzen Lächeln.

„Yes!“, der Jüngere sprang auf, grinste noch breiter, doch verlor plötzlich allen Ausdruck im Gesicht, „Warum muss ich denn schon ins Bett?“

„Damit du morgen ausgeschlafen bist.“

„Aber ich will noch etwas spielen!“

„Möchten heißt das.“, wies Kaiba ihn zurecht, „Und wenn ich dir das erlaube, sitzt du nur stundenlang dran und schläfst nicht.“

„Wieso? Was machen sie denn?“, fragte der Blonde überrascht.

Kaiba würde ihn doch wohl vor der Konsole wegzerren, oder?

Wieso heute Abend nicht?

Hatte der noch was vor?

„Bin ich dir Rechenschaft schuldig? Nein. Ich bin gegen ein Uhr wieder da.“

Was sollte das denn jetzt?

Kaiba wollte um diese Uhrzeit noch weg?

Wohin denn?

Katsuya sah ihm schweigend zu, wie er die Sachen zusammen packte und aus dem Zimmer Richtung Treppe ging – oben ins Büro wahrscheinlich.

Der musste doch auch morgen arbeiten…

Was wollte der denn noch machen?

Um diese Uhrzeit war doch außer den Diskotheken und Bordellen nichts mehr offen.

Außer…

„Nein!“, schrie Katsuya auf.

Nein, nein, nein!

Er rannte zur Eingangstür, wo Kaiba sich gerade einen Mantel überwarf und stellte sich mitten in den Flur um dem Älteren den Weg zu versperren.

„Nein.“, wiederholte er.

„Was soll das werden?“

„Sie wollen zu Yami, oder?“

Kaibas Blick wurde eisig.

„Der will sie nicht sehen.“

„Lass mich durch.“

„Er will nicht. Lassen sie ihn in Ruhe.“

Wenn Yami das schon für ihn tat, konnte er das hier auch für Yami tun.

„Katsuya. Geh sofort zur Seite.“
 

„Nein.“, wiederholte der Blonde.

„Ein letztes Mal. Tritt beiseite.“

„Yami will nicht mehr mit ihnen schlafen, das hat er mir so gesagt und das sage ich ihnen hiermit auch. Lassen sie ihn in Frieden.“

„Katsuya, ich mag nicht mitten in der Nacht einen Streit anfangen. Wenn Yami das will, dann wird er mir das sagen. Aber würde er es wollen, dann hätte ich sicher nicht mitten in der Nacht einen Termin bei ihm. Finde dich damit ab, dass er Stricher ist und lass mich vorbei.“

Katsuyas Herz fühlte sich wie Blei ein.

Schwer, schwerer… es schien ihn nach unten zu ziehen zu wollen.

Warum hatte Yami den Termin nicht abgesagt?

Hatte er es sich doch anders überlegt?

Oder wollte er es Kaiba selber sagen?

Aber doch nicht kurz vor Mitternacht…

„Bitte tun sie das nicht…“, Katsuya spürte eine Träne seine Wange hinab rinnen, während seine ausgebreiteten Arme schlapp wurden, sodass er sie ein wenig sinken ließ, „Bitte nicht…“

„Du wirst mir mit deinen Tränen kein schlechtes Gewissen machen.“

„Sie haben ja auch keins!“, schrie er auf und rannte an Kaiba vorbei.

Nein, nein, nein, nein, nein!

Das durfte nicht wahr sein!

Das würde Yami nicht tun!

Er schmiss sich auf sein Bett.

Das würde er nicht tun…

Bei allen Göttern, das durfte einfach nicht wahr sein…

Nicht Yami…

Katsuya hörte unten den Motor starten.

Das durfte einfach nicht sein…

Ein Schluchzen drang aus seinem Mund.

Nein…

Yami hatte nicht gelogen…

Das durfte er nicht…

Katsuya grub sein Gesicht in das Kissen.

Verdammt!

Wenn Kaiba auch weiterhin mit Yami schlafen würde, dann…

Er zog scharf die Luft ein.

Dann war das der Grund gewesen, warum er nett gewesen war.

Nur damit er selbst nicht rebellierte, dass die beiden auch weiterhin miteinander schliefen.

Und Yami hatte gelogen.

Sie hatten ihn beide betrogen...

Daytime and nightfall

Fünfzig Kapitel!!! *feierngeh*

Die Hälfte ist rum, der Höhepunkt ist überschritten, wir neigen uns der Katastrophe zu. Und das mit einem für diese FF wohl sehr charakteristischen Kapitel.

Ich habe übrigens eine neue FF ("Kerzenlicht") on und heute Abend werde ich wahrscheinlich eine neue Nebensequenz hochladen. Das nächste Kapitel von Dead Society gibt es wieder Mittwoch ^.^

Viel Spaß beim Lesen ^.-
 

________________________________________________________________________________
 

Katsuya röchelte, strampelte, schlug seine Finger in das Fleisch der Hand, die seine Kehle umschloss.

Eine Träne rann seine Wange hinab.

Oh, bitte nicht…

„Was willst du mir noch wegnehmen?“, schrie Kaiba ihn an, „Was noch, verdammt?“

Sein Blick schwand langsam, seine Arme verloren ihren Druck.

Kein Tritt konnte den Größeren von ihm abhalten.

„Mein Bruder, dann Yugi, dann Yami – wie oft willst du mir das Leben noch zerstören?“

Das war sein Tod…

Kaibas Geschrei erreichte ihn wie durch eine Nebelwand.

Nichts sehen, nichts hören, nichts fühlen…

Seine Pupillen drehten sich nach innen.

Warum…

Der Blonde riss die Augen auf und schreckte hoch.

Wo war die Hand?

Er zog hektisch Luft in seine Lungen und stürzte aus dem Bett.

Er musste weg!

Schnell!

Er schlug gegen die Tür, riss an der Klinke, zog mit seinem ganzen Körpergewicht daran – vergebens.

Er war eingesperrt!

Wie ein nervöses Tier blickte er durch den Raum.

Sein Atem verebbte langsam, bis er nur noch unhörbar und stockend die Luft einzog.

Ruhig Blut… ruhig…

Kein Kaiba da.

Katsuya sackte zusammen und leerte seine Lungen.

Oh Himmel…

Ein Traum.

Es war nur ein Traum gewesen.

Seine zitternden Arme legten sich um seine Beine, während er sich an die Tür lehnte.

Ein verdammt realer Traum!

Aber nicht geschehen…

Fahrig strich er sich den Hals entlang.

Alles in Ordnung…

Aber warum war die Tür abgesperrt?

„Kaiba?“, flüsterte er in die Stille des mondbelichteten Zimmers hinein.

Natürlich erhielt er keine Antwort.

Aber eines war sicher: Yami hatte nicht gelogen.

Und das hieß, dass Kaiba ihn umbringen würde.
 

Der Blonde rollte sich zur Seite.

Scheiße!

Das war hart.

Da war irgendetwas in seine Seite geschlagen.

Während sich alles drehte, richtete er sich von seiner auf dem Boden liegenden Position etwas auf.

„Katsuya?“, fragte eine eher verwirrte Stimme, „Was machst du auf dem Fußboden?“

Die Tür, die sich eben geöffnet wurde.

Schwarze Schuhe.

Dunkelblauer Anzug.

Er robbte von der Person weg.

„Katsuya, was zur-“, zwei Schritte, eine Hand packte ihn im Nacken und zog ihn nach oben, „Was machst du da?“

„Es tut mir Leid!“, schrie er auf und versuchte sich loszureißen, „Es tut mir Leid!“

Kaiba ließ ihn entkommen.

Der Blonde kauerte sich hinter dem Bett zusammen.

„Was soll das werden?“, fragte die kalte Stimme barsch.

Er kannte diesen Ton.

Er kannte diesen verdammten Ton.

Nicht wieder!

Nicht noch einmal!

„Hast du Angst vor mir?“

Katsuya zog die Arme hoch, als Kaiba das Möbelstück umrundet hatte.

Stille.

Er öffnete die Augen einen Spalt.

Kaiba war regungslos.

Zwei Schritte entfernt.

Er spürte seine Arme zittern.

„Es tut mir Leid…“, flüsterte er noch einmal.
 

„Ich schlage dich nicht.“, bemerkte Kaiba tonlos.

Die Anspannung seiner Arme ließ nach, weshalb Katsuya sie sich um den Kopf schlang.

„Ich habe nur eine Mordswut. Das heißt trotzdem nicht, dass ich dir was antue.“

„Bringen sie mich nicht um…“, flüsterte der Blonde flehend.

Keine Antwort.

Katsuya suchte nach einigem Zögern doch Kaibas Augen.

Ausdruckslos.

Kalt.

Eiskalt.

„Bitte nicht…“

„Ich will dich in neuer Uniform, mit weißem T-Shirt und den blauen Turnschuhen in fünfzehn Minuten in der Küche sehen. Und wehe dir, du kommst zu spät.“

„Es tut mir Leid…“, wiederholte Katsuya noch einmal.

Kaiba wandte sich um, ging zur Tür zurück und schlug diese hinter sich ins Schloss, sodass der Blonde zusammenzuckte.

Bei allen Göttern…

Katsuya versuchte seinen Atem zu beruhigen.

Göttern und Heiligen…

Mit wackeligen Beinen erhob er sich, indem er sich am Bett hoch zog.

Jetzt wäre mal wieder einer dieser Zeitpunkte…

Er setzte sich darauf und vergrub den Kopf in seinen Händen.

Zeitpunkte, an denen sie mal beweisen konnten, dass es sie gab…

„Ich weiß nicht, ob es euch gibt…“, flüsterte er, „Und ich habe immer gedacht euch könnte es nicht geben. Aber wenn doch…“, er warf einen Blick zur Tür und hauchte, „Bitte rettet mich.“

Kaiba würde ihn umbringen.

Ganz sicher.

Wenn nicht heute, dann morgen.

Er legte eine Hand um seinen Hals.

Genau so.

An seinen Fingerkuppen spürte er seinen Puls rasen.

Na, Himmel, warum schlug es denn, dieses Organ?

Er war verachtenswert.

Sein Tod stand bevor und sein Herz sprang ihm fast aus der Brust.

Und warum?

Verzweiflung.

Eine verzweifelte Liebe.

Er war krank.

Er war so verdammt krank…
 

„Du kommst also auch mal.“

Sieben Minuten, neununddreißig Sekunden.

Mehr als die Hälfte der Zeit.

„Tut mir Leid…“

„Halt endlich die Klappe, setz’ dich hin und iss.“

Katsuya ließ sich auf einen Stuhl sinken.

„Iss.“, befahl der Ältere noch einmal.

„Danke, kein Appetit…“, flüsterte der Blonde tonlos.

„Iss.“, zischte Kaiba.

Der Kleinere regte sich nicht.

Der Lehrer sprang auf, trat eilig neben Katsuya, riss eine Scheibe Brot aus dem Brotkorb und schmetterte sie auf das Holzbrett.

„Iss. Sonst vergesse ich mich doch noch.“

Ein Wimmern drang über Katsuyas Lippen.

Der Blauäugige trat einen Schritt zurück, seufzte und fuhr sich durch die Haare.

Der Blonde griff nach seinem Messer und schmierte unter Tränen Frischkäse auf sein Brot.

Kaiba hatte sich seinen Kaffee gegriffen und lehnte an der Küchentheke.

„Es tut mir Leid…“, versuchte Katsuya noch einmal.

„Fresse!“, fauchte der Ältere ihn an.

Der Kleinere zuckte zusammen.

Irgendetwas… Hilfe…

Er würde ihn umbringen.

Er würde ihn umbringen…

Kraftlos biss er in sein Brot, kaute kaum und schluckte schwer.

„Das tut er wegen dir, richtig?“, fragte der Ältere ruhiger, doch nicht weniger kalt.

Der Blonde sank tiefer in seinen Sitz.

Egal, was er jetzt tat – es wäre falsch.

Irgendetwas musste man doch tun können…

„Was kann ich tun, damit sie mir vergeben?“

Einen Versuch war es wert.

War doch nun egal, ob er ihn jetzt oder gleich…

Katsuyas Blick legte sich auf sein Brot.

Ob er ihn jetzt oder später raus warf.

Es war doch egal…
 

„Katsuya?“

Er ging an dem Sprechenden vorbei.

„Katsuya, was ist denn?“

Ryou schnellte um ihn herum und hielt ihn an den Oberarmen fest.

„Nichts…“, murmelte der Blonde.

Der Kleinere schüttelte langsam den Kopf, seufzte und ließ die Arme sinken.

„Nichts…“, wiederholte der Ältere für sich selbst und setzte sich auf seinen Platz.

„Katsuya, bitte sag’ mir, was-“

Die Tür des Klassenzimmers wurde geschlossen und Ryou schnellte herum.

„Mist…“, flüsterte er, durchbohrte den Englischlehrer mit einem bösen Blick und ließ sich auf seinen Stuhl sinken, „Wir reden nachher.“

Nachher?

Gab es ein Nachher?

Er könnte jede Sekunde tot sein.

Ernst gemeint…

Wenn Kaiba ihn rausschmiss, war das mit dem Tod gleichzusetzen.

Er wollte nicht zurück! Was sollte er denn tun? Er müsste mehr arbeiten. Ob sein Chef ihm wohl einen richtigen Job gab?

Halt, noch hatte Kaiba ihn nicht rausgeworfen.

Vielleicht konnten sie sich auch wieder vertragen?

Ach, verdammt… Kaiba müsste ihn verzeihen…

Aber wie sollte er?

Wenn man seine Worte von gestern trotz allem für voll nahm, dann müsste er zum Verzeihen nur verstehen, warum Yami das getan hatte. Und dafür müsste er selbst…

Nun – sein Gesicht, sein Stolz und sein Zuhause oder nur sein Zuhause?

Er würde Kaiba nie im Leben sagen, was er für ihn empfand.

Der würde ihn hochkant rausschmeißen.

Vielleicht sollte er sich jemanden suchen, wenn das durch gestanden war?

Wenn Kaiba sich beruhigte, dann musste er endlich seine Gefühle vergessen.

Die waren schließlich Wahnsinn, Kaiba würde sie eh nie erwidern – diese Schwärmereien sollte er sich wirklich aus dem Kopf schlagen.

Ja, er sollte sich jemanden suchen… ein Mädchen, am besten… ja, das würde davon ablenken, dass er schwul war. Aber… war das nicht dem Mädchen gegenüber unfair? Außerdem – wer sollte ihn schon haben wollen?

Irgendwie standen ja nur Männer auf ihn.

Yugi… Yami vielleicht?

Oder Marik…

Nur nicht Kaiba.
 

Katsuya und Ryou begaben sich in Richtung des Chemiesaales.

Der Weißhaarige schwieg, was den Älteren doch sehr verwunderte.

Wollte er es nicht so genau wissen? Oder waren seine Probleme jetzt nicht mehr wichtig?

War er nicht einmal Ryou mehr wichtig?

„Kaiba hasst mich…“, murmelte er.

Der Kleinere sah zu ihm auf, doch sagte nichts.

„Sein Freund hat ihn wegen mir verlassen. Gestern.“

Er zog scharf die Luft ein, blieb aber ansonsten leise.

„Und jetzt…“

Eine Hand legte sich auf Katsuyas Schulter.

„Hast du ihn heute schon gesehen?“

Er nickte kaum merklich.

„Hat er dich rausgeschmissen?“

Sein verschwommener Blick suchte die blauen Augen.

Kopfschütteln.

„Dann wird er dir vergeben. Lass ihm Zeit.“

Heftiges Kopfschütteln.

„Warum nicht?“

„Er wird mich noch rauswerfen…“

„Wenn er das wollte, hätte er es schon getan, oder?“

Der Blonde zuckte kraftlos mit den Schultern.

„Weißt du nun, warum er dich aufgenommen hat?“

„Ich weiß nicht, ob er gelogen hat…“, murmelte er.

„Klang es absurd?“

Wieder ein Nicken.

„Dann hat er nicht gelogen und du darfst bleiben.“

„Und wenn er nur Zeit braucht um ein passendes Heim für mich zu finden?“, rief Katsuya lauter als gewollt, weswegen sich einige im Flur nach ihnen umdrehten.

„Katsuya…“, der Weißhaarige drückte leicht mit seiner Hand und ließ den Älteren so anhalten, „Soll ich dich einfach mal in den Arm nehmen?“

Einige Sekunden herrschte Schweigen.

Katsuyas Blick war tränennass, seine Lippen bebten und seine Arme hingen schlaff herunter.

Doch ganz langsam hob er sie, lehnte sich vor und schloss mit ihnen Ryou ein.

Dieser strich ihm mit seiner Hand über den Rücken und summte leise eine Melodie an seinem Ohr.

Und Katsuyas Hände krallten sich langsam in die Jacke, auf die auch eine verirrte Träne tropfte.

Dreiklang

Darf ich euch alle noch einmal um einen großen Gefallen bitten? Ich habe Samstag, Montag, Dienstag und Mittwoch Prüfung - könntet ihr mir vielleicht die Daumen drücken, wenn ihr irgendwo etwas Zeit übrig habt? ó.ò

Und jetzt die gute Nachricht: Ich lade gleich noch eine Nebensequenz hoch ^.^ Heißt, sie ist wahrscheinlich on, wenn ihr das hier lest. Und ich schreibe eine Fortsetzung zu Poison, weil ich mit der Geschichte wie sie jetzt ist das Jugendschutzgesetz verletze -.-

Zum Kapitel ist eigentlich nichts zu sagen, ich persönlich empfinde es als recht aussagekräftig im Bezug auf eine bestimmte Person, aber mehr mag ich auch gar nicht verraten ^.^ Viel Spaß beim Lesen.
 

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„Katsuya, du bist schwer…“, meckerte der Weißhaarige spaßhaft, weil der Ältere für die Erklärungen von Mathematik halb auf ihm hing und die Arme um ihn geschlungen hatte, während er selbst mit dem Bauch auf dem Boden lag, „Siehst du überhaupt, was ich hier zu erläutern versuche?“

„Passt schon…“, murmelte der Blonde und griff nach seinem Glas Sprudel.

„Ich wusste gar nicht, dass du so kuschelbedürftig bist.“

„Ich auch nicht…“, flüsterte er mit abgewandten Blick.

„Deine Psyche steht durch die plötzlichen Veränderungen wohl ziemlich Kopf, was?“

„Fang bloß nicht mit Analysieren an.“, drohte der Größere mit einem Lächeln.

„Magst du das nicht?“

„Mein bester Freund ist Hobbypsychologe. Der tut das schon immer.“

„Dein bester Freund?“, fragte Ryou interessiert, „Erzähl. Wer ist das?“

„Yami.“, der Blonde legte seinen Kopf auf seiner Schulter ab, „Na ja, eigentlich heißt er Atemu, aber er mag seinen Namen nicht, weil seine Eltern ihm den gegeben haben.“

„Mag er seine Eltern nicht?“

„Nein.“, er seufzte leise, „Aber ich weiß nicht warum. Er will nicht darüber reden.“

„Oh.“, erwiderte der Blauäugige nur.

„Auf jeden Fall ist er mit achtzehn von zuhause weg und Stricher geworden. Und heute ist er der bekannteste der Stadt, wenn ich ihn richtig verstanden habe.“

„Oh.“, meinte er wiederum.

„Früher hat ihn das ziemlich fertig gemacht. Aber heute scheint er seinen Job zu mögen. Ich habe ihn im Sommer ziemlich vernachlässigt und gar nicht mitbekommen, was sich alles geändert hat…“

„Wie alt ist er denn jetzt?“

„Sechsundzwanzig.“

„Irgendwie habe ich die Vermutung, dass mein Bruder und er sich kennen…“

„Wieso? Ist er dir etwa nicht treu?“, fragte Katsuya erschrocken nach.

„Ach was. Aber ich meine, er ist ja auch nicht erst seit gestern auf der Welt.“

„Oh…“, er nickte mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Genau: Oh. Aber dass sie sich kennen, muss nicht heißen, dass sie mal etwas miteinander hatten.“

Der Blonde seufzte.

„Derzeit glaube ich, dass jeder außer mir, der ihn kennt, mal etwas mit ihm hatte…“

Ryou studierte schweigend sein Gesicht.

„Habe ich irgendwo etwas?“, fragte der Ältere schließlich beunruhigt nach.

„Dieser Yami ist Kaibas Freund, von dem du sprachst, oder?“
 

Kaiba würde ihn umbringen.

Kaiba würde ihn umbringen.

Kaiba würde ihn umbringen!

„Äh, nein, ganz und gar nicht, also- das ist-“

„Du bist ein schlechter Lügner.“, der Weißhaarige lächelte ihn unschuldig an.

„Und du bist ein ganz schrecklicher Geheimnisse-aus-der-Nase-Zieher.“

„Und du gleich tot.“, knurrte jemand an der Tür.

Katsuya sprang auf wie von der Tarantel gebissen.

„Ba- Bakura?“

„Lass deine Pfoten von meinem Bruder.“

„Äh…“, er warf einen Blick auf den Aufstehen, der sogleich zu seinem Bruder lief um ihn zu begrüßen, „’Tschuldigung…“

Der Silberhaarige gab einen undeutbaren Laut von sich.

„Ehrlich! Das war ganz plötzlich und gar nicht geplant und-“

„Halt einfach nur die Klappe, ja? Ich will meinen Feierabend genießen und mich nicht von dir nerven lassen.“

Katsuya ließ den Kopf sinken.

Kaiba hätte genau dasselbe sagen können…

„Was ist denn los mit dir, Töle?“, erkundigte sich der Wolf, der anscheinend über die ausgebliebene Erwiderung verwundert war.

„Lass, ihm geht es nicht gut.“, bat Ryou.

Der ältere Bruder verdrehte nur die Augen.

„Hat’s was mit Kaiba-Schätzchen zu tun?“, fragte er mit gelangweiltem Unterton.

Der Blonde wandte den Blick ab.

Kaiba… Schätzchen?

„Der Typ ist sicher untreu.“, vermutete der Wolf weiter.

„Bakura, hör auf!“, zischte der Weißhaarige.

„Lass ihm doch seinen Spaß…“, flüsterte Katsuya gebrochen, „Recht hat er ja. Aber mit ihm zusammen bin ich nicht, Bakura, er ist und bleibt mein Lehrer.“

„Und du sein Opfer.“, der Silberhaarige ließ sich neben ihm im Schneidersitz nieder, „Ist mir schon aufgefallen, als er dich hier vorbei gebracht hat. Er spielt mit dir. Vielleicht nicht einmal bewusst, aber er tut es.“

Der Braunäugige zog seine Mathematikunterlagen heran und tat so, als würde er sie intensiv studieren.

„Wenn’s dich tröstet, du scheinst trotz allem Bedeutung für ihn zu haben. Sonst hätte er dich einfach sitzen lassen.“

Ryou ließ sich schweigend zu Boden sinken.

„Klar habe ich Bedeutung für ihn…“, der Blonde schmiss seine Blätter zur Seite, „Er hasst mich!“
 

Eigentlich hatte er doch gesagt, er täte es nicht… war das wieder nur eine Lüge?

Noch ein Schachzug?

Um ihn noch mehr verletzen zu können?

Was war gespielt und was war echt?

Verdammt!

„Er sagt, er mag mich, dann hasst er mich, dann sagt er, er kann mich nicht hassen, jetzt hat er eine Mordswut… ich weiß einfach nicht mehr weiter…“

Bakura und Ryou warfen sich einen Blick zu.

„Kennst du ihn erst seit zwei Wochen oder schon länger?“, fragte der Weißhaarige vorsichtig.

„Ich…“

Was sollte er sagen?

Er hatte ihn vor fünf Jahren schon einmal gesehen?

Das konnte er doch nicht…

Oder?

Es war alles so wirr…

„Ich habe seinen Bruder getötet.“, seine Arme schlangen sich um seinen Oberkörper, „Ich wollte das nicht und es war ein Unfall, aber… ich war’s trotzdem…“

Beide Brüder schwiegen ihn an.

„Bakura?“, der erwiderte nichts, „Was würdest du tun, wäre ich an Ryous Tod Schuld?“

„Dich bis zur Ohnmacht zusammenschlagen, zu einem abgelegenen Ort schleifen, dich auf eine Streckband spannen, deinen kompletten Körper mit Elektroden verkabeln und dir im 20-Sekunden-Takt Stromstöße von 150 Volt verpassen, mit ein paar Akupunkturnadeln jeden Schmerzpunkt deines Körpers abstecken, mit Gummihandschuhen und einem Skalpell deine Bauchdecke öffnen und einen UV-Strahler draufrichten, die Schnittseiten mit Isolierband abkleben, damit du nicht ausblutest, dann deine Genitalien-“

„Okay, hab’s verstanden…“, unterbrach Katsuya ihn und drückte sich eine Hand auf die Lippen.

„Dir so viel Schmerzen wie möglich bereiten und dabei deinen Stolz und dein Selbstwertgefühl brechen.“, kürzte der Wolf es ab.

„Kaiba hat in meinen Armen geweint.“

Der Silberhaarige hob eine Augenbraue.

„Er sagt, er hat mich aufgenommen, damit ich ihm helfe ins Leben zurückzufinden… ich verstehe ihn einfach nicht…“

„Vielleicht will er dich am Leben erhalten um dich im schmerzhaftesten Moment treffen zu können?“

Katsuya hob den Blick.

„Ist auch eine Möglichkeit. So tun, als würde man vergeben, seinem Opfer helfen und sehr nett sein, am besten das Opfer bei sich aufnehmen, damit man es vollkommen von sich abhängig machen kann. Im eurem Falle vielleicht noch das Sorgerecht übernehmen, langsam einen körperlichen Kontakt aufbauen, irgendwann das Opfer verführen und ihm das Blaue vom Himmel herunter versprechen. Und genau dann zuschlagen und seinem Hass freien Lauf lassen.“

Seine Lider weiteten sich.

„Lass mich raten: Du wohnst bei ihm und er erkundigt sich gerade nach dem Sorgerecht für dich?“

„Er hat die Unterlagen für einen Pflegeantrag schon…“, murmelte der Blonde.

„Na, dann ist ja alles klar.“
 

Es war ein Loch.

Ein riesiges, schwarzes, endlos tiefes Loch.

Und er fiel geradewegs hinein.

Katsuya schluckte und ließ den Kopf sinken.

„Ich glaube nicht, dass Kaiba so etwas tun würde…“, äußerte Ryou unsicher.

„Ich trau’s ihm schon zu.“, erwiderte der Wolf.

„Aber Bakura! Kaiba ist doch… doch…“

„Kleiner, eine Perversion sieht man einem Menschen nicht an. Du kannst einem freundlichen Menschen begegnen und am nächsten Tag kann er tot sein oder auch im Keller ein Kind zum Vergewaltigen liegen haben. Echt kranken Leuten sieht man das nie an und sie sind unberechenbar, was ihre Perversionen angeht.“

„Und woran merkt man es dann?“, fragte Katsuya flüsternd.

„Die meisten sind recht unscheinbar, haben keine richtigen Freunde, sind nicht verheiratet und haben keinen engen Kontakt zu Verwandten. Das heißt aber nicht, dass jeder in dieser Kategorie gleich pervers ist, ja?“

„Du setzt dich dafür ein, dass keiner falsch beschuldigt wird?“, fragte der Blonde mit tief in Falten gelegter Stirn, „Was ganz Neues…“

Kaiba entsprach komplett diesem Profil.

Obwohl… war er unscheinbar?

Und eigentlich war Yugi ein Freund.

Welchen Kontakt hatte er zu seinem Stiefbruder?

Verdammt, so viele Fragen…

„Du könntest sein Haus durchsuchen, wenn du schon bei ihm wohnst. Die meisten Perversen haben irgendwo im Haus etwas sehr Ungewöhnliches, was sie versteckt halten. Hat er dir vielleicht irgendein Zimmer verboten?“

Katsuya schüttelte leicht den Kopf.

„Gibt es ein Zimmer, was du niemals betreten würdest?“

„Sein Schlafzimmer…“, flüsterte er, „Als Schüler und Lehrer ist gesichert, dass ich das niemals betrete…“

„Dann würde ich mal da suchen gehen.“

„Ich hab’ Angst…“, gab der Punk zu, „Was, wenn ich… irgendetwas finde?“

Sein Blick richtete sich auf Bakuras eiskalte Augen.

„Dann renn’.“
 

Katsuya fuhr sich fahrig durch die Haare.

Was hatte er im Kaufhaus gesagt?

Der war noch kranker als er…

Wenn es wirklich so wäre?

Wenn Kaiba nun wirklich ein Perverser wäre, der sich an ihm und seinem Leid erfreute?

„Aber… er hat mit meinem besten Freund geschlafen und der hat ihm jetzt wegen mir den Laufpass gegeben… und jetzt ist Kaiba super sauer… passt das auch darein?“

Das konnte nicht sein.

Das konnte einfach nicht sein.

Nicht Kaiba…

„Hm…“, überlegte Bakura, „So genau kenn’ ich mich da jetzt nicht aus… da müsste man wohl einen Fachmann fragen. Forensischer Psychologe oder so.“

„Was ist das?“

„Psychologen, die sich mit dem Verhaltensmustern von Mördern und Triebtätern beschäftigen um die Vorgehensweise solch eines vorhersagen zu können. Haben wir bei der Polizei ein paar von.“

„Sagtest du nicht, dass dein bester Freund Psychologe ist? Kannst du den fragen?“, warf Ryou ein.

„Ich… ja, kann ich machen…“

„Und du fragst bei der Polizei?“, wandte sich der Weißhaarige an seinen Bruder und blinzelte zweimal lieblich – und bekam ein zustimmendes, doch verärgertes Knurren als Antwort.

„Hat Kaiba Freunde?“, fragte er weiter.

„Herrn Muto…“

„Meint ihr, wir können den fragen?“

„Na ja…“, Katsuya zog den Kopf etwas ein, „Das müsstest du aber machen…“

„Warum?“

„Na ja, er ist der Bruder von meinem besten Freund, der mit Kaiba geschlafen hat und außerdem fährt er ziemlich auf mich ab und das Ganze ist schon wirr genug für mich…“

„Katsuya, dein Leben ist echt im Eimer.“, stellte Bakura trocken fest.

„Ja, danke, ich weiß…“, der Blonde kratzte sich am Hinterkopf, „Ist schon ein bisschen abgefahren…“

„Ein bisschen ist gut…“, murmelte der Weißhaarige.

„Nicht viel anders als unseres auch.“, entgegnete der Wolf darauf.

„Hast’ Recht…“, murmelte Ryou und ließ sich von seinem Bruder in den Arm nehmen, „Dann treffen wir uns Freitag wieder hier zur Lagebesprechung?“

Bakura und Katsuya stimmten mit einem Nicken zu.

„Glaubt vielleicht irgendwer an Gott und will ein Gebet sprechen?“

Confusion

Welch ein wahrer Titel ^.- Nun, hier ist schon das neue Kapitel. Bei "Poison" ist nun auch das zweite (und letzte) Kapitel on und ob ich heute noch eins bei den Nebensequenzen hochlade, muss ich noch überlegen.

Ich hoffe das unerwartete Verhalten in diesem Kapitel verständlich dargestellt zu haben... und ich habe die Vermutung, dass ein paar Leute dieses Kapitel mit Herzchenaufklebern abstecken. Ich freue mich auf eure Rückmeldungen ^.^

Viel Spaß beim Lesen ^.-
 

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Ring.

Ring.

Die Tür?

„Hast du irgendwen eingeladen?“, fragte Ryou vorsichtig.

„Nein…“, murmelte der Silberhaarige, griff nach seiner Waffe und stand auf.

„Habt ihr Feinde?“, flüsterte der Braunäugige dem Jüngsten zu.

„Keine Ahnung… das überlasse ich Bakura.“

Genannter entriegelte soeben die Tür.

Die beiden Zurückgebliebenen horchten.

Das Entsichern der Waffe.

Die Klinke.

Aufschlagen der Tür.

Stille.

„Zweite rechts…“, brummte Bakura.

Zwei Schritte.

Der Wolf musste zur Seite getreten sein.

Herrenschuhe auf dem Boden.

Dieser Schritt… das war…

„Kaiba…“, flüsterte Katsuya und nur einen Moment später erschien Genannter im Türrahmen, gegen den er sich nach Erblicken der Sitzenden lehnte.

„Guten Abend, Herr Lehrer.“, entgegnete der Weißhaarige pflichtbewusst.

Ein Nicken seinerseits, während er Katsuya musterte.

Triebtäter.

Perverser.

Krank.

Er spürte das Blut durch seine Ohren rauschen.

Eltern tot.

Adoptivvater tot.

Bruder tot.

Katsuya sackte langsam in sich zusammen, doch wandte den Blick nicht ab.

Egomanisch.

Emotional isoliert.

Posttraumatische Belastungsstörung.

Fachbegriffe psychischer Krankheiten rasten ihm durch den Kopf, alles, was Yami ihm je erzählt hatte.

Kaiba auf Yamis Bett.

Kaiba in der Seitengasse.

Kaiba in seinem Traum.

Seine Halsmuskeln erstarrten in tiefster Spannung, während imaginäre Hände über seine Haut strichen und sich sanft um seine Kehle legten.

Seine Schuld…

Seine Schuld…

Seine Schuld…

„Das sieht nicht nach Mathe aus.“, entgegnete der Brünette mit der Andeutung eines Lächelns.
 

„Äh, nein…“, Ryou warf ihm einen schnellen Blick zu, „Das hatten wir gerade beendet.“

Hinter ihnen lagen verstreut die Blätter, die Katsuya in die Luft geworfen hatte.

Vollständiges Chaos.

„Möchten sie etwas zu trinken?“

„Nein, danke.“

Sie wandten die Augen nicht voneinander ab.

Blau in Braun.

Braun in Blau.

Spiegel der Seele.

War alles eine Lüge gewesen?

Bakura lehnte hinter Kaiba an der Wand des Flures.

War es nur ein Spiel?

Ein grausames, tödliches Spiel?

„Seid ihr fertig?“, fragte der Brünette in den Raum.

„Äh… ja.“, der Jüngste sah noch einmal von Katsuya zu Kaiba und zurück, dreht sich aber schließlich um und sammelte die verstreuten Blätter auf.

„Und, was gelernt?“

„Hm-hm…“, entgegnete der Blonde ohne die Lippen zu bewegen.

„Wollen wir nach Hause?“

Der Braunäugige legte den Kopf ein wenig schief, doch bewegte sich ansonsten nicht.

„Dass Ryou nicht nachfragt, sagt mir, dass du es ihm doch erzählt hast.“, in Kaibas Miene war keine Regung auszumachen.

Er wirkte fast… gleichgültig.

Aber wenn man genau hinsah, war er nur eins: extrem angespannt.

„Oh…“, murmelte der Kleinste, zog den Kopf ein und wandte seinen Blick zu Katsuya, „’Tschuldige…“

„Das verzeiht er dir schon.“, erwiderte der Älteste, „Mir war es irgendwie schon klar.“

Der Blonde seufzte leise und seine Muskeln erschlafften.

Der Kopf fiel herab, bis die Wirbelmuskeln sich spannten, der Blick sank zu Boden.

Seine Lider zogen sich zusammen und nur müde wieder geöffnet.

Es würden Tränen in seinen Augen stehen.

Dessen war er sicher.

Er durfte nicht aufsehen.

Die imaginäre Hand griff nach seinem Herzen.

„Sie haben mir von vorneherein nicht vertraut, oder?“

„Ich bin nur vorsichtig – anscheinend gerechtfertigt.“

Er hätte das nicht tun dürfen…
 

Katsuya stockte.

Kaiba war vorsichtig?

Aber… das hieß, dass er Angst hatte verletzt zu werden.

Von ihm verletzt zu werden…

Seine braunen Augen suchten Bakura.

Der hatte den Kopf zurückgelehnt und die Augenbrauen hochgezogenen.

Ziemlich lässig.

Ihre Blicke trafen sich.

Gleiche Meinung.

Kaiba war keinesfalls ein Perverser, der ihn quälen wollte.

Er hasste ihn auch nicht.

Und er, Katsuya, war ihm wichtig – wofür und warum auch immer.

„Was machen sie hier?“, fragte der Blonde mit einem Blinzeln.

Ein leichtes Lächeln legte sich auf Kaibas Lippen.

„Dich abholen. Oder wolltest du den ganzen Weg zu Fuß kommen? Da bist du gut ’ne Stunde unterwegs.“

„Danke.“, er erwiderte die Geste fröhlich, verharrte kurz und wandte sich dann doch Ryou zu, „Dir auch danke. Für die Nachhilfe. Ich glaub’, ich hab’s verstanden.“

Er griff nach den Blättern, sprang auf und lief zu ihrem Lehrer hinüber.

„Schön bei Fuß.“, wies der Wolf ihn an, drückte sich von der Wand ab und schlenderte zu seinem Bruder hinüber.

„Dir auch danke…“

Der Silberhaarige warf einen Blick über die Schulter und blinzelte leicht verwirrt.

„Für die Auskunft. Ich frag’ trotz allem mal meinen Freund danach.“

„Tu’ dir keinen Zwang an.“, er setzte seinen Weg fort.

Währenddessen hatte Kaiba bereits die Tür erreicht und wartete auf dem Gang mit einem Blick auf die Uhr.

„Ich komm’ ja schon!“, maulte der Blonde spaßhaft.

„Dass Frauen immer so lange brauchen…“

„Hey!“
 

„Waren sie nicht wütend?“, fragte der Jüngere, während er sich anschnallte.

„Nicht produktiv.“, erwiderte Kaiba und startete den Motor.

„Und ich dachte schon, es sei ein Märchen, dass sich manche Probleme einfach in Luft auflösen…“

„Probleme?“

„Sie haben mir eine Mordsangst gemacht… und Bakuras Ausführungen zu Triebtätern und Serienmördern waren da nicht unterstützend.“

„Triebtäter…“, der Brünette zog beide Augenbrauen hoch und nickte langsam, „Das ist ein bisschen weit gegriffen, oder?“

„Ich hatte echt Angst! Den ganzen Tag ist mir jedes mögliche Horrorszenario durch den Kopf gerast.“

„Nur weil ich wütend war wegen der Sache mit Yami?“

„Na ja… sie sind irgendwie immer noch unbekanntes Gebiet… ich meine, bei Yami weiß ich, dass er mir den größten Scheiß noch vergeben würde, bei meinem Vater kann ich sicher sein, dass er mir gar nichts vergibt, aber sie? Ich kann sie überhaupt nicht einschätzen. Und erst recht nicht ihre Reaktion. Sie hätten alles Mögliche tun können…“

„Was denn so?“

„Mich umbringen, mich rausschmeißen, mit meinem Vater reden, mich einsperren, Yami was antun, mir was antun, mich von der Schule werfen, hach, keine Ahnung – alles halt!“

„Nummer eins kannst du rausnehmen, das würde ich nie tun. Da kannst du sonst was anstellen, ich habe meinem Bruder geschworen nie wieder zu töten. Und das Letzte kannst du auch wegstreichen, ich habe gesagt, dass wir Privatleben und Schulleben streng voneinander trennen. Der Rest wäre natürlich eine Möglichkeit.“

„Sehr beruhigend…“, murmelte Katsuya sarkastisch.

„Okay, von Yami würde ich auch die Finger lassen.“

„Toll… aber verstehe ich das richtig, dass mir vergeben ist?“, er presste die Lippen aufeinander und kaute auf der Innenseite.

„Ja ja, schon gut. Sag’ Yami ’nen Gruß von mir und dass es seine Schuld ist, dass er nie wieder solch guten Sex haben wird.“

Kein Stich?

Wo blieb der Schmerz bei diesen Worten?

Na ja, auch egal, so war es eh besser.
 

„Ich vermute, ich würde die Regeln verletzen, wenn ich darauf einen Kommentar abgebe.“, provozierte der Blonde.

„Die Regeln verletzt du doch eh alle.“, ein Funkeln schlich sich in Kaibas Blick.

„Dann sollte ich mir wohl als nächstes die Haare grün färben.“

„Grün? Na, endlich tust du etwas für deine Gesundheit, wird auch mal Zeit.“

„Ich lebe gesünder als sie mit ihrem spartanischen Mittagessen.“

„Wo wir gerade bei Gesundheit sind…“, unterbrach der Lehrer ihre Neckerei, „…der Arzt hat bezüglich der Ergebnisse der Blutuntersuchung angerufen. Er hat sich glatt wirklich darum gekümmert, dass man sich mit deinen Unterlagen ein bisschen beeilt. Er hat mir das ganze vor einer Stunde zugefaxt.“

Katsuya ließ sich in den Sitz sinken und murmelte: „Und?“

„Nichts, was man nicht beheben kann. Das Wichtigste ist erstmal, dass du HIV negativ bist und auch keine anderen tödlichen Krankheiten hast. Allerdings eine recht starke Anämie und besonders deine Mineralwerte sind ziemlich im Keller. Es wurde eine Hypovitaminose festgestellt und er hat außerdem Besorgnis bezüglich deiner Proteinwerte angemeldet. Er fragte an, ob du in den letzten Monaten vielleicht gehungert hast.“

„Was haben sie gesagt?“, fragte der Blonde leise nach.

„Er soll seine Nase aus Dingen raushalten, die ihn nichts angehen. Er kann sich deine Vorgeschichte aus deinen Daten selbst denken, da muss man doch den Anstand haben nicht nachzufragen. Deine Wunden sprechen für sich, da dürfte man jede andere Erklärung wohl gleich ausschließen.“

„Ist aber nicht die feine englische Art…“, erwiderte er mit einem leichten Lächeln.

„Ich bin auch kein Engländer. Auf jeden Fall hat er einen Ernährungsplan mitgeschickt, an den du dich mindestens zwei Wochen halten musst. Außerdem ein paar Rezepte über Mineraltabletten, für die ich vorhin in der Apotheke war. Und wir müssen morgen noch mal einkaufen – für das alles, was auf diesem blöden Plan steht, habe ich sicherlich nicht genug Nahrungsmittel im Haus. Jede Menge Milchprodukte und verschiedene Fisch- und Fleischsorten und Getreidezeugs und erst das ganze Obst und Gemüse, ich werde arm, wenn das so weitergeht. Anbei, wie gut kannst du kochen?“

„Recht gut, wenn’s nicht allzu kompliziert ist.“, antwortete der Jüngere und setzte sich wieder auf.

„Sehr schön, dann kochst du ab jetzt, ich kann das nämlich nicht. Der Doktor meint, du brauchst auch abends warme Mahlzeiten und das Kantinenzeugs solltest du lieber vergessen. Und er meint weiterhin, das wäre ja die perfekte Gelegenheit für mich mal etwas Neues zu probieren und kochen zu lernen – das kann er echt vergessen.“

„Danke.“, sagte Katsuya mit einem ehrlichen Lächeln.

„Dass ich nicht koche? Das würde ich dir dann doch nicht antun wollen.“

Aber Kaibas Lächeln verriet, dass er ganz genau wusste, was sein Kleiner damit gemeint hatte.

„Weißt du…“, seine Gesichtsmuskeln erschlafften schlagartig und er atmete tief aus, doch wandte den Blick nicht von der Straße ab, „Der Anruf vom Doc hat mich an etwas erinnert, was ich unter den Umständen vollkommen verdrängt hatte. Und da konnte ich auch nicht mehr wegen solch einer Lappalie wie Yami sauer sein.“

Katsuya musterte sein ernstes Gesicht.

An seinen Bruder vielleicht? Aber was hätte das mit ihm zu tun?

„An was hat es sie erinnert?“

„Auch du könntest jeden Moment tot sein.“

Ein Neubeginn

So, das neue Kapitel ^.^

Und wieso war das Letzte zu kurz? T.T Meine Güte, es sind über 1500 Worte (in Word zumindest >.< Mexx hat einen anderen Zähler ô.o), es wird nicht druntergehen, aber die Grenze setze ich auch nicht hoch. Da bin ich stur.

Übrigens stelle ich die rosa Brillen hiermit ins Sonderangebot - viel Spaß beim Lesen ^.^
 

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„Sagen sie mal…“, begann Katsuya nach einigen Minuten das Gespräch wieder, „Sie waren gestern ja ziemlich nett und wenn ich darüber nachdenke, wollten sie das Gespräch öfters auf Yami lenken… waren sie nur nett wegen Yami oder sind sie das allgemein?“

Kaiba zog die Augenbrauen leicht hoch und warf dem Jüngeren einen Seitenblick zu.

„Ich – nett?“

„Ja, natürlich. Ich finde es nett, wenn man sich für mich interessiert und sich bemüht, dass ich mich wohl fühle… das haben sie versucht.“

„Und nicht geschafft.“, sein Kopf war wiederum der Straße zugewandt.

„Hätten sie weiter etwas mit Yami gehabt…“, Katsuya atmete tief durch, „Dann wäre das zu früh gewesen. Das hätten sie wohl direkt ansprechen müssen und erst dann, wenn ich darauf vorbereitet bin.“

Tja, Yami sei Dank, was?

Eine kleine Einführung in die Kommunikationspsychologie konnte Wunder bewirken.

„Erinnert mich an den Teil mit der Dankbarkeit.“

„Sprechen sie es einfach an… solange meine Meinung dabei auch noch gilt, ist das wohl das Einfachste.“

„Du klingst plötzlich ungewöhnlich erwachsen.“

Tat er das?

Oder… war das ein Kompliment?

„Ich habe mich den ganzen Tag wie ein Kind verhalten, dann kann ich jetzt auch mal erwachsen sein.“

Der Ältere lächelte amüsiert.

„Ich kann erwachsen sein!“, murrte der Blonde.

„Wirklich?“, fragte Kaiba mit einer neckisch zweifelnden Stimme.

Der Braunäugige studierte sein Gesicht.

Feste Züge, geschwungene Lippen, eine leicht spitze Nase.

Die Haare fielen ihm ein wenig in die Stirn.

Er war noch immer angespannt… eines Tages sollte er ihn mal danach fragen.

„Heißt das, sie sind wirklich so nett?“

„Beizeiten, wenn ich in der Stimmung dazu bin.“, der Lehrer zuckte mit den Schultern, „Vielleicht bin ich auch nur sentimental.“

„Danke.“, der Blonde lächelte ihn an.

Manchmal musste man wohl einfach Vertrauen haben.

Kaiba würde ihn nicht mehr betrügen.

Kaiba… schien ihn wirklich zu mögen.
 

Was nichts daran änderte, dass er ihn nie lieben würde.

Katsuya wandte den Blick ab.

Bei allen Träumereien sollte er auf dem Boden der Tatsachen bleiben.

Kaiba hatte soeben seine Beziehung mit Yami innerlich beendet – wie lange würde er allein bleiben? Was würde er sich als nächstes suchen?

Ob er das ertragen konnte…

Kaiba mit einem Fremden?

Bei allen Göttern, da wäre es ihm ja noch lieber gewesen, er wäre mit Yami zusammen…

Was sollte er denn tun?

Wenn Kaiba mit irgendwem zusammen kam, dann…

Wie waren seine Gedanken heute Morgen gewesen?

Wenn Kaiba sich wieder beruhigte, sollte er sich…

Der Blonde legte seine Hand auf seinen Mund und schloss die Augen.

Nein.

Kaiba war so wundervoll… okay, er hatte schlechte Seiten, aber seine guten waren so intensiv und so eindrucksstark und…

Hilfe, er könnte Stunden von diesem Mann schwärmen nach dieser Autofahrt.

Wie sollte er denn dieses Herzklopfen ignorieren?

Pamm.

Pamm.

Pamm!

Der Blonde warf dem Fahrer einen Blick zu.

Dieser Mann war so wunderschön…

„Was seufzt du hier in der Gegend rum?“, fragte Kaiba irgendwann.

„Ich…“, er setzte sich kerzengerade hin, „Ähm… ich…“

„Bei welchem Gedanken habe ich dich erwischt?“

Katsuya konnte die Röte in seinem Gesicht förmlich spüren.

„Katsuya?“, das Gesicht des Brünetten nahm etwas ernstere Züge an.

Oh, verdammt… er sollte irgendetwas sagen.

Bevor Kaiba Vermutungen anstellte.

Irgendetwas…

„Ich fragte mich, wie sie als Kind aussahen.“

Katsuya schlug sich innerlich vor die Stirn.

Verdammt… was Sinnloseres konnte ihm nicht einfallen, oder?

„Als Kind?“

„Ich kann sie mir halt nicht als Kind vorstellen.“

„Zumindest bin ich nicht als Erwachsener auf die Welt gekommen.“

„Gibt es Fotos von ihnen als Kind?“

Wenn man genau hinsah, vertieften sich Kaibas Wangengrübchen leicht…

„Nicht?“, fragte der Blonde nach, als der Ältere nicht antwortete.

„Ich besitze keine.“
 

Er besaß keine?

Hieß das, es gab keine?

Oder gab es welche und er hatte nur keine?

Wer hatte sie dann?

Was war mit seinen richtigen Eltern? Waren sie wirklich tot?

Warum war er adoptiert worden?

Wann war er adoptiert worden?

Warum gab es keine Bilder aus dieser Zeit?

Hatte er keine sonstigen Verwandten mehr?

Oder wollte er sie nicht haben?

Katsuya seufzte noch einmal.

So viele Fragen, die ihm auf der Zunge brannten… wieso war Kaiba so, wie er heute war?

Was hatte ihn geformt?

Was hatte ihn so kalt werden lassen, dass er gewissenlos seinen Adoptivvater in den Selbstmord trieb?

Kaiba war nicht von Grund auf ein Psychopath, das hatte er ja schon festgestellt – na ja, er hoffte es festgestellt zu haben… auf jeden Fall traute er es Kaiba nicht zu.

Warum also?

Ob er das jemals erfahren würde?

„Katsuya?“, Kaiba schnippte vor seinem Gesicht mit den Fingern, sodass er hoch schreckte, „Alles in Ordnung?“

„Äh… ja.“, der Jüngere sah sich kurz um.

Sie standen vor dem Haus.

Wie lange schon? War er so in seine Gedanken vertieft gewesen?

„Sorry, ich war in Gedanken…“

„Ich habe es bemerkt.“, Kaiba musterte ihn kurz mit einer leichten Besorgnis im Blick.

Er sollte aufpassen.

Weit besser aufpassen.

Sonst verriet er sich noch selbst.

„Was machen wir heute Abend noch?“, fragte Katsuya mit einem Lächeln – Thema ändern war die beste Strategie überhaupt.

„Hast du noch Hausaufgaben?“

„Nope.“, sagte der Blonde stolz.

„Was hältst du davon, wenn ich dir Magic&Wizards beibringe?“

Katsuyas glänzende Augen waren für den Lehrer wohl Antwort genug.
 

„Alles kapiert?“

„Ich glaub’, mir schwirrt der Kopp…“, meinte Katsuya und betrachtete die Karte in seiner Hand, „Aber ich krieg’ das schon auf die Reihe.“

„Gut.“, der Brünette nahm die drei Packungen, die sie gestern gekauft hatten, aus dem Schrank, „Das Ganze ist wie gesagt ein Sammelkartenspiel. Vierzig Karten pro Stapel. In jeder dieser drei Schachteln sind vierzig Karten. Viel Spaß beim Zusammenbasteln.“

„Und diese hier?“, fragte Katsuya und hielt die Karten hoch, an denen der Ältere ihm das Spiel erklärt hatte.

„Die sind aus meinem Altkartenstapel. Wenn dir was gefällt, nimm es dir ruhig.“, erklärte der Ältere und verließ das Wohnzimmer.

Schild und Schwert.

Wiedergeburt.

Raketenkrieger.

Katsuya blinzelte.

Was war das denn für eine Karte?

Das sah irgendwie… niedlich aus.

„Rotäugiges schwarzes Küken…“, las der Blonde laut vor und betrachtete den Minidrachen mit seiner schwarzroten Flamme, der noch fast vollständig in seinem Drachenei saß, „Lege diese offene Karte von deiner Spielfeldseite auf den Friedhof, um eine Rotäugiger-schwarzer-Drache-Karte als Spezialbeschwörung aus deiner Hand zu beschwören. Hm… heißt, das Baby kann richtig schnell erwachsen und super stark werden.“, er strich mit seiner Hand über seine linke Halsseite, „Ist irgendwie zu beneiden…“

Mit einem Seufzer griff er nach der ersten Schachtel, entfernte die Verpackung und sah die Karten durch.

Fallgrube.

Teufelswürfel.

„Rosa Schafe?“, fragte er die Karte Sündenböcke, „Das ist nicht euer Ernst, oder?“

Die Karte Sensemann der Karten legte er mit zusammengezogenen Brauen zur Seite.

Manche Bilder waren ja echt erschreckend…

Und an manchen anderen merkte man, dass es ein Kinderspiel war.

Aber mal ehrlich – ein bisschen schwere Regeln für ein Kinderspiel, oder? Obwohl Kinder wahrscheinlich auch nie in der Meisterschaft spielen würden, das stimmte wohl. Und wo er bei der Meisterschaft war… welche Karten hatte wohl Kaiba in seinem Deck?

Das sollte er nachher wohl auch mal nachsehen.

Obwohl es wahrscheinlich-

Er stoppte in der Bewegung und starrte auf die Karte in seiner Hand.

Ehrfürchtig legte er die anderen zur Seite und strich sanft über das glänzende Bild, während er fast andächtig vorlas: „Rotäugiger schwarzer Drache…“
 

„Gucken sie mal, gucken sie mal!“, rief der Blonde aufgeregt und fuchtelte Kaiba mit der Karte vor der Nase rum, während der das Messer in der einen und die Brotscheibe in der anderen Hand zur Seite legte.

„Was ist denn, Hündchen?“

„Hey!“, rief der Jüngere und beendete sein kindisches Gehabe, „Ich mag das nicht.“

„Das Hündchen? Was ist eigentlich so schlimm daran?“

„Das hört sich an als sei ich ein kleines Kind.“

„Gerade hast du dich auch wie eins benommen.“

Katsuyas Blick schweifte zum Küchentisch, während er murmelte: „Schlimm?“

„Nein. Sei meinetwegen ein Kind, sei Jugendlicher oder erwachsen – nur sei eins.“

„’Kay…“

„Was wolltest du mir zeigen?“

„Die hier!“, rief der Jüngere wieder strahlend und zeigte Kaiba seinen neuen Drachen.

„Glückwunsch, die ist selten.“, meinte der Brünette und lächelte den Hocherfreuten an.

„Haben sie die auch?“

„Ich habe so ziemlich jede Karte, die es in diesem Spiel gibt. Aber ich besitze auch mehrere tausend.“

„So viel?“, fragte der Blonde erstaunt, „Ist das nicht teuer?“

„Also Geldsorgen hatte ich als CEO sicher nicht, die Firma lief ziemlich gut.“

„Wow…“, sein Blick wanderte von den blauen Augen zu den roten und wieder zu den blauen, „Darf ich ihre Karten auch mal sehen?“

„Was – alle?“, fragte der Ältere leicht erstaunt.

„Nein, das Deck, mit dem sie Vizeweltmeister geworden sind.“

„Du kannst dagegen spielen, wenn du das Spiel beherrschst, wenn du magst.“

„Sie würden gegen mich spielen?“ fragte der Braunäugige in heller Freude.

„Was bringt es dir ein Spiel beizubringen, das eh niemand gegen dich spielt?“

„Danke!“, der Kleinere sprang hoch mit geregter Faust, wandte sich ab und lief zurück ins Wohnzimmer um sein Deck so schnell wie möglich zusammenzustellen.

Kaiba war ja echt krass nett, wenn er wollte.

Sentimental… hieß, er hatte auf jeden Fall eine Menge Gefühle, auch wenn er die selten zeigte.

Je mehr er von ihm wusste, desto wundervoller wurde dieser Mann.

Katsuya ließ sein pochendes Herz einfach mal Herz sein.

Heute war Heute.

Morgen war Morgen.

Um das, was morgen war, brauchte er sich heute mal nicht sorgen.

Jetzt war erstmal das Heute wichtig.

Vielleicht würde er das bereuen, ja… aber erst wenn das heute geordnet war, konnte er an morgen denken.

Und heute hieß einen Abend mit Kaiba spielen und einfach mal dem Pochen lauschen.

Feelings

Ja, auch dieses Kapitel ist über 1500 Wörter lang. Möchte vielleicht jemand mal nachzählen, dann wissen wir, welcher Zähler stimmt...

So, Kaibas Sensibilität ist verflogen, wie die meisten sich das schon dachten, aber eine gewisse Grundfreundlichkeit schwingt in diesem Teil wohl noch mit. Den Rest der Analyse überlasse ich wie immer meinen über alles geliebten Lesern ^.^ Viel Spaß beim Lesen.
 

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„Na komm, Blondchen, raus aus den Federn.“

„Noch fünf Minuten…“, murrte Katsuya und mummelte sich in seine Decke ein.

„Wie kommt es, dass ich mich wie eine dieser hysterischen Mütter fühle, die jeden Morgen ihre Kinder aus den Betten zerren müssen?“, grummelte der Ältere.

Doch Katsuya erwiderte nichts.

„Wieder eingeschlafen?“, fragte Kaiba und lehnte sich nach vorne um dessen Gesicht sehen zu können, „Katsuya? Was ist los?“

Schweigen.

Seine Augen waren stur auf die Wand gerichtet.

„Deine Mutter hat dich nicht geweckt, hm?“

Immer noch keine Antwort.

Der Brünette setzte sich an den Rand der Matratze und strich Katsuya ein paar Strähnen aus dem Gesicht.

„Hat ihre Mutter sie geweckt?“, fragte der Jüngere nach.

„Keine Ahnung.“, sagte der Blauäugige und seufzte leise, „Sie ist abgehauen, kurz nachdem mein Bruder geboren wurde. Da war ich fünf.“

Katsuya musterte ihn schweigend.

„Denken sie manchmal an sie?“

Die Hand hatte sanft durch sein Nackenhaar gekrault, doch löste sich nun.

„Ich erkläre die fünf Minuten für rum.“, verkündete Kaiba und erhob sich, „Ich warte in der Küche – ach ja, geh duschen, Frau Ishtar wird dich heute untersuchen.“

„Wär’ ich eh.“, meinte der Blonde wach und schlug seine Decke zurück.

Kaibas Mutter war abgehauen?

Wegen ihrem Mann?

Und was war aus Kaiba und dem Neugeborenen geworden?

War das der Zeitpunkt gewesen, wo man sie ins Heim gesteckt hatte?

Oder blieben sie bei ihrem Vater?

Wie hatte sich der Vater verhalten?

Wenn sie bei ihm geblieben waren, wieso waren sie dann ins Heim gekommen?

Hatte Kaiba sonst keine Verwandten?

Lebte dieser Vater noch?

Kaiba hatte noch nie von ihm gesprochen…

Wie Kaiba wohl aufgewachsen war?
 

Bei allen Göttern, seine tausend Fragen würden ihn noch einmal verrückt machen, wenn das so weiter ging. Aber stellen konnte er sie auch nicht, oder?

Na ja, Fragen kostete nichts… nur den Kopf, wenn er einen empfindlichen Nerv traf.

Nein, er sollte warten, bis der Ältere von selbst erzählte – wie sagte Yami? Je weniger du einen Menschen einengtest, desto näher kam er dir.

Kaiba mit Fragen zu nerven, wäre nicht der richtige Weg.

Sein Interesse anzudeuten und damit den Weg zu ebnen, manchmal zu fragen, manchmal zu schweigen… es war schwer, aber wenn Yami das konnte, konnte er das auch lernen.

Wie sagte Ryou?

Alles war möglich, solange du nicht aufgabst.

Er würde Kaiba nicht aufgeben, auch wenn das vielleicht hoffnungslos aussah – jetzt.

Aber wer wusste schon, was morgen kam?

Wer wusste, wie es morgen aussah?

Jeder Tag war doch irgendwo eine neue Chance.

Also, was wollte er mit dem heutigen Tag anstellen?

Besuch bei Schwester Isis, Schule und… heute Nachmittag… Yami!

Yami besuchen!

Das war ja wohl die Idee.

Yami hatte er jetzt vier Tage nicht mehr gesehen, vier Tage, in denen so viel passiert war… was Kaiba ihm wohl schon erzählt hatte? Egal, Yami hörte sich so was auch zweimal an. Er wohnte jetzt bei Kaiba und der konnte superlieb sein, wenn er wollte – und der totale Horror, wenn er nicht wollte – und er brauchte einen neuen Lebensinhalt und er müsste endlich all diese wirren Gedanken ordnen und… hach, er sollte echt mal fragen, ob er mit seinen Schwärmereien bezüglich Kaiba nicht vom Boden der Tatsachen abhob.

Was, wenn das alles total irre war?

Yami würde das schon zu klären wissen.

Und wenn nicht, dann würde ihm etwas anderes einfallen.

Dafür hatte man seinen kleinen Hobbytherapeuten doch, oder?

Zum Ordnen und reflektieren und Hilfe stellen, wenn man wirklich vollkommen am Ende war.

Und heute Abend… tja… ach, Mist, Hausaufgaben.

Die gab es ja auch noch.

Aber danach könnte er sicher Kaiba auf ein Spiel überreden oder sonst die Spielkonsole anwerfen oder… irgendeinen lustigen Streit vom Zaun brechen.

Wo sein Drache jetzt wohl war?
 

„Mor’n.“, grüßte Katsuya und trat lächelnd in die Küche, wo sein Blick auf das Papier neben seinem Platz fiel, „Was ist das?“

„Rate mal.“, meinte der Ältere eher desinteressiert und beschäftigte sich lieber mit seinem Kaffee.

Bei.

Allen.

Göttern.

„Ja!“, schrie der Blonde auf und sprang in die Luft, „Juhu!“

Achtundachtzig von hundert Punkten.

B+.

Das war der schönste Tag seines Lebens!

Okay, nicht ganz, aber es reichte doch daran heran.

Er hatte echt einen Test mit B+ bestanden.

Das hatte er seit der Grundschule nicht mehr.

Religion lebe dreimal hoch!

„Kleine Belohnung für das viele Lernen.“, murmelte Kaiba.

„Danke!“, rief der Jüngere lächelnd und ging seine Punkte durch.

„Dank’ dir selber, ich habe nur die Note drunter geschrieben.“

„Trotzdem danke.“

„Schon gut…“, ob Kaffee so etwas Besonderes war? Der Brünette trank das Zeug ja literweise. War das nicht ungesund?

„Warum kriege ich den Test eigentlich jetzt schon?“

„Der wird gleich verteilt und besprochen, aber du bist die erste Stunde im Krankenzimmer.“

„Wegen den Verkühlungen?“

„Und den blauen Flecken und Blutergüssen und der Platzwunde an der Stirn und den Abschürfungen an deiner Brust und was sonst noch alles in deiner Akte steht, ja.“

Katsuya senkte den Kopf leicht.

Manchmal war die Vergangenheit schwer zu verneinen…

„Herr Lehrer Kaiba?“

„Ja?“, er ließ doch glatt den Becher ein wenig sinken.

„Finden sie mich eigentlich… hässlich?“
 

„Wegen all der Verletzungen und Narben?“

Der Blonde nickte leicht.

„Was ändert das an dir?“

Er blinzelte verwirrt.

„Ist doch egal ob nun vernarbt, armlos, drei Zentner schwer oder Supermodel – du bleibst doch derselbe Mensch, oder?“

„Schon, aber… aber…“

„Das ändert etwas an deinem Selbstwertgefühl wie du aussiehst, ja, aber nicht an meiner Sicht von dir, oder? Ist ja nicht so als würde mich dein Körper interessieren.“

Ein Knoten legte sich um Katsuyas Herz.

War das nun gut oder… schlecht?

„Sieh mich an. Manche interessieren sich für meinen Körper, andere für meine Seele, manche für beides, manche mögen mein Image, mein Auftreten, manche meine Talente, manche meine Schwächen. Auf dem Laufsteg ist die Seele egal. Unter Freunden sind Körper, Herkunft, Sexualität und so weiter egal. Den Arbeitgeber interessiert das Image und die Kompetenz, die Boulevardpresse will meine Schwächen sehen. Jeder will irgendetwas von mir. Und jeder will auch irgendetwas von dir. Ich möchte deine Leistungen, deine Anwesenheit, ein paar Gespräche und Streitereien und vor allen Dingen dein Lachen, weil mir das Depressionen vom Hals hält. Ist schön egoistisch, richtig, aber du beschwerst dich ja nicht, weil du gleichzeitig auch etwas von mir erhältst. Leben ist Geben und Nehmen. Aber dein Körper ist sicher nichts, was ich von dir verlange.“

Sein Lachen?

Gespräche mit ihm?

Das war es, was Kaiba mochte?

„Und was genau kriege ich von ihnen?“

„Frag’ das dich. Ein relativ sicheres und geordnetes Leben. Ich habe keine Ahnung, ob du irgendetwas an mir magst.“

„Natürlich mag ich sie!“, entgegnete Katsuya für seinen Geschmack etwas zu heftig, „Also… ich meine… sie können ja böse und gemein sein, aber… genau so… lieb. Und nett. So… fürsorglich. Stark und erfahren.“

Das… ging doch noch, oder?

Also, das konnte man auch zu einem Lehrer als Schüler sagen, oder?

Oder als Freund.

Das setzte jetzt keine tiefere Zuneigung voraus, ja?

Oh Himmel, Kaiba sollte das bloß nicht falsch verstehen…

Oder eher… richtig verstehen…

Bei allen Göttern, ja, er liebte diesen Mann.

Er liebte ihn wirklich.

Er liebte dieses Lächeln und dieses kühle Blau.

Er liebte Kaiba.
 

„Kann ich heute Abend mal gegen ihr richtiges Deck spielen?“, fragte der Blonde aufgeregt, während er im Auto noch einmal über seinen Tagesablauf nachgedacht hatte.

„Du wirst keine fünf Züge überleben.“

„Egal.“, erwiderte der Jüngere, „Dann sehe ich mindestens eine Karte des Decks.“

Stumm griff der Brünette mit einer Hand in die Innentasche seines Jacketts, zog eine Karte in einer Schutzfolie heraus und gab sie dem Anderen mit den Worten: „Sei bloß vorsichtig damit.“

Mit angehaltenem Atem nahm Katsuya die Karte entgegen und hielt sie mit beiden Händen.

„Blue-Eyes White Dragon… der ist wunderschön… was? Angriffskraft dreitausend? Verteidigung zweitausendfünfhundert?“, fragte er fast entsetzt.

„Es gibt nur drei Karten, die stärker sind. Und von dieser gibt es nur drei andere. Zwei davon befinden sich auch in meinem Besitz.“

„Und die vierte?“

„Hat Opa Muto. Ich habe sie vor zehn Jahren zerrissen, aber irgendwann hat mich das Gewissen gepackt und habe sie mit einer revolutionierten Papiertechnologie wieder zusammensetzen lassen.“

Fast zärtlich fuhr der Blonde mit dem Finger über die Schutzhülle.

„Und sie besitzen drei?“

„Ich habe damit außer gegen Yugi und Yami noch nie verloren.“

„Yami?“, fragte der Jüngere überrascht.

„Ja, Yami. Guck’ nicht so überrascht.“, er schloss seinen leicht geöffneten Mund, „Yami hat auch Yugi besiegt. Aber er hat nie offiziell gespielt, sonst wäre ich nur Dritter in der Weltrangliste.“

„Yami ist der Weltmeister hier drin?“, hakte Katsuya noch einmal nach.

„Er hat aufgehört, als Yugi berühmt wurde. Ich weiß nicht, was damals los war, aber er hat sich geweigert je wieder zu spielen.“

Yami hätte niemals Stricher werden müssen…

Er hätte nur spielen müssen um tausende Preise zu erlangen…

Er hätte sich niemals prostituieren müssen…

Die Gedanken hämmerten in seinem Kopf.

„Er ist es auch, der die drei legendären Götterkarten besitzt.“

„Warum?“, flüsterte der Blonde leise.

„Warum was?“

„Wieso hat er sich das angetan?“

Die blauen Augen wurden durch eine Spur von Verwirrung durchzogen.

„Er hätte Weltmeister sein können. Er hätte alles erreichen können… und er hat sich vor ihnen prostituiert. Er hat sich von seinem Erzfeind für Geld erniedrigen lassen… warum?“

Kaiba lehnte sich in seinem Sitz zurück.

„Irgendetwas muss seinen Stolz gebrochen haben…“

Hintergrundnetz

Und noch ein Kapitel von eigentlich über 1500 Wörtern...

Kaiba kühlt langsam wieder ab, Katsuya beruhigt sich auch, was ihn in ein neues Chos wirft und die Umwelt beobachtet es mit sorgenvollen Augen. Und was ihr als Außenstehende denkt, interessiert mich wie immer brennend. Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen ^.^
 

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„Mein Sonnenschein.“, begrüßte ihn Isis erfreut, „Na, wie geht es dir?“

„Wundervoll.“, antwortete er mit einem Lächeln.

„Ich seh’ dich zur Zweiten.“, meinte Kaiba ohne die Krankenschwester zu grüßen und verließ die beiden.

„Alter Grummel…“, moserte die Ältere und klopfte auf einen Stuhl, damit Katsuya sich setzte, „Aber er scheint ein Herz zu haben.“

„Hm-hm…“, murmelte der Blonde leicht verträumt.

„Er hat mich über alles informiert und mir die Unterlagen zukommen lassen.“

Er lächelte vor sich hin.

„Als ich ihm letzte Woche bat eine Unterkunft für dich zu finden, hätte ich ja nie gedacht, dass er dich bei sich aufnehmen würde… kommt ihr denn gut miteinander klar?“

Jede Mimik war aus Katsuyas Gesicht gewichen.

„Sie haben… was?“

„Ihn darum gebeten, dass er eine Unterkunft für dich findet. Hat er dir das nicht gesagt?“

„Nein…“, murmelte er leise.

„Na ja, solange er es getan hat, ist ja egal, wie.“

Hieß das…

Hatte Kaiba zunächst zugestimmt, weil Isis ihn darum gebeten hatte?

War das der Anstoß gewesen?

Spielte er doch nur und es ging rein um seine Gesundheit und Kaibas Verantwortung als Lehrer?

Nein, verdammt, er sollte endlich mit dem Zweifeln aufhören.

Kaiba hatte ihm doch jetzt klar genug gemacht, dass er ihn mochte.

Punkt, Aus, Ende – Kaiba mochte ihn.

Daran wollte er einfach nicht zweifeln…

„Katsuya?“

Er fokussierte wieder.

„Ich fragte, ob ihr gut miteinander auskommt.“

„Ja, ja, natürlich…“, murmelte der Blonde, „Also, größtenteils…“

„Heißt?“

„Zuerst waren da viele Probleme, aber das wird…“, sein Lächeln fand seine Lippen wieder, „Er kann echt nett sein, wenn er will.“

„Ist es jetzt besser für dich?“

„Natürlich!“, er setzte sich gerade hin, „Und… danke. Danke, dass sie sich so für mich einsetzen.“

„Schon gut.“, sie legte den Kopf leicht schief, „Ich sagte doch, ich werde die Fäden ziehen.“
 

„Wo ich dabei bin, lass mal deine Stirn sehen.“, sie hob seine blonden Haare und fuhr sanft über die Narbe, „Deine Selbstheilungskräfte sind wirklich unglaublich. Wenn das weiter so gut heilt, wird nicht einmal eine Narbe zurückbleiben.“

„Echt?“, fragte Katsuya erfreut.

„Ja. Dein Gesicht bleibt narbenfrei.“

Mit einem Lächeln ließ er sich im Stuhl zurücksinken.

„Würdest du bitte deinen Oberkörper freimachen?“

Er tat wie geheißen.

„Ein paar Narben werden niemals ganz abheilen, aber bei anderen lässt sich noch etwas tun. Sag mal, was ist denn mit deinem Arm passiert?“, fragte sie und deutete auf das Kreuz, was sich über seinen ganzen Unterarm zog.

„Sorry…“, murmelte er und drehte sein Handgelenk.

„Nein, lass mich das bitte sehen.“

Er reichte ihr mit gesenktem Blick seinen Unterarm.

„Das warst du selber, hm? Wann?“

„Ende letzter Woche…“

Als er am Boden war.

Als er Kaiba bei Yami gefunden hatte.

Als so ziemlich alles in ihm zerbrochen war und er Kaiba bis aufs Blut verflucht hatte.

Wie schnell hatte sich das geändert?

Vielleicht waren seine Zweifel doch angebracht…

„Wann wurde das behandelt?“

„Montag. Na ja, ein Freund hat sich am nächsten Tag darum gekümmert, hat sich nicht entzündet. Ist nicht so schlimm, wie es aussieht…“

„Wenn du dich selbst verletzt, ist das schlimm.“, sagte Isis sanft und legte ihre warme Hand auf seinen Unterarm, „Ich mache mir Sorgen.“

Katsuya spürte seinen Arm zittern, seufzte und wandte den Blick ab.

Eigentlich hatte sie Recht.

Er wollte doch stark sein.

Er wollte doch heilen.

Er schloss kurz die Augen, griff mit seiner freien Hand zu seiner hinteren Hosentasche und zog sein Messer heraus, welches er ihr wortlos reichte.

„Katsuya…“, flüsterte sie, schwieg jedoch darauf und griff nach der Waffe.

„Ich… bewahren sie das auf, ja? Ich hole es wieder, wenn ich wieder ordentlich damit umgehen kann.“

Sie nickte stumm.
 

„Die Abschürfungen sind gut verheilt.“, durchbrach sie irgendwann das Schweigen, während sie ihn mit der Iodsalbe abtupfte, „Und ein paar der blauen Flecken schon zurückgegangen.“

„Wann wird das alles endlich verheilt sein?“, flüsterte er.

„Wenn ich deinen Körper so sehe… drei oder vier Wochen vermutlich. Einzelnes noch etwas länger.“

„Und der Rest?“, murmelte er, während sein Blick auf dem Verband um seinen Unterarm lag.

Sie schwieg betroffen.

Wann würde seine Seele heilen?

Wann würde die Anspannung nachlassen, dass er irgendwann zurück musste?

Wann würden diese Ängste und Zweifel aufhören ihn zu quälen?

„Ich… ich weiß nicht…“, stotterte er, „Ich war immer so stolz auf diese Wunden… ich hatte es überlebt… ich überlebte auch weiter… ich konnte so viel ertragen, was andere hätte zerbrechen lassen… ich…“

Er spürte eine Träne auf seiner Wange.

Seine Träne?

Ihre Träne?

Tränen des Himmels?

„Was… worauf soll ich jetzt noch stolz sein? Auf dieses ekelhafte, vernarbte Etwas, was ich bin? Diese Wunden erinnern mich, wie dumm ich war, dass ich mich nicht wehrte…“

Seine Hand griff zitternd in seine Haare, legte sich um seinen Kopf um ihn auf der Lehne abzustützen.

„Warum?“, hauchte er, „Warum habe ich nie zurückgeschlagen?“

Sie legte die Tube zur Seite und massierte leicht die Salbe auf seiner Brust ein, während sie mit der anderen Hand die Tränen aus seinem Gesicht strich.

„Warum…“

„Vielleicht aus Angst?“, fragte sie leise, „Angst vor dem, was passieren würde, würdest du dich wehren?“

„Warum?“, er schüttelte kraftlos den Kopf.

„Katsuya.“, sagte sie mit fester Stimme.

Sein Blick fand ihren.

„Ich bin kein Psychologe und ich habe keine Ahnung, was ich dir sagen oder raten soll. Aber vielleicht ist es das Beste, wenn du einfach nicht mehr daran denkst.“

„Diese Scheiße erinnert mich aber täglich dran.“, zischte er und warf einen kalten Blick auf die Hand an seiner Brust.

„Aber es heilt.“, flüsterte sie leicht verzweifelt, „Es heilt doch…“
 

Er hatte den Rest der Behandlung mit geschlossenen Augen über sich ergehen lassen.

Binden, Verbände, Bandagen, dreifach, vierfach…

„Wie sehen deine Beine aus?“, fragte sie irgendwann.

„Blau, grün, violett, keine Ahnung…“, murmelte er teilnahmslos.

„Wenn ich sie auch verarzte, heilt das auch schneller.“, bot sie an.

Er nickte nur stumm und ließ auch die Hose fallen.

Toll.

Da stand er in Retroshorts und sah durch die Verbände doch fast so aus, als wäre er angezogen.

Sie holte eine andere Salbe aus dem Schrank, tastete vorsichtig seine Schenkel ab und cremte sie schließlich auch ein.

Binden und Verbände.

Dass sie keinen Bandagen benutzte, hieß, dass seine Knochen in Ordnung waren und seine Muskeln relativ fest.

Jetzt sah er wirklich wieder angezogen aus.

Jemand an der Tür zog scharf die Luft ein.

Katsuyas Blick schnellte herum, während die Lethargie aus ihm wich.

„Ryou?“, fragte er verwirrt und sah Genannten die Tür hinter sich schließen.

„Das sieht schlimm aus…“, murmelte dieser und trat ein Stück in Katsuyas Richtung.

„Tut aber nicht weh. Nicht mehr.“, sagte der Blonde zur Beruhigung.

„Ein Freund von dir?“, fragte die Älteste und richtete sich wieder auf um die Hände zu waschen.

„Oh, Entschuldigung.“, der Blonde verbeugte sich, „Mein Name ist Ryou Bakura.“

„Schwester Isis Ishtar – sehr erfreut.“, sie warf ihm eines ihrer liebevollen Lächeln zu.

„Wie geht es dir?“, richtete sich der Jüngste wieder an Katsuya.

„Ich lebe.“, antwortete dieser, ebenfalls lächelnd.

„Kaiba war nur knapp hinter mir.“, meinte sein Gegenüber schnell, als schon Herrenschuhe auf dem Flur zu hören waren.

Der Blonde griff nach seiner Kleidung und verzog sich hinter einen Bettvorhang.

Also so musste ihn sein Lehrer ja wirklich nicht sehen.

„Fertig geworden?“, hörte er eine tiefe Stimme durch den Stoff.

Ein Zittern lief seine Wirbelsäule hinab.

Wenn sein Körper für etwas gut war, dann für dieses Herzklopfen…
 

„Er sieht schon besser aus.“, bestätigte die Älteste.

„Das nennen sie besser?“, fragte Ryou leise.

Der Blonde konnte sich seinen Blick auf den Vorhang förmlich vorstellen.

„Junger Mann, ich habe Katsuya schon letztes Jahr behandelt und ich kann sagen, dass er weit besser aussieht als sonst.“

„Entschuldigung, ich… ich…“

„Ist gut, Ryou, Isis versteht das schon.“, unterbrach Katsuya das Gestammel.

„’Kay…“, durch den Stoff konnte er den Weißhaarigen auf sich zu treten sehen.

„Übrigens würde es mich doch sehr erfreuen, wenn du Autoritätspersonen nicht immer mit Vornamen anreden würdest.“, entgegnete Kaiba eher kalt.

„Isis hat’s mir aber erlaubt.“, Katsuya zog den Vorhang ein Stück zurück und streckte seinem Lehrer kurz die Zunge raus, bevor er sich weiter einkleidete.

„Frecher Bengel…“, murmelte der Brünette.

„Er ist und bleibt ein kleiner Rebell, auch wenn er sich gut benimmt.“, Isis Stimmte war im Gegensatz zu der Kaibas warm und freundlich, „Und er benimmt sich überragend gut, wenn sie ihn letztes Jahr erlebt hätten…“

Der Blonde knurrte kurz.

„Da wusste er noch zu bellen und zu beißen.“, kürzte der Blauäugige es ab.

„Herr Lehrer!“

Auf den bösen Blick antwortete er nur mit einem amüsierten Lächeln, als Katsuya angezogen hervortrat.

Einen Moment konnte man die Luft förmlich knistern hören, während gespielte Wut auf gespielte Herablassung traf.

„Wer böse gucken kann, kann das auch im Klassenzimmer.“, entschied Kaiba, „Kommt, lasst uns zurück gehen.“, noch während er dies sagte, drehte sich auch schon um und verließ das Zimmer.

„Du sagst diesmal Bescheid, wenn du Hilfe brauchst, ja?“, fragte Isis mit besorgtem Blick.

„Mach’ ich.“, bestätigte der Blonde mit einem Grinsen auf dem Gesicht.

„Gut.“, ihr Lächeln und ihre Züge drückten Erleichterung aus.

Ryou öffnete seinem Freund schon mal die Tür, während dieser sich im Gehen noch einmal zu Isis wandte.

„Danke.“

Ihre Augen schienen zu strahlen, als sie sich leicht mit Tränen füllten.

Questions

Die Kapitel werden länger ^.^ (von der Wörteranzahl ^.-)

Ich danke allen, die mir die Daumen gedrückt haben, meine Klausuren und Tests sind alle einfach umwerfend gut und deshalb gibt es auch bald viele neue Nebensequenzen, die bereits geschrieben, aber noch nicht abgetippt habe.

Und zwei FFs wurden als Wunsch angegeben, die werde ich schreiben, sobald ich Zeit habe ^.^ (übernächste Woche v.v)

Montag ist die Preisverleihung des Schreibwettbewerbs SCHREIBTALENTE NRW, wo ich gewonnen habe, da gibt es eine Buch vom Pathmos Verlag (ich hoffe ihn richtig geschrieben zu haben -.-), wo eine Kurzgeschichte von mir veröffentlicht wird. Mir wird das morgen überreicht, ich kann euch dann Genaueres sagen, falls irgendwer Interesse hat.

Und jetzt viel Spaß beim Lesen des neuen DS-Kapitels ^.^ Das nächste ist für Mittwoch geplant.
 

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Katsuya klopfte an die Tür vor ihm und stemmte die Hände in die Hüften.

Es war immer wieder toll vor verschlossenen Türen zu stehen…

Ob er Yami geweckt hatte?

Eigentlich müsste der ja schon wach sein, es war schließlich schon nach vier.

„Wer ist da?“, schallte es von hinter der Tür.

„Ich bin’s, Kats.“, ihm wurde Eintritt gewährt, „Seit wann fragst du, wer vor der Tür steht?“

„Sicherheitsmaßnahme.“, murmelte der Rothaarige.

Sollte er nachfragen? Nein, besser nicht.

„Du siehst ziemlich eingepackt aus.“, meinte der Ältere und musterte seinen besten Freund, „Tut es weh?“

„Nope. Sicherheitsmaßnahme.“, Katsuya zwinkerte.

„Du hast gute Laune.“, stellte der Kleinere mit einem Lächeln fest, „Soll ich dir was kochen?“

„Kannst du mir beibringen, wie man Sushi macht?“

„Komm’ mit.“, Yami ging in die Küche vor, „Irgendein bestimmtes Sushi?“

„Nö. Was nicht allzu Ausgefallenes.“

„Darf ich nach dem Grund fragen, warum du das lernen willst?“, fragte er mit einem Seitenblick.

„Kaiba hat mich zum Kochen verdonnert.“

Der Rothaarige blinzelte zweimal, legte den Kopf schief und verschränkte die Arme.

„Gibt es da irgendetwas, was ich wissen sollte?“

Katsuya grinste breit.

„Sag nicht, dass du ihn flachgelegt hast…“

Sein Schultern sackten nach unten mit einem Seufzen verdrehte er die Augen.

„Ja, bei mir geht alles nur um Sex, ich weiß.“

„Ich wohne bei ihm.“, erklärte der Blonde.

„Soll ich dich beglückwünschen oder bemitleiden?“, fragte der Ältere mit einem Grinsen und schloss ihn in die Arme.

„Tu’ doch, was du willst.“, erwiderte Katsuya fröhlich und drückte den Kleineren fest an sich.

„Glückwunsch, du wohnst beim zweitschärfsten Typen der Stadt und kriegst ihn nicht ins Bett.“, sie lösten sich ein Stück voneinander, „Oder doch?“

„Vermutlich nicht.“, antwortete der Braunäugige mit einem Seufzen, „Lehrer bleibt Lehrer. Aber er mag mich.“, er zwinkerte, „Das muss doch schon mal etwas heißen.“

„Stimmt, bei Kaiba heißt das wirklich etwas.“

Sie wandten sich der Küchenzeile zu und während Yami geschäftig die Kochutensilien zusammensuchte, lehnte der Blonde sich an die Theke.

„Warum eigentlich der Zweitschärfste?“

Die Antwort bestand aus einem Grinsen.
 

„Yami?“

„Hm?“, der junge Mann, der sich gerade ein Stück Sushi zwischen die Lippen legte, richtete seinen Blick auf den Sprechenden.

„Haben deine Ausgehschuhe eigentlich alle zehn Zentimeter Absatz?“

„Nur die, die ich in Kaibas Nähe anziehe.“, der Rothaarige grinste, „Es gibt viel zu wenig, was dem Drachen Angst macht.“

Katsuya lachte auf.

„Du vergleichst ihn auch mit einem Drachen?“

„’Türlich.“, der Andere lehnte sich auf dem Küchenstuhl zurück, „Drache passt doch wohl total. Er hat auch den Spitznamen Blue-eyes weg. Wegen seiner Lieblingskarte bei Magic&Wizards.“

„Die ist so hübsch…“

„Die hat er dir gezeigt?“, fragte der Ältere erstaunt.

Katsuya nickte lächelnd.

„Da hat er dich wohl wirklich gern. Die Karten sind sein absolutes Heiligtum. Der hat vielleicht geflucht, als ich sie mir mal aus seinem Jackett gefischt hab'…“

„Ich durfte sie sogar halten.“

Yami zog anerkennend beide Augenbrauen hoch.

„Er hat mir das Spiel beigebracht. Und gegen mich gespielt.“

„Der Typ braucht doch sonst Jahre, bis er einem gegenüber auftaut…“, sagte er mehr zu sich selbst.

„Spielst du auch mal gegen mich?“, Katsuya versuchte keinen verräterischen Unterton in seine Stimme zu legen.

Er konnte sich alles verscherzen.

Vielleicht verriet Yami ihm aber auch, warum er nicht mehr spielte.

Vielleicht konnte er ihn sogar wieder zum Spielen bringen.

Der Rothaarige schüttelte lächelnd den Kopf.

„Warum?“, fragte der Jüngere enttäuscht – das brauchte er nicht einmal schauspielern.

„Ich spiele nicht mehr.“

„Warum?“

„Wegen Yugi damals… na ja, eigentlich könnte ich ja heute wieder spielen, er hat ja aufgehört.“, der Ältere legte den Kopf zurück und betrachtete die Decke, „Ich überleg’s mir mal.“

„Echt?“, fragte Katsuya glücklich und lächelte selig.

„Ist ja gut… bei diesem Blick kann man ja nicht nein sagen.“, der Kleinere schüttelte amüsiert den Kopf, „Spielen wir meinetwegen.“
 

Das war einfach gewesen.

Sehr einfach.

Yamis Gründe, warum er aufgehört hatte, schienen heute nicht mehr allzu wirkmächtig zu sein. Zwar würde Katsuya wohl nicht rauskriegen, was es genau gewesen war, aber dass Yami wieder spielte, war doch auf jeden Fall positiv. Und man sah ihm an, dass es ihm Spaß machte. Aber… es etwas genauer zu wissen wäre schon interessant…

„Warum hast du die Karten eigentlich mitgenommen, als du von zuhause ausgerissen bist? Du hast doch eh nicht gespielt.“

Der Ältere beschwor soeben seinen schwarzen Magier, der Katsuya sein baldiges Ende förmlich ins Gesicht schrie.

„Zufall. Ich hatte so eine Gürteltasche, in der ich meine Karten immer mitgeschleppt habe. Meistens als Talisman. Ich hatte sie um, als ich weg bin.“

„Warum tragen eigentlich alle ihre Karten mit sich rum?“, lachte der Blonde, „Ich tu’s ja auch schon.“

„Gute Frage.“, der Ältere grinste, „Ich wette, Yugi nimmt seine auch überall mit hin.“

Katsuya stutzte.

Hatte Yami das Thema gerade – absichtlich – auf seinen Bruder gelenkt?

„Im Sportunterricht hat er nur rote und gelbe.“, sprach er weiter, als wäre das völlig normal.

„Wie geht es ihm?“, fragte der Rothaarige ernst.

Bildete er sich das ein oder durchzog eine leichte Melancholie die stolzen Augen?

„Gut. Zumindest glaub’ ich das. Man merkt ihm seinen Spaß an seinem Beruf an, er ist ehrlich und nett, hilft, wenn man ihn braucht, ist immer noch mit Kaiba befreundet und…“, sollte er das sagen? „Ich glaube, er steht auf mich.“

„Wie das?“, der Andere wirkte interessiert.

„Na ja, als ich letztens mit freiem Oberkörper im Lehrerzimmer saß, hat er mich ziemlich lüstern gemustert. Das ist schwer falsch zu verstehen… und schwul ist er schon, oder? Wusstest du, dass er mal mit Kaiba geschlafen hat?“

„Er hat was?“, schrie Yami auf.

„Äh… mit Kaiba… du wusstest es nicht?“

Der Ältere bewegte sich nicht, schüttelte dann stumm den Kopf und ließ seinen Blick sinken.

„Weißt du, wann das war?“

„Vor ein paar Monaten. Wie viel weiß ich nicht. Kaiba sagte, er konnte damals seine Gefühle nicht einordnen und verstand nicht, was Freundschaft bedeutet.“

„Passt zu ihm…“, murmelte er und strich sich mit der Hand über die Augen, „Der Mann hat doch echt einen Schaden… warum unbedingt Yugi?“

„Ist das schlimm?“, fragte Katsuya nach.

„Ich könnt’ ihn killen.“, meinte der Ältere dunkel.
 

„Jetzt ehrlich?“, fragte der Blonde beunruhigt nach.

„Nein.“, antwortete Yami sofort, „So schlimm ist es dann doch nicht. Aber hätte ich das gewusst, ich hätte nichts mit ihm angefangen. Obwohl er mich wahrscheinlich vor ihm wieder getroffen hat.“

„Oh…“

Mit einem Seufzen fuhr der Ältere sich durch die Haare und setzte sich anders hin.

„Wie habt ihr beide euch eigentlich kennen gelernt? Du und Kaiba?“

„Lange Geschichte…“

Katsuya lächelte ihn lieb an.

„Na gut. Das ist auch schon über ein Jahr her. Ich hatte gerade einen Kumpel besucht, der noch in dem Bordell arbeitete, wo ich auch mal angefangen hatte. Es gibt in der Nähe ein paar Straßen, wo eigentlich niemand anderes als Prostituierte rum rennen. Kaiba lehnte an einer Wand und rauchte, wer weiß, was er an dem Abend schon alles durchgevögelt hatte. Ich glaube, der Typ raucht ausschließlich nach dem Sex. Auf jeden Fall habe ich mich gewundert, weil er so gar nicht nach einem Stricher aussah. Aber Freier stehen normalerweise nicht – wohl bemerkt allein – auf einer der Strichstraßen. Ich bin einfach mal hingegangen, er sah ja nicht allzu gefährlich aus. Auf Ansprechen hat er nicht reagiert. Den Kopf hatte er gesenkt, also habe ich mich ein bisschen gebückt – und ich dachte mich trifft der Schlag. Ich hatte ja nie gedacht mal jemandem aus meinem alten Leben wieder zu sehen. Und dann unbedingt der Erzrivale meines Bruders und ein relativer Freund von uns beiden. Und weil er immer noch nicht reagierte, dachte ich, ich könnte mich einfach schnell davonstehlen. Aber als ich mich umgedreht hatte und gehen wollte, hat er den Zipfel meiner Jacke festgehalten. Ganz lieb, fast schüchtern. Und dann habe ich noch einmal genauer hingesehen. Seine Augen waren gerötet und er zitterte leicht. Ich hatte keine Ahnung, was mit ihm los war, schließlich hatte ich ihn noch nie so gesehen. Ich habe ihn gefragt, ob er einen Platz zum Schlafen braucht und mitkommen will und er ist mir ohne Antwort einfach hinterher gegangen. Mir war das irgendwie unheimlich. Ich glaube, ich habe ihn den ganzen Weg über irgendwelchen Nonsens zugequatscht. Auf jeden Fall wollte ich keine Stille und er selbst hat ja stur geschwiegen. Die ganze Zeit, auch bei mir in der Wohnung. Er hat auf dem Sofa übernachtet und war verschwunden, als ich wieder aufwachte. Ich habe keine Ahnung, warum er damals da stand und anscheinend geweint hatte, hab’ ihn auch nie mehr drauf angesprochen. Eine Woche später stand er auf jeden Fall vor meiner Tür und hat mich geküsst, als ich sie öffnete. Du kannst dir sicher denken, wie perplex ich war. Na ja, nach der Frage, wie viel ich koste, war ich es nicht mehr, schon klar. Ich habe vollkommen freiwillig mit ihm geschlafen, einfach, weil ich diesen traurigen Ausdruck nicht mehr sehen wollte. Und ab dann kam er regelmäßig.“

„Du hast keine Ahnung, warum er traurig war?“, fragte Katsuya leise nach.

Der Rothaarige schüttelte nur den Kopf.

„Meinst du, das hat was mit deinem Bruder zu tun?“

„Ob er mich als Ersatz missbraucht hat?“, er ließ den Blick sinken, „Kann sein. Das hieße aber, dass er meinen Bruder liebt.“

Der Blonde seufzte tief.

Womit sie wieder beim Anfang waren…
 

„Wirst du aus ihm schlau?“

Yami lachte kurz auf.

„Dachte ich mir…“

„Der würde noch dem Teufel ein Rätsel sein.“, er zwinkerte dem Jüngeren zu.

„Ich habe ja die verschiedensten Theorien. Hier mal eine relativ abgefahrene: Kaiba ist ein Triebtäter, der nur nett zu mir ist um mich nachher nachhaltiger zu zerstören. Was hältst du davon?“

Sein Gesicht überzog wieder der Ernst.

„Lustig wäre das nicht, auszuschließen ist es nicht...“, murmelte er mit einem Blick, der durch Katsuya hindurch zu gehen schien, „Aber doch unwahrscheinlich… na ja, jede sexuelle Perversion Kaibas kenne ich sicherlich und solange er seinen Sex kriegt, ist sein inneres Chaos kontrollierbar. Dass er relativ labil ist, das verneine ich nicht. Aber ein Psychopath?“, seine Augen wandten sich nach oben, „Nein, nein, glaub’ ich nich’… krank ist er, ja, sicher, sadistisch veranlagt, okay, leicht masochistisch, komplett egomanisch, schrecklicher Narzisst, öfters mal depressiv, starke Über-Ich-Störung…“, er legte den Kopf zur Seite, „Solange jemand seine Handlungen überwacht und ihn manchmal zurechtweist, wenn er zu weit geht, weil er die Regeln des Miteinanders noch lernen muss, ist er eigentlich keine Bedrohung für sich und die Umwelt, also nicht klassisch psychopathisch.“, er richtete sich wieder an Katsuya und schien sein Brainstorming beendet zu haben, „Ich bin mir sehr sicher, dass er dich noch oft und auch tief verletzen wird, aber ich glaube nicht, dass er noch versucht dich systematisch zu vernichten. Dazu hat er dich zu nah an sich gelassen.“

„Warum bewirbst du dich nicht an der Uni und studierst Psychologie?“, fragte der Blonde ruhig nach – das musste er jetzt endlich mal wissen.

„Keine Lust.“, meinte der Ältere und befahl den letzten Angriff auf Katsuya, dessen Lebenspunkte damit auf null gingen, „Sechs Jahre Studium für nichts und wieder nichts, drei Jahre Ausbildung in Verhaltenstherapie – die ich nebenher nicht gerade mag – damit man anerkannt therapeutisch arbeiten kann – vergiss es. Psychotherapeut ist kein geschützter Titel, ich könnte jederzeit diesen Beruf ergreifen, ohne jegliche Ausbildung. Das kann jeder. Deswegen gibt es ja auch so viele Pfuscher. Ich könnte schon morgen anfangen, wenn ich wollte.“

„Warum tust du es nicht?“

Der Rothaarige zuckte mit den Schultern.

„Als männlicher Edelprostituierter verdient man weit mehr. Warum sollte ich Leute therapieren?“

„Weil es dir Spaß macht?“

„Mich mit Problemen Unbekannter zumüllen zu lassen? Freunde gern, aber ich habe Psychologie nicht erlernt um Fremden zu helfen.“

„Aber jeder Freund war irgendwann ein Fremder…“, warf der Jüngere kleinlaut ein.

„Katsuya, merke dir die Grundregel jedes Therapeuten: Niemals und unter keinen Umständen darf man eine persönliche Beziehung zu einem Patienten aufbauen, sonst funktioniert keine Therapie. Und ich nenne niemanden Freund, der keine Ahnung von mir hat.“

„Habe ich denn Ahnung von dir?“, flüsterte Katsuya.

Freundschaft

Huch, beinahe hätte ich das nächste statt diesem hochgeladen... ich bin leicht unkonzentriert heute. Unsere Dreharbeiten wurden heute beendet, ich war auf einer Autorenlesung und habe die Metro geplündert - ich dachte nicht, dass das so anstrengend sein könnte ô.o

Nun, hier ist also das richtige Kapitel und Samstag gibt es leider nicht das nächste, aber dafür Sonntag.

Ansonsten wollte ich kurz die Daten meiner Veröffentlichung durchgeben: Schreibtalente, Patmos Verlaghaus (so ist es richtig v.v), ISBN 978-3-7941-7064-7, Seite 111 ^.- Sehr spannend ist es nicht, aber das Buch kann ich allen Schreibanfängern als Übung und Orientierung empfehlen, denn die Themenauswahl ist breit gefächert und die Schreibstile sind alle sehr unterschiedlich.

Aber jetzt langsam mal zum Kapitel - ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen ^.-
 

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Yami schob seine Karten zur Seite, verschränkte seine beiden Arme auf dem Boden und legte den Kopf darauf.

„Wenn du Fragen hast, frag’.“

Der Blonde atmete tief durch, stützte seine Ellbogen auf seine Knie, die er im Schneidersitz verknotet hatte und platzierte sein Kinn auf seinen geballten Fäusten.

„Weißt du, als Kaiba die Karten für mich gekauft hat, waren wir im Laden deines Großvaters.“

Die Augenlider des Älteren zuckten leicht und verengten sich minimal – er musste vorsichtig sein.

„Er ist ein sehr netter Mann und war begeistert, als ich sagte, ich sei ein Freund von dir. Er hat gleich gefragt, wie es dir geht. Und er bat mich dir auszurichten, dass du ihn jederzeit besuchen kannst und dass er dann auch nicht fragt, warum du weggelaufen bist.“

Der Rothaarige verdrehte die Augen.

„Was denkst du darüber?“

„Er ist ein alter, debiler Sack, das denke ich.“, spie er dem Jüngeren die Worte entgegen, „Ich kann ja zu ihm gehen und du kommst mit. Ich kann dir sagen, wie das abläuft: Er kommt mir entgegen gerannt, nimmt mich in den Arm, küsst mich links und rechts, fragt, wie es mir geht, ich sage gut, er bittet uns zum Tee und dann gibt es eine Runde Smalltalk. Was ich denn jetzt so mache, dann ist er ganz geschockt, wenn ich ihm die Wahrheit sage und guckt mich mit seinen großen Augen an. Dann die Frage, ob mir das denn gefällt. Und wenn ich ja sage, ist er vollkommen erschüttert. Er nippt gut eine halbe Minute lang an seinem Tee und fragt dann, ob ich gut verdiene. Wo ich denn wohne und die genaue Beschreibung meiner Wohnung. Ob ich denn eine Freundin habe, worauf er wieder total aus der Bahn geworfen ist, wenn ich sage, dass ich schwul bin. Dann sagt er, dass er das doch immer für eine Phase gehalten hat und dass es das wohl auch jetzt ist und dass das schon wieder vorbei geht. Und spätestens da bin ich so angekotzt, dass ich ihn zusammen schreie und ihn sitzen lasse. Er ist einer der Menschen, die mir so auf die Nerven gehen, dass ich nicht lange ruhig bleiben kann, obwohl ich das ja sonst immer bin.“

Katsuya schluckte.

Die Meinung war eindeutig.

„A… aber… wenn du ihm vorher einen Brief schreibst, in dem du das alles beschreibst, damit er es bis zum Treffen akzeptieren kann?“

„Dann ist es noch beschissener, weil er dann fragt, ob ich vielleicht Hilfe brauche und er hätte da einen guten Psychologen, bei dem ich mich wegen meiner Störungen melden könnte. Und wenn ich ihn freundlich darauf hinweise, dass ich mit meinem Leben vollkommen zufrieden bin, dann kommt die berüchtigte Frage, ob mein Umfeld mich nicht widerlich findet. Dann guckt er dich mit seinen mitleidigen Augen an und sagt dir, dass man mich auch mit meinen so genannten Störungen mögen kann, ich sei doch ein guter Junge. Und wenn du sagst, dass dich das alles gar nicht stört, dann lobt er dich für deine große Toleranz. Dann sagst du, dass du selber schwul bist, weil auch du kurz vor’m Ausrasten bist und er sieht dich ganz überrascht an und fragt dann, ob du denn mein Freund wärst. Und egal ob du ja oder nein sagst, er fragt dich, ob denn der Sex mit mir gut ist. Ich knurre ihm dann entgegen, dass wir nicht miteinander schlafen und dann kommt die nächste berüchtigte Frage, ob es zwischen Männern nicht immer nur um Sex ginge und das wäre dann der nächste Moment, wo ich ihn sitzen lasse. Er kann ja freundlich sein, wie er will, aber er ist vollkommen oberflächlich. Bei dem, was er sagt, interessiere ich ihn nicht. Bei ihm zählen nur das Ansehen, das Einkommen und dass alles schön ist.“
 

Katsuyas Blick weilte auf dem Boden.

Hatte er sich so sehr in dem alten Mann getäuscht? Eigentlich sah er doch ganz einfühlsam und verständnisvoll aus. Ein Opa zum Liebhaben.

Anscheinend war er das nicht…

„Smalltalk kann man super mit ihm führen. Und wenn du die neuesten Geschichten über die Nachbarin hören willst. Und dass ja jetzt eine Frau in der Nähe eingezogen ist, die allein erziehend ist. Und was für ein Mensch das wohl wäre, wenn sich der Mann von ihr trennt, obwohl da ein Kind ist. Dass er solche Leute ja gar nicht verstehen könnte und dass man ihnen besser die Kinder wegnehmen sollte, weil sie ja sonst vollkommen gestört aufwachsen und schließlich noch homosexuell werden oder sich tätowieren oder Schlimmeres. Und dass in die Wohnung neben der von sonst wem ja jetzt ein chinesisches Ehepaar eingezogen ist. Und dass ja alle Chinesen rüberkommen, weil sie in ihrem Land nichts kriegen. Ach, die armen Menschen. Eigentlich sollte man für sie Spenden sammeln gehen. Und dann liest er Zeitung und da ist ein Artikel über einen Selbstmörder, der sich vom Hochhaus geschmissen hat. Und was das doch wieder für eine Geldverschwendung wäre, weil man da den ganzen Bürgersteig reinigen müsste. Und ganz in der Nähe wurden ein paar Kinder ausgesetzt gefunden? Meine Güte, noch mehr Mäuler in den Waisenheimen zu stopfen. Und es gab einen Flugzeugabsturz über dem Meer? Hach, die Fluggesellschaften schlampen auch immer mehr mit den Überprüfungen der Motoren. Merkst du, was ich sagen will? Ist ja richtig toll, dass man sich mit ihm über jedes Thema unterhalten kann. Er hat zu allem was zu sagen und was er nicht weiß, das weiß er zumindest besser. Aber wirklich mit ihm reden? Das ist nicht möglich. Wenn du Angst vor einer Prüfung hast, dann fragt er, ob er helfen kann beim Lernen, und wenn du sagst, dass du alles gelernt hast, ist es für ihn erledigt – warum denn dann noch Angst haben? Der Mann hat das Fühlen verlernt. Und nicht nur er, meine ganze Familie kann das in Perfektion. Da kann man doch nur durchdrehen auf Dauer.“

Man konnte das Fühlen… verlernen?

Hieß das, irgendwann konnte er es mal?

Konnten sie es alle mal?

„Konnten sie denn vorher fühlen?“

„Ja.“, meinte Yami mit einem Lächeln, „Aber die Gehirnwäsche wirkt irgendwann auf jeden, wenn er nicht flieht. Und ich bin da weg, bevor es auch mir das Lichtchen der Vernunft auspustet.“

„Aber du bist doch ein sehr einfühlsamer Mensch…“, meinte Katsuya leise.

„Danke, Kleiner. Und ich danke auch allem und jeden, der mir meinen Verstand erhalten hat. Ich habe oft in meinem Leben meine Gefühle einfach weggeschaltet, sonst hätte ich es nicht überlebt. Aber ich kann es steuern und das ist das Wichtige. Und bevor ich jemals meine Gefühle verliere, will ich lieber tot sein.“

„So klein bin ich nicht…“, murmelte der Blonde.

„Ich weiß. Darum bitte ich auch dich mich zu warnen, sollte ich die Fähigkeit zum Fühlen jemals verlieren.“

Katsuya schaffte nichts anderes mehr als stumm zu nicken, während er die Tränen zurückhielt.
 

„Wie kann man… das verlieren?“, fragte der Jüngere nach einiger Zeit, als er sich wieder gefangen hatte.

„Im Gehirn gibt es ein paar kleine Teilchen, die heißen Spiegelneuronen.“, setzte Yami zu einer fachlichen Erklärung an – seine Stimme war definitiv selbstsicherer als vorher, „Sie befähigen den Menschen zu fühlen. Wenn ein Kind hinfällt und sich das Knie aufschlägt, dann empfindest du Mitleid, denn dein Körper lässt dich den gleichen Schmerz spüren. Mit mehr Spiegelneuronen mehr, mit weniger natürlich weniger. Je mehr Spiegelneuronen du hast, desto besser kannst du das Kind verstehen und mehr auf es eingehen. Manche Leute haben von Geburt an viele Spiegelneuronen, andere bekommen sie durch intensiven Kontakt mit anderen Menschen, besonders denen, den es schlecht geht. Zu viele Spiegelneuronen machen dich sensibel, zu wenig machen dich kalt für andere. Aber wenn du dich nicht um deine Spiegelneuronen kümmerst, also wenn du dich auch keine gefühlvollen Bindungen mehr einlässt, wenn du wenig unter die Menschen gehst oder wenn du oft – wie zum Beispiel bei einem Ballerspiel – sie einfach wegschaltest, dann beginnt dein Körper sie abzubauen und du fühlst immer weniger. Und das Schlimmste ist natürlich, wenn du als Kind wenig Gefühle empfängst, also wenn deine Eltern dich zum Beispiel ignorieren und vernachlässigen, denn dann baust du erst gar keine auf. Das kann nachgeholt werden, aber meistens sorgt es schon für eine ziemliche Schädigung. Da ist es sogar besser, dir wird Hass entgegen gebracht, dann lernst du wenigstens das Fühlen, auch wenn es auf eine traurige Art geschieht. Und ist die Spiegelneuronenzahl einmal zu tief, wird der Mensch wahnsinnig oder vollkommen verbittert. Und es wird sehr schwer ihn jemals wieder aus diesem Loch zu holen.“

Katsuyas Kinnlade war langsam nach unten gewandert.

„Bevor du fragst: Ja, Kaiba hat zu wenig Spiegelneuronen. Gehabt auf jeden Fall, denn früher ist nur sein Bruder zu ihm durchgekommen. Was mittlerweile ist, kann ich nicht sagen. Oft ist er schrecklich kalt, aber manchmal wirkt er auch unglaublich sensibel. Er verwirrt mich.“

Das Puzzle setzte sich zusammen…

„Er hat gesagt, er braucht mich. Für seine Psyche. Will er seine Spiegelneuronen durch mich wieder aufbauen? Er sagt, er mag mein Lächeln.“

„Gut möglich. Ich glaube nicht, dass er Ahnung von Spiegelneuronen hat, aber er fühlt sicher etwas in die Richtung, was er nicht erklären kann.“

„Aber… dann hätte dafür jede anderen Person gereicht. Warum ich?“

„Vielleicht ist das noch nicht alles. Ich bin sicher, es gibt noch mehr an Gründen. Auf jeden Fall bist du ein sensibler Mensch, das macht dich sehr geeignet für den Aufbau von Spiegelneuronen.“
 

Katsuya, der seine Karten auch wieder eingepackt hatte, legte sich neben seinen besten Freund und kuschelte sich ein wenig an ihn.

„Irgendwie komm’ ich mir benutzt vor.“

War ja wohl verständlich, oder?

Kaiba brauchte ihn für sich selbst, Ryou wahrscheinlich auch irgendwo, schließlich wurde er durch ihn sichtbar stärker, Yami schien ihn auch gebrauchen zu wollen…

„Ich denke, das ist eine Frage der Einstellung.“, meinte der Ältere und legte einen Arm über Katsuyas Schultern, „Die ganze Welt missbraucht dich für irgendetwas.“

Das hatte Kaiba auch gesagt…

„Benutzt wird man, wenn man nicht genug zurückkriegt. Gebe ich dir nicht genug? Würdest du gerne etwas ändern?“

„Du doch nicht!“, meinte der Blonde schnell, „Du wärst ja wohl der Letzte, bei dem ich sagen würde, ich erhielte nicht genug. Nein, Kaiba meine ich. Wenn er nett ist, dann ist es einfach nur schön mit ihm, aber wenn er schlechte Laune hat oder bewusst gemein ist… das ist echt nicht gerade angenehm.“

„Aber Kaiba wird doch allgemein immer netter, oder?“

„Na ja… schon…“

„Vielleicht hält die Entwicklung ja an. Verlange nicht gleich den Himmel. Ich denke, Kaiba bessert sich, wenn er es will. Und derzeit sieht es doch so aus, als würde er es wollen – oder nicht?“

Der Jüngere seufzte und ließ sich von Yami den Kopf kraulen.

„Du hast Angst, dass er plötzlich nicht mehr will, richtig? Dass er dich dann nicht mehr mag und dich verstößt?“

„Natürlich…“, murmelte der Blonde, „Ich bin doch vollkommen abhängig von ihm… und unsicher. Es verändert sich so vieles, so schnell…“

„Und du fühlst dich wie in einem riesigen See, indem du immer weiter versinkst ohne etwas dagegen tun zu können.“

„Ja!“

Yami verstand ihn doch wirklich immer.

Yami war einfach nur ein Wunder der Natur.

Ein kleines Geschenk an ihn, damit er aufrecht blieb.
 

„Du würdest Kaiba sicher gern einschätzen können. Aber bei allem, was er sagt, weißt du nicht, ob er es spielt oder ernst meint.“

„Ja…“, Katsuya wandte den Blick zu Boden.

„Was denkst du denn, was er von dir denkt?“

„Tja… ich glaube, er mag mich. Also, irgendwie bin ich für ihn wichtig. Aber es ist kaum eine Woche her, dass ich wegen ihm beinahe mein Leben beenden wollte! Was soll ich denn da denken? Und dann die Sache mit dir, er war so stocksauer, ich hatte richtig Angst vor ihm. Und urplötzlich ist er wieder nett, weil er bemerkte, dass das alles eigentlich vollkommen unwichtig ist und er sich eigentlich darüber nicht aufregen muss. Dann ist er so freundlich und einfühlsam und wundervoll und… ich bekam schon Angst, er würde meinen Herzschlag hören, so laut war das. Ich liebe ihn, ich habe Angst wegen ihm, ich verachte ihn, ich bin sauer, eifersüchtig, gekränkt und dann kann ich wieder nur von ihm schwärmen. Mein Leben und meine Gefühle fahren Achterbahn mit mir. Ich habe das alles noch nie gefühlt und es macht mir Angst! Ich bekomme Angst vor mir selbst! Ach, verdammt…“

„Komm her.“, meinte Yami nur und schloss den Jüngeren in seine Arme.

Seine Hand kraulte weiter durch die blonden Haare, während Katsuyas Kopf in seiner Halsbeuge lag. Zarte Lippen küssten auf die Schläfen des Größeren. Wenn man bedächtig lauschte, konnte man sogar den Herzschlag des Älteren vernehmen.

„Weißt du…“, begann der Rothaarige leise, „Früher war es einfacher mit ihm. Er war einfach nur kalt. Wenn jemand starb, dann war er für ihn ein Schwächling, der es nicht geschafft hat den Tod abzuwehren. Er hatte keinen Respekt vor dem Leben und hielt nichts von Gefühlen. Rate mal, wo er seine drei Drachen her hat. Von drei ziemlich armen Menschen. Einem hat er die Firma weggenommen, einen hat er in den Selbstmord getrieben und einem hat er die Karte abgekauft, wobei ich eher vermute, dass er ihn erpresst hat. Die Karte von Opa hat er zerrissen. Okay, Jahre später hat er sie wieder zusammensetzen lassen, irgendwann hat er wohl auch mal Gefühle entwickelt. Aber das war ein langer und schwieriger Prozess. Seine eigenen Leute waren ihm relativ egal, sie waren Personal und sie waren leicht ersetzbar. Wenn jemand ihn betrog, zahlte er meistens mit dem Leben. Natürlich alles auf legale Weise und ohne dass Kaiba sich jemals die Finger schmutzig gemacht hat. Aber lass es dir gesagt sein: Kaibas Weg ist mit Leichen gepflastert. Es ist nicht ungefährlich mit ihm zusammen zu sein. Natürlich hat er seine Firma weggegeben, später auch sein ganzes Geld und nun kaum noch Wirkmacht. Aber sein Name lässt noch heute die Politiker und Wirtschaftsspitzen zittern, er ist ein Genie sonder Gleichen, auch wenn er es meistens gut verbirgt. Würde er sich nur entschließen wieder Fuß zu fassen in der höheren Gesellschaft, er wäre ohne große Probleme schnell wieder eine Weltberühmtheit. Er ist ein Drache und Drachen lassen sich nicht zähmen. Du hast dich auf ein Spiel mit dem Feuer eingelassen und weder Schild, noch Schwert noch Rüstung. Du willst einen Drachen mit einem Lächeln gefügig machen, denn das ist deine einzige Waffe in diesem Kampf. Und alles, was du bisher erreicht hast, ist, dass dieser Drache dich weder frisst noch bei lebendigem Leibe in Stücke reißt. Und wie du vorhin ganz richtig feststellst, liegt das völlig in Kaibas Hand, ob das so bleibt. Also entweder du legst endlich eine Rüstung an, damit dieses Gefühlschaos dich nicht verbrennt oder du lässt es zu und breitest für deinen Drachen die Arme aus.“

„Oder ich mache wie du die Beine breit.“, warf der Blonde leicht verbittert ein.
 

Yami?

Wieso bekam er keinen Kommentar?

Der Blonde drückte ihn von sich und warf einen Blick in sein Gesicht.

„Yami… entschuldige, so… das war doch nicht böse gemeint…“, verunsichert strich er dem anderen über die Wange, auf die sich eine Träne verirrt hatte, „Das sollte ein Witz sein… okay, es sollte keiner sein, aber das war doch nicht ernst gemeint. Ich wollte dich doch nur etwas… bitte, nicht weinen… Yami…“

Doch diesmal war es der Ältere, der sich an die Brust des Jüngeren legte.

„Ich… Yami… wieso weinst du?“

„Das tat weh.“, murmelte der Rothaarige nur.

„Aber du wolltest doch mit ihm schlafen, oder? Ich meine, er hat dich doch nicht dazu gezwungen, oder?“

„Ich weine wegen dir.“, erklärte er mit leicht zittriger Stimme, „Ich habe dir damit sehr weh getan und ich kann es auch mit nichts wieder gut machen. Ich sehe doch, wie sehr dich das belastet. Und es war wohl nicht nur wegen Kaiba, dass du letzte Woche in dieser Gasse gehockt hast und… und…“

„Und vollkommen am Ende war. Und klar, natürlich hat es mich verletzt, dass gerade du es warst, aber du kannst doch nichts dafür. Du wusstest das doch nicht.“

„Aber ich hätte es doch ahnen können bei dem, was du alles von deinem Lehrer erzählt hast…“

„Nein, Yami, gib’ dir doch nicht die Schuld. Kaiba wollte mir wehtun und das hat er geschafft. Und ich habe ihm fast blind vertraut und mich immer wieder verletzen lassen. Und du bist irgendwie in diesen Machtkampf reingerutscht. Aber das hätte niemand verhindern können. Ist halt passiert. Und ich versuch’ mich auch damit abzufinden.“

„Warum kriege ich dann so einen Kommentar?“

„Ich habe einfach nicht nachgedacht. Tut mir Leid. Natürlich nagt das noch ein bisschen an mir… ich meine, als Kaiba zu dir gefahren ist, wir hatten einen ganz schönen Streit. Also, so fast, also, na ja, so was in der Art halt. Und er meinte, wenn du ihn wirklich nicht sehen wolltest, dann hättest du dich ja kaum mit ihm verabredet. Das hat… das tat auch weh. Ich hatte so viele Zweifel und plötzlich wusste ich gar nicht mehr, was ich jetzt denken sollte. Das hat so verdammt geschmerzt. Was, wenn du mich jetzt auch betrügst? Wenn du mich auch allein lässt? Ich hatte echt eine scheiß Angst… tut mir Leid, dass ich so was gedacht habe…“

„Das hätte wohl jeder, ich hätte das mit dir klären müssen, mein Fehler.“, meinte der Rothaarige sofort und begann den Jüngeren wieder zu kraulen, „Der Termin stand noch und ich dachte, das wäre das einfachste es dann mit ihm zu klären. Woher hätte ich denn wissen sollen, dass du plötzlich bei ihm wohnst und so was passiert? Das war wohl einfach ein riesiges Missverständnis.“

Katsuya seufzte nur und platzierte seinen Kopf auf Yamis Oberarm.

Klar, Yami hatte ja gar nicht gewusst, dass er bei Kaiba wohnte. Woher hätte er so was denn ahnen sollen? Wieso war er nicht gleich darauf gekommen?

Manchmal war er echt zu blöd…

„Ich hab’ dich lieb, Yami.“

„Ich dich auch, Kats.“

Love's opposite

Nachdem das letzte Kapitel so eine Überlänge hatte, hier wieder ein normales ^.^"

In diesem Kapitel passiert für meine Verhältnisse mal relativ viel. Und auch einiges wahrscheinlich Unerwartetes. Das nächste Kapitel wird dafür wieder mal ein paar Erklärungen liefern ^.^ Allerdings wird es erst nächstes Wochenende hochgeladen, weil ich ab Mittwoch in Berlin bin.

Bis dann und viel Spaß beim Lesen ^.^
 

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„Ich breite also die Arme für meinen Drachen aus.“

„Gehört er dir schon?“, fragte Yami schmunzelnd, „Ich hoffe, du hast eine starke Kette, sonst rennt er dir schnell weg.“

„Aber Drachen brauchen doch Freiheit.“, murmelte der Jüngere, „Ich kann ihn doch nicht anketten…“

„Du willst darauf vertrauen, dass er immer von alleine zurückkommt?“

„Besser als anketten.“, entschied er.

„Du hast aber keine sehr starke Stellung.“

„Ihm gegenüber? Sind Drachen denn keine treuen Tiere?“

„Na ja…“, Yamis Hand fuhr von unten durch den blonden Schopf, „Okay, wenn der einmal handzahm ist, dann ist er wahrscheinlich ein unglaublich treues Tier. Eine gewisse Kraft hast du damit, aber die Macht behält er.“

„Ich glaube, das ist nun mal so mit Drachen.“, lächelte der Jüngere ihn an, „Dafür habe ich ja dann auch ein richtiges Biest an meiner Seite. Das kann sehr von Vorteil sein.“

„Außer er wird eifersüchtig.“

„Natürlich, außer er wird eifersüchtig…“

Die beiden sahen sich in die Augen, grinsten und brachen in schallendes Gelächter aus.

„Yami… wir haben echt einen… an der Klatsche…“, schaffte Katsuya zu sagen.

„Jupp… ganz schön verrückt…“

„Wir sollten ein Buch über Drachenpflege schreiben.“

Der Ältere nickte nur und versuchte einen weiteren Lachkrampf zurückzuhalten.

„Oh Mann…“, der Blonde schüttelte den Kopf und legte sich wieder ordentlich hin, „Wenn irgendwer uns reden hören würde…“

„Besonders Kaiba…“

„Der risse uns wohl echt den Kopf ab.“

„Yo… Dafür reicht wohl nicht einmal sein Humor.“

„Gerade seiner nicht.“

Sie kuschelten sich wieder aneinander.

„Wie viel Uhr ist es?“, fragte Katsuya schließlich.

„Wann musst du denn wieder zuhause sein?“

„Keine Ahnung.“

„Es ist knapp nach sieben.“

„Shit!“, der Blonde fuhr auf, „Kaiba wollte noch einkaufen!“

„Mein Handy liegt neben der Kaffeemaschine.“

„Darf ich das benutzen?“, sagte er etwas kleinlaut.

„Natürlich. Schnellwahltaste drei.“

„Ähm…“, Yami zog neben ihm beide Augenbrauen fragend nach oben, „Ich habe keine Ahnung, wie man ein Handy benutzt…“

Mit einem Lächeln stand der Ältere auf, rief Kaiba an und gab seinem Freund das Telefon.
 

„Kaiba.“, meldete sich eine kühle Stimme am Apparat.

„Ja, hallo, ich bin’s… Katsuya.“

„Ich errate jetzt mal, dass du bei Yami bist, wenn du von seinem Handy anrufst.“

„Äh… ja.“

„Wir sollten uns absprechen, was deine Tagesplanung angeht.“

„Wär’ wohl günstig…“, Kaiba klang ganz schön kalt am Telefon…

„Und, was willst du?“

„Ja… sie… wir… also, wir müssen doch noch einkaufen…“

„War ich schon.“

„Ach… danke… ähm… wie komme ich nach Hause?“

„Soll das der dezente Hinweis sein, dass du abgeholt werden möchtest?“

„Na ja, ich kann auch den Bus nehmen. Oder die U-Bahn. Was halt fährt.“, toll, er hatte keine Ahnung, was überhaupt in der Nähe hielt.

„Es gibt einen Bus. Aber ich bin eh grad’ im Wagen, da kann ich dich auch abholen.“

„Ähm… ja… danke…“, warum stotterte er hier so rum?

„Bis gleich.“

Tut. Tut. Tut.

Das Handy schaltete von allein auf Gespräch beendet.

„Er ist ein Herzchen am Telefon, nicht?“, fragte Yami mit einer Portion Ironie in der Stimme.

„Ist das immer so grässlich? Ich dachte schon, da würde gleich Eiszapfen aus dem Handy wachsen…“

„Es ist.“, bestätigte der Ältere, „Deswegen schreibe ich ihm normalerweise nur SMS.“

„Ich dachte schon, dass hätte was mit mir zu tun…“, murmelte Katsuya.

„Nur nicht aufregen. Immer schön die Ruhe. Was anderes hilft bei Kaiba nicht.“

„Das kannst du vielleicht, aber ich nicht.“, er seufzte.

„Was soll das eigentlich mit dem Einkaufen?“

„Ich habe einen Ernährungsplan vom Arzt bekommen.“

„Ist der auf Unterernährung abgestimmt?“, fragte der Ältere mit ernstem Gesicht.

„Ich hab’ ihn noch nicht gesehen.“

„Wenn du ihn nicht magst, ich kann dir ’nen neuen schreiben. Habe mich ja auch länger mit Ernährung beschäftigt.“, Katsuya zog eine Augenbraue hoch, „Na ja, ich muss auch ein bisschen auf meine Figur achten. Und es hat einer wirklich ausgewogenen Ernährung bedurft, dass ich so wachse. Und ich bin mit Stolz zehn Zentimeter größer als mein Zwillingsbruder.“

Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen.

„Bei mir steht Sushi drauf, außerdem Algen, Fisch, Obst, Gemüse, viele Vollkorn- und Milchprodukte und selbst Schokolade passt rein. Und einmal die Woche deine geliebten Hamburger, die wir schon seit Monaten nicht mehr essen waren.“

Die bernsteinbraunen Augen begannen zu glänzen und seine Lippen zogen sich zu einem breiten Grinsen.

„Wie wäre es, wenn wir die essen gehen, wenn deine Blutwerte wieder halbwegs in Ordnung sind?“

Und die blonden Haare flogen beim Nicken nur so hin und her.
 

Es schellte an der Tür, als beide bei einem Becher Milch am Tisch zusammen saßen.

Yami nippte ein letztes Mal an seinem Getränk, stellte das leere Gefäß in die Spüle und holte Kaiba in die Küche.

Doch der Blick des Blonden verdunkelte sich, nachdem er erst freudig aufgesehen hatte.

War das denn zu fassen?

Yami sah gut aus, ja, er hatte einen sehr schwungvollen Gang, ja, er war verdammt sexy, ja, aber waren das genug Gründe, dass man zur Begrüßung nicht einmal den Blick hob sondern ihn gleich an dessen Hinterteil kleben ließ?

„Guten Abend…“, knurrte Katsuya leise.

Der Brünette sah auf, zog die Stirn in Falten, sah zu Yami, zu Katsuya, verdrehte schließlich die Augen und verließ den Raum mit dem bissigen Kommentar: „Du bist schlimmer als ich.“

Yami seufzte nur und faltete das Blatt in seinen Händen auseinander.

Währenddessen sprang der Blonde von seinem Stuhl, hechtete zur Tür und stellte sich in den Flur, an deren Wand der Älteste lässig lehnte.

„Okay, Entschuldigung, war wohl übertrieben, aber auf so etwas reagiere ich allergisch!“, meinte der Blonde mit keinesfalls bedauerndem Ton.

„Was ist dein Problem, du kleiner Terrorist?“, fauchte Kaiba zurück und stieß sich von der Wand ab um sich Katsuya gegenüber zu stellen.

„Ist es zu viel verlangt, dass sie sich erbarmen ihren Blick ein paar Sekunden vom Arsch meines besten Freundes fernzuhalten?“

„Ist es zu viel verlangt, dass du vor meinem besten Freund keinen Striptease hinlegst? Lass es, wenn du nicht ernsthaft was mit ihm anfangen willst.“, konterte der Blauäugige, „Oder ist es zu viel verlangt, dass du nicht auf meinem Schreibtisch die Beine breitmachst, wenn mein Büro videoüberwacht ist?“

Katsuya konnte Yamis Blick im Rücken spüren.

„Ihr… ihr Büro ist videoüberwacht?“, stotterte er hervor.

„Wie schön, dass Mutter Natur selbst dir eine Erkenntnis schenkt. Du machst jede Menge Probleme.“

„Sie rauswerfen zu lassen ist leichter als ich dachte…“, murmelte der Blonde leicht geistesabwesend.

„Katsuya, du machst mich kirre…“, erwiderte Kaiba mit einem Seufzen.
 

„Wieder abgeregt?“, fragte er einen Moment später.

„Ja, schon gut… sorry.“, diesmal klang es sogar ernst.

„Dann kann ich ja jetzt wieder Yami anstarren.“, mit einem bösen Lächeln trat der Ältere durch die geöffnete Küchentür.

Katsuya verdrehte nur die Augen und folgte ihm.

Sein Freund war entgegen seiner Vermutung noch immer über das Blatt gebeugt und studierte es aufmerksam.

„Schon einen Tippfehler gefunden?“, fragte der Brünette herablassend.

„Sei vorsichtig, ich bin sauer, Seto.“, warnte der Jüngere von beiden.

„Noch einer?“, Kaiba warf dem Blonden einen Blick zu, „Und warum habe ich mir auch deine Wut eingefangen?“

„Warum weiß ich nicht, dass du mit meinem Bruder vögelst?“

Katsuya traf ein eiskalter Blick, der ihn zusammenzucken ließ.

„Yami, das war einmal und es ist über drei Monate her. Ich rühr’ ihn auch nicht mehr an, versprochen. Kurzschlussreaktion.“, der Brünette warf einen Blick aus dem Fenster, „Was geht es dich eigentlich an, was ich mit deinem Bruder mache?“

„Gegenfrage. Was hätte es dir gemacht, hätte ich damals mit Moki geschlafen?“

Der Jüngste konnte Kaibas Adamsapfel langsam nach unten und schnell wieder hoch wandern sehen.

„Ich hätte dich wegen Kindesmissbrauches verklagt. Yugi ist sechsundzwanzig. Der kann für sich selbst entscheiden.“, erwiderte der Blauäugige mit einer stark unterkühlten Stimme, in der ein fast drohender Unterton mitschwang.

Merken: Nicht über Kaibas Bruder reden.

„Er war mit achtzehn nicht selbstständig, wie soll er es mit sechsundzwanzig sein?“, meinte der Rothaarige vorwerfend und funkelte den anderen mit einem ähnlich kalten Blick an.

„Okay. Er hat sich vollkommen naiv auf mich eingelassen, ich habe sein Vertrauen missbraucht und jetzt klammert er sich in völliger Abhängigkeit an mich. Gefällt dir die Version besser?“

„Entspricht wohl schon eher der Wahrheit.“, stellte Yami trocken fest.

Merken: Niemals mit Yami streiten, der konnte zu gut austeilen.

Kaibas Gesichtsmuskeln zuckten und er wandte sich vollständig dem Fenster zu.

Ein kleiner Stich durchzuckte Katsuyas Herz. War Yami zu weit gegangen?

„Seit wann richtest du deine Aggressionen nicht mehr nach außen?“, fragte der Rothaarige plötzlich besorgt und trat einen Schritt aus den Älteren zu.

„Ich ändere mich halt auch mal, okay?“, schrie Kaiba plötzlich und wandte sich eben so schnell wieder der Scheibe zu, wie er sich von ihr weggedreht hatte.
 

„Entschuldige bitte. So sehr wollte ich dich nicht verletzen.“, sagte Yami sanft und stellte sich neben den Größeren um ihm eine Hand auf die Schulter legen.

„Sag mal, was bringt mir das alles?“, flüsterte Kaiba und richtete seinen Blick stur aus dem Fenster, „Gefühle empfinden, Freunde haben und der ganze Mist. Seit zehn Jahren höre ich den ganzen Tag nichts anderes. Seto, Seto, du musst dich ändern, so geht das doch nicht.“, äffte er verächtlich irgendjemanden nach, „Und, was bringt mir das? Toll, dass ihr euch besser fühlt, aber was ist mit mir? Mir tut das nur weh. Yugi hat’s aufgegeben, Moki ist tot und selbst du fängst an mich anzuschreien. Bin ich so ein hoffnungsloser Fall? Dann wäre es nämlich für alle das Beste, ich würde es einfach lassen.“

Yami erstarrte mit erschrockenem Gesicht.

Kaiba seufzte nur, zog seinen Schlüsselbund aus der Tasche und warf diesen Katsuya zu mit den Worten: „Warte im Wagen.“

„A… Aber…“, der Blonde senkte seinen Blick auf den Schlüsselbund.

„Katsuya, ich will keine Diskussion. Geh. Ich fasse Yami auch nicht an.“

„Das dachte ich auch nicht, aber-“

„Katsuya.“, unterbrach der Ältere in kalt.

Katsuyas Brust hob sich, während er den Kopf zurückzog.

Kaiba schmiss ihn raus.

Er war nicht Teil dieser Welt.

Kaibas Gefühlen…

Wortlos wandte er sich ab und ging Richtung Ausgang.

Kaibas Gefühle.

Kaibas Gefühle.

Kaibas Gefühle.

Kaibas Tränen waren nicht für ihn bestimmt.

Er ließ sich auf eine Treppenstufe sinken, die unweit von Yamis Wohnung lag.

Kaibas Gefühle…

Yami war ein Wunder. Ein echter Freund, wenn man so wollte. Kaibas Freund.

Es war als wäre er geradewegs gegen eine Betonwand der Erkenntnis gelaufen.

Kaiba war einsam.

Yami war einsam.

Sie hatten sich vor ein paar Monaten wieder getroffen.

Kaiba wurde menschlich.

Yami wurde lebenslustig.

Sie liebten sich vielleicht nicht, aber sie brauchten einander.

Kaiba brauchte Zuneigung und Bestätigung.

Yami brauchte etwas um das er sich kümmern und sorgen konnte.

„Alte Glucke…“, ein Träne rann Katsuyas Wange hinab.

Er war es, der sie auseinander gerissen hatte.

Er hatte ihnen das alles genommen.

Es war seine Schuld.

Seine Schuld.

Erkenntnis

Ganz ehrlich? Die neue Seiteneinteilung bei den Textteilen der FFs gefällt mir überhaupt nicht. Da kann ich gut verstehen, dass mein Stil mit den vielen Absätzen zu nerven beginnt. Zumindest in diesem Detail gefiel mir die alte Version besser. (Ansonsten gefällt mir die neue Version aber sehr gut ^.^)

So, aus Berlin bin ich also wieder da, morgen fahre ich weiter nach Bonn, aber ein Kapitel mag ich euch natürlich da lassen. Das nächste gibt es dann, wenn ich wieder zurück bin, d.h. Sonntag Abend (nächste Woche natürlich). Aber jetzt endlich zu diesem Kapitel:

Erkenntnis! Im wahrsten Sinne des Wortes. Und ich bin schon sehr gespannt auf euer Feedback. Viel Spaß beim Lesen ^.^
 

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Seine Schuld…

Das zwischen Yami und Kaiba war so viel mehr als nur Sex.

Gut, das hatte er nicht wissen können. Er hatte Kaiba wegen seines Selbstbewusstseins für stark gehalten. Und Yami… nun, irgendetwas zwischen labil und stabil. Schwer einzuschätzen. Und jetzt?

Yami war stark, Kaiba zwischen labil und stabil.

Okay, er hatte von vorneherein gewusst, dass Yami freiwillig mit dem Brünetten geschlafen hatte, aber dennoch hatte er seinen besten Freund für eine Art Opfer gehalten. Kaiba, das sexwütige Charakterekel. Yami für ihn nicht mehr als ein Haustier. Das war ein Bild, das gut gepasst hatte. Und jetzt?

Sie hatten ihr Seelenheil ineinander gefunden.

Natürlich war es eine wilde körperliche Begierde, die die beiden teilten. Aber es war auch ihre Einsamkeit, die sie zusammen zu vertreiben versuchten. Yami hatte gesagt, er baute seine Energie mit Sex ab. Und Kaiba wollte einfach nur irgendwo seine Masken ablegen und schwach sein dürfen. Aber beide zusammen wollten einfach nur geliebt werden.

Und jetzt?

Jetzt hatte er sie getrennt.

Kein Sex mehr, keine Gespräche, kein Kontakt, wenn er so weitermachte.

Er hatte ihnen ihre Grundlage genommen.

„Verdammt…“, zischte Katsuya sich selbst zu, drückte sich mit der Seite gegen die Wand und ließ seinen Tränen freien Lauf.

Kaiba. Sein Kaiba. Yamis Kaiba.

Er hatte überhaupt keine Ahnung von ihm. Er kannte den Kaibas von damals nicht und den Kaiba von heute auch nicht. Er kannte nichts als seine Maske.

Kaiba, der schöne, charakterstarke Lehrer mit dem großen Ego und einer Vorliebe für Streit und Psychoterror. Kaiba, der Mann, dessen Lächeln nie seine Augen erreichte. Der Kaiba, bei dem jedes Ja ein Amen und jedes Nein eine Zustimmung war. Immer wieder Kaiba.

Und was davon war wahr?

Was war Maske, was war Seele?

Was wusste er eigentlich von dem wahren Kaiba?
 

Wenig – doch wenig hieß nicht nichts. Wenig war ein Anfang.

Wenn Yami jetzt also nicht mehr mit Kaiba schlief – durch seine Schuld, okay, aber daran würde jetzt auch nichts mehr zu ändern sein – dann brauchte Ersterer zwangsläufig eine neue Ablenkung und der Andere ein… ja, was genau brauchte Kaiba eigentlich? Jemand, bei dem er keine Maske tragen musste. Jemand, bei dem er sich entspannen konnte – natürlich! Das war des Rätsels Lösung! Deswegen also die Anspannung. Für Kaiba war es einfach nur anstrengend pausenlos seine Maske aufrecht zu erhalten. Eine Maske entstellte, das hatte er doch selbst gesagt. Wenn Kaiba entstellt war… dann… war dann zwangsläufig seine Selbstachtung auch extrem gering? Könnte es sein, dass Kaiba unter Minderwertigkeitskomplexen litt?

Kaum vorstellbar.

Aber wenn es nun doch so war? Minderwertigkeitsgefühl, Maske, ein noch stärkeres Minderwertigkeitsgefühl, eine noch stärkere Maske… Teufelskreis. Und Kaibas Maske war sehr, sehr stark, wie er selbst wusste. War der Gedanke da so abwegig?

Katsuya wischte sich die Tränen aus seinem Gesicht, denn er hatte längst aufgehört zu weinen und benutzte das Taschentuch, welches er heute mal wieder bei Ryou geschnorrt hatte.

Jetzt nur nicht den Kopf verlieren.

Wenn Kaiba Minderwertigkeitsgefühle hatte… heute Morgen hatte er doch… natürlich! Er sagte, dass Katsuyas Lächeln ihm seine Depressionen vom Leib hielt. Er hatte gar nicht auf den wichtigsten Teil dieser Aussage geachtet. War doch egal, ob Lächeln oder nicht, Kaiba hatte Depressionen! Verdammt, wieso hatte er nicht gleich herausgehört, was man ihm eigentlich sagen wollte?

Minderwertigkeitsgefühle, Depressionen und eine starke Maske.

Dann war das eben… Kaiba hatte gefragt, wofür er eigentlich um sich kämpfte. Und als sie über Masken sprachen, hatte er gesagt, dass eine Maske vielleicht der einfachste, aber nicht der beste Weg war. Hieß das, dass Kaiba versuchte seine Maske zu verarbeiten?

Wenn seine Theorie stimmte, dann hieß es das ganz sicher.

Kaiba war krank.

Und er kämpfte gegen seine Krankheit.

Aber…

Die braunen Augen richteten sich auf das untere Ende der Treppe, während er die Beine an seinen Körper zog und die Arme darum legte.

Kaiba kämpfte allein…
 

Der Blonde legte eine Hand auf sein Herz und spürte es ruhig klopfen.

Pamm.

Pamm.

Pamm.

Ruhig und gleichmäßig. Immer derselbe Takt, derselbe Rhythmus, der nur manchmal aus der Bahn lief. Doch hier und jetzt – geordnet.

Bedürfnis sechster Ebene: Ordnung und Ästhetik.

Und jetzt sollte er erstmal seine Gedanken ordnen. Derzeit türmten sie sich auf wie meterhohe Wellen, die über ihm zusammen zu brechen drohten. Das war viel zu viel auf einmal. Reizüberflutung.

Kaiba war ein völlig anderer Mensch als er gedacht hatte.

Nur wer kannte diesen Menschen außer ihm?

Kaiba selbst schien sich einigermaßen zu kennen, sonst hätte er all das nicht über sich sagen können. Er beschäftigte sich anscheinend recht viel mit seinem Selbst – ebenfalls entgegen seiner Erwartungen. Yami kannte diesen Kaiba, aber erkannte ihn nicht. Wie er selbst sagte, er war verwirrt. Er konnte sich die zeitweilig auftretende Sensibilität nicht erklären. Wohl ganz im Gegensatz zu Yugi – der wirkte doch glatt so als kannte er den wahren Kaiba einigermaßen. Obwohl er auch das nicht mit Sicherheit sagen konnte. Und allen anderen war er wohl schlichtweg ein Rätsel.

Tja, und Katsuya selbst?

Kaiba hatte vor ihm geweint. Nur kurz, wahrscheinlich komplett gegen seine ursprüngliche Intention und doch – er hatte es fraglos getan. Und nicht um den Jüngeren zu verwirren oder in die Irre zu führen, sondern weil er nicht anders gekonnt hatte. Wenn man jetzt mal die sensible Seite als den wahren Kaiba sah und die kalte als den gespielten… dann, ja dann, dann hatte sich Kaiba ihm gegenüber sehr geöffnet.

Und jetzt kam wieder die Frage nach dem Warum.

Der Braunäugige seufzte.

Irgendwie drehte er sich im Kreis, oder?

Nun, eigentlich noch nicht.

Kaiba hatte gesagt, er brauchte Katsuya. Yami vermutete fehlende Spiegelneuronen dahinter, die er aufzubauen versuchte. Wenn der Brünette aber sehr sensibel war, hatte er zwangsläufig auch viele Spiegelneuronen. Und wenn er nun viele hatte und eine Maske trug, dann hieß das, er versuchte sie zu unterdrücken. Und wenn er gleichzeitig einsam war und nach Nähe suchte, versuchte er sie auf der anderen Seite aber auch zu fördern. Bei allen Göttern, welch eine himmelschreiende Gegensätzlichkeit…

Konnte das stimmen? War es möglich, dass ein Mensch etwas wollte und das Gegenteil davon tat? Dass er jemanden von sich stieß, wenn er Nähe wünschte?

Katsuya schüttelte traurig lachend den Kopf.

Das fragte er sich selbst gerade nicht wirklich, oder?

Was tat er denn schon sein ganzes Leben?

Und was nun, wenn Kaiba ebenso wie er selbst die Welt dafür verfluchte, dass sie ihn nicht liebte?
 

Bei allen Göttern.

Er war so unglaublich dumm.

Wie konnte gerade er das noch nicht erkannt haben?

Jahrelang als Punk unterwegs mit einem unbändigen Hass auf die verdammte Scheinheiligkeit der ganzen Gesellschaft und eigentlich nur in der Hoffnung, dass ihn eines Tages jemand finden und akzeptieren würde. Alles, was er wollte, war Liebe.

Alles, was Kaiba wollte, war Liebe.

Er hatte nur einen anderen Weg gewählt das auszudrücken.

Wieso verdammt noch mal erkannte er das erst jetzt?

Wenn man genau darüber nachdachte, er stand dem Lehrer doch fast mitten ins Gesicht geschrieben. In Leuchtschrift. Wie oft schon hatte Kaiba unbewusst nach Nähe gesucht, wie oft hatte er das vollkommen übersehen? Erst jetzt fiel es ihm auf.

Im Nachhinein.

Und, was brachte ihm das jetzt noch?

Katsuya seufzte tief.

Fehler waren dazu da, dass man aus ihnen lernte – wenn er all die Zeichen in der Vergangenheit ignoriert hatte, konnte er sie hoffentlich in der Zukunft besser sehen. Nicht hoffentlich! Was hatte Ryou ihm beigebracht? Nicht hoffen, handeln. Er musste die Zeichen in Zukunft sehen. Er musste einfach.

Und er würde.

Wenn Kaiba wieder nach Nähe suchte, dann war es genau diese Nähe, die er ihm geben würde. Wie wusste er vielleicht nicht, aber keinesfalls würde er es mehr tatenlos übersehen.

Obwohl… wenn man es nun mal ehrlich betrachtete… er war manchmal drauf eingegangen. Unbewusst vielleicht, aber er hatte es getan.

Er hatte die Arme für seinen Drachen bereits ausgebreitet. Aber er biss zu, wenn der ihm wirklich mal nahe kam. War doch kein Wunder, dass Kaiba ihn rausschmiss, wenn er ihn zwischendurch immer wieder verletzte.

Zum Beispiel das eben mit Yami. Er hätte Kaiba auch freundlich darauf hinweisen können. Er musste ihn nicht gleich anschreien. Wenn Kaiba wirklich so sensibel war, würde er auch das schon verstehen. Bei sensiblen Leuten musste man nicht hart vorgehen, damit man sie strafte. Ein bisschen Missmut reichte da doch sicher schon.

Hm…

Jetzt musste seine These nur noch stimmen – try by doing. Er musste es einfach ausprobieren. Wenn Kaiba auf ruhige Kritik ansprang, konnte er zumindest nicht kalt sein.

Also – auf in den Kampf!
 

Katsuya klingelte an Yamis Tür.

„Wer ist da?“, schallte es zurück.

„Ich bin’s.“

Wenn ihn nicht alles täuschte, flüsterten die beiden in der Wohnung kurz, bevor ihm aufgemacht wurde.

Kaiba saß in der Küche auf einem der Stühle, den Kopf mit einem Arm auf die Tischplatte gestützt und rührte in seinem Kaffee, von dem er den Blick auch nicht abwandte.

„Geht es ihnen besser?“, flüsterte Katsuya, der sich einen Stuhl heranzog und daneben setzte.

„Was interessiert dich das?“, erwiderte der Ältere nur tonlos.

„Ich habe mir Sorgen gemacht.“

Die blauen Augen richteten sich langsam auf den Blonden, während sich Kaibas Miene um keinen Millimeter verzog, bis er schließlich fragte: „Warum?“

„Sie sahen so down aus. Wenn ihre Maske nachlässt, muss es ihnen schon wirklich schlecht gehen.“, volle Kraft voraus…

Kaibas linkes Augenlid zuckte kurz, während die Haut seiner Wangen gespannt wurde und seine Lippen sich leicht zusammendrückten.

„Ich wollte mich noch einmal ordentlich entschuldigen, dass ich sie vorhin so angefahren habe.“, Katsuya legte einen Arm auf die Tischplatte und seinen Kopf darauf, sodass er zu seinem Lehrer aufsehen musste, der noch immer gebückt saß, „Ich glaube, ich war ein bisschen harsch.“

„Hm…“, murmelte der Brünette tonlos und wandte sich wieder seinem Kaffee zu.

„Hat Yami schon erzählt, dass ich ihn zu einer Runde Magic&Wizards überredet habe?“, Kaibas Augen suchten die seinen über den Becherrand, „Ich habe zwar haushoch verloren, aber lustig war es trotzdem. Spielen sie nachher auch noch eine Runde gegen mich?“

So angespannt war der Ältere selten.

Als würde er jeden Moment einen Angriff erwarten.

Wenn seine These stimme, müsste Kaiba jetzt extrem unsicher sein und sich fürchten durchschaut worden zu sein. Konnte das sein? Seinen Gesichtsausdruck nach zu schließen eigentlich ja. Aber vielleicht sponn er sich hier nur etwas zusammen… vielleicht. Vielleicht auch nicht.

„Wollen sie vielleicht nach Hause?“, fragte der Blonde, nachdem er auch nach gut dreißig Sekunden keine Antwort erhalten hatte.

Und wieder keinen Ton.

Kaiba sah ihn nur an.

Mit einem Seufzen griff Katsuya nach dem Autoschlüssel, den er noch in der Tasche hatte und hielt ihn dem Größeren demonstrativ vor die Nase.

Keine Reaktion…

Invisible

Bonn war toll ^v^ Und auch nicht allzu schlimm für euch, weil ich auf nicht allzu viele neue Erkenntnisse gekommen bin. Ich kann euch jetzt erzählen, dass Gott 1 und Addition ist und Sohn Gott 2 und der heilige Geist die Harmonie und so weiter, aber ich glaube, das wird ein bisschen zu abgehoben. Ihr bleibt von solchen Ergüssen also verschont ^.- Nur zum Merken: Gott ist alles in allem, die Welt ist ein Prozess an sich und Philosophie ist eine Droge.

Bei den Nebensequenzen wird es auch bald weitergehen und hier werde ich Donnerstag das nächste Kapitel hochladen, danach bin ich in Hamburg, also werde ich mich dann wieder nicht melden. Aber dazu im nächsten Vorwort. An dieser Stelle will ich mich erstmal noch für die vielen lieben Kommentare bedanken und ansonsten euch viel Spaß mit dem neuen Kapitel wünschen ^.^
 

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„Der Ernährungsplan hört sich übrigens gut an.“, setzte Yami irgendwann an und reichte dem Jüngsten das Blatt Papier, was er vorhin schon so interessiert studiert hatte, „Das ist ein guter Arzt, den ihr da ausgesucht habt. Mit Verstand und Kenntnis.“

Immer noch keine Reaktion von Kaiba.

„Möchtest du noch einen Kaffee, Seto?“, fragte der Rothaarige und beugte sich zu ihm, „Seto?“

„Nein… danke…“, ohne aufzusehen schob der Älteste ihm den Becher hin, „Wollen wir-“, er brach ab, als er den Schlüssel vor seiner Nase bemerkte, „Ich… lass uns los.“, ohne ein weiteres Wort griff er nach dem Bund, stand auf und ging zur Tür, „Kommst du?“

„Ich muss kurz noch etwas mit Yami besprechen.“

Der Ältere seufzte nur und verschwand.

„Was war das denn jetzt?“, flüsterte der Rothaarige.

„Ich habe eine Theorie.“, eröffnete ihm Katsuya kurz und schmerzlos, „Kann es nicht sein, dass er sehr viele Spiegelneuronen hat und extrem sensibler Mensch ist, der gerade wegen seiner Sensibilität eine Maske trägt? Mit Minderwertigkeitsgefühlen und Depressionen und allem drum und dran.“

Yami blinzelte überrascht, wurde aber schnell wieder ernst und legte die Hand an sein Kinn.

„Was denkst du?“, fragte der Sitzende nach einigen Sekunden.

„Es könnte gut sein… wenn ich so darüber nachdenke, zu seinem jetzigen Verhalten würde es passen. Aber da stellen sich tausende Fragen. War das früher auch so? Er war so unglaublich kalt, dass ich das kaum glauben kann. Nein, damals hat er definitiv kaum Spiegelneuronen. Und woher soll er auf einmal so viele haben? Es müssen Dinge geschehen sein, von denen nicht einmal ich weiß. Okay, ich war ja auch acht Jahre nicht bei ihm. Da muss etwas passiert sein…“

„Ist doch egal.“, entschied Katsuya, „Wichtig ist, wie ich mich jetzt verhalten soll. Was macht man mit einem Sensibelchen?“

„Dein Sensibelchen leidet unter Kontrollzwang und Perfektionismus, das sollte man nicht außer Acht lassen. Es ist wichtig, dass er dein Verhalten nachvollziehen kann. Und wenn du etwas sehr Emotionales tust wie ihn anzuschreien oder zu küssen oder sonst etwas, sag ihm das vorher. Mehr fällt mir gerade auch nicht ein. Auf jeden Fall solltest du nichts Unberechenbares tun.“

„Ich soll ihm sagen, dass ich ihn als nächstes anschreien werde?“, fragte der Blonde mit sarkastischem Unterton und zwei hochgezogenen Augenbrauen.

„Ganz genau.“, Yami studierte das Fenster mit seinen Blicken, „Außerdem solltest du ihn nur sehr vorsichtig kritisieren. Nicht über ihn lachen, ihn nicht beleidigen und nicht vor anderen demütigen oder blamieren. Und ihm immer wieder sagen, dass er dir wichtig ist und ihm das auch zeigen.“

„Das würde ich doch eh nicht tun.“, mokierte sich der Jüngere.

„Wollte es nur gesagt haben.“, der Andere grinste ihn an, „Viel Spaß bei der Drachendressur.“

„Das ist ein Kampf um Leben und Tod.“, erwiderte Katsuya mit einem Seufzen.
 

„Ausgeplaudert?“, fragte Kaiba tonlos, als Katsuya sich setzte und die Tür hinter sich schloss.

„Ja.“, er griff nach dem Gurt und befestigte ihn, „Vielen Dank, dass sie so lange gewartet haben. Und dass sie mich abholen.“

„Und was ist mit dir los, dass du plötzlich einfühlsam bist?“

Strike!

Katsuya wandte sich dem Fahrer mit funkelnden Augen zu.

Seine Theorie war richtig! Kaiba hatte es bemerkt! Er hatte es echt und wirklich bemerkt!

„Ich bin glücklich.“, sagte Katsuya frei heraus, „Ich bin ehrlich glücklich.“

Kaiba, der gerade anfahren wollte, stoppte mit einem harten Tritt auf die Bremse und wandte sich dem Jüngeren zu.

„Was hast du gesagt?“

Er erhielt nichts als ein Lächeln.

„Was heißt das, dass du glücklich bist?“

„Ich habe soeben ein Ziel erreicht, dass ich mir vorgenommen hatte.“, erklärte der Blonde, „Und das macht mich glücklich.“

„Was für ein Ziel?“, fragte Kaiba mit immer noch zusammen gezogenen Augenbrauen nach.

„Ihr Verhalten zu verstehen. Wissen sie noch? Sie sagten, damit wir miteinander auskommen, müssten wir einander verstehen. Das glaube ich jetzt auch. Und ich glaube auch sie langsam zu verstehen.“

„Aha…“, der Brünette lehnte sie zurück und seine Gesichtsmuskeln entspannten sich leicht, „Und, als was verstehst du mich?“

„Ich hatte mir ja schon gedacht, dass sie sensibel sind. Aber ich glaube, sie sind noch sensibler als ich eigentlich dachte. Wegen ihrer Maske dachte ich lange das Gegenteil, aber ich denke langsam den Menschen dahinter zu erkennen.“, antwortete der Blonde vollkommen wahrheitsgemäß.

„Aha… na, wenn du meinst.“, antwortete der Ältere nur und fuhr an.

„Ich habe nicht vor das gegen sie zu verwenden.“, redete der Braunäugige weiter, „Und ich freue mich sehr, dass sie bereit waren mir ein bisschen von dieser Seite an ihnen zu zeigen, obwohl ich wohl sehr auf ihren Nerven rumgetrampelt bin. Und ich danke ihnen, dass ich so wichtig für sie bin, auch wenn ich noch nicht weiß, warum und warum gerade ich. Und dass sie mir verziehen haben… dafür wollte ich mich auch bedanken. Und nach all dem, was geschehen ist, hoffe ich, dass wir ab jetzt friedlich miteinander wohnen können. Und… nein, das war eigentlich alles.“

Was sollte er denn bitte noch sagen? Ach ja, er liebte ihn über alles, sollte er vielleicht auch noch wissen – sehr witzig.

Kaiba schwieg.

Irgendwie hatte der Blonde ja auch nichts anderes erwartet. Das musste der Ältere jetzt sicher erstmal verarbeiten. Denn wenn er ihn nun annahm, dann würde alles ganz anders werden. Dann würde alles anders werden…
 

„Danke.“

Kalt, mehr gemurmelt als geflüstert, kaum hörbar.

Aber definitiv ausgesprochen.

Kaiba hatte sich soeben bedankt.

Und Katsuyas Herz machte Loopings – würde der Ältere jetzt noch im Auto sitzen, er hätte für nichts garantieren können.

Aber das tat der ja nicht mehr. Der Brünette hatte es gesagt, kurz bevor er die Fahrertür zuschlug und zum Kofferraum ging. Und dennoch war es mehr – weit mehr – als Katsuya als Reaktion erwartet hatte. Er hatte vermutet Kaiba würde das Thema ausschweigen.

Mit einem breiten Lächeln stieg auch der Blonde aus, bevor er seinem Lehrer beim Auspacken zur Hand ging.

Das Leben war schön.

Es war einfach nur schön!

„Grins’ nicht so.“, grummelte der Drache und drückte seinem Schüler zwei Taschen in die Hände.

„Ich bin aber glücklich.“, rief der Jüngere erfreut.

„Du nervst.“, moserte der Größere weiter, während er die Haustür aufschloss.

„Ich weiß.“, meinte Katsuya weiterhin grinsend, „Ich vertreibe aktiv Depressionen.“

Stahl sich da etwa ein ganz kleines Lächeln auf Kaibas Lippen?

„Und jetzt werde ich kochen!“, Katsuya zog den Zettel aus seiner Jackentasche, „Mal sehen… Donnerstagabend, Feldsalat mit Lachsfilet. Mit Croutinos und italienischen Kräutern in Walnussöl.“, er blinzelte kurz und sah zu dem Anderen auf, der gerade die Schränke einräumte, „Was sind denn Croutinos?“

„Das spricht man Krotöngs aus.“, verbesserte Kaiba ihn, „Und das sind getrocknete Brotwürfel. Sind in der zweiten Tüte von links aus deiner Sicht. Die Kräuter habe ich auch als Mischung eingekauft.“

„Danke.“, rief der Jüngere vergnügt und ging zu genannter Tüte.

„Du könntest mir auch beim Auspacken helfen.“, knurrte der Andere.

„Gleich.“, entschied Katsuya und wühlte lieber in der Tüte.

„Bist du sicher?“

„Ich muss mal ganz dringend auf Toilette.“, er grinste seinem Gegenüber entgegen und entwischte durch die Küchentür.

„Du machst mich kirre!“

„Ich weiß!“, rief der Blonde zurück und verschwand wirklich ins Bad.
 

„Das schmeckt ja glatt.“, stellte der Lehrer überrascht fest, nachdem er den ersten Bissen erst von allen Seiten gemustert hatte, bevor er ihn zu sich nahm.

„Danke.“, flötete Katsuya nur und begann selbst zu essen.

„Am Suspektesten war mir ja eigentlich dieses Rezept. Fisch in Walnussöl… warum ist die Sauce eigentlich so gelb?“

„Ich habe Orangensaft reingekippt.“, antwortete der Jüngere fröhlich.

Kaiba währenddessen warf seinem Essen einen sehr, sehr kritischen Blick zu.

„Orangensaft ist toll. Multivitaminsaft ist allerdings noch besser. Die perfekte Ergänzung zu einer guten Salatsauce.“, plapperte der Blonde weiter, „Man nimmt ja für Fisch eigentlich Zitrone, aber in Orangensaft mariniert schmeckt es auch. Obwohl das natürlich nur mit Fischen mit wenig Eigengeschmack geht, was bei Lachs ja nicht immer gegeben ist.“

In diesem Falle traf dieser sehr, sehr kritische Blick Katsuya.

„Letztes Schuljahr hatte ich eine wirklich sehr gute Hauswirtschaftslehrerin.“, erzählte dieser weiter, „Die hat uns wirklich viel beigebracht. Dagegen ist unsere jetzige wirklich ein Witz. Können sie sich vorstellen, dass sie uns lehrt, wie man einen ganz normalen Fisch in Öl brät? Das ist doch wirklich was für Anfänger. Frau Ohara dagegen hat uns alle fast zu Spitzenköchen ausgebildet.“

„Aha.“, war Kaibas einziger Kommentar, bevor er das Thema wechselte, „Du solltest übrigens nach dem Essen noch ein paar Tabletten nehmen, die der Arzt dir verschrieben hat.“

„Mach’ ich.“, erwiderte der Blonde nur und schnappte sich noch ein paar Salatblätter aus der Schüssel, „Und sie interessieren sich nicht für Kochen?“

„Ich kann halt keinen Fisch braten…“, murmelte der Ältere.

Katsuya zuckte leicht zusammen.

Oh. Verdammter. Mist. Gerade gegen die Minderwertigkeitsgefühle wollte er doch etwas tun.

„Müssen sie ja auch nicht. Ich koche schließlich. Dafür können sie vieles anderes, das ich nicht kann.“

Kaiba schwieg einfach nur.

„Ich glaube nicht, dass ich zum Beispiel eine Firma führen könnte. Das war doch sicher sehr viel Arbeit. Was muss man als Firmenchef denn so machen?“

„Paar Konferenzen, Bilanzen, bisschen Entscheidungen treffen, Abteilungsleiter einschüchtern… nichts Besonderes.“, meinte der Ältere und widmete sich lieber seiner Schale.

„Ich kann nicht glauben, dass das so leicht sein soll. Sonst könnte das ja jeder.“, versuchte der Blonde es ein zweites Mal.

„Jeder, der dazu ausgebildet wurde. Ja.“

„Und was war das für eine Ausbildung?“

„Keine, die dich zu interessieren hat.“, erwiderte der Blauäugige kalt und warf Katsuya einen mahnenden Blick zu.

Ach, verdammt… wie sollte das jemals etwas werden? Kaiba entschied, wann er sich öffnete und wann nicht. Vielleicht sollte er einfach warten, bis dieser selbst auf ihn zukam. War wahrscheinlich das Beste.

Und doch konnte es das fressende Gefühl in seinem Herzen nicht stoppen…
 

Man sollte niemals Menschen therapieren, die einem nahe standen.

Es tat zu sehr weh.

Yamis Worte trugen eine Menge Wahrheit in sich. Denn was Katsuya spürte, das war Schmerz. Ein Brennen, als würde Säure durch sein Inneres laufen und alles auf seinem Weg einfach wegätzen. Als würde er von innen ausgehöhlt.

Und warum?

Weil Kaiba ihn ignorierte.

Er begann von selbst kein Gespräch. Er antwortete kurz angebunden und sachlich. Und jetzt hatte er sich mit einem Buch ins Wohnzimmer verzogen. Ganz toll.

Ja, er hatte sich früher auch immer zurückgezogen, wenn ihm jemand nahe kommen wollte. Aber eigentlich hatte er doch gewollt, dass man ihm nahe kam. Aber wie hätte man ihm damals nahe kommen können? Ließ sich das überhaupt auf Kaiba übertragen?

Hach, es war zum Verzweifeln.

Was hätte er denn damals gemocht?

Katsuya ließ sich vor dem Sessel auf den Boden sinken.

„Was willst du?“, fragte der Lehrer barsch, nachdem er ihn einige Sekunden gemustert hatte.

„Mir ist aufgefallen, dass sie sehr verspannt aussehen.“, startete der Blonde den nächsten Versuch, „Möchten sie vielleicht massiert werden?“

„Nein.“, zischte der Ältere, drückte sich in den Sessel und hielt sich demonstrativ das Buch vor die Augen.

Katsuyas Blick suchte den Boden.

Und jetzt? Das brachte doch echt alles nichts.

Mit einem Seufzen drehte er sich um und lehnte sich gegen die Sofalehne.

Wie konnte man denn bitte zu Kaiba durchdringen? Ihn ein wenig zu drängen war anscheinend der falsche Weg. Ob er sich wirklich von selbst öffnen würde? Woran konnte man das merken? Das war echt schwer…

Die Lider sanken schwer über die braunen Augen.

Welch eine angenehme Schwärze.

Einfach vergessen, einfach nicht drum kümmern, einfach alle Sorgen zur Seite schieben und ewig schlafen… das war so viel einfacher… das wäre so viel einfacher…

Die Rückseite eines Fingers fuhr leicht über seinen Hinterkopf, bis sie vom Polster gestoppt wurde und vier Finger in sein blondes Haar an seiner linken Kopfseite glitten.

Wie angenehm…

Katsuya ließ sich das kleine Stück nach rechts gegen Kaibas Beine fallen und lehnte sich dort an.

Das war um so viel angenehmer als Sterben.

Einfach hier zu sitzen und diesen Geruch nach Herrenparfüm und Kaiba zu genießen.

Und diese zärtliche Hand, die ihm den Kopf kraulte.

Einfach so… zu fühlen…

Sinne

So, ich gehe dann mal wieder auf Reise ^.^ Ich werde jetzt für anderthalb Wochen nicht da sein, außer mir wird zwischendurch ein PC geliehen und solange wird es demnach auch keine neuen Kapitel geben (außer mir wird eben ein PC geliehen ^.-). Das heißt, dass ich keine Kommentare, ENS, Gästebucheinträge, Mails oder sonstige Nachrichten beantworten kann. Ich mache das aber, sobald ich wieder da bin, keine Sorge ^.-

Ganz herzlich bedanken wollte ich mich für die ganzen Kommentare und deshalb habe ich auch ein Bild gezeichnet, aber das ist leider nicht ganz so gut geworden... vielleicht sieht es sich trotzdem jemand an? Auf jeden Fall gibt es auch bei den Nebensequenzen ein neues Kapitel und ich lade gleich noch ein weiteres hoch ^.^ Und damit wünsche ich euch viel Spaß beim Lesen ^.-
 

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Klatsch.

Ja, doch, das war ungefähr das Geräusch gewesen: Klatsch.

So hörte es sich an, wenn einem ein nasser Waschlappen mitten ins Gesicht geschmissen wurde.

„Waaah!“

Und so hörte sich die beschmissene Person an.

„Kaiba!“

Angesprochener stand maliziös lächelnd am Bett und störte sich nicht einmal an der nicht angemessenen Ansprache.

„Was soll das denn?“, knurrte Katsuya wütend, während er seinem Lehrer den Waschlappen hinhielt, damit er das Ding wegnahm.

„Och, ich wollte dich nur wecken.“, wenn er Kaibas Ausdruck zu beschreiben hätte, er würde sagen, er war hochzufrieden mit sich, „Gut geschlafen, Dornröschen?“

„Ha ha.“, der Blonde verdrehte die Augen, „Sehr witzig.“

„Ich habe meinen Spaß.“, der Ältere nahm das Stofftuch zurück, „Bist du nun wach?“

„Und wenn nicht?“, fragte der Andere herausfordernd.

Kaibas Hand schnellte vor um Katsuya den Waschlappen wieder ins Gesicht zu drücken, doch der wich aus zur Seite – was zur Folge hatte, dass er hintenüber aus dem Bett fiel.

„Ich glaube, jetzt bist du wach.“, entschied der Brünette, der von der Matratze aus auf den Kleineren herabsah.

Frech steckte Katsuya ihm die Zunge raus.

Was verstand Kaiba eigentlich unter dem Begriff wecken? Konnte er einen nicht wenigstens vorwarnen? Aber irgendwie süß war ja selbst das hier.

„Beeil dich, ich habe Frühstück gemacht.“

Definitiv sehr süß!

„Eine Delikatesse…“, der Waschlappen landete wieder in seinem Gesicht, „…gegrillte Froschschenkel.“

Katsuyas zur Faust geballte Hand zitterte gefährlich.

Er. Revidierte. Sein. Urteil.

Mit einem kleinen Aufschrei griff er nach dem Stofftuch und schmiss es hinter Kaiba her – der nur leider schnell genug den Raum verlassen hatte.

Dieser… dieser…

Verdammt, ihm fiel schon wieder keine gute Beleidigung ein!

Dieses hinterlistige, falsche, sadistische Etwas!

Beleidigt stemmte der Blonde die Hände in die Hüfte.

Und was war das jetzt bitte für eine Aktion? Die freundliche Art eines schrecklichen Aufwachens? Kaibas kleine Rache dafür, dass er ihn anscheinend gestern ins Bett tragen musste, weil er im Wohnzimmer eingeschlafen war? Dieser Mann war doch echt nicht zu verstehen…
 

„Ein Bento?“, fragte Katsuya überrascht, „Für mich?“

„Nein, für dein zweites Ich.“, meinte der Ältere mit einem leichten Augenverdrehen.

„Hey, ich stehe unter Schock! Da fragt man komische Sachen.“, verteidigte der Braunäugige sich.

„Der Arzt sagt nun mal, dass du auch in der Schule zwischen den Stunden etwas essen sollst. Du isst sowieso sehr spärlich.“

„Ich bin halt schnell satt. Mein Körper ist so viel Essen nicht gewöhnt.“

„Aber du hast doch zweimal die Woche in Hauswirtschaft ordentlich gegessen und Yami kocht auch für dich.“, sagte Kaiba mit fragendem Unterton.

„Und wann hat man in den Sommerferien Schule? Und Yami habe ich da auch kaum gesehen.“, konterte der Blonde.

Der Lehrer lehnte sich ein wenig vor und legte sein Kinn auf seine ineinander verschränkten Finger, deren Ellbogen auf der Tischplatte weilten.

„Katsuya.“, begann er ruhig und ernst, „Was hast du im Sommer überhaupt gemacht?“

Der Blonde presste die Lippen bis zu einem Strich zusammen.

„Du musst nicht antworten.“, entschied der Ältere und beschäftigte sich lieber mit seinem Kaffee.

„Ich habe Drogen genommen.“, berichtete Katsuya tonlos, „Und Alkohol getrunken. Von beidem relativ wenig, weil ich nichts hatte, womit ich es mir besorgen konnte. Ich lebte von dem, was bei anderen abfiel. Aber mir war das alles so egal, dass ich nicht einmal den Anreiz hatte zu stehlen um an mehr Stoff zu kommen.“

Der Brünette beobachtete ihn über den Rand seiner Kaffeetasse.

„Es war… alles so sinnlos. Trostlos. Ich wollte nicht mal mehr zu Yami. Nicht zu meinem Vater. Keine Prügel, kein Mitgefühl… gar nichts mehr. Ich lag herum und dröhnte mich zu, wenn es ging. Und es ging viel zu wenig.“

„Wolltest du sterben?“, fragte er leise.

„Ja…“, hauchte der Blonde, „Aber ich hatte nicht einmal mehr die Kraft mich umzubringen.“

„Aber du nimmst jetzt keine Drogen mehr, oder? Und trinkst nicht mehr? Warum so plötzlich? Die meisten sagen, es sei sehr schwer aufzuhören.“

„Ich habe nie viel genommen.“, Katsuyas Finger umklammerten fest seinen Becher, „Und mein Wille zu leben war stärker.“

„Der Wille zu leben?“

„Ja…“, ein schwaches Lächeln schlich sich auf seine Züge, „Leben.“

„Und was ist das? Leben?“, fragte Kaiba nach.

„Das weiß ich auch noch nicht so ganz.“, erwiderte der Jüngere mit einem hohlen Lachen, „Aber ich glaube fest, dass ich es herausfinden kann.“

Diesmal war das Lächeln echt.
 

„Und du bist sicher, dass du es schaffst ohne alles auszukommen?“

Kaiba blieb ernst bei dieser Frage. Das war keine Frage um ihn zu verletzen. Diese Frage war nicht böse gemeint.

Woher er das wusste?

Menschliche Intuition? Zu viele Spiegelneuronen? Irgendetwas würde es wohl sein.

„Ja.“, erwiderte Katsuya überzeugt, „Ich schaffe das.“

„Hast du noch Entzugserscheinungen?“, verlangte der Lehrer zu wissen.

„Ähm…“, der Blonde kratzte sich am Kopf, „Sind selten auftretende schwache Krämpfe, schnelle Stimmungsumschwünge, Sensibilität und ein hohes Bedürfnis nach körperlicher Nähe Entzugserscheinungen?“

Kaiba zog eine Augenbraue hoch.

„Was denn? Ich bin kein Mediziner.“

„Mich überrascht eher, wie genau du dich beobachtest.“

„Ist das schlimm?“, der Jüngere verschränkte die Arme, „Ich hatte einige Tage relativ sanfte Entzugserscheinungen, dann nix und zwischendurch ein paar komische Zwischenfälle, aber sonst nichts.“

„Was für Zwischenfälle?“

Katsuya stellte seine Tasse auf den Tisch, rückte sich auf dem Stuhl zurecht und zog die Schultern nach vorne.

„Was meinst du für Zwischenfälle?“, wiederholte der Ältere die Frage mit einem sanfteren Tonfall.

„Mir ist übel geworden. Alles hat sich gedreht. Manchmal die Krämpfe. Und diese Leere…“

„Hast du zwischendurch Halluzinogene genommen?“

„Was ist das?“, fragte der Braunäugige kleinlaut.

„Halluzinationen hervorrufende Stoffe. Alles wird farbig und intensiv und schön oder aber man hat Horrortrips.“

„Kann sein… ich will nicht dran denken.“, murmelte er, schwieg einige Sekunden und blickte wieder zu Kaiba auf, „Haben sie jemals Drogen genommen?“

„Ich?“, fragte der Lehrer überrascht, musterte Katsuyas Gesicht und trank einen Schluck Kaffee, „Ich weiß nicht, ob ich darüber sprechen möchte.“

Die braunen Augen füllten sich mit Trauer und wandten sich der Tischplatte zu.

„Na gut.“, meinte Kaiba mit einem Seufzen, „Ich würde mit zwölf einmal von meinem Stiefvater unter Drogen gesetzt. Ziemliche starke Halluzinogene.“, der Blonde schwieg abwartend, „Er hatte mich in eine Kellerzelle gesperrt, wo ich mich kaum bewegen konnte und es kalt und dunkel war. Die Halluzinogene haben mir alle möglichen Vorstellungen eingebracht. Die Wände kamen auf mich zu, tausende Hände griffen nach mir und versuchten mich durch den Boden zu ziehen. So sind zumindest meine Erinnerungen. Aufgewacht bin ich in der Forschungsklinik der Kaiba Corp., wo man mich ans Bett gefesselt hatte. Nach den Ärzten habe ich versucht Selbstmord zu begehen, indem ich meinen Kopf immer und immer wieder gegen die Wände geschleudert habe.“
 

„Das ist… grausam.“, schaffte es Katsuya einige Sekunden später zu sagen, wobei er den Blick nicht von den blauen Augen abwandte.

„Was?“, fragte der Ältere, „Diese Art von Selbstmord? Dass man mich an ein Bett gefesselt hat statt mich ins Krankenhaus zu bringen? Dass man mich in kalte, dunkle, enge Räume eingesperrt hat? Dass ich solche Horrorvisionen hatte? Dass man mich unter Drogen gesetzt hat? Dass es mein Stiefvater gewesen ist? Dass ich zwölf Jahre alt war?“

„Dass ihre Stimme vollkommen emotionslos ist, wenn sie davon erzählen.“, antwortete der Blonde wahrheitsgetreu, „Dass man ihnen so sehr wehgetan hat, dass sie ihre eigenen Gefühle dazu nicht mehr ertragen.“

„Ich bin das, was man aus mir gemacht hat.“

„Nein!“, widersprach er vehement, „Das sind sie nicht. Sie sind ein fühlendes und denkendes Wesen, kein Roboter und kein besserer Computer. Sie sind das, was sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten sein möchten.“

„Im Rahmen meiner Möglichkeiten? Danke, ich weiß, dass ich ein emotionales Wrack bin.“, der Brünette wandte den Blick ab.

„Auch das sind sie nicht!“, rief der Braunäugige und sprang auf, „Sie wollten fühlen und jetzt fühlen sie. Sie wollten Hilfe und jetzt wird ihnen geholfen. Sie wollten nicht mehr einsam sein und wenn sie es noch sind, dann werden sie es zumindest irgendwann nicht mehr sein. Und wenn die Menschen das nicht sehen wollen, dann ist das verdammt noch mal deren Pech.“

Das Blau musterte ihn kurz, verharrte in seinen Gegenspielern und richtete sich schließlich auf den Kaffee.

„Sie haben gesagt, sie brauchen mich.“, flüsterte Katsuya hilflos, „Hier bin ich. Und ich bin bereit alles in meiner Macht Stehende zu tun um ihnen zu helfen. Aber manchmal brauche ich einen Schubs in die richtige Richtung.“

Mit einem Seufzen schloss der Ältere die Augen.

„Bitte sagen sie etwas…“, Tränen stiegen in die braunen Augen, „Irgendetwas…“

Der Lehrer erhob sich von seinem Stuhl, während Katsuya auf den eigenen zurücksank.

„Bitte…“

Kaiba stellte seinen leeren Becher in die Spülmaschine und begann den Tisch abzudecken, wobei ihn der Jüngere schließlich still beobachtete.

War er zu weit gegangen? Hatte er zu viel gesagt? Hatte er zu viel gewagt? War er zu forsch gewesen? Hatte er Kaiba vor den Kopf gestoßen? Ihn womöglich verletzt? Elende Selbstzweifel…

Katsuya schloss die Augen und vergrub sein Gesicht in den auf den Tisch liegenden Armen.

Wenn er Kaiba nun falsch einschätzte? Wenn er von einer vollkommenen Fehlansicht ausging? Und wenn es doch stimmte? Was, wenn er Kaiba verschreckt hatte? Was, wenn er ihm schadete statt half? Er machte alles falsch…

Kaiba stand neben ihm.

Er sah es nicht, aber er wusste es.

Er würde nicht zuschlagen – doch auf eine mentale Ohrfeige durfte er sich gefasst machen.

Aber auch nach einigen Sekunden… kam keine.
 

Kaibas – wie immer perfekt manikürte – Fingernägel wanden sich wenige Zentimeter unter den Rückenkragen seines Shirts, drückten sich leicht in seine Haut und fuhren diese ohne eine Unterbrechung bis zum Haaransatz hinauf.

Der Jüngere atmete tief ein, hob den Kopf und schmiegte seine Wange an den starken Arm.

„Das weißt, dass hinter dieser Maske namens Seto Kaiba ein Mensch steckt.“, flüsterte der Ältere, „Und das schockt dich wahrscheinlich nicht minder als mich diese Erkenntnis einst geschockt hat. Ganz im Gegensatz zu mir damals möchtest du für diesen Menschen etwas tun.“

Die Hand kraulte sanft seinen Nacken.

„Ich danke dir dafür, denn ich weiß, das ist eine Aufgabe, an der sich manche tot gekämpft haben. Und das meine ich wörtlich.“

Sein Bruder… hatte er wegen ihm Drogen genommen? Weil er an der Maske verzweifelt war? Oder vielleicht sogar an dem Menschen?

„Und deshalb sage ich dir dies: Mach dich nicht selbst kaputt. An erster Stelle stehst du. Und derzeit belaste ich dich. Also lass mich für deinen eigenen Seelenfrieden links liegen, hast du verstanden? Ich kann für mich selbst Verantwortung übernehmen. Wenn ich etwas brauche, dann liegt es bei mir es zu bekommen. Du brauchst dich nicht um mich kümmern. Das kann ich ganz gut alleine.“

Eine Träne lief von Katsuyas Wange in die Rille, die sich zwischen seiner Haut und Kaibas Arm gebildet hatte.

„War das zu schroff ausgedrückt?“, fragte der Ältere etwas freundlicher.

„Das… war eine klare Ansage.“, Katsuyas Augen blieben geschlossen, die Hand in seinem Nacken kraulte ihn weiterhin, „Tut mir Leid…“

„Was tut dir Leid?“, der sanfte Unterton in der Stimme blieb.

„Dass ich ihnen nicht helfen kann.“

„Du hilfst mir mehr als du denkst.“, widersprach der Brünette, „Manchmal hilft ein bisschen guter Wille.“

„Wirklich?“, fragte der Jüngere und öffnete seine leicht verweinten Augen um zu Kaiba aufzusehen.

„Mach’ dir nicht so viele Gedanken, Kleiner.“, ihm wurde ein sanftes Lächeln geschenkt, „Erst einmal geht deine Psyche vor. Denn bevor es dir nicht gut geht, möchte ich dich auch nicht belasten.“

Man konnte vieles von Kaiba sagen – aber nicht, dass er selbstsüchtig und egoistisch war. Zumindest war er es jetzt nicht.

„Dann darf ich fordern?“

Mut haben, Mut haben, Mut haben, Mut haben, Mut haben.

„Auf geht’s.“

Mut haben, Mut haben, Mut haben, Mut haben, Mut haben.

Handeln statt hoffen!

„Darf ich sie vielleicht umarmen?“

Bitte, bitte, bitte, bitte, bitte, bitte-

„Wenn es weiter nichts ist.“, Kaiba öffnete ihm einladend die Arme.

Ob Gebete doch erhört wurden?

Wolf, Hund und Drache

An erster Stelle ergeht hier ein herzlicher Dank an Talia-chan, dass sie mir ihren Computer zur Verfügung stellt - denn sonst würdet ihr dieses Kapitel erst in einigen Tagen bekommen ^.-

Nach dem letzten Kapitel haben sich viele gewünscht, dass ich die Umarmung beschreibe. Dazu kann ich nur sagen: Ich überlasse sie vollkommen eurer Imaginationskraft. Ich wette, ihr könnt daraus eine wunderschöne Szene machen, die ich mit meinen schnöden Worten nur zerstören würde ^.^

Dieses Kapitel würde ich ein Mosaikkapitel nennen. Es besteht aus vielen kleinen Einzelteilen, die zwar einem roten Faden folgen, aber vom Sinn her nicht zusammenpassen. Es geht um Katsuyas Psyche, Katsuyas Verhältnis zu Kaiba, Ryous Psyche, Ryous Verhältnis zu Bakura, Bakuras Psyche und Kaiba stellt das Leitbild dar. Aber da ich ja intelligente Leser habe, vertraue ich darauf, dass ihr damit klarkommt ^.- Das nächste Kapitel hat auch wieder inhaltlichen Zusammenhang.
 

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„Morgen.“, grüßte Katsuya fröhlich beim Eintreten.

„Stört es dich nicht jetzt jeden Morgen eine Viertelstunde vor Schulbeginn da zu sein?“, fragte Isis lächelnd statt zurück zu grüßen.

„So kann ich noch mit schönen Frauen flirten.“, erwiderte der Blonde mit einem Augenzwinkern.

„Du machst mich verlegen, du Charmeur.“, die Ältere winkte ab – schade, bei ihrer relativ dunklen Haut konnte man gar nicht sehen, ob sie errötete.

„Eigentlich komme ich wegen der Bandagen.“, sie blinzelte lächelnd, „Ich weiß nicht, wie ich das jetzt mit dem Duschen regeln soll. Darf ich die morgens immer abmachen und sie verbinden mich jeden Tag neu? Das ist doch eine Heidenarbeit. Und was ist mit den Wochenenden? Außerdem sollte ich bei der Arbeit besser keine Bandagen tragen.“

„Arbeit?“

„Ich kellnere samstags.“, sie hob beide Augenbrauen, „Ich habe eine offizielle Arbeitserlaubnis der Schule.“, erklärte er.

„Reisende soll man nicht aufhalten.“, tat sie das ab, „Hast du vielleicht dein Duschzeug dabei?“

„Vorsorglich eingepackt.“, er lächelte breit, „Na ja… eigentlich… Kaiba hat mir heute Morgen diesen Schulranzen geschenkt, aber außer einem Block und einem Füller und seit neuestem eine Lunchbox besitze ich ja nichts und da war der halt so leer…“, er hob besagtes Stück kurz an.

„Der ist ja hübsch.“, bemerkte sie plötzlich und griff danach, „Sieht ja aus wie ein ganz normaler Lederranzen, wie ihn alle haben, aber dieses Schwarz und die schönen weißsilbernen Zeichen… das ist ein Drache, nicht wahr?“

Er nickte mit leicht roten Wangen.

„Wie süß!“, rief sie aus, als sie das sah und stellte dabei die Tasche wieder ab, „Läuft das gut mit euch?“

Sein abgewandter Blick und die langsam wahrscheinlich hochroten Wangen sprachen sicher Bände.

„Nun ja, zurück zu deinen Bandagen.“, wenigstens bohrte sie nicht weiter… „Ich würde sagen, du gehst nach der Schule in den Sportumkleiden duschen und kommst dann mit allen Binden und Bandagen hier vorbei. Die stecke ich dann schnell in Waschmaschine und Trockner und danach verbinden wir dich neu. Das trägst du über Nacht, machst sie morgen wieder ab, bevor du arbeiten gehst und wir schauen Montag, ob du überhaupt noch welche brauchst.“

„Sie meinen, ich kann ohne rumlaufen?“, fragte der Blonde erstaunt.

„Nun, du hast keine offenen Wunden, die Abschürfungen sahen gestern schon wieder ganz gut aus, die Platzwunde ist nicht wieder aufgegangen und schon ganz gut verheilt, für die Narben kann ich mit Bandagen auch nichts tun, ebenso wenig wie für die Blutergüsse und Stützverbände solltest du eigentlich auch keine mehr benötigen.“, sie nickte mit einem musternden Blick, „Doch, ich denke, du solltest ab morgen keine mehr brauchen.“

Sein Blick weilte bewegungslos auf ihr, während seine linke Hand langsam zu seinem Hals wanderte und über sein Tattoo strich.

Er heilte wirklich…
 

„Ein Schulranzen?“, stellte auch Ryou interessiert fest.

„Ja. Sponsored by Mister Kaiba.“, der Blonde lächelte glücklich.

„Ein interessantes Logo… eigentlich nur silberne Farbflecken, aber zusammen ergeben sie einen Drachen. Und der rote Punkt? Ist das ein Auge?“

Er nickte eifrig.

„Hast du den denn überhaupt verdient?“, fragte der Weißhaarige hinterlistig grinsend.

„Ja, habe ich.“, meinte Katsuya mal selten eitel, „Weil ich so ein braver Schüler bin.“

„Na dann.“, der Kleinere öffnete die Tasche einfach mal und sah hinein, „Ein Handtuch?“

„Duschzeug.“, erklärte der Ältere, „Nach der Schule geht’s zum Duschen und danach werde ich noch mal verbunden. Kannst du dir vorstellen, dass ich bald keine Bandagen mehr brauche? Isis sagt, ich habe sehr gute Selbstheilungskräfte.“

„Herzlichen Glückwunsch.“, Ryou schien bemerkt zu haben, was ihm das bedeutete, „Was hältst du von etwas Gesellschaft?“

„Wo?“

„Sicher nicht beim Duschen.“, meinte er lachend, „Aber beim Warten. Und du kannst mir deine Krankenschwester mal richtig vorstellen.“

„Gern.“, stimmte der Blonde zu, „Machen wir danach zusammen Hausaufgaben?“

„Geht klar.“

„Dann muss ich aber Kaiba Bescheid sagen.“

Der Jüngere zog fragend eine Augenbraue in die Höhe.

„Nun ja, er wünschte, dass er weiß, wo ich mich aufhalte. Also erzähle ich ihm, was ich vorhabe.“

„Ach so.“, er nickte verstehend, „Ich dachte schon, er fällt der Kontrollsucht anheim. Diesen Tick hat Bakura, auch wenn es nicht so schlimm ist bei ihm. Aber es missfällt ihm sehr, wenn er nicht weiß, wo ich bin oder er den Ort nicht kennt oder die Leute nicht, mit denen ich zusammen bin. Er hat halt einen sehr ausgeprägten Beschützerinstinkt.“

„Den Beschützerinstinkt traue ich Kaiba auch zu.“, meinte Katsuya lächelnd, „Aber ich glaube, er nimmt sich für mich zurück. Kaiba weiß ja, dass ich viel Freiheit brauche.“

„Ich glaube, das läuft schon ganz gut mit euch.“

Und schon wieder wurde er rot…
 

Wow.

Einfach nur wow.

Unglaublich, wie glücklich Lehrer sein konnten, wenn man nur einmal aufzeigte. Diese Geschichtslehrerin hatte ja beinahe einen Heulkrampf gehabt und das nur, weil er seine Hausaufgaben vorgetragen hatte. Nun gut, er war auch neben Ryou und einem Mädchen in der ersten Reihe der einzige, der aufgezeigt hatte, das musste man wohl dazu sagen. Und da eben Genannte gleichzeitig auch die einzigen waren, die sich in den Stunden meldeten, war ihre Reaktion zumindest annäherungsweise nachvollziehbar. Vielleicht hatte sie zur Feier dieses denkwürdigen Tages nichts aufgegeben? Egal, eigentlich war ja nur wichtig, dass sie keine Hausaufgaben hatten. Obwohl keine ja nicht gar keine hieß – Sozialwissenschaften und Physik sollten nicht vergessen werden. Ein Glück, dass er Ryou hatte…

„Herr Lehrer Kaiba?“, warum öffnete der Mann nicht beim Klopfen? Der war doch sicher in seinem Büro.

Die Tür wurde von innen aufgeschlossen, aufgemacht, Katsuya in den Raum gezogen – und hinter ihm wieder abgeschlossen.

„Herr Lehrer?“, fragte der Blonde verunsichert.

„Der Direktor sucht mich und soll mich heute nicht mehr finden.“, flüsterte der Ältere eine Erklärung und schob den anderen zum Ende des Raumes, „Der will mich nur wieder um Überstunden bitten.“

Katsuya presste die Lippen zusammen um nicht loszuprusten.

Kaiba versteckte sich in seinem Büro vor dem Direktor? Das war zu gut.

„Und was machst du?“, fragte der Brünette ebenfalls amüsiert lächelnd.

„Duschen gehen, auf die Krankenstation und nachher Hausaufgaben mit Ryou.“, fasste der Jüngere schnell zusammen.

„Wann bist du fertig?“

„Hm… in zwei Stunden?“

Der stellvertretende Direktor seufzte tief, fuhr sich durch die Haare, warf dem Jüngeren einen langen Blick zu ohne sich dabei weiter zu bewegen und entschied: „Dann gebe ich dem Direktor seinen Willen und arbeite weiter.“

„Echt?“, der Blonde legte den Kopf schief, „Sie bleiben für mich?“

„Ich lasse mir Überstunden doppelt bezahlen.“, der Ältere verschränkte die Arme, „Außerdem sind mir diese Bahntickets viel zu teuer und ich habe wahrlich keine Lust heute noch mal zur Schule zu fahren.“

„Danke.“, erwiderte Katsuya mit einem Lächeln.

„Ja ja…“, der Ältere winkte ab.

„Dann geh’ ich mal los.“, meinte der Blonde und schloss die Tür wieder auf um zu gehen.

„Mich findest du hier.“

„Bis später.“, zum Abschied lächelte er Kaiba noch einmal über die Schulter zu.
 

„Ryou!“, rief Katsuya, der auf Genannten zu rannte.

Der Weißhaarige, der bereits kurz vor der Sporthalle war, drehte sich im Gehen um und wartete geduldig, bis der Ältere ihn erreicht hatte.

„Ha… ha… danke… ha…“

„Du brauchtest dich nicht so abzuhetzen.“

„Ha… passt schon… wenn du schon extra hier bleibst…“

„Bakura hat heute Spätschicht, ich habe eh nichts zu tun.“, erklärte der Kleinere.

„Trotzdem…“, ein Grinsen schlich sich in Katsuyas Züge, „Schöne Frauen soll man nicht warten lassen.“

„Ich nehme das mal als Kompliment.“

„Woah!“, er machte einen Schritt von Ryou weg, „Was ist aus dem schüchternen Jungen geworden, der bei einer Beleidigung weint?“

„Oh, entschuldige… ich wollte jetzt nicht arrogant klingen oder so etwas…“

„Ryou.“, unterbrach der Blonde den Stotternden, „Ganz ruhig, du brauchst dich nicht entschuldigen. Ich mag dein neues Selbstbewusstsein und dass du das Argumentieren lernst, aber das habe ich dir auch schon mal gesagt. Vor allem kann ich nur bewundern, wie schnell es dir immer besser geht.“

Der Kleinere sah ihn schweigend an.

„Ryou?“

„Du sagst Dinge über mich, die über dich zu sagen sind. Hast du mal bemerkt, wie sehr du dich in nur drei Wochen geändert hast?“

„Und hast du bemerkt, wie sehr sich mein Leben verändert hat?“, fragte Katsuya zurück, „Ich konnte nichts anderes als mich zu verändern. Aber du veränderst dich aus dir selbst heraus, weil du es willst. Weil du heilen willst.“

„Willst du nicht dasselbe?“

„Schon, aber…“

„Vielleicht bin ich anmaßend…“, begann Ryou vorsichtig, „Aber ich denke, wir sind uns gar nicht so unähnlich, oder? Wir haben beide Wunden, wir heilen beide, wir werden beide geliebt. Du vielleicht auf eine andere Art als ich, aber im Endeffekt… sind wir gleich, nicht wahr?“

„Unsere Wunden sind verschieden.“, hielt der Blonde fest, „Aber wenn du es so sehen willst – ja, dann sind wir uns ähnlich.“

Sie beide brauchten Liebe.
 

„Soll ich draußen warten oder…“, sagte Ryou leise und schluckte dabei den Rest der Frage, als Katsuya die Tür mit dem bei Kaiba stibitzten Generalschlüssel öffnete.

„Wenn du dich nicht vor meinen Wunden ekelst, komm’ rein.“, erwiderte der Größere ruhig.

Die blauen Augen wanderten von der Tür zu Katsuya, zur Tür, zu Katsuya, seinen Körper hinab und wieder hinauf, bevor er flüsterte: „Darf ich?“

Der Andere nickte nur schweigend und ging voraus, bevor Ryou ihm unsicher folgte und die Tür hinter ihnen verschloss. Sein Blick suchte ein Etwas im Raum, mit dem er sich beschäftigen konnte, während der Blonde bereits sein Shirt über den Kopf zog.

„Ryou…“, begann Katsuya nach einigen Sekunden, „Du musst nicht hier sein, ich kann es verstehen, wenn du das nicht sehen willst. Mancher mag einen teilweise vernarbten, mit blauen Flecken und Blutergüssen übersäten Körper ja schön finden, aber auch ich weiß, dass es für viele abstoßend ist. Und deine Spiegelneuronen gaukeln dir sicher ziemliche Schmerzen vor, wenn du mich siehst und das ausgelöste Mitleid wäre für viele zu viel, das weiß ich auch. Du musst dich also nicht zwingen.“

„Das ist es nicht…“

„Was ist es dann?“, fragte er überrascht.

„Ich… wie stehst du zu deinem Körper?“

„Gespalten.“, antwortete der Blonde wahrheitsgemäß, „Manchmal ist er mir peinlich oder ich finde ihn abstoßend, manchmal gefällt er mir ganz gut.“

„Darf ich deine Wunden denn sehen?“, Ryous Stimme verriet, dass er sich sehr zusammenriss, „Was ist, wenn du dich zu einem anderen Zeitpunkt dafür schämst?“

„Das ist okay.“, versprach Katsuya, „Das ist lange überlegt… du darfst diese Narben sehen.“

„Soll ich dir mit den Verbänden helfen?“, fragte der Jüngere noch leiser.

Der Braunäugige nickte lächelnd, während Ryou schon den Abstand zwischen ihnen überwand und die Bandagen betrachtete. Eine zitternde Hand strich den rauen Stoff entlang und löste die Klebestreifen, die das Ende einer der Bahnen an der richtigen Stelle hielten, bevor der Weißhaarige sie zu lösen begann.

„Am Anfang wollte sich Bakura nie verbinden lassen…“, flüsterte die Stimme in Katsuyas Rücken, „Vater hat so oft sinnlos auf ihn eingedroschen… er sagte, es sei okay. Er hat mich beschützt, immer schon. Aber nicht einmal verbinden durfte ich ihn. Es war… ich war so hilflos. Es hat mich aufgefressen. Und nur deshalb hat Bakura mir erlaubt, dass ich die am meisten lädierten Stellen mit einer betäubenden Salbe einreibe und dann verbinde. Er hat sich täglich verbinden lassen, obwohl er manchmal gar keine Schmerzen hatte oder überhaupt verletzt war. Aber das war meine Sicherheit. Mein ganzes Leben war ein einziges Chaos, aber… mein Bruder war immer derselbe und das hat mir Kraft gegeben. Selbst als Mutter damals Selbstmord begangen hatte und er sich im Alkohol ertränkte, hat er sich noch um mich gekümmert… ich…“, Ryou lachte trocken, „Am Tag von Mutters Beerdigung bin ich zu meinem Bruder gegangen und habe ihn verbunden. Er war vollkommen am Ende und betrunken, aber er hat stillgehalten und sich den Arm einbandagieren lassen. Im Rückblick betrachtet war das schon ziemlich krank, aber… das hatte für uns beide einfach eine Bedeutung. Und mir ging es danach sehr viel besser. So nach dem Gedanken… jetzt habe ich ihn verbunden, jetzt hat er keine Schmerzen mehr. Er hat noch einige Zeit weiter getrunken und schließlich sogar Drogen genommen, aber dann habe ich ihm halt Pflaster auf die Spritzeneinstiche geklebt. Für mich war damit wieder alles gut. Und schließlich hat er ja auch aufgehört und mir gesagt, dass ich das getan habe. Dass ich es war, der ihn da wieder rausgeholt hat, weil ich ihm ja seine Wunden verbinde. Realistisch betrachtet habe ich so ziemlich nichts getan, aber… ich glaube, es war wichtig, dass ich ihn brauchte. Er hat mal gesagt, dass es für ihn sehr stabilisierend war, dass er für mich die Verantwortung getragen hat… und eigentlich immer noch tut. Er sagte, man verliere sich nicht in seinen Schmerzen, wenn man weiß, dass da jemand ist, für den man stark sein muss. Ich denke, dass ich ihn verbunden habe, hat ihn jedes Mal an genau das erinnert. Dass er für mich da ist…“
 

Ryou knüllte die Bandagen und Binden zusammen und legte die auf der Umkleidebank ab, atmete tief ein, richtete sich auf und wandte langsam den Kopf in Katsuyas Richtung.

Der Blonde lächelte automatisch um ihn nicht zu verunsichern.

Natürlich war es okay, dass Ryou ihm das erzählte! Die Frage konnte man ihm ja förmlich von den Augen ablesen. Und wenn man jetzt mal bedachte, was ihm das gerade bedeutet haben musste, war das… wow. Wirklich wow. Umwerfend. Er musste dem Kleinen wirklich eine Menge bedeuten. Weil er seinem Bruder so ähnlich war? Oder hatte das keine Relevanz?

„Dein Bruder lebt so ziemlich ausschließlich für dich, oder?“, fragte Katsuya vorsichtig.

„Ich…“, die blauen Augen wanderten über den freien Oberkörper und blieben an dem Verband am Arm hängen, nach dem er auch sofort griff, „Ich denke schon. Er hat ein paar Bekannte, mit denen er sich manchmal mal trifft, aber er hat keine wirklichen Freunde… zumindest wüsste ich keinen. Ich bin ein sehr wichtiger Faktor in seinem Leben, das weiß ich. Aber er ist eine eigenständige Person. Sein Job macht ihm viel Spaß, auch wenn er das meistens nicht zugibt. Spionage, Hacken, Undercover… das ist seine Welt. Sein Lebensinhalt ist das Abenteuer, der Nervenkitzel, Adrenalin ist der wichtigste Stoff in seinem Körper. Und ich denke… wenn ich einmal selbstständig bin und mich um mich selbst kümmern kann, ist es gut möglich, dass er mich genau dafür verlässt.“, sagte der Weißhaarige ungewöhnlich ruhig, „Die Erkenntnis hat mich sehr erschüttert, aber… mittlerweile denke ich, das ist richtig so. Ich kann ihm nicht alles geben, was er braucht. Er kann einfach kein ruhiges Leben führen. Und von mir aus soll er tun, was ihn glücklich macht. Wir haben lange darüber gesprochen. Ich kann mich wohl schon mal darauf vorbereiten, dass er irgendwann nur noch einmal die Woche nach Hause kommt. Vielleicht nicht einmal das. Aber irgendwie macht mich das überhaupt nicht traurig. Das fühlt sich einfach gut an, weil ich weiß, dass ihn das glücklich machen würde. Und wenn ich dieses Funkeln in seinen Augen sehe, wenn sie ihm endlich wieder einen spannenden Fall gegeben haben… dann ergreift mich das mit. Er erzählt mir zwar nie etwas, weil er das zum einen nicht darf und mich zum anderen nicht in Gefahr bringen will, aber… seine Gefühlswelt ist lebhaft mitzuerleben. Und das ist es, was für mich Bedeutung hat.“

Katsuya beobachtete mit Erstaunen, dass Ryou seine Wunden vom Ritzen vollkommen kommentarlos hinnahm und nur einmal kurz das Kreuz mit dem Finger nachgezeichnet hatte. Seine Hände hatten bereits alle Verbände bis auf die an seinem Kopf gelöst.

„Und so beginnt ihr nun beide euch ein neues Leben aufzubauen.“, schloss der Blonde Ryous Rede, „Das hört sich nicht sehr einfach an…“

„Wie läuft es mit Kaiba?“, griff der Weißhaarige die Andeutung auf.

„Wir lernen uns langsam kennen und beginnen uns aufeinander einzustellen.“, überlegte Katsuya laut, „Es ist wirklich etwas vollkommen anderes mit jemandem zusammen zu wohnen… man muss sehr viel regeln und so ziemlich jedes Problem ansprechen. Und wie Kaiba mir gezeigt hat, ist es sehr wichtig einander zu verstehen. Und damit beginne ich derzeit. Mir fehlen nur leider ziemlich viele Informationen… es liegt eine Menge im Unklaren. Mir schwirren tausende Fragen durch den Kopf. Es gibt so viel, was ich über ihn wissen möchte und mich nicht traue zu fragen. Und wenn ich doch mal den Mut aufbringe, weicht er mir öfters aus. Ich glaube, er ist ziemlich sensibel. Aber ich bin sicher, wir kriegen das hin, wenn wir uns beide Mühe geben und auf dieses Ziel hinarbeiten. Und danach… ich habe keine Ahnung, was dann kommt. Ich möchte meinem Leben gerne ein bisschen Ordnung bringen. Irgendwann würde ich dich gerne meinem besten Freund vorstellen. Und die Kollegen auf der Arbeit möchte ich auch besser kennen lernen. Ich möchte basteln und malen und spielen und lernen Autos und Computer zusammenzuschrauben und Burger futtern und schicke Klamotten kaufen und einmal mit Kaiba in einem Luxusrestaurant essen gehen und… ich möchte meine Schwester suchen. Ich will unbedingt wissen, wie es ihr geht. In dem Punkt bin ich Bakura wohl sehr ähnlich. Nicht ohne mein Geschwisterchen. Und… eines Tages… irgendwann möchte ich Mutter fragen, warum ich ihr so egal, lästig und für sie verachtenswert bin. Aber bevor ich all das tue, möchte ich Kaiba kennen lernen. Das hat auf jeden Fall Vorrang, so schwer der Gedanke auch ist. Wenn ich eins gelernt habe in den letzten Tagen, dann ist es, wie wichtig es ist einen Anker im Leben zu haben. Irgendwo dran muss man sich festhalten können. Und wenn ich das über deinen Bruder höre und auch über Kaibas Bruder, dann… ich denke, man braucht mindestens zwei Anker. Ja, es muss mindestens zwei Dinge geben, an die man sich halten kann. Für mich waren das Yami und Kaiba und… nun, was es gebracht hat, dass beide wackelten, sieht man ja.“, er hob seine Linke, an dem auffällig das eingeritzte Kreuz über den kompletten Unterarm prangte.
 

„Interessant…“, murmelte der Weißhaarige, der sich ebenso wie Katsuya auf die Bank gesetzt hatte, „Ein Anker, also eine Person, auf die man sich stützen kann, ist zu wenig. Und zwei können unter besonderen Umständen auch zu wenig sein… meinst du, es gibt eine Grenze nach oben?“

„Ich glaube, bei viel mehr Personen wird es sehr schwer so einen engen Kontakt zu jedem zu halten. Obwohl ich drei wahrscheinlich unter einen Hut bringen könnte. Nehmen wir dich mal als eine meiner seelischen Stützen, dann hätte ich eine Person in der Schule, eine, die ich ein- oder zweimal die Woche sehe und eine, mit der ich zusammen wohne. Das kann man schon vereinbaren. Aber mehr werden schwer.“

Ryou nickte zustimmend und fragte einige Momente später vorsichtig: „Darf ich so etwas wie eine Stütze für dich sein? Und du eine für mich?“

„Sind wir das nicht schon?“, erwiderte der Blonde lächelnd, während er den Anderen erröten sah, der daraufhin seinen Dank hervorstotterte, „Aber wir sollten Isis nicht so lange warten lassen, sie bleibt schließlich extra für mich länger.“

Der Kleinere nickte heftig, half ihm noch mit den Verbänden an seinen Beinen und blieb dann in der Kabine sitzen um auf Katsuyas Rückkehr zu warten.

Eben dieser griff nach seinem Shampoo und ging zu den Duschen, wo er den Rest seiner Kleidung auszog. Relativ heiß ließ er das Wasser auf seine Haut prasseln, während er sich in seinen Gedanken verlor.

Wieso war eigentlich gerade Kaiba eine Stütze für ihn? Sie kannten sich nicht, ihr Verhältnis war ein ständiges Auf und Ab und doch… seine Nähe war… berauschend. Wohltuend. Mehr als angenehm. Er war gerne bei Kaiba. Sie hatten sich erst vor etwas weniger als drei Wochen getroffen und doch war es, als würde er ihn ein Leben lang kennen ohne etwas von ihm zu wissen. War das Liebe? Verliebtheit? Zuneigung? Attraktivität? Diese Gefühle waren so intensiv, er hatte sie sofort als Liebe gedeutet… war es das überhaupt?

Verdammte Selbstzweifel.

Manchmal war es wohl wirklich schöner, wenn man einfach überhaupt nicht nachdachte. Aber man verpasste so viel dabei… typische Beispiele für Menschen, die ihr Leben niemals hinterfragten, sah er doch täglich in der Schule. Leute, die sich über andere lustig machten und Spaß daran hatten andere auszugrenzen. Leute, die sinnlos irgendwelchen Vorurteilen folgten und Wertungen anderer übernahmen ohne zu fragen. Leute, deren Welt wie ein Kartenhaus zusammenbrechen konnte und die begannen aggressiv und brutal zu werden – wie sein Erzeuger.

Nein, dann lieber Selbstzweifel. Zurück zu Kaiba also. Es ließ sich festhalten, dass er sich bei Kaiba wohl fühlte. Dass er gerne mit ihm sprach. Dass er interessant war. Kaiba faszinierte – nicht nur mit seinem Geist, auch mit seinem Körper. Allein diese Augen und die Lippen, wie sie sich beim Sprechen bewegten und die langen Beine beim Gehen und… alles an Kaiba war erforschenswert. Seine Psyche, sein Intellekt, seine Geschichte, sein Wesen, sein Verhalten, sein Körper, seine Stimme, sein Blick, seine Stimmung… er wollte alles kennen lernen. Er war so neugierig auf diesen Mann. Aber war das Liebe?

Power of ideology

Mal wieder ein etwas längeres Kapitel ^.- Und ein relativ Anspruchsvolles, aber wenigstens für die meisten Menschen Interessantes. Mit schönem Gruß an Pancratia ^.-

Das nächste Kapitel kommt am Donnerstag, danach bin ich im Urlaub. Aber dazu sage ich dann etwas ^.- Und jetzt wünsche ich euch viel Spaß beim Lesen!

(P.S.: Das Hochladen hat mich beim ersten Mal beim Schreiben eingeholt ô.o Ich muss unbedingt weiter tippseln!)
 

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Katsuya spazierte mit einem Handtuch um die Hüften zurück in die Umkleidekabine, in der sich Ryou hinter seinem Physikbuch verschanzt hatte, von welchem er kurz aufsah, errötete und es sich vor sein Gesicht hielt.

„Selten freizügig, was? Aber Isis hatte Recht, die Wunden sind wirklich zurückgegangen.“, begann der Blonde ein Gespräch, während er nach seinen Shorts griff.

„Glückwunsch...“, nuschelte der Kleinere in die Seiten.

„Was sagtest du bitte?“

„Dir ist schon klar, dass ich schwul bin, oder?“, fauchte er etwas lauter.

„Aber du bist doch in einer Beziehung.“, erwiderte der Blonde im Anziehen, „Und treu doch sicher auch.“

„Natürlich! Aber das heißt nicht, dass nur noch Bakura hübsch ist.“, zischte der Jüngere.

„Danke für das Kompliment.“

„Also... so... versteh das nicht falsch. Ich meine nur, dass du halt nicht schlecht aussiehst. Das ist nur eine Feststellung.“

„Ganz ruhig, Kleiner.“, unterbrach der Braunäugige die Stotterei, „Aber du findest mich ehrlich gut aussehend?“

„Ich lüge nicht...“

„Wollte ich auch nicht unterstellen. Aber ich hätte mich durch die ganzen Wunden als nicht sehr ansehnlich bezeichnet.“, bemerkte er ernst.

„Bakura findet mich auch hübsch, obwohl unser Erzeuger mich vergewaltigt hat. Wenn ich hübsch sein kann, kannst du es schon lange.“, flüsterte der Weißhaarige.

„Aber ob jemand vergewaltigt wurde, sieht man doch nicht.“, gab der Ältere vorsichtig zurück.

„Manchmal ja, manchmal nein... aber auch deine Wunden heilen. Und wenn sie nicht mehr zu sehen sind, fühlst du dich dann automatisch hübsch?“, Ryou legte das Buch zur Seite, da der Andere mittlerweile seine Shirt übergezogen hatte.

Katsuya hielt inne in seiner Bewegung, studierte die Decke mit seinem Blick und antwortete: „Nein... ich glaube nicht. Das Gefühl bleibt immer.“

„Und wie sollst du hübsch sein können, wenn du dich nicht hübsch fühlst? Wenn du für dich selbst nicht schön bist? Dann kannst du vielleicht ansehnlich sein, aber da hört es auch auf.“

Die logische Schlussfolgerung war, dass er nur schön sein konnte, wenn er sich schön fühlte. Und zwar nicht aus Eitelkeit oder Übertreibung, sondern aus tiefster Seele.

„Ich heile.“, wiederholte Katsuya seine Feststellung vom Morgen, „Und ich werde hübsch sein. Eines Tages werde auch ich das sein.“

Und das würde auch Kaiba so bemerken. Ganz sicher.
 

„Gleich zwei?“, fragte Isis erfreut, die gerade einige Papiere zu sortieren schien, „Was verschafft mir die Ehre?“

„Wir wollten gleich noch Hausaufgaben machen.“, erklärte Katsuya.

„Hach, ihr Schüler habt es auch nicht leicht.“, bemerkte sie, „Manchmal wird man ja wirklich überlastet. Da erfreue ich mich meines Berufes. Ist zwar viel Papierkram nebenher, aber mehr als zehn Stunden pro Tag bin ich nicht beschäftigt.“

„Ob sie das heute einhalten können?“, fragte der Blonde mit ironischem Unterton.

„Ich muss sowieso Überstunden machen. Unser lieber Herr Direktor fährt eine Woche zur Fortbildung und scheint alle übrig gebliebene Arbeit an uns arme Arbeitnehmer delegieren zu wollen.“

„Ja, Kaiba musste auch schon dran glauben.“, er gab der Schwester das Bündel Bandagen und Binden, welche sie sogleich im Nebenraum in die Waschmaschine steckte.

„Setzt euch doch schon mal.“, rief sie von drüben, „Möchtet ihr vielleicht etwas trinken? Ich habe Traubensaft mit Eisen für dich da, Katsuya.“

„Was für ein Zeug?“, fragte er mit einer bösen Vorahnung.

„Saft. Gesund. Gegen deine Anämie.“, erklärte sie kurz.

„Und nach was schmeckt der?“

„Rote Weintrauben, Kirsche, Orange und Zitrone.“

„Leidest du mit mir?“, fragte er bei dem Jüngeren nach.

„Ich und Mitleid? Nein. Aber Barmherzigkeit. Ich erbarme mich deiner und nehme auch etwas.“, sagte Ryou leise und grinste dabei.

„Ein angehender Priester?“, die Frau musste ja erstaunlich gute Ohren haben, denn sie war immer noch mit der Maschine beschäftigt.

„Eher das Gegenteil...“, meinte er etwas lauter.

„Nur Mut, sie beißt nicht.“, versicherte Katsuya.

„Ich bin eigentlich ein vom Glauben Abgefallener.“, wagte der Weißhaarige auszusprechen.

„Zwei Ungläubige also?“, fragte die Schwester nach, die mit zwei Gläsern Saft zurückkehrte.

„Ja.“, bestätigte Katsuya.

„Hat euch beide das vom Glauben abgebracht, was man euch angetan hat?“, mit einem Seitenblick auf Ryou fuhr sie fort, „Was auch immer das sei.“

„Ja...“, traute sich der Jüngste zu bestätigen.

„Und es gibt keine Religion, die euch zusagt?“

Kopfschütteln.

„Was ist mit ihnen?“, fragte Katsuya stattdessen, „Sind sie gläubig?“

„Das kommt ganz darauf an.“, antwortete die Schwarzhaarige geheimnisvoll, „Ich denke nicht, dass es Gott gibt. Außer natürlich man bezeichnet alles, was und wie und warum es ist, als Gott. Für mich gibt es vor allen Dingen die Lehre Christi.“

„Aber beinhaltet die nicht Gott?“, fragte der Weißhaarige ehrlich interessiert.

„Nicht zwingend.“

„Könnten sie das näher erläutern?“

Und schon war der Kleine wohl Feuer und Flamme. Also doch ein Philosoph aus tiefstem Herzen.
 

„Viele Menschen haben doch heute das Problem, dass sie keinen Zugang zur Bibel finden. Und das meistens durch die Lehren der Kirche und veraltete Traditionen. Viele wird eine religiöse Erziehung auch nicht mehr nahe gelegt und das sind alles Sachen, die ich sehr bedauere. Denn die Bibel hat viel zu bieten, wenn man sie nur aufmerksam liest und sie dabei auch zu verstehen versucht.“

„Aber die Bibel enthält so viele Geschichten, die einfach so unwirklich sind. Gott schickt urplötzlich seinen Sohn, der reist umher und predigt Nächstenliebe, wird dafür ermordet und ersteht von den Toten auf. Das ist biologisch unmöglich! Und wenn man schon an Gott nicht glaubt, wie soll man an so etwas glauben?“, wie gesagt, Feuer und Flamme...

„In dem du alles nimmst, wie es ist – es sind Geschichten. Jesus hat es gegeben, ja, das ist so ziemlich unbestritten. Aber wer sagt denn, dass er wirklich Gottes Sohn war? Wer sagt, dass er Wunder vollbracht hat? Wer sagt, dass er auferstanden ist?“

„Die Bibel sagt das.“, mischte sich jetzt aber auch Katsuya ein.

„Die Bibel erzählt Geschichten, nichts weiter. Und Jesus hat vielleicht einmal verlauten lassen, dass er Gottes Sohn ist, aber er hat gepredigt, dass jeder Gottes Sohn oder Tochter ist. Er war nicht weniger Mensch als alle anderen auch.“

„Dann wären wir beim Judentum.“, warf Ryou ein, „Und ein Mensch kann keine Wunder vollbringen und nicht auferstehen.“

„Wenn man euch ein Märchen von sprechenden Tieren erzählt, können Tiere dadurch sprechen? Wenn man euch Geschichten über einen Mann erzählt, sind sie damit wahr?“, fragte die Schwester.

„Sie meinen, Jesus ist nie auferstanden und hat nie Wunder vollbracht?“

„Genau das meine ich.“, sie nickte Katsuya zu, „Aber wenn man euch ein Märchen von sprechenden Tieren erzählt, dann steckt meistens ein Sinn dahinter, nicht wahr? Und meistens ist es nicht euch zu unterhalten. Eine richtige Geschichte enthält eine Mitteilung. Eine echte Geschichte wird zu einem Zweck geschrieben. Und auch die Geschichte Jesu wurde zu einem Zweck geschrieben.“

„Welchem?“

„Die Lehre Christi bildlich zu verdeutlichen. Man hätte auch ein paar Gesetze und Lehrsätze aneinander reihen können, aber hätte das denselben Effekt gehabt? Nein. Bei einem so hehrem Ziel wie dem Vermitteln der Lehre Christi hätte das wahrlich nicht gereicht. Also benutzte man Symbole und Metaphern.“

„Und was bedeuten sie?“, fragte der Weißhaarige.

„Die Frage stelle ich euch hiermit. Jesus heilt Blinde, Taube, Stumme, Lahme, Krüppel, Verletzte und Erkrankte und manchmal sogar Tote. Wofür stehen sie?“

„Wenn diese Bezeichnungen nicht für den Körper gelten, könnten sie für die Seele stehen.“, kombinierte Ryou sofort.

„Sehr schlau, junger Mann. Blind für die Nöte anderer. Taub für die Bitten und die Probleme anderer. Stumm seine eigenen Sorgen auszusprechen. Bis hin zu Menschen, die seelisch wie tot sind.“

„Jesus war Psychotherapeut?“, fragte der Blonde mit hochgezogener Augenbraue.

Die Schwester lachte leise.

„So könnte man es ausdrücken.“
 

„Krass...“, murmelte der ehemalige Punk.

„Jesus lehrte die Nächstenliebe. Das Verstehen und Aufeinander einlassen. Das gegenseitige Helfen und Sozialität. Er wollte die Menschen dazu anregen mehr füreinander da zu sein.“, erklärte die Schwester.

„Und was ist mit der Aufersteheng? Der Kreuzigung? Der Gottesgläubigkeit?“, fragte Ryou weiter.

„Ich bin davon überzeugt, dass Jesus sehr religiös war, schließlich war er ein strenger Jude. Und wenn die Menschen um ihretwillen sich nicht bessern wollen, warum nicht um den Willen Gottes? Gott ist ein Werkzeug, mit dessen Namen man Gutes wie Böses herbeirufen kann. Zur Zeit Jesu wurde Gott von der Obrigkeit als ein böser Gott propagiert, damit die Bauern ohne Klage ihre Abgaben zahlen und die Reichen so ein angenehmes Leben führen. Jesus wollte diesem Bild ein neues Gesicht geben. Die Lehre vom liebenden Gott. Man muss Jesus und die Bibel immer in ihrem historischen Kontext sehen.“, führte Isis ihre Erklärungen aus, „Mit diesen Zielen begann Jesus zu predigen und fand sehr, sehr viele Anhänger. Jesus wurde zu einem politischen Machtfaktor, auch wenn er das selbst vielleicht nicht wollte. Die Obrigkeit erkannte diese Gefahr. Eine Bauernrevolte war das Letzte, was sie dulden konnten, denn sie wären es, die von Rom für so ein Geschehen zur Verantwortung gezogen werden würden. Und so beschlossen sie Jesus zu töten. Dieser war währenddessen ins Ausland geflohen. Es ist bis heute unklar, was ihn bewog zurückzukehren und sich somit dem Tod auszuliefern. Ich denke, es war einfach seine tiefe Überzeugung von dem, was er für richtig hielt. Er wollte sich nicht verstecken und auch keinen politischen Machtkampf. Er wollte, dass die Menschen ihre Verhältnisse erkannten und etwas änderten. Er wollte sie zum Denken bringen. Eigentlich ist er damit einer der ersten, der mit der Aufklärung begonnen hat, denn auch die zielt ja darauf ab Menschen zum Denken zu bewegen. Und so starb er für seine Überzeugung.“

Die beiden Jungs hingen förmlich an ihren Lippen und schwiegen abwartend.

„Die Anhänger Jesu verzweifelten. Was waren sie ohne ihren Führer? Wie Hitler ja schon bewies ist eine ideologische Gruppe nichts ohne einen wortgewaltigen Führer, der einen immer wieder überzeugt und sei es nur durch seine Schriften. Aber einigen Jüngern kam schließlich die Erkenntnis. Vielleicht war ihr Führer tot, ja, aber hieß das, dass auch seine Lehre tot war? Nein. Und so begannen sie zu predigen um das Werk Jesu fortzuführen. Das ist die Auferstehung.“

„Und weil die wahre Lehre immer weiter verfälscht wurde, von Erzählung zu Erzählung, wurde sie aufgeschrieben... ist es nicht so?“

„Ganz recht.“, lobte Isis den Weißhaarigen, „Es gab sehr viele Evangelien. Die Bibel entstand – wie nur wenige wissen – erst im dritten Jahrhundert, als die römischen Herrscher eine Einheitsreligion einführen wollten um die Glaubenskriege zu beenden. Sie wählten die vier Evangelien aus, in denen Jesus als einziger Sohn Gottes hervorstach und fügten diese als kanonische Evangelien dem alten Testament an.“

„Was ist mit den anderen Evangelien?“, fragte Katsuya sofort.

„Sie werden als apokryphe Evangelien bezeichnet und lagern größtenteils in den Geheimarchiven des Vatikans. Einige wurden allerdings veröffentlicht. Nur ist die Bibel die Berechtigung für viele Dogmen der Kirche und deshalb wird es natürlich ungern gesehen, wenn sich Menschen mit apokryphen Evangelien oder so genannten unchristlichen Thesen auseinandersetzen.“
 

„Das wusste ich größtenteils gar nicht...“, murmelte Ryou.

„Das wissen viele nicht. Aber die Aufklärung hat schon mal einige Leute zum Denken bewegt und sie begannen auch die Religion als solche zu hinterfragen. Und es wurden immer mehr Haken bei der kirchlichen Interpretation der Bibel entdeckt. Was dann allerdings schade ist, ist, dass die Bibel als Teil des Kirche abgestempelt wird und somit von vielen verworfen. Die Bibel bietet viel, auch wenn es schwer zu erkennen ist. Man sollte alle Seiten betrachten. Die apokryphen Evangelien und die historisch-kritische Exegese bieten viele neue Einblicke. Nicht zu vergessen die tiefenpsychologische Exegese, die uns den Weg zu diesen Interpretationsarten erst wieder eröffnet.“

Schon wieder Tiefenpsychologie!

„Warum lernen wir so etwas nicht in Religion?“, murrte der Jüngste.

„Weil erst neue Professoren es wagen so einen Stoff zu lehren. Das ist eine ganz neue Entwicklung. Und Lehrer, die frisch von der Uni sind, werden heute schon öfters in so etwas geschult. Außerdem durchlebt auch die Kirche einen Wandel. Papst Benedikt XVI ist der erste Papst, der ein Dogma der Kirche zurückgezogen hat.“

„Was ist ein Dogma?“, fragte Katsuya leise.

„Ein Lehrsatz. Die Kirche hat viele solcher Lehrsätze, also Aussagen, die man nach der Kirche einfach glauben muss. Eine Menge dieser Dogmen stammen aus dem Mittelalter und sind daher reiner Wahnsinn. Es sind Lehrsätze, die einst aus politischen Gründen aufgestellt wurden.“

„Und was für ein Dogma hat dieser Papst nun widerrufen?“, fragte der Jüngste.

„Dass ungetaufte Kinder bei ihrem Tod in die Vorhölle gelangen.“

Die Beiden überlief ein Schauer.

„Das Dogma wurde aufgestellt um den Ablasshandel anzutreiben. Kurzum um Geld einzutreiben. Aber die heutige Kirche ist kein politischer Faktor mehr. Die Kirche heute möchte Religion und Glaubensgemeinde stellen. Aber sie muss in ihrem Wandel sehr vorsichtig sein. Man kann nicht von heute auf morgen ein ganzes System kippen. Was ich wichtig finde, ist, dass ein Schritt in diese Richtung gemacht wird. Und ich hoffe, diese Entwicklung hält an.“

Ryou nickte abwesend.

Wow... das war ein Brocken. Kirche und Religion waren ja fast ganz anders, als es bisher immer erzählt wurde. Er hatte sich nie so sehr damit beschäftigt und die Bibel selber auch nie gelesen und... eigentlich hatte er nur das geglaubt, was ein paar Leute sagten und für sich entschieden, dass das nicht stimmen konnte. Aber wenn man jetzt all das eben Gesagte noch bedachte...

„Was ist denn Christentum nun? Das, was die Kirche sagt? Das, was die Bibel sagt? Oder einfach nur eine Ideologie?“, sprach der Kleinere das aus, was Katsuya auch gerade fragen wollte.

„Christentum ist vielschichtig. Jede diffuse Ideologie überlebt lange, weil jeder genau das hinein interpretieren kann, was er gerade glauben mag. Das war auch im Nationalsozialismus und beim Kommunismus nicht anders. Christentum ist das alles. Für manche sind es die Lehren der Kirche, für manche die Bibel ohne ihre tiefere Bedeutung, für manche die Bedeutung, für manche nur das Gefühl. Für eine Menge Leute ist auch eine christliche Einstellung nur ein sozialer Status oder eine gesellschaftliche Norm. Was wie bei jeder Ideologie wohl wichtig ist, ist der Gedanke die Gesellschaft zu verändern, damit die Menschen besser zusammenleben können.“
 

„Ist jede Religion eine Ideologie?“, fragte der Blonde.

„Das kommt ganz auf deine Definition von Ideologie an.“, die Frau griff nach einer roten Packung um den beiden Jüngeren nachzuschenken, „Wenn eine Ideologie nur ein System oder eine Ordnung ist, die einen bestimmten Bereich des Lebens gewissen Regeln aussetzt, dann ist jede Religion eine Ideologie, ja. Dann gibt es religiöse Ideologien, politische Ideologien uns so weiter. Und sehr, sehr viele Grenzfälle. Für mich ist eine Ideologie der Gedanke, wie man die Welt verbessern kann. Das beste Beispiel für eine fehlgeleitete Ideologie ist der Nationalsozialismus und ein Beispiel für eine relativ passable Ideologie der Buddhismus. Ich persönlich kenne kaum einen unglücklichen Buddhisten. Aber auch das muss nicht stimmen.“

„Ich muss hierüber nachdenken.“, entschied Ryou für sich.

„Das kann ich mir denken.“

„Und ich habe große Lust Kaiba zu belagern und ihn auszufragen, was er darüber denkt.“

„Er ist noch im Haus, oder?“, fragte Isis.

„Ja... aber er arbeitet. Den sollte ich nicht stören.“

„Ich wette, er wird gerne von der Arbeit erlöst.“

„Aber er bleibt doch schon für mich. Da brauche ich ihn nicht noch extra länger aufhalten.“

Die Schwester rollte mit ihrem Stuhl zurück und warf einen Blick in den Nebenraum.

„Du hast noch sieben Minuten und die Zeit, die der Trockner braucht.“

„Trotzdem... besser nicht. Vielleicht am Wochenende, wenn er nicht ganz so gestresst ist.“

„Du kümmerst dich aber sehr um ihn.“, bemerkte die Ältere lächelnd.

„Ich folge nur der Lehre Christi.“, verteidigte der Blonde sich zwinkernd.

„Verstehe ich das richtig, dass diese Lehre nun sagt, dass es allen weit besser ginge, wenn nur jeder darum bemüht wäre anderen bei Problemen zu helfen und sich selbst auch für andere zu öffnen?“, meldete der Blauäugige sich noch einmal.

„Ja, so denke ich mir das.“, erwiderte Isis lächelnd und zog ihren Stuhl wieder heran.

„Aber meinen sie, dass das reicht?“

„Sicher macht das unsere Welt auch nicht zum Paradies. Besonders weil es auch immer einige geben wird, die sich nicht daran halten. Aber ein Anfang wäre es doch. Und wenn ich euch beide so sehe, dann glaube ich, dass ihr ganz gut versteht, was ich sagen möchte.“

Sie beide verstanden sicher.

Um wie viel schöner wäre die Welt, wenn Eltern einfach nur das Beste für ihre Kinder wollten. Und zwar das Beste der Kinder, nicht ihrer selbst. Und nicht nur Eltern...

Zeitfluss

300 Seiten Dead Society! Na, wenn das kein Grund zum Feiern ist ^.^ Und zur Feier dieser Seitenanzahl mal ein kleines Bonbon für die Analysefans unter euch ^.- Die, die den Manga gelesen haben, werden einen Großteil wahrscheinlich kennen, in der Serie war es schon sehr abgeschwächt, auch wenn die Story ähnlich war. Aber lest am besten selbst ^.-

Ich begebe mich in ein paar Stunden in den Urlaub, wo ich vorhabe eine Menge Kapitel zu schreiben. Das heißt andererseits aber auch, dass ich wieder kein Internet habe. Bis übernächste Woche Montag bin ich demnach nicht zu erreichen und es wird auch keine neuen Kapitel geben. Jetzt allerdings wünsche ich erst einmal viel Spaß beim Lesen ^.^
 

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„Gibt es denn noch ein Thema, das euch interessiert?“, fragte Isis weiter.

„Tausende!“, meinte Katsuya, der durch Ryou mit wildem Nicken unterstützt wurde.

„Da dürfte Kaiba ja ganz glücklich über euch beide sein. Zwei interessierte Schüler können einem Lehrer seinen Job schon sehr schmackhaft machen. Oh, die Wäsche!“, reagierte sie auf das Piepen im Nebenraum, „Ich schmeiße schnell alles in den Trockner.“

„Die Frau weiß doch sicher noch viel mehr Interessantes...“, flüsterte der Weißhaarige.

„Sie ist mehr als doppelt so alt wie du, sie hatte auf jeden Fall mehr Gelegenheit sich Wissen anzueignen. Und Erfahrungen zu sammeln.“, beider Augenpaare verfolgten die Schwarzhaarige bis zur Tür, „Meinst du Kaiba ist auch mit Wissen vollgestopft?“

„Ganz sicher.“, bestätigte Ryou Katsuyas Vermutung, „Wenn der Mann Machiavelli, Nietzsche und Kant nicht in- und auswendig kann, fresse ich einen Besen.“

„Ich wäre ja schon froh zu wissen, wer das überhaupt ist.“, murmelte der Blonde.

„Die kennst du nicht?“, fragte der Jüngere erschrocken.

„Ich bin halt kein Genie wie du. Und ich habe auch keine Bücher und kein Geld.“

„Du hast Kaiba und Kaiba hat sicher Bücher, oder? Ansonsten kannst du es dir bei mir ausleihen.“

„Ryou, meinst du nicht, ich sollte mich erstmal um die Schule kümmern, bevor ich mich in Philosophie vergrabe?“

„Das sind Theoretiker aus Politik, Religion und Gesellschaftswissenschaft.“, der Blauäugige schwieg kurz, „Aber stimmt, deine Noten gehen wohl vor. Nur wenn man daran denkt, geht alles Mögliche vor, bis sogar das reine Vergnügen vor dem Denken steht. Und das wäre das Ende jeder Kultur.“

„Kann sein... aber weißt du was? Mir reicht es mit Hirnfutter für heute. Davon wird die Zivilisation zumindest heute nicht mehr untergehen.“, entschied Katsuya, streckte sich und gähnte hinter vorgehaltener Hand, „Themawechsel?“

„Gähnen setzt körpereigene Antidepressiva frei. Dreißig Mal Gähnen am Tag ersetzt die normale Tagesdosis von Antidepressiva für schwach Depressive. Wusstest du das?“

Die braunen Augen wandten sich langsam Ryou zu, stoppten schließlich und verharrten regungslos auf die des Jüngeren gerichtet.

„Was denn?“

„Du hörst dich erschreckend nach meinem besten Freund an.“

„Ist das gut oder schlecht?“

„Das werde ich dir nicht sagen.“, erwiderte Katsuya tonlos, beobachtete einige Sekunden Ryous verwirrten, verunsicherten Gesichtsausdruck und prustete letztendlich doch los.

„Was- was denn?“, stotterte der Kleinere.

„Du siehst einfach zu süß aus.“, antwortete der Blonde halb lachend, halb ernst.

„Das ist nicht lustig...“, murmelte der Weißhaarige, was den Älteren aufhorchen ließ, „Da kann ich nichts für... ich habe doch nur...“

„Entschuldige.“, Katsuya fing Ryous Blick ein, „Deine Selbstsicherheit in letzter Zeit lässt mich wohl zu schnell vergessen wie sensibel du sein kannst. Tut mir Leid.“

Der Blonde biss sich auf die Unterlippe.

Wenn er schon bei Ryou so wenig aufpasste, sollte er sich wahrlich mehr konzentrieren. Kaiba würde es wohl nicht so zeigen, dass man ihn gerade verletzte...

„Schon klar... weißt du, manchmal-“

„Möchtet ihr noch etwas trinken?“, rief Isis aus dem Nebenraum.

„Gern, danke!“, rief der Blonde zurück, „Manchmal?“

„Ach, schon gut.“, meinte Ryou nur, während die Schwester wieder eintrat.
 

„Ein paar Minuten noch, dann bist du gleich fertig und ihr seid entlassen.“, erzählte die Schwarzhaarige fröhlich, „Ich hätte dich ja eigentlich in neue Binden und Bandagen stecken müssen, aber ich fürchte, die Direktion würde zu schnell aufmerksam werden, wenn ich plötzlich Tonnen von Verbandsmaterial anfordere. Ich hoffe, du bist nicht allzu böse? Du hast ja zum Glück keine offenen Wunden mehr.“

„Sie werden schon wissen, was sie da machen.“, erwiderte Katsuya lächelnd.

„Da solltest du besser vorsichtig mit sein. Nicht jeder Arzt weiß genau, was er da tut... in einigen Fällen ist eine Zweitmeinung keine schlechte Idee.“, warnte die Schwester.

Ob Yami deshalb seinen Ernährungsplan überprüft hatte?

„Ich werde daran denken.“, versprach der Blonde.

„Du weißt gar nicht, auf was für Leute ich da schon getroffen bin!“, entrüstete sich die Älteste, „Es gibt wirklich gute Ärzte und sogar eine kleine Menge, die wirklich das Beste ihrer Patienten wollen. Aber da sind einige schwarze Schafe dazwischen.“

„Die gibt es wohl in jedem Berufsstand.“, meinte der Weißhaarige lächelnd.

„In manchen Berufen sollte es sie aber nicht geben. Je mächtiger die Stellung, desto schlimmer können die Folgen von Talentlosigkeit sein. Stellt euch nur vor, ich würde jemandem die falsche Medizin geben. Das wäre vielleicht nicht tödlich, weil ich nichts Größeres verschreiben darf, aber es könnte dennoch schlimme Folgen haben. Da muss man nur an die Folgen denken, wenn ein Chirurg oder ein Kommandant oder ein Direktor einen Fehler macht...“

„Oder ein Lehrer.“, murmelte der Blonde.

„Ein Lehrer?“, fragte Ryou nach.

„Er hat Recht...“, auch Isis überlegte, „Je jünger die Kinder, desto leichter sind sie zu beeinflussen. Ein Lehrer hat schon eine sehr schwere Aufgabe. Er muss Vorbild, Erzieher und manchmal sogar Bezugsperson sein. Wissen zu vermitteln ist eine gar nicht mal so schwere Aufgabe, aber die Fähigkeiten eines jeden zu erkennen und angemessen zu fördern, das stelle ich mir wahrlich nicht einfach vor. Lehrer zu sein erfordert Persönlichkeit.“

„Die viele nicht haben.“, äußerte Katsuya.

„Die einige nicht haben. So viele schlechte Lehrer kann es doch nicht geben, oder?“, die Schwarzhaarige setzte sich langsam.

„Ich weiß nicht...“, meinte der Jüngste, „Das Lehrertum hat schon auffällig viele schwarze Schafe.“

„Das ist kein Grund den ganzen Berufsstand für schlecht zu erklären.“

„Das ist wahr.“, stimmte Katsuya zu, „Ein guter Lehrer braucht Persönlichkeit...“

Kaiba hatte definitiv Persönlichkeit.
 

Besagter Lehrer hatte aber definitiv nicht nur Persönlichkeit, sondern auch ganz schöne Ticks. Denn nach drei Stunden Überstunden kam er – auf die Minute genau – zu den beiden jungen Männern nach unten, die über ihre Hausaufgaben gebeugt saßen. Und er hatte auch keinerlei Schwierigkeiten Ryou eine physikalische Formel aus dem Stehgreif zu erklären, die Katsuya weder aussprechen geschweige denn verstehen konnte. Wenn Hirn auf Hirn traf, fühlte man sich manchmal doch wahrlich etwas verloren. Aber so hatte er wenigstens Zeit Kaibas Mimik und Gestik genau zu beobachten.

Gerade hielt er beide Hände offen, ließ sie wie auf der Linien eines perfekten Kreises nach oben wandern, ließ die linke ein Stück nach unten sinken, hielt die andere parallel dazu darüber und näherte die Obere der Unteren an. Als nächstes hob er die rechte ein Stück in die Luft, während die andere vor seinem Körper blieb. Mit der weiter von sich entfernten formte er wiederum einen Kreisbogen mit seiner anderen Hand als Mittelpunkt. Es musste irgendwie um Gravitation gehen, das wusste der Blonde. Er wusste sogar genau, wo welche Formel anzuwenden war. Aber wie man die löste, wo man was einsetzen musste, das war wie ein großes schwarzes Loch. Da halfen selbst Kaibas Erklärungen nicht. Vielleicht sollte er bei Ryou auch etwas Nachhilfe in Physik erfragen? Oder war das Mathematik? Irgendwie schwer zu sagen.

„Und wie kommst du voran?“, riss der Lehrer ihn aus seinen Gedanken.

„Ich?“

„Siehst du hier noch jemanden?“

„Der heilige Geist ist allgegenwärtig.“, rezitierte Katsuya einen Spruch seines letzten Religionslehrers.

„Bei dir scheint er ausgeflogen zu sein.“, neckte ihn Kaiba, „Wie sieht es nun aus?“

„Ich habe keine Lust mehr.“, jammerte der Blonde, „Ich verstehe diese verdammte Formel nicht. Was zur Hölle sollen diese Buchstaben bedeuten? Wieso soll man Mathe mit Buchstaben machen? In Mathe gehören nur Zahlen.“

„Die Zeit ist vorbei.“, erwiderte der Lehrer nur und kam zu dem neu Bandagierten herüber, „Welche Buchstaben sind dir nicht klar?“

„Alle! Was sollen die heißen?“

„Weißt du denn, wofür sie stehen?“, versuchte Kaiba ihn zu verstehen.

„Ich bin völlig verloren. Ich kann das einfach nicht.“, erklärte der Braunäugige mit einem Seufzen.

„Doch, kannst du. Was bedeutet dieser Buchstabe?“, fragte der Lehrer.

„Das ist die Gravitationskonstante.“

„Sehr gut. Und der hier?“, er zeigte auf einen weiteren.

„Weiß ich nicht.“, murmelte der Blonde resignierend.

„Sagst du das, weil du es nicht weißt oder weil du es nicht wissen willst?“

„Ich weiß es einfach nicht.“, er ließ den Kopf hängen.

Der Brünette ließ sich neben ihm auf der Bank nieder, bat Ryou um einen Bleistift und schnappte sich Katsuyas Heft um es diesem vorzulegen.

„Wir gehen jetzt jeden Buchstaben durch.“, bestimmte er.
 

„Ich hab’s!“, rief der Jüngere glücklich aus und wurde mit einem Lächeln Kaibas belohnt, „Danke!“

„Das spart den Nachhilfelehrer.“, tat der Größere das ab, erhob sich schwerfällig, streckte sich und zuckte leicht zusammen, als ein Knochen knackte, „Ich glaube, ich werde alt...“

„Sie sind alt.“, erwiderte Katsuya frech.

„Vorsicht, ich bin nur knapp zehn Jahre älter als du.“

„Aber bildungstechnisch sind sie sicher ein Dino, oder?“, mal sehen, was man so aus dem Guten alles raus bekam.

„Wie soll ich das denn verstehen?“

„Wir fragten uns nur vorhin, ob sie Nietzsche und Machiavelli und... Ryou, wie hieß der Dritte?“

„Kant.“

„Ach ja, und Kant gelesen haben.“, vervollständigte der Blonde seinen Satz.

„Natürlich.“, antwortete Kaiba sofort und setzte sich wieder, „Machiavelli, Caesar, Cicero und Aristoteles mit der Ars vexilla construendi gehören zur Grundausbildung in der Wirtschaft einfach dazu. Die habe ich bereits mit elf gelesen.“

„Original oder Übersetzung?“, fragte Ryou nach.

„Original. Außer Machiavelli, den hatte ich in Übersetzung. Italienisch habe ich erst mit dreizehn gelernt.“

„Wie viele Sprachen sprechen sie denn?“, fragte der Braunäugige erschrocken.

„Hm... Japanisch, Englisch, Chinesisch, Französisch, Deutsch, Holländisch, Italienisch, Spanisch, Russisch, Indisch, Koreanisch und ein klein wenig Portugisisch. Latein, Altgriechisch und Hebräisch kann ich übersetzen, aber nicht sprechen.“, versuchte der Lehrer an seinen Finger abzuzählen, die dafür allerdings nicht reichten.

„Wow...“, murmelte der Jüngste nur und klappte in einer fließenden Bewegung sein Physikbuch zu, „Wann haben sie das alles gelernt?“

Allen Göttern sei gedankt, dass er das fragte! Katsuya hätte es jetzt nicht gewagt.

„Altgriechisch und Hebräisch für das Theologiestudium, den Rest als Kind.“, antwortete der Brünette etwas leiser als er sonst sprach.

Ryou drückte die Lippen etwas zusammen, saugte sie zwischen seine Zähne und ließ den Blick zu Tisch wandern, schaute scheu wieder auf, während der andere Schüler seinen Kopf auf seinen Arme gelegt hatte und den Lehrer von unten herauf ansah.

Kaiba seufzte tief.

„Ist ja gut, setzt diesen Hundeblick wieder ab...“, maulte er leicht, „Ihr seid neugieriger als Katzenbabys.“, er fuhr sich mit einer Hand durch die Haare und sah beide noch einmal eindringlich an, „Aber lasst uns raus gehen, ich möchte eine rauchen.“
 

Das ließ sich keiner der beiden zweimal sagen.

Kaiba würde von sich erzählen! Allein dafür wäre Katsuya wohl ans Ende der Welt gegangen. Und Ryou war kaum weniger neugierig, wenn auch nicht aus dem selben Grund wie der Blonde – hoffentlich. Aber der Jüngste sah nicht wirklich so aus, als wäre sie an einer Beziehung zu Kaiba interessiert. Ihn dürfte wohl eher der Wissensschatz, den der Lehrer barg, reizen.

„Ihr wollt also wissen, warum ich die ganzen Sprachen gelernt habe?“, fragte der Älteste noch einmal nach, während er eine Zigarette mit seinen Lippen hielt und per Feuerzeug hinter vorgehaltener Hand anzündete.

Das dürfte eine rhetorische Frage gewesen sein, oder? Sie waren heiß darauf!

„Ich bin mit sieben ins Waisenhaus gekommen. Und da hatte ich kaum etwas zu tun, weil mich Spiele wenig interessiert haben. Ich habe mir deshalb Bücher aus unserer Bibliothek genommen und den Schulstoff vor gelernt. Das hieß aber auch, dass Schule reichlich langweilig wurde. Also habe ich im Unterricht Bücher aus der Schulbibliothek gelesen. Meine Lehrerin hatte nichts dagegen, solange ich normal mitarbeitete.“, er nahm einen tiefen Zug und bließ quälend langsam den Rauch durch seine Lippen wieder aus, „Am Ende meines zweiten Schuljahres konnte ich alles, was Viertklässler konnten. Deswegen haben sie mich direkt in die vierte Klasse gesetzt. War natürlich ähnlich langweilig, wie gesagt, das konnte ich schon. Ich habe mir beim Direktor die Erlaubnis geholt die Bücher auch mit ins Waisenhaus nehmen zu dürfen um dort weiterzulernen. Er war ganz begeistert und unterschrieb sofort die Dokumente dafür. Als Waisenkind wurde ich sowieso von allen gemobbt, also war es mir relativ egal, was andere über mich dachten. Ich habe Tage und Nächte durch gelernt und hätte mit nur achteinhalb Jahren eigentlich auch schon in die Mittelstufe gehen können. Aber ich durfte nicht. Also habe ich mir überlegt, dass ich besser etwas lernen sollte, was ich irgendwann nicht sowieso noch mal hören musste.“, ein weiterer tiefer Zug, „Ich lernte Sprachen, Logik, Strategie. Wir hatten für die älteren Kinder im Waisenhaus ein paar Englischbücher da, die hatte ich in drei Monaten durch. Danach kam Koreanisch, Chinesisch und Spanisch sowie Französisch. Dann hatte ich alle Sprachen durch, über die wir Bücher hatten. Aber was mich damals wirklich begeisterte, war Schach. Nach zwei Wochen konnte ich die Betreuerinnen alle besiegen und begann mir die Meisterschaften im Fernsehen anzusehen. Da sah ich Gozaburo Kaiba zum ersten Mal. Er war Schachweltmeister, Wohltäter, Leiter der Kaiba Corporation, damals größter Hersteller von Kriegswaffen. Seine ach so wohltätigen Taten führten ihn einmal auch in unser Waisenhaus, da war ich zehn.“, die Zigarette wanderte wieder zu seinen Lippen, verharrte dort länger als sonst, während Katsuya, der auf der einen Seite Kaibas stand, einen halben Schritt auf ihn zu trat und so direkt neben ihm an der Wand lehnte, „Ich forderte ihn zu einem Spiel heraus mit der Bedingung meinen Bruder und mich adoptieren zu müssen, wenn ich gewann. Er nahm an... und... verlor.“, das letzte Wort war mehr gehaucht als gesprochen, „Ab diesem Zeitpunkt bekam ich Privatlehrer, die all meine Begabungen förderten. Da brachte man mir die restlichen Sprachen bei. Fünf Jahre lang lernte ich bis zu achtzehn Stunden am Tag. Bis ich ihn zu Fall brachte.“

Katsuya presste die Lippen zusammen. Welch ein schönes Leben... na, es erklärte, warum Kaiba so anders war. Die fünf Jahre war er wahrscheinlich mehr gezwungen als motiviert worden. Sonst hätte er seinen Adoptivvater kaum umgebracht. Wenn er an die Sache mit den Drogen dachte...

„Zu Fall gebracht?“, fragte Ryou etwas unsicher nach, wofür er sich glatt mal Katsuyas scharfen Blick einfing.

„Er hat sich aus dem Fenster gestürzt.“, Kaiba betrachtete mit ausdruckslosen Augen seine Zigarette, „Nachdem ich seine Firma übernommen und ihn damit ruiniert habe.“

Miles away

Miau ^~^ Hallo, da bin ich wieder. Eine Woche allein mit einem Laptop... da kommt keine Einsamkeit auf ^.- Ich habe ein paar neue Kapitel, die gibt es heute, Samstag, Mittwoch ^.- Des Weiteren habe ich die Abhandlung über Abwehrmechanismen fast fertig und gleiche sie gerade mit den Büchern von Ehrmann ab. Wenn ich fertig bin, schreibe ich das hier und alle, die die komplette Version haben wollen, können das bitte zu ihrem Kommentar dazu schreiben oder mir eine ENS schicken, ich sende sie dann zu. Die Nebensequenz und die Wunsch-FF habe ich noch nicht geschrieben, aber ich habe morgen frei, da werde ich versuchen weiter zu kommen ^.^ Ansonsten wünsche ich nun viel Spaß beim Lesen ^.-
 

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„Ah...“, Ryous Mund stand einen kleinen Spalt offen, während sein Blick zwischen Kaiba und Katsuya hin und her huschte, „Entschuldigung...“, entschied er sich zu sagen, „Ich hoffe, ich habe keine Wunde mit meiner Frage berührt.“

„Eher überrascht es mich, dass du es nicht wusstest.“, erwiderte Kaiba seelenruhig und führte die Zigarette zu seinen Lippen – Katsuya sah die Spitze leicht zittern.

„Ich hielt es für eine persönliche Sache. Über persönliche Dinge schweige ich.“, erklärte der Blonde, der mit sich haderte Kaiba eine Hand auf die Schulter zu legen oder nicht.

„Das ist doch mal eine Neuigkeit.“, äußerte der Älteste herablassend, stieß sich von der Wand ab und trat einen Schritt nach vorne. Die Zigarette rutschte aus seinen Fingern, was seinen Blick zu Boden schnellen ließ. Mit leicht zusammengezogenen Brauen beobachtete er seine Finger, die er unter seinem Blick spreizte und versuchte wieder zusammen zu ziehen, was jedoch erst Sekunden später gelang, weil sie bebten.

Ryou und Katsuya warfen sich einen kurzen Blick zu, nickten fast unmerklich und traten auf je eine Seite Kaibas, was dessen Kopf zur Seite rucken ließ – Katsuyas.

„Herr Lehrer? Wollen sie sich setzen?“, fragte der Blonde mit ernsthafter Besorgnis, doch einem festen Unterton in der Stimme.

Genau dieses Verhalten hatte er jetzt oft genug bei Ryou gesehen. Das unmerkliche Zittern, die fahrigen Bewegungen, die leichte Schreckhaftigkeit. Typische erste Anzeichen für einen Angstanfall. Was war es wohl gewesen, das Kaiba so aus der Bahn geworfen hatte?

Die bei dieser Lichteinstrahlung graublauen Augen fixierten starr die braunen Katsuyas, während dieser zusehen konnte, wie der Adamsapfel des Älteren nach unten schnellte, seine Nasenlappen sich zusammenzogen und erst Momente später wieder aufblähten.

„Ich möchte nach Hause fahren, bitte.“, flüsterte der Brünette mehr als höflich, was nicht einmal nötig gewesen wäre, denn der Andere konnte die drängende Bitte förmlich von seinen Augen ablesen.

„Natürlich.“, erwiderte der Schüler sofort, ging vor Kaiba her und umarmte Ryou, „Du kommst allein nach Hause?“

„Buch, Decke, heißes Getränk, immer in seinem Blickfeld bleiben.“, hauchte dieser nur für Katsuya hörbar und sie lösten sich schon wieder voneinander.

Der Blonde nickte einmal und sagte: „Bis Montag.“

„Einen schönen Abend noch.“, meinte der Weißhaarige in Kaibas Richtung gewandt und verbeugte sich leicht.

„Ja, bis morgen.“, erwiderte der Älteste nur und ging los.

Ryou sah ihm einen kurzen Moment nach und schien genauso wie Katsuya entschieden zu haben, dass es besser war ihren Lehrer nicht darauf hinzuweisen, dass der nächste Tag ein Samstag war.
 

Katsuya hatte einige Bedenken gehabt, ob es nun gut war, dass Kaiba Auto fuhr. Aber sie kamen genauso sicher ans Ziel wie sonst auch. Was nicht hieß, dass es ihm plötzlich besser ging, wie der Blonde zuerst vermutet hatte. Der Lehrer blieb nach dem Wechseln in seine Hausschuhe einfach im Flur stehen und starrte die Treppe an.

Und jetzt? Stehen lassen? Mitzerren? Wenn ja, wohin denn?

Katsuya fuhr sich mit einer Hand durch die Haare und betrachtete den Älteren von der Seite. Immer in seinem Sichtfeld zu bleiben war eine Sache der Sicherheit. Bei einem Angstanfall schaltete die innere Sicherheit ab, also musste sie von außen hergestellt werden. So viel wusste er. Bei Ryou machte er es so, dass er ihn umarmte. Aber wenn er das bei Kaiba täte, würde das den wohl eher verwirren als ihm helfen. Außerdem – hatte Kaiba überhaupt jemals eine Umarmung als Beruhigung erlebt? Zu viele Fragen...

Buch, Decke und heißes Getränk waren auf jeden Fall passend für die äußere Sicherheit. Das hatte Ryou wohl sehr schnell bemerkt. Eine beruhigende Stimmung also. Auf jeden Fall eine gute Idee... aber wie sollte er das machen? Kaiba schien vollkommen weggetreten. Sah so aus, als ginge der Angstanfall in irgendetwas Depressionsähnliches über.

„Kommen sie, wir setzen uns in die Küche.“, bestimmte Katsuya und wunderte sich über die Selbstsicherheit in seiner Stimme, während er die Hand seines Lehrers ergriff und diesen mit sanfter Gewalt in die Küche brachte, dort einen Stuhl vom Tisch wegzog und den Älteren mit etwas Druck auf seinen Schultern dazu bewegte sich darauf niederzulassen.

Der graublaue Blick verlor sich auf den Fliesen. Oder sah er hindurch? Es war nicht wirklich zu erkennen.

Katsuya wandte sich ab. Welches heiße Getränk sollte er nehmen? Kaiba würde ihm jetzt sicher nicht antworten. War das eigentlich richtig, was er hier gerade tat?

Diese Stille war erdrückend.

Er griff nach der Kaffeedose. Wie dosierte man Kaffee? Wie mochte Kaiba seinen Kaffee? Er trank ihn schwarz, so viel wusste Katsuya. Aber wie schwarz?

„Ich mache jetzt Kaffee.“, informierte er den Sitzenden, „Das habe ich noch nie gemacht und ich habe keine Ahnung, wie man Kaffee kocht. Ich weiß noch, dass sie jeden morgen diesen Glasbehälter bis zu einer gewissen Höhe vollmachen und ich versuche ungefähr diese Menge auch zu kriegen.“, er füllte die Kaffeekanne bis zur Makierung acht, „Und das Wasser kam hier in die Maschine, dafür muss man die Klappe aufmachen. Und jetzt weiß ich schonmal nicht mehr so wirklich weiter. In dieses runde Ding hier muss ein Kaffeebeutel, okay.“, er griff wieder in den Schrank um Besagtes herauszunehmen, „Der wird auseinander gemacht und hier herein getan. Und jetzt habe ich keine Ahnung, wie viel Kaffeepulver ich nehmen muss.“, er wartete einige Sekunden, „Und da sie voll weggetreten sind, werden sie es mir jetzt auch nicht sagen. Da ich gerade Wasser bis zur Markierung acht eingefüllt habe, werde ich jetzt logischerweise acht Löffel Kaffeepulver hier rein tun und hoffen, dass das so richtig ist. Ansonsten müssen sie darunter leiden, schließlich schweigen sie mich gerade an.“, er tat das Prophezeite, während er sprach, „Jetzt wird alles zu gemacht und diese beiden Schalter werden umgelegt. Und in ein paar Minuten wird serviert.“
 

Der Blonde drehte sich zu dem Sitzenden, der sich keinen Millimeter bewegt hatte – aber seine Augen sahen ein wenig in Katsuyas Richtung.

„Ich glaube, mit meinen Geplapper habe ich ihre Aufmerksamkeit bekommen.“, redete er erfreut weiter, „Das ist mir eine Menge wert, denn das heißt, dass ich es schaffen könnte sie langsam wieder in die Realität zu holen. Ich habe zwar keine Ahnung, warum sie plötzlich so weg sind und ich weiß auch noch nicht, wie genau ich das jetzt anstellen soll, dass sie wieder aufwachen, aber ich werde jetzt einfach mal weiter reden. Das Problem dabei ist, dass ich keine Ahnung habe, worüber ich reden soll. Das ist, als würde man plötzlich gezwungen ein Selbstgespräch zu führen. Schließlich tun sie ja nichts als zu schweigen. Aber das ist auch okay, ist nur halt eine Herausforderung für mich.“, er warf einen kurzen Blick zur Kaffeemaschine, die fröhlich vor sich hin arbeitete und setzte sich dann neben Kaiba, „Ich wüsste wirklich zu gerne, was gerade in ihrem Kopf vorgeht. Denken sie überhaupt an etwas? Wenn ich mal richtig weggetreten bin, denke ich meistens an gar nichts mehr. Diese Art von Depressionen ist wirklich hart. Der ganze Rest der Welt geht immer weiter weg und ich höre nichts mehr und sehe auch nicht mehr wirklich was und ganz langsam schalten sich alle Sinne aus. Das ist schön, denn der ganze Schmerz wird betäubt. Aber dann kann ich es nicht mehr steuern. Alles geht immer weiter und ich bekomme Angst mich zu verlieren. Der Rest ist so weit weg. Zu weit weg. Ich werde panisch. Und langsam finde ich wieder zurück, weil ich mir so starke Schmerzen zufüge, dass ich die Realität nicht mehr verneinen kann. Und wenn ich dann aufwache, ist mein ganzer Arm blutig. Ich habe mich dann meistens geritzt.“, er zog seine Jacke aus und hielt seine bandagierten Arme in Kaibas derzeitiges Blickfeld, „Würde ich das nicht tun, dann würde ich ganz langsam sterben, weil alles so weit weg ist. Es ist schlimm, wenn man nicht mehr fühlen kann. Daran stirbt man. Wirklich. Und deswegen möchte ich auch nicht, dass sie sich so verlieren. Aber ich will ihnen auch keine Schmerzen zufügen, damit sie zurückkommen. Weil sie vorhin mal ein bisschen in meine Richtung gesehen haben, habe ich gehofft, dass ihr Gehör noch da ist. Aber jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher. Ich würde mich freuen, wenn sie mir ein Zeichen geben könnten, dass da noch irgendwie Leben in ihnen ist.“

Der Blonde biss sich auf die Unterlippe. Bitte. Bitte. Bitte.

Bitte.

Bitte!

Die Pupillen der graublauen Augen zogen sich leicht zusammen.
 

Erleichtert stieß Katsuya die Luft aus.

„Ja, genau, das sind meine Arme. Da sind die Wunden drauf, von denen ich eben erzählt habe. Die, die ich vom Ritzen habe. Erinnern sie sich noch? Die meisten sind relativ alt, weil ich mich schon lange nicht mehr in meinen Gedanken verloren habe. Da ist jetzt nur noch das Kreuz, was noch nicht zu einer Narbe verheilt ist. Das habe ich mir geritzt, als ich sie bei Yami im Bett gefunden hatte. Das tat ziemlich weh, wissen sie? Da habe ich mich das letzte Mal in Depressionen geschmissen. Yami hat mich zum Glück schnell entdeckt und auch zurückgeholt. Irgendwie kann er das gut. Ich meine, dass er Leute aus den Depressionen holt. Wenn er will, kann er ein sehr sonniges Gemüt haben. Ich auch. Deswegen hoffe ich ja auch ihnen helfen zu können. Ihre Augen haben zwar schon wieder jeden Fokus verloren, aber ich hoffe einfach, dass sie noch da drin sind und mich hören. Ryou sagt zwar, dass man handeln und nicht hoffen soll, aber ohne ein bisschen Hoffnung wird Handeln zu einer Unmöglichkeit. Also versuche ich jetzt die goldene Mitte zu finden. Wären sie wach, dann könnten sie mir jetzt sicher sagen, wer sich diesen Begriff mal ausgedacht hat, weil ich das schon wieder vergessen habe. War irgendso ein alter Philosoph. Ryou und Yami wissen das sicher. Bei Yami dachte ich immer, er hätte gar nicht so eine riesige Bildung, aber das war falsch. Yami ist gebildet. Zumindest was Psychologie und alles rund herum angeht. Und er scheint auch einiges über Medizin auf dem Kasten zu haben. Er wäre sicher ein super Arzt. So einer, der Seele und Körper Gutes tun kann. Zumindest bei mir kann er das richtig gut.“

Er stand auf, trat zur Kaffeemaschine, legte einen der Schalter um und nahm die Kaffeekanne. War sogar bis zur Markierung acht voll. Kaffeekochen geklappt!

„Und Ryou erst! Das ist bombastisch, was der alles weiß. Er ist vier Jahre jünger als ich und weiß mindestens das Vierfache. Und er ist ja nicht nur belesen. Er ist auch noch super intelligent. Schule macht ihm überhaupt keine Probleme. Manchmal kommt es mir so vor, als wüsste er schon alles, was wir da machen. Und dann fragt er mich nach irgendwelchen Sachen, die eigentlich ganz leicht sind. Ich glaube, er denkt einfach zu kompliziert. Ich sage jetzt einfach mal, dass das typisch für Hochbegabte ist. Denn sie denken ja auch so kompliziert. Manchmal kann ich ihnen überhaupt nicht folgen. Wenn ich mit ihnen rede, habe ich das Gefühl sie denken über tausend Sachen gleichzeitig nach. Passiert nicht immer, aber manchmal schon. Besonders wenn ich über irgendwelches Alltagszeug rede. Sie geben irgendwie immer nur Standardantworten dann. Beim Einkaufen zum Beispiel. Als hätten sie das ganze Gespräch vorgefertigt. Das macht mir manchmal Angst. Deswegen führe ich auch gerne unsere kleinen Streitgespräche. Da habe ich ihre komplette Aufmerksamkeit.“, er setzte sich mit dem vollen Becher zu Kaiba und drehte dessen Stuhl zu sich, „Und jetzt? Jetzt habe ich gar nichts. Außer Angst.“, er hielt dem Brünetten den Becher unter die Nase, „Ich weiß nicht einmal, ob sie überhaupt noch atmen. Oh, nein, das nehme ich zurück. Am Kaffee kann ich jetzt sehen, dass sie noch atmen. Wenigstens etwas. Aber was halten sie davon einen Schluck zu trinken?“

Kaibas Augen begannen den Becher zu fokussieren.

„Ja, genau.“, unterstützte der Blonde ihn, „Das ist Kaffee. Lecker. Sie schütten sich jeden Morgen fast eine ganze Kanne davon hinter die Binde.“, er griff mit seiner freien Hand nach Kaibas und brachte ihn dazu den Becher so zu halten, wie er es sonst auch tat, ließ ihn aber trotzdem nicht los, „Probieren sie doch mal. Ich hab‘ mir Mühe gegeben.“

Katsuya spürte einen leichten Ruck des Bechers und beobachtete still, wie Kaiba selbst den Rand zu seinen Lippen zog und an dem Getränk nippte, bevor der Behälter wieder in Katsuyas Hand lag, als wäre sie der Tisch.

Ja! Es war noch Leben da! Der Brünette fand zurück!

Die graublauen Augen fanden die braunen und Katsuya hörte aus einem Hauchen von Kaibas Lippen: „Der schmeckt grausam.“

Lektionen

Nun, das letzte Kapitel hat sehr gespaltene Meinungen hervorgerufen. Ich möchte deshalb an dieser Stelle noch einmal betonen: Ich reagiere nicht auf Bitten und Betteln um mehr Shounen-Ai und erst recht nicht auf Befehle oder Drohungen! (das geht nicht gegen bestimmte Kommentarschreiber, ich kriege ja auch ENS)

Dass das mit der Liebe bei meinen Charakteren ziemlich lange dauert, dem ist einfach so - ich bitte die, die das nicht hinnehmen können, sich einmal in die einzelnen Personen zu versetzen und sich zu fragen, was sie denn an ihrer Stelle machen würden. Und ich möchte bitte auch betonen, dass ich für Kritik immer offen bin, aber nicht für persönliche Angriffe. Danke für's Lesen.

Ansonsten hoffe ich, dass den meisten das Wort "Küchenfreund" geläufig ist. Das Ding wird von manchen auch als Pfannkuchenheber bezeichnet. Damit kann man auf jeden Fall Sachen in einer Pfanne wenden ^.^ Kennt jemand den richtigen Ausdruck dafür? X.X Auf jeden Fall wünsche ich viel Spaß beim Lesen ^.-
 

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„Willkommen zurück...“, murmelte Katsuya und seufzte erleichtert, „Sie haben mir vielleicht Angst eingejagt. Aber wachen sie erstmal auf.“, er stellte den Kaffee zur Seite, lehnte sich vor und griff nach Kaibas Händen.

„Das Zeug würde Tote aufwecken.“, brummte der Ältere mit geschlossenen Augen und drückte Katsuyas Finger zusammen, bevor er seine Lider wieder auseinander zog, „Wie viele Kilo Pulver hast du da rein geschmissen?“

„Acht Löffel Pulver auf acht Strich Wasser.“

„Bei allen Göttern...“, der Blauäugige ließ den Kopf hängen und schüttelte ihn leicht, „Nimm nächstes Mal die Hälfte. Und nicht gehäuft.“

„Okay.“, der Blonde legte seine Stirn an Kaibas Haaransatz und versuchte so mit dem Kopf seinen Lehrer wieder aufsehen zu lassen, „Wie geht es ihnen?“

Es dauerte einige Sekunden, bis der Brünette aufsah, Katsuyas Augen studierte und schließlich zugab: „Bescheiden.“

Pamm.

Pamm.

Pamm.

Kaiba. War. Ehrlich. Kaiba erzählte ihm von seinem Zustand. Er versuchte nicht einmal Ausreden zu finden! Der Blonde konnte sein Grinsen kaum unterdrücken, während sich der Kopf des Anderen an seine Schulter lehnte.

„Danke...“, murmelte dieser leise.

„Womit habe ich so eine Zutraulichkeit verdient?“, fragte Katsuya leise, während er es nicht lassen konnte Kaibas Hände loszulassen, um ihn mit einer Hand zu kraulen und der anderen abzustützen.

„Ehrliche Dankbarkeit?“, der Lehrer atmete tief durch, legte eine Hand auf Katsuyas Brust – und stieß sich von ihm weg, „Genug gesäuselt, es geht mir wieder gut.“

„Schade.“, meinte der Blonde und biss sich noch im selben Moment auf die Lippen.

Idiot!

Hatte er das wirklich laut gesagt?

Der Ältere quittierte es mit einer hochgezogenen Augenbraue.

„Ich gieße jetzt erstmal diese Brühe weg.“, erklärte er und nahm den Becher vom Tisch, „Also im Kaffeekochen hast du dich als wahrlich ungeeignet herausgestellt. Dieses Gesöff ist scheußlich. Ich führe das mal auf deinen beschränkten Wissensstand im Bezug auf Mischverhältnisse zurück. Und den Kaffeebeutel hast du auch vergessen zu entfernen.“, stellte er während seiner Inspektion fest, „Worauf soll ich das zurückführen? Unaufmerksamkeit? Also ehrlich, ein Mann muss ja wohl Kaffee kochen können. Mit Dissoziationen magst du dich ja einigermaßen auskennen, aber dieses Zeug hier...“, er kippte kopfschüttelnd den restlichen Kaffee den Abfluss runter, „Und warum hast du noch nicht mit kochen angefangen? Weißt du, dass mein Magen knurrt? Alles deine Schuld. Was brauchst du auch so lange für die Hausaufgaben?“, er schnappte sich den Ernährungsplan, der auf der Arbeitsablage lag, „Und kannst du mir mal erklären, warum es heute schon wieder Fisch geben muss? Was bin ich, eine Katze?“, nörgelte der Brünette weiter.

Katsuya beobachtete alles mit einem glücklichen Grinsen auf den Lippen.
 

„Soll ich dem Herrn Drachen ein Steak braten?“, fragte der Blonde irgendwann vergnügt in Kaibas Schimpftirade über Fisch hinein.

„Wehe, es ist nicht englisch, dann bist du einen Kopf kürzer.“, erwiderte dieser nur, ließ sich auf seinen Stuhl fallen und verschränkte die Arme vor der Brust, während er die langen Beine übereinander legte, „Und was heißt hier eigentlich Herr Drache?“

„Kam mir nur so in den Sinn...“, meinte Katsuya, während er begann die Kochutensilien zusammen zu suchen, „Sie hörten sich gerade an wie ein grummelnder Drache.“

„Ein grummelnder Drache?“, schoss Kaiba zurück, „Sag mal, wie habe ich dich eigentlich erzogen, dass du es wagst mir so etwas zu sagen? Ich bin dein Lehrer. Lehrer nennt man nicht Drache. Was sind das eigentlich für Sitten, die mittlerweile bei uns Einzug halten? Ich werde aufs Gröbste diffamiert und das soll ich mir bieten lassen? Deine Umgangformen sind wahrlich grottenhaft. Junge, ich glaube, ich muss wirklich böse auf dich sein.“

Der einzige Verdienst für diese Predigt war Katsuyas schallendes Gelächter.

„Und du lachst auch noch darüber? Hast du denn keinen Anstand? Oder nimmst du mich nicht ernst? Ach, ihr Götter, womit habe ich solch ein Schicksal verdient?“, lamentierte der Brünette weiter und verbarg theatralisch sein Gesicht hinter seinen Händen, was den Jüngeren noch einmal losprusten ließ.

„Wenn Yugi mich jetzt sehen würde, würde er mich direkt einweisen lassen...“, meinte Kaiba etwas ernster und legte die Unterarme auf den Tisch, „Ich albere herum. Hättest du dir vorstellen können, dass ich das jemals tue? Ich glaube, du hast einen schlechten Einfluss auf mich.“

„Also mir gefällt’s.“, brachte der Blonde noch immer kichernd hevor, „Weit besser als der unnahbare, böse Kaiba.“

„Meinst du?“, der Lehrer stützte sein Kinn auf eine Handfläche, „Ich weiß nicht ganz, was ich über diese Entwicklung denken soll. Mein Leben lang bin ich ein ruhiger, gesetzter Mensch und plötzlich kommst du in mein Leben und ich beginne herumzualbern und zu spaßen. Fehlt nur noch, dass ich Witze erzähle. Gozaburo würde sich im Grabe umdrehen.“

„Soll er doch.“, meinte Katsuya nur, während er die Beutel mit Fisch und Fleisch in heißes Wasser zum Auftauen legte und das Gemüse von gestern in die Mikrowelle stellte, „Ist das, was er ihnen an Werten vermittelt hat, denn wirklich das, mit dem sie leben wollen?“
 

Er wagte sich aufs Eis, ja, das wusste er. Aber bei dieser guten Stimmung und Kaibas plötzlicher Offenheit konnte er vielleicht endlich mal etwas erfahren.

„Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht.“, gab der Ältere zu, „Er hat eine Menge Schwachsinn fabriziert, aber einige seiner Überlebensregeln und Gründsätze sind gar nicht mal so schlecht. Jetzt, wo ich das Ganze objektiv betrachten kann, war doch einiges dabei, was ich nicht vom Grundsatz her verteufeln muss.“

Und das war wieder einer der Momente, wo man nur sagen konnte: Kaiba war ein wahrlich erwachsener Mensch. Gab es denn auch an seinem Vater Dinge, die vielleicht gut waren?

„Was denn zum Beispiel?“

„Nun, er wusste sehr gut, wie man das Beste aus allem und jedem herausholen konnte. Auch wenn ich seine Methoden verurteile. Noah und auch ich waren zweifellos stets bestrebt in seinen Augen als wertvoll zu gelten. Bei Noah ging er einen liebevollen Weg, bei mir einen schmerzhaften. Aber das Ergebnis war dasselbe. Er schaffte es immer wieder Menschen dazu zu bringen ihr Bestmöglichstes zu geben. Das ist etwas, was ich ebenso gern können möchte, allein schon, weil es für meinen Beruf sehr wichtig ist. Außerdem konnte er sich mit Leib und Seele einer Aufgabe widmen und gab nur auf, wenn das Ergebnis die Anstrengungen nicht wert war. Er konnte sehr gut die Effizienz von Dingen einschätzen. Allgemein waren seine Einschätzungen immer sehr objektiv. Seine einzigen Fehleinschätzungen lagen bei mir und sie haben ihn schließlich das Leben gekostet. Das war seine letzte Lektion an mich: Unterschätze andere niemals, denn jeder hat seine Qualitäten und Talente. Das habe ich erst relativ spät verstanden, aber bitte, ich habe es verstanden. Es gab einige wichtige Dinge, die er mir vermittelt hat. Und auch seine Quälereien und die ganze Folter hatten irgendwo ihren Sinn. Sie haben mich den Respekt und die Wertschätzung des Lebens gelehrt. Auch wenn es schmerzhaft war und es mir heute keiner glaubt, dass ich davon etwas verstehe.“

Katsuya streute noch ein wenig Pfeffer auf das ungebratene Steak, bevor er sich zu dem Sitzenden umwandte und flüsterte: „Ich bewundere sie, wissen sie das?“

„Bitte?“, der Ältere sah überrascht auf.

„Ja...“, der Blonde musterte den Boden, „Mein Vater hat mich seit Jahren zusammengeschlagen und alles, woran ich denken kann, ist, wie scheiße mein Leben ist und wie ungerecht diese Welt. Anderen, wie ihnen zum Beispiel, ist es viel schlechter ergangen und alles, was sie tun, ist gestärkt aus ihrem Leid hervorzugehen und da weiterzukämpfen, wo ich längst aufgegeben hätte. Sie sehen Gutes da, wo für mich alles schwarz ist.“

„Und was bringt es dir jetzt so auf dir selbst rumzuhacken?“, fragte der Sitzende nur, „Wenn’s dich stört, ändere es doch. Positives Denken hat noch niemandem geschadet.“

Oh ja, das hörte sich doch wahrlich mal wieder nach dem kalten Kaiba an. Der emotional distanzierte Mann sprach über positives Denken...

„Sagen sie so. Ich hab’s schon mal versucht. Über meine Mutter kann ich so denken, aber über meinen Vater? Nie im Leben.“

„Arbeite halt dran. Niemand sagt, Leben sei einfach.“, der Ältere zuckte nur mit den Schultern, „Und schmier‘ mir gefälligst keinen Honig um’s Maul, sonst werde ich noch eingebildet.“

Katsuya verkniff sich den Kommentar, dass der Andere beizeiten ganz schön eingebildet sein konnte – aber wer wusste schon, ob das nicht auch gespielt war.

„Und was soll das eigentlich, dass du nur deswegen mein Fleisch liegen lässt? Soll ich verhungern? Arbeite gefälligst, wenn du mir schon was Gutes tun willst.“

Grinsend wandte er sich wieder dem Steak zu.
 

„Habe ich dich wirklich so sehr verletzt, dass du starke Dissoziationen bekommen hast?“, fragte der Brünette leise, während sein Essen schon vor ihm stand und Katsuya gerade den Fisch für sich selbst briet.

Mit dem Küchenfreund hob er das Filet an, drehte es geschickt, schwenkte die Pfanne, legte das Küchengerät zur Seite und stellte den Herd ab, während das weiße Stück leichte braune Züge annahm – ganz wie der Blonde es mochte. Er hob es mit dem wieder aufgenommenen Küchenfreund an, legte es auf seinen Teller, fischte die Kräuterstängel aus der Pfanne, die er darauf niederließ, fügte noch einen Schuss Zitrone hinzu, legte die restlichen Beilagen auf seinen Teller zurecht und würzte noch einmal nach.

„Katsuya?“

„Ich schließe aus ihren Worten, dass sie sich an alles erinnern können, was ich ihnen erzählt habe. Und ich bitte sie mich auf den Vorfall nicht mehr anzusprechen.“

Es war wie ein Stück Eis, für das man die Haut an seinem Schlüsselbein aufgeschnitten hatte, um es in seine Brust schieben zu können. Aber erstaunlicherweise war es bei weitem nicht so schlimm wie sonst, wenn er daran erinnert wurde.

„Wie du wünscht.“, tat Kaiba das Thema ab und widmete sich seinem Essen.

„Das Bento schmeckte übrigens sehr gut. Haben sie es selber gemacht?“, wechselte der Blonde sofort das Thema.

„Hatte ich noch nicht erzählt, dass ich nicht einmal Fisch braten kann?“, hielt der Ältere dagegen.

„Das schließt nicht aus, dass sie Bentos zubereiten können.“, die Stimme des Jugendlichen gewann wieder an Emotionen.

„Okay, ich kann auch keine Bentos machen. Ich habe alles aus verschiedenen Packungen zusammengeschachtelt. Besser?“, knurrte Kaiba.

Okay, das ging nach hinten los. Das Thema Kochen und Küche sollte er wohl besser komplett aus den Gesprächen mit seinem Lehrer streichen.

„Ich wollte sie nicht kränken. Entschuldigung.“

„Das Essen entschädigt es. Wenigstens du kannst kochen.“

„Darf ich aus dieser Aussage ableiten, dass es ihnen schmeckt?“

„Darf ich mal fragen, warum du plötzlich so hochtrabend redest? Die Worte kränken und ableiten gehören normalerweise nicht zu deinem Wortschatz.“

„Ich versuche nur mich ihrem Sprachniveau anzupassen.“, säuselte der Blonde und grinste seinen Lehrer fies an. Genau so musste es zwischen ihnen laufen.

„Willst du mich provozieren?“, fragte dieser amüsiert zurück.

„Wenn ja, was dann?“
 

Ob das eine gute Idee gewesen war? Dieses Funkeln in den blauen Augen verhieß nichts Gutes.

„Meine freundliche Maske könnte bröckeln. Ein Streit lockert meine Zunge schnell auf. Und ich finde, ich bin seit Tagen eine überaus freundliche und friedliche Person. Willst du das aufs Spiel setzen?“

Nein, das wollte er ganz sicher nicht. Diesen Kaiba wollte er nicht wieder hergeben. Kaibas böse Seite konnte gerne noch etwas länger Urlaub nehmen.

„Apropos Spiel. Was halten sie von einem? Magic&Wizards?“

„Ich könnte mich dazu hinreißen lassen.“, gab der Brünette versonnen zu und ein Glitzern durchzog die hellen Augen.

Wo hatte er dieses Glitzern das letzte Mal gesehen? Das war länger her... aber es bedeutete nichts Gutes, das wusste Katsuya noch.

„Was hältst du davon, wenn wir die Regeln etwas ändern? Zum Beispiel Strafen für den Verlierer einbauen?“

Na toll. Da er jedes Spiel verlieren würde, hätte ihn Kaiba ja vollkommen in der Hand.

„Welche Strafen?“, fragte er dennoch.

„Formeln.“

...

...

...

„Formeln?“

„Formeln.“, bestätigte der Lehrer.

„Und... das heißt?“

„Nach jedem Mal Verlieren musst du eine mathematische oder physikalische Formel aufsagen und sie erklären. Wenn du keine weißt, werde ich dir eine sagen und erklären und du musst sie mir danach aufsagen und erklären können.“

Das war doch... typisch Lehrer? Hatte er eigentlich irgendetwas anderes von Kaiba erwartet? Katsuya seufzte. Nein, das trug grell Kaibas Handschrift...

„Auf geht’s.“

Und dies war wieder einer der Momente, wo der Blonde dachte sein Hirn würde schon sehr bald pulverisiert – denn er trug an diesem Abend siebzehn Niederlagen davon. Und ihm vielen ganze acht Formeln ein. Land unter... na ja, die meisten neuen Formeln konnte er für Mathe ja glatt gebrauchen. Und zwei wichtige physikalische waren auch dabei.

Aber woher kannte und konnte der Ältere die eigentlich so gut? Brauchte man die für Wirtschaft? Als Japanisch- und Religionslehrer hatte er sie sicher nicht gelernt. Auch wenn er langsam immer mehr erfuhr, Kaiba blieb ein Mysterium...

Breakfast

Entschuldigt, dass das Kapitel sich um einen Tag verspätet v.v Gestern war leider keine Gelegenheit mehr um es hochzuladen. Das nächste kommt entweder Samstag oder Sonntag, vielleicht entschädigt das ja ^.^ (außer dieses ist Samstag noch nicht on, dann kommt es Mittwoch)

Ansonsten möchten ich euch für eure vielen lieben Zuschriften danken *verbeug* Das hat mich tief bewegt. Ich habe nicht eine böse Nachricht bekommen ^v^ So kann ich mit neuem Elan weiterschreiben - und wie ich manchen schon prophezeite, manches kommt früher als man es sich wünscht ^.- (nur eine dunkle Andeutung...)

Und ja, es wird definitiv noch um die fünfunddreißig Kapitel geben. Was sich allerdings in der Planung erhöht hat, ist die Anzahl der Adultkapitel. Mir kam da eine blendende Idee, die ich unbedingt einarbeiten musste... (und die perfekt in den Plan passte ô.o)

Aber all das ist noch nicht allzu aktuell ^.^ Zuerst einmal wünsche ich euch Spaß mit dem Drachen und dem Zicklein ^.-
 

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„Einen wunderschönen, guten Morgen!“, rief Katsuya aufgekratzt, streute mit der rechten Hand Kräuter über die zwei gehäuften Schalen Reis und stellte diese oben links neben die Teller, auf denen verschiedene Arten Sushi und ein Eckchen Salat angerichtet waren, wobei von Letzterem noch eine ganze Schüssel gefüllt war.

Kaiba stand noch immer regungslos im Türrahmen der Küche und beobachtete den Blonden aufmerksam, während seine Augen immer wieder zum Tisch huschten, auf dem sich Kaffee, Tee, Butter und Aufschnitt sowie ein Korb voll Brot und Gebäck befanden.

„Erstens: Wo bin ich? Zweitens: Wer oder was bist du? Drittens: Was ist zwischen gestern Abend und heute Morgen passiert, was ich nicht mitbekommen habe?“, fragte der Brünette mit hochgezogener Augenbraue.

„Das ist ihr Haus, ich bin ihr Haustier und ich bin früh aufgestanden, um das Frühstück zu machen.“, berichtete Katsuya vergnügt.

„Und hast du Herrchen auch schon seine Zeitung reingeholt?“

„Verdammt!“, fluchte das neu erkorene Hündchen und sprintete an Kaiba vorbei zur Haustür.

„Ich vermutete wirklich schon, du wärst jemand anderes...“, hörte er den Älteren noch sarkastisch sagen, bevor er das Gewünschte von der Matte hob und wieder zurück lief.

„Was soll das denn jetzt heißen?“, maulte der Blonde, während er seinem Lehrer die Zeitung reichte.

„Gar nichts...“, murmelte der unschuldig und setzte sich an den gedeckten Tisch.

„Ich bin auch nur ein Mensch, okay?“

„Ich dachte, du wärst mein Haustier?“, fragte Kaiba lauernd nach und warf dem Jüngeren über die Zeitung einen amüsierten Blick zu, bevor er sie aufschlug und somit dahinter verschwand.

Katsuya öffnete nur den Mund, stoppte, zog die Augenbrauen zusammen und legte die Lippen langsam wieder aufeinander, bevor er murmelte: „Das sollte eigentlich ein Witz sein...“

„Das will ich hoffen.“, erwiderte die Stimme hinter der Papieransammlung, „Sonst müsste ich nachher mit dir Gassi gehen.“

Der Blonde wurde leicht rot, plusterte die Wangen auf und stieß leise die Luft aus.

„Womit habe ich diese Fieshaftigkeit jetzt wieder verdient?“

„Wie kannst du es wagen vor mir aufzustehen?“, fragte Kaiba ein wenig barsch, während er die Zeitung fast waagerecht hielt und sein Gesicht somit wieder sichtbar war, „Ich hatte mir schon richtig gemeine Sachen ausgedacht, wie ich dich heute wecke und du stehst vor mir auf? Das nenne ich fies.“

Katsuya konnte sein Grinsen kaum unterdrücken.
 

„Und was für gemeine Sachen?“, fragte der Blonde lauernd, während er eine Kanne vom Tisch nahm, sich vor Kaiba an den Tisch lehnte und ihm Kaffee eingoss.

„Als würde ich dir das verraten...“

„Sollten sie aber.“, er hielt den Behälter über den Älteren, „Sonst könnte es vorkommen, dass sie heute noch zweimal duschen müssen.“

Der Brünette sah nicht einmal von der Zeitung auf, während er sagte: „Das tust du eh nicht.“

Spielverderber! Mist, verdammter aber auch...

„Das ist so gemein... ich habe nichts, mit dem ich ihnen ernsthaft drohen kann ohne mich selbst dabei in Gefahr zu begeben. Das ist eine unfaire Verteilung.“

„Das ist mir so recht und gerecht.“, urteilte der Lehrer nur.

Katsuya atmete tief ein und seufzte. Ja ja, die Welt war so gemein...

„Und was hast du da nun alles vorbereitet?“, fragte der Ältere versöhnlich, während der Blonde direkt wieder hin und weg war und anfing zu plappern, was da alles stand und was da drin war und wie gut es schmeckte und so weiter und so fort...

„Gibt es bei dir eigentlich einen Knopf zum Ausstellen?“, meinte Kaiba einige Minuten später.

„Wieso?“, erwiderte der Blonde naiv.

„Ich habe ja schon mitbekommen, dass dein Kopf dich einige Altersstufen, in denen du zu kurz gekommen bist, noch einmal im Schnellverfahren durchleben lässt und wenn ich Yamis Erklärungsversuche dafür richtig verstanden habe, wird das auch noch einige Monate andauern, bis du wieder ruhiger wirst, weil du mitten in einem Verarbeitungsprozess steckst, aber deine Aufgedrehtheit ist ein bisschen viel für mein ruhiges Gemüt.“

Ach, das war mit ihm los? Immer gut zu wissen.

„Yamis Erklärungsversuche? Wann haben sie denn mit dem gesprochen?“, fragte er nach, während er von seinem Sushi futterte.

„Gestern. Bevor ich runter gekommen bin. Also, könntest du ein bisschen zurückschrauben?“, wiederholte der Brünette seine Bitte.

„Schaffe ich eh gerade nicht.“, meinte der Jüngere, „Aber in ungefähr anderthalb Stunden sind sie mich ja los. Und vorher muss ich noch gucken, wie ich überhaupt hinkomme. Haben wir eine Stadtkarte mit U-Bahn-, Bahn- und Busverbindung da?“

„Bist du schon Mitbesitzer?“, fragte der Andere amüsiert nach, während er zu einem Ständer neben dem Obstkorb ging und dort das Gewünschte heraus zog.

„Stört es sie? Ich finde das irgendwie traurig immer von ihrem Haus und ihren Sachen und ihrem allem zu sprechen, obwohl ich ja auch hier lebe. Das erinnert mich nur daran, wie schnell ich... nicht mehr hier wohnen könnte. Und... das...“, Katsuyas Stimme erstarb.

„Durch die Sache mit Yami solltest du eigentlich wissen, dass ich dich nicht einfach aussetze.“, Kaiba legte die Karte neben den Teller, „Am Ende hängt mir noch der Tierschutzverein am Hals. Nein, danke. Wenn ich dich wirklich rausschmeiße, suche ich vorher nach einer anderen Unterkunft für dich.“

Der Jüngere schluckte.

Wie... beruhigend.
 

„Ansonsten ist das meinetwegen unser Haus. Fühl‘ dich daheim.“, erwähnte Kaiba relativ nebenläufig, während er sich setzte und auch Sushi aß.

„D- danke...“, stotterte der Blonde überrascht.

Eigentlich hatte er erwartet einen dummen Spruch zu hören. Ob diese Freundlichkeit wohl noch lange anhielt? Hoffentlich... Irgendwie kam es ihm vor, als hätten die Worte seinen inneren Heizstrahler eingeschaltet. Denn es wurde wärmer. Und wärmer. Und wärmer!

„Bedeutet dir das so viel, dass du knallrot anlaufen musst?“, fragte der Ältere relativ tonlos nach.

„Ich kann das nicht steuern!“, wehrte sich Katsuya mit Worten, „Ich verhalte mich wie ein pubertäres Schulmädchen, oder?“

„Ja...“, murmelte der Andere bestätigend, „Ich frage mich, wo in deiner Entwicklung das vorkommt...“

„Hey!“, fauchte der Jüngere.

Das war verdammt peinlich, ja? Hoffentlich begann er nicht Kaiba mit Herzchenaugen anzustarren...

„Wenn ich mich mal als Psychologe betätigen müsste, würde ich sagen, du versuchst stereotype Verhaltensweisen nachzuahmen um ein für dich passendes Verhalten zu finden.“

Der Boden solle sich auftun und ihn einfach verschlucken...

„Der kleine Rebell war also noch nicht das Endprodukt. Interessant...“

„Ich bin kein Studienobjekt!“, keifte der Blonde.

Oh nein... er war gerade nicht hysterisch geworden, oder? Er war ein neunzehnjähriger Junge, neunzehnjähriger Junge, neunzehnjähriger Junge...

„Yami hätte seine Spaß.“, urteilte der Lehrer, „Aber der verschläft ja das Wichtigste.“

„Der muss arbeiten.“, dieses gehässige Grinsen machte ihn wild! „Und selbst wenn, er kümmert sich immer noch um mich. Er holt mich jedes Mal von der Arbeit ab!“

„Tut er das?“, fragte der Andere nach.

„Ja!“

„Dann könnte ich dich ja hinfahren.“
 

Es sollte aufhören, aufhören, aufhören, aufhören, aufhören, bitte!

Es war, als stände man neben sich selber und würde sich andauernd erröten oder blöd kichern oder dumme Kommentare machen sehen und könnte nichts dagegen tun! Es war doch zum Haare raufen! Womit hatte er das eigentlich verdient? Was tat sein Hirn ihm da an? Und wie lange würde das noch andauern? Yami hatte Kaiba anscheinend erklärt, dass eine solche Phase zwischen einigen Stunden und mehreren Tagen anhalten konnte – Horror!

Und Kaibas Kommentare erst... ob er seine Tage hätte? Ob er seine weibliche Seite entdeckt habe? Ob er ihm ein Röckchen kaufen soll? Der Mann gehörte auf den Mond geschossen! Mitsamt seinem seidigen Haar und den sündigen Lippen und den blauen Augen und dieser verdammt spitzen Zunge! Wann hatte er die bloß wieder gefunden?

„Und hier arbeitest du?“, fragte der Ältere abschätzig und besah sich die Straße und die Außenfassade des Sixth Heaven, „Ist das ein Bordell?“

„Das ist eine Bar!“, knurrte Katsuya.

Na ja, eher ein Club als eine Bar…

„Sind wir wieder auf den Hund gekommen?“

„Sitzt die Maske auch gut?“, feuerte er zurück.

„Du bist aber kratzbürstig.“, meinte der Brünette, während er die Lokalität betrat.

„Und sie unglaublich feinfühlig.“, zischte der Jüngere, doch verlor jeglichen Gesichtsausdruck, während er Kaiba beobachtete.

Dieser ließ seinen Blick über die lackierten Holztische und die Ledergarnituren, die erotisch angehauchten Bilder an den Wänden – und Kleidungsstücken mit dazu gehörigem Namen der ehemaligen Träger oder eher der ehemaligen Trägerinnen – der hinten anschließenden Tanzfläche, dem Käfig und den zwei Stangen sowie dem langen Tisch für die Table Dancer schweifen, bis er auf einem brünetten Kellner liegen blieb, der auf sie beide zukam – in der typischen Uniform des Sixth Heaven.

„Sag‘ mir nicht, dass du auch so rum rennst...“, murmelte der Lehrer, warf dem Blonden einen kurzen Blick und wandte diesen wieder zu dem Herankommenden, „Sag‘ am besten gar nichts mehr.“

Ein guter Gedanke...

„Entschuldigung? Wir öffnen erst in einer halben Stunde.“, informierte sie der junge Mann.

„Schon gut, er gehört zu mir.“, meinte Katsuya nur und ging zur Bar, wo Marik einige Gläser mit dem Fuß nach oben an Metallstreben an der Decke aufhängte – sehr platzsparende Methode, das musste er zugeben.

„Wer ist denn der Schnuckel?“, fragte der Sandblonde so laut, dass Kaiba es sicher mitbekommen hatte, was sich dadurch bestätigte, dass dieser eine Augenbraue hochzog.

„Mein... äh...“, der Braunäugige warf noch einen Blick über die Schulter. Sein Lehrer? Sehr tolle Vorstellung. Sein Schuldirektor? Noch schlimmer...

„Sorgeberechtigter.“, unterbrach der Älteste Katsuyas unsicheres Gestammel.

„Oh!“, merkte der Barkeeper auf und streckte eine Hand über den Tresen, „Marik Ishtar, sehr erfreut.“

„Ishtar?“, fragte Kaiba nach und schüttelte ihm diese, „Sind sie mit Isis Ishtar verwandt?“

„Ja, die ist meine Schwester.“

Die Welt war zu klein!
 

„An ihrer Schule?“, Marik lehnte sich erstaunt vor und stützte sich mit einer Hand ab, „Ich wusste ja, dass sie als Krankenschwester arbeitet, aber an einer Schule? Na ja, ich vermute, die Jobs sind rar gesät. Heilberufe werden auch immer weniger verlangt. Die Leute sterben lieber weg wie die Fliegen oder pumpen sich mit Tabletten voll.“

„Hast du mit deiner Schwester keinen Kontakt mehr oder warum wusstest du das nicht?“, fragte der Blonde nach.

„Ich wohne bei ihr.“, gab der Andere zu, „Aber hey, sie hat ihr Leben, ich habe meins. Jeder hat seine Privatsphäre und der andere mischt sich nicht ein. Harmonische Sache.“

Katsuya ließ den Blick sinken. Wie viel würde er darum geben seine Schwester nur zu sehen. Ein Wort mit ihr wechseln zu können!

„Alles okay mit dir?“, der Dunklere zupfte an einer der blonden Strähnen um die Aufmerksamkeit des Jüngeren wieder zu erlangen.

„Ja... klar... ich gehe mich dann mal umziehen.“

„Jo, bis später. Nein, halt! Was mache ich mit deinem Alten hier?“, Marik zeigte auf den Lehrer.

„Ich kann mich selbst beschäftigen.“, knurrte dieser zurück – sichtlich genervt. Nun, wenigstens zeigte er seine Gefühle, nicht?

Katsuya konnte sein Schmunzeln nicht unterdrücken, während er am Bedienstetenzimmer klopfte.

„Katsuya?“, Mai öffnete die Tür – diesmal war sie sich wohl gar nicht zu schade, dass sie nur einen BH trug, „Endlich! Anzu ist krank und diese Tröte da springt ein.“, sie nickte in Richtung des brünetten Kellners, „Ich brauche unbedingt Hilfe mit der Bluse und den Haaren. Und schminken müssen wir dich auch noch! Aber du siehst definitiv besser aus, nicht mehr ganz so zerbombt wie letzte Woche. Und sag‘ mal – wer ist die scharfe Nudel direkt hinter dir?“, ihre Augen fixierten einen Punkt etwas über dem Jüngsten.

„Schau‘ mal: Dein Spiegelbild...“, säuselte Kaiba, der natürlich die angesprochene Person war, wofür der Blonde glatt mit dem Ellbogen nach hinten ausschlug, wobei der Lehrer – sehr zu Katsuyas Bedauern – auswich.

„Nur ein Incubi.“, zischte der Braunäugige spitz und presste fast im selben Moment die Lippen wieder zusammen. Er war ein neunzehnjähriger Junge, verdammt!

„Sieht gut aus, dein böser Geist.“, schnurrte sie, zog den Blondschopf ins Zimmer und schloss die Tür vor Kaibas Nase ab, „Wir sollten uns fertig machen.“
 

Die Hilfe, die Mai benötigte, lag darin ihr Hemd zu zuknöpfen, während sie ihre Brüste zusammendrückte, weil sie das enge Teil sonst nicht geschlossen bekam. Des Weiteren hatte er ihre Haare mit einer halben Flasche Spray einzusprühen und ihr einen Lippenstift anzureichen. Sehr weltbewegende Aufgaben also. Aber dafür schminkte sie ihn auch, was sie diesmal fast eine ganze Tube Abdeckcreme kostete, weil sie seinen ganzen Oberkörper auch noch mit einschmieren musste – das kam davon, dass er keine Bandagen mehr trug. Hoffentlich vertrugen die Wunden sich mit der Kosmetik...

„Und du bist wirklich schwul?“, fragte sie, während sie versuchte ihren Busen im Büstenhalter zu ordnen.

„Auf jeden Fall. Die da regen bei mir nämlich gar nichts.“, meinte er und nickte zu ihrer Brust.

„Verschwendung.“, urteilte sie, „Wie steht es mit deinem Macker?“

„Mai, das ist mein Sorgeberechtigter.“, informierte Katsuya sie, was ihm mit einem erstaunten Blinzeln gedankt wurde, „Und weiterhin ist er stockschwul, wenn ich das richtig mitbekommen habe.“

„Hach.“, sie seufzte tief, „Ich sag’s ja, jeder gute Mann ist schwul. Er, Marik, du... einzig hetero ist die brünette Pfeife da draußen, die mich nicht interessiert. Aber wenn dieser Typ dein Sorgeberechtigter ist, wie alt ist der dann?“

„Achtundzwanzig, in ein paar Monaten neunundzwanzig.“

„So alt?“, rief sie überrascht aus, „Meine Güte... was ist eigentlich mit deinen Eltern?“

„Die Überreste davon hast du gerade übermalt.“, gab er leichtfertig von sich – was ihn selbst ein wenig erschreckte. Konnte er so einfach über seinen Vater sprechen? War er schon so weit?

„Scheißtypen.“, befand die Blonde, „Und bei diesem Schönling geht es dir besser?“

„Solange er nicht böse ist... weißt du, wie oft er mich heute schon aufgezogen hat? Nur weil ich mal ein bisschen zickig bin.“, fauchte Katsuya und zog die Unterlippe hoch.

„Niedlich!“, kreischte die Ältere, „Und das findet er schlimm? So’n paar Stimmungsschwankungen? Echt mal, der muss wirklich schwul sein. Der würde nie eine Frau aushalten können.“

„Ganz meine Meinung.“, stimme der Blonde zu und bemerkte im Stillen, dass er sich benahm wie Anzu es sonst tat – kein Wunder, dass Kaiba genervt war, „Aber ob er überhaupt irgendwen aushält, steht auch noch in Frage.“

„Wie? Mag er dich nicht?“

„Doch, schon. Ich meinte jetzt beziehungsmäßig. Obwohl da eher er schwer auszuhalten ist.“, begann er hier gerade zu tratschen?

Mai lachte schrill auf und meinte: „So schlimm?“

„Manchmal ist er doch arg... kühl.“, wo war der Knopf zum Abstellen? Er wollte nicht mehr! Er war ein Mann, bei allen Göttern! Hoffentlich war das bald vorbei...

„Ach schade, wir müssen loslegen.“, murrte die Ältere mit einem Blick auf die Uhr, wobei Katsuya schon aufgestanden war.

Beide traten in das Innere der Bar, wo sich noch kein Gast eingefunden hatte – und auch kein Kaiba mehr zu sehen war.

Der Club

Danke für über 700 Kommentare! Leute, ihr haut mich um... und ein großes Extra-Danke geht an Pancratia, die ein FA gezeichnet hat ^///^ Ich vermute zwar, die 700-Kommi-Grenze schafft sie nicht, aber wir können es ja mal versuchen, nicht?

Weiterhin gibt es hiermit eine große Ansage: Die Abhandlung über die Abwehrmechanismen ist fertig, mit der Fachliteratur verglichen, Korrektur gelesen und von zwei Psychologen überprüft - wenn jetzt noch was falsch ist, kann es sich um nichts Schwerwiegendes handeln. Wer sie haben möchte, bitte im Kommentar schreiben oder ENS senden. Für Originale bitte E-Mail-Adresse beilegen.

Und falls mich jemand mal live erleben will, ich bekam heute eine Anfrage ein paar Autorenlesungen zu halten. Wer in NRW wohnt und zufällig Zeit hat, kann ja mal vorbeischneien ^-^

Was das nächste Kapitel angeht, das kommt Mittwoch. Wahrscheinlich werden die Kapitel in den nächsten zwei Wochen eh etwas knapper als sonst, ich schreibe meine Klausuren - für die, die es nicht wissen, 13.1-Klausuren zählen doppelt! Die sind sehr wichtig >.< Drückt mir vielleicht jemand die Daumen? ó.ò Bitte T.T

Ansonsten viel Spaß beim Lesen ^.- Zu dem Kapitel sage ich schlicht und ergreifend nichts ^.^
 

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„Schade, dass dein Schönling nicht geblieben ist.“, murrte Mai, während sie mit Katsuya an der Bar stand und beide mal kurz eine Pause einlegten.

„Ich trauere nicht wirklich.“, erwiderte der Blonde, „Er muss nicht unbedingt sehen, wie viele tausend Typen mir hier stündlich an den Hintern packen.“

„Ist sein Revier, was?“, mischte Marik sich ein.

„Ich. Bin. Nicht. Mit. Ihm. Zusammen.“, sagte der Braunäugige nun sicher schon zum zehnten Mal.

„Aber du wärst es gerne.“, beharrte der Sandblonde.

„Warum sollte ich?“

„Ich an deiner Stelle würde es tun.“

„Ach, Marik, vögel’ mal wieder und nerv’ nicht die Allgemeinheit mit deinem Stau.“, ereiferte die einzige Frau unter ihnen sich, worauf der Barkeeper sich beleidigt abwandte und beim Cocktailmixen schmollte.

„Es ist ja nicht so, als hätte ich noch nie daran gedacht…“, flüsterte der Jüngste, „Aber das wird doch nie etwas… der Mann ist knapp zehn Jahre älter, hat jede Menge Erfahrung, ist berühmt und belesen und gebildet und super intelligent. Was habe ich denn zu bieten? Ich bin Wurmfutter dagegen.“

„Du bist süß und herzlich und knuffig.“, meinte sie, „Du schaffst es mich zu ertragen, also wirst du auch ihn aushalten. Und warum sollte es schlecht sein, dass dir zehn Jahre Erfahrung und Bildung fehlen? Wenn er wirklich so toll ist und du interessiert, dann wirst du seinen Stand sicher auch bald haben. Außerdem bist du zehn Jahre länger hübsch, wenn ihr mal alt seid.“

Katsuyas Mundwinkel zuckten nach oben.

„Und wenn irgendwelchen alten Säcke junge Frauen heiraten können, kannst du dir auch deinen Adoptivsonstwas schnappen.“

„Pflegebeauftragter. So heißt das, glaub’ ich.“, meinte er.

„Was auch immer. Wenn ich ihn schon nicht kriege, ist es dein Auftrag als süßes Blondchen den Typen zu beschlagnahmen.“

„Okay…“

„Und wehe, du tust es nicht, dann krall’ ich ihn mir.“, sie zwinkerte ihm zu.

„Ich würde ihn nicht kampflos aufgeben.“, ein Funkeln schlich sich in Katsuyas Augen.

„Na also, so kenn’ ich dich. Trübsal blasen steht dir nicht.“

„Stürzen wir uns wieder in die Meute?“

„Au ja, Hände quetschen.“, sie stellte ihr nun leeres Glas Apfelschorle vor Mariks Nase und zog den Blonden hinter sich her.
 

„Es ist schon sechs Uhr?“, meinte Katsuya überrascht, während er ein Glas Wasser entgegen nahm.

„Zeit vergeht schnell, was?“, der Sandblonde zwinkerte ihm zu.

„Jo…“, der Braunäugige nippte an seinem Getränk, „Wofür ist eigentlich die Tanzfläche? Und das ganze andere Zeugs?“, er nickte zum Ende des Raumes.

„Nach unserer Schicht wird aus diesem ach so anständigen Lokal ein Nachtclub. Andere Musik, anderes Licht, andere Uniformen. Meistens auch Stripper oder Sängerinnen oder was auch immer ansteht. Und wenn man die Kellner und Kellnerinnen der Nachtschicht gut bezahlt, schmeißen die sich in den Käfig oder auf den Tisch. Chefchen sieht das zwar nicht gern, aber die sind der Renner.“, erklärte der Barkeeper, „Ab acht Uhr ist das hier die Lust- und Lasterhöhle. Da ist die Hölle los.“

„Wird es deshalb gegen Abend immer voller?“

„Schlaues Köpfchen.“, der Ältere trocknete nebenbei die Gläser.

Ein Nachtclub also... Dunkelheit, schummriges Licht, halbnackte Kellner und Kellnerinnen, Musik, Tanz... Yakuza... was hatte Marik da letzte Woche gesagt? Hier versammelten sich wohl auch ein paar Unterweltler. Ein bisschen Club wäre ja wirklich mal ganz nett, aber mit Gangstern in der Nähe? Obwohl, eigentlich gab es ja keine Jugendlichen in der Nähe, die ihn erkennen könnten. Wenn also keiner etwas von seinem Ruf wusste, was für eine Bedeutung sollte er da für die Yakuza haben? Keine. Sich ein bisschen zu amüsieren, das wäre doch mal etwas...

Er war noch nie als Gast in einem Club gewesen.

Wurde mit neunzehn doch mal Zeit, nicht?

„Ist da noch jemand anwesend?“, fragte Marik, der ihm mit dem Finger aus die Nase stupste.

„Wie? Was?“, fragte der Blonde leicht orientierungslos nach.

„Hallo?“, der Ältere grinste, „Wo bist du denn mit den Gedanken?“

„Tanzen...“

„Tanzt du gerne?“

„Ich habe es noch nie probiert.“, gab Katsuya zu.

„Dann solltest du vielleicht mal deinen Freund fragen.“, welchen der beiden er auch immer jetzt wieder meinte, „Der ist ja so heiß! Ich bin nur so scharf auf ihn, weil er auf dem Parkett so richtig sexy abgeht. Das ist ein Gott!“, es schien eher um Yami zu gehen, „Er hat wahrlich Feuer im Blut. Wie ein echter arabischer Hengst... bevor du hier angefangen hast, ist er jeden Samstag zum Tanzen gekommen und hat sich seine neue Kundschaft aus der ganzen ihm hinterher hechelnden Menge gesucht.“

„Yami tanzt?“

„Und wie der tanzt!“, stimmte der Sandblonde zu.

Hm...

Yami tanzte also...
 

Wenn Marik sagte, Yami sei ein Gott beim Tanzen, dann war seine Schwärmerei nicht unbedingt übertrieben. Wahrlich nicht.

Mehr konnte man da nicht sagen: Er tanzte.

Und der Rest der Welt bewegte sich mehr oder minder musikalisch.

Katsuya hatte die Idee seines tanzenden besten Freundes nicht mehr losgelassen – was dazu führte, dass er Yami gut fünfzehn Minuten zugejammert hatte, bis dieser sich auf die Tanzfläche schwang. Obwohl er eher neben der Tanzfläche schwang. Er hatte sich nämlich eine der Stangen geschnappt, um die er gerade sein Bein legte und sich relativ langsam mit kreisenden Hüften in die Hocke sinken ließ, wobei das schwarze Leder seiner Hose sich hart über seinen Hintern spannte.

Das Schauspiel hatte längst vier weitere Männer angezogen, die sich mit Jubelrufen und Pfiffen um Yami scharrten. Der machte relativ ungestört weiter, schmiss den Kopf in den Nacken, hängelte sich an der Stange wieder nach oben, streckte das Bein, das vorher die Stange umklammert hatte, ruckartig nach vorne und zog es mit weitem Kreis wieder an sein anderes Bein, wandte sich um und griff mit beiden Händen hinter sich an die Stange, bevor er seinen Knackpo rhythmisch an ihr rieb.

„Bevor ich meinen kompletten Charme an der Stange auslasse...“, rief Yami wegen der lauten Musik, „Tanzt du mit mir?“

Der Blonde nickte nur und wurde fast im selben Moment von seinem besten Freund auf die Tanzfläche gezogen, bis beide eine relativ freien Platz gefunden hatte. Der Kleinere trat mit dem linken Bein zwischen Katsuyas und mit dem anderen neben sein linkes, sodass sie leicht versetzt standen.

„Ich kann aber nicht tanzen.“, raunte der Jüngere in Yamis Ohr.

„Kein Problem.“, der Rothaarige legte seine Hände an Katsuyas Hüften, „Geh‘ etwas in die Knie. Noch etwas. Ja, genau so.“, zwischen seinem Schritt und Katsuyas Oberschenkel konnten sich nur Millimeter befinden, „Und jetzt kreise mal ein wenig mit den Hüften. Ich führe.“, er übte leichten Druck auf Katsuyas Becken aus.

Schnell nach links, langsam über hinten kreisend nach rechts, schnell nach links, langsam zurück... relativ einfach.

„Sehr gut.“, lobte der Kleinere und trat etwas näher, sodass sein Gesäß direkt auf Katsuyas Bein lag und passte sich seinen Bewegungen an, „Das ist die Grundbewegung in der Disko als Paar.“, er zog Katsuyas linken Arm um seine Taille, „Mit dem musst du mich halten.“

„Wofür?“, fragte der Blonde, während er dennoch Yami hielt.

Dieser ließ nach Katsuyas nächster Rechtsbewegung seinen Oberkörper nach hinten fallen und nutze den Schwung der schnellen Linksbewegung, um auf einer Kreisachse wieder nach oben zu schwingen.

„Hierfür.“, hauchte der Ältere und drückte seine Lippen auf Katsuyas.
 

„Yami?“, fragte der Blonde überrascht, als der andere den Kuss nach einmal fest saugen löste und seinen Kopf an die Schulter des Größeren schmiegte, während beide sich im Takt der Musik weiter bewegten.

„Tanz ist Leidenschaft.“, raunte er in sein Ohr, „Diese Leidenschaft muss man spüren. Tanz vereint auf Grundlage der Musik zwei Körper zu einem einzigen, perfekten Ganzen. Der Tanz verschmilzt zwei Seelen zu einer einzigen. Tanz erregt und stellt zufrieden. Tanz bindet.“

Yamis Becken drückte gegen seinen Unterleib, ebenso wie sein Knie an Yamis Schritt rieb. Erregung, Leidenschaft... Ekstase.

Die sündigen Lippen saugten an dem Stück seines Halses, über den vorher eine raue Zunge gestrichen hatte. Eine von Yamis Händen, die vorher an seiner Taille gelegen hatte, suchte ihren Weg unter dem schwarzen Shirt des Blonden, bis sie eine der Brustwarzen traf und fast zärtlich über sie strich, während an seinem Hals Taubheit mit Schmerz stritt.

Katsuya fuhr mit seiner Zunge über seine Oberlippe, zog sie zurück und atmete tief durch den Mund ein. Wenn das für Yami zum Tanz dazu gehörte, was gehörte wohl für Kaiba dazu? Eine wahrlich interessante Frage im Anbetracht der Umstände. Ein leichtes Keuchen entglitt seiner Kehle, als Yamis weiche Nase über den Bluterguss an seinem Hals strich. Sein erster, selbst gewollter Bluterguss. Das erste Mal, dass Schmerz nicht Hass sondern Zuneigung bezeugte. Welch kontroverses Empfinden...

„Soll ich dich etwas verwöhnen?“, hauchte der Ältere mit heißem Atem in Katsuyas Ohr.

„Ja...“, murmelte dieser leicht benebelt, spürte den warmen Körper von sich wegtreten, die Hand sich von ihm lösen und zog instinktiv den Rothaarigen zurück in seine Arme.

Yami lockerte die Umklammerung ein wenig, indem er sich etwas wand, schlang jedoch schließlich ebenfalls die Arme um Katsuya, als sie ungefähr nebeneinander standen und dirigierte ihn zur Bar.

„Einmal Schlüssel, bitte.“, bestellte der Kleinere, der sich zum Barkeeper rüber lehnte, welcher lässig in seine hintere Hosentasche griff und Yami das Gewünschte in die Hand drückte, „Danke, Süßer.“, mit einem Zwinkern wandte er sich ab, griff die Hand des Blonden und zog ihn zum Vorhang neben der Bar.

Da ging es doch hoch zu Herrn Umura, oder? Was wollte Yami mit dem Schlüssel bei Umura? Oder waren das Schlüssel zu einem der vier Zimmer, die vor dem Büro lagen?

Anscheinend, denn er schloss das erste auf der rechten Seite auf. Ein relativ großes Zimmer, hell, sauber, ein Doppelbett, eine Tür in der linken Wand. Ob dahinter ein Bad lag? Katsuya ging interessiert nachsehen. Ja, da war ein Bad. Toilette, Dusche und Waschbecken. Klein, aber okay. Hinter ihm drehte der Stricher den Schlüssel im Schloss.
 

„Yami?“, fragte der Blonde noch einmal, während Angesprochener seine Schuhe auszog und neben dem Bett stehen ließ, auf das er sich nun legte.

„Ich dachte, wir machen es uns etwas gemütlich.“, meinte der Ältere, „Außerdem ist es hier oben auch nicht so schrecklich laut.“, während er das sagte, zog er seine Lederjacke aus und schmiss sie zu seinen Stiefeln, „Und hier wird man nicht gestört.“

Katsuya erwiderte sein Lächeln, zog seine Turnschuhe mit den Füßen aus und krabbelte von der Seite, auf der er gerade stand, auf die weiche Matratze.

Der Kleinere legte seine Hände wieder an Katsuyas Taille, welcher nun vor ihm kniete, fuhr mit ihnen unter das Shirt und zog es dem Blonden aus, der die Arme hob. „Besser.“, war sein Urteil, „Du siehst viel besser aus als früher. Kaum zu fassen, dass das so schnell abheilt.“, mit den Fingern strich er über die Abschürfungen, die nicht verkrustet waren, sondern über die sich bereits eine neue Schicht Haut bildete.

Der Größere erzitterte leicht unter Bewegung.

„Bei so etwas bist du empfindlich, was? Ich bin froh, dass du solche Berührungen noch spüren kannst. Und das sogar gut.“, Katsuya ließ den Kopf nach vorne sacken, wodurch ihm einige Ponyfransen ins Gesicht fielen, „Du fühlst so viel und das so intensiv...“, genüsslich strich der Rothaarige mit beiden Daumen in kreisenden Bewegungen über die Brustwarzen, „Möchtest du dich hinlegen?“

Der Jüngere nickte – wiederum benebelt von dem, was Yami mit ihm anstellte. Sein Hintern sackte auf die Füße, bevor er diese wieder darunter hervorzog und zum Ende des Bettes hin schob, während er sich abgelenkt durch Yamis tiefen Zungenkuss auf eines der breiten Kissen sinken ließ.

Der Kleinere legte sich neben ihn, schmiegte sich an und begann mit seiner linken Hand Katsuyas rechte Brustwarze zu umfahren, zu zwicken und schließlich sanft zwischen Daumen und Zeigefinger zu massieren.

„Gefällt dir das?“, hauchte der Ältere mit den katzenhaften Augen und den femininen Zügen mit zärtlichen Unterton und strich sanft mit seiner Nasenspitze über Katsuyas, welches das Tun mit einem Keuchen begrüßte, „Soll ich weitermachen?“

„Ja...“, flüsterte der Blonde.

Seduction

Morgen beginnt die Klausurphase >.< Hilfe!

Und weil ich noch üben muss und nur verkünden kann, dass nächsten Mittwoch das nächste Kapitel kommt, werde ich mich in diesem Vorwort auch kurz fassen. Bezüglich der Autorenlesungen habe ich noch keine Antworten, ich werde allerdings Bescheid sagen, wenn ich welche habe. Viel Spaß beim Lesen und beim Aufstellen neuer Vermutungen ^.-
 

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Katsuya stöhnte leise auf, während der Ältere auf den Teilen seiner Haut, die unverletzt waren, sanfte Striemen mit seinem Nägeln zog. Die Hand stoppte auf Leistenhöhe, löste sich und in festem, schnellen Takt fuhren die einzelnen Finger nacheinander auf seine Haut nieder. Der Größere kicherte leise, kuschelte sich näher an seinen besten Freund und ließ ein Lächeln seine Lippen umspielen, während er die Augen geschlossen hielt.

Yami fuhr mit seinem Zeigefinger über dem Hosenbund her, nahm seinen Mittelfinger hinzu und tat mit beiden so, als würde ein kleines Männchen über Katsuyas Haut laufen, indem er seine zwei Finger wie zwei Beine auf und ab gehen ließ.

„Was machst du da?“, fragte der Blonde vertrauensvoll.

„Ich frage an, ob ich dir die Hose ausziehen darf.“

„Mach‘ doch...“

Die Finger verschwanden von seiner Haut und nestelten an dem Knopf, bis dieser gelöst und die Hose so ein Stück weiter war. Der Reißverschluss öffnete sich praktisch von selbst, indem Yami seine Hand vom Bauch aus tiefer wandern ließ und Katsuyas Schritt entlang strich, welcher dabei scharf die Luft einzog.

Das... das war... sagenhaft. Prickelnd.

Der Blonde ließ ungeduldig die Schultern kreisen.

Das war schönes Verwöhnen.

„Du bist immer noch Jungfrau, oder?“, fragte der Ältere leise.

„Ja...“, Katsuya strich mit seiner Nasenspitze über den Hals, der über ihm schwebte, „Merkt man das?“

„Hm-mh...“, bestätigte der Rothaarige, „Leicht zu erregen und ziemlich naiv.“

„Ich bin nicht naiv!“, wehrte sich der Jüngere und öffnete erbost die Augen.

„Nicht?“, fragte Yami nach, „Ist dir eigentlich bewusst, was ich hier mache?“

„Mich verwöhnen?“, fragte der Blonde mit schief gelegtem Kopf nach.

Der Ältere lachte trocken.

„Ist dir klar, was das heißt?“

„Dass wir... kuscheln?“

„Dass ist der Ausdruck dafür, wenn jemand mit einem anderen Menschen schlafen will und verspricht dabei zärtlich zu sein.“

Katsuya blinzelte, zog die Augenbrauen zusammen, ließ seinen Blick zu Yamis Hand wandern, die noch immer ungeniert in seiner Hose weilte und schließlich zurück zu den violetten Augen, während seine Brauen sich lockerten und Lider auseinander gezogen wurden.

„Und wenn ein Stricher so was sagt, ist das eigentlich nur die freundliche Form für: Ich werde dir gleich einen blasen oder dir mit der Hand einen runterholen.“

Der Blonde blieb stumm, saugte an seiner Unterlippe und schüttelte langsam den Kopf, doch Yami zog nur die Augenbrauen weit hoch und nickte nachdrücklich.
 

„Da- das...“, Blut schoss in seinen Kopf – was den guten Nebeneffekt hatte, dass auch sein klares Denken langsam zurückkehrte, „Das... das... das ist nicht dein Ernst...“

„Oh doch.“, flüsterte der auf der Seite Lehnende, „Und hätte ich kommentarlos weitergemacht, ich glaube nicht, dass du dich noch großartig gewehrt hättest. Die stürmische Methode hat bei dir bei meinem letzten Versuch nicht geklappt, aber auf diese sanfte hier bist du vollkommen angesprungen. Und erzähle mir nicht, du hättest auch nur einen Moment Bedenken gehabt.“

Nun... das hatte er nicht, aber... Aber! Das konnte doch nicht... also... er hätte das doch gemerkt, wenn Yami wirklich was versucht hätte... das hätte er doch wirklich...

Katsuya seufzte, richtete den Oberkörper leicht auf und den Blick auf seinen Unterleib.

Rational betrachtet – Yami hatte ihn verführt und es hatte voll angeschlagen.

„Nein.“, gab der Blonde wie erschlagen zu, „Das soll mir eine Lektion sein.“, er griff nach der Hand an seinem Schritt und zog diese sanft – aber bestimmt – von seinem Körper, „Danke... ich bin wohl echt leicht zu haben, oder?“

„Ja.“, erwiderte der Stricher nur.

„Du hast dich Schritt für Schritt vorgewagt... mit plausiblen Begründungen für mein benebeltes Hirn... und ich hätte es wohl erst bemerkt, wenn es zu spät gewesen wäre.“

„Keine Sorge, das passiert vielen.“, tröstete ihn der Ältere sofort, „So sein erstes Mal zu haben ist aber keine allzu schöne Sache. Es mag gut sein, aber nachher zerplatzt alles wie eine Seifenblase und man fällt aus allen Wolken. Für manche Beziehungen mag diese Art gut sein, weil man sonst nicht weiterkommt, aber wenn ein geübter Verführer auf Sex aus ist und so ein Schäfchen wie dich trifft, gibt es schnell böses Blut. Und wenn du langsam zu leben beginnst und an Tanzen und solche Dinge denkst, dann will ich dich lieber vorher schon mal warnen.“

„Danke...“, murmelte der Jüngere.

„Du hast sehr wenige Erfahrungen auf dem Gebiet Sex. Du errötest schon bei der Erwähnung des Wortes.“ – und wie er das tat! – „Es ist nicht böse gemeint, wenn ich sage, du bist ein ziemliches Naivchen. Und Seto vögelt seit gut dreizehn Jahren alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist.“

Katsuya griff mit einer Hand an seine Wange – ja, er glühte wirklich...

„Er war nicht grundlos mein Sexpartner, denn ja, er ist eine Bombe im Bett. Aber manchmal ist er ein Wolf im Schafspelz. Damals in der Schule hatte er es sich zum persönlichen Ziel gemacht jeden gut aussehenden Jungen der Stufe ins Bett zu kriegen. Das waren um die zwölf oder dreizehn. Und die hatte er in zweieinhalb Wochen durch. Er hat weitergemacht mit der Stufe darunter, dann der Stufe darunter... ich habe das von einem Freund erfahren, der mit ihm auf die Schule ging. Er hat ja mit sechzehn die Schule abgeschlossen damals. Und sie haben auf seinen Leistungsnachweis geschrieben, dass er ein herausragendes Genie in allen Fächern sei, die die Schule direkt und indirekt zu bieten hätte. Das war die kleine Retourkutsche des Rektors, der Seto aufs Blut nicht ausstehen konnte. Er wurde einmal zu ihm zitiert, um sich zu den kursierenden Gerüchten bezüglich seiner Sexualität zu äußern – und anscheinend hat Seto ihn dabei ziemlich fertig gemacht. Die Zeitungen haben sich auf die Geschichte wie ausgehungerte Aasgeier gestürzt. Wirklich alle schrieben darüber. Und Seto wartete eine Woche und hat sie dann alle wegen Verleumdung verklagt und von den Verlagen Millionen kassiert. Er hat eine auf ewig verrufene Schule und eine Menge gebrochener Herzen zurückgelassen, als er ging und dabei satt Geld eingenommen. Und so wie ich ihn kenne, hatte er daran einen Heidenspaß.“
 

„Ups...“, murmelte der Blonde.

„Mega-Ups.“, erwiderte der Ältere mit ernster Miene, „Du weißt selbst, dass er ein Genie ist. Ein herausragender Schauspieler, der mit Gemütern seiner Mitmenschen spielen kann, solange er nicht labil ist. Er ist eine beeindruckende Persönlichkeit, eine Autoritätsperson dir gegenüber, wunderschön und nicht nur gut bestückt, sondern weiß auch gut damit umzugehen. Bei mir schrillen langsam alle Alarmglocken. Ich kann Seto nicht nachvollziehen. Ich weiß einfach nicht, was er mit dir vorhat. Zuerst dachte ich, okay, soll er dich doch aufbauen. Du hast dich von deiner Schwärmerei genährt. Aber langsam wird das ernst. Dass du mehr als nur an ihm interessiert bist, das habe ich längst gemerkt. Um es genau zu nehmen, du bist ihm rettungslos verfallen. Normalerweise könnte ich auf ihn vertrauen, dass er es merkt, dich verführt und dich nach gewisser Zeit verlässt. Dann kann ich dich trösten, okay, es wäre ein tiefer Schlag, aber du kämest darüber hinweg. Aber er erfüllt meine Erwartung nicht. Ganz im Gegenteil, er scheint sich ernsthaft für dich zu interessieren. Ich weiß nicht einmal auf welcher Basis. Vielleicht ist er scharf auf dich, aber besorgt über seine Karriere, vielleicht hasst er dich und hat vor dich zum Selbstmord zu treiben, vielleicht liebt er dich, vielleicht mag er dich wie einen Bruder oder Sohn. Er ist mir ein Rätsel. Vielleicht lebt er irgendwelche Psychosen an dir aus. Ich weiß nicht, was ich von der Sache halten soll. Alles was ich tun kann, ist es dich vor allem zu wappnen, was möglich ist. Und da alles möglich ist, möchte ich dir alles weitergeben, was ich weiß. Was denkst du darüber?“

„Ich bin ein gelehriger Schüler.“, meinte der Blonde ernst, „Lehre mich, was ich über das Leben zu wissen habe.“

„Mann, klingst du pathetisch...“, ein kleines Kichern konnte der Ältere nicht unterdrücken.

„Du schwingst doch die Reden...“, murrte Katsuya.

„Und du überbietest mich mit einem Satz! Na, egal. Erste Lektion: Lege deine Grenzen fest. Wie weit darf er an dich ran? Wie viel darf er von dir wissen? Welchen Abstand hat er zu wahren? Selbsterkenntnis ist ein wichtiger Schritt. Lerne dich selbst kennen. Sei dir selbst bewusst.“

„Mein Selbstbewusstsein kann man vergessen...“, erklärte er mit einem Seufzen und wandte den Blick ab.

„Ach, kann man?“, Yami griff nach seiner Hand und hob sie an, „Was ist das hier?“

„Meine Hand...“

„Und das daran?“

„Mein Arm?“

„Und dies?“

„Lass meine Haare in Ruhe!“, die braunen Augen blitzten.

„Na? Das ist Selbsterkenntnis. Du weißt, wie du außen aussiehst. Und ich denke, du kennst genug Biologie um zu wissen, wie du innen aussiehst. Und dein Hirn ist halt voll im Chaos. Du weißt noch nicht, wer du wirklich bist, was du mit dir machen willst, welche Ziele du nun verfolgst. Du bist dir deines Selbst unsicher. Aber das heißt nicht, dass du dir deines Selbst nicht bewusst bist. Du hast Selbstbewusstsein. Du musst dich nur drauf einlassen. Man kennt sich niemals ganz. Aber du kennst einiges von dir. Und das ist dein Selbstbewusstsein und auf das kannst du setzen.“
 

Katsuya hob seine Hand, betrachtete sie und wandte sie unter seinem Blick. Ja, er wusste, wie sie aussah. Er wusste, wofür man sie benutzte. Er war sich seiner Hand bewusst. Aber seinem Selbst? Was wusste er denn von sich? Er war hitzig, schnell aggressiv, emotional und manchmal unsicher – aber wenn er wollte, konnte er kalt sein, ruhig und selbstsicher. Sein altes Selbst. Ja, das kannte er. Der Punk Katsuya war kein Unbekannter. Aber der neue Katsuya? Oder war er der ursprüngliche? Was war er? All diese Veränderungen hatten auch ihn geändert... was war er denn?

„Du bist mein bester Freund.“, flüsterte der Ältere, als hätte er Katsuyas Gedanken lesen können, „Du bist süß, naiv und kuschelig, wenn du gute Laune hast. Du tust ruhig, aber bist aggressiv vor Verzweiflung, wenn deine Gefühle dich überschwemmen. Du verstehst schnell, lernst eifrig und schweigst, wenn du mir zuhörst, wenn ich etwas erkläre. Und wenn ich Späße mache, lachst du und wenn es mir schlecht geht, weinst du. Du bist ein vielseitiger Mensch, der von allem etwas hat. Und das macht dich aus. Vielfalt. Dich zu definieren ist ein sinnloses Unterfangen.“

„Glaubst du, ich liebe Kaiba?“, fragte der Größere leise.

„Willst du ihn im Bett? Wie er sich nach dir verlangt und halb verrückt nach dir ist? Mit ihm händchenhaltend durch die Stadt rennen und der ganzen Welt sagen, dass du mit ihm zusammen bist? Ihn allen vorstellen und dein Glück hinausschreien?“

„Hm...“, der Blonde legte den Kopf ein wenig schief, während er Yamis Gesicht musterte, „Eigentlich... nein. Er wäre sicher eine Wucht im Bett, besonders wenn er richtig scharf auf mich ist. Und auch alles andere wäre vielleicht schön. Aber das passt nicht zu ihm. Er ist doch eher ein Mensch, der Glück im Stillen genießt, oder? Außerdem will ich nicht einfach eine Bettgeschichte sein. Zu einer Beziehung gehört für mich mehr als das... nicht nur ich soll glücklich sein, er auch. Und das hat einfach nichts von ihm.“

„Wie wäre es dann, mit ihm abends Filme zu schauen, aneinander gekuschelt und ein paar Küsse austauschend? Morgens zusammen duschen und frühstücken und jeden Monat zum soundsovielten beschenken?“

„Das wäre schön...“, murmelte der Blonde, während sein Blick an der Decke haftete, „Aber... eine Beziehung ist dennoch mehr, oder? Nein, vielleicht nicht mehr. Das ist das das falsche Wort... anders vielleicht? Ja, anders. Ich glaube, eine Beziehung ist etwas anderes.“

„Und, was ist eine Beziehung?“, fragte der Ältere sanft, der neben Katsuya lag und den Kopf mit einem Arm abstützte.

„Den anderen zu unterstützen... für ihn da zu sein... nein, wie soll ich das sagen? Ihm helfen seine Ziele zu erreichen. Aber Ziele ist auch nicht das richtige Wort...“

„Seine Möglichkeiten zu entfalten?“, schlug Yami vor.

„Ja!“, rief der Blonde aus, „In einer Beziehung sollte man dem anderen helfen seine Möglichkeiten zu entfalten.“

„Das ist eine Einstellung, die eher für Frauen typisch ist.“, erklärte der Hobbypsychologe schmunzelnd, „Aber ich finde nichts Schlimmes daran, solange man sich selbst darüber nicht vergisst. Eine Beziehung zu haben heißt nicht nicht mehr egoistisch sein zu dürfen. Etwas egoistisch muss man sein. Und diese Hilfe muss auf Gegenseitigkeit beruhen. Meinst du nicht?“

„Ja...“, hauchte der Jüngere lächelnd.

„Und das würdest du dir für dich und Kaiba wünschen?“

„Ja, das... sowas in der Art...“, murmelte er nun wieder verlegen.

„Katsuya, antworte mir ehrlich – liebst du ihn?“

Die braunen Augen über den roten Wangen wandten sich zaghaft wieder in Yamis Richtung, verweilten dort, bis Katsuya schließlich einmal nickte.

„Und das ist deine Antwort. Ja, du liebst ihn.“, ein Grinsen schlich sich auf die Lippen des Älteren, „Und das auch ohne erhöhten Östrogenspiegel, du Transe.“

Körper

Vielen Dank für's Daumendrücken! Ich habe meine wichtigsten Klausuren (bis auf die am Montag) alle überstanden und eine schon mit einer für mich zufrieden stellenden Note zurück ^.^ Danke für eure Unterstützung!

Wer die Abwehrmechanismen noch wünscht oder bei wem sie noch nicht angekommen sind, bitte noch einmal melden - danke ^.^

Das nächste Kapitel kommt wiederum nächsten Mittwoch. Ich bin in der Woche danach in Rom, deshalb wird das übernächste Kapitel wahrscheinlich früher kommen. Wann genau, schreibe ich im Vorwort des nächsten Kapitels.

Und jetzt viel Spaß beim Lesen ^.^ (Und danke für die vielen Kommentare und die zwei FAs von bakuskiki und feuerregen - ich bin echt gerührt *schnief* TvT Bitte seht sie euch an!)
 

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„Ich bin keine Transe!“, keifte der Blonde.

„Derzeit bist du ein Frauenhirn in einem Männerkörper, das nenne ich Transe.“, erklärte sich der Ältere höchst amüsiert, „Dein Benehmen dürfte dir doch auch schon aufgefallen sein, oder?“

Blut flutete zum wohl hundertsten Mal an diesem Tag seine Zellen – er konnte doch nichts dafür! Ja, er war schrecklich weiblich heute. Und? Ein guter Freund hatte sich auf so etwas einzustellen und sich nicht darüber lustig zu machen!

„Du bist einfach zu niedlich.“, gurrte der Rothaarige übertrieben, „So süß!“, zur Verdeutlichung legte er die flache Hand an die Wange und sandte seinem Freund zwei Liderschläge, während er die Lippen weit spitzte.

„Du kannst mich mal.“, knurrte Katsuya.

„Das hört sich schon eher nach dir an.“, stellte der Kleinere etwas ernster fest, „Vermutlich ist es Seto auch aufgefallen?“

„Darauf kannst du wetten! Die Spitze war, als er mich fragte, ob die Wehen schon eingesetzt haben.“, er überhörte großzügig das Losprusten Yamis, „Der hat mich den ganzen Morgen damit aufgezogen. Selbst noch kurz bevor wir im Sixth Heaven waren.“

„Was ward ihr? Hat er dich etwa gefahren?“, fragte der Ältere erstaunt, dessen Lachen so schnell wieder verschwand, wie es gekommen war.

„Ja… hat mich auch etwas überrascht. Wir kamen von meinem Verhalten auf dich und dass du mich immer abholst und da meinte er halt, er könnte mich ja dann hinfahren.“

„Ach so…“, er atmete tief durch, „Du hast ihn provoziert. Sag’ das doch gleich. Ich dachte schon, er hätte es aus freien Stücken getan.“

„Er tut aus freien Stücken eine Menge für mich.“, stellte Katsuya fest, „Er war einkaufen, er hat mir einmal Frühstück gemacht, er hat meine Tabletten abgeholt, mir eine Schultasche, Füller und Block geschenkt, mir was zum Spielen und Anziehen gekauft, Magic&Wizards beigebracht… ich glaube, ich bin ganz schön teuer.“

„Der hat doch eh Geld wie Heu.“

„Also mir hat er gesagt, er hätte seinem Bruder fast sein ganzes Geld gegeben.“

„Noah?“, fragte Yami überrascht nach, „Ungewöhnlich… obwohl, wenn ich ein neues Leben anfange und meine Vergangenheit hinter mir lassen will, ich würde auch nicht von dem Geld aus dieser Zeit leben wollen.“

Katsuya legte seinen rechten Arm um Yami, der links von ihm lag und drehte sich über ihn, wobei sich der Ältere vertrauensvoll auf die Matratze sinken ließ. „Ein anderes Thema… du wolltest mir etwas beibringen…“

„Stimmt. Wir sind vom Thema abgekommen.“, der Rothaarige legte seine Arme auf seinen Schultern um seinen Hals und zog den Größeren etwas näher, „Wie weit darf er gehen?“
 

Katsuya schluckte, presste die Lippen zusammen und schweifte mit dem Blick zum Kissen ab, bevor er murmelte: „Weiß nich’…“

„Darf er dich küssen?“

„Auf jeden Fall!“, stieß er etwas zu schnell aus und errötete sofort wieder.

„Weißt du, das Gute an deiner Weiberphase ist, dass du danach nicht mehr zu oft erröten dürftest. Na, egal – darf er dich ausziehen?“

„Ähm… weiß nich’… ich meine, er kennt mich ja fast nackt. Bis auf Unterhose und Bandagen stand ich schon in natura vor ihm.“

„Freiwillig?“

„Nich’ so wirklich…“, er hob schüchtern den Blick zurück zu Yami.

„Wäre es dir unangenehm, wenn er dich sieht?“

„Ich bin kein allzu hübscher Anblick… obwohl, eigentlich schon… aber ich fühle mich nicht so…“

„Hast du Angst, er könnte dich hässlich finden?“

„Na ja… er sagt, ich sei hübsch… Yugi findet mich auch attraktiv… ich finde mich ziemlich zerbeult…“

„Du bist schön. Hübsch, attraktiv und schön. Von innen wie außen.“, kam Yami seiner implizierten Bitte nach, „Und Geschmack kann man mir nicht abstreiten, oder?“, fügte er mit einem Zwinkern hinzu.

„Nein, du eitle Bazille, Geschmack hast du.“, der Jüngere grinste ihn an.

„Du bist also hübsch und schön – wie viel von dir darf er sehen?“

„Ähm…“, die Röte kehrte zurück und der Blick suchte sich wieder ein neues Ziel, während seine Stimme kaum mehr als ein Hauchen war, „Alles?“

„Wirklich?“, fragte Yami leise nach.

„Hm… ich würde ihn gerne sehen… wäre nur fair, oder?“

„Nein.“, antwortete er etwas strenger, „Dein Körper gehört dir. Es geht nicht nach fair oder nicht fair. Wenn du ihn sehen willst, okay, aber das heißt nicht, dass er nur deswegen deinen Körper sehen darf. Er darf dich sehen, wenn du willst, dass er dich sieht – nichts anderes. Dein Körper ist das, was auf jeden Fall dir gehört. Dein wichtigstes Gut, was es zu hegen und zu pflegen gilt. Und jeder, der es dir wegnehmen oder kaputtmachen will, der gehört bestraft.“

„Meinst du…“, Katsuya atmete tief durch, „Denkst du…“, mit einem Seufzen legte er seinen Kopf auf Yamis Brust und somit sein komplettes Gewicht auf den Unteren, „Sollte ich meinen Vater anzeigen?“

Stumm besah er die Falten auf dem Bettlaken und die Decke, die etwas unordentlich unter ihnen lag. Die drei weichen Kissen, das Kopfende des Bettes aus Eisenstangen, die hell gestrichene Wand. Und an seinem rechten Ohr das stetige, ruhige Pochen des Herzens seines besten Freundes.

„Soll ich ehrlich sein?“, fragte dieser sanft.

„Hm-mh…“

„Ich bin mir relativ sicher, dass Seto das schon getan hat. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, versucht er einen Pflegeantrag für dich durchzusetzen und dafür muss er zwangsläufig deinen Vater anzeigen. Und er wird mindestens eine schriftliche, wenn nicht sogar eine mündliche Aussage vor Gericht von dir brauchen, dass du bei ihm bleiben willst.“
 

Katsuya Finger krallten sich in die Decke und seine Muskeln spannten sich leicht.

„I- ich… was heißt das?“

„Je nachdem wir umfangreich oder schwer es wird, wirst du mit jemand vom Jugendamt sprechen müssen. Die Person kennt dann deine Akte und sieht dich mit großen, mitleidigen Augen an oder ist genervt und will schnell durchkommen. Egal wie, du musst ein paar Fragen beantworten und über diese wird dann entschieden, ob du bei Seto bleiben darfst oder in ein Heim kommst.“, Yami senkte seine Stimme, „Und sie werden deine Mutter benachrichtigen, ob sie dich aufnehmen will…“

Eine stumme Träne rann über seine Schläfe und wurde von Yamis dunklem Shirt aufgesogen.

„Hey…“, hauchte dieser und begann Katsuya mit einer Hand im Nacken zu kraulen, „Ganz ruhig… du brauchst keine Angst zu haben. Deine Mutter wird doch wahrscheinlich nicht aufnehmen und das mit Seto ist nur eine Formalität. Die werden dich nicht ins Heim stecken, wenn sie hören, dass du dich wohl fühlst. Und wenn sie Seto schon vor sieben Jahren zugetraut haben sich um einen Jugendlichen zu kümmern, werden sie jetzt wahrscheinlich nicht plötzlich nein sagen.“

Der Blonde löste seine Finger von der Decke und fuhr mit den Armen unter Yamis Körper, um sich näher an ihn drücken zu können. Der Herzschlag war direkt an seinem Ohr und nun besser zu hören. Während er lauschte, versuchte er seinen Atem zu beruhigen. Nur eine Formalität. Das war nur eine Formalität. Sie würde ihn nicht wegholen. Er konnte bei Kaiba bleiben. Das war nur eine Formalität…

„Warum muss er diesen blöden Antrag überhaupt ausfüllen?“

„Weil sonst dein Vater weiterhin als dein Sorgeberechtigter gilt und nur seine Unterschrift für dich gültig ist. Und weil er dich mit Polizeigewalt wieder nach Hause holen kann, wenn er will. Weil du sonst über irgendein Amt versichert bist, was dir fast gar nichts bringt und dein Vater das Kindergeld einzieht. Und weil es mit deinem derzeit illegalem Aufenthalt in seinem Haus etwas gibt, mit dem man Seto im Zweifelsfall verhaften lassen kann. Und er hat auch jetzt noch genügend Feinde. Vor allen Dingen will er nicht, dass irgendjemand seine persönliche Abneigung gegen ihn an dir auslässt.“

„Ach so…“, murmelte der Jüngere, schloss die Augen und löste seine feste Umklammerung. Das waren eine Menge plausibler Gründe. Dafür würde er auch diese blöde Befragung mitmachen. Das war wirklich nur eine Formalität.

„Würde es dir sehr viel ausmachen, wenn wir uns nebeneinander legen? Du bist trotz Unterernährung ganz schön schwer.“, fragte Yami freundlich.

„’Tschuldige…“, der Größere ließ sich zu Seite gleiten und sah unsicher zu dem anderen auf, der sich ächzend aufsetzte und den Rücken durchbog – was gut knackte.

„Ich werde alt…“, meinte der Sechsundzwanzigjährige und zog die Beine an, bevor er die Decke unter sich wegzog. Eben dieser zerrte er auch unter Katsuya hervor und deckte sie beide schließlich zu, als er sich wieder hinlegte, „Zurück zum Anfang – was dürfte er dir ausziehen?“
 

„Ähm… ich… na ja… viel. Bei meinen Retros bin ich unsicher.“, murmelte der Blonde.

„Das ist gut. Dann haben wir eine wunderbare Linie – bis zu den Retros und nicht weiter. Nein, Kats, sieh’ mich nicht so an. Wenn du dich unsicher fühlst, ist das das perfekte Zeichen, dass du im Moment nicht dazu bereit bist. Und das halte ich für gerechtfertigt, denn bei Seto weiß man nie, was genau man für ihn ist. Und er frisst dich, wenn du keine Grenzen setzt.“

„Aber…“, der Jüngere sah unsicher auf, rutschte näher an Yami und legte seinen Kopf auf dessen Oberarm ab, „Was mache ich, wenn… wenn es wirklich mal so weit kommt?“

„Auf jeden Fall nicht dasselbe wie bei mir vorhin.“, mahnte der Rothaarige ihn lächelnd, „Einfach nein sagen. Und standhaft bleiben. Seto ist ein Mensch, der nicht aufgibt – er versteht das nein, aber akzeptieren wird er es nicht. Entweder wird er sauer oder er versucht es weiter. Wenn er sauer wird, dann rate ich dir es mit ihm sein zu lassen. Denn dann war er auf eine schnelle Nummer aus. Wirf ihn raus. Wenn er weitermacht, will er spielen. Aber beim Spielen hält er sich an Regeln, etwas, was ich sehr an ihm schätze. Er wird von dir ablassen und es auf anderem Wege weiter versuchen, bis er kein Nein mehr hört. Dich so lange erregen, bis du dich freiwillig ganz ausziehst, das kann dir passieren. Er mag Spiele, wie du weißt. So ein Verhalten garantiert nicht, dass er es ernst meint, aber zumindest, dass du ihm etwas bedeutest.“

„Hat er das mit dir gemacht?“, fragte Katsuya leise nach.

„Oh ja…“, murmelte der Ältere träumend, „Und glaube mir – ich mag Spiele noch mehr als er und das heißt wahrlich etwas. Ich habe ihn einmal vier Stunden hingehalten, bis er mich nehmen durfte. Eine vierstündige Erektion, das ist schmerzhaft, das kann ich dir verraten.“

„Wieso hast du ihn plötzlich gelassen?“, meinte der Blonde neugierig.

„Ich hatte einen Kreislaufzusammenbruch.“, antwortete Yami leicht errötend, „Ich war für ein paar Sekunden ohnmächtig. Genug für ihn, um mich von hinten zu nehmen. Und aus dem Schraubstockgriff bin ich nicht mehr frei gekommen.“

„…hört sich eher nach Vergewaltigung an…“, sagte der Größere mehr zu sich selbst.

„Tja… die Grenzen sind fließend. Wir sind beide ein bisschen sado-maso und die kalte Dusche danach tat sehr gut. Außerdem war er so gut mich wieder ins Bett zu tragen. Da konnte ich ihm nicht böse sein, oder?“

„Du hast leicht verquere Vorstellungen.“, stellte Katsuya mit zusammengezogenen Brauen fest, „Und auf so etwas steht Kaiba?“

„Ich glaube, er mag alle Arten von Sex.“, beruhigte der Stricher ihn wissend, „Romantisch, schmerzhaft, wild, liebevoll – das Wichtigste ist, dass beide es wollen. Und wenn du trotzdem unsicher bist, sprich vorher mit ihm darüber.“

„Sprechen?“, Katsuya fuhr auf und starrte den Liegenden mit weit aufgerissenen Lidern an, „Über Sex – sprechen?“

„Ja. Natürlich kann man darüber sprechen. Es ist sogar wichtig. Du kannst deinem Partner durch Stöhnen und Keuchen praktisch zeigen, was du magst – aber theoretisch im Gespräch geht das auch. Manchmal muss das sogar sein. Sag, was du magst, was du möchtest, was du nicht willst. Auch beim Sex muss man sich aufeinander einstellen. Das ist nur eine Aktivität, die beiden Spaß machen soll.“

Die braunen Augen wandten sich der Wand zu, während nun auch Yami sich aufrichtete, die Arme auf Katsuyas Schulter legte und leise fragte: „Wo sind eigentlich meine Grenzen?“

Self-conciousness

So, ich habe viel neue Musik und somit viel neue Inspiration ^.^ Und sogar ein klein wenig Zeit ^.- Ich hoffe also in nächster Zeit mal wieder zum Schreiben zu kommen. Ich schreibe neben Dead Society derzeit an einer Nebengeschichte namens "Dead Society - Past" und einem neuen Oneshot namens "Plaything" sowie einem HP-Oneshot namens "On another day". Viel zu tun also ^.-

Dieses Kapitel ist wieder mit einigen Erklärungen gespickt. Sex, Grenzen, Psyche, Freundschaft und Selbstwertgefühl. Viele Themen, die sich auf nur so wenig Raum geschlichen haben. Ich hoffe, euch gefällt es ^.^ Vielen Dank für eure vielen Kommentare!
 

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„Deine?“, fragte Katsuya überrascht nach.

„Ja, meine.“, schnurrte der Ältere in sein Ohr, „Ich könnte dir den nächsten Teil schließlich auch praktisch zeigen…“

„Du meinst, nachdem du jetzt sowohl stürmisch als auch sanft bei mir nicht weitergekommen bist, fragst du einfach mal?“, fragte Katsuya mit dunkler Stimme und einem hinterhältigen Lächeln.

Yami erzitterte, als würde jemand mit blanken Nägeln seinen Rücken hinunter kratzen, bevor er murmelte: „Die Antwort war Seto-like.“

„Ja, ich fühle mich nicht mehr so weibisch.“, erklärte der Blonde, „Und ich dachte, um da komplett von loszukommen, verhalte ich mich einfach mal wie Kaiba.“

„Dann hättest du dich jetzt allerdings nicht erklären dürfen.“, eine Art Blitzen erschien in den violetten Augen.

„Ich kann mich ja nicht nur wie er verhalten – viel zu schlimm. So böse kann ich nicht sein, das tut mir im Herz weh.“, erwiderte der Jüngere.

„Daran kannst du schon mal sehen, wie du bist. Du bist auf jeden Fall ein Mensch, der auf andere achtet und bereit ist sich zu erklären, um anderen nicht vor den Kopf zu stoßen. Außerdem errötest du sehr ungern, tratscht nicht und möchtest eine relativ stabile Emotionsebene haben. Und das hast du an nur einem Tag gelernt.“, Yami lächelte, „Und so wird dein Hirn wohl in nächster Zeit weiterarbeiten. Das nennt man Identitätsfindungsphase.“

Mit einem tiefen Seufzen lehnte sich der Blonde an ihn.

„Wo liegt meine Grenze, Kats?“, fragte der Ältere etwas ernster, „Es würde mich wirklich interessieren.“

„Nun… genau so wie Kaibas.“

„Das hier darf ich also?“, fragte er nach und umfuhr mit seiner Zeigefingerspitze sanft Katsuyas rechte Brustwarze.

Angesprochener legte den Kopf in den Nacken und gab einen tiefen, kehligen Laut von sich, der Yamis Schnurren fast nahe kam.

„Gefällt dir das?“, hauchte der Rothaarige in sein Ohr.
 

„Ja…“, knurrte der Jüngere tief, drehte sich ein Stück und lehnte sich nach hinten an den Kleineren an, „Oder geht das schon zu weit?“

„Ich kenne ja jetzt meine Grenzen.“, antwortete der Andere schmunzelnd, „Ansonsten bezeichnet man dies eher als Petting. Weitet sich mein Bereich auf das Berühren deiner unteren Zonen aus, nennt man es hartes Petting oder erweitertes Petting oder totales Petting. Petting wirkt vor dem Sex stimulierend und nachher beruhigend. Man kann aber auch Petting ohne Sex haben, aber das sollte man dem Partner vorher klarmachen, weil viele Menschen bei Petting Sex erwarten. Seto ist bei Petting vor dem Sex meistens ziemlich ungeduldig, aber nach der ersten oder zweiten Runde läuft er auch darin zu Hochtouren auf, wenn er noch mehr Sex will. Und wenn er dich verführen will natürlich. Von Petting nach dem Sex hält er relativ wenig, er ist dann schon fast schmusig – allerdings nur, wenn er gute Laune hat. Ansonsten ist er die totale Kratzbürste. Er hat mich schon ein paar Mal einfach aus dem Bett geschmissen. Er meint so was nicht böse, manchmal braucht er einfach Zeit für sich. Ich gehe dann meistens duschen. Nach dem Sex ist er eigentlich wie eine Katze – ziemlich eigen.“

„Warum braucht er Zeit für sich selbst? Wie meinst du das?“, fragte der Blonde nach, während er mit seiner Rechten nach Yamis griff, ihre Finger ineinander verkeilte und den dazugehörigen Arm um seine Taille zog.

„Nun, Seto braucht manchmal Sex um sich abzureagieren. Wichtig ist für ihn dann das beruhigende Gefühl eines Orgasmus, nicht unbedingt die Person, die er dafür benutzt. Und dann will er auch kaum Kuscheln.“

„Yami…“, murmelte der Jüngere, „Sag mal… findest du das nicht… nun ja… erniedrigt dich das nicht? Selbst du sagst ja, dass er dich benutzt.“

„Och, mir macht das nichts. Ich komme ja auf meine Kosten. Das ist das Positive an einer Sexbeziehung, man hat dieses Gefühlsdrama nicht. Würde ich ihn lieben, ja, mir hätte das etwas ausgemacht. Aber ich empfinde nichts Tieferes für Seto.“

„Ich könnte so etwas nicht.“, entschied der Braunäugige, „Bei so etwas Intimen gehören für mich Gefühle dazu. Ich könnte niemanden so nahe an mich lassen, wenn ich wenig oder nichts für ihn empfinde.“

„Das zeugt von großem Selbstbewusstsein.“, erklärte Yami ruhig, legte auch den anderen Arm um Katsuya und seinen Kopf auf den blonden Schopf, „Und auch von etwas Selbstwertgefühl. Du verschenkst dich nicht einfach an allen und jeden. Ja, du bist sogar wählerisch. Nur die, die dir wirklich gut gefallen und sich um deinetwillen anstrengen. Du weißt, dass du wertvoll bist, denn du kannst andere damit strafen, dass du ihnen etwas von dir vorenthältst – damit weißt du, dass du anderen etwas bedeutest. Ich finde es gut, dass dir das klar ist.“

Eigentlich… ja, irgendwie hatte Yami Recht. Er musste etwas wert sein, wenn er andere damit strafte ihnen etwas von ihm vorzuenthalten. Oder sie belohnte, indem er es ihnen gab.

„Das war mir vorher aber nicht klar.“, erklärte der Jüngere, „Erst jetzt, wo du es sagst.“

„Sagen wir, es war dir vorher klar, aber nicht bewusst. Und wie du siehst, hast du doch Selbstwertgefühl.“

„Na ja… bissel vielleicht…“, Katsuya glitt sanft auf das Bett zurück, da Yami ihn mit beiden Armen haltend von seinem Oberkörper drückte.

„Selbsterkenntnis führt zu Selbstbewusstsein und Selbstbewusstsein zu Selbstwertgefühl. Lasse dich nur auf dich selbst ein.“, empfahl der Obere, ließ sich neben dem Blonden nieder und legte seinen Kopf auf dessen Brust.
 

„Hast du das als Stricher gelernt?“, fragte der Größere leise.

„Sagen wir, das hat es mir vor Augen geführt.“, erzählte Yami leise, „Am Anfang brauchte ich einfach Geld und ich bekam kaum welches. Ich hatte ein sehr schlechtes Bordell als Start gewählt. Ich wurde einfach nur ausgebeutet. Aber ich konnte auch nicht weg, denn ich hatte Hunger und brauchte ein Dach über’m Kopf. Ich hatte kaum Selbstwertgefühl, obwohl ich immer so wirkte, als hätte ich welches. Ich machte mir selbst etwas vor, um nicht sehen zu müssen, wie sehr ich mich selbst verachtete. Ich fühlte mich einfach vollkommen wertlos, also sagte ich mir, dass es doch okay ist, was jeder mit mir macht. In Wirklichkeit hat es mich angeekelt, was ich teilweise tat. Aber langsam besserte sich meine Lage. Ich hatte Kunden, die verlangten wirklich nach mir – mir und niemandem anders. Ich bekam mehr Geld, ich konnte manche Kunden ablehnen, wenn ich wirklich nicht wollte. Ich lernte, wie wichtig es ist Grenzen festzulegen. Das, was okay war, das, was ich nicht wollte. Ganz langsam entwickelte sich Selbstbewusstsein. Aber kaum Selbstwertgefühl. Es dauerte Monate, bis ich wirklich bestimmte Kunden ablehnte. Wirkliche Entscheidungskraft bekam ich erst mit der Selbstständigkeit. Was ich will, für wie viel, für wie lange – alles lag in meiner Entscheidungskraft. Ich entwickelte Selbstwertgefühl. Das ging dann soweit, dass manche Handlungen meiner Freier mein Selbstwertgefühl verletzten. Das war ungefähr zu der Zeit, wo wir uns kennen lernten. Ich lernte meine Gefühle aktiv auszuschalten, ich konnte es langsam steuern. Ich lernte mein Bewusstsein zu behalten, ohne dass das Geschehen es wirklich erreichte. Erniedrigende Handlungen, die ich voraussehen konnte, erreichten mein Selbstwertgefühl nicht mehr. Nur wenn etwas sehr plötzlich kam, konnte es mich noch runterreißen. Du hast ja damals öfter gesehen, wie ich noch in meinem Zweitbewusstsein war und erst langsam wieder emotional in die Wirklichkeit zurückkehrte.“

Und wie er sich erinnern konnte! Der klare Blick, der sich doch irgendwie im Nichts verlor, das vollkommen entspannte Gesicht, das keinen Ausdruck zeigte, eine starke Unkonzentriertheit, die Yami wie abwesend wirken ließ. Manchmal war es so unwirklich erschienen, wenn man ihn traf.

„Ja, das ging bis vor den Sommerferien so.“, äußerte er seine Feststellung von letzter Woche, „Und dann war es plötzlich nicht mehr so. Als bräuchtest du deine Emotionen nicht mehr wegzuschalten. Ich habe vermutet, das hinge mit Kaiba zusammen.“

„Ein wenig tut es das.“, gab der Rothaarige zu, „Ich habe mit ihm geschlafen ohne Geld zu verlangen. Ich verstand mich nicht. Was brachte es denn ihn ranzulassen, wenn es mir nichts einbrachte? Und schließlich verstand ich, dass es mir Spaß machte. Dass es mir wirklich Spaß machte. Es war schön, denn Seto konnte bisweilen sehr liebevoll und zärtlich sein. Und das hat mich etwas verstehen lassen, was ich lange nicht verstanden habe.“

„Und was?“, fragte Katsuya nach, als der Ältere nicht weiter sprach.

„Warum du nicht mit mir schlafen wolltest.“, erklärte Yami mit leiser Stimme, „Das habe ich einfach nicht verstanden. Aber durch Seto wurde mir das klar. Du mochtest mich einfach als Person. Genauso wie Seto mich als Person mochte. Manchmal kam er einfach nur zum Unterhalten. Er wollte Sex, ja, auch viel davon, aber das war nicht alles. Ich dachte lange, du wärst einfach nicht schwul. Aber Seto war schwul und er mochte mich trotzdem auch ohne Sex. Und das war der Punkt. Du warst ein Freund um meinetwillen. Das hat mir so ein Wertgefühl gegeben, dass mir Erniedrigungen einfach egal wurden. Das traf mich überhaupt nicht mehr. Ich wusste, dass du mich mochtest, egal, was passiert. Und das hat mich geheilt. Und ich bin dir unglaublich dankbar dafür.“
 

Katsuya verschwamm die Sicht vor Augen. Heiße, dicke Tränen suchten sich ihren Weg seinen Schläfen entlang und kitzelten seine Ohren, bevor sie auf das Laken tropften. Das… das sollte er getan haben? Das alles, nur weil er Yami mochte? Weil er gerne mit ihm sprach und sich immer in seinen Terminplan quetschte?

„Da- danke…“, stotterte der Blonde, schlang die Arme um Yami und zog ihn etwas höher, damit dessen Kopf auf seiner Schulter lag, „Ich hab’ dich auch lieb, Yami. Ich mag dich wirklich. Ich… ach, ich kann mich einfach nicht so toll ausdrücken wie du. Du bist mein bester Freund, okay? Du verstehst das, oder?“

„Ich denke schon.“, erwiderte der Violettäugige schmunzelnd, „Und ab jetzt kann ich auch für dich da sein. Denn – und das kann ich nur durch dich sagen – ich denke, du brauchst mich derzeit.“

Der Jüngere nickte heftig und sagte dabei: „Und wie ich das tue! Ich bin verloren ohne dich. Kaiba wäre ohne deine Erklärungen ein ewiges Mysterium für mich. Er, Ryou und du – ihr seid einfach mein Ein und Alles. Ohne euch geht nichts.“

Yami drückte sich leicht von ihm, hob den Kopf und drückte seine Lippen für einige Sekunden hart auf Katsuyas, bevor er meinte: „Danke.“

Ja, seine Freunde waren wirklich das Wichtigste. Ohne sie würde ihm jede Stütze fehlen. Und Kaiba… ja, der war irgendetwas. Vater, Freund, Geliebter, Idol. Eine Mischung aus allem Möglichen. Er war einfach nur toll.

„Denkst du gerade an Kaiba?“, riet der Ältere grinsend.

„Woher weißt du das?“, zischte der Blonde ertappt – doch errötete nicht.

„Dein Herz schlägt schneller. Typische Reaktion beim Gedanken an Kaiba, würde ich sagen.“

„Ach, leck’ mich doch…“, knurrte er beleidigt.

„Wo, mein kleiner Rebell?“

„Hör auf!“

„Ich oder du? Du wechselst gerade dein Verhalten.“, was Yami sichtlich amüsierte…

„Halt die Klappe!“

„Welche?“

„Yami!“, rief der Blonde sauer und stieß den Älteren von sich. Mann, der hörte sich ja schon an wie Kaiba…

Lehrstunden

Ich bin dann mal weg XD Allerdings ist nicht Santiago de Compostela mein Ziel, sondern Rom. Alle Wege führen nach Rom ^.- Meiner morgen auch. Somit gibt es heute das neue Kapitel und die Antworten auf eure Kommentare erst, wenn ich wieder da bin (Sonntag).

Ansonsten darf ich mit großer Freude die Eröffnung der Serie "Dead Society - Past" ankündigen ^.^ Dies ist im Gegensatz zu den Nebensequenzen keine Parodie, sondern sehr ernst, denn dort gibt es die Szenen, die durch die Zeitschiene und die Platzbegrenzung hier nicht hinein können ^.- Aber besonders den Analyseinteressierten dürften die Past-Kapitel Aufschluss geben.

Des Weiteren kann ich nur viel Spaß beim Lesen des neuen Kapitels wünschen ^.-
 

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„Jetzt sei mal ernst!“, forderte der Blonde Yami auf.

„Ist ja gut…“, dieser unterdrückte ein Lachen, indem er seinen Kopf in ein Kissen drückte.

„Yami! Alter, lass das, ich warne dich…“

Ein gedämpftes Prusten hallte aus dem Stoffstück.

„Das ist nicht lustig!“, der Kleinere zitterte schon vor Lachen, welches durch die Federn verschluckt wurde, „Mann, Yami… jetzt hör’ schon auf…“

Katsuya beobachtete den Liegenden noch einige Sekunden, bevor er eine Schnute zog, sich abwandte und beleidigt die Wand anstarrte. Also das ging ja wohl gar nicht! Yami konnte sich doch nicht über ihn lustig machen! Gemeinheit!

„Sorry…“, murmelte der Rothaarige etwas später und hielt sich den Bauch, „Du bist nur so…“, er krabbelte auf Händen und Knien um Katsuya um ihn ins Gesicht zu sehen – was dazu führte, dass der Rest seines Satzes in einem Prusten überging, „Katsuya, du siehst einfach göttlich aus! Selbst Seto würde sich einen ablachen, wenn er dich so sehen könnte.“

„Was denn?“, fauchte der Jüngere, „Was ist plötzlich so anders?“

„Du versuchst dich wieder wie ein Rebell zu benehmen, aber es mischen sich kindliche Trotzreaktionen darunter. Die Mischung ist einfach zum Schießen.“, erklärte der Grinsende, der einen Arm jetzt fest um seinen Bauch schlang, „Aber langsam tut das weh…“

„Idiot… lach’ halt weniger.“, murrte der Größere.

„Okay, Themenwechsel. Wir waren bei Petting stehen geblieben, ja?“, fragte der Violettäugige und massierte sich die Seiten.

„Ja...“, murmelte Katsuya und wandte seinen Blick einige Sekunden später von der Wand ab, „Ich kenne meine Grenzen und weiß, was darin möglich ist. Was ist mit dem, was über meine Grenzen hinausgeht?“

„Geschlechtsverkehr? Oral und anal? Willst du darüber etwas wissen?“

„Tja...“, eine leichte Röte legte sich auf seine Wangen, „Wär‘ wahrscheinlich gut, wenn ich etwas darüber weiß, nicht?“

„Und ich soll es dir wirklich nicht zeigen?“, ein Grinsen legte sich auf Yamis Lippen.

„Nein!“

„Na gut.“, er ordnete seine langen Beine zu einem Schneidersitz und stützte sich auf seinen Knien ab, während er sich nach vorne lehnte, „Oraler Verkehr bezeichnet das Stimulieren von Geschlechtsteilen mit dem Mund und wird von den meisten Schwulen als Sexpraxis bevorzugt. Zunächst wird die Zunge eingesetzt und das Glied befeuchtet durch Ablecken des Schaftes und der Eichel. Wer mag, auch die Hoden. Dafür können auch die Innenseiten der Lippen genutzt werden. Falls du das üben willst, versuche einfach mal Eiskugeln im Hörnchen zu essen ohne die Zunge zu benutzen. Wenn ich jemandem etwas Gutes tun will, dann küsse ich die Spitze auch noch ab, die ist am sensibelsten. Schließlich wird die Eichel dann mit dem Mund aufgenommen. Achte dabei darauf nicht zuzuschnappen und auch sonst das Glied so wenig wie möglich mit den Zähnen zu berühren, weil du sonst eine Urangst von Männern aktivierst – entmannt zu werden.“, der Ältere zwinkerte mit einem Augenlid, „Wenn du danach in einem bestimmten Takt saugst und lockerst und die Spitze mit der Zunge massierst, reicht das für die meisten Männer schon. Man sollte darin etwas Erfahrung haben, bevor man noch mehr versucht – wie zum Beispiel den kompletten Schaft aufzunehmen. Alles klar?“
 

„Äh... ja...“, der Blonde haftete den Blick auf die Decke, die seine Beine nach bedeckte, „Das war sehr... ausführlich.“

„Nun, das Saugen und Massieren kann man mit den eigenen Fingern ausprobieren.“, fuhr Yami fort, als würde er nicht gerade belustigt über Katsuyas Reaktion grinsen, „Anfängern würde ich auch empfehlen den anderen nicht im eigenen Mund abspritzen zu lassen. Das ist zu Beginn noch ziemlich fremd und dazu muss man sich wirklich trauen. Aber Männer kommen allgemein lieber im Mund. Und am liebsten haben sie es, wenn die aktive Person auch wirklich schluckt. Aber das erfordert zu Beginn auch viel Überwindung. Man sollte mit dem Geschmack von Sperma schon vertraut sein, bevor man so was macht. Alles, was ich dir dazu sagen kann, ist, dass Sperma sehr gesund ist. Eiweißreich, viele Vitamine und Mineralstoffe – es ist keine perfekte Ernährung, aber es ist keinesfalls schädlich. Ganz im Gegenteil. Allgemein würde ich aber eher empfehlen ein Kondom zu benutzen. Sehr viele Krankheiten werden über die Körperflüssigkeiten übertragen. Das sind nicht nur HIV oder Syphilis oder solche Sachen, sondern auch Hepatitis, Grippe und andere Infektionskrankheiten. Deswegen ist auch kein ungeschützter Sex zu empfehlen, wenn einer krank ist. Ungeschützter Sex ist eigentlich allgemein nicht zu empfehlen. Dennoch schützen sich nur vierzig Prozent der Menschen in unseren Ländern, was ich nicht so ganz nachvollziehen kann – aber viele Männer haben leider eine Abneigung gegen Kondome. Ich mache es so, ich sage entweder Kondom oder kein Sex. Das funktioniert meistens."

Katsuya rutschte leicht auf seinem Platz umher, lehnte sie vor, zurück, hüstelte, betrachtete seine Hände, streckte sie, ließ sie sinken, hob sie wieder und verschränkte sie.

„Du hast danach gefragt.“, erinnerte Yami.

„Hm... hm...“, die braunen Augen huschten über die Bettkante zu Boden, zur Wand, zurück, „Ja, ich... ich glaube, ich kann mich nicht über Sex unterhalten...“

„Musst ja auch nur zuhören.“

„Yami! Du weißt, wie ich das meine!“

„Schon klar.“, der Ältere zwinkerte, „Aber es ist zu süß, dass du so nervös bist. Ist das Thema dir so unangenehm?“

„Tja, ich... eigentlich wollte ich es ja hören... aber... ich weiß nicht...“

„Wollen wir das Thema Analsex verlegen?“

„Ja!“, der Blonde seufzte erleichtert, „Das reichte mir ja schon... also, ich weiß nicht, ob ich das jemals selber machen kann. Ich glaube, ich bin nicht für Sex gemacht.“

„Och, du bist kein asexuelles Wesen, also wirst auch du guten Sex mögen. Aber dein Hirn muss sich darauf noch einstellen. Wahrscheinlich erlebst du eine Art zweite Pubertät, die eigentlich deine richtige ist, in der sich deine Psyche auf den Modus Erwachsener umstellt. Vermutlich wirst du schon bald ein großes Verlangen danach empfinden, wenn sich deine Psyche aufgrund deines Unbewussten nicht quer stellt. Aber zum einen scheinst du ja über Sex mit Kaiba schon öfters nachgedacht zu haben und zum anderen habe ich bei dir noch keine Berührungsängste bemerkt, also bin ich guter Hoffnung.“

„Dass ich dich bald freiwillig nehme?“, fragte der Jüngere nach.

„Vielleicht.“, Yami zwinkerte wieder, was den Anderen verwirrt blinzeln ließ.

„Eigentlich... war das sarkastisch.“

„Und ich sprach ironisch.“

Sekunden später wurde der Rothaarige durch die Wucht des Aufpralls eines der Kissen auf sein Gesicht nach hinten geworfen.
 

Ring.

Katsuya stoppte seine Hand, in der er eines der Kissen hielt, mit dem er seinen besten Freund gerade schlagen wollte.

Ring.

Das andere Kissen knallte relativ sanft gegen seine Wange und wurde dabei losgelassen.

Ring.

Yami griff an dem Blonden vorbei nach seinem Handy, sah kurz auf das Display und nahm das Gespräch an.

„Hi, Seto.“

Verdammt! Den hatte er ja ganz vergessen!

„Ja, Kats ist bei mir.“

Hätte er ihm vielleicht Bescheid sagen sollen, dass er den Abend mit Yami verbringt? Indirekt hatte er das ja angedeutet, aber…

„Nein, wir sind noch im Sixth Heaven.“

Im selben Zimmer, im selben Bett, halbnackt – bei einer Kissenschlacht.

„Wir lästern über dich, was sonst? Scherz beiseite, wir unterhalten uns und nebenher erschlagen wir uns auch noch.“, der Ältere kniff kurz in Katsuyas Seite, „Wann soll ich ihn dir morgen wieder bringen?“

Wahrscheinlich würde Kaiba sagen, dass er ihn gar nicht haben wolle – aus reinem Sarkasmus heraus.

„Alles klar. Richte ich ihm aus. Bis morgen!“, der Rothaarige drückte eines weitere Taste seines Handys und legte es auf den Nachttisch zurück, „Dein dir Zugemuteter sagt, du sollst morgen zwischen zehn Uhr morgens und acht Uhr abends wieder da sein. Wenn du länger weg willst, sollst du ihn anrufen.“

„Das ist eine weite Zeitspanne…“

„Er sagt, er verbringt den Tag zu Hause. Und ich wette, egal wann du kommst, auf dich wartet eine Strafpredigt, weil du ihm nicht gesagt hast, dass du hier bleibst. Ob du es als Ausrede nimmst, dass ich dich fast flachgelegt habe, ist dir überlassen.“, der Ältere zwinkerte ihm zu.

„Das werde ich ihm sicher nicht erzählen!“, rief Katsuya.

„Ach? Warum?“, fragte der Andere hinterhältig nach.

„Weil… weil…“, die Schultern des Blonden sackten nach unten, „Ich glaube, es ist nicht gut, wenn er erfährt, wie naiv ich bin… ich muss unbedingt was dagegen tun… Yami, was soll ich machen?“

„Erfahrung sammeln.“, antwortete dieser und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, „Mehr hilft da nicht. Persönliche Entwicklung lernt man nicht aus Büchern, die kann man nur praktisch machen.“

„Und…“, der Jüngere legte sich erst auf den Bauch, dann auf die Seite, „Wie mache ich das?“

„Kannst ja ein bisschen Flirten üben. Mach dich an ein paar Mädchen oder Jungs ran. Wenn du die eine Seite erlernst und ein paar Verführertricks kennst, kannst du es vielleicht durchschauen, wenn jemand das auf dich anwendet.“
 

Verführung… Anmachen… Flirten… Hilfe!

„Und wie macht man das?“

Yami zog langsam eine Augenbraue hoch und legte den Kopf schief, während er fragte: „Du hast das noch nie gemacht?“

„Ich hatte ganz sicher Besseres zu tun.“, fauchte der Jüngere schon fast.

„Entschuldige bitte. Ich dachte, als Anführer eines Schlägertrupps hat man vielleicht auch ein paar Mädchen.“, flüsterte der Ältere.

„Hat man nicht. Deswegen gibt es ja solche Gruppen wie die Skorpions…“, von den Skorpions stammten die Typen, die Yami damals vergewaltigt hatten, als sie sich das erste Mal trafen. Das war jetzt anderthalb Jahre her…

„Ach so…“, murmelte der Ältere, „Die vergewaltigen auch Frauen?“

„Mehr als Männer. Und die Polizei tut immer noch nichts…“

„Heilige Scheiße... manche Männer sind Tiere...“

„Tja...“, beide hielten den Kopf gesenkt.

„Nun, Verführung.“, hob der Ältere die Stimme, schnappte sich ein Kissen und lehnte sich damit an die Wand, „Ich bin für praktische Übungen. Denke dir, du würdest mich nicht kennen. Und du möchtest mich ins Bett kriegen. Was würdest du machen?“

„Ähm...“, die braunen Haare wanderten über die Decke.

„Außer Vergewaltigen.“, murmelte der Rothaarige leise.

„Würde ich nicht...“

„Ich weiß. Ist die Lösung für die, die keinen anderen Weg kennen.“

„Ja...“, der Jüngere seufzte, legte sich auf den Rücken und den Kopf in Yamis Schoß, „Zuerst muss ich mit ihm oder ihr ins Gespräch kommen. Gehe ich davon aus, dass du gerade die Person bist?“

„Meinetwegen.“

„Hm... zwischen uns gibt es keine Gemeinsamkeit... vielleicht könnte ich dich darauf ansprechen, dass du einem Bekannten von mir ähnlich siehst.“

„Guter Anfang. Oder?“, Yamis rechte Hand legte sich auf Katsuyas Schopf und begann die Ponyspitzen aus seinem Gesicht zu streichen.

„Am besten wäre es, wenn du etwas verlierst oder ich dir beim Tragen oder so etwas behilflich sein kann. Das sind immer gute Gesprächsanfänge.“

„Hört sich an, als hättest du doch Ahnung.“, meinte der Ältere lächelnd.

„Habe als Kind zu viel Fernsehen geguckt.“, erzählte der Blonde ernst, „Hatte ja nie etwas zu tun, wenn ich nicht arbeiten musste. Also habe ich Fernsehen geguckt.“

„Manchmal kann Fernsehen ganz bildend sein. Manche Sendungen zumindest...“, die Hand begann den Größeren zu kraulen.

„Und über das Gespräch kommen ganz viele Komplimente, Versprechungen – er muss von mir schwärmen und sich begehrt fühlen. Und dann zu ihm und... na ja... für mich wäre das nichts, ich hätte lieber eine feste Beziehung.“

„Aber das Anmachen zu üben ist schonmal eine Idee. Vielleicht kann es dich vor manchen Aktionen Kaibas schützen.“, sagte der Rothaarige.

„Ach, Yami... mir ist das zu viel. Mir ist das einfach zu viel... ich möchte Sicherheit. Nur etwas Sicherheit... das ist zu viel Neues, zu viele Wege, zu viele Möglichkeiten... kannst du dir vorstellen, dass ich mich manchmal zu meinem Vater zurückwünsche? Alles war so einfach...“, Katsuya schloss die Augen, „So... einfach...“

Der Ältere schwieg nur und kraulte ihn weiter.

„...ein...“

Eine angenehme Schwärze legte sich über den Rest der Welt.

The way of love

Aus Rom zurück und vollgestopft mit neuem Wissen ^.- Wenn ihr Zeit und Geld habt, setzt euch doch einfach mal auf den Petersplatz und beginnt zu diskutieren. Ihr zieht unter Garantie eine Menge interessanter Leute mit einer Menge interessanter Meinungen an. Aber eins muss ich sagen, die Geistlichkeit ist manchmal echt verbohrt -.-

Dieses Kapitel enthält wieder leicht abgehobene Themen, aber diesmal bin ich sicher, dass sie für viele von euch interessant sein dürften. Nebst der Tatsache, dass hier einige Fragen geklärt werden ^.- Zumindest für die Analytiker. Und nächstes Kapitel kommt der lang ersehnte Umschwung (nein, nicht das retardierende Moment -.-), so viel darf ich verraten. Viel Spaß beim Lesen!
 

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Katsuya zog die Augenbrauen zusammen, brummte, blinzelte und ließ seinen Blick schweifen. Wo... war er? Ach ja, Sixth Heaven. Dann müsste Yami...

Ein Gewicht drückte auf seine rechte Brusthälfte. Ja, genau da war er. Komisch, dass der Ältere schlief. Da kam er doch vollkommen aus dem Rhythmus. Der kleinere Körper rutschte etwas ab, als der Jüngere sich aufsetzte, obwohl er ihn hielt.

Ach nein, hatte er also gelesen. Katsuya zog das Buch aus Yamis Griff, legte seinen Finger auf die Seite, die auch der Andere gehalten hatte und besah den Titel.

„Wenn Frauen zu sehr lieben... die heimliche Sucht gebraucht zu werden. Meine Güte, Yami, das kannst auch nur du lesen. Ist das jetzt ein Psychologiebuch oder ein Kitschroman?“, wenigstens war das Buch nicht rosa... „Hey, Schlafmütze.“, er kratzte mit seinen kurz geschnittenen Nägeln über den Rücken des Älteren, der dabei wohlig aufschnurrte und den Rücken durchbog, „Augen auf, Kätzchen.“

„Warum denn?“, fragte der andere ohne der Bitte seines besten Freundes Folge zu leisten.

„Wir müssen aufstehen.“, er hob sein Handgelenk und warf einen Blick darauf, „Es ist schon halb neun.“

„Stört mich nicht.“, meinte der Ältere.

„Klar, dich nicht. Aber ich muss nach Hause und lernen. Ich habe mir extra Übungsaufgaben für Mathe geben lassen, damit ich den Stoff nachholen kann.“

„Du bist so ein eifriger Schüler geworden…“, stellte er fest und öffnete die Augen, „Meinst du, du könntest noch kurz etwas von mir lernen?“

„Kein Analsex!“, erwiderte der Blonde sofort und ließ den Kleineren los, wodurch dieser auf seinen Schoß fiel.

Yami fauchte ungehalten und versuchte eine bequeme Position in seiner derzeitigen Lage zu finden, bevor er weiter sprach: „Eigentlich wollte ich über eine der grundlegendsten Verhaltensregeln der Tiefenpsychologie referieren.“

„Heißt?“, der Größere schnappte sich alle in Reichweite liegenden Kissen und verstaute sie hinter seinem Rücken, um sich anzulehnen.

„Ich fasse dir in wenigen Worten das Buch zusammen, was du in der Hand hältst.“

„Der Kitschroman?“, Katsuya warf noch einmal einen Blick auf den Titel und reichte dem Liegenden das Buch, damit dieser ein Lesezeichen in die Seite stecken konnte.

„Der Kitschroman enthält Fallbeispiele von geschlagenen, vergewaltigten und psychisch gequälten Frauen, die alle dasselbe Problem haben.“

„Und das wäre?“

„Die Sucht danach Männer zu lieben, die sie schlagen, vergewaltigen und psychisch quälen. Ungefähr das, was Seto mit dir anstellte, als du dich in ihn verknallt hast.“
 

Katsuya schluckte. Das war es wieder. Dieser Punkt, diese Frage, um die er schon so lange kämpfte. Liebte er? Oder war er nur krank? Abhängigkeit oder Liebe? Oder noch etwas anderes? Eigentlich dachte er sie doch beantwortet zu haben. Aber vielleicht bildete er sich nur ein eine Antwort gefunden zu haben, weil ihm die Ungewissheit zu viel Angst machte? Schwer zu sagen. Es war alles schwer zu sagen…

„Diese Frauen haben ihr Leben, ihre ganze Kindheit an nur psychische und manchmal physische Gewalt erlebt und begannen das als Liebe anzusehen. Deswegen suchten sie genau diese Partner, die ihnen wieder dasselbe antaten. Oder aber sie erlebten die Gewalt und zogen daraus ein Gefühl von Sicherheit. Es war planbar, es war einfach. Und der ganze Rest der Welt war unsicher. Deine Aussage von gestern hat mich darauf gestoßen. Manchmal wünschst du dich zu deinem Vater zurück, weil es so einfach war. Es ist genau das, was ich hier lese. Auch diese Frauen haben sich wieder Männer gesucht, die ihnen dasselbe antaten. Manche befanden sich in ihrer Kindheit in Situationen, in denen sie sich als vollkommen hilflos empfanden. Ungefähr das, was du auch öfters erlebt hast. Und sie versuchten sich in dieselben Situationen wieder zu bringen, nur diesmal etwas zu ändern. Sie kämpften ohne Ende um andere zu ändern, oft anderen zu helfen, weil sie sich selbst oder ihre Situation in sie projezierten. Sie ließen ihre Vergangenheit mit neuen Menschen aufleben und nahmen entweder dieselbe Rolle oder die eines anderen dabei ein und versuchten die Situation zu ändern um so innerlich ihre eigene Vergangenheit zu ändern. Ungefähr das, was du tust, wenn du versuchst Seto zu helfen. Hier wird von Frauen gesprochen, die sich ausschließlich in Süchtige verliebten und ihnen zu helfen versuchten oder die immer nach Partnern suchten, die sie verbal oder psychisch quälten und dabei versuchten seinen Schmerz zu lindern um sich zu schützen. Sogar Frauen, die ihre eigenen Bedürfnisse vollkommen aufgegeben haben, um die ihres Partners zu erfüllen. Und ihr Verhalten lässt sich unverkennbar mit dem Verhalten aus ihrer Kindheit in Verbindung setzen. Eine Frau hat sich Jahre lang für ihre kranke Mutter aufgeopfert – jetzt tut sie es für den Mann, der ähnliche Probleme hat. Eine andere wurde Jahre lang physisch gequält – jetzt wird sie von ihrem Mann geschlagen. Du wurdest jahrelang von deiner Mutter entweder ignoriert oder beschimpft, auf jeden Fall ständig in deiner Wertigkeit herabgesetzt – und plötzlich schwärmst du von einem Mann, der dich entweder beleidigt oder sonstig demütigt und dir nur zweimal etwas Positives gesagt hat, wovon du zehrst. Das gibt dir Sicherheit, das kennst du. Du verstehst ihn zwar nicht, aber das Verhalten ist dir bekannt. Du schaffst es dich von deinem Vater zu lösen. Aber dann tauchen plötzlich gravierende Unterschiede zwischen Seto und deiner Mutter auf. Er kümmert sich plötzlich um dich und hasst dich nicht. Das wirft dich in eine Krise. Aber er gesteht dir psychisch krank zu sein. Klasse! Genau wie dein Vater, als du noch jünger warst. Du beginnst dich für ihn aufzuopfern. Und daran gehst du langsam kaputt, weil man Seto nicht einfach ändern kann. Er hat mir von deinem Nervenzusammenbruch beim Frühstück erzählt. Du hast ziemlich wortwörtlich gesagt, dass du alles tun würdest, um ihn zu helfen. Frappante Ähnlichkeit, nicht? Aber Seto gibt dir zu verstehen, dass du dich nicht für ihn aufopfern sollst. Was haben wir als nächstes? Eine Identitätskrise. Und schon wünschst du dich zu deinem Vater zurück. Der Kreis schließt sich.“
 

Katsuyas Kiefermuskeln spannten sich. Die Zähne drückten fest aufeinander, der Druck presste die Oberlippe an die Zahnreihen. Die Luft wurde scharf ein gesogen, angehalten und kroch nur mühsam die unmerklich bebenden Nasenflügel wieder hinab. Die Lider sanken herab gegen die zuckenden Wangenmuskeln, während sein Kopf sich von dem Älteren abwandte. Stumm öffneten sich seine Lippen, schnappten gierig nach Luft, doch brachten keinerlei Ton hervor, bis sich seine nassen Augen wieder zeigten und abwesend die Wand betrachteten: „Also… liebe ich ihn nicht? Ich bin nur krank?“

„Du liebst ihn schon…“, murmelte der Rothaarige, der sich aufsetzte und seinem Freund einen sorgenvollen Blick zuwarf, „Ich wollte nur, dass dir bewusst ist, was das für eine Liebe ist.“

„Eine kranke…“, flüsterte der Jüngere abwesend, zog seine Knie heran, legte die Arme darum und begann hin und her zu wippen.

„Keine Liebe ist krank. Wenn ich dies hier lese, frage ich mich sogar, ob es etwas wie Liebe in unserem Verständnis überhaupt gibt oder ob das Gefühl nur eine Reaktion auf physische und psychische Reize ist. Der Punkt, dass ich dir das erzähle ist, dass du dich vorsehen solltest, dass du dich nicht selbst aufgibst für Seto. Ich bin kein objektiver Beobachter, im Zweifelsfall kann ich dich nicht warnen. Also sollte dich wirklich mal jemand ansprechen, wie du es mit ihm aushältst… denk darüber nach. Ich will nur nicht, dass dir etwas passiert.“, eine Hand strich sanft über seine Wange, unter der sich seine Kiefer noch immer hart zusammen pressten.

„Glaubst du wirklich?“, fragte der Blonde mit zitternder Stimme, „Dass ich zwar liebe… aber dass es vielleicht krank ist, was ich liebe? Dass ich nur kranke Beziehungen eingehen kann?“

„Nein, das habe ich nicht gesagt.“, Yami umschloss sein Gesicht mit beiden Händen und setzte sich direkt vor ihn, „Vielleicht ist das, was du begehrst, etwas anormal, ja. Aber das heißt nicht, dass du dich nicht dagegen wehren oder etwas ändern kannst. Außerdem glaube ich nicht, dass wir eine ungesunde Freundschaft haben, oder?“

Der Jüngere schenkte ihm ein unsicheres Lächeln.

„Es ist wahrscheinlich genau so, wie dieser Ryou dir das gesagt hat. Jeder Mensch hat bestimmte Einstellungen. Anscheinend auch dazu, was begehrenswert ist. Wir sollten nur darauf achten, dass unsere Einstellungen nicht allzu gesundheitsschädlich sind. Für uns wie für andere.“

„Ich liebe dich…“, flüsterte Katsuya, „Ich liebe dich… nicht so wie Kaiba, aber ich liebe dich… als Freund.“

„Ich liebe dich auch, mein Freund.“, erwiderte der Ältere lächelnd, ließ seine Hände sinken und lehnte sich vor.

Ohne ein Zögern von auch nur einem von beiden trafen sich ihre Lippen und tupften einen zärtlichen Kuss auf die des anderen.
 

„Aber das sollten wir Seto nicht hören lassen.“, meinte der Rothaarige lächelnd und platzierte sich auf seinen Fersen zum Seiza.

„Ich glaube, das sollten wir niemanden hören lassen… das würden die Leute nur falsch verstehen… wie kann das sein, dass ich so für dich fühle und keinerlei Begierde habe mit dir zu schlafen?“, fragte der Jüngere mit zusammen gezogenen Augenbrauen, während er sich wieder gegen die Kissen lehnte.

„Ach, Sex wird überbewertet. Wir haben halt eine platonische Liebe.“, erklärte der Stricher mit den Schultern zuckend, was den anderen losprusten ließ.

„Und das aus deinem Mund…“, der Blonde hob eine Hand und verdeckte sein amüsiertes Lächeln damit, „Und was ist eine platonische Liebe?“

„Nie gehört?“, Yami hob eine Augenbraue, „Ach, was frage ich…“, augenrollend schüttelte er den Kopf, worüber Katsuya die Unterlippe vorschob, „Eine platonische Liebe ist einfach nur eine geschlechts- und sexlose Liebe. Die Griechen unterschieden zwischen Eros und Agape, wenn es um Liebe ging. Eros ist die leidenschaftliche Liebe. Also die sexuelle Anziehung. Agape ist die leidenschaftslose Liebe. Sie besteht aus gegenseitigem Verständnis, Austausch und Hilfe. Das, was du mit dem Entfalten der Möglichkeiten bezeichnet hast. Das Problem vieler Menschen heute ist, dass sie denken, beides zusammen wäre wahre Liebe. Aber man kann nicht beides haben. Entweder Leidenschaft oder Verständnis. Agape schließt Sex nicht aus, aber es macht es auch nicht notwendig. Eros schließt Verständnis nicht aus, aber es zerstört das, was wir als Freundschaft, also meistens eine geminderte Form von Agape, bezeichnen. Und deswegen bin ich über unsere Beziehung sehr glücklich. Wir führen eigentlich so etwas wie eine Liebesbeziehung.“

Welch eine interessante Ansicht… das hieß aber gleichzeitig…

„Für dich kann also auch Sex zu einer Freundschaft gehören? Nur keine Leidenschaft?“

„Sehr richtig. Was auch der Grund ist, warum Seto wahrscheinlich niemals ein Freund von mir war oder ist. Uns hat bis heute nichts als sexuelle Anziehung verbunden.“

„Möchtest du mit mir schlafen?“, fragte der Blonde ohne jegliches Erröten oder Unsicherheit.

„Manchmal.“, antwortete der Ältere ehrlich, „Aber wie wir jetzt wissen, kann Sex für dich nicht zu einer Freundschaft gehören. Deine Grenzen liegen anders. Und das kann ich verstehen und nachvollziehen, akzeptieren und annehmen. Ich richte mich in diesem Punkt vollkommen nach dir.“

„Ich fühle mich etwas schuldig deinen Willen so zu untergraben.“, flüsterte der Größere mit zur Seite gelegtem Kopf.

„Brauchst du nicht.“, der Rothaarige wechselte auf seinen Schoß und ließ seine Seite gegen Katsuyas muskulöse Brust sinken, „Mir reicht es von dir in den Arm genommen zu werden. Das ist mir weit wichtiger. Das habe ich in meinem Leben zu lange vermisst. Bedingungslose Liebe…“

Das war es, was er nie erlebt hatte? Bedingungslose Liebe? Zuneigung, gezeigt in körperlicher Nähe? Körperlichkeit ohne Leidenschaft? Und vor allem ohne jede Gegenleistung?
 

„Du wirst mir auf meine Frage, was du erlebst hast, nicht antworten, nicht wahr?“

„Nein.“, erwiderte der Kleinere ohne jeden negativen Beiton.

„Und nun kommt die Frage, was genau ich eigentlich von Kaiba will.“, wechselte der Blonde das Thema.

„Eine exzellente Frage. Kein Sex, aber eine leidenschaftliche Zuwendung. Und dennoch eine tiefe seelische Verbindung, vielleicht sogar eine tiefere als unsere.“

„Und das alles auf der Grundlage meine Vergangenheit durch ihn aufzuarbeiten.“

„Das Problem kommt hinzu, ja.“

„Wunderbar…“, er legte die Arme um den auf seinem Schoß Sitzenden, „Yami, mein Leben ist echt kompliziert.“

„Hat irgendwer gesagt, das Leben sei leicht?“

„Dasselbe hat Kaiba gesagt. Oder war es, dass das Leben fair ist? Ich weiß es schon nicht mehr…“, er seufzte in das voluminöse rotviolette Haar, „Ich glaube, Kaibas Plan war es sein Leben durch mich aufzuarbeiten.“

„Möglich… du warst es, der ihm das Wichtigste in seinem Leben genommen hat. Möglich, dass er es daher als deine Pflicht ansieht sein Leben wieder in richtige Bahnen zu bringen. Falls es überhaupt mal in richtigen Bahnen war…“

„Das ist seine eigene Pflicht.“, stellte der Blonde überzeugt fest, „Wenn es etwas gibt, was ich in letzter Zeit gelernt habe, dann ist es das. Man ist für sein Leben selbst verantwortlich. Das kann er nicht von mir verlangen.“

„Das ist eine mehr als gesunde Einstellung.“, sagte Yami sanft, „Ich bin froh, dass du so denkst.“

„Andererseits habe ich eine Menge Schuldgefühle. Irgendwo denke ich schon, dass ich ihm wenigstens helfen sollte. Ich weiß nur nicht, wie. Dazu kommt anscheinend, dass ich ihm aufgrund meiner eigenen Vergangenheit um meinetwillen auch noch helfen will. Und bei all dem sollte ich darauf achten, dass er mich nicht ausnutzt, richtig?“

„Sehe ich auch so.“, bestätigte er.

„Das zum diesem Agapezeugs… und jetzt kommt die sexuelle Anziehung… hilf mir, meine Gedanken drehen sich im Kreis.“, bat der Blonde.

„Sex kann zur Entspannung und auch zur Bindung genutzt werden. Es ist möglich, dass du Seto körperlich begehrst, weil du weißt, dass das seine Psyche positiv beeinflusst und weiterhin, weil er eigentlich sehr treu ist… und bevor wir wieder an die Grenzen kommen, Küssen ist nur eine geminderte Form von Sex.“, setzte der Ältere sofort hinterher.

„Aber ich habe ihn schon begehrt, bevor ich das wusste. Zumindest habe ich mich öfters gefragt, wie das wäre mit ihm… na ja… du weißt schon.“

„Neugierde? Nebst der Tatsache, dass er sehr attraktiv und gesund ist, was eine gute Voraussetzung für starke Nachkommen ist, um es mal psychobiologisch auszudrücken.“

„Ich bin keine Frau!“, hielt der Braunäugige knurrend dagegen, „Oder gilt das etwa auch für Männer?“

„Für Männer mehr als Frauen. Nur dass du halt schwul bist. Bei dir läuft das biologische Programm wie bei einer Frau, nur dass du keine bist.“

„Also bin ich wirklich eine Transe…“, stellte der Blonde seufzend fest.

„In gewisser Hinsicht schon… aber darüber gibt es arg wenig Studien. Das sind nur Vermutungen.“

„Dann ist nur die Frage, warum ich Hemmungen habe mit ihm zu schlafen. Warum es solche Hemmungen überhaupt gibt sogar.“, überlegte er weiter.

„Angst vor Kontrollverlust? Über-Ich-Normen? Entweder Trieb oder Wertvorstellung. Nebst der Tatsache, dass du weißt, dass die Realität dir sagt, dass Kaiba nicht aus ehrlicher Zuneigung sondern nur aus Lust mit dir schlafen würde. Also Eros, nicht Agape.“

„Wahrscheinlich kommt alles zusammen…“

„Richtig.“, Yami legte den Kopf zurück, um zu ihm aufzusehen, „Die Psyche ist sehr komplex.“

Berufswünsche

Ich bin bis Sonntag dann mal wieder verreist, ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen in der Zeit ^.-

Und wie gewünscht: Kaiba ist zurück! Wie ich sehe, wurde er ja schon vermisst ^.-

An dieser Stelle möchte ich mich auch noch mal herzlich für die vielen Kommentare bedanken! Das bedeutet mir viel ^.^ Danke, dass ihr reflektierende und kritische Reviews schreibt, so kann auch ich mich weiterentwickeln - und ihr kriegt etwas Besseres zu lesen ^.-

Genug geschwafelt, nächstes Kapitel nächste Woche, hier kommt dieses, viel Spaß damit ^.^
 

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„Es wird wirklich Zeit, dass ich dir die Busverbindung raussuche und dir den Weg zur Haltestelle zeige…“, meinte der Brünette mit einem Seufzen, drehte den Autoschlüssel und warf so den Motor an, „Es kann nicht angehen, dass ich dich jedes Mal durch die Gegend kutschiere.“

„Entschuldigung…“, murmelte der Jüngere, „Danke für’s Abholen.“

„Schon gut… ich habe ja sonst nichts zu tun.“, Kaiba schnaubte, „Dafür möchte ich gleich Mittagessen. Deal?“

„Ja.“, der Blonde schenkte ihm ein Lächeln, „Irgendeinen Wunsch?“

„Kein Fisch. Ansonsten das, was auf deinem Ernährungsplan steht.“, er setzte den Blinker, hielt, sah sich um und fuhr auf die Straße, „Anbei, hast du seit dem Frühstück gestern überhaupt etwas gegessen?“

„Nö.“, Katsuya erfühlte etwas Ungewohntes in seiner Jackentasche und erkannte es als sein Gehalt – Marik musste es ihm hinein getan haben, nachdem er gestern mit Yami abgehauen war. Er sollte ihm vielleicht mal danken, dass der Ältere das jedes Mal mit dem Chef für ihn regelte.

„Ich wette, so war das nicht vom Arzt gedacht.“, riss Kaiba ihn aus seinen Gedanken, „Außerdem dürftest du an noch keinem Tag die fünf Mal Obst oder Gemüse eingehalten haben, oder?“

„Öhm… nicht so wirklich…“, gab der Blonde zu.

„Du isst weit weniger als auf dem Plan und selbst der ist schon Unterernährung angepasst. Willst du umkippen?“

„Ich kann auf mich selbst aufpassen, okay?“, erwiderte er etwas ungehalten.

„Ich mache mir nur Sorgen.“, gab der Ältere etwas ruhiger zu, „Mit so etwas ist nicht zu spaßen. Nebst der Tatsache, dass ich diesen Pflegeantrag nicht durchkriege, wenn du keine physische sowie psychische Besserung aufweist. Übrigens müssen wir morgen wieder zum Arzt, dir muss noch einmal Blut abgenommen werden. Bezüglich der physischen Besserung.“, den letzten Satz sprach der Lehrer etwas schärfer aus.

„Ich bin immer wieder froh, dass sie mir so etwas vorausschauend früh sagen…“, konterte der Blonde.

„Was soll dieser Tonfall, Junge?“

„Hätte ich das früher gewusst, hätte ich vielleicht etwas verantwortungsbewusster gehandelt. Sagen sie mir so etwas früher statt sich zu beschweren. Ich kann mir so etwas nicht einfach selbst denken.“, kritisierte er Kaiba.

„Auch ohne diese Umstände hätte ich dich für vernünftiger gehalten.“, wies der Ältere ihn zurecht.

„Können sie verstehen, dass ich einfach keinen Hunger spüre? So ein Gefühl kommt bei mir auf, wenn ich tagelang nichts gegessen habe, vorher nicht. Ich bin es einfach nicht anders gewohnt.“

Die blauen Augen richteten sich stur auf die Straße, während deren Besitzer nach einigen Schweigesekunden sagte: „Daran habe ich nicht gedacht, das gebe ich zu.“

„Und ich habe nicht an den Pflegeantrag gedacht.“, gestand der Blonde im Gegenzug ein, „Quitt?“

Wie erwartet gab der Ältere ihm darauf keine Antwort.
 

„Und, was machen sie heute?“, fragte Katsuya den Lesenden, während er das Hühnchen leicht anbriet.

„Wonach sieht es denn aus?“, erwiderte der Brünette ohne aufzusehen.

„Wollen sie denn ganzen Tag lesen?“

„Und dabei nicht gestört werden.“

Na ganz toll. Ging das noch unfreundlicher? Was hatte der denn schon wieder für eine Laune? So sehr konnte er Sex doch gar nicht vermissen. Oder war er sauer, dass er die ganze Nacht mit Yami weg war? Ob er glaubte, dass da etwas zwischen ihnen gelaufen war?

„Ich habe nicht mit ihm geschlafen, falls es das ist.“

„Und was habt ihr dann die ganze Nacht gemacht?“, Treffer versenkt…

„Gequatscht. Wie sie vielleicht bemerkt haben, sind die Ausuferungen meiner Identitätskrise ein bisschen abgeflaut.“, wie eine überdrehte Frau verhielt er sich zumindest nicht mehr.

„Unübersehbar. Übrigens wäre ich sehr froh es nächstes Mal zu erfahren, wenn du die ganze Nacht wegbleiben willst.“, bemerkte der Ältere, ohne dass sein Unterton auch nur um ein bisschen auftaute.

„Entschuldigung… über die Gespräche haben wir das irgendwie… vergessen. Nächstes Mal denke ich dran.“, der Blonde wandte sich wieder der Pfanne zu. Kaiba hatte kein einziges Mal von seinem Buch aufgesehen.

„Ein nächstes Mal gibt es erst, sobald du ein eigenes Handy hast. Das werden wir morgen auch einkaufen. Badesachen und einen Bademantel brauchst du auch. Und Hausschuhe. Und noch ein paar Sätze Unterwäsche und Socken, ich habe keine Lust andauernd zu waschen. Waschpulver brauchen wir auch. Und Lebensmittel. Du schreibst eine Einkaufsliste dafür – bis heute Abend.“, wies der Lesende ihn an.

„Soll ich nachher waschen?“, bot der Jüngere an.

„Das macht die Maschine. Und die lief gestern. Du kannst die Sachen abhängen und falten. Und rühr’ die Hemden im Badezimmer nicht an!“

„Ja, Herr Lehrer.“

Katsuya warf einen Blick über die Schulter – und traf auf blaue Augen. Kaiba hatte sich also doch von seinem Buch abwenden können. Hatte er vielleicht doch den scharfen Unterton bemerkt.

„Soll ich vielleicht etwas Musik einschalten?“, fragte der Ältere versöhnlich.

„Stört sie das nicht beim Lesen?“

„Mir ist eher ohne zu langweilig.“

„Was lesen sie denn?“, das wäre doch glatt mal interessant zu wissen.

„Fermats letzter Satz.“, er legte ein Lesezeichen in die Seite, die er gerade aufgeschlagen hatte und ging zum Radio herüber, neben dem einige CDs lagen.

„Und worum geht es da?“

„Die Geschichte der Mathematik und ein mathematisches Problem, dessen Lösung erst vor wenigen Jahren nach jahrhundertlanger Forschung gefunden wurde. Bisschen ausschweifend und einfach, aber recht informativ.“

Ein Buch über höhere Mathematik – einfach? So was konnte auch nur aus Kaibas Mund kommen.
 

Sie hatten sich zusammen mit den Klängen von Nightwish ins Wohnzimmer verzogen, Kaiba mit seinem Buch über irgendeine komplizierte mathematische Formel und Katsuya mit seinen Wiederholungsaufgaben, damit er die Mathematik der Mittelstufe verstand. So betrachtet war es ein Wunder, dass es eine Musik gab, die sie beide mochten. Katsuya hörte keine Klassik, Kaiba mochte kein Punk. Und Metal schon gar nicht. Gerade mal bei Musicals, Nightwish, Gackt und Sting gab es eine Einigung. Wunderbar – sie hatten drei Gruppen gefunden, die sie beide mochten. Sie waren so verdammt unterschiedlich. Wie sollte das jemals etwas mit ihnen werden? Was verband sie denn schon?

„Kommst du gut voran?“, fragte der Ältere irgendwann.

„Ich denke schon.“, murmelte der Blonde, der bäuchlings auf dem Teppich lag und bei der dritten Seite angekommen war, „Ist nur blöd, dass ich keine Lösungen habe.“

„Soll ich es nachsehen?“, bot der Andere an.

„Ich dachte, sie wollten lesen…“, hatte er ja unfreundlich genug klar gemacht…

„Mir ist langweilig.“, informierte er ihn, „Außerdem kann ich dir so helfen. Schließlich habe ich verlangt, dass du das alles aufarbeitest.“

Wow, die erste freundliche Tat heute. Super Bilanz. Aber es wäre wirklich hilfreich… er sollte annehmen. „Danke für ihre Hilfe.“, er reichte dem Lehrer das Aufgabenblatt und seine Lösungen, „Aber bitte nicht mit dem roten Stift.“

„Ich hatte an Grün gedacht.“, meinte der Brünette mit einem angedeuteten Lächeln, „Aber Lila habe ich auch da.“

Katsuya sah auf, hob eine Augenbraue, legte den Kopf etwas zur Seite und fragte: „Sie scherzen, oder?“

„Katsuya, der wichtigste Besitz eines Lehrers ist sein Rotstift. Das kannst du mir nicht antun.“

Was war denn jetzt los? Der Jüngere konnte sein Schmunzeln nicht unterdrücken. Konnte man Drachen mit Musik beruhigen? Oder war es das Essen gewesen? Seine Laune hatte sich auf jeden Fall gehoben.

„Ich möchte Lila.“, entschied er.

„Das rote Lila?“

„Das violette Lila.“

„Gemeinheit.“, Kaiba zog einen Stift aus seinem Etui, das auf dem Tisch gelegen hatte – die Tinte war lila.
 

„Und wie wir sehen, bin ich unfähig die pq-Formel auszuführen…“, stellte Katsuya mit einem Seufzen bei der Durchsicht seiner Unterlagen fest.

„Eigentlich hast du nur jedes Mal das Minus vergessen.“, der Ältere, der neben ihm auf dem flauschigen Teppich saß, tippte jede der betroffenen Aufgaben an, „Du hast die Formel falsch gelernt.“

„Eher habe ich sie falsch in Erinnerung behalten.“, er griff nach seiner von Ryou erstellten Formelsammlung und seufzte wieder, „Da ist das Minus… ich hab’ es jedes Mal vergessen…“

„Yugi wäre sicher so freundlich dir das in einer Arbeit nur mit einem Fehlerpunkt anzurechnen.“, versicherte ihm der Größere lächelnd, „Ansonsten müsste ich ein ernstes Gespräch mit ihm führen.“

„Wenn Lehrer ungerecht zu mir sind, sprechen sie mit ihnen?“, fragte der Blonde mit erwartungsvoll glitzernden Augen.

„Sicher. Und das Wort des stellvertretenden Direktors wiegt sicher schwer.“

„Meinen sie, die werden mich bevorzugt behandeln, wenn sie erfahren, dass sie sich für mich einsetzen?“, der Lehrer zuckte nur mit den Schultern, „Meinen sie nicht, die vermuten etwas, wenn sie sich für mich einsetzen?“, fragte Katsuya ernster.

„Sobald ich den Pflegeantrag durch habe, werde ich es sowieso öffentlich machen. Bis dahin bist du einfach nur mein Schützling. Und das wissen die jetzt schon, so oft wie man uns zusammen sieht.“

„Ist das so auffällig?“, das hatte er noch gar nicht bemerkt…

„Lehrer sind Klatschbasen. Nur ein falscher Blick zu einer Schülerin und dir wird ein Verhältnis mit ihr unterstellt.“

„Echt?“, der Blonde rückte interessiert näher, „So schlimm?“

„Die meisten Lehrer sind sehr unglückliche Menschen. Den wenigsten macht ihr Job wirklich Spaß. Was sollen sie sonst tun als sich gegenseitig in der Luft zu zerreißen?“

„Den Beruf wechseln?“, er legte den Kopf schief, wodurch der Ältere ein Lachen unterdrücken musste.

„Manchmal bist du furchtbar naiv, Katsuya… Menschen sind Gewohnheitstiere. Die wechseln nicht einfach so den Beruf. Die Umstände müssen schon wirklich schlimm sein, damit sich ein Mensch aufrafft, um etwas zu ändern. Sich mit etwas zufrieden zu geben und ansonsten daran rumzumeckern ist weit leichter.“

„Wahrlich…“, stimmte der Kleinere zu, „Lässt mich ja fast Mitleid für sie empfinden…“

„Ihr Problem, wenn sie einen Beruf wählen, den sie eigentlich gar nicht wollten.“, meinte der Brünette nur.
 

„Aber sie wollten Lehrer werden?“

„Nicht wirklich. Ich wollte dich finden.“, er atmete tief durch, „Aber mittlerweile macht mir der Beruf ziemlich Spaß. Obwohl…“

„Obwohl was?“, fragte der Jüngere nach, begab sich auf seine Knie und platzierte seine Hände links und rechts hinter Kaibas überkreuzten Beinen.

„Ich hätte gerne Informatik, Computerdesign und Graphik studiert und wäre Spielentwickler geworden.“, flüsterte der Ältere, „Aber… das geht nicht.“, er senkte den Blick.

„Warum?“, fragte Katsuya genauso leise nach.

„Ich kann nicht bei der Konkurrenz anfangen und auch nicht unter meinem Bruder arbeiten. Und eine eigene Firma eröffnen…“, er seufzte leise, „Die würden sie platt machen. Die würden mich ruinieren, nur weil sie mich fürchten. Die haben mich von früher einfach zu gut in Erinnerung. Und mein Ruf ist nicht sehr positiv.“

„Und wenn die Firma unter dem Namen eines anderen läuft und keiner erfährt, dass sie da arbeiten?“

„Finde mal jemanden, der das für mich macht.“, meinte Kaiba schnaubend.

„Ich würde das tun.“

Rauchige Saphire trafen in tiefes Bernstein. Kein Muskel in seinem Gesicht verzog sich. Weder zu einem kalten Blick noch zu einem Lächeln. Doch auch keinerlei Anspannung verkrampfte seine Züge. „Du?“, flüsterte der Ältere.

„Ich weiß doch auch nicht, wie ich ihnen außer durch Anwesenheit helfen soll. Und ihnen bedeutet das doch viel, oder? Ich habe eh keinen blassen Schimmer, was ich mit meinem Leben machen soll, also warum nicht eine Firma eröffnen? Sie werden wissen, was ich da tun muss, daran habe ich keinen Zweifel. Und da es um ihren Traum geht, werden sie mich kaum auflaufen lassen. Und ich habe noch drei Jahre um zu lernen, wie ich mich verhalten und welche Aufgaben ich erfüllen muss.“

„Katsuya, damit verbaust du dir dein Leben. Wenn dir das keinen Spaß macht, dann bringt das doch nichts. Man sollte aus tiefsten Herzen hinter seinem Beruf stehen oder es gleich lassen.“

„Dann verbauen sie sich gerade ihr Leben?“

Die Haut spannte sich über Kaibas Kiefer.

„Wie wäre es, wenn sie mir ein bisschen was über Firmenführung erzählen? Ich kann ja dann immer noch entscheiden, ob das etwas für mich ist oder nicht.“

„Ich möchte nur nicht, dass du das nur mir zuliebe tust.“, flüsterte der Brünette und lehnte seine Stirn an Katsuyas, „Ich habe dich nicht von deinem Vater weggeholt, um dich an seiner statt auszunutzen.“

Vorsichtig hob der Blonde die Arme, legte sie auf Kaibas Schultern, wandte sein Gesicht zur Seite und drückte sich näher an den Älteren, bis er sein Kinn auf dessen Halsansatz abstützen konnte und murmelte: „Danke.“

What we own

Ave magister, morituri te salutant! Ich grüße hiermit alle Schulgänger -.-

Und wie ich manche immer und immer wieder versichere, die Katastrophe, also der zweite Wendepunkt, sind noch lange hin. Sie wird definitiv nicht in den nächsten paar Kapiteln einbrechen, ihr braucht euch also noch nicht für die Apokalypse zu wappnen ^.^" Mich erheiterte währenddessen die Drohung, dass man mir etwas antut, wenn sich die beiden in den nächsten zwanzig Kapiteln nicht küssen. Ich hatte länger keine Drohung mehr - wenn sie davon zeugt, dass ich nicht urplötzlich meinen Schreibstil ändern muss und dieser verstanden wurde, finde ich Drohungen gar nicht mal so schlimm, fällt mir auf. Was allerdings nicht heißt, dass ich nach diesem Kapitel plötzlich Drohungen möchte - von denen ich noch nicht sicher bin, ob manche von euch sie mir nicht doch schreiben wollen ô.o

Viel Spaß beim Lesen ^.^ Und danke für die vielen Vermutungen und Textreflektionen, die ihr mir schreibt!
 

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Die hellen Lichter des Operationssaales schimmerten golden auf und die Narkose, die nur seine Stimme, nicht jedoch sein Bewusstsein und den Schmerz betäubt hatte, verlor ihre Wirkung. Und so schrie er. Er schrie. Schrie, bis die Gesichtszüge des Arztes im grünen, blutbespritzten Kittel verschwammen und seine Arme sich um ihn legten. Ihn erdrückten.

Er schrie.

„Katsuya!“, durchfuhr eine schneidende Stimme den Saal, „Katsuya, komm zu dir!“

Die Decke nahm einen hellen Ton an und nach einem Blinzeln formte sich der OP komplett in sein Zimmer. Katsuyas Atem rasselte. Sein Körper bebte. Doch die Arme hielten ihn still.

„Katsuya, was ist los? Was hast du geträumt?“, ein vertrautes Gesicht schob sich in seinen Blickwinkel. Blaue Augen. Kaibas Augen. Kaiba war da. Alles gut.

Er hatte nur geträumt.

„Ka… Kaiba?“, sein Atem stabilisierte sich, „Herr Lehrer?“

„Ich bin hier.“, versicherte der Ältere mit ruhiger Stimme, „Keine Sorge, ich bin da.“

Katsuya betrachtete ihn mit weit aufgerissenen Lidern, schloss diese und ließ sich auf seine Matratze zurücksinken. Es war vorbei. Nur ein Traum. Nur ein Traum.

„Ich habe dich schreien gehört.“, erzählte der Brünette, der sich aufsetzte und seitlich zu dem Jüngeren hinab sah, „Ich dachte schon, wir hätten Einbrecher…“

„Hätten mir besser gefallen…“, murmelte der Liegende, der sich die blonden Strähnen aus dem Gesicht strich, „Das war krank…“

„Was hast du geträumt?“

„Ich war im OP…“, erzählte er, „Mit einem Arzt und einer Krankenschwester. Der Arzt war mein Vater. Er hat mir das Herz raus geschnitten und der Schwester gegeben. Und die hat mit einem Skalpell drauf eingestochen. Und die ganze Zeit hat ein Kind geschrieen. Hoch und spitz. Ich… was zur Hölle war das?“

„Yami sagt, Träume seien verschlüsselte Botschaften aus dem Unbewussten. Wir können ihm das ja zur Deutung geben.“

Der Blonde schloss wie erschlagen die Augen.

„Ich gehe wieder schlafen.“, kündigte Kaiba an, „Solltest du auch versuchen. Noch eine gute Nacht.“, fahrig strich er dem Jüngeren über die Stirn, gähnte und erhob sich. Kopfschüttelnd und sich mit zwei Fingern die Nasenwurzel massierend verließ er den Raum.

Die braunen Augen richteten sich sehnsüchtig auf die Tür. Es hätte Katsuya sicherlich nichts ausgemacht, wenn der Andere länger geblieben wäre. Er schlang die Arme um seinen Oberkörper und rollte sich zur Seite. Wenn irgendwer kommen würde…

Fest schlang er die Decke um sich.

Der Traum hatte eine eisige Kälte hinterlassen.
 

„Katsuya?“

„Ich bin wach.“, erwiderte der Liegende nur und starrte weiter auf das Laken.

„Hast du die Augen noch mal zugemacht?“, Kaiba erhielt keine Antwort und griff mit einem Seufzen in Katsuyas Nacken um ihn zu kraulen, „Die Traumwelt kann brutal sein. Aber es sind nur Träume. Es ist nicht real.“

„Ist es nicht krank so etwas zu träumen?“, murmelte der Blonde leise und hob seinem Blick.

„Es zeigt nur, dass du psychisch derzeit nicht auf der Höhe bist. Und das kann dir kaum einer verübeln.“, der schon fast zärtliche Ton in Kaibas Stimme legte sich wie ein Verband um sein blutendes Herz, „Und jetzt komm, wir müssen zur Schule.“

Schule… am liebsten würde er einfach im Bett bleiben. Das wäre so viel einfacher. Ob Kaiba sich um ihn kümmern würde? Würde er?

„Was ist los?“, fragte der Lehrer mit – für seine Verhältnisse – ernsthaft besorgtem Gesichtsausdruck und beugte sich zu dem jungen Mann hinab, „Katsuya?“, die Konturen verzerrten sich leicht in Katsuyas Sicht. Der Brünette seufzte tief, hob den Jüngeren mit einem Arm in Höhe seiner Schulterblätter an und lehnte den spannungslosen Körper an sein knitterfreies Hemd, „Sprich mit mir, sonst kann ich dir nicht helfen.“

Mit einem Ruck schlang der Blonde seine Arme um den Älteren und krallte sich an dessen Schultern fest. Es kam kein Ton über seine Lippen außer ein kurzes Fiepen, worauf nur Stille folgte.

„Vorschlag…“, murmelte der Brünette leicht entnervt, „Du machst dich fertig und ich mache dir eine heiße Schokolade. Die kühlt schnell ab, also sei unten, bevor sie kalt ist, ja?“

Schoko…lade… oh ja… Schoko… Kaibas Schokohaar… süß und… warm…

Mit einigem Zögern nickte der Jüngere stumm und gab Kaiba frei.

„Ist deine Sicht klar?“, fragte der Ältere nach.

„Ja… ich… ich denke schon.“, und was musste er jetzt tun? Wieso war er hier? Was hatte er gerade vor?

„Ich warte dann unten.“

„Nein!“, rief Katsuya aus und krallte sich wieder fest, „Nein, nein, nein…“

„Hast du verstanden, was ich dir gerade gesagt habe?“

„Nein… nein… nei…n…“

Mit einem fast brutalen Griff würde er von dem anderen weggedrückt. Ein schallendes Geräusch. Sein Blick traf die Wand. Kaiba? Wieso war da eine Wand? Die Haut seiner linken Wange brannte. Ein Gefühl. Schmerz.
 

Katsuyas Lider weiteten sich. Da war Schmerz. Ein brennender Schmerz. Blinzelnd wandte er den Kopf zur Seite. Kaiba. Hände an seinen Schultern. Ein Blick. Irres Eis.

„Katsuya?“, Zittern in der Stimme.

Seine Augen in Bewegung. Doch nur Kaibas Saphire im Fokus. Es war sein Kopf, der sich bewegte. Links und rechts, links und rechts. Ein Kopfschütteln. Schmerz stach wie ein Dolch in sein Gehirn. Seine Züge verzogen sich gequält. Eine kühlende Hand auf seiner Wange. Zärtlich.

„Schlagen sie mich…“, flüsterte jemand. Ein Etwas.

„Das habe ich.“, erklärte das Gegenüber ruhig.

„Noch mal.“

„Nein.“

Von oben und unten wanderten Wände in sein Blickfeld. Die Lider waren verengt. Hass. Diese Person. Hass. Druck auf seinen Kiefern. Ein Monster bäumte sich auf in ihm.

Der andere Körper wurde nach hinten gedrückt. Auf die Matratze. Ein Aufflackern von Angst in Blau. Heftiges Schließen. Der Kopf flog zur Seite. Wimmern. Andere Seite. Das Gegenüber wurde geschlagen. Dreimal. Viermal. Er sah nur zu. Er sah von oben zu. Er sah… die Faust. Das Haar. Das blonde Haar. Das braune Blondhaar. Das-

„Nein!“, schrie Katsuya auf und schlug die Hände vor die Augen. Wer war er gewesen? Wo war er gewesen? Wo war er jetzt?

„Gottverdammt…“, fluchte jemand unmittelbar vor ihm, „Katsuya, sieh mich an.“

Wer? Was? Katsuya? Katsuya… er war Katsuya. Gehorchend ließ er die Hände sinken und öffnete die Augen.

Blau. Eiskaltes Blau. Gerötete Wangen. Lippen. Sehr rote Lippen. Blutige Lippen.

„K… Kaiba? Herr Kaiba?“, er blinzelte zweimal, „Was ist… war ich das?“, seine Hände zitterten.

„Ich würde sagen, du hast derzeit etwas viel Energie… was fühlst du?“, der Ältere schob ihn von sich und setzte sich auf.

„Erleichterung.“, der Blonde senkte die Stimme, „Schuld.“

„Willkommen in der Realität… geh dich fertig machen.“

„Fertig?“, fragte er verwirrt.

„Für die Schule.“

„Sie sind verletzt.“, stellte Katsuya tonlos fest.

„Darüber sprechen wir nachher. Dusch’ erstmal und zieh’ dich an.“, der Lehrer nickte in Richtung des Bades, „Ich warte unten auf dich.“

Der Jüngere bewegte sich nicht.

„Jetzt.“, setzte Kaiba schärfer hinterher.

Der Blonde gehorchte.
 

Was hatte er getan? Was hatte er getan? Mit weit aufgerissenen Lidern starrte er in den Spiegel. Bei allen Göttern, was hatte er getan? Er hatte Kaiba geschlagen! Verdammt, warum? Warum hatte er das getan? Warum zur Hölle war er so ausgerastet?

Schluchzend schlang er die Arme um seinen Oberkörper. Er konnte da nicht runter gehen. Er konnte nicht. Kaiba musste ihn hassen. Kaiba hasste ihn. Kaiba… er hatte ihn geschlagen… er hatte Kaiba geschlagen… er schüttelte langsam den Kopf. Er hatte dieses unglaubliche Verlangen gehabt. Dieses Verlangen zuzuschlagen. Warum wollte er Kaiba schlagen? Eine dumpfe Leere pochte in seiner Brust. Es war nicht Kaiba, den er schlagen wollte. Die Person, die er geschlagen hatte, war blond. Wie zur Hölle hatte er Kaiba plötzlich als blond wahrnehmen können?

„Wirklichkeit ist subjektiv…“, murmelte der Braunäugige seinem Spiegelbild zu, während sein Zittern abnahm, „Der Mann, den ich sah, war blond… wen wollte ich schlagen?“, er betrachtete den Spiegel, „Mich?“, er löste seine Arme und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar, „Oder ihn?“

Das strähnige, blonde Haar. Der Dreitagesbart. Die muffelige Kleidung. Die Wanderschuhe. Der ständige Geruch nach Schweiß und Alkohol. Bei den Göttern… wie oft hatte er zuschlagen wollen. Wie oft? Und es nie getan. Nie…

„Katsuya?“, jemand klopfte an die Badezimmertür.

„I- i- ich… ja?“, er wich zurück, bis er sich gegen die Wand presste und starrte ängstlich die Tür an.

„Ich werde jetzt rein kommen.“, kündigte der Ältere an, bevor die Klinke sich nach unten drehte und die Tür langsam geöffnet wurde.

Kaibas Unterlippe wies einen Riss auf, in dem sich ein wenig Blut gesammelt hatte. Der Rest glänzte, wie als hätte man eine reflektierende Folie über das Rot gelegt – er musste eine Heilsalbe benutzt haben. Sein restlicher Teint war ungewöhnlich gleichmäßig. Katsuya musste nur kurz an sein geschminktes Gesicht zu erinnern, um zu sehen, dass der Ältere mindestens eine Schicht Grundierung aufgelegt hatte. Eine kaum sehbare, wohl bemerkt – was einmal sagte, dass Kaiba Make-up besaß und zwar für sich und außerdem, dass er es auch zu benutzen wusste. Und dass das hier nicht das erste Mal in seinem Leben war, dass er kleinere Blutergüsse im Gesicht abdeckte, die sich sicher schon angekündigt hatten. Denn auf den ersten Blick sah er aus wie immer – noch schöner, wenn man genau darauf achtete.

„Es tut mir Leid…“, wimmerte der Blonde, während er an der Wand hinab rutschte, „Es tut mir so unglaublich Leid…“, er winkelte die Knie an und legte die Arme darum, „Tut mir Leid…“

„Ich glaube, wir müssen an deinem Verhalten für Problemlösungen arbeiten.“, meinte der Ältere seufzend, kam bis auf zwei Schritte heran und ging in die Knie, „Komm her.“, einen Moment später breitete er die Arme aus, „Na los, komm her.“

Er würde ihn schlagen. Er würde ihm wehtun. Er würde ihn verletzen. Er… er… er hatte ihm versprochen ihm nicht wehzutun. Beim letzten Mal hatte er es nicht getan. Er… er sah nicht so aus, als würde er es tun. Er… Kaiba würde ihm nicht wehtun.

Allen seinen Mut zusammennehmend lehnte sich der Jüngere nach vorne und krabbelte auf den Brünetten zu.
 

„Gut so.“, sprach ihm der Ältere zu und zog Katsuya in seine Arme, „Gut gemacht.“, als wäre er nicht mehr als eine Feder wurde er von Kaiba hoch gehoben, nachdem ein Arm sich in seine Kniekehlen gelegt hatte, „Du hast zugenommen.“, stellte der Brünette mit ungewöhnlich sanfter Stimme fest, während er ihn Richtung Küche trug, „Und anscheinend auch etwas Vertrauen zu mir.“

„Warum sind sie nicht böse?“, flüsterte der Blonde.

„Ich blocke meine Gefühle.“, informierte der Andere, „Dein Angriff hat bei mir ein paar alte Wunden aufgerissen. Aber was soll’s? Zur Strafe musst du dich um mich kümmern, falls ich gleich einen dissoziativen Schub kriege. Aber bitte nicht mit Mörderkaffee.“

Ein leichtes Lächeln legte sich auf Katsuyas Lippen. Dissoziativ? Nicht depressiv?

„Ich hatte damit gerechnet, dass du mich schlagen würdest, es war also nicht sehr überraschend.“, also hatte er keine akute Angst geweckt, „Verwirrtheit und Orientierungslosigkeit und was auch immer du noch vorhin gespürt hast, sind Anzeichen eines Psychoschubs. Wahrscheinlich einer Panikattacke. Dich zu schlagen hätte dich entweder weiter rein gerissen oder einen aggressiven Schub ausgelöst. Zum Glück war es das zweite. Mir war es ehrlich gesagt lieber, dass du auf mich einschlägst, als deine Angst gegen dich selbst zu richten.“

„Vielen Dank…“

„Schon gut. Ich kann es nachvollziehen. Die ersten Wochen sind immer die schwersten.“

„Die ersten Wochen… nach was?“, fragte der Jüngere nach.

„Nach einer so harten Umstellung. Eigentlich wäre es am besten, wenn du erstmal einige Wochen nur zuhause bleibst. Sichere Umgebung und so. Aber ich denke, dass der Besuch der Schule besser ist. Da bist du abgelenkt und hast einen strukturierten Alltag.“

„Sie sind auch in Psychologie gebildet, oder?“

„Tja…“, noch immer richtete der Brünette die Augen nicht auf das Bündel in seinen Armen, dass er gerade auf einem Küchenstuhl absetzte, „Ein wenig. Ich kenne mich eigentlich nur in klinischer, Schul- und Wirtschaftspsychologie aus.“

„Wieso in klinischer?“, fragte der Jüngere nach und griff nach der heißen Schokolade, die direkt vor ihm dampfend in einem dicken Becher wartete.

„Tja…“, Kaiba setzte wieder einmal seine bedeutungsvolle Pause – hieß, dass es ihm schwer fiel weiter zu sprechen, „Ich wollte nur wissen, wie man die ganzen Krankheiten nennt, die ich so habe… da habe ich mich halt umfangreich informiert…“

Wie immer – Kaiba machte keine halben Sachen, wenn er etwas tat. Und Katsuya könnte schwören, dass er genau wusste, wovon er sprach, wenn er von Angst erzählte. Und vor allen Dingen hegte er eine sehr starke Vermutung: Dass dem kleinen Seto niemand bei einer Panikattacke geholfen hatte.

Eine neue Woche

Einen wunderschönen guten Abend ^.^ Ich hoffe, jeder hatte eine angenehme Woche.

Ich schreibe übermorgen eine Klausur und habe danach einen Monat klausurfrei *freu* Es folgen Studientage, Schulfest, Philosophietreffen, Medizinvorlesungen, Psychologievorlesungen - der Winter wird toll *.* Heißt aber auch, dass ich wahrscheinlich sehr beschäftigt sein werde. Für's erste gibt es also nur noch Mittwochs Kapitel ^.^

Ich wollte mich noch einmal herzlich für die Kommentare bedanken >///< Ich kann es gar nicht oft genug tun! Ich danke euch wirklich. Was ihr schreibt, bedeutet mir viel. Ich hoffe, die FF gefällt auch den Schwarzlesern so wie den Kommentarschreibern - wenn nicht, bin ich für Kritik auch sehr dankbar ^.^

Ach ja, einige fragten nach den Autorenlesungen, die ich eventuell halte - ich werde auch erst im tiefsten Winter bzw. im nächsten Jahr benachrichtigt, also kann ich wohl sehr bald kaum etwas sagen. Aber ich melde mich, wenn es Neues gibt ^.^
 

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„Herr Kaiba?“, fragte der Blonde besorgt nach, nachdem sich der Andere schon einige Sekunden nicht mehr bewegt hatte und nur seinen Kaffee anstarrte.

„Es fängt an.“, flüsterte dieser nur und ließ sich von Katsuya den Becher aus der Hand nehmen.

„Ich bin hier.“, versprach der Jüngere, setzte sich breitbeinig auf Kaibas Schoß und legte einen Arm um dessen Hals, während er mit der anderen Hand Strähnen aus dem Gesicht des Anderen strich.

Kaiba brachte noch ein schwaches Lächeln zustande, während er sich auf dem Stuhl zurücklehnte.

„Wenn ich Yami richtig verstanden habe, haben sie jetzt eine Menge Spannung in sich, die sie nicht verarbeiten können. Deswegen klingt sich ihr Bewusstsein aus der Realität und verarbeitet die Spannung auf einer anderen Bewusstseinsebene. Problem dabei ist, dass ihr Bewusstsein danach nur schwer in die Realität zurückfindet. Heißt, ich muss sie irgendwie in der Nähe der Realität halten, während ihr Bewusstsein arbeitet. Eine andere Möglichkeit wäre es, wenn sie die Spannung einfach auslassen würden. Das hieße durch Aggression… na ja… ich weiß nicht, ob ich den Versuch überleben würde. Nicht bei ihren Depressionen, das letzte Mal sah ziemlich hart aus. Also halte ich sie doch mal nahe der Realität. Reden hat beim letzten Mal geholfen, schließlich konnten sie sich an meine Worte erinnern. Ergo, ich werde sie voll quatschen, bis sie wieder aufwachen. Und wie beim letzten Mal habe ich keine Ahnung, was ich erzählen soll. Es muss ja etwas sein, was ihre Konzentration verlangt.“, unsicher sah der Blonde sich um, bis sein Blick auf das Buch auf dem Küchentisch fiel, „Idee: Ich lese ihnen was aus diesem Buch vor. Mathe muss die Konzentration einfach fesseln. Obwohl…“, er griff nach dem gewünschten Gegenstand und betrachtete ihn, „Sie sagten, dass sei einfach. Vielleicht ist es nicht so fesselnd. Ich werde zum Lesen Musik anmachen. Sie mochten Klassik, nicht?“, er eilte zum Radio, um eine CD einzulegen, „Ich mag das zwar gar nicht, weil ich es einfach langweilig finde, aber sie können damit wahrscheinlich etwas anfangen.“, er setzte sich wieder auf den Unbewegten, „Und jetzt lese ich einfach mal.“, er schlug das Buch auf und begann wie angekündigt laut zu lesen.

Wieso zur Hölle las Kaiba so was? Er war doch nicht einmal Mathelehrer. Und es hörte sich nicht so an, als könnte man das praktisch brauchen. Heilige Zahlen, Pythagoras, Euklid... ähm... ja, was auch immer das jetzt bedeuten sollte. Kombinationen von Zweierpotenzen bilden heilige Zahlen... was war denn bitte heilig an ihnen? Summe der Teiler ohne sich selbst gleich sie selbst – Error? Kaiba würde schon etwas damit anfangen können. Die Musik war gar nicht mal so schlecht. Was hatte er da eigentlich eingelegt? Er warf einen Blick auf den Älteren. Seine Finger bewegten sich! Hoch, runter, zur Seite, zurück, von vorne... woran erinnerte ihn diese Bewegung? Wenn er sich nicht täuschte, stimmte sie mit dem Takt der Musik überein. Die Hand sank langsam wieder zum Tisch. Hatte er etwas falsch gemacht? Katsuyas Blick schwenkte von Kaiba zum Radio und zurück. Lesen! Er Hornochse hatte unbewusst aufgehört. Hastig wandte er sich wieder dem Buch zu und nahm den Faden wieder auf. Anscheinend waren nur zwei Dinge gleichzeitig für Kaiba in irgendeiner Form interessant. Das Blau seiner Augen verschwand plötzlich aus seinem Augenwinkel, was den Blonden wieder aufsehen ließ. Kaibas Kinn war fast auf seine Brust gesunken und die Lider lagen tief über seinen Pupillen.
 

„Herr Lehrer?“, fragte Katsuya beunruhigt, schloss das Buch und legte es zurück auf den Tisch, „Bitte, sagen sie etwas...“

Natürlich regte er sich nicht – der Blonde hatte auch nichts anderes erwartet.

„Warum haben sie eigentlich keine Medikamente?“, meinte er dennoch leicht verzweifelter und nahm das schlanke Gesicht in beide Hände, „Oder haben sie welche und ich weiß nichts davon? Wenn das so wäre… würden mir Depressionen ganz schön Angst machen. Wenn sie aggressiv wären, dann könnten sie mich zusammenschlagen und gut wäre es. Obwohl gut wohl nicht das richtige Wort ist… es wäre… gewohnt. Ja, gewohnt. Gewohnheit ist schon etwas Schlimmes, nicht? Ich wurde regelmäßig geschlagen, seit ich ungefähr zwölf Jahre alt war. Das sind um die sieben Jahre. Sieben Jahre… da kann man von Gewohnheit sprechen, nicht? Sieben Jahre, in denen ich mit Blutergüssen in die Schule ging, müde, weil ich vor Angst nicht schlafen konnte. Sieben Jahre, wo jedes Heben einer Hand mich zusammenschrecken ließ. Sieben Jahre, in denen ich mich selbst verlor. Erst habe ich alles versucht, was ich konnte, um dieses Monster zu ändern. Es tut so weh aufzugeben. Es tut weh, wenn man sich eingesteht, dass es hoffnungslos ist. Es tat weh… nicht die Schläge, sondern die Verzweiflung. Das Wissen, dass man es nicht ändern kann und dass…“, Katsuya schluckte und flüsterte, „…dass man es wert ist…“, er spürte eine Träne auf seiner Wange, „Ich sagte mir, dass ich das wert sei… ich wusste nicht, was ich tun sollte… mein Vater war alles, was ich hatte… wie konnte ich das denken?“, er senkte den Kopf und studierte das glatte Material, aus dem Kaibas Hemd war, „Ich habe wirklich kein Selbstwertgefühl.“, gardinenweiße Knöpfe auf gardinenweißen Stoff, „Ich habe wirklich gedacht, dass ich das verdient habe… weil ich ihm nicht helfen konnte. Ich konnte keine Familie für ihn sein. Ich konnte Mutter nicht ersetzen… warum habe ich es überhaupt versucht?“, seine Hand suchte sich ihren Weg über das noch knitterfreie Hemd, „Vielleicht habe ich wirklich das Hirn einer Frau?“

„Oder einfach nur einen großen Aufopferungsdrang.“, sagte Kaiba mit ruhiger Stimme.

Katsuyas Kopf raste nach oben, braun traf blau und seine Lider weiteten sich, bevor sich langsam ein Lächeln auf die Lippen des Blonden schlich – eine Erwiderung auf das, was ihm aus müden Augen entgegenstrahlte.
 

„Du sagtest dir, dass du es wert wärst geschlagen zu werden?“

„Ich glaube schon…“, antwortete der Blonde leise, dem bei dieser Frage das Lächeln wieder erloschen war, „Ich habe es nie wirklich offen gesagt… aber ich glaube, ich habe es gedacht… irgendwo in mir… es war einfach…“, er hauchte, „…normal…“

„Deswegen hast du ihn nie angezeigt? Weil es für dich normal war?“

„Weiß nicht…“, er kratzte sich mit der rechten Hand die linke Schulter, „Ich meine, ich wusste, dass andere nicht geschlagen wurden, aber… irgendwie… ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie das ohne gehen sollte. Obwohl doch… aber… ich meine, andere haben dafür andere Probleme, nicht? Es gibt Schlimmeres als eine Tracht Prügel pro Abend.“

„Und du hast dich nie gewehrt?“, eine Hand strich über den Rücken derer, mit der Katsuya seine Hose knetete.

„Manchmal… und es bereut…“, sein Blick lag auf dem Daumen, den Kaiba dazu benutzte, „Aber… ich habe nie wirklich etwas versucht… ich hätte den Schlägern befehlen können ihn mal aufzusammeln. Die Polizei. Vielleicht sogar die Schule…“, er schüttelte abwesend den Kopf, „Wirklich gewehrt… habe ich mich nie…“

„Wie du sagtest, Gewohnheit ist Gewohnheit. Aus der Gewohnheit bricht man nur selten allein aus. Du hattest niemanden zum Reden, keine objektive Meinung… und andere Sorgen als deine Psyche, schätze ich. Hast du in diesen sieben Jahren immer unregelmäßig gegessen?“

„Wenn überhaupt…“, murmelte der Jüngere, „Schon vorher.“, fuhr er etwas sicherer fort, „Ich kam nicht allein ins Haus. Ich habe die Nachmittage auf der Treppe oder in der Schule verbracht. Ich hatte kein Geld. Ich habe Mitschüler bestohlen, wenn der Hunger zu schlimm war. Oder mich nachts in die Küche geschlichen. Ich habe… ich hatte Hunger… und irgendwann nicht mehr… irgendwann wusste ich nur noch, dass ich zu wenig zu Essen hatte, wenn ich krampfte. Wie ein rasender Schmerz, der sich durch meinen Bauch in alle Glieder zog. Alles zog sich zusammen. Und es schmerzte. Es hat so unglaublich geschmerzt…“

„Du hattest Hungerkrämpfe?“

„Manchmal… nicht oft, aber… manchmal.“, Katsuya suchte mit seinen Augen Kaibas und sah schließlich auf, „Hatten sie schon mal einen Hungerkrampf?“

Der Ältere schüttelte bedächtig den Kopf.

„Ihr Stiefvater hat sie nicht hungern lassen?“

„Ein halb verhungertes Balg kann man selbst mit der besten Schminke nicht herrichten.“, informierte der Brünette ihn.

„Herrichten wofür?“

„Pressekonferenzen, öffentliche Auftritte, Galen, Benefizkonzerte… das ganze gesellschaftliche Klimbim.“

„Aber Blutergüsse konnte man mit Schminke gut genug verdecken?“, fragte der Jüngere etwas leiser, während er den Kopf schief legte.

„Siehst du etwa etwas?“, erwiderte der Lehrer ironisch und wandte Katsuya die Gesichtshälfte zu, die dieser vor knapp einer Stunde geschlagen hatte – die Haut hatte einen durchgehend hellen Teint.
 

„Tut mir Leid…“, murmelte der Blonde, „Dafür und… dass ich sie mit dem allen belaste…“

„Ich habe mich selbst damit belastet. Und ich zwinge dich sogar ein wenig mir dafür zu helfen. Wenn sich jemand entschuldigen muss, bist nicht du das. Obwohl ich die Entschuldigung für die Schläge annehme.“, meinte Kaiba mit einem schon fast amüsierten Lächeln auf den Lippen.

„Das tut mir ehrlich Leid…“

„Dass dich das leiden lässt, dass du mich schlägst, kann ich mir bei dir sogar vorstellen. Bei manchen deiner Klassenkameraden sähe das anders aus.“, versuchte er die Situation zu lockern.

„Das ist ein Haufen Idioten.“, maulte der Blonde, „Ryou ist die einzig nette Person in der Klasse.“

„Und sonst kommst du mit niemandem klar?“, der Ältere griff an Katsuya vorbei nach einem Stuhl, was der Blonde als den Wink verstand, dass er auf dem Schoß seines Lehrers eigentlich nicht erwünscht war.

„Ich würde sicherlich. Aber bei meinem Ruf will keiner etwas mit mir zu tun haben, wenn er nicht auch Außenseiter werden will.“, er setzte sich um, „Unsere Schule hat auffällig wenig Schüler, die nicht konform sind. Mussten sie eigentlich überhaupt jemanden rauswerfen?“

„Wie? Ich?“, der Brünette nahm einen Schluck Kaffee, bevor er das Gesicht verzog und den Becher wieder abstellte.

„Sind sie nicht an die Schule gekommen, um die Verwaltung zu übernehmen? Oder war das mit dem Rausschmeißauftrag eine Lüge?“

„Ach, das.“, der Lehrer trug das Gefäß zur Spüle und schüttete das Getränk aus, um sich aus der Kanne neues zu nehmen, während er sprach, „Nein, das gehörte schon zu meinem Auftrag. Natürlich verklausuliert. Offiziell heißt es Ordnung und Disziplin in den Klassenräumen und auf den Fluren zu schaffen. Manchmal frage ich mich, ob sie nicht einfach ehrlich sein sollten… egal, nein, ich musste niemanden rauswerfen. Nach einem Gespräch mit mir sind alle Individuen in Schulkleidung gekommen. Wirklich Arbeit gibt es in den Herbstferien. Bei einer bestimmten Anzahl Fehlstunden muss ich verwarnen, bei einer anderen rausschmeißen. Normalerweise sind für so was nicht stellvertretende Direktoren da… aber die Schule ist so ein Chaos, da bin ich anscheinend die letzte Rettung. Ich habe selten so viel Inkompetenz auf einem Haufen erlebt. Aber…“, Katsuya erkannte ein gefährliches Blitzen in den blauen Augen, „…wirklich lustig wird es, wenn ich bei den Lehrern aussortieren darf. Da werden so einige Leute ihren Job verlieren. Und beginnen werde ich mit dieser Gurke von einem Englischlehrer, den ihr da habt...“

„Ich danke vielmals.“, erwiderte der Blonde mit einem Lächeln. Vielleicht würde Schule in nächster Zeit doch noch interessant werden… dieses stumme Einverständnis ließ auf viel hoffen.

Doggy

Einen wunderschönen guten Abend auch ^v^ Ich habe derzeit viel Spaß, denn es sich Projekttage und unser Mathe-LK arbeitet sich deshalb sechs Zeitstunden täglich in chaotische Systeme ein. Ziemlich vielen raubt das die Nerven, aber mit einer gewissen Faszination für die Schönheit einer perfekt geschwungenen Mü-Kurve (u*x*(1-x) mit u=0..4) und einem Heidenspaß an Attraktorbestimmung und der Arbeit mit Maple ist das Ganze wahrlich ein Vergnügen ^v^

Na ja, wollte ich nur mal anfügen >.> Ansonsten ist meine neue Fanfic "Eisengel" mit ihrem ersten Kapitel on, das zweite kommt Samstag. Dies ist zur allgemeinen Überraschung einer Harry Potter-Fanfic und spielt nach Band 7. Ich würde mich freuen, wenn ein paar Leute reinschauen ^.^ (nebst der Tatsache, dass ich dort mal wieder einen neuen Stil ausprobiere)

Dead Society gibt es auch weiterhin immer mittwochs (wenn die Freischalter es möglich machen) und ich wünsche viel Spaß mit diesem Kapitel ^.-
 

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„Guten Morgen!“, grüßte Katsuya die Krankenschwester freundlich, als er eintrat.

„Dir auch.“, Isis lächelte ihn an, „Diesmal führt dich aber keine Verletzung her, oder?“

„Nicht direkt. Haben sie vielleicht eine Salbe, mit der Blutergüsse schneller abheilen?“

„Was hast du denn jetzt wieder angestellt?“, fragte sie besorgt oder sah sich seine Wangen an, „Keine Prügelei, oder?“

„Ähm…“, ob er lügen sollte? „Ähm…“, sie würde doch sofort kombinieren können… „Also…“

„Also ja. Und du willst nicht sagen, mit wem. Nun, wo ist dein Bluterguss?“

Ein ganzes Jahr hatte diese Frau nichts von ihm gewusst und jetzt durchschaute sie ihn in Sekunden…

„Ich habe keinen.“, er entschied sich für die Wahrheit, „Die andere Person hat einen. Und ich habe Schuldgefühle.“

„Dann solltest du die andere Person vielleicht herholen.“, meinte sie mit in die Hüften gestemmten Händen, „Ich kann niemanden behandeln, der nicht anwesend ist.“

„Aber… können sie mir die Salbe nicht mitgeben?“, fragte der Jüngere nach.

„Das ist mir nicht erlaubt, das sind verschreibungspflichtige Medikamente.“

„Also muss die Person herkommen?“, er setzte seinen besten Bettelblick auf.

„Ja.“, erwiderte sie unnachgiebig, „Daran führt kein Weg vorbei. Du weißt, dass Kaiba mich beobachtet. Ich möchte nicht auf der Abschussliste stehen.“

Verdammt, ganz vergessen… er musste ihn unbedingt noch davon überzeugen, dass Isis die beste Schwester auf Erden war. Also keine Salbe für Kaiba. Aber vielleicht hatte er auch bereits eine aufgetragen, wer wusste das schon…

„Wie sieht es denn mit dir aus? Soll ich dich noch mal untersuchen?“

„Dürfen sie das denn?“

Während sie den Kopf schief legte, spitzte sie die Lippen ein wenig und ließ ihren Blick schweifen, bevor sie geheimnisvoll sagte: „Och… ich denke, da macht er eine Ausnahme… und es ist mir ja nur verboten Menschen ohne wirklichen Verletzungsverdacht zu untersuchen, wenn sie dadurch Unterricht verpassen. Und du hast doch frei, oder?“

„Ja, Kaiba wurde zu irgendeiner Besprechung gerufen. Er hatte nicht einmal mehr Zeit uns Aufgaben zu geben.“, bestätigte der Blonde lächelnd, „Außerdem habe ich Verletzungsverdacht. Habe schließlich eine ganz böse Ohrfeige bekommen.“

„Und die Ohrfeige hat deinen Oberkörper getroffen?“, fragte sie mit sarkastischem Unterton.

„Vielleicht der Ellbogen?“

„Der hat dir ganz sicher eine Rippe gequetscht.“

„Oh ja… dieser Schmerz.“, er griff sich dramatisch an die Seite und tat, als wäre ihm schwindelig.

„Dann setz’ dich, du Schauspieler.“, sie zwinkerte ihm zu, während er Platz nahm und seine Jacke auszog.
 

„Wo hast du eigentlich deinen weißhaarigen Freund gelassen?“, fragte sie ein paar Minuten später.

„Lehrerzimmer. Wollte gleich nachkommen.“, informierte er kurz. Der Jüngere musste wegen irgendwelcher Schreiben vom ersten zum nächsten Lehrer hetzen und war froh gewesen einen davon auf dem Gang getroffen zu haben – bei so was mischte sich Katsuya nicht ein. Ryou würde das schon managen. Er selbst würde da sicher nur stören.

„Geht es euch beiden gut? Oder greifen euch eure Mitschüler an?“

„Offen in letzter Zeit kaum.“, der Blonde freute sich in Stillen über die kühlende Salbe auf seiner Haut – es war noch immer ziemlich warm draußen, „Die scheinen kapiert zu haben, dass sie bei mir auf Granit beißen. Und dass die Lehrer auf meiner Seite sind.“, er wandte den Blick ab, „Manche zumindest…“

„Vermutlich bist du bei vielen in schlechter Erinnerung. Die wollen nur das Äußere sehen.“

„Aber sie sind viel freundlicher, seit ich mich im Unterricht melde. Als wäre ich dadurch ein besserer Mensch.“, er schnaubte, „Lehrer sind ein komisches Volk.“

„Lehrer sind Menschen. Menschen haben Vorurteile. Wenn du nicht nach Vorurteilen beurteilt werden willst, lass dich in kein Schema einordnen. Rebellen arbeiten nicht fröhlich im Unterricht mit. Sei anders. Aber anders als alle anderen. So entgehst du den Vorurteilen und weckst Interesse.“

„Individualität ist alles, was?“, er fuhr sich mit einer Hand durch die Haare, „Aber fehlt mir dann nicht das Ideal, was es zu erreichen gilt?“

„Es schafft dir gerade ein Ideal. Nur musst du dieses Ideal selbst gestalten. Das ist zwar schwerer, aber auch viel schöner als einem von anderen geschaffenen Ideal nachzueifern.“, erklärte die Schwester.

„Hach, Philosophie am Montagmorgen… ich glaube, ich bin individuell.“, er schüttelte leicht den Kopf, wodurch ihm einige Strähnen seines Haares ins Gesicht fielen, „Vermutlich löst das meine Identitätskrise nicht…“

„Oh doch.“, widersprach sie, „Der erste Schritt zur Identitätsfindung ist es sein eigenes Ideal zu finden. Im Verhalten. Danach seine Stärken und Schwächen erkennen. Seine Berufs- und Lebensziele zu erforschen und zu planen dafür. Und sein Menschenbild und Weltbild sollte man mindestens in groben Zügen kennen.“

Katsuya lachte kurz auf, bevor er scherzte: „Ich glaub’, ich hab’ hinten angefangen.“

„Jedem sein eigenes Tempo. Und hast du dein Menschen- und Weltbild?“

„Och jo… denk’ schon.“, er ließ sich in den Stuhl sinken, „Danke für ihre Hilfe dabei.“, er legte den Kopf in den Nacken und betrachtete die Deckenbeleuchtung, „Gibt es eigentlich etwas, was sie an mir gar nicht mögen?“

„Derzeit?“, er sah sie im Augenwinkel die Salbe wieder im Schrank verschließen und hörte das Wasser in die Spüle laufen, „Nein, eigentlich nicht. Letztes Jahr hätte es so einiges gegeben, was ich nicht mochte, aber derzeit… nein… da fällt mir nichts ein.“

„Ich wette, Kaiba würde viel einfallen.“, murmelte der Blonde und schloss die Augen.

„Herr Kaiba ist auch sehr streng mit sich und anderen und lebt mit dir zusammen. Das lässt ihn sicherlich vieles enger sehen.“

Wenn sie wüsste…
 

„Guten Morgen.“, grüßte Ryou, nachdem Isis ihm nach seinem zaghaften Klopfen persönlich die Tür geöffnet hatte.

„Morgen, Engelchen. Ich hole dir schnell einen Stuhl von drüben.“

„Nur keine Unannehmlichkeiten, bitte.“

„Sicher nicht.“, sie war bereits auf den Weg in den Waschraum.

„Hat alles geklappt mit deinen Unterlagen?“, fragte Katsuya währenddessen, welcher noch immer ohne Oberteil gerade auf dem Stuhl saß und die kühlende Salbe einziehen ließ.

„Ja. Ist zwar ein ewiges Heckmeck, weil keiner für so etwas verantwortlich sein will, aber Herr Muto hat mir schließlich geholfen.“

„Wie geht es ihm?“

Der Weißhaarige zog die Augenbrauen leicht zusammen und setzte sich halb auf die Lehne des Stuhles, auf dem der Ältere saß, bevor er sich vorlehnte und flüsterte: „Gibt es da etwas, was ich wissen sollte?“

„Ähm…“, dass er vor Muto ’ne Strippeinlage gegeben hatte? Nicht erwähnenswert, entschied der Blonde, „Er sah letzte Woche nicht gut aus. Ich dachte, er könnte krank sein.“

„Mir gegenüber war er fröhlich und freundlich wie immer.“, murmelte Ryou nachdenklich und musterte dabei immer noch den anderen – ob er die Lüge durchschaut hatte?

Er hatte Muto seit sieben Tagen nur noch im Unterricht gesehen, wo dieser vermied ihn anzusehen. Und da er in Mathe sowieso kaum etwas beitragen konnte, hatten sie auch nicht miteinander gesprochen. Der Lehrer kam pünktlich und ging pünktlich – und Katsuya hatte kein Gespräch gesucht. Aber seit Kaiba ihm indirekt klar gemacht hatte, dass er Muto mit seiner Aktion sehr in Verlegenheit gebracht hatte… tja, machte er sich seine Gedanken. Sollte er ein klärendes Gespräch suchen? Aber mit welchem Zweck? Die Fakten standen, Muto hatte anscheinend etwas für ihn übrig, was er nicht erwidern konnte. Er könnte alles nur noch schlimmer machen, indem er ihm sagte, dass er auf Kaiba stand… bloß nicht! Aber was war der richtige Weg?

„Isis?“, fragte er die Schwester, die sich gerade mit Ryou über einen Tornado in Amerika unterhalten hatte, „Wenn sie wissen, dass sie einen Verehrer haben, den sie allerdings als Freund möchten… würden sie ihm klipp und klar sagen, dass sie ihn nicht lieben können oder würden sie einfach schweigen?“

Die Älteste nahm einen Schluck ihres Kaffees und beobachtete – wie auch Ryou – den Blonden für einige Sekunden, bevor sie antwortete: „Ich würde es auf jeden Fall sagen. Sonst macht sich diese Person Hoffnungen, wodurch sie nur enttäuscht wird. Es gibt leider Menschen, die in der Situation dieser Person dann den Kontakt abbrechen würden, aber da muss ich sagen, dass ich diesen Personen dann auch nicht viele Tränen nachweine. Ich halte es sehr wichtig mit anderen Menschen über die eigenen Vorstellungen der Beziehung zueinander zu sprechen, wenn man nicht schnell verletzt werden will. Bei Liebe wie auch bei Freundschaft.“

Der Blauäugige neben ihm stimmte auf Katsuyas fragenden Blick nickend zu.

„Soll ich den ersten Schritt machen?“, fragte der Blonde leise – die beiden würden sicher längst durchschaut haben, dass er in der Situation war.

„Das würde ich empfehlen.“, ein weiteres Nicken von Ryou.

Hieß, er würde mit Muto sprechen…
 

„Herr Muto?“, Katsuya erwischte den Lehrer gerade noch auf dem Gang, nachdem dieser fast wieder geflüchtet war nach der Mathestunde.

Der Schwarzhaarige erstarrte, atmete tief durch und drehte sich langsam zu dem Schüler um.

„Haben sie vielleicht in der Mittagspause Zeit?“, nicht überrumpeln, Entscheidung dem anderen überlassen, aber ersten Schritt tun – Yamis kleine Lebensnachhilfe.

„Ich…“, Mutos Blick glitt an dem Blonden nach unten, wo er verharrte, „Ich… ja, ich… komm zum Lehrerzimmer, ich warte da.“, und schon war er verschwunden…

„Wie ein kleiner Junge…“, murmelte Katsuya zu sich selbst und holte seine Sachen aus der Klasse.

Das Lehrerzimmer war kein neutraler Ort, aber hatte auch keinen negativen Beigeschmack. Ein Klassenzimmer hätte falsch verstanden werden können, der Innenhof wäre zu laut und ein Büro hatte Muto nicht. Hoffentlich würden sie vom Lehrerzimmer irgendwo anders hingehen… wäre es angemessen, wenn er das Klassenzimmer vorschlagen würde? Oder würde er da falsche Vorstellungen wecken? Ob Muto Kaiba um sein Büro bitten würde? Oder ob er das ihm alles verschweigen würde?

Der Blonde seufzte tief. Ob es durch Kaiba auf ihn zurückfallen würde, wenn er Muto nun durch die Wahrheit verletzte? Aber es war Muto gewesen, der ihm erst gesagt hatte Kaiba würde ihn brauchen… er musste von Anfang an gewusst haben, dass da nie eine Chance bestand. Außer im letzten Jahr… ob er da schon Mutos Aufmerksamkeit auf solche Dinge erregt hatte? Ob sich Muto da schon Hoffnungen gemacht hatte? Er hatte nie etwas bemerkt. Und dennoch hatte es ihn überhaupt nicht überrascht. Als hätte er es sich die ganze Zeit schon gedacht – was er aber nicht hatte. Ob das vielleicht irgendetwas Unbewusstes war?

Sein Kopf schwirrte. Die Gedanken über solche Sachen versetzten ihn direkt wieder in die Stimmung von heute morgen. Am besten einfach hier abbrechen!

„Guten Morgen, Klasse.“, übernahm seine Kunstlehrerin die Aufgabe und wartete die Gegenbegrüßung ab, bevor sie fortfuhr, „Nachdem wir uns in den letzten drei Wochen mit Bildanalysen am Beispiel expressionistischer Arbeiten beschäftigt haben, wechseln wir nun in die Praxis. Als eine einfache Übung bitte ich sie ihre Bleistifte hervor zu nehmen…“, an dieser Stelle schob Ryou ihm einen herüber, „…sich hier vorne ein Blatt zu holen und eine Skizze anzufertigen, die ihre derzeitige Stimmung ausdrückt. Sie haben fünfzehn Minuten.“, zur Verdeutlichung startete sie die Stoppuhr, die sie aus ihrer Tasche gezogen hatte.

Na wunderbar – der Weißhaarige, der sofort aufgesprungen war, reichte ihm ein Blatt – und was sollte er jetzt zeichnen? Es gab so viele verschiedene Stile, die er nehmen könnte. Viele Motive. Symbole. Aber, wenn er ganz ehrlich sein sollte… Katsuya setzte den Stift an. Da war ein Bild, das sich stark in den Vordergrund drängte.

Ein kleines Fellknäuel mit großen, wässrigen Augen, das verwirrt durch die Gegend tapste.

Psychiatrie

Nachdem ich nun von "heute morgen" weiß, dass meine hochverehrten Leser (ja, ihr seid gemeint!) mittlerweile anscheinend recht gebildet in Psychologie sind und auch eine "kranke" Psyche nachvollziehen können, bin ich guter Hoffnung für dieses Kapitel - wenn nicht, habt keine Scheu zu fragen. Wie ihr wisst, antworte ich auf jeden Kommentar. Und ich danke allen, die mir welche hinterlassen ^///^

Wobei ich an dieser Stelle noch einmal auf die mittlerweile schon als zahlreich zu bezeichnende Fanartkollektion zu dieser FF hinweisen möchte, in der Inanna, Pancratia, bakuskiki (diesmal richtig geschrieben ^.-) und feuerregen insgesamt fünf Fanarts (!!!) hinterlassen haben. Meinen allergrößten Dank, ihr rührt mich zu Tränen (das ist ernst gemeint, Leute - danke!).

Euch allen - und natürlich auch den Schwarzlesern - wünsche ich viel Spaß beim Lesen ^.^
 

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„Ah… Katsuya…“, Muto ging mit gesenkten Kopf auf den Blonden zu, „Da bist du ja…“

„Guten Mittag.“, der Blonde versuchte ein Lächeln, „Würde es ihnen sehr etwas ausmachen, wenn wir irgendwo hin gehen, wo es ruhiger ist?“

„Überhaupt nicht…“, murmelte der Ältere und folgte dem Größeren stumm.

Aktion leeres Klassenzimmer erfolgreich.

„Ich wollte über den Vorfall letzte Woche sprechen…“, warum war er so förmlich? „Ich… darf ich offen sein?“

Der Schwarzhaarige brachte nichts als ein zaghaftes Nicken zustande.

„Was fühlen sie für mich?“

Katsuya sah trotz des gesenkten Kopfes, wie sich die Lippen des Älteren zusammenpressten.

„Yugi, bitte… ich weiß, du bist mein Lehrer, aber du bist auch… ein Freund. Bitte, sag’ etwas.“

Violette Augen warfen einen scheuen Blick nach oben, bevor sie sich wieder auf den Boden richteten – ihre Oberfläche reflektierte stärker.

„Ich will das nicht…“, es war nicht mehr als ein Flüstern, doch es war hörbar.

„Was willst du nicht?“, Katsuya trat einen Schritt näher.

„Diese Gefühle…“, der Kleinere schüttelte den Kopf, „Ich… es tut mir so Leid! Ich wollte das nie! Ich… ich darf das nicht fühlen. Es tut mir so Leid, das würde sowieso nichts werden und trotzdem… ich… entschuldige.“, er wischte eine Träne von seiner Wange, „Du bist sehr attraktiv und… entschuldige. Es ist alles so wirr in mir. Du solltest das nie erfahren. Es tut mir Leid.“

Vorsicht Schuldkomplex. Und noch eine Person mit einem sehr geschädigten Selbstwertgefühl. Vielleicht hatte Yami über seinen Bruder nicht ganz Unrecht. Sonst war das noch nie durchgeschienen.

„Yugi, bitte. Gegen Gefühle kann man nichts tun.“, der Blonde legte ihm die Hände auf die Schultern, „Wieso hast du nie etwas gesagt?“

„Ich… ich… ich bin doch dein Lehrer…“, der Schwarzhaarige ließ den Kopf hängen, „Ich darf nicht…“

„Nicht fühlen? Das kann man keinem verbieten. Ich meine… mir tut es Leid, denn ich kann das nicht erwidern. Aber… Yugi, das ist okay. Ich verurteile dich doch nicht wegen deiner Gefühle. Es ist… nur ungewohnt. Aber wenn ich etwas tun kann, um es dir leichter zu machen, sag’ bitte etwas.“

Der Kleinere hob nicht nur seine Hand, um sie auf Katsuyas auf seiner eigenen Schulter zu legen, sondern auch seinen Kopf. Die violetten Augen schwammen vor Tränen und zwei ihrer Spuren zogen sich schon über die helle Haut des Älteren.

„Ich strippe auch nicht mehr vor deiner Nase, okay?“, versuchte der Blonde einen kleinen Witz und zauberte ein Lächeln auf die Lippen des anderen.

„Ich… danke. Ich werde damit irgendwie klarkommen.“, murmelte Yugi, „Wenigstens muss ich jetzt nicht alles so schrecklich verstecken… nur dürfen die anderen nichts bemerken. Seto kann nicht alles für mich machen.“, er zog ein Taschentuch und trocknete seine Wangen und Augen, „Danke, dass du mich nicht hasst. Ich meine… ich ekele mich selber an, dass ich so fühle… so was darf man nicht. Männer gehören nicht zusammen. Das ist falsch, nur falsch.“
 

Wunderbar. Yugi war homophob. Er hatte sich von Kaiba flachlegen lassen, sein Bruder war Stricher und er verliebt in einen jungen Mann. Und homophob. Wirklich wunderbar.

„Yugi, das… das ist nicht dein Ernst, oder? Ich meine, Kaiba ist stockschwul und ihr bester Freund. Wie kommen sie plötzlich darauf, dass das falsch ist?“

„Seto ist nicht schwul!“, erwiderte der Andere überzeugt und trat ein Schritt von Katsuya weg, „Er ist krank und das hat ihm schon einige komische Ticks eingebracht. Er schläft mit Leuten, die ihn an etwas Positives in seiner Vergangenheit erinnern. Er ist nicht schwul.“

Aber… Katsuya schüttelte abwesend den Kopf. Das war doch nicht sein Ernst, oder? Er war doch immer so unglaublich verständnisvoll gewesen. Er schien doch Seto zu verstehen. Und Katsuya. Und… der Blonde fuhr sich durch die Haare und atmete tief durch. Er hatte Muto für schwul gehalten. Dass Seto und er sich deshalb so gut verstanden, weil sie das teilten. Was war denn das plötzlich für eine neue Wendung? Hasste Muto seinen Bruder etwa, weil er mit Männern schlief? Hatte es deswegen diesen Streit zwischen ihnen gegeben, weshalb Yami abgehauen war? War Yamis Familie vielleicht unglaublich konservativ?

Katsuya musste sich eingestehen: Er war fassungslos.

Gerade von Muto hatte er das nicht erwartet. Kaiba hatte sich ihm doch anvertraut… oder… konnte das wahr sein? War Kaiba vielleicht wirklich nicht schwul? Das Klassenzimmer schien sich ins Unendliche auszudehnen, ohne dass auch nur irgendetwas sich weiter weg bewegte. Dies war so bizarr. Und alles schien so neu, so unbekannt, so… anders. Ein Schauer kroch unter seiner Haut seine Arme hinauf auf seine Brust zu und legte sich kalt über sein Herz. Irgendetwas stimmte hier nicht. Irgendetwas stimmte überhaupt nicht. Er wollte aufwachen. Das war ein Alptraum und er wollte aufwachen. Sofort!

„Katsuya? Was ist los mit dir?“, der Schwarzhaarige versuchte auf ihn zuzutreten, doch er wich zurück, „Katsuya? Er hat dir doch nichts angetan, oder?“, er stützte sich auf den Tisch neben ihm und presste seine Finger hart auf das Holz, bevor er zischte: „Er hat sich doch nicht an dir vergriffen, oder?“

Alptraum. Alptraum. Alptraum. Alptraum. Alptraum.

Katsuya schloss die Augen und schüttelte heftig den Kopf.

Das konnte nicht wahr sein.

Das konnte alles nicht wahr sein.

„Bitte, Katsuya, antworte. Hat er dich vergewaltigt?“

Lüge. Lüge. Lüge, Lüge, Lüge.

„Weg von ihm!“

Der Boden stürzte auf ihn zu.
 

Es war nicht ganz, wie er es sich immer vorgestellt hatte.

Da war kein Piepen. Kein behindernder Schlauch am Handgelenk. Kein Beatmungsgerät. Kein Tropf. Keine herumwuselnde Krankenschwester, die fast aufschrie, weil er die Augen geöffnet hatte. Aber es war genauso weiß, wie es immer in den Filmen gezeigt wurde.

Sieben Jahre relativ schwere Verletzungen, ein Jahr wusste die Schule sogar davon – und er hatte es kein einziges Mal in ein Krankenhaus geschafft. Die Bilanz musste neu gezogen werden. Er war nicht verletzt. Aber er war trotzdem im Krankenhaus.

Hoffentlich war er in einem Krankenhaus.

Warum war Kaiba nicht da? Wo war-?

Katsuya lockerte seine Muskeln auf den Moment, wo sich eine Hand in sein Blickfeld schob, ungefähr dreißig Zentimeter über seinem Gesicht ausharrte und dann in Richtung seines Kinns hinab sank und sich auf die rechte Seite seines Gesichts legte, um seinen Kopf bei der leichten Drehung nach links zu unterstützen.

„Herr Kaiba?“, murmelte der Blonde leise, obwohl er sich eigentlich relativ sicher war, dass es sich um diesen handelte. Aber er wollte lieber sicher sein. Vielleicht halluzinierte er nur.

„Ich bin hier, keine Sorge.“, der Daumen der Hand strich über seine Wange, „Kannst du mich vernünftig hören und sehen?“

„Ja… aber ich fühle mich verwirrt und orientierungslos.“, um es genau zu nehmen, er fand diese Umgebung einfach nur bedrohend. Er wusste nicht einmal, ob das ein Krankenhaus war! „Wo bin ich? Was ist passiert?“

„Du bist zusammengebrochen und ich habe den Notarzt gerufen. Du bist im Domino Krankenhaus, man hat dir ein paar Medikamente gespritzt und es sind ungefähr zwei Stunden vergangen.“

„…dann müssen sie doch jetzt unterrichten.“, war der logische Schluss aus diesen Daten für Katsuya.

„Kleiner, ich habe gerade Besseres zu tun als irgendwelchen Bratzen was vom ach-so-lieben Gott oder der Erlösung zu erzählen.“, gab der Brünette von sich – die untypische Wortwahl passte für den Jüngeren auf eine abnormale Art und Weise zu der Umgebung.

„Und was?“

Kaiba atmete tief durch, bevor er fragte: „Kannst du dich aufsetzen?“

Problemlos, außer dass es einen leichten Schwindel erzeugte, wie der Blonde feststellte. Was allerdings nicht gegen das zuerst sehr entfremdende Gefühl war von seinem Lehrer aus eigenem Antrieb in die Arme geschlossen zu werden.

„Ich mache mir Sorgen…“, gab der Ältere zu und ließ von Katsuya ab, beließ seine Hände jedoch an dessen Oberarmen und sah ihm in die Augen, „An was kannst du dich erinnern?“

„Ich sprach mit… Yugi.“, das Wort schien eine Wand zu sprengen. Bilder schlugen auf ihn ein, zusammenhanglose Wortfetzen, ein wellenartiges Pochen von Schmerz zog sich durch seinen Kopf.

„Sieh mich an.“, befahl der Andere und Katsuya öffnete unter schwerster Willensanstrengung die Augen, „Gut so. Sieh mich an.“

„Er sagt, sie sind krank. Vollkommen krank. Dass es falsch ist Männer zu lieben. Falsch und krank.“, brachte der Braunäugige zusammen und schüttelte den Kopf, ohne von dem Blau abzulassen, „Dass sie nicht schwul sind, sondern krank.“

Sein Gegenüber atmete tief ein und schloss beim Ausatmen kurz die Augen.

„Krank…“, murmelte der Blonde abwesend.

„Katsuya. Hör mir zu.“, die Stimme schnitt durch seine Gedanken, „Vielleicht ist es krank schwul zu sein. Aber es ist definitiv eine Krankheit, mit der ich gut klarkommen würde. Wenn er das nicht tut, dann ist das sein Problem. Ich kann mit mir leben. Und er muss es nicht.“, das Blau schien niemals so tief gewesen zu sein, „Was zählt, ist, was wir denken, nicht andere. Für mich ist schwul sein wahrlich okay. Depressionen finde ich nicht gut und ja, in dem Sinne bin ich sicherlich krank. Aber nicht, weil ich mit Frauen nichts anfangen kann.“, die Welt schien für einige Sekunden zu gefrieren, „Okay?“

Katsuya nickte kaum merklich und sein Körper fiel in sich zusammen. Kaiba schien damit gerechnet zu haben, denn er hielt ihn fest und legte ihn langsam auf die Matratze zurück.

„Ist das ein Krankenhaus oder ’ne Klapsmühle?“, fragte der Blonde erschlagen.

„Ein Krankenhaus. Du kannst schlafen, ich bleibe hier. Und wenn du aufwachst, können wir nach Hause.“

Nach Hause… Katsuya spürte noch, wie sich seine Lippen zu einem Lächeln verzogen, bevor ihn der Schlaf übermannte.
 

Stimmen.

Eine männlich, eine weiblich. Die erste gehörte zu Kaiba. Die zweite demnach sicher zu einer Ärztin oder Krankenschwester. Katsuya versuchte den Inhalt auszumachen, doch es dauerte einige Sekunden, bevor die Wörter keine sinnlose Masse von Geräuschen mehr waren.

„…zur Beobachtung hier behalten.“

„Was er braucht, ist keine Beobachtung in einem reizdeprivierten Raum, sondern eine sichere Umgebung. Jeder Psychologe würde ihnen das bestätigen können.“

„Das Krankenhaus kann problemlos eine sichere Umgebung bereitstellen und wenn sie darauf bestehen, können wir ihn auf die psychiatrische Station verlegen. Aber mehr können wir ihnen nicht entgegen kommen, Herr Kaiba.“

„Ich will nach Hause…“, warf der Blonde leise ein, um auf sich aufmerksam zu machen.

Die Hand tauchte wieder in einiger Entfernung über seinen knapp geöffneten Augen auf und sank ihm langsam entgegen, bevor sie einige Strähnen aus seinem Gesicht strich.

„Da kommst du auch hin, heute noch. Und wenn ich dafür das Krankenhaus aufkaufen muss.“

„Herr Kaiba, wir lassen uns nicht bestechen.“

„Das hatte ich auch nicht vor.“, seine Stimme wurde wieder kalt, während er sich der Ärztin zuwandte, „Aber ihr menschlicher Verstand müsste ihnen eigentlich sagen, dass ihr Handeln unverantwortlich ist.“

„Ich kann mich nur auf das verlassen, was mir meine langjährige Berufserfahrung sagt. Und das ist, dass der Junge ohne bisher erkennbaren Grund ohnmächtig geworden ist. Wenn sie so gut über ihn Bescheid wissen, dass sie schon der bessere Arzt sind, sollten sie sich wohl erst mal darüber Gedanken machen.“, fauchte sie.

„Das hier ist kein persönlicher Krieg über besser oder nicht! Der Junge ist psychisch angeschlagen und war den ganzen Tag über labil, dann wurde auch noch sein Urvertrauen in eine ihm jahrelang bekannte Person angegriffen und er ist in einem Krankenhaus aufgewacht. Ein Ort, den er nach der Psychiatrie am wenigsten mag.“, erwiderte der Ältere hart und strich Katsuya weiterhin beruhigend über die Wange, obwohl er der Ärztin zugewandt stand, „Dass ich ihn nicht länger in einer für ihn bedrohlichen Umgebung lassen will, dürfte auch ihnen zugänglich sein.“

„Aber… seine Blutwerte…“, startete sie einen weiteren kläglichen Versuch.

„Seine Blutwerte bessern sich auch nicht dadurch, dass sie ihn über Nacht hier behalten, weil er in einer ihm fremden Umgebung sowieso nichts anrühren wird. Und solange sie ihm keine Infusion legen, werden sie somit auch keine Besserung erzielen. Des Weiteren darf ich sie noch einmal darauf hinweisen, dass sich seine Blutwerte im Vergleich zu seinem Ergebnis von letzter Woche drastisch verbessert haben.“

Katsuya beobachtete aus dem Augenwinkel, die um die vierzig Jahre alte Frau auf ihre Unterlippe biss und Kaibas Blick schließlich auswich und ihre Unterlagen durchsah.

„Ich brauche die Bestätigung seines behandelnden Arztes.“, sagte sie schließlich mit aller Überzeugung, die sie noch in sich zu haben schien.

„Persönlich, schriftlich oder telefonisch?“

Sie schien in sich zusammen zu schrumpfen, bevor sie zugab, dass eine telefonische Bestätigung ausreichend war, worauf Kaiba sein Handy zog und ohne eine Sekunde des Zögerns anrief.

Die Uhr an Katsuyas Handgelenk sagte dem Blonden, dass es halb sieben war.
 

„Besitzen sie seine Privatnummer?“, fragte der Jüngere eine halbe Stunde später auf den Moment genau, wo sie aus den Türen des Krankenhauses traten.

„Natürlich.“, erwiderte der Lehrer sofort, „Man kann es noch so oft verneinen, aber Geld regiert die Welt. Mit Geld und Redekunst schaffst du es überall hin, das wussten schon die Griechen.“

Wohl wahr. Kaiba schien gerade eisernes Krankenhausgesetz gebrochen zu haben. Und er hatte noch nicht einmal verlangt den Oberarzt und den Personalabteilungsleiter zu sprechen.

„Danke…“, murmelte der Blonde, „Auch für den Mantel.“, er schlang Genanntes enger um sich – ihm war kalt, obwohl der Abend relativ lau war, „Woher wussten sie von meiner Abneigung gegen Krankenhäuser und Psychiatrien?“

„Und Jugendämter und der Polizei – dadurch, dass du niemals bei ihnen warst. Alle hätten sich gesetzlich gesichert um dich kümmern müssen, aber du bist selbst bei schlimmsten Verletzungen nur zu Frau Ishtar gegangen. Sie erzählte mir das, als du das letzte Mal bewusstlos warst.“

„Oh…“, brachte der Kleinere zustande, „…ach so…“

„Wieso hast du mit Herrn Muto gesprochen?“, schnitt der Brünette das Thema wieder an.

„Ich… weil… wegen seinen Gefühlen. Mir gegenüber.“, gab Katsuya leise zu.

„Darf ich fragen, was du ihm genau gesagt hast?“, Kaibas Ton erwärmte sich rapide um einige Grade. Er ließ dem Jüngeren die Wahl zu erzählen, das war diesem klar.

„Dass ich es nicht erwidern kann. Aber dass es mir nichts ausmacht. Dass er mir als Freund wichtig ist. Und dass ich ihm in jedem Weg helfen möchte, den er für angemessen hält. Ich will nicht, dass seine Gefühle unsere Freundschaft zerstören. Und… er anscheinend auch nicht.“, der Braunäugige sah auf zu dem neben ihm Gehenden, „Er hat gesagt, er ekelt sich selbst an, weil er so fühlt. Ich verstehe das nicht.“

„Tja…“, Kaiba ließ einen Moment verstreichen, in dem er an seiner Zigarette zog – Katsuya hatte gar nicht bemerkt, dass er eine angezündet hatte, „Ich bin nicht in der Position dir das zu sagen. Ich müsste weit ausholen und Yugis Familienverhältnisse erklären, aber ich weiß, dass Yami nicht darüber reden will und ich denke, dass du es daher auch nicht von mir erfahren solltest. Ich kann nur sagen, dass Yugi sehr… stur in manchen Punkten ist. Und in bestimmten Bereichen auch nicht offen für die Meinung anderer. Homosexualität ist so ein Punkt. Er kommt überhaupt nicht damit klar, dass er schwul ist. Er hat sich schon immer für minderwertig gehalten und starke Selbstwahrnehmungsstörungen. Ich weiß nicht, was sein Kopf sich zusammenreimt, aber wenn er mir erzählen würde, dass böse Geister von ihm Besitz ergriffen haben und ihm der Sünde des Fleischeslust anheim fallen lassen wollen, dann überrascht mich das auch nur in Maßen. Er empfindet Homosexualität einfach als Krankheit.“

Katsuyas Augenbrauen hatten sich während der Worte stark zusammengezogen und tiefe Furchen zierten seine Stirn bei Kaibas letzten Worten.

„Und wie kommen sie damit zurecht?“

„Thema ausschweigen. Ich habe schon so oft mit ihm diskutiert, es geht einfach nicht. Ich lebe mein Leben und er fragt nicht nach meinen Affären. Und mittlerweile fragt er auch nicht mehr wöchentlich, ob ich nicht eine hübsche Frau kennen gelernt habe, mit der ich mir ein Zusammenleben vorstellen könnte.“

„Nur noch alle zwei Wochen?“, versuchte der Blonde ein wenig Sarkasmus und brachte den Älteren damit zum Lächeln.

„So in der Größenordnung.“

Honesty

900 Kommentare... Wenn ich diese Zahl betrachte, sie lese und laut aufsage, will sie trotzdem nicht in meinen Kopf... ich bin... einfach unglaublich gerührt *alleknuddel* Es gibt sechs Fanarts zu dieser FF, ein weiteres wird gerade gezeichnet, ich bin einfach hin und weg und... gibt es etwas Besseres als Danke? Ich würde es herausschreien. Ihr seid die tollsten Leser, wo gibt *heul*

Nun, genug geduselt v.v Mit diesem Kapitel gehe ich ein wenig in Katsuyas Alltag zurück. Neben größeren hat Kats schließlich auch kleinere Dinge zu bewältigen. Ich vermute, das ist eine Ebene, die viele restlos nachvollziehen können. Aber wie gesagt, falls irgendetwas unklar ist oder ich etwas nicht richtig darstelle, sagt einen Ton. Ich freue mich wirklich über begründete Kritik. Was mich auch immer bewegt, ist, wenn ihr über eure Gefühle während des Lesens schreibt oder Vermutungen anstellt. Ihr helft mir unglaublich das hier durchzuziehen!

Also - etwas mehr als vierzig Kapitel sind es noch. Schaffen wir auch noch, oder? ^.- Viel Spaß beim Lesen!
 

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„Wir waren gestern gar nicht mehr einkaufen.“, stellte Katsuya beim Frühstück fest.

„Können wir heute machen, wenn es dir besser geht.“, bot der Ältere an, während er gerade das Bento an der Küchentheke fertig stellte und verpackte, „Fühlst du dich fit für die Öffentlichkeit?“

„Jo.“, der Blonde strahlte, „Hab’ geschlafen wie ein Stein.“

„Freut mich.“, Kaiba griff nach seinem Becher und trank einen Schluck, „Das heißt Bekleidungsladen, Drogerie, erweiterter Schreibwarenhandel, Kommunikationsfachhandel, Apotheke, Parfümerie und Supermarkt. Gutes Programm. Möchtest du eigentlich noch bestimmte Möbel oder Einrichtungsgegenstände?“

„Nein, danke…“, Hammerprogramm, was der Lehrer da vorgab… „Was machen wir in der Parfümerie?“

„Rasierwasser für mich kaufen.“, gab der Ältere zu und setzte sich an den Küchentisch, „Warum sehe ich eigentlich kein Haar in deinem Gesicht?“

„Keine Ahnung.“, gab der Blonde zu, „Hatte noch nie Bartwuchs.“

„Noch nie?“, fragte Kaiba ernstlich erstaunt nach, worauf der Andere nur den Kopf schüttelte, „Deine Psyche und dein Körper müssen echt runter gewesen sein… wir müssen feiern, sobald dir ein Haar wächst. Und dann gehen wir dir auch Rasierwasser kaufen. Allerdings nicht so ein herbes, eher etwas frisches… vielleicht sogar ein Damenöl? Nein, zieht nicht schnell genug ein…“, der Brünette schien in seinen Gedanken zu versinken.

Dachte Kaiba jetzt wirklich über sein zukünftiges Rasierwasser nach? Das war… bizarr. Ja, so bizarr wie ein Seto Kaiba eben war. Nur nicht nachfragen. Selbst wenn man Kaiba halbwegs nachvollziehen konnte, überraschte er doch immer wieder.

„Ich brauche auch ein paar Sachen für Kunst. Wir haben gestern mit der Praxis angefangen.“

„Habt ihr?“, seine Aufmerksamkeit fokussierte sich wieder auf Katsuya, „Und, was habt ihr gemacht?“

„Ähm… ’ne Zeichnung… mit Bleistift.“, wehe, er fragte, wehe, er fragte, wehe, er fragte.

„Und was hast du gezeichnet?“

Verdammt! Verdammt, verdammt, verdammt!

„Einen… Welpen.“

„Darf ich das sehen?“

„Warum wollen sie das?“, fragte der Blonde kleinlaut nach.

Ein leichtes Lächeln legte sich auf Kaibas Lippen, bevor er so ruhig und sanft wie bei ihm möglich erklärte: „Als wir die Sachen aus deiner alten Wohnung geholt haben, lagen eine Menge Bilder auf dem Boden. Sie waren zwar unrettbar zerstört, aber man konnte erkennen, dass sie einmal sehr schön gewesen sind. Ich vermute, sie waren von dir?“

Ein Nicken. Katsuya fühlte die Gefühle in sich wirbeln, aber er versuchte sie aus seinem Bewusstsein zu drängen – was funktionierte, denn sie flauten ab. Nur hinterließen sie ein dumpfes Nichts.

„Du scheinst ein Talent für das Zeichnen zu haben. Darum interessiere ich mich dafür.“

Er atmete tief durch. Sollte er Kaiba das Bild zeigen? Was sprach dagegen? Oder würde er… lachen? Sein Blick huschte zu seiner Tasche. Ein Versuch war es wert.

„Wir sollten unsere Stimmung in ein Bild bringen.“, flüsterte Katsuya, zog das gefaltete DINA3-Blatt aus seiner Tasche und reichte es dem Brünetten.

Auf Kaibas Zügen spielte ein Lächeln mit dem Ansatz eines Grinsens, während er das Bild betrachtete.
 

„Katsuya.“, der Ton war relativ kalt und ließ den Angesprochenen mehr als erahnen, dass es ein Befehl war. Der Blonde trat zum Pult und herum, nachdem er durch einen kühlen Blick den Befehl dazu erhalten hatte.

Lehrer Kaiba. Vor der Klasse noch immer der Eisberg in Person. Mittlerweile ließ es Katsuya nur noch müde lächeln.

„Ich habe vor der Stunde mit dem Direktor gesprochen. Ich bin berechtigt dich freizustellen, ohne bei irgendwem dafür Rechenschaft abzulegen – wenn es dir also das nächste Mal schlecht geht, bleibst du zu Hause. So etwas wie gestern tut weder dir noch mir gut.“, sagte der Brünette so laut, dass der Jüngere es gerade noch verstehen konnte, „Wenn Herr Muto dich gleich persönlich anspricht, richte ihm aus, dass ich vor dir mit ihm sprechen will und halte dich ansonsten geschlossen. Ich weiß, er ist auch dein Freund, aber lass’ mich das erst regeln.“, Katsuya nickte zur Bestätigung – offen gestanden war ihm das auch viel lieber, „Ansonsten komm’ bitte in der Mittagspause zu meinem Büro, damit wir mal endlich deine Schulbücher holen gehen. Das wollten wir schon letzte Woche und langsam wird es höchste Zeit.“

Ups… voll verpeilt. Irgendwie war er schon gewohnt Ryous Bücher mit zu benutzen. Brauchte er wirklich welche? Nun, dann könnte er die Hausaufgaben auch mal zu Hause machen statt zwischen den Stunden mit Ryous Unterlagen…

„Alles verstanden?“, fragte der Ältere mit amüsiertem Lächeln nach.

„Bei Alptraum Hausarrest, Schweigegelübde Muto und meine Pause geht für’n paar olle Bücher drauf.“, wiederholte der Blonde in seinen Worten.

„Sehr schön. Bis zur sechsten Stunde.“, damit verließ der Lehrer auch schon die Klasse, der bis zum Schließen der Tür von Bernsteinen verfolgt wurde.

„Na, hast du wieder was angestellt, Narbenskelett?“, rief einer der Jungen aus der dritten Reihe Katsuya zu, der nur müde die Augen verdrehte.

„Nein, ich wurde gerade auf eine Kreuzfahrt eingeladen.“, erwiderte der Blonde mit seinem besten Sarkasmus und funkelte den Typen an.

„Oooooh…“, die anderen Jugendlichen der Gruppe lachten, „Bereust du etwa gestern Nachmittag den Unterricht geschwänzt zu haben?“

Geschwänzt? Anscheinend hatte keiner mitbekommen, dass man ihn mit dem Krankenwagen weggebracht hatte. Ob er das gerade stellen sollte? Eigentlich… nein.

„Sollte ich es denn?“, ging Katsuya stattdessen auf die Provokation ein.

Die paar Jungen brachen wiederum in Lachen aus, doch der, der ihn angesprochen hatte, schien ernsthaft zu überlegen, was er darauf erwidern sollte.

Der Blonde schritt auf das Grüppchen zu und reckte dabei sein Kinn leicht – was es doch für einen Effekt hatte über eins-achtzig zu sein. Der eine versuchte in den Schutz seiner Freunde zu kommen, die versteckten sich lieber hinter dem einen. Wunderbare Freunde, wahrlich. Er lehnte sich vor, sodass er nur noch wenige Zentimeter von dem Gesicht des einen entfernt war.

„Ich hätte eigentlich vermutet, ihr hättet langsam gelernt, dass es nicht gerade intelligent ist mich zu provozieren.“, er legte den Kopf etwas schief, zog die Augenbrauen hoch und schloss die Lider ein wenig, „Aber was erwarte ich von einem Haufen Dummköpfe?“, ein eigentlich eher von Kaiba bekanntes sadistisches Lächeln schlich sich auf seine Lippen, „Wisst ihr, ich glaube, das Leben ist doch gerecht. Ich kann mir sicher sein, dass ihr mit eurem Benehmen eines Tages auf die Schnauze fliegen werdet. Und das sehr, sehr hart.“, er sprach die letzten Worte betont langsam, verharrte danach noch einen Moment in seiner Position und zog sich dann zu Ryou zurück.
 

„Duhuu…“, der Weißhaarige zupfte an seinem Ärmel – er könnte ihn ja glatt stehlen, der Blick war verboten süß, „Kann ich dich mal etwas fragen?“

„Natürlich.“, antwortete der Ältere selbstverständlich und setzte sich neben Ryou auf dessen Tisch, „Schieß’ los.“

„Weißt du… du kannst die Idioten immer einschüchtern… aber was soll ich tun? Ich kann mich nicht ewig hinter dir verstecken.“, murmelte er zu Katsuya gebeugt, „Ich will nicht immer gemobbt werden… Bakura sagt, ich soll mich wehren, aber ich weiß nicht wie.“, er sah mit erwartungsvollem Blick zu dem Blonden auf, „Was, meinst du, soll ich machen?“

„Ähm…“, gab dieser geistreich als Antwort, „Ähm… schwere Frage, wirklich… auf jeden Fall sich selbstsicher geben. Das ist wichtig, sonst sehen die Idioten das als Bestätigung, das sie weitermachen können. Aber ansonsten… keine Ahnung. Ich kann nur einschüchtern. Ich weiß mit vielen Situationen nicht besser umzugehen…“, er legte den Kopf zu Ryous Seite, „Mein Psychologe sagt, ich sei in einer Identitätskrise. Wahrscheinlich muss ich herausfinden, was für mich das beste Verhalten in bestimmten Situationen ist. Vielleicht sollte ich bei solchen Sprücheklopfern einfach mal eine andere Taktik versuchen. Und wenn dir eine davon gefällt, kannst du sie ausprobieren. Deal?“

Der Weißhaarige bestätigte lächelnd durch einen Händeschlag, als würden sie einen Pakt besiegeln. In Endeffekt half es beiden weiter, das war Katsuya schon klar – aber die Gefühle sagten etwas anderes als der Verstand. Halt, das Es und das Unterbewusstsein sagten etwas anderes als das Über-Ich und die Realität in dieser Situation. Auch egal, auf jeden Fall war es Überwindung.

„Was für Techniken kann man alles anwenden?“

„Ignorieren, aber das klappt nicht. Das habe ich in den letzten Jahren versucht, aber das tut nur weh. Die meisten hören trotzdem nicht auf und denken nur, dass du dir das gefallen lässt…“, Ryous Stimme wurde leiser, „Das ist nicht wirklich hilfreich.“

„Kenne ich genauso.“, er hatte nur zu den Tätern gehört, damals, in den Hintergassen, wo sie Leute suchten, um sie auszurauben oder zusammenzuschlagen… „Und Gegenbeleidigungen helfen auch nicht. Ebenso wenig rationales Argumentieren…“

Der Weißhaarige seufzte.

„Weglaufen können wir vor den Leuten hier nicht und beenden würde es das Ganze auch nicht.“, überlegte Katsuya weiter, „Hast du noch Ideen?“

„Nein…“, murmelte der Kleinere wie erschlagen, „Anscheinend werde ich immer Opfer für so etwas sein.“

„Ryou, wer hat mir gesagt, dass man seine Ziele nicht einfach so wegwerfen soll? Wir werden einen Weg finden.“, erwiderte der Blonde überzeugt, „Mir wird etwas einfallen. Und ansonsten frage ich jeden, den ich kenne.“

„Danke…“, flüsterte der Sitzende und sah lächelnd zu ihm auf.
 

„Es ist ein Wunder, dass ich nicht auch noch eine Fackel brauche, um mich hier zurecht zu finden.“, murrte Kaiba, während sie versuchten im untersten Stockwerk den Bücherkeller zu finden, „Was wir brauchen ist eine offene, von Licht durchflutete Bibliothek mit großen Seitenfenstern mit schöner Aussicht.“

„Die nicht zu verwirklichenden Punkte sind offen, Licht, Bibliothek und schöne Aussicht.“, erwiderte Katsuya ebenso leicht genervt und öffnete die nächste Tür, „Das hier könnte es sein.“

Der Brünette trat an seine Seite und betätigte den Lichtschalter des Raumes.

„Guter Fund.“, er setzte seinen Weg fort und las einige Buchrücken im Vorbeigehen, „Zumindest unsere Japanischbücher stehen hier. Such mal dahinten.“, er nickte zur anderen Seite des Raumes, zu der der Angewiesene sich bewegte, „Und wie nicht anders zu erwarten ist niemand für diesen Saustall verantwortlich. Jeder verweist mich an den nächsten oder hat von nichts eine Ahnung. Dieser Saftladen geht mir auf die Nerven.“

„Wer hat sie denn heute geärgert?“, langsam war das selbst für Kaiba kein ruhiger Zustand mehr.

„Diese Inkompetenz von einem Direktor. Zu allem sagt er ja und amen, aber nein, heute muss ihm ja zwei Stunden später auffallen, dass es ungewöhnlich ist, wenn ein Lehrer fragt, ob er einen Schüler von sich aus beurlauben darf. Was mich das wieder an Zeit gekostet hat ihm einen völlig fantastischen Grund zu liefern.“, er atmete tief durch und fuhr gemäßigter fort, „Aber wenigstens dürfte er in nächster Zeit nicht mehr auf die Idee kommen mich anzuzweifeln. Seniler Idiot.“

„Was für einen Grund haben sie ihm denn genannt?“

„Nur die Wahrheit.“, Katsuya zog die Augenbrauen zusammen und wandte sich zu dem Sprechenden um, „Dass deine Erziehungsberechtigten wo anders leben als du und du dich deshalb mit jeder Erkrankung in die Schule schleppen würdest und ich als Lehrer das nicht verantworten könnte, falls das Einfluss auf andere nimmt.“

„Wunderbar verschleiert…“, murmelte der Blonde abwesend.

„Ja, ich wusste schon immer, dass ich ein Genie bin.“, Kaiba zog ein Buch aus dem Regal, „Hast du dein Chemiebuch entdeckt?“

„Nein.“, knurrte der Jüngere und suchte weiter, „Was ist für sie eigentlich Diskretion? Ich meine, sie sind ein Genie, okay, aber müssen sie einem das so vor den Kopf knallen?“

„Stört dich die Wahrheit? Es wäre mir neu.“, der Brünette klopfte sich Staub vom Jackett, „Normalerweise bist du der, der Menschen mit Offenheit vor den Kopf stößt.“

„Aber… das…“, Katsuya ließ den Kopf sinken.

„Das war nur gespielt?“, vermutete der Ältere, „Sei ruhig offen. Ich denke, du kannst mittlerweile unterscheiden, wen du damit verletzen willst und wen nicht.“

„Wollen sie mich verletzen?“, murmelte der Blonde, doch durch die Stille war es gut hörbar.

„Manchmal. Ich provoziere dich manchmal bewusst, ja. Du gehörst zu den Menschen, die nicht schreiend wegrennen sondern zu denken anfangen.“

„Denke ich ihnen zu wenig?“, fragte er nach und legte die entdeckten Bücher zu denen, die Kaiba bereits auf einem Tisch abgelegt hatte.

„Zu diffus.“, der Brünette wandte sich ihm zu, „Wie man an deinen Verwirrungszuständen sieht. Ich wollte dir nur einen kleinen Schubs geben.“

„Über Offenheit nachzudenken?“

„Ja.“, der Lehrer trat an ihn heran, „Was von dir sehen andere? Was dürfen sie sehen? Was willst du verstecken? Warum willst du es verstecken? Wie willst du es verstecken? Willst du mit einer Maske leben oder frei sein? Oder ein Mittelding von beidem? Wo liegt deine goldene Mitte der Offenheit?“, die blauen Augen schienen in dem Licht der einen Glühbirne zu leuchten, „Ich vermute, die Sache mit Yugi hat diese Dinge aufgewühlt.“
 

Die goldene Mitte… die goldene Mitte der Offenheit? Komische Bezeichnung. Goldene Mitte… was wollte er zeigen, was nicht und wie war das umzusetzen… tja, gute Fragen. Wo waren die Antworten?

„Ryou?“, der Weißhaarige sah zu ihm, „Warum hast du mir damals alles von dir erzählt? Hattest du nicht Angst, dass ich es gegen dich verwende? Oder erzählst du allen so viel?“

„Ich vertraue dir.“, flüsterte er, damit ihre Geschichtslehrerin sie nicht erwischte, „Ich war mir irgendwie sicher, dass du es nicht erzählen würdest. Da schienst du mir nicht der Typ für.“, er machte sich eine Notiz zum Unterricht, „Wie kommst du plötzlich darauf?“

„Ich habe Yugi einiges über mich erzählt… ich weiß nicht, ob das richtig war. Ich glaube, ich hätte das nicht tun sollen. Er erzählt es zwar nicht rum, aber… es scheint, als hätte ich mich in so einigen Dingen in ihm getäuscht.“

„Er hat dein Vertrauen missbraucht?“, fragte der Jüngere nach.

„Nicht bewusst, aber… ja, doch.“, gab Katsuya zu, „Das macht mir Angst. Ich weiß, dass ich meinem besten Freund vertrauen kann und dir eigentlich auch, aber Kaiba… ich fange schon wieder an zu zweifeln.“, er seufzte, „Eigentlich sollte ich langsam mal sicher sein, dass er mein Vertrauen nicht wieder missbraucht, oder? Aber was, wenn ich mich wieder in ihm täusche? Oder ihn einfach nur missverstehe, wie ich es bei Yugi tat?“

Ryou hob seine rechte Hand und begann an dem Ende seines Füllers zu kauen.

„Ich habe Angst… verletzt zu werden…“, der Blonde ließ sein Kinn auf seine Brust sacken, „Soll ich mich zurückziehen und Mauern bilden wie Kaiba? Oder mein Herz auf der Zunge tragen wie früher mal? Oder ist beides falsch? Ist eine goldene Mitte das Beste?“

„Du hast Aristoteles gelesen?“, fragte der Jüngere erstaunt.

„Hab’s bei Kaiba aufgeschnappt…“, Katsuya schloss seufzend die Augen, „Was ist richtig?“

„Immer das, was deine eigene Gesundheit und die anderer am meisten schützt und fördert. Wie bei allen Einstellungen und Charaktereigenschaften.“

„Ich will mich nicht von der Welt abschotten.“, entschloss der Blonde, „Aber ich will auch nicht, dass irgendwer weiß, was ich durchgemacht habe. Nicht mehr. Ich will gesund sein. Und wenn irgendwer das hört, hält man mich immer gleich für gestört.“

„Vielleicht. Andere würden dich dadurch vielleicht besser verstehen und weniger verletzen.“

Katsuya sah auf und beobachtete den Weißhaarigen von der Seite, der eine weitere Notiz in sein Heft schrieb und das Tafelbild abzeichnete. Ryou wurde oft verletzt. Und dennoch hatte er ihm vollständig vertraut, dass er zu dieser Kategorie Mensch gehörte. War das naiv? Weise? Mutig? Wie konnte man nach solchen Verletzungen die Welt anlächeln? Hatte er selbst die Stärke dazu? Oder sollte er wie Kaiba handeln? Ob er enden würde wie Yugi? Oder sollte er sich selbst durch Angriff schützen, wie Bakura es tat? Angriff, Maske, Rückzug, blindes Vertrauen? Was war das Beste? Er wollte sich die Welt vom Leib halten und sie umarmen. Er wollte Gefühle, doch nicht verletzt werden. Er wollte lieben, doch nicht abhängig sein. Frei und gebunden zugleich.

Was sollte er nur tun?

Kindergeschichten

Meine Klausurphase fängt wieder an. Zwei Wochen Stress also, in denen ich all meine abiturrelevanten Arbeiten schreibe. Ich habe einigen noch nicht auf ENS geantwortet und ich hoffe, ihr verzeiht, wenn ich in nächster Zeit nicht dazu komme und Kommentare auch mit ein wenig Verspätung beantworte.

Ansonsten kann ich nur noch mal jedem empfehlen in der Fanartgalerie vorbeizuschauen, die rapiden Zuwachs hat ^///^ Danke!

Ansonsten gibt es nur noch ein paar Worte zu diesem Kapitel. Zum einen ist es eins, worüber vielleicht manche nur gelangweilt die Augen verdrehen und andere wieder spannend finden - aber ich hoffe es ist trotzdem für jeden etwas dabei. Zum anderen winke ich in diesem Kapitel mit dem Zaunpfahl für alle, die sich immer noch über Kaibas Reaktion auf Katsuyas Bild wundern.

Und jetzt viel Spaß beim Lesen ^.^
 

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„Nein!“, rief Katsuya, machte auf dem Absatz kehrt und lief Richtung Auto – aufgehalten von Kaibas rechtem Arm, der sich um seine Hüfte schlang und gnadenlos zurückzog, „Nein, nein, nein! Ich will nicht! Nicht schon wieder! Lassen sie mich looos!“, er verfiel in ein wolfsähnliches Jaulen.

„Sagte ich schon mal, dass wir an deinem Problemlösungsverhalten arbeiten müssen?“, grollte der Ältere, schlang einen weiteren Arm um sein Energiebündel und zerrte ihn auf die Arztpraxis zu.

„Man wird auf mich einstechen und mein Blut rauben, mir Elektrostöße geben und Folterinstrumente an mir testen. Man wird mich schrecklichen Qualen aussetzen und Gift in meine Venen schleudern. Womit habe ich dieses Schicksal verdient? Was habe ich denn verbrochen?“

„Mir meine Nerven geraubt, du Klageweib.“, er erreichte mit dem strampelnden Jugendlichen im Arm die Tür, die die Rezeptionistin aufhielt, während sie ein Lächeln unterdrückte, „Außerdem übertreibst du maßlos.“

„Dramatisierungen sind ein angemessenes Stilmittel für Reden.“, konterte der Blonde und krallte sich an der Türeinfassung fest, „Nach Gesetz haben Kinder ein Recht auf eine gewaltfreie Erziehung. Der Parentalgeneration ist keine physische Gewalt Kindern gegenüber erlaubt!“

„Ich habe das Gefühl, die Schule schadet dir.“, meinte Kaiba trocken und zerrte weiter an seinem Schützling, „Könnten sie bitte die Tür zuschlagen? Ich erzähle dem Jugendamt, das war ein Unfall. Und der Doktor kann es sofort versorgen.“

„Das ist gemein!“, verteidigte sich der Jüngere.

„Erziehung ist auch nicht fair.“

Katsuya ließ den Türrahmen lieber los – nicht dass Kaiba das wirklich noch tun würde. Was im Endeffekt dafür sorgte, dass der Lehrer ihn komplett hochhob und mit einem Eisblick gefesselt ins Untersuchungszimmer trug.

„Ich dachte, wir gehen einkaufen…“, murmelte der Blonde und zog eine Schnute.

„Werden wir auch nachher, Hün- Katsuya.“, der Ältere atmete tief durch, „Echt, du zerstörst mein ganzes böses Image.“

„Nur zu ihrem Besten.“, der Braunäugige verschränkte die Arme, „Letztes Mal hatte die Dame super Angst vor ihnen, jetzt hält sie uns schon die Tür auf. Nur wegen mir sind sie ihr sympathisch.“

„Und? Jetzt ist sie nicht mehr wegen mir sondern wegen dir froh, wenn wir wieder weg sind.“

„Gar nicht wahr!“, erwiderte er stur.

„Wohl wahr.“, Kaiba erhob sich, „Ich gehe jetzt die Formalitäten regeln und du. Bleibst. Schön. Brav.“, er tippte dem Jüngeren bei jedem Wort mit den Zeigefinger auf die Nase, was Katsuya nur dazu verleitete beim letzten Mal zuzubeißen – leider daneben. Der Größere verdrehte nur die blauen Augen und überließ sein Haustier dann dessen grausamen Schicksal.
 

„Er hat mir schon wieder Blut abgenommen. Da!“, Katsuya zeigte demonstrativ auf das Pflaster auf seinem Unterarm und schaute den Brünetten anschuldigend an, „Wie soll ich jemals gute Blutwerte kriegen, wenn mir andauernd welches abgenommen wird?“

„Durch ordentliche Ernährung. Wir gehen jetzt essen.“, entschied der Ältere und zog den Anderen an dessen Handgelenk zwei Häuser weiter in ein Restaurant, wo sie freundlich begrüßt und zu ihrem Platz geführt wurden.

„Und was soll ich essen?“, murrte der Blonde und spielte lustlos mit der Karte statt sie zu lesen.

„Etwas mit rotem Fleisch oder Spinat.“, der Lehrer blätterte eine Seite um, „Oder soll ich für dich bestellen?“

„Ja, bitte.“, entschied der Blonde und ließ die Karte über den Tisch gleiten, wo sie von Kaiba vor dem Fall gerettet und mit seiner eigenen auf die Tischseite gelegt wurde.

„Eine Hühnersuppe, eine Wan-Tan-Suppe und das Rinderfilet von dreihundert Gramm, medium, mild gewürzt-“

„Ich dachte, sie essen ihr Filet englisch?“, warf Katsuya ein.

„Mit zweimal Besteck als Hauptgang.“, setzte der Lehrer seinen Satz souverän fort und wandte sich direkt wieder dem Jüngeren zu, „Und es ist eine Unverschämtheit jemanden zu unterbrechen, merk’ dir das.“

„’Tschuldigung…“

„Ich habe jetzt einfach mal vermutet, dass du dein Fleisch nicht fast roh isst.“, er reichte der Bedienung mit einem kalten Lächeln die Karten, „Und dass du nicht allein ein Steak isst.“

Der Blonde stimmte mit einem schüchternen Nicken zu und hob den Blick wieder, während er fragte: „Und welche der Suppen kriege ich?“

„Ach, du wolltest auch eine?“, Kaiba riss beide Augenbrauen in die Höhe, „Hühnchen natürlich, das ist weit proteinreicher.“

„Protein?“, der Jüngere stützte sich mit einem Arm ab, „Das Wort habe ich zum letzten Mal in einem Gameboyspiel gehört. Was ist das?“

„Eine der drei großen Nährstoffgruppen. Kohlenhydrate, Protein und Fett. Ich dachte, du hattest letztes Jahr eine gute Hauswirtschaftslehrerin?“

„Kochen haben wir gelernt.“, er nahm den zweiten Arm dazu, „Aber nichts über Nährstoffe.“

„Biologische Wertigkeit, glykämischer Index, BMI… nie gehört?“, der Brünette lehnte sich vor und legte dabei die vordere Hälfte seiner Unterarme auf den Tisch.

„BMI hatten wir mal… ich weiß schon nicht mehr, was das ist.“, der Braunäugige stützte seine Schläfe auf die geballte Faust seiner linken Hand, „Wozu braucht man das alles?“

„Für eine gesunde, ausgewogene Ernährung.“, der Ältere schüttelte den Kopf, „Und Tischmanieren hat sie euch anscheinend auch nicht beigebracht.“

„Häh? Wieso?“, Katsuyas Blick schnellte zu seiner Hand, „Lassen sie mich raten… man soll sich nicht so abstützen?“

„Ganz recht.“, Kaiba stand auf und kam zu seinen Schützling herum, um sich hinter seinen Stuhl zu stellen, „Aufsetzen.“

Der Jüngere tat wie geheißen.
 

„Crashkurs im gesellschaftlichen Benehmen. Der Rücken hat parallel zur Lehne zu sein.“, der Lehrer schob den Stuhl näher an den Tisch, „Auf dem Kopf muss ein Buch zu balancieren sein – außer es gilt das Essen vor den Mund zu halten, dann darf der Kopf gesenkt werden, aber der Rücken muss gerade bleiben. Des Weiteren müssen unter den Armen Bücher halten können.“, Katsuya drückte die Oberarme an den Körper, „Die Ellbogen dürfen niemals die Tischplatte berühren, außer die Tafel wird aufgelöst, also wenn das Dessert abgeräumt ist. Die Stäbchen werden in gewohnter Manier gehalten, aber es wird ruhig gegessen, jeder Bissen hat ein Genuss zu sein. Wenn du fertig bist, werden die Stäbchen quer über den Teller oder die Schüssel gelegt, wenn du noch einen Gang möchtest akkurat auf die Halter rechts von dir. Akkurat heißt übrigens genau passend, geordnet und angemessen.“, setzte er nach.

Merken, merken, merken… bisschen viel, oder? Konnte man so überhaupt noch essen?

„Wie du vielleicht schon gesehen hast, ist das hier aber ein westliches Restaurant.“

Was? Katsuyas Blick fiel auf seinen Platz. Oh nein… Messer, Gabel und… ähm… Löffel? Ja, genau.

„Da gibt es auch noch Besteckregeln.“, Kaiba wies auf die metallenen Gerätschaften, „Gabeln links, Messer rechts, Löffel über dem Teller. Das Besteck wird von innen nach außen benutzt. Also beginnst du mit dem, was außen liegt und endest mit dem innen. Große Löffel für Suppen, kleine Löffel für Dessert, kleine Gabeln für Dessert und Früchte, ansonsten werden Messer und Gabel benutzt. Nichts, absolut nichts wird mit Fingern angefasst. Besteck wird mit Daumen und Zeigefinger gehalten, alle anderen Finger dienen der Stabilisation, der Zeigefinger ist in den meisten Fällen gestreckt.“, er justierte die Gabel in Katsuyas Hand, „Zum Trinken wird das Besteck auf dem Teller abgelegt. Direkt nebeneinander und waagerecht bedeutet, dass du fertig bist mit dem Essen, im Winkel von neunzig Grad, dass du noch weiter essen möchtest. Besteck wird niemals neben dem Teller wieder abgelegt, wenn du es einmal aufgenommen hast. Alles gemerkt?“

Na, das konnte ja heiter werden…

„Da sage noch mal einer, Essen sei keine Kunst.“, Katsuya legte den Kopf in den Nacken und sah zu dem Älteren auf, „Wozu braucht man das?“

„Gute Manieren dienen der Sozialisation.“, der Brünette ordnete die Gabeln wieder, „In gewissen Kreisen gilt es einfach als extrem unhöflich sich nicht an diese Regeln zu halten. Außerdem… wenn man damit aufgewachsen ist, ist es manchmal ziemlich ekelhaft andere essen zu sehen. Ich kann einiges tolerieren, aber Essensregeln gehören für mich einfach zu einem ordentlichen Benehmen dazu.“

„Haben sie das durch ihren Vater oder Adoptivvater gelernt?“, wagte Katsuya zu fragen, während sich der Ältere wieder auf seinem Platz niederließ.

„Vater.“, Kaiba stützte die Ellbogen auf die Stuhllehnen und verschränkte die Hände, „Er war Geschäftsmann. Gutes Benehmen ist ausschlaggebend in dem Beruf, wenn man seine Firma auf lange Zeit gesehen nicht zugrunde richten will.“, ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen, „Verdirbt dir das die Lust auf einen Unternehmerberuf?“

„Nö.“, der Blonde lehnte sich zurück, „Früher habe ich das immer für spießig gehalten. Aber irgendwie ist das lustig. Ich glaube, ich war nur neidisch, dass ich mich nicht so gebildet verhalten kann.“

„Kann ich dir gern alles beibringen.“, das Lächeln verzog sich in ein amüsiertes Schmunzeln, „Am besten finde ich die Regeln zum Betreten eines Gebäudes, wenn man eine Dame dabei hat. Der Mann hat ihr den rechten Arm anzubieten und sie dann vor jeder Tür stehen zu lassen, zu öffnen, sie hindurch zu bitten und ihr hinter der Tür wieder den Arm anzubieten. Das sieht extrem ulkig aus, wenn da plötzlich eine Doppeltür ist. Das Betreten eines Restaurants kann da schon ein richtiges Spektakel werden.“

„Gibt es für alles Regeln?“, fragte der Blonde erstaunt.

„Zumindest für vieles.“
 

Katsuya hielt sich den Bauch vor Lachen. Das war einfach zu gut! Ein Hoch auf Knigge!

Kaiba öffnete lächelnd die Beifahrertür, deutete eine Verbeugung an und deutete mit der Hand einladend in den Wagen, schloss die Tür hinter dem Jüngeren und ging vor dem Wagen her, um sich auf seinen eigenen Platz zu setzen.

„Wo… wozu braucht… man das?“, brachte er gerade noch hervor.

„Die Dame muss den Mann stets im Auge behalten können, deshalb hat er vorne herum zu gehen.“, erklärte Kaiba mit einem unterdrückten Lachen, „Übrigens haben Frauen zu zweit zur Toilette zu gehen, weil sie nicht allein durch die Gegend laufen dürfen. Das verbietet der Anstand.“

Katsuya krallte sich an seiner Tür fest, um nicht in Lachen zusammenzusinken.

„Diese Regeln wurden mal zum Schutz von Frauen erfunden, das ist wichtig! Sie konnten jederzeit entführt oder zur Seite gezogen und vergewaltigt werden. Man brauchte einfach Schutz. Damals gab es noch kein Pfefferspray oder Selbstverteidigungstraining.“, der Lehrer startete den Wagen und brachte sie auf den Weg Richtung Innenstadt, „Außerdem vermute ich, dass Selbstverteidigung in Korsett und Kleid ziemlich schwer ist.“

Der Blonde schnappte verzweifelt nach Luft. Aufhören! Das tat schon weh! Sofort aufhören!

„Kann ich etwas für dich tun? Etwas Wasser vielleicht?“, erkundigte sich Kaiba amüsiert und sah dem Jüngeren dabei zu, wie er sich vor Lachen krümmte, aber war dann doch still, bis er sich einigermaßen beruhigt hatte.

„Aua…“, maulte Katsuya, „Aua… ist eigentlich schon mal jemand an Lachen gestorben?“

„Ja.“, der Ältere lächelte trotz seiner Worte, „Bauern in tiefen Schulden konnten in der Zeit der Römer damit bestraft werden, das man sie anband, Milch auf ihre Füße träufelte und die Ziegen auf sie losließ. Die leckten die Füße ab und die Bauern lachten sich wortwörtlich zu Tode. Erstickt an ihrem Lachen. Eigentlich ein ganz netter Tod, meinst du nicht?“

„Ähm…“, der Blonde beäugte den Fahrenden kritisch, „Sagen wir, einschlafen und nicht wieder aufwachen hört sich freundlicher an.“

„Friedlicher, wohl wahr. Aber das Glück hat man selten. Mein Bruder ist verblutet, meine Mutter hatte wahrscheinlich Herzversagen, mein Vater einen Autounfall und mein Adoptivvater hat sich das Genick gebrochen.“, zählte Kaiba auf, „Kaum ein friedlicher Tod darunter, würde ich sagen.“

„Aber…“, Katsuya verschränkte die Arme und schluckte, „Sie sind doch wenigstens relativ schnell und schmerzarm gestorben, oder?“

„Wohl wahr.“, der Brünette legte den Kopf zur Seite, doch ließ den Blick auf der Straße, „Obwohl ich es bei meinem Vater nicht weiß. Eine Arbeiterin vom Jugendamt ist gekommen und hat mir erklärt, dass mein Vater einen Unfall hatte und ich mit meinem Bruder mit ihr kommen muss. Wir haben nur noch schnell gepackt und kamen direkt ins Waisenhaus. Und außer für eine Gerichtsverhandlung auch nicht wieder heraus. Damals wollte uns keiner unserer Verwandten haben, deshalb blieben wir schließlich auch im Waisenhaus. Mein Gott, Mokuba war erst zwei… er hat jede Nacht geheult und wollte nach Hause. Unsere Zimmernachbarn haben nur gesagt, wir sollen endlich leise sein und die Nachtschwester konnte nichts tun außer Mokuba noch mehr zum Weinen zu bringen. Jede Nacht habe ich ihn getröstet. Beim Einschlafen, bei jedem Alptraum, am Morgen… die erste Zeit war ich wie tot. Sieben Jahre alt und ganz klar völlig überfordert. Alles war neu, ich war fast allein, keine Ansprechperson, nachts kaum Schlaf und ich musste mich um meinen Bruder kümmern. Jeden Tag habe ich ihn mit in die Schule genommen, weil er sonst das ganze Heim zusammen schrie, wenn ich ihn allein ließ. Nach zwei Wochen war ich das erste Mal im Krankenhaus, nach dreieinhalb Wochen wieder… tja, danach habe ich jeden Nachmittag geschlafen und Hausaufgaben in Rekordzeit erledigt. Und drei, vier Monate später konnte ich Mokuba auch tagsüber im Heim lassen und nachts schlief er durch… aber der Anfang war Horror.“, der Ältere seufzte, „Deshalb war ich mir auch so unsicher, was für dich das Beste ist. Eine Woche vergeht und du liegst wegen eines Nervenzusammenbruches im Krankenhaus…“

„Tut mir Leid…“, murmelte Katsuya.

„Wage es ja nicht dich dafür zu entschuldigen. Ich meine, schön, dass du es gelernt hast, aber du brauchst es nicht für Dinge zu tun, für die du kaum etwas kannst.“

„Aber ich habe mich überfordert.“, er seufzte, „Ich habe mich selbst überschätzt.“

„Entschuldige dich bei deinem Körper, wenn du es unbedingt willst. Aber nicht bei mir. Ich wüsste gern, ob du etwas ändern möchtest oder vielleicht erstmal etwas Auszeit von der Schule willst oder… irgendetwas.“

Der Braunäugige warf einen Blick zur Seite. Kaiba presste die Lippen aufeinander und sein Gesicht zeigte wieder von dieser altbekannten Anspannung.

„Sie haben mehr für mich getan als irgendein anderer Mensch auf dieser Welt und auch mehr als ich mir jemals erträumen konnte.“, flüsterte Katsuya, „Ich bin dankbar für alles. Es gibt wahrlich nichts, was ich noch mehr verlangen könnte. Ich wüsste nicht einmal etwas. Ich muss nur… mit mir selbst fertig werden.“

Shopping

Shopping ist ein wahrlich guter Titel - erinnert mich daran, dass ich am Freitag das Weihnachtsgeschenk für meine Freundin abholen muss. Tja, Weihnachten ist wahrlich ein Datum... und noch über einen Monat hin, aber das geht nicht so wirklich in meinen Kopf. Ich meine, das Fest der Liebe feiert man täglich, oder? Und es ist historisch bewiesen, dass Jesus gar nicht an diesem Datum geboren wurde. Warum also feiern? Um des Feierns willen. Und schon unterstütze ich es wieder ^.^ Wenn man bloß diese Engel und das Glitzerzeugs und all das wegräumen würde... nur die Leuchtketten können bleiben, die sind hübsch ^v^

Äh ja, zurück zu Dead Society *hüstel* Die beiden Hübschen hier haben zwar kein Weihnachten, aber ungefähr die Stimmung. Entspannt euch ein Ründchen ^.^ Und macht euch eine heiße Schokolade, sowas wirkt Wunder - aber nicht das Pulverzeugs, echte Schokolade. Tafel in Milch, heißmachen und trinken ^.^ Viel Spaß beim Lesen!
 

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„Ähm, Herr Kaiba…“, Katsuya warf einen Blick auf die beiden Taschen in seiner Hand, „Die passen nicht mehr in den Kofferraum.“

„Wozu hat man eine Rücksitzbank?“, erwiderte der nur und trat neben den Jüngeren, „Außerdem ist da noch massig Platz, man muss nur ein wenig umpacken. Schmeiß’ einfach die Tüte mit dem Rasierwasser zu dem Bademantel und stopf’ die Schlappen noch drauf. Am besten wir bringen alles in den Wageninnenraum, dann haben wir den Kofferraum für die Lebensmittel.“

„Was für Lebensmittel?“

„Supermarkt, Lebensmittel, Essen. Oder wovon wolltest du dich ernähren? Du hast vorgestern einen Einkaufszettel geschrieben, schon vergessen?“

„Klar.“, der Blonde trug die Tüte mit seinen Kunstsachen und den restlichen Schulsachen auf die Rückbank und machte sich danach an die Klamotten und die Badartikel, „Denken sie, so was merke ich mir?“

„Normalerweise erwarte ich das, ja.“, der Brünette zog an seiner Zigarette und sah dem Jüngeren beim Umpacken zu, „Und pass’ mit den Glasflaschen auf.“

„Ja ja… ich weiß, ich habe ihre volle moralische Unterstützung, was?“

„Ich habe gezahlt, schleppen musst du.“, Kaiba sandte ihm ein kaltes Lächeln, „Das nennt man Arbeitsteilung.“

„Teamwork. Toll, ein and’rer macht’s.“

„Du hast das Prinzip verstanden.“, der Ältere zog noch einmal und trat die Zigarette aus, „Soll ich dir vielleicht helfen?“

Katsuya, der gerade die letzte Tasche umgestellt hatte, wandte sich langsam dem Anderen zu und sandte von sich aus einen kalten Blick.

„Das nenne ich mal Erziehung.“, stellte Kaiba schmunzelnd fest, „Du hast ja schon richtig etwas gelernt von mir. Das ist eine lebenswichtige Begabung.“

„Es wäre zu empfehlen sich in den Wagen zu setzen und den Motor zu starten, bevor ich auf die Idee komme ihnen an die Kehle zu gehen.“, knurrte der Blonde.

„Dein Problemlösungsverhalten verbessert sich auch rapide.“, bemerkte der Ältere weiterhin, „Von Zusammenbrechen sind wir schon auf Aggressionen gekommen.“

„Herr Kaiba!“

„Ja, bitte?“, der Angesprochene lächelte ihn freundlich an.

„Sie sind gemein!“

„Warum?“, er öffnete die Fahrertür und setzte sich in den Wagen, während Katsuya einen wütenden Schrei losließ und beim Einsteigen den Kommentar bekam: „Es ist übrigens sehr erfreulich, dass du deine Emotionen gesundheitsschonend verarbeitest.“

Und der zweite Aufschrei…
 

„Katsuya?“

„Komme sofort!“, der Blick der braunen Augen raste förmlich über eine Reihe von Zeitschriftüberschriften, bis er schließlich nach einer griff, sie kurz aufblätterte, nickte und zu dem Älteren zur Kasse sauste.

„Was hast du da?“, fragte dieser mit einem Zucken seiner Augenbraue.

„Eine Kochzeitschrift für westliches Essen. Das mögen sie doch gern, oder?“

Er blinzelte verwirrt, senkte und hob den Kopf und fuhr fort das Band zu bepacken, was er nur einmal unterbrach, um Katsuya seine Brieftasche zu geben.

„Mit Karte?“

„Wenn sie noch nicht geschmolzen ist.“, murmelte er nur und begann am anderen Ende wieder einzupacken.

„Eines Tages zahle ich ihnen das zurück.“, flüsterte der Blonde ihm zu.

„Da können wir dann drüber reden.“, entschied Kaiba nur und ließ sich nicht beim Packen stören.

„Einunddreißigtausendvierhundertzehn, bitte.“, sprach die Verkäuferin sie an, worauf Katsuya ihr die Karte reichte, „Vielen Dank.“, sie buchte den Betrag ab, „Bitte tippen sie ihren Code ein.“, der Brünette lehnte sie vor und berührte einige Tasten des Gerätes, welches sie ihm hinhielt, „Vielen Dank und ein schönen Abend noch.“, sie reichte dem Jüngeren mit einem Lächeln die Karte zurück und die beiden Männer verließen den Laden.

„Warum geben sie mir nicht die Taschen?“, verlangte der Blonde zu wissen – die Abmachung war schließlich, dass Kaiba zahlte und er trug.

„Gute Idee.“, der Lehrer drückte ihm alle vier in die Hand, „Und pass’ auf die Eier auf.“, er lächelte böse und wandte sich ab, indem er weiter ging.

So… war das jetzt eigentlich nicht gemeint gewesen. Katsuya straffte den Rücken. Er hatte schon Schwereres getragen, also bitte. Das würde er doch schaffen. Er bohrte seinen Blick in Kaibas Rücken. Abgesehen davon, dass Mister-unglaublich-höflich die Freundlichkeit in Person war. Da benahm man sich mal nach Vorschrift und dann… das war einfach nur Kaiba. Er schnaubte. Launischer, sadistischer, böser Elendstourist, Falschlächler, Kochniete…

„Katsuya.“, der Brünette warf einen Blick über die Schulter, „Wenn du dich nicht wehrst, glauben andere Menschen alles mit dir machen zu können. Früher hättest du los geschrieen, wenn ich dich so behandelt hätte. Nur weil du willst, dass ich dich mag, heißt das nicht, dass du mein persönlicher Sklave sein musst.“

„Aber sie haben gezahlt… also trage ich.“, der Blonde atmete tief durch.

„Auch Geld ist kein Grund sich minderwertig behandeln zu lassen. Ansonsten endest du wie Yami.“, Kaiba beugte sich vor und nahm die Taschen aus einer seiner Hände, sodass jeder zwei trug.

„Aber wenn ich mich beschwert hätte, wären sie doch böse gewesen, oder?“

„Wenn du mich angemault hättest, ja.“, die blauen Augen richteten sich in die braunen, „Aber du hättest auch freundlich fragen können. Da reagieren eine Menge Menschen sehr positiv drauf. Einige freuen sich helfen zu können, wenn man den Bogen nicht überspannt.“

„O… okay…“, der Blonde ließ den Kopf ein wenig hängen.
 

„Was mache ich denn mit Menschen, die mich bewusst böse behandeln?“

Wenn er schon einen ganzen Nachmittag lang Lektionen bekam, konnte das doch bitte auch drin sein. Vielleicht könnte er Ryou ja einen etwas besseren Vorschlag machen – Kaiba wusste doch schließlich alles, oder? Na ja, fast alles, aber annähernd…

„So wie deine Klassenkameraden?“, er nickte, „Bewusst freundlich handeln. Wenn Menschen mit einem nicht umgehen können, dann sind es freundliche Menschen, die sie hassen sollen. Sich über sie lustig machen, ja, aber nicht hassen. Wenn du sie ganz stoppen willst, dann würde ich allerdings den indirekten Angriff empfehlen. Also verletze sie, ohne dass sie dir nachweisen können, dass du sie verletzt hast.“

„Äh, was?“, der Blonde zog die Augenbrauen zusammen, „Beispiel?“

„Was war denn die letzte Beleidigung, die sie gebracht haben?“

„Dass ich geschwänzt habe. Anscheinend hatten sie nicht mitbekommen, dass ich zusammengebrochen bin.“

„Was haben sie ungefähr gesagt?“, wollte Kaiba wissen.

„Bereust du dein Schwänzen gestern?“, versuchte der Jüngere den Idioten aus der Jungenbande nachzuäffen.

„Nein, überhaupt nicht. Der freie Nachmittag war wahrlich erholungsreich – könnte euch auch gut tun.“, der Brünette setzte sein bestes – falsches – Lächeln auf und blinzelte zweimal, bevor seine Muskeln wieder erschlafften, „Glaube mir, die Leute versuchen es noch ein paar Mal und dann ist Schluss, wenn du das konsequent durchhältst. Mit Schlagfertigkeit kommen solche Idioten nicht zurecht.“

„Dafür muss man nur schlagfertig sein…“, Katsuya spitzte die Lippen, „Aber die Idee hört sich gut an.“

„Man muss sich nur sicher sein, dass das Gegenüber nicht gewalttätig ist, denn sonst wird man recht schnell zusammengeschlagen dafür.“, Kaibas Blick wanderte einmal über seinen Körper, „Aber ich glaube nicht, dass sich das bei dir viele erlauben.“

„Aber bei Ryou.“, der Kleinere sah auf, „Ich frage wegen ihm.“

„Schwer…“, der Brünette legte den Kopf ein wenig schief, „Wenn man schon verprügelt wird, dann ist es ganz hilfreich um mehr zu betteln oder zu schauspielern, wie sehr einem das gefällt, dann kommt man ganz gut davon. Aber Menschen davon abhalten zuzuschlagen?“, er seufzte, „Stärker aussehen. Mehr würde mir da nicht einfallen. Entweder das oder sie wissen lassen, was es für Konsequenzen hätte – und zwar welche, die unzweifelhaft eintreffen und für die anderen nicht hinnehmbar sind. Eine Drohung mit Polizei hilft meistens wenig, außer man kennt die Personen wirklich.“, er zuckte mit den Schultern, „Ich bin überfragt.“

Unbedingt jetzt musste er überfragt sein – toll. Aber was er sagte, half schon stark weiter. Ein Lächeln legte sich auf Katsuyas Lippen. Diese Tipps reichten, um ihre Klassenkameraden abzuhalten. Für den Rest sollte sich Bakura etwas einfallen lassen – apropos, Bakura als großer Bruder war das perfekte Druckmittel. Ryou sollte ihn beizeiten mal mit in die Schule nehmen. Es würde sicherlich keiner wagen Eigentum des Wolfes anzufassen.

„Können wir Bakura mal für einen Tag mitnehmen?“, fragte Katsuya von seiner eigenen Idee begeistert.

„Sicher… warnt die Lehrer aber bitte vor.“

„Okay.“, das Lächeln wurde durch ein fettes Grinsen ersetzt.
 

„Soll ich das nicht ausräumen?“, fragte Katsuya mit zusammengezogenen Augenbrauen, während Kaiba die Lebensmittel auspackte und einräumte.

„Nein, sollst du nicht. Du sollst dir dein Schulzeug schnappen und Hausaufgaben machen.“

„Aber das Gemüse braucht eine zarte Hand.“

Der Brünette stoppte in der Bewegung, gebeugt über der Tasche auf dem Küchenboden und hob langsam den Kopf – dem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, wäre seine nächste Frage, ob Katsuya den Verstand verloren habe.

„Und jemand muss auf die Eier aufpassen.“, beteuerte der Blonde.

„Kleiner, wenn du unbedingt auspacken willst, meinetwegen, aber deine Hausaufgaben wirst du trotzdem machen müssen.“

„Die Pflicht ruft!“, er machte auf dem Absatz kehrt und holte seine Tasche aus dem Flur, um sich ins Wohnzimmer zu setzen.

Nicht, dass Kaiba noch auf die Idee käme, er suche nach Arbeit – aber wenn man dafür die Hausaufgaben weglassen könnte, war das doch stark verlockend. Sehr stark, um es genau zu nehmen. Hausaufgaben waren so öde und trocken und… er könnte natürlich auch mit Japanisch anfangen, das war meistens lustig.

„Herr Lehrer Kaiba, was haben sie uns in Japanisch aufgegeben?“

„Gedichtanalyse!“, schallte es aus der Küche.

„Danke.“, klang es weit weniger enthusiastisch zurück aus dem Wohnzimmer.

Analyse… stundenlange Arbeit für nichts und wieder nichts… obwohl die Gedichte, die Kaiba ihnen gab, eigentlich gar nicht so schlecht waren, das heute war schön gewesen. Welches hatte er ihnen denn mitgegeben? Katsuya schlug den Block auf und suchte die Unterrichtsmaterialien. Ein Haiku. Drei Verse und massenweise Verweise. Die Kirschblüte. War es eigentlich auffällig, dass sicherlich die Hälfte ihrer Gedichte von Kirschblüten handeln oder sie als Metapher verwenden? Na, auf geht’s…

„Wie kommst du voran?“

„Bescheiden… das ist langweilig.“, Katsuya seufzte tief, „Können sie uns nicht ein interessantes Gedicht geben?“

„Wie zum Beispiel?“

„Weiß nicht… etwas Kritisches. Oder etwas mit vielen Symbolen. Und ohne Kirschblüten.“

„Ich wollte gerade sagen, mehr Symbole und Metaphern als ein Haiku kann kaum ein Gedicht haben.“, der Ältere ließ sich neben dem Jugendlichen nieder, „Und es sieht auch nicht so aus, als könntest du nichts hineininterpretieren.“, sein Blick glitt über die zwei Seiten, die der Blonde bereits verfasst hatte, „Soll ich es lesen, wenn du fertig bist?“

„Okay…“, Katsuya ließ sich zur Seite fallen, sodass er komplett auf dem Boden lag und zu dem Brünetten aufsah, „Spielen wir noch etwas, wenn ich fertig bin?“

„Meinetwegen.“, der Lehrer schenkte ihm noch ein aufbauendes Lächeln, bevor er sein Buch nahm und sich auf das Sofa setzte.
 

„Würden sie vielleicht auch mal über meine Matheaufgaben gucken?“, fragte der Jüngere, während er zur Couch krabbelte und mit weit geöffneten Lidern und vorgeschobener Unterlippe zu Kaiba aufsah, „Bitte.“

„Ich mache das auch ohne Hundeblick.“, er nahm die Blätter entgegen und gab dem auf dem Boden Sitzenden seinen Aufsatz dafür wieder, „Kommentar habe ich dir drunter gesetzt, dann sieht das nicht so inoffiziell aus. Nur falls jemand mal fragt, warum du dich plötzlich so verbesserst.“

„Ist der gut?“, erwiderte Katsuya erstaunt.

„Ja, ist er.“, antwortete der Ältere schlicht, sah ihm dabei in die Augen und wandte sich darauf der Mathematik zu, „Ob ich das hiervon auch behaupten kann, werden wir sehen.“

„Wahrscheinlich nicht, ich kann das immer noch nicht. Aber morgen bin ich ja wieder bei Ryou, der wollte mir das erklären.“

Kaiba nickte unmerklich – der war wohl in Mathe vertieft. Auch gut. Also weiter mit Geschichte. Und vorher noch diesen Kommentar. Gute Rechtschreibung, wenig Zeichenfehler, gute Deutungsansätze, zu wenig Struktur, kein formelles Muster, keine Einbeziehung rhetorischer Mittel – was zur Hölle war das? – fehlende Angaben zu Autor, historischen Kontext und formale Einordnung. Ja… genau… und das hieß was?

„Und mit so viel Fehlern nennen sie den Aufsatz gut?“, dass das eine Menge war, erkannte sogar er.

„Gut heißt, es ist schön bearbeitet und gedeutet, aber dir fehlen massenweise Formalien.“

„Wozu braucht man Formalien?“, er wurde leiser, „Und was sind Formalien?“

„Formalitäten wie den strukturellen Aufbau einer Analyse und die Erfüllung jedes geforderten Strukturbereiches.“, Kaiba sah auf, „Jedes offizielle Dokument wie Analysen, Briefe und Urkunden hat einem bestimmten strukturellen Aufbau zu verfolgen. Wenn du zum Beispiel ein Bewerbungsschreiben nicht nach der richtigen formellen Struktur schreibst, ist das für einen Arbeitgeber schon mal das beste Anzeichen, dass du nicht geeignet bist.“

„Wetten, das hätte ich in der Mittelstufe lernen sollen?“, fragte der Blonde mit hängenden Schultern.

„Wette gewonnen. Ich habe ganze Listen über formalen Aufbau, weil das einfach grundlegend ist… ich kopiere dir die Wichtigsten einfach nachher.“, Kaiba wandte sich wieder den Matheaufgaben zu, „Das ist leicht, wenn man es einmal gelernt hat.“

Leicht im Sinne von leicht oder im Sinne von für Kaiba leicht? Dieser Tag hatte mal wieder bewiesen, dass dieser Mann da doch ein wenig andere Maßstäbe setzte als er selbst. Aber vielleicht würde es sein, wie Mai gesagt hatte – wenn er jetzt noch nicht mithalten konnte, würde es nicht lange dauern und er konnte es einigermaßen.

„Du solltest mit Ryou am besten noch einmal die Aufleitung für die Integralberechnung mit z wiederholen. Die meisten deiner Aufleitungen sind nicht richtig.“

Oder auch nicht…

Menschlichkeit

Viele Worte zu sagen ^.- Zum einen, warum das Kapitel früher on ist: Ich werde bis Sonntag einschließlich nicht da sein, also keine Antworten auf Kommentare oder ENS meinerseits. Aber sobald ich wieder Zeit habe, gibt es die natürlich ^.-

Zum zweiten: Zur Feier des bis dahin vielleicht bestehenden 1000. Kommentar (wenn nicht, auch nicht schlimm - aber bei so etwas sollte ich vorplanen ^.^") werde ich zwei Kapitel hochladen. Das 85 und das 86 ^.- Das möchte ich nur schonmal festhalten ^.^ Und ein Weihnachtsspecial werde ich mir auch noch überlegen...

Zum dritten: Ich möchte es noch mal für alle sagen, weil das im letzten Kapitel doch sehr stark herauskam. Katsuyas Alltag ist von mir für einige Zeit so intensiv verfolgt worden, weil er für seine persönliche Entwicklung wichtig ist. Wenn es einigen Menschen dabei langweilig geworden ist, tut mir das Leid. Ich werde trotz allem nicht von meiner Planung abweichen. Und die Planung sieht vor, dass wir ab diesem Kapitel auf den zweiten Höhepunkt zusteuern und ich hoffe, dass der euer Interesse wecken wird.

Meldung Ende ^.- Viel Spaß beim Lesen.
 

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„Grmbl…“

„Nicht grummeln, aufwachen.“, befahl Kaiba und sprach danach zu sich selbst, „Nächstes Mal muss ich an den Wecker denken… schon wieder vergessen.“

„Schlafen…“, verlangte der Blonde müde und kuschelte sich tiefer in seine Decke.

„Kleiner Idiot.“, ein Piepsen drang aus der Brusttasche des Hemdes, das der Ältere heute trug, „Du kriegst Rettung in letzter Sekunde.“, er bestätigte den Anrufer und hielt das Handy an sein Ohr, „Guten Morgen, Kaiba am Apparat … ja… das kommt ja sehr unvermutet.“, seine Stimme triefte vor Sarkasmus, „Was? Ich? … Ihnen ist klar, dass ich das nicht studiert habe? … Natürlich kann ich das, aber offiziell… Herr Direktor, darf ich sie daran erinnern, dass ich vom Ministerium komme? … Nun gut, wie sie wünschen. Für’s erste wird es wohl das Beste sein. … Ja… auf Wiederhören.“

Die braunen Augen beobachteten den Seufzenden durch halb geöffnete Lider.

„Na komm, auf mit dir. Dein Englischlehrer ist krank gemeldet und ich vertrete ihn.“

„Echt?“, fragte Katsuya und richtete seinen Oberkörper auf.

„Ja, echt.“, der Ältere musterte ihn kurz, „Steht diese Tatsache mit deiner plötzlichen Wachheit in einem mir erschließbarem Zusammenhang?“

„Vielleicht.“, meinte der Kleinere mit einem Grinsen, schlug die Decke zurück und machte sich auf ins Bad, „Bis gleich!“

Er hätte schwören können beim Blick über die Schulter Kaiba lächelnd den Kopf schütteln zu sehen… na ja, er könnte sich auch täuschen. Es galt diese glückliche Fügung des Schicksals zu bedenken – hatte er den Englischlehrer als endlich vergrault! Na ja, nicht dass er es sehr direkt gemacht hätte, aber ein wenig Sabotage des Unterrichts konnte doch nicht schlimm sein, nicht? Nein, ganz bestimmt nicht. So was doch nicht. Sein Spiegelbild begegnete ihm mit einem breiten Grinsen. Oh ja… das machte doch gar nichts…

Und Kaiba als Vertretung! Allen himmlischen Mächten sei Dank für diese Schicksalsfügung. Das Glück schien wieder auf seiner Seite. Nein, besser – die Geister der Erde hatten ihren Segen gegeben. Oder… ach, egal, es war einfach nur zum Feiern. Der Direktor schien doch nicht zu unnützlich im Allgemeinen, wenn er Kaiba dazu bringen konnte Regeln zu brechen. Wenn das Ministerium das herausfinden würde… oh, da sollte er wirklich dran denken. Was, wenn ein Schüler, der es auf Kaiba abgesehen hatte, das Ministerium benachrichtigte? War Kaiba da mächtig genug, dass er sich durchsetzen konnte?

Der Gedanke, dass er das nicht könnte, schien eher absurd, wenn man es so betrachtete. Kaiba, Morgen- und Abendstern der Gesellschaft, nicht in der Lage so etwas zu vollbringen? Er sollte nur darauf achten, dass er ihn nicht überschätzte. Alles in allem war auch Kaibas Einfluss begrenzt. Aber wie begrenzt? Er sollte den Älteren beizeiten mal fragen. Vielleicht konnte er dabei auch direkt etwas über Noah Kaiba erfahren. Ob die beiden überhaupt Kontakt hatten? Er hatte noch nicht einmal ein Bild von ihm im Haus gefunden. Aber Kaiba schien auch keins von Mokuba zu besitzen, so gesehen… obwohl, sein Kettenanhänger sah so aus, als ließe er sich öffnen. Auch danach sollte er beizeiten mal fragen. Es gab so vieles, was er fragen wollte… warum tat er es nicht? Was hielt ihn zurück? Angst Kaiba zu verletzen? Angst abgewiesen zu werden? Oder Angst… vor der Antwort?

Wie krank war Kaiba wirklich?
 

Was war Krankheit?

Der Blonde ließ den Blick über den Älteren am Steuer wandern. Vielleicht war er krank. Vielleicht war er nur anormal. Wo war der Unterschied? Vielleicht war er auch gesund. Vielleicht waren alle anderen krank… zu viele Gedanken. Wenn Krankheit subjektiv war, wie Yami gesagt hatte, dann konnte Katsuya selbst entscheiden, was krank war und was nicht. Er konnte das für sich selbst entscheiden. Er konnte entscheiden, was er als richtig empfand und was als falsch, was gut war und was böse. Welch eine Macht… welch eine Verantwortung. Macht ging einher mit Verantwortung. Macht über sich selbst hieß auch Verantwortung für sich selbst. Er war verantwortlich, dass es ihm gut ging. Daran hatte er fest zu halten. Drogen machten ihn kaputt. Selbstverletzung machte ihn kaputt. Alkohol… doch, eigentlich machte er ihn auch kaputt, zumindest wenn er sich aus reiner Laune damit befasste. Wozu Alkohol? Es erhöhte nur die Gefahr, dass er abhängig wurde und Kater. Vorteile hatte es für ihn eigentlich nicht – also kein Alkohol. Jetzt konnte er entscheiden. Macht über sich selbst musste nicht bewiesen werden, die gab es einfach. Es war jeder zu verurteilen, der ihm die nehmen wollte – so sah es aus! Er musste sich nicht verletzen, um diese Macht zu spüren. Und sein Vater war ein gottverdammter Bastard, nicht anderes. Hm… apropos.

Kaiba hatte man Unrecht getan. Man hatte ihn nur benutzt. Mindestens sein Adoptivvater schien versucht zu haben ihm jede Macht über sich zu nehmen. Und danach hatte er seine Macht genossen und sie ausgekostet, indem er den alten Kaiba umbrachte. Er hatte die Macht. Was hatte ihn dazu bewegt sie aufzugeben? Warum hatte er seinem Bruder die Firma vermacht? Er hatte jetzt noch ein großes Bedürfnis nach Kontrolle und ein anscheinend geringes Selbstwertgefühl, warum also hatte er das aufgegeben, dass ihm in der Beziehung die Lage verbessert hatte? Noch mehr Fragen. Kaiba war ein mysteriöses Wesen.

„Warum haben sie die Kaiba Corporation ihrem Bruder vermacht?“

„Wie zur Hölle kommst du jetzt darauf?“, fragte der Ältere irritiert.

„Hab’ nachgedacht.“, Katsuya zog ein Bein an und legte seine Arme darauf ab.

„Worüber?“

„Macht und Verantwortung. Ich bin für mich verantwortlich und ich habe Macht über mich. Jeder, der die mir nehmen will, ist zu bestrafen. Und dann kam ich auf sie.“

„Danke, sehr freundlich.“, Kaiba schnaubte, „Bin ich so kontrollsüchtig?“

„Ja, deswegen. Sie sind sehr streng mit sich. Ich habe mir gedacht, dass könnte durch die Kontrolle durch ihren Adoptivvater kommen.“

„Du… beziehst die Kontrollsucht gerade nur auf mich, oder?“

„Was sonst?“, fragte der Blonde und wandte seinen Kopf zum Fahrer.

„Ich dachte, du wolltest dich gerade beschweren, dass ich zu viel Kontrolle auf dich ausübe.“

„Wie?“, er hob die Augenbrauen ein wenig, „Derzeit nicht. Na ja, ein bisschen, bezüglich meiner Schulleistungen. Aber das ist wohl auch nötig. Bei mir finden sie derzeit eine goldene Mitte.“

„Sehr beruhigend…“, murmelte der Brünette.
 

„Sie haben zweimal vom Thema abgelenkt.“, stellte Katsuya fest.

„Kleiner, es ist Mittwochmorgen und ich unterrichte gleich ein Fach, was ich noch nie unterrichtet habe und habe noch nicht einmal ein Schimmer, was ich mit euch machen soll. Könntest du Gespräche über meine Vergangenheit und meinen seelischen Zustand auf einen Zeitpunkt verlegen, wo ich die Nerven dafür habe?“, gab der Ältere mit einem eher unfreundlichen Ton zurück.

„Sorry. Wann passt es?“

„Wenn es egal ist, ob ich einen Anfall kriege. Vorzüglich also spät abends, wenn ich nicht völlig fertig bin.“, antwortete er trotz aller Angespanntheit nun ruhig.

„Okay… ich denke, ich werde in der Pause kurz zu Isis gehen und mir mein Messer wiedergeben lassen. Und ich werde mit Ryou über meine neuen Erkenntnisse bezüglich unserer Klassenkameraden reden. Aber das besser nach der Schule. Ich bin heute wieder bei Ryou, ja? Sie wissen ja, Nachhilfe für… Mathe.“, Katsuyas Stimme wurde leiser, „Hatten sie schon mit Herrn Muto gesprochen?“

„Sagt dir die Redewendung vom Regen in die Traufe etwas?“, fragte der Ältere mit einem… ups… als extrem genervt zu bezeichnenden Blick? Er sollte besser still sein…

„Äh… nein?“

„Vielleicht von einem Fettnäpfchen ins nächste?“

„Schon eher…“

„Gut.“, ihn traf für einige Sekunden ein kalter Blick, „Dann weißt du ja, was jetzt das Beste für dich wäre.“

„Klappe halten?“

„Sehr gute Idee.“

Wie konnte ein Mann mit wenig Selbstwertgefühl so unglaublich selbstbewusst klingen? Das war doch völlig gegensätzlich. Schauspielerte der Mann wirklich so gut? Hielt die Maske so fest? Als hätte er alles eingeübt. Oder hatte er nur so viel Erfahrung? Als könnte nichts ihn aus der Ruhe bringen, selbst wenn er gerade zugab nervös zu sein. Kaiba war… faszinierend.

„Hat es einen Grund, dass ich so angestarrt werde?“

„Ich dachte nur gerade, was für eine… vielschichtige Persönlichkeit sie sind.“

„Wie habe ich das zu verstehen?“, ob er direkt in das nächste Fettnäpfchen trat?

„Als wäre da ein frierendes Kind, das sich in immer mehr Decken hüllt. Und diese Decken sind angelernte Verhaltensweisen.“, und platsch… anbei, wie kam er auf so ein Gesülze? Das hatte er gar nicht sagen wollen! Oh mist…

„Und das Kind ist die Angst. Und wenn keine Decke hilft, dann schließt es die Augen. Leben heißt einen großen Deckenvorrat aufzubauen.“, Kaiba parkte den Wagen, „So würde zumindest Yami weitermachen. Die große Theorie der vier Grundängste.“

„Äh… was?“, er hatte eine Theorie gefunden?

„Das ist ein Menschenbild. Im Menschen ist die Angst vor Selbstzerstörung und Tod, Alleinsein und Einsamkeit, Nähe und Abhängigkeit und Kontrollverlust und Chaos. Und jedes Handeln dient dazu diese Ängste zu verringern. Und als nächstes käme die Studie, die beweist, dass Lehrer extrem große Angst vor Kontrollverlust und Chaos und daher ein extrem ausgeprägtes Machtmotiv haben. Und somit kommen wir wieder bei deiner extrem störenden Frage an, warum ich die Kaiba Corp verschenkt habe und stattdessen Lehrer wurde. Und beantworten werde ich dir die Frage sicher nicht jetzt, jetzt haben wir beide nämlich Englisch. Und wenn du jetzt ein Beruhigungsmittel hättest, wäre ich sehr dankbar.“, grummelte der Blauäugige.

„Umarmung?“, flüsterte der Blonde und hob einen Arm.

Vielleicht unterschied sich Kaiba doch nicht so sehr von ihm. Vielleicht war das Angstmodell ganz nützlich. Vielleicht sollte er auch einfach jetzt nicht dran denken, sondern die Umarmung genießen. Auf seine mysteriöse, bizarre, abnormale Art war Kaiba doch irgendwie unglaublich menschlich…
 

„Katsuya...“, flüsterte der Braunhaarige, während er neben dessen Tisch stand – die Stunde hatte gerade geendet, „Könntest du... mal kurz mitkommen?“

„Natürlich.“, der Blonde sandte Ryou einen Blick, der daraufhin dessen Sachen mit einpackte, wofür sich Katsuya mit einem Lächeln bedankte – was könnte Kaiba wollen?

„Was ist denn los?“, fragte der Jüngere vorsichtig, nachdem er die Bürotür hinter sich geschlossen hatte – abgeschlossen, sicher war sicher.

„Ich...“, der Größere lehnte sich gegen das Pult und stützte sich mit seinen Händen ab, bevor sein Oberkörper ein wenig in sich zusammensackte, „Ich weiß auch nicht... Katsuya, irgendetwas ist mit mir. Ich hatte dieses Gefühl lange nicht mehr.“

Wovon sprach er nur? Hatte er etwas in ihrer Stunde gerade nicht bemerkt? Obwohl Kaiba schon auf der Autofahrt ungewöhnlich gewesen war, das stimmte.

„Was fühlen sie?“

„Ich weiß es nicht. Ich will nicht daran denken.“, eine Hand fuhr durch das brünette Haar, „Es macht mich wahnsinnig.“

„Was ist früher passiert, wenn sie dieses Gefühl hatten?“

„Ich...“, der Blauäugige blickte gehetzt auf, „Ein Anfall. Ein schwerer. Einer, der über Stunden anhielt. Und wenn ich aufwachte...“, er sah auf seine Hand hinab, die er kurz vor sein Gesicht hielt – sie bebte, „Blut.“

„Was?“, Katsuya zog die Augenbrauen zusammen – das klang wie diese Verwirrung, die er vorgestern hatte... nur schlimmer.

„Ich glaube, es war mein Blut.“, der Ältere schüttelte langsam den Kopf und flüsterte, „Ich kann mich nicht erinnern.“

„Reden sie weiter. Versuchen sie ihr Gefühl in Worte zu fassen.“, bat der Kleinere und blieb auf zwei Schritten Abstand. Kaiba war unheimlich.

„Meine Hand... ist zerrissen.“, stellte der Andere mit weit geöffneten Lidern fest, „Überall Furchen... Gräben.“, seine Finger zuckten, als könnte er sie nicht kontrollieren und mit seinem Blick in ihrer Stellung halten, „Farben... meine Hand ist leichenfarben... Ist das meine Hand?“

„Ja, das ist ihre Hand.“, selbst wenn Kaiba ihm etwas antun würde – er konnte sich wehren, „Sie ist schön. Und ganz normal, wie eine schöne Hand sein sollte.“, er trat näher heran und nahm Kaibas Hand in seine, „Oder sind meine Hände auch leichenfarben? Und zerrissen?“

Der Ältere starrte auf die jungen Hände. Seine Hand schloss sich um Katsuyas Linke, löste sich, der Mittelfinger malte Kreise auf den Handrücken. Der blausilberne Blick glitt von der verwöhnten Hand über Katsuyas Arm zu dessen Gesicht.

„Katsuya.“, stellte Kaiba fest, als hätte er von dessen Anwesenheit nichts gewusst.

„Ich bin da.“, definitiv, er wurde von einem Anfall überrollt – aber er verfiel ihm nicht. Noch nicht.

„Katsuya...“, plötzlich zuckte er und zog seine Hand zurück, „Du bist ekelhaft.“

In seiner Stimme ein Ton von Angst und Abneigung. Das... konnte er nicht ernst meinen. Nein. Katsuya atmete tief durch. Er hatte ein Anfall.

„Alles ist ekelhaft.“, er legte die Arme um sich selbst, „Ich will das nicht. Ich will nicht.“

Was sollte er tun? Was sollte er tun? Er sackte ab! Verdammt, was sollte er tun? Psychohygiene. Sport. Baden. Meditieren. Beten. Weinen. Schmerz. Sollte er Kaiba etwa auch schlagen? Aber, wenn er dann ausbrach... ein Zittern ging durch den Blonden. Psychohygiene... er sollte Yami besser zuhören. Was hatte er noch gesagt?

„Ich ersticke.“, hauchte der Brünette und sein Blick glitt zu Boden.

„NEIN!“, schrie Katsuya mit voller Kraft.

Anxiety

Mir ist nebenher mal aufgefallen, dass ich einmal versehentlich zwei Kapitel mit deutschem Titel hintereinander gebracht habe... aber ändern werde ich es nicht mehr ^.^ Manche Dinge kann man irgendwie nur in Englisch wirklich ausdrücken. Die Sprache hat irgendwie meine volle Liebe, obwohl ich den Unterricht nicht mag v.v

Ich finde es übrigens sehr erfreulich, wie realistisch ihr euch selbst einschätzt, wenn ich versucht euch in diese Situationen zu versetzen. Kaum einer wüsste, was man tun sollte - die einzigen Ideen waren einen Krankenwagen oder Yami zu rufen. Es gab in dieser FF insgesamt schon mehrere Situationen, wo sicherlich viele nicht gewusst hätten, wie sie reagieren sollen. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass einige der vorgestellten Reaktionen definitiv nicht die Angemessensten sind - aber etwas tun ist immer besser als nichts. Katsuyas hier gegebene Reaktion ist definitiv keine Empfohlene, aber manchmal hilft sie ^.-

Und jetzt viel Spaß beim Lesen und einen frohen Advent ^.-
 

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Kaiba zuckte heftig zusammen, sein Kopf flog nach oben und seine Lider rissen auseinander.

„Sie bleiben hier!“, schrie der Blonde weiter, „Wenn ich mich schlecht fühle, soll ich zu Hause bleiben, ja? Und sie? Wenn sie sich schlecht fühlen, dann funktionieren sie einfach weiter, als könnten sie bequem mit kaputten Teilen arbeiten! Und, was wollen sie tun, jetzt wo sie die Arbeit nicht abgelenkt hat? Noch weiter funktionieren? Sie machen sich kaputt! Denken sie nächstes Mal nach, bevor sie so eine leichtsinnige Aktion starten! Sie können auch mal einen Tag schwänzen! Und weil sie so einen blöden Fehler gemacht haben an so einem Tag nicht zu Hause zu bleiben, werden sie jetzt gefälligst auch keinen Anfall kriegen! Ich verbiete das!“

Bei. Allen. Göttern.

Die Zeit blieb stehen. Da war keine Zeit. Es war alles nicht wahr. Er hatte das nicht gesagt. Das konnte er nicht gesagt haben. Bewegungslos betrachtete er die vor Schock geweiteten Lider, die halbgroßen Pupillen, die stumm geschlossenen Lippen, die Brust, die sich weder hob noch senkte.

Ein Schauer durchlief ihn, als wäre ein Regenschwall von oben über ihn herabgesunken. Er hatte es getan. Er hatte Kaiba angeschrieen. Er. Er hatte einen psychisch Labilen... angeschrieen... es war kaum für möglich zu halten, doch Kaibas Augen schienen aus dessen Kopf gedrückt zu werden. Die Zeit lief wieder.

Arme schnellten in die Höhe, Hände, Finger, Nägel krallten sich in die mit brünettem Haar bedeckte Kopfhaut, Knie, Hüfte, Oberkörper gaben nach. Ein dumpfer Laut, eine Teilsekunde nur und Katsuya starrte ins Leere. Kaiba war aus seinem Blickfeld verschwunden.

Eine zusammen gekauerte Gestalt saß stattdessen vor seinen Füßen, die Beine kraftlos angewinkelt, das Kreuz gebeugt, die Handflächen drückten sich auf die Ohren, als wollte er vom Geschehen nichts mitbekommen.

Von diesem atemberaubenden, trommelfellzersprengenden, gequälten, spitzen Schrei, den die Kreatur selbst ausstieß.

Bevor Katsuyas Hände seine Ohren auch nur erreichen konnten, war es schon wieder still.

Völlige Stille.

Es schienen Stunden zu vergehen, bis Kaiba keuchender Atem wieder einsetzte. Ein Zittern durchlief ihn, die Arme sackten schlaff zu Boden und mit geschlossenen Lidern legte er den Kopf in den Nacken. Braun traf silbernes Blau.

„Das tat gut.“, flüsterte der Ältere und lächelte zu Katsuya hinauf.

„Was ist los?“, schrie eine schrille Stimme von der Tür, „Herr Kaiba, sind sie da drin?“, jemand rüttelte an der Tür, „Herr Kaiba!“

Katsuya schnellte herum, zurück, warf einen Blick zu dem noch leicht desorientierten, verwirrt schauenden Mann, der sich gerade aufrichtete, griff nach dem scharfen Brieföffner auf dem Tisch und fuhr damit über die Handinnenfläche seiner linken Hand, während er die Zähne zusammenbiss. Einige Tropfen Blut sprengten auf der aufgerissenen Haut, verteilte sich in den Furchen, doch er schenkte seinem Werk kaum einen Blick, während er zur Tür rannte.
 

„Katsuya, was soll ich bloß mit dir machen?“, fragte Isis mit einem tiefen Seufzer und tupfte die ihm mittlerweile gut bekannte rote Salbe auf seine Wunde, „Irgendwie fällt es mir schwer zu glauben, dass du dich wirklich versehentlich mit einem Brieföffner geschnitten hast und deswegen dieser markerschütternde Schrei durch die Schule ging. Zum einen halte ich dich nicht für so dumm und zum anderen... nun ja, dein Schmerzniveau liegt anders als bei anderen Menschen.“

Der Blonde musste sich nicht umsehen, um zu wissen mit welchem Blick Kaiba die Schwester gerade bedachte. Wie gut, dass er davon nicht getroffen wurde. Noch nicht. Aber hey, er hatte es schließlich für ihn getan, oder? Außerdem eine selten intelligente Aktion.

„Dem ist so.“, fauchte die Älteste den Lehrer am Fenster an und wandte sich wieder zu dem Blonden, „Bist du sicher, dass du mir nicht die Wahrheit erzählen willst?“, sie beugte sich näher und flüsterte, „War er das?“, sie nickte gen Fenster.

„Nein, das war wirklich ich.“, erwiderte der Jüngste ebenso leise, „Bitte... können wir das Thema wechseln?“

Sie atmete tief ein, lehnte sich zurück und seufzte.

„Wieder zehn Jahre meines Lebens weniger. Ich sterbe noch eines Tages frühzeitig, weil du mich immer so schockst.“, sie nahm eine Rolle Mullbinden, entfernte die Folie darum und begann die Wunde zu verbinden.

„Schützt die Krankenkassen vor unnötigen Ausgaben.“, knurrte der Lehrer, verschränkte die Arme und sah stur weiter aus dem Fenster.

„Danke, sie können sehr charmant und taktvoll sein.“, gab die Schwester zurück und kniff die Lider zusammen, während sie die Lippen schürzte – doch Kaiba machte sich nicht einmal die Mühe sie anzusehen.

„Der ist nur sauer auf mich, weil ich so dumm bin und mich verletzt habe, obwohl ich es hätte vorher wissen müssen. Man sollte mit Dingen, die einem Schmerzen zufügen können, vorsichtig sein.“, erklärte der Blonde Isis, obwohl er dabei den Älteren ansah, über dessen wütendes Gesicht sich ein Schatten von Traurigkeit legte. Sein Kopf ruckte für einen kurzen Moment in Katsuyas Richtung, bevor er seine Schläfe an das Glas legte.

Isis Blick schwenkte von ihm zu dem Schüler, zurück und schließlich auf die Hand, die sie gerade verband. Was immer auch ihre Gedanken waren, sie schien sie für sich behalten zu wollen.
 

„Wo gehst du hin?“, fragte Kaiba tonlos und passte sich Katsuyas Schritt an.

„Erstmal zu ihrem Büro, um ihre Sachen zu holen, dann ins Sekretariat, um uns beide abzumelden, in die Chemie, um meine Schulsachen mitzunehmen und dann zum Wagen, damit wir nach Hause fahren. Fühlen sie sich in der Lage Auto zu fahren?“

„Katsuya… ich muss arbeiten.“, flüsterte der Ältere.

„Gar nichts müssen sie – außer sich auszuruhen. Wir fahren, keine Widerrede.“

„Ich…“, er griff nach dem Ärmel der dunkelblauen Schuluniform, „Ich werde arbeiten…“

„Pflichtbewusstsein in allen Ehren, aber das werden sie nicht.“, bestimmte der Jüngere hart, „Keinesfalls werden sie in ihrem Zustand arbeiten.“

Kaiba verneinte nicht. Er wusste, dass es ihm bescheiden ging. Aber einen anderen Einwand schien er zu haben: „Arbeit lenkt aber ab.“

„Wäre es nicht so schlimm heute, vielleicht, aber nicht nach solch einem Zusammenbruch. Sie sehen nicht so aus, als stecke gerade sehr viel Selbstvertrauen in ihnen.“, Katsuya nahm die Hand, die seinen Ärmel hielt in die eigene und zog den Anderen in dessen Büro, „Was machen wir eigentlich bezüglich der Videoaufnahmen?“, er warf einen schnellen Blick zur Kamera.

„Die nehmen nichts auf.“, flüsterte Kaiba, „Die Schule wurde verklagt, danach mussten sie sie ausmachen…“

„Sehr erfreulich.“, der Blonde griff nach dem Mantel und hielt ihn so, wie der Kellner es im Restaurant getan hatte, „Haben sie noch mehr als die Tasche, was sie mitnehmen müssen?“

Der Brünette schüttelte den gesenkten Kopf, nahm das Gepäckstück und schloss die Tür nach Verlassen des Raumes ab. Er blieb stumm, während Katsuya den Sekretärinnen erzählte, dass Kaiba sich bereit erklärt habe ihn wegen der Hand ins Krankenhaus zu begleiten – oh, wie freundlich sie plötzlich waren – und wartete vor der Tür, als Katsuya sich bei seinem Chemielehrer entschuldigte, Ryou eine Entschuldigung für die restlichen Stunden reichte, sich selbst entschuldigte, dass er nicht kommen könnte und sich schnell seine Nummer geben ließ – so viele Entschuldigungen hatte er selten hervorgebracht – und beide schließlich nach Hause fuhren.

Zum Glück ohne Zwischenfälle. Er sollte vielleicht Yami beizeiten fragen, ob man in labilen Zuständen vielleicht nicht Autofahren sollte. Aber Kaiba war dabei sehr sicher, zumindest bei ihm schien es gerade keine übermäßig waghalsigen Manöver hervorzurufen. Keine überfahrene rote Ampel, keine verzögerte Reaktionszeit. Zumindest wirkte es so.

Katsuya beobachtete den Fahrer genau. Er hatte den Gedanken lange nicht mehr gehabt, doch in Momenten wie diesen kam er wieder auf: Was ging bloß in seinem Kopf vor?

Kaiba war ein Mann von übermenschlicher Schönheit, seidiges Haar, samtene Haut, funkelnde Augen und geschmeidig aussehende Lippen. Eine kräftige, athletische Statur, kein Gramm Fett zu viel, geschmackvolle, edle Kleidung. Und doch war dieser Mann wie zerstört. Er war ein Drache, aber einer mit rissiger Haut, Flügeln, die nie das fliegen gelernt hatten und weißen Augen. Und obwohl er so verletzt war, hatte er Katsuya zu sich gelassen. Kaiba war so unglaublich stark – er hatte vertraut. Er hatte es geschafft Vertrauen zu schenken. Und er sollte es nicht bereuen.

In Katsuyas Brust schien ein Feuer zu entfachen. Vielleicht würde er sich zu Tode kämpfen. Yami hatte ihn gewarnt, man konnte nur wenige Menschen mit Liebe und Zuneigung retten. Vielleicht würde ihn dies zerstören. Aber wenn es ihn zerstörte, so konnte er wenigstens eins sagen: Sein Leben hatte einen Sinn gehabt.

Und wenn es nur der Versuch war, ein einzelnes Wesen zu retten. Denn dieses Wesen war die Mühen wert. Dass Mokuba gescheitert war, hieß nicht, dass er das auch tun würde.
 

Kaiba stellte den Motor ab, seufzte und sank in den Sitz zurück.

„Wie geht es ihnen?“, fragte der Blonde vorsichtig.

„Ich bin müde…“, flüsterte der Ältere und fuhr sich mit Zeigefinger und Daumen über Augen und Nasenwurzel, „Solche Anfälle laugen aus.“

„Wie wäre es dann, wenn wir es uns im Wohnzimmer gemütlich machen? Ich koche heiße Schokolade und wir breiten uns mit Decken und Kissen vor dem Sofa aus.“, schlug Katsuya vor.

„Da schlafe ich dir ein…“

„Ist wahrscheinlich auch eine gute Idee. Kommen sie.“, er stieß ihn leicht an und verließ selbst den Wagen – Kaiba folgte nur noch widerstandslos. Er schloss den Wagen zu, die Haustür auf, holte wie ihm angewiesen sein Bettzeug und legte alles so hin, wie der Jüngere es ihm sagte. Ihn schien wirklich jeglicher Eigenwille verlassen zu haben.

Katsuya schluckte. Ob er das Richtige tat? Wenn er bloß Yami hier hätte. Er musste so viel fragen. Einmal tief durchatmend griff er die beiden Becher Schokolade und trug sie ins Wohnzimmer, wo Kaiba sogar schon den Couchtisch zu umgestellt hatte, wie er vorhin darum bat. Derzeit kniete er einfach nur apathisch auf dem Boden. Kompliziert. Na, wenigstens wusste Kaiba, dass er kompliziert war. Aber wer war das nicht?

„Hey…“, flüsterte der Blonde, stellte ein Gefäß ab und hob das andere zu Kaibas Lippen, „Schoko. Trinken sie doch etwas.“

Der Brünette tat wortlos wie gebeten und leerte es direkt um die Hälfte.

„Wie wäre es mit hinlegen?“

Dasselbe. Er tat einfach alles ohne auch nur einen Ton dazu verlauten zu lassen. Wann hatte er bloß solch ein Verhalten gelernt? Bei seinem Adoptivvater? Ruhig deckte der Neunzehnjährige den Anderen mit seiner Decke zu, faltete das Kissen einmal in der Mitte, schob es unter den braunen Schopf und setzte sich an dessen Ende, um mit seiner Hand Kaibas Kopf kraulen zu können – was als einziges eine selbstständige Handlung hervorrief, denn der Liegende drehte den Kopf so, dass es viel Fläche dazu gab.

„Würden sie mir von ihrer Kindheit erzählen?“, fragte Katsuya und versuchte so sanft wie möglich zu klingen.

„Von welchem Teil?“, flüsterte die verwöhnte Person am Boden.

„Allem. Von Anfang an.“

„Das wird lange dauern.“, warnte der Blauäugige vor und richtete seine Augen in dieselbe Richtung wie Katsuya – auf die Wand.

„Wir haben den ganzen Tag.“

„Das wird reichen.“, Kaiba atmete tief ein und begann zu sprechen.

Wahrer Schmerz

Guten Abend allerseits ^.-

Wie versprochen gibt es als Dank für diese unwerfende Kommentarzahl (und glaubt mir - ich kann es nicht glauben) zwei Kapitel ^.^ Wie schon vermutet ist der Inhalt Kaibas Vergangenheit und ich möchte an dieser Stelle nicht mehr tun als euch viel Spaß beim Lesen zu wünschen und mich bei allen für ihre Kommentare zu bedanken ^.^

(Dank auch an die, die mir die Daumen gedrückt haben - ich bin endlich durch meine Prüfungen durch)
 

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„Es begann alles mit einer Geschäftsreise meines Vaters nach Europa. Er traf meine Mutter auf einem Meeting und nach den zwei Monaten, die er drüben verbracht hat, willigte sie ein mit ihm nach Japan zu kommen.“, begann Kaiba in einem ruhigen Ton mit sehr leiser Stimme, „Es dauerte keine vier Monate und sie heirateten. Nur anderthalb Jahre später wurde ich geboren. Vater war schon damals viel auf Reisen, doch Mama kümmerte sich hingebungsvoll um mich.“, Katsuya strich wie abwesend Strähnen hinter dessen Ohren, während er versuchte sich das vorzustellen, „Ich weiß noch, dass sie immer sehr zierlich war und sehr weiche Hände hatte. Und lange hellbraune Haare. Und natürlich blaue Augen. Meine Augen und ein paar Erinnerungen sind alles, was ich noch von ihr habe.“, der Blonde konnte spüren, wie sich die Gesichtsmuskeln des Liegenden langsam entkrampften, „Als Mokuba geboren wurde, war ich fünf Jahre alt. Ich weiß noch, dass ich mich sehr gefreut habe ein Geschwisterchen zu bekommen, aber ich habe Mamas Bauch immer doof gefunden. Ich konnte sie gar nicht mehr umarmen.“, er schnaufte leise, „Sie starb kurze Zeit nach der Geburt, ich habe sie also nicht wieder aus dem Krankenhaus kommen sehen. Krankenhäuser sind für mich Totenhäuser. Die Einstellung habe ich bis heute.“

Kaiba musste sie wirklich noch mehr hassen, als er selber es tat. Und er hatte nicht einmal solch einen Grund. Nur Angst. Viel Angst…

„Mein Vater sagte mir, sie sei ein Engel geworden und hätte uns Mokuba gegeben, damit wir nicht traurig um sie sind. Und darum war er alles für mich. Wir bekamen zwar ein Kindermädchen, aber die hat ihn gerade mal gefüttert und manchmal Windeln gewechselt. Ansonsten zog sie Mamas Klamotten an, las ihre Bücher oder sah fern. Vater bekam davon natürlich nie etwas mit, er war schließlich auf Reisen. Ich war derjenige, der den ganzen Tag auf Mokuba aufpasste und mich um ihn kümmerte, wenn etwas war. Ich habe mich einmal sogar selbstständig in den Terminkalender meines Vaters geschrieben – Schreiben konnte ich, seit ich drei war – und habe ihm dann gesagt, dass er die Kinderfrau ermahnen muss regelmäßig mit uns zum Arzt zu gehen. Sie hat Ärger bekommen und mich ab dann andauernd geohrfeigt, aber sie hat es getan. Wobei übrigens festgestellt wurde, dass Mokuba dringend geimpft werden musste.“, Kaiba hatte ab seinem fünften Lebensjahr Verantwortung für andere übernommen… fünf Jahre Kindheit? Katsuya unterdrückte ein Seufzen. „Ich schrieb die Einkaufszettel, putzte das Haus und meistens erledigte ich sogar die Einkäufe mit Mokuba in einer Tragetasche an meiner Brust, während diese Schnepfe zu Hause saß und Vaters Alkoholsammlung durchprobierte. Aber Vater wusste ja von nichts und ich dachte, das müsste so sein – Mama war ein Engel, also war ich die neue Mama. Schließlich konnte ich das besser als diese Frau.“

Kindliche Logik war eine grausame Logik, wenn es zu solchen Situationen kam. Katsuya erkannte es nur wieder. Es war immer und immer wieder dasselbe…

„Vater hatte schließlich einen Autounfall, als ich gerade sieben geworden war. Mokuba konnte schon ordentlich laufen, doch im Endeffekt war er noch ein Baby. Eigentlich sollten wir zu Verwandten kommen, doch uns wollte keiner. Es stellte sich heraus, dass mein Vater einige Familienmitglieder um Geld betrogen hatte und da er selbst in Schulden stand, blieb auch nichts, was man dafür bekommen hätte uns zu nehmen. Also kamen wir ins Waisenhaus. Erster Abschnitt meines Lebens rum.“

Katsuya lief eine Träne über die Wange. Kaibas Ton war kalt. So unglaublich kalt.
 

„Den Teil danach habe ich dir größtenteils schon erzählt. Mokuba war und blieb mein Ein und Alles. Ich hatte ihn damals ungern bei der Frau gelassen, aber ich wusste, es war nötig. Die Erzieherin im Waisenhaus war für mich ungewöhnlich nett und ich vertraute ihr schnell, sodass ich ihn bei ihr lassen konnte. Na ja, nachdem Mokuba in der Lage war ohne Tobsuchtsanfall ohne mich zu bleiben. Ich lernte wie ein Besessener, weil ich wusste, dass man nur mit hoher Bildung einen guten Job bekam, nicht nur weil mir langweilig war. Ich hätte mich auch stundenlang mit meinem Bruder beschäftigen können - das tat ich auch, so ist es nicht. Schule, Lernen, Bruder, Schlafen. Vier Jahre dasselbe Programm. Ich war in der Zeit schon sehr kalt geworden, denn ich hatte begonnen Erwachsene zu hassen. Weil ich ein Genie war, wollte mich jeder haben. Aber sobald ich mich weigerte ohne meinen Bruder zu gehen, haben mich alle stehen gelassen. Also ersann ich einen Plan.“, Kaiba atmete tief durch, „Ich kannte Gozaburo Kaiba aus dem Fernsehen. Er war Schachweltmeister, erfolgreicher Unternehmer in der Rüstungsindustrie und nach außen hin ein Wohltäter. Um sein Image zu polieren, besuchte er solche Orte wie Krankenhäuser, Armenküchen und natürlich auch Waisenhäuser. Als er unseres besuchte, war mein Plan gefasst. Ich blockierte den Flur, als er bei uns vorbeikam und forderte ihn zu einer Partie Schach heraus mit der Bedingung uns zu adoptieren, wenn er verlor.“

Wie verzweifelt musste ein zehnjähriges Kind sein solch einen Plan zu fassen? War es nur für seinen Bruder gewesen?

„Der Alte bemerkte es nicht, aber ich habe einmal während des Spiels geschummelt. Mokuba war bis jetzt der einzige, der je davon wusste. Ein kleines, helles Kerlchen, er sah, was Gozaburo übersah. Zumindest verlor er auf diese Weise und dem Versprechen zufolge wurden wir adoptiert. Was ich nicht wusste, war, dass sein leiblicher Sohn Noah vor kurzem einen Unfall gehabt hatte – ebenfalls ein Autounfall. Gozaburo eröffnete mir die Möglichkeit seine Stelle zu übernehmen und das Unternehmen zu erben, wenn ich mich als klug genug herausstellte. Vielleicht kannst du verstehen, dass ich Feuer und Flamme war.“

„Ich kann.“, flüsterte Katsuya lächelnd, „Ihre große Chance.“

„Ich stimmte zu. Und bei allen Göttern – neben dem, was ich Mokuba später antat, war das der größte Fehler meines Lebens.“, zischte der Größere bitter.

„Was sie Mokuba antaten?“

„Dazu komme ich später…“, er atmete tief durch – seine Stimme klang weniger kalt, doch fester, „Zu dieser Zeit wurde Mokuba ziemlich verhätschelt. Jedes Spielzeug, was er sich wünschte, bekam er, er durfte zu einer normalen Schule gehen und hatte ein nettes Kindermädchen.“, er seufzte, „Aber wirklich glücklich war er nicht, denke ich. Ich war fast nie da und bis dahin die einzige Bezugsperson in seinem Leben gewesen. Ich verlernte zu sehen, was mein Bruder brauchte, wenn ich ihn als Belohnung einmal besuchen durfte.“
 

„Als Belohnung?“, fragte der Blonde nach.

„Gozaburo war streng. Meistens lehrte er mich selbst. Nicht nur Sprachen, Naturwissenschaften und Wirtschaft – auch Unterwerfung. Ich trug ein Halsband, an dem er mich durch die Gegend schleifen konnte, wenn ich ihm zu langsam war und er benutzte erst Gerten, später Schlagstöcke für mich.“, Kaibas Stimme war wieder eisig geworden, was Katsuya ihm wahrlich nicht verübeln konnte, „Ich lernte von morgens bis nachts, meistens unter seiner persönlichen Aufsicht. Die Schlagwaffen waren dafür da mich zu bestrafen, wenn ich es nicht schnell genug tat. Und wenn ich gut lernte, bekam ich Essen, durfte meinen Bruder sehen oder für ein paar Minuten nach draußen. Und wenn ich mich auflehnte…“, er schluckte hörbar, „Dann kam ich in den Keller. Im Keller war ein Verlies. Es… war aus Stein. Und die Tür war aus Stahl. Es…“, eine zitternde Hand schaute unter der Decke hervor und Katsuya griff nach ihr und übte einen sanften Druck auf sie aus, „Man konnte darin stehen. Aber mehr auch nicht.“, Kaiba drückte nicht zurück, doch er zog sie auch nicht weg, „Der Luftstrom reichte, um dort zwölf Stunden zu stehen, bevor… bevor es zu stickig wurde und… ich bewusstlos.“

„Wie lange hat er sie dort gelassen?“, fragte der Jüngere ruhig nach und zeichnete mit seinem Daumen Kreise auf den Handrücken.

„Zwischen acht und mehr als zwölf Stunden.“, hauchte der Liegende.

„Hatte er noch andere Strafen?“

„Das eine Mal mit den Halluzinogenen. Ein anderes Mal war ich in seinem Labor. Er hat mich wach gehalten… mit Elektroschocks.“, die Hand krallte sich schmerzhaft um Katsuyas Fingerspitzen, „Aber beides nur einmal. Und als ich in die Öffentlichkeit ging, bekam ich auch genug zu essen. Wirklich gehungert habe ich sowieso nie…“

„Dafür hat er sie geschlagen, oder?“, zumindest hatte er das aus seinen Worten und seinem Verhalten letztens schließen können.

„Manchmal.“, der Blonde ließ seine Finger von der gelockerten Hand über den Arm zurück ins Kaibas Haarschopf gleiten, „Meist hat er gekniffen. Es tat mehr weh und hinterließ weniger Schaden an den Knochen.“

„Warum hat er ihnen all das angetan?“, flüsterte er.

„Ich… ich denke, ich war ihm nicht schlau genug…“, murmelte der Brünette.

„Sie denken, sie seien Schuld, dass der Mistkerl ihnen das angetan hat?“

„Was sonst?“, er drehte sich auf seinen Rücken und sah kurz zu Katsuya auf, „Mit Mokuba und Noah ist er gut umgegangen.“

„Aber sie waren der Erbe. Anscheinend hat er in sie ganz andere Erwartungen gesetzt.“

„Vorher war Noah der Erbe.“, argumentierte der Ältere dagegen.

„Warum war er es nicht mehr?“, vielleicht war er mit Noah doch so umgegangen und er hatte es nur nie gesagt und Noah hatte sich als nutzlos bewiesen… vielleicht.

„Er hatte durch den Unfall eine Fraktur im unteren Lendenwirbelbereich erlitten. Diagnose Querschnittslähmung.“, Kaibas Oberkörper sackte schlaff in sich zusammen, „Sonst wäre ich wohl auch nie adoptiert worden.“

„Vielleicht hat ihr Adoptivvater ja auch seine ganze Frustration darüber an ihnen ausgelassen.“, Katsuya strich zärtlich die Strähnen aus dessen Gesicht, „Ich denke zumindest nicht, dass es ihre Schuld ist.“

„Und wie willst du das beurteilen?“, schnappte der Ältere zurück.

Der Blonde hielt in seiner Bewegung inne, atmete einmal durch und zog seine Hand zurück.

„Tut… tut mir Leid… ich weiß im Prinzip, dass nicht ich es Schuld bin… aber ich kann es einfach nicht glauben. Wenn du immer nur gesagt kriegst, wie dumm du bist, dann glaubst du es einfach… sonst könntest du nicht überleben.“

„Schon gut.“, flüsterte er sanft und strich mit einem Finger über Kaibas Wange, „Ich weiß schon… es ist schwer sich von seinen Vorstellungen zu lösen…“

Der Liegende drückte seinen Kopf gegen die wohltuende Hand.
 

„Wie ging es mit ihnen weiter?“, fragte Katsuya einige Momente später. Er wollte die ganze Geschichte. Er wollte alles. Er würde Kaiba nie wirklich helfen können, wenn er nicht wusste, mit was er zu rechnen hatte. Er musste es wissen.

„Ich wurde auf die Weltwirtschaft losgelassen.“, fuhr der Brünette fort, „Zu meinem Geburtstag bekam ich eine Millionen mit der Aufgabe es in einem Jahr zu verzehnfachen. Ich kaufte einundfünfzig Prozent der Aktien eines guten Unternehmens damit und drohte dann es zu schließen, wenn ich keine Zahlung von zehn Millionen erhielt. Die Firma war perfekt. Menschenfreundlich, sozial, ein seniler, freundlicher Dummkopf als Chef. Er musste einwilligen. Ich ruinierte ihn und erhielt die zehn Millionen – eine Woche und ich hatte bestanden. Und Gozaburo beging den größten Fehler seines Lebens: Er schenkte mir das Geld.“, ein Lächeln legte sich auf Kaibas Lippen – doch es wirkte so kalt, wie sein Blick es war, den er auf die Wand richtete, „Ein halbes Jahr und ich hatte genug Aktien, um zusammen mit dem Vorstand die Kaiba Corp zu übernehmen. Gozaburo stürzte sich aus dem dreiundachtzigsten Stock. Ich kaufte seine Aktien auf, ich ließ seine Rüstungsindustrie sprengen und… als ich Mokuba wieder sah… da tat ich das einzige, was mir richtig erschien mit der Firma…“, er atmete tief ein.

„Was hat ihr Herz ihnen gesagt?“, gab der Blonde ihm einen sanften verbalen Anstoß.

„Spielzeug. Ich wollte Spielzeug herstellen. Und überall Freizeitparks bauen, damit Kinder nicht traurig sein müssen.“, flüsterte der Drache kleinlaut und zog den Kopf etwas ein.

Katsuya blinzelte, lächelte, ließ seine Hand weiter durch die Haare des Liegenden fahren. Das war so unglaublich… unglaublich. Das war so… Kaiba. Einfach Kaiba. Unnatürlich, bizarr und… niedlich? Konnte man das sagen? Eine Art Messer fuhr durch sein Herz und hinterließ einen dumpfen Schmerz. Spielzeug. Kaiba wollte Spielzeug. Die Bernsteinaugen bohrten ihren Blick in den Hinterkopf. Kaiba hatte nie Spielzeug gehabt, seit er fünf Jahre gewesen war. Ein Kind, das fast nie gespielt hatte, wollte… Spielzeug…

Die blausilbernen Seelenspiegel drehten sich zu ihm.

„Du weinst?“, fragte der Ältere und Katsuya musste ein Schluchzen unterdrücken. Da war so viel Schmerz. So unglaublich viel Schmerz in diesen Augen. In dieser Seele, die unablässig nach Liebe schrie und dafür nichts als physische und psychische Schläge erhalten hatte. Und Mord war der Ausweg gewesen. Kaltblütiger, geplanter Mord für… Spielzeug.

„Mokuba hat auch geweint, als ich es ihm sagte.“, Kaibas Unterlippe bebte, die Augen schimmerten im zarten Tageslicht, dass durch die Fenster fiel, „Er hat es gewusst, von Anfang an. Er hat gewusst, dass ich es für ihn getan habe. Dass ich es für ihn ertragen habe. Er hat gewusst, was mir angetan wurde, während er glücklich war. Er hat nie um Vergebung gebeten, aber die Schuld hat ihn aufgefressen. Und ich konnte ihm nicht helfen.“, er schüttelte den Kopf, wobei sich sein Blick in der Ferne zu verlieren schien, „Ich hatte verlernt zu hören. Zu verstehen. Zu fühlen. Ich war taub geworden.“

Katsuya strich ihm die vereinzelte Träne von der Wange, die sich von seinen geschwungenen Wimpern gelöst hatte. Was war schon Schmerz? Wirklich schmerzhaft war nur das Nichts. Das Nichts, das einen auffraß, weil man den Schmerz der Welt nicht spüren konnte. Es war der Schmerz, den diese Welt brauchte, um nicht ins Nichts zu sinken. Das Nichts, welches Kaiba zerfressen hatte. Das Nichts, welches ihn zerfressen hatte. Das Nichts, das wahrer Schmerz war.

Disorders

Ohne viele Worte: Teil 2 ^.^

Viel Spaß beim Weiterlesen.
 

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„Hinter dieser Mauer in mir war so viel Wut. Hass auf die Welt. Hass auf alles Göttliche. Hass auf mich selbst. Mein Bruder war alles, was ich hatte, was mich erhielt und er war es, der meinen Hass spürte. Ich habe ihn zerstört und er hat mir immer wieder vergeben. Immer und immer wieder…“, ein Zittern ging durch den Körper, der die Arme um sich selbst legte und die Beine anzog, „Ich wollte nur, dass er mich nicht hasst, doch ich habe es immer wieder vermasselt. Ich wollte ein guter Bruder sein, doch ich konnte ihn nicht verstehen. Ich wollte für ihn da sein, doch ich habe ihn nur verletzt. Ich war so unglaublich krank und er hat es stillschweigend ertragen. Aber ich konnte noch sehen. Ich konnte sehen, wie er geweint hat. Ich wollte das alles nicht… ich habe ihn doch nur geliebt…“, die Arme ergriffen die Knie und der Kopf senkte sich, „Ich bin so ein Monster.“

„Das sind sie nicht. Nicht in meinen Augen.“, flüstere Katsuya, griff unter Kaibas Haupt, hielt es, während er das Kissen wegzog und rückte näher heran, sodass der gebeugte Kopf auf seinem Oberschenkel weilte, „Ich kann nicht für Mokuba sprechen, aber ich denke, er hat gewusst, dass sie ihn auch liebten. Er hätte nicht daran festgehalten, wenn er es nicht geglaubt hätte.“

„Aber er würde noch leben, wenn er es nicht geglaubt hätte.“, erwiderte der Ältere bitter und schniefte, worauf der Blonde ihm ein Taschentuch reichte, „Verdammt, ich kriege schon wieder einen Anfall…“

„Okay.“, Katsuya putzte sich selbst die Nase und streckte den Arm nach dem kleinen Mülleimer aus, der neben der Couch stand. Praktisch, dass so ziemlich alles in Reichweite war.

„Was heißt denn hier okay?“, murrte Kaiba und stützte sich auf einen Ellbogen.

„Okay heißt, dass ich das schon erwartet habe. Eigentlich sogar früher.“, er lächelte den Älteren an, „Sie haben sich gut gehalten. Vielen Dank, dass sie mir davon erzählt haben.“

„Pah…“, der Brünette schob die Unterlippe vor, „Jetzt habe ich keine Lust mehr.“

Das… sah aus wie das Kind Kaiba. Schon klar, durch die Erzählungen waren die kindlichen Anteile seiner Seele wohl in den Vordergrund gelangt. Dennoch… es war ungewohnt. Aber nicht unangenehm. Mal sehen, wie man sich mit dem kleinen Kaiba unterhalten konnte.

„Keine Lust wozu?“

„Zu ’nem Anfall. Du wirst mir gefälligst zu Ende zuhören, wenn ich mir schon alles von der Seele laber’.“, mit einer Halbdrehung lag er wieder auf dem Rücken und ließ seinen Kopf schmerzhaft – und zwar für Katsuya – auf dessen Oberschenkel fallen.

Nun, Klein-Kaiba sprach auf jeden Fall nicht so formal wie die stabile Version seiner Selbst. Erfrischend. Seinetwegen konnte Kaiba öfter völlig ohne Maske agieren.
 

„Bin ich eben kein Monster.“, meinte er in einem arroganten Ton, „Mokuba verletzt habe ich trotzdem. Andauernd habe ich etwas Böses gesagt. Aber Moki war nicht böse. Ich habe ihm jedes Mal geholfen, wenn er Hilfe brauchte. Nur wenn etwas völlig schief lief, weil er seinen Sturkopf gegen mich durchgesetzt hat, da habe ich es nicht getan. Mein Erziehungsgrundsatz war Konsequenz.“, die Stimme war mittlerweile wieder etwas ruhiger, ernster, „Im Endeffekt ist er ein ganz ordentlicher Junge geworden, vernünftig, verantwortungsvoll, sorgend. Was ein Bengel war, wurde ein Mann. Währenddessen hatte Noah einen Wachstumsschub. Es kann sich kaum einer der Ärzte erklären, aber man vermutet, dass durch die Fraktur nur extremer Druck auf seinen Nerven war. Auf jeden Fall ließ die Lähmung mit der Zeit nach. Natürlich ist bis heute nicht alles wie früher, aber er kann für einige Minuten am Stück stehen und ein ganz gutes Stück gehen. Für ihn ist das ausreichend, um effektiv arbeiten zu können, meistens muss er ja eh nur sitzen. Ich begann ihn in die Führung des Unternehmens einzuführen, um mir selbst Arbeit zu ersparen und für ihn genügte es unter mir zu arbeiten. Tja, und dann kam Mokuba.“

Katsuya ließ seine Hand wieder zu dem brünetten Schopf sinken und kraulte den Erzählenden, der – wie doch eher unvermutet – wirklich keinen Anfall zu bekommen schien. Sein inneres Kind schien eine Menge Kontrolle zu besitzen.

„Mokuba legte mir die Ergebnisse meiner letzten medizinischen Untersuchungen vor, die physiologischen und die psychologischen Gutachten verschiedener Fachleute, die sich anmaßten mich durch Beobachtungen durchschauen zu können. Daneben legte er Kontoauszüge, Listen meiner Immobilien, meiner Privatgüter, meiner Aktien, meiner verschiedenen Investments. Und er forderte, dass ich aufhöre zu arbeiten.“

Mokuba schien ein Mensch gewesen zu sein, der wusste, was er wollte… und wie er es bekam. Eine ausgefeilte Taktik, er sollte sie sich merken.

„Ich hatte damals natürlich kaum Ahnung von Psychologie, ansonsten hätte ich es nie getan. Ich ließ mich überreden und vermachte Noah die Firma und einen Großteil meines Geldes. Ich kaufte nur dieses Haus, richtete es ein und ließ genug Geld übrig, um für ein paar Jahre zu leben. Schluss und Ende, auf in ein neues Leben, so dachte ich.“, Kaiba zog tief die Luft ein, drehte sich auf die Seite und drückte seinen Hinterkopf an Katsuyas Taille, „Ich hatte gar nicht bemerkt, was für ein Workoholiker ich war. Ich hatte fast rund um die Uhr gearbeitet, nur um nicht zu denken. Selbst wenn ich nicht arbeitete, war ich bei irgendwelchen Turnieren und Meisterschaften, um mich mit Yugi zu schlagen. Und natürlich krachte mit der Arbeitslosigkeit alles über mir zusammen. Um es kurz zu sagen, ich wurde ziemlich krank.“

Gut verständlich. Traumatisierungen über das ganze Leben und plötzlich Zeit, damit konfrontiert zu werden. Das gab ein emotionales Massaker. Katsuya seufzte. Also war ein Kaiba bei weitem nicht fehlerlos.

„Mokuba schleppte mich von einem Psychiater zum nächsten. Nach Diagnose hatte ich PTBS, Borderline, eine narzisstische Persönlichkeit, affektive Störungen, Angststörungen, dissoziative Störungen – eigentlich hatte ich so ziemlich alles. Um es anders zu sagen, keiner wusste, was ich habe.“, der Liegende zog die Decke bis an sein Kinn, „Ich weiß nur, dass Mokuba unter mir litt. Er konnte einfach nicht aufhören sich um mich zu kümmern. Er hätte einfach gehen sollen. Es hat ihn zerstört und ich wusste das. Aber ich konnte auch nicht gehen. Ich konnte ihn nicht allein lassen. Ich konnte einfach nichts…“

Der Blonde atmete schwer. Kaiba sah so traurig aus. Die Augenlider halb gesenkt, die Augen voll Tränen, die Lippen zusammengedrückt, doch wie geschwollen. Warum nur? Warum hatte ihm niemand helfen können? Warum musste er sich heute nur solche Selbstvorwürfe machen? Wenn er nur damals schon gewusst hätte, was zu tun gewesen wäre, wenn Mokuba es nur gewusst hätte, wenn Kaiba es gewusst hätte… all dies hätte nie, nie sein müssen. Vielleicht hätte Mokuba nie sterben müssen…
 

„Ich begann zu Studieren in der Hoffnung, dass sich mein Zustand bessern würde. Und darüber kam ich erst mit Psychologie in Verbindung. Ich hatte nie daran gedacht, dass ich etwas tun konnte, dass nicht alles von Ärzten und guten Pillen abhing. Und so begann ich zu lesen.“, mit seinem Einatmen legte sich ein Lächeln auf Kaibas Lippen, „Es war wie ein Wunder. Es wurde nicht schlagartig besser, aber nach und nach begann ich zu verstehen und damit umgehen zu können. Ich bekam mich selbst in den Griff.“, das Lächeln fegte von seinem Gesicht, seine Stimme verdunkelte sich, „Aber je besser es mir ging, desto schlechter ging es Mokuba.“

Wie bitte? Warum das denn? War das nur ein weiterer Selbstvorwurf oder hatte das wirklich Zusammenhang?

„Er war gewöhnt, dass ich… nun ja, abnormal war. Er kam nicht damit zurecht, dass es mir besser ging. Er wurde depressiv und begann schließlich Drogen zu nehmen. Siebzehn war er damals, mitten in der Identitätskrise und verlor seine Grundlage. Hätte ich das gewusst, ich hätte lieber weiter eine Krankheit gehabt. Aber ich konnte nicht mehr zurück.“, eine stumme Träne rollte über seine Schläfe, „Ich wollte nicht. Mir ging es zum ersten Mal gut. Also versuchte ich Mokuba zu helfen. Ich dachte, mit meinem ganzen Wissen sollte ich das schaffen. Aber vielleicht war mein Verstand groß genug, mein Herz war es nicht. Ich konnte ihn noch immer nicht hören. Und so sah ich zu, wie er immer mehr in sich selbst versank.“, die Decke hob sich einige Zentimeter und senkte sich wieder, „Ich habe ihn zweimal in eine Entzugsklinik gebracht. Einmal ist er ausgebrochen, beim zweiten Mal hat es nur drei Monate gedauert, dann war er wieder dran. Ich war völlig überfordert. All meine Fehler fielen nun auf mich zurück.“

Selbstvorwürfe, solche Selbstvorwürfe… was hätte er denn wirklich ändern können? Er hatte sein Bestes gegeben, da war Katsuya sicher. Wie lange wollte er an seiner Vergangenheit hängen? Fehler, die er mit zehn Jahren begangen hatte. Würde er sich jemals selbst verzeihen können?

„Nach meinem Abschluss hatte ich an seiner Schule angefangen. Wir stritten über seine Noten, sein Sozialverhalten in der Schule, schließlich seine Sucht. Er schrie mich an, dass er mich hasste und verließ das Haus.“, Kaibas Schulter zuckten, „Den Rest des Abends kennst du…“

„Es tut mir Leid…“, flüsterte der Blonde, doch er spürte kaum Schmerz in seiner Brust. Es war ein Unfall gewesen. Wann würde es Kaiba auch so sehen können?
 

„Dann ging es abwärts…“, hauchte der Ältere tränenerstickt und nahm wortlos das gereichte Taschentuch, „Ich habe mein Selbst im Alkohol ertränkt. Aus der Küche wurde ein Trümmerhaufen. Meine Stelle wurde mir gekündigt. Die Nachbarn zeigten mich wegen Ruhestörung an, weil ich meinen Schmerz aus mir herausschrie, wenn ich kaum mehr nüchtern war. Irgendwann wachte ich in einer geschlossenen Psychiatrie wieder auf. Anscheinend hatte man mich aus dem Hafenbecken gefischt.“

Katsuya schluckte. Er war Mokubas Tod nicht schuld gewesen. Aber… er hätte ihn verhindern können. Er hätte das hier verhindern können. Oder? Seine Lider fielen hinab. Hätte er es bloß verhindert… nein, er sollte nicht mehr zurückblicken. Er hatte daraus gelernt. Und er lebte, um die Konsequenzen zu tragen. Susano, Sturm – niemals zurückblicken. Nur lernen sanft Tränen zu trocknen statt Verwüstungen zu hinterlassen.

„Der Oberarzt war echt gut. Er diagnostizierte mich mit DESNOS mit peritraumatischer Dissoziation. Bis heute die durchaus gängigste Diagnose für mich…“, ein humorloses Lächeln legte sich auf seine Lippen, während er sich wieder auf den Rücken drehte.

„Was genau heißt das?“, fragte der Blonde nach.

„Das ist eine schwere posttraumatische Belastungsstörung. Borderline, Depressionen, Dissoziations- und Angststörungen in einem, wenn man so will. Typen mit DESNOS sind meistens die, die später ihre Kinder vergewaltigen oder Amok laufen.“, seine Stimme schien purer Sarkasmus zu sein, „Und weißt du, was das Schönste ist? Es ist nahezu unheilbar.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass es so schlimm um sie stehen soll.“, erwiderte Katsuya nur abgeklärt. Kaiba war vielleicht krank, aber so krank war er nicht. Das hatte Bakuras Erklärung ihm schon bewiesen.

„Na gut.“, der Brünette seufzte tief, „Es sind eher Einzelfälle, wenn Menschen mit DESNOS so etwas tun. Aber ein Großteil der notorischen Vergewaltiger hat DESNOS, das ist schon bewiesen. Und unheilbar ist es auch.“, er fuhr sich durch die Haare, „Aber man kann die Symptome stark einschränken mit einer guten Therapie.“

„Also wurden sie therapiert?“, fragte der Jüngere nach.

„Ja, wurde ich. Wäre ich es nicht, würde ich entweder im Gefängnis oder in der Psychiatrie hängen.“, er sah zu ihm auf, „Bis auf meine Anfälle und mein völlig unsoziales Verhalten bin ich eigentlich ganz gut genesen. Ich habe manchmal noch Probleme mit Dissoziationsstörungen, aber sonst… nichts. Nur das Selbstwertgefühl, aber… das wird noch. Irgendwie…“

„Nehmen sie irgendwelche Medikamente?“, wichtige Frage, schließlich hatte er ihn noch nie welche einnehmen sehen.

„Ich könnte, aber… eigentlich bräuchte ich nur welche für schwere Anfälle. Und die haben schwere Nebenwirkungen.“, der Liegende seufzte, „Da gebe ich mein Geld lieber für Stricher aus, die haben denselben Effekt und sind gesundheitsfördernd.“

„Halt mal. Sex beugt ihren Anfällen vor?“, fragte der Blonde noch einmal nach. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Und er hatte die ganze Zeit gedacht, dass das mit Yami… oh, er war so ein Idiot. Er war so ein verdammter Idiot. Deswegen hatte Kaiba so reagiert. Deshalb die Anfälle, die in letzter Zeit immer schwerer wurden. Deshalb… er war so dumm. So gottverdammt dumm.

„So sieht es aus…“, murmelte der Ältere, während sein Blick wieder zur Wand glitt.

Die Aufgabe

Guten Mittag ^.^ Ich habe soeben mein Zeugnis bekommen und bin erstmal froh die Schule bis auf Weiteres los zu haben. Aber meine Freundinnen möchte ich wieder T.T Sie haben mir so wunderschöne Geschenke gemacht, das trieb mir ja fast die Tränen in die Augen...

Genug von mir. Das nächste Kapitel gibt es Dienstag zum ersten Weihnachtstag und als Weihnachtsspecial die Geschichte "Groll des Donners", die zwar nichts mit Dead Society und erst recht nichts mit Weihnachten zu tun hat, aber einer Freundin und ihrem persönlichen Weihnachten gewidmet ist. Nebst der Tatsache, dass es ein Geburtstagsgeschenk an Taja-chan war ^.^ Liebe Grüße von hier aus noch mal!

Dieses Kapitel beginnt weder mit Küssen, noch mit Selbsthass, sondern mit einer bereits bekannten Frage und der neuesten Antwort dazu. Ich wünsche gutes Lesen und ein wenig Besinnung in der Weihnachtszeit.
 

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„Sagen sie…“, der Blonde fuhr sich durch die Haare und sah zum Fenster, „Meinten sie das wirklich so, als sie sagten, dass Yami für sie ersetzbar ist?“

„Prinzipiell ja.“, erwiderte der Ältere und stupste mit der Nase die Hand, die reglos neben seinem Kopf liegen geblieben war, damit Katsuya ihn weiter kraulte, „Obwohl er schwer zu ersetzen wäre. Als Person ist er… nicht unwichtig. Besonders seine fachliche Meinung und seine meist objektive Betrachtung von Situationen ist mir wichtig.“

Sollte er doch einfach das Wort Freund aussprechen… Mensch, Kaiba, man konnte echt begriffsstutzig sein. Die Intelligenz forderte ihren Preis, was? Nicht zu fassen dieser Mann.

„Sie wurden also therapiert…“, versuchte Katsuya an das vorherige Thema anzuknüpfen.

„Hm…“, Kraulen gegen Informationen, wetten? Er fuhr mit der Hand in den braunen Schopf. „Therapiert, entlassen und beim Ministerium eingestellt. Es lebe der Beamtenberuf.“, fuhr Kaiba fort und räkelte sich – minimal bemerkbar natürlich, „Schlecht bezahlt, stressig und schlecht angesehen. Aber was tut man nicht alles für eine sichere Rente?“, seine Muskeln erschlafften, „Eigentlich nahm ich den Job, weil mich mit einer DESNOS-Diagnose keiner mehr haben wollte außer dem Ministerium. Der Personalberater hat mir bei meiner Einstellung ins Gesicht gesagt, dass man einen Beruf, der einen krank macht, einfach den Kranken überlassen soll. Das war seine Begründung mich zu nehmen…“

Vorurteile… wie viel zerstörten sie? Sie mochten schützen können, aber in ihrer Welt führten sie zu Diskriminierung und Verfolgung. Katsuya schüttelte seufzend den Kopf.

„Noah hat damals alle Redaktionen bestochen oder aufgekauft. Außer meinem direkten Umfeld und allen staatlichen Institutionen wusste also niemand von etwas. Ich hätte einen neuen Beruf wählen können. Aber ich wollte Lehrer bleiben. Ich wollte sogar Ministeriumslehrer werden, auch wenn man mir da nicht freundlich gegenüber gestimmt war. Ich hatte ein neues Ziel.“

„Mich zu finden?“, fragte der Blonde leise und strich über die Wange des Liegenden.

„Erinnert etwas an eine Search-and-destroy-mission, was?“, Kaiba brachte ein klägliches Lächeln zustande, „Ich weiß nicht einmal, was ich tun wollte. Ich wollte dich finden. Ich hätte eh nicht gedacht, dass das irgendwann wirklich geschieht.“, er schloss mit einem Seufzen die Augen und lehnte seine Stirn an Katsuyas Bauch.

„Und dann fanden sie mich?“

„Nein.“, das Lächeln erschien etwas realer, „Zuerst begegnete ich Yami. Das hat eine Menge bewegt. Ich hatte dir ja schon mal erzählt, dass ich eigentlich sehr stabil war diesen Sommer. Keine Anfälle über Monate, mein erster Freund, gute Fachgespräche… mein Leben schien endgültig bergauf zu gehen.“

„Und dann tauchte ich auf?“, murmelte der Jüngere und beugte den Rücken leicht.

„Ja. Dann bist du aufgetaucht.“, bestätigte der Lehrer wertungslos.

Und hatte alles wieder kaputt gemacht, wie man wohl hinzufügen konnte. Kein Yami hieß keine Fachgespräche und viele Anfälle und zwischen Yugi und Kaiba hatte er auch einen Keil geschlagen. Er hatte alles zerstört. Vielleicht konnte er nichts für Mokuba, aber dafür konnte er etwas… und daran konnte er etwas ändern.
 

„Was heckt dein Köpfchen gerade aus?“, fragte Kaiba, während er den Blonden mit halb geschlossenen Lidern beobachtete.

„Erstmal, was wir mit Yugi machen.“, der Sitzende lehnte sich gegen das Sofa und ließ den Kopf auf dessen Sitzfläche fallen, „Ich denke, dass man irgendwie mit ihm reden kann. Er weiß, dass ich nichts von ihm will, aber mindestens das, was er über sie denkt, da muss man etwas tun. Da müssen wir etwas tun.“

„Das kannst du ruhig mir überlassen. Es wurde sowieso mal Zeit, dass ich mit ihm ein ernstes Wort wechsle.“, der Brünette atmete tief durch, „Das ist etwas zwischen Yugi und mir. Was sind die anderen Dinge, an die du dachtest?“

„Die Sache mit Yami… und ihren Anfällen.“

Kaiba drehte sich auf seine rechte Seite, sodass sein Kopf auf Katsuyas Hüfte zu liegen kam und die blauen Augen sich auf dessen Bauch richteten.

„Vielleicht ist das sehr persönlich…“, versuchte Katsuya einen Anfang.

„Wie viel persönlicher können wir noch werden?“, grummelte der Liegende nur.

„Nun, gibt es da jemanden, mit dem sie gedenken Yami zu ersetzen? Ich meine… physisch.“

Schweigen.

Hatte er denn etwas anderes erwartet? Katsuya seufzte innerlich. Regel Nummer eins, das Schüler-Lehrer-Verhältnis musste gewahrt bleiben. Na wunderbar…

„Herr Kaiba?“, fragte er dann doch einige Momente später.

Ein undefinierbares Knurren.

War er jetzt nicht mal eine Antwort wert? Ein einfaches „Entschuldigung, ich möchte darauf nicht antworten.“ hätte es auch getan.

„Hey, Drache.“, versuchte der Blonde einen zweiten Anlauf – wenn Kaiba darauf nicht ansprang, war irgendetwas nicht in Ordnung. Konnte er doch noch einen Anfall bekommen haben? Aber hätte er ihn nicht gewarnt? Vielleicht war es etwas Überraschendes. Vielleicht nur etwas Kleines, was man nicht direkt bemerkte, bis es zu spät war. „Drache?“

Katsuya strich mit seiner vorher kraulenden Hand die Strähnen aus dem Gesicht des Älteren. Das war nicht wahr, oder? Er legte einen Finger unter seine Nase. Schwache, tiefe Atmung. Seine Hand glitt zum Hals. Puls stabil, aber stark verlangsamt. Man musste kein Arzt sein, um das zu deuten.

Kaiba war eingeschlafen.
 

Katsuyas Finger strich den linken Drehmuskel des Halses Kaibas hinab zu seiner Halskuhle, die Halsschlagader hinauf, den Kiefer entlang über das Kinn zu der vollen Unterlippe, deren Außenlinien hinauf zum linken Mundwinkel, die Lachfalte zum Nasenflügel, bis sein eigener Körper seinen Weg stoppte. Welch ein perfektes Gesicht. So schöne, glatte Haut. Glänzendes, seidiges Haar. Stilvoll gewähltes Make-up – auf jeden Fall haltbares, über die ganzen Streicheleinheiten war der Bluterguss darunter immer noch nicht zu sehen.

Sie waren schon ein echt komisches Duo. Gut aussehende junge Männer, über von Blutergüssen, Schrammen und Narben, eine zerrüttete Psyche. Aneinander haltend wie Fischerboote bei schwerem Sturm auf dem Meer. Gezeichnet durch das Leben, das ihnen die genommen hatte, die sie am meisten liebten. Würden sie sich halten können oder würde der Sturm sie zerreißen? Würden sie allein untergehen oder zusammen?

So viel lag im Unklaren. Ihre Zukunft war mehr ein Labyrinth als ein Weg. Ihre Zukunft… wie lange kannten sie sich jetzt? Fünf Wochen? Und doch war es so, als wären Jahre vergangen. Wie viel sie schon erlebt hatten. Andere konnten eine Leben zusammen sein und hatten doch nicht solche lebendigen Erinnerungen. Andere teilten tiefste Liebe und standen sich doch nicht so nahe wie sie beide. Oder war das nur Einbildung? Waren sie sich nicht so nahe, wie er sich fühlte? Kaibas Herz schien zum Greifen nah und doch so weit entfernt. Wann kam der Tag, wo aus Kaiba Seto wurde?

Seto… so ein schöner Name. Seto, von Seth, dem ägyptischen Gott der Wüste und des Chaos. Der, der sein eigen Fleisch und Blut mordete und doch treu an ihrer Seite stand. Unberechenbar, wie ein Drache seines Standes es nun einmal war. Furcht einflößend, böse, mörderisch zum einen, kuschelbedürftig, verspielt und anschmiegsam auf der anderen. Sein kleiner Drache.

Ein Lächeln legte sich auf Katsuyas Lippen, während er die Ohrmuschel des Liegenden mit dem Finger entlangfuhr. Seiner und doch nicht sein Eigen. Nicht ihm gehörend, doch zu ihm gehörend. Sein eigenes, kleines Mysterium. Sein eigenes, kleines Wunder. Sein Hüter und sein Behüteter. Ob sich so eine Mutter fühlte? Wenn es sich nur annähernd so anfühlte wie bei ihm, dann war es ihm unverständlich, wie man sein Kind nicht lieben konnte.

Kaiba war kein süßes Bündel Mensch mehr, er war ein wunderschöner, ausgewachsener Mann. Aber seine Seele hatte bisweilen einen so kindlichen, verletzlichen Touch, dass man sich der Idee nicht erwehren konnte ein Kind vor sich zu haben. Wenn er schmollte oder wie vorhin das sagte, was ihm in den Sinn kam. Kaiba wusste mit seinem Beschützerinstinkt zu spielen. Und seinem Mutterinstinkt, wenn es so etwas Derartiges auch bei Männern gab. Aber hatte nicht das Gehirn einer Frau? Es schien erwiesen. Vielleicht waren die Geschlechter auch nicht so unterschiedlich, aber wer wusste das schon? Yami wahrscheinlich, okay. Ihn ausgenommen, wer wusste das schon?

Halt, diese gedanklichen Selbstgespräche nahmen langsam Überhand. Er sollte sich vielleicht auch etwas Schlaf gönnen, auch wenn es erst früher Mittag war. Genug über Kaiba gegrübelt. Der Typ war auch ohne seine Verehrung hübsch genug und von seinem Charakter sollte er besser die Gedanken lassen – nicht, dass er sich in seiner Verliebtheit diesen schönredete.

Katsuya schloss die Augen. Irgendwie nicht ganz sein Ding. Er wäre nach all diesen Anfällen sicher auch müde, aber persönlich hatte er ja keine gehabt – was also tun? Sein Blick fiel auf die Spielkonsole. Perfekt. Das Kabel des Bedienungsmoduls müsste eigentlich lang genug sein. Er warf einen Blick auf den Schlafenden und entschied sich für die Umsetzung dieses Gedankens.
 

„Katsuya?“, murmelte der Liegende kaum verstehbar und öffnete blinzelnd die Augen, während der Blonde sein Spiel auf Pause stellte, um sich ihm ganz zu widmen.

„Ja?“, fragte er sanft.

„Mir ist etwas eingefallen.“

Er war echt einfach nur schön anzusehen. Dieses ganz leicht strubbelige Haar, die schlaftrunkenen, halbgeöffneten Augen, die trockenen Lippen-

„Ich wollte dich umbringen.“

„Was?“, zischte Katsuya und sein Schwärmen wandelte sich in leichtes Entsetzen.

„Ich wollte dich umbringen…“, wiederholte der Liegende und schloss die Lider wieder, „Wenn ich dich fände, wollte ich dich umbringen… und nachher mich selbst.“

Der Jüngere leckte mit seiner Zunge über seine eigenen, spröden Lippen. Sie fühlten sich trocken an. Und zitterten.

„Aber wenn es etwas nach dem Tod gibt… wie hätte ich dann Mokuba wieder sehen können? Und wenn, wie hätte ich ihm unter die Augen treten können? Er wäre nicht stolz auf mich gewesen.“, der Brünette legte die Arme um sich selbst und zog die Lippen in die Breite, während er die Augen fest verschloss, „Er hätte mich gehasst.“, ein Zucken ging durch seinen Körper, „Wie konnte ich das denken?“, seine Kehle machte ein Geräusch zwischen Gurgeln und Hicksen, „Ich bin schlecht.“, er drückte sich an Katsuya, „Ich hasse mich…“, seine Stimme zitterte wie Katsuyas Hände es taten, „Ich habe Angst vor mir…“

„Ich…“, versuchte der Blonde anzusetzen.

„Was ist, wenn ich dir etwas antue? Ich will das nicht! Ich will das alles nicht! Ich will tot sein!“

„Psssh…“, hauchte Katsuya leise, zog Kaiba Oberkörper an sich und barg seinen Kopf auf seiner Schulter, während er ihn sanft wiegte, „Ich bin hier…“

Der Brünette weinte schluchzend. Herzzerreißend, im wahrsten Sinne des Wortes. Was sollte er bloß tun? Katsuya wollte ihn anschreien. Was für ein Idiot er war so etwas zu denken. Wie falsch der Gedanke war, weil er ihn doch brauchte. Wie dumm es war sich selbst zu hassen, wo man doch alle Möglichkeiten hatte, wo man frei von Qualen war. Und doch blieb er stumm. Er konnte diesen Hass verstehen. Diese Schuldgefühle, die einen zerfraßen. Und diese Angst, obwohl er so etwas nie verspürt hatte. Die Angst Dinge zu tun, die man nicht tun wollte, weil man die Kontrolle über sich selbst verlor. Dieser bittere, verzweifelte Wunsch tot zu sein, um anderen nicht noch mehr zu schaden. Es war ein Wunder, dass Kaiba lebte. Ein wahres Wunder.

„Glauben sie an Gott?“, fragte der Blonde leise.

„Hm?“, das Schluchzen verstummte langsam und schweigend, unter Tränen wandte der Halbliegende sein Gesicht zu ihm.

„Wenn es Gott gibt, dann hat alles einen Sinn.“, flüsterte Katsuya eingehend, „Wozu haben wir denn eine Phantasie? Vielleicht auch, um das zu tun, was wir nicht tun dürfen? Sie hatten allen Grund mich töten zu wollen. Es ist keine Sünde sich das zu wünschen. Was zählt ist, dass sie es nicht getan haben. Mokuba hat allen Grund stolz auf sie zu sein. Und jedes Mal, wenn sie einen Anfall haben, richten sie ihn gegen sich selbst, niemals gegen mich. Natürlich gibt es immer die Gefahr, dass es doch irgendwann gegen mich geht, aber sie arbeiten doch hart daran, dass sich etwas ändert, nicht wahr? Dass sie das versuchen, das ist das Wichtige. Für mich ist es das Wichtigste. Wie sehr sie sich anstrengen, das ist das, was für mich zählt. Und das lässt mich eine starke, liebenswerte Seele sehen.“, er schluckte, während er die Strähnen aus Kaibas Gesicht strich, „Ich wünschte, sie könnten das auch sehen.“
 

Kaiba war wieder eingeschlafen.

Schlaf hieß Verarbeiten, Ordnen und Verstehen. Somit konnte Katsuya den brünetten Schopf nur lächelnd wieder in seinen Schoß betten. Es war gut, wenn er im Schlaf über seine Worte nachdachte. Hoffentlich hatten sie etwas – irgendetwas – bewegt.

Katsuya fühlte in sein Inneres. Zufriedenheit. Er war erfüllt von tiefer Zufriedenheit mit sich selbst und der Welt. Wie viele Tage war es her, dass er sich genau so selbst gehasst, selbst geächtet hatte? Dass seine Schuld an ihm genagt hatte, dass sein Körper ihm fremd war? Dass er genauso hatte tot sein wollen? Fünf Wochen, da er in seinem Hass auf die Welt alles abgestoßen, da der Ekel vor sich selbst und die Schande sich nicht wehren zu können ihn von innen ausgehöhlt hatte. Jahre der Verbitterung, der Verzweiflung, der Demütigung. Und plötzlich wurde alles anders. Fünf Wochen, die ihn an die Grenzen seines Selbst getrieben hatten. Fünf Wochen, in denen er mit der Brutalität der menschlichen Psyche konfrontiert worden war. Fünf Wochen und er war… glücklich? Kaiba war am Ende, Yugi war am Ende und wer wusste schon, wie es Yami und Ryou wirklich ging – und er war zufrieden mit sich? Und kein Selbsthass griff, obwohl er doch immer gedacht hatte, dass er Glück nicht wert war? Fünf Wochen und all seine Überzeugungen, all die Grundsätze, die seine Eltern ihm über Jahre eingetrichtert hatten, wandelten sich in solche, die ihn sich selbst mit nahezu neuen Augen sehen ließen? Nannte man das Identitätsfindung? Was zur Hölle hatte ihm die Sicherheit gegeben all die neuen Dinge anzunehmen statt sich in die Muster zu flüchten, die ihm über Jahre das Überleben gesichert hatten?

Er war sich sicher, diese Muster ruhten in ihm. Würde er labil werden, würden sie greifen. Aber war er mit sich im Einklang, taten sie es nicht. Er konnte sich sicher fühlen. Angenommen. Zufrieden mit sich. Wie konnte er das? Hatte sich seine Persönlichkeit gespalten? Er musste Yami fragen. Hatte Yami ihm die Sicherheit gegeben? Oder Kaiba? Oder Ryou? Oder alle zusammen? War es krank, dass er sich mochte? War es krank, dass er sich mittlerweile schön fand? Fünf Wochen. Er wusste nicht, wie lange andere Menschen brauchten, um sich von ihrem Selbsthass zu befreien, aber er konnte sich vorstellen, dass es Jahre dauerte. Keine fünf Wochen. Aber er war dankbar dafür.

Oder ob das das war, was Mokuba gefühlt hatte? Selbstsicherheit, solange man sich um jemanden kümmerte, dem es schlechter ging? Würde auch er wieder zusammenbrechen, sobald es Kaiba besser ging? Aber Kaiba ging es auch nicht konstant schlecht. Sie hatten so viele fröhliche Tage verbracht. War das normal?

Wieso griff jetzt die Unsicherheit wieder? Wenn er sicher genug gewesen war in fünf Wochen sein komplettes Wesen zu ändern, wie konnte er jetzt plötzlich unsicher sein? Katsuya atmete tief durch. Es musste mit Yami sprechen. Er brauchte Bestätigung, dass er nicht durchdrehte. Er brauchte Bestätigung, dass das, was er tat und dachte, objektiv gesehen normal war. Und ein paar Tipps bezüglich Kaiba. Das war wohl die Aufgabe von Therapeuten. Bestätigen, bestärken und manchmal auch beraten. Ideen finden, Bedürfnisse erklären, Beistehen im Großen und Ganzen. Wobei… eigentlich sollte das die Aufgabe der ganzen Umwelt sein. Allen Freunden, allen Bekannten, allen Familienmitgliedern. Das sollte die Aufgabe aller Menschen sein.

DESNOS

Eine frohe Weihnacht ^v^ Und auch ein gutes neues Jahr, denn ich bin bis zum zweiten Januar 2008 weg. Bis dahin wird es wohl auch keine Antworten geben.

Außerdem ist die "Weihnachts-FF" "Groll des Donners" on. Viel Spaß beim Lesen!

Dieses Kapitel handelt wie von vielen vermutet über viele Fachwörter und: Yami ^.^ Der lang verlangte Psychologe ist zurück. Ich hoffe, meine Erklärungen sind den Umständen entsprechend und man kann ungefähr verstehen, worum es bei Kaibas Krankheit geht.
 

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Ring.

Katsuya stellte das Spiel wieder auf Pause und legte eine Hand über Kaibas Ohrmuschel, während die andere nach dessen Jackett griff, welches der Ältere achtlos auf die Couch geschmissen hatte.

Ring.

Der Blonde fischte das Handy aus dessen Innentasche, öffnete es und hielt es sich ans Ohr.

„Katsuya Jonouchi für Herrn Kaiba am Apparat.“

„Sind sie etwa immer noch in der Klinik?“, fragte eine hohe Frauenstimme nach, „Wann gedachte Herr Kaiba zurückzukehren?“

Schien das Sekretariat zu sein. Immer wieder freundlich sich mit Namen zu melden…

„Nun, es hat einige Komplikationen gegeben. Herr Lehrer Kaiba wird es heute nicht mehr schaffen, denke ich.“

„Das würde ich lieber mit ihm selbst besprechen. Geben sie ihn mir.“, befahl die Dame.

„Er ist gerade unerreichbar. Aber ich werde ihm gerne ausrichten, dass er sie zurückrufen soll.“, und immer schön freundlich, wie Kaiba empfahl…

„Was soll das heißen, er ist unerreichbar?“

„Das heißt, dass er gerade nicht ans Telefon kommen kann. Einen schönen Tag und bis morgen.“, er klappte das Gerät wieder zu.

Wenn er für etwas keine Nerven hatte, dann war es dieser Hühnerhaufen von Sekretärinnen. War es denn so schwer ein bisschen Freundlichkeit aufzubringen? Er musste den Menschen als Punk ganz schön gegen den Strich gegangen sein. Seine Lippen verzogen sich zu einem Grinsen – Kaiba hatte Recht: Mit Freundlichkeit konnte man Menschen noch viel besser zusetzen. Guter Drache.

Die Hand über dessen Ohrmuschel fuhr wieder in seinen Schopf und kraulte diesen. Ob man so leben konnte? Sich sein ganzes Leben um eine psychisch kranke Person kümmern, der es wahrscheinlich nie besser gehen würde? Mokuba hatte immer versucht etwas zu bessern. Ob es ihm besser ergehen würde, wenn er einfach nur erwartete, dass sich nichts verschlechterte? Denn das war wahrlich zu wünschen. Dass Kaiba eine Menge Pflege brauchte, war augenscheinlich, aber es sollte nie so viel sein, dass es belastend wirkte. Und ab einem gewissen Punkt würde es ihn belasten, da war sich Katsuya eigentlich sicher. Yami in seinen schlechtesten Zeiten zu erleben war auf jeden Fall belastend. Ab wo könnte Kaibas Krankheit zur Belastung werden? Wo lagen seine Grenzen? Ganz sicher, wenn sich Kaibas Anfälle gegen ihn richten würden. Er musste realistisch sein, so schön es sich auch anhören würde, wenn er säge, er würde alles für ihn tun. Er durfte nicht alles mit sich machen lassen, davor hatte Yami ihn ausdrücklich gewarnt – und augenscheinlich würde er, nach Yami zumindest, in der Situation alles als richtig empfinden. Also sollte er seine Grenzen jetzt festlegen. Aber war das die richtige Grenze? Wenn Kaiba die Kontrolle über sich so weit verlor, dass er ihn angriff? Nur physisch oder auch psychisch? Er wollte nicht wieder als Boxsack enden, das hatte er in den letzten Jahren genug gehabt. Aber er wollte auch nicht als Mensch niedergemacht werden, wie seine Mutter es getan hatte – wie Kaiba es zu Beginn ihrer Bekanntschaft getan hatte. Aber wie viel Wert durfte er sich selbst eigentlich zumessen? Im Fernsehen wurde damals immer gesagt, eine Beziehung bestände aus Zweien, dass einer sich für den anderen zurückstellen muss. Na ja, das Fernsehen hatte auch gepredigt, dass Männer nur mit Frauen zusammen sein dürfen. Noch eine Frage an Yami…
 

„Yami?“

„Kats… ?“, nuschelte jemand am anderen Ende der Leitung, „Ist was passiert?“

„Na ja… so fast. Habe ich dich geweckt?“, verdammt, es war erst Mittag – zwei Uhr nachts für Yamis Empfinden, „Soll ich dich besser später anrufen?“

„Wenn es so dringend ist, dass du meinen Schlafrhythmus vergisst, sprich lieber jetzt.“, der Aussage folgte ein Gähnen, „Was ist los?“

„Kaiba hatte heute Morgen eine Art Nervenzusammenbruch. Einen seiner Anfälle.“

„Wie geht es ihm?“, fragte der andere ernst und die Müdigkeit schien verflogen.

„Relativ gut. Er schläft. Er konnte einen zweiten Anfall zu einem späteren Zeitpunkt blocken, also anscheinend besser. Das heute Morgen war allerdings ziemlich heftig, er ekelte sich vor sich selbst und allem um ihn herum und bekam keine Luft mehr.“

„Hört sich an wie eine Panikattacke. Wie ging es weiter?“

„Ich schrie ihn an und er schrie für einen kurzen Moment laut auf und dann war Ruhe. Bis auf Desorientierung und allgemeine Verwirrtheit war er stabil.“, sein Herz schien in seiner Brust zusammenzuzucken – das Ergebnis war vielleicht gut, aber der Zweck heiligte nicht die Mittel.

„Ein Wunder, dass das geklappt hat.“, bestätigte Yami seine Vermutung, „Aber gut gemacht.“

„Danke. Danach habe ich ihn nach Hause geschleppt und zum Hinlegen gebracht und etwas später ist er dann auch eingeschlafen.“

„Allein?“, fragte der Ältere nach.

„Nein, er hat es sich auf mir gemütlich gemacht. Ich sitze im Wohnzimmer.“, und sein Hintern würde sicher streiken, wenn er noch länger in dieser Position sitzen blieb.

„Auch gut gemacht. Du kriegst langsam Übung darin, was?“

„Wäre schlimm, wenn nicht. Nun, bevor er eingeschlafen ist, hat er mir auf meine Bitte hin seine komplette Geschichte erzählt. Wusstest du davon?“

„Nein?“, Yami klang überrascht, „Ich habe kaum Ahnung von ihm, er beschränkt sich bei mir auf seine derzeitige Situation.“

„Dann schweige ich da wohl.“, Katsuya seufzte leise – hätte Yami es gewusst, wäre es leichter gewesen; aber hätte er es gewusst, hätte er Kaiba wahrscheinlich auch einschätzen können, „Kaiba leidet an einer DESNOS.“

„DESNOS?“, kurzes Schweigen, „Das war eine komplexe PTBS, oder?“

„Was fragst du mich das? Du bist der Experte. Kaiba sagt, das sei eine schwere Störung nach einem Trauma… glaub ich. Er warf mit einer Menge Fachbegriffe um sich, wovon ich nur „alles in einem“ behalten habe.“

„Okay, ich verstehe, um was es geht.“, bestätigte der Rothaarige.

„Da bist du weiter als ich.“, neckte Katsuya ihn dafür.

„Ich erkläre es dir beizeiten.“, ein Seufzen, „Heilige Scheiße, das ist echt…“

„Ich kann mich nicht erinnern dich je fluchen gehört zu haben.“, ein Lächeln legte sich auf seine Lippen.

„DESNOS ist eine recht harte Diagnose. Damit ist nicht zu spaßen. Aber es erklärt so einiges, das gebe ich zu.“

Wenigstens hatte Yami Ahnung. Sein Lächeln vertiefte sich, während er Kaiba weiter kraulte, dessen Kopf immer noch auf seinem Oberschenkel lag. Was würde er ohne Yami anfangen? Bloß nicht dran denken.
 

„Und, erklärst du mir, was das ist?“, fragte der Blonde freundlich.

„Deine gute Laune hätte ich mal gern.“, man hörte Rascheln, „Warte, ich habe es gleich… ABS, PTBS, Pseudo-PTBS, DESNOS – hier ist es. DESNOS, auch komplexe PTBS genannt, ist die schwerste Form einer posttraumatischen Belastungsstörung.“

„So viel hat Kaiba auch erzählt.“, mischte sich der Blonde kurz ein, „Sorry, lies weiter, bitte.“

„Posttraumatische Belastungsstörungen tauchen bei ein bis sieben Prozent der Bevölkerung auf und sind somit als Volkskrankheiten zu bezeichnen. Nach einem Trauma kommt es zu einer ABS – das heißt übrigens akute Belastungsstörung – die je nach Schwere des Traumas zwischen einigen Stunden und sechs Wochen anhält. Kennzeichen dieser sind das intrusive Syndrom, Dissoziationen und infolge dessen SVV, Angststörungen, Panikattacken, Bindungsstörungen und Interessenverlust. Es kann zu einer Komorbidität mit Depressionen, Persönlichkeitsstörungen, affektiven Störungen und stofflicher Sucht kommen.“

„Und das soll ich jetzt verstanden haben?“, fragte Katsuya mit einer gehörigen Portion Sarkasmus in der Stimme nach.

„Intrusives Syndrom. Das heißt Intrusionen, Vermeidung und Hypererregung. Intrusionen sind Reize, die in das Bewusstsein eindringen, obwohl sie nicht vorhanden sind. Also Flashbacks, Alpträume, Gerüche, Geräusche und so weiter, die die Emotionen der traumatischen Situation wieder hervorrufen. Vermeidung heißt einfach nur das instinktive Vermeiden von Situation, Menschen, Gegenständen et cetera, die an das Trauma erinnern. Und Hypererregung meint emotionale Sensibilität, schnellere Reflexe und mehr instinktiv basiertes Handeln wie das Aufschrecken bei fremden oder lauten Geräuschen. Ich denke, das kann man sich gut vorstellen.“

Zu gut. Man erinnere sich an die Situationen, wo er seinen Vater in Kaiba projiziert hatte – Hypererregung. Vermeidung der Wohnung und ihrer Umgebung wie zum Beispiel Hiroto. Ständige Alpträume.

„Dissoziationen… bisschen viel zu erklären, es sind meistens Überfunktionen von Abwehrmechanismen, du kannst dich also an vieles nicht erinnern, auch Alltägliches, oder du kannst kaum noch Emotionen empfinden oder teilst die komplette Welt in schwarz und weiß. Infolgedessen kommt es dann oft zu selbstverletzendem oder selbstgefährdentem Verhalten.“

Hatte er das gehabt? Gute Frage. Explizit wäre es ihm jetzt nicht aufgefallen.

„Angststörungen und Panikattacken erklären sich wahrscheinlich von selbst.“

Man denke nur daran, was Ryou über sein Verhalten nach der Vergewaltigung erzählt hatte – Angst vor Menschen, vor Männern, vor Massen. Schreikrämpfe, wenn es zu schlimm wurde. Und wenn man schon bei Schreien war: Kaiba heute morgen.

„Und der Rest eigentlich auch. Komorbidität heißt, dass du zusammen mit dieser Krankheit noch andere hast. Alles verstanden?“

„Ja, klar. Es kommt mir auffällig bekannt vor, was du da erzählst.“

„Soll ich aufhören?“, die Stimme nahm an Sanftheit zu.

„Nein, bitte weiter. Ich finde das hochinteressant.“
 

„Ich weiß nicht, ob das gut ist dir das am Telefon zu sagen… ich habe keine Ahnung, wie es dir da drüben geht und kann nicht kommen, falls mit dir irgendetwas ist.“, welch liebevolle Besorgtheit – nur gerade am falschen Zeitpunkt.

„Yami, vertrau mir einfach, mir geht es gut. Ich fühle mich in einem seltsamen Einklang mit mir selbst derzeit.“

„Kaiba scheint auf netten Punkten zu liegen.“

„Yami!“, was sagte er noch gerade über Sorge? Er revidierte sein Urteil.

„Okay, ich mache ja schon weiter… okay, das war die ABS. Eine ABS tritt nach jedem Trauma auf und verflüchtigt sich meist schon kurz darauf wieder. Wenn sie nach sechs Wochen noch besteht, spricht man von einer posttraumatischen Belastungsstörung – PTBS. Sie hat genau dieselben Symptome, bei jedem natürlich mehr oder minder schwer. Aus dieser PTBS kann, wenn sie sich stetig verschlimmert, eine DESNOS werden. Es gibt eigentlich nur wenige Menschen, die direkt nach dem Trauma eine komplexe PTBS haben. Egal, lange Rede, kurzer Sinn. Ungefähr ein Drittel der Menschen mit PTBS sind in Gefahr eine DESNOS zu bekommen. Dafür muss normalerweise eine besonders schwere, eine lange oder mehrfache Traumatisierung eintreten.“

„Komm zu den Symptomen, bitte.“, unterbrach Katsuya den Redeschwall.

„Es ist nur toll, dass sich endlich mal einer dafür interessiert – auch wenn es eher traurige Umstände sind. Die DESNOS zeichnet sich ebenfalls durch das intrusive Syndrom, schwere Dissoziationen, Angst- und Panikstörungen aus. Hinzu kommen Störungen in der Regulation von Affekten und Impulsen, was entweder destruktives, also andere zerstörendes oder autoaggressives, also selbstzerstörendes Verhalten hervorruft. Selten beides.“

Siehe Kaiba – bis auf die Tatsache, dass er nicht physisch destruktiv war, war er wohl das perfekte Beispiel an Destruktivität, wenn man ihre Anfänge zurückdachte. Aber hatte Kaiba nicht auch erzählt, dass er durch einen Selbstmordversuch in die Psychiatrie kam?

„Weiterhin Selbstwahrnehmungsstörungen, also heftige Schuld- und Schamgefühle zum Beispiel.“

Und – oh Wunder – auch das traf voll ein, auch wenn Kaiba es meistens hinter seiner Maske verbarg.

„Umweltwahrnehmungs- und Verhaltensstörungen wie extremes Misstrauen, Isolation, Masochismus oder Sadismus und so weiter.“

Wahrscheinlich war zumindest Letzteres eng zusammenhängend damit, ob die Person destruktiv oder autoaggressiv war.

„Und somatische Störungen, also physische Leiden, die rein psychischer Ursache sind.“

Hatte Kaiba die? Doch nur bei Anfällen, oder? Komplizierte Krankheit auf jeden Fall.

„Komorbidität mit Depressionen, Affektstörungen, stofflicher und nichtstofflicher Sucht.“

Wenigstens war Kaiba weder alkohol- noch drogenabhängig, wenn er das richtig mitbekommen hatte. Die Zigaretten waren da schon wieder eine andere Sache.

„Und dieses Maskentragen? Dass er sich allen gegenüber verstellt und das Meisten von dem, was er hat, perfekt verbirgt?“, fragte Katsuya nach.

„Peritraumatische Dissoziation.“, ach ja, da war noch etwas gewesen, „Die Psyche des Menschen spaltet sich nicht in verschiedene Persönlichkeiten, aber zumindest in verschiedene Funktionsbereiche. Neben der normalen Persönlichkeit, der ANP, also der anscheinend normalen Persönlichkeit, gibt es die EP, die emotionale Persönlichkeit, und das TI, das Täterintrojekt. Die EP beeinflusst die Emotionswahrnehmung und –empfindung und das TI ist eine Art zweites Über-Ich, voll mit den Normen, die einem in der traumatischen Situation eingegeben wurden. Also zum Beispiel der Gedanke wertlos zu sein.“
 

„Und das alles hat Kaiba?“, murmelte der Blonde und beobachtete die stetige Heben und Senken Kaibas Oberkörpers.

„Zumindest hatte er einmal alles. Je nachdem, ob er therapiert wurde oder sich selbst therapiert hat oder nichts davon, könnte einiges davon nicht mehr sehr ausgeprägt sein. Aber es ist alles da, wenn die Diagnose stimmt.“

„Kaiba denkt, sie stimmt. Er weiß auch, dass es nahezu unheilbar ist.“

„Vermutlich ist es schon recht gut, wie es ist. Es wäre nur schön, wenn man etwas gegen die Anfälle tun könnte.“, urteilte Yami.

„Hast du Vorschläge?“, der Jüngere strich einige Haare hinter Kaibas Ohrläppchen.

„Ganz ehrlich? Ich sitze meine Anfälle aus, wenn ich welche habe und versuche mir einfach nichts anzutun. Man kann auch schon viel damit schaffen, dass man die Anfälle nicht als Grund zum Kampf gegen sich selbst, sondern als natürlichen Abwehrprozess ansieht. Man darf nicht auch noch Angst vor sich oder Hass auf sich selbst entwickeln. Die Anfälle sind ein Teil von mir und schützen mich davor wahnsinnig zu werden, wenn schon wieder irgendein Vollidiot meinte mich vor wertlos erklären zu müssen.“

Da war sie wieder. Diese Stärke, die er um alles beneidete. Die Stärke, die sein Ideal, sein Idol gar war. Diese Stärke, für die er Yami einfach nur Respekt zollen konnte. Kam sie einfach nur daher, dass Yami mit sich selbst zu leben gelernt hatte?

„Das ist, was Kaiba tun kann. Was kann ich tun?“

„Ich weiß es nicht.“, gab der Ältere zu, „Ich wünschte, darauf wüsste ich eine Antwort.“

„Try and error?“

„Try and error.“, bestätigte er, „Aber du bist ein intelligenter Mensch, ich traue dir das zu. Und falls es dich runterreißt, meine Tür ist immer offen.“

„Danke, Yami.“, ein ehrliches Lächeln lag auf Katsuyas Lippen, „Das bedeutet mir viel. Du findest es also nicht verrückt, dass ich bei ihm bleiben will?“

„DESNOS ist hart, aber es ist nicht der Weltuntergang.“, er konnte ihn vor sich sehen, bäuchlings auf seinem Bett, mit der Hand eine Bewegung, als wolle er etwas wegwerfen, „Epilepsie oder Schizophrenie oder Autismus oder etwas derartiges ist schon schwerer, aber selbst damit können einige Menschen leben. Kaiba ist sich seiner Krankheit und all ihrer Risiken anscheinend im Klaren und wenn du in irgendeiner Form Ziel seine Psyche wirst, ist selbst dann nicht alles verloren. Aber ich muss betonen… die Gefahr, dass er dich sehr verletzt, ist ziemlich hoch.“

„Vermutlich wird er nicht mit einem Messer auf mich losgehen, oder?“

„Vermutlich nicht.“, bestätigte Yami.

„Das reicht mir schon. Am Rest kann man arbeiten.“

„Katsuya… bitte erwarte nicht, dass irgendetwas besser wird, als es jetzt ist.“

„Tue ich nicht, keine Sorge. Die derzeitige Situation gefällt mir sehr gut. Schlafend ist Kaiba ein Schatz.“, der Sitzende setzte den letzten Teil neckisch hinterher.

„Kann ich bestätigen.“, neckte der Ältere zurück.

„Kaiba sagt, der Sex mit dir hat ihn von Anfällen abgehalten.“, erwiderte Katsuya ernst.

„Ich sagte es dir schon mal: Psychohygiene. Sex setzt Energien frei und befreit den Körper so von allen möglichen psychischen Verspannungen, so er von beiden genossen wird.“

„Ich sehe es vor mir, wie mein Arzt mir dreimal Sex die Woche verschreibt.“, spöttelte er – aber ja, jetzt konnte er sich erinnern, das stand ja im Zusammenhang. Demnach müssten Meditation, Sport, heiße Bäder, Spaziergänge und solche Dinge Anfällen auch vorbeugen.

Perfekt!

Seto

Allen ein frohes neues Jahr ^.^ Ich hoffe, ihr habt haltbare Vorsätze für 2008. Mein oberster Vorsatz ist es DS zu beenden und genau das nehme ich nun in Angriff. Je nachdem, wie meine Abiklausuren mich belasten, könnte es also auch wieder zwei Kapitel pro Woche geben - kommt Zeit, kommt Rat.

Außerdem habe ich auch schon begonnen über den Roman nachzudenken, dessen Grundlage DS sein wird. Die Namen der Charaktere habe ich schon einmal. Jetzt gilt es mir etwas Neues für DuellMonsters einfallen zu lassen. Ich dachte, ich ersetze es durch Magic - wenn es bessere Vorschläge gibt, immer her damit ^.^ Es sollte sich allerdings um ein Sammelkartenspiel handeln.

Ansonsten wünsche ich euch viel Spaß beim Lesen und danke für eure wundervollen Kommentare ^///^ Ohne euch wäre das hier nicht entstanden.
 

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„Katsuya?“, flüsterte eine brüchige, orientierungslose Stimme leise, doch der Blonde hatte die Ohren gespitzt.

„Ich bin in der Küche!“

Keine halbe Minute später schlürfte eine Zweimetergestalt mit leicht wirrem Haar in genannten Raum und ließ sich auf einem Stuhl nieder.

„Guten Abend.“, grüßte der Jüngere artig, „Ich dachte, sie haben vielleicht Hunger, wenn sie aufwachen. Ist Sushi in Ordnung?“

„Danke…“, die Stimme war noch immer ein Flüstern.

„Möchten sie ein Glas Wasser?“

„Kaffee?“, klang es etwas hoffnungsvoller.

„Vor dem Essen? Unterliegen sie einer Koffeinsucht?“, der Blonde suchte dennoch Beutel und Pulver heraus.

„Vielleicht.“, der Sitzende zuckte nur müde mit den Schultern.

„Alles in Ordnung?“, fragte Katsuya ruhig, mit leichter Besorgnis nach.

„Ich denke, ich habe Fieber. Das war zu viel heute.“, gab Kaiba zu, während er seinen Kopf mit beiden Händen auf der Platte abstützte – bevor er zusammenfuhr und sich wieder aufrecht hinsetzte.

Der Jüngere überging das einfach, auch wenn er es bemerkt hatte. Wahrscheinlich wollte Kaiba nicht darauf angesprochen werden. Er hatte heute genug Tiefgang gehabt.

„Mögen sie Wasabi oder Soyasauce? Ingwer haben wir leider keinen da.“

Yamis Rezepte waren gut, da konnte man nichts gegen sagen. Kochen und Psychologie – nebst Sex – waren wohl wirklich Professionen für ihn. Na ja, nur ohne Titel.

„Beides…“, murmelte der Brünette nur wie niedergeschlagen.

„Kann ich ihnen noch etwas Gutes tun?“

„Oben in meinem Bad neben dem Spiegel ist ein Medizinschrank… holst du mir etwas Fiebersenkendes?“, der Brünette stützte seinen Ellbogen auf die Stuhllehne und vergrub sein Gesicht in der Hand, „Bitte…“

„Bin sofort wieder da.“

Kaibas Bad… wieso hatten sie eigentlich zwei Bäder? Direkt nebeneinander? War das im Haus so gewesen, als Kaiba es kaufte oder hatte er es später ändern lassen? War es überhaupt wichtig? Egal, für’s erste war es einfach so. Ah, der Schrank! Ein kleiner Wandschrank aus weiß lackiertem Holz. Anbei… das Bad war wunderschön. Weiße Kacheln, weiße Keramik und blaue Inneneinrichtung wie Matten, Schwämme und Seife. Geschmack konnte man dem Brünetten nicht absprechen. Und… eine gewisse Art von Andersartigkeit auch nicht. Im Medizinschrank waren die Fächer säuberlich beschriftet. Im obersten Fach Verbände, Wundsalben, Mullbinden und die Beschriftung „Verwundung“. Darunter… Katsuya seufzte tief. „Tranquilizer und andere Psychopharmaka“. Er hatte sie also doch. Vielleicht war es besser als gar keine zu haben. Kaiba kannte sich sicher aus mit dem, was er da liegen hatte. Neben dem Stapel von Packungen befanden sich unschuldig die Tabletten und Tropfen unter dem Schild „Erkältung“. Vermutlich war Kaibas Mittel auch darunter. Hier… fiebersenkend. Katsuya griff nach der Medizin und schloss die Tür des Schrankes mit einem letzten Blick auf die Tabletten mittig rechts.

Er konnte Kaiba wann anders danach fragen.
 

„Herr Kaiba?“, er hatte sich doch nichts angetan, oder? Katsuya trat neben ihn und ließ seinen Blick über die Unterarme gleiten. Nein, alles heile. Der Ältere saß einfach nur in sich zusammengesunken da.

„Herr Kaiba…“, die Hand auf seiner Schulter ließ ihn nicht aufmerken, „Bitte sehen sie mich an.“, keine Reaktion, „Seto Kaiba, ich rede mit ihnen.“, na gut, dann anders. Vorsicht hielt der Blonde mit einer Hand Kaibas Kopf, während er diesen mit der anderen von der Hand löste, in der er gelegen hatte. Weiter haltend drückte er den Oberkörper des Älteren in eine aufrechte Position und benutzte danach beide Hände, um Kaibas Gesicht in seine Richtung zu drehen. Wie schon fast erwartet traf sein Blick stumpfe, ausdruckslose Augen.

„Ich hätte sie nicht allein lassen sollen.“, stellte der Jüngere mehr für sich selbst fest, „Und dabei haben sie die ganze Zeit geschlafen. Ich hatte eigentlich gehofft, dass das heute nicht mehr passieren würde.“

Das Kaiba immer noch nicht reagierte, stellte sicher, dass er wahrscheinlich einen depressiven Anfall hatte – oder eine riesige Menge Drogen intus, aber die Situation wollte er lieber ausschließen. Try and error? Nein, zumindest heute sollte er bei Bewährtem bleiben. Also reden.

„Ich versuche mir gerade vorzustellen, was ihre Seele wohl in diesem Augenblick macht. Wenn meine Informationen und Beobachtungen bis hier hin stimmen, dann empfinden sie gerade unglaublich viele Gefühle, größtenteils Angst. Und da das alles zu viel für sie ist, ziehen sie sich in sich selbst zurück. Als würden sie schlafen gehen. Sie nehmen viel Abstand zur Realität. Das ist nicht schlimm. Nehmen sie sich die Zeit ruhig.“, der Blonde schluckte, „Aber bitte kommen sie auch wieder zurück. Da, wo sie jetzt sind, kann man sicher auch nichts Schönes empfinden. Das muss doch wie tot sein sein… gar nichts zu empfinden. Obwohl… das ist es, was sie eigentlich wollen, oder? Tot sein… ich frage mich, wofür sie leben. Aus der Rache an mir haben sie langsam Lebensfreude empfunden, sie wollten neu anfangen… wieso mussten wir uns unbedingt dann begegnen? Es hätte so gut für sie werden können. Und hier bin ich und bringe alles wieder hoch, was ihnen so viel Schmerz bereitet hat.“, er strich mit den Daumen über die zarte Wangenhaut, „Ich verstehe sie nicht. Wenn ich es bin, der sie wieder durch die Hölle gehen lässt… warum stoßen sie mich nicht von sich? Warum vermeiden sie mich nicht? Warum haben sie mir das Leben gerettet und mich aus meiner Hölle geholt, wenn es ihnen so wehtut?“, eine Träne löste sich aus den leblosen Augen und wurde von Katsuyas Finger verschmiert, „Das war eine echte Heldentat. Sie haben mein Leben über ihres gestellt. Aber warum? Um sie von Anfällen zu befreien und ihnen aus Depressionen zu helfen – das ist eine Lüge. Ohne mich hätten sie diese Anfälle nicht. Zumindest nicht so viele. Um sie zu heilen – auch eine Lüge. Ihre Krankheit ist nicht heilbar. Warum also?“, er setzte sich rittlings auf Kaibas Schoß und kam dessen Gesicht so auf wenige Zentimeter nah, „Habe ich sie an ihren kleinen Bruder erinnert? Oder an sie selbst? Wollten sie sich selbst retten?“

Kaibas graublaue Augen fixierten ihn, die Pupillen verengten sich. Und schlagartig schien Gefühl in sie zurückzukehren. Der Blick suchten seinen, schien dann die Konturen seiner Augen nachzufahren, richtete sich wieder auf seine Schwärze. Ein leichter Film von Tränen zog sich über sein Unterlid und ließ die Augen in einem Weißgrau schimmern.

„Herr Kaiba-“

„Seto.“, unterbrach der Ältere ihn, „Sag Seto. Ich hasse den Namen Kaiba.“

„O… okay…“, die Haut seiner Wangen schien zu brennen, „Seto…“

„Ich weiß nicht, warum ich dich aufgenommen habe.“, seine Stimme war wie Samt, sanft ein heilender Balsam, ruhig und klar, „Ich habe es einfach getan. Ich weiß auch nicht, wohin uns das hier noch führt. Aber ich halte es für gut für mich. Nicht mehr und nicht weniger.“
 

„Nun… das ist auch eine Meinung.“, Katsuya schluckte und musterte sein Gegenüber kurz, „Geht es wieder?“

„Ja, du sollst runtergehen.“, antwortete der Brünette auf die implizierte Frage, „Ich bin heute viel zu kuschelig, schrecklich.“

„Nein, das ist toll.“, der Jüngere ließ die Hände sinken und zog sich auf einen anderen Stuhl zurück, „Ähm… ich meine… also… anscheinend verlangt ihre Seele doch danach… warum nicht?“, nicht zu vergessen, wie sehr er selbst danach verlangte, „Das ist kein Problem für mich. Ganz im Gegenteil.“

Kaibas – nein, Setos – Augenbraue wanderte um einige Millimeter in die Höhe.

„Ähm…“, sicherlich zierte in schon wieder eine gesunde Röte, „Ich meine…“

„Du kuschelst gerne.“

Das… war eine Feststellung.

„Ja.“, gab der Blonde zu und wandte den Blick ab, „Keine Ahnung… ich habe immer mit meiner Schwester geschmust und als ich dann Yami kennen lernte… weiß nicht, da kam es wieder. Und Ryou nehme ich auch die ganze Zeit in den Arm. Irgendwie… vielleicht kenne ich auch nur Körperlichkeit als Art von Zuneigung. Ich weiß es ehrlich nicht.“

„Na dann…“, der Ältere griff nach der Packung auf dem Tisch, „Gibst du mir ein Glas Wasser?“

„Natürlich.“, allen Göttern sei Dank für diesen Themenwechsel – er sprang sofort auf, „Still und halbvoll?“

„Stille Arbeit ist gut, aber ich bin immer für Vollzeit.“

Katsuya drehte sich mit zusammengezogenen Augenbrauchen zu dem Älteren. Was zur Hölle sollte das jetzt bedeuten? Stille Vollzeitarbeit?

„Das war ein Scherz.“, unterbrach der Lehrer seine Gedankengänge mit einem Blick, der dem Blonden mitteilte, dass er ein Idiot war, „Wir haben schon lange nicht mehr gezankt.“

„Bin ich denn ein Hahn?“, schoss Katsuya zurück – das wollte Seto also.

„Wärst du einer, wärst du ein schlechter, du Murmeltier.“

„Und Posieren können sie auch besser als ich, Herr Oberhahn.“

„Dafür kriege ich schließlich auch jede Henne.“, das maliziöse Lächeln auf seinen Lippen wurde begleitet von diesem gewissen Funkeln in seinen blauen Augen, das Katsuyas Puls beschleunigte.

„Was interessieren sie denn Hennen? Ihnen rennen doch selbst die Zicken hinterher.“

„Und wenn mich nun beide nicht interessieren?“

„Dann bringt auch das Posieren nichts.“, erwiderte der Blonde schlagfertig.

„Dem Alpha-Männchen rennen aber auch die Junghähne hinterher.“, warf Seto ein.

„Um sich zu schlagen, sicher.“

„Zu jeder guten Beziehung gehört eine ordentliche Schlägerei, meinst du nicht?“

„Bleibt sie auf verbaler Ebene, würde ich dem glatt zustimmen.“

„Oh.“, der Ältere zog beide Augenbrauen hoch, „Wo hast du denn das Fremdwort aufgeschnappt? War es schwer es zu lernen?“

„Nicht jeder ist ein Komplexlingualitätsfetischist.“

Setos Lippen zogen sich über seine Zähne, während Katsuya ihm frech die Zunge rausstreckte.
 

„Können sie mir eigentlich jetzt eine Entschuldigung für heute schreiben?“, er war ja heute im Krankenhaus gewesen, nicht? Ob man die Entschuldigung von Montag fälschen konnte, damit sie für heute galt?

Seto aß noch einen Happen, legte seine Stäbchen geordnet neben seinen Teller und rückte etwas vom Tisch weg, bevor er sich zurücklehnte und die Beine übereinander schlug.

„Seto?“, wieso wurde er jetzt schon wieder rot? Nur wegen dem Namen? Seto, Seto, Seto – ja, er durfte es aussprechen! Kein Grund Tomate zu spielen.

„Bevor ich das beantworte… würdest du mir vielleicht erzählen, was heute Morgen passiert ist? Ich weiß nur noch, dass wir mein Büro betreten haben… was ist eigentlich mit deiner Hand passiert?“, der Ältere nickte zu Katsuyas bandagierten Linken.

„Sie können sich nicht erinnern?“

„Man nennt es Verdrängung. Ist ein Abwehrmechanismus.“, flüsterte der Brünette.

„Ah… ach so…“, er hatte Yami noch gar nicht danach gefragt, was es für Abwehrmechanismen gab, „Nun gut. In ihrem Büro hatten sie einen Anfall, der damit endete, dass sie laut aufschrieen.“

Der Lehrer legte den Kopf zur Seite und vergrub ihn in seiner Rechten.

„Die Sekretärinnen hämmerten gegen die Tür und dann ging eigentlich alles sehr schnell… ich nahm den Brieföffner, schnitt mir die Handinnenfläche auf, ließ ihn fallen, stieß einen Stuhl zur Seite, öffnete die Tür, zog eine schmerzerfüllte Miene und sagte einer der Damen, dass ich mich versehentlich verletzt habe. Ich ließ mich von ihr zur Krankenstation bringen und erzählte ihr auf dem Weg, wie mir versehentlich der Brieföffner entglitt, als ich damit spielte und ich aus Reflex danach griff und mich dabei verletzte. Sie war schon fast besorgt und fragte mich, ob es denn sehr weh täte und so weiter. Ich sagte, das Meiste sei Überraschung gewesen, eigentlich sei es nicht so schlimm. Isis hat mich dann verarztet und sie sind eigentlich die ganze Zeit hinter mir her getrottet und haben sich dann in der Krankenstation ans Fenster gelehnt und Isis größtenteils ignoriert.“

Katsuya sah kurz auf und traf auf vor Schrecken – gar Entsetzen – geweitete Augen.

„Ähm… war das schlecht?“, er zog den Kopf ein wenig ein. Schien doch eine dumme Idee gewesen zu sein.

„Ich kann nicht fassen, dass du dir die Hand aufgeschlitzt hast.“, murmelte Seto und blinzelte zum ersten Mal seit Aufblicken wieder.

„Was hätte ich denn sagen sollen? Ich musste es als meinen Schrei ausgeben. Das war einfach das Erste, was mir einfiel…“, flüsterte der Jüngere.

„Danke.“, erwiderte der Brünette neutral, „Aber… falls noch mal so etwas passiert, brauchst du dir nichts anzutun, ja? Und auch keine Geschichte… ich verteidige mich auch selbst.“, er schüttelte leicht den Kopf und seufzte, „Ich kann es nicht fassen… du wärst ein erstklassiger Künstler, die haben auch alle so einen Knacks.“

„Danke.“, knurrte Katsuya, „Damit haben wir den passenden Beruf für sie.“

„Das finde ich nicht sonderlich witzig.“, parierte der Lehrer scharf.

„Entschuldigung… so war das nicht gemeint.“, und wieder Kopf einziehen.

„Schon gut. Was geschah weiter?“

„Ich meldete uns beide beim Sekretariat ab, wo ich sagte, dass sie mich ins Krankenhaus begleiten, wo meine Hand noch einmal untersucht wird. Danach entschuldigte ich mich bei dem Chemielehrer, holte meine Sachen und wir fuhren her. Heute Mittag hat das Sekretariat noch einmal angerufen, um zu fragen, wann sie heute zurückkehren würden. Ich sagte, dass sie es heute nicht mehr schaffen würden und derzeit unerreichbar wären und legte schließlich auf.“

„So, dass sie Verdacht schöpfen?“

„So, dass sie sauer auf mich sind, aber alles glauben.“

„Sehr gut.“, der Lehrer atmete tief durch, „Bleiben die Entschuldigung und deine Hausaufgaben.“

„Für die Hausaufgaben habe ich mir Ryous Nummer mitgenommen. Ich werde gleich einfach mal mein neues Handy einweihen und ihn anrufen.“, kündigte Katsuya an, „Und die Entschuldigung… überlasse ich ihnen? Ich kann auch fragen, ob Bakura so was fälschen kann.“

„Arbeitete er nicht bei der Polizei?“, fragte der Ältere mit in Falten gelegter Stirn nach.

„Ähm… ja… das hält ihn auch nicht davon ab Besuchern Waffen an den Kopf zu halten, oder?“

„Auch wahr. Frag, bitte.“

Master thief

Guten Abend allerseits ^.^ Da ich derzeit einen Kapitelüberschuss habe und mir ja vorgenommen habe bis Sommer fertig zu werden, gibt es vorerst zwei Kapitel die Woche - mittwochs und samstags.

Außerdem möchte ich darauf hinweisen, dass die genannte E-Mail-Adresse WIRKLICH besteht und NICHT mir gehört, also bitte keine Mails dorthin senden (nicht, dass ich vermuten würde, dass es jemand tut, aber man kann ja nie wissen...) - ich möchte mich nur von jeder Schuld freisprechen, wenn es geschieht. Ansonsten viel Spaß beim Lesen ^.^
 

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„Guten Abend, hier Ryou Bakura.“, erklang eine freundliche Stimme aus dem Telefon.

„Hi, Ryou. Ich bin’s, Kats.“, der Blonde räkelte sich auf dem Sofa, während Seto neben ihm das Bettzeug zusammenpackte, um es wieder nach oben zu bringen.

„Hallo, Katsuya. Wie geht es dir? Was ist mit deiner Hand? Und Kaiba?“

„Alles bestens.“, er drehte sich zur Seite, um dem Staub vom Ausschütteln zu entkommen, „Die Hand tut nicht weh und unser Lehrer ist wieder auf dem Beinen.“

„Er sah heute Morgen wirklich nicht gut aus. Erzählst du mir beizeiten mal, was wirklich passiert ist?“, man konnte die drängende Neugier nicht von Ryous Tonfall trennen.

„Na klar. Vielleicht kann ich ja morgen zu dir kommen?“, er sandte Seto einen fragenden Blick zu, der darauf zustimmend nickte.

„Gerne.“, der Ton änderte sich schlagartig, „Kura, verdreh’ nicht die Augen!“

„Schon klar…“, klang es genervt aus gewisser Entfernung. Da schien jemand mitzuhören.

„Dein Bruder ist schon zu hause?“, fragte der Blonde unnötigerweise.

„Er hat um sieben Schluss.“

„So spät ist es?“, Katsuya sah auf seine Armbanduhr, „Oh, es ist ja fast acht… wie die Zeit vergeht.“

„Wie war dein Tag denn?“

„Relaxed. Aber das kann ich morgen erzählen.“, der Ältere warf ihm einen relativ kalten Blick zu, bevor er mit dem Bettzeug abzog, „Ich wollte einmal fragen, was wir heute alles aufbekommen haben und zum anderen, ob dein Bruder mir eine Krankenhausentschuldigung fälschen kann. Ein Original hätte ich da.“

„Kura, kannst du eine Entschuldigung vom Krankenhaus fälschen?“

„Prinzipiell kann ich alles fälschen.“, gab der Angesprochene mürrisch zurück.

„Heute Abend noch?“, fragte der Blonde direkt nach.

„Heute noch?“

„Was kriege ich dafür?“, erkundigte sich der Älteste.

„Was will er denn?“, hoffentlich etwas Machbares.

„Was willst du denn?“

„Zahlst du für ihn?“, fragte Bakura seinen Bruder.

Da sollte er sich jetzt wohl nicht mehr einmischen…

„Meinetwegen.“, gab der Jüngste mit unschuldigem Ton zurück.

Wollte er wissen, was Bakura verlangte? Nein, ganz ehrlich… nein. Das wollte er nicht wissen.

„Habt ihr ein Fax? Oder soll ich das Original scannen und per Mail senden?“, erkundigte Katsuya sich.

„Besprich das doch besser direkt mit meinem Bruder. Kura?“

Nein! Nein, nein, nein! Nein-nein-nein-nein-nein! Bitte nicht er…
 

„Wozu zur Hölle brauchst du gefälschte Dokumente, du Flohschleuder? Kann dein toller Kaiba das nicht?“, meldete sich einige Sekunden später ein sehr genervte Stimme am Telefon.

„Dir auch einen guten Abend, Bakura… und ja, eigentlich kann mich Kaiba entschuldigen, aber ich sollte am besten morgen vorweisen, dass wir beide bis nachmittags in einem Krankenhaus waren.“

„Und wo ward ihr?“, fragte der Ältere eine Spur freundlicher.

„Zuhause.“

„Also habe ich keine Vorlage?“, sehr grimmiger Tonfall.

„Doch, ich habe noch eine Entschuldigung von Montag. Deswegen hat dein Bruder dich auch ans Telefon geholt. Soll ich sie faxen oder einscannen und mailen?“

„Einscannen auf BMP, mindestens 300 mal 300, Farbe. Und wage es nicht das Ganze zu komprimieren.“

„Ähm…“, der Blonde schrieb schnell auf einen der Zettel auf dem Tisch, was Bakura gesagt hatte, „Muss ich verstehen, wovon du sprichst? Ich habe keine Ahnung von Computern.“

„Dann sag’ es Kaiba, der weiß, wovon ich rede.“, knurrte es aus der Muschel des Handys.

„O… okay… wenn du meinst…“, er gab dem Lehrer, der soeben eintrat, den Zettel, „Woher weißt du das?“

„Kaiba ist ein extrem guter Programmierer und Hacker. Wenn der sich mit Scannern nicht auskennt, fresse ich ein Kalb.“ – sagte Ryou nicht, dass Bakura ernst meinte, was er sagte?

Seto schob ihm den Zettel mit der Notiz „Mailadresse?“ zurück – ein Glück, er verstand es also.

„Okay, er scheint zu wissen, wovon du sprichst. Wie lautet eure Adresse?“

„Stirb ät ei minus katt minus ju Punkt komm.“ – stirb@i-cut-you.com

„Ist das dein Ernst?“, Katsuya konnte seine Zweifel nicht verbergen.

„Wolltest du Ryou noch einmal sprechen?“, fragte der Wolf im Gegenzug.

„Äh… nein, danke.“

Monotones Tuten. Anscheinend war das sein Ernst.
 

„Ich mische mich ja normalerweise nicht in das Leben anderer Menschen ein… aber bei diesem Kerl…“, Seto schüttelte leicht den Kopf, während sich ein Grinsen auf Katsuyas Lippen legte, „Man muss wahrscheinlich wirklich eine Persönlichkeit wie Ryou sein, um mit ihm zurechtzukommen. Wobei es mir sogar schleierhaft ist, wie der das schafft…“, der Brünette warf einen weiteren Blick auf die gegebene E-Mail-Adresse, „Wobei mir aber auch schleierhaft ist, wie du mit mir auskommst…“

„Wieso?“, der Blonde sah auf.

Warum genau wanderte die Augenbraue des Anderen langsam in die Höhe?

„Ach so.“, Denken war manchmal ganz angebracht, was? „Ach, ich weiß nicht… so wie es ist, gefällt es mir. Solange ihre Anfälle nicht zu heftig sind, komme ich eigentlich ganz gut mit ihnen aus. Zumindest… so wie sie sich jetzt benehmen.“, setzte er etwas leiser nach.

„Hm…“, die blauen Augen wandten sich zu Boden, „Ja, ich…“, der Ältere hob die Hand mit dem Zettel, „Ich werde das mal schnell fertig machen.“, und begab sich auf den Weg zur Tür.

„Seto?“

„Ja?“, mit einer Halbdrehung seinerseits trafen sich ihre Blicke wieder.

„Ich glaube, wir geben uns nicht allzu viel, oder? Sie sind, abgesehen von Yugi vielleicht, der erste Mensch, der mit mir etwas anfangen kann… ich mag ihre Anzahl an Störungen hoffentlich nie erreichen, aber ich glaube, ich bin nicht weniger schwer. Also… können wir es einfach als Selbstverständlichkeit sehen, dass wir einander auch in unseren Macken respektieren?“

Was gäbe er dafür jetzt eine Kamera in den Händen zu halten… dieser Moment war eine Art Eintritt in eine Welt voll Fantasie und Schönheit, Magie und Poesie. Wie leicht waren die Dichter nachzuvollziehen, wenn sie Augen als Sterne bezeichneten und Tränen als funkelnde Diamanten. Wenn Haut Marmor war und auf den Wangen Rosenknospen erblühten.

Natürlich weinte Seto weder, noch errötete er. Aber seine Augen… als würde er seine Gefühle nicht zeigen können und daher seine Augen für ihn sprechen lassen. Diese Augen waren einfach wunderschön… wunderschön…

„Gern.“, flüsterte der Ältere, schenkte Katsuya ein Lächeln und wandte sich zum Gehen.

Leise stieß der Blonde einen Seufzer aus. An sich müsste Liebe eigentlich eine Form von psychischer Krankheit sein. Man idealisierte einen einzigen Menschen, machte sich im höchsten Maße emotional von ihm abhängig und zeigte abnormales, affektiv gestörtes Verhalten. Und nur weil eine große Masse von Individuen erkrankt war, wurde sie als normal angesehen – was in sich eigentlich wiederum krank war. Der Mensch war doch ein sehr widersprüchliches Wesen.

„Seto…“, flüsterte Katsuya und sah zu dem Platz, wo der Größere heute gelegen hatte, „Drache…“

So nah und doch so fern. Nicht einmal Seto wusste, was noch aus ihnen werden würde. Sollte er das einfach so geschehen lassen, wie es auf ihn zukam? Jetzt hatte er die Möglichkeit etwas zu tun. Aber… was zu tun? Was wollte er eigentlich? An sich war Seto ihm näher, als er jemals gehofft hatte. Und doch – irgendetwas fehlte.
 

Was auf jeden Fall fehlte, war ein genauer Plan dessen, womit Seto Kaiba eigentlich seinen Tag verbrachte. Und das Wissen darüber, warum er seit dreißig Minuten oben in seinem Büro war. Oder war ihm etwas passiert? Katsuya seufzte. Besser mal nachsehen.

Musste er sich jetzt eigentlich für Seto verantwortlich sehen oder ihn als selbstverantwortlich betrachten? Eigentlich war er ja ein bodenständiger Mensch. Seine Anfälle wären der einzige Grund, weswegen man ihn in irgendeiner Form beobachten müsste. Aber würde sich Kaiba nicht beobachtet fühlen? Oder sollte er einfach fragen?

„Herr Lehrer?“

„Im Büro!“, kam eine Antwort vom Ende des Flurs.

Okay, ihm schien es gut zu gehen.

„Ich wollte nur mal schauen, was sie so machen.“, der Ältere saß seitlich zu ihm an einem Schreibtisch vor einem Laptop, „Darf ich reinkommen?“

„Natürlich.“, er warf ihm einen kurzen Blick zu, bevor er sich wieder an den Bildschirm wandte, „Ich habe nur keinen Stuhl mehr hier.“

„Macht nix.“, Katsuya beugte sich über dessen Schulter, „Was genau machen sie da?“

„Nur Mails.“, der Brünette lehnte sich zurück, „Schau mal, was Bakura geschickt hat.“, er reichte dem Blonden zwei Zettel, die relativ identisch aussahen – nur Datum und Uhrzeit waren anders.

„Wow… er hat’s drauf.“

„Ist nicht schlecht geworden, das gebe ich zu.“, der Ältere nahm das Papier zurück, faltete die gefälschte Version und steckte sie in einen Briefumschlag, „Kannst du dann morgen bitte im Sekretariat abgeben.“

„Mach ich.“, der Braunäugige stützte sich auf der Rückenlehne des Stuhls ab, „Wie lange brauchen sie noch mit den Mails?“

„Ist dir irgendwie langweilig?“, gab Seto zurück und legte den Kopf in den Nacken.

Der Blonde lächelte statt eine Antwort zu geben.

„Was möchtest du machen?“

„Spielen!“, was denn sonst? Konnte man das bei ihm nicht erahnen?

„Meinetwegen.“, der Brünette schloss die Programme und stellte das Gerät ab.

„Danke!“, der Neunzehnjährige drückte seine Schläfe gegen den dunklen Schopf, umarmte stürmisch von hinten Seto plus Stuhl und war nur Sekunden später auch schon auf dem Weg nach unten.

Was für ein toller Abend!
 

Was für ein ruhmloser Abend.

Er hatte jetzt zum dreiundsechzigsten Mal in Folge gegen Seto Kaiba verloren. Nicht, dass das seine Motivation zum Spielen in irgendeiner Form dämpfen würde, aber dem Älteren würde das sicher irgendwann langweilig werden. Es kristallisierte sich langsam heraus, dass ihm einfach bestimmte Karten fehlten – sein Können konnte anhand der eher spärlichen Kritik gemessen gar nicht mal so schlecht sein, zumindest konnte der Andere kaum noch etwas verbessern. So betrachtet war das Spiel also sehr unfair, es begünstigte reiche Menschen.

„Hat dein Vater eigentlich irgendetwas anderes gemacht außer dich zu schlagen?“

Die Augenbrauen des Jüngeren zogen sich zusammen, während er den Kopf hob. Wie kam Seto plötzlich darauf? Hatte er etwas verpasst?

„Er hat mich angeschrieen. Wieso?“

Der Ältere legte zwei Karten ab und hob den Blick wieder.

„Ich dachte über deine Worte nach. Dass wir uns nicht allzu viel geben. Weißt du… ich habe das noch nie so betrachtet. Dass du Probleme haben würdest, ja, aber wirkliche Störungen… das wollte ich eigentlich vermeiden.“

„Ich weiß nicht, ob ich welche haben oder kriegen werde. Aber ich weiß, dass ich beizeiten schwer sein kann.“, Katsuya machte seinen Zug, „Aber warum fragten sie wegen meines Vaters nach?“

„Ich fragte mich nur, ob er irgendetwas Gutes in den letzten Jahren getan hat. Er hat dir keinerlei Liebe oder Zuneigung gegeben und auch kein Geld. Was also hat er für dich getan?“, fragte der Brünette nach.

„Nichts?“, der Jüngere hob eine Augenbraue, „Sind Eltern dazu verpflichtet ihren Kindern irgendetwas zu geben?“

„Nach Gesetz, ja.“, Seto zog eine Karte, „Eine gewaltfreie Erziehung und wenn sie es für sich selbst benutzen das Kindergeld als Nachzahlung. Nebst Unterhalt bis zum fünfundzwanzigsten Lebensjahr, wenn nachgewiesen wird, dass keine gewaltfreie Erziehung gegeben war.“

„Wollen sie das alles gegen meinen Vater durchsetzen?“, der Blonde ließ seine Schultern einmal kreisen, „Er hat doch gar kein Geld.“

„Einen Versuch ist es wert, nicht wahr?“, ein leicht melancholisches Lächeln legte sich auf die Lippen des Blauäugigen.

„Was meinen sie, wie lange das dauert mit den ganzen Anträgen?“, der auf dem Bauch liegende Katsuya sah zu dem im Seiza sitzenden Älteren auf.

„Tja…“, jener drehte ein Monster in die Verteidigungsposition, „Wochen, Monate, Jahre. Mindestens zwei oder drei Wochen, höchstens drei Jahre. Schätzungsweise.“

„Warum?“

„Man nennt es Bürokratie.“, ihre Blicke trafen sich wieder, „Im Endeffekt ist es egal, so lange sie dich nicht von hier wegholen.“
 

„Was würde dann mit ihnen geschehen?“, anstatt das Spiel fortzusetzen konzentrierte sich Katsuya auf das Gespräch.

„Im besten Fall nichts.“, der Ältere zuckte mit den Schultern.

„Und im schlechtesten?“

„Gefängnis.“, er legte seine Karten zur Seite.

O ha… damit hatte er nicht gerechnet. Seto setzte noch mehr aufs Spiel, als er eigentlich erwartet hatte. Es ging nicht nur um Gesundheit. Es ging um ein komplettes Leben, wenn man es so nahm.

„Heißt, sie verlieren ihren Job, ihre Reputation und… was würde ihr Bruder sagen?“

„Wahrscheinlich würde er fragen, welchen Anwalt er besorgen soll, der mich aus dem Gefängnis in die Psychiatrie verfrachtet.“, Spott sprach aus den schönen Eisaugen, „Man erklärt mich für unzurechnungsfähig, ich bin einige Wochen in der Psychiatrie und dann lassen sie mich wieder laufen.“

„Mit jedem guten Anwalt möglich?“

„Natürlich. Mit genug Geld ist nahezu alles möglich.“

Leben war auch ein unfaires Spiel, was die Reichen begünstigte. Grässlich.

„Warum haben reiche Leute bei allem Vorzüge?“

„Man nennt es natürliche Ordnung.“, auch der Brünette legte seine Karten zur Seite, „Aber bedenke dabei, dass auch reiche Menschen irgendwie erstmal an ihr Geld kommen müssen. Ein Großteil von ihnen muss dafür glatt arbeiten. Nebst Glück und einer Menge Arschkriecherei.“

Katsuyas Augenbraue fuhr in die Höhe.

„Was?“

„Dieses Wort… aus ihrem Mund…“, bizarr, wie immer und ewig – bizarr.

„Yami hat Geld. Woher hat er das? Er hat sich hoch gevögelt. Ich habe Geld. Woher habe ich das? Ich habe mich ebenfalls hoch gevögelt, wenn auch auf eine andere Weise. Ich gebe zu, dass das keine sehr ehrwürdige Art ist, aber es ist die leichteste. Man pflege ein Image, lerne diese und diese Menschen kennen, lege dieses und dieses Verhalten an den Tag, arbeite ständig für den Aufstieg – Können und Disziplin, um mehr geht es nicht.“, der Lehrer fuhr sich mit einer Hand durch die Haare, „Und jene Disziplin ist im Endeffekt nichts als eine Menge Arschkriecherei und stetiges Arbeiten und Lernen.“

„Wieso beurteilt man Menschen nicht nach ihren Fähigkeiten?“, der Blonde legte den Kopf schief, „Wäre das nicht weit intelligenter?“

„Natürlich. Aber weiß ich, was du kannst? Darum gibt es ja so genannte objektive Testverfahren. Nur objektiv sind sie im Endeffekt auch nicht, weil tausende andere Dinge mit hineinspielen.“, Seto griff nach seinem Glas und trank einen Schluck.

„Wie zum Beispiel?“

„Alles, was deine Psyche und damit deine Leistungen beeinflusst. Soziales Umfeld, Vorgeschichte, sogar Arbeitsmoral und die physische Verfassung. Es gibt einfach keine Objektivität. Aber die Menschen glauben zu gerne daran, dass es sie gäbe.“

„Stimmen die Ergebnisse denn so oft nicht?“, der Blonde legte die Arme übereinander und sein Kinn darauf.

„Nun ja, objektiv gesehen bin ich ein charismatischer Mensch, mit dem einfach umzugehen ist. Wie objektiv findest du das?“

Ein Schmunzeln legte sich auf Katsuyas Lippen.

„Ich glaube, da gebe ich keinen Kommentar zu ab und verschwinde brav ins Bett.“

Und schon wurde das Schmunzeln erwidert.

„Gute Nacht.“, lächelnd räumte der Blonde die Karten zusammen und nahm sie mit sich in Richtung seines Zimmers.

„Katsuya?“, der Angesprochene drehte sich im Türrahmen noch einmal, „Danke.“

Die blauen Augen funkelten wie wahre Saphire. Wie erleuchtet durchschienen sie den Raum, durchbrachen alle emotionalen Wände, die man hätte aufbauen können. Wie sollte man diesen Augen denn widerstehen? Es war unmöglich.

„Kein Problem…“, er atmete tief durch und flüsterte weiter, „Seto…“

Herzschlag

Wie hieß es noch? Wer durchhält, wird belohnt? Ab diesem Kapitel befinden wir uns im letzten Drittel, auch wenn der Wendepunkt noch auf sich warten lässt.

Es wird für die nächste Zeit (ich plane bis Anfang/Mitte Februar) bei zwei Kapiteln die Woche bleiben, ab dann habe ich Vorabiturklausuren. Danach muss man schauen, wie es weitergeht ^.^ Ich vermute, das macht keinem etwas aus, oder? Obwohl ich schon ein Stöhnen erhielt von den Menschen, die sich vorgenommen haben, jedes Kapitel zu kommentieren. Wobei ich mich an dieser Stelle sehr herzlich für alle Kommentare bedanken will ^///^

Zu diesem Kapitel kann ich nur eins sagen und das ist: Es gibt viele Gedanken. Das gilt auch für die weiteren Kapitel. Diese Gedanken enthüllen ein paar Dinge, die ich bisher nur sehr unterschwellig erwähnte und hier betonen möchte ^.^ Am Ende all dieser Gedanken wartet nebst einem neuen philosophischen Teil seitens Kaibas der lang erwartete Wendepunkt. Ich mag nicht sagen, freut euch darauf, weil er wie erwartet ein WENDEpunkt ist, aber verzagt nicht an der Zeit bis dahin ^.^ (bzw. bitte lasst mir Drohungen und Anschuldigungen vom Hals ^.^")

Nun viel Spaß beim Lesen ^.^
 

P.S.: (inspiriert von feuerregen)

Emo = amerikanische Subkultur, in der vor allem Gefühle sehr betont werden. Der größte Teil der Szene ist geprägt durch Weltschmerz und makabren Humor - die Farben dieser Szene sind weiß, rot und schwarz ^.^ (siehe Wikipedia)
 

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Hübsch…

Was anderes konnte man zu Setos Schlafzimmer nicht sagen. Sehr emo, aber hübsch. Traditionell in weiß, rot und schwarz gehalten. Um genauer zu werden: Weiße Wände, Möbel aus Ebenholz, roter Teppich, rote Vorhänge und rote Bezüge. War das nicht das Zimmer, für den er einen Architekten hatte kommen lassen? Eigentlich sahen alle Zimmer sehr stilvoll aus. Obwohl dieses noch eine gewisse Klasse hatte, darüber konnte man nicht streiten.

Was ebenfalls auffällig war, war die unglaubliche Symmetrie in diesem Zimmer. Die Tür war genau mittig, das Bett ebenso an der gegenüberliegenden Wand – übrigens ein riesiges Himmelbett, ebenfalls aus Ebenholz, mit gewundenen Pfeiler und Schnitzereien an Außen- und Innenseiten des Himmelgestühls sowie schweren, roten Vorhängen – die Schränke in gleicher Anzahl an den beiden Seitenwänden und demnach natürlich auch jeweils ein Nachtschränkchen. Vorsicht, Perfektionist. Wahrscheinlich betrug Breite zu Höhe des Bettes genau siebenundsechzig Prozent.

Aber lieber mal zum Hauptgrund, warum er in diesem Zimmer stand. Jener Grund lag nämlich schlafend, eingepackt in eine ungefütterte Decke und seiner Anwesenheit völlig unbewusst – noch, wohl bemerkt – auf jenem faszinierenden Bett und war dabei nicht weniger faszinierend. Seto schlafend. Gut sah er aus – entspannt. In seinem Zimmer schien er sich also sicher zu fühlen. Vielleicht sollte er besser wieder gehen… aber… jetzt war er schon extra so früh wach… eigentlich… seit wann war er so ängstlich?

Sein ursprünglicher Plan war gewesen Seto heute mal zu wecken. Das einzige Problem dabei war die Angst vor dessen Reaktion. Schlafende Hunde sollte man ja bekanntlich nicht wecken – aber wo war das Regelwerk für Drachen? Vielleicht sollten Yami und er das wirklich mal schreiben. Aber was brauchte man für ein Buch? Recherche. Also: Try and error.

„Seto?“, Katsuya ließ sich auf die Matratze nieder.

Die braunen Augenbrauen zogen sich zuckend zusammen, das rechte Augenlid hob sich zur Hälfte, fiel wieder zu, ein Arm in einem blauen Satinschlafanzug hob sich unter der Decke hervor, von dem Daumen und Zeigefinger über beide Lider strichen, bevor sie sich blinzelnd öffneten.

„Guten Morgen.“, grüßte der Blonde lächelnd.

„Katsu… ya?“, die Hand fiel kraftlos auf eines der drei großen Kissen, bevor der Ältere seufzte und sich mit dem Oberkörper aufrichtete, „Was ist los?“

„Ich wollte sie nur wecken.“, er wollte ein Foto, ein Foto, ein Foto von diesem Gesicht, „Ähm… ja. Das war alles.“

„Hm-hm…“, der Brünette rieb sich noch einmal die Augen, „Wie viel Uhr haben wir denn?“

„Halb sieben.“

„Und warum bist du so früh auf?“, auf beide Arme gestützt drehte Seto den Kopf zu ihm.

„Ich habe einen Wecker in der Uhr.“, Angesprochener hob den Arm mit besagtem Stück.

Oh… sah aus, als hätte sein Lehrer das nicht gewusst. Dieser Blick war… tödlich? Mörderisch? Eisig? Auf jeden Fall ein Grund zu flüchten – was der Blonde auch umgehend tat.
 

War es nicht wunderbar mit einem Menschen zusammen zu wohnen, den man auch noch in drei Fächern in der Schule hatte? Es schien Schicksal zu sein, dass er gerade heute die ersten beiden Stunden schon wieder mit dem Älteren hatte. Ob Seto es nicht irgendwann leid wurde ihn zu sehen?

Er würde ihn auf jeden Fall niemals leid sein. Aus der leichten Sturmfrisur und den schlaftrunkenen Augen vom Morgen war ein adretter Herr mit akkurat gekämmten Haar und eisigem Blick geworden. Wenigstens erlöste ihn die Schulglocke jetzt für zwei Stunde von diesem Anblick – diese Augen waren noch immer erschreckend, wenn sich die Lider über ihnen nahe zusammenzogen.

„Hattet ihr Streit?“, flüsterte Ryou ihm von der Seite zu, während der stellvertretende Schulleiter in dem ihm anscheinend angeborenem aristokratischen Schritt das Zimmer verließ.

„Na… fast. Ich würde sagen, er schmollt.“

„Er schmollt?“, eine der weißen Augenbrauen hob sich.

„Ja… er hat mich bis gestern jeden Morgen geweckt. Ich habe ihm nicht gesagt, dass ich einen Wecker in der Uhr habe.“

„Und das hat er herausgefunden.“, auf das Nicken des Älteren schüttelte Ryou den Kopf, „Ihr habt Probleme…“

„Seto kann einiges einfach nicht locker nehmen.“, der Blonde grinste, „Er ist halt zu verkrampft.“

Was nicht überraschend daran lag, dass er diese extreme Selbstkontrolle hüten musste, damit er keine starken Gefühlsausbrüche hatte. Oder waren diese Ausbrüche nur eine Folge der Angst und er hütete diese Kontrolle, um seiner Angst entgegenzuwirken? Egal was von beidem, die Lösung war eine Verringerung der Angst.

„Ryou, wie bekämpft man Angst?“

„Bitte?“, der Jüngere blinzelte, „Wie meinst du das?“

„Du weißt, was überstarke Angst ist. Und du lernst doch gerade damit umzugehen. Du traust dich immer mehr und gewinnst dadurch Selbstwertgefühl. Aber wie lernst du das?“

Die Lippen des Kleineren blieben verschlossen, seine Miene ausdruckslos.

War er mit dieser Frage Ryous Ängsten zu nahe gekommen? Hatte er ihn zurückgeschreckt?

„Tut mir Leid, vergiss-“

„Nein.“, unterbrach der Jüngere ihn, „Ich meine… also… ich muss nur darüber nachdenken… entschuldige, ich wollte dich nicht unterbrechen.“

Oh ja, er hatte eine Angst getroffen. Er hatte alte Verhaltensmuster geweckt.

Ryou stützte seinen Kopf mit einem Arm auf dem Tisch ab, zu dem er seitlich saß – Katsuya zugewandt. Kein Arm lag vor seinem Körper und der Bauch war nicht zurückgezogen – vielleicht hatte er doch nicht so stark getroffen? Oder hatte er eine Angst geweckt, die Ryou jedoch nicht an ihm zweifeln ließ? Diese offene Haltung drückte Sicherheit und Vertrauen aus. Und doch war er aus dem Konzept gebracht.

„Ich denke, ich kann dir nicht mehr sagen als das, was ich bereits erzählt habe. Ich vertraue dir völlig naiv, dass du mich nicht verletzen und nicht verlassen wirst. Ich weiß nicht warum, ich tue es einfach. Vielleicht weil du meinem Bruder ein bisschen ähnlich bist.“

Sollte er das als Kompliment oder als Beleidigung nehmen?

„Und das gibt mir Kraft. Ich weiß, dass du da bist und dass Kura da ist. Ich weiß, dass ihr mir sagt, wenn ich mich komisch verhalte. Ich weiß, dass ihr hinter mir steht und dass ich mich an euch wenden kann, wenn ich Probleme habe. Das ist… das ist eigentlich alles. Das gibt mir den Mut Neues zu wagen. Und wenn ich etwas schaffe, was ich mich sonst nicht getraut hätte, dann macht mich das stolz. Irgendwie so, denke ich…“

„Danke für die Antwort.“, Katsuya lehnte sich in seinem Stuhl zurück und ließ den Blick zur Fensterwand schweifen.
 

Das war aus einigen Gründen nicht auf Seto übertragbar. Seto vertraute nicht. Zumindest nicht so völlig und bedingungslos. Obwohl er ihm so viel von sich gezeigt hatte und nicht zurückgestoßen worden war, hatte er Verlassensängste. Zumindest wirkte es so. Ob es nun der leicht traurige Blick war, der ihn traf, wenn er Seto gerade nicht ansah oder die leisen Seufzer, die von Zeit zu Zeit über die Lippen des Älteren kamen. Die abgewandten Augen, wenn sie sich über manches unterhielten, ihr Ausweichen, wenn Katsuyas Bernsteine ihn fixierten. Seto hielt selten Blickkontakt. Das war ihm schon länger aufgefallen. Als hätte er Angst etwas zu sehen, was er nicht sehen wollte. Ablehnung? Zweifel? Abwehr? Was glaubte Seto zu entdecken, wenn er sich traute einen Blick zu erwidern? Es musste noch etwas geben, das der Brünette ihm verheimlichte. Etwas, was seine Angst verlassen zu werden zu lodernden Flammen schürte. Etwas, wofür er sich wirklich hasste. Das, was er ihm nicht sagen konnte. Das war es, was ihm diese Angst gab, was ihn zurückhielt zu vertrauen. Es musste etwas sein, wofür Seto sich zutiefst schämte. Zumindest war das die einzige Erklärung, die Katsuya einfiel. Ob dieses Schwein Gozaburo ihm noch mehr angetan hatte? Ob die Demütigungen, die er erlitten hatte, wirklich alle waren, die er ihm erzählt hatte?

„Hi, Yami. Ich schreibe, weil ich mir die Frage schon seit gestern Nacht durch den Kopf spukt. Antworte bitte schnell. Lag Seto jemals unten bei euch? Katsuya“, tippte der Blonde in sein Handy, sandte die Nachricht und wandte sich dem Matheunterricht zu.

Es gab zwei Möglichkeiten, wenn sich seine Vermutung als wahr bewies. Die eine Möglichkeit war, dass Seto vergewaltigt worden war. Die andere, dass er einfach nur einen unglaublichen Kontrollzwang hatte und die verschwiegene Sache etwas anderes war. Am einfachsten wäre es, Yami würde ihm sagen, dass seine Vermutung nicht stimme – aber irgendwie konnte er es sich nicht vorstellen.

Die braunen Augen verfolgten Herrn Muto bei seinen Erklärungen zur Bestimmung des Fernverhaltens von Funktionen über Limes. Das nächste ungelöste Problem. Die Matheaufgabe könnte er genauso wenig lösen wie Yugis festgefahrene Einstellungen. Warum hatte er diese strikten Vorurteile und hielt so starr daran fest? Waren auch sie das Produkt einer übergroßen Angst? Das Vertreten einer Doktrin aus reiner Angst vor Neuem, vor Kontrollverlust und dem Zerstören des Selbstbildes?

Im letzten Jahr war Yugi – mit Ausnahme von Yami und vielleicht Hiroto – sein einziger Freund gewesen. Er hatte ihn wie jeden anderen behandelt, hatte ihn vorurteilsfrei anhand seiner Leistungen und seinem Verhalten beurteilt. Er hatte gedacht endlich einen offenen und verständnisvollen Menschen getroffen zu haben. Warum war dieses Bild so sehr zerstört worden? Warum hielt Yugi krampfhaft, krankhaft an seinen Überzeugungen fest und nahm es in Kauf sich selbst zu verachten, nur um sie nicht zu ändern? Was würde auf Yugi zukommen, wenn er Homosexualität nicht als verachtenswert ansah? Ging es dabei wieder um Yami? Halfen diese Überzeugungen ihm seinen Bruder weiter zu hassen und für schlecht zu erklären? Was würde auf Yugi zukommen, wenn er Yami nicht hasste? Schuldgefühle? Scham? Heftigster Selbsthass für das, was er vielleicht getan hatte? Oder für das, was er nicht getan hatte?

Egal, was es war, weder er selbst noch Kaiba könnten etwas daran ändern, wenn sie Yugi nicht in eine Krankheit jagen wollten. Nur er selbst oder Yami könnten etwas ändern. Sie beide hingegen mussten mit der Situation umgehen, wie sie war. Er hatte sich von Yugi fernzuhalten, dem Schwarzhaarigen zuliebe. Und Seto? Sollte er Yugi einfach vergeben und weitermachen wie bisher? Seine Einstellung akzeptieren und das Thema fortan meiden? Konnten sie wirklich nichts tun? Sie litten doch alle unter der Situation. Konnten sie nicht einfach darüber reden?

Nein, Yugi würde auf Abwehr schalten. Seine Einstellung war nicht zu ändern. Der darauf resultierende Selbsthass und die Distanz zu ihnen beiden somit auch nicht. Im schlimmsten Fall würde auch Seto auf Abwehr stellen, schließlich war Yugi die einzige Person, die er als Freund betrachtete. Anbei eine Person, von der er konstant verletzt wurde. Schwierig… Yami mit in den Topf zu werfen könnte totales Chaos bringen oder die Situation lösen. Nebst der Tatsache, dass es Yami sehr verletzten würde – auch ihm könnte es danach entweder besser oder reichlich bescheiden gehen.

Die Glocke – wieder eine Stunde rum. Herr Muto verließ den Raum ohne ihn in der ganzen Stunde auch nur einmal angesehen zu haben. Er ignorierte seine Existenz. Intrusives Syndrom – Vermeidung. Oder ein Abwehrmechanismus? Verleugnung…

Verleugnung einer Existenz.

Für Yugi gab es weder einen Atemu noch einen Katsuya.
 

Herr Lehrer Kaiba behandelte ihn wieder wie jeden anderen Schüler.

Das Mittagessen hatte gut geschmeckt und sein Bento mit dem Sushi von gestern ebenso.

In Kunst hatten sie ein Aquarell begonnen.

In Sport hatte er sich abreagiert – Basketball konnte ein sehr brutaler Sport werden, wenn man zu viele Sorgen und Gedanken hatte. Im Endeffekt hatte Yami recht gehabt. Sport war Psychohygiene – es half wirklich dem ewigen Grübeln für kurze Zeit ein Ende zu setzen und die innere Anspannung loszuwerden. Er sollte für seine Pflicht-AG eine Sportart wählen.

„Was möchtest du trinken?“, fragte Ryou nach und holte zwei Gläser aus einem Wandschrank.

„Auf jeden Fall Sprudel.“, bei Seto gab es nämlich keinen.

„Möchtest du mit Mathe oder mit Kaiba anfangen?“

„Mathe, bitte. Das ist geregelt und logisch. Es gibt nur eine Lösung und die Formeln zur Lösung sind bekannt.“, wahrlich eine sehr beruhigende Sache, wenn man von Menschen gerade genug hatte – bei allen Göttern, jetzt fing er an über die heilsame Kraft der Mathematik zu philosophieren. Er war definitiv auch krank.

Ryou nahm es mit einem amüsierten Lächeln zur Kenntnis.

„Ich wusste, du würdest deine Liebe zu diesem Fach irgendwann finden.“

„Streich meine Worte von gerade einfach.“, Katsuya fuhr sich mit einer Hand durch die Haare, „Ich würde jetzt gerne Mathe machen. Ich konnte heute immer noch keine Aufgabe lösen.“

„Was nicht vielleicht daran liegt, dass du die halbe Stunde aus dem Fenster gestarrt hast?“, der Weißhaarige holte ein Buch und einem Block aus seiner Tasche, bevor er die Stifttasche griff, die bereits daneben lag.

„Du hast in Mathe auch nichts anderes zu tun als mich zu beobachten, oder?“, beide Augenbrauen des Älteren zogen sich nach oben, während sich sein Kopf senkte.

„Ich? Och…“, der Kleinere breitete die Sachen vor seiner Nase aus, „Bisweilen ist das Fach einfach ein wenig… langatmig.“

„Dir ist langweilig?“

„Na ja…“, eine leichte Röte legte sich auf seine Wangen, „Ganz ehrlich… ein bisschen schon.“

„Ich dachte, du hättest keine Angst, dass ich dich verstoße. Sag ruhig, dass du es zum Einschlafen findest.“, ein Lächeln legte sich auf Katsuyas Lippen, „Ich bin dadurch nicht beleidigt – du bist einfach eine Intelligenzbestie, da kann man nichts gegen sagen.“

„Eine Menge Leute sagen etwas dagegen…“, murmelte der Weißhaarige und zog sich einen Stuhl heran.

„Wie meinst du das?“, der Blonde rückte näher.

„Es gibt viele Menschen, die nicht denken wollen, dass jemand etwas einfach besser kann. Sie fühlen sich angegriffen, wenn man etwas besser macht oder bereits weiß. Die meisten Menschen können nicht damit leben auf Fehler oder Schwächen hingewiesen zu werden. Deswegen stelle ich Fragen, wenn ich etwas weiß oder eine Idee habe, damit die Leute es dann für ihr eigenes Wissen oder ihre eigene Idee halten. Oder ich lasse es wie Zufall aussehen, wenn mir etwas gut gelingt. Das hilft nicht so sehr gehasst zu werden…“, Ryou seufzte, „Weißt du, warum ich dich so mag? Ich muss mich bei dir nicht verstellen. Bei dir kann ich sein, wie ich bin. Du bist mir nicht böse, weil ich manches besser kann als du.“, er schlug sich die Hand vor den Mund, sah auf und zog die Augenbrauen zusammen, „Das war jetzt arrogant, oder?“

„Ich glaube nicht, dass das arrogant ist.“, erwiderte der Ältere, „Du kannst vieles besser, das kann ich neidlos anerkennen. Man fühlt sich neben dir schon ein bisschen klein, das ist auch wahr… aber ich habe mittlerweile das Selbstvertrauen mir sagen zu können, dass ich dafür einige Dinge kann, die du vielleicht nicht kannst. Ich kann mit Seto leben. Das kannst du nicht.“, dafür konnte Ryou mit Bakura leben, was wahrscheinlich eine um weiten größere Leistung war – Katsuya könnte es nämlich nicht.

„Nein, das könnte ich nicht…“, der Jüngere sah wieder auf und lehnte sich zurück, „Er ist mir zu groß, das macht mir Angst.“

„Ich bin auch größer als du.“, anscheinend war Ryous Vater ein sehr großer Mann gewesen, „Und Bakura auch.“

„Ich werde aber noch wachsen!“, der Weißhaarige spitzte die Lippen, „Dann bin ich so groß wie Kura und damit fast so groß wie du – du wirst schon sehen.“

Bei allen Göttern, das war zu süß. Das war einfach viel zu süß. Er wollte Klein-Seto zum Liebhaben, selbst wenn er nur halb so süß war wie Ryou. Katsuya seufzte. War das, was er fühlte, Sehnsucht? Das starke Bedürfnis Seto in seine Arme zu schließen? War das Liebe?

Was war es, wenn nicht Liebe?

Taming?

Guten Abend ^.^ Allem voran eine Ankündigung: Es wird nächsten Mittwoch kein Kapitel geben, da ich auf Exerzitien bin. Heißt so viel wie: Nix Text, aber viele neue Kapitel, wenn ich wieder da bin ^.- (Das nächste kommt also nächsten Samstag)

Wie schon erwartet taucht eine "lang ersehnte" Person in diesem Kapitel wieder auf. Und ja, es werden glatt mal einige Fragen bezüglich seiner Identität geklärt - wenn auch manche erst im nächsten Kapitel.

Nun aber viel Spaß beim Lesen ^.^
 

P.S.: SVV = Selbstverletzendes Verhalten

P.P.S.: Auf Anfrage gebe ich mal kurz einen kleinen Kalender ^.^ Kapitel 1 war erste Woche, Montag. Kats ist zu Seto gezogen am Montag in der dritten Woche. Wir haben jetzt Donnerstag Abend der fünften Woche ^.^
 

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„Hey, Flohschleuder.“, wieso hatte er bloß schon erwartet, dass er das zu hören kriegen würde?

„Dir auch einen guten Abend, Bakura.“, dem war sicher nicht einmal mit Freundlichkeit entgegenzukommen – aber man konnte es versuchen.

„Und? Bist du immer noch so eine Niete in Mathe?“

„Nein, er hat die Aufgaben gelöst.“, erklärte der Jüngste lächelnd, bevor er mal wieder an seinem großen Bruder hang und ihn küsste. Was auch nur leicht den Gedanken wieder hoch brachte, mit was Ryou gestern für ihn gezahlt hatte…

Wobei das einen ganz anderen Gedanken aufbrachte. An was war eigentlich Bakura erkrankt? Denn dieses Verhalten war ganz klar krankhaft. Wie konnte gerade die Polizei ihn beschäftigen? Waren die so offen? Oder was genau machte er?

„Sind wir eigentlich jetzt fertig, Ryou?“

„Hm?“, der Kleinste drehte sich zu ihm, „Oh, ja, sind wir eigentlich. Wir haben jetzt sogar das gemacht, was wir heute durchgenommen haben.“

„Gracias.“, die braunen Augen schwenkten zu dem anderen Weißhaarigen, „Ich soll von Seto fragen…“ – was an sich eine Lüge war, aber egal – „…was genau du eigentlich bei der Polizei machst. Und danke für die Entschuldigung, es hat keiner was bemerkt.“

„Natürlich hat keiner etwas gemerkt, ich bin schließlich ein Genie.“, schnaubte der Wolf, „Und bedanken kannst du dich bei Ryou.“, der Blonde formte mit den Lippen einen Dank in Richtung des Jüngsten, „Anbei du eine Menge Schulden bei ihm hast…“

„Kura! Das ist doch gar nicht wahr!“, Ryou schlug eine Hand gegen die Brust seines Bruders – was den anscheinend nicht einmal zwickte, geschweige denn dass er irgendwie Reaktion darauf zeigte.

„Das ist wahr…“, versuchte Katsuya beide zu beruhigen, „Und beizeiten werde ich mich sicher auch erkenntlich zeigen.“

„Könntest damit anfangen diese Idioten in eurer Klasse zum Schweigen zu bringen. Aber nein, da bist du ja zu dumm zu. Ich dachte, du wolltest auf meinen Bruder aufpassen?“, zischte Bakura scharf und richtete seine Aggressionen gegen den Blonden, „Aber nein, das kriegst du ja leider nicht hin. Könnte daran liegen, dass dein ach so toller Seto dir langsam den Verstand raubt. Übrigens interessant, dass du ihn mit Vornamen ansprichst.“, die Lider des Älteren verengten sich.

Katsuya schluckte. Durchatmen. Ruhig durchatmen. Der Angriff war heftig und unerwartet. Aber gut. Kein Problem. Seine Schuld nicht darauf vorbereitet gewesen zu sein. Er sollte bei Bakura besser das Schlimmste erwarten.

„Bakura – komm runter.“, er atmete tief ein und wandte sich zu Ryou, „Gibt es irgendetwas, was ich nicht weiß und vielleicht erfahren sollte?“
 

Der Blick des Jüngsten schnellte zwischen den beiden hin und her, bevor er einen Schritt zurück trat und sich in Bakuras Rücken drückte. Ein Seufzen entglitt dem Blonden. Jetzt hatte er ihn also doch verschreckt. Sehr gut gemacht, Kats. Diesem Du-bist-ein-Idiot-Blick seitens Bakura konnte er völlig zustimmen. Wahrscheinlich war das genau die Art von Reaktion, die er auch von Seto bekommen würde, sollte er jemals fragen, was ihm verschwiegen wurde – Angst.

„Ryou? Du hast mir heute gesagt, dass du mir vertraust. Dass du keine Angst davor hast, dass ich dich verlasse oder verletze. Bitte, erinner’ dich daran. Ich werde nicht wütend auf dich werden und auch nicht gehen. Und im Gegensatz zu deinen Bruder…“, den in diesen Moment ein wütender Blick traf, „…werde ich auch nicht losrennen und Amok laufen.“, denn das Mindeste, was er hatte, war eine Aggressionsstörung.

Der Haarschopf hinter Bakuras Schulter hob sich langsam, bis hellblaue Augen über ihr zu sehen waren. Irgendwie war Ryou ein bisschen wie ein Reh – schreckhaft und vorsichtig. Dasselbe wie Seto, nur dass es bei diesem noch schlimmer war und er deshalb eine Persönlichkeit erschaffen hatte, die den Alltag für ihn führte.

„Du wirst ganz sicher nicht wütend?“, flüsterte eine zitternde Stimme.

„Nein.“, der Blonde lächelte, „Kannst ruhig wieder hervorkommen.“

„Dasselbe hat der Vater auch gesagt, bevor er auf ihn eingedroschen hat.“, warf der andere Bruder mit vor der Brust verschränkten Armen ein, „Gewöhn dich daran, dass er dir nie ganz trauen kann.“

„Muss er ja auch nicht.“, das, was Bakura von sich gab, war definitiv destruktives Verhalten, „Es würde mir nur reichen, wenn er weiß, wie weit er mir vertrauen kann. Und ich kann zusichern, dass ich nicht auf ihn sauer sein werde.“

„Warum dir glauben?“, der Stehende trat vor, „Was ist, wenn du lügst? Was ist, wenn du lügst und es nicht einmal weißt?“

„Genau das nennt man Vertrauen, Wolf.“, Katsuya versuchte seine Stimme ruhig zu halten, während er ihm direkt in die Augen sah, „Nicht jeder Mensch auf dieser Welt ist schlecht.“

„Tz.“, der Silberhaarige beugte sich vor, bis er knapp über Augenhöhe war, „Und du willst einer der Guten sein? Du schlägst andere zusammen, weil sie dir nicht in den Kram passen. Das ist deine Gerechtigkeit, Katsuya. Das hat nichts mit der Gerechtigkeit anderer zu tun. Vielleicht bist in deinem Weltbild ein Guter, lüg’ dir das ruhig vor, wenn dir die Wahrheit nicht in den Kram passt. Aber in meinen Augen ist Gewalt keine Lösung.“

Und dass musste er gerade von ihm hören. Katsuya biss die Kiefer zusammen. Genau diese Antwort wollte Bakura haben. Genau diese Antwort und schon bestätigte er Bakuras Ansicht, dass jeder ihn verletzte und keiner ihn verstand. Nicht, dass er ihn verstand – aber er verstand, dass der Andere in einem ewigen Teufelskreis gefangen war.
 

„Das ist richtig.“, der Blonde atmete tief ein, „Weder Gewalt noch Aggressionen sind Lösungen. Nur leider sind sie manchmal der einzige Weg, weil man keinen Besseren kennt.“

Bakura kannte definitiv keinen besseren. Er selbst hatte auch lange keinen besseren gekannt. Aber im Gegensatz zu Bakura war er dabei neue zu lernen; das hatte Seto sicherlich mit Problemlösungsverhalten gemeint. Entweder er wurde aggressiv oder er brach zusammen – andere Wege hatte er nicht gelernt. Andere Wege hatten auch Bakura und Ryou nicht gelernt.

Ryou wusste das. Er war es, dem die Tränen über die Wangen liefen. Bakura wusste es vielleicht auch – denn er reagierte nicht mit einem erneuten Angriff. Er war still. Schlicht und ergreifend still. Vielleicht war es aber auch die Ruhe vor dem Sturm und der nächste Angriff würde sofort kommen.

Katsuya hielt Blickkontakt. Bakura wich nicht aus.

Ihre einzige Gemeinsamkeit mit Seto war wirklich, dass sie alle nach Liebe und Akzeptanz suchten. Ihre Wege waren sogar noch verschiedener, als Katsuya gedacht hatte. Bakura war nicht nur ein Wolf. Er war noch einsamer und verbitterter. Er war so tief verletzt, dass es wirklich nur noch Verzweiflung zu sein schien, die ihn antrieb – ohne seinen Bruder stände er nicht hier, das war Katsuya vollkommen klar. Und auch Seto war mehr als ein Drache. Er war nicht nur ein Lebewesen, dass als Bestie verkannt war. Er war ein Lebewesen, dass innerlich weinte, wenn ihn ein Angriff traf. Aber sowohl Bakura als auch Seto waren somit Menschen, die daran zugrunde gingen, dass niemand durch ihre Maske sah – und die gleichzeitig zutiefst verängstigt waren, sollte es doch mal jemand tun.

Was im Endeffekt bedeutete, dass er jetzt sogar Bakura in Angst versetzt hatte. Er hatte nicht so reagiert, wie er es erwartet hatte. Er hatte nicht die Maske, er hatte die Person dahinter angesprochen. Sehr wahrscheinlich würde er allerdings jetzt nicht Klein-Bakura, die emotionale Persönlichkeit treffen, so wie er es bei Seto plötzlich getan hatte. Bakura würde nicht weinen. Bakura würde auch keinen Anfall kriegen. Bakura konnte seine Gefühle auf keine andere Art als durch Aggressionen ausdrücken. Zumindest hatte er noch immer keine Reaktion gezeigt. Bakura war im Endeffekt also noch verletzter als Seto. Er hatte genau die andere Art DESNOS – die destruktive, sadistische, die völlig fremd zerstörerische Art DESNOS. Seto richtete das Meiste gegen sich selbst. Bakura richtete das Meiste gegen andere.

Verletzte er auch Ryou? War er nicht im Endeffekt wie ihr Vater geworden?

Katsuya schluckte.

War er nicht wie sein eigener Vater?

Er atmete tief ein.

Würde er genau so enden?
 

Bakura wich seinem Blick aus.

Allen Göttern sei Dank – es würde kein Angriff mehr kommen. Ein Lächeln breitete sich auf Katsuyas Gesicht aus.

„Macht es dir Spaß andere leiden zu sehen?“, zischte der Wolf, der ihm beim Aufrichten einen Blick zugeworfen hatte und nun die Lider verengte.

Na, ganz toll… was auch immer er mit diesem Lächeln sagen wollte, Bakura hatte es definitiv anders aufgehasst.

„Ich hatte mich nur gefreut keinen Gegenangriff zu bekommen.“, er hob die Hände, „Nichts weiter.“

„Rede dir ein, was du glauben willst.“, der Silberhaarige drehte sich ab und ging zur Tür, „Und denk beizeiten mal über das nach, was du versprichst. Lass es, wenn du es eh nicht halten kannst.“

Die braunen Augen schwangen zu Ryou, der sein Gesicht in seinen Händen vergrub. Bakura ließ sie allein? Er schien ihm doch ein wenig zu trauen. Nebst der Tatsache, dass er ihm alles vorwarf, was er sich selbst vorzuwerfen hatte – sicher war das auch ein Abwehrmechanismus. Unterstelle Leuten das, wofür du dich selbst nicht magst. Wunderbar. Bakura brauchte eine Therapie und das dringend – Seto hatte gesagt, man konnte die Auswirkungen von DESNOS einschränken. Wenn Seto als Selbstzerstörer weder SVV noch starke Sucht zeigte, dann konnte man Bakura als Fremdzerstörer die schlimmsten Attacken sicherlich auch irgendwie abgewöhnen. Zumindest für Ryou wäre das ganz gut…

„Ist gut…“, flüsterte Katsuya und zog das zitternde, weinende Bündel Mensch in seine Arme, „Ich bin ja da… ganz ruhig…“, er wiegte den Jüngeren leicht in seinen Armen und summte die Melodie von „Einmal“ – das hatte er seiner Schwester früher vorgesungen, wenn sie nicht schlafen konnte. Als sie das Lied auf einer Musical-CD gefunden hatte, war das fortan ihr Lieblingslied gewesen. Komisch, dass er sich gerade jetzt daran erinnerte…

Ryou litt nicht an einer peritraumatischen Dissoziation. Er hatte keine Maske, mit der er sein Leben lebte. Er war einfach er, die Gefühle direkt tragend. Wenn man ihm eine Freude machte, dann freute er sich. Wenn man ihn verletzte, war er verletzt. Das und nichts anderes. Aber die schwere Selbstwertgefühlsstörung, die hatte er unzweifelhaft. Nebst noch stärkeren Schwierigkeiten mit Problemlösungsverhalten als er selbst sie hatte. Ryou begann zu weinen, wenn ihm eine Situation zu viel war. Anscheinend hatte er damit keine schlechten Erfahrungen – man weine und einem wird geholfen. An sich ungewöhnlich, dass er die Erfahrungen hatte, normalerweise hauten Menschen noch lieber drauf, wenn jemand weinte… oder war sein Bruder wirklich immer da gewesen, wenn er nicht mehr konnte? Hatte Bakura sich wirklich jedes Mal in die Schusslinie gestellt, wenn die Aggressionen ihres Vaters sie trafen? Hatte er jedes Klassenmitglied, jeden Lehrer seines Bruders so verletzt, dass sie es nicht wagten Ryou etwas Schlimmes zu tun?

Und jetzt gab es anscheinend Menschen, von denen er nichts wusste. Bakura hatte seinen Bruder in seine Obhut gegeben und er hatte es vermasselt – weil Ryou ihm etwas verschwiegen hatte. Im Nachhinein betrachtet hatte er es immer wieder ganz leicht angesprochen, als wollte er die Frage, ob ihm jemand zusetzt, hervorlocken. Und er hatte es nicht bemerkt… er hatte Ryous Zeichen nicht verstanden – und damit Bakura enttäuscht, ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein. In einem hatte der Wolf somit Recht:

Er musste noch sehr, sehr viel lernen.

Verschwiegenes

Guten Nachmittag ^.^ Ich bin wohl erholt aus den Exerzitien wieder da und habe zwei neue Kapitel mitgebracht. Das heißt, dass es auch weiterhin zwei die Woche gibt. Mal sehen, wie lange ich durchhalte ^.- Und entschuldigt die Flüchtigkeitsfehler, die dabei entstehen v.v Anbei möchte ich mich bei denen bedanken, die sie für mich finden ^.- Danke!

Ein weiteres Danke geht an feuerregen, die nun auch ein viertes (!!!) FA zur Story gezeichnet hat. Diesmal ist es ein Analysebild, daher auch hier meine Empfehlung: Seht es euch an! Ihr findet es in der Fanartgalerie zu Dead Society (in der Kapitelübersicht).

Ich freue mich immer wieder sehr über die Fanworks, die mittlerweile von Fanarts über Gedichte bis bald vielleicht zu Videos reichen. Wenn jemand Lust und Zeit hat, ich freue mich auf jeden Fall sehr, gebe lange und ausführliche Kommentare (den Künstlern nach zumindest) und erwähne euch hier ^.^ (außer ihr wollt nicht).

Nun, genug Vorwort, ohne weiteres Geschwätz präsentiere ich euch das neue Kapitel - viel Spaß beim Lesen ^.^
 

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„Hey, Kleiner…“, Katsuya strich über den weißen Haarschopf, „Ryou.“

„Hm?“, der Kopf unter jenem Schopf hob sich, bis er in große, verweinte, blaue Augen sah.

„Was hältst du davon, wenn wir uns setzen?“

„Okay…“, flüsterte er.

Der Blonde ließ langsam seine Arme sinken, trat zurück, zog den Stuhl vom Tisch weg, setzte sich und bot dem Jüngeren mit einer Handbewegung sein Bein an.

„Wasser?“, fragte er, nachdem sich Ryou gesetzt hatte.

„Hm…“, sich an Katsuyas Brust kuschelnd nahm der Kleinere das Glas entgegen und nippte zweimal daran, bevor er es zurückgab.

„Tut mir Leid, dass ich nicht bemerkt habe, dass dir immer noch jemand etwas antut. Würdest du mir denn sagen, um wen es geht?“, er versuchte seine Stimme so sanft wie möglich zu halten – hoffentlich gab er Ryou damit ein bisschen Sicherheit.

„Hm-hm…“, er atmete tief ein, „Du weißt doch… da ist dieser Junge… der, der dich immer beleidigt… der hat Angst vor dir.“, er klammerte sich an die Jacke von Katsuyas Schuluniform, während er seinen Kopf an dessen Schulter gelegt ließ, „Aber wenn du nicht da bist… wie Montag oder gestern… oder wenn du bei Kaiba bist… dann…“, er schloss die Augen, „Dann beschimpft er mich… und alle sehen weg… sogar die Lehrer… oder sie sehen zu und sind stumm… warum? Warum bist du der einzige, der mir hilft?“, der Blick der blauen Augen richtete sich verzweifelt auf seine Bernsteine, „Warum schauen sie immer nur weg?“

„Verletzt dich, was der Typ sagt?“, fragte der Blonde im Gegenzug.

„Ja…“, die Lider und der Kopf senkten sich, „Warum hasst er mich so? Warum hilft mir keiner?“

„Er hasst dich nicht, er ist nur unglaublich unzufrieden mit sich selbst und sucht deswegen Menschen, denen es besser geht, um sie dafür zu hassen, dass es ihnen besser geht.“, genau das, was er selbst über Jahre getan hatte, „Und er sucht Andersartige, um sie dafür zu hassen anders zu sein, damit er sich selbst normal fühlen kann.“, so wie er normale Menschen dafür gehasst hatte normal zu sein, „Im Endeffekt ist er neidisch auf dich.“

Blauauge sah scheu auf.

„Und es hilft dir keiner, weil sich keiner dafür verantwortlich fühlt. Keiner will sich in die Schusslinie stellen – aus Angst verletzt zu werden. Ich bin anders, weil ich mich für dich verantwortlich fühle. Du hast dich mir anvertraut und ich habe zugestimmt mich um dich zu kümmern. Und das ist bei weitem keine Belastung, die mich dazu bringt dich von mir zu stoßen – ich bin nämlich trotz meiner eigenen Probleme ziemlich belastbar. Auch wenn das gleichzeitig ein Problem ist, weil ich mir anscheinend ein paar zu viele Lasten auflege. Aber ich denke, das ist okay, denn du gibst mir auch vieles zurück. Ich brauche dich genauso. Du nimmst mir wieder andere Lasten ab.“, wenn auch nicht so viele, wie zum Beispiel Yami es im Gegenzug tat, „Und deswegen bin ich bereit für dich da zu sein. Deswegen schweige ich nicht, wenn dir jemand etwas antut. Aber andere Menschen wollen nicht für dich da sein, weil sie nicht sicher sind, ob sie etwas dafür zurückbekommen. Sie warten darauf, dass man auf sie zukommt.“, was sicherlich auch ein großes Problem der Menschheit war – er musste Yami danach fragen, „Das Problem hat jeder. Aber du bist auf mich zugekommen. Du warst sehr mutig und hast mich angesprochen und hast dich mir geöffnet. Manche Menschen würden damit auch nicht klarkommen, das gebe ich zu, aber wenn du Schritt für Schritt auf manche zukommst, sodass sie nicht misstrauisch werden, dann kannst du damit sicher fast jeden auf deine Seite bringen.“, als wenn man sich ganz vorsichtig in die Herzen der Menschen schleicht… war das der Trick zum Überleben? Anderen immer wieder irgendeine Freundlichkeit entgegenbringen und so langsam zum Freund vieler werden? Ja, er musste Yami auf jeden Fall deswegen sprechen.
 

„Katsuya?“, flüsterte eine leise Stimme und holte ihn somit zurück in die Küche, in der er mit Ryou saß, „Wenn das so ist… dann sind eine Familie Menschen, die sich füreinander verantwortlich fühlen, oder? Die einander helfen, weil sie darauf vertrauen etwas zurückzukriegen, oder?“

„Ähm…“, der Blonde schluckte, „Äh… vielleicht? Das ist gut möglich. Ich weiß nicht… ich weiß auch nicht, wie eine richtige Familie aussieht.“, aber er hatte sich immer um seine Schwester gekümmert, egal, was war, selbst wenn sie sich gestritten hatten – genau das, was Seto auch mit seinem Bruder gemacht hatte, „Aber ja, ich glaube, so könnte man das sagen.“

„Sind wir dann auch eine Familie?“, bei allen Göttern, das war ein Hundeblick… damit könnte man sicher sogar Seto dazu bringen im rosa Ballettkleid in die Schule zu gehen.

„Ähm… ja, so was in der Art sind wir sicher…“

„Hab’ dich lieb.“, murmelte der Fünfzehnjährige, legte seine Arme um Katsuyas Hals und drückte sich an ihn.

„Ich dich auch…“, er umarmte ihn im Gegenzug. Was genau tat er hier? Er gestand Ryou den Status seines eigenen Kindes oder Bruders zu und somit seine Hilfe in fast jeder Art von Situation. War es das, wovor Yami ihn gewarnt hatte? Dass er Sachen versprach, die ihn an die Grenzen seiner Belastbarkeit brachten, weil die Menschen, denen er es zusicherte sehr viel Hilfe brauchten? Bei Ryou war es eigentlich okay, weil er auch noch Bakura hatte. Bakura selbst würde er niemals seine Unterstützung zusichern, da sah sogar er, dass das über seine Belastbarkeit ging. Das Problem war Seto. Seto hatte er seine Hilfe zugesichert. Dass dieser ihn nicht vampirartig aussaugen würde, das wurde nur garantiert durch sein Versprechen ihn nur mit dem zu belasten, mit dem Katsuya umgehen konnte – hatte er das gestern getan? Eigentlich ja. Alles, was gestern geschah, gehörte noch zu dem, mit dem er umgehen konnte. Obwohl der Anfall am Morgen hart an der Grenze war. Er musste stark darauf achten seine Grenzen genau einzuhalten – darauf vertraute Yami. Yami gestand ihm zu fast vollends verantwortlich für sich selbst sein zu können, das hatte er gestern ausdrücken wollen. Aber er hatte gleichzeitig auch an Seto gedacht. Er hatte ihm damals gesagt, dass er nicht versuchen sollte sich allein um Seto zu kümmern. Das war nicht nur, weil er nur endlich belastbar war. Das war auch, weil Seto belastender war, als ein einziger Mensch es tragen konnte. Wollte Yami auch eine Stütze für ihn sein? Oder war er es schon, aber fühlte sich nicht so, weil Seto vor ihm oft eine Maske trug?

Wahrscheinlich. Yami war wie er selbst eine aufopfernde Persönlichkeit. Nur wer stützte ihn? Yami stützte sich gänzlich auf ihn selbst, oder? Aber er hielt sich zurück. Wie konnte er sich also halten? Zog Yami seine Kraft daraus anderen zu helfen? Gab es so etwas wie ein Helfersyndrom? Dass man sich selbst half, indem man anderen half? Wenn es das gab, dann waren sowohl Yami als auch er die ersten, denen man es zuordnen konnte. Doch, das musste es sein, was Yami ihm damals im Sixth Heaven beschrieben hatte. Dass Menschen anderen halfen, weil sie sich nur als wertvoll ansehen konnten, wenn sie für andere da waren. Oh… unglücklich, wenn das auf DESNOS traf. Deswegen war Yami so besorgt. Aber an sich hatte er sich doch ganz gut entwickelt – er wollte erst gar nicht versuchen für Bakura da zu sein, weil der ihn definitiv zerstören würde. Aber ob Seto eine gute Idee war… er musste auf jeden Fall immer im Hinterkopf behalten, dass er nur dem zustimmen durfte, was er wirklich leisten konnte. Und wenn doch zuviel gefordert wurde, musste er auf jeden Fall mit Yami sprechen. Er musste immer daran denken, dass auch er um Hilfe bitten durfte.

Bei allen Göttern, Leben war schon echt schwer…
 

„Und was genau macht dein Bruder jetzt bei der Polizei?“, änderte Katsuya das Thema.

„Na ja…“, der Kleinere löste sich ein wenig von ihm, stand auf und ging sich die Nase putzen, „Derzeit arbeitet er größtenteils im Büro. An sich ist er angestellt als Profihacker. Er sucht Fehler im Sicherheitssystem der Polizei und anderer Firmen. Aber wenn es da gerade keinen Auftrag gibt, dann muss er sich mit Akten ordnen und aktualisieren abgeben.“, mit einem Lächeln wandte er sich zu dem Blonden, „Das mag er gar nicht.“, er trank einen großen Schluck Wasser und setzte sich auf einen Stuhl neben ihn, „Er arbeitet derzeit an seinem Aufstieg, damit er etwas Besseres zu tun hat, wenn ich nicht gerade irgendwelche Zahlenreihen auf Fehler überprüft. Er möchte in die Spionage – Erfahrung bei der Polizei und dann zum Militär oder dem Geheimdienst.“

„Spannend.“, Jobs, für die man eine Mentalität wie Bakura brauchte – Zerstören und Schaden machte Spaß, „Und was soll das mit dem Meisterdieb?“

„Oh, das war toll!“, ein Funkeln schien Ryous Augen zu ergreifen, „Ein Museum hatte bei der Polizei eine Anfrage gestellt, dass ihr Sicherheitssystem überprüft wird. Und das ging versehentlich an Kura, weil er genau das ja machte – nur halt digital. Aber er hat das souverän durchgezogen, sich eine Ausrüstung besorgt und ist mit Vorankündigung in das Museum eingebrochen.“

Ach du verdammte… Vorsicht, Adrenalinsucht. Wetten, das Museum hatte bei ihrer Anfrage etwas anderes erwartet?

„Und, was ist dabei raus gekommen?“

„Er hat nichts gestohlen, aber er hat bei allem, an das er problemlos kam, eine Karte hinterlassen. Danach hat er seinen eigenen Einbruch auf den Kameras überprüft und siehe da – er konnte nicht erkannt werden. Zwei Tage später hat er dem Museum eine Liste mit Verbesserungen überreicht und er hat extra Geld bekommen, von dem er den Computer, Drucker und Scanner gekauft hat. Der Mann, der den Auftrag falsch weitergeleitet hatte, hat sich tausendmal entschuldigt, aber Bakura durfte danach noch in zwei andere Museen und noch ein paar weitere Einrichtungen einbrechen. Das hat ihm schrecklich Spaß gemacht.“, ein breites Lächeln und stolze Augen strahlten Katsuya entgegen. Ryou schien das für eine wirklich ehrwürdige Aufgabe zu halten irgendwo einzubrechen. Schlechter Einfluss seitens Bakura? Obwohl es der einfachste Weg war, das war schon richtig…

„Hört sich auf jeden Fall sehr… interessant an.“, der Blonde lächelte leicht zurück, „Dein Bruder hat einen Hang zum Außergewöhnlichen, oder?“, zum Extremen eher gesagt. Seto war um so viel einfacher… na ja, wer wusste, wie das langfristig aussehen würde.

Der Blauäugige legte nur den Kopf schief und blinzelte einen Das-ist-alles-ganz-harmlos-Blick. Ja, ganz sicher. Bakura konnte kein Wässerchen trüben. Könnte daran liegen, dass er schon völlig getrübt war! Es war zum Federn raufen. Mit Bakuras aggressivem Verhalten würde er wohl auf keinen grünen Zweig kommen.

„Ich schau mal kurz nach ihm, okay?“, Ryous Miene wurde wieder ernst.

„Natürlich.“, erwiderte der Blonde sofort. Im Endeffekt brauchte Bakura wahrscheinlich noch mehr Fürsorge als Seto. Und um Längen mehr Feingefühl. Feingefühl, das er ganz sicher nicht hatte, er verstand vieles einfach nur, wenn man direkt war. Sogar Seto schien sich schon daran gewöhnt zu haben, dass er ihm sagen musste, wenn seine Stimmung nicht auf dem Hochpunkt war.
 

Katsuyas Blick wanderte durch die Küche. Was tun, während Ryou weg war? Ein leichtes Seufzen glitt über seine Lippen, während er nach seinem Handy griff. Er konnte ja mal nachfragen, was sein Mitbewohner gerade anstellte und wie es ihm ging.

Halt.

Eine Nachricht?

Katsuya schluckte.

Es war kurz nach acht Uhr. Yami war definitiv wach. Er überprüfte sein Handy direkt nach dem Aufstehen – er musste geantwortet haben. Der Daumen des Blonden schwebte über der Taste links oben. Wollte er das wirklich wissen? Sicherheit gäbe es eh nicht. Aber Wahrscheinlichkeit… der Finger senkte sich.

„Er hat nie unten gelegen.“, der Neunzehnjährige schloss die Augen, atmete tief ein und las weiter, „Spekulierst du gerade, ob er vergewaltigt wurde? Ich weiß nicht, was er dir erzählt hat, aber das wäre für mich schwer zu glauben. Natürlich ist DESNOS eine Krankheit, die am meisten nach Vergewaltigungen auftritt, aber… ich weiß auch nicht. Komm morgen zu mir, ja? Kuss, Yami“

Hm… das warf Fragen auf. DESNOS trat am meisten nach Vergewaltigungen auf? Aber Yami vermutete es dennoch nicht. Warum? Zeigten Vergewaltigungsopfer irgendein einheitliches Verhaltensmuster, was er bei Kaiba noch nicht entdeckt hatte? Oder konnte man Vergewaltigungen auch nach längerer Zeit noch am Körper nachweisen? Oder konnte sich Yami einfach nicht vorstellen in Seto eine ähnliche Seele wie seine eigene zu finden?

Der Rothaarige war schon oft vergewaltigt worden, das war unbezweifelbar. Er hatte nur einmal darüber gesprochen und das auch nur, weil er nicht wusste, dass Katsuya mithörte, der sich aus Sorge in Yamis Zimmer geschlichen hatte, während er duschte.

„Warum ich?“, die Dusche hatte er gerade ausgestellt, „Neunzig Prozent aller Vergewaltigungen geschehen in Familien. Warum konzentrieren sich die restlichen zehn Prozent der Gegend auf mich? Verdammte Scheiße!“, ungefähr zu dem Zeitpunkt war der Blonde ins Badezimmer gerast, weil Yami zu seinem Ausruf den Spiegel zerschlagen hatte. Aber Yami war damals schon stark gewesen. Er hatte sich nie selbst die Schuld für die Vergewaltigungen gegeben. Er hatte einen Teil seiner Gefühle herausgeschrieen, den anderen in leichten Anfällen verarbeitet. Genau dieselben Anfälle, die Seto hatte, wenn er es jetzt bedachte. Hatte er deshalb die Ruhe behalten? Damals war er entweder high, betrunken, brauchte Verarztung oder Essen – oder einfach nur Schlaf. Er hatte dagesessen und Yami beobachtet. Er hatte ihm nie geholfen. Er hatte es aus Prinzip nicht getan. Er hatte Yami bewundert, ihn beneidet und ihm gleichen Atemzug gehasst und verabscheut. Yami ging es gut – aber er ließ sich mehr erniedrigen als er selbst damals wurde. Yami half ihm, kümmerte sich um ihn und hörte sich seine Scheiße an. Aber er fragte niemals, wie es Yami ging. Er war nur da. Er hatte ihm niemals geholfen, weil sein heutiger bester Freund damals in seinen Augen unter ihm stand – wie verdammt er sich geirrt hatte. Damals wollte er es nicht sehen, um sein Selbstbild aufrechterhalten zu können. Darum hatte er niemals geholfen. Er hatte Yami in sich selbst versinken lassen, ihn über Stunden seinen Anfällen überlassen.

War es so abwegig, dass Seto vergewaltigt worden war? Er hatte dieselben Anfälle. Es war bei ihm sogar schlimmer als bei Yami – und Seto wurde nicht ständig vergewaltigt. Legte das nicht die Vermutung nahe, dass Seto in jungen Jahren vergewaltigt worden war?

Aber Ryou war auch vergewaltigt worden, war dabei vierzehn gewesen und es war erst ein halbes Jahr her. Und er hatte erst einmal etwas in die Richtung eines Anfalls gezeigt. Er hatte trotz allen Traumata auch anscheinend keine DESNOS. Es war nicht einmal klar, ob er eine PTBS hatte. Und das trotz den Schlägen, dem Hass, dem Selbstmord der Mutter und der Vergewaltigung. Nur durch Bakura? Nur durch seinen Halt durch seinen Bruder? Und es gab keine Retraumatisierung durch Bakuras Verhalten? Verwirrend… Bakura war der lebende Beweis, dass alles wirklich geschehen war. An Ryous Geschichte war nicht zu zweifeln.

An Yamis ebenso nicht.

Wie passte Seto in dieses Bild?

Hunt

Wie einige vielleicht schon in der Kapitelübersicht gelesen haben: Es gibt genug Kapitel, dass ich bis zu meinen Prüfungen (Mitte Februar) auf jeden Fall zwei pro Woche hochladen kann ^.^ Es geht also weiterhin jeden Mittwoch und Samstag weiter.

Mit diesem Kapitel kommt eine Szene, die einige schon sehnlichst erwartet haben und ich hoffe, sie entspricht eurem Geschmack. Eine Prise schwarzer Humor sollte wohl nie fehlen im Text ^.-
 

P.S.: Ich schreibe wieder Nebensequenzen ^.-
 

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„Es tut mir Leid!“, der Blonde verschränkte die Arme vor dem Kopf, „Es tut mir Leid, Papa. Es tut mir Leid!“

Er wiederholte die Worte wie ein Mantra, während ein hölzerner Kleiderbügel auf ihn niederfuhr. Seine Arme waren schon ganz blau. Die anderen Kinder würden wieder lachen und ihn fragen, ob er ein Außerirdischer war. Immer war er ganz blau oder grün oder violett. Seine Schwester würde fragen, ob er schon wieder hingefallen war beim Spielen. Er würde lächeln. Er lächelte immer. Nein, er war kein Außerirdischer, er war ein Tollpatsch. Er war gegen den Türrahmen gelaufen. Ja, er war schon wieder hingefallen. Diesmal hatte er sich mit einem Freund gerauft. Er war aber auch wild, das würde seine Lehrerin sagen.

„Es tut mir Leid…“, seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

Der Bügel war zerbrochen. Der Vater war wütend, weil er den Bügel kaputt gemacht hatte. Schon wieder er. Er war ein schlechtes Kind. Jetzt hatte er sogar den Bügel kaputt gemacht. Und er war jämmerlich. Jungs durften nicht weinen.

Aber er weinte. Er lag noch immer in der Ecke, in derselben Position, die er als die am wenigsten schmerzhafte erlernt hatte. Er weinte.

Katsuya schlug die Augen auf, atmete tief ein, stieß die Luft aus und ließ die Lider wieder zufallen.

„Verdammt…“, seine Rechte legte sich über Stirn und Augen.

Nicht schon wieder so ein Traum. Und der war auch noch echt. Das kleine Bündel Mensch, was sich weinend in Ecken verkroch, das war er mal gewesen. Das war schon echt lange her…

„Hallo, Katsuya.“, das kleine Bündel vor seinem inneren Auge wurde still und sah mit einem Auge durch die Verteidigung, wer da mit ihm sprach, „Ich bin du in fast zehn Jahren. Erkennst du dich?“, der Neunjährige musterte ihn verstohlen und ließ die Abwehr langsam sinken, „Ich wollte dir sagen, dass du nicht weinen brauchst. Das mit dem Kleiderbügel ist nicht so schlimm. Der Typ hasst dich einfach. Da musst du dich dran gewöhnen. Das wird sowieso nur schlimmer. Aber denk mal… du hast Shizuka. Du hast deine Schwester noch. Ich kann dich echt nur beneiden.“, der kleine Junge wischte sich die Tränen weg, „So ist es gut. Siehst du? Und schon bist du ein starker Mann.“

„Mit wem redest du da?“

Katsuya schoss in die Höhe, riss die Lider auf und erblickte Seto im Türrahmen. Shit. Er hatte ihn gehört. Verdammt… die Blonde warf einen Blick auf die Uhr. Scheiße, schon sieben Uhr.

„Ich… äh…“, seine Augen richteten sich wieder in Richtung des Älteren, „Ich… ich habe mit mir selbst gesprochen. Ich habe mir mich selbst als Neunjährigen vorgestellt und mit ihm gesprochen.“, hoffentlich hielt Seto ihn nicht für verrückt, hoffentlich nicht, hoffentlich…
 

„Ach so.“, der Brünette trat ins Zimmer, „Ich wollte dich nur wecken. Wer weiß, ob du deinen Wecker…“, sein Blick weilte auf Katsuyas Unterarm, „…nicht versehentlich überhörst.“

„Ehehehe…“, der Jüngere grinste entschuldigend und zog den Kopf ein. War es so normal, dass man sich mit sich selbst aus jüngeren Jahren unterhielt?

„Ich werde dir schon nicht den Kopf abreißen.“, meinte der Lehrer mit einem Seufzen, während er die Arme in die Hüften stemmte.

„Sind sie nicht mehr sauer?“, irgendwo in seinem Hinterkopf weilte immer noch das Bild des kleinen Jungens – er war mit seiner Schwester spielen gegangen.

„Um es in deiner Sprachwahl zu sagen, ich fühle mich extrem angepisst.“, die blauen Augen nahmen einiges an Kälte an, „Du lässt mich Oberglucke spielen, obwohl ich das eigentlich nicht müsste. Hat es dir Spaß gemacht dich über meine Aufweckversuche lustig zu machen? Hat Ryou auch herzlich gelacht?“

„Lassen sie die Anschuldigungen stecken.“, knurrte Katsuya zurück, „Weder habe ich mich lustig gemacht, noch lästere ich mit Ryou über sie. Ich habe es genossen, dass ich morgens nicht allein und durch irgendein Piepen aufwachen musste.“

Die angespannten Gesichtsmuskeln des Brünetten lösten sich, die Lider entspannten sich – und Seto wich seinem Blick aus. Wie so oft. Verschwieg er etwas? Handelte es sich um ein Gewaltverbrechen wie eine Vergewaltigung?

„Du wirst gern geweckt?“, fragte er etwas kleinlaut.

„Ja…“, der Blonde pellte sich aus seiner Decke und trat zu Seto, der wie verloren in der Mitte des Zimmers stand, „Ich möchte ihnen nicht wehtun, okay? Ich weiß, dass ich es trotzdem tun werde, aber ich möchte es eigentlich vermeiden. Okay?“

Die Lider legten sich über die graublauen Augen, während der abgewandte Kopf leicht nickte, bis Seto sich mit einem Seufzen umdrehte, zur Tür ging, ein weiteres Mal seufzte, ein Blick über die Schulter warf und dabei sagte: „Ich bin dann unten, ja?“

Katsuya lächelte.

Vielleicht würde Seto es ihm irgendwann sagen. Vielleicht gab es nicht einmal etwas, was er verschwieg. Vielleicht würde Yami ihm heute Abend Genaueres sagen.
 

Bevor Seto ihn gestern Abend abgeholt hatte, hatte Ryou ihm gesagt, dass er sich ein bisschen um Bakura kümmern müsse. Anscheinend hatte er gestern richtig Schaden angerichtet. Nur, weil er einmal nicht reagiert hatte, wie Bakura es erwartet hatte? Das war schon wirklich richtig hart. Es machte ein wenig Angst, was Seto betraf. Würde der auch extrem labil werden, wenn man etwas wirklich Überraschendes tat? Hatte ihm Yami deshalb geraten Seto vorzuwarnen, wenn er etwas tat wie ihn anzuschreien oder zu küssen? Seto brauchte eine Menge Kontrolle.

Was wieder die Frage aufwarf, ob seine Stellung beim Sex rein an diesem Kontrollzwang lag. Irgendwie erschien ihm seine Theorie, Seto könnte vergewaltigt worden sein, mittlerweile doch etwas abwegig. Natürlich könnte er etwas verheimlichen, er könnte aber auch einfach nur Angst haben. Hoffentlich würde das Gespräch heute Abend etwas Klarheit bringen. Er hatte viele Fragen.

Aber vor seinem Besuch bei Yami stand etwas an, was er sich keinesfalls entgehen lassen wollte. Gestern Abend hatte er Bakura zwar nicht mehr gesehen, aber er hatte durch Ryou ausrichten lassen, dass er ihn heute zur Schule bringen würde – um ein Gespräch mit Herrn Kaiba zu führen, natürlich – und sich Katsuya schon mal auf eine scharfe Zunge gefasst machen solle. War nur zu hoffen, dass die mehr gegen diese eine Gruppe Jungen als gegen ihn selbst gehen würde. Aber bei Bakura wusste man ja nie…

Wobei zu hoffen war, dass Schlaf ein allgemeines Mittel zur Verarbeitung war und nicht nur bei Kaiba und ihm funktionierte. Ein labiler Bakura… das wäre… entsetzlich? Ganz ehrlich, das wollte er nicht sehen. Ein labiler Bakura wäre eine Art Zusammenbruch. Wie tief konnte ein Mensch verstört werden? Wie anormal konnte er werden? Wie viel Angst und Hass konnte eine einzige Seele bergen? Setos Zustände, besonders sein letzter Anfall, waren in sich schockierend. Aber er war langsam darauf vorbereitet worden statt mit solch einem Elend konfrontiert zu werden. Ein labiler Bakura allerdings wäre für ihn extrem verstörend – selbst der stabile war ja schon destabilisierend. Kam Ryou damit zurecht, weil er es einfach gewohnt war? Er kannte seinen Bruder seit dem Tag, als er das Licht der Welt erblickte. Ja, er war einfach daran gewöhnt. Es warf neue Fragen auf. Wie sehr konnte ein Mensch sich anpassen? Wie sehr konnte er sich verändern, um noch in jeder Situation das Erforderliche zu leisten?

Der Mensch war schon irgendwo außergewöhnlich. Andere Tiere konnten sich auch anpassen, aber er wüsste keins, dass so viel wie ein Mensch leisten konnte. Lag das nur an einem komplexen Gehirn? Wie konnte so ein kleines Organ eigentlich so wunderliche Werke zustande bringen? Neurologie musste ein interessantes Fach sein.
 

„Morgen, Katsuya.“, aus seinen Gedanken gerissen hob der Angesprochene seinen Blick.

Ach ja – das Schreckensduo in Farbe. Bakura ging es fraglos wieder gut, dieser Blick war nämlich extrem mörderisch. Zwischen seinen Lidern waren nur Millimeter – wenn überhaupt – durch die er ihn fixierte. Im Gegensatz zu seinem Bruder gab es von ihm natürlich keine Begrüßung.

„Morgen.“, grüßte der Blonde lächelnd zurück, „Geht es deinem Bruder besser?“

Der Jüngere warf ein Schmunzeln über die Schulter zu seinem Freund, zog seinen Stuhl heran und ließ sich neben dem anderen Schüler nieder, während sich Bakura einen Stuhl aus der dritten Reihe nahm.

„Das ist meiner.“, meinte einer der Jungen, der – wie überraschend – der Anführer dieser Jungenbande war, die anscheinend auf Ryou rumhackte. Sah aus, als wäre das Ganze geplant.

„Aha.“, der Silberhaarige setzte sich und wandte sich zu Katsuya, „Wie sieht es mit deinen Verwundungen aus?“

„Gut.“, sollte das Smalltalk werden? Einfach mal mitmachen. „Über den Schrammen hat sich eine Schicht Haut gebildet und es brennt und juckt nicht. Die Blutergüsse haben auch an Farbe verloren und über meinen Unterarm liegen Krusten.“

„Eigenarbeit?“

„Ja…“, der Braunäugige schluckte. In welche Richtung sollte dieses Gespräch gehen?

„Ich vermute, du trägst deine Waffe bei dir.“

„Nein, gerade nicht.“, wollte er die Jungs mit Messern bedrohen? „Liegt auf der Krankenstation. Ich wollte es eigentlich letztens abholen, aber ich bin nicht dazu gekommen.“

„Hey!“, der eine Junge hatte sich mit seiner Bande hinter sich neben Bakura aufgebaut, „Ich will meinen Stuhl wiederhaben.“

„Sag erstmal deinen Eltern, dass sie dir Manieren beibringen sollen.“, die hellblauen Augen wandten sich in ihre Richtung, sodass sie aus ihrer Perspektive von Bakuras Augenwinkel aus fixiert wurden, „Erstens: Man unterbricht keine Erwachsenen bei einem Gespräch. Zweitens: Wenn du etwas haben willst, sag gefälligst bitte. Außerdem möchtest du höchstens etwas, zu wollen hast du nix.“, ein fast freundlicher Ausdruck sag ihm entgegen, „Und haben sich unsere Vermutungen als wahr bewiesen? Warst du einmal in genannten Raum?“

„Gestern.“, das war echt hart, was Bakura da plante… wie sagte Seto? Freundlichkeit. Bis es wehtat. Und dazu eine Prise Arroganz. „Leider nur kurz. Ich habe nichts Auffälliges entdeckt. Nur diese Person… mal aus Interesse deine Meinung – sieht er nicht spitze aus?“

„Er ist höchstens spitz. Was auch immer man an dir dürrem Ding finden soll.“

„Das muss mir unbedingt jemand sagen mit einem Geschmack wie du?“, es war echt toll in dem Plan involviert zu sein. Die Jungen hinter Bakura sahen sich hektisch an, zuckten mit den Schultern, ein Arm stieß den Anführer wieder nach vorne, leises Gezischel.

„Und könntet…“, der Älteste drehte sich zu der Gruppe hinter sich, „…ihr vielleicht mal leise sein? Merkt ihr nicht, dass ihr stört?“

„Aber ich will meinen Stuhl!“, das war mehr ein Winseln als eine rein sture Aussage.

Ein Grinsen legte sich auf Katsuyas Lippen. Bakura erhob sich – es ging los!
 

„Sag mal, rede ich eigentlich russisch?“, der Silberhaarige trat um besagten Stuhl herum, „Man sagt „Könnte ich bitte diesen Stuhl haben?“. Wenn du schon unfreundlich sein willst, dann mach es wenigstens richtig. Das heißt dann: Gib mir den scheiß Stuhl, Alter. Aber weißt du was?“, die Arme verschränkten sich vor seiner Brust, worauf der Anführer einen halben Schritt zurück machte, „Manche Leute lassen es sich nicht gefallen, wenn man unfreundlich zu ihnen ist. Und ich gehöre zu diesen Menschen. Wenn du also diesen scheiß Stuhl haben willst, kann ich ihn dir gerne in den Arsch rammen. Möchtest du?“

„Äh…“, der Kleine Bakura gegenüber schluckte, biss auf seine Lippen und sah sich nach seinen Freunden um.

„Was? Kannst du kleines, unfreundliches Baby nicht einmal mehr sprechen?“, oh, der berühmte Eisblick seitens Bakura, „Macht der böse Wolf Rotkäppchen etwa Angst?“

Der Junge atmete tief ein, um zu einer Verteidigung anzusetzen. Irgendwie schon bewundernswert, wie gut er sich hielt.

„Du gehst mir echt auf den Sack. Von deiner Inkompetenz ausgehend vermute ich mal, dass du auch der Scheißkerl bist, der meinem Kumpel Jonouchi hier auf die Nerven fällt.“, Kumpel Jonouchi? Welche Schraube war denn jetzt locker? „Bist du das, Bratze?“

„Äh… ich…“, die Luft schien wieder raus zu sein.

„Scheint so, deine Hirnzellenzahl ist anscheinend stark reduziert. Kein Wunder, dass du Wurm neidisch auf meinen Bruder bist.“

„Ich bin nicht-“

„Lässt du mich wohl mal ausreden, du ungezogenes Kleinkind?“, unterbrach der Ältere ihn noch in derselben Sekunden, „Und zieh nicht so eine beleidigte Schnute, das sieht jämmerlich aus.“

Es leben die Unterstellungen… der Junge sah aus, als würde er gleich weinen statt beleidigt zu sein. Und zwei seiner Freunde hatten sich schon zu ihren Plätzen begeben und hinter einem Buch versteckt – als würden die auch nur ein Wort lesen – während die anderen beiden sich ziemliche hektische Blicke zuwarfen und auch schon ein paar Schritte zurückgetreten waren. Bakura hatte eine interessante Wirkung auf Kinder.

„Ich habe meinem kleinen Bruder mal Benehmen beigebracht und er ist bei allen Göttern ziemlich geduldig mit euch. Aber so gut bin ich leider nicht. Mich bringt ihr jetzt schon auf die Palme. Jeder – einzelne – von euch.“, sein Blick wanderte bei jedem Wort zu einem der drei, sodass er wieder bei dem Anführer ankam, „Und wenn ihr kleinen Schisser nicht endlich aus meinen Augen verschwindet, dann könnte ich ja mal ein bisschen Kontrolle flöten gehen lassen.“, Bakura griff nach den Stuhl, zog ihn nach vorne und stieß ihn gegen den Jungen – der ihn ungewöhnlicherweise ziemlich schmerzhaft gegen das Knie bekam, „Und dann könnt ihr glücklich sein, wenn ihr am Leben bleibt. Jonouchi hier hat euch gewarnt, aber langsam ist Schluss mit lustig.“, der eine nahm eine recht gekrümmte Haltung ein, während er die Zähne zusammenbiss und seine Hände auf sein Knie presste, „Entweder ihr schraubt eure Kindereien zurück oder wir bekommen eine Menge Ärger miteinander. Und jetzt verpisst euch.“

Das nannte man wohl heftig. Die hinteren beiden ließen es sich erst gar nicht zweimal sagen, während der andere Junge seinen Stuhl hinter sich schleifen zu dem hüpfte, der ganz außen saß – sein eigener Platz war ihm wohl zu nah an Bakura.

Das mit ihm als kleine Abschreckung war definitiv als Erfolg anzusehen.

„Danke… Kumpel.“, flüsterte der Blonde mit einem fiesen Grinsen, nachdem der Andere Ryou auf seinen Schoß und sich auf den Stuhl gesetzt hatte. Seine Antwort war ein Schnauben.
 

Sprach er vorhin von einer kleinen Abschreckung? Man nannte es wohl eher durchschlagende Attacke. Bakura hatte sich beim Eintritt der Lehrerin verabschiedet und für die Mittagspause wieder angekündigt – natürlich so, dass ihn jeder hörte, ohne dass es auffällig wirkte – doch es hatte nur eine Stunde gedauert, bis zumindest zwei der fünf Jungs sich mit Krankmeldung nach Hause begaben.

Ein Glück für sie. Denn natürlich war Seto eingeweiht gewesen, sodass er die restlichen drei in seiner Englischstunde mit dem Vortragen der Hausaufgaben blamieren konnte. Jeder Fehler wurde hervorgehoben, sie wurden öffentlich kritisiert und bekamen – ebenfalls laut ausgesprochen – alle die schlechtmöglichste Bewertung für die Stunde, bevor der Lehrer zwei anderen, die er zur Tarnung ebenso dran nahm, weit besser bewertete. Nicht, dass die Noten nicht gerechtfertigt waren, das würde Seto nicht machen. Aber die drei waren… wie sagte Bakura? Anscheinend hirnzellenarm. Eher nahm Seto taktisch klug Leute dran.

Alles in allem wirkte es wie ein riesiger Schlachtplan, durch den zur vierten Stunde keiner der fünf mehr in der Schule saß. Ryous Lippen zierte ein breites Lächeln und auch Katsuya konnte sich das Grinsen meist nicht verkneifen. Der Tag lief einfach nur wirklich gut. Okay, in der Mittagspause schwieg Bakura ihn an und auch von Seto bekam er nicht mehr als ein Lächeln und ein „Bis nachher.“ zum Abschied, aber an sich war beides auch eine Besserung. Seto hatte seinen warmen Ton für ihn wieder gefunden und Bakura… na ja… der verletzte ihn nicht. Auch schon eine Verbesserung.

Blieb nur die Frage, ob diese gute Zeit anhalten würde. Keine zehn Minuten mehr und er würde bei Yami sein. Er würde etwas essen, sie würden sich unterhalten und vielleicht ein bisschen miteinander rum liegen. Über was sie sich unterhalten würden, das lag völlig in seiner Hand. Er könnte Yami ausrichten, dass er nicht über die Probleme, die Schwierigkeiten und Gefahren seines Lebens sprechen wollte. Dass er froh war, dass seine Gedanken erstmal gestoppt hatten.

Aber auch wenn sie schwiegen, die Unsicherheit blieb da. Die Angst etwas falsch zu machen. Vielleicht lief es gerade gut – aber wer wusste, wie lange es das täte? Mit Seto könnte es täglich plötzlich bergab gehen. Ein wenig Sicherheit war das, was brauchte. Antworten und davon eine Menge. Antworten auf die Fragen, die schliefen. Die zurückkehren würden, sollte nur ein kleinsten bisschen schief gehen. Fragen, die er stellen musste, die nur Yami beantworten konnte.

Katsuya betätigte die Klingel.

Rotation

Und da sind wir wieder ^-^ Wie erwartet natürlich: Das Gespräch mit Yami. Dieses Gespräch zieht sich über eine große Anzahl von Kapiteln hin, das will ich nur schonmal vorweg nehmen. Bereitet euch auf... an die acht Kapitel vor. Ich bin jetzt beim vierten oder fünften Kapitel dieses Gespräches. Wie gesagt, es wird viel ^.^

Formal und technisch muss ich anfügen, dass nächste Woche Samstag Karneval ist und ich demnach nicht da bin. Es wird das Kapitel also erst Sonntag geben ^.-

Ansonsten wünsche ich nun viel Spaß mit dem Kapitel ^.^ Fröhliches Lesen ^.-
 

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„Kats?“, die Tür öffnete sich, „Richtig geraten.“, ein Lächeln legte sich auf Yamis Lippen, während er zur Seite trat, „Komm herein.“

„Hey…“, mit einer schwachen Erwiderung trat der Blonde ein und steuerte direkt die Küche an.

„Kats?“, erklang es ruhiger, aber auch ernster hinter ihm, bevor die Tür geschlossen wurde und der Ältere ihm nacheilte, „Was ist los mit dir?“

„Tja…“, der sich Setzende seufzte, lehnte sich zurück und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare, „Zu viele Gedanken… ich habe tausende Fragen. Aber ich habe Angst vor den Antworten. Ich bin unsicher. Ich komme mit Seto zwar klar, aber…“, er legte seine Stirn auf beide Hände, die er auf dem Tisch abstützte, „…was ist, wenn es schlimmer wird? Ich kenne da so einen Typen, der heißt Bakura… ich glaube, der hat auch DESNOS. Aber fremd zerstörend. Zumindest hauptsächlich. Ist es möglich, dass Seto auch so wird?“

„Katsuya…“, der Andere legte seine Arme um die Gestalt, „Erst mal ganz ruhig. Ich werde auf alles antworten. Aber vorher habe ich eine Frage.“

Der Blonde schluckte. Er musste es wissen. Er brauchte Antworten. Die Gedanken kehrten unaufhaltsam zurück. Sie schlugen gegen seinen Verstand, sie hämmerten auf ihn ein. Er brauchte Antworten. „Was?“

„Was möchtest du gerne essen?“

„Yami…“, sollte er lachen oder weinen? Das war doch echt…

„Mich willst du essen? Ich wollte mich aber erst später in Schale werfen. Gibt es sonst noch etwas, was du magst?“, der warme Kopf lag zwischen seinen Schulterblätter, während das Haar ihm im Nacken kitzelte. Yami war einmalig. Einfach einmalig.

„Etwas. Mir egal.“, Katsuya richtete auf ihn einen müden, doch amüsierten Blick, „Irgendetwas, was satt macht. Ich verspüre zwar keinen Hunger, aber es fühlt sich an, als hätte ich ein Loch im Bauch.“

„So etwas nennt man Hunger, Katsuya.“, erklärte der Rothaarige.

„Echt? Für mich fühlt es sich an wie ein Ich-bin-noch-kein-Krampf-aber-werde-es-bald-Gefühl.“, auf eine Hand gestützt wandte der Jüngere seinen Kopf zur Seite, um den Anderen zu sehen, der seine Stirn nun gegen seinen Oberarm schmiegte, während er ihn mit beiden Armen in Höhe der Rippen umarmte, „Weiß nicht… hast du Hühnchen?“

„Hühnchen?“, Yamis Augenbrauen zogen sich zusammen, „Sonst geht es dir aber gut, oder? Wo soll ich plötzlich Hühnchen herzaubern?“

„Keine Ahnung…“, die braunen Augen wandten sich zum Kühlschrank, „Krabben?“

„Was auch immer mit dir los ist…“, die Arme lösten sich, „Du hast Glück. Krabben habe ich zufällig da. Chinesisch?“

„Irgendwie.“, ein Lächeln legte sich auf Katsuyas Lippen, „Ich habe sie noch nie probiert.“

Der Ältere hob nur eine Augenbraue auf seine Aussage.
 

„Zu deiner Frage…“, setzte Yami an, während er die Krabben aus dem Kühlschrank und eine riesige Pfanne aus dem Schrank holte, „Ich müsste erstmal wissen, was dieser Bakura denn tut, dass du ihn für erkrankt hältst.“

„Nun…“, wo sollte er anfangen? „Er verletzt einen mit Worten, indem er die Schwächen anderer herausstellt und sie niedermacht. Er greift einen mit Messern an, wenn er wirklich sauer ist. Er begrüßt Leute an der Tür, indem er ihnen eine Waffe an den Kopf hält. Und er hat seinen Bruder einmal vergewaltigt.“

War… das so schockierend? Yami stand ihm reglos zugewandt, die Lider weit geöffnet, die Augenbrauen sich zuckend zusammenziehend.

„Ich hoffe jetzt mal sehr stark, dass dieser Bakura entweder im Gefängnis oder in einer Psychiatrie sitzt…“, er betonte die beiden Gebäudenamen stark, während seine Stimme leicht zitterte.

„Äh… nein, wieso? Die Waffe darf er besitzen, er ist bei der Polizei beschäftigt.“, anbei… wozu brauchte man als Hacker eine Pistole? Die brauchte man doch nur im Außendienst, oder? Da war Bakura doch gar nicht tätig.

„Katsuya.“, der Rothaarige trat auf ihn zu, ihm dabei tief in die Augen sehend, „Egal, ob DESNOS oder nicht, er hat schwere Aggressionsstörungen und kaum Kontrolle darüber. Er könnte aus dem Nichts heraus jemanden umbringen, nur weil die Person nicht in sein Konzept passt. Wenn jemand aus Wut mit einem Messer auf einen losgeht, dann ist der Sprung zu Mord nicht sonderlich groß.“

„Aber…“, scheiße… das Ganze war schon reichlich ungewöhnlich, wenn er darüber nachdachte. War Bakuras Umwelt in Gefahr? War Ryou in Gefahr? „Er ist… sein Bruder sorgt für Kontrolle. Bakura hört immer auf seinen Bruder, wenn der nur genug bittet.“

„Heißt, ohne seinen Bruder wäre er ein völlig unkontrollierter, psychisch schwer Kranker mit einer Pistole? Sehr beruhigend.“, Yami atmete tief ein, „Katsuya, dieser Bakura braucht Hilfe. Dringend.“

„Aber… das geht nicht.“, das ging ganz und gar nicht, wenn man das weiterdachte, „Er sorgt für seinen Bruder und wäre er plötzlich nicht mehr da, würde der wahrscheinlich völlig abdrehen…“, durfte Ryou überhaupt legal bei ihm wohnen? „Außerdem müsste der Bruder im Zweifelsfall zu seinem Vater zurück, der die beiden schwer misshandelt hat.“

„Katsuya…“, der Ältere ließ sich auf einem Stuhl nieder und fuhr sich durch die Haare, „Du bestärkst mich nicht unbedingt in dem Glauben, dass es eine gute Idee ist nichts zu tun. Es wäre am besten beide einzuweisen. Das mag hart klingen, aber… ausgehend von dem, was du gesagt hast, ist dieser Bakura eine tickende Zeitbombe und sein Bruder extrem verstört, was ich von dem, was du sagtest, gut nachvollziehen kann. Aber stell dir vor, einem würde etwas passieren. Oder nur die Situation, dass der Bruder durch etwas mehr beschäftigt ist, das könnte diesen Bakura völlig aus der Bahn werfen. Wir brauchen keinen bewaffneten Irren – erst recht nicht, wenn man es hätte verhindern können.“
 

Scheiße.

Einfach nur verdammte… Fluchen brachte auch nichts. Yami hatte Recht. Bakura – war – gefährlich. Mehr als nur gefährlich. Bakura war – und dagegen konnte man nichts sagen – eine Gefahr für seine Umwelt. Besonders, wenn Ryou auch nur irgendetwas passieren sollte.

Aber war es so schlimm, dass man gleich daran denken musste, dass er in eine Klinik gehörte? Er arbeitete doch gerade erst an einem Aufstieg. Seto hatte sich viele Chancen mit seinem Klinikaufenthalt verbaut, auch wenn er ihn ziemlich dringend gebraucht hatte. Brauchte Bakura ebenso dringend einen? Oder sollte man nicht lieber warten, bis es zu einer Katastrophe kam? Oder wäre das auch falsch?

„Prinzipiell… hast du Recht.“, stimmte Katsuya Yami zu, der noch immer auf irgendeine Art von Antwort zu warten schien, „Aber er wird nur ohne seinen Bruder gefährlich. So ein Aufenthalt könnte seinen Beruf kosten und somit das Leben beider. Ich würde dir ja zustimmen, dass man ihn sofort einweisen muss, falls seinem Bruder was passiert, aber… doch nicht einfach so.“

„Mal schauen, was du sagst, nachdem dieser Bruder von ihm ermordet wurde, weil er zu spät nach Hause kam.“, gab der Rothaarige sehr trocken von sich, „Meinetwegen wäre es unpassend ihn bei der Psychiatrie zu melden. Aber zumindest eine Psychotherapie sollte man ihm nahe legen.“

„Würde der ihn nicht direkt an die Psychiatrie weiterleiten?“, dazu waren Therapeuten doch verpflichtet, oder? Der Psychiatrie gefährliche Fälle zu melden…

„Ja…“, Yami seufzte, schloss die Augen, stand auf und begab sich zurück zu seinen Kochutensilien, „Hat er denn wenigstens irgendeine Krankheitseinsicht? Hält er sich selbst auch für krankhaft aggressiv?“

„Öhm… denke nicht.“

„Bei allen Göttern…“, der Ältere atmete tief durch, „Ich für meinen Teil neige dazu meine Kraft in das zu stecken, für das ich mich verantwortlich fühle. Und genau das hast du jetzt geweckt.“

Hah, es gab doch ein Helfersyndrom! Und er fühlte sich für Seto verantwortlich. So wie Ryou sich für Bakura. Obwohl beide eigentlich für sie verantwortlich waren. Und… oh, soeben hatte er Yami für Ryou und Bakura verantwortlich gemacht. Wollte er ihn nicht eigentlich ent- statt belasten?

„Stell mich doch beizeiten mal diesem Bruder vor, ja?“

„Gern.“, wollte er ja sowieso, „Ich habe ihm auch schon ganz viel von dir erzählt. Er ist ein Freund aus der Schule.“
 

„Musst du mir so viele Sorgen bereiten?“, Yami warf ihm ein Lächeln zu, das sagte, dass er es nicht so meinte, „Demnächst wirst du aus Eifersucht von einem DESNOS-Kranken umgebracht. Oder du wirst von einem rachesüchtigen DESNOS-Kranken umgebracht, die Möglichkeit gibt es auch noch. Ganz toll gemacht, Katsuya.“

„Ist nicht meine Schuld. Schimpf’ auf das Schicksal.“, der Blonde legte seinen Kopf auf seinen übereinander gelegten Armen auf dem Tisch ab.

„Das Schicksal ist eine Erfindung, um Verantwortung abzugeben, indem man external attribuiert.“, erklärte der Ältere.

„Indem man was tut?“, oh, da klopfte ein neues psychologisches Modell ans Tor, wetten?

„External attribuieren. Attribution heißt begründen. Dabei wird unterschieden zwischen internaler und externaler Attribution, variabler und stabiler Attribution, globaler und individueller Attribution.“

„Yami, ich verstehe kein Wort.“, hier war sogar wirklich jedes Zweite ein Fachwort gewesen – wozu brauchte man die alle?

„Solltest du aber, das ist wichtig.“

„Uh…hm…“, na mal schauen, was er jetzt wieder auftischte. Die letzte Lektion war doch gerade mal zwei Tage her.

„Ich hatte dir doch schon mal erzählt, dass der Mensch versucht alles zu begründen.“

Der Blonde nickte. Irgendwann hatte Yami das mal erzählt, ja… nur wie lange war das schon her? Die Vergangenheit war irgendwie ein bisschen schwammig, wenn es um so etwas ging.

„Es gibt verschiedene Arten von Attribution. Wenn du zum Beispiel eine Arbeit schlecht schreibst, dann kannst du das auf verschiedene Arten begründen. Du kannst einmal sagen, dass das an deinen Fähigkeiten lag, das wäre internal. Oder du sagst, dass es am Lehrer oder am Klassenzimmer oder dem Umgebungslärm liegt, das wäre external.“, hörte sich nach einem der leichteren Modelle an. So was konnte man ja von in und ex ableiten. In drinnen, ex draußen. Internale Attribution war eine auf sich selbst bezogene Begründung, externale eine auf etwas außer sich selbst bezogene.

„Wenn du jetzt zum Beispiel internal begründest, kannst du sagen, dass du schlecht gelernt hast oder du kannst sagen, dass du das Fach einfach nicht kannst. Das eine ist einmalig, das andere bezieht sich auf immer und ewig. Das ist der Unterschied zwischen variabel und stabil.“, variabel einmalig, stabil mehrmalig. Das Modell nahm an Komplexität zu. Wie konnte das Yami eigentlich einfach so erzählen, während er kochte? War das schon so verinnerlicht? Brauchte man es öfters?

„Und schließlich der Unterschied zwischen global und individuell. Wenn du bei deinem Misserfolg internal stabil attribuierst, kannst du nicht nur sagen, dass du das Fach nicht kannst, du kannst auch sagen, dass du gar kein Fach kannst. Das wäre die globale Attribution. Du beziehst den Misserfolg auf alles. Wenn du es beschränkt hältst, dann wäre es individuell.“, global war auf alles bezogen, individuell beschränkte sich auf etwas Einzelnes. Wenigstens waren die Fachwörter nicht so schrecklich bezugslos.
 

„Ein Mensch mit hauptsächlich selbst zerstörerischem DESNOS attribuiert fast immer internal, stabil und global bei Misserfolg und external, variabel und individuell bei Erfolg. Macht er also etwas gut, schiebt er es zum Beispiel auf Glück oder das gute Wetter bei einer Prüfung. Nur nichts, damit sich sein Selbstbild bessern kann.“

Oh… deswegen die Lektion. Das Selbstbild konnte sich also, egal was die Person tat, niemals verbessern, wenn diese Person in ihrem Denken gefangen war? Das war schon hart.

„Eine abgeschwächte Form findet man bei Depressionen. Da wird meistens nicht so oft global attribuiert bei Misserfolg und manchmal sogar anders bei Erfolg. Aber ansonsten ist es dasselbe. Und wenn es zu dieser Attribution ohne Krankheitssymptome kommt, nennt man es erlernte Hilflosigkeit, was eine Vorstufe von Depressionen ist. Sie äußert sich in solchen Sätzen wie „Da kann man doch eh nichts tun.“ oder „Das ist völlig unmöglich.“ oder „Das schaffe ich nie.“ und Ähnlichem.“

Katsuya kreuzte die Arme und bettete seinen Kopf auf ihnen. Irgendwie konnte er Seto verstehen – es war sehr interessant Yami beim Kochen zuzusehen. Ein leises Seufzen entwich seinen Lippen. Hatte Seto auch dieses Attributionsproblem?

„Auf der anderen Seite sind Narzissten zum Beispiel Menschen, die genau anders herum attribuieren. Also external, variabel, individuell bei Misserfolg und internal, stabil, global bei Erfolg. Bei einem gesunden Menschen kommen solche Zusammensetzung eigentlich fast nie zustande, egal ob Erfolg oder Misserfolg.“

„Also sagt mir der Attributionsstil wie krank Menschen sind? Wenn sie über längere Zeit zu einem der Muster tendieren, sind sie krank?“, wie attribuierte er selbst eigentlich? Sehr gute Frage… früher hatte er wie ein Narzisst attribuiert. Er konnte sich erinnern alle seine schlechten Noten immer auf den Hass der Lehrer geschoben zu haben.

„Es sagt dir, wie das Selbstbild der Menschen ist. Ob sie zu wenig oder zu viel Selbstwertgefühl haben. Das hängt oft mit Krankheit zusammen, das ist wahr.“

„Lass mich raten… auch beim Selbstwertgefühl gibt es eine goldene Mitte?“

„Seto hat dir von Aristoteles erzählt?“, der Rothaarige warf ihm einen interessierten Blick über die Schulter zu.

Wieso zur Hölle kannte sich jeder außer ihm mit Aristoteles aus? War der schon Standardlektüre? Irgendwie hatte er sehr komische Freunde. Wieso war jeder intelligenter als er? Sehr deprimierend.

„Ryou… Ryou erzählt mir dauernd etwas über Philosophie. Kleiner Hochbegabter. Das ist übrigens der Bruder von Bakura, dem Fremdzerstörer.“

„Ah…“, der Ältere nickte, während er die Augen abwandte, „Ein Hochbegabter… weiß Seto das?“

„Denke schon. Wieso?“

„Ist ja auch so`n verkappter Hochbegabter. Ich bin froh, wenn ich mir meine paar Modelle merken kann. Seto kann dir dafür jede Naturwissenschaft fast auswendig von der Formel bis zur Anwendung aufsagen. Wenn der ein Diagramm sieht, weiß er direkt das ganze Ding auswendig und erklärt dir die Bedeutung und Auswirkung. Am besten erzählt er dir auch noch, wie man so ein Diagramm errechnet. Ich habe ihn aus Spaß einmal gefragt und er hat mir alles Mögliche über n und p und Fehler erster und zweiter Art erzählt. Und ich habe gar nichts verstanden.“, na wenigstens noch ein Mensch auf dieser Erde, dessen Intelligenz nicht völlig abdrehte.
 

„Und du glaubst, dass Seto diese… depressive Attribution hat?“

„Das würde zur Krankheit gehören. Aber ich denke, dass das bei ihm schon besser ist. Zumindest wäre es ungewöhnlich, wenn das völlig an mir vorbeigegangen wäre. Obwohl… an mir scheint ja einiges vorbeigegangen zu sein…“, Yami wandte sich zu ihm um, legte Brettchen, Messer und Gemüse vor und hob Zeigefinger und Daumen übereinander, „Schneid das doch mal bitte in so kleine Stücke.“

„Seto verbirgt alles sehr gut. Ich vermute, du hast einfach noch nie einen Anfall von ihm mitbekommen, oder?“, denn mindestens das hätte doch jemanden wie Yami an seinen Theorien zweifeln lassen. Ein Mensch mit depressiven Anfällen und einer narzisstischen Störung… das passte nicht ganz.

„Nein… na ja, keinen schweren. Bei dem, was du beschrieben hast, nicht einmal einen leichten… ich mache mir schon Sorgen. Ich meine, ich kenne Seto jetzt seit gut zehn Jahren und auch, wenn ich ihn zwischendurch nicht gesehen habe, ich hätte das doch eigentlich merken müssen…“, der Rothaarige seufzte und stützte sich mit den Armen rechts und links der Kochplatte ab, „Das lässt mich schon ein wenig an mir zweifeln.“

„Was?“, zischte der Blonde, seinen Blick von dem Gemüse hebend, „So was gibt dir Selbstzweifel?“

Yami und Selbstzweifel? Weil er nicht durch Setos Maske gesehen hatte? Also irgendwo… der Mann überstand es mit drei Stunden Regenerationszeit vergewaltigt zu werden, aber wurde unsicher, weil seine Psychologiekenntnisse nicht halfen einem Mann zu durchschauen, der sogar seine Psyche dafür gespalten hatte nicht aufzufallen?

„Yami, jetzt mal ganz ehrlich, aber das… das ist mir nicht verständlich.“, unterbrach Katsuya sich selbst, „Du hast mir mal gesagt, dass Wahrnehmung subjektiv ist. Klar, dass du kleine Zeichen übersiehst, die deine Einschätzung für Seto widerlegen. Und Seto hat dir Größeres einfach nicht gezeigt, er hat sein komplettes Leben darauf ausgerichtet nicht aufzufallen.“

„Warum dann du?“, rief der Ältere und wirbelte herum, „Du hast eine Ahnung von nichts, du hast seinen Bruder umgebracht und ihn in eine akute Phase seiner DESNOS zurückgeworfen. Warum vertraut er sich unbedingt dir an?“
 

Der Blonde hielt inne, schluckte, sah wieder auf. Yamis Amethysten schienen zu brennen. Als würden sie vor Gift sprühen und gleichzeitig vor Tränen funkeln, während sich die Lider über ihnen zusammenzogen. Dieser Blick hatte sich noch nie gegen ihn gerichtet.

Doch was er sah, schien wie durch Watte zu ihm zu dringen. Als wären die Worte nur Teil einer endlosen Litanei, die Augen nur jene, die er täglich sah, diese Verzerrung von Muskeln nichts als ein Schauspiel zum Amüsement.

Sein Atem ging tief, als würde sich seine Brust nur schwer heben lassen. Die Lider lagen müde über seinen Augäpfeln, hangen halbtief, als wären Gewichte an ihn. Irgendwo durch sein Bewusstsein sickerte die Erkenntnis, dass Yami ihm die größten Makel seines Selbst vorgeworfen hatte.

Quatsch.

Yami hatte ihm noch nie Vorwürfe gemacht. Hatte ihn noch nie beschimpft, war nie wütend auf ihn gewesen. Wieso sollte er es plötzlich aus dem Nichts heraus sein? Das war lächerlich.

„Katsuya…“, die Augenbrauen des Rothaarigen zogen sich zusammen, bevor er den Blick abwandte, „Es tut mir Leid.“

„Sieh mich an, wenn du dich entschuldigst.“, verlangte der Jüngere tonlos.

Was tat er da? Wieso war er gemein zu Yami? Warum sagte er so etwas?

Die amethystfarbenen Augen, über denen ein Film von Tränen lag, suchten scheu Kontakt. Doch in derselben Sekunde, wie sie Bernsteine trafen, wichen sie auch schon wieder zur Wand aus.

„Warum hast du das gesagt?“

Katsuya kniff die Lider zusammen. Au… was war das? Eine Welle von Emotionen schien mitten gegen seinen Kopf geschlagen zu haben. Das dumpfe Pochen in ihm wurde zu Messern, die sich durch sein Innerstes stachen. Und diese Woge von Hass, von Wut, Enttäuschung, von Verzweiflung und Schuld… sie schien sich wie eine Krone um seinen Kopf zu ranken und auf seine Schultern zu drücken.

„Ich…“, Yamis Blick fiel auf das Messer in seiner Hand, „Würdest du das Messer bitte hinlegen?“

„Hast du Angst?“, fragte der Blonde und spürte ein Schmunzeln auf seinen Lippen, während im gleichen Moment eine Träne über seine Wange rollte.

Amethyst traf Bernstein. Die Hände des Älteren ballten sich zu Fäusten.

„Es tut mir Leid. Ich hätte das nicht sagen dürfen.“

„Hm…“, mit einem leichten Scheppern schlug das Messer auf das Brett, „Warum hast du es dann getan?“

„Weil…“, Yami schlug die Lider nieder, doch hob seinen Blick sofort wieder, „Weil ich dich verletzen wollte.“

„Warum?“

„Weil ich… eifersüchtig bin.“, sie fielen noch einmal zu, doch als sie sich diesmal öffneten, suchten zwei Tropfen ihren Weg aus den atemberaubenden Augen, „Es tut mir Leid…“

Sorrow

YAY! Ich bin zum ersten Mal über 2MB ^.^ Und ich bin bei Kapitel 100 angelangt *feier* Wenn ich so weitermache, könnte das mit den zwei Kapiteln pro Woche noch lange anhalten. Das Gespräch mit Yami wird übrigens insgesamt sieben Kapitel lang. Und eine Menge davon ist fachlich... ich hoffe, ich habe es allerdings so aufgelockert, dass es nicht nur verständlich, sondern auch ein bisschen spannend ist. Das ist das letzte Mal, dass ihr von Yami etwas Fachliches bekommt ^.-

Gleichzeitig möchte ich mich aber auch bei den ENS-Schreibern entschuldigen, dass ich sie für DS derzeit etwas zurückstelle. Mir fehlt neben dem Abi einfach die Zeit. Aber da viele mir sagten, dass sie lieber Kapitel als ENS kriegen, werde ich einfach stur weitermachen ^.- Aber keine Sorge, ihr werdet nicht vergessen.

Anosonsten sind drei Nebensequenzen fertig, die ich in nächster Zeit abtippen kann. Sie sind zwar nicht so lustig geworden, wie ich es mir gewünscht hätte, aber über all dieses tiefsinnige Zeugs fehlt mir derzeit die Fähigkeit zur Komik etwas... kommt aber wieder ^.-

Und jetzt viel Spaß beim Lesen!
 

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„Hast du mich noch lieb?“, fragte eine dünne, zittrige Stimme.

Katsuyas Lippen bewegten sich dazu. War das wirklich seine Stimme? Waren das seine Worte? Sie schienen so fremd.

„Natürlich habe ich das.“, der Ältere eilte auf ihn zu, schlang die Arme um seinen Hals und drückte sein Gesicht an dessen Brust, „Bitte denk das nicht. Du hast nichts falsch gemacht. Das ist… das ist etwas zwischen Seto und mir. Eigentlich… eigentlich geht es nur um mich.“, auch seine Stimme war leiser geworden, „Ich bilde mir einfach nur zu viel darauf ein, dass die Leute immer mich um Hilfe fragen. Ich… es tut mir wirklich Leid. Ich will dir nicht wehtun. Ich wollte es für einen kurzen Moment, aber… das tut mir Leid.“

„Okay…“, die Arme des Stärkeren legten sich um die Taille des Stehenden, während er seine Augen schloss.

Yami war warm. Diese leicht gebräunte Haut, die doch sehr hell wirkte, die funkelnden Augen und das Lächeln – sie versprachen Sonne und Wärme und Liebe. Es tat gut ihn zu umarmen. Als würden man von einer milden Sonne umhüllt werden. In diese Arme, in diese Wärme hatte Seto sich geflüchtet. Katsuya schluckte. Diesen Körper hatte er berührt. Wieder und wieder. Was sollte er darüber denken?

Sollte er sich ekeln? Sollte er Abstand nehmen? Sollte er diese Wärme verdammen? Welchen Sinn hätte es? War es nicht egal, wer diese Wärme teilte, solange er teilhaben durfte? An sich war er auch eifersüchtig. Er war Yamis einziger Freund, seit Jahren. Und jetzt war da Seto. Ein Freund und doch keiner. Eine Person, die so tief in ihre Intimsphäre eingedrungen war und doch kein Teil dessen war. Ab jetzt mussten sie beide teilen. Das würde schwer werden, das war mindestens jetzt klar. Selbst Yami hatte Probleme…

„Ist es dir unangenehm, wenn ich bezüglich Seto Fragen stelle und erzähle?“

„Nein…“, der Ältere setzte einen Kuss auf den blonden Schopf, „Das nicht. Ich bitte sogar darum. Ich könnte es mir nicht verzeihen dich auch zu verlieren.“

„Auch?“

„Nicht so wichtig.“, die Umarmung löste sich und Yami begab sich zurück zum Herd.

„Sicher?“

„Ja.“, er fuhr mit dem Pfannenheber durch das, was er gerade briet, während Katsuya das Messer wieder aufnahm und sich seiner Aufgabe widmete.

„Gut…“

Noch etwas, was ihm verschwiegen wurde. Yamis Vergangenheit. Die Geschichte Atemus. Oder wurde er auch als Yami verlassen? Von Menschen, die ihm wichtig waren? Oder fühlte er sich von Seto verlassen?

Zu viele Rätsel. Warum sprachen Leute nicht alles aus? Hatten sie so große Angst? Oder zu große Schuld?
 

„Warum kannst du dir nicht denken, dass Seto vergewaltigt wurde?“

Der Rothaarige atmete tief ein und seufzte.

„Falsche Frage?“

„Es gibt keine falschen Fragen. Es gibt höchstens Fragen zum falschen Zeitpunkt.“, er regulierte den Herd, „Wie weit bist du mit dem Gemüse?“

„Fast… fertig.“, der Blonde legte das Messer außer Reichweite und schob das Geschnittene auf dem Brettchen hinterher, wo es von Yami entgegengenommen wurde, der es in die Pfanne warf und das zu Spülende wegräumte.

„Setos Anusring ist stark kontraktiert.“

„Was?“, Katsuya, der sich in der Spüle die Hände wusch, wandte seinen Blick zu Seite.

„Eine normale oder starke Kontraktion ist normal. Über lange Zeit vergewaltigte Männer haben aber noch über Jahre gedehnte Anusmuskeln. Genauso wie vielfach bei Analsex passive Menschen gedehnte Anusmuskeln haben. Aber Seto hat das nicht.“, wie mechanisch gab der Ältere die Krabben in die Pfanne, „Das ist kein Beweis, aber das sagt zumindest, dass die Vergewaltigung wenn, dann schon sehr lange her sein muss und/oder es nicht oft dazu kam.“

„Oh…“, der Blonde atmete flach, während er die Hände am Küchenhandtuch trocknete, „Also… deswegen kannst du es dir nicht vorstellen?“

„Nicht wirklich.“, Yami hob das Gebratene unter, „Eigentlich… sagen wir so, Seto hat beim Sex eigentlich wenig Hemmung. Ich habe noch nie versucht ihn mal zum passiven Part zu machen, aber ich denke, dass er auch darauf nicht allergisch reagieren würde.“, er seufzte, „Wir haben es nur einfach nie getan. Ich habe auch nie darüber nachgedacht. Ich wusste, dass Seto sehr viel Kontrolle brauchte und die durch Dominanz bekam, also habe ich ihn nie darauf angesprochen.“

Also doch These zwei? Es war nur Ausdruck seines Kontrollbedürfnisses? Hm… es erschien wahrscheinlicher, doch. Vergewaltigungsopfer hatten doch sicher manchmal Berührungsängste, oder? Aber Seto schien keine Angst gehabt zu haben, als er neben ihm aufwachte. Seto hatte sich sogar unten am Sofa zum Schlafen an ihn gekuschelt. Allein in seiner Gegenwart zu schlafen… wenn er vergewaltigt worden war, schien er es gut überwunden zu haben. Und wenn er das hatte, hätte er es auch erzählen können. Schließlich waren sie nicht mehr Schüler und Lehrer. Das hatte Seto ganz allein beendet.

„Aber in Sachen Sex ist Seto eigentlich völlig angstfrei. Man kann ihm sogar böse Dinge sagen, die ihn sonst tief verletzen, beim Sex lächelt er drüber. Das tut ihm wirklich unglaublich gut und man merkt es. Wer weiß, was Sex genau für ihn ist… vielleicht ein Bekenntnis von Zuneigung. Das einzige, was er dann nicht als erstes bezweifelt. Es mag ungewöhnlich für einen DESNOS-Kranken sein, aber mir kam es immer so vor, als könnte er dabei alle Probleme vergessen und ganz normal sein.“

Wow… es beugte nicht nur Anfällen vor, es half seinem Selbstbewusstsein. Das Ganze schien eine sehr tiefe Bedeutung zu haben.

„Zuerst dachte ich immer, es wäre irgendeine Art von Viktimisierung. Ich hatte mir schon immer gedacht, dass Seto einiges in seiner Kindheit passiert sein muss. Aber es war keine Vergewaltigung. Und dass du mir jetzt sagst, er hat in Wirklichkeit DESNOS, dann bestärkt mich das in meinem Glauben, dass es etwas anderes war. Wobei ich sagen muss, dass es mir sehr helfen würde zu wissen, was ihm eigentlich geschehen ist.“

„Ich spreche mal mit ihm.“, ein müdes Lächeln legte sich auf Katsuyas Lippen, „Dass du dich auch gern um ihn kümmern würdest und alles. Vielleicht kriege ich ja wenigstens den Grund, warum er es nicht will, falls er es nicht tut.“

„Danke…“, dasselbe zeigte sich auf Yamis Gesicht – alles wieder gut zwischen ihnen. Oh Mann… er wollte niemals mit Yami wirklich streiten.
 

„Aber mal etwas anderes…“, meinte der Blonde, der sich genüsslich den Bauch rieb. Yami war einfach grandios in der Küche!

„Ja?“, der Ältere räumte die Teller in die Spülmaschine und ließ sich am Tisch nieder.

„Wegen Seto…“, Katsuya machte eine schweifende Handbewegung, um zu sagen Du-weißt-schon-wie-der-Satz-weitergeht.

„Wie kann ich dir helfen?“

„Na ja… ich bin ein wenig unsicher. Was ich tun soll und so. Ich habe immer noch das Gefühl, dass er mir irgendetwas verschweigt. Er hält wenig Blickkontakt. Macht er das bei dir auch?“

„Ja, oft.“, der Rothaarige nickte zur Unterstreichung seiner Aussage, „Ich denke, er hat sehr große Verlassensängste. Er erwartet Abwehr zu erkennen. Und das könnte er nicht vertragen. Deshalb weicht er unbewusst Blicken aus – zum eigenen Schutz. Aber er sieht dir meistens direkt in die Augen, wenn er sich sicher fühlt. Man kann an seinen Augen daher meistens den Gemütszustand erkennen. Wie oft und lange hält er Blickkontakt? Sehen seine Augen lebhaft oder stumpf aus? Sind sie gerötet? Steht ein Tränenfilm auf ihnen? Seto spricht mit seinen Augen.“

Ah… also hatte es keine so tiefe Bedeutung. Es war nur Unsicherheit. War er jetzt schon zu sensibel im Bezug auf Seto geworden?

„Dann ist er bei mir ziemlich wechselhaft sicher und unsicher. Und er ist extrem unsicher, sobald es um seine Psyche und seine Vergangenheit geht. Da guckt er immer die Wand oder den Boden an.“

Yami, dessen Kopf leicht gesenkt war, fixierte den Blonden mit seinen tieffarbenen Augen. Weder der Blick, noch das Schmunzeln auf seinen Lippen sagten Katsuya etwas. Was wollte Yami ihm mitteilen?

„Was?“

„Du beobachtest ihn.“, stellte der Ältere fest.

„Du etwa nicht?“

„Doch, natürlich.“, das Schmunzeln vertiefte sich, „Ich bemerkte nur einmal wieder, wie sehr du dich in den letzten Wochen geändert hast. Zum positiven, wenn ich das betonen darf.“

„Danke.“, Katsuya warf ihm über den Tisch hinweg ein Lächeln zu, „Ich wünschte nur, Seto würde das auch bemerken…“

„Oh, das tut er.“, der Rothaarige legte den Kopf schief, „Ich bin sicher, dass er das tut.“

Die Brust des Jüngeren hob sich, während sein Blick dem Beispiel nur zögerlich folgte. War das wirklich Yamis Ernst? Bemerkte Seto, wie sehr er sich änderte? Wusste er es vielleicht… zu schätzen? Oder machte es ihm Angst?
 

„Wie, glaubst du, wird es weitergehen?“, fragte der Braunäugige leise.

„Wer weiß?“, der Ältere zuckte mit den Schultern, während er einen Schluck trank, „Sagen wir so… es hängt sehr von Seto ab. Wenn er nicht plötzlich irgendetwas Unerwartetes tut – was er doch oft zu tun pflegt in letzter Zeit – wird sich bis zum Ausgehen des Gerichtsverfahrens wahrscheinlich nichts ändern. Außer irgendein äußerer Umstand tritt plötzlich ein.“

„Äußerer Umstand?“, was sollte das heißen? Unfall mit Todesfolge? Das wäre sicher eine Änderung, ganz klar. Katsuya schluckte.

„Du wirst von der Schule geworfen oder Setos Bruder taucht auf oder Seto wird versetzt. So was eben.“

Selbstanalyse: Er sollte weniger radikal denken. Es gab auch kleinere Geschehnisse mit großen Auswirkungen. Und… Katsuya schluckte. Er sollte nicht über Setos möglichen Tod nachdenken. Das war… herabziehend? Niederschlagend? Irgendwie schien kein Begriff wirklich beschreiben zu können, welches Gefühl da eben in ihm aufgewallt war.

„Ich werde auf jeden Fall nachher ein längeres Gespräch mit Seto führen, wenn er dich abholen kommt. Und ansonsten… konzentrier dich besser auf die Schule als auf Seto. Ganz ernst, auch wenn es für dich wahrscheinlich ungewöhnlich klingt. Aber Bildung ist wichtig, wenn du mal auf eigenen Füßen stehen willst. Du brauchst etwas, auf das du dich verlassen kannst und das ist auf jeden Fall Bildung. Jobs kann man verlieren, Freunde, Familie, aber nur sehr schwer Bildung. Über Bildung bekommst du immer Jobs und darüber meist auch Freunde. Sollte also jemals mit Seto wirklich etwas schief gehen, hättest du immer noch das. Neben mir.“

Wunderbare Ansage. Lass deine Sozialkontakte schleifen, konzentriere dich ganz auf Stoff, den du sowieso nie brauchen wirst. Juhuu! Nun ja, Seto hatte ihn auch gebeten sich auf die Schule zu konzentrieren und eigentlich wollte er es ja auch, so war es ja nicht. Aber wie sollte man sich für irgendwelche chemischen Zusammensetzungen interessieren, wenn einem bei Passformen von Molekülen nur blaue Augen in den Sinn kamen?

„Was ist eigentlich mit deiner schulischen Bildung? Was hast du gemacht, dass dein einziger Ausweg die Prostitution war?“, heikles Thema… er sprach Yamis Vergangenheit an. Eine Problematik, die dieser doch eigentlich vermied.

„Ich habe die Schule abgebrochen. Bin mitten in der Oberstufe raus. Das wäre an sich nicht das Problem gewesen, damit kriegt man ja viele Jobs, aber ich habe nun mal all meine Unterlagen bei meinen Eltern liegen lassen, weil ich damals natürlich nicht wirklich nachgedacht habe. Heißt soviel wie: Gar kein Nachweis einer schulischen Laufbahn – unqualifiziert.“, der Rothaarige machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Ich habe aber auch überhaupt keine Unterlagen…“, murmelte der Jüngere.

„Dann sieh zu, dass du die kriegst.“, mahnte Yami eindringlich und sah ihm tief in die Augen, „Und wenn du Seto darauf ansetzt, du brauchst das Zeug. Ohne Papiere bist du ein Nichts. Ohne Ausweis verlierst du jegliche Privilegien des Staates. Du bekommst gar nichts. Was glaubst du, warum der größte Wunsch vieler Straßenkinder ein Personalausweis ist?“

Oh… okay, er sollte definitiv Seto um Hilfe bitten.

„Hattest du einen Personalausweis, als du abgehauen bist?“

„Nein…“, der Ältere seufzte, „Ich war beim Einwohnermeldeamt und habe einen neuen beantragt. Aber der hat so lange gebraucht, dass ich schon mitten in der Prostitution war, als er ankam. Man hatte ihn versehentlich verschickt. Und ich wusste nicht, dass es da Hilfsorganisationen gab… ich bin einfach haltlos abgerutscht. Und nur, weil ich meinen klaren Kopf verloren habe…“, ein weiterer Seufzer, „Hätte ich damals nur ein bisschen nachgedacht… aber ich war hungrig, ich war arbeitslos, hatte kein Dach über’m Kopf… da bekommt man schon mal etwas Panik.“, ein müdes Lächeln legte sich auf seine Lippen.

Vielleicht… sollte er das Thema wechseln. Auch wenn es interessant war, Yami sah ein wenig… geschafft aus. Vielleicht sollte er seine Psyche erstmal ruhen lassen.

„Möchtest du das Thema wechseln?“

„Ja, bitte.“, gab der Ältere mit einem erleichterten Ausdruck zu.

„Okay… erzähl mir doch was über Abwehrmechanismen.“

Abwehrmechanismen

Guten Abend ^.^ Hier das verspätete Kapitel. Das nächste kommt planmäßig wieder Mittwoch. (Falls es irgendwen interessiert, Karneval war sehr lustig ^v^)

Die Abwehrmechanismen sind eins der zwei großen Themen, über die Yami in diesem Gespräch referieren wird - und wie angekündigt ziehen sie sich über mehrere Kapitel hin. Ich hoffe dennoch genug Spannung drin zu haben, denn natürlich geht es nicht nur darum. Meine Entschuldigung an jene Leser, die Psychologie nicht interessiert.

Die Nebensequenzen konnte ich noch nicht abtippen, ich werde es aber bis Mittwoch versuchen. Und nun viel Spaß beim Lesen ^.^
 

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„Abwehrmechanismen?“, der Ältere hob eine Augenbraue, „Hatte ich dir davon noch nicht erzählt?“

„Nein.“, ein Lächeln legte sich auf Katsuyas Lippen, „Du wolltest, aber du kamst nicht dazu. Durch den Vorfall mit Kaiba damals… bei dir…“

„Oh…“, der Rothaarige nickte bedacht, „Ja… du hast Recht. Nun, Abwehrmechanismen. Was möchtest du denn gerne wissen?“

„Alles. Ich habe ein paar Dinge gesehen und gehört, da könnte ich mir denken, das hat etwas miteinander zu tun.“, das, was Seto ihm erklärt hatte und das, was er bei Yugi beobachtet hatte. Nebst diesem Projektionszeugs, was er da erlebt hatte. Man leite Gefühle von einer Person auf eine andere um.

„Alles…“, die Ältere ließ seinen Blick schweifen, „Wollen wir es uns irgendwo gemütlich machen?“

Katsuyas Gesicht verhärtete sich.

„Aber kein Fummeln.“, bestimmte er.

„Kein Problem.“, Yami hob unschuldig beide Hände, während er sich erhob, „Wohnzimmer oder Schlafzimmer?“

„Wohnzimmer. Ist eigentlich die neue Couch endlich mal da?“

„Hmhm…“, er nickte stolz und grinste, „Sogar mit Kissen. Man kann sie ausziehen und eine kleine Spielwiese draus machen.“

„Aber du hast sie noch nicht eingeweiht, oder?“, der Blonde hob eine Augenbraue.

„Völlig spermafreie Zone.“, versprach der Kleinere, „Und das wird sie auch bleiben.“

„Cool.“, Katsuya sprang von seinem Stuhl und eilte ihm hinterher, „Wie lange hast du jetzt auf sie warten müssen?“

„Drei Monate.“, der Wohnungsinhaber öffnete die Tür und ließ den Blick frei auf eine weiße Wildledercouch, die ausgezogen rechts an der Wand stand und gut ausgepolstert war, „Jetzt fehlt nur noch der Tisch mit eingebauter Heizdecke, dann ist mein Wohnzimmer komplett.“

„Was hast du mit dem alten Sofa gemacht?“, der Jüngere schritt zur dem neuen Möbelstück hinüber und ließ sich mit einem leichten Plumps darauf nieder. Ein Glück, dass er keine Nietenketten mehr trug.

„Verkauft.“, die Tür hinter sich schließend begab sich Yami zu ihm, „Es war zwar erinnerungsreich… aber es war einfach alt.“

„Hm…“, der Blonde seufzte leicht. Wie oft hatte er auf dem alten Sofa geschlafen, weil er durch irgendetwas mal wieder völlig am Ende gewesen war und Hilfe gebraucht hatte. Das Sofa war schon eine Art zweiter bester Freund. Es war ihm immer eine Heimat gewesen. „Hättest mich fragen können…“

„Entschuldige… ich dachte nicht, dass dich das so traurig machen würde.“, Yami hob seinen Arm, verharrte kurz in der Luft und legte ihn dann doch um Katsuya, „Vielleicht kannst du ein paar gute Erinnerungen mit dem neuen Sofa mitnehmen.“

„Tja, vielleicht…“, das weiße Monster hatte ihm seine Heimat geklaut, „Aber das alte… ich muss mich einfach dran gewöhnen.“, er lehnte sich gegen den Älteren, „Heute deprimiert es mich etwas…“

„Doch ins Schlafzimmer?“, fragte der Rothaarige besorgt.

„Nein, schon gut.“, Katsuya ließ sich nach hinten fallen, „Ich muss jetzt mit diesem zurechtkommen. Ich wette, das wollte mir gar nichts Böses tun.“

„Wenn Sofas sprechen könnten…“, ein Lächeln fand Yamis Lippen, bevor er sich neben ihn legte, „Dieses würde sich tausendfach entschuldigen, obwohl es gar nichts dafür konnte.“

„Ist tausendfach entschuldigen ein Abwehrmechanismus?“

„Nein.“, entgegnete der Hobbypsychologe lachend, „Abwehrmechanismen sind keine Verhaltensweisen.“
 

„Was dann?“, der Blonde wandte dem Erklärenden den Kopf zu.

„Es sind innere Prozesse, die dein Ich auslöst, um mit der Realität umzugehen.“

Innere Prozesse des Ich. Das klang irgendwie ein wenig abstrakt. Katsuya hob die Arme, legte sie hinter seinem Kopf zusammen und bettete diesen darauf, während Yami sich leicht aufrichtete, den Blick zwischen seinen Augen und seinem Oberkörper schweifen ließ und sich auf das Nicken des Jüngeren an ihn kuschelte und sein Haupt auf den Übergang von Brust und Schulter niederließ.

„Ich hatte dir ja schon mal das tiefenpsychologische Modell mit dem Bewussten, dem Vorbewussten und dem Unbewussten erklärt.“, begann der Ältere, „Abwehrmechanismen sind völlig unbewusste Prozesse, über die du wenig bis keinerlei Kontrolle hast. Die laufen so unbewusst wie deine Atmung und dein Herzschlag.“

Sehr beruhigend. Toll, wenn man seine Psyche nicht kontrollieren konnte.

„Wer geübt ist, kann aber bewusst einen Abwehrmechanismus einsetzen lassen. Zum Beispiel kann eine Person bewusst ihre Gefühle so gesagt abstellen und völlig mechanisch arbeiten. Aber wenn das in einer Situation nötig ist, macht der Kopf das eigentlich von selbst.“

„Es sind also hilfreiche Prozesse?“

„Es gibt sie, um unsere Psyche und unser Selbstbild zu schützen.“, bestätigte Yami, „Und wer geübt darin ist, kann auch anhand aufkommender Gedanken oder eigener Reaktionen einen Abwehrmechanismus erkennen und ihm entgegenwirken. Aber an sich ist es intelligent den Kopf einfach arbeiten zu lassen.“

„Wo wäre es denn nützlich irgendwo Einfluss zu nehmen?“, wenn alles von selber lief, warum dann etwas ändern? Never touch a running system.

„Ich brauche das manchmal. Wenn ich weiß, dass irgendein Typ mich vergewaltigen wird, dann kann ich mich mental darauf einstellen, indem ich schon mal ein paar Abwehrmechanismen aktiviere. Die würden sonst nämlich einige Zeit brauchen, bis sie einsetzen.“, flüsterte der Ältere mit leicht belegter Stimme.

Also gab es doch so etwas wie eine Gewöhnung an Vergewaltigungen. Zumindest bei Yami. War schon irgendwie hart… allein, dass es Menschen geben musste, die von sich sagen konnten, dass sie Vergewaltigungen gewöhnt waren. Grausam.

„Wie über vieles, gibt es auch bei den Abwehrmechanismen keine genaue Einigung, was was ist, ob eins nur eine Verstärkung des anderen ist, wie sie zu bezeichnen sind und so weiter. Ich gebe dir einfach meine Version.“, auf seiner Brust konnte Katsuya spüren, wie sich Yamis Lippen zu einem Lächeln verzogen, „Und einen Zettel, auf dem alle noch mal drauf stehen. Ich habe nämlich lange gebraucht, um alle auswendig zu können.“

Na Glück auf… das konnte eine heitere Lektion werden.
 

„Der wichtigste Abwehrmechanismus ist die Verdrängung. Der Mensch hat ein Sieben-Sekunden-Gedächtnis, dann wird gefiltert, wichtige Information bleiben im Vorgedächtnis und gelangen dann ins Unbewusste. Sonst würden wir an einer Reizüberflutung sterben, wenn uns andauernd alles bewusst wäre. Und genau dieser Mechanismus wird bei der Verdrängung genutzt. Das, was als Reiz aufgenommen wird, wird direkt ins Unbewusste weitergeleitet. Man erinnert sich nicht daran, dass etwas passiert ist. Wenn Seto plötzlich auftauchen und dich verprügeln würde, könnte es sein, dass du es schon kurze Zeit später nicht mehr weißt, einfach weil dein Ich damit nicht zurechtkommt. Da kämen Zweifel, Erinnerungen, Gefühle, Ängste… zu viel, um es auszuhalten. Also würde es einfach… na ja… wie vergessen werden. Es ist zwar da, aber egal, was du tust, du könntest dich nicht daran erinnern.“

Autsch… das war… das hieß…

„Wenn ich irgendwann mal vergewaltigt wurde, könnte es sein, dass ich es heute schlicht und ergreifend nicht weiß, weil es verdrängt wurde?“, fragte Katsuya mit einem leichten Zittern in der Stimme.

„Ja.“, antwortete der Rothaarige ohne zu Zögern, „Solche Fälle gibt es sogar relativ oft. Eine früher vertraute Person löst plötzlich Angst in einem aus und man weiß nicht, warum. Dabei ist die Angst nur ein Signal des Unbewussten, was ja vollkommen weiß, was passiert es, weil es die Vergewaltigung verinnerlicht hat.“

„Heftig…“, der Blonde schluckte, „Das macht mir ein bisschen Angst, was mir alles passiert sein könnte, ohne dass ich es weiß…“

„Das dachte ich zuerst auch.“, der Ältere legte seinen Arm auf seinen Oberkörper und strich mit der Hand über Katsuyas Brust, „Aber ich kann nur empfehlen nicht darüber nachzudenken. Du erinnerst dich nicht, also was interessiert es dich? Wichtig wird es nur, wenn es akute Probleme auslöst.“

„Was für Probleme?“, der Größere schluckte. Das ging doch ein wenig unter die Haut…

„Zum Beispiel eine posttraumatische Belastungsstörung. Ist schon blöd, wenn man eine psychische Krankheit und keine Ahnung von irgendeiner Ursache hat. Das macht sie noch schlimmer, weil man sich immer wieder fragt, ob man irgendwelche Wahnvorstellungen hat.“

Gut vorstellbar. Angststörungen, Panikattacken, intrusives Syndrom und ähnliches – und keine Ahnung warum. Es musste schon echt unsicher machen.

„Ich kannte zum Beispiel eine Frau, der wurde in Gegenwart ihres Vaters immer übel und sie wusste nicht warum. Tja, du kannst dir denken, was dahinter steckt…“

„Hmhm…“, der Blonde seufzte, „Tritt das denn nur bei Vergewaltigungen auf?“

„Überhaupt nicht!“, der Andere legte den Kopf kurz in den Nacken, um Katsuya einen Blick zuzuwerfen, „Abwehrmechanismen sind auch für den täglichen Gebrauch da. Zum Beispiel, wenn jemand etwas sehr Verletzendes sagt, das reicht schon, um einiges zu verdrängen.“, er richtete sein Haupt wieder, „Natürlich gibt es aber auch mit Abwehrmechanismen Probleme. Es gibt zum einen die ungenügende Verdrängung. Dabei wird zwar verdrängt, aber Teile der stark emotional besetzten Situation, die verdrängt wurde, dringen immer wieder ins Bewusstsein, werden neu verdrängt, kommen wieder hoch und so weiter. Das ist belastend und kräftezehrend.“, konnte man sich vorstellen, „Und es gibt die krankhafte Verdrängung. Hatte ich dir schon von der dissoziativen Amnesie erzählt? Ich weiß schon nicht mehr, was ich schon alles erzählt habe…“

„Bei der dissoziativen Amnesie verdrängt man sicher Situationen, die man eigentlich gar nicht verdrängen muss?“, wagte Katsuya einen Versuch. Irgendwo in seinem Gedächtnis war da was…

„Exakt. Es werden alle stark emotional besetzten Situationen verdrängt und bei dieser Krankheit liegt die Messleiste für stark emotional ganz wo anders.“, die Streicheln wurde fortgesetzt, „Jeder Streit, jede Bitte, jede Art von Anforderung – alles wird verdrängt.“

Heftig. Es musste echt schwer sein mit so einer Person zusammenzuleben. An sich war Seto ganz umgänglich, oder? Auf jeden Fall gab es Schlimmeres.
 

„Der nächste Abwehrmechanismus ist die Verleugnung.“

Hah! Ob es das war, was Yugi tat? Ob das was miteinander zu tun hatte?

„Man verleugnet die Existenz von etwas, sieht es also als nicht existent und weicht Situationen aus, in denen man daran erinnert werden kann, dass es das doch gibt?“, warf der Blonde seine Vermutung ein.

„Auch sehr gut erkannt. Woher weißt du das?“

Von Yugi natür… ups… er sprach hier mit Yami, verdammt.

„Von… einem Typen, der auf mich scharf ist, aber dem ich gesagt habe, dass ich nichts von ihm will. Seitdem weicht er mir aus, sieht mich nicht an und ignoriert mich komplett.“

„Hmhm…“, der Ältere nickte, was Katsuyas weißes Shirt verzog, „Obwohl man das auch einfach mit Vermeidung beschreiben kann. Aber ja, in weiteren Sinne ist es natürlich eine Art von Verleugnung. Aber Verleugnung kann so weit gehen, dass jemand wirklich sagt, dass es die Person nicht gibt. Es geht so weit, dass die Person nicht einmal mehr bewusst weiß, dass es diese Person eigentlich doch gibt. Das ist Verleugnung gekoppelt mit Verdrängung.“, die gab es auch noch gekoppelt? „Aber es muss nicht nur um Personen gehen. Auch dass Aussagen nie gemacht wurden, dass Situationen nie geschehen sind, dass es Gegenstände nicht gibt – etwas in Wort und Tat zu verleugnen ist nur eine Abwehr, um die eigene Psyche zu schützen.“

„Aber wenn man weiß, dass man eigentlich lügt, was bringt das dann?“, fragte der Blonde nach und legte seinen Arm um Yami.

„Das kann verschiedene Gründe haben. Einmal Angst vor der Reaktion anderer, von ihnen verlassen zu werden und so. Und wenn man etwas vor sich selbst verleugnet, Schützen des Selbstbildes.“

„Wenn ich mir selbst sage, dass ich einfach neunzehnjährig zur Welt kam und nichts davor geschehen ist.“, unterbrach der Jüngere ihn spöttisch.

„Das… wäre eine recht radikale Verleugnung. Und wenn du es dir oft genug sagst, glaubst du es vielleicht irgendwann. Dann hilft dein Kopf und verdrängt alle Erinnerungen an die Zeit bis zu deinem neunzehnten Lebensjahr und irgendwann hat sich dein Kopf völlig darauf eingestellt, dass du mit neunzehn einfach ins Leben kamst. Das glaubt dir dann nur keiner wirklich und du beginnst eine Geschichte zu erfinden, wie du mit neunzehn zur Welt kommen könntest und irgendwann glaubst du die auch und schließlich bezeichnet man dich als Wahnsinnigen…“, Yamis Stimme war leicht ins Träumerische abgerutscht.
 

„Ähm… Yami?“, der Blonde hob den Kopf, um in dessen mit einem Grinsen überzogenem Gesicht zu schauen, „Nur so ganz nebenbei – dir geht es schon gut, oder? So psycho bin ich jetzt auch nicht.“

„Ich habe dich nur ernst genommen.“, flötete der Liegende, drehte sich, legte dabei beide Arme auf Kats Brust und seinen Kopf darauf, „Wer weiß, was die Zukunft bringt.“

„Zumindest nicht das.“, betonte der Untere, während er beide Augenbrauen zusammenzog, „Oder… könnte mir das wirklich passieren?“

„Wenn du völlig allein lebst und dir keiner erzählt, wie verrückt du bist – klar. Aber ein bisschen Gesellschaft hält Menschen ganz leicht vom Durchdrehen ab. Dieses klassische Ich-verliere-urplötzlich-die-Kontrolle-und-bin-schwergefährlich gibt es sowieso nicht. Dem geht immer eine lange, lange Krankheit voraus. Jeder gute Arzt und ein paar gute Freunde können dich von praktisch allem heilen, solange sich alle an den gesellschaftlichen Normen orientieren.“, der Ältere strich mit einer Hand sein Haar nach hinten, „Dir fehlt also nur noch der so genannte normale Freundeskreis. Oder kennst du irgendeinen Nicht-Psycho genauer?“

„Jeder ist psycho.“, behauptete Katsuya zu seiner Verteidigung, doch ein Lächeln zierte seine Lippen, „Die Normalen wissen das nur besser zu verstecken.“

„Auch wahr.“, stimmte der Kleinere zu, „Wenn das deinem Weltbild entspricht, kann ich damit leben. Das weicht nur ganz, ganz gering von der Norm ab. Aber was interessiert mich als Psycho die Norm?“, er machte eine sehr ausladende, wegwerfende Handbewegung, was den Blonden zum Lachen brachte, „Nein, jetzt mal ehrlich. Die Norm ist der Zustand, der am wenigsten psychisch belastet. Und genau deshalb ist er erstrebenswert.“

„Wenn du meinst…“, er schloss die Augen und entspannte sich, „Mir ist sie viel zu spießig. Obwohl sie mit Seto zusammen ganz lustig ist… weiß nicht. Irgendwie ändern sich gerade viele meiner Überzeugungen.“

„Das ist die Bedeutung von Identitätskrise.“, Yamis Finger wanderte über seine Haut, „Aber sieh es positiv – du wirst wahrscheinlich niemals eine schwere Midlife-Crisis haben. Die erlebst du jetzt schon.“, dieser saloppe, schwarze Humor war doch etwas… wie sagte der Fachmann? Enervierend. „Übrigens kommen wir mit unseren Abwehrmechanismen nur sehr schleppend voran. Zwei von gut zwanzig ist für eine Stunde eher wenig.“

„Eine Stunde?“, fragte der Jüngere überrascht nach.

„Ja, wir liegen hier schon seit einer Stunde. Weiter im Text?“

„Weiter im Text.“, stimmte er zu.

„Es folgt das Ungeschehenmachen.“

„Wir drehen die Zeit zurück und ändern es.“, er streifte mit der rechten Fußsohlenspitze den linken Schuh ab, während er sprach, „Oder nein: Wir verändern die Erinnerung so, dass sie uns gut in den Kram passt.“

„Das Zweite ist auch eine Art von Verleugnung.“, erklärte der Ältere, „Man nennt es Wahrnehmungsstörung.“

„Dann nicht. Was ist es?“

„Das Ungeschehenmachen ist einer der Hauptgründe, warum wir religiös sind oder Geld spenden oder sonstiges. Um uns ein gutes Gefühl zu geben und etwas Getanes als nicht so schlimm anzusehen, zeigen wir Sühneverlangen und büßen, um es im christlichen Kontext auszudrücken. Du hast also einen Mann verletzt? Bete drei Vater unser, spende an die Kirche und es sei dir vergeben. Oh, er starb dabei? Tu gutes Werk an seinen Hinterbliebenen. Zumindest hieß es früher so. Ich weiß nicht, wie die das heute regeln. Mit Christen habe ich nichts am Hals. Da lobe ich mir unseren Shintoismus, da tun nicht einmal wir etwas Böses, da sind es nur böse Geister, die uns so etwas tun lassen. Ist doch noch viel leichter. Oder Buddhismus? Ach nein, da müsstest du dich jetzt fast zu Tode hungern. Schade aber auch. Bleib besser beim Shintoismus.“

„Fachliche Erklärungen sind nicht dazu da seinem Hass auf religiöse Institutionen Luft zu machen.“, deklarierte der Liegende süffisant lächelnd.

„Ich darf das. Ich bin als Hure Sinnbild von Sünde und Verführung, der am meisten zu verdammenden Handlung, zu der ein Wesen fähig ist. Oh – und schwul. Ich bin von bösen Geistern nur so besessen.“, der Rothaarige schnaubte, „Letztens hat mich ein Priester zu sich bestellt. Mann, ich sag dir, der war krank. Erstmal nur sich selbst befriedigen, dabei Hecheln wie so’n halbtoter Köter und dann meinen sich selbst und mich gleich mit für diesen Lasterfall züchtigen zu müssen. War ich froh, als ich da raus war…“, er schüttelte den Kopf, „Ne, ey… da will ich gar nicht versuchen das psychologisch auseinander zu nehmen. Da bin ich nur wütend. So ein Arsch…“

Ach ja… Yami konnte schon fluchen. Aber okay, er war dafür auch ziemlich gesund. Sollte er ruhig mal fluchen. Ob er auch mal an den Punkt kommen würde, wo er über seinen so genannten Väter fluchen konnte? Wünschenswert. Obwohl es für solche Väter wohl keinen passenden Fluch mehr gab…

Police

Noch so eine Anmerkung am Rande: Wir haben jetzt Freitag Abend der fünften Woche.

Aschermittwoch wurde in unserem Haus mit einer Todesmeldung begleitet. "Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und zum Staub kehrst du zurück" - nach vierzehn Stunden Arbeit nach Hause zu kommen und einen Umschlag mit schwarzem Rand zu finden ist... nun ja. Und nein, ich kannte die Person nicht gut. Aber es lässt die Angst aufkommen, was wäre, wäre es eine Person, die ich kenne.

Nichtsdestotrotz wünsche ich viel Spaß beim Lesen, bedanke mich für die Kommentare und wünsche eine gute Nacht. Ich bin zumindest hundemüde.
 

P.S.: Der schwere Helferkomplex wird auch als Helfersyndrom bezeichnet.
 

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„Zurück zu den Abwehrmechanismen…“, Yami atmete tief durch, „Verschiebung.“

Verschiebung… irgendwie nichts sagend. Das konnte eine Menge heißen. Man verschiebe seine Probleme auf einen späteren Zeitpunkt. Man verschiebe seine Möbel für ein neues Ordnungsgefühl. Man konnte vieles verschieben.

„Man verschiebt seine Gefühle für eine Person auf eine andere bzw. auf ein Objekt. Das kleine Mädchen lässt die Wut über die Mutter an der Puppe aus. Der mit seinem Leben unzufriedene Mann verschiebt seine Gefühle auf seinen Sohn und prügelt diesen anstatt seiner selbst zu Brei…“

Katsuya zog die Luft scharf ein, schluckte und öffnete gequält die Augen.

„Ein Mann, der über den Tod seines Bruders in Selbsthass und Selbstvorwürfen versinkt, verschiebt sie auf den Mörder. Somit hat er nichts mehr falsch gemacht und der Mörder wird ein wirklich irres Hassbild.“, der Körper auf seiner Brust schien schwerer zu werden je leiser Yamis Stimme wurde, „Ein Jugendlicher überträgt seinen Hass auf den heiß geliebten, aber über alles beneideten Bruder und all die Liebe schlägt in eine unfassbare Verachtung um.“

„Yami…“, die Arme des Blonden schlangen sich um den Älteren, um ihn bei sich zu behalten, während er sich aufrichtete. Zwei dünne, zitternde Arme legten sich dafür auf seine Schultern.

„Abwehr mag schützen… aber wenn man sie nicht erkennt, nicht mir ihr umgehen kann… dann kann sie so viel zerstören, dass es dich im Endeffekt in Stücke reißt.“, flüsterte der Kleinere.

Sodass Liebe in Hass umschlug… der heiß geliebte, über alles beneidete Bruder… nur… Verschiebung.

„Yami…“, Katsuya schwang vor und zurück und wiegte sie somit beide. Doch vor seinen Augen stand niemand anderes als sein Vater. Heruntergekommen, betrunken, nur ein Dreck wert. Er schlug immer und immer wieder zu. Nur Verschiebung? Nur eine Abwehr, weil er so unzufrieden war? Hätte er nicht einfach mit dem Trinken aufhören und sich einen Job suchen können? Es war schon fast leicht gewesen die Drogen abzusetzen, sobald er den Beschluss gefasst hatte. Er vermisste sie nicht mal. Er hatte so viel gewonnen. Warum nicht auch er? Warum er und nicht sein Vater? Warum das alles? Warum hatte er über neun Jahre das alles durchstehen müssen? Warum…

Ein Schluchzen verließ seine Lippen. Warum, verdammt noch mal! Warum wurde gerade er geschlagen? Warum musste gerade Mokuba damals über ihren Weg laufen? Warum musste Seto gerade auf den alten Kaiba treffen? Warum wurde Yamis Ausweis damals falsch verschickt? Warum passierte solch eine Scheiße? Gottverdammte Menschheit…

Weiche Lippen küssten über seine Wangen. Trocken, angenehm, feucht… weinte er? Küsste man seine Tränen hinfort? Der Blonde sah auf.
 

„Katsuya…“, feingliedrige Finger strichen sein Haar nach hinten, die Wange hinab, bevor sich die warme Hand auf diese legte, „Tut mir Leid. Ich wollte das nicht aufreißen. Ich dachte… ich dachte wirklich nicht, dass du schon so weit bist, dass du auf diese Art über ihn denken kannst.“

„Was? Wie?“, er blinzelte.

„Trauer und Mitleid.“, flüsterte der Ältere, „Das ist ähnlich wie der Trauerprozess. Unglauben, Wut, Resignation, Trauer und Mitleid. Du bist beeindruckend weit in diesem Prozess.“

Er war beeindruckend weit? Wirklich? Es war gut, wie er über damals dachte? Das war nicht krank? Aber es konnte doch nicht richtig sein, dass er die Menschheit verfluchte. Nein, das war Wut. Aber dass er sich fragte, warum sein Vater seine Situation nicht verändert hatte… das war keine Wut mehr. Da hatte Yami Recht. Wow… er heilte wirklich.

Danke.

Ein Lächeln legte sich auf Katsuyas Lippen.

„Hm… lass mich mitlächeln. An was denkst du?“, fragte der Ältere nach, der seine Fassung anscheinend auch wieder gefunden hatte.

„Ich heile.“, stellte der Blonde laut fest.

„Stimmt.“, sein Lächeln wurde erwidert, „Du heilst, Seto wird es auch bald wieder tun und ich vielleicht irgendwann auch.“

„Ja, sobald du dich nicht mehr um alle kümmern musst. Gibt es einen Helferkomplex?“, Katsuya versuchte das Thema zu ändern.

„Natürlich. Aber hätte ich einen schweren, müsste ich dafür sorgen, dass es meinen Geholfenen nicht besser geht. Und zumindest wäre mir nicht bewusst, dass das mein Ziel ist. Auch wenn ich mich manchmal leicht schusselig anstelle.“

„Wieso dass es nicht besser wird?“, fragte er erstaunt.

„Damit ich nicht plötzlich die verliere, denen ich helfen kann. Schwerer Helferkomplex und niemand zum helfen ist grausam.“

„Und leichter Helferkomplex?“, dann hatten sie also eine leichte Form von Helferkomplexen.

„Da ist die Verlustangst einfach nicht so groß. Da weiß man, dass man immer jemanden findet, dem man helfen kann. Der gilt auch nur als Krankheit, wenn man sich im Zuge des Helfens manchmal so verausgabt, dass es sehr stark lebensbedrohend und -einschränkend ist.“

„Lebensbedrohend? Das Helfen?“, der Größere sank zurück auf die Polster und Yami machte es sich auf ihm bequem.

„Zum Beispiel mit hochaggressiven oder stark affektiv gestörten Menschen zusammenzuleben ist lebensbedrohend. Die Person könnte urplötzlich zuschlagen oder eine Waffe ziehen und dich attackieren. Das gilt übrigens ebenfalls für Menschen mit Halluzinationen. Die Nähe solcher Menschen ist schlicht und ergreifend lebensbedrohend. Deswegen habe ich ja auch solche Bedenken bezüglich dieses Bakuras…“, Yami seufzte, „Und bezüglich Kaibas. DESNOS-Patienten sind für völlige Uneinschätzbarkeit bekannt. Sie können dich anlächeln und im selben Moment deinen Tod im Kopf durchspielen. Aber so gesehen können das auch andere Mensch…“
 

„Es ist und bleibt also immer die Gefahr, dass Seto mich im Zuge eines aggressiven Anfalls angreift?“, fragte der Blonde nach.

„Hm… sagen wir so, dass kann jedem Menschen passieren, besonders Männern. Der emotionale Input wird so groß, dass man den anderen einfach verletzten will. Es gibt Männer, die ermorden ihre Ehefrauen im Zuge eines Streits, einfach nur weil sie ihre Emotionen für einen kleinen Moment nicht kontrollieren konnten. Ansonsten sind sie völlig gesund und auch völlig gesellschaftsfähig. Bei DESNOS und affektiv gestörtem Verhalten ist die Möglichkeit, dass es dazu kommt, nur weit höher.“

„Bisschen Risiko gibt es also immer.“, er zuckte mit den Schultern, „Wenn ich also bei jeder Art von starkem emotionalen Schub bei Seto aufpasse, dürfte das völlig ausreichen, oder?“

„Hm…“, der Ältere seufzte, „Sagen wir, unter anderem. Seine dissoziativen Anfälle können zum Beispiel auch urplötzlich in Aggressionen umschlagen. Und manchmal können kleinste Handlungen eine so riesige Aggressionswelle auslösen, dass du kaum vorbereitet bist.“

Ach ne – man denke nur zurück an die kleine Messerstecherei mit Bakura. Kleinigkeiten konnten starke Aggressionen hervorrufen? Danke, war ihm völlig bekannt. Er sollte vielleicht wirklich mehr auf Ryou Acht geben. Allerdings… der Wolf war doch gestern sauer auf ihn gewesen, oder? Und er hatte ihn nur verbal attackiert, nicht wahr? An sich war das doch schon eine Steigerung.

„Und warum muss man gerade bei Männern aufpassen?“

„Weil Frauen keine so starken emotionalen Schübe kriegen wie Männer.“, die Amethystaugen blitzten, als sie sich auf seine richteten, „Frauen bauen Emotionen nach und nach auf, genau so wie sie sie auch nach und nach erst wieder verlieren. Wenn Frauen aggressive Energie haben, dann wird sie mit jedem Streit mehr und flaut kaum ab, bis Frauen Männer unbewusst in eine Situation bringen, wo sie sie dann umbringen können. Deswegen kriegen Frauen für Mord im Durchschnitt auch längere Haftstrafen, weil ihre Art von Mord mehr geplant als im Affekt geschieht. Sie sind sich oft völlig bewusst, dass sie eine Person umbringen wollen und werden, während Männer sich fast direkt nach der Tat fragen, wie sie das bloß tun konnten.“

Katsuya schluckte.

„Woah… das ist... irgendwie makaber…“, ein Glück, dass er schwul war. Ihn würde seine Freundin nicht irgendwann kaltblütig umbringen. Obwohl er auch nicht so schlimm war, dass man ihn umbringen musste, oder?

„Es ist heftig, nicht makaber. Heftig sind sieben Kinderleichen in einer Mülltonne, makaber ist eine Kinderleiche in sieben Mülltonnen. Dementsprechend ist die weibliche Art zu töten heftig und nicht makaber.“, der Rothaarige legte sein Haupt zurück auf die überkreuzten Arme.
 

„Yami… manchmal…“, der Jüngere schüttelte langsam den Kopf, „Manchmal bist du echt… wie kannst du mit solch einem gleichgültigem Ton so einen Spruch bringen?“

„Wie könnte ich nicht?“, fragte dieser mit einer leicht tieferen Stimme nach, „Weißt du eigentlich, wie viele Kinderleichen es jährlich gibt? Klar, in die Presse kommen nur die ganz spektakulären Fälle wie die über Jahre eingefrorene Leiche eines verhungerten Kindes oder der fünffache Kindermord einer psychisch kranken Mutter oder halt die sieben Kinderleichen in einer Mülltonne. Aber es sind um so viel mehr.“

Der Blonde schluckte. Anscheinend war es nicht unbedingt so selbstverständlich, dass er überhaupt lebte. An sich… es war ein Wunder, dass er lebte. Dass er neunzehn Jahre überlebt hatte, obwohl es teilweise über Monate kein Essen gab und es sich nur von Geklautem und Geschnorrtem am Leben erhalten hatte. Seiner Mutter konnte er wohl noch für etwas mehr als nur seine Geburt danken. Sie hatte zwar sonst nichts für ihn getan, aber sie hatte ihn geboren, ihn ernährt und ihn eingekleidet. Das war an sich schon eine Menge.

„Ich habe mir die Kriminalitätsstatistiken aus dem Internet gezogen. Warte.“, der Ältere stand auf, ging hinüber zum Schrank und griff das oberste Blatt eines Blätterstapels, der darin lag, „Fünfundfünfzig Prozent aller sexuellen Missbräuche geschehen an Kindern, zehn Prozent davon sind Vergewaltigungen, andere neuneinhalb Prozent schwerer Missbrauch, was meistens eine Vergewaltigung vor laufender Kamera ist. Die Rate bekannt gewordener Kindesmissbräuche stieg im letzten Jahr um acht Prozent. Übrigens zählt Kind als ein Wesen von vierzehn oder weniger Jahren. Die Rate sexuellen Missbrauchs von Vierzehn- bis Achtzehnjährigen liegt bei neunundzwanzig Prozent aller sexuellen Missbräuche. Siebeneinhalb Prozent aller Körperverletzungen erleiden Kinder, vierzehn Prozent Jugendliche. Elfeinhalb Prozent aller Mordopfer sind Kinder, zwei Prozent Jugendliche. Knapp siebenunddreißig Prozent der Morde werden von Verwandten begangen, neunundzwanzig in der Bekanntschaft und vierzehn Prozent sind nicht geklärt, das heißt meistens, man kann sie auch in die Sparte rechnen. Zwanzig Prozent des sexuellen Missbrauchs geschehen in der Verwandtschaft, zweiundvierzig in der Bekanntschaft, sechseinhalb Prozent sind ungeklärt. Insgesamt können nur fünfundsiebzig Prozent der Fälle sexuellen Missbrauchs aufgeklärt werden und etliche werden nicht gemeldet. Wahrscheinlich liegen die Zahlen also noch erschreckender.“, er sah auf, „Und dreißig Prozent dieser Fälle werden unter Alkoholeinfluss begangen.“

Schluck. Mehr konnte man da nicht sagen. Der Blonde schloss die Augen. Das waren die Zahlen aufgeklärter Fälle. Wie viele wurden nie bekannt? Wie viele tausend Kinder schwiegen? Wie viele waren nicht in der glücklichen Lage entdeckt zu werden?

„Was machst… also…“, er atmete tief ein, „Gehst du zur Polizei, nachdem du… also…“

„Nachdem ich vergewaltigt wurde?“, warf der Ältere mit ernster Stimme ein, „Nein.“

Katsuya atmete tief ein, öffnete die Augen und wandte sie Yami zu.

„Warum?“

„Warum nicht?“, der Rothaarige zuckte nur mit den Schultern und legte das Blatt weg, „Du hast in diesem Gebiet gelebt, Katsuya. Hier regiert die Yakuza, nicht die Polizei. Und die Yakuza kümmert sich nicht um Nutten, wenn es nicht ihre eigenen sind. Was bringt es mir alle paar Monate zur Polizei zu rennen? Mich kostet es nur Zeit und hat keinen Sinn. Helfen können die mir nicht. Eher kriege ich Ärger, dass ich schwarzarbeite. Ich kann drauf verzichten.“
 

„Aber…“, der Jüngere richtete sich seufzend auf und schüttelte den Kopf.

„Nein.“, ihre Blicke trafen einander, „Das letzte Mal, dass ich bei der Polizei war, war ich von einem Freier ziemlich schwer vergewaltigt worden. Als sie mich fragten, warum ich bei ihm war und ich ihnen meinen Beruf sagte, haben sie angeekelt das Gesicht verzogen und mir gesagt, ich sei abscheulich. Und ich bin gegangen.“, der Ältere setzte sich neben ihn, „Vielleicht wäre es besser die Fälle zu melden und vielleicht waren das auch nur Ausnahmen, aber mir hat es gereicht nie wieder hinzugehen. Wenn ich will, kann ich eines Tages die komplette Yakuza hier auffliegen lassen, denn ich kenne jedes Lokal, jeden Zuhälter, jeden Dealer und jeden Schläger und Auftragskiller. Ich habe Listen der angestellten Männer, Pläne ihrer Wohnungen und ihre Daten. Ich habe mich durch so viele Betten geschlafen, dass ich ihnen allen das Leben zur Hölle machen kann.“, er seufzte, „Aber ich werde nicht. Sie bringen mir Geld, ich bin dafür still. Die Unterlagen sind in einem Schließfach und der Schlüssel dazu ist notariell versiegelt. Sollten sie mir jemals was tun, dann sind sie alle dran. Und dann…“, die Amethyste blitzten, „Dann kann die Polizei machen, was sie will. Aber bis dahin will ich nichts, aber wirklich gar nichts mit denen zu tun haben.“

Der Blonde schluckte. Verdammt. Da war es wieder, dieses nagende, ihn von innen heraus auffressende Gefühl in seiner Brust. Vor seiner Vergangenheit konnte man nicht davon laufen, man konnte sie nicht völlig verleugnen und nie vollkommen verdrängen. Sie war immer da. Drei Wochen und er hatte vergessen, wie es war in der Gosse zu leben. Wie es war täglich um seine Haut zu fürchten, nachts nicht auf die Straße gehen zu können, sein Türschloss dreimal zu überprüfen. Drei Wochen und all die Angst, die stetige Aufmerksamkeit, das Lauschen, das Meiden von Seitenstraßen, die großen Bögen um uneinsichtbare Ecken, das Flüstern hinter den geschlossenen Jalousien, der Müll auf den bürgersteiglosen Straßen, die Dunkelheit… es schien alles so weit weg. Und doch war es erschreckend nah. Dieses Elend gab es, noch immer und immer wieder. Und es würde es immer geben.

„Wo waren wir mit den Abwehrmechanismen? Verschiebung?“, der Jüngere nickte abwesend, „Dann wäre das nächste die Projektion.“, ja, die kannte er… „Bei der Projektion unterstellt man dem Gegenüber Gefühle oder Eigenschaften oder Erwartungen und Verhaltensweisen, die man selbst hat. Eltern projezieren immer bei ihren Kindern, sie sehen ihre Überzeugungen, ihre Erwartungen als die einzig Richtigen. Das ist auch das Problem, was in der Pubertät aufkommt, wo die Jugendlichen ihre eigene Meinung zu bilden beginnen. Sie bekommen eigene Erwartungen und Wünsche und Eltern kommen damit nicht klar. Dem liegt die Projektion als natürlicher Prozess zugrunde. Zur Abwehr wird Projektion oft in Ehen benutzt, die nicht gut laufen. Partner unterstellen dem anderen aggressiv zu sein und nur die Beziehung zerstören zu wollen, dabei wollen sie eigentlich selbst los. Aber sie können damit nicht umgehen. Es ist sowieso schwer sich zu trennen, aber sich zu scheiden… das stelle ich mir sehr belastend vor.“

Und wenn man als aggressiver DESNOS-Patient projezierte und allen den eigenen Selbsthass, die eigenen Schuldgefühle, das eigene Misstrauen und die eigenen Ängste unterstellte – wie belastend musste solch eine Einsamkeit sein?

Unbewusst schaden

Da meine Deutschkenntnisse derzeit völlig am Ende sind, da ich bis zum Ende der Woche meine Abiturzusammenfassungen fertig haben muss und mein Gehirn demnach anscheinend die Dimension gewechselt hat, gibt es kein Vorwort.

Ich wünsche viel Spaß beim Lesen ^.^
 

P.S.: Bitte denkt daran, dass Abwehrmechanismen nicht krank, sondern normal sind! Sie sind da, um zu helfen! (bei der Allgemeinheit zumindest)
 

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„Was haben wir noch… nun, Sublimierung und Kompensation. Man erfüllt ein Bedürfnis übermäßig, weil man ein anderes nicht befriedigen kann.“, Sex und Zuneigung bei Kaiba, „Man empfindet ein Gefühl übermäßig, weil man sich andere Gefühle verbietet.“, Fürsorge und Lust bei Yugi, „Man zeigt ein Verhalten, weil man andere Verhaltensweisen nicht zeigen darf. Erinnerst du dich an mein Beispiel von dem Mann, der beim Verlassen des Hauses jedes Mal alle Fenster überprüft und die Haustür mehrfach abschließt? Der Mann kann zum Beispiel ein inneres Chaos und sehr viel Unsicherheit haben, weswegen er durch äußere Ordnung und Sicherheit versucht das auszugleichen. Das nennt man Kompensation.“

Der Blonde schloss die Augen und legte seinen Kopf auf Yamis Schulter ab.

„Dann gibt es die Reaktionsbildung. Meiner Meinung nach einer der Abwehrmechanismen, wo man Seto, Seto und wieder Seto als Beispiel bringen kann. Manchmal regt mich das echt auf.“, was war denn mit Seto? „Bei der Reaktionsbildung zeigt man das gegensätzliche Verhalten dessen, was man eigentlich tun will, man fühlt das Gegensätzliche dessen, was man eigentlich fühlen würde und so weiter… wenn Seto etwas sagen möchte, dann schweigt er, wenn er sauer ist, dann lächelt er, wenn er Gefühle zeigen möchte, wird er kalt, wenn er Sex haben will, stellt er sich schlafend… mich treibt es echt in den Wahnsinn. Wenigstens das Letzte werde ich jetzt nicht mehr erleben müssen. Aber das ist so typisch Seto… wir machen es unserem Gegenüber höchstmöglich kompliziert, irgendwie klappt das schon. Na gut, das ist kein bewusster Mechanismus, er tut das ganz automatisch, aber trotzdem… wie soll man erkennen, was er will und was nicht?“, der Ältere lehnte seinen Kopf seitlich an den Katsuyas, „Ich wünsche dir wirklich viel Spaß mit ihm. Vielleicht vertraut er dir ja irgendwann mal so weit, dass er dir glatt auch das zeigt, was er eigentlich braucht.“

Wäre ganz wünschenswert, wenn er andauernd das Gegenteil tat und dann manchmal nicht… er musste noch eine Menge über Seto lernen. Aber irgendwie… Seto wollte ihn hassen und begann ihn zu mögen. Er wollte ihn von sich weg wissen und ließ ihn bei sich wohnen. Oder war es anders herum? Wollte er gemocht werden und stieß die Leute um sich dadurch von sich, so wie Katsuya es früher getan hatte? War er zuerst böse gewesen, weil er unbedingt geliebt werden wollte? Seto war kompliziert. Aber dieses Verhalten war es wohl, was ihn so bizarr machte.

„Weiß er, wenn er etwas empfindet, dass er eigentlich das Gegenteil empfindet?“

„Kommt sehr drauf an. In irgendeinem Gespräch verplapperte er sich mal und sagte mir, dass er sich unglaublich freut, wenn man ihn schlägt. Anscheinend kann sein Kopf mit dem aufwallenden Hass nicht umgehen… es könnte natürlich auch das Gefühl von Sicherheit sein, ich glaube, er wurde früher oft geschlagen. Aber ich vermute, auch das ist eine Reaktionsbildung.“

Sehr wahrscheinlich. Als er ihn damals geschlagen hatte, hatte es gewirkt, als sei es Seto völlig egal. Und danach hatte er einen depressiven Anfall, der ja anscheinend dafür da war übermäßige Gefühle zu verarbeiten. Ob er sich im Moment des Schlages gefreut hatte? Es war so… bizarr.
 

„Abwehrmechanismen sind komisch.“, der Blonde entzog sich dem Älteren, nahm seine Beine mit auf die ausgezogene Couch und robbte zur Lehne, um es sich dort bequem zu machen, „Was hat diese Reaktionsbildung für einen Sinn? Natürlich verarbeitet sie Gefühle, aber im Endeffekt schadet sie doch, oder?“

„Nicht ganz. Mindestens für Kinder ist sie nützlich.“, Yami seufzte tief, „Je mehr du einem Kleinkind Schmerzen zufügst, es dominierst, es entwertest… desto mehr liebt es dich.“, mit geschlossenen Augen schüttelte er den Kopf, „Ein Kleinkind muss davon ausgehen, dass es von den Eltern geliebt wird, sonst kommt es zu irreversiblen Persönlichkeitsschädigungen. Also brauchen Kleinkinder einen Mechanismus, der sie glauben lässt, sie würden geliebt werden. Unter anderen ist die Reaktionsbildung daran beteiligt. Bei Misshandlungen bezieht das Kind sie immer auf sich, fragt sich, was es falsch gemacht hat und so weiter.“, war ihm zu gut bekannt… „Aber die Schuldgefühle, die Scham, der Selbsthass ist irgendwann zu viel, also sieht das Kind verschiedene Misshandlungen als Zeichen der Zuneigung und Fürsorge an. Auch das ist Reaktionsbildung. Was anderes bleibt Kindern oft gar nicht übrig. Erst mit einem gewissen Alter kommt die Erkenntnis, dass es einfach nicht geliebt wird. Aber die kann erst kommen, wenn das Kind reif genug ist, damit umzugehen ohne völlig daran zu zerbrechen.“

Das erinnerte zu sehr an sein Gespräch mit seinem neunjährigen Ich… er hasst dich einfach. Ja, so hatte er es ausgedrückt. Sein neunjähriges Ich war vor seinen Augen zusammengezuckt. Aber es hatte damit umgehen können.

„Ein weiterer Mechanismus, der uns von Kleinkind an gegeben ist, ist die Regression. Man setzt sich in seinem Entwicklungsstatus auf ein früheres Level zurück. Das bewirkt nicht nur, dass man für einige Zeit in dem naiven, kindlichen, magischen Denken verweilt und der Schmerz so recht schnell abebbt, sondern manchmal auch, dass einem geholfen wird, da man die Beschützer- und Mutterinstinkte des Umfelds weckt, wenn man sich in Fötalposition in irgendeine Ecke setzt und heult.“, der Rothaarige ließ sich hinten fallen und verweilte somit aus Katsuyas Sicht am Ende der Couch, „Seto hat mir gesagt, dass dein Problemlösungsverhalten eine starke Regression ist. Stimmt das?“

„Äh…“, der Blonde erwachte aus seiner Beobachtungen Yamis, „Keine Ahnung? Kann sein… ich weiß nicht genau, was er meint.“

„Er sagt, wenn es ein wirklich schwerwiegendes Problem gibt, faltest du dich in irgendeine Schutzhaltung zusammen, heulst und bittest inbrünstig um Vergebung.“

„Oh…“, eine leichte Röte schlich sich auf seine Wangen, „Ähm… ja, ich glaube, das ist vorgekommen…“

„Das ist zum Beispiel eine starke Regression. Du verfällst in kindliche Verhaltensmuster. Ich glaube, da wollte er noch mit dir dran arbeiten.“

Außerhalb der Situation betrachtet… er verhielt sich wirklich krank. Aber das war nun mal sein bester Schutz. Und es hatte bisher doch auch geholfen. Aber… klar, damit trieb er Seto wohl in den Wahnsinn. Seto musste aufpassen nicht zu böse auf ihn zu sein, weil er sonst zusammenbrach. Ach du scheiße… sie reagierten beide ziemlich krank auf Wut. Wahrscheinlich mussten sie beide an sich arbeiten.
 

„Eine weitere von Kind an gegebene Abwehr ist die Phantasie. Das, was man nicht tun kann, nicht erreichen kann, was man möchte aber nicht darf, das wird alles imaginativ ausgelebt. So ziemlich jedes Kind hat schon mal jemanden tot gewünscht, das passiert, das ist nicht schlimm, solange es Phantasie bleibt. Denn Phantasie ist manchmal unsere Art mit Emotionen und Wünschen umzugehen. Deswegen ist das Fördern von Phantasie durch Kreativität auch sehr wichtig. Das erinnert mich…“, der Ältere setzte sich auf, „Ach nein, das nachher. Ich habe letztens mal alte Dokumente durchgesehen und dabei etwas gefunden, was du bitte mit Seto machen könntest. Aber erstmal der Rest der Abwehrmechanismen.“, er legte sich wieder hin, „Was haben wir denn noch? Rationalisierung, Idealisierung und Entwertung und Spaltung.“

Bitte nicht alle auf einmal! Das war doch sowieso schon schwer zu merken!

„Sind an sich nur verschiedene Abstufungen ein und desselben Mechanismus.“

Ach so… deswegen nannte er alle auf einmal.

„Es geht darum, dass man etwas radikalisiert. Wenn der Lehrer etwas Blödes gemacht hat, dann bist du komplett sauer auf ihn, dann ist er ein Blödmann und völlig inkompetent und so weiter. Du radikalisierst, um deine Gefühle auszulassen. „Der weiß sich manchmal aber auch einfach nicht zu benehmen“ ist Rationalisierung, „Der ist echt ein völlig unfreundlicher Idiot“ ist Entwertung und „Dieses gottverdammte Arsch von einem Halbaffen“ wäre eine Aussage einer spaltenden Person.“, sein Kopf drehte sich zu Katsuya hin, „Das Ganze gibt es dann auch noch in die Richtung des Schönredens in den Abstufungen Rationalisierung, Idealisierung und Spaltung.“

Das war ein ihm wirklich gut bekannter Mechanismus. Man höre nur Mädchen zu, wenn sie über ihre Exfreunde sprachen – grässliche Radikalisierung. Oder diese Jungengruppe, wenn die über Ryou und ihn sprachen, die wurden von diesen Mechanismen sicher dominiert.

„Dann kommt der Mechanismus, wo du mich als Beispiel nehmen kannst. Intellektualisierung bis hin zur emotionalen Isolation.“, der Rothaarige seufzte, während er die Augen schloss und sein Gesicht zur Decke wandte, „Dabei empfindet man einfach keine Gefühle mehr. Der ganze Bereich von Emotionsempfindung wird abgeschaltet. Bei der emotionalen Isolation geht es so weit, dass sogar das komplette Bewusstsein ausgeschaltet wird. Man fühlt sich wie ein Komet, der durch das All schwebt. Dieser Mechanismus greift bei schwerer Gewalt und ist somit unverwunderlich der meistgenutzte Mechanismus bei Vergewaltigungen.“, woah… der Kopf hatte schon extra dafür Mechanismen bei jedem Menschen. Mechanismen für einen Schutz, wenn man von anderen Menschen misshandelt wurde. Irgendwie… traurig.

„Die emotionale Isolation tritt eigentlich nur bei Extremsituationen auf, die Intellektualisierung ist die alltägliche Version. Wenn wir stark kritisiert werden, müssen wir unsere Gefühle ausschalten. Wenn wir gedemütigt werden, müssen wir sie ausschalten. Wenn wir Dinge tun, die wir eigentlich nicht tun wollen, müssen wir sie ausschalten. Aber wie bei allen anderen Mechanismen macht es krank ihn zu oft zu nutzen, das sollte gesagt sein…“

Verständlich. Wenn man andauernd nur seine Gefühle unterdrückte, musste das krank machen. Das dürfte jeder irgendwo wissen. Gefühle waren wichtig, sie machten einem zum Menschen. Und doch wurde oft verlangt sie… auszuschalten. Einfach weg.
 

„Dann gibt es die gedankliche Isolation.“, Yami schwang seine Beine ebenfalls auf die Couch und machte es sich liegend bequem, „Da kommt viel zusammen. Der Mensch hat meistens nicht ein Weltbild und ein Menschenbild, sondern ein riesiges Gemisch ganz vieler. Manchmal nutzen verschiedene Rollen, also Sohn, Vater, Freund, alle Rollen, die wir so haben, andere Welt- und Menschenbilder. Unser Kopf muss manchmal einfach trennen, weil verschiedene unserer Überzeugungen einfach nicht miteinander vereinbar sind. Ich weiß nicht, ob ich dir mal davon erzählte, da war dieser Mann, der einen Brief an einen Forscher schrieb, der ein Mittel gegen Alkoholismus suchte und dabei Tierversuche machte. Der Mann schrieb, dass man für so etwas doch keine Tierversuche machen könne, dass das doch moralisch nicht vertretbar sei, dass er für Alkoholismus gefälligst an Alkoholikern testen solle, aber doch nicht an Tieren und so weiter… gegen Tierversuche hat er etwas, aber gegen Menschenversuche nicht? Du siehst, da hat der Kopf Grenzen gezogen, damit dieser Gedanke den Überzeugungen nicht in die Quere kommt.“

Na, sehr schön. Seto konnte sich nicht nur durch die drei Arten seiner Seele, Triebe, Über-Ich und sonstigem widersprechen, sondern auch noch durch gedankliche Isolation. Klar, dass er so komplex war. Oder um es anders zu sagen: Es war unmöglich Seto vollständig nachzuvollziehen. Der Mann war pures Chaos. Klar, dass er Perfektionist war, sein Chaos musste er wohl irgendwie ausgleichen.

„Der Mensch ist viel zu kompliziert…“, urteilte Katsuya.

„Der Mensch hat erst vor ein paar zehntausend Jahren das Denken wirklich begonnen. Wir sind noch mitten in der Selektion, also der Auswahl der Natur, was unserem Leben am besten entspricht. Und die meisten Mutationen, also Veränderung des genetischen Codes, wirken sich auf das Gehirn aus. Das muss gerade erst wirklich ausgebildet werden. Denn derzeit kann es oft nicht mit dem technischen Stand mithalten.“

„Was heißt das – es kann nicht mithalten?“, der Blonde beugte sich nach vorn, stützte sich vor dem Körper ab und krabbelte auf allen Vieren zu Yami, um sich neben ihm seitlich fallen zu lassen und liegen zu bleiben.

„Über vierzehn Prozent der Menschen in den Industrieländern können nicht richtig lesen und schreiben. Was glaubst du, was das für ein Problem ist? Von Menschen wird erwartet, dass sie arbeiten und wählen und sich weiterbilden und Hobbys haben und am besten technisch versiert sind und selber ihre Sachen reparieren, selber streichen und Teppiche und Kabel verlegen und so weiter… bei einem Großteil der Bevölkerung scheitert es schon am Schreiben der Bewerbung. Oder dem Lesen von Bedienungsanleitungen. Allein schon dass du in der Lage bist nachzuvollziehen, was ich dir hier erzähle, ist eine echte Leistung. Es sich zu merken grenzt dann schon wieder an eine Hochleistung.“, die Amethystaugen fanden seine, „Oder könntest du mir jetzt noch aufzählen, welche Mechanismen ich dir schon erzählt habe?“
 

„Äh…“, der Jüngere hob beide Augenbrauen, „Da war… Verdrängung und… Verschiebung. Regression und Phantasie und… gedankliche Isolation und emotionale Isolation und Intellektualisierung. Öhm… diese mit den drei Formen. Spaltung und… wie hieß der Rest noch?“

„Rationalisierung, Idealisierung und Entwertung.“, half Yami.

„Ja, genau die. Und das, was Seto hatte. Re… re… Reaktions… war doch irgendetwas damit, oder? Reaktionsbildung?“, er nickte, „Gut. Tja, was hatten wir noch?“, da war noch was mit Yugi, „Ach ja, Verleugnung! Und Projektion.“, das war das mit Bakura.

„Mich überrascht, wie viele du noch weißt. Das reicht ja fast an Setos Rekord.“

„Der da wäre?“

„Alle zu wissen natürlich.“, ein Grinsen breitete sich auf den Lippen des Rothaarigen aus, „Aber selbst er hat nachher den Merkzettel für alle dankend entgegen genommen.“, er rutschte auf der Couch, um Katsuya gegenüber zu liegen, „Du hast Ungeschehenmachen, Sublimierung und Kompensation vergessen. Und die, die ich dir noch nicht erzählt habe.“

„Welche sind das?“, wie schön, dass er die alle nachlesen konnte.

„Introjektion, Identifikation und Persönlichkeitsdissoziation.“

Viel zu viele Ionen… immer diese Fachbegrifffanatiker. Komplexlingualitätsfetischisten!

„Identifikation ist ein sehr alltäglicher Mechanismus zur Erhöhung des Selbstwertgefühls. Man sucht sich ein Idol und versucht ihm ähnlich zu sein und jede Ähnlichkeit wird dann positiv bewertet.“, Vorsicht, Teenie-Star… „Dieser Mechanismus klappt aber nur bei Menschen mit einem eher positiven Selbstbild. Also die, die sich dann nicht für die Unterschiede minderwertig fühlen.“

Also ein Mechanismus für die Normalbevölkerung. Nichts, was etwas mit Seto zu tun hatte. Demnach konnte man es als unbedeutend abstempeln. Oder sollte er doch alles lernen?

„Introjektion ist ein Mechanismus, der zwei Seiten hat. Das Wort an sich bedeutet, dass man Normen, Werte und Einstellungen ungefragt übernimmt. Das ist zum einen ein Prozess, den wir in der Kindheit haben. Wir übernehmen das Menschen- und Weltbild unserer Eltern, dann das unserer Umwelt, dann denken wir im Zweifelsfall in der Pubertät mal drüber nach und das war es dann.“, eine feingliedrige Hand strich ein paar blonde Strähnen aus Katsuyas Gesicht, „Dieses Nachdenken ist das, was man als Identitätsfindung bezeichnet und was du in deiner Identitätskrise nun tust. Aber gut, zurück zur Introjektion.“, Yami seufzte, „Introjektion tritt auch in aller Art Misshandlungssituationen auf. Man introjeziert Normen wie die, das man wertlos ist. In diesem Fall hat die Misshandlung einen Grund und der Kopf kann die Misshandlung verarbeiten. Problem ist, dass diese Norm bestehen bleibt, wenn ist öfter zur Introjektion kommt. Es bildet sich also erst ein negatives Selbstbild und dann das TI, das Täterintrojekt.“, ach, daher kam der Begriff, „Wie gesagt ist das TI einer der drei Teile der peritraumatischen Dissozition, die Seto hat – ich denke, du erinnerst dich.“

Klar, das hatte er sich sofort gemerkt. Mindestens Setos Krankheiten sollte er verstehen. Das Täterintrojekt enthielt die Normen und Werte, die durch die Misshandlung introjeziert wurden. Das Ganze nahm langsam Gestalt an…
 

„Und zuletzt die Persönlichkeitsdissoziation.“, der Rothaarige holte tief Luft, „Da du dich erinnerst, was die peritraumatische Dissoziation ist, weißt du auch, dass Dissozation so etwas wie Spaltung bedeutet.“, Katsuya nickte, „Die peritraumatische Dissoziation ist die krankhafte Auswirkung einer Persönlichkeitsspaltung. Eine weitere krankhafte Auswirkung ist die multiple Persönlichkeitsstörung, von der du vielleicht auch schon einmal gehört hast.“

Ja, im Fernsehen hatte er als Kind einen Film dazu gesehen. Eine Verrückte hatte geglaubt ganz viele Seelen in ihrem Körper zu haben und dass sie die Morde nie begangen hätte, das wäre eine andere in ihr gewesen und so ein Kram… halt. Stopp und zurück. Multiple Persönlichkeitsstörung als krankhafter Effekt einer Persönlichkeitsspaltung? Hieß das, sie hatte wirklich – also wirklich und echt – viele Seelen in ihrem Körper gehabt? Dass es andere Bewusstsein in ihrem Körper gab, die manchmal an ihrer statt handelten?

„Hat man da so etwas wie ganz viele Seelen im Körper, die die Kontrolle über dich übernehmen können?“

„Ja, genau das.“

Heilige Scheiße!

„Kriegt man mit, was die machen?“

„Manchmal ja – manchmal nein.“, Yamis ernster Ausdruck ließ nicht vermuten, dass er scherzte… bei allen Göttern, das musste grausam sein. Was, wenn man wirklich aufwachte und irgendwer hatte mit dem eigenen Körper Menschen ermordet?

„Ich denke, du kannst dir ein Bild von der Krankheit machen. Der Abwehrmechanismus Persönlichkeitsdissoziation ist im Grunde nichts anderes. Das, was erlebt wird, wird einer völlig anderen Person zugeordnet und diese Person wird dann meistens verdrängt. Wird sie das nicht, hat man dann solche Aussagen wie „Einer Bekannten ist letztens etwas passiert, das war…“ und sobald man genauer nachfragt, weiß die Person nicht, wer diese Bekannte ist.“, nun ja… an sich doch ganz intelligent, wenn man das traumatische Ereignis so gesehen nicht selbst erlebt.

„Der Mechanismus kommt aber nur in traumatischen Situationen vor, oder?“

„Fast ausschließlich, ja. Obwohl, genau weiß man es nicht. Ich persönlich glaube nicht, dass mir das schon oft passiert ist, dass ich etwas, was mir geschehen ist, anderen Personen zugeordnet habe. Aber man hat Angaben zu Multiplen, also den durch Anwendung des Mechanismus krank gewordenen. Die meisten Multiplen sind seit frühester Kindheit vergewaltigt worden.“

Nun, wenigstens etwas, was er nicht erlebt hatte. Dementsprechend dürfte er den Mechanismus auch eher wenig angewandt haben. Oder… oder ihm war doch etwas in die Richtung passiert und es war verdrängt.

„Yami…“, ihre Blicke suchten einander und fanden sich, „Glaubst du, ich wurde mal vergewaltigt?“

„Nein.“, der Ältere lächelte zart, „Dafür wärst du mir auf sexueller Basis viel zu wenig schreckhaft. Ich hatte meine Finger schließlich auch schon in deiner Unterhose.“, er zwinkerte.

Katsuya knurrte.

Idiot.

Suicide

Kapitel 99 ^v^ Wir nähern und Nummer 100. Und es gibt ein neues FA! Schaut doch mal in der Kapitelübersicht rein ^.^

Die neue Past-Szene dürfte bis nächste Woche fertig sein, die Nebensequenzen tippe ich ab, sobald ich Zeit finde und meine Klausuren beginnen nächste Woche Freitag. Das heißt ab Donnerstag nächster Woche gibt es unregelmäßig bis keine Antworten und übernächste Woche Mittwoch kein Kapitel (an den beiden Tagen danach schreibe ich meine beiden LK-Abitur-Vorklausuren). Wird aber alles nachgeholt ^.-

Und es solle sich bitte keiner dumm fühlen, weil er sich nicht alle Abwehrmechanismen merken kann - selbst Katsuya habe ich hier eine rege Intelligenz verpasst, sonst könnte er nämlich schnell mit Seto nicht mehr mithalten und würde neben ihm völlig untergehen. Genies werden Normalsterbliche manchmal schnell langweilig und daran sollte es nicht scheitern ^.-

Viel Spaß beim Lesen ^.^
 

P.S.: Wer den Merkzettel haben möchte, hinterlasse bitte seine E-Mail-Adresse im Kommentar oder sende sie per ENS.

P.P.S.: Die multiple Persönlichkeitsstörung ist KEINE Schizophrenie. Es wurde versehentlich mal zur Schizophrenie geordnet, aber Multiple sind NICHT schizophren. Schizophrenie ist was völlig anderes!
 

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Nun gut. Wahrscheinlich waren also weder er noch Seto vergewaltigt worden – und wenn doch, dann hatten sie es ausreichend verdrängt und mussten sich nicht darum sorgen. Für die Abwehrmechanismen hatte er seinen Merkzettel, die Sache mit Bakura hatte er angesprochen und er hatte die Gewissheit, dass Seto nicht zum aggressiven Triebtäter umschlagen würde. Er musste halt nur etwas aufpassen. Was blieb also noch zu klären?

„Du hattest da noch etwas mit alten Dokumenten und Seto.“, erinnerte Katsuya seinen Freund.

„Oh ja!“, der Rothaarige ging zurück zum Schrank, aus dem er gerade erst den Ordner mit seiner Zettelwirtschaft geholt hatte, um ihm das Merkblatt zu geben, „Das ist meiner Meinung nach das wichtigste psychologische Modell, weil es sowohl Psychohygiene als auch Ressourcenförderung und damit Resilienz verstärkt.“

Äh, ja… es ging irgendwie um psychische Gesundheit.

„Ich vermute, dass das Setos Depersonalisation vorbeugen kann.“, er kramte in dem Stapel mit losen Blättern.

„Seiner was?“, Katsuya legte sich auf die Seite, um ihm zuzusehen.

„Das, was du depressive Anfälle nennst. Da wird fachsprachlich eigentlich als Depersonalisation bezeichnet und den Dissoziationen zugeordnet. Wirkliche Depressionen hat Seto gar nicht.“, er zog einen Hefter hervor und blätterte darin, „Übrigens habe ich DESNOS und Borderline nachgeschlagen. Es ist möglich, dass Seto unter Einfluss von sehr viel Stress Wahnideen und Halluzinationen bekommt. Die sollten aber wieder aufhören, sobald es für ihn ruhiger ist. Wenn nicht…“, die Amethystaugen schnellten hoch und trafen seinen Blick, „…dann sage mir das bitte sofort. In dem Fall könnte er in die Abteilung Suizidgefahr abrutschen und es müsste dringend etwas geändert werden. Mindestens medikamentöse Behandlung.“

„Weißt du eigentlich etwas über seine medikamentöse Behandlung?“, fragte der Blonde nach. Irgendwo für mussten die Psychopharmaka in seinem Schrank ja sein.

„Er hat bis vor ungefähr einem Jahr regelmäßig Medikamente genommen, danach hat er sie selbst abgesetzt, weil er nicht von Tabletten abhängig sein wollte. Und er konnte seine Anfälle auch ganz gut kontrollieren.“, der Ältere seufzte, „Derzeit steht die Frage im Raum, ob er sie nicht wieder nehmen sollte… denn er hat sich definitiv nicht mehr unter Kontrolle.“

Und daran war nur er selbst Schuld. Er und niemand anderes. Vielleicht Seto ein bisschen, aber der war derzeit anscheinend sowieso nicht wirklich zurechnungsfähig.

„Aber er ist nicht suizidgefährdet, oder?“

Yami atmete tief durch, während er einen Finger in die derzeit aufgeschlagene Seite legte und den Hefter zuklappte, bevor er langsam den Blick hob.

„Sei ehrlich, bitte.“

„Ich weiß es nicht.“, er fuhr sich mit einer Hand durch die Haare, „Acht bis zehn Prozent aller DESNOS-Erkrankten schaffen ihren Selbstmord. Dabei sind die Versuche nicht einmal eingerechnet. Und das suizidale Verhalten, also das absichtliche Begeben in risikoreiche Situationen… die Zahl muss noch höher sein. Aber ich möchte Seto ungern als Teil irgendeiner Statistik betrachten. Nur…“, er schüttelte leicht den Kopf, „Ich weiß ehrlich nicht, was ich denken soll. Derzeit ist alles irgendwie Chaos.“
 

Katsuya streckte die Arme aus und wartete auf Yami sich in sie zu legen – welcher das Angebot natürlich dankend annahm und sich an den Größeren kuschelte, während er seine Hand mit dem Heft hinter Katsuya ablegte.

„Danke…“, der Ältere streichelte mit seiner Nasenspitze die Brust, „Das tut gut.“

„Das ist das Mindeste, was ich tun kann für alles, was du für mich tust…“, Katsuya vergrub sein Gesicht in dem roten Haarschopf.

„Was ich für dich tue?“, nuschelte Yami verwirrt.

„Na ja… du sorgst dich seit zwei Jahren um mich. Du hast immer aufgepasst, dass ich nicht erfriere oder verhungere und meinen Zustand überprüft, wenn ich high war und so… und jetzt sorgst du dich um meine Seele. Und auch früher konnte ich mir den ganzen Scheiß von der Seele labern… das ist… danke, Yami.“

„Kein Problem.“, er legte den Kopf seitlich, um Katsuyas Herzschlag zu hören, „Du warst einfach der einzige Freund, den ich hatte. Und ich wollte dich nicht sterben lassen.“

„Na ja… dann hättest du zum Beispiel trotzdem nicht immer für mich kochen müssen, wenn es nur das wäre.“, der Typ war manchmal doch arg bescheiden. Und dass obwohl er anderntags so überzogen sein konnte.

„Doch.“, der Ältere drückte sich ein wenig von Katsuya weg, um ihm ins Gesicht zu sehen, „Glucosemangel, chronische Unterernährung und Magersucht sind an sich stoffliche Süchte, obwohl die ersten natürlich meist nicht von der Psyche ausgelöst werden. Der Mangel an Glucose versetzt nach einiger Zeit in rauschartige Zustände und zerstört nach und nach die Hirnzellen. Somit hat Magersucht dieselbe Wirkung wie Alkoholismus und eine leichte Drogensucht. Dir glucosehaltige Nahrung zu kochen ist…“, er betonte das Wort, „…überlebenswichtig gewesen. Und es geht nicht nur um Glucose. Wenn du wüsstest, wie du ausgehen hast, als wir uns trafen… dein Körper hatte schon begonnen Wasser einzulagern, während deine Muskeln fast halb abgebaut waren. Wer weiß, was du in den zwei Jahren in welchen Abständen zu dir genommen hättest. Überleben und den Körper weiter funktionieren lassen sind zwei ganz unterschiedliche Dinge. Der Körper funktioniert nämlich auch mit einem stark geschädigten Hirn und weniger als der Hälfte des Idealgewichts.“

„O… ha…“, der Blick des Braunäugigen suchte sich seinen Weg über den Sofabezug, „Das… wusste ich nicht.“, er seufzte, „Also noch eine… Irgendwie-Sucht…“, nebst einem extremen Mangel, wenn er Yami richtig verstanden hatte… wie hatte er mit knapp siebzehn ausgesehen?

„Tja.“, der Rothaarige strich über seinen linken Wangenknochen und streichelte darauf die Wange darunter, um Katsuya aufsehen zu lassen, „Ich weiß gar nicht, ob du überhaupt süchtig warst. Ich meine, ja, du hast einen heftigen Drogenmissbrauch gehabt, aber… warst du abhängig? Du bist wirklich ungewöhnlich leicht davon weggekommen. Du hattest nicht einmal irgendwelche harten Entzugserscheinungen, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Ein paar körperliche in der Woche vor Schulbeginn, aber sonst…“, er lächelte, ohne fröhlich zu wirken, „Oder fällt es dir schwer?“

„Abstinenz? Gar nicht.“, Katsuya legte eine Hand auf Yamis, die noch auf seiner Wange weilte, „Irgendwie ist mir, als hätte ich jahrelang nur darauf gewartet, dass mir jemand sagt: Jetzt reicht’s aber mal, Schluss damit. Seto war für mich dieses Zeichen. Und damit war Ende.“

„Das ist eine wirklich außergewöhnliche Geschichte für eine Abhängigkeit…“, das Lächeln gewann an Ausdruck, „Oder Ausnahmen bestätigen die Regel.“
 

„Ich bin jung und brauch’ die Gesundheit.“, warf der Blonde mit einen Zwinkern ein, was Yami zum Lachen brachte und ihn mitriss – irgendwann an diesem Abend musste man doch auch mal etwas weniger Tiefsinniges haben.

„Ha… ha…“, der Ältere atmete tief ein, „Katsuya, manchmal bist du… also echt.“

„Besser als deine makabren Sprüche. Davon will ich vorerst keine mehr hören.“

„Schon gut…“, er hielt sich den Bauch, während er sich auf den Rücken drehte, „Kats… aber gut, es ist wahr. Gesundheit ist das wichtigste im Leben. Physisch und psychisch.“

„Und das leitet wunderbar über zu dem nächsten psychologischen Modell, wetten?“

„Wie kommst du bloß darauf?“, fragte der Rothaarige gespielt erstaunt, „Ich bin leicht zu durchschauen, was?“

„Nun ja, wir kennen uns jetzt schon ein paar Tage.“, der Jüngere machte es sich in einer Lage bequem, dass er den anderen noch ansehen konnte, aber dennoch auf dem Bauch lag.

„Was ist hier habe, ist das Homo-ludens-faber-Modell.“, Yami hob kurz den Hefter in seiner Hand.

„Das sagt mir auf’s Wort alles.“, gab der Blonde mit bestem Sarkasmus zurück.

„Es ist so eine Art ganz einfaches Menschenbild.“, fuhr der Andere den Kommentar missachtend fort, „Es sagt, dass der Mensch zwei Seiten hat. Die eine wird Homo ludens, die andere Homo faber genannt.“

Das schien einfacher als das tiefenpsychologische Modell von Es und Ich und Über-Ich und dem ganzen Rest. Zwei Seiten waren noch zu merken. Aber wie wurden die bitte genannt?

„Homo ludens heißt übersetzt spielender Mensch und Homo faber bedeutet so viel wie naturwissenschaftlicher Mensch.“

Das war schon eher verständlich. Der Spielende und der Naturwissenschaftliche. Das Kind und die Regulation. Die Emotion und der Verstand – so würde er Menschen grob auch mal unterteilen.

„Der spielende Teil ist, wie du dir sicher denken kannst, der emotionale Teil, während der naturwissenschaftliche Teil der rationale ist.“, so weit war er auch, ja, „Schlusspunkt des ganzen ist, dass der Homo ludens und der Homo faber ein ausgeglichenes Verhältnis im Leben brauchen.“

Man durfte seine Emotionen und Wünsche nicht vernachlässigen, aber man durfte sie auch nicht zu sehr in den Vordergrund stellen – klar.

„Im Groben ist das schon das ganze Modell.“

Ach, das war mal leicht gewesen. So kam man bei Yami doch selten weg. Allerdings – noch wusste er nicht, was Yami ihm damit bezüglich Seto sagen wollte.
 

„Und das soll mir jetzt was genau sagen?“, fragte der Blonde nach.

„Es soll meine Ausführungen zur Psychohygiene etwas erweitern. Psychohygiene ist an sich nichts anderes als das Ansprechen des Homo ludens. Was mir dabei auffiel, war, dass Psychohygiene immer sinnliches Erleben ist.“, man erhielt seine Gesundheit durch sinnliches Erleben… was war sinnliches Erleben? „Es ist bei vielen Menschen auffällig, dass sie den Homo ludens unterdrücken oder sogar ganz verdrängen – für die Gesundheit dieser Menschen ist es wichtig den Homo ludens wieder herauszukitzeln.“

„Durch sinnliches Erleben?“, fragte der Blonde nach. Sollte er mit Seto dieses sinnliche Erleben – was auch immer das war – machen?

„Ganz genau. Sinnliches Erleben schafft einen Bezug der Seele zum Körper, bei dem der Körper nicht als Mittel zum Zweck angesehen wird, stärkt das Selbstbewusstsein und schafft ein positiveres Menschen- und Weltbild.“

„Deswegen soll ich mit Seto dieses sinnliche Erleben machen?“

„Ja.“, alles klar, das war verständlich. Durch das sinnliche Erleben konnte Seto wahrscheinlich geholfen werden, indem es sein Selbstbild veränderte – was augenscheinlich nötig war – und somit seinen Anfällen vorbeugte. Seinen Depersanili… wie hieß das? Anfall war leichter zu merken.

„Und was genau ist sinnliches Erleben?“

„Das Ansprechen der Sinne und der künstlerischen Fähigkeiten.“, etwas genauer, bitte, „Unsere fünf Sinne sind?“

„Hören, Sehen, Fühlen, Schmecken, Riechen.“, ganz blöd war er auch nicht. Yami konnte manchmal echt… echt sein. Dieses verdammte Grinsen in seinem Gesicht…

„Und wie könnte man einen von ihnen ansprechen?“, der Rothaarige legte sich ebenfalls bäuchlings hin, das Gesicht zu Katsuya gewandt.

„Ähm… mit Essen?“, den Geschmackssinn anzusprechen dürfte ja nicht schwer sein.

„Zum Beispiel. Setos Lieblingsgericht sind Crepes.“, verriet ihm der Ältere mit einem Zwinkern.

„Hm… die kann ich machen, aber dafür haben wir zuhause nicht die nötige Ausrüstung.“

„Dann besorg’ sie.“, ein gewisser Befehlston schwang in der Stimme mit, wenn der Blonde das richtig deutete, „Wie kannst du die Sinne noch ansprechen?“

„Mit Kaffee.“, erwiderte er eher trocken, „Kaffeegeruch und Kaffeegeschmack und Seto ist hin und weg…“, Riechen, Schmecken, Hören, Sehen, Fühlen, „Mit klassischer Musik, die mag Seto auch. Hm… was kann man im Bereich Sehen machen? Filme gucken?“

„Fernsehen senkt deine Konzentration auf ein Zehntel – Seto hasst das. Er ist davon vollkommen gelangweilt. Wenn du ihn vor einen Fernseher setzt, braucht er gleichzeitig was für seine Hände zum Tun und für sein Hirn zum Denken.“

Okay, der Fernseher war aus jeden Überlegungen zu streichen.

„Und Videospiele?“

„Werden nach spätestens acht Stunden langweilig. Eher weit früher.“

Grausam. Kein Fernsehen, keine Videospiele, keine Computerspiele, keine Spielhallen wahrscheinlich… kein Kino, kein Fun center, kein Casino…

„Seto ist kompliziert.“

„Alles Gute hat seinen Preis.“, der Ältere legte seinen Arme vor sich übereinander und seinen Kopf darauf, „Und nein, damit kannst du sein Sehen nicht ansprechen. Das geht mit dem Besuch von Kunsthallen, Museen, Theatern, Musicals und so weiter. Seto mag auch die Oper und die Philharmonie.“

„Da kriegen mich keine zehn Pferde rein.“, erwiderte Katsuya mit verzogenem Gesicht.

„Setos Überzeugungskräfte dürften ausreichen.“, ein weiteres Zwinkern seitens Yami.

Das durfte nicht wahr sein… mit Seto zusammen zu sein schien noch weit schwerer als gedacht zu werden. Er würde ihn zu all diesen snobistischen Einrichtungen begleiten müssen… na gut, in die Kunsthalle und in Musicals kam er mit, aber der Rest? Besonders die Oper oder die Philharmonie? No way! Da konnte ihn wer anders begleiten.
 

„Zurück zu deinem Modell… ich koche für Seto, den Kaffee macht er und Musik kann ich auch anmachen. Und ich schleppe ihn an den Wochenenden nach draußen. Wirklich viel Neues ist das aber nicht.“

„Berührungen…“, flötete Yami leise und bewegte seine Finger vor Katsuyas Nase, während er seinen Kopf auf seine Linke stützte.

„Ich soll ihn… berühren?“, aber nicht so, wie er gerade dachte, oder? Ein leichter Rotschimmer legte sich auf die Wangen des Blonden.

„Ich würde zu gerne Gedanken lesen können…“, meinte der Ältere amüsiert, „Egal. Seto wird gern umarmt, solange man es vorher ankündigt, er wird gern gekrault und mag es, wenn man ihm über den Kopf streicht oder durch das Haar fährt.“

„Bist du sicher?“, Katsuya hob eine Augenbraue, „Er scheint es nämlich nicht zu mögen, wenn ich auf seinem Schoß sitze und ihn umarme.“

„Das könnte ihm zu viel Nähe sein.“, der Rothaarige wurde wieder ernster, „Man darf es bei Seto nicht übertreiben. Du besonders nicht, wenn du nicht in seinem Bett landen willst.“

„Äh… was? Muss ich den Zusammenhang verstehen?“, die Augenbrauen Katsuyas hatten sich zusammengezogen.

„Sagen wir so, sein Sexbedürfnis ist nicht gerade klein. Und ich habe keine Ahnung, wie gut er sich kontrollieren kann. Anbei – da kommt mir der Gedanke, dass wir ja da auch noch über ein Thema sprechen wollten…“, Yamis Lippen spitzten sich.

„Unser Thema bleibt Seto.“, bestimmte Katsuya hochrot. Über DAS musste er jetzt wirklich nicht sprechen.

„Nun ja, Seto… bei mir hat er schon so manches Mal die Kontrolle flöten lassen. Und in Sex kann er sich wirklich völlig verlieren… ungefähr so wie du und Kunst. Ich habe dich nur einmal zeichnen sehen, aber du schienst in einer völlig anderen Welt zu sein.“

Bei allen Göttern, jetzt wurde Kunst schon mit Sex verglichen… sein geliebtes Fach!

„Und auch alle Arten von Kunst sind sinnliches Erleben. Malerei, Dichterei, Poesie, Schauspielerei, Zeichnerei, Schriftstellerei, Skulpturformerei – alles auf dem Gebiet. Wenn du Seto dazu animieren könntest auf den Gebiet etwas zu machen, wäre das wirklich ein Fortschritt. Und auch dir würde ich empfehlen das Zeichnen wieder anzufangen.“

Zeichnen? Freies Zeichnen? Nachdem all seine Bilder von seinem Vater zerstört worden waren? Wie sollte er…

„Katsuya, sieh mich an.“, er hob den Blick wieder, „Zeichnen ist deine Welt. Du bist ein Genie auf dem Gebiet, du hast es wirklich in dir. Wenn du dich nur einmal sehen könntest, wie du mit voller Konzentration Striche auf ein Blatt setzt… tu dir selbst etwas Gutes.“

„Wir zeichnen in der Schule…“, wich der Blonde aus.

„Das ist nicht dasselbe und das weißt du auch. In der Schule gibt es kaum freies Zeichnen. Es wird bestimmt, was du tun sollst und das wird benotet nach Kriterien, die eigentlich völlig unwichtig sind.“, in diesem Augen, diesen violetten Edelsteinen steckte mit einem Mal so viel Gefühl, dass sie zu blenden schienen, „Und Seto liebt Kunst. Du hilfst nicht nur dir, du hilfst auch ihm.“

„Indem ich zeichne?“, fragte der Blonde zweifelnd.

„Ja.“, Yamis Rechte legte sich auf Katsuyas Schulter, „Genau das.“

Sterne und Träume

Kapitel 100 ^v^ Jubiläum!

Ich möchte nur noch einmal darauf hinweisen, dass ich das letzte Vorwort um folgende Info erweitert habe: Multiplizität ist keine Schizophrenie. Das wurde mal versehentlich in diese Sparte gerechnet, aber es ist definitiv keine. MPS gehört zu den Dissoziationsstörungen.

Und danke für die Glückwünsche, ich werde mich anstrengen bei meinen Klausuren ^.^

Und nun viel Spaß beim Lesen!
 

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„Zeichnen…“, Katsuya atmete tief durch, hob eine Hand vor sein Gesicht und betrachtete sie, „Ich denke…“, er drehte sie leicht vor seinen Augen, „Ich werde es versuchen.“

„Gut.“, ein Lächeln breitete sich auf Yamis Lippen aus.

Der Blonde schloss die Augen und ließ die Hand sinken.

„Können wir das Thema wechseln?“, bat er leise.

„Natürlich.“, der Ältere nahm die Hand von der Schulter und legte sie auf die, die soeben mit einem leisen Geräusch auf die Couch aufgeschlagen war, „Seto und sinnliches Erleben. Was Seto sehr fehlt, ist ein Bezug zu den Schönheiten der Welt. Versuche vielleicht mal mit ihm die Sterne zu betrachten, einen Spaziergang zu machen oder ihn mit Tieren und Kindern in Kontakt zu bringen. Mach statt Licht mal Kerzen an, bau aus Polstern und Kissen eine Kuschelecke, verteil Räucherstäbchen… all so ein Zeugs. Genau das ist es, was sinnliches Erleben ist. Seto wird auf einiges davon nicht ansprechen. Er kann dir die Gaszusammensetzung jedes Sterns am Himmel mit Koordinaten angeben – wer weiß, ob er die Schönheit des Himmels noch sehen kann. Aber es muss Dinge geben, die auch ihn berühren.“

Seine positiven Gefühle, seinen Sinn für Schönheit anregen… mit Meditation und heißen Bädern und Räucherstäbchen und kuscheligen Sachen und Tieren und Kindern und Sternen… so langsam formte sich ein Bild dessen, was Seto brauchte.

„Ich glaube, ich verstehe langsam.“, gab Katsuya nachdenklich von sich, „Ich soll diesen… Homo ludens?“, Yami nickte, „Ich soll den Homo ludens mit so etwas hervorlocken. Mit Schönheit… wäre ein Candle-Light-Dinner eine gute Idee?“

„Eine perfekte Idee.“, stimmte der Ältere zu.

„Man bräuchte so ein Haus im alten Stil…“, der Blonde geriet in eine Gedankenspirale, „Mit einem Teich und einem kleinen Wasserfall. Mit Tatamimatten und Schiebetüren und Außengängen… vielleicht irgendwo ein westliches Zimmer mit einem Kamin, in dem an Winterabenden das Feuer brennt… im Sommer gibt es frische Mandarinen, im Herbst warme Schokolade, im Winter Bratäpfel und im Frühling zieht eine kühle Brise durch das Haus. Die Kirschblüten blühen und wir gehen im Park spazieren…“, seine Lider fielen zu, „Wir sind auf einem Feuerwerk und tragen Yukatas. Locker hat er den Arm um meine Hüfte gelegt und mein Kopf lehnt an seiner Schulter. In der anderen Hand hält er die Süßigkeiten, die wir auf dem Jahrmarkt gekauft haben…“

„Hm-hm…“, Yamis Stimme war wie Balsam auf seiner Haut, so tief und lang waren die Töne.

„Abends lese ich ein Märchenbuch und er hört mir zu. Seine blaugrauen Augen funkeln vor kindlicher Freude an der Geschichte. Und morgens wache ich in seinen Armen auf und werde mit einem Kuss begrüßt…“

„Das sind schöne Träume.“, flüsterte der Ältere und strich zärtlich über Katsuyas Hand, auf dessen Lippen sich ein Lächeln ausbreitete.

„Und zum Frühstück bringe ich ihm seine Tabletten und schnüre mein Handy an meinen Körper, damit ich keinen Anruf verpasse, sollte er irgendwo einen Anfall kriegen und genug Zeit haben mich anzufunken.“
 

„Aua…“, der Rothaarige zog seine Hand zurück, „Das ist aber kein sinnliches Erleben.“

„Nein, das ist Realität.“, Katsuya öffnete die Augen, „Genau so wie es Realität sein wird, dass er von morgens bis abends arbeitet und sich wahrscheinlich sogar die Wochenenden zuschaufelt. Ob er jemals gesund genug für das alles sein wird, ist auch unklar. Das einzige Problem, was wir nicht haben werden, ist Geld.“

„Ach, Katsuya… seit wann hat die kalte Logik von dir Besitz ergriffen? Du warst so ein übermütiger Homo ludens, woher kommt diese Härte?“, Yami Augenbrauen zogen sich leicht zusammen.

„Aufkommender Sinn für die Realität. Das sind Wunschträume. Natürlich werde ich darauf hinarbeiten, aber ich weiß, dass vieles davon nie wahr wird.“, der Blonde seufzte.

„Vielleicht nicht alles, aber einiges schon. Davon ist eine Menge umsetzbar. Das ist alles sinnliches Erleben gewesen, was man auf die eine oder andere Art ausleben kann. Lass dich nur einfach nicht vom Alltag zermatern.“, eine Hand strich ihm über die Wange, „Erinnere dich an deinen Traum. Das ist ein schönes Ziel.“

Wie konnte Yami so wenig enttäuscht vom Leben sein? Warum glaubte er immer an das Gute? Und das, obwohl doch gerade er wissen sollte, dass das Leben nicht mitspielte. Apropos…

„Wieso heißt es eigentlich der spielende Mensch?“, wechselte er das Thema.

Yami zögerte einen Moment, bevor mit einem leichten Seufzer antwortete: „Weil das Modell aus der Spiel-, Beschäftigungs- und Kunsttherapie kommt. Und weil man als Behandlungsmethode zuerst das Spielen anwendete. Spielen ist wichtig. Es sollte allerdings ein gemeinschaftliches und kein Konkurrenzspiel sein. Und man stellte fest, dass besonders Kinder, bei denen der Homo ludens von früh an unterdrückt wurde, im Erwachsenenalter krank sind.“

„Kinder ohne Kindheit?“, fragte Katsuya wie müde nach.

„Einfach Kinder, die nur Konkurrenz und Regeln erlernten. Die nicht frei künstlerisch tätig sein durften oder spielen durften oder experimentieren durften und so weiter.“

„Sollte man Kinder denn regellos erziehen?“

„Keinesfalls.“, Yami schien vor der Aussage schon fast zurückzuschrecken, so entsetzt war sein Ausdruck, „Homo ludens und faber brauchen Gleichgewicht. Kinder brauchen Regeln. Besonders Sauberkeit, Pünktlichkeit und Ordentlichkeit – aber auch da darf man nie übertreiben.“

„Schon klar… goldene Mitte.“, der Jüngere seufzte, „Langsam hängt es mir zu den Ohren raus…“

„Wenigstens merkst du es dir.“, der Rothaarige warf einen Blick auf die Uhr, „Wo wir schon wieder vom Teufel sprechen… hat Seto gesagt, wann er dich abholt?“

„Nein…“, er hatte sich doch nichts getan, oder? „Wie spät ist es?“

„Gleich neun. Ich meine, er kann sich sicher vorstellen, dass wir uns verquatschen, aber dass er sich so gar nicht meldet…“, sie sahen sich in Augen und ließen den Satz unvollständig.
 

„Seto, geh dran… geh dran…“, Katsuya presste das Handy gegen sein Ohr.

„Hätte er irgendeinen Grund sich gerade heute etwas zu tun?“, plapperte der Rothaarige, während er am Ende der Couch auf und ab ging.

„Brauchen Kranke einen Grund?“

„Ja.“, sie brauchten doch einen? „Aber ein Grund kann alles sein… ein nicht aufgehendes Schloss, ein Anruf, ein Schatten…“

„Beruhige mich noch mehr.“, zischte der Blonde.

Verdammt, Seto! Wo war er? Warum ging er nicht dran?

„Katsuya… ?“, dem Blonden entwich alle Luft, seine Lider fielen zu und er sackte zusammen, „Katsuya?“

„Bei allen Göttern… ich bin erleichtert, dass du dran gegangen bist.“

„Wieso?“, die letzte Silbe schien in die Länge gezogen zu sein. Der Ton klang sogar freundlich – nicht so kalt und trocken, wie er sonst am Telefon war.

„Es ist schon so spät und du hast dich nicht gemeldet.“, versuchte er zu erklären.

„Sollte ich das denn?“

„Äh, nein… also… ich hielt es nur für ungewöhnlich.“, kurzes Schweigen, „Ich meine… sonst meldest du dich. Ich habe mir Sorgen gemacht.“, weiterhin Schweigen, „Seto?“, was zur Hölle war jetzt los? „Seto?“, rief der Blonde in das Handy.

„Hm…“, ein schwacher Laut von anderen Ende der Leitung.

„Seto, was ist los mit dir?“, Yami kroch über das Sofa zu ihm und setzte sich mit besorgter Miene neben ihn, „Seto, bitte sprich mit mir.“

„Ich… ist Yami da?“, die Stimme schien schwach. Nicht, dass Seto nicht immer eher leise am Telefon sprach, er sprach diesmal noch leiser.

„Ja, Yami ist hier.“, Schweigen, „Möchtest du mit Yami sprechen?“

„Darf ich?“, diesmal war noch weniger zu hören.

„Das ist ganz allein deine Entscheidung.“, hörte sich an, als wäre Seto sehr durch den Wind, „Ich gebe ihn dir.“

Mit zusammengezogenen Augenbrauen und hoch gehobenen Lidern gab er sein Handy an Yami weiter, der einen ähnlichen Ausdruck auf dem Gesicht trug – Sorge.

„Seto?“, der Rothaarige blieb still, während sein Blick auf den Couchbezug gesenkt war, „Seto… glaub’ mir, Katsuya weiß, was das für dich bedeutet.“, Katsuya fixierte die Amethyste, die sich hoben, „Ich weiß nichts. Wirklich nichts. Außer deiner Diagnose.“

Oh… ging es darum, wie viel er Yami von gestern erzählt hatte? Befürchtete Seto, dass er jetzt mit seiner Lebensgeschichte hausieren ging? Verdammt… er hätte Ryou gegenüber die Klappe halten sollen. Vielleicht hätte Seto ihm dann vertrauen können. Natürlich hatte der Ältere Zweifel, wo Katsuya doch schon mal etwas ausgeplaudert hatte, wovon er wusste, dass er es nicht sollte. Er war so ein Idiot…

„Nein, ich bin nicht wütend.“, versicherte Yami mit sanfter Stimme, „Seto, warum sollte ich dich anlügen? Ich will dir nicht wehtun.“, Seto war definitiv mit den Nerven am Ende, „Hätte ich es gewollt, hätte ich es längst getan. Meinst du nicht, wenigstens das kannst du glauben? Ich weiß, dass du dich für relativ wertlos hältst, aber mir bist du wichtig.“, Yami atmete tief durch – allerdings so, dass Seto es nicht hörte, „Wir sind doch Freunde, oder?“, für einige Sekunden änderte sich nichts an Yamis Mimik, doch nur kurz darauf spielte ein Lächeln mit seinen Lippen, „Nicht abhauen, ja?“, er stand auf und bedeutete Katsuya ihm zu folgen, „Und drei… zwei… eins…“, er öffnete die Wohnungstür, „Viola.“
 

„Komm herein.“, meinte der Amethystäugige zu Seto, während er gleichzeitig Katsuya sein Handy zurück reichte.

Äh… was? Seto hatte vor der Tür gestanden? Was zur Hölle… ?

Setos Gesichtsmuskeln entspannten sich, bevor seine Unterlider kurz zuckten und sich wie ihre Gegenspieler über Setos Augen spannten, sodass nur noch Schlitze übrig blieben, durch die er Katsuya fixieren konnte.

„Ganz ruhig, Großer…“, Yami fasste an seinen Unterarm und streichelte mit dem Daumen darüber, nachdem er die Tür hinter ihm geschlossen hatte.

Seto entzog sich dem leichten Griff und steuerte an Katsuya vorbei die Küche an.

„Meine Kaffeemaschine ist kaputt.“, informierte der Rothaarige ihn vom Flur aus, nickte dem Jüngsten zu und ging seinem Gast hinterher.

Ein Scheppern.

Katsuya erwachte aus seiner Starre, schnellte zur Küche und erstarrte im Türrahmen.

„Seto…“, Yamis Stimme hatte einen warnenden Unterton.

„Lass mich in Ruhe.“, zischte dieser, während er den Platz ansah, auf dem eben noch die Kaffeemaschine gestanden hatte, die nun auf den Kacheln weilte. Seine Hände hoben sich und legten sich über seine Ohren, die Finger im braunen Schopf vergraben.

„Seto, setz dich.“, befahl der Andere mit tiefer Stimme.

„Nein…“, der Blauäugige schüttelte leicht den Kopf.

„Seto.“, der Ton gewann an Schärfe, „Setz dich. Sofort.“

„Nein.“, Seto hingegen schien heiser.

Katsuya schluckte. Wohin sollte das führen? Die erste Träne lief Setos Wange hinab. Das konnte nicht Sinn der Sache sein, oder? Was wollte Yami erreichen?

„Seto…“

Er antwortete nur noch mit einem Wimmern, während aus den geschlossenen Augen weitere Tränen flossen.

„Dann nicht.“, der Rothaarige drehte sich zur Tür und strebte auf sie zu.

„Nein!“, schrie der Brünette, öffnete die Lider weit, hastete auf ihn zu, warf sich neben ihm auf die Knie und schlang die Arme um seine Schultern, während er den Kopf an seinen Oberarm drückte, „Tut mir Leid. Geh nicht. Bitte. Es tut mir Leid…“, er flüsterte, „Bitte geh nicht…“

„Seto, ich verlasse dich nicht, das weißt du.“, der jüngere von beiden blieb einfach stehen und drehte sich nicht um einen Millimeter zu seinem Gesprächspartner, „Aber ich bin nicht damit einverstanden, dass du deine Aggressionen an meinen Sachen auslässt. Du bist ganz allein auf die Idee gekommen, dass ich dich nicht mehr mag. Wenn diese Schnapsidee dich so aus der Fassung bringt, dass du das Bedürfnis verspürst etwas zu zerstören, dann mach’ das – aber nicht in meiner Wohnung und erst recht nicht mit meinen Sachen.“

Seto war still. Sein Adamsapfel wanderte einmal auf und ab, bevor sich sein Blick auf das Gerät auf dem Boden richtete. Seine Augenbrauen zogen sich langsam zusammen, bevor er den Kopf senkte, die Schultern hob und seine Stirn gegen Yami lehnte.

„Tut mir Leid… ich werde sie ersetzen.“

„Gut.“, der Rothaarige hob den Arm, an dem der Kniende lehnte und legte ihn um ihn, während er sich zu ihm wandte, auch den zweiten Arm auf seine Schultern niederließ und einen Kuss auf sein Haar setzte. Wie einer unhörbaren Melodie folgend schwankte er vor und zurück und zog Seto dabei mit sich.

Katsuya holte tief Luft – er hatte es seit geraumer Zeit nicht mehr getan, wie er nun merkte – und lehnte sich gegen den Türrahmen.

Wenn man die beiden so sah, drängte sich unweigerlich ein Bild in seine Gedanken. Es war das Bild einer Mutter, die ihr Kind wiegte.

Emotional input

Guten Abend ^.^ Entschuldigt, dass meine Antworten so verzögert kommen, ich bin derzeit echt am Ende. Krank, mitten vor der Klausurphase und dann psychische Belastung ist auch für mich etwas zum Schlucken ^.- Aber gut, Kapitel gibt es trotzdem.

Was ich unbedingt hier erwähnen möchte, ist die äußerst interessante Vermutung meines Betalesers: "Könnte es sein, dass Yami und Yugi in Wirklichkeit eine Person sind und nur glauben, sie wären Zwillinge?" - und was fiel mir auf? Yami schläft von sechs bis vier, Yugi ist genau in der Zeit aktiv - bedenkenswert. Ich muss sagen, der Gedanke war anreizend, aber nein, sie sind nicht ein multipler Körper ^.- Obwohl ich glatt überdenken musste, ob ich das nicht einbaue. Ich finde es wirklich faszinierend.

Aber auch ohne MPS hoffe ich etwas Interessantes fabriziert zu haben:
 

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Yamis Blick verweilte einige Momente auf Seto, der sich wie ein Ertrinkender an ihn klammerte, bevor er zu dem Jüngeren wanderte, der noch immer am Türrahmen lehnte und beide beobachtete. Auf sein Blinzeln zog Katsuya nur die Augenbrauen hoch. Nach einem kurzen Zusammenziehen der Augenbrauen zeigte Yami erst auf den Knienden, dann auf sich und zeigte dem Blonden die offene Hand.

Hm… wollte er fragen, ob das mit Seto okay war? Bei allen Göttern, natürlich war es das! Diese ganzen Änderungen zermürbten sie alle wirklich. Jetzt fragte Yami schon, ob er sich um Seto kümmern durfte… er sollte es sogar, verdammt! Als wüsste Katsuya, was er in dieser Situation tun sollte.

Er sollte allerdings wissen, was zu tun war. Er hatte das zu wissen. Also noch mal zusammenfassend: Seto hatte extreme Angst gehabt, dass er Yami alles verriet. Das war doppelte Angst vor dem Verlassenwerden durch Betrug und Abwehr. Das hieß, dass in Seto eine Menge Angstenergie war, die er abbauen musste. Deswegen hatte er die Kaffeemaschine zerstört. Das baute seine Energie wahrscheinlich nur geringfügig ab. Das hieß, gleich würden die Anfälle einsetzen. Und entgegenwirken konnte man ihnen mit… mit sinnlichem Erleben! Richtig, sinnliches Erleben. Deswegen wiegte Yami Seto. Und was konnte er machen?

Idee!

Katsuya trat auf die beiden zu, setzte Yami einen Kuss auf die Wange, strich Seto über das Haupt und flüsterte: „Ich bin sofort wieder da, ja?“

„’Kay.“, der Stehende griff seine Geste auf und begann den Ältesten zu kraulen, „Schlüssel liegen auf der Kommode.“

Katsuya zwinkerte, schnappte sich das Genannte, verließ die Wohnung und begab sich auf seinen Weg. Es war schon fast eine glückliche Fügung, dass Yami gerade an dem Rand des Ghettos wohnte, das an einen äußeren Gürtel grenzte. Und was fand man im äußeren Gürtel von Großstädten? Massenweise Tankstellen! Nebst den Geschäften, die durchgehend auf hatten. In einem musste er doch bekommen, was er wollte.

„Guten Abend, junger Herr.“, grüßte ihn die ältere Dame an der Theke.

„Guten Abend.“, er sandte ihr ein Lächeln – blonde Jugendliche, die nachts den eigenen Laden betraten, hießen für die meisten Menschen dieser Gegend Unheil – und kam direkt zu ihr, „Haben sie zufällig aufgebrühten Kaffee zu verkaufen?“

„Natürlich.“, Erleichterung legte sich auf ihre Züge, „Fünfhundert Yen der Becher.“, sie wies auf die Maschine mit der genannten Ausrüstung hinter sich.

Teurer ging es auch noch, was? Na wunderbar. Was man nicht alles für Seto Kaiba tat. Das zum Sparen seines Geldes.

„Zwei Becher, bitte.“
 

„Katsuya?“, Yami musste das Türschloss gehört haben, „Wir sind im Wohnzimmer!“

Der Blonde schloss die Tür hinter sich, legte den Schlüssel zurück und ging in eben den Raum, in der er mit seinem besten Freund zuvor einige Stunden rum gelegen hatte. Und wer hätte etwas anderes erwartet? Yami lehnte in der Ecke, wo Rückenpolster und Armlehne des Sofas aufeinander trafen, Setos Kopf in seinem Schoß und kraulte ihn. Ähnelte der Situation von gestern mit Seto und ihm selbst doch frappant.

„Na, ihr?“, der Blonde stellte die Getränke auf dem Endtisch neben dem Sofa ab, erwiderte Yamis Lächeln und setzte sich neben Seto in Höhe seiner Brust auf die Couch. Seine Hand fuhr sanft die Linie des Unterkiefers des Brünetten nach, während er einige Zentimeter über seinem Gesicht flüsterte: „Aufwachen, Drache…“

Der so genannte Drache grummelte leicht, hob ein Augenlid zur Hälfte, folgte dessen Beispiel mit dem anderen, schlug sie wieder zu und öffnete sie unter einem weiteren Blinzeln ganz.

„Sehr gut.“, lobte der Blonde ihn sanft, „Ich habe dir etwas mitgebracht, Drache.“

„Geschenke?“, fragte eine relativ jung anmutende Stimme zurück.

„Etwas in der Art. Du musst dich nur aufsetzen.“, während der leicht zerstreute Brünette eben das tat, griff Katsuya nach einem der beiden Becher, öffnete den Deckel und hielt das Gefäß Seto unter die Nase.

„Kaffee!“, seine Brust füllte sich mit Luft, während ein breites Lächeln sich auf seine Lippen legte. Wow… für dieses Lächeln würde er den Weg auch viermal rennen. Solch ein ehrliches Lächeln.

„Danke…“, scheu blickte der Blauäugige auf, stieß auf nichts als helle Freude in Katsuyas Gesicht und hob die Hände, um den Becher zu greifen.

„Kannst du den halten?“, fragte Katsuya vorsichtig nach – die Hände zitterten nämlich extrem.

Der Größere nickte nur. Und siehe da: Er konnte ihn wirklich halten. Sein Adamsapfel machte eine schnelle Wanderung seine Kehle entlang, während er den ersten Schluck des tiefschwarzen Gebräus nahm.

Wie sagte man? Kaffee weckte Lebensgeister? Ein wirklich wahrer Spruch. Das Zeug schien eine wahre Wunderwirkung auf Seto zu haben.
 

„Danke.“, sprach der Älteste Katsuya mit tiefer Stimme an – bei allen Göttern, wie schön seine Augen funkelten – und wandte sich zu Yami um, der ihn massierte, „Dir auch.“

„Kein Problem.“, erwiderte dieser nur, während Seto schon den nächsten Schluck Kaffee nahm. Ein Glück, dass er zwei Becher gekauft hatte.

„Ich bin euch gar nicht wert.“, murmelte er leise, während er auf das Getränk starrte.

„Seto…“, meinte Yami mit scherzhaft warnendem Unterton.

„Ich habe ein Recht zu denken, was ich will. Ich darf mich selbst für scheiße halten.“, konterte Seto stur und fixierte den Rothaarigen aus dem Augenwinkel.

„Du darfst es auch lassen.“

Katsuya verdrehte nur die Augen über ihre kleine Diskussion, schnappte sich den nun leeren Becher und gab Seto den zweiten, während er zum Mülleimer in der Küche wanderte. Waren diese beiden wirklich älter als er? Unfassbar. Kopfschüttelnd entsorgte er Becher und ging zurück zu den anderen beiden.

Warum sah Seto ihn so erschrocken an?

„Ist alles in Ordnung, Kleiner?“, vom kleinen Kind zur Fürsorge in Person? Seto war definitiv bizarr.

„Klar, was sollte sein?“

„Du weinst.“, merkte Yami an, der die Arme von hinten um den Ältesten schlang.

„Echt?“. Katsuya fuhr sich über die rechte Gesichtshälfte, „Ihr habt Recht… ist mir gar nicht aufgefallen.“

„Habe ich schon wieder etwas falsch gemacht?“, flüsterte Seto dem hinter ihm Sitzenden zu.

„Nein, du bist nicht alles Schuld.“, dieser streckte dem Blonden eine Hand hin, auf dass er sich zu ihnen setzte, „Für ihn war das heute Abend insgesamt nur auch etwas viel.“

Katsuya legte seinen Kopf an Yamis Schulter, der sich wieder gegen das Rückenpolster der Couch lehnte, während Seto es sich an der anderen Seite des Rothaarigen gemütlich machte. Einige Minuten blieben sie alle mit geschlossenen Augen ruhig liegen und genossen das Beisammensein. Wie oft konnte man schon zu gemütlich in einer so schönen Atmosphäre sich dem Nichtstun hingeben? Viel zu wenig, wie Katsuya schien. Konnte man das auch als sinnliche Erfahrung nehmen? Musste eigentlich, oder?

„Hey, Mama…“, der Blonde piekste Yami in die Seite.

„Was denn?“

„Du wolltest Seto noch etwas fragen.“, erinnerte er ihn.

„Was denn?“, fragte der Älteste lächelnd nach, doch ließ die Lider geschlossen.

„Nun… als wir vorhin über dich sprachen und Katsuya mir sagte, dass er mir nichts sagt, weil du ihm ja keine Erlaubnis dazu gegeben hast…“, das Lächeln wich aus Setos Gesicht, „…da haben wir uns gefragt, ob es vielleicht einen Grund gibt, warum du nicht möchtest, dass ich es erfahre.“
 

Schweigen.

Wer hatte schon etwas anderes erwartet?

„Sag ruhig, was du denkst. Ich bin dir nicht böse, egal, was du sagst. Auch wenn du mir nicht traust.“, autsch… dabei würde genau das ihn doch zutiefst treffen.

„Nein!“, der Älteste öffnete die Augen und sah hoch, „Ich vertraue dir, aber… ich… ich…“

„Ja?“, Yami bedachte ihn mit einem sanften Lächeln.

„Warum interessiert dich das denn?“, hm… schien, als wollte Seto vertrauen, aber konnte es nicht. Nun ja – es war auch nur eine natürliche Reaktion. Seto war zu oft missbraucht worden, als dass er noch an den eigenen Wert für andere glauben konnte. Er definierte sich ja nur über Leistung. Schlussendlich musste in seinen Gedanken ihn niemand mehr hassen als Yami, dem er eine Menge Arbeit machte. Zumindest durfte so ungefähr sein Gedankengang aussehen, vermutete Katsuya.

„Weil ich dich gerne verstehen würde. Es gibt viele Reaktionen von dir, die ich nicht deuten kann. Ich möchte meine Thesen nicht auf wilde Spekulationen stützten. Ich meine, ich wusste bis gestern nicht einmal, dass du DESNOS hast. Obwohl ich da auch selbst hätte draufkommen können, das gebe ich zu…“, Tränen traten in Setos Augen, „Ich weiß nicht, wie ich mich um dich kümmern soll, wenn ich nicht einmal weiß, auf was ich achten muss.“

Der Brünette wich Yamis Blick aus, indem er seinen Kopf wieder auf dessen Brust legte und in Katsuyas Richtung in eine Art Nichts starrte – aber das Gefühl blieb in seinen Augen.

„Warum kümmerst du dich um mich?“

„Weil ich dich lieb habe, Seto.“, der halb Sitzende fuhr mit einer Hand durch das Schokoladenhaar, „Und weil Kats dich lieb hat und ich Kats lieb habe. Weil du uns etwas bedeutest.“

„Aber warum?“, fragte eine – wiederum sehr junge – Stimme seitens Seto.

„Weil du unser kleiner Drache bist.“, antwortete Katsuya an Yamis Stelle, „Weil du so unglaublich einzigartig bist. Weil du einfach du bist.“

„Aber ich bin unausstehlich.“

„Lüge…“, flötete der Rothaarige und ließ Seto aufblicken, „Wir mögen dich, also bist du nicht unausstehlich. Das brauchst du dir gar nicht erst einreden.“

„Aber ich bin krank.“

„Du findest immer irgendetwas, um dich kleinzumachen, oder?“, fragte Yami nur und zwickte ihn ins Ohr.

„Ja…“, der Blauäugige seufzte, „Ich bin echt dumm.“

„Dumme Menschen können aber nicht die Flugbahn eines Satelliten durch den Gravitationseinfluss eines vorbei fliegenden Meteoriten im Kopf errechnen.“, neckte man ihn.

„Aber sie können auch nicht kochen.“, warf Katsuya ein.

Die Lider Setos verengten sich, während der Blonde fixiert wurde – statt zurückzustarren brach er ob der herausgestreckten Zunge allerdings lieber in Gelächter aus.
 

„Und dich sehe ich morgen, ja?“, versicherte sich Yami noch einmal, bevor er Seto mit einer Umarmung verabschiedete.

„Jaja… ich lauf dir schon nicht weg.“, der Ältere hob nur gespielt genervt beide Augenbrauen und wurde aus dem Klammergriff entlassen.

„Pass mir gut auf ihn auf.“, auch der Blonde wurde in die Arme geschlossen.

„Mach ich.“, oh, er bekam sogar Küsschen auf die Wangen. Bisweilen war Yami doch extrem… wie sollte man es bezeichnen? Tuntig? Das klang irgendwie abwertend.

„Und nicht wieder Angst kriegen.“, rief der Rothaarige ihnen hinterher, während sie die Wohnung schon verlassen hatten und er noch im Türrahmen stehen blieb.

„Jaja!“, gab Seto langsam wirklich etwas genervt von sich.

Natürlich würde er wieder Angst kriegen, aber solange er morgen wieder hier war, war das doch okay. Schließlich hatte er Yami versprochen ihm morgen alles zu erzählen. Keine Geheimnisse mehr. Zwischen ihnen dreien gab es genug Probleme, man musste sich keine neuen schaffen.

„Das ist sehr mutig von dir.“, flüsterte Katsuya, der dicht neben Seto die Treppe hinab stieg.

„Ist endlich mal gut?“, der Brünette seufzte, „Was machen wir mit dem angebrochenen Abend? Ich habe Lust noch etwas zu unternehmen.“

„Jetzt?“, fragte Katsuya leicht irritiert.

„Nein, morgen.“, gab der Ältere im besten Sarkasmus zurück.

Dieses sinnliche Zeugs hatte ihm anscheinend wirklich gut getan. Nebst zwei Bechern Kaffee um halb elf. Klar, dass der wach war.

„Wir könnten im Park spazieren gehen.“, schlug der Blonde vor.

„Gefällt mir.“, stimmte Seto zu.

Das war geritz- ähm, beschlossen. Vokabular ändern. Er musste nicht nur neue Wörter hinzufügen, er musste auch alte streichen. Wobei das erinnerte… war der Park eigentlich eine gute Idee? Um diese Uhrzeit? Nun ja, würde schon gut gehen.

„Whoa!“, Katsuya flog vorwärts, direkt auf den Arm, den Seto noch im selben Moment ausgestreckt hatte und konnte sich wieder fangen.

„Alles okay?“, ein zweiter Arm um seine Schultern stabilisierte ihn.

„Klar…“, er atmete tief durch, „Bin irgendwie… ausgerutscht, denke ich.“, er warf einen Blick auf die Stufen hinter sich, „Mein Fehler.“

„Schon gut…“, ein Lächeln legte sich auf Setos Lippen, „Pass auf deine Pfoten auf, Kleiner.“

Katsuya streckte ihm nur die Zunge raus.

Auf dem Weg zum Wagen blieb der Arm um seine Schultern dort, wo er seit dem kleinen Zwischenfall war.

Der Park

Und die erste Klausur verhauen ^v^ Die nächste folgt Donnerstag, deswegen gibt es wie angekündigt kein neues Kapitel am Mittwoch. Dafür gibt es noch heute eine neue Past-Szene ^.^

Die Nebensequenzen werde ich beizeiten abtippen. Mein Humor konzentriert sich gerade auf einen Abridged movie (Harry Potter 1), den man nach Fertigstellung unter meinen YouTube-Account finden kann (Gepo).

Und nun viel Spaß beim Lesen ^.^ Antworten auf die Kommentare zum letzten Kapitel gibt es morgen. Danke für eure Rückmeldungen!
 

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Schade eigentlich. Katsuya wandte seinen Blick zur Seite. Der Arm um seine Schultern war angenehm gewesen. So beschützend und nah und… warm. So Seto eben.

„Ist dir nicht kalt?“, fragte der Ältere, der ihn ebenfalls musterte.

„Äh… wieso?“, der Blonde sah an sich hinab. Turnschuhe, Uniformhose, T-Shirt, Uniformjackett. War doch alles in Ordnung, oder?

„Es ist mittlerweile Herbst. Und es ist mitten in der Nacht. Vom Gefühl her würde ich sagen, es ist nicht mehr als fünfzehn Grad warm.“, Seto legte eine Mantelhälfte über die andere, „Zumindest ich finde es kühl.“

„Ich vermute, sie haben auch noch nie im Winter auf einer dieser Bänke pennen müssen.“, der Jüngere nickte zu einem der grün gestrichenen Holzgestelle, „Das härtet ab.“

Die blauen Augen richteten sich für einige Sekunden auf den benannten Gegenstand, während die restliche Mimik ausdruckslos blieb. Was dachte er jetzt? Ach, der arme Junge? Oder dass er es verdient hatte?

„Passierte das oft?“

„Was?“

„Dass du hier geschlafen hast.“

„Hm…“, sie blieben stehen, beide auf die Bank blickend, „Manchmal. Meist haben wir leer stehende Häuser oder Fabriken aufgesucht, die Türen aufgebrochen und dort übernachtet. Ein paar Mal wurden wir auch von Heimen für Obdachlose aufgenommen. Mit ganz viel Glück konnte man auch nahe den Heizanlagen der großen Kaufhäuser übernachten. Aber da hat die Polizei meistens als erstes gesucht. Das ist grausam…“, der Blonde setzte sich, „Die ziehen nachts durch die Gegend und vertreiben alle von ihren Schlafplätzen. Klar, dass die Wohnungseingänge frei räumen, aber Heizungsanlagen? Und manchmal schlagen sie auch einfach so zu, nur weil man irgendwo liegt. Was können wir denn dazu, dass wir keine Heimat haben?“

Seto ließ sich neben ihm nieder, den Arm hinter Katsuya auf der Lehne, sodass dieser seinen Kopf dagegen lehnen konnte.

„Und was habt ihr dann gemacht?“

„Wir sind gerannt.“, ein Seufzen entglitt seinen Lippen, „Wenn man zurückschlägt, dann dürfen sie Gummiknüppel und Schlagstöcke benutzen. Und wenn sie dann nur fest genug zuschlagen…“, er schluckte und zog die Unterlippe hoch, „Dann… das ist… das Brechen eines Knochen ist ein so unglaublich ekelhaftes Geräusch. Einem haben sie mal den Schädel zertrümmert. Ich war nicht dabei, aber…“, er schloss die Augen, „Deswegen sind wir gerannt. Wenn wir außer zu schlafen nichts getan hatten, dann durften sie nicht schießen…“

„Wurde schon einmal auf dich geschossen?“

Katsuya nickte und rieb mit dem Handrücken über das linke Augenlid.

„Ich saß auch schon mal… für eine Nacht. Und einmal einen Monat lang. Weil ich was geklaut hatte.“

„Was war das?“, der Brünette lehnte sich zu ihm.

„Na ja… Geld. Bin mit meinem Messer in einen Laden rein und wollte die Kasse…“

„Wofür?“

„Essen und… Drogen.“, Katsuya zog den Ärmel hoch, sodass erst die kreuzförmige Narbe zu sehen war – anbei fiel ihm auf, dass er seine drei wichtigsten Adern beim Längsschnitt nicht erwischt hatte – und schließlich die kleinen Punkte, die von den Spritzen noch übrig waren.
 

„Was hast du genommen?“, flüsterte Seto, während er mit dem Zeigefinger über die hellroten Punkte strich.

„Weiß nich’… Heroin, Kokain, Cannabis, Crack... an was gerade zu kommen war.“

„Und wie bist du davon losgekommen?“, die blauen Augen schienen im Licht der spärlich vorhandenen Laternen geheimnisvoll zu funkeln. Als würden sie von innen leuchten. Als würde ihr warmes Licht allen Schmerz vertreiben können.

„Weiß nich’… ich wollte nicht mehr. Und Schluss war.“

„Einfach so?“

„Einfach so.“, bestätigte der Blonde.

„Das ist eine ungewöhnliche Geschichte…“

Er prustete die Luft aus.

„Was?“, der Ältere hob eine Augenbraue.

„Genau dasselbe hat Yami auch gesagt!“

„Recht hat er.“, die blauen Augen richteten sich auf Setos Hand, die über Katsuyas Unterarm strich, „Wenn ich daran denke, was es mich gekostet hat vom Alkohol wegzukommen…“

„War es schwer?“, Katsuya legte den Kopf zur Seite, um den Anderen genauer beobachten zu können.

„Ja, sehr.“, Seto seufzte, zupfte mit seiner Hand am Ärmel der Schuluniform und versuchte Katsuyas Arm wieder zu bedecken, „Wozu hätte ich denn aufhören sollen? Im Rausch war alles neblig und gedämpft. Der Schmerz war nur dumpf. Wenn ich nüchtern war, dann tat alles weg. Dann kamen Gedanken und Erinnerungen und Ängste und… für mich gab es einfach keinen Sinn.“

„Und die Rache wurde ihr Sinn? Haben sie dafür aufgehört?“

Mit einem weiteren Seufzer glitt der Blick der Saphire in die Ferne.

„Ich denke… nein. Nein, dafür nicht. Die Rache war nur ein Gedanke. Ich musste daran denken, wie wenig Mokuba gewollt hätte, dass das alles mit mir passiert. Natürlich hatten wir extreme Probleme, aber… wir haben beide immer nur dafür gekämpft ein freies und glückliches Leben zu führen. Wenn Mokuba mich so gesehen hätte… ich meine, er ist gestorben, weil ich kein Monster mehr war. Was wäre sein Tod wert, wenn er mich als heruntergekommenen halbtoten Süchtigen erlebt hätte? Ich habe mich so unglaublich für mich selbst geschämt… ich musste etwas ändern. Das waren Schmerzen, die man nicht mehr betäuben konnte.“

„Und…“, Katsuya holte tief Luft, „Was würde ihr Bruder heute von ihnen denken?“

Ein sanftes Lächeln legte sich auf Setos Lippen, worauf der Blonde näher rückte.

„Dass ich herunter gekommen bin.“, flüsterte der Ältere, „Runter vom Alk, runter von den Aggressionen, runter von der Suizidalität…“

„Wäre er stolz auf sie? Wenigstens ein ganz klein bisschen?“

Der Blick der blauen Augen schnitt den Katsuyas und verharrte in ihm.

„Ich denke… schon.“
 

Der Arm Setos, der bis dato auf der Lehne der Bank geweilt hatte, rutschte ein Stück hinab und legte sich auf Katsuyas Schulter und zog den Blonden somit in Richtung des Älteren. Hm… wo war es wohl am bequemsten? Der blonde Schopf legte sich an Setos Schulter. So war doch ganz gemütlich.

„Als Shizuka und ich noch klein waren, da hatten wir einen Hund.“, erzählte der Jüngere leise und richtete den Blick gen des klaren Nachthimmels, „Ein kleiner Golden Retriever. Mutter hatte ihn mitgebracht, weil eine Freundin von ihr den Wurf ihrer Hündin nicht los bekam. Shizuka hat Tama über alles geliebt. Jeden Tag spielten die beiden stundenlang miteinander. Ich war schon fast eifersüchtig.“, der Brünette neben ihm machte ein glucksendes Geräusch, „Als wir eines Tages von der Schule kamen, grub Mutter Erde um. Wir fragten, warum sie das mache und sie sagte, sie würde das Grab zuschaufeln. Shizuka wollte wissen, wer denn im Grab sei… ich hatte es schon an der Größe erkannt…“, Setos Arm, der locker um seine Schulter gelegen hatte, gab ihm einen kleinen Ruck.

Aufblickend sah Katsuya in glänzende graublaue Augen unter einer in Falten gelegten Stirn.

„Tama war überfahren worden.“, er schluckte, „Shizuka hat den ganzen Tag geweint, bis in die Nacht und keiner konnte sie beruhigen.“, er kuschelte sich wieder an die Schulter, „Als ich sie ins Bett brachte, weinte sie immer noch. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte…“, er öffnete seine Augen, die er kurzzeitig geschlossen hatte, „Und als ich mich nach Hilfe umsah, erblickte ich die Sterne.“

Ihr beider Blick wanderte in den nachtschwarzen Himmel, der mit leuchtenden Punkten übersäht war.

„Und ich fragte Shizuka: Siehst du die Sterne?“

Dem Heben und Senken von Setos Brust nach zu urteilen war sein Atem ruhig und tief, während er ihm zuhörte.

„Tamas Seele hat sich von ihrem Körper getrennt. Aber das heißt nicht, dass sie nicht mehr existiert. Sie ist zu den Sternen spielen gegangen.“

„Spielen?“, flüsterte der Brünette leise.

„Ja… im tiefen, dunklen All springt sie von Stern zu Stern und jagt den anderen Seelen hinterher. Und ihr lautes Bellen lässt andere sie jagen. Oben im Himmel ist ein ewiges Spiel zugange und Tama ist jetzt Teil davon…“

Ein Tropfen fiel auf Katsuyas Ponyhaar. Genau da hin hatte er gezielt. Setos Herz. Sanft lächelnd legte er seine warme Hand auf die Stelle des Mantels, unter der das Organ sich ungefähr befand.
 

„Ich denke, einer der Hauptgründe, warum Menschen an Gott glauben, ist genau das.“, die blauen Augen richteten sich auch weiterhin auf das Firmament, während er sprach, „Die Vorstellung, dass unsere Lieben nicht einfach tot sind, sondern dass ihre Seelen an einem Ort sind, wo es ihnen gut geht… und dass auch wir irgendwann an diesen Ort gelangen. Dass wir nicht einfach sterben und nichts mehr von uns übrig bleibt. Dass wir einfach verschwinden… und sich keiner an uns erinnert…“, seine Stimme starb ab.

„Und wenn wir sterben und merken, dass das alles falsch war? Dass da einfach nichts ist?“, flüsterte der Blonde und zog die Augenbrauen zusammen.

„Dann interessiert uns das auch nicht mehr, oder? Dann sind wir tot.“

Auch wahr. Wenn da nichts mehr war, dann konnte auch die Enttäuschung nicht lange halten.

„Es ist also sinnvoller an ein Paradies oder Nirwana oder so zu glauben als an nichts, was?“

Seto stieß die Luft aus und lächelte, bevor er sagte: „Wäre Glauben eine Verstandsfrage, ja.“

„Glauben sie?“, fragte der Jüngere interessiert nach.

„Mit dem Verstand, natürlich.“, ihr Blick traf sich, „Guck mich nicht wie ein Huhn an… soll ich es dir erklären?“, Katsuya nickte, „Das ist aber mathematisch.“

„Sie erklären mir den Glauben an Gott mit Mathe?“, fragte der Zweifelnde nach und hob eine Augenbraue.

„Das war meine Intention.“

„Okay…“, es war schon so um Mitternacht herum, oder? Na ja, er musste morgen ja erst um zwölf Uhr zur Arbeit, „Ich versuche es mal nachzuvollziehen.“

„Nehmen wir an, abgesehen von Religion könnte man das Leben zu hundert Prozent genießen. Und gehen wir von einer Durchschnittsperson aus, die nicht sehr viel Zeit hat, von Messen und anderen gläubigen Handlungen eher gelangweilt ist, nicht gerne von einer übermächtigen Kraft überwacht wird, nicht masochistisch ist und in einer gläubigen Umwelt lebt.“, damit hatte man den Durchschnittsmenschen, das war wahr, „Als Parameter für unsere Rechnung bestimmen wir den Zeitfaktor, die Langeweile, die Überwachungsangst, den Traditionsverfall, die Sinnlosigkeit, die Aussicht auf Bestrafung und den Gesellschaftsfaktor. Der Gesellschaftsfaktor ist das neutrale Element. Und für unsere Rechnung gehen wir von Fünf-Prozent-Schritten aus.“

Ähm… Seto? Was sollte das werden? Egal… einfach mal zuhören.

„In einem Leben mit der Existenz Gottes und dem Glauben an Gott betrüge der Zeitfaktor, der Langeweilefaktor, der Überwachungsangstfaktor und der Bestrafungsfaktor minus fünf Prozent, aber der Gesellschaftsfaktor plus zehn Prozent, während die anderen Elemente normal blieben. Das ergäbe eine Lebensqualität von neunzig Prozent. Würde man in derselben Situation nicht an Gott glauben, betrügen Traditionsverfall-, Sinnlosigkeits- und Bestrafungsfaktor minus fünf Prozent und der Gesellschaftsfaktor sogar minus zehn, was nur noch eine Lebensqualität von fünfundsiebzig Prozent ergeben würde.“

Noch mal… gäbe es Gott, dann hätte man als Gläubiger eine Lebensqualität von neunzig Prozent und als Nichtgläubiger eine von fünfundsiebzig Prozent… richtig?
 

„In einem Leben ohne die Existenz Gottes betrügen für Gläubige Zeit-, Langweilen- und Traditionsverfallfaktor minus fünf, der Sinnlosigkeitsfaktor minus zehn und der Gesellschaftsfaktor plus fünf Prozent, was eine Lebensqualität von achtzig Prozent ergibt. Als Nichtgläubiger betrügen Traditionsverfalls- und Gesellschaftsfaktor minus fünf und der Sinnlosigkeitsfaktor minus fünfzehn Prozent, was eine Lebensqualität von fünfundsiebzig Prozent ergibt. Ginge man nun von einer Wahrscheinlichkeit der Existenz Gottes von fünfzig Prozent aus, so beträgt die Lebensqualität eines Gläubigen im Mittel zehn Prozent mehr als die eines Nichtgläubigen.“

Ähm… okay… rein rechnerisch gesehen war es also intelligenter zu glauben als nicht zu glauben, ja? Katsuya blinzelte unter hochgezogenen Augenbrauen.

„Wobei diese Lebensqualität sich vollkommen ändert, wenn die Gesellschaft nichtgläubig ist. Aber du siehst nicht so aus, als sollte ich dir das auch noch vorrechnen.“

„Nein, danke…“, das hier war schon krank genug gewesen, „Aber sind das nicht sehr individuell gewählte Faktoren? Wie sieht es aus mit Sinnlichkeit und Gruppenzugehörigkeit?“

„Gruppenzugehörigkeit gehört zum Gesellschaftsfaktor.“, Blau und Braun trafen sich, „Aber was meinst du mit Sinnlichkeit?“

„Na ja… die Mythen, die Geschichten. Die Gleichnisse und Symbole… oder das Beten und auch die Messen. Sind das nicht irgendwo sinnliche Erfahrungen?“, sinnliche Erfahrungen, um den Homo ludens anzusprechen und somit die psychische Gesundheit des Menschen zu erhalten.

„Für die Menschen, die sich auf den Glauben einlassen: Ja. Ich denke, für sie ist es das. Die Bibel ist voll von Visionen und Träumen und auch die Legenden der Heiligen und Märtyrer und die Mythen der Heerscharen Gottes und den Hunderttausenden von Engeln tragen ihren Teil dazu bei. Die Geschichten und Gleichnisse sollen uns das Wesen einer Kraft in und um uns vermitteln und uns etwas über unsere Seele lehren…“, ein Lächeln legte sich auf Setos Lippen, „Wenn man mit dem Herzen dabei ist, ist Glauben eine sehr sinnliche Sache, da hast du Recht. Der Sinnlichkeitsfaktor erhöht die Lebensqualität des Gläubigen sogar noch weiter.“

„Das heißt, ohne Glauben fehlt nicht nur der Sinn, sondern auch die Sinnlichkeit…“

„Hm…“, Setos Blick verlor sich in die Ferne, „Wenn man es daran festmacht, wäre Schamanismus oder Brahmanismus empfehlenswert als Religion…“, was zu Hölle war das? „Oder Schintoismus. Eigentlich leben wir in einem Gebiet sehr sinnlicher Religionen. Das Unsinnlichste ist eigentlich der Kalvinismus und das Christentum. Die Lebensqualität wenig erhöhenden Religionen sind also die in Amerika und Europa hauptsächlich vertretenen.“

Vorsicht, Religionslehrer. Eine ganz gefährliche Art. Bloß nichts Religiöses mit besprechen. Er hatte doch nicht mehr gewollt als Seto etwas Sinnliches zu vermitteln und ihn über sein Weltbild auszufragen… wie waren sie hier hin gelangt?
 

„Aber das sind die Religionen, die von den Religionsführern selbst mit Krieg durchgesetzt wurden… in ihren Namen wurde das meiste Blut vergossen. Die meisten anderen religiösen Kriege waren politischer Natur. Ob das im Zusammenhang steht? Wahrscheinlich müsste man da auf den Fanatismus gehen und da würden sich Christen und Islamiten nichts geben, während Calvinisten eher unbedeutend wären. Und wenn man den Konfuzianismus dabei bedenkt-“

„Ich will nicht unhöflich sein, aber ich verstehe kein Wort.“, warf Katsuya ein.

„Hm?“, Setos Kopf schnellte zu dem Blonden, „Oh… entschuldige. Ich war so vertieft. Religion ist ein sehr interessantes Thema, finde ich.“

„Hm-hm…“, der Jüngere hob beide Augenbrauen und zog sie zusammen, „Ganz, wie sie meinen.“

„Scheint nicht so dein Thema zu sein.“, stellte der Brünette lächelnd fest.

„Ne. Vieles, aber nicht das… aber Ryou und Isis interessiert das sehr. Ich glaube, er ist nicht gläubig, sie aber. Vielleicht können sie mit denen weiterdiskutieren.“

„Und dir deinen Frieden lassen?“

„Exak- hey!“, Katsuya sandte Seto einen bösen Blick, „Sie können mich doch nicht einfach so kneifen!“

„Wieso nicht?“, dieses süffisante Lächeln machte wahnsinnig, „Freche Kinder muss man bestrafen. Sonst lernen sie nicht.“

„Tut mir ja so Leid, dass ich schlecht erzogen bin!“, der Blonde streckte die Zunge raus, drehte dem Anderen den Rücken zu und warf sich gegen ihn – was Seto husten und seinen Arm um Katsuyas Oberkörper fallen ließ. Die beste Position um-

„Nein!“, fiepte der Jüngere auf, der mit eben diesem Arm festgehalten wurde, während Seto seine Seite kitzelte, „Gnade! Gnade! Nicht!“

Von dem Brünetten war nichts als ein helles Lachen zu hören.

Living society

Ich lebe O.O

Jetzt habe ich nur noch die Simulation des mündlichen Abiturs nächste Woche, dann bin ich durch ^~^ Nun ja, bis April zumindest. Und damit gleich zu einer neuen Ankündigung: Es wird weiterhin zwei Kapitel pro Woche geben ^.-

Ich brauche nur noch etwas mehr als zehn Kapitel zu schreiben, dann bin ich fertig O.O Das macht mir... Angst. Ich schreibe an DS seit eindreiviertel Jahren. Da ein Ende drunter zu setzen... *seufz*

Ich denke, es wird sehr sicher eine Fortsetzung geben. Sie wird sehr wahrscheinlich nicht so regelmäßig kommen, aber... ich werde sie mindestens beginnen. DS ist ein so fester Teil meines Lebens, ich möchte es noch nicht aufgeben >.<

Egal, hier erstmal ein neues Kapitel:
 

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„Glauben sie wirklich, dass man Kinder bestrafen muss?“, durchbrach der Blonde, der seinen kompletten Rücken gegen Setos Seite lehnte, die Stille leise. Den Blick hatte er auch wieder zum Firmament gewandt, während sein Kopf auf dem Arm weilte, der um seine Schultern gelegt war.

„Hast du jemals ein Kind erzogen?“, stellte der Ältere mit leicht herab lassenden Ton als Gegenfrage.

„Nur weil ich wenig Ahnung davon habe, heißt das nicht, dass ich nicht qualifiziert bin, etwas dazu zu sagen.“, gab Katsuya mit einem Knurren zurück.

„Entschuldige.“, der Brünette schien um einiges leiser zu werden, „So war das nicht gemeint…“

„Und wie war es dann gemeint?“

„Nur… dass das nicht möglich ist. Es hatten schon einige die Idee und es geht nicht. Anti-autoritäre Erziehung führt zu völlig verzogenen Blagen, die dann andere erziehen müssen…“, das hätte er definitiv anders ausdrücken können, „Wenn man ohne Bestrafungen erzieht, muss man für eine lebensfähige Einstellung des Kindes mit Belohnungen arbeiten. Und dann müsste man Kinder dafür belohnen, dass sie sich einfach normal verhalten… und sie würden später zusammenbrechen. Die Erziehung ist eine Vorbereitung auf das Leben in der Gesellschaft.“

Und die Gesellschaft ist das Konstrukt, in dem die höchste psychische Gesundheit für die größte Masse an Menschen erreicht wird… Erziehung hieß Kinder darauf vorzubereiten selbstverantwortlich und sich der Verantwortung für die Umwelt bewusst leben zu können, was antiautoritär nicht möglich war. Das müsste es ungefähr sein, was Seto sagen wollte.

„Wenn aber die Gesellschaften anders sind, dann muss auch die Erziehung in verschiedenen Gesellschaften anders sein, oder?“

„Ja.“, Setos Stimme wirkte wieder etwas kräftiger, „Das ist ein ganz grundlegendes Problem.“

„Wieso?“, die braunen Augen wandten sich zu dem neben oder eher hinter ihm Sitzenden.

„Hm… du hast wahrscheinlich die internationale politische Lage nicht so unbedingt verfolgt, oder?“

„Nicht direkt…“, wie sollte er auch? Internationale Politik brauchte man in der Gosse nicht. Da war nicht einmal die nationale Politik wirklich von Bedeutung.

„Aber du kennst doch sicher einige Ausländer, oder?“

„Klar, jede Menge.“, die gab es in seinem alten Wohnort zuhauf.

„Weißt du, die Menschen, also… die, die ich so kenne…“, Menschen mit Geld, was? „Die beschweren sich oft, dass Ausländer sich nicht integrieren würden. Deswegen kommen sehr viele Vorurteile auf und das führt dann zu neuen Problemen und so weiter…“

Na, das war ja sogar ihm bekannt. Ausländer rotteten sich auch in seiner Gegend zusammen.

„Man sagt immer, die kulturellen Unterschiede seien zu groß. Das bedeutet im Grunde nichts anderes, als dass die Überzeugungen über gesellschaftliche Normen andere sind.“

Sehr einleuchtend. Obwohl es eigentlich komisch war, was für Gesellschaften es geben konnte. So verschieden konnten Menschen doch gar nicht sein, oder?
 

„Wenn man jetzt zum Beispiel die einzelnen Länder nimmt… bei uns in Japan ist es zum Beispiel gesellschaftlich angesehen, dass man keine Emotionen zeigt und fast wie eine Maschine funktioniert. Das heißt aber nicht, dass wir das alle machen.“, er sicherlich nicht, Yami noch weniger, Ryou noch weit, weit weniger und Seto… und Bakura… nein, das taten sie nicht, „Wenn ich aber jetzt jemanden kennen lerne, dann ist das das Verhalten, was ich zeige, weil das als höflich gilt. Und ich sehe das als höflich, weil mir anerzogen wurde, dass das höflich ist. Wenn ich damit aber einen Spanier treffe, dem anerzogen ist, dass viel Körperkontakt höflich ist oder einen Amerikaner, der es als höflich empfindet gleich seine halbe Lebensgeschichte mit ausschweifenden Gesten zu erzählen, dann gibt das natürlich Probleme. Dann denke ich, dass Spanier und Amerikaner unhöflich und laut und aufdringlich sind und Japaner hält man für verklemmt und extrem opportunistisch.“

Das war definitiv ein sehr, sehr großes Problem. Das war genau das, wo Yami ihm doch vor Wochen erzählt hatte, dass man solche Vorurteile durchbrechen musste, indem man versuchte den anderen zu verstehen und sich in seine Lage versetzte.

„Und das ist auch das Problem der Ausländerintegration. Viele können nicht einfach so die Normen einer anderen Gesellschaft übernehmen, deswegen bilden sie Gruppen und isolieren sich. Und der Teufelskreis beginnt.“

Klar, dann dachten die Einwohner, die Einwanderer wären viel zu anders und stießen sie aus, die Ausländer fassten das als aktive Ablehnung ihrer Identität auf und so weiter…

„Und daher gibt es extreme Probleme in Ländern, die keine feste Gesellschaft haben, weil sie von Ausländern überschwemmt werden, so wie zum Beispiel Amerika. Deswegen erzählt man in Amerika beim Kennen lernen direkt die halbe Lebensgeschichte, weil man sich in solch einem Land sonst nur gegenseitig hassen würde. Und es gibt Probleme in Ländern, die bisher ihre Grenzen geschlossen hatten und jetzt die ersten Einwanderer bekommen wie zum Beispiel Japan vor einhundertfünfzig Jahren. Es gibt dort Probleme, wo plötzlich Grenzen geöffnet werden und man sich mit den Nachbarn verstehen muss wie in Irland oder Korea, wobei da meistens auch noch eine kriegerische Vorgeschichte vorliegt. Und es gibt bei allen übernationalen Gesellschaften Probleme, sei es nun die NATO, die UNO, die EU oder die United States of America.“

Was zur Hölle waren das für Organisationen? Hatte er die zu kennen? United States of America konnte er sich ja denken, aber was war der Rest?

„Und das alles kommt nur durch die verschiedenen gesellschaftlichen Normen.“

Aber es ging doch nicht nur um die Unterschiede zwischen den Nationalitäten, oder? Allein seine Zeit als Punk – Punks hatten Normen, die Normalbürger nicht verstanden, deshalb wurden Punks nicht gemocht. Und das geschah nicht nur mit Punks. Das geschah mit Gothics, mit Visus, mit Emos, mit Jugendlichen im Allgemeinen, mit alten Menschen, mit Opportunisten, mit Kommunisten, mit Behinderten, mit Politikern, mit Arbeitslosen – und mit psychisch Kranken. Es geschah mit allen, die von anderen nicht verstanden wurden. Und es endete in der Verbrennung und Vergasung, in Völkermord und Krieg. Ausrottung der Juden, der Zigeuner, der Homosexuellen, der Behinderten, der psychisch Kranken, der politisch Andersdenkenden – der zweite Weltkrieg war nur die extremste Ausartung dieses Fremdenhasses gewesen. Und gelernt hatte daraus doch keiner. Irgendwo schon traurig, oder?
 

„Warum gibt es diese ganzen verschiedenen Einstellungen dann? Warum kann man nicht einfach versuchen jeden nachzuvollziehen und gut ist’s?“, fragte Katsuya stur nach.

„Die verschiedenen Einstellungen gibt es, weil jeder andere Lebensumstände hat. Für eine gleiche Einstellung müssten alle dasselbe erlebt haben, die gleichen Chancen haben, die gleiche genetische Grundlage…“, Setos Atem strich warm über sein kaltes rechtes Ohr, „Und nachvollziehen kann man jeden nicht einfach, weil man nicht weiß, was denn die Lebensumstände dieser Person sind. Wenn ich dich vor zwei Wochen geschlagen hätte, hättest du zurückgeschlagen. Würde ich es heute tun, dann würdest du dich fragen, wie du mich beruhigen könntest und was der Auslöser war, dass ich so weit ging, ob ich das überhaupt bewusst getan habe und so…“, er stieß die Luft aus, „Und im Zweifelsfall trotzdem zurückschlagen, aber nicht aus Wut, sondern um mich zur Vernunft zu bringen und dich zu schützen.“

„Das ist wahr…“, flüsterte Katsuya und schloss die Augen. Es war schön Seto so nahe zu sein. Man fühlte sich warm und geborgen. „Und nicht jeder erzählt gleich die ganze Lebensgeschichte, was?“

„Ganz sicher nicht. Nebst der Tatsache, dass auch das noch nicht bedeutet, dass man die Person nachvollziehen kann.“, Setos zweiter Arm schlang sich um den Bauch des Blonden, „Und wenn man doch etwas hört, dann sind das Stückchen. Deine Geschichte muss ich mir auch aus dem, was du manchmal so erzählst und was ich so von einem solchen Leben erwarte, zusammenreimen.“

„Dürfte aber nicht schwer sein, oder?“, sein sanfter, ruhiger Ton überraschte Katsuya ein wenig. Hatte er langsam schon so oft zurückgedacht, dass er ohne jegliches schlechte Gefühl über sein Leben erzählen konnte? Eigentlich hatte er zumindest einen Stich ins Herz erwartet. Dasselbe wie bei Yami: Wo war die ganze Wut, die ganze Bitterkeit und Verzweiflung, die er so lange mit sich getragen hatte? Hm… verdrängt vielleicht?

„Entschuldigung im Voraus, wenn ich mir etwas falsch zusammenreime.“, das Kinn des Brünetten drückte schwer auf den blonden Schopf. Wann genau hatte er seinen Kopf auf seinem eigenen abgelegt? „Übrigens glaube ich nicht, dass du dich an die Kälte gewöhnt hast. Dein Kopf unterdrückt nur dein Kälteempfinden. Guck, du siehst aus wie eine gerupfte Gans.“

Würde er deshalb hier so mollig warm von Seto an ihn gedrückt?

Katsuya entwich ein Seufzen.

Könnte der Ältere nicht bitte etwas anderes als Vatergefühle für ihn empfinden? Selbst Mutterglucke Yami war ein bisschen scharf auf ihn. Warum nicht auch Seto?
 

„Wenn gesellschaftliche Normen durch die Erziehung derer, die zu ihr gehören, bestimmt wird…“, wechselte der Blonde das Thema, „…oder allgemein durch die Einstellungen derer, die zu ihr gehören… wie ändern sich dann gesellschaftliche Normen?“

„Warum beschwert sich heute keiner darüber, dass eine Frau allein auf der Straße unterwegs ist?“, fragte Seto zurück – beantwortete er eigentlich alles mit Gegenfragen? „Das ist, weil es heute für eine Frau nicht mehr höchst gefährlich ist allein unterwegs zu sein. Deswegen hat diese gesellschaftliche Konvention an Bedeutung verloren. Und eine Frau kann heute allein unterwegs sein, weil gesichert ist, dass sie nicht einfach so überfallen wird. Die Polizei ist stark, die Gesetze sind scharf, die Täter können leicht identifiziert werden – durch diese Dinge haben sich die Normen zum Beispiel geändert. Veränderung der Lebensumstände wirken sich auf die Gesellschaft aus, genauso wie die Gesellschaft sich auf die Lebensumstände auswirkt. Alles steht in Wechselwirkungen. Die Gesellschaft wirkt auf die Politik, die Politik auf die Gesellschaft. Genauso mit Ethik, mit dem Lebensstil, mit den Ideologien. Alles ist immer im Wandel. Denke allein an die Wirtschaft. Zur Zeit eines Wirtschaftswunders werden alle strebsam, wollen gute Berufe, arbeiten ehrgeizig, die jungen Menschen können von einer guten Zukunft träumen.“, da musste Seto viel Ahnung von haben, aus dem Bereich kam er schließlich – aber gut, wovon hatte Seto schon keine Ahnung? „Und wenn die Wirtschaft rückläufig ist, entwickelt sich alles zur Ellbogengesellschaft. Es geht nur noch darum andere auszuschalten, um die eigene Position zu halten. Jeder hat Angst um den Beruf, den Lebensstandard, das Leben an sich. Und das führt dazu, dass man andere noch schärfer ausschließt als man es sonst tut. Man nehme nur die Situation der Homosexuellen.“, oh, was Interessantes! Obwohl alles interessant war, so war es ja nicht. „In den fünfziger, Anfang der sechziger Jahren wurde fast überall in den Industrieländern die gesetzliche Bestrafung von Homosexuellen abgeschafft und man stieß auf allgemeine Akzeptanz oder zumindest Ignoranz. Nur wenige Jahre später, als das Wirtschaftswunder vorbei war und die Arbeitslosenzahlen überall stark stiegen, war Homosexualität eines der wohl abartigsten Dinge überhaupt. Man verbot sogar darüber zu sprechen.“

Oh… hieß, er musste seine eigene Lage in der Bevölkerung von Gesetzen und irgendwelchen Wirtschaftsleuten abhängig machen? Zumindest im weitesten Sinne? Das war echt wirr. Klar musste der Mensch flexibel sein und sich an die Umstände anpassen, aber so sehr, dass er bereit war anderen wehzutun? Obwohl, wieder zweiter Weltkrieg… eine Änderung der Lebensumstände ließ Menschen bereit werden andere Menschen zu erschießen, versklaven, vergasen, verbrennen, zerbomben, verraten… ein Mensch war ein sehr anpassungsfähiges Wesen. Warum konnte man diesen Effekt nicht in die andere Richtung nutzen? Obwohl… konnte man. Aber wie konnte man Menschen eine Grundlage zum Glücklichsein geben? Außerdem gab es immer welche, die ein System sabotierten. Gab es überhaupt einen Weg die Lage zu bessern?
 

„Warum gerade Homosexuelle?“, fragte der Blonde schließlich nach, „Ich meine, wenn es allen schlecht geht und man um seinen Lebensstandard fürchtet, dann ist klar, dass Intellektuelle, Hochbegabte und Künstler, also allgemein irgendwo sehr Talentierte, ausgeschlossen werden. Aber warum Homosexuelle?“

„Wer weiß?“, Seto strich mit seinen nun behandschuhten Händen über Katsuyas Jackett, um ihn etwas aufzuwärmen, „In der Tierwelt sind homosexuelle Tiere auch unbeliebt, weil sie nicht zur Reproduktion beitragen und nur Nahrung vernichten. Selbst wenn sie jagen und Wache halten und auf die Kleinen aufpassen, sie sind und bleiben genau deswegen unbeliebt. Geduldet werden sie nur in solchen Gruppenkonstellationen wie jenen, wo sich nur die beiden Alphatiere fortpflanzen und es beim Rest somit eh egal ist, was sie machen, solange sie halt diese Beiträge leisten.“, also noch ein übrig gebliebener Instinkt aus der Tierwelt? „Und bei uns ist es auch nicht viel anders, oder? Homosexuelle werden als schlecht angesehen, wenn sie zum Beispiel in gleichberechtigten Positionen oder sogar über uns arbeiten. In als relativ wertlos angesehen Berufen werden sie geduldet oder sogar gemocht. Und in sozialen Berufen sieht man sie auch gern, solange es nicht zu viel mit Kindern zu tun hat – die könnten ja korrumpiert werden. Und Homosexuelle in unerreichbar hohen Positionen sind auch gern gesehen. Obwohl das bei uns in Japan noch so ist, dass man dafür seine Position verlieren würde, weil die dann gleichberechtigten Leute das nicht dulden.“

Wohl wahr… doch, genau so sah das aus. Und wenn es etwas zu beneiden gab, dann attribuierte man global: Nicht eine Person war schlecht, alle Homosexuellen waren schlecht. Wenn man irgendein schönes Vorurteil fand, konnte man sich damit gleich über den eigenen Misserfolg trösten. Ganz tolle Mentalität. Wie wäre es damit dafür zu arbeiten statt über die zu spotten, denen es besser ging?

„Ist es eigentlich bekannt, dass sie homosexuell sind?“

„Das war der Skandal an sich.“, der Brünette seufzte, „Und mit einer der Gründe, warum ich Mokubas Bitte zurückzutreten damals zustimmte. Jung, erfolgreich und schwul – das sind die perfekten Gründe den Hass der Menschheit auf sich zu ziehen. Die Boulevardpresse hat mir damals sogar Gerüchte über eine geheime Beziehung zu meinem Bruder angehängt, worauf das Jugendamt mir Mokuba wegnehmen wollte… was für ein Schwachsinn.“

Was zur Hölle… eine Beziehung mit Mokuba? Seto? Was für eine… ne, ey.

„Die Wirtschaftsbosse haben teilweise ihren Kontakt zu mir gekappt, meine Produkte wurden boykottiert…“, ein Schnauben kam von über seinem Kopf, „Innerhalb einer Woche hatte ich eintausenddreihundertsechsunddreißig Beziehungen, kannst du dir das vorstellen? Ich frage mich, wie ich die bloß alle in meinen Terminkalender gekriegt habe.“, oh, tropfender Sarkasmus. Aber ehrlich, wer war auch so blöd so etwas zu glauben? „Wer weiß, vielleicht sind auch schon Bilder von uns beiden in irgendeiner Zeitung. Obwohl Noah da eine ziemlich harte Schiene fährt, die Verlage, die etwas in die Richtung über mich bringen, werden recht gnadenlos niedergemacht. In dem Sinne führt er meine Wirtschaftspolitik in Perfektion fort.“

Und auch so beeinflusste die Wirtschaft die Gesellschaft. Die Kontrolle der Presse war sicherlich eines der wichtigsten Mittel die Meinung zu Öffentlichkeit zu verändern. Denn die Meinung war ja ein Produkt der Informationslage der Menschen… das System nahm langsam Form an. Die Gesellschaft war nur ein riesiges Geflecht tausender Einflüsse. Sie war bei weitem nicht tot. Und sie würde es nie sein, solange Menschen lebten.

Gebetsstunde

Nun, als ich sagte, die Vorabiklausuren seien Stress, da wusste ich noch nicht, wie viel Stress die Vorbereitung von Lehrergeschenken, Abi-Gag, Abi-Woche, Abi-Zeitung, Abi-Motto, Abi-Rede, Abiball, Abi-etc. einnehmen X.X Und derzeit bricht alles auf mich ein @.@ Demnach entschuldige ich mich gestern kein Kapitel gebracht zu haben, aber ich entwerfe derzeit Firmenwerbungen, T-Shirt-Designs und noch vieles mehr - und ich muss es bis Freitag fertig haben.

Also noch mehr Stress, weniger Antworten und wie es der Zufall will: Auch meine Ferien sind vollständig verplant. Ich bin nur glücklich bereits so viele Kapitel zu haben, denn zum Schreiben komme ich derzeit definitiv auch nicht v.v
 

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„Du siehst nicht so schlimm aus wie sonst, aber diese Augenringe geben mir zu denken…“

Katsuya zuckte zusammen. Was? Wo? Wie? Er blinzelte. Ach, das war nur Marik… er hatte schon befürchtet, Herr Umura hatte ihn bei seinen Tagträumen erwischt.

„Lass mich…“, murrte der Blonde leise und legte seinen Kopf wieder auf seine verschränkten Arme, die er mitten auf dem Tresen platziert hatte, „Ich bin erst um drei Uhr ins Bett gekommen…“

Eine Runde schweigend durch den Park, zurück nach Hause, da noch etwas essen – irgendwie hielt er sich nicht ganz an seinen Ernährungsplan – und ins Bett. Und er sollte sich nie wieder mitten in der Nacht von Seto etwas in Physik erklären lassen. Er hatte keine Ahnung mehr, was er ihm gestern oder eher heute Morgen noch erzählt hatte.

„Na und, dann dürftest du auch sechs oder sieben Stunden Schlaf gehabt haben, oder?“, unverständliches Brummeln seitens Katsuyas, „Aber mich würde doch mal interessieren, was dich so spät ins Bett gebracht hat… warst du bei Yami?“

„Freut es dich, wenn ich ja sage?“, wenn du Fragen ausweichen wolltest, solltest du Gegenfragen stellen. Sehr schöne Technik, Seto.

„Was?“, zischte der Ältere wie entsetzt und versetzte dem Anderen eine leichte Kopfnuss, „Sieh mich an, wenn ich mit dir rede: Hast du die letzte Nacht mit Yami verbracht?“

„Ja?“, Katsuya blinzelte, während er den Kopf hob, „Den Abend.“

„Und die Nacht?“

„Mit Seto…“, sein Haupt sackte wieder hinab.

„Es ist doch echt nicht wahr.“, der leichte Absatz von Mariks Schuhen hinterließ ein Klackern, während er sich um umdrehte, „Jeder hat Sex, nur ich nicht! Und wieso hat er gleich zwei und ich keinen? Wer zur Hölle sorgt für so ein Schicksal?“, er hob den Kopf in Richtung des schweren Alkohols, „Was hat Gott eigentlich gegen mich?“, er drehte sich ruckartig zu Katsuya, „Kannst du mir das mal sagen, du Frischling?“

„Marik… Yami ist mein bes-“

„Sagte da jemand was von Sex?“, die ältere Blonde streckte den Kopf hinter der Tür des Bedienstetenzimmers hervor.

„Katsuya hat zwei Typen!“, kam der Sandblonde Marik zuvor, „Und was habe ich?“, er zeigte mit beiden Händen auf sich selbst, „Ich habe gar nichts! Diese Welt geht echt vor die Hunde.“, er hob sie wie zum Gebet, „Ist ein bisschen Sex denn zu viel verlangt?“

„Männer…“, Mai verdrehte die Augen, „Nur Sex im Kopf.“

„Ach, nun reg’ dich nicht auf.“, Anzu griff mit beiden Händen in ihr Haar und plusterte es mit einer schnellen Bewegung derer etwas auf, während sie hinter der Anderen hervor stöckelte, „Als hätten wir irgendetwas anderes im Hirn. Wir sind nun mal jung.“

„Das muss ich mir von einer sechs Jahre jüngeren Ische nicht sagen lassen.“, die Ältere wedelte mit einer Hand in der Luft als wollte sie eine Fliege vertreiben, „Katsuya, hilf mir mal mit meinen Haaren.“

„Was?“, er schreckte wieder hoch, „Wieso ich?“

„Weil ich dich drum bitte.“, sie hob die Augenbrauen, „Und nun schwing’ deinen süßen Arsch hier rüber.“, na, was blieb ihm anderes übrig bei der freundlichen Bitte…
 

„Hi, Yami.“, der Blonde schnappte sich den gerade Hereinkommenden und zerrte ihn zum Bedienstetenzimmer. Nebenbei, was für Schuhe trug der eigentlich? Klang schon fast nach Stöckelschuhen. Okay, es waren gut acht Zentimeter Absatz, klar, dass die so klangen. Schon klar, dass Seto denen Namen gab.

„Katsuya, vergiss nicht, dass wir gleich auch Schichtschluss haben! Also beeilt euch!“, rief Marik ihnen hinterher, nachdem sie an der Bar vorbei zogen. Konnte der Typ eigentlich einmal nicht an Sex denken? Hilfe!

„Och, ’ne schnelle Nummer wär’ doch was…“, zwitscherte der Rothaarige, bevor er recht gnadenlos in das Zimmer geschleift wurde und Katsuya die Tür hinter ihnen zuschlug.

„Wie geht es Seto? War er da?“

„Jupp.“, ein Lächeln breitete sich auf den Lippen des Älteren aus, „Wir hatten ein langes Gespräch und es geht ihm gut. Er steht übrigens noch draußen und telefoniert.“

Katsuya seufzte erleichtert und ließ sich auf die Bank der Umkleide sinken.

„Und wo wir gerade dabei waren.“, Yami setzte sich breitbeinig auf den Schoß des Blonden und legte die Arme um seine Schultern, „Analsex – und zwar jetzt.“

„Was?“, zischte der Untere entsetzt und zog den Kopf zurück, „Was zur Hölle ist jetzt in dich gefahren?“

Er wollte doch nicht… hier… jetzt… also… mit ihm? Was… ?

„Wir sind gestern nicht mehr dazu gekommen, dass du deine Lektion in Analsex kriegst und die ist dringend fällig. Dieses andauernde Aufschieben gefällt mir ganz und gar nicht.“, eröffnete der Ältere ihm mit einem leichten Schmollmund.

„Ach so…“, die Luft wich aus Katsuya, „Schock mich nicht so…“

„Wieso? Was hast du denn gedacht?“

„Ich habe den Tag mit Marik verbracht. Was glaubst du, was ich denke?“, fragte er zurück.

„Okay…“, Yami nickte mitfühlend, „Das ist… prägend.“

„Aber hallo.“, der Blonde schnaubte und richtete den Blick zur Tür, „Der Typ ist Dirty-Talk in Endlosspule.“

„Ich könnte ihm ja mal ’ne Chance geben.“, der Ältere zuckte mit den Schultern, „Hiroto hat jetzt eine Freundin. Noch weniger Sex für mich. Das ist echt nervig. Erst Seto, dann Hiroto… all’ die bösen Leute mit dem To im Namen.“

„Aber sonst hast du keine Probleme?“, fragte der Blonde mal dezent nach.

„Ich habe dich.“, Yami lächelte breit – na ganz toll, danke, sehr nett, „So, Analsex, ich will das durch kriegen, bis Seto mit seinem Telefonat fertig ist, der muss mich dabei nämlich nicht erwischen.“

„Wieso?“, was war denn jetzt schon wieder los?

„Ach, du weißt schon… das eigene Küken und Sex, das sind so Sachen…“

„Seto ist nicht mein Vater.“, warf Katsuya ein.

„Aber er spielt sich gern dazu auf, schließlich ist er bald dein Pflegevater. Oder so etwas in der Art zumindest. Und jetzt Mund zu und Ohren auf.“

„Yami… ich werde das nicht von heute auf morgen brauchen.“

„Du kennst Marik und du arbeitest in diesem Club, wer weiß, wie schnell du das brauchen kannst. Und jetzt Ruhe.“

„Ja, ja, schon gut…“, dann eben eine Lektion Analsex.
 

„Wo fang’ ich an?“, fragte der Ältere sich selbst, „Du hattest den Aufklärungsunterricht bezüglich Sex mit Frauen?“

„Äh… grob.“, eher kaum, so wie ihr Lehrer drauf gewesen war, „Ich habe Pornos gesehen. Außerdem komm ich aus der Gosse. Ich habe sogar schon dich in einer Vergewaltigung gesehen.“

Yami schluckte, wandte den Blick zur Seite und sprach etwas leiser weiter: „Stimmt… Vergewaltigungen kommen bei Männern so ziemlich immer von hinten. Das wird Hunde- oder Bankstellung genannt.“, er schloss die Augen und seufzte leise, „Zumindest… nun ja. Auch ungewollt kann man es wohl so nennen. Eine andere übliche Stellung unter homo- wie auch heterosexuellen Paaren ist die Missionarsstellung, also einer auf dem Rücken liegend, der andere darüber. Es gibt natürlich noch ein paar Millionen andere Namen, aber das sind die üblichen. Man kann sich dabei aufrichten, also einer auf dem anderen sitzend oder beide sitzend. Das sind eigentlich alle üblichen Stellungen – auf einer ebenen, waagerechten Fläche zumindest.“

Auf einer waagerechten Fläche? Wie machte man das mit einer ver- ah… okay, an einer Wand. Alles klar. Wände, Tische, Stühle, Schränke, Sofas… das ging wohl über die Grundlagen hinaus. Katsuya spürte eine leichte Röte auf seinen Wangen.

„Zur Vorbereitung wird entweder in der Missionars-, Bank- oder 69-Stellung gearbeitet. Bei 69 liegt einer unten, der andere genau anders herum darüber, sodass beide an den Unterleib des anderen mit dem Oralbereich kommen.“, danke für die Fachtermini, Yami…

„Für Analsex sollte zumindest in der ersten Zeit der passive Part sehr gründlich geweitet werden. Man benutzt dafür die Finger-“

„Halt.“, unterbrach der Blonde ihn, „Bedeutet das, dass nach einiger Zeit das Weiten nicht mehr nötig ist?“

„Ja, die Anusmuskeln leiern aus, wenn man sie viel beansprucht. Deswegen muss man Passive irgendwann nicht mehr weiten. Ich meine… es gibt Passive, in die kann man seinen ganzen Unterarm stecken. Das nennt man Fisting. Ist aber nicht so beliebt, wie du dir denken kannst. Und es braucht ungefähr ein bis anderthalb Jahre, bis jemand so angepasst ist.“

Katsuya schluckte, während er die Mundwinkel herunter und die Augenbrauchen zusammen zog. Mit einem ganzen Unterarm? Irgh…

„Nun, zum Weiten benutzt man die Finger oder die Zunge. Wobei auch Zunge eher weniger beliebt ist, ist schließlich der Analbereich.“, Yami… was hatte er in seinem Job bloß schon alles machen müssen? „Ein Finger tut nie weh, wenn er nicht trocken und man selbst entspannt ist. Ein bisschen Gleitgel oder Spucke ist da völlig ausreichend. Obwohl in letzter Zeit auch parfümierte Öle beliebt werden.“

Spucke musste irgendwie nicht sein… da kamen ein paar zu viele Körpersekrete zusammen.

„Zwei Finger spannen, aber der Körper gewöhnt sich schnell daran. Bei drei Fingern kann’s wehtun. Aber auch daran gewöhnt man sich eigentlich. Man muss nur völlig entspannt sein. Das ist auch wichtig bei Vergewaltigungen: Völlig entspannen, sonst kommt es zu inneren Verletzungen und die können tödlich sein.“
 

Hatte es einen bestimmten Grund, dass Yami ihm die Tipps für Vergewaltigungen gleich mit gab? Was genau war in dem Gespräch mit Seto raus gekommen? Dass er ein irrer Triebtäter war? So schlimm sollte es doch eigentlich nicht kommen, oder?

„Wenn es schnell gehen soll, kann man auch nach zwei Fingern penetrieren, aber ich empfehle immer drei.“, penetrieren? Interessantes Wort. „Man sollte aber immer und auf jeden Fall viel Gleitmittel nehmen, sonst schmerzt das echt wie Hölle. Wenn nicht beim Sex, dann danach. Und man sollte nicht auf Teppichen Sex haben, das gibt hässliche Schürfwunden.“

Alltagstipps für Sex… also… irgendwie war das hier eine komische Situation.

„Der so genannte männliche G-Punkt, die Prostata, ist das, auf was die meisten Aktiven zielen. Das Treffen der Prostata täuscht dem Körper einen kleineren Orgasmus vor, wodurch sowohl die Glückshormone als auch einige Schlafhormone ausgeschüttet werden, sich die Anusmuskeln kurz zusammen ziehen und der Aktive so auch weiter stimuliert wird. Man sollte es aber nicht zu oft tun, weil das sonst zum einen wehtut, zum anderen die Prostatafunktion Schaden nimmt und drittens der Passive sehr schnell durch die Schlafhormone erschöpft. Stundenlang besinnungslos Rammeln ist also nicht drin.“, war wohl auch besser so, sonst würden einige Männer ja nur noch Sex haben.

„Übrigens heißt passiv sein nicht blöd rum liegen, man kann sich dem Rhythmus des Aktiven anpassen und mitmachen. Außerdem kann man sich selbst stimulieren, wenn man das nicht dem Aktiven überlässt. Und wenn man dran kommt, kann man auch den Aktiven anal stimulieren.“, Yami schien an seinen Fingern etwas abzuzählen, „Orgasmus kann noch im Passiven passieren, wenn sich bei dessen Orgasmus die Muskeln zusammenziehen. Kann auch noch nachher passieren, wenn der Passive das zulässt. Oder man macht das außerhalb, dort meistens mit der Hand. Aber es geht natürlich auch oral.“, oral, nachdem das Ding… das war was für Furchtlose. „Ein paar langsame Stöße nach dem Orgasmus sind übrigens ’ne ganz schöne Sache. Empfinde ich persönlich als angenehm.“

Yami hatte auch Ahnung davon. Hm… nun ja, er war wahrscheinlich eh passiv, sollte der andere sich darum kümmern.

„Wenn man das ohne Kondom macht, was ich definitiv nicht empfehle, weil wirklich jede ansteckende Krankheit dadurch übertragen werden kann, sollte man sich auch noch um die Bereinigung kümmern. Sperma im After läuft nämlich über Nacht raus, so gut sind die Schließmuskeln nicht. Und das ist morgens… unangenehm.“, wie überaus scharfsinnig, das hätte sogar er sich denken können, dass das nicht schön war, „Man kann also kurz auf Toilette gehen oder sonst was in die Richtung. Ich für meinen Teil mache nichts ohne Kondom, also betrifft mich das wenig.“

„Und wenn der andere nicht will?“

„Dann gibt es keinen Sex, Ende.“, der Rothaarige verschränkte die Arme, „Da lasse ich nicht mit mir reden.“

Hm… nein sagen. Na schön, das dürfte man auch irgendwie hinkriegen. Kein Sex ohne Kondom. Eher gesagt, Kondome… schwul sein war teuer.
 

„Erwischt!“, rief jemand laut, anscheinend noch im selben Moment, wo die Tür aufgerissen wurde und eine blonde Gestalt hereinschnellte.

„Wobei?“, fragte Katsuya trocken und hob ob Marik eine Augenbraue.

„Na, bei… keine Ahnung.“, er richtete sich auf, „Was macht ihr hier?“

„Wir haben Sex, sieht man doch.“, meinte Yami und rieb seinen Schoß über Katsuyas.

„Hey!“, kam es einstimmig von beiden Blonden.

„Nichts für ungut…“, zwitscherte der Ältere dem Sitzenden zu, während er sich erhob, zu Marik stöckelte und die diesen von unten nach oben musterte, „Und du willst mich also vögeln, Blondchen?“

Ein Glück, dass er bei den Erklärungen nicht so… vulgär gewesen war.

„Aber ganz sicher…“, der Andere trat einen Schritt an Yami heran, umfing seine Taille mit einem Arm und hob lüstern den Blick zu den Amethystaugen.

„Und was hast du dir so vorgestellt?“, schnurrte der Ältere Marik an, nachdem er beide Arm auf seine Schultern gelegt und sie hinter seinem Kopf verschränkt hatte.

„Ähm…“, eine leichte Röte kämpfte sich auf die Wangen des Sandblonden, „Was du möchtest?“

„Hast du Küken denn überhaupt praktische Erfahrung mit Sex?“, fragte Yami nach, „Und sei ehrlich.“

Der Kopf des Anderen sank ein wenig hinab, während er flüsterte: „Nicht so wirklich…“

Was? Katsuyas Lider zogen sich zurück, während sich seine Augenbrauen verschränkten. Dirty-Talk-Master Marik war Jungmann? Das war nicht wahr! Der und noch kein Sex? Die Welt stand Kopf…

„Süß…“, der Rothaarige setzte ihm einen Kuss auf die Nase, „Und was hast du heute Abend noch vor?“

„Ähm…“, anbei, wenn man die beiden so nebeneinander sah… auch Marik hatte eine bedeutend dunklere Hautfarbe als Japaner, „Meiner Schwester beim Putzen helfen?“, Kopfschütteln seitens Yami, „Meiner Schwester nicht beim Putzen helfen?“, Nicken, „Mit dir was machen?“, Nicken, „Echt?“, holla, die Waldfee… dieses Strahlen konnte Atomen bei der Spaltung Konkurrenz machen.

„Wenn du heute um dreiundzwanzig Uhr hier hin kommst…“, Yami zog am Bund von Mariks Hose und ließ ein zusammengefaltetes Notizblatt hineinfallen.

„Und? Wer hat jetzt den Sex?“, warf Katsuya trocken von der Seite ein. Eins war damit bewiesen: Wenn es Götter gab, dann erhörten sie Gebete. Oder das hier war ein sehr extremer Zufall.

Weird times

Wie ihr ja wisst, folgt auf Stress immer mehr Stress. Demnach komme ich derzeit nicht zum Schreiben - das heißt zwei Kapitel die Woche wird es wahrscheinlich nur noch nächste Woche geben. Ob danach doch noch, entscheidet an sich das Schicksal und die Idee, wie viel Stress uns noch gemacht werden soll.

Ich hoffe, euch geht es nicht so, wenn doch (oder schlimmer), so kann ich euch nur viel Kraft wünschen. Aber vielleicht heitert euch das hier ja auf ^.^ Viel Spaß beim Lesen.
 

P.S.: trinithy hat ein Gedicht geschrieben! Schaut mal in der Charakterbeschreibung vorbei!
 

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„Hier ist’s.“, der Rothaarige zeigte auf ein riesiges Haus auf der rechten Seite.

„Deine Freier sind reiche, alte Säcke, oder?“, fragte Katsuya mit zusammen gezogenen Augenbrauen nach und musterte das Haus. Das schrie ja von Wohlstand.

„Sie bezahlen gut, das ist wichtig.“, Yami beugte sich von der Rücksitzbank nach vorne, während Seto den Wagen am Bürgersteig hielt, setzte erst dem Blonden, dann dem Brünetten eines Kuss auf die Wange und verließ den Wagen, „Danke für’s Fahren!“

„Und zur Erholung bestellt er sich Marik…“, der Jüngste seufzte und wandte sich zum Fahrer, „Wenn ich daran denke, wer und was schon alles Hand an Yami gelegt hat, wird mir schlecht. Ganz ehrlich.“

„Einfach nicht dran denken.“, empfahl Seto ruhig, „Verdrängung ist die Mutter aller Lösungen.“

„Hm…“, der Wagen fuhr an, „Sollte man Probleme nicht lösen statt nicht daran zu denken?“

„Und was willst du lösen?“, ein Blick in die Spiegel, „Die Vergangenheit?“

„Die Gegenwart. Warum will Yami nicht aufhören?“

„Wieso sollte er?“, die blauen Augen wandten sich einen Moment in seine Richtung, „Er verdient an drei Tagen mein Monatsgehalt.“

„Trotzdem… das muss so was von ekelhaft sein…“, Katsuya verzog das Gesicht, während er sich in den Sitz sinken ließ.

„Wenn er Hilfe will, wird er sich melden.“, die braunen Augen richteten sich auf den Älteren, „Das ist eine der wichtigsten Regeln der Menschheit: Tue niemals etwas gegen den Willen eines Menschen, selbst wenn du es für besser für ihn hältst. Diese Regel setzt nur bei Kindern bis ungefähr zwölf aus. Und selbst da sollte man vorsichtig damit umgehen.“

Natürlich, das sollte man nicht. Man konnte Menschen damit zerstören. Aber trotzdem. Sollte man dem Elend einfach so zusehen? Daneben stehen und warten, bis Yami zusammen brach? Die Hilfe so lange zurück halten, bis es zu spät war? Das konnte doch nicht die Lösung sein.

„Aber…“, er seufzte, „Ich verstehe es einfach nicht.“

Und somit war er genau an dem Punkt, an dem er nie sein wollte: Unverständnis. Denn Unverständnis war es, was so viele Probleme auslöste. Wieso musste ihm das gerade mit seinem besten Freund passieren?

„Vielleicht hält er sich für so unglaublich wertlos, dass das das Einzige ist, was er für sich angemessen findet.“, Seto zuckte mit den Schultern, „Keine Ahnung. Ich kann es auch nicht nachvollziehen.“

Wertlos… Katsuya spürte eine Träne auf seiner Wange. Was musste man Menschen antun, damit sie sich für so unglaublich wertlos hielten? Eine innere Leere fraß sich von seinem Herzen aus einem Weg durch seinen Brustkorb. Eine zweite Träne.

„Ich möchte nach Hause…“, flüsterte der Blonde leise, während er die Beine anzog, die Arme darum und den Kopf darauf bettete.

Seto schwieg.
 

Der Ältere zog den Fahrzeugschlüssel ab, seufzte, wartete einen Moment, öffnete die Tür und schlug sie hinter sich zu. Dann war es still. Die Umgebung gab keine Geräusche mehr von sich. Sie mussten zuhause sein. Vor Katsuyas geschlossenen Augen tanzten schon keine Punkte mehr. Er hatte sie geschlossen gelassen.

Eine Wagentür öffnete sich.

„Kleiner…“, ein Seufzen von der Seite. Der Gurt löst sich, sein Kopf wurde angehoben, um ihn zu befreien. Ein Arm um seinen Rücken zog ihn gegen eine warme Brust, ein anderer legte sich in seine Kniekehlen.

„Hat das einen Grund, dass du genau die gleichen Symptome wie ich entwickelst?“, fragte Seto nach, nachdem er ihn aus dem Auto gehoben hatte und die Tür mit seiner Hüfte schloss, „Ich würde mich ja glücklich schätzen, wenn du mir antwortest.“, er wurde ins Haus getragen, wie er durch seine halb geöffneten Augen erkennen konnte, „Aber ich vermute, ich kriege keine Antwort.“, auch die Haustür wurde mittels Hüfte geschlossen, bevor Seto seine Schuhe auszog, „Was habe ich getan, um diese Reaktion auszulösen?“

„Wertlos…“, hauchte der Blonde.

„Was ist damit?“, Setos ernster, fragender, sorgenvoller Blick war förmlich auf seiner Kopfhaut zu spüren.

„Bin ich wertlos?“, ihr Weg endete am Sofa, wo der Ältere sich niederließ und ihn auf seinem Schoß platzierte.

„Nein.“, sein Kopf fand Setos Halsbeuge, „Du bist nicht wertlos.“, kühle Finger kraulten seinen Nacken.

Nicht wertlos…

„Warum?“

„Weil du lebst.“, eine Nase fuhr sanft über seinen Schopf, suchte ihren Weg durch sein blondes Haar und streichelte seine Kopfhaut.

„Warum?“, warum, warum, warum. Immer nur warum. Warum war er hier? Was war seine Aufgabe? Warum das alles?

„Warum was?“, die Nase entfernte sich und der Braunäugige hob den Blick.

„Warum lebe ich?“, der tränenvollen, braunen Augen richteten sich auf den Älteren.

„Du lebst für diesen Moment.“, ein Lächeln legte sich auf Setos Lippen, „Um ihn zu genießen. Jeden – einzelnen – gottverdammten – Moment.“

Katsuya schloss die Lider und schmiegte Stirn und Nase an Setos Hals.

„Gottverdammt… ?“, murmelte er und spürte ein Kribbeln auf der Haut, die Setos Hand hinter sich ließ, während sie langsam seine Taille entlang und über sein Brustbein nach oben fuhr.

„Gottverdammt.“, bestätigte Seto mit tiefer Stimme.

„Warum?“, Katsuyas Arm schlang sich über eine Schulter um den Hals des Brünetten.

„Weil das hier falsch ist…“, der Zeigefinger der Hand strich über seinen Adamsapfel bis unter sein Kinn.

„Was… ?“, ein leichter Druck hob seinen Kopf, sodass er von tiefblauen Augen gefesselt wurde.

„Das.“

Warme Lippen legten sich auf seine.
 

Atem strich über seine Haut, ließ die Träne vibrieren, die ihren Weg Katsuyas Wange entlang suchte. Die Lider schlossen sich zur Hälfte, fielen ob dem tiefen, erleichterten Seufzen Setos zu. Instinktiv öffnete der Blonde die Lippen.

Was zur Hölle tat er hier?

Seine Lider schnellten auseinander, seine Rechte krallte in Setos Schulter, sein Atem stoppte. War das richtig? War das das, was er wollte? War es das gewesen, was er sich gewünscht hatte?

Setos Lippen saugten in einer fließenden Bewegung an seinen, lösten sich, küssten erneut.

Das fühlte sich verdammt gut an. Aber war es das, was sie tun sollten? War es das, was er wollte? War es das, was Seto wollte? War es nicht genau das, was sie schon bald wieder bereuen würden?

Seto lehnte sich vor, drückte ihn mit seinem Gewicht gegen das Sofa, während seine Hand von seiner Schulter hinab über Katsuya Po seinen Oberschenkel hinab fuhr und seine Beine auf die Couch zog. Sein rechtes Bein schob sich zwischen die Beine des Blonden, sodass der Ältere sich über ihn legen konnte. Der Atem wurde scharf eingezogen, durch den Mund ausgestoßen, bevor Setos Lippen wieder auf seine zuschnellten. Selbst wenn sie das hier nicht bereuen würden… wie stand es mit dem, was hieraus werden würde? Waren sie wirklich bereit dazu?

Die Hand fuhr seine Jeans gegen seine Haut drückend wieder nach oben, den Daumen voran, entlang der Innenseite seines Oberschenkels, stoppte an der Kante, wo das Hosenbein in die Beckenbedeckung überging. Mit einem Moment des Zögerns bewegte sich der Daumen von seinen Genitalien weg, folgte der Kantenlinie und suchte seinen Weg über Katsuyas Seite unter sein T-Shirt. Was bedeutete er Seto? Was war er für ihn? Ein gleichberechtigter Partner? Ein naives Kind? Ein Spielzeug?

Katsuyas Rechte, die sich noch immer in die Schulter des über ihn Liegenden krallte, löste sich langsam, fiel schließlich kraftlos herab. Er wagte es auszuatmen und die Augen zu schließen. Seine Finger strichen Setos linken Oberarm hinab, der sich um seine Taille schlang und seinen Unterleib so leicht gegen den Oberen drückte. Was sie waren, das konnte man auch im Morgengrauen klären. Er hatte schon lange genug hierauf gehofft. Hatte zu lange untätig den Dingen zugesehen. Schluss damit. Wenn er Seto wollte, hatte er etwas dafür zu tun. Und er wusste ganz genau, was das war.

An der Linken, die um Setos Hals gelegt war, zog er sich in die Höhe, drückte seine Lippen hart gegen Setos, saugte sich scharf einatmend an ihnen fest. Seine Hand glitt von Setos Ellbogen seine Seite entlang zu seinem Hinterteil. Mit seinen Nägeln zog er einmal über den feinen Stoff, bevor er mit derselben Hand Setos Unterleib gegen seinen drückte, was ihn instinktiv seine Beine öffnen ließ.
 

Seto stieß einen zitternden Seufzer aus, legte sein Gewicht auf Katsuya und hob mit geschlossenen Augen seinen Kopf. Seine Lippen formten lautlos Laute und gingen seitlich neben Katsuya nieder. Die sanfte Nasenspitze stupste gegen seine Schläfe, bevor heißer Atem über sie strich und vorwitzige Zähne einen kleinen Biss in sein Ohrläppchen setzten.

Der Blonde zuckte zusammen, stöhnte fast lautlos und stieß die Luft aus seiner Lunge. Bei allen Göttern… Tag, Nacht, sein Leben für dieses Gefühl. Seine Finger krallten sich in Setos Backe.

„Mehr…“, hauchte der Jüngere und drehte seinen Kopf zur Seite.

Anscheinend gab es nichts, was Seto lieber tat als dieser Bitte nachzukommen. Seine Lippen erforschten die Haut hinter seinem Läppchen, eine Zunge strich rau seine Hinterseite entlang, bevor Zähne ihn noch einmal aufzucken ließen.

Damals in der Schule hatte er es sich zum persönlichen Ziel gemacht jeden gut aussehenden Jungen der Stufe ins Bett zu kriegen. Yamis Stimme schallte durch seine Gedanken. Katsuyas Lider schnellten wieder in die Höhe. Verdammt. Und wenn er doch nur eine weitere Eroberung war? Wollte er sich dafür wegwerfen? Er könnte sich hiermit jede Chance zerstören je gleichwertig ist Setos Augen zu sein. Obwohl… gleichwertig… Seto hasste sich. Würde er das hier wirklich tun, wenn er sich nicht sicher war? Er bedachte doch immer alle Konsequenzen. Er handelte nicht aus Affekt. Nicht bei so etwas – oder?

Die Zunge strich seinen Drehmuskel hinab, ließ ihn zusammen mit dem warmen Atem, der danach darüber strich, bevor Seto kalt darüber pustete, aufstöhnen.

„Seto…“, hauchte der Blonde mit zitternder Stimme und hob das Bein, das noch immer zwischen Setos lag.

Ein tiefes Schnurren ließ seine dünne Haut vibrieren. Setos Finger, die bis zum jetzigen Moment ruhig in Höhe seines Bauches unter seinem Shirt geweilt hatten, glitten weiter nach oben. Katsuya wimmerte leise, während der Zeigefinger seine linke Brustwarze umkreiste.

Er konnte es nicht beenden. Nicht hier. Nicht jetzt. Es war unmöglich.

Seine Hand drückte noch einmal zu, ließ Setos Becken sein Bein entlang gegen seine Seite reiben, während dessen Bein über seinen eigenen Unterleib fuhr. Wieder gelöst hob der Obere sein linkes Bein und platzierte es ebenso zwischen den beiden Katsuyas.

Manchmal musste man einfach ergreifen, was einem gegeben wurde. Nicht für alles musste man kämpfen. Einige – wenn auch wenige – Wünsche gingen einfach so in Erfüllung.

Setos Arm löste sich von seiner Taille, griff nach seiner Hand auf seinem Hintern und hob sie mit einem Umgreifen, um sie ebenfalls um den Hals des Brünetten zu legen. Die Finger, die seine Brustwarze umkreist hatten, fuhren über seinen Rücken hinten in seine Jeans, strichen seine Spalte entlang, bevor sie sich zurückzogen und sich auf die Jeans drückten, während Setos Becken eine kreisende Bewegung nach oben machte, sich hob, nach hinten wanderte, sich auf ihn zurücksenkte und wieder nach oben fuhr.

Stoß.

Stoß.

Sein linker Arm schlang sich wieder um seine Taille und scheinbar ohne viel Anstrengung lehnte Seto sich zurück und zog ihn mit sich. Instinktiv schlang Katsuya die Beine um seine Hüfte. Gesichert mit einer Hand an seinem Hintern und einem um seine Taille wurde er Richtung Treppe getragen.

Danke, Yami. Er würde es doch von heute auf morgen brauchen.
 

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P.S.: Ja, vom nächsten Kapitel wird es eine zensierte Version geben. Nein, die unzensierte Version werde ich nicht verschicken.

Nahe dem Himmel

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Nahe dem Himmel - die geschnittene Fassung

Wisst ihr, was ich wirklich verwunderlich finde? Auf ganz Animexx gibt es keine Definition, was unter "Adult" fällt ô.o Früher gab es das. Ich muss demnach meine eigenen Maßstäbe setzen.

Ich dieser Version habe ich jetzt alles rausgenommen, was mit dem Bereich "entkleideter Unterleib" zu tun hat. Es müsste also eigentlich Nicht-Adult sein - aber manchmal weiß man ja nie *anFairytalezurückdenkt*

Wenn jemand auch dieses (teilweise harte) Petting zu viel ist, kann er das Kapitel auch komplett weglassen ^.^ Um es kurz zusammenzufassen:

Die beiden haben sehr ausgiebig miteinander zu tun, Katsuya gewinnt eine Menge Selbstvertrauen, ist überzeugt, dass Seto es ernst meint, Seto schweigt und sieht ihn wenig an, am Ende schlafen beide aneinander gekuschelt ein.

Viel Spaß beim Lesen ^.^
 

P.S.: Dies sind über zehn Wordseiten im Original ^///^
 

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Katsuya genoss.

Mehr war dazu nicht zu sagen. Lippen saugten an seinen, lösten sich, saugten an anderer Stelle, Zähne bissen sanft auf, eine Zunge strich über sie, umfuhr sie, durchbrach sie. Wild tanzten ihre Zungen, drückten ihre Spitzen zusammen, glitten ab, wanderten rau die sensible Außenkante entlang, trafen sich in seinem, in Setos und irgendwie auch in ihrer beider Münder, bevor kalte Luft wieder über sie strich.

Der Blonde brauchte die Augen nicht zu öffnen, um zu wissen, wo sie sich befanden. Die Treppe hatte er anhand Setos Bewegungen spüren können. Und seine eigene Matratze konnte er mittlerweile erkennen – diese war definitiv fester. Gemessen daran, dass es zu hoch für einen Teppich und zu breit für eine Couch war, musste das hier Setos Zimmer sein – Setos Bett, um genau zu sein. Für’s erste saß er nur darauf, im Wechsel ein Bein angezogen, das andere gelöst, während der Brünette ihm die Schuhe und Socken abstreifte.

Seine Finger waren außergewöhnlich kühl, wie er bemerkte. Ungewöhnlich, dass er das unten nicht schon gemerkt hatte. Sie schienen Schlieren auf seiner Haut zu hinterlassen, als sie wieder unter sein Shirt fuhren und es noch in derselben Bewegung über seinen Kopf zogen, während er willig die Arme hob. Wo waren Setos Lippen hin? Er vermisste sie schon in der Sekunde, wo sie ihn verließen.

Aber sie taten es nicht lange. Wie auch? Setos Intention war klar. Mittlerweile hatte er genug mit Yami erlebt, um zu verstehen, was hier abging. Aber dort stoppten seine Gedanken auch. Sex. Seto um sich, an sich, in sich spüren. Spüren. Fühlen. Auf Gefühle hatte er in seinem Leben viel zu lange gewartet. Wenn Seto sie gab, nahm er sie gern und fragte nicht nach. Der Ältere wurde das mit sich ausgemacht haben. So viel Kontrolle besaß er schließlich. Es war ja bei weitem nicht so, als wäre er über ihn hergefallen. Nicht? Vergewaltigungen sahen bei weitem anders aus.

Zwei Finger setzten sich unter sein Schlüsselbein und drückten ihn nach hinten. Nach unten. Sein Rücken schmiegte sich an die Matratze. Instinktiv rückte er noch ein wenig weiter zur Seite, während sich der Brünette zusammen mit seinen Beinen ebenfalls auf das Bett legte.

Hm… da waren sie also wieder. Er unten, Seto zwischen seinen Beinen. Doch, das gefiel ihm. Es hatte etwas… Prickelndes. Was auch immer Yami heute zu ihm gesagt hatte, es hatte einen Effekt, der sich wahrlich sehen lassen konnte.

„Seto…“, seine Hand fuhr in den Haarschopf, der sich über seinen Hals befand, „Aaah…“

Verdammt, diese Zunge! Das war doch nicht normal, wie er damit umgehen konnte. Das war eine Waffe. Eine Waffe, die rau seine Haut hinauf fuhr, deren Spitze Tupfer auf ihrem Weg hinab setzte, wieder hinauf fuhr, oben einen Halbkreis machte, von hinten über sein Ohrläppchen leckte und seine Ohrmuschel entlang sein Ohr befeuchtete.

Wenn er daran dachte, was diese Zunge noch alles anstellen konnte… welche Plätze sie erreichen konnte… wie wenig Hemmung Seto zu haben schien…
 

Katsuya griff mit seiner freien Hand eine derer, die bewegungslos auf seinen Seiten weilten – was sollten sie auch da? – und zog sie zu seiner Brust hinauf. Das vorhin hatte verdammt gut getan. Und er wollte mehr. So unglaublich viel mehr. Als wäre plötzlich in ihm ein Tier erwacht, das nichts anderes wollte, als sich an Seto zu pressen, vereint zu sein, eins zu sein. Wie eine Sucht nach Nähe, eine schier unstillbare Sucht und eine Sucht, gegen die er nicht kämpfen konnte, der er kein Ende und keine Grenzen setzen konnte. Er wollte Seto. Er wollte alles. Er wollte jedes Wort, jede Geste, jeden Blick. Und genau das bekam er. Hier und jetzt.

Einen Moment nur umfuhren die Finger seine Brustwarze. Sie verharrten, halb schwebend, halb immer wieder wie zitternd auf seine Haut niederfahrend über ihr, bevor Setos Zeigefinger zu seiner Brustwarze hinab strich, direkt über sie, ganz knapp unter ihr stoppend, Kreise um den Teil zog, der sich fast schmerzhaft zusammenzog, bevor er sich auf den Knoten legte und sanft zudrückte.

„Ah!“, der Blonde schmiss seinen Kopf zur Seite und bäumte sich leicht auf. Himmel! Gottverdammter Himmel! Geräuschvoll zog er die Luft ein, rollte seine Schultern und stöhnte tief.

Oh… oh nein… nein, nein, nein… Katsuya biss auf seine Lippen, legte seinen Kopf in den Nacken, krallte seine zitternden Finger ins Laken. Oh verdammt… scheiße, fühlte sich das gut an.

Setos Zunge hatte eine Spur von seinem Hals, sein linkes Schlüsselbein hinab über sein Brustbein, die Falte seiner Brustmuskulatur entlang zu seiner Brustwarze gefunden. Sie drückte mit leichtem Druck von unten gegen die Erhebung, schnellte zurück, bevor ein kühler Hauch die befeuchtete Fläche traf und den Blonden erschauern ließ.

„Seto!“, es war mehr ein Flehen als sonst etwas. Das Gesicht verziehend, versuchte Katsuya seinen Unterleib an Setos Bauch zu reiben, doch es gelang eher kläglich. Was sollte das werden? Süße Qual? Folter?

Zähne schlossen sich um seine Warze, wie es auf der anderen Seite Nägel taten.

Hektisch fuhr Katsuyas Hand nach oben, griff das Kissen zu seiner Linken, zog es über sein Gesicht und hielt es darauf gedrückt, während er spitz aufschrie. Seto ließ nicht los. Er lockerte, biss wieder zu, lockerte. Der Blonde schaffte nichts anderes als laut aufzuschluchzen.

Das tat so verdammt gut. Warum tat das so verdammt gut? Warum fühlte er sich, als wäre er mitten auf dem Weg in den Himmel?

Setos Mittelfinger strichen wie einem Flussverlauf folgend seinen Bauch hinab, zeichneten seine Muskulatur nach, bevor sie sich knapp über seiner Jeans trafen, gemeinsam den Weg überbrückten und unter Zuhilfenahme ihrer Kameraden erst den Knopf, schließlich den Reißverschluss öffneten.

Der Himmel schien so nah…
 

Heiße, raue Lippen drückten auf seine Brustwarze, ließen seine Gesichtsmuskeln noch einmal aufs Äußerste spannen, während seine Hose ihn verließ. Sollte sie doch. Er war froh darüber. Er wollte diesen Stoff loswerden. Den, der ihn noch verhüllte, den, der Seto kleidete.

„Küss mich.“, befahl der Blonde.

Gehorsam kam Seto dem nach, löste sich mit einem letzten Lecken von Katsuyas Brust und vereinte ihre Lippen wieder miteinander. Sehr gut. Genug Platz, um sein Vorhaben zu verwirklichen. Das Kissen lag längst wieder neben dem Blonden, seine Hände waren frei, um Setos Oberkörper hinauf zu fahren und sich an seinen obersten Hemdknopf zu begeben.

Erster Knopf.

Zweiter Knopf.

Die braunen Augen versuchten an Setos Gesicht vorbei einen Blick zu erhaschen. Er wollte verdammt noch mal wissen, wie er aussah. Wie er… nackt war. Nackt wurde.

Dritter Knopf.

Vierter.

Fünfter.

Wie viel Knöpfe hatte dieses verdammte Hemd? Noch ein Knopf. Super, sieben Knöpfe. Passend für das Buch mit sieben Siegeln: Seto. Und er bekam ihn trotzdem. Auch wenn er kein Lamm war.

Die fünf Finger an jeder Hand gestreckt floss Katsuyas Wahrnehmung die straffe Brust entlang, über die Schulter und streifte das Hemd zu Setos Ellbogen hinab. Wenn er schon nichts sehen konnte, wollte er wenigstens fühlen.

Die Haut war eindeutig samtig weich. Da steckte mindestens eine gute Lotion drin beziehungsweise drauf. Ein leichter Schweißfilm überzog sie. Sie fühlte sich kalt an und glühte doch gleichzeitig. Einzigartige Haut. Seto war ein einzigartiger Mensch.

Sein Kopf fiel wieder neben Katsuya, begann die andere Seite seines Halses zu bearbeiten. Das ließ einen Blick auf… der Blonde stöhnte. Verdammt. Verdammt. Verdammt. Unter dieser Haut konnte man ja jeden Muskel einzeln arbeiten sehen. Seto war nicht nur leicht feminin angehaucht, hatte seidiges Haar und samtene Haut, er war verdammt noch mal auch noch gut trainiert. So schön durfte kein Mensch sein. Das gehörte verdammt noch mal verboten.

Oder eher… es gehörte verdammt noch mal ihm.
 

Menschen konnten aus Neid keine Schönheit ertragen, nicht wahr? Sie hassten und zerstörten das, was ihnen unerreichbar schön schien. Ungefähr so würde er seine Aktion hier erklären müssen, würde ihn jemals jemand danach fragen, warum er dies hier tat. Seine Nägel bohrten sich tief in Setos Haut hinein, hinterließen tiefe, rote Striemen auf der Alabasterschönheit.

Und Seto schnurrte dazu. Ebenso tief, wie er seine Krallen in ihn bohrte. Es war ein dunkler, voluminöser Laut, der sich da aus seiner Kehle wand. Genoss er es? Genoss er die Schmerzen? DESNOS-Patienten zeigten verstärkt sowohl sadistisch als auch masochistisches Verhalten, nicht wahr? Nun, damit konnte er leben. Zu gut, wie er feststellte. Es fühlte sich gut an ihm auf diese Weise wehzutun.

Aber er war definitiv nicht masochistisch!

„Das tat weh.“, knurrte Katsuya ob seines geschundenen Ohrs, über das Seto zur Beruhigung und Versöhnung leckte. Er hatte ihn gebissen! Richtig gebissen. Aber gut, was machte das Pochen schon, so schlimm war es nun auch nicht.

Die versöhnliche Zunge schien eine andere Aufgabe gefunden zu haben. Sie zog eine nasse, heiße Spur zu Katsuyas Adamsapfel, seine Körpermitte hinab über sein Brustbein-

„Ah!“, der Blonde drückte ein weiteres Mal sein Kreuz durch. Heilige… das war sein Bauchnabel gewesen. Sein Bauchnabel, in den Setos Zunge sich mit kreisenden Bewegungen zu bohren schien, „Hah…“, seine Brust hob sich weit, versperrte seinen Blick. Was kam, wollte er auch nicht sehen. Er wollte es spüren. Mit jedem seiner Sinne spüren.

Ein Finger hakte sich in den Bund seiner Retro, zog diese in der Mitte hinab.

[...]
 

Scheiße.

Darauf war er nun wirklich nicht vorbereitet gewesen. Ein nicht zu verachtendes Vorspiel, Analsex, multiple Orgasmen – inwieweit man die als Mann erleben konnte – aber nicht das hier! Doch er musste zugeben, es war göttlich. Als würde der Himmel in tausenden von Farben erstrahlen. Und das Rot würde sicher höchstens so gut sein wie sein Gesicht.

Ob er sich das ansehen durfte? Seto sagte nichts dazu, dass er hier wie ein Wilder stöhnte, also… durfte er das doch, oder? Schließlich wurde das hier mit seinem Körper angestellt.

Leicht hob Katsuya den Kopf, keuchte, ließ ihn wieder fallen, stöhnte tief und lang. Wenn es Szenen in seinem Leben gab, die er nie vergessen würde, diese zählte dazu. Der Anblick war einfach höllisch scharf. Er wagte einen zweiten Blick.

[...]

Verdammt. Katsuya schluckte. War das nicht… ekelhaft? Für ihn nicht, er gab es zu. Aber für… Seto? Er würde es nicht tun, wenn er es nicht mochte, oder? Der Blonde seufzte leicht. Scheiß Selbstzweifel. Aber was sollte er in dieser Situation tun?

„Ah…“, haltlos weiterstöhnen anscheinend.

[...]

„Das halte ich nicht aus…“, flüsterte der Blonde mit einem Wimmern, krallte eine Hand ins Laken, griff mit der anderen zitternd nach Setos Schopf. Was, wenn er das nicht durfte? Was, wenn er Ärger bekam?

Seine Finger fuhren zitternd in das Haar, umfassten der Hinterkopf des Älteren und übten schließlich leichten Druck auf ihn aus.

[...]
 

[...]

„Ah! Seto! Se- ah!“, ein Zittern durchlief den Blonden, ausgehend von seinen Lenden schoss es in seine Füße, in seine Hände, in seine Kehle und ließ ihn wieder schreien. Sein Rücken bog sich bedrohlich weit durch, während seine Finger sich in die Matratze bohrten. Lichter, Punkte, Farben schossen an seinen Augen vorbei. Und dann war da nichts mehr. Nur diese wunderschöne Leere, dieses unglaubliche Nichts, diese Ruhe, als befände er sich in seinem innersten Innen. Sein allerinnerstes Selbst. Seine Seele.

Sein Immer und Alles und Jedes. Es war nicht einmal ein Gefühl. Es war ein Nichts und es war so unglaublich süß, dass es fast schmerzhaft war wieder auf die Erde zu knallen. Schmerz, Hitze und Lust schlugen auf ihn ein, ebbten ab, schlugen wieder zu. Verdammt… wenn Seto sich bei so etwas fallen lassen konnte, dann konnte er es verstehen. Er konnte es schon fast zu gut verstehen.

[...]

Eines stand definitiv noch aus. Er wollte Seto dasselbe Gefühl geben. Er wollte Seto auch ein paar Momente im Nichts schweben lassen. Er wollte ihm verdammt noch mal alles geben, was er geben konnte. Und er wollte es aus reiner Selbstsucht. Denn er wollte alles haben, was Seto geben konnte. Er wollte alles. Er wollte ihn. Er wollte zum ersten Mal in seinem gottverdammten Leben Liebe haben.

Er wollte leben.
 

„Na?“, mit einer Hand fuhr er in den brünetten Schopf, während sich Seto seinen Oberkörper entlang küsste und lenkte ihn auf seinem Weg nach oben, wo er mit seiner Nasenspitze Katsuyas Schläfe entlang fuhr, „Willst du auch?“, fragte der Jüngere keck, während er seine freie Hand dazu nutzte den Gürtel von Setos Anzughose zu lösen. Er hatte seinen Vater oft genug dabei gesehen, um es selbst auch zu können. Irgendwo für musste sein Wissen ja gut sein.

Seto biss mit einem tiefen, sehnsüchtigen Seufzer zärtlich in Katsuyas Ohrläppchen, zupfte mit seinen Lippen daran und saugte sich einmal daran fest.

„Wenn ich einen Kuss und mindestens noch einen Orgasmus kriege, kannst du mich so oft nehmen, wie du willst.“, hauchte der Blonde mit heißen Atem in das Ohr neben ihm, „Aber sei zärtlich.“

Statt einer Antwort fand er sich selbst in einem wortwörtlich atemberaubenden Kuss wieder. Die Lippen saugten fast schmerzhaft an seinen, lösten sich geräuschvoll, stürzten sich erneut auf ihn, öffneten seinen Mund, sodass ihre Zunge wieder zueinander fanden, sich wild umtanzten, streichelten, liebkosten und wieder lösten. Und wieder ging eben diese Zunge auf Wanderschaft.

Katsuya seufzte tief und befriedigt, was in eine Mischung aus Knurren und Schnurren überging, während Seto einmal wieder sein Brustbein hinab fuhr, zur Seite abwich und direkten Weg über seine Brustwarze nahm. Die Zunge löste sich von ihm, setzte weiter unten wieder an, wanderte ein weiteres Mal über den sensiblen Punkt, wiederholte die Prozedur nach einmal Pusten wieder.

„Ah…“, der Blonde zog tief die Luft ein, streckte seinem Gönner den Oberkörper entgegen und räkelte sich unter den erregenden Berührungen. Das war gut. Verdammt gut. Nicht so heiß wie beim ersten Mal, aber irgendwie… noch besser. Als läge diesmal nicht nur Lust, sondern auch Zuneigung darin.

Die leicht erhärtete Warze wurde von Daumen und Zeigefinger einer von Setos Händen übernommen, während sein Mund zur anderen wechselte, auf die erst zuerst sanfte Tupfer mit der Zungenspitze setzte, schließlich aber ebenso wie bei der anderen verfuhr. Nicht, dass Katsuya das störte, ganz im Gegenteil. Das war ja schon fast vertraut – schön, um es so zu nennen. Es weckte dieselben Gefühle, die er eben schon empfunden hatte. Namentlich – „Ah!“, wie konnte Seto ihn einfach so beißen? – pure Leidenschaft. Und diese Leidenschaft war eine süße Qual.

Und wo zur Hölle kam die Tube Gleitgel her, die in Höhe seiner Hüfte auf dem Laken lag? War das hier geplant oder hatte Seto zur Vorsicht immer eine im Bett? Hm… er würde ihm beides zutrauen. Und beides auch noch mit gleicher Wahrscheinlichkeit.

Seto wechselte wieder die Seite, bearbeitete beide Brustseiten und griff mit der freien Hand nach eben jener Tube, auf der Katsuyas Blick gelegen hatte. Mit dem Daumen ließ er den Deckel aufschnappen, drückte das Gefäß und platzierte seinen Zeigefinger an dessen Öffnung, um das herausströmende Gel damit aufzufangen.

Das sah… komisch aus.
 

[...]

Oh, böser Blick, böser Blick… aber dafür hatte er die wunderschönen blauen Augen wenigstens noch einmal gesehen. Das machte das jetzt doch schmerzhafte Pochen seines Unterleibs glatt wett. Shit, das war eine verdammt bescheuerte Aktion gewesen. Keuchend versuchte Katsuya seinem Blut zu befehlen aus seinem Gesicht zu verschwinden.

Der dunkle Blick senkte sich. Ein Glück. Ein-

[...]

„Aaah… aaah… hah.“, der Blonde stieß stoßweise die Luft aus, lächelte, strich sich selbst eine Träne von der Wange. Man gewöhnte sich dran. Es war nur das erste Mal. Es schmerzte nur diesmal. Na ja… an sich schmerzte es auch nicht sehr. Aber es zog, er brannte, tief in ihm. Das war ein Gefühl, was er nicht kannte. Ein noch unange-

„Ah!“, Katsuya drückte seinen Rücken durch, krallte seine Finger in das Laken, warf den Kopf zur Seite, sackte zurück. Heilige…

„Noch mal…“, bettelte er leise.
 

[...]

Sehnsüchtig warf er einen Blick zu Setos immer noch mit Stoff bedeckten Hintern. Entweder wurde er gleich genommen oder er musste sich zwangsweise darin versenken… Katsuya fuhr mit der Zunge über seine Lippen. Gar keine schlechte Idee. Wieso sollte er unten liegen?

„Nimm mich.“, flüsterte er lockend, „Sonst nehme ich dich…“

Oh heilige… er stöhnte auf. Wie konnte Seto ihn mit diesem Augen anblicken, [...]? Wie konnte er bloß so… absolut geil aussehen? Wie konnte er ihn überhaupt so tiefgehend anblicken, [...]?

[...]

„Seto…“, der Atem des Blonden zitterte vor Erregung, „Bitte…“

Saphir traf Bernstein. Zumindest, bis Seto seinen Blick abwandte und etwas links von Katsuyas Kopf fixierte. Hm? Da war… ein Kissen? Ein kleines Kissen. Der Blonde griff danach, hielt es hoch. Anscheinend das, was der Ältere wollte. Nur wofür?

Aaah… Erkenntnis! Er hob sein Becken, ließ es unter seinen Unterleib schieben.

[...]

Katsuyas hob die Hand, streckte nur den Zeigefinger aus, knickte diesen ein, spannten ihn wieder, knickte ihn abermals ein. Mit einem Lächeln auf den Lippen und einem Funkeln in den Augen sah er Seto seinem Ruf folgen. Er wollte ihn sehen. Ganz.
 

Blaue, ausdruckslose Augen blickten auf ihn hinab, während Seto rechts und links seines Oberkörpers kniete. Der Blonde drückte seine Hände von vorne gegen dessen Knie, fuhr seine Oberschenkel hinauf, mit seinen Daumen der Naht an Setos Innenschenkeln folgend. Da ihn bei dieser Art von Hose keine Knickstelle behinderte, ließ er es sich nicht nehmen [...] Setos Herzschlag unter seinen Fingern zu verfolgen, bevor er den restlichen Weg zu dem Knopf überbrückte. Seine schnellen Finger öffneten jenen, zogen fast genüsslich den Reißverschluss hinunter. Sich über die Lippen leckend fuhr er mit der Rückseite seines rechten Zeigefingers über den sichtbaren Teil der marineblauen Boxershorts.

Seine Mittelfinger legten sich an beiden Seiten zwischen Haut und… was genau war das? Seide? Seidenunterwäsche? Egal – sie musste runter. Der Stoff folgte Katsuyas Willen, wich von dem, was er freilegen wollte…

Der Blonde zog scharf die Luft ein. Oha. Dieser Mann war schön. Komplett schön. An sich schon perfekt. Perfekt schön. [...]

Katsuya hob den Blick, blinzelte, fixierte die verschleierten blauen Augen, die ihn beobachteten. Wie immer zeigte Setos Gesicht kaum Mimik. Aber dieser Blick… der Blonde schluckte. Allein dieser Blick war Erotik pur. Sein Atem beschleunigte sich. Er verstand. Was dieser Blick ihm sagte, war das, was er nie wirklich hatte glauben wollen. Er war attraktiv. Er war verdammt noch mal begehrenswert. In diesen Augen stand nichts als pure Lust.

Machte sich sein Körper hier gerade selbstständig? Er [...] spürte seine Zunge lasziv über seine Lippen fahren, seine Lider und seinen Kopf sich senken, während er den Blick nicht von den Saphiren nahm.

Seto schloss die Augen, öffnete die Lippen und atmete tief durch. Oho… schien den Guten doch nicht alles so kalt zu lassen, wie seine Züge vermitteln wollten. Aber…

Katsuya stöhnte. Himmel… müsste Seto seinen Brustkorb zum Einatmen so heben? Wieso zur Hölle war ein Typ, der seine Zeit mit Unterricht und Büchern verbrachte, so verdammt gut durchtrainiert? Da war er ein Klappergestell gegen! Er wollte auch solche Muskeln.

„Mir fehlt da etwas…“, hauchte der Blonde mit tiefer Stimme und erhaschte so die Aufmerksamkeit der blauen Augen hinter spaltbreit geöffneten Lidern, „Da unten…“, er zeigte mit einem Wimpernaufschlag auf seinem Unterleib, „Gib’s mir wieder.“

Seto zog die Luft scharf ein, öffnete den Mund und die Lider, hielt inne, atmete über den Rachen wieder aus, ließ seinen Blick zu Katsuyas Händen wandern [...] und wieder zurück. Oh, da hatte er etwas geweckt… Seto fuhr sich langsam, bedächtig selbst mit der Zunge über die Lippen, rückte zurück, zog dabei die Kleidung vollständig aus [...].

Na, Seto… gute Aussicht?

Die Lider schlossen sich erneut, als sich der Ältere einige Zentimeter vor seinem Gesicht befand, bevor ihrer beider Lippen sich trafen. [...]
 

[...]

Seto rieb sanft mit seiner Wange an seiner, massierte mit seinen kühlen Atem Katsuyas erhitzte Haut und stupste dabei mit seiner Nasenspitze immer wieder das geschundene Ohrläppchen an.

„Seto… hah… hah…“, alle Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf seine Mitte, auf die er unglaubwürdig eine Hand legte, die er unter Setos Bauch hindurch quetschte. Da war nichts. [...]

„Ich hätte nie gedacht…“, flüsterte der Blonde, unterbrach sich durch ein Keuchen, strich mit einer Hand seine Haare zurück und legte die andere auf Setos Rücken, „…dass sich das so gut anfühlen würde…“, der Obere biss ihm zärtlich in die Schulter, „So… ah… verdammt gut…“, ihre Lippen fanden und saugten einander, pressten sich aufeinander, wobei sie ihren heißen Atem austauschten, bis sie sich ob Luftmangels wieder trennten, „Bekomme ich mehr davon?“

Seto hob den rechten Arm, wodurch der, der auf seinem Rücken gelegen hatte, zur Seite rutschte. Ihre Finger verflochten sich ineinander, bevor der Ältere sich aufrichtete, die Hand zu seinen Lippen führte, küsste, neben dem Blonden fallen ließ und seine nun freien Arme zur Stabilisierung Katsuyas Unterleib verwendete.
 

[...]

Himmel… Hölle… was auch immer es war, es war absolut überwältigend. Die zweite Welle wundervoller Gefühle fuhr über ihn, ebbte wieder ab, durchlief ihn noch ein drittes Mal, wenn auch gedämpfter. Es war wie ein ganz kleines Stück Paradies. Es war… phänomenal.

[...]

Blau unter zusammen gezogenen Brauen traf willensstarkes Braun.

„Der Deal war, dass du mich so oft und so lange nehmen kannst, wie du willst.“, erinnerte der Jüngere ihn, „Das steht auch weiterhin.“

Setos Gesichtszüge glätteten sich. Tief einatmend senkte sich sein Blick, fuhr die Konturen Katsuyas Oberkörper damit nach und atmete wieder aus. Blau in Braun. Braun in Blau. Die Hand fuhr zurück an seine Seite, der andere Arm platzierte sich links von seinem blonden Schopf.

[...]
 

[...]

Wie viel tat er eigentlich noch nebenher, von dem Katsuya nichts mitbekam? Und wohin war die Tube Gleitcreme verschwunden? Hatte das Bett einen doppelten Boden oder was? Bizarr wie immer, wie könnte es anders sein.

Seto, der neben ihm den Kopf bereits auf ein Kissen gelegt hatte, schloss die Augen und strich mit seiner Hand sanft über Katsuyas Seite, nachdem sich dieser halb seitlich, halb auf dem Bauch liegend an ihn gekuschelt hatte. Setos Schulter war auf jeden Fall ein sehr bequemes Plätzchen. Es war warm und weich und… so Seto halt. Sein Geruch, seine Wärme, ein Hauch seines Aftershaves, das noch immer duftete, wenn auch sehr dezent.

Die Decke wurde von dem Brünetten über sie beide gezogen. So schlafen? Gern, sehr gern. Der Jüngere seufzte glücklich. Anbei… sollte nicht einer von ihnen noch das Licht ausmachen? Vorwitzig öffnete er ein Augenlid, betrachtete kurz das entspannte Gesicht. Vielleicht schlief Seto mit Licht? Konnte ja sein. Warum auch nicht? Sollte er doch. Katsuya war das egal.

Sein Blick wanderte kurz über alles, was er aus dieser Perspektive erreichen konnte, bevor das Lid wieder herab gezogen wurde. Morgen würde er auf jeden Fall Lüften. Und duschen… vielleicht mit Seto? Mal schauen, was er jetzt alles mit sich machen ließ.

Katsuya lächelte.

Spätestens jetzt würde alles besser werden. Seto war bei ihm. Mit Körper, Geist und Seele. Sie waren in allem verbunden.

Alles würde gut werden.

Everything

Ferien! *jubel* Und meine Aufgaben und Treffen in dieser Zeit haben sich rapide verringert, was heißt: Mehr Zeit zum Schreiben ^.- Gemessen daran, dass für mich bei meiner derzeitigen bereits geschriebenen Kapitelanzahl nur noch 9 Kapitel fehlen (!!!), könnte ich DS glatt noch in den Ferien fertig stellen ô.o Erschreckender Fakt... aber mindestens in drei Wochen bin ich fertig... nun, egal, ihr kriegt noch einige Wochen mehr Kapitel, sodass ihr noch länger etwas davon habt ^.^

Viel Spaß erstmal mit dem Wendepunkt:
 

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Katsuya rollte mit den Schultern, hob die Arme, streckte sich und kuschelte sich zurück in die Decke. Er fühlte sich prächtig! Einfach prächtig! Blinzelnd schlug er die Augen auf.

Oh… Sonnenlicht… seine Augenbrauen zogen sich zusammen, die Lider schlossen sich wieder, während er sich gähnend streckte. Ein weiterer Versuch des Aufwachens – erfolgreich. Der Blonde ließ seinen Blick durch das Zimmer streifen.

Seto war nicht da. Hieß, dass er entweder Frühstück machte, arbeitete, einen Termin hatte – was für einen Sonntagmorgen sehr ungewöhnlich wäre – oder Katsuya hemmungslos verschlafen hatte. Was jenem allerdings ziemlich egal gewesen wäre – es war Sonntag, also bitte. Wenigstens einen Tag der Woche sollte man machen dürfen, was man wollte und auch mal daran denken, dass das Leben nicht nur aus Leistung bestand.

Hm… Seto hatte ihn allein in seinem Zimmer gelassen… das konnte man doch nur als Einladung nehmen frei mal ein bisschen in seinen Sachen zu schnüffeln, nicht? Die von Bakura vermutete Kettensäge im Schrank würde er ja wahrscheinlich nicht finden. Lächelnd schwang sich der Blonde aus dem Bett, zog die Luft scharf ein und erstarrte – heilige…

„Au…“, er warf einen Blick zu seinem Hintern. An sich tat es nicht weh… aber irgendwie… es war, als hätte sich etwas verzogen. Nebst der Tatsache, dass er eine Art Muskelkater im Anusring hatte. Kein schönes Gefühl… aber gut, gehörte wohl dazu. Dafür wurde er die letzte Nacht ganz sicher nicht bereuen. „Gemeinheit…“, nörgelte der Blonde trotzdem.

Der leichte Schmerz war nicht das einzige, was er zu bemerken hatte – er stank. Er stank nach sich selbst und roch stark nach Seto. So schön Zweiteres auch war, Ersteres war unerträglich. Bevor er das Zimmer mal auf den Kopf stellte, würde er duschen.

Anscheinend auch ohne Seto… wie er an dem feuchten Handtuch im Bad feststellen konnte. Irgendwie verwirrend – sein Bad war eine Tür weiter. Aber er hatte sich schon sehr an sein Zimmer gewöhnt. Eine Umgewöhnung stand mal wieder an, wie es aussah. Oder wollte Seto lieber allein schlafen? Na ja, alles Zeugs, was man noch klären musste. Oh, er hatte seine Uhr noch an! Hatte er die die ganze Nacht getragen? Hm… Seto hatte nichts gesagt. Es- der Blonde stutzte. Sieben Uhr vierzehn? Er war jetzt wach? Und Seto schon länger? Er mutierte noch zum Frühaufsteher, wenn das so weiterging…

„Hmmm…“, genüsslich fuhr der unter der Dusche Stehende über seine nackte Haut. Hier hatte Seto ihn berührt. Und hier. Und… seine Hand sank hinab. Oh ja. Da ganz besonders. Hände, Lippen, Zunge, Nase, Unterleib… im Nachhinein betrachtet… war es ja schon ein bisschen peinlich… ob er sich gestern gut angestellt hatte? Irgendwie hatte Seto das Gefühl vermittelt, dass er tun konnte, was er wollte. Und das hatte er wohl auch. Aber jetzt… die Röte suchte ihren Weg auf Katsuyas Wangen. Es war nur zu gut verständlich, dass man sich dabei verlieren konnte. Dass man seine Hemmungen ablegte und frei sagte und tat, was man wollte… zumindest er. Und Seto nach Yamis Erzählungen auch. Obwohl er sich gestern sehr eingeschränkt hatte, oder? Er hatte sich vollkommen Katsuyas Bedürfnissen angepasst. Sex war wahrscheinlich auch ein Thema, über das man sprechen musste.

Und sie müssten ihre Beziehung vielleicht überhaupt mal definieren. Was erwartete Seto eigentlich so? Was für Vorstellungen hatte er? Was sollte aus ihnen werden? Was waren sie?

Der Blonde seufzte. Es gab so einiges zu klären.
 

Das musste Mokuba sein…

Der Blonde beugte sich vor und betrachtete das eingerahmte Foto auf der Kommode näher. Ja, doch, an die schwarzen Haare konnte sogar er sich erinnern. War ja ein ganz schöner Wuschelkopf gewesen. Und schlug nach dem Vater – schwarze Haare, schwarze Augen, helle Haut. Zumindest dürfte ihr Vater so ausgesehen haben, wenn die Mutter eine blauäugige Französin gewesen war. Oder?

Auch egal. Setos Familie war tot. Und sehr wahrscheinlich wollte er auch nicht übermäßig darauf angesprochen werden. Was war hier noch? Setos Kleiderschrank hatte er schon durchgesehen, fast nur Anzüge, Trainingskleidung und ein paar Jeans. Leder- und Turnschuhe und – wie war es anders zu erwarten? – jede Menge Mäntel. Hier in der Kommode war Unterwäsche gewesen. Oben drauf nichts als einige Bilder von Mokuba. Setos Bücher und ähnliches waren im Arbeitszimmer, das wusste Katsuya, aber… gab es keine Erinnerungsstücke? Kuscheltiere, Bilder – halt, Seto hatte gesagt, er besaß keine Bilder von sich als Kind. Was besaß er überhaupt noch von früher? Nichts außer dem, was er ab seinem sechzehnten Lebensjahr gesammelt hatte, wahrscheinlich… die Bilder von Mokuba zeigten auch restlos einen Vorpubertären. Anscheinend waren es die einzigen, die Seto überhaupt hatte…

Katsuya seufzte. Dieses Zimmer brauchte mehr Leben. Mehr Erinnerungen.

Er öffnete die Schublade des Nachttisches. Aha… seine Augenbraue hob sich. Das klärte doch einige Fragen. Wo Sachen herkamen und wohin sie wieder verschwanden. Definitiv war das hier Setos kleines Beischlaflager. Ob er früher öfter Männer hier gehabt hatte? Prostituierte? Der braune Blick fiel auch das Bett. Wie viele Menschen hatte er darin schon genommen?

Einmal tief durchatmend schloss der Blonde die Schublade wieder. Wenn Seto wirklich Frühstück machte, brauchte er auffällig lange… sein Blick richtete sich wieder auf das Bett. Und wenn… wenn es Kaiba nun nichts bedeutet hatte? Wenn er wirklich nur einer von vielen gewesen war? Katsuya biss auf seine Unterlippe. Verdammt…

Seto blieb der liebevolle, sanfte, freundliche Seto. Aber damit blieb er gleichzeitig der kranke, von Nervenzusammenbrüchen geplagte Seto. Der Seto, der sich hasste, der Angst vor jeder Art von Verletzung hatte, der Menschen von sich stieß, weil sie ihn verlassen konnten. Weil er zu tief verletzt war, um Vertrauen zu schenken. Seto hatte ihn sehr, sehr nahe an sich heran gelassen. Und gestern Nacht näher als je zuvor. War das wirklich geplant gewesen? Hatte Seto das wirklich bis zu Ende durchgedacht?
 

Er sollte sich nicht verrückt machen, verdammt. Er musste Seto vertrauen. Wenn er aus Angst vor Zurückweisung sich auch zurückzog, würden sie niemals vorankommen. Seto hatte einen riesigen Schritt auf ihn zu gemacht – was brachte es ihn dafür anzuzweifeln?

Ehrlich, er drehte auch ein bisschen ab. Natürlich war er unsicher, das war legitim, aber sie konnten das klären. Seto war ein Mensch, mit dem man über Probleme reden konnte. Selbst wenn er es bereute – sie könnten das miteinander ausmachen.

War ja nicht so als sei Seto… Seto… Katsuya schluckte. Seto war ein Mensch, der seine Probleme auch damit lösen konnte sie restlos auszuradieren. Indem er das vernichtete, was sein Problem war. Er hatte wissentlich seinen Adoptivvater in den Selbstmord getrieben. Er hatte in seiner Unsicherheit, wie er mit Katsuya umgehen sollte, diesen mit seinen Worten beinahe in den Selbstmord getrieben. Um an seine fast unschlagbaren Karten zu kommen, hatte er Firmen zerstört und Leute in den Selbstmord getrieben.

Wenn Seto es wirklich bereute, dann konnte ihre Begegnung auch ganz, ganz anders ausfallen. Vielleicht war ein wenig natürliches Misstrauen doch angebracht… er musste nur ein bisschen mehr aufpassen, dass er nicht umgebracht wurde, ja? Der Blonde stützte sich am Bettpfosten. Scheiße… war ihm eigentlich wirklich klar gewesen, auf was er sich da einließ?

Andererseits: Seto hatte gestern Abend auch das Schlimmste gedacht, wovon nichts auch nur annähernd eingetroffen war. Und jetzt malte er sich hier den schlimmsten Fall aus. Wahrscheinlich übertrieb er nur.

Aber…

Katsuyas Blick fiel auf den zweiten Nachttisch.

Und wenn er etwas Ungewöhnliches entdeckte? Dann renne, so hatte Bakura gesagt. Aber Vertrauen war doch eine Vorraussetzung für jede Beziehung, oder? Der Blonde schüttelte den Kopf.

Irgendetwas lief hier falsch. Sehr falsch. Er zog bei Seto ein, sie kamen sich immer näher, vertrauten einander ihre Geheimnisse an, kamen sich seelisch näher, körperlich, schliefen miteinander… das lief ein bisschen zu einfach, oder? Mit jedem anderen, ja, aber Seto…

Katsuya sah seiner zitternden Hand zu, wie sie nach der Schublade des zweiten Nachttischs griff. Er musste wenigstens ausschließen, dass Seto auch noch psychopathisch veranlagt war. Verbalsadistisch, ja, physisch sadistisch, vielleicht, forciert sadistisch…

Verwirrt blinzelnd hob der Braunäugige einen Stapel Papier aus der Lade, drehte es in der Hand and sah auf ein farbiges Bild. Darauf war eine junge Frau, sie lächelte einem entgegen. Sie stand genau frontal. Um sie waren Bäume und anscheinend war es Nacht. Alles Sichtbare wurde erleuchtet von einem Scheinwerfer, der von vor dem Bild zu kommen schien. Eine Schneise bis zum Horizont zog sich durch den Wald, aufgeschüttet mit kleinen, grauen Steinen. Die Frau stand auf Schienen. Und handschriftlich stand unter dem Bild:

Wenn du glaubst, es geht nicht mehr,

kommt von irgendwo ein Lichtlein her
 

Katsuya schluckte.

O… ha…

Wie würde es Yami nennen? Makaber? Woher hatte Seto so etwas?

Er legte das Blatt zur Seite und sah auf zwei Schwarz-Weiß-Fotos, die anscheinend per Drucker auf Papier gebracht worden waren. Sie zeigten… das eine war Michael Jackson, oder? Und auf dem anderen war ein kleiner Junge, über dessen Augen ein schwarzer Balken eingefügt worden war. Wieder eine Handschrift:

Kleiner, in dir steckt ein ganz großer Star

Der Blonde zog die Augenbrauen zusammen. Was hatte das zu bedeuten? Kopfschüttelnd legte er es nieder. Wahrscheinlich musste man dafür mehr über den Mann wissen.

Noch ein Bild? Wieder farbig. Was war das hier für eine Sammlung? Und was war das für ein Bild? Farbstriche in Gelb, Rot, Grün und Orange und einem Mal Grau, die auf einen Mittelpunkte zuliefen. Handschrift:

Mehr Speed.

Hm… entweder ging es um einen Rennfahrer oder einem sehr harten Drogenexzess. Katsuya seufzte. Was war hier noch dabei?

Oh, das nächste war ein Gedicht. Ausgedruckt. Aber Titel oder Autor standen nicht dabei… Katsuya begab sich ans Lesen:

Ich wollte Nähe und bekam die Flasche

Ich wollte Eltern und bekam Spielzeug

Ich wollte reden und bekam ein Buch

Ich wollte lernen und bekam Zeugnisse

Ich wollte denken und bekam Wissen

Ich wollte frei sein und bekam Disziplin

Ich wollte Liebe und bekam Moral

Ich wollte einen Beruf und bekam einen Job

Ich wollte Glück und bekam Geld

Ich wollte Freiheit und bekam ein Auto

Ich wollte einen Sinn und bekam eine Karriere

Ich wollte Hoffnung und bekam Angst

Ich wollte ändern und erhielt Mitleid

Ich wollte Leben…

Der Blonde schluckte. Irgendetwas lief hier falsch. Irgendetwas lief hier ganz grässlich falsch. Diese Blätter waren Zeugnisse von zerrütteten Psychen. Er sah sich die vorherigen Blätter noch einmal an. Das mit Michael Jackson...

Er würgte. Verdammt. Er verstand… es ging hier um Kindesmisshandlungen. Das waren Zeugnisse von misshandelten Kindern. Und den Auswirkungen dieser Misshandlung: Selbstmord, Sucht und eigene Misshandlung von Mitmenschen. Und was immer die Blätter zeigen mochten, die er unangesehen zurück in die Schublade legte.

Er wandte den Blick zur Tür. Seto war sicherlich unten. Er griff nach der Hose, die auf dem Boden lag, zog sein Handy heraus und steckte es in die Tasche derer, die er trug.

Er sollte definitiv jetzt herunter gehen.

Und sich auf das Schlimmste gefasst machen.
 

Wenn man erwartete verletzt zu werden, sollte man seine Abwehrmechanismen schon mal hochfahren. Wie als würde man ein zu langsames Programm starten. Katsuya wurde die Bedeutung dieser Worte gewahr – der Weg die Treppe hinab brachte eine Taubheit über ihn, die seinen letzten Funken Gefühl mit Grauen füllte.

Er ging seinem Geliebten guten Morgen zu sagen und nur aus seiner Vermutung, dass das unschön ablaufen könnte, setzte ein Mechanismus ein, der es ihm unmöglich machte seine Umwelt und sich emotional wahrzunehmen? Es schüttelte seinen Funken Gefühl – bevor auch dieser verlosch. Sein letzter aktiver Gedanke war, dass es genau dasselbe war, wie das Erleben zu seinem Vater zu kommen und zu wissen, dass er vielleicht nicht lebend wiederkam. Und dass genau dieses das Erleben war, dass Seto in einer weit, weit schwereren Form hatte.

Der Brünette saß in der Küche, am Ende des Tisches, an der der Tür entgegen gesetzten Seite. Die Hände verschränkt auf dem Tisch liegend, eine Tasse mit nicht dampfenden Kaffee vor sich, das Kinn auf die Brust gesunken, die Haare ins Gesicht fallend sah er nicht einmal auf, als der Jüngere zwei Schritte in den Raum trat und ihm gegenüber am anderen Ende des Tisches stehen blieb.

Schuld.

Ein Stich durchfuhr die Taubheit, die Katsuya in sich einhüllte.

Diese Gestalt, die dort in sich zusammengesunken herumlungerte, schrie nach Vergebung.

„Seto…“, der Blonde versuchte so viel Sehnsucht und Sanftheit, wie ihm möglich war, in seine Stimme zu legen – was nicht gerade viel war.

Hasste er sich für das, was er getan hatte? Warum? Katsuya hatte Wut erwartet – und wurde konfrontiert mit Scham und Schuld. Oder war es… Reue? Warum sollte er das fühlen? Dachte er ihn ihn verletzt zu haben? Oder…

Der junge Mann schluckte.

Wusste er, dass er ihn noch verletzen würde? War er letztendlich doch nur ein Spielzeug für Seto gewesen? Hatte ihm die letzte Nacht gezeigt, dass da nichts war? Hatte der Ältere auch bei ihm nicht gewusst, was die Gefühle waren, die er fühlte? War die letzte Nacht nur ein Versuch gewesen? War ihm jetzt klar, was er fühlte? War es nur eine Hassliebe gewesen, die sich jetzt als Hass bewahrheitete?

Die Gestalt verschwamm vor den braunen Augen. Verdammt… er sollte die Worte wenigstens mit Würde annehmen. Er war kein Hund. Er lief nicht zurück, obwohl er geschlagen wurde. Er war ein Sturm. So etwas konnte ihn nicht verletzen.

Es durfte ihn nicht verletzen.

Seto durfte nicht…

Es blitzte auf der blauen Iris, während eben jener den Kopf hoch. Setos Pupillen waren auf ein Kleinstel zusammen gezogen. Unmittelbar über und unter ihnen lagen die Lider, die den Augen, die unter ihnen bebten, nur ein Spalt ließen. Setos Gesicht war von der Verspannung verzerrt. Aus ihm sprach nur eins: Abgrundtiefe Abscheu.

Zerbrochen

Ich muss einmal kurz Bezug auf mein letztes Vorwort nehmen: Dass ich noch ca. 9 Kapitel schreiben muss, heißt nicht, dass es nur noch 9 Kapitel gibt. Ich bin dem Hochladestatus weit vorraus.

Und nun viel Spaß beim Lesen ^.^

Ach ja: WARNUNG! Dieses Kapitel ist stark DARK!
 

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„Raus.“

Setos Lippen hatten das Wort nur geformt, doch seine Bedeutung war unmissverständlich.

Katsuya sollte verschwinden. Er sollte seine Sachen nehmen und verschwinden. Genau so plötzlich wie er in Setos Leben gekommen war, sollte er auch wieder verschwinden. Verschwinden. Sich einfach ins Nichts auflösen, als wäre nie etwas gewesen. Als wäre ihre Begegnung nie geschehen. Als wäre er niemand. Nicht bedeutungslos – als wäre er einfach gar nichts. Nicht einmal bedeutungslos. Einfach nicht existent.

Katsuya spürte seinen Kopf von einer zur anderen Seite schwenken.

Nichts.

Nichts.

Nichts.

Niemand - sein Vater hatte ihm gewährt ein Stück Scheiße zu sein. Seto gestand ihm das nicht zu. Für Seto war er ein Nichts. Er würde gehen und nichts zurücklassen. Er würde ausgelöscht sein. Gelöscht aus Setos Erinnerungen, verdrängt in das endlose Nichts abertausender Gedanken, die sich in den Sand der Zeit verliefen.

Ein Nichts.

Tränen rannen Katsuyas Wangen hinab.

Wusste Seto, was er da forderte? Wusste er, was er ihm antat? Er forderte ihn auf sich selbst zu eliminieren. Er forderte nicht seine Tränen. Er forderte nicht sein Blut. Er forderte nicht seinen Tod. Er forderte, dass Katsuya nie existiert hatte. Und er gab ihm nicht einmal die Gnade es selbst zu tun.

Katsuya hatte erwartet, dass er von einer Nacht nichts erwarten durfte. Es war kein Versprechen gewesen ihn ewig zu lieben. Es war nicht einmal eins, dass sich etwas zum Positiven verbessern würde. Das war ihm klar gewesen auf der Treppe. Versprechen waren etwas, woran man sich halten musste und somit konnte er von Seto nicht erwarten eins zu geben – so dachte er auf der Treppe. Aber im Endeffekt war er so naiv, wie Yami ihm bereits gesagt hatte. Seto vertraute nicht. Wieso sollte er ihm vertrauen? Wieso sollte er darauf vertrauen, dass Seto seine Versprechen hielt? Wieso hatte er darauf vertrauen sollen, dass Seto ihn nicht fortschickte? Warum?

Die Lider glitten langsam zurück, bevor ihre äußeren Enden in die Höhe zuckten und sich die Brauen über die strahlend blauen Augen senkten. Aus der Schuld war Abscheu geworden. Aus der Abscheu Hass.

„Raus.“, zischte er, das R dabei rollend. Nicht, als wäre es gewollt gewesen. Eher wie mordlustiges Tier, das seiner Kehle freien Lauf gewährte. Als würde Seto nur darauf warten ein definitiv tödliches Monster von der Leine zu lassen.

Katsuya zog den Kopf ein, die Schulter vor und die Arme vor seine Brust. Er sollte gehen. Er sollte jetzt und sofort gehen. Der Atem, den er ausstieß, war zittrig. Er sollte – aber er konnte nicht.

Kaiba schnellte von seinem Stuhl, stand nicht eine Sekunde später vor dem Blonden, den Arm auf die Tür gerichtet und schrie: „RAUS!“
 

Er wollte weglaufen. Er wollte rennen und sich verstecken. Er wollte sich zu einer Kugel zusammenrollen und weinen. Er wollte so weit weg wie möglich.

Und doch blieb er stehen.

Eine große Hand griff seinen Kragen, der Unterarm dazu stemmte sich gegen sein Brustbein, während er an seinem Shirt zu Seto gerissen wurde und sich mit einem Schritt nach vorne abfangen musste.

„Verschwinde.“, der hasserfüllte Blick bohrte sich in seine vor Entsetzen geweiteten Augen, „Oder ich werde dir Schmerzen zufügen, die nicht einmal du je gespürt hast.“, erklärte der Brünette mit betont ruhiger Stimme.

Die Drohung war vollkommen ernst gemeint, das war Katsuya klar. Es waren dieselben Worte, die sein Vater einst gesprochen hatte. Dieselben Worte – nur ohne dass er damals eine weit reichende Vorgeschichte schwerster Gewalt hinter sich hatte. Damals waren es Kleiderbügel, Toilettenbürsten und Fernsehbedienungen gewesen. Diesmal hatte er endlose Prügeleien, Gürtel und Schlageisen hinter sich. Er traute Seto zu etwas Schmerzhafteres zu finden.

Kaiba war intelligent. Intelligente Menschen konnten eine unglaubliche Phantasie haben. Sie konnten jeden Gegenstand in einer Folterwaffe umwandeln, dessen war Katsuya sicher. Und mit ihren Händen konnten sie die Punkte des Körpers treffen, von denen ihr Kopf wusste, dass sie grausame Schmerzen verursachen konnten.

Der Ältere schmiss ihn zur Seite, ließ sein Shirt los, sodass Katsuya rückwärts taumelte, mit den beiden nach hinten schlagenden Armen den Türrahmen der Küche erwischend. Mit rasendem Atem starrte der Blonde den Größeren an.

Kaiba würde ihn umbringen.

Noch hatte er die Chance zu rennen.

Aber er konnte nicht.

Die blauen Augen zeigte keine Gnade, während der Ältere mit zwei Schritten auf ihn zutrat.

Es dauerte nur Sekunden.

Die offene Hand schlug gegen seine Wange, die Finger krallten sich in sein Haar, rissen seinen Kopf mit sich, direkt auf den Türrahmen zu. Das Geräusch des knackenden Schädels war das Letzte, dass Katsuya mitbekam.
 

Der Blonde reagierte reflexartig. Er rollte sich zu Seite, auf einen Arm stützend, obwohl das seine Sicht zu einem endlosen Schwarz werden ließ. Aber sein Körper handelte von selbst, würgte von selbst, stieß seinen kompletten Mageninhalt von selbst aus.

Katsuya sah der stechend riechenden Flüssigkeit hinterher, die gegen die Wandverkleidung und eine Seite des Türrahmens der Küche lief, um die er gekrümmt lag. Er spürte, wie seine Jeansjacke einen Teil von ihr aufsaugte, da der ihn stützende Arm mitten in ihr auf dem Boden lag. Mit dem anderen Ärmel wischte er seinen Mund ab.

Er lebte.

Und der Schmerz schien so heftig zu sein, dass er ihn nicht mehr spürte. Das einzige, was er wirklich fühlte, war, wie tausende von Nadeln in sein Gehirn zu schießen schienen und wie sich seine Jacke voll saugte. Und er hörte schwach eine Tür sich leise schließen.

Kaiba war oben.

Er würde wiederkommen. Mit etwas viel, viel Schmerzhafterem als dem hier. Etwas, was er spüren würde. Er musste weg. Er musste sofort hier raus.

Doch sein Körper gehorchte nicht mehr.

Nicht, weil er vor Angst gelähmt war, sondern weil er es einfach nicht konnte. Das war mindestens eine Gehirnerschütterung. Das Gefühl kannte er. Bald würde der wirklich harte Schmerz über ihm hereinbrechen. Bis dahin sollte er raus sein…

„Ah…“, Katsuyas Kehle fügte seiner Aussage Würgeräusche hinzu.

Scheiße… er würde nicht lange durchhalten… er sollte sich irgendwo ruhig hinsetzen, die Augen schließen und warten, dass sich alles wieder stabilisierte. Aber er konnte nicht hier bleiben.

Beide Hände an der Klinke der Haustür zog er sich in die Höhe, löste eine von ihnen um sein Bein in eine Position zu bringen, in der er stehen konnte. Die Lider fest zusammenpressend zog er sich weiter. Die Übelkeit pochte in ihm wie der Schmerz in seinem Kopf. Sein Magen schien sich von innen nach außen stülpen zu wollen, während seine Hirnmasse durch eine Säure langsam, aber sicher zersetzt wurde. Zumindest fühlte es sich so an. Und es stank bis zu ihm… um es genau zu nehmen, stank er.

Mit den Schultern an der Tür lehnend, zog er seine Jacke aus, wischte sich mit ihr den Mund ab, knüllte die stinkenden Teile in die Mitte der Stoffkugel, die er gegen seine Lippen presste, legte seine Rechte an die Klinke, drehte sich auf sie stützend zur Tür und drückte sie hinab. Die Tür öffnete sich ein Stück.

Katsuya zögerte. Halt. Nicht in Panik verfallen. Rational bleiben. Er durfte nicht in Panik verfallen. Er lauschte. Im Haus war es vollkommen ruhig. Er hatte sicherlich einige Minuten bis zur Tür gebraucht… und es war ruhig. Seto war oben. Und er war oben geblieben.

Katsuya wandte sich langsam um und fixierte den Treppenabsatz.

Kaiba wollte nicht ihn umbringen.

Dann wäre er zum einen nicht oben und zum anderen nicht oben geblieben. Was also- die Lider des Blonden weiteten sich. Scheiße… es ging nicht um ihn…

Er wollte sich umbringen.
 

„Verdammt…“, zischte er, krallte seine Nägel in das Holzgeländer der Treppe und zog sich weiter. Konnte sein scheiß Kopf sich mal endlich beruhigen, verdammt? Scheiße! Katsuya versuchte eine weitere Welle der Übelkeit durch stetiges Atmen zu unterdrücken.

Langsam. Ruhig. Ein Schritt nach dem anderen. Der junge Mann kniff die Augen zu. Verfluchte… wie sollte er ruhig bleiben, wenn Seto vielleicht tot war, wenn er oben ankam? In dem guten Wissen Schuld zu sein ihn nicht gerettet zu haben? Er würde ihm wirklich Schmerzen zufügen, die Katsuya nie gespürt hatte – Schuldgefühle und Selbsthass für den Rest seines gottverdammten Lebens. Warum funktionierte dieser scheiß Körper nicht?

Die Zähne zusammenbeißend fixierte der Blonde das sich nahende Treppenende. Gleich war er oben. Nur noch ein paar Schritte. Wo sollte er Seto suchen? Welche Tür hatte er genommen? Mit höchster Wahrscheinlichkeit die, die abgeschlossen war. Müsste er raten, würde er das Badezimmer nehmen. Da war nicht nur ein Schrank voller Psychopharmaka, Schlaftabletten und Schmerzmittel, da waren auch Rasierklingen, Handtücher und eine sehr stabile Duschwand, das Duschkabel, die Badewanne, sicher auch ein Elektrogerät, vielleicht Plastiktüten, Reinigungsmittel, Säuren und andere Chemikalien… Badezimmer boten extrem viele Möglichkeiten.

Abgeschlossen. Wie er gedacht hatte. Katsuya sank in die Knie, beide Hände an der Klinke und atmete durch. Unter normalen Bedingungen hätte er die Tür problemlos öffnen können, indem er sie einbrach. Katsuya klopfte sie ab. Oder auch nicht… wer nahm massive Holztüren als Badezimmertür? Wie sah das Schloss aus?

Heilige… der Blonde stieß einen Fluch aus. Kaiba wusste seine Umwelt effektiv auszusperren. Das war ein Türschloss. Warum war ihm das nie aufgefallen? Warum hatte er nicht darauf geachtet? Er hätte es ahnen müssen.

„Seto… mach auf…“, bat der Blonde, wissend, dass der andere ihn hören konnte.

Das konnte er so was von vergessen. Kein Mensch, der sich umbringen wollte, öffnete die Tür, um gerettet zu werden.

„Seto… bitte, tu es nicht…“, Katsuya hörte seine eigene Stimme durch ein Schluchzen unterbrechen. Scheiße. Nicht in Panik verfallen! Rational bleiben. Immer rational bleiben. Er musste diese Tür aufkriegen. Er brauchte einen Schlüsseldienst. Nein, er brauchte…

Entsetzt richteten die Augen sich auf das Holz.
 

„Ryou Bakura, guten Tag?“

„Ryou, gib’ mir sofort deinen Bruder!“, schrie der Blonde schon fast sein Handy an.

„Äh… was… ? Okay… Bakura? Katsuya für dich.“

„Was ist, Floh-“

„Schieb deinen Arsch hier rüber und das sofort!“, unterbrach Katsuya ihn noch im selben Moment, „Seto hat sich eingesperrt und bringt sich sehr wahrscheinlich grad’ um, also mach’ hinne!“

„Wo wohnt ihr?“, fragte der Andere nach, die Stimme eiskalt, aber ernst.

„In-“, der Braunäugige atmete ein, aus, ein… wo zur Hölle wohnten sie? Scheiße! Nicht jetzt! Er konnte keine Dissos gebrauchen! Die Adresse schoss ihm in die Gedanken und er gab sie durch.

„Rufe einen Krankenwagen und einen Psychiater.“, meinte der Ältere, bevor das Gespräch zu einem monotonen Tuten verebbte, das sein Gerät nur Sekunden später von selbst beendete.

Die Hand mit dem Handy fiel wie tot herab, das Gerät rutschte aus seinen Fingern, doch nahm keinen Schaden bei der Höhe, aus der es fiel. Alles Dinge, die Katsuya nur noch am Rande wahrnahm. Dieselbe Taubheit, die ihn gestern bei der Erkenntnis über Yami befallen hatte, hüllte sich um ihn – stärker und aggressiver als je zuvor.

Nein. Katsuya schüttelte seinen Kopf. Das war nicht die Zeit einen Anfall zu kriegen. Er musste Seto retten. Voll Energie griff er sich das Handy, wählte die letzte der vier Nummern seines Adressbuches und ließ es rücksichtslos achtmal klingeln, bis abgenommen wurde.

„Katsuya… ?“, meldete sich eine völlig übermüdete, leise Stimme, „Was ist los… ?“

„Yami, Seto hat sich ins Bad eingesperrt, um sich umzubringen.“, erklärte der Blonde vollkommen kalt.

„Was?“, zischte der Ältere entsetzt.

„Yami, komm’ her. Ich weiß, dass du scheiß müde bist, aber komm’ hierher und das so schnell wie möglich. Ich habe keine Ahnung, wie es Seto geht, wenn wir ihn da raus geholt haben. Und ob er…“, seine Stimme zitterte? „Ob er noch lebt…“, eine Art Lähmung überfiel ihn, ausgelöst durch die Taubheit, die von außen in seinem Körper gesaugt wurde.

„Ich bin so schnell da wie möglich.“, versprach der Andere, „Kriegst du die Tür auf?“

„Ich habe Bakura gerufen, der kriegt sie auf.“

„Hast du einen Krankenwagen gerufen?“, seine Stimme klang hektisch.

„Mache ich jetzt…“

„Bis sofort. Halt durch. Und rede mit ihm.“, auch dieses Gespräch endete in Tuten.

Reden? Er sollte mit ihm reden? Für den Fall, dass er noch nichts Tödliches getan, sondern noch dabei war? Höchst unwahrscheinlich…
 

Katsuya starrte auf sein Handy. Er konnte keinen Krankenwagen rufen. Wenn Seto nicht in Lebensgefahr schwebte, wie Yami indirekt angedeutet hatte, dann würde das Krankenhaus eine Pressewelle, Psychiatrie und die erzwungene Zwangsrückgabe seiner Person an seinen Vater bedeuten. Krankenhäuser stellten zu viele Fragen. Sie machten daraus das, was sie objektiv für richtig hielten, was aber subjektiv völlig falsch war. Wäre Kaiba tot, wäre er eh tot. Wäre er lebendig, würde er es auch überleben. Probleme ergäben sich nur, wenn er seine Pulsadern aufschnitt. Aber da er seine eigene Wunde gesehen hatte, wusste Seto wohl auch, das längs zu schneiden unweigerlich zu einem schnellen Tod führte – und dann könnte auch kein Ärzteteam ihn retten. Krankenwagen würden nur Stress bedeuten. Sehr unnötigen Stress.

Der Blonde atmete tief durch. Ruhig. Ganz ruhig. Immer schön rational. Sie brauchten eine medizinische Fachkraft. Eine, die Seto eine Beruhigungsspritze setzen konnte. Oder Adrenalin, je nachdem, was er geschluckt hatte. Isis fiel damit weg. Damit blieb nur noch einer.

„Herr Doktor?“, ein Glück, dass er die Nummer von Seto bekommen hatte, „Hier ist Katsuya… Kaiba.“

„Ah, Katsuya. Was erweist mir die Ehre?“, fragte der der ältere Herr.

„Ich weiß, es ist Sonntag und ich sollte eigentlich das Krankenhaus anrufen, aber… können sie her kommen? Ich weiß nicht ganz genau, was mit Seto ist, aber es ist sehr gut möglich, dass er gerade einen Suizidversuch hinter sich hat… ich habe jemanden gerufen, um die Tür aufzukriegen und seinen, ähm, Therapeuten, aber… können sie herkommen?“, die Stimme des Blonden bebte. Das war eine scheiß Idee. Er sollte sofort auflegen.

„Ich bin sofort da.“, versprach der Arzt, „Ich wohne nur ein paar Straßen weiter. Bleiben sie ganz ruhig. Ich bin gleich da.“

„Danke…“, der Blonde drückte die rote Taste. Ein Glück, dass er die Adresse wusste. Katsuya glaubte nicht, dass sie ihm noch einmal eingefallen wäre. Scheiße. Alles beschissen.

„Seto… ? Ich weiß, dass du mich hörst… wenn du noch lebst…“, sprach der Jüngere die Tür an, unterbrach sich selbst durch ein Schluchzen, obwohl er nicht weinte und atmete tief durch, „Was auch immer du da drin machst, lass es, bitte… bitte…“, seine Stimme verebbte.

Verdammt… er konnte das nicht. Er konnte nicht mehr.

„Uuah…“, die Augen nach innen drehend, fiel sein Körper zu Seite, schlug mit dem dröhnenden Kopf auf den Teppich.

Er musste durchhalten, bis sie alle da waren. Es musste durchhalten. Er durfte noch nicht kaputt gehen.

Nicht jetzt…

Felony

Nachdem das letzte ein anscheinend eher heftiges Kapitel war, hier etwas Seichteres. Ich hoffe, die Baldriantropfen haben alle erreicht ^.^"

Da ich derzeit wenig zu sagen habe, außer dass ich mit Grippe flachliege und mich halbtot fühle, überlasse ich euch das neue Kapitel relativ wortlos - viel Spaß beim Lesen.
 

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„Sssh…“, eine Hand legte sich auf seine Brust, „Nicht bewegen.“, die Stimme war nur ein Flüstern, doch sie dröhnte durch Katsuyas Kopf.

„Wer ist da?“, hauchte der Blonde und hob die Lider einen Spalt. Ah… wo auch immer er war, es war angenehm beleuchtet. Und die Decke war dunkelbraun – er war nicht im Krankenhaus.

„Yami?“, wer sonst hatte rotviolette Haare mit goldblonden Ponysträhnen? Es musste er sein. Die verschwommenen Farbflecken fügten sich langsam zu Bildern zusammen. Er lag in einem Bett. Yami saß auf der Bettkante. Und die Decke… war Holz? Ein Himmelbett? Das war doch-

„Wo ist Seto?“, rief der Jüngere wach aus, öffnete die Augen weit und versuchte hochzuschnellen – gestoppt von Yamis Hand, die plötzlich weniger sanft gegen seine Brust drückte.

„Bleib liegen!“, er seufzte, „Seto lebt.“

Er… erleichtert seufzend schloss Katsuya die Augen.

„Er liegt neben dir und schläft. An sich geht es ihm sogar besser als dir. Du hast eine schwere Gehirnerschütterung erlitten, vielleicht Risse im Schädelknochen und eine kleine Platzwunde. Also bleib liegen.“, die Stimme des Älteren hatte ihren sanften Ton wieder zurückerlangt.

„Was ist passiert?“

„Eure Tür war zu, als ich ankam. Ich wette, ich habe ein paar Beulen rein geschlagen beim dagegen Hämmern.“, Yami lächelte ihn an, „Plötzlich stand dieser Weißhaarige neben mir, hat mich wortlos zur Seite geschubst und mit irgendwelchen Dietrichen eure Tür geknackt. Fragte mich dann, wo das Badezimmer ist, wir sind hoch und da lagst du…“, er strich sich über die Stirn, „Ich habe mich vielleicht erschreckt… ein paar deiner Strähnen blutig… ich dachte echt, du wärst tot…“

Er hatte geblutet?

„Und dann stand plötzlich einer großer Mann mit einer riesigen Tasche hinter mir, bat mich zur Seite zu treten und begann deinen Kopf und Hals abzutasten und so… glaub mir, ich war echt voll fertig… und während er noch an dir herum hantierte, hatte der andere junge Mann die Badezimmertür geöffnet und…“, der Ältere seufzte tief, „Seto hat sich die Unterarme ganz schön blutig geschnitten. Er hat nicht versucht sich zu töten, aber… das war auch schon hart. Zum Glück ist nichts lebensgefährlich.“

Seto hatte sich geschnitten? Nicht versucht zu töten? Allen Göttern sei Dank…

„Dieser Weißhaarige ist Bakura, oder?“, der Blonde murmelte eine Zustimmung, „Dachte ich mir… er ist… exzentrisch? Nachdem er die Tür geöffnet hatte, ist er einfach wieder gegangen, hat uns nicht einmal geholfen euch beide ins Schlafzimmer zu bringen…“
 

„Wo ist der Arzt?“, fragte Katsuya in die kurzzeitig entstandene Stille.

„Zur Praxis gefahren. Er holt noch einige Sachen, um euch weiter zu versorgen. Sagte er zumindest…“, ein weiterer Seufzer, „Ich würde ihm auch zutrauen Seto anzuzeigen. Und ich könnte es ihm nicht einmal übel nehmen.“

„Ich hatte gehofft, er würde es nicht tun.“, der Jüngere tastete vorsichtig seinen bandagierten Kopf ab, „Deswegen hatte ich ihn angerufen…“

„Hoffen wir, dass er es nicht tut. Die Rechtslage sieht reichlich beschissen aus.“, Yami lächelte humorlos, „Entführung, Verführung Minderjähriger, schwere Körperverletzung gegen einen anderen und sich selbst…“

Verführung Minderjähriger? Wusste Yami, was Seto und er gestern getan hatten? War das Teil dessen gewesen, was sie besprochen hatten?

„Woher weißt du das mit der Verführung?“

„Sex in der Luft, Kondome und Tücher im Abfalleimer… ich hatte einige Zeit mich hier umzusehen, bis du wach wurdest.“

„Du durchsuchst Abfalleimer?“, selbst wenn, derzeit war ihm auch alles egal – aber das wäre etwas, worüber er später nachdenken müsste.

„Nein, aber wenn das Zeug oben auf in einem offenen Eimer liegt, kann selbst ich es nicht übersehen.“, klang ungewöhnlich plausibel… stimmte, der Abfalleimer neben dem Bett war ein offener.

„Hat Bakura noch etwas gesagt?“, wechselte der Jüngere das Thema.

„Ich soll ausrichten, dafür sei er mit Seto quitt.“, hm… noch mehr Dinge, die hinter seinem Rücken liefen. Gut zu wissen.

Weiteres Schweigen. Unangenehmes Schweigen. Es lag Spannung in der Luft und doch schien keiner sie lösen zu können.

„Katsuya…“

„Ja?“

„Wie geht es dir?“, die Augenbrauen des Rothaarigen waren zusammengezogen, die Stirn lag in Falten, seine Hände kneteten einander.

„Gemessen daran, dass sie unter einer Bandage liegt und es wahrscheinlich unsägliche Schmerzen verursachen würde sie zu bewegen, werde ich jetzt nicht eine Augenbraue hochziehen.“, informierte ihn der Jüngere.

„Bist du wütend auf mich?“, murmelte Yami.

„Ein bisschen. Ich bin verwirrt.“, der Blonde seufzte, „Seto hat einen Anfall, Seto und ich haben interessante Gespräche, Seto spricht mit dir, Seto schläft mit mir, Seto schneidet sich die Arme auf… er ist verwirrend. Man weiß nie, was er als nächstes tut. Und doch erscheint er mir dann wieder logisch… und irgendwo mitten drin bist du.“
 

„Ich…“, der Ältere wischte sich über ein Auge, wich seinem Blick aus, „Möchtest du etwas essen? Oder trinken?“

„Ich würde mich gern aufsetzen, bitte. Würdest du das Kissen ausschütteln?“

„Ja… natürlich…“, Katsuya brachte sich langsam und vorsichtig, immer auf seinen Gleichgewichtssinn achtend, in die Waagerechte, wartete bis Yami das dicke Kissen gegen die Wand gelehnt hatte und rutschte zurück.

„Weißt du…“, der Blonde lehnte den Kopf vorsichtig zurück, „Das Problem ist, dass ich nicht weiß, wo ich dran bin. So wie Seto gestern Abend war, hätte ich alles darauf verwettet, dass er es wollte und dass es ihm gefiel. Er hat angefangen, er hat weitergemacht, er war vorsichtig, hat auf mich geachtet, alles… mir würde das sagen, dass ich ihm wichtig war und er mich nicht einfach missbraucht hat, weil ich gerade leicht erreichbar war.“, der Ältere nickte zustimmend, „Und heute morgen komme ich runter und er will mich rausschmeißen. Und weil ich einfach stehen bleibe, schlägt er zu…“, er kniff die Lider über den Amethystaugen zusammen, „Als ich wieder aufwache, höre ich nur oben eine Tür schließen. Und über Minuten kommt er nicht wieder… jetzt erfahre ich, dass er sich geschnitten hat. Was soll ich denken?“

„Ich weiß nicht… ich weiß es nicht…“, eine Träne rann Yamis Wange herunter, während er den Kopf schüttelte.

„Übrigens brauchst du dich genauso wenig schuldig zu fühlen wie ich mich, meinst du nicht?“

Die tränenüberfluteten, tiefvioletten Seen richteten sich auf Katsuya. Fassungslosigkeit.

„Natürlich bin ich das schuld! Ich hätte ahnen müssen, dass so etwas passiert! Ich hätte Seto nach gestern nicht einfach so mit dir allein lassen dürfen! Ich hätte-“

„Yami.“, unterbrach der Blonde ihn mit Nachdruck, „Du bist weder für Seto, noch für mich verantwortlich. Wir tragen Verantwortung für uns selbst. Vielleicht hättest du etwas anders machen können, aber du hast Seto kaum erpresst, dass er das hier tun soll, oder?“

„Natürlich nicht, a-“

„Dann bist du auch nicht schuld.“, entschied der Jüngere, „Ende der Diskussion.“, der Andere atmete tief ein, seufzte, schloss aber doch den Mund, „Was habt ihr gestern besprochen?“

„Seine Vergangenheit… seine Kindheit.“, er schüttelte leicht den Kopf, „Seine Jugend und unser Verhältnis zueinander damals und als wir uns wieder trafen. Was ihm nach Mokubas Tod passiert ist und seine bisherige psychotherapeutische Vorgeschichte…“

„Nicht über das Jetzt oder mich?“

„Nein.“, eine weitere Träne auf Yamis Wange, „Nur ob er vielleicht nächste Woche seinen alten Psychiater aufsucht für eine neue Medikation. Sonst nicht-“

Ein Schellen unterbrach den Älteren, dessen Kopf zur Tür ruckte.

„Was ist das?“, fragte Katsuya nach.

„Eure Klingel.“, Yami stand auf, „Das wird der Arzt sein.“

„Scheußlicher Ton…“, murmelte der Blonde zu sich selbst.

„Ich gehe ihm schnell aufmachen, ja?“, er nickte nur.
 

Setos Verhalten gestern sowie heute hatte nichts mit dem zu tun, was er mit Yami besprochen hatte. Nur womit dann? Was hatte Seto dazu bewogen plötzlich mit ihm zu schlafen? Die Anspannung des Gespräches mit Yami? Es war möglich… wenn Sex eine Entspannung war und das Gespräch durch die aufkommenden Gefühle Nerven aufregend, dann war es natürlich, dass Seto danach Sex suchte. Noch natürlicher, dass er am nächsten Morgen, wenn er bei klarem Verstand war, es wieder bereute.

Ein Keil fuhr durch Katsuyas Brust.

Seto bereute es… der Blonde wagte es nicht den Kopf zu ihm zu drehen, wischte sich nur die Tränen aus den Augen. Scheiße… warum gerade jetzt? Wieso hatte er gestern nichts gesagt? Warum hatte er heute nichts gesagt? Wieso hatte er einfach nur alles mit sich machen lassen?

Er war so dumm. Er war so verdammt dumm.

Seto hasste sich nur noch mehr, dass er sich selbst nicht kontrollieren konnte und das nur, weil Katsuya nicht nein gesagt hatte. Er hatte ihn auch noch ermutigt. Er hatte… er…

„Das ist nicht meine Schuld…“, flüsterte Katsuya leise.

Nein, verdammt. Auch er war nicht für Seto verantwortlich. Seto musste mit sich selbst klarkommen. Er hatte Scheiße gebaut und er sollte mit den Konsequenzen selbst leben. Nur was waren die Konsequenzen? Das lag jetzt völlig in den Händen des Blonden. Sollte er wütend sein? Das konnte er wahrlich nicht. Sollte er seine Gefühle gestehen? Auch ganz sicher nicht. Sollte er… gehen?

Hatte er sich nicht selbst gesagt, dass er gehen würde, wenn Seto ihn verletzte? Sollte er sich nicht daran halten? Es kam genauso, wie er es sich gedacht hatte… er empfand es als richtig. Er empfand es als verständlich und legitim, was Seto getan hatte und er dachte nur daran, wie er es Seto wieder Recht machen konnte. Wie er Seto helfen konnte.

Ob sich so Frauen fühlten, die von ihren Männern geschlagen wurden? Immer nur ihn im Kopf, immer nur sein Gutgehen, seine Seele… oder war es mehr das, was ihn gerade zerfraß? Er konnte nicht ohne Seto sein. Allein. Er konnte nicht allein sein. Seto war sein Lebensinhalt geworden.

Katsuya ließ den Tränen freien Lauf.

Er hatte sich abhängig gemacht. Schon wieder. Und diesmal von etwas, was ihn nicht kontrollierbar tötete, sondern was völlig unkontrollierbar Gutes und Böses tat. Er sollte eigentlich gehen… aber… er konnte nicht. Er konnte es einfach nicht.

Es war genau dasselbe wie mit seiner Mutter. Immer nur Verletzungen, immer wieder und dann irgendetwas Kleines, was ihn glauben ließ, dass sie ihn doch lieb hatte. Immer dieselbe Scheiße. Wann würde er diesen Teufelskreislauf endlich beenden?
 

„Ich bin erleichtert sie wach zu sehen.“, der Arzt warf Katsuya ein erleichtertes Lächeln zu, „Wie fühlen sie sich?“

„Relativ.“, der Arzt lief nicht weg, er konnte gleich fragen… fragen, ob er etwas wegen Seto tun würde, „Mein Schädel schmerzt wie Hölle.“

„Ist ihnen übel? Schwindelig?“, der Mann setzte sich auf die Bettkante, stellte seine Tasche zwischen die beiden auf dem Bett Liegenden und begann darin zu kramen.

„Bisschen von allem. Aber es geht wieder.“

„Können sie mir erzählen, was vorgefallen ist?“

Die braunen Augen bohrten sich den Älteren, die Lippen leicht verengt.

„Herr Kaiba? Oder Katsuya, wie immer sie wünschen…“, er blickte ihn erwartungsvoll an.

„Ich denke, mein Freund ist ein wenig besorgt, was sie mit dem Wissen tun werden. Er hat ein natürliches Misstrauen gegen… andere.“, mischte sich Yami ein, der am Ende des Bettes stand.

„Sie sind der Psychologe?“, erkündigte der Arzt sich interessiert.

„Nicht hauptberuflich, aber… ja, so könnte man es wohl ausdrücken.“, und hoffentlich fragte er jetzt nicht, was Yami hauptberuflich machte.

„Ich kann doch nachher sicher ein wenig ihrer Zeit haben, nicht wahr?“

„Aber gern.“, der Rothaarige nickte dem Älteren zu.

„Nun…“, der Mann wandte sich wieder Katsuya zu, „Ich würde es gern wissen, um eine Diagnose stellen zu können. Nur auf Untersuchungen lässt sich nicht übermäßig viel tun. Was sollte ich sonst mit dem Wissen tun?“

„Herrn Kaiba anzeigen.“, zischte der Blonde und verschränkte die Arme vor dem Körper.

„Da müssten eine Menge Götter Einfluss auf mich nehmen, damit das geschieht.“, er hob den Zeigefinger, „Bitte folgen sie meinem Finger mit den Augen.“, der seiner anderen Hand drückte währenddessen gegen sein Kinn, während er ihn erst von einer zur anderen Seite, wenig später in Richtung Katsuya und zurück schwenkte und ihn wieder sinken ließ, um etwas aus der Tasche zu nehmen.

„Warum?“, flüsterte der Jüngste etwas kleinlaut.

„Weil ich der Schweigepflicht unterliege und diese nur im Falle von Lebensgefahr brechen darf.“, Lebensgefahr für ihn selbst oder seine Patienten? Wahrscheinlich beides. Also schätzte er ihn nicht in Lebensgefahr ein. Entweder er war solche Fälle gewohnt oder… ein bisschen wenig aufgeklärt.
 

„Ich werde jetzt ihre Pupillenreaktionen überprüfen.“, er griff eine Stiftlampe aus der Tasche und leuchtete Katsuyas Augen aus, packte sie dann wieder weg und nahm einen Pulsmesser und ein Stethoskop hervor, „Wobei… ich sollte ihnen gegenüber wohl ehrlich sein. Es sind eine Menge Leute hinter den medizinischen Daten von Stars her. Ich kann nicht verneinen eine Menge Schmiergeld für mein Schweigen zu kriegen.“

„Das sind Gründe, die ich verstehe.“, wohl wahr – das war exakt die Sprache, die er kannte: Geld. Schweigen konnte man sich erkaufen. Das zur ärztlichen Moral.

„Aber das ist nicht mein Hauptgrund. Auch wenn man mich gerne darauf reduziert.“, ach? „Darf ich nun erfahren, was ihnen geschehen ist?“, sein Puls wurde gemessen.

„Infolge eines Schlages wurde mein Kopf aus ungefähr vierzig Zentimeter Entfernung gegen einen Türrahmen gerammt. Ich war kurz ohnmächtig, bin mit extremer Übelkeit aufgewacht, habe mich übergeben, zur Tür geschleppt, während sich alles gedreht hat, die Treppe hoch ging schon besser, obwohl mein Kreislauf im Arsch war, dann die drei Anrufe und dann bin ich wieder umgekippt.“, zwei seiner Reflexe wurden überprüft und der Verband gewechselt, was alles von Yamis Raubtieraugen verfolgt wurde, bevor der Arzt einfach nur nickte.

„Sie sind recht glücklich davon gekommen. Bitte überprüfen sie in den nächsten zwei Wochen jeden Morgen ihre Pupillen, ob vielleicht eine weiter als die andere ist, damit wir Gehirnblutungen ausschließen können.“, er packte alle Geräte wieder ein, „Sie können hier bleiben. Denken sie aber daran sich nicht zu überfordern. Und kommen sie morgen mit dem geehrten Herrn neben ihnen in meine Praxis, bitte. Zum einen für ihre Routineuntersuchung und zum anderen für seine Arme.“, der Mann nahm seine Tasche und erhob sich, „Er wird dazu in der Lage sein, oder?“, erfragte er bei Yami, der sich keinen Zentimeter gerührt hatte.

„Ich erwarte, dass er morgen wieder voll arbeiten wird, also wird er sicherlich genug Kraft haben zu ihnen zu kommen.“, der Rothaarige legte eine Hand auf seine Hüfte, die andere an sein Kinn, „Es ist gut möglich, dass er ihnen drohen wird oder ihnen eine gute Summe hierfür gibt, ich kenne ihr Verhältnis da nicht genau. Erwarten sie nicht, dass er großartig stabil sein wird.“

„Ich kenne mit da wenig aus, muss ich sagen.“, gab der Arzt zu, dessen Blick wie Yamis auf Seto lag, „Ich behandele ihn nun seit acht Jahren und um ehrlich zu sein, ich denke, ich habe schon eine Menge miterlebt. Meines Wissens nach hat sich schweigen und ruhig bleiben in seiner Nähe sehr gut bewährt.“

Der Andere nickte nur bedenkend.

„Zumindest finde ich dafür eine Menge Schecks in meinen Unterlagen.“

„Ihr Glück.“

„Sie nicht?“

„Oh doch.“, die tiefen Augen schienen aufzublitzen, während er an den Älteren wandte, „Ich erwähnte gestern auf ein Motorrad zu sparen und was finde ich vor meiner Tür heute morgen? Eine recht angenehme Überraschung.“, ein Lächeln legte sich auf seine Lippen.
 

„Sind das nicht die Arten von Geschenken, die man von der Yakuza erhält?“, beide wandten sich zur Tür und bewegten sich langsamen Schrittes darauf zu.

„Sie kennen sich gut aus.“, Katsuyas bester Freund nickte anerkennend, „Motorräder, Autos, teure Teppiche, Vasen, Schmuck – und die nötigen gefälschten Papiere.“

„Sind sie nicht eigentlich verpflichtet solche Dinge zurückzugeben? Für Psychologen sind die Richtlinien enger, so weit ich weiß.“, der Ältere von beiden hielt dem anderen die Tür auf.

„An sich ist es doch sowieso nicht legal, aber man kann auch nichts dagegen tun, nicht?“, der Rothaarige zuckte mit den Schultern, „Und ich wäre schön verrückt das Geschenk eines Yakuza-Bosses abzulehnen.“

„Ich versuche mich von diesem Klientel eher fernzuhalten.“, der Arzt seufzte und schloss die Tür, sodass Katsuya ihre Stimmen nur noch gedämpft hörte.

„Ich dachte, sie haben Behandlungspflicht?“

„Kein Grund, sie nicht zu einem „Spezialisten“ zu überweisen. Nebst der Tatsache, dass es keine Behandlungspflicht gibt, wenn es sich nicht um Notfälle handelt.“

„Wohl wahr. Wie kann ich ihnen nun helfen?“, die Stimmen entfernten sich langsam.

„Nun, ich habe da einige Fragen bezüglich Herrn Kaiba…“, das war schwer zu verstehen.

„Ich unterliege auch der Schweigepflicht, das wissen… sicher… a…“, verdammt, Yami war nicht mehr zu verstehen.

Katsuya seufzte. Physischer Arzt traf auf psychischen Arzt. Wunderbar. Ärzte unter sich. Beide wahrscheinlich Meister ihres Fachs – auch wenn Yami im Bezug auf die Yakuza sicher keine Gesprächstherapie anbot – und beide wussten es skrupellos auszunutzen. Und irgendwie… konnte er es nicht einmal schlimm finden. Eher… nützlich. Früher wäre er über die niedere Moral entsetzt gewesen, hätte über die Geldgier hergezogen und die Gleichgültigkeit und den Humor, mit dem beide über ihr Klientel herzogen. Doch irgendwie… näher betrachtet… es war nützlich einen bestechlichen Arzt zu haben. Hätte er um eine Krankschreibung für die nächste Woche gebeten, er hätte sie problemlos bekommen. Musste er am Gesetz vorbei behandelt werden – wie er gerade wurde, wie Katsuya auffiel, denn weder wusste er etwas über seine Krankenversichertendokumente, noch ob Seto eigentlich rechtlich gesehen über seine Unterlagen walten durfte – war es nützlich.

Anbei… der Blick der braunen Augen fiel auf die schlafende Person neben sich. Es war nützlich, wenn man am Gesetz vorbei handelte. Sehr nützlich. Wenn man Leute bei sich behielt, die eigentlich von Pflegern des Jugendamtes übernommen werden mussten und in einem psychischen Anfall andere verletzte und dafür nicht belangt werden wollte. Er schluckte. Oder wenn man Zuhälter, Pornographiehersteller oder Sektenmitglied war, dessen illegal gehaltenen junge Erwachsene und Kinder besser nicht die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich ziehen sollten. Wenn man bei der Yakuza war und illegal Waffen und Luxusgüter schob, Drogen und Menschen schmuggelte, Geld wusch, Dokumente fälschte…

Borderliner. Grenzgänger. Er wandte den Kopf zu Seto. Am Rande der Gesellschaft und am Rande des Verstandes. Wo begann Verbrechen? Wo begann Wahnsinn?

Ins Licht

So, da ich ja auch einige Leser aus Österreich habe, hiermit eine Nachricht an jene: Ihr habt zum Deuten diesmal einen Vorteil ^.^ (obwohl ich nicht denke, dass jemand diesen Wink versteht, aber ich wäre hocherfreut, wenn es einer tut ^.-)

Meine Erkältung ist schlimmer und schlimmer geworden, aber heute ging es einigermaßen wieder. Deswegen bin ich wieder zum Schreiben gekommen ^.^ Und siehe da: Zwei neue Kapitel DS und ein Kapitel Eisengel (!!!) fertig. Zumindest Zweiteres werde ich gleich auch noch hochladen. Nur die Nebensequenzen habe ich immer noch nicht abgetippt. Nun, morgen ist noch ein Tag...

Euch auf jeden Fall viel Spaß beim Lesen ^.-
 

P.S.: Es gibt ein neues Fanart und zu meinem größten Erstaunen: Einen DS-Fanzirkel O.O Falls sich das mal jemand ansehen möchte:

http://animexx.onlinewelten.com/community.php/dsgepo/beschreibung/

(God bless us. God bless our people. God bless Ameri- oh, falsche Rede)
 

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Katsuya schloss die Augen.

Wundervoll. Von einem gewalttätigen, mittellosen Alkoholiker, den er hasste, war er an einen psychisch kranken, suizid- und aggressionsgefährdeten, verbrecherischen Mediengiganten, den er liebte, geraten. Vom ersten hatte er sich konstant physisch verletzen lassen, dem zweiten gab er seine Seele noch dazu. Das Verbrechertum war ihm egal, die Suizidgefahr, die Krankheit, sogar die Aggressionen und wie sehr er dabei verletzt wurde…

Unterm Strich war seine Situation schlechter als zuvor, auch wenn er jetzt etwas zu essen hatte. Sein Leben war nicht weniger bedroht, seine Psyche dafür aber mehr belastet. Und warum wollte er hier bleiben? Aus einer Liebe, die an Abhängigkeit gefesselt war. Nicht lange und Yami würde ihn bitten Seto zu verlassen. Yami war hier seine rationale Hälfte. Eher gesagt ersetzte er sie, da seine eigene sich anscheinend völlig ausgeschaltet hatte. Er würde für ihn eine Lösung finden, wenn Katsuya darum bat. Nur dann, denn Yami übernahm die Verantwortung für ihn nicht ungefragt. Das wusste er durch die Sache mit seinem Vater – und er war dem Älteren dankbar dafür.

Es lag also in seiner Hand. Ein schweres Leben, von null beginnen, mit Nichts und wieder Nichts, Yami als einzige Unterstützung. Abhängig von Yamis Prostitution. Oder hier bleiben, eine Lebensgrundlage haben, vielleicht sogar ein wenig Hoffnung. Abhängig von einem unkontrollierbaren Psychopathen.

Er wäre stark genug ein neues Leben zu beginnen, mit irgendeiner sinn- sowie hirnlosen Arbeit, sich hochzuarbeiten und irgendwann zu heiraten, jeden Tag darum bangend seine Familie durchzubringen. Irgendwann würde er seinen Lebensabend mit einem Haufen Enkeln beschließen, wenn ihn bis dahin nichts umbrachte. Er wäre wahrscheinlich ebenfalls stark genug sich doch von der Yakuza anheuern zu lassen, ein Leben neben der Gesellschaft zu führen, voll von Verhandlungen, Erpressungen, vielleicht sogar Mord, aber auch Reichtum, exotischen Köstlichkeiten und anderem, was er begehren konnte.

Aber er konnte auch hier bleiben. Konnte lernen von dem geballten Wissen, das ihn umgab, seine Möglichkeiten voll ausnutzen, studieren, eine Berufung finden, vielleicht sogar… malen. Er könnte höchste Höhen fühlen, ebenso wie tiefsten Schmerz. Ein Leben voll Leid, was so faszinierend schöne Dinge bereithielt. Seto konnte ihm das Paradies und die Hölle zeigen. Und das alles auf die Gefahr hin keinen Lebensabend zu sehen.

War es das wert? Wie sehr hing er denn schon an seinem Leben? Er konnte den einfachen Weg gehen, ein Leben, das Freuden und Enttäuschungen bereithielt. Das normale Leben. Doch genauso konnte der den Weg nehmen, der ihn durch jedes Land, jede Farbe, jede Emotion schickte, genau jenen Weg entlang, der unweigerlich in seinen Untergang führte. Aber war es dieser Untergang nicht wert? War nicht ein kurzes Leben voll Kunst, voll Philosophie, voll Emotionen genauso, wenn nicht sogar schöner als ein langes Leben, das in Normalität ertrank?

Wählte er das Risiko?

Sein Blick glitt zur Seite.

Wählte er Seto?

Mit einem Finger strich er über die offen liegende Innenfläche der Hand des Brünetten.

Hatte er eine Wahl?
 

„Wieso schläft er?“, flüsterte Katsuya dem Hereinkommenden zu.

„Der Arzt hat ihm Schlafmittel verabreicht.“, antwortete der Ältere in normaler Lautstärke und kam zu dem Liegenden herüber, „Er blutete zwar und war auch stark dissoziativ, aber… nun, ohne Schlaf hätte er wahrscheinlich noch willentlich seinen Herzschlag beenden können, so weit war er in sich gesunken.“

So was war möglich? Nun, seine Psyche hatte Seto schon dazu gebracht keine Luft mehr zu kriegen, warum nicht auch sein Herz? Dennoch… nun ja. Schwer zu glauben. Anscheinend hatte der Wille doch einen sehr großen Einfluss auf den Körper.

„Katsuya?“

„Hm? Oh, sorry… was war?“, der Blonde wandte seinen Kopf von Seto zu dem neben sich Sitzenden.

„Ich habe nichts gesagt. Du sahst nur so… gedankenvoll aus. Was geht dir durch den Kopf?“

„Dass ich bei ihm bleiben möchte.“, er nahm die Hand, über die er vorhin gestrichen hatte, in seine, „Auch wenn es gefährlich und schmerzhaft ist – die Vorteile überwiegen.“

„Hm…“, die Stirn des anderen legte sich Falten, „Bist du sicher?“

„Nein, natürlich nicht.“, der Jüngere richtete seine Bernsteine auf den Schlafenden, „Wie sollte ich? Wie immer gibt es positive und negative Seiten.“

„Du wählst damit den möglichen Freitod, ist dir das klar?“, der Rothaarige schmiegte sich an seine Seite, den Kopf gegen seine Schulter gelehnt.

„Ja, das ist es.“, sie schwiegen einen kurzen Moment, „Du rätst mir nicht es zu lassen?“

„Möchtest du, dass ich es tue?“, Yami seufzte, „Ich habe dich längst an ihn verloren. Ich könnte so viel auf dich einreden, wie ich wollte, du würdest doch bei deiner Meinung bleiben. Ich habe dir jede Warnung gegeben, die ich geben konnte. Jetzt… jetzt bleibt mir nichts mehr als dir beizustehen.“

„Weißt du…“, der Blonde lehnte seinen Kopf vorsichtig zurück gegen das riesige Kissen in seinem Rücken, „Es müsste nicht so sein. Wäre Gozaburo Kaiba ein nicht ganz so grausamer Mann gewesen und wäre Mokuba uns damals nicht über den Weg gelaufen… dann wäre Seto heute nicht so krank, wie er ist. Vielleicht könnte er mit Gefühlen umgehen. Und wenn er etwas als Fehler ansähe, dann müsste er nicht das zerstören, was er für diesen Fehler verantwortlich macht. Andere… oder sich selbst…“, er spürte Tränen aufsteigen, „Wenn es Götter gibt, dann müssen es verdammt grausame sein.“

„Oder zu schwache, die die bösen Geister nicht abwehren können.“

„Oder einsame, die nicht ertragen können die einzigen Leidenden zu sein.“

„Oder egoistische, die sich überhaupt nicht um uns kümmern.“
 

„Was sagt das Christentum dazu, Seto?“, was, Seto? Katsuyas Kopf ruckte zur Seite. Seto war wach! Sah reichlich verschlafen aus mit den Lidern auf Halbmast, okay, aber die Augen dahinter waren wach. Die schönen blauen Augen.

„Zum Leiden der Welt?“, fragte er mit leiser, brüchiger Stimme nach.

„Ja.“, Yami sandte ihm ein Lächeln.

„Dass Gott uns einen freien Willen gegeben hat. Wenn wir…“, er schluckte und setzte den Satz mit etwas festerer Stimme fort, „Wenn wir uns gegenseitig töten und quälen, dann lässt er uns unseren Willen.“

„Wenn der christliche Gott eh nie eingreift, wozu ist der dann gut?“, war es Yamis Idee das Thema extra fachlich zu halten, damit Setos aufkommenden Gefühle sich erstmal beruhigen konnten? An sich gut. Doch, das wäre nützlich, dann bekam er nicht direkt wieder einen Anfall. Beteiligte er sich also am Gespräch.

„Als moralische Instanz, als Richter am Ende des Lebens. Damit wir… gut zueinander sind.“, Seto wandte den Blick ab, untersuchte mit ihm die nicht vorhandenen Muster des Lakens.

„Und verzeihen und lieben?“, Katsuya ließ seine Hand langsam in Richtung der Wange des Ältesten wandern, strich schließlich sanft darüber, als der Andere nicht zurückgezuckt war. Zwar kniff er die Lider zu und seine Muskeln hatten sich angespannt, doch unter den liebevollen Bewegungen entkrampften sie wieder.

„Und wozu sind dann die Messen gut? Und das Beten? Das Beichten?“, er sah seine letzte Frage einfach mal als mit einem Ja beantwortet an.

„Zur Erinnerung an Gott und die Moralvorstellung Gottes.“, flüsterte der Liegende, „Zur Selbsterkenntnis und… zum Verzeihen. Einander und… sich selbst.“, seine Augenlider blieben geschlossen, doch sein Atem beruhigte sich wieder, während Katsuyas Hand in seinen Nacken fuhr und ihn kraulte.

„Und die Bibel und die Dogmen und all das andere Zeugs? Was bringt das euch Christen?“, der Blonde lehnte sich zu Seto, stützte sich mit einem Arm ab, hatte mit dem anderen nun genug Freiraum ihn zu kraulen.

„Die Bibel soll die Moralvorstellungen vermitteln. Und der Rest… nun, das ist eigentlich nur Auslegungssache, wie was zu deuten ist, an was, wo und wie zu glauben ist… eigentlich völlig unwichtig.“

„Aber hängen nicht tausende an diesen Kleinigkeiten und schlagen sich darüber die Köpfe ein?“, zum Beispiel ob katholisch oder evangelisch oder orthodox, christlich oder jüdisch… oder islamisch… im Endeffekt waren sie doch eh alle nur auf das hier zu reduzieren, oder? Und über irgendwelche Auslegungen gab es dann Religionskriege…

„Ja, tun sie.“, ein leichtes Lächeln legte sich auf Setos Lippen.

„Und Buddhismus und Shintoismus? Also, so’n Zeug, wo ich unserer Gesellschaft nach dran glauben soll.“, zumindest waren das doch die beiden Hauptreligionen in ihren Land, oder?

„Die haben andere Weltbilder. Da gibt es viele Götter, manche, die uns zu Bösem verleiten und manche, die Gutes tun oder heilige Menschen schicken, die uns den Weg zeigen sollen. Im Endeffekt geht es darum sich gegen das Böse zu wehren und das Gute anzunehmen… also auch um Nächstenliebe.“
 

„Dann ist der Sinn von Religionen, dass wir uns moralisch benehmen und nach Liebe und Frieden streben, ja?“, zumindest wäre das sein logischer Schluss des Ganzen.

„Und dass wir ein starkes Selbstbewusstsein haben, einen Sinn für unser Leben, ein Ziel im Leben und ein Welt- und Menschenbild, damit wir nicht allzu viel nachdenken müssen.“, der Blauäugige sah auf, warf einen Blick zu Katsuyas Beinen, ließ ihn wieder sinken, bevor er sich auf den Rücken drehte und so dem Blonden die Möglichkeiten nahm ihn weiter zu kraulen.

„Genau der Punkt, wo der Missbrauch beginnt. Einige Intellektuelle benutzen die Religion, um in ihren Namen oder dem Namen ihres Gottes ihre eigenen Ziele durchzusetzen. Und gerade weil die Menschen durch Religionen das eigene Denken anscheinend außer Kraft setzen können, klappt das auch extrem gut.“, führte Yami die Worte des Ältesten weiter aus, während er auf Katsuyas fragenden Blick Seto fokussierte, einmal nickte, und seinen Kopf mit seinen Augen in Richtung dem Schoß des Sitzenden sinken ließ.

„Und das durch die Ehrfurcht der Menschen vor dem Übernatürlichen auch gut hinkriegen…“, schloss sich der Brünette Yamis Auslegung an, während er die Arme vor der Brust verschränkte und keine Miene verzog.

„Wenn du herkommen möchtest, tu' das ruhig.“, bot Katsuya mit sanfter Stimme an.

Die Lider Setos fielen zu, sein Adamsapfel wanderte hinunter und wieder hinauf, der Atem wich aus seiner Lunge. Quälend langsam wurde die hellblaue Iris des von Katsuya aus erkennbaren Auges wieder sichtbar, bevor der schöne Kopf sich ein Stück zur Seite wandte und sein Blick sich unter zusammengezogenen Augenbrauen glänzend auf den Blonden legte. Die verschränkten Arme erschlafften, die Hände legten sich auf die Ellbogen und verkrampften sich wieder.

„Warum bist du noch hier?“, flüsterte der Ältere leise.

„Weil ich bei dir bleiben will.“, erwiderte Katsuya ohne zu zögern.

„Aber… warum?“, die Lider verengten sich, rein durch Schlitze wurde der Jüngste mit einem Blick bedacht, als Seto zischte: „Ich will dein Mitleid nicht.“

Ich will dein Mitleid nicht. Katsuya schluckte. Dieselben Worte hatte ihm Hirutani entgegen geworfen, damals, als Verlierer ihres Kampfes. Mit seinem falschen Stolz hatte er in ihrer Messerstecherei sein Ansehen, seine Position als Anführer der Boots und beinahe auch sein Leben verloren. Er hatte ihn aufgefordert ihn zu töten, hatte ihn beschimpft und gereizt. Er wollte weder Mitleid noch Gnade. Genauso, wie es Katsuya an seiner Stelle getan hat. Lieber litt oder starb man in Ehren als als feiger, geprügelter Hund das Schlachtfeld zu verlassen. Damals. Genau die Situation… ein Mensch, der alles verloren hatte, was er gehabt hat, der glaubte, jeden Wert- Katsuya schluchzte auf und spürte Tränen aus seinen Augen rinnen, während er sich nach vorne beugte und die Arme um seinen Bauch schlang. Nicht, Seto. Bitte nicht, Seto.
 

„Weißt du eigentlich, was das ist?“, fragte Yami mit einer tiefen, sehr dunklen Stimme nach, während er die Arme um Katsuya legte und ihn an sich zog, „Hast du eine Ahnung, was es heißt – mit – jemandem – zu – leiden?“, er betonte die Worte einzeln, „Mitleiden, das heißt den Schmerz und die Freude eines anderen mit jeder Faser des eigenen Körpers zu spüren, mit dieser Person zu lachen und zu weinen, diese Person schon fast als einen Teil von sich selbst zu betrachten. Mitleid heißt mit einem anderen Menschen so weit verbunden zu sein, dass die Gefühle des anderen zu eigenen werden und die eigenen zu denen des anderen.“, er seufzte, „Kannst du nicht einfach annehmen, dass es Menschen gibt, die deine Schmerzen teilen wollen, Seto?“

„Ich…“, ein hektisches Ausatmen, eine zitternde Stimme, „Ich… ich… wieso? Wieso sollte jemand so etwas tun wollen?“

„Um den eigenen Schmerz, die eigene Freude und die eigenen Gedanken mit jemandem teilen zu können.“, während Yami sprach, wischte sich der Blonde die Tränen von den Wangen, zog aus seiner Hosentasche ein Taschentuch und putzte sich die Nase, „Um nicht allein zu sein.“

„Ich… ich versteh’ das nicht.“, Seto, der sich wieder auf die Seite gerollt hatte, drückte sein Gesicht gegen die Matratze und kniff die Lider zusammen.

„Seto…“, Katsuya atmete tief durch, strich noch einmal über sein Gesicht und wandte sich zu dem Brünetten, „Du hast doch deinen Bruder geliebt, oder? Warum hast du das?“

„Weil-“, der Älteste hielt inne, starrte den Braunäugigen an und senkte die Stimme, „Weil wir miteinander gelitten haben?“

„Er war ein fester Teil deines Lebens, nicht wahr? Er gehörte dazu. Er war ein Teil dessen, was du als deins empfunden hast. Weil du deine Seele mit ihm und er seine mit dir geteilt hat.“, Katsuya seufzte, „Verstehst du es wirklich nicht?“

„Willst du mein Bruder sein?“, fragte Seto mit verzweifeltem Blick nach.

„Nein, verdammt.“, der Blonde knurrte, beugte sich hinab, um mit dem Liegenden ungefähr auf Augenhöhe zu sein, „Ich will mit dir zusammen sein, du Emo-Honk. Und bevor du fragst, ja, du bist liebenswert, das hat mindestens dein Bruder hinreichend bewiesen.“

„Hinreichend ist nicht notwendig…“, der Brünette wich Katsuyas Blick aus und entzog sich der Hand, die dieser auf seine Wange gelegt hatte.

„Beizeiten machst du einen echt aggressiv.“, zischte der Jüngere, „Ich gestehe dir hier meine Liebe! Glaub’ es einfach, nimm an und freu’ dich!“

Seto zog die Luft durch die zusammengebissenen Zähne ein, krümmte sich zusammen und kniff die Lider hart aufeinander. Katsuyas Arme zogen den zitternden Körper an seine Brust.

„Bitte glaub’ es einfach… ich will dich nicht verlassen. Ich will dich nicht verletzen. Ich möchte doch nur… nur bei dir sein…“, er vergrub seine Hand in dem braunen Schopf und festigte seinen Griff, „Seto…“, er wiegte den Körper in seinen Armen, „Seto…“, die Umarmung wurde weder erwidert noch abgelehnt, „Seto… Seto…“, ein kühle Hand legte sich von hinten auf seine Schulter, ein Blick in die Richtung zeigte einen besorgten Yami, dessen tiefe Augen den großen Körper bedachten.

Katsuya löste sich von der Wärme und warf einen Blick auf dessen Gesicht.

„Das war ein bisschen viel auf einmal…“, murmelte der Ältere leise.

Setos Augen waren leer.

The quest

Zu aller erst die großen Nachrichten! (Nein, ich bin nicht schwanger XD) Ab dem ersten April gibt es YUAL-Favoriten (Yukis und Aikos Leseecke), wo jeden Monat fünf neue Fanficfavoriten vorgestellt werden. Schokopudding hat freundlicherweise diese FF hier vorgeschlagen und sie würde zum Favoriten gewählt ^///^ First Mexx Fanfic Favorit ever! Das ist ein Titel, auf den ich wohl immer stolz sein werde ^///^ (Das freut mich mehr als mein Literaturpreis zu einer des besten Jungautorinnen Nordrhein-Westfalens Ô.o) Also danke an alle Leser für die Unterstützung und an Schokopudding für den Vorschlag!

Nun noch kurz zum letzten Kapitel: Die Meinungen, ob es nun zu dramatisch und damit unrealistisch sei oder nicht, gingen ja weit auseinander. Ich überlasse jedem gern seine Meinung. Ich selbst hielt es für relativ undramatisch, weil Seto nur die Reaktion gezeigt hat, die er bisher schon oft zeigte und Kats nur die Verzweiflung ausdrückte, die wohl die meisten ob der Situation empfinden würden. Wenn jemand dieses Kapitel allerdings als zu dramatisch ansieht, dann kann ich das gut verstehen. Yami ist schon ein ziemlich starker Charakter - ob das hier seine Stärke auslöscht oder verstärkt, ist auch hier jedem selbst überlassen.

Und auf feuerregens Bitte lade ich das Kapitel nun auch schon mitten in der Nacht hoch. Habt Spaß damit ^.^
 

P.S.: Ich möchte auch hier lieber eine WARNUNG aussprechen. Zwar ist das Kapitel nicht Dark, aber ich kann nicht garantieren, dass es nicht das Weltbild ein wenig durcheinander bringt. Und ich möchte betonen, dass ich an keiner Stelle hier übertreibe oder von Vorurteilen spreche. Das hier stammt aus Opferberichten und vom Bundesamt für Statistik (wie viele meiner Angaben), womit es sich um Fakten handelt. (Besondere Warnung an Sekten- und Prostitutionsopfer, überspringt das Kapitel besser)
 

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Seto war relativ unwiederbringlich in eine andere Bewusstseinsebene verschwunden. Vielleicht auf eine hübsche, sonnige Waldlichtung, vielleicht einen Strand, an den sanft die Wellen rauschten, vielleicht mitten in die dunkle Unendlichkeit des Alls. Definitiv irgendwo anders hin als in seinem eigenen Haus, in seinem eigenen Zimmer, in seinem eigenen Bett.

„Wie nannte man diesen Zustand jetzt?“, wandte sich Katsuya mit einem Seufzen an Yami.

„Das ist ein sehr klassischer Derealisationszustand. Er schaltet die Umwelt aus.“

„Er kriegt nichts mehr mit?“, er musterte den auf seinem linken Arm Liegenden, „Wenn ich jetzt mit einem Messer auf ihn einsteche, spürt er das?“

„Wahrscheinlich ja.“, der Rothaarige hob die Augenbrauen und nickte, „Möglicherweise… nein. Das kommt auf die Stärke der Derealisation an. Außerdem muss dabei auch eine Depersonalisation stattfinden, sonst spürt er sich selbst nämlich. Bei ihm findet wahrscheinlich beides gleichzeitig statt.“

„Und bei der stärksten Form fühlt man nix mehr?“, der Andere setzte sein Nicken nur fort, während seine Lider zufielen, bis er schließlich regungslos dasaß.

„Wenn du… vergewaltigt wirst… passiert dasselbe?“, flüsterte Katsuya.

Wiederum nur ein Nicken – diesmal schwächer.

„Du rutscht mir jetzt aber nicht auf in eine, oder?“, zwei mit Anfall waren mindestens einer zu viel. Er wusste ja nicht mal, was er jetzt machen sollte!

„Nein, ich… ich musste nur…“, der Ältere schluckte, „Ich musste an einen Jungen denken, den ich einmal kennen gelernt habe.“, er schwang seine Beine von der Matratze, stand auf, ging um das Bett herum und krabbelte von der anderen Seite zu Seto herüber.

Einen Jungen, den er kennen gelernt hatte? Sollte er weiter fragen? Es schien kein erfreuliches Erlebnis gewesen zu sein… oder war Yami der Junge? Oder war es komplett eine Ausrede?

„Was für ein Junge?“

„Ein… Stricher. Nun ja…“, er atmete tief durch, „Einer vom Babystrich.“

„Was ist das?“, irgendwie ließ das Wort vermuten, dass er noch keine einundzwanzig gewesen war.

„Die Bezeichnung für die Prostituierten, die unter ungefähr sechzehn Jahren sind. Meistens Kinder im Alter von vier bis zwölf Jahren.“

Katsuya erstarrte. Vier… Jahre? Kinder von… vier Jahren? Prostituierte? Seine Lider weiteten sich. Das war nicht wahr. Das war… das konnte nicht…

„Das gibt es?“, hauchte er.

Yami schnaubte, bevor er murmelte: „Surprise, surprise. Es gibt Minen zum Preis von zwei Eiern – was hat die Menschheit noch nicht eingeführt? Natürlich gibt es Kinderprostituierte.“

„Aber… wieso? Ich meine… was…“, der Blonde schüttelte leicht den Kopf.

„Du hast dich mit Stehlen und dem Verprügeln von Wohlhabenden durchgebracht. Andere Kinder gehen betteln. Und wieder andere lassen sich vergewaltigen. Kommt ganz darauf an, was die Eltern tun. Jedes normale Kind wählt Stehlen oder Betteln, aber wenn ein Zuhälter dich schnappt oder du von deinen Eltern verkauft wirst, dann landest du zwangsläufig auf dem Strich. Es gibt mehrere tausend Kinderprostituierte, das ist schon fast nicht einmal ungewöhnlich.“, der Ältere schüttelte seufzend den Kopf, „Kats, ich frage mich ehrlich, wie du bei deiner Vorgeschichte ein so naives Weltbild haben kannst… keine Ahnung von Sex, von Kinderprostitution… als nächstes erzählst du mir, dass es keine Sekten und Kultrituale, keinen Menschenhandel, keine Snufffilme und keine Erotikfilme mit Misshandelten gibt.“
 

„Ich… also…“, der Jüngere seufzte, ließ den Blick sinken und beschränkte sich darauf durch Setos Haar zu fahren.

„Entschuldige, ich wollte nicht so auffahren…“, murmelte Yami, „Mir begegnen nur mein ganzes Leben lang völlig ignorante Menschen, die davon nichts wissen und wenn doch, es für eine Lüge halten… ich hätte erwartet, dass du davon weißt.“

„Vom Babystrich?“, fragte der Blonde ähnlich leise nach.

„Und von Produzenten von illegalen Erotikfilmen und Snuff, die die Kinder kaufen, vor der Kamera vergewaltigen, quälen oder sogar töten lassen und sie, wenn sie gerade nicht filmen, auf den Strich schicken…“

Katsuya schluckte, atmete tief ein und sehr stockend wieder aus. Dass es Kinderpornographie gab, ja, aber… doch nicht so…

„Das… wusstest du auch nicht?“, erfragte der Rothaarige, wartete einen kurzen Moment und sprach ob der nicht vorhandenen Reaktion seines Gegenübers weiter, „Wie steht es mit Sekten, die ihre weiblichen Mitglieder gezielt schwängern, um die Kinder für ihre Rituale zu verwenden, in Massen zu vergewaltigen und ebenfalls in der Freizeit auf den Strich zu schicken?“

Das war nicht wahr. Das war alles nicht wahr. Das war… wie verdammt grausam konnten Menschen sein? Wie… abscheulich? Gottverdammte Monster. Wie konnten sie… das… nein… ein Schluchzen erklang.

„Katsuya…“, der Ältere beugte sich über Seto, legte einen Arm um den Größeren und zog ihn zu sich, „Hey, Kats… tut mir Leid… ich höre ja schon auf… tut mir Leid…“, er wiegte den Jüngeren und schmiegte seine Wange an dessen, „Tut mir Leid…“, hauchte er in sein Ohr.

Da war Schmerz. Schmerz, voll von Trauer und Hass, der heiß mit seinem Blut durch seine Venen schoss. Sein Herz krampfte. Krampfte vor Schmerz. Das war nicht wahr. Das war verdammt noch mal nicht wahr. Konnte ein Mensch so etwas tun? Konnte ein Mensch so verdammt grausam sein?

„Wie kann man so grausam sein?“, flüsterte Katsuya erstickt.

„Wie nicht? Kinderpornographie bringt Milliarden ein. Mit Depersonalisation kann man seine Gefühle wegschalten – perfekte Sache.“, Yamis Stimme troff vor Verbitterung.

„Aber… dann…“, die braunen Augen richteten sich auf den Brünetten.

„Seto?“, fragte der Ältere leise nach, ließ seinen Blick zwischen beiden schweifen, „Ja, Seto, als ein Mensch, der seine Gefühle entweder nicht spüren oder nicht deuten kann, könnte perfekt solch einen Job machen. Hätte man ihn von seinem Bruder getrennt und hätte ihn wer anders adoptiert – die perfekte Puppe.“

Katsuyas Sicht verschwamm.

Wie oft hatte er gelogen? Wie oft hatte er die Wahrheit gesagt? Wie oft hatte er nur geschauspielert? Wie oft war er er selbst gewesen? Ein Mensch, gestört, allein, unkontrolliert… er konnte verstehen, warum man psychische Krankheit verdammte.

„Können psychisch Gesunde das auch?“, fragte der Blonde nach.

„Gesunde?“, der Ältere hob eine Augenbraue, „Die Menschen, die nach außen hin gesund wirken? Glaub mir, die können das noch viel, viel besser…“
 

„Aber…“, Katsuya schüttelte den Kopf, schloss die Augen, atmete tief durch, „Okay. Es gibt also Menschen, die wirken ganz normal, die lassen Kinder vor der Kamera vergewaltigen oder töten.“

„Oder auspeitschen, verbrennen, allgemein foltern, alles zusammen in jeder möglichen Kombination… möchtest du wirklich darüber reden?“, erkundigte Yami sich.

„Ich denke… ja. Ich… entschuldige, dass… ich glaube, ich intellektualisiere gerade.“

Ein leichtes Lächeln schlich sich auf die Lippen des Kleineren, der seinen Arm von Katsuya löste, um ihm mehr Freiraum zu geben und diesen zu Seto sinken ließ, um ihm über den Arm zu streichen.

„Wahrscheinlich ist das auch besser.“, er atmete tief ein, „Ja, genau das passiert andauernd und überall. Die Videos werden illegal verkauft, kosten bis zu mehreren tausend Dollar, je nach dem, was drauf ist. Ich spreche einfach mal von Dollar, weil das international ist, ja?“

Der Blonde nickte.

„Meistens sind solche Produzenten eng mit der Yakuza verstrickt, zumindest bei uns. Wenn Kinder getötet werden, müssen die Leichen beseitigt werden, jemand muss ihren Verkauf auf dem Strich organisieren, ihre illegale Unterkunft, oft müssen Polizisten bestochen werden, das alles… mit Sekten ist das manchmal ähnlich, die können „ihre“ Kinder zwar bei den Eltern lassen, weil die Sektenmitglieder sind, aber auch da fällt es natürlich auf, wenn eine Schwimmlehrerin entdeckt, das irgendwer hemmungslos mit einer Jagdmesser in den Unterleib eines Kindes gestochen hat. Deshalb sind Sekten mit solchen Ritualen meist auch in der Unterwelt unterwegs. Nebst der Tatsache, dass es Profit bringt die Sektenkinder zu vermieten… durch die Mitglieder, die man von sich abhängig macht, kann man immer neue kriegen.“

„Wie geht das mit den Mitgliedern?“, fragte Katsuya nach.

„Die Abhängigkeit? Drogen, Qual, Gehirnwäsche… irgendwann ist man so tief drin, dass auf einen lebenslange Gefängnisstrafen warten, sollte man sich jemals an die Öffentlichkeit wenden. Mit gezielten psychologischen Strategien und guten Druckmitteln kann man Menschen zu nahezu allem kriegen.“

„Ich meine…“, er atmete tief durch, „So insgesamt… wieso kommt das nie raus?“

„Hm… du kennst die Yakuza, oder? Die hohen Tiere werden bestochen, alle anderen Ermittler laufen durch die Riesenorganisationen ins Leere oder werden getötet und beseitigt oder einfach nur durch Drohungen so schwer eingeschüchtert, dass sie nicht weiter arbeiten. Oder man weiß zwar, was die Leute tun, hat aber keine Beweise. Oder so was wird illegal geregelt, indem die Yakuza kurzerhand für die Polizei arbeitet… oder man wartet, bis die Clane sich gegenseitig umbringen. Ich meine, okay, nicht jeder bei der Yakuza steckt direkt so tief drin, viele spezialisieren sich auf so etwas wie Drogenhandel, aber… manche schon.“, der Ältere schloss die Augen, ließ seinen Oberkörper sinken und legte den Kopf auf Katsuyas Arm ab, auf dem auch schon Setos Haupt weilte, „Aufgedeckt werden in den Ländern mit den besten Ermittlungen eintausend bis dreitausend Fälle von Kinderpornographie im Jahr. Meistens Produzenten, die nicht genug abgesichert sind oder die für die Unterwelt den Bogen überspannt haben und damit ausgeliefert werden… selten wird eine ganze Organisation aufgedeckt. Dass sind Milliardengeschäfte, die da laufen, so was ist sehr schwer zu knacken.“

„Und wie viele Produzenten gibt es… schätzungsweise?“, Gott gab den Menschen den freien Willen, ja? Sehr witzig…

„Nun, mindestens tausend neue pro Jahr. Ansonsten habe ich keine Ahnung. Hier in Domino habe ich bisher sieben entdeckt.“
 

„Du hast… was?“, der Blonde starrte den Älteren an, „Was soll das heißen?“

„Nun… du hast mich mal gefragt, warum ich nicht mit der Prostitution aufhöre. Der Grund ist einfach. Als Stricher habe ich Zugang zu den Häusern des Yakuza-Bosse, kann mit der Yakuza direkt sprechen, mit den Mittelsmännern, den Zuhältern, den Schiebern… ich sehe manchmal die geladenen Politiker und Firmeninhaber und Polizisten…“, die Lider über den Amethystaugen wurden aufgeschlagen, „Ich kann mit einigem Aufwand die Listen mit dem Geldtransfer, die Personenverzeichnisse und ähnliche Dokumente entwenden…“

Reines Starren. Schweigen. Nicht-Bewegung. Stille. Starre.

Yami… war…

„Bist du… also…“, er schaffte es nicht den Kopf zu schütteln, „Ich meine… arbeitest du für die Polizei?“

„Für irgendwelche Typen, die Geld dafür kriegen ihre Nase raus zu halten? Nie im Leben.“

Aber… das hieß… dann war…

„Wenn sie das rauskriegen, bist du tot…“, hauchte Katsuya verzweifelt.

„Ich weiß.“, der Rothaarige schlug die Augen zu, „Ich weiß…“

„Ich bin in einem verdammt schlechten Actionfilm gelandet, oder?“, der Jüngere strich sich mit der Hand über die Augen, „Sag mir, dass das ein Scherz ist. Bitte, Yami.“

„Es ist keiner.“

Irgendetwas sollte geschehen. Yami sollte lachen und sich darüber lustig machen, dass er es ernst genommen hatte. Seto sollte aufwachen und mit einfallen. Bakura sollte sich Eintritt verschaffen und mit Obst bewaffnet mit Ryou einen Krankenbesuch machen. Irgendetwas…

„Die Dokumente sind gesichert und gehen an verschiedene Polizeistationen, sollte mir etwas passieren. Irgendwer wird schon nicht korrupt sein und anhand der Sachen ein bisschen was durchsetzen.“

„Aber…“, die Bernsteine richteten sich wieder auf die tiefen, dunklen Augen.

„Ich möchte dir endlich die Wahrheit sagen. Ich benutze meinen Job, um an Dokumente und Beweise zu kommen und einigen Kindern und Frauen zu helfen. Meine Liebschaften sehen ähnlich aus. Hiroto arbeitete in einer der Bars, wo die VIPs, die mit der Yakuza konspirieren, ein und aus gehen. Weil er wegfiel, habe ich mir Marik genommen, der im Sixth Heaven die meisten Gespräche mitbekommt, wo die Yakuza verkehrt. Und ich will ehrlich sein: Auch Seto hatte zu seiner Zeit als Firmenchef Beziehungen zur Yakuza. Er hat einige Coups veranstaltet, um gegnerische Firmen zu ruinieren und sie aufzukaufen. Ich habe auch aus ihm Informationen gepresst.“, ein Schatten schien sich über das harte, alt wirkende Gesicht zu legen, „Bei dir dachte ich auch erst daran, was aus dir zu holen ist und wie man dich einsetzen kann… das war meine Motivation dich aufzupäppeln… aber… du warst anders. Du wolltest nicht mit mir schlafen, du wolltest kein Geld, keine Hilfe…“, die dunklen Augenbrauen zogen sich zusammen, „Du hast mich fasziniert. Du warst der erste Mensch, bei dem ich irgendwann nicht mehr über den informellen Wert nachgedacht habe. Du warst der erste… dem ich je vertraut habe.“
 

Katsuyas Blick streifte Seto, über dessen Augen sich seine Lider gelegt hatten. Weiter seinen Arm entlang, der unter dem Gewicht der beiden Köpfe schon ein wenig taub war. Mitten in rotviolettes, glänzendes Haar, in einen hellblonden Pony zu amethystfarbenen Augen. Yami. Sein Leben lang die Selbstlosigkeit in Person, das Opfer eines Berufes, zu dem er gezwungen worden war, die Quelle an Freude und Optimismus. Alles nur Schein.

Er war kein Opfer, kein Optimist und sehr sicher nicht selbstlos.

Obwohl… ihm gegenüber… er hatte ihn nicht benutzt, oder? Er war wirklich ein… Freund. Irgendwann war es selbstlos geworden. Irgendwann war er… diese Quelle geworden. Dieses… Idol. Dieses abschreckende Selbst, was doch so faszinierend begehrenswert war. Er hatte ihn gehasst wie geliebt.

Dabei war die Wahrheit eine völlig andere. Was sollte er von Yami halten? Was sollte er denken? Was?

„Warum?“

„Warum was?“

„Warum machst du diese Ermittlungen?“, die brachten ihn und sein komplettes Umfeld in Lebensgefahr. Sie brachten Seto und Katsuya selbst in Gefahr!

„Weil ich nicht zusehen kann, wie Menschen leiden. Ich kann nicht einfach wegsehen. Dieser Junge… er hat mir alles erzählt. Was sie mit ihm angestellt haben. Und plötzlich… plötzlich war er still… er…“, der Ältere drehte sich auf den Rücken, hob die Arme und legte seine Hände auf sein Gesicht.

„Was war mit ihm?“

„Er… stand auf und… ich hatte es nicht kommen sehen. Ich wusste ja damals nicht… er…“, die Stimme brach.

„Yami – was hat er getan?“

„Er hat ein Messer gezogen und sich die Kehle aufgeschnitten.“

„Was?“, zischte der Blonde. Halt. Nein. Falsch. Er erzählte und schnitt sich die Kehle auf? Nie im Leben. Erinnerungsverzerrung. Das konnte Yami nicht gesehen haben. Das war nicht…

„Sie hatten ihm per Gehirnwäsche eingepflanzt, dass er sich umbringen muss, sollte er jemals bestimmte Namen oder Orte oder Taten nennen…“, die Arme fielen herab, verschränkten sich über dem Gesicht des Liegenden, „Ich… ich wusste nicht… damals… ich wusste nicht… dass das geht.“

Katsuya spürte Tränen auf seinen Wangen. Tränen? Wie lange waren sie schon da? Seit vorhin? Seit gerade? Hmpf. Waren sie denn da? Oder war es nur eine Einbildung? Eine Verzerrung der Wirklichkeit? Ein Ignorieren dessen, was es gab, ein Preisen dessen, was es nicht gab… um zu überleben?

Das System

Neun Uhr abends, Mutter und Tochter kommen nach Hause und beginnen ihre Hausarbeit, draußen ist es dunkel, der Mann liegt schnarchend im Bett, die Vögel zwitschern - was ist falsch in diesem Bild? (Beizeiten finde sogar ich die Welt skurril v.v)

Wie ihr vielleicht gesehen habt, DS ist nicht bei YUAL. Ich persönlich war darüber schon enttäuscht, erst solche Hoffnungen zu machen und sie dann doch nicht zu erfüllen, aber ich will mich nicht beschweren. Allein in die Auswahl aufgenommen worden zu sein ist doch etwas ^.^ Auch wenn ich ein wenig frustriert bin. Nebst genervt von der Schule (ich habe sieben Schulstunden mit Frühstücken verbracht >_< Wozu gehe ich da hin?) und völlig überarbeitet (siehe oben, würde ich mal sagen). Deswegen werden die Antworten zu den Kommentaren auch später kommen. Ich kann leider nicht einmal sagen, wann, da ich derzeit ca. 14-16 Stunden pro Tag arbeite und wir nebenher noch renovieren. Ich werde auf jeden Fall gleich noch anfangen. Entschuldigung dafür v.v

Ich hoffe, euch geht es besser als mir derzeit.
 

P.S.: Braucht es eine Warnung, dass dieses Kapitel extrem kitschig wirkt? Gutes Problemlösungsverhalten, gegenseitige Selbstversicherung, Setos kindliche Anteile und eine eigentlich ernste Situation klingt wie entnommen aus einem Rosamunde-Pilcher-Roman...
 

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„Du wirst nicht damit aufhören, egal, was ich sage, oder?“

Katsuya erwartete keine Antwort. Er kannte sie bereits. Das war also Yamis Lebensinhalt, Yamis Ziel… Yamis Vision, für die er bereit war sein Leben zu opfern. Sie waren junge Leute. Junge Leute mit einer Idee einer besseren Welt im Kopf, nicht zu jung, um hilflos zu sein, nicht zu alt, um so abgestumpft zu sein, dass die Doktrin der Welt sich in ihre Köpfe gehämmert hatte. Junge Leute mit Träumen. Mit Zielen, für die sie kämpften.

„Wie lange arbeitest du schon daran?“, fragte der Blonde auf die wie erwartet nicht vorhandene Antwort.

„Drei Jahre.“

„Und niemand vermutet etwas? So dumm kann die Yakuza nicht sein.“, Yami wollte die Ausbeutung von Kindern und Frauen eindämmen – heroisches Ziel, aber gut, ein zu unterstützendes.

„Ich denke nicht. Ich bin extrem vorsichtig. Einige wissen, dass ich die Kinder vom Babystrich hole und das missfällt ein paar, aber dafür ist mir noch keiner an den Kragen gegangen. Weiter als eine tote Katze vor meiner Zimmertür und zwei Einbrüche in meine Wohnung ist es nicht gekommen.“

Sagte er so einfach… das waren ziemlich unmissverständliche Drohungen.

„Meinst du nicht, du solltest die Drohungen ernst nehmen?“

„Nein.“, Yamis Lider zuckten einen kurzen Moment, „Ich würde nur das tun, was sie wollen, das gäbe ihnen Macht über mich. Die werde ich ihnen nicht geben. Die Yakuza ist schlau genug, um zu wissen, dass es einige Probleme geben würde, sollte mich jemand von ihnen angreifen.“

„Wieso? Was für Probleme?“, auch wenn er kein Unbekannter war, er war immer noch Stricher, lebte in einem Randgebiet und hatte keinen Kontakt zu Verwandten.

„Dass ich mit den hohen Tieren von so ziemlich jedem Clan schlafe.“, ein amüsiert wirkendes Lächeln legte sich auf seine Lippen, „Es würde keinem gefallen, wenn ich plötzlich nicht mehr da wäre…“, sein Gesicht wurde wieder ernst, „Ich maße mir nicht an unersetzbar zu sein, aber wenn man etwas gegen mich unternimmt, dann nur in Abstimmung mit den anderen Clanen. Dass es da zu einer Einigung kommt… ist unwahrscheinlich. Zumindest solange ich mich bedeckt genug halte und somit nicht alle verärgere.“

„Noch mal, Yami… das ist gefährlich. Du bringt auch unser Leben damit in Schwierigkeiten. Wenn die Drohungen sich darauf ausweiten, dass man deine Freunde angreift, stört das keinen großartig. Okay, bei Seto wären sie vielleicht vorsichtig… aber…“, Katsuya schluckte.

„Kats… deswegen sage ich es dir jetzt.“, der Ältere seufzte, „Du hast derzeit genug Sorgen, ich weiß, aber die derzeitigen Entwicklungen sorgen mich… es ist deine Entscheidung, ob du den Kontakt zu mir abbrechen willst.“
 

„Was?“, zischte der Größere, „Was soll das denn? Nie im Leben.“, erwiderte er sofort, „Das kannst dir abschminken. Ich werde ganz sicher nicht von deiner Seite weichen. Die Gefahr der Yakuza kann nicht schlimmer sein als die Gefahr, dass Seto mir etwas antut, also ist es nichtig. Ich habe mich selbst für dieses Leben entschieden. Oh – nicht zu vergessen die Gefahr, die von Bakura ausgeht.“

Apropos… Bakura… da kam man doch auf die Idee…

„Sag mal, wie stehst du dazu mit Bakura zusammenzuarbeiten?“

„Äh… wie bitte?“, der Rothaarige blinzelte verwirrt.

„Bakura. Er ist Polizist. Ziemlich unbestechlich, denke ich. Er ist professioneller Hacker und Einbrecher und möchte in Richtung verdeckte Ermittlung bis Geheimagent gehen – ich wette, das ist hilfreich. So weit ich gehört habe, ist er auch ziemlich gut darin.“

„Pff…“, Yami stieß die Luft aus, während er sich durch die Haare fuhr, „Das… das ist mal ein ganz neuer Gedanke…“, sein Blick wanderte zu Setos schlafend wirkendem Gesicht, „Das ist echt, als hätten wir einen Komapatienten, was? Ich frage mich, was er dazu sagen würde.“

Wie? Was? Ach, Seto… ja, ein bisschen komatös war dieser Zustand glatt. Vielleicht sollten sie Mittel für Komapatienten benutzen, um ihn wieder in die Realität zu bringen? Was benutzte man da eigentlich? Elektroschocks? Wahrscheinlich nicht.

„Ich glaube, bevor ich mit Bakura zusammenarbeiten könnte, müsste er erst einmal behandelt werden. Seto ist da bei weitem unkomplizierter, der weiß, was er hat und wie er damit umgehen muss. Und normalerweise kriegt er das auch problemlos geregelt.“, ein leichter Seufzer, „Wenn er nicht gerade in einer Krise steckt. Aber gut, was einen nicht umbringt oder krank macht, macht stärker.“

„Meinst du, ich retraumatisiere ihn?“, flüsterte Katsuya, während er mit einer Hand über Setos Wange strich.

„Vielleicht.“, ein Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Älteren aus, „Aber ich denke, schlimmer kann es nicht mehr werden. Wenn ihr jetzt nicht den Tiefpunkt eurer Beziehung erreicht habt, weiß ich auch nicht weiter.“

„Sehr aufbauend…“, knurrte der Blonde.

„Stets zu Diensten. Was meinst du, kann ich euch beide kurz allein lassen? Dann mache ich unten sauber, sage meine Termine für heute Nacht ab und komm dann wieder. Ich vermute, Seto wird die nächsten paar Stunden so bleiben.“

„Stunden?“, fragte er mit leichtem Entsetzen in der Stimme.

„So was kann sogar Tage dauern. Aber ja, ich denke, Stunden.“

Katsuya sog tief Luft ein, schloss die Augen und stieß sie mit einem langen Seufzer wieder aus. Stunden… na super…

„Dann bis gleich.“

„Überprüf’ seine Atmung, ja? Ruf mich, falls sie aussetzt.“

Welch Beruhigung…
 

„Hey, Seto…“, der Blonde beugte sich über die liegende Gestalt, strich mit dem Rücken seines rechten Zeigefingers über dessen Wange und stupste mit der eigenen Nase gegen die seine, „Kleiner Drache…“, sanft pustete er auf die geschlossenen Lider, „Wach auf, Großer…“

„Hrrm…“, der Liegende zog die Brauen zusammen, wandte den Kopf ein wenig zur Seite und leckte sich über die Oberlippe. Er wachte auf? Also doch keine Stunden. Seine Nasenspitze zuckte leicht. Süß, ein aufwachender Seto… na ja, konnte man eigentlich von Aufwachen sprechen?

„Hey. Komapatient.“, ein Lächeln legte sich auf Katsuyas Lippen, „Na, wieder an der Realität interessiert?“

„Hm?“, Setos Lider zuckten, hoben sich, die blaue Iris dehnte sich aus, ließ der Pupille wieder Platz, während sie sich langsam auf dem Jüngeren richtete.

„Hi.“, hauchte dieser, die Augen verträumt, ein breites Lächeln auf den Lippen.

Ein ähnliches legte sich auf Setos, welcher seinen Kopf, der auf Katsuyas linkem Arm lag, gegen dessen Schulter lehnte. Zutraulich, was? Anscheinend war er nicht mehr der Meinung von ihm verletzt zu werden. Probleme konnten sich wohl doch von selbst lösen. Ein paar zumindest.

„Na, wie fühlst du dich?“, erkundigte sich der Blonde mit tiefer, sanfter Stimme.

„Beschissen.“, hauchte der Liegende mit einem Lächeln auf den Lippen gegen Katsuyas Schulter.

„Äh… tja…“, sollte es ihm nicht eigentlich besser gehen? „Wieso?“

Ein Handrücken strich über seinen Bauch zu seiner Brust hoch, zwei Finger übten Druck auf sein rechtes Schlüsselbein aus, sodass er sich auf die Matratze sinken ließ. Seto hob seinen Kopf, stützte ihn mit dem rechten Arm, während er den nun Liegenden von der Seite betrachtete.

„Wie geht es deinem Kopf?“, fragte er leise.

„Gut, danke.“, antwortete der Jüngere wahrheitsgemäß, „Ich merke, dass ich selbst noch zurückzucke, wenn ihm etwas nahe kommt, aber ansonsten ist bis auf eine ganz kleine Platzwunde nichts vorerst bleibend. Der Arzt wollte morgen noch mal auf Schädelfraktur und Gehirnblutungen prüfen, aber sonst ist alles okay.“

„Welcher Arzt?“, flüsterte Seto, fuhr mit der freien Hand zu Katsuyas Nacken und griff sich ein paar Strähnen, um sie um seinen Zeigefinger zu wickeln, was der Blonde gewährte.

„Unser Arzt. Er schweigt. Yami ist unten. Bakura hat sich um die Tür gekümmert. Ich soll ausrichten, damit seid ihr quitt.“

Der Ältere nickte bedächtig, mit dem Blick auf Katsuyas Augen verharrend, bevor er seinen Kopf zur Seite legte und ihn auf die Brust des Liegenden sinken ließ.

„Du beginnst wie ich zu denken.“

Einen Moment Schweigen.

„Ich möchte dich verstehen, Seto.“, Katsuyas Hand fuhr in das braune Haar.

„Ich verstehe mich selbst nicht.“, gab der Ältere zu.

„Ich weiß…“, mit der freien Hand strich der Blonde über den Arm, der quer über seiner Brust lag, „Aber zwei Köpfe sind schlauer als einer, meinst du nicht?“

Auf seiner Haut spürte er ein schwaches Nicken.
 

„Ich habe ziemlich viele Fragen…“, murmelte der Blonde in die Stille und spürte ein kurzes Aussetzen von Setos Atem auf seiner Haut, „Wann soll ich sie stellen?“

Immer dann, wenn es eh egal war, wie viele Ausbrüche Seto hatte – so der letzte Stand der Dinge. Gemessen daran, dass Sonntag war, wäre jetzt also okay. Aber Seto hörte sich nicht so an, als würde er derzeit Belastungen vertragen. Nichtsdestotrotz, es gab einiges, was sie klären sollten.

„Was für Fragen?“, kam eine relativ gebrochene, zitternde Stimme aus Richtung seines Brustkorbes.

„Fragen über heute Morgen, gestern Abend und uns im Allgemeinen.“

Die Finger, die vorhin durch sein Haar gefahren waren und nun in Höhe seiner Schulter lagen, krallten sich in den Stoff seines T-Shirts. Der brünette Schopf drehte sich weiter in seine Richtung, sodass mehr Haare in Setos Gesicht fielen.

„Ich muss dir etwas gestehen.“, sagte er dennoch relativ fest, die Stimme zwar nicht kalt, aber dennoch keine Kinderstimme und wurde ermutigt durch das Kraulen seines Nackens, „Ich bin auch eine Niete im Problemlösen. Ich weiß theoretisch, wie das geht, aber… praktisch bin ich auch nicht zu gebrauchen, wenn irgendetwas sehr Emotionales dabei ist.“

„Ich vermute, heute morgen zählt als sehr emotional?“, der Blonde ließ von dem Größeren ab, legte seine Arme in Höhe von dessen Taille um seinen Oberkörper und drückte ihn sanft, aber entschieden an sich, „Das Thema ist für uns beide schwer, also machen wir das Beste daraus.“, schlug er vor, als Seto nicht antwortete, „Erst einmal… mit was für Dingen, die dich selbst betreffen, hast du Probleme?“

„Gefühle.“, flüsterte der halb auf ihm Liegende, der die Augen schloss, „Ich kann sie empfinden, aber nicht deuten. Außer wenn ich wütend bin, ist alles nur… wie ein großer Topf, in den man zu viele Zutaten geschmissen hat. Man weiß nicht mehr, was drin ist. Und das macht mich wütend. Egal, was ich fühle, außer es ist Schadenfreude oder Wut oder Hass oder Schuld… es wird zu Aggressionen.“

„Du musst also lernen, was deine Gefühle sind und was sie bedeuten. Und was Gefühle anderer sind und wie man sie erkennt, nicht wahr?“

„Ja…“, der Brünette schluckte, „Und dann ist da… der Hass. Der Hass, der gegen die Welt, dann wieder gegen mich und wieder gegen andere schlägt. Er ist einfach da. Und er sucht sich immer neue Opfer.“

„Und urplötzlich spürst du Hass auf eine Person?“, wie gut war ihm das bekannt. Der Hass. Der Hass gegen die Welt, der Ekel vor der Realität. Die Menschen, ihr falsches Lachen, ihre heuchlerische Freude. Im selben Moment, wo sie einem eine Perlenkette umlegten, zogen sie auch schon zu. Und doch… war dieser Hass Vergangenheit. Einfach verschwunden. Als hätte man ihn mit dem Staub und dem Dreck der Gosse von ihm abgewaschen. Konnte man Setos Seele auch waschen?
 

„Hm?“, Katsuya stupste dem Liegenden mit der Nase gegen den Kopf, „Kommt der Hass plötzlich?“

„Ja.“, die Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, „Und wenn er gegen mich geht… dann kommt die Schuld. Was bin ich denn? Was will ich denn? Wäre die Welt nicht ohne mich schöner? Ich bin nur ein Monster, das hasst und zerstört… ich bin nur… ich bin niemand. Würde mich denn irgendwer vermissen? Würde man sich nicht freuen, wenn ich weg wäre?“, die feste Stimme ging in ein Zittern über, „Ich- ich- ich habe nie darum gebeten zu leben… ich wollte nie… ich sollte nie… ich habe allen nur geschadet. Wegen mir konnte Mama nicht mehr arbeiten. Sie war so traurig. Immer saß sie am Fenster. Sie haben sie nicht zurückgenommen, nachdem sie mich hatte. Den ganzen Tag war sie zuhause. Und immer so traurig. Das war meine Schuld. Nur meine Schuld.“, die Finger krallten sich tiefer in den Stoff, den Katsuya trug.

„Hat sie dir das gesagt?“, flüsterte der Blonde, während Seto wieder schwieg, „Hat sie?“

„Nein.“, erwiderte der Ältere einige Sekunden später, „Hat sie nicht. Sie war immer… liebevoll. Aber sie war auch… traurig.“

„Sie hat sich für dieses Leben doch selbst entschieden, oder?“, er festigte seinen Griff und zog den Brünetten ein wenig höher, „Du hast mal gesagt, dass Menschen für ihr Leben selbst verantwortlich sind. Wenn wir das sind, war deine Mutter das auch. Wenn sie traurig war, dann hätte sie etwas gegen diese Trauer tun können. Die Schuld liegt ganz sicher nicht bei dir. Außerdem kannst du gar nichts dafür, dass du geboren wurdest. Du hast selbst gesagt, dass das nicht deine Entscheidung war. Meinst du nicht?“

„Denkst du…“, der Ältere sah auf, die Haare durcheinander, die Lippen rot, die Augen glänzend, die Brauen zusammengezogen, „Ich bin nicht schuld…“

„Nein, ganz sicher nicht. Es gibt sicher ein paar böse Dinge, an denen du einen Teil Schuld trägst – aber sicher nicht an der Traurigkeit deiner Mutter.“, er richtete sich ein wenig auf und setzte einen Kuss auf Setos Stirn, „Und selbst wenn, ich denke, du hast dein Bestes gegeben sie aufzumuntern. Allein das würde jede Schuld tilgen.“

„Ich bin nicht mehr schuldig, wenn ich es wieder gut mache?“, flüsterte der Brünette, Verzweiflung in seinem Blick.

„Ja. Wenn man etwas Schlechtes tut, soll man daraus lernen, es nicht noch einmal zu machen. Und den Schaden wieder gut machen. Jede Schuld ist getilgt, sobald man den Fehler meidet und einem verziehen wird.“, mit einer Hand fuhr Katsuya in das braune Haar, „So habe ich es von dir gelernt. Deswegen ist es wichtig Menschen zu sagen, dass sie etwas tun, das einem missfällt – und zu vergeben.“

„Was kann ich tun…“, Setos Hand strich äußerst sanft, wie eine Feder über die Stirn des Jüngeren, „Kann ich das wieder gut machen?“

Der Blonde griff die Hand, drückte sie, zog sie zur Seite, um seine Bernsteine auf den Oberen zu richten, bevor er flüsterte: „Das hast du, Seto. Das hast du längst. Mach es einfach nie wieder.“
 

„Und wenn…“, die Mundwinkel des Größeren sanken herab, während er die Unterlippe vorschob, „Was, wenn ich es wieder tue? Wenn ich noch einmal die Kontrolle verliere? Ich will… ich will dir nicht wehtun.“, das Letzte war nur noch gehaucht.

„Ich dir auch nicht.“, ein Lächeln legte sich auf Katsuyas Lippen, „Und ich werde es trotzdem tun. Es liegt in der Natur des Menschen anderen wehzutun. Das ist unvermeidlich.“

„Aber-“

„Aber…“, unterbrach der Jüngere den Lehrer, „Aber es liegt auch in der Natur des Menschen zu verzeihen. Das ist es zumindest, was ich glaube. Ich glaube, dass ich dir verzeihen kann und dass du mir verzeihen kannst. Weil ich glaube, dass der Mensch kein schlechtes Wesen ist… möchte ich hier bleiben. Weil ich nicht denke, dass du ein Monster bist. Du bist ein Mensch…“, Setos Lider fielen hinab, wodurch zwei Tränen sich ihren Weg über seine Wangen suchten, „Vielleicht ein sehr verletzter Mensch. Ein verbitterter und mürrischer und hoffnungsloser…“, Katsuya umfasste das Gesicht des Älteren mit beiden Händen und zog es so zu sich, dass sie Stirn gegen Stirn lagen, „Aber ein Mensch. Für mich zählt, dass du dich bessern willst. Das macht dich für mich zu einem wundervollen Wesen. Weil du weißt, dass du nicht perfekt bist und es auch nie werden kannst, dass die Welt nicht perfekt ist und es auch nie werden wird, das alles, was wir tun können, ist, die Dinge zu bessern… das ist für mich alles, das zählt.“

„Du bist auch wundervoll.“, hauchte der Brünette atemlos, „Danke. Danke…“, er drückte seine Lippen für einen kurzen Moment gegen Katsuyas, „Danke…“

Der Blonde spürte den Körper in seinen Armen zucken, während Setos Gesicht neben dem seinen ruhte.

„Tut mir Leid…“, flüsterte der Ältere in sein Ohr.

„Was tut dir Leid?“, fragte Katsuya nach.

„Das… alles. Alles, was ich dir angetan habe. Dass ich dich unglücklich gemacht habe. Dass ich… dass ich böse war. Dass-“

„Sssh…“, wies der Jüngere ihn an, „Derzeit könnte ich kaum glücklicher sein. Und das habe ich ganz allein dir zu verdanken.“

Setos Kopf hob sich, die blauen Augen strahlend wie funkelnde Sterne, während seine Lippen das Wort nur formten: „Ehrlich?“

„Ja.“, hauchte Katsuya, „Ehrlich.“, einen Moment sahen sie sich nur an, „Ist das eine Liebe, die du annehmen kannst? Oder macht sie dir Angst?“

„Sie macht eine Heidenangst.“, erwiderte der Größere lächelnd, „Aber…“, der Blonde blinzelte zweimal, „Das ist kein Grund es nicht trotzdem zu probieren.“

Und Katsuya antwortete mit nichts anderem als einem Lächeln.

Abusive

Ich fasse mich kurz, weil ich vor Müdigkeit halbtot bin und übermorgen meine erste Abiturklausur schreibe: Antworten auf die Kommentare gibt es vorraussichtlich morgen, ansonsten Dienstag. Die Kapitel werden weiterhin mittwochs und samstags erscheinen. Bis morgen, Gepo

Viel Spaß beim Lesen ^.- (Und auch wenn ich sie gerade wenig würdige, danke für die Kommentare!)
 

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„Nun…,“ eine leichte Röte schlich sich auf Setos Wangen, während er den Kopf zur Seite wandte, die Stimme wieder fest und ein wenig kühl, „Du wolltest Fragen stellen.“

„Hm…“, ein amüsiertes Schmunzeln, was man sonst auf den Lippen des Oberen fand, legte sich auf Katsuyas, „Sehr wahr. Du hast Probleme Gefühle zu deuten. Das macht dich aggressiv. Will ich deine Aggressionen eindämmen, musst du also das Deuten lernen. Dann hast du so einige irreführende Einstellungen… Täterintrojekte, die aufgeklärt werden müssen. Und deine Instabilität, besonders in deinem Verhalten gegenüber anderen… besonders mir. Was machen wir damit?“

„Das habe ich erklärt bekommen.“, der tränenverschmierte Blick legte sich auf Katsuyas Schlüsselbein, „Das ist ein von Borderline bekanntes Symptom. Das kommt, weil ich keine Gefühle deuten kann. Weil ich niemanden einschätzen kann. Ich habe immer… ich habe grässliche Angst verlassen zu werden. Deswegen möchte ich alle Menschen an mich binden. Aber ich habe ebenso viel Angst verletzt zu werden. Von Menschen. Enttäuscht zu werden… deswegen stoße ich sie von mir. Deswegen… heute morgen, da… ich dachte, du würdest mich hassen. Ich dachte, du würdest mich verlassen. Deshalb wollte ich dich verlassen, bevor du mir wehtun kannst. Deswegen… auch jetzt. Ich will dir glauben, dass du mich nicht verlässt. Aber ich weiß, dass du es jederzeit kannst. Dass du mir jederzeit… wehtun kannst.“, in den Saphiren stiegen neue Tränen auf, „Das macht mir Angst. Ich habe grässliche Angst vor dir, deshalb will ich mich vor dir schützen. Aber ich habe genauso viel Angst allein zu sein. Ich finde keine Mitte. Ich schwanke von einem Extrem ins andere. Ich kann… für mich ist diese Welt weiß und schwarz, weißt du?“, der Ältere schluckte, „Ich kann kein Grau sehen. Entweder bist du der wundervolle Mensch, der mich nie verlässt, der mir nie wehtut… oder du bist das Monster, dass mich nur verletzen will. Ich kann nichts dazwischen wahrnehmen. Es ist…“, er seufzte tief, versuchte seine Fassung zu finden, „Das ist immer so. Überall. Entweder idealisiere ich etwas oder ich verdamme es. Ich spalte krankhaft. Kennst du den Abwehrmechanismus Spaltung? Den wende ich dauernd an, für alles und jedes. Weil alles mir Angst macht.“

„Alles?“, er hatte vor… allem Angst?

„Ja.“, er versteckte sein Gesicht wieder in Katsuyas Halskuhle, „Nur Sex… das macht mir keine Angst. Da fühle ich mich sicher. Warum auch immer.“
 

Das musste grausam sein. Angst vor allem. Und aus der Angst kam die Spaltung. Dieses war gut. Jenes war schlecht. Ordnung in einer Welt voller Chaos. Wenn alles durcheinander war, dann musste man in Gut und Schlecht unterscheiden, um überleben zu können. Nur wenn man sicher war… dann konnte man das Graue sehen. Setos Welt war Chaos. Seine Mutter war liebevoll, aber er wusste, dass sie ihn eigentlich nicht wollte. Sein Vater wollte sich um ihn sorgen, aber er war nie da. Sein Adoptivvater versprach ein besseres Leben, aber er wurde nur bestraft. Und immer wieder kamen unerwartete Grausamkeiten. Da war keine Sicherheit. Kein Vertrauen in irgendetwas. Da war nur Chaos. Seine ganze Krankheit… das war nicht krank. Das war normal. Sein Körper tat nichts, als das Chaos auszugleichen. Das war alles. Jedes Symptom – alles hatte nur diesen einen Ursprung.

Aus dem Chaos kam die Angst. Aus der Angst kam die Suche nach Ordnung, nach Perfektion. Aus der Unperfektion und der Unvorhersehbarkeit der Menschen der Hass. Aus dem Hass die Abwehr der Menschheit, die Kälte. Aus der daraus resultierenden Einsamkeit neue Angst. Und diese unglaubliche Angst stellte der Körper ab, indem er seine Gefühle vom Bewusstsein trennte. Mit Dissoziationen. Die machten wieder neue Angst. Die Angst verrückt zu werden. Jedes Anzeichen von Andersartigkeit brachte neuen Hass, neue Angst, Panik. Man versuchte perfekter zu sein. Und scheiterte daran. Man begann Menschen zu meiden, einsam zu sein. Und wieder Dissoziationen. Und wenn die nicht mehr halfen, dann kam der Alkohol, die Drogen, alle Arten von Betäubung – bis man seine Gefühle mit Schmerzen betäubte. Schmerzen, die man sich selbst antat. Und wieder mehr anders. Wieder weniger perfekt. Und noch mal alles von vorne, noch schlimmer, noch grausamer. Ein Teufelskreis.

Ein Teufelskreis, aus dem man nicht entkommen konnte, wenn man nicht verstand, warum der Körper das tat. Warum geschah, was geschah, warum man fühlte, was man fühlte. Warum man so war, wie man war. Wie Schmerzen, Angst, Trauer – wie all diese Dinge so genannte Krankheiten hervorriefen. Man war nicht ein Produkt seiner Umwelt, jener reagierte anders als andere, das mochte sein – aber egal, was man tat, die Gefühle, die eigene Meinung darüber lösten wohl dasselbe aus. Man war geprägt durch seine Gene, seine Kindheit, seine eigenen Erkenntnisse, seine Umwelt. Man wurde nicht krank, weil man schwach war oder schlecht. Man wurde krank, weil man das erlebt hatte, was man erlebt hatte und das darüber empfand, was man empfunden hatte, weil man aus seiner Vergangenheit gelernt hatte – und zu oft das falsche. Deswegen war es wichtig zu lernen. Immer neues, immer anderes. Deswegen musste man versuchen zu verstehen und nachzuvollziehen. Weil Starre Unglück hieß. Weil Ausharren und sich gegen Neues zu sperren hieß, dass man das Falsche in sich behielt und Fehler immer wieder beging. Ein guter Mensch… das war ein Mensch, der lernte. Der immer Neues entdeckte. Ein glücklicher Mensch. Das war ein Mensch, der aus dem, was er erlebte und was andere erlebten, lernte.

Wenn man für Neues offen war und immer mehr Erfahrungen sammelte – sollte man dann nicht glücklich werden können? Wenn man sich entwickelte… und wenn man anderen half sich zu entwickeln. Wenn die letzten Wochen Katsuya eins gelehrt hatten, dann Jenes: Glücklich war der Mensch, der wie ein Kind die Welt erforschte, voller Neugierde und Wissensdurst und in der Lage war, wie ein Erwachsener nach dem Glück für sich und andere zu streben.
 

„Du suchst die goldene Mitte, was?“, fragte Katsuya, „Und um sie zu finden, musst du lernen…“

„Ja.“, Seto atmete tief durch, „Was ich auch noch lernen muss, das… das ist, dass ich nicht weglaufe, auch wenn ich große Angst habe. Ich kann meine Angst nicht lindern, wenn ich mich ihr nicht stelle. Ich will nicht feige sein.“, ihre Blicke trafen sich wieder.

„Feige… das klingt negativ.“, stellte der Blonde fest.

„Das ist auch negativ gemeint.“, ein fester Ausdruck legte sich auf Setos Züge, „Wenn ich eins nicht sein will, dann feige. Seto Kaiba ist nicht feige. Auch nicht, wenn ich vor allem Angst habe. Das soll das erste sein, was ich ändere. Ich versuche das zu tun, wovor ich sonst zu viel Angst habe.“

„Und was wäre das?“, erkundigte sich der Jüngere.

„Ich führe eine Beziehung.“, ein Kuss wurde auf Katsuyas Lippen gesetzt, „Und wehe, du hilfst mir nicht. Dann wird das Kind in mir sich in eine Ecke setzen und schmollen.“

Der Kleinere drückte sich feste an den Oberen, versteckte sein Gesicht und versuchte sein Zittern zu verbergen. Er sollte jetzt definitiv nicht in Lachen ausbrechen. Er sollte ernst bleiben. Er sollte- scheiß drauf. Er prustete gegen Setos Brust, schmiss seinen Kopf zurück und lachte aus vollem Hals. Oh, Himmel… Himmel… nein, bitte nicht. Nicht schmollen. Nicht dieser absolut kindliche, böse Blick.

„Seto, wenn du so weitermachst, werde ich dich so fest umarmen, dass du erstickst.“, drohte der Blonde spaßhaft. Das war echt so was von unfair. Schmollen gegen Hundeblick. Sie konnten wohl beide den anderen austricksen.

„Das war mein voller Ernst.“, murmelte eine eher kindliche Stimme Setos beleidigt, „Hilf mir gefälligst.“

„Und was soll ich tun, mein kleiner Drache?“, flötete der unten Liegende.

„Och…“, urplötzlicher Wechsel zu einer tiefen, voluminösen und definitiv verführerischen Stimme, „Mir fällt da sicher etwas ein…“

„Ach wirklich?“, ihre beiden Köpfe legten sich in entgegen gesetzte Richtungen schief, sodass ihre Lippen – und Zungen – freien Spielraum hatten. Wenn Versöhnung so aussah, konnten sie hier und jetzt den nächsten Streit beginnen, bitte…
 

„Ich glaub’s ja nich’…“, wie? Was? In Setos Mund steckte seine Zunge, der konnte das nicht gesagt haben, oder? Verdammt, Yami! Den gab es ja auch noch. Katsuyas Lider flogen in die Höhe, die Augen suchten die direkte Umgebung ab – viel braunes Haar, noch mehr Marmorhaut und ein belustigtes Aufblitzen von Saphirblau – und sein Arm schob den Oberen mit sanfter Gewalt von sich.

„Yami.“, geweitet richteten sich die braunen Augen auf den gegen den Türrahmen Lehnenden, „Du bist schon fertig?“

Die Augenbraue des Rothaarigen fuhr ein gewaltiges Stück in die Höhe.

Wieso zur Hölle zitterten Setos Schultern neben ihm so? Und was sollte dieses unterdrückte Schmunzeln auf Yamis Lippen? Was ging hier ab? Diese…

„Idioten.“, zischte der Jüngste und verteilte zwei böse Blicke auf die in Gelächter Ausgebrochenen. Na toll. Waren sie also wieder an dem Punkt angelangt, wo sich die gesamte Welt über ihn lustig machte, ja? War es schlimm, dass es ihm peinlich war, dass sein bester Freund seine Beziehung in- und auswendig kannte? Der Typ wusste ja sogar, wann und wo sie Sex gehabt hatten! Das war so gemein…

„Sorry, Kats, du…“, kurzes Prusten, während er sich vom Türrahmen löste und Richtung Bett schritt, „Du siehst nur so unglaublich süß aus mit dieser Sturmfrisur und dem bösen Blick, den sonst nur Seto verteilt. Und dieser völlig verplante Gesichtsausdruck vorhin…“

Wenigstens entschädigte ihn der Älteste mit einem Kuss auf die Wange.

„Kann ich schließen, dass Dornröschen wach geküsst wurde?“, wandte sich Yami an eben jenen.

„Neeein…“, der braune Schopf legte sich an Katsuyas Schulter, „Ich wurde liebevoll wach befohlen.“

„Aber dir geht es besser?“, der Angekuschelte schloss zur Bestätigung einmal kurz die Augenlider, „Und wie lange bist du schon wach?“

„So ziemlich seit du gegangen bist.“, warf der Blonde in ihr Gespräch ein.

„Das sind zwei Stunden gewesen!“, ob es der Schock war oder nicht, der Ältere sank auf jeden Fall neben ihm auf die Bettkante.

„Gut genutzte Zeit. Wir haben uns blendend unterhalten. Bis du kamst.“, stichelte der Brünette.

„Seto.“, ermahnte der ihn im Arm Haltende.

„Schon gut, ich weiß, dass ich gerade störe.“, meinte Yami nur – wenn man ihn kannte, sah man aber, wie sich die Spannung der Augenbrauen gelöst hatte, „Aber ich dachte mir, eure Unterhaltung hätte gerade so etwas wie einen toten Punkt erreicht. Oder kommuniziert ihr seit neuestem rein nonverbal?“

Die beiden tauschten einen bösen Blick aus.
 

„Seto, keine Sticheleien heute, bitte und Yami, reagier einfach nicht drauf.“, wies Katsuya an, seufzte, ließ seinen Blick zwischen beiden hin und her schweifen und wandte sich schließlich an den Jüngeren von beiden, „Wir waren an einem toten Punkt. Ich wollte eigentlich gerade das Thema auf heute Morgen bringen. Bisher hatten wir mehr über seine Probleme und unsere Beziehung gesprochen.“

„Ein anscheinend erfolgreiches Gespräch, wenn er jetzt glücklich in deinen Armen liegt.“, die Amethystaugen wandten sich nach kurzem Zögern dem Blonden zu, während Yami ein Lächeln auf sein Gesicht zwang – denn seine Augen lächelten bei weitem nicht, „Glückwunsch euch beiden.“

„Danke…“, Katsuya schluckte. Das war so gar nicht der Yami, den er kannte. Das war gespielt und das auch noch schlecht. Er sah eher danach aus, als wollte er in Tränen ausbrechen. Wen von ihnen beiden hatte er gewollt? Seto oder ihn? Oder war es nichts in diese Richtung? Schwer zu sagen. Yami war und blieb ein Mysterium.

„Ich denke, ich lasse euch das dann mal klären… wenn etwas ist, ihr habt ja meine Nummer.“, der Stricher nickte ihnen zu, atmete tief durch und erhob sich wieder.

„Yami…“

„Ja?“, Bernstein traf Amethyst.

Was sollte er sagen? Geh nicht? Es tut mir Leid? Was ist los? Es klang alles so falsch. Was sagte man, wenn man jemandem offensichtlich das Herz gebrochen und nichts davon mitbekommen hatte?

„Danke.“, dafür, dass er alles nicht noch schlimmer machte, als es war. Dass er seine Gefühle zurückhielt und sich selbst zurückstellte – wie er es immer tat. Dafür, dass er der war, der er war.

„Vergiss nur eins nicht.“, ein Lächeln – ein echtes – legte sich auf Yamis Lippen, „Du bist und bleibst mein kleines Küken. Meine Tür steht immer offen.“, oh… es war… er… Katsuya… er war es also gewesen, „Also sei ja gut zu ihm, Seto.“

„Ich werde mein Bestes geben.“, die Bernsteine fixierten den Ältesten. War das… ein Versprechen? Was bei allen Göttern war hier los?

„Ich glaube, dir brauche ich gar nicht sagen, dass du auf mein Sorgenkind aufpassen sollst.“, der Kleinste beugte sich zu Katsuya hinab und setzte einen Kuss auf seine Stirn, „Bei dir weiß ich, dass du das schaffst.“, ihr beider Blick richtete sich auf den an die Schulter des Blonden Gekuschelten, „Hat er sich eigentlich entschuldigt?“, raunte Yami dem Jüngsten von der Seite zu.

„Ja, hat er.“

Seto schob ob des Gespräches über ihn die Unterlippe vor.

„Hat er dir irgendwelche Vorwürfe gemacht, wie dass du Mitschuld trägst oder etwas Derartiges?“

„Nein.“, Katsuya strich ihm zärtlich über die Wange, „Obwohl ich denke, dass ich es tue.“

„Vielleicht.“, Belustigung fand ihren Weg zurück in Yamis Stimme, „Auf jeden Fall scheint sein Selbsthass auch Gutes tun zu können.“

„Wie meinst du das?“, Setos Selbsthass? Etwas Gutes?

„Der Normalfall bei jeder Art von Missbrauch ist, dass der Täter seinem Opfer danach auch noch Vorwürfe macht selbst am Geschehen schuld gewesen zu sein, weil er nicht ertragen kann etwas Verwerfliches getan zu haben. Davon gibt es nur zwei Alternativen. Die eine ist, dass der Täter den Missbrauch für moralisch vertretbar hält, die andere, dass er seine Schuld einsieht. Und Nummer eins ist noch weit häufiger als zwei.“, Yami wandte den Blick von Seto ab, „Und du gehörst zu der Art Opfer, die die Schuld auch noch auf sich nimmt.“

„Aber das heute Morgen-“

„War klassischer Missbrauch.“, unterbrach Yami den Jüngeren, „Das kann man noch so sehr schönreden, es ist und bleibt Missbrauch. Gewalt gegen eine andere Person, erst recht eine in einer Abhängigkeit stehende Person ist Missbrauch. Zumindest solange du es nicht als angenehm empfunden hast und es dich nicht einschränkt. Da es eine lebensgefährliche Verletzung war, war sie definitiv einschränkend und dass du es als angenehm empfunden hast, wage ich zu bezweifeln.“

Missbrauch - Beziehung?

Ankündigungen in aller Kürze: Samstag gibt es kein Kapitel, dafür aber Sonntag. Mittwoch das Kapitel fällt aus, es geht dann nächste Woche Samstag weiter. Dienstag schreibe ich Mathe und Donnerstag Biologie (meine LKs). Viel Glück auch an alle anderen, die Abitur machen!

Danke für die vielen Kommentare ^v^ Es wird noch ca. 10 Kapitel geben, dann ist Dead Society Teil 1 beendet. Viel Spaß beim Lesen!
 

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„Missbrauch…“, flüsterte Seto und starrte weiterhin auf Katsuyas Brust, wie er es schon seit gut zwei Minuten getan hatte.

Ja, Missbrauch. Yami hatte vollkommen Recht. Okay, es war kein zusammenhangloser Missbrauch wie bei seinem Vater, der zugeschlagen hatte, obwohl er mit der Situation gar nichts zu tun hatte, aber es war dennoch ein ungerechtfertigter physischer Angriff – kein physischer Angriff war wirklich gerechtfertigt, oder? – gewesen. Demnach Missbrauch.

„Seto, wir haben darüber gesprochen.“, lenkte Katsuya ein, der einen kurzen Blick auf das Gesicht des Älteren geworfen hatte, „Missbrauch hin oder her, ich habe dir verzeihen und du hast mir zugesichert dein Bestes zu geben es nicht mehr zu tun. Das ist völlig ausreichend. Es ist passiert und ich habe derzeit keine Nerven übrig, um auf dich sauer zu sein.“

Der Liegende schwieg nur. Hach, verdammt… nächster Anfall im Kommen. Hätte Yami nicht bleiben können? Obwohl der auch kein wirksames Mittel wusste. Echt zum Verzweifeln. Katsuya hob seine Hand, hielt sie direkt über Setos Ohr und schnippte so laut er konnte einmal.

„Wah!“, der Körper des Älteren zuckte heftig zusammen, ließ ihn stoßweise Luft ein- und ausziehen und von Katsuya zurückschrecken.

„Oh… ’tschuldigung.“, der Blonde beugte sich vor, wollte nach Setos Gesicht greifen, doch stoppte ob seines weiteren Verkrampfens.

Scheiße… was sollte er tun? Was? Keine Panik. Ruhig. Genau, Ruhe!

„Seto. Seto, sieh mich an.“, die blauen Augen fanden seine, „Genau so, sehr gut. Ganz ruhig. Atme mit mir zusammen. Ein.“, er holte tief Luft, „Und aus.“, er spitzte die Lippen, um das Ganze sich auch so anhören zu lassen, „Ein… und aus. Und ein… aus…“, wow, Seto passte sich ihm wirklich an. Sehr gut. Kein Hyperventilieren. „Atme ruhig weiter. Dein Name ist Seto Kaiba, es Anfang Herbst, heute ist ein wunderschöner Sonntag in Domino, du bist im Schlafzimmer deines Hauses. Mein Name ist Katsuya, ich bin seit wenigen Minuten dein fester Freund und ich möchte, dass du jetzt und hier zurück in die Wirklichkeit kommst und die Schuldgefühle verschwinden. Ich werde dich jetzt in den Arm nehmen.“, Seto blieb ruhig, sah ihm weiter in die Augen und atmete gleichmäßig. Anscheinend war das in Ordnung. Mal sehen, ob das klappte. Zumindest wehrte sich der Ältere nicht in seine Arme genommen zu werden. Ein Anfang? Definitiv. Oh ha! Nicht nur ein Anfang. Seto schloss seine Arme um ihn.

„Drache?“, fragte der Blonde sanft und kraulte den Nacken des Mannes, der seinen Kopf gerade an seiner Brust versteckte, „Hey… Drache…“

Das könnte man wahrlich als Methode werten. Keine Person in einem aktiven dissoziativen Zustand schnurrte gegen die eigene Brust, oder? Nein, von der Logik her eher nicht. Es schien Seto besser zu gehen.

„Erde an Drache, bitte um Rückmeldung.“

„Nicht jetzt…“, murmelte der Ältere um räkelte sich leicht, um sich enger an den Blonden zu kuscheln.

„Oh doch, jetzt.“, resolut drückte der Jüngere ihn von sich und sah in sein – natürlich schmollendes – Gesicht, „Du beantwortest meine Fragen und dann gehen wir etwas essen und danach… nun, danach können wir zurück ins Bett gehen und du kannst dir überlegen, was du mit mir anstellen willst. Deal?“

War das Funkeln in den blauen Augen als ein absolutes Ja zu werten?
 

„Gut… so, nachdem ich jetzt ein Bild von deiner Krankheit aus der therapeutischen und der Perspektive eines Betroffenen habe, kann ich mir das Geschehen bis heute ungefähr erklären. Nur ein paar Punkte… mal schauen. Erst einmal wäre da gestern Abend. Warum hast du mich geküsst?“, das sollte eigentlich eine nicht belastende Frage sein, oder? War es anscheinend nicht. Seto hatte genau den gleichen Gesichtsausdruck wie vorgestern – oder eher gestern – als er mitten in der Nacht über Religion philosophierte.

„Ich weiß es nicht.“, schloss der Brünette nach einigen Sekunden, „Ich habe einem Impuls nachgegeben. Du sahst so… hilflos aus. Irgendetwas in mir sagte: Jetzt oder nie. Ich habe mich für jetzt entschieden.“, er griff sich ein Kissen, um es sich bequem zu machen. Anscheinend hatte er verstanden, dass Kats ihn jetzt nicht im Arm halten wollte.

„Du hast bemerkt, dass ich mich in einem dissoziativen Zustand befinde und dir deshalb gedacht, dass du meine Unzurechnungsfähigkeit ausnutzen solltest, um… mich zu küssen? Oder ins Bett zu kriegen?“

„Tja…“, Setos Blick wich seinem aus, seine Unterlippe bewegte sich in unregelmäßigen Mustern, als würden Wellen über sie ziehen.

„Beißt du dir gerade von innen die Haut auf?“, fragte der Blonde nach, um ihn darauf hinzuweisen.

„Ich wollte dich ins Bett kriegen.“, der Ältere schloss den Mund wieder, diesmal blieb er auch bewegungslos. Er schien sein selbst verletzendes Verhalten gar nicht bemerkt zu haben, was?

„Dein Unterbewusstsein hat geplant mich als Mittel für deine psychische Stabilität zu benutzen und einen hilflosen Moment genutzt, um damit anzufangen?“

„Ja.“, antwortete der Brünette nach einigen Momenten des Zögerns.

Katsuya atmete tief durch. Seto schien sich vorgenommen zu haben die Wahrheit zu sagen. Na wunderbar.

„Geht diese Planung schon länger? War sie mit deiner Entscheidung verbunden mich bei dir aufzunehmen?“, konnte er das eigentlich wissen? An sich war es sein Unterbewusstsein. Das hieß, es war nicht bewusst.

„Ich vermute, ja. Damals habe ich auch nur einem Impuls nachgegeben.“

„Dass du mich für deine Stabilität aufgenommen hast, hast du mir ja schon erklärt, obwohl du selbst nicht wusstest, was genau du damit meintest.“, erinnerte sich der Blonde, „Du hast meine Schuldgefühle dafür ausgenutzt, dass ich versuche deine Anfälle zu verhindern, um dich wieder zu stabilisieren. Das war bewusst. Und unbewusst hast du darauf geplant mich im Bett zu benutzen, um deine komplette Stabilität aufrecht zu erhalten und Anfällen vorzubeugen. Ergo genau dasselbe, was du bei Yami getan hast. Richtig?“
 

„Ja.“, der Ältere schluckte und schloss die Augen, „Das ist richtig. Vom Bewussten und dem Gefühl meines Unbewussten her.“

„Der Deal ist also, dass ich mich komplett um dich kümmere, Seele, Körper, Umwelt wie das Haus, im Zweifelsfall der Beruf… im Endeffekt, dass ich deine Stütze bin. Dafür werde ich versorgt. Geld, Unterkunft, Essen, Kleidung, aber auch deine Unterstützung, seelisch und körperlich. Darauf baut unsere Beziehung derzeit auf.“, traurig, aber wahr, was? Sie nutzten sich gegenseitig aus. So sehr, dass man es als gleichmäßiges Geben und Nehmen betrachten konnte.

„Das sehe ich genauso.“, gab der Brünette zu.

„Probleme treten demnach auf, wenn einer von uns nicht in der Lage ist dem anderen das Geforderte zu geben beziehungsweise der andere denkt, er würde nicht das bekommen, was er braucht. So wie du dann heute Morgen, als du dachtest, ich würde mich dir entziehen.“, seinen Anfall heute Morgen hatten sie ja durchgesprochen. Angst, Schuldgefühle, noch mehr Angst und aus allem wurde eine unsägliche Wut, weil seine Abwehr fehlgeschlagen hatte.

„Und werden auftreten, wenn sich die Ansprüche einer Person ändern.“, fügte der Ältere hinzu.

„Heißt, wir sollten von Zeit zu Zeit immer wieder über unsere Beziehung und unsere Gefühle darüber und zueinander und so weiter sprechen.“, er seufzte, „Und keinesfalls damit warten, bis Probleme auftreten, weil das für uns beide fatal wäre. Weil wir in einem Streit zu Extremen neigen, wie wir nun wissen.“

Seto schluckte nur.

„Dann lass mich nur eins klarstellen: Bitte vergiss niemals, dass meine Seele Bedürfnisse hat. Auch wenn wir uns größtenteils um deine kümmern, meine ist auch wichtig. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich von deiner Seite nichts als Geld und Körperlichkeit bekomme, kann ich sehr schnell sehr garstig werden. Du weißt, wie sensibel ich auf Prostitution reagiere und das würde für mich dazu zählen.“, und in letzter Zeit war seine Seele bei Seto arg zu kurz gekommen. Was okay war, weil gerade wirklich die Arbeit an Seto wichtig war, aber… irgendwann sollte es auch wieder ein bisschen auf ihn zugehen. Das hier war eine Beziehung, kein Arbeitsverhältnis.

„Es tut mir Leid…“, flüsterte der andere und öffnete die Augen zur Hälfte.

„Bitte nicht, ich finde es völlig okay. Derzeit bist nun mal du wichtig. Ich wollte nur daran erinnern. Wenigstens kannst du sicher sein, dass ich etwas sage, wenn ich das Gefühl habe, ja?“, bitte keine Schuldgefühle mehr, für heute hatten sie genug davon gehabt. Morgen wieder, aber nicht heute, „Genauso, wie ich daran erinnern wollte, dass ich Freiraum brauche. Ich habe schon bemerkt, dass du ein sehr klammernder Mensch bist, was ich mittlerweile auch gut verstehen kann, aber… lass mir etwas Luft, ja? Ich laufe dir nicht weg.“

„Was heißt das?“, fragte der Brünette leise nach und hob die Lider ganz.

„Nun… es könnte zum Beispiel sein, dass ich urplötzlich auf die Idee komme bei Ryou zu übernachten oder eine Einladung für irgendetwas annehme und dann urplötzlich dieses und jenes mache und so… plan’ mich bitte nicht zu viel ein. Ich werfe manchmal einfach von einer Minute auf die andere meine Pläne um, nicht nur Zeit, sondern auch Zukunft und Interessen und Hobbys… ich bin ein bisschen unzuverlässig. Ich weiß, dass du damit wahrscheinlich das größte Problem haben wirst. Aber bitte sei nicht böse, ich…“, der Blonde seufzte, „Ich bin einfach zehn Jahre jünger als du und totale Verantwortungslosigkeit gewöhnt. Das hier…“, er fuhr mit der Hand einen Halbkreis, um anzudeuten, dass er das ganze Zimmer oder Haus meinte, „Das ist ein völlig anderer Lebensstil. Es wird dauern, bis ich mich daran gewöhne, denke ich. Es wird dauern, bis ich ruhiger werde. Es…“, ein Lächeln legte sich auf seine Lippen, „Ich bin einfach ein Jugendlicher.“

Seto erwiderte, das amüsierte Funkeln in den Augen, das seine Unsicherheit verdrängte, während er meinte: „Denkst du, ich habe noch nicht bemerkt, dass du ein überdrehter, junger Welpe bist?“
 

„Hah…“, der Jüngere verdrehte kunstvoll die Augen, „War es nicht klar, dass genau darauf ein Hundevergleich kommt? Womit habe ich das verdient?“, er wandte sich mit diesen Worten in ähnlicher Manier, wie Marik es getan hatte, an die Decke.

„Mein tapsiges Fellknäuel ist zu einem hyperaktiven Jungspund geworden, diesen Fortschritt muss ich doch mal anmerken.“, stichelte Seto weiter.

„Du bist blöd.“, meinte der Blonde nur und streckte die Zunge heraus, „Themenwechsel. Eine Frage habe ich noch.“

Die Gesichtsmuskeln des anderen erschlafften zusehends, legten sich wieder in ihre Ursprungsform – den nachdenklichen, ernsten Ausdruck. Mit einem Nicken deutete der Ältere ihm an fortzufahren.

„Was ist in dir vorgegangen, nachdem ich bewusstlos wurde?“

Die Haut von Setos Wangen sank in Höhe seiner Zähne leicht ein, er schluckte, atmete tief durch – hatte er die Luft angehalten? – und legte die Stirn leicht in Falten. Doch er wandte den Blick nicht ab. Ein Anfang, nicht wahr? Oh, doch ein wenig. Der Brünette fixierte den Verband, der unter seinem blonden Haar die kleine Platzwunde verdeckte.

„Gar nichts.“, antwortete er in einer ruhigen, langsamen Stimme, „Ich habe dir einfach zugesehen, wie du zu Boden gingst. Und es war mir vollkommen egal. Ich habe überhaupt nichts gespürt. Die ganze Wut war mit einem Mal weg, genauso wie die Schuld, alle Gedanken… ich habe wirklich einfach gar nichts gedacht. Da war… nichts. Als wäre ich ein Roboter. Ich wollte sogar einer sein. Ich wollte einfach… ich wollte mich in Nichts auflösen. Und mein Körper hat einfach selbst gehandelt. Ich habe gar nicht gesteuert, dass ich nach oben ging und das Badezimmer abschloss und… und…“, er wandte den Blick doch zur Seite.

„Und?“

„Und mir die Arme aufschnitt.“, er schluckte, „Ich habe mir einfach dabei zugesehen. Noch aus meinen Augen, aber… als wäre ich… besessen.“, er spuckte das Wort förmlich aus, „Als hätte etwas von mir Besitz ergriffen.“, sein Kopf fiel in den Nacken, sein Blick richtete sich nach oben, „Oh scheiße…“

Wa- halt. Das hier war Kaiba. Er hatte nicht gerade dieses Wort verwendet, oder? Kaiba und Fluchen? Mit solchen… in solch einer Umgangssprache? Was war denn jetzt kaputt?

„Was ist?“, fragte der Blonde nach, als Seto nicht weiter sprach.

„Ich… mir kam gerade nur ein Gedanke.“, er sah zu Katsuya, schüttelte kurz den Kopf und blinzelte, „Entschuldige, das hat nichts mit dem Thema zu tun.“

„Woran hast du denn gedacht?“

„Na, das Besessen… die Kirche hat Hexen verbrannt. Die Idee kam auf, als auf einmal ein Verhaltensmuster bei einigen wenigen Frauen bemerkt wurde… sie wirkten so oft wie aufgewechselt… bei allem, was ich darüber gelesen habe, denke ich, dass das größtenteils multiple Persönlichkeiten waren. Und das Zeug mit dem Exorzismus… das waren Personen, die urplötzlich aus dem Nichts Leute töteten oder Wahnvorstellungen hatten oder sich wie Verrückte auf dem Boden wanden oder so etwas… man sagte, sie seien vom Teufel besessen. Aber das sind Anzeichen von Schizophrenie, Epilepsie, Multiplizität und ähnlichen Extremen. Da gab es auch in der heutigen Zeit so einige Fälle, wo Priester exorzieren wollten und man feststellte, dass es nur psychisch Kranke waren. Das macht plötzlich Sinn…“

Es wurden noch Leute exorziert? Religiöse Menschen waren teilweise echt verrückt. Und auf solche Gedanken kam Seto während ihres Gespräches, ja? Der Mann war intellektuell nicht ausgelastet. Dem sollten sie mal wieder einen anderen Job als Pädagoge geben. Vielleicht wirklich Programmierer oder Hacker oder was auch immer dieser Mann alles konnte und tun wollte.
 

„Warum bewirbst du dich nicht einfach irgendwo?“, fragte Katsuya nach.

„Was?“, die blauen Augen richteten sich wieder auf den Jüngeren, während die Falten aus Setos Gesicht verschwanden und durch einen Ausdruck der Verblüffung ersetzt wurden.

„Du musst doch völlig gelangweilt sein. Was bietet dein derzeitiges Leben an Herausforderungen?“

„Außer dir?“, ein Lächeln legte sich auf die Lippen des Älteren, während Katsuya die Lippen spitzte und die Lider zusammenzog, „Ministeriumslehrer ist nicht einmal so langweilig. Ich strukturiere gerade den Lehrplan der Schule und die Stundenpläne der Lehrer um, um Arbeitskräfte einzusparen und die gegebenen besser auszunutzen.“, was sicher so einigen Lehrern zu schaffen machte… „Und ich plane auf eine Erweiterung der Schule auf ein achtgleisiges System. Dazu muss die Schule ausgebaut werden, darum bin ich mit einigen Architekten und Baumeistern am Werk. Neben der bestehenden Küche und der Mensa wird es bald ein Cafe geben und eine Dachterrasse und erneuerte Fluchttreppen. Es soll eine Brücke über die Straße hinüber zur Bibliothek bestehen mit einer eigenen Arbeitsecke für die Schüler unserer Schule. Dann habe ich mich mit der Stadtverwaltung in Verbindung gesetzt, weil wir unbedingt die Erreichbarkeit eines Schwimmbades brauchen. Entweder es werden spezielle Shuttlebusse eingerichtet oder ein Schwimmbad wird in der Nähe gebaut. Und dabei ist herausgekommen, dass derzeit auch ein Krankenhaus in der Nähe der Innenstadt eingerichtet werden soll und ich versuche, die Betreiber zu überreden das ebenfalls in unsere Nähe zu verlegen. Dann stehe ich auch noch mit meinem Bruder in Kontakt, ob nicht eine kleine Spielhalle in beziehungsweise in Nähe der Schule gebaut werden kann und errechne die Rentabilität. Weiterhin braucht die Schule eine weit bessere Versorgung an Nahrungsmittel, da feile ich noch an der Lösung… es gibt viel zu tun. Und es macht Spaß.“, die blauen Augen schienen zu glühen vor Freude, „Nur dieser Direktor, der geht mir auf die Nerven… viel zu konservativ. Er schreit bei allem aus Prinzip erstmal nein. Der Mann ist für Neuerungen gar nicht zu haben. Dabei schickt mich das Ministerium doch, gerade weil die Schule so herunter gekommen ist. Deshalb habe ich einen Antrag gestellt per Anweisung von oben zum Direktor gemacht zu werden. Der Mann ist einfach nicht konstruktiv. Nur bei der neuen Hausordnung, die hat er sofort abgesegnet.“, wer nicht seiner Meinung war, war nicht hilfreich? Seto, über die Einstellung sollte man beizeiten mal reden… aber gut, es war nicht so, als würde er gar keine Gegenmeinungen akzeptieren. Und die Sache mit dem Direktor hörte sich wirklich ärgerlich an.

„Was steht in der neuen Hausordnung?“

„Strengere Regeln.“, ein amüsierter Ausdruck zierte Setos Gesicht, „Rauchverbot auf dem kompletten Schulgelände, Japanisch oder Englisch als Pflichtsprachen, genauere Vorgaben über die Kleiderordnung und so weiter. Kannst du dir morgen durchlesen, ab Dienstag ist sie nämlich gültig.“

„Genauere Kleiderordnung?“, fragte der Blonde mit gequälter Stimme nach und legte die Stirn in Falten.

„Und eine genaue Vorgabe, was als Strafe für was anzuwenden ist, damit auch die nicht mehr willkürlich ausfallen.“, der Ältere setzte sich auf.

„Und was ist die Strafe?“, was für ein drakonisches System hatte sich der Drache jetzt wieder ausgedacht?

„Ein Aufsatz über zwei Seiten über ein fachliches Thema, das vom Klassenlehrer gewählt wird, bei Nichtabgabe oder Wiederholungstat innerhalb von zwei Wochen gemeinnützige Arbeit und bei einem Verstoß gegen die Kleiderordnung ab drei Tagen in Folge Geldstrafen.“

„Ist das nicht gesetzeswidrig?“, fragte der Schüler entsetzt.

„Der Eltern- und Schülerrat hat es abgesegnet – damit ist es wirksam.“, oh, dieses Lächeln, was für ein grässlich schönes Lächeln – Seto war gruselig. Warum funkelten seine Augen so? „Katsuya?“

„Jaaa…?“, der Blonde drückte sich in das Kissen.

Warum war der so nah? Und warum kam der immer näher? Hilfe! Panik! Hil- … oh… okay… das war in Ordnung… vollkommen in Ordnung. Vollkommen...

Katsuya ließ sich in den Kuss fallen.

Honeymoon?

So, wenigstens konnte ich die Nacht und den Morgen für die Kommentare nutzen. Bei denen zu diesem Kapitel wird das schwerer, es könnte sein, dass ich bis Donnerstag Abend/Freitag nicht antworte, da ich ja Klausuren schreibe und lerne. Bitte habt Nachsicht, ich hole es dann nach ^.^ Nächstes Kapitel gibt es wie angekündigt Samstag.

Bis dann und viel Spaß beim Lesen! (Und danke für die Kommentare ^.^)
 

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„Dir ist klar, dass wir das geheim halten müssen, oder?“

Katsuya öffnete die Augen.

Strahlendes Blau, wirres Braun, fließendes Marmor. Welch ein wunderschöner Mann. Und welch angespannte Züge… dachte er, das würde neue Probleme geben? Dass Katsuya sich quer stellen würde? Dinge fordern würde, die er niemals erfüllen könnte? Ach, Seto…

„Ich weiß.“, der Blonde lächelte, „Du würdest deinen Job verlieren, ich von der Schule geschmissen, die Presse würde sich darauf stürzen und deinen Ruf endgültig ruinieren, dein Bruder wäre geschädigt und sicherlich sauer auf dich und… und… und noch etwas?“

„Wahrscheinlich würden wir gezwungen werden auszuziehen.“, der Ältere erwiderte den sanften Ausdruck des Liegenden, „Diese Häuser hier werden eigentlich nur an Familien vermietet. Wenn sie uns rechtlich nicht rauskriegen, würden sie uns wahrscheinlich raus mobben.“

„Mobben?“, Katsuya stieß die Luft aus, „Tz – na, das würde ich mal sehen wollen.“

„Willst du nicht.“, der Brünette blieb völlig ernst, „Es ist nicht schön, wenn Leute vor deiner Tür stehen, die dich zusammenschlagen und in dein Haus dringen, sobald du sie öffnest, die mit Steinen deine Fenster einwerfen und kreischend mit Schildern dein Haus umzingeln, während die Polizei nur daneben steht. Zumindest war das der Protestantenauflauf, als bekannt wurde, dass ich schwul bin.“, sein Blick sank herab und legte sich auf Katsuyas Brust, „Ich schäme mich nicht schwul zu sein. Aber wenn mich jemand mit Kinderschänder beschimpft, dann…“, Setos Stimme erstarb.

„Hey…“, Katsuya strich mit der Hand über seine Wange und hob seinen Kopf, um in die hellen Augen zu blicken, „Du bist es doch nicht, oder? Lass sie reden. Wenn ein Mensch so starrköpfig ist, dass er glaubt über jemanden urteilen zu können, den er nicht kennt, ist er mir sowieso egal. Idioten, die nur nach Vorurteilen gehen, gibt es überall. Oder hast du Kinder missbraucht?“, bitte nicht, bitte nicht, bitte nicht. Der Blonde biss sich von innen auf die Lippe, während er lächelte. Das hatte Seto nicht, oder? Aber wer wusste, was Seto im Affekt nicht… nein, das konnte er nicht getan haben.

„Ich… ich weiß nicht. Ich meine, keinesfalls sexuell. Aber ich habe Mokuba oft ignoriert. Ich hatte fast nie Zeit, während ich Leiter der Kaiba Corp war. Ist das nicht auch irgendwo Schändung?“

Schuldgefühle. Mehr Schuldgefühle. Seto… der Blonde seufzte. Was jetzt?

„Ja, Vernachlässigung ist auch Missbrauch. Du hast wahrscheinlich wie ein Verrückter gearbeitet, so wie ich dich kenne, und du hattest die soziale Kompetenz verloren dich um deinen Bruder zu kümmern und hast ihn sehr wahrscheinlich sogar oft psychisch verletzt, richtig?“

„Ja…“, Setos Kopf sackte weiter herab.

„Hast du dich entschuldigt?“

„Nein…“, seine Stimme war nur ein Hauchen.

„Möchtest du dich entschuldigen?“, der Ältere sah auf und blinzelte, „Was denn?“

„Wie soll ich mich entschuldigen? Ich meine… Mokuba ist tot.“, er schluckte, „Es ist zu spät…“

„Welch ein Quatsch. Für Entschuldigungen ist es nie zu spät. Gibt es irgendwo ein Grab oder einen Altar, an dem du dich entschuldigen kannst?“

Der Brünette blinzelte noch einmal, während die Spannung sein Gesicht verließ, bis er schließlich nickte.

„Und wo?“, musste man ihm alles aus der Nase ziehen?

„In meinem alten Haus… da, wo Noah jetzt wohnt.“, antwortete der Größere relativ tonlos.

„Den könnten wir doch nächstes Wochenende besuchen, oder? Wie wäre das?“

Seto? Erde an Seto. Hallo! Oh, da war doch jemand da. Er nickte langsam.
 

„Huch.“, der Blonde legte die Kelle am Rand des Topfes ab und griff in seine Hosentasche, um sein Handy hervor zu ziehen, „Katsuya hier.“

„Hallo, Katsuya.“, die hohe Stimme konnte nur zu Ryou gehören.

„Hi, Ryou. Wie geht’s?“, mit der freien Hand griff er wieder nach der Gerätschaft und rührte weiter in der Suppe, die er gerade kochte.

„Das… wollte ich eigentlich fragen. Wie geht es dir? Und wie geht es Kaiba?“

„Ganz gut. Ich habe `ne kleine Kopfverletzung, aber ansonsten ist alles beim Alten. Und unserem Lehrer geht es bis auf ein paar Verletzungen auch gut.“

„Was ist denn passiert?“, in der Stimme schwank ein wenig Verzweiflung mit, oder? „Aus Kura ist nichts herauszubekommen, der hat nur gesagt, dass ihr beide verletzt seid und dass er auch nicht mehr weiß.“, wow, ungewöhnlich taktvoll von dem Weißhaarigen – oder wollte er nur Ryou schützen? Aber der kannte doch- oh. Genau das war es wohl. Die beiden hatten ihre Mutter in der Badewanne gefunden, nachdem sie Selbstmord begangen hatte. Deshalb war Kura abgehauen. Und deshalb schwieg er auch. Was sollte er Ryou sagen? Auch von der Beziehung und allem durfte er ja nichts wissen… Katsuya warf einen Blick über die Schulter. Seto sollte ein Machtwort sprechen, bitte. Bitte… danke! Er hatte einmal genickt. Danke, danke, danke!

„Nun, wir hatten heute Morgen einen kleinen Streit, der ein wenig ins Handgreifliche ging. Deswegen habe ich eine kleine Platzwunde am Kopf.“, Ryou zog scharf die Luft ein, „Hey, ganz ruhig, ist wirklich nur ganz klein. Der Arzt ist extra zu uns gekommen und uns geht es wieder gut. Und wir haben uns auch wieder vertragen.“

„Euch geht es wieder gut… welche Verletzungen hat Kaiba?“, okay, das zu dem Gedanken, er könnte das Thema umschiffen. Ryou war auch nur ein Genie.

„Er…“, der Blonde drehte sich noch einmal um. Konnte Seto dieses komplett angespannte Gesicht mal bitte wieder absetzen? Grässliche Maske. Und konnte er bitte mal eine Antwort haben, was er sagen durfte? „Ryou, ich weiß nicht, ob ich dir das sagen darf. Bitte sei nicht böse.“

„Also hat er sich selbst verletzt?“, fragte der Jüngere mit Entsetzen in der Stimme.

Er war ein so wunderbarer Geheimhalter…

„Ja, hat er. Ende.“, erwiderte der Blonde mit harter Stimme.

„Entschuldige…“, flüsterte Ryou, „Das… das hätte ich nur gar nicht gedacht… entschuldige. Aber wird man die Verletzungen nicht sehen, wenn er wieder zur Schule kommt?“

„Hast du bemerkt, dass er in der letzten Woche einen fetten Bluterguss im Gesicht hatte, weil ich ihn geschlagen hatte?“, ein Keuchen, „Exakt. Er wird es zu verstecken wissen.“

„Das… das… also…“, er könnte Ryou förmlich am anderen Ende der Leitung schockiert den Kopf schütteln sehen, „Was geht da bei euch ab?“

„Tja…“, gute Frage. Was sollte er sagen? „Weiß nicht. Hat sich so ergeben.“

„Hat sich so ergeben, dass ihr aufeinander einschlagt?“

„Zweimal Kurzschlussreaktion. Wir kriegen das unter Kontrolle.“, versuchte der Ältere Ryou zu vermitteln.

„Sicher?“, warum hörte sich das so an, als würde er ihm nicht glauben?

„Ja, wirklich. Wird besser werden. Mach’ dir keine Sorgen.“, wies er ihn an, „Und sag’ deinem Bruder bitte noch einmal danke von mir. Und dass er rechtzeitig da war.“

„Dass er rechtzeitig da war?“, Verwirrung. Aber bitte, das sollte sich Ryou selbst auseinander nehmen. Bakura würde es verstehen.

„Entschuldige, Ryou… ich muss einfach erstmal mit Seto klären, was ist und sein wird, ja? Bitte. Ich hatte echt einen stressigen Tag. Vielleicht kann ich dir morgen mehr sagen.“

„Du bist also morgen in der Schule?“, Katsuya murmelte eine Zustimmung, „Kaiba auch?“, eine weitere, „Okay… dann bis morgen, ja? Ich richte Kura alles aus… Katsuya?“, interessiertes Brummen, „Pass auf dich auf, ja?“
 

„Was müssen wir klären?“, fragte der Ältere nach, während Katsuya sein Handy zurück steckte.

„Ob wir Ryou und Bakura in die Beziehung einweihen. Und…“, der Blonde blickte auf, „Nun, Yugi nicht unbedingt, oder? Hast du sonst noch Freunde? Was ist mit deinem Bruder?“, er stellte sich seitlich zum Herd, um gleichzeitig rühren und Seto ansehen zu können.

„Yugi kann das erfahren, sollte er jemals ernsthaft versuchen sich an dich ranzuschmeißen.“, antwortete der Brünette.

„Wird er sich dann nicht betrogen fühlen?“, oder war das ihm egal? An Yugis Stelle würde Katsuya sich auf jeden Fall betrogen fühlen und die Freundschaft beenden, wäre das dem anderen egal.

„Das wäre weniger Stress als den Terz, den er macht, wenn ich es ihm sage. Ein gebrochenes Verhältnis haben wir sowieso, denke ich.“, Setos Gesicht zeigte kein Quäntchen Emotionen, es war einfach nur entspannt.

„Und das willst du nicht wieder flicken?“, die blonden Augenbrauen zogen sich zusammen.

„Wie sollte ich? Er ist ein noch ignoranterer Bastard als ich. Er mag mich nicht, weil ich schwul bin und ihm mal das Hirn rausgevögelt habe und ich mag ihn nicht, weil er mich nicht akzeptieren kann und von seiner Meinung auch keinen Deut abweicht. Man muss mich ja nicht völlig annehmen und in allem verstehen, aber mich nicht zu beschimpfen für das, was ich bin, wäre ein Anfang, oder?“

Katsuya musterte den Sitzenden, während seine Hand in der Bewegung innegehalten hatte. Seto neigte dazu andere abzuwerten. Hart abzuwerten. Und er kannte das Ausmaß der Situation nicht. Aber gemessen an dem, was er in letzter Zeit von Yugi gehört hatte…

„Ja, das wäre ein Anfang. Auch wenn er es seiner Überzeugung nach wahrscheinlich nur gut meint.“

„Ich würde es als gestörte Wahrnehmung bezeichnen.“, genau so wie Yami es bezeichnet hatte demnach. Der Blonde seufzte und setzte das Rühren fort, „Meinem Bruder werde ich es auf jeden Fall sagen. Und meinetwegen kannst du es Ryou und Bakura unter Schweigepflicht sagen. Aber nur, wenn du ihnen wirklich traust, dass sie das nicht verraten, auch nicht, wenn ihr im Streit liegt.“

„Hm…“, Vertrauen? Schwer. Ryou vertraute er, ja. Er hatte keinen Spaß daran anderen zu schaden. Und er hing an ihm. Bakura aber… „Was würdest du an Bakuras Stelle machen?“

„Wenn mir die psychische Verfassung meines kleinen Bruders relativ bis mittelmäßig egal ist und mir unsere Verbindung auch nicht so wichtig, würde ich die Infos an den Meistbietenden verkaufen.“

„Die beiden sind ein Paar.“, warf der Blonde ein.

Eine Kellenumdrehung. Zwei. Drei. Hatte Seto einfach nichts zu sagen oder hatte ihn das jetzt geschockt? Er warf einen Blick über die Schulter.

Der Ältere hatte eine Augenbraue gehoben und sah Katsuya unverwandt an, bis er einige Sekunden später den Kopf senkte, um weiter Zahlen auf einen Block zu schreiben. Schien wohl nicht sehr schockend für ihn zu sein.
 

„Was ist los mit dir?“, fragte der Blonde leicht besorgt, während der Ältere noch immer auf dem Stuhl saß. Wollte der nicht langsam mal etwas anderes machen? So… zurück ins Bett vielleicht?

Seto legte mit geschlossenen Augen den Kopf in den Nacken, während seine Unterarme mit den Innenflächen nach oben auf dem Tisch weilten.

„Betest du?“, versuchte der Blonde. Wie beteten Christen eigentlich? Er wusste kaum was von der Religion.

„Ich versuche aktiv Schmerzen zu dissoziieren.“, antwortete der Ältere in einer dunklen, leisen Stimme, „Das Narkosemittel hat endgültig den Geist aufgegeben.“

„Wegen deiner Arme?“, Katsuya trat an ihn heran, „Ist es gehässig, wenn ich selbst Schuld sage?“

„Ich bin nie wieder freundlich, wenn du so eine Scheiße baust.“, grollte der Drache halb zischend. Ups… schien wirklich wehzutun. Schon wieder ein Fluch. Oder färbte er ab?

„Ich werde es einfach nicht mehr tun. Die Selbstverletzungsgefahr ist so groß.“, meinte der Jüngere von oben herab grinsend, während sich die Lider über den blauen Augen hochschoben.

„Mit mir zusammenzuleben könnte eine größere Selbstverletzungsgefahr stellen.“, murmelte der Brünette mit bösem Blick.

„Für dich oder für mich?“

„Für alle kleinen, unschuldigen, blonden Hündchen im Raum.“, die Lider verengten sich, „Fühlst du dich damit angesprochen?“

Blond sicher. Klein sicher nicht – im Vergleich mit Setos über zwei Metern allerdings schon. Unschuldig… unschuldig? Halt mal! Unschuldig?

„Wenn unschuldig heißt, dass du mir nicht die Schuld am Tod deines Bruders gibst, ja.“

Die Gesichtszüge des Älteren glätteten sich wieder. Blau in Braun. Braun in Blau. Saphir und Bernstein und irgendwo die Mitte. Wie viel Hass hielten diese Augen für ihn? Wie tief schwoll das Rachegefühl noch in ihm? War Katsuya vergeben oder würde es niemals sein? Konnte man jemanden vergeben, der solch eine Vorgeschichte hatte? Mord… der Blonde schluckte. Konnte man einen Mörder wirklich lieben? Den Mörder des eigenen Bruders? Er horchte in sich. War nicht seine Liebe zu Seto schon ein Beweis? War es nicht dieser gewesen, der seinen Adoptivvater bei vollkommener Zurechnungsfähigkeit in den Selbstmord getrieben hatte, indem er seine Firma nach und nach übernahm? Der skrupellos auch bei anderen so vorging, um sich selbst zu bereichern? Er liebte diesen Mann. Aber er hatte auch nichts mit seinen Opfern zu tun gehabt. Wie stand es mit Seto?

„Ich gebe dir keine Schuld.“, flüsterte dieser, während der Blonde hinter ihm stand, ohne den Blick abzuwenden, „Nicht mehr.“, mit der Zunge strich er sich schnell über die Lippen, „Aber ich mache dich verantwortlich. Mich allerdings ebenso.“

„Gibst du dir die Schuld?“, fragte der Jüngere mit sanfter Stimme.

„Ja.“
 

„Ähm…“, der Blonde warf einen Blick in den Raum, in dessen Türrahmen Seto stand.

„Was denn?“, jener drehte sich halb zur Seite.

„Ist es…“, der Blick der braunen Augen glitt zu dem Älteren und zurück in den Raum, „Ist dir das überhaupt recht, wenn ich hier übernachte?“

„Bei mir?“, Seto nickte Richtung Raum, was Katsuya bestätigte, „Von mir aus kannst du gerne bei mir schlafen. Tut mir nur Leid, falls ich dich durch meine Alpträume wecke.“

„Du hast Alpträume?“, erfragte der Jüngere, während er ihm in den Raum folgte.

„Eine Menge. Ich kann so ziemlich gar nicht schlafen. Ich werde alle zwei Stunden wach.“, Seto warf einen kurzen Blick zur Seite, „Mindestens.“, ein Lächeln legte sich auf seine Lippen, „Aber ich bin da guter Hoffnung. Dein Schlaf scheint ganz schön tief zu sein, wenn du bis jetzt noch nichts gemerkt hast.“, er stoppte in der Bewegung, als er sich einen Schlafanzug aus seinem Schrank greifen wollte, „Wie kommst du zu einem tiefen Schlaf?“

„Wie meinst du das?“, erkündigte sich der Blonde.

„Nun… musstest du nicht auch während des Schlafens aufmerksam sein? Oder wurdest du nie nachts überfallen?“, der Ältere sah scheu zu ihm hinüber.

„Ich hatte den unglaublichen Luxus eines Schlosses für mein Zimmer.“, erklärte der Jüngere, „Apropos… sollten wir vielleicht das Schloss im Bad ausbauen? Oder zumindest den Schlüssel rausnehmen?“, damit nicht noch einmal dasselbe passierte wie heute morgen…

„Nein.“, bestimmte der Brünette, der sich zu seinem Schrank drehte, „Du brauchst einen Raum, in den du dich einschließen kannst, sollte ich in Raserei verfallen. Der Schlüssel bleibt im Schloss.“, er seufzte, während er den Stoff in seiner Hand betrachtete, „Aber vielleicht sollten wir dir einen Zweiten machen, den du bei dir trägst… zur Sicherheit…“

„Seto…“, der Kleinere trat von hinten an ihn heran und legte die Arme um seinen Bauch.

„Schon gut… Ich weiß, dass ich gefährlich bin.“, eine seiner Hände griff eine Katsuyas, um ihre Innenfläche zu küssen, „Ich wünschte, ich könnte mich so gut kontrollieren wie du.“

„Wie ich?“

Er legte die Hand auf die rechte Seite seines Halses. Da… halt, da war ein Schnitt. Ein relativ tiefer sogar. Das war-

„Oh verdammt… tut mir Leid.“, das war der Schnitt, den Seto davon hatte, dass er ihm damals die Kehle durchschneiden wollte.

„Braucht nicht. Du konntest dich kontrollieren. Das ist bewundernswert.“

„Seto, idealisier’ mich nicht.“, warnte Katsuya, „Ich hätte dich beinahe umgebracht.“, seine Stimme wurde leiser, „Meinst du, ich habe etwas ähnliches wie du? Oder werde es kriegen?“

„Zweimal DESNOS mit voll ausgeprägten Symptombild? Wäre sicher lustig.“, in seiner Stimme schwang Sarkasmus, „Mal sehen, wie lange wir miteinander überleben.“

Drachengrummeln

Heiho ^v^ Ich bin durch mit den Klausuren! Jetzt kommen nur noch mündliche Prüfungen ^.^ Vielen Dank für das Daumendrücken und Kerzenanzünden und was ich alles für liebe Unterstützung bekam. Hoffentlich schlägt sich das auch in den Klausuren wieder *bibber* Ich habe leider keine Ahnung, wann die Ergebnisse kommen. Ich weiß nur, dass in etwas weniger als einem Monat die erste mündliche Prüfung ist und ich bis dahin FREI habe ^v^

Viel Zeit zum Schreiben also ^.- Vielleicht kann ich endlich mal die Nebensequenzen abtippen und an Eisengel weiterarbeiten. Und natürlich DarcyFoy, Pancratia, Sweet-Akane, Taja-chan und BlackSilverLady schreiben, deren (VIELE) Mails ich teilweise seit einem Monat nicht beantwortet habe >.< Und natürlich auch den anderen, die derzeit warten. Meine Wochenenden sind derzeit allerdings voll verplant, deswegen verlege ich die Hochladezeiten auf DIENSTAG und FREITAG.

Nächstes Kapitel kommt demnach schon Dienstag ^.-

Und nun viel Spaß beim Lesen!
 

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„Katsuya!“, ein Lächeln breitete sich auf Ryou Gesicht aus, „Du lebst ja noch.“

„Ganz knapp.“, der Blonde zwinkerte auf der linken Seite und zog den Stuhl des Weißhaarigen zu seinem Tisch herüber, wo dieser sich sofort fallen ließ.

„Hat Schwester Isis sich das schon angesehen?“

„Keine Sorge, unserem Arzt kann man vertrauen.“, ein Lächeln legte sich auch auf Katsuyas Lippen, bevor er sich vorbeugte und flüsterte, „Seto sagt, ich darf dir ein bisschen was erzählen. Gehen wir in der Pause spazieren?“

„Okay.“, stimmte der Jüngere fröhlich zu, bevor sich sein Gesicht verdüsterte, „Heißt das, bis dahin muss ich warten?“

„Ja.“, Amüsement zeugte von Katsuyas Zügen, „Kein Ausweg.“

„Menno…“, mit einer Hand stellte der Kleinere seine Tasche neben seinem Tisch ab, „Nicht eine klitzekleine Information? Ein Informatiönschen?“

Der Blonde prustete.

„Gemeinheit. Bakura war sehr kuschelig, nachdem ich ihm ausgerichtet habe, was ich sagen sollte.“, er legte seinen Kopf an Katsuyas Schulter, um leise sprechen zu können, „Hat Kaiba sich in einem Bad eingeschlossen?“

„Hm-hm…“, bejahte der Größere wieder ruhig.

„Ich verstehe… danke, dass du daran gedacht hast.“

„Fiel mir eher zufällig ein.“, gab er zu und lehnte sein Haupt gegen das weiße, „Er ist gegangen, bevor wir die Tür auch nur geöffnet hatten.“

„Küsst euch doch, ihr Schwuchteln!“, schallte es aus dem Hintergrund.

„Tut mir Leid, wenn ich ihn extrem aus dem Konzept gerissen habe. Aber ich konnte nicht irgendeinen Schlüsseldienst rufen. Nebst der Tatsache, dass ich dank der Verletzung eh die halbe Zeit ohnmächtig war.“, der Blonde seufzte, „Wie geht es ihm jetzt?“

„Wieder normal.“, murmelte der Jüngere.

„Habt ihr mich nicht gehört? Oder seid ihr so verliebt?“, der Junge schien hinter ihnen zu stehen.

„Was braucht es eigentlich, um dir das Maul zu stopfen?“, fragte Katsuya laut, lockerte sich etwas von Ryou und drehte sich halb zu dem Stehenden um, „Ich meine, wozu tust du das? Was willst du eigentlich damit erreichen?“

Der Junge hob nur beide Augenbrauen, legte die Stirn in Falten, drehte sich zu seinen Freund und wedelte mit der Hand vor dem Kopf. Hm… anscheinend auch eine Möglichkeit.
 

„Dabei ist vor allem die parallele Struktur zu bedenken. Katsuya!“, der Blonde zuckte zusammen und richtete seinen Blick auf den Lehrer, „Schlaf nicht in meinem Unterricht.“

„Habe ich-“

„Interessiert mich nicht.“, unterbrach Kaiba ihn, „Komm an die Tafel und schreib’ das hier an.“, er hielt ihm ein Notizblatt entgegen.

Was war denn bitte jetzt los? Er hatte doch nur in sein Buch gesehen. Warum war Seto so unglaublich gereizt? Heute Morgen war er ein bisschen garstig gewesen, aber das hier war langsam gemein. Schlecht geschlafen konnte der doch nicht haben, oder? Bei seinem normalen Schlafrhythmus… der Blonde griff sich mit einem verärgerten Blick das Blatt und Kreide vom Pult.

Der Lehrer führte seine Erklärungen weiter aus, während Katsuya schrieb. Schön und gut, er war ein bisschen abwesend gewesen, aber das hier war Gedichtanalyse – wie oft hatte er das schon gemacht? Wie viele tausend mal hatten sie das durchgenommen? Da durfte man doch wohl ein bisschen in seinem Buch blättern.

„Fertig.“, murmelte er und wandte sich in Richtung seines Platzes.

„Du bleibst hier.“, befahl der Ältere, „Vielleicht lernst du als meine persönliche Assistenz mal etwas anstatt wie man im Unterricht am schnellsten einschläft.“

Hallo! Er schlief doch überhaupt nicht! Was sollte der Scheiß mit persönlicher Assistenz? Idiot! Der Blonde presste die Kiefer zusammen und lehnte sich ans Pult. Also ein bisschen was anschreiben konnte Seto ja wohl- wohl… ups. Er brauchte jemanden, der für ihn anschrieb, weil seine Arme schmerzten. Das hätte er ihm auch wahrlich vorher sagen können statt ihn so ins Ruder laufen zu lassen. Oder vertraute er seinen schauspielerischen Fähigkeiten nicht? Obwohl er jetzt definitiv sehr authentisch reagiert hatte, das war wahr. Trotzdem! Der Braunäugige seufzte innerlich. Nächstes Mal sollte er ihn vorwarnen.

Wortlos und ausdruckslos befolgte er Setos Befehle, schrieb Verschiedenes an und unterstrich Sachen. Das hier dürfte ihm eigentlich eine extrem gute Mitarbeitsnote geben, oder? Wenn er sich jetzt noch zu irgendetwas melden konnte, sollte das seine mündliche Mitarbeit eigentlich sichern. Nebst der Tatsache, dass er sich von Seto vögeln ließ… obwohl er irgendwie nicht der Typ war, der dafür irgendwelche Vorteile zugestand. Seto war ein Mensch, der Privates und Beruf trennte. Oder nicht? Was hatte er in der Vergangenheit gemacht? Hatte er auch als Lehrer Schüler… wollte er das eigentlich wissen?

Katsuya musterte die Schönheit neben sich. Sollte er Seto nach seinen Männergeschichten fragen oder die Vergangenheit einfach so ruhen lassen, wie sie war? Er wusste von ihm schließlich schon, dass er in der Schule ein extremer Aufreißer gewesen war und sich in den letzten Jahren mit Strichern vergnügt hatte. Und mit Yugi und Yami. Ein schon fast süchtiges Verhalten, oder? Ob Seto überhaupt wusste, wie viele Menschen er schon hatte? Die Zahl dürfte dreistellig sein, oder? Obwohl, wenn er mit fünfzehn oder sechzehn angefangen hatte… in zwölf Jahren könnte es auch schon vierstellig geworden sein. Vielleicht wollte er das doch nicht wissen. Zumindest würde er nicht fragen.
 

„Tut mir Leid.“, murmelte Seto leise und fuhr sich mit der Hand durch die Haare, während der Blonde die Tür abschloss.

„War wegen deiner Arme, oder?“, er warf einen schnellen Blick zu der Kamera dort an der Decke. Wirklich nur eine Attrappe?

„Hm…“, Lider zogen sich wie müde über den blauen Augen wieder in die Höhe, „Ich habe das echt zu lange nicht mehr gemacht. Das Brennen geht einfach nicht weg.“

„Selbst schuld.“, meinte Katsuya nur erneut und trat um den Schreibtisch des Büros herum, „Soll ich dich den Schmerz ein wenig vergessen lassen?“, er lehnte sich gegen ihn, direkt vor Setos Stuhl, „Wir haben schließlich fünfundvierzig Minuten Mittagspause…“

„In denen du eigentlich etwas essen solltest.“, ein Lächeln legte sich auf die Lippen des Brünetten, während er aus dem Sitzen heraus zu dem Jüngeren aufsah, „Eigentlich.“

„Und uneigentlich?“, Katsuya beugte sich ein wenig vor, damit Seto die Arme nicht so strecken musste, um ihm die Jacke auszuziehen.

Seine Frage wurde durch einen Kuss des Aufstehenden beantwortet.

„Lass mich raten…“, murmelte er, während der Ältere sich seinen Hals entlang küsste und mit den Händen unter sein T-Shirt fuhr, „Du hast Gleitgel in der Schublade?“

„Wie kommst du darauf?“, murmelte Seto gegen seine erhitzte Haut und öffnete mit der rechten eine der Schubladen – was Katsuya eher durch das Geräusch mitbekam – und eine Tube wurde kurz in die Hand des Jüngeren gelegt, bevor dieser sie neben sich auf das Holz fallen und sich nach hinten drücken ließ.

„Schreibtische sind gar nicht mal so unbequem.“, gestand der Blonde leise und konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf die kühlen Finger, die über seine nackte Brust fuhren.

„Ich vermute, das wirst du hiernach nicht mehr sagen…“, die heiße Zunge wurde für einen kurzen Moment genutzt, um Katsuyas Brustbein nach oben zu streichen, „Aber Teppiche sind unbequemer, wenn du dich nicht von hinten nehmen lassen willst.“

„Etwas in der Art von Hündchenstellung?“, fragte der Jüngere nach und atmete durch den Mund durch.

„Ja.“, oh, bei allen Göttern, diese Zunge war so höllisch geil…

„Ich- ah! Nein. Zu viel Kontrollverlust. Uh…“, er leckte über seine Lippen. Verdammt, das fühlte sich gut an. So verdammt richtig. Genau hier, auf Setos Schreibtisch, wo er ihn vor genau drei Wochen verführen wollte. Genau hier…

„Die Wand wäre auch eine Möglichkeit. Ziehst du Beton Holz vor?“, hauchte der Obere ihm ins Ohr, bevor er mit der Zunge darüber strich.

„Nein!“, er keuchte, „Ach ja – ha… – warn’ mich vor, wenn das nächste Mal eine Aktion wie heute Morgen kommt.“, seine Hand fuhr in das braune Haar, „Ich kann für dich schauspielern.“

„Alles, was du wünscht…“, murmelte der Ältere gegen seinen Bauch, während er den Reißverschluss von Katsuyas Hose öffnete.
 

„Yami?“, fragte der Blonde überrascht, der sich sein Handy ans Ohr hielt, „Es ist doch…“, er hob die linke Hand, „Es ist erst halb sechs. Ist etwas passiert?“

„Ja!“, rief dieser schon fast am anderen Ende der Leitung, „Mir hat das gestern keine Ruhe gelassen, dass ich nicht helfen konnte und ich bin noch mal meine ganzen Unterlagen durchgegangen und… oh, ich war so dumm!“, fluchte er laut, „Ich verwende solche Sachen fast täglich, das ist schon so normal, dass ich gar nicht daran gedacht habe. Es tut mir wirklich Leid.“

„Yami…“, was zur Hölle hatten die Handzeichen der Rezeptionsdame zu bedeuten? Oh, Handyverbot! „Warte mal eben, ich muss kurz nach draußen wandern.“

„Wo bist du denn?“, erkundigte sich der Ältere. Nun, schien nicht ganz so tödlich zu sein, dass er was auch immer nicht vorher entdeckt hatte.

„Beim Arzt. Seto wird gerade untersucht. Keine Ahnung, wie lange die noch brauchen.“, Katsuya trat ins Freie, „So, hier dürfte ich sprechen können. Was genau ist los?“

„Du hattest ja was gesucht, was bei Setos Dissoziationen helfen kann. Und mich hat das die ganze Nacht genagt, dass ich dir keine Antwort geben konnte. Ich meine, auf irgendetwas musste man ja gekommen sein… und dann hat mich förmlich der Hammer getroffen. Ich meine, wie blöd bin ich denn? Ich habe doch selbst andauernd Dissos und kann was dagegen tun. Du erinnerst dich an meine, oder?“

„Klar.“, als würde er nicht mehr wissen, wie Yami minutenlang unansprechbar – zumindest ohne Reaktion zu zeigen – in irgendwelchen Ecken gehockt und wie eine lebende Leiche ausgesehen hatte, „Und, was tut man dagegen?“, könnte ja glatt auch für ihn interessant sein.

„Nun, um aus Dissoziationen herauszukommen ist ein starker Bezug zur Realität wieder nötig. Handlungen, die einen wieder in Bezug zur Realität setzen, Musik, Essen, was auch immer einem Genuss und Lebensfreude gibt. Das ist das, was Seto auch weiß. Und damit lassen sich die Dissos auch unterdrücken, wenn sie nicht zu schlimm sind. Aber es gibt auch Techniken, was man mit Dissoziationen macht, die so schwer sind wie Setos derzeitige oder meine nach Vergewaltigungen oder gewalttätigen Freiern.“, der Andere holte kurz Luft, „Man nutzt Imaginationsübungen.“

„Was für ein Zeug?“, fragte der Blonde sofort nach. Imagination? War das nicht so etwas wie Vorstellungskraft? Oder Phantasie? Verdammte Fachwörter. Er musste sich noch mehr beibringen lassen.

„Imaginationen. Selbsthergestellte Halluzinationen, wenn du so willst. Man könnte es auch als kontrollierte Dissoziation oder heftige Abwehr durch den Abwehrmechanismus Phantasie beschreiben.“

„Kontrollierte Dissoziationen?“, der Blonde lehnte sich gegen die Außenmauer des Gebäudes, vor dem er stand, „Also wenn man Dissoziationen kommen spürt, die man nicht unterdrücken kann, versetzt man sich aktiv in einen dissoziativen Zustand, den man steuern kann?“

„Genau das ist das Prinzip.“, erklärte der Ältere mit Stolz in der Stimme.

Ja, selbst er machte sich halt! Denken konnte er sogar auch. Und eines Tages würde er auch mit den Superhirnen seiner Umgebung mithalten können, die würden es schon noch sehen.

„Cool. Wie funktioniert das?“
 

„Relativ einfach. Ich habe ein ganzes Buch voll mit verschiedenen Übungen, das werde ich Seto auf jeden Fall beim nächsten Mal leihen. Eine möchte ich dir aber gern geben.“

„Thanks.“, ein leichtes Lächeln legte sich auf die Lippen des Blonden, „Kann ich gebrauchen.“

„Dachte ich mir.“, Rascheln von Papier, „Kannst du dich zufällig gerade irgendwo hinsetzen, wo du dich ein wenig entspannen kannst?“

„Der Boden muss zur Entspannung reichen.“, erwiderte Katsuya und ließ sich nieder – vorsichtig. Wenn Seto so weiter machte, brauchte er bald eine Sitzprothese. Obwohl er vielleicht Seto nicht dafür schuldig machen sollte, er hatte die meisten kleineren Zwischenfälle schließlich initiiert.

„Okay. Bist du relativ ungestört?“, erkundigte sich der Ältere.

„Denke schon.“, zumindest liefen hier keine Leute vorbei, außer wenn jemand die Praxis betrat oder verließ, „Ich bin ganz Ohr.“

„Schließe am besten die Augen.“, der Blonde tat wie geheißen, „Jetzt stelle dir einen Ort vor, an dem du dich wohl fühlen würdest. Am besten einen personenungebundenen.“

Schade, er wollte sich gerade Setos Arme und seine trainierte Brust vorstellen. War wohl nichts. Wo er sich wohl fühlte…

„Wäre Setos Haus personengebunden?“

„Wenn du es nur magst, weil es Seto gehört oder er dort lebt, ja.“, erklärte der Ältere.

„Also nicht…“, murmelte Katsuya und versuchte sich etwas Neues vorzustellen, „Wie sieht es aus mit einer kleinen, unbewohnten Südseeinsel mitten im Meer, aber nahe dem Festland?“

„Das hört sich sehr idyllisch an. Fühlst du dich wohl, wenn du dich in diese Umgebung denkst?“, Yamis Stimme hatte diesen seichten Singsang angenommen, den er manchmal anschlug, wenn er einen beruhigen wollte.

„Ziemlich, ja.“, irgendwie zählte das auch schon als eine Art sinnliches Erleben, oder? „Da bin nur ich und der feine, weiße Sand. Die Wellen rauschen sanft und der Wind pfeift durch die Palmen hinter mir. Die Sonne scheint mir auf den Pelz und ich liege einfach rum und genieße…“

„Das hört sich sehr beruhigend an.“, bestätigte der Ältere.

„Und ich habe ein Reittier, das mich zum Festland trägt, wenn ich es will.“, ein breites Lächeln lag auf Katsuyas Lippen, „Ein zahmer, schwarzer, rotäugiger Drache. Hm… meinst du, dem ist zu heiß? Setzen wir ihm noch eine kleine Strandhöhle hin, damit er Schatten hat. Hm… jupp. Jetzt ist das Panorama perfekt. Mein Drache döst, ich döse und der Wind pfeift.“

„Fühlst du dich auch sicher?“, fragte der Rothaarige leise nach.

„Klar. Auf die Insel kann niemand außer mir. Und wenn doch, habe ich einen Drachen da.“, oh ja. Gutes Gefühl. Sicherheit. Ein eigener Hausdrache, der ihn beschützte. So sollte es immer sein.

„Das, was du jetzt siehst, ist dein innerer, sicherer Ort. Du kannst jederzeit an diesen Ort zurückkehren, wenn du es willst. Dort ist deine Seele geschützt, was auch immer in der Realität passiert.“

Der Blonde blinzelte und warf einen schnellen Blick Richtung Himmel, von dem die Sonne brannte. War relativ warm heute.

„Sobald du dich an diesen Ort versetzt, ist das eine aktive Dissoziation. Du kannst hin und zurück, wie du möchtest. Du kannst deinen Körper deine Seelenschmerzen verarbeiten lassen, während du dich sonnst und Drachen kraulst. Immer anwenden, wenn du Dissoziationen oder den Drang zur Selbstverletzung kommen spürst.“

Turn of events

Die Deutung dieses Kapiteltitels überlasse ich jedem selbst ^.-

So, da ich derzeit einen Dauergast habe, kann ich die Kommentare erst morgen oder übermorgen beantworten, ich werde es dann aber zusammen mit den ENS, die noch übrig sind, tun. Ich entschuldige mich für die Verzögerungen v.v

Und ich möchte darauf hinweisen, dass es am Japantag eine DS-Gruppe geben wird. Näheres dazu gibt es im Zirkel zu DS (über den ich immer noch sehr gerührt bin ^///^). Und es gibt neues Fanwork in der Kapitelübersicht, schaut doch mal vorbei ^.-

Danke, dass ihr dieser FF schon so lange treu seid! Viel Spaß beim Lesen.
 

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„Guten Morgen, Schwester Isis.“, grüßte der Blonde freundlich.

„Katsuya!“, sie drehte sich lächelnd zu ihm, „Meine Güte, da merkt man gar nicht, dass schon wieder Dienstag ist. Die Zeit vergeht zu schnell.“, sie stellte einen Bottich in den Arzneischrank und schloss diesen ab, „Wie geht es dir? Was hast du mit deinem Kopf angestellt?“, sie ließ sich auf ihrem Stuhl nieder, während Katsuya den Hocker nahm.

„Ist nur eine Platzwunde und eine Gehirnerschütterung gewesen. Schädelfraktur wurde gestern ausgeschlossen und Gehirnblutungen erscheinen unwahrscheinlich, sagte der Arzt.“

„Aber woher hast du die?“, flüsterte der Ältere und zog die Augenbrauen zusammen.

„Aus einem Streit.“, ihr durfte er nichts erzählen… „Ich gerate irgendwie immer wieder an aggressive Menschen.“, er zuckte mit den Schultern.

„Hach, du machst mir Sorgen.“, sie schüttelte den Kopf, „Hast du noch mehr neue Verletzungen?“

Außer einer Menge Seelenwunden? Er verneinte.

„Soll ich dich noch einmal untersuchen?“, erfragte sie hilfsbereit.

Warum eigentlich nicht? War er zwar gestern erst, aber vielleicht sah sie Dinge, die der Arzt nicht sah. Der Mann war sicherlich zwanzig Jahre älter als sie und sie war schon nicht mehr frisch der Ausbildung entsprungen. Außerdem waren ihre Hände weit angenehmer. Hätte er jemals geheiratet, hätte seine Frau solch sanfte Hände haben müssen. Der Blonde legte den Kopf schief, nachdem er seine Oberbekleidung ausgezogen hatte. Seto hatte auch solche Hände. Sanft und ein wenig feminin, aber seine waren gleichzeitig auch stark und kräftig. Nicht schwielig und rau von Hornhaut wie Katsuyas, die von seinem alten Leben geprägt waren. Wäre er nur einiges schwerer und hätte ein kantiges Gesicht, er hätte einen Schiffsarbeiter mimen können. Zumindest dem Klischee nach.

„Deine Brust ist gut verheilt…“, murmelte die Krankenschwester, „Aber die Haut an deinem Rücken ist aufgeraut. Wurdest du geschleift?“, ihr Blick fiel noch einmal auf seine Kopfverletzung, „Bei Gott.“, sie bekreuzigte sich, „Du wurdest doch nicht vergewaltigt, oder?“

„Wie kommen sie darauf?“, fragte der Jüngere leicht verwirrt nach.

„Nun… wenn das bei jungen Männern passiert… werden sie meiner Erfahrung nach meist niedergeschlagen, sodass die ohnmächtig sind und sich nicht wehren…“, ihre Augen richteten sich noch immer auf den Verband, „Und sie liegen dann mit Rücken oder Bauch zu Boden… dabei ergeben sich solche Schürfungen.“, sie seufzte, „Oder prostituierst du dich? Von jenen kenne ich auch solche Verletzungen.“

Oh je… was hatte Seto ihm jetzt wieder eingebrockt? Unfassbar.

„Also mir persönlich ist nix dergleichen passiert. Die Kopfwunde kommt von einem Streit und die Schürfwunden…“, was zur Hölle sollte er jetzt sagen? „Nun, das war freiwillig.“

„Freiwillig?“, sie hob ihre Augenbrauen. Verdammt. Warum konnten so viele Menschen logisch kombinieren? Sie wusste, dass er bei Seto untergekommen war. Der wäre sauer.

„Ja… ich habe einen Freund.“

Sie musterte ihn noch einen Moment gedankenvoll, bevor sie ihn lächelnd beglückwünschte.
 

„Katsuya?“, der Blonde sah von seinem Topf auf, in dem er gerade Obst zerstampft hatte, „Weißt du, wo die hier Zimt haben? Ich kann keinen finden, aber er steht auf dem Rezept.“

„Der ist hinten im…“, er betrachtete Ryou kurz, „Stampf mal kurz weiter, ich gehe es holen. Ich glaube, du bist nicht groß genug.“

„Okay.“, der Weißhaarige übernahm seine Arbeit, während Katsuya den Gewürzschrank durchsuchte. Da war es doch. Richtig weit oben, richtig weit hinten.

„Bitt’schön.“, sie wechselten sich wieder ab, „Gib’ mir noch ein Minütchen.“

Der Jüngere lehnte sich an den Schrank neben ihm, betrachtete ihn von der Seite und fragte schließlich mit gedämpfter Stimme: „Was hat der Arzt gestern gesagt?“

„Hm?“, Katsuya sah kurz auf, machte aber schnell weiter, „Keine Fraktur, wahrscheinlich keine Blutungen. Und Setos Wunden haben sich nicht entzündet. Er erwartet aber, dass man die Narben davon noch mindestens ein halbes Jahr sehen wird.“

„Oh…“, der Weißhaarige seufzte, „Wie geht es ihm?“

„Prächtig.“, der Größere stieß lächelnd die Luft aus, „Er hat ein williges Betthäschen.“, er seufzte, „Das ist schlimm… ich brauche ihn nur sehen und ich will ihm die Klamotten vom Leib reißen und ihm eine Menge schmutziger Dinge zuflüstern. Aber gleichzeitig will ich mit ihm kuscheln und reden und werde rot wie ein Mädchen und bin völlig unsicher. Voll Chaos.“, doch schon wieder lächelte er, „Das war gestern so peinlich. Der Arzt hat die neuen Blutuntersuchungsergebnisse erklärt und war besorgt, dass mein Serotoninspiegel schon wieder gesunken und jetzt ungefähr so niedrig war wie bei einem schwer psychisch Kranken. Und das Dopamin und ähm… Oxytin? Weiß nicht. Auf jeden Fall waren ein paar andere Spiegel erhöht. Seto hat nur einen Blick drauf geworfen und gefragt, ob das nicht einfach das Hormonbild eines Verliebten sei. Und hat wohl voll ins Schwarze getroffen.“, Röte legte sich auf Katsuyas Wangen, „Der Arzt hat nur kurz zwischen uns beiden hin und her gesehen und gemeint, dass das richtig sei und er sich ja nun nicht mehr so viele Sorgen machen muss. Und ich glaube, er hat Setos Blut auch zum Test geschickt…“, ihre Blicke trafen sich, „Wusstest du, dass man aus dem Hormonbild lesen kann, ob jemand wahrscheinlich treu sein wird? Und ob die Beziehung lange hält? Das ist so…“, er schüttelte den Kopf, „Bizarr.“

„Heißt, du hast nächsten Montag die medizinische Voraussage, wie eure Beziehung laufen wird?“, fragte Ryou mit zweifelnder Stimme nach.

„Genau das.“, der Ältere seufzte, „Und ich weiß nicht mal, ob Seto es mir verraten wird, was raus gekommen ist. Es ist so gemein, dass ich noch nicht volljährig bin…“, er ließ den Stampfer los, „Du kannst die Gewürze hinzufügen, wenn du magst.“
 

„Verdammt seien jene, die die Mittagspausen in Hauswirtschaft integriert haben…“, flüsterte Seto, bevor er erneut einen Kuss auf Katsuyas Lippen setzte und mit der freien Hand – die andere fuhr über die Brust des Jüngeren – die Tür abschloss, gegen die er ihn drückte.

„Welch stürmische Begrüßung…“, urteilte der Blonde mit tiefer Stimme, als der Ältere ihm kurz Zeit zum Atmen gab – was sofortig mit einem Zungenkuss bestraft wurde, „Schon wieder ausgehungert, mein Drache?“

„Meinetwegen kannst du deinen Mund gern für anderes nutzen als zum Sprechen.“, flüstere dieser ihm entgegen, bevor er Ohren und Hals liebkoste. Hilfe, was für ein Schwerenöter!

„Da fällt mir zufällig etwas ein…“, mit dem Zeigefinger strich Katsuya Setos Hose an der gewölbten Stelle entlang, „Möchtest du es haben?“, mal ehrlich – war er in dem Aspekt irgendwie anders als er? Nicht wirklich.

Die hellblauen Augen schienen ihm entgegen zu leuchten.

„Mein Hintern tut mir zu sehr weh.“, der Jüngere lächelte entschuldigend, „Also… ich würde das oral mal versuchen…“, ein gewisser Ausdruck von Besorgnis legte sich auf die Züge des Brünetten, „Was ist?“

„Du musst das nicht machen, nur weil du gerade das andere nicht willst.“, flüsterte der Ältere, „Ich möchte dich zu nichts zwingen.“

Eigentlich bemerkte er doch gut kleinste Stimmungsschwankungen des Anderen, nicht? War das wirklich etwas, was er lernen musste? Vielleicht nur die Deutung, das Bemerken war schon gegeben.

„Aber ich würde gern mit dir… also… ich hab’ Lust drauf. Auf Sex, mein’ ich. Und oral… ich mein’… ich könnt’ es ja mal probieren.“, warum stotterte er jetzt so?

„Tue das besser nur, wenn du es wirklich willst.“, sagte der Größere leise, „Das erste Mal ist eine noch größere Überwindung als zu allen anderen Arten Sex, meistens. Wir haben auch noch Hände. Und… na ja…“, Seto wurde rot? Ganz leicht, aber ein bisschen war da, nicht? „Ich… also… ist ja kein Muss, dass du der Passive bist.“, sein Blick wich aus.

Katsuya blinzelte. Stopp. Reset. Seto hatte nicht… gerade… also… hatte er das wirklich vorgeschlagen? War das sein Ernst? Dass er… also… dass sie beide… ein Lächeln legte sich auf seine Lippen.

„Wie wäre es mit Händen, wir fahren nach Hause und unterhalten uns da noch einmal darüber?“, schlug er einige Momente später vor.

Der leicht Errötete nickte nur.
 

Katsuya warf einen schnellen Blick auf Setos Gesicht und nahm unter den geschlossenen Lidern ein Lächeln wahr. Das war genug, um sich zu trauen: „Das war himmlisch…“

„Hm…“, der Ältere schnurrte, während er von dem Kleineren in dessen Arme und an dessen Brust gezogen und gekrault wurde.

Und es tat gut sich auch mal wieder in einem Bett wieder zu finden, nachdem man von seinem Orgasmus zurück auf die Erde katapultiert wurde. Nur diese Art von Unsicherheit, die war mal völlig neu. Aber Seto sah nicht so aus, als hätte er ihm außerordentlich wehgetan… und selbst wenn, konnte es sein, dass er den Schmerz genossen hatte. In so etwas war er ja anscheinend ein wenig eigen.

„Hat es dir auch gefallen?“, fragte der Jüngere vorsichtig. Wenn er das richtig verstanden hatte, war das Setos erstes Mal… unten gewesen.

„Bestens…“, murmelte der nur und legte seinen Kopf in den Nacken, damit der Andere weiter kraulte, „Ich frage mich, warum ich das nicht schon früher gemacht habe. Es ist gar kein Kontrollverlust.“, er rollte das Haupt unter Katsuyas Hand, „Am Anfang vielleicht, aber… wenn man sich mal überwunden hat…“, seine Lider fuhren plötzlich in die Höhe, sodass er den Jüngeren fixierte, „Kannst mich aber ruhig fester nehmen, ich bin keine Frau.“

Wie war das mit Masochismus?

„Noch fester geht nicht, wenn ich deinen Schädel nicht gegen die Wand rammen soll.“

Oha… dieses Schnuteziehen war nicht das süße, kindliche – es war schon fast verärgert.

„Hm…“, gut, keine Verärgerung mehr zu erkennen, „Dann sollten wir eine andere Stellung nehmen. Von hinten geht fester. Oder du lässt mir die Oberhand…“

„Hast du eigentlich schon einmal was von Romantik gehört?“, fragte Katsuya dazwischen.

„Romantik?“, die Stirn des Älteren legte sich in Falten, „Ist ein Kunstzeitalter im neunzehnten Jahrhundert.“

„Und ist Bezeichnung für eine liebevolle, harmonische, ruhige Atmosphäre.“, war er eigentlich der einzige mit dem Bedürfnis danach? Seto war doch auch oft kuschelig. „Die uns beim Sex ziemlich fehlt.“

„Romantik beim Sex?“, der Ältere hob eine Augenbraue, „Sprichst du von diesem Mein-Schatz-mein-Liebchen-mein-Ein-und-Alles-Gesülze?“

„Nein…“, oha, er sah es schon, er verunsicherte Seto, „Der Sex mit dir ist göttlich, aber vielleicht könnten wir es manchmal einfach ein wenig langsamer angehen. Ich meine… du hast ein Vorspiel, das ist unbeschreiblich, aber es ist ganz klar darauf ausgelegt mich so schnell wie möglich zu erregen. Ein paar mehr sanfte, streichende Bewegungen, die einfach nur zum Genießen da sind oder ein paar Pausen zum Luft holen und Fühlen… einfach nur fühlen. Emotional, nicht körperlich. Also… verstehst du, was ich meine?“

„Nein.“, gab der Ältere zurück, allerdings ruhig und gefasst, „Wie wäre es, wenn du es mir zeigst statt es zu beschreiben? Nimm mich auf deine Art.“
 

Oh Hilfe. Was hatte er sich jetzt schon wieder eingebrockt? Er war bei weitem kein Genie beim Vorspiel, auch wenn Seto ein guter Lehrer war. Konnte er wirklich vermitteln, was er meinte? Und das jetzt, hier und sofort?

„Ähm… ich werde es versuchen.“, der Blonde schluckte, „Aber… können wir das auf morgen verlegen? Ich bin völlig ausgelaugt. Und du musst deine Korrekturen machen und ich Hausaufgaben und gegessen haben wir auch noch nicht…“

Die blaugrauen Augen suchten sein Gesicht nach der Wahrheit hinter diesen Worten ab, bevor sich das brünette Haupt wieder an Katsuyas Brust drückte.

„Wenn schon kein Sex, lass uns wenigstens noch etwas hier liegen bleiben, ja?“, absolut gern, Seto, absolut – der Blonde schloss seine Arme um den größeren Körper, „Morgen Abend… ist allerdings schlecht. Wäre es schlimm, wenn wir Donnerstag nehmen?“

„Keineswegs.“, das gab ihm weit mehr Zeit sich zu überlegen, wie er das anstellen sollte, „Was ist denn morgen?“

„Das…“, sollte er deuten, würde er sagen, die Person, die von seiner Brust hoch schaute, war um die fünf Jahre alt, „Das ist eine Überraschung.“, Kinderstimme und breites Lächeln inklusive.

„Eine Überraschung?“, reagierte Katsuya sofort, in dem er eine sanfte Tonlage wählte und zurückgrinste, „Und du sagst mir nicht, was das ist?“

„Nein!“, und da war sie wieder, die Klein-Kinder-Schnute. Was man alles hinter Masken finden konnte…

„Wirklich nicht? Auch nicht, wenn ich ganz lieb bitte sage?“

Der Brünette schloss die Augen und kicherte, bevor er sein Gesicht wieder an Katsuyas Brust versteckte und noch einmal laut „Nein!“ wiederholte und weiter kicherte. Nun, Klein-Seto schien sich also köstlich zu amüsieren über das, was Groß-Seto anscheinend geplant hatte. Für morgen Abend… Mittwochabend. Was konnte man mittwochs alles machen? Was hatte er vor? Sollte er mal schauen, was er aus Klein-Seto herauskitzeln konnte? Apropos… gute Idee.

Der Blonde ließ seine Hände zu Setos Taille sinken, legte sie auf seine Seiten, bevor er mit den Nägeln über diese strich.

„Wah! Wahaha!“, der Ältere riss sich lachend los und suchte sein Heil in der Flucht zum anderen Ende des Bettes. Mist. Selbst als Kind hatte er immer noch einen Erwachsenenkörper. Gemeinheit.

Der Jüngere griff eines der Kissen und schmiss damit auf Setos Brust – noch gemeiner, der konnte sie ja fangen. Das half nur noch eins: Offensive! Mit einem weiteren Kissen bewaffnet stürmte der Blonde so schnell er auf Knien konnte auf den Größeren zu, der mit dem anderen Kissen in der Hand dasselbe tat.

Runde eins der Kissenschlacht!

Überraschung

Ich möchte noch einmal erinnern, dass wir am JAPANTAG eine DS-Gruppe haben. Wer dazustoßen mag, bitte im Zirkel vorbeisehen und melden.

Nächste Woche Freitag bin ich übrigens in Kroatien und werde demnach kein Kapitel hochladen. Aber Dienstag kommt eins ^.- Ansonsten entschuldige ich mich bei allen, die derzeit Mails von mir erwarten, mein Internet fällt andauernd aus. Wenigstens Kapitel lässt man mich noch hochladen ^.^

Danke für eure Kommentare und viel Spaß beim Lesen!
 

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„Irgendetwas hat er geplant und ich komme einfach nicht drauf was.“, grummelte der Blonde, tief eingesunken auf seinem Stuhl, die Beine auf seinem Pult.

„Deswegen nennt man es doch Überraschung.“, meinte der Junge neben ihm lächelnd, nach vorne gelehnt, die Arme auf den Knien. Ryou war echt interessiert an ihrer Beziehung. Vielleicht sollte er beizeiten auch mal nach Bakura fragen… beizeiten.

„Ich will es aber wissen.“, murmelte der Ältere stur.

„Wirst du heute Abend doch.“, der Weißhaarige stützte seinen Kopf auf eine Hand, „Warte ab. Übe dich in Geduld.“

Irgendwie… klang das verdächtig. Verdammt verdächtig. Ryou war sonst die Neugierde selbst. Und jetzt gab er sich zufrieden? Irgendetwas war faul.

„Du weißt doch etwas, oder?“, der Blonde fixierte sein Gegenüber.

Der Kleinere zuckte zusammen, blinzelte, hob beide Arme und beteuerte lächelnd: „Ich weiß gar nichts. Wie sollte ich auch?“

„Ryou, wenn du mich überzeugen willst, solltest du nicht abstreiten, sondern es unglaubwürdig machen, sonst glaubt man dir nicht. Passend wäre etwas in Richtung „Was soll ich wissen?“ mit erstaunten Gesichtsausdruck.“

„E… he…“, der Arme des Fünfzehnjährigen sanken wieder, ähnlich wie sein Kopf, „Danke für den Tipp.“

„Du weißt also wirklich etwas?“, der Andere schwang die Beine vom Tisch, „Erzähl.“

„Wa- ?“, Ryous Kopf schnellte hoch, „Du hast mich reingelegt!“

„Ich wohne bei Seto Kaiba, was erwartest du?“, er setzte sich dem Jüngeren gegenüber, „Also – was weißt du?“

„Ähm…“, dieser setzte sich auf und sah sich kurz im Raum um, „Ich weiß, dass du bis zum Ende der Woche deine Pflicht-AG eintragen musst.“

„Lenk’ nicht ab.“, befahl der Ältere.

„Ähm…“, der Blick des Blauäugigen glitt zur Klassentür. Oh nein. Jetzt würde nicht völlig zufällig ein Wunder kommen um ihn zu retten. Das hier war kein Film, da passierte das-

„Guten Morgen.“, Kaiba betrat die Klasse, „Setzt euch, schenkt euch die Begrüßung, wir haben heute viel vor.“, das war echt nicht wahr, oder? „Ich habe euren Unterricht in diesem Fach jetzt seit einer Woche übernommen und eigentlich sollte euer Lehrer bereits seit Montag zurück sein. Allerdings erreichte uns heute Morgen überraschend seine Kündigung.“, Setos Blick blieb an Katsuya hängen, „Bis also ein Ersatz gefunden ist, werde ich weiterhin hier unterrichten. Die Klausur werdet ihr demnach vorerst bei mir schreiben. Wir halten uns weiter an unser bisheriges Thema: Shakespeare. I brought you one of his sonnets for today’s lesson. Wakaba, please read this for us.“, er begann Zettel auszuteilen.

Verdammt… er musste versuchen Ryou in der Pause abzufangen. Er würde schon noch erfahren, was da für ihn geplant war.
 

Oh je… was hatte sich Seto da bloß ausgedacht?

Dichten! Auf Englisch! Im Sonettstil! Für was hielt er sie? Shakespeare persönlich? Na gut, sie hatten dieses Gedicht als Vorlage, aber trotzdem… was sollte er denn schreiben? Über was? Seine Augen verfolgten den Älteren, wie er etwas in seinen Unterlagen nachsah, zur Tafel ging, einige Worte auf eine der Außenseiten schrieb, die für die Schüler gerade nicht sichtbar war und zurück zu seinen Unterlagen schritt. Seto. Er sollte über Seto schreiben. Und zwar so, dass niemand außer ihm es verstand, sollte er vortragen müssen. Hm… Seto…

Shall I compare you to a winter’s day?

Thou art more toxic, but less temperate.

Cold hands let shiver the bodies you lay.

And with freezing breath thou shag every date.

Ja, doch, das kam hin. Beim Sex schien Setos kindliche Seite einfach nicht existent zu sein. Da waren keine Zweifel – da war nur Lust und der unbändige Wille sie auszulassen. Auf eine einfach perfekte Weise holte er sich, was er wollte. Da war kein Lachen, kein Lächeln… man wurde Teil eines Rituals. Ein Ritual, indem man ersetzbar war. Wenn man nicht daraus ausbrach, war man nie mehr als ein… Gebrauchsgegenstand. Es war hart, aber so fühlte es sich an. Es war unglaublich erregend, ja, aber… es war nicht… nicht echt. Nicht… gefühlvoll. Das war es wohl. Seto ging mit Sex irgendwie gefühllos um. Es schien keinerlei emotionale Bedeutung für ihn zu haben. Wie sollte er ihm das bloß sagen? Und wie konnte man Sex… gefühlvoll haben? Genussvoll?

Lips that art just pale you closed forever.

With eyes thou pierce through what could melt your ice.

Painted any red your cheeks art never.

What lies beneath thou you see as a price.

Was erwartete er von dem Ganzen? Nach was suchte er? Das Kribbeln, die überwältigende Lust, die Entspannung, natürlich, ja, aber… er wollte das Gefühl haben etwas Besonderes zu sein. Etwas Einzigartiges. Danach suchte er. Er wollte geliebt werden, als wäre er der einzige auf der Erde, der Seto genau das geben konnte, was er brauchte. So wie Seto für ihn der einzige war, der ihm gab, was er wirklich brauchte. Irgendwie sollte ihr Sex das spiegeln. Wenigstens ein bisschen.

Der Blonde merkte auf und sah sich um. Da war doch was gewesen, oder? Oh! Kaiba ging herum. Und er wäre in wenigen Sekunden bei ihm. Katsuya drehte das Blatt um, auf dem das halb fertige Gedicht stand.

„Du hast Bartwuchs…“, flüsterte der Ältere, der sich von hinten über ihn beugte, in sein rechtes Ohr, „Dafür können wir morgen einkaufen gehen.“

Der Kleinere fuhr mit einer Hand über seine Wange. Tatsächlich! Wieso das denn plötzlich? Wann war Seto das aufgefallen? Katsuya seufzte. Verdammt. Jetzt musste er sich auch noch jeden Morgen rasieren. Hormongestört zu sein war viel schöner gewesen…

„Darf ich nicht lesen, was du schreibst?“, wechselte der Stehende das Thema.

„Erst, wenn es fertig ist.“, flüsterte der Braunäugige zurück.

„Okay. Stell dir einen Kuss auf deine Wange vor.“, der Lehrer streckte sich und ging zum nächsten Tisch weiter, während Katsuya – diesmal sanft – über seine Haut strich.
 

„Wo findet es statt?“, startete der Blonde einen neuen Versuch. Irgendetwas musste doch aus Ryou herauszupressen sein! Aber nein, der Herr war schweigsam wie ein Stein. Okay, vorteilhaft, er würde ihre Geheimnisse gut hüten – aber verdammt, jetzt kam das gar nicht gut! Er wollte wissen, was geplant war! Wieso musste Seto unbedingt jetzt seine flexible Seite zeigen? Hach… wieso hatte er Seto bloß gesagt, dass er gerne überraschend und plötzlich handelte. Jetzt hatte er den Salat – der Brünette passte sich an und begann überraschend zu handeln. Als wäre er nicht schon kompliziert genug, jetzt veränderte er sich auch noch.

„Sag mir wenigstens eine Uhrzeit…“, bat Katsuya mit wehleidigem Ton.

„Achtzehn Uhr.“

„Was?“, der Ältere sah auf.

„Achtzehn Uhr.“, der Weißhaarige, der die Tür seiner Wohnung aufschloss, warf einen Blick über die Schulter, „Um achtzehn Uhr geht es los. Bis dahin machen wir Mathe.“

„Mathe?“, der Größere spuckte das Wort fast aus, während er zurückwich, „Aber…“

„Es ist Mittwoch.“, bestimmte der Blauäugige, „Mathenachhilfetag. Und ganz egal, was heute Abend ist, jetzt machen wir Mathe.“

„Aber Ryou-“

„Nein.“, die Tür wurde geöffnet, „Ich bekam einen Auftrag und den werde ich ausführen. Denn ich bin ein braver Schüler.“, er streckte die Nase in die Höhe und marschierte so in die Wohnung.

„Wieso gibt Seto dir Aufträge?“, murrte der Blonde nur und zog die Tür hinter sich zu.

„Weil er erkannt hat, dass mein Bruder verlässlich ist.“

Katsuya erstarrte. Die Stimme war leise und ruhig gewesen. Aber sie war so schneidend, er hätte sie noch einen Kilometer weiter gehört. Und wenn nicht die Worte, so hätte mindestens der Tonfall ihn erkennen lassen, wer da sprach.

„Kura?“, rief Ryou erfreut aus und düste in die Küche, „Kura!“

Dumpfer Aufprall, plötzlich einsetzende Stille. Der Blonde warf nur einen kleinen Blick um die Ecke. War ja klar gewesen… ob er Seto wohl auch so begrüßen sollte? Mit einem tiefen, tiefen Zungen- er schüttelte sich. Ryou und Bakura waren Brüder. Wie konnte man solche Gefühle für jemanden hegen, mit dem man aufgewachsen war? Oder war es irgendeine Krankheit und sah einfach nur aus wie Liebe?

Katsuya seufzte. Er sollte endlich seine Vorurteile ablegen und seinen Horizont erweitern. Anscheinend war Inzest nicht nur krankhaft mit irgendwelchem Zwang und Nötigung verbunden, es gab wohl auch Menschen, die sich einfach liebten und denen ihre Verwandtschaft egal war. Würde er seine Beziehung mit Seto beenden, wenn sich plötzlich herausstellen würde, dass dieser sein Cousin war? Nein. Na also. Er würde mit ihm schließlich kaum Kinder kriegen.
 

„Was zur Hölle ist das?“, hörte der Blonde im Hintergrund, sah von den Matheunterlagen auf, die Ryou und er auf dem Boden verbreitet hatten und warf einen Blick über die Schulter.

„Lass meine Sachen los!“, schrie Katsuya, sprang auf und entriss dem Älteren seinen Block und seine Tasche, „Wie kommst du dazu meine Tasche anzufassen?“

Ryou seufzte nur.

„Wie kommst du dazu in meiner Wohnung so rum zu schreien?“, fauchte sein Bruder währenddessen und erhob sich.

„Wie ich dazu komme? Du schnüffelst ungefragt in meinen Sachen! Hast du eigentlich schon mal etwas von Respekt der Privatsphäre anderer gehört?“, nicht überreagieren, ruhig, es war nur Bakura… nur Bakura… nicht sein Vater, ähnlich ungehobelt, aber nicht sein Vater.

Der Weißhaarige verdrehte nur gekonnt die Augen – war das ein Schuldeingeständnis? – und deutete auf den Block in Katsuyas Händen: „Und was ist das nun?“

„Was?“, erfragte der Größere und versuchte seine Stimme ruhig zu halten.

„Block, Blatt, Text, Gedicht.“, spezifizierte Bakura.

„Was für ein Gedicht?“, nicht, als ob er nicht wüsste, was der andere meinte… er hatte sich direkt hinter seinem Rücken über seine Sachen hergemacht und anscheinend genug Zeit gehabt den Block nach Interessantem durchzublättern.

„Ist Kaiba so im Bett?“, fragte der Ältere ohne jede Umschweife.

„Warum bist du eigentlich schon zuhause? Musst du nicht arbeiten?“, konterte der Blonde lieber.

„Habe frei bekommen.“

„Und nichts Besseres zu tun als anderer Leute Sachen zu durchwühlen und sich über ihr Sexleben zu erkundigen.“, er atmete tief durch. Es war nur Bakura. Man erwarte bloß keine Höflichkeit.

„Der Großteil meiner Arbeit besteht daraus.“, der Weißhaarige verschränkte die Arme, „Also, ist er so im Bett?“

„Ich wüsste nicht, was dich das angeht.“, konnte ihn Ryou mal bitte aus der Situation befreien? Hach… brauchte er wirklich Hilfe um mit Bakura auszukommen?

„Wenn du eben so frigide wie prüde bist, tut es mir um Kaiba Leid.“, murmelte der Andere nur herablassend und schlenderte an Katsuya vorbei zu seinem Bruder.

Der Größere atmete tief durch. Sollte er darauf etwas erwidern? Im Zweifelsfall würde es nur wieder in einem Blutbad enden. Er hatte seit gestern zwar wieder sein Messer dabei, Bakura besaß allerdings eine Knarre – das hatte erhebliche Vorteile für ihn.

„Du bist vollkommen unjapanisch.“, meinte der Wolf nur, während er sich zu dem Jüngsten setzte, „Individualistisch, aufmüpfig, laut, regelbrecherisch, auffallend und noch nicht einmal sexuell freizügig. Am besten du erzählst noch, dass du den Traum von der großen Liebe oder dem Ritter auf dem weißen Schimmel hast, dann hast du wirklich jedes Antiklischee erfüllt."

„Und wenn es so wäre?“, murmelte Katsuya sauer, während sich Rot auf seine Wangen schlich. Ja, er träumte von echten Gefühlen! Problem damit?

Ein verkapptes Lächeln legte sich auf Bakuras Züge. War klar, dass ihm das Erröten auffiel. Idiot.

„Sei bloß froh, dass Kaiba europäisch orientiert ist. Vielleicht kannst du ihn ja umpolen, dass er Sex nicht als Statussymbol sieht oder was auch immer ihn so kalt sein lässt. Sonst müssen wir ihn mal mit nach Albanien schleppen.“
 

„Albanien?“

„Hat Ryou nicht erzählt?“, er piekste seinem kleinen Bruder in die Seite, „Wir sind dort ausgewandert, als er gerade geboren war. Ich war da vier oder fünf. Ist lange her.“, sein Blick richtete sich in die Ferne, „Stell dir vor, da gibt es Wälder.“, oh Hilfe, selbst sein Grinsen sah nach dem Zähnefletschen eines Wolfes aus, „Freie Natur. Und man kann sie aus dem Fenster sehen. Unfassbar, nicht?“

„Du magst Japan nicht, oder?“, fragte der Blonde nach und setzte sich den beiden gegenüber.

„Beschissenes Land.“, knurrte der Ältere und ließ seinen Blick in Katsuya bohren, „Nichts als Beton und Regeln. Regeln über Regeln, nur unterbrochen von Werbung. Es ist laut und überfüllt und teuer. Die Miete für diese Bruchbude frisst mein komplettes Gehalt und die Arbeit meine Nerven. Es ist einfach nur scheiße. Wie zur Hölle soll ich jemals Ryous Studium bezahlen? Die Armen bleiben arm und ich habe keinerlei Lust mich zu prostituieren, auch wenn das mein Gehalt sicher verzehnfacht.“

„Kura…“, murrte der Jüngste leise und wandte einen flehenden Blick nach oben.

„Schon gut, bin ja sofort wieder höflich.“, der Ältere seufzte, „Wie konnte ich vergessen, dass du mit ewigem Lächeln und ausgesuchter Höflichkeit groß geworden bist. Sei glücklich, dass du nie ein albanisches Waschweib kennen gelernt hast.“

„Ryou ist halt wohl behütet.“, verteidigte der Blonde seinen Freund.

„Soll ich das als Kompliment oder Beleidigung nehmen?“, fragte Bakura fast im selben Atemzug.

„Nimm es als Kompliment und Ende eures Gespräches.“, mischte der bisher Stille sich ein und wandte sich zu Katsuya, „Wir wollten Mathe machen.“

„Du wolltest mich zu Mathe zwingen.“, gab dieser unverwandt zurück, „Ich möchte nur wissen, was für heute Abend geplant ist.“

„Wie kann man so unflexibel sein?“, musste der immer so herablassend klingen?

„Lass mich raten: Du weißt, worum es geht und du machst dabei auch noch mit.“

„Klar.“, schon wieder dieses wölfische Grinsen… „Irgendwer muss ja auf die zwei Prinzessinnen aufpassen. Und wenn der Drache es nicht kann, macht es der Wolf. Nicht, dass irgendwo der Ritter auf dem weißen Schimmel auftaucht, das wäre ja tragisch…“

Nicht austicken, nicht austicken, einfach ruhig bleiben… Analyse: Warum machte ihn Bakura aggressiv? War es A – weil der Typ eine aggressive Grundstimmung vermittelte – B – die konstante Herabwertung – oder C – beides und noch viel mehr?

„Weißt du, wenn du dich auf meine Art des Humors einlassen würdest, wäre ich viel leichter zu ertragen. Ich garantiere.“, versicherte der Ältere.

„Tut mir Leid, dass ich nicht so einfach das moral- und taktlose Arschloch rauskehren kann.“, knurrte Katsuya.

„Arschloch ist ein Anfang.“

„Kura…“, murrte der Jüngste wieder. Hach, das würde ein Abend werden… was hatte sich Seto bloß dabei gedacht?
 

„In zehn Minuten müssen wir los.“, sagte der Wolf einige Zeit später mit einem Blick auf die Uhr Bescheid.

„Ich rechne noch eben die Aufgabe zu Ende…“, murmelte Katsuya, kaute noch einen Moment auf dem Stift und schrieb schließlich weiter. Für einen Sattelpunkt mussten Steigung und Krümmung an der Stelle null sein, oder?“

„Ja.“, bestätigte der Jüngste und warf einen Blick über die Schulter des Blonden, „Du hast allerdings das Minus vor fünf X vergessen. Es ist ein Hochpunkt.“

„Das Minus…“, ein Blick nach oben, „Oh, stimmt, da. So richtig?“

„Jupp.“, einige weitere Zahlen, „Jetzt nur noch die Wendepunkte, dann hast du’s.“

Wenn er jetzt noch einen klar erkennbaren Nutzen in dem sehen würde, was er hier tat, wäre er sicherlich ein glücklicher, genügsamer Mathematikschüler. Er hatte es kapiert! Endlich keine schlechte Note mehr in Mathe. Nicht noch einmal sitzen bleiben wegen dem Fach. Und Seto wäre auch stolz. Oh ja… Seto… stolz…

„Soll ich mal raten, an was du denkst, Grinsekatze?“, erkündigte sich der Älteste.

„Nein.“, knurrte der Blonde retour, warf ihm einen bösen Blick zu und rechnete weiter an der dritten Ableitung. Die zweite gleich Null, x-Werte in die dritte einsetzen… rechnen, rechnen, rechnen… „Okay. So richtig?“

„Lass sehen.“, der Weißhaarige nahm das Blatt, verglich mit seinen eigenen Aufzeichnungen und nickte, „Ja, ist richtig.“

„Yes!“, ein Grinsen breitete sich auf Katsuyas Lippen aus, „Ich kann Mathe. Machen wir als nächstes Physik?“

„Bist du in jedem Fach so eine Niete?“, fragte der bereits Aufgestandene nach, der einen langen, schwarzen Ledermantel über die Schultern geworfen hatte und seine Taschen überprüfte, wobei er in diesem Moment gerade Dietriche aus dem Innenfutter zog.

„Nein.“, der Blonde packte seine Sachen zusammen, „Sag mal, strengst du dich eigentlich in irgendeiner Form an freundlich zu klingen oder bist du sogar extra so hässlich?“

„Ich hab’ keinen Bock irgendwelche Mühen an dich zu verschwenden.“

„Warum? Weil ich dich mögen könnte?“

„Weil du kein Geld bringst.“, seine Schlüssel verstaute er in der Hosentasche, nachdem er sein Messer aus dieser in den Mantel gesteckt hatte.

„Ich habe andere Qualitäten.“, hoffte er zumindest. Aber irgendetwas Gutes musste er tun, sonst hätten ihn so viele Menschen nicht einfach lieb dafür, dass er er selbst war.

„Welche?“, die blauen Augen schienen ihn plötzlich durchdringen zu wollen. Irgendwie erinnerte das doch sehr an Seto – nur dass der eine Antwort auf die Frage hatte.

„Man kann mich stundenlang zutexten und ich bin ehrlich.“, und mehr viel ihm auf Anhieb nicht ein. Aber das war sicher mehr, als viele andere Menschen von sich sagen konnten. Oder würden, alternativ.

„Glaubst du?“, Bakura hob eine Augenbraue.

„Ja, tue ich.“, bekräftigte der Blonde.

„Wenn du meinst. Bist du fertig, Ryou?“

„Ja.“, der Kleine band gerade seinen Schuh zu und sprang Sekunden später auf, „Kann losgehen.“
 

Die Bahn war voll. Nicht, dass er sich das nicht gedacht hätte, aber es würde ihm noch einmal mit erdrückender Sicherheit bewusst. Es war nicht voll, es war überfüllt. Wenn Seto vor allem Angst hatte, hatte er mit großer Sicherheit auch Platzangst – er sollte daran denken, dass das hier kein geeignetes Fortbewegungsmittel für ihn war. Genau so wie Bakura eigentlich daran hätte denken sollen. Aber wie er wusste, ging der ja sowieso sehr wenig verständnisvoll mit seinem Bruder um. So stand Ryou also zwischen ihnen beiden, den Kopf in Bakuras Mantel vergraben. Katsuya blieb nichts als ihm mit der freien Hand die bebenden Schultern zu massieren.

Psychische Krankheiten schränkten das Leben ein. Noch eine der Lektionen, die ihm diese kurze Bahnfahrt beibrachten. Ryou würde niemals allein mit der Bahn fahren. Er würde keine Berufe annehmen, die ihn zwangen, mit der Bahn zu fahren. Er würde keine Orte allein besuchen, wenn er dafür die Bahn nehmen musste – und wäre es nur der Arzt. Und der einzige Grund dafür war Angst vor Menschenmassen… irgendwie traurig. Seto hatte so viele Ängste und legte alles daran sie zu überwinden. Ryou stand noch ganz am Anfang – er hatte seine Ängste erst ein paar Mal selbst bekämpft, indem er Menschen ansprach. Und jetzt mit der Bahn zu fahren… war es wieder eine Angst, bei der sein Bruder ihn anleitete sie zu besiegen?

Tat er das? Half Bakura Ryou bewusst mit seinen Ängsten? Oder tat er es unbewusst? Oder war er so sadistisch, dass er Ryou einfach gerne ängstlich sah? Er schien rücksichtslos auf keine Angst einzugehen, schränkte sich nur ein, wenn der Kleinere wirklich darum bettelte. War das hilfreich? Oder schadete er seinem Bruder damit?

Die Beiden waren irgendwie auch kompliziert. War das Liebe und gegenseitige Hilfe und Rücksichtsnahme oder das Ausleben zweier Störungen, die zufällig zusammenpassten? Wie bei ihm und Seto war das irgendwie unklar. Wie unterschied man die beiden Dinge voneinander? Ja, die Beiden gingen wirklich ungewöhnlich miteinander um, aber… könnte das nicht auch Liebe sein? Kompliziert…

„Erkennst du die Gegend?“, fragte der Älteste nach, während sie gerade der U-Bahn-Station entstiegen.

„Diese?“, hm… reihenweise Reihenhäuser. Vorstadtpanorama. Aber das hier war nicht der Ort, wo er früher gewohnt hatte, oder? Nein, war er nicht. Was kannte er sonst für vorstadtähnliche Gegenden? Der Blonde drehte sich einmal um die eigene Achse. „In dieser Gegend steht mein Haus, oder?“

„Kaibas Haus, würde ich mal sagen.“, der Weißhaarige führte sie um eine Ecke – und Überraschung: Da war sein Zuhause. Was hatte Seto bloß geplant? Ryou, Bakura und er – und Seto natürlich – bei ihnen? Oder würden sie irgendwo hinfahren? Und wem gehörte das Motorrad vor ihrer Garage?

Der Blonde schluckte. Er hatte echt keine Ahnung, was passieren würde. Das dürfte das Gefühl sein, was Seto den ganzen Tag lang hatte, weil er einige nicht einschätzen konnte und deshalb ständige Angst hatte, er könnte verletzt werden. Dabei müsste er selbst in dieser Situation eigentlich keine Angst haben. Seto würde nichts tun, was er ausdrücklich nicht wollte, da war er sicher. Und die anderen waren schließlich auch da… er sollte sich ruhig mal überraschen lassen können.

Bakura betätigte die Klingel und schob den Blonden vor sich, der geräuschvoll schluckte. Was würde ihn drinnen erwarten? Die Tür öffnete sich. Ein Spalt, die Wand wurde sichtbar – es schien eine Art rotes Licht drinnen zu leuchten, das in diesem Moment anging – ruckartig flog die Tür auf.

„Überraschung!“, kam es im Chor.

An abnormal party

So, letztes Kapitel vor meinem Aufenthalt in Kroatien ^.^ Wie gesagt, Freitag gibt es kein Kapitel, Antworten gibt es Sonntag/Montag.

Und ich möchte mal kurz an die Charakterbeschreibung erinnern, in der aufgeführt ist, dass Kats vor ca. zwei Monaten Geburtstag hatte. Und es ist übrigens der Mittwoch der sechsten Woche, ganz nebenbei *lach* Und - wie gebeten - mag ich auch daran erinnern, dass man beim Lesen der FF weder trinken noch essen sollte. Und spezifisch für dieses Kapitel: Er kann die Stimmung rapide sinken lassen. Nicht so sehr, dass es eine Warnung verdient, aber ein bisschen. (zumindest meine Stimmung hat es beim Schreiben ziemlich zermäht)

Ansonsten viel Spaß beim Lesen ^.^
 

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Katsuya schloss den ungewollt geöffneten Mund wieder und schluckte, bevor er die Lippen zusammendrückte, um – was auch immer für ein Laut aus seinem Mund kommen wollte – zu unterdrücken.

Der Gang erstrahlte in einem dämmerhaften Rot, erzeugt von zwei Lichterketten, die sich rechts und links von ihm an der Decke den Flur entlang zogen. Genau darunter auf dem Boden fackelten ebenfalls fast direkt an den Wänden zwei Reihen an Teelichtern, die kurz vor der Treppe zusammenliefen, sich kreuzten und ein Herz formten.

Ein Herz aus Teelichtern.

Bei allen Göttern, war das kitschig… der Blonde schluchzte auf und versteckte sein Gesicht hinter seinen Händen, bevor er Mittel- und Ringfinger beider Hände wieder trennte, um zwischen ihnen hindurch Seto ansehen – und anlächeln – zu können, der im Türrahmen zum Wohnzimmer stand. Sein Kopf wandte sich nach links und rechts, während er heftig gegen die Tränen anblinzelte.

Oh Seto…

„Ich wusste, dass das grausam wird, aber so- au!“, ein Blick zur Seite ließ ihn Bakura erblicken, der sich die rechte Seite in Rippenhöhe rieb.

Yami räusperte sich nur und versteckte dabei ein Lächeln hinter seiner gehobenen Hand, während er scheinbar einen Blick in die Küche hinter sich warf.

„Und mir sage noch mal einer, ich sei brutal…“, knurrte der Silberhaarige leise.

Katsuya setzte einen Schritt in das Haus, ließ den Blick einmal kreisen, machte einen weiteren Schritt und nickte Yami links von sich zu. Die Küche war mit gelben Lichterketten behängt und der Tisch gedeckt worden. Ach, Seto… lächelnd wandte sich der Blonde zu eben jenen.

„Ich liebe dich…“, formten seine Lippen lautlos, während er zu ihm schritt, die Arme über seine Schultern gleiten ließ, den Hals reckte und sich glücklich seufzend in den angebotenen Kuss versinken wollte.

Doch man konnte nicht versinken. Setos Lippen legten sich leicht geöffnet auf seine, zogen sich zusammen und lösten sich mit einem kaum hörbaren Geräusch. Ein sanfter, zarter… ja, unschuldiger Kuss. Ebenfalls lächelnd strich der Ältere mit seiner Nasenspitze über Katsuyas linke Wange zu seinem Ohr und lehnte seinen Kopf vorsichtig an den des Kleineren.

„Gefällt es dir?“, flüsterte der Brünette leise, was den Jüngeren davon ablenkte zuzuhören, wie sich die anderen begrüßten. Über Setos Schulter konnte er das Wohnzimmer in Blau erstrahlen sehen.

„Ja…“, hauchte der Blonde und schloss die Augen, „Danke…“

„Bedank’ dich nicht zu früh. Du darfst jetzt Teelichter auspusten.“, der Größere gluckste leicht, „Es sind einhundertneunzig Stück. Für jeden Geburtstag, den du hattest, genau die Anzahl an Lichtern, die du alt geworden bist. Dann gibt es ein Essen zur Hauseinweihung, weil du hier eingezogen bist und schließlich feiern wir… nun ja…“, Seto zog den Kopf ein wenig zurück, um den Jüngeren mit seinen wunderschönen blauen Augen ansehen zu können, „Uns.“
 

Uns. Ja, jetzt waren sie ein Wir. Kein Du und Ich, ein Wir. Zusammen.

Der Blonde sah auf das flammende Herz aus Teelichtern hinab, während er sich gegen seinen Geliebten lehnte, der hinter ihm stand. Seto hatte also doch eine romantische Ader. Und anscheinend hatte er die Idee sogar schon gehabt, bevor Katsuya ansprach, dass er beizeiten sehr unromantisch war. Wow.

„Können wir diese Teelichter nicht brennen lassen?“, fragte der Blonde leise nach. Es wäre viel zu schade, dass Herz auch auszulöschen.

„Aber dann gilt dein Geburtstagswunsch doch gar nicht…“

„Statt es mir von einer ominösen Macht zu wünschen, kann ich ja einfach die Person ansprechen, die meinen Wunsch auch erfüllen kann.“, warf er ein und legte den Kopf in den Nacken.

„Okay…“, flüsterte nun auch der Ältere, bevor er ihn fest an sich drückte und schließlich los ließ, „Dann darf ich jetzt zum Essen bitten.“

„Na endlich…“, murmelte Bakura vor sich hin – was in der allgemeinen Stille aber dennoch gut hörbar war.

„Soll ich dir auf diese Seite auch einen setzen?“, fragte sein links neben ihm stehender Bruder freundlich nach, während er den Ellbogen ein wenig hob.

„Ach ja, die Liebe…“, Yami stieß sich von der Wand ab, „Wie äußerst schmerzhaft.“

Der Jüngste wandte den Blick von seinem Freund, sah zu dem Sprechenden und erkundigte sich: „Woher wissen sie, dass wir beide auch ein Paar sind?“

„Sagen wir, ich habe ein Auge dafür.“, als wäre es übersehbar, wenn Ryou die ganze Zeit an der Seite des Wolfes klebte… „Und mich kann man ruhig duzen.“

„Darf ich noch einmal zum Essen bitten?“, mischte sich der Älteste mit dunkler Stimme ein und dirigierte Katsuya mit einem Arm um dessen Schulter zur Küche.

„Komme.“, der Rothaarige folgte ihnen, hinter ihm das andere Paar. Schien wohl doch zu gehen.

„Wow.“, entfuhr es dem Braunäugigen, als er das Büffet entdeckte, „Woher kommt das ganze Essen?“, auf die Distanz sah es… hm… gute Frage… französisch aus? Er erkannte auf jeden Fall Crepes. Ob Yami gekocht hatte?

„Hat unsere Haushälterin gemacht.“, erklärte der Mann an seiner Seite bereitwillig.

„Wir haben eine Haushälterin?“

„Ja… natürlich. Glaubst du, ich würde das hier alles sauber halten? Einen Gärtner haben wir auch.“, erwiderte Seto leicht verwirrt.

„Ist nicht wahr!“, der Blonde wich von ihm, „Ehrlich?“, sein Blick glitt zum Essen, „Wow…“

„Und die Haushälterin ist Europäerin.“, warf Bakura ein, der sich hinter dem Blonden entlang zum Büffet geschlichen hatte.

„Woraus schließt du das? Nur, weil sie französisches Essen machen kann?“, wandte sich der Brünette an ihn.

„Und weil du sonst sicher kein Bad als Zufluchtsort hättest. Japaner sind Schweine, was Badezimmer angeht. Und sie würde das Haus auch sicher nicht betreten, du hast keine Schuhe zum Wechseln am Eingang.“

„Das ist stichhaltig.“, gab Seto zu und stellte sich ebenfalls an das Büffet, um den Salat durch zu heben.

„Er war Polizist, ja?“, flüsterte Yami Katsuya von der Seite zu, der darauf nur nickte.
 

„Ich gebe ehrlich zu, du kannst besser kochen, Katsuya, aber nicht schlecht.“, meinte Seto zum Abschluss des Essens, währenddessen Yami erzählt hatte, wie ihnen beiden bei ihrem letzten Telefonat die Idee gekommen war eine Party für den Blonden zu schmeißen.

Anscheinend war nicht allzu lange böses Blut zwischen ihnen gewesen. Yami schien eingesehen zu haben, dass er Katsuya als bester Freund wichtig war und Seto sah in ihm wohl keine Bedrohung. Allgemein, er benahm gar nicht mal so schrecklich einnehmend, wie der Jüngere erwartet hatte. Er machte schon deutlich, dass er zu ihm gehörte. Aber bei weitem nicht so übertrieben, wie Katsuya befürchtet hatte. Entweder er hielt sich für ihn zurück oder er vertraute auf Katsuyas Treue. Nun ja… wer wusste, was der alles aus seinem Hormonbild hatte lesen können. Vielleicht wusste er auch einfach, dass Kats ein sehr treues Wesen war. Das war ja schon fast… ja, eigentlich zu schön, um wahr zu sein. Und doch war es wahr.

Okay, Seto war psychisch krank, er war auch nicht direkt völlig stabil, Yami war immer noch in einer lebensgefährlichen Situation, aber bitte, hier und jetzt konnte man das alles mal vergessen. Hier und jetzt war gerade das Paradies. Hier und jetzt war es einfach wunderschön.

„Für wen ist eigentlich das sechste Gedeck?“, fragte Ryou in die Stille der allgemeinen Fressnarkose.

„Hm?“, Seto warf einen Blick dahin, „Oh, das war für einen Freund, den ich eingeladen hatte. Aber ich dachte mir schon, dass er nicht kommt.“

„Ein Freund?“, fragten Yami und Katsuya schon fast im Chor nach.

Hatten sie beide gerade dieselbe Idee gehabt? Seto hatte nur noch einen weiteren Freund – Yugi. Und bei seinem Bruder hätte er sicher diesen auch als Bruder statt als Freund bezeichnet. Hatte er wirklich-

„Sprichst du von Yugi?“, stellte der Andere seine Frage – in einem relativ kalten Ton.

„Ja.“, verdammt, seine Gesichtszüge waren angespannt. Ganz schlechtes Zeichen.

„Bist du eigentlich von allen guten Geistern verlassen?“, schrie Yami und sprang förmlich von seinem Stuhl, während seine Hände auf die Tischplatte knallten, „Du weißt, wie sehr ich ihn hasse! Wie kommst du auf die Idee gerade ihn und mich zur selben Zeit einzuladen?“

„Yami, beruhige dich, bitte…“, ging der Blonde dazwischen – ein Glück, dass der Rothaarige sich eben so schnell beruhigen konnte, wie er manchmal ausflippte. Aber allein, dass er es war, zeigte, dass er sehr angespannt war.

Ähnlich wie Seto in diesem Moment.

„Seto…“, Katsuya lehnte sich etwas zu ihm, „Was hast du dir dabei gedacht?“, zur Vorsicht strich er mit seiner Hand beruhigend über dessen Arm.

„Ich… ich wollte nur… ich dachte…“, der Älteste warf einen unsicheren Blick zu Yami herüber.

„Tut mir Leid…“, murmelte der Rothaarige nur und atmete einmal tief durch, „Bitte sprich.“

„Ich… ich dachte nicht, dass du ihn so sehr… entschuldige, ich habe nur an Yugi gedacht… er dreht einfach völlig ab… und da dachte ich, dass du vielleicht etwas tun kannst. Irgendetwas.“
 

Der Stricher verschränkte die Finger und legte seine Nase darauf, sodass sein Mund nicht mehr zu erkennen war. Seine durchdringenden Amethyste fixierten den Anderen unablässig, bis sich die Lider über sie schlossen. Was mochte er denken? Katsuya versuchte seine Mimik zu lesen, doch es schien vergeblich.

„Zuerst einmal… ich möchte nichts mit ihm zu tun haben, Seto. Ich bin nicht umsonst von Zuhause weggelaufen. Meinetwegen muss ich ihn nie wieder sehen. Zum zweiten – ich bin nicht die Heilsarmee. Für ein paar Menschen vielleicht, ja, aber die suche ich mir aus. Auch wenn ich der Einzige wäre, der Yugi helfen könnte, ich würde es nicht tun. Das würde zum einen meine Kapazitäten überschreiten und zum anderen sinnlos sein, weil uns eine gemeinsame Vergangenheit verbindet. Und was immer mit ihm los ist, ich denke nicht, dass ich der Auslöser bin. Entweder er wird mit sich selbst fertig oder er sucht sich woanders Hilfe. Und zum Dritten bin ich auch nur ein Mensch. Ich kann nicht alles. Die Chance, dass ich ihm auf rein fachlicher Ebene helfen kann, ist auch schon gering. Abgesehen davon… was ist mit ihm los?“

Das war schon eher der Yami, den er kannte. In den richtigen Momenten nicht emotional verblendet, stark in Meinung und Gesinnung und auch mit sich selbst objektiv. Sein Ausbruch hatte sie wohl wieder gelegt. Er blieb nur die Frage, wie Seto gerade jetzt auf so eine Idee kam.

„Tja… nun, er war schon immer ein bisschen kompliziert. So lange normal, bis es zu dir, Homosexualität oder seiner Psyche kommt. Oder man etwas von ihm fordert, wo sein kaputtes Selbstbewusstsein sich einschaltet und ihn wieder in Fetzen zerhackt. Seit Katsuya mitbekommen hat, was Yugi für ihn fühlt, kann der es vor sich selbst auch nicht mehr verleugnen. Er kann nicht damit leben schwul zu sein. Derzeit hat er einen Selbsthass drauf, der sogar mich bis auf das Tiefste erzittern lässt.“, schlimmer als Seto? Holla, allein dass es das gab… „Er zeigt keinerlei Labilität nach außen, weil er ja sein Bild als normaler Mensch aufrechterhalten will, also ritzt er sich nicht oder so etwas. Mir begegnet er derzeit nur noch mit Verachtung, weil er mich dafür hasst, dass Katsuya bei mir wohnt. Er verleugnet sich selbst, wenn man so sagen will… um es genau zu nehmen, er benimmt sich wie eh und je, als sei nie irgendetwas nicht in Ordnung. Ich habe Angst, dass er plötzlich völlig austickt.“

„Du meinst, dass er Suizid begeht oder Amok läuft?“, konkretisierte Yami.

„Ja.“, der Brünette schluckte, senkte seinen Blick auf das Geschirr und griff nach der Hand, die Katsuya auf seine zitternden gelegt hatte.

„Hm… verloren hast du ihn wahrscheinlich auf jeden Fall. Entweder macht er so weiter und meidet das, was ihm Probleme macht oder es gibt Leichen. Yugi unterdrückt alles so lange, bis er ausbricht, wie du gesagt hast, das heißt, er ermordet sich oder dich oder Katsuya – oder er wechselt zum Beispiel den Arbeitsplatz. Persönlich hoffe ich auf Zweiteres. Die Chance, dass er ein Einsehen hat, dass etwas nicht in Ordnung ist, ist gering.“, beurteilte der Sechsundzwanzigjährige die Situation, „Mehr kann ich nicht sagen.“

„Rosige Aussichten…“, warf Bakura leise ein und legte einen Arm um seinen Bruder.
 

„Was haltet ihr davon hier aufzuräumen und uns ins Wohnzimmer zu setzen?“, schlug Yami schließlich vor, als von Seto kein weiteres Wort kam.

„Und das Problem Yugi zu verdrängen?“, trotz seiner Worte kam Katsuya dem Vorschlag nach und begann die Teller zusammenzuräumen.

„Da wir keinerlei Handlungsspielraum haben, ja. Solange Yugi kein auffälliges Verhalten zeigt, gibt es keinerlei Grund ihn per Gerichtsurteil einweisen zu lassen. Nur wegen einer wagen Vermutung, dass etwas Schlimmes passieren könnte, kann man niemanden wegsperren.“, der Ältere ging ihm zur Hand, während die anderen Drei still am Tisch saßen und sich in ihren Gedanken verloren, „Wenn sich etwas zum Guten wandelt, dann wird es Yugi sein, der auf einen von euch zukommt.“

„Und wenn es sich zum Schlechten wandelt, wird er es ebenfalls sein, nur trägt er dann eine Mordwaffe bei sich.“, warf Bakura ein.

„Wunderbar…“, als hätten sie nicht genug Probleme. Jetzt auch noch ein möglicher Psychopath, der sie im Visier hatte. Dagegen war Seto ja echt eine Leichtigkeit. Warum geriet er nur an Menschen, die kein Stück normal waren? Oder die Normalität als Maske über ihrer Krankhaftigkeit trugen?

„Nun denn, verdrängen wir halt.“, auch der Silberhaarige erhob sich und ging den beiden zur Hand, bevor auch Ryou den Kopf schüttelte und half.

„Seto?“, der Blonde beugte sich zu ihm.

„Entschuldige, dass ich nicht helfe… ich wusste, dass es wahrscheinlich aussichtslos ist, aber… es ist hart es zu hören.“, murmelte der Blauäugige leise.

„Schon gut. Ruh’ dich ruhig aus. Oder mach’ Getränke für alle fertig, wenn du magst. Ganz, wie du möchtest.“, schlug der Jüngere vor und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

„Danke.“

Welch ein Chaos. Allein Yugis Name hatte die Stimmung ziemlich heruntergefahren. Es war auch eine reichlich verquere Idee Setos gewesen, das war wahr, aber er selbst wüsste auch nicht, was er wohl tun würde, wenn ein Freund von ihm… so wäre. Es war noch nicht einmal wirklich zu fassen, wie Seto sein Freund sein konnte. Allerdings war Yugi wohl auch ein sehr unverstandener Mensch. Was daran liegen könnte, dass er sich selbst belog. Egal, was er als auch sein Bruder erlebt hatten – es hatte an beiden Spuren hinterlassen. Yami war aus Hass auf sich selbst und Verzweiflung in die Prostitution gegangen und ermittelte nun gegen menschenverachtende Organisationen wie Kinderpornographieringe und Sekten mit schädigenden Ritualen. Yugi war bei der Familie geblieben und Lehrer geworden – der sich selbst verachtete, verleugnete und mied, was sein mühsam auf Lügen aufgebautes Selbstbild schädigen konnte.

Es warf die altbekannte Frage auf. Was konnte Menschen zu solchen Wesen machen? Selbst Katsuya oder Seto, die wahrlich echte Scheiße erlebt hatten, waren noch umgängliche Wesen dagegen. Ebenso Ryou, der zwar einige Probleme mit dem Überleben hatte, aber sich sicher durchschlagen konnte. Bakura war da schon wieder ein anderer Fall, aber solange er durch seinen Bruder kontrolliert war, konnte man eigentlich mit ihm auskommen. Sie waren alle durch ihre Vergangenheit geprägt, die noch keiner vollständig hinter sich lassen konnte. Und doch waren sie in der Lage zu überleben. Yami lebte zwar gefährlich und sicher mit dem Wunsch, dass ihn seine Arbeit eines Tages umbrachte, aber auch er lebte. Doch bei Yugi schien es nur eine Frage der Zeit, dass seine Psyche nicht mehr mitmachte.

War es nur die Vergangenheit, die das aus ihnen gemacht hatte? Oder hing das noch mit etwas anderem zusammen? Gab es eine Anfälligkeit für bestimmte psychische Muster? Yami und Yugi waren Zwillinge und doch sehr verschieden, was ihre Psyche anging.

Katsuya seufzte. Er sollte Bakuras und Yamis Rat folgen und die Sache ruhen lassen. Vorerst.

Abkommen und Abmachungen

Ich danke feuerregen, Hao und silver_phantom mich daran erinnert zu haben, dass ich noch ein Kapitel hochladen muss XD Das Fenster dafür war seit 17.00 Uhr offen, ich bin nur nicht dazu gekommen. Und derzeit werde ich zur Arbeit gerufen, bin also eher unpässlich - Antworten auf die Kommentare gibt es bald.

Aber nur noch vier Kapitel... Angst O.O Es ist Mittwoch Abend, sechste Woche. Warnungen bezüglich Essen und Trinken bleiben erhalten ^.- Viel Spaß beim Lesen!
 

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„Was machen sie eigentlich bei der Polizei, Herr Bakura?“, wandte sich Yami an den Silberhaarigen, der mit seinem Bruder auf dem Schoß links von ihm auf einem Kissen saß.

„Kannst mich ruhig auch duzen.“, bot der schon fast höflich an, „Ich bin professioneller Hacker und Sicherheitsanlagentester.“, auch Einbrecher genannt…

Katsuya stellte die Getränke ab und reichte Seto einen heißen Kaffee, den dieser mit einem kurzen Lächeln zu ihm anpustete und probierte. Noch war er ja ungewöhnlich ruhig. Sah aus, als würde er seine dissoziativen Zustände erfolgreich unterdrücken. Und Yami schien alles daran zu setzen das Thema wieder zu begraben – mit Bakuras Hilfe.

„Darf man fragen, an was du arbeitest? Oder ist das Polizeigeheimnis?“

„Kann man ruhig wissen. Derzeit versuche ich mich in die Datenbänke von Banken zu hacken. Damit teste ich zum einen deren Sicherheitssysteme, zum anderen kann ich auffällige Konten durchsuchen und so der Behörde für Steuerhinterziehung und ähnliche Betrüge Informationen liefern.“, und Bakura schien mitzuspielen. Selten solch ein Zuvorkommen von seiner Seite erlebt… oder dachte er, Yami würde ihm Geld bringen?

„Ist das nicht illegal?“, erkundigte sich der Ältere.

„Relativ. Zum einen ja, zum anderen nein. Das, was ich herausfinde, darf nicht vor Gericht verwendet werden und ich brauche eine gute Ausrede, um die Datenbänke zu durchstöbern. Zum Beispiel, dass ich das Sicherheitssystem teste.“, der Silberhaarige zwinkerte.

Halt mal. Flirtete der gerade mit seinem eigenen Geliebten auf dem Schoß mit Yami?

„Gefällt dir der Job?“, der Rothaarige setzte sich so hin, dass er sich seitlich zu dem Silberhaarigen lehnte und seine langen Beine fast ausgestreckt neben ihm lagen. Was sollte das werden, Yami? Er war doch nicht etwa von dem Wolf fasziniert, oder?

„Ich verdiene genug zum Überleben und habe eine Basis für weitere Berufe. Und ich muss nicht Tag und Nacht arbeiten. Es ist ein Anfang.“, der Silberhaarige zuckte mit den Schultern.

„Und was möchtest du gern machen?“

„Geheimdienst oder Undercover-Agent. Verdeckte Ermittlung. Vielleicht die Mordkommission oder die Drogenfahndung.“, ein Mann und eine Menge Nervenkitzel. Bakura schien irgendwie auch nach dem Tod zu suchen. Allerdings auf eine ähnlich subtile Weise wie Yami. Irgendwie passten die beiden ja schon ein bisschen zusammen.

„Und wie stehst du zu Kinderpornographieringen? Oder Sekten mit Blutritualen?“

Halt. Hatte Yami nicht gesagt, dass er nicht mit Bakura zusammen arbeiten wollte, weil der ihm zu krank war? Ließ er sich von der freundlichen Maske täuschen?

Der Blick des Blonden schnellte zu jenem. Über den blauen Augen hatten sich die Lider um gut einen Millimeter verengt, die Lippen pressten ein wenig mehr aufeinander.

„Ich hoffte…“, begann der Silberhaarige mit leiser, aber tiefer Stimme, „…mit denen nie wieder zu tun haben zu müssen. Aber würde man mich bitten, würde ich auch das machen.“

Ryou drehte sich in seinem Schoß halb zu ihm, legte eine Hand auf seine Brust und sah mit zusammen gezogenen Augenbrauen zu ihm auf. Nie wieder? Hieß das, dass er schon mal mit ihnen zu tun gehabt hatte? Dass er… Katsuya schluckte. Dass er physisch und sexuell missbraucht worden war, war ihm klar gewesen, aber ihr Vater hatte sie doch nicht auch verkauft, oder? So wie Yami erzählt hatte… Babystrich, Kinderpornos, Sadomaso, Snuff und ähnliches… nein, Ryou hätte davon erzählt. Er hätte es erzählt, hätte man es mit ihm getan. Mit ihm.

Nicht mit seinem Bruder.
 

„Sollte ich nachfragen… ?“, formulierte Yami seine Frage wage und vorsichtig. Ihm schienen dieselben Gedanken gekommen zu sein.

„Wenn du magst.“, warf der Silberhaarige ihm entgegen – ohne Knurren, ohne Kälte in der Stimme. Als würden sie immer noch über Alltäglichkeiten reden.

„Was für Erfahrungen hast du mit ihnen?“, sein bester Freund war wirklich sehr bedacht. Das war eine äußerst offene Frage, die Bakura sehr viel Freiraum ließ, was er antwortete. Er wusste wahrscheinlich noch besser als Katsuya, in welchem Tiefen er rührte.

„Bevor ich bei der Polizei anfing, habe ich einige Jobs gemacht. Solche, die kaum Geld bringen, wo man völlig ausgenutzt wird. Ich konnte damit genug verdienen, um meinen Alkoholkonsum zu finanzieren.“, seine bleiche Hand legte sich auf die seines kleinen Bruders und schloss sich sanft um sie. Wer beschützte und stützte da eigentlich wen? „Aber als ich drogenabhängig wurde, hat es nicht mehr gereicht. Ich habe mich von der Yakuza anheuern lassen, um das bezahlen zu können.“, okay, er war anscheinend nicht verkauft worden – ein Glück, „Sie haben mich als Kurier benutzt. Hauptsächlich Drogen, Waffen, Briefe und manchmal Geld. Irgendwann Videokassetten und Filmbänder. Es waren drei Typen, für die ich so was transportieren sollte. Ich hatte nicht wirklich Ahnung, was das sollte, Yakuza und Filme… bis mich einer fragte, ob ich nicht was dazuverdienen will.“

Katsuya zog scharf die Luft ein. Oh scheiße. Hoffentlich hatte er nicht zugestimmt. Bloß nicht. Nicht…

Bakuras Blick senkte sich zu Ryou, der ihn noch immer mit sorgenvollen Augen betrachtete. Mit einem Lächeln auf den Lippen ließ der Wolf dessen Hand los und fuhr mit seiner nun freien durch das weiße Haar des Fünfzehnjährigen. War dieses Haar wirklich natürlich? Oder war es Ausdruck der Schrecken, die die beiden erlebt hatten? Großer Stress und psychischer Schmerz konnten Haare auch weiß werden lassen, oder?

„Misstrauisch wie ich damals schon war, fragte ich erst mal, was er sich da so vorstelle. Er führte mich in eines der Studios, bedeutete mir still zu sein und zeigte mir, was sie so aufnahmen. Vor meinen Augen wurde ein ungefähr elfjähriges Mädchen von einem Muskelklotz erst gestreichelt und schließlich vergewaltigt. Ich würde sagen, sie stand ziemlich unter Drogen, sie hat kaum geschrieen.“, der Ton des Silberhaarigen war immer noch so, als würde er von einem Einkauf im Supermarkt erzählen, „Mich hat das ziemlich erschreckt, aber ich war ja trainiert nix zu zeigen. Zurück im Büro sagte der Typ, dass das Mädchen das auch freiwillig machen würde, sie würde dafür gutes Geld kriegen. Er meinte, er könnte auch mal einen noch kindlichen jungen Mann in der dominanten Rolle vertragen. Ich glaube, ich war da sechzehn…“, er zuckte mit den Schultern, „Hab’ höflich abgelehnt, mich bei meinem Boss gemeldet und mit besten Manipulationskräften um meine Entlassung gebeten. Schien’ echt gut geklungen zu haben, denn er hat mich wirklich laufen lassen.“

Und das nannte man definitiv ein Wunder. Oder pures Glück.
 

Yami atmete tief durch, schloss die Lider und hob sie einige Augenblicke später wieder. Sein Gesicht zeugte von einer Art Müdigkeit, wenn man es nur kurz betrachtete. Dissoziative Unterdrückung von Wut, wenn länger.

„Du hast echt Glück gehabt mit dem Boss.“, flüsterte Katsuya, „Egal, wie gut deine Geschichte klang.“

Der Silberhaarige nickte nachdenklich, doch behielt seinen Blick auf Yami, der ihn kurz darauf erwiderte. Da schien irgendeine wortlose Kommunikation zwischen den beiden zu laufen. Hoffentlich brach Bakura seinem Bruder nicht das Herz.

„Und nun möchtest du nichts mehr mit ihnen zu tun haben?“, fragte der Rothaarige schließlich noch einmal nach.

„Ich möchte durch die Ermittlungen nicht gezwungen sein Täter oder Opfer in diesen Filmen zu werden. Ansonsten kann ich auch das.“, der Ältere der Brüder strich dem anderen über die Wange, fuhr sich mit der Hand durchs Haar und strich schließlich unter seinem Kinn entlang, um seinen Kopf für einen Kuss zu heben.

Yami wandte schweigend seinen Kopf ab, bevor sein Blick auf Katsuya fiel, den er ausdruckslos ansah.

„Ich habe keinen Bock, dass irgendein Scheißkerl über mich erzählt, ich würde etwas Dergleichen wollen. Es gibt genug Menschen, deren Wirklichkeit aufs Extremste verzerrt ist.“, Bakura stieß die Luft aus seinen Lungen, „Echt, dieses Gelaber von wegen die Opfer wollen das doch und es tut ihnen gut oder was Täter sonst noch für einen Scheiß erzählen, macht mich echt krank.“

„Die Opfer geben die Nahrung.“, murmelte der Rothaarige vor sich hin, „Ihr Kopf muss ihnen sagen, dass sie es wollen oder es verdienen, sonst überleben sie nicht. Kein Wunder, dass Täter es glauben.“, er schluckte, „Und wie oft sind Täter selber Opfer?“

„Nicht die in der Kinderpornographieindustrie, meiner Meinung nach. Das sind geldgierige Schweine.“, erwiderte der Wolf mit einem Knurren, „Zumindest will ich das glauben, wenn ich gnadenlos gegen sie ermitteln soll.“

„Würdest du es tun?“, fragte der Stricher nach und wandte sich wieder zu ihm.

„Für wie viel?“, fragte dieser nur.

Der Ältere griff in eine seiner Hintertaschen, zog eine Visitenkarte hervor, reichte sie dem Polizisten und antwortete: „Das klären wir dann.“
 

„Für eine Feier haben wir sehr interessante Themen…“, warf der Brünette ein, bevor er Katsuya ein einen weiteren Kaffee bat, der ihm aus der Kanne neben sich einschenkte.

„Besonders für eine Feier dafür, dass wir ein Paar sind. Obwohl die Themen unter diesem Aspekt schon fast wieder angebracht sind.“, Katsuya sandte Seto mit einem Augenaufschlag ein Lächeln, das dieser erwiderte, bevor er genießerisch die Augen schloss und den aufsteigenden Dampf seines Bechers einatmete.

„Gibst du mir auch einen, Köter?“, erkundigte sich der Silberhaarige mit einem Nicken Richtung Kaffeekanne.

„Mit ein bisschen Höflichkeit erreicht man viel.“, antwortete dieser nur und stellte besagte Kanne neben sich ab.

„Das war höflich.“, knurrte der Wolf – Ryou schloss nur die Augen und schien keinerlei Lust zu haben sich einzumischen, während Katsuyas Antwort in einer erhobenen Augenbraue bestand, „Idiot… dürfte ich – bitte – auch einen Kaffee haben?“

„Aber sicher!“, der Blonde sprang auf und wandte sich Richtung Küche, „Sonst noch jemand etwas?“

„Chips?“, fragte der Stricher an.

„Schadet das nicht der Figur?“, hörte Katsuya Bakura noch sticheln, während er einen Becher und Chips holen ging. Oder er gesagt, Chips suchen ging. Hatten sie so etwas? Er hatte noch nie irgendwo Chipstüten entdeckt.

„Seto?“, er lehnte sich gegen den Türrahmen des Wohnzimmers, „Haben wir Chips?“

„Im Keller.“, der Brünette warf einen Blick über die Schulter. Im Keller? Keller war ein sehr weiter Begriff. Ihr Keller hatte vier Räume. Okay, im Heizungsraum wären die Chips sicher nicht, aber das ließ noch eine Menge Platz übrig. Aber er hatte doch letztens die Einkäufe dort hingeräumt… wo waren Chips gewesen?

„Gehst du sie vielleicht holen?“, fragte der Jüngere an, während er Bakura seinen Kaffee eingoss und per Zeichensprache erfuhr, dass auch er ihn schwarz trank.

„Muss ich?“, fragte der Größte ein wenig gequält nach.

„Faules Ding.“, neckte Katsuya, bevor er ihm einen Kuss auf die Wange setzte.

„Nicht faul, nur ängstlich. Du kennst Setos Beziehung zu Kellern doch.“, der Blonde erstarrte durch den Seitenkommentar Yamis. Shit. Klar, wenn man andauernd in Kellern eingesperrt worden war, war man nicht unbedingt scharf darauf in einen zu spazieren…

„Tut mir-“

„Bin sofort wieder da.“, unterbrach Seto ihn nur, erhob sich und begab sich Richtung Keller.
 

„Du nimmst viel zu viel Rücksicht auf ihn.“, meinte Bakura nach einem Schluck von seinem Becher und fixierte Katsuya dabei.

„So viel zuviel wie du zu wenig auf deinen Bruder.“, konterte dieser nur knurrend.

„Wozu sollte er sich ändern, wenn du ihm auch noch nachsiehst, zu was sein Kopf ihn bringt? Bemutterst du ihn immer noch, wenn er dich lebensgefährlich verletzt?“, der Blonde schluckte. Ja, genau das hatte er getan. Nicht ganz so radikal, wie der Wolf sagte, aber doch schon… ein wenig…

„Ich will ihn aber auch nicht überfordern… außerdem empfindet er genug Schuld, wenn er Blödsinn macht. Er straft sich selbst genug. Er weiß meistens, was angebracht ist… oder, Yami?“, die braunen Augen unter in Falten gelegter Stirn richteten sich auf den Älteren.

„Seto hatte eine ziemlich gute Therapie und normalerweise weiß er das, da hast du Recht. Aber derzeit ist er ziemlich labil, da stimme ich Bakura zu. Du brauchst nicht übervorsichtig zu sein, du nimmst sicherlich genug Rücksicht auf Seto. Und das weiß er auch. Für seine Stabilisierung braucht er deine Unterstützung, aber du musst nicht übertreiben.“, urteilte dieser ruhig und ohne jeden Vorwurf in der Stimme.

„Okay…“, der Blonde griff nach seinem Wasser und nahm einen Schluck. Weniger auf Seto Rücksicht nehmen… das hieße, sich einfach wieder etwas mehr wie sein altes Ich zu verhalten. Konnte nicht allzu schwer sein.

„Betretenes Schweigen?“, Yami schnappte mit einer Hand die auf ihn zufliegende Chipstüte, „Habe ich was verpasst?“

„Nur Kritik an deinem Schatz.“, sich über die Lippen leckend öffnete er die Plastikfolie und probierte, bevor er weiter sprach, „Dass man dich nicht verhätscheln muss.“

„Ach so.“, der Brünette schloss von hinten seine Arme um Katsuya, „Dabei werd’ ich das so gern…“, zwei, nein, drei Küsse wurden auf das Tattoo an seinem Hals gesetzt, „Aber recht hat er.“

Seto war also auch der Meinung. Er sollte rabiater mit ihm umgehen. Nicht so liebe- und verständnisvoll. Na wunderbar… echt, das war mal eine komische Forderung. Schon fast masochistisch. Aber gut, wenn er wollte.

„Soll ich dich dann auch dahin schleifen, wo du nicht hin willst? Wie du mich zum Arzt?“, fragte der Blonde neckend nach.

„Solange das nicht völlig rücksichtslos ist…“, wie konnte der hier vor ihren Freunden an seinem Ohr knabbern? Rargh, Seto! Katsuya presste die Kiefer zusammen. Idiot. Sie standen beide zu sehr auf Sex…

„So wie Seto gerade…“, setzte Yami nach, bevor er nach dessen Ohrläppchen griff und ihn von dem Jüngeren wegzog.

„Sorry…“, murmelte dieser nur und sah den Rothaarigen mit einem Ausdruck an, der doch stark Katsuyas Hundeblick glich.

„Echt…“, der Stricher seufzte, „Alle gleich…“

Sein Kopfschütteln wurde durch ein Schellen unterbrochen.

Therapy

Nur noch zwei Kapitel hiernach und ein Nachwort. Endspurt, würde ich sagen ^.- Soll ich nächsten Freitag wirklich das letzte Kapitel hochladen? Fragen über Fragen...

Auf jeden Fall überarbeite ich "Tote Gesellschaft" (BUCH!) gerade, bin bei Seite 103 von 568 - und möchte bis morgen Abend fertig werden. Ich werde demnach die komplette Nacht durcharbeiten. Kommentare werden also später beantwortet ^.- Gelesen habe ich aber schon alle und mich sehr gefreut! Ich erhellt meine Tage ^v^ Ich denke, ich kann ohne DS auch nicht leben T.T Danke, dass ihr so treue Leser seid!

Zum Kapitel: Dies ist für mich eines der wichtigsten Kapitel von DS. Und es ist schlichtweg DAS Analysekapitel. Demnach bin ich sehr gespannt auf die Kommentare. Viel Spaß beim Lesen ^.-

Noch etwas Organisatorisches: Vielleicht haben es einige schon mitbekommen, es gibt beim Japantag ein DS-Cosplay. Ich laufe da als Bakura rum und sammle alle ein, die mitmachen möchten ^.- Wenn ihr also da seid, ich würde mich freuen euch zu sehen. Weiterhin würde ich mich auch freuen zu wissen, dass ihr kommt. Ich bitte demnach alle, die beim Japantag erscheinen entweder in den Zirkel zu schreiben oder mir eine ENS zu senden. Danke!
 

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„Die Haustürklingel?“, fragte Katsuya zur Sicherheit noch einmal nach, doch niemand reagierte mit einer Antwort.

Yami schien erstarrt. Sein Gesicht war ausdruckslos, die Augen bewegungslos auf die Wohnzimmertür gerichtet. Seto konnte sein Ohr problemlos aus dem Griff lösen, um sich zur Seite zu drehen und ebenso die Tür anzustarren, als würde die Person sich einfach Zugang zum Haus verschaffen können. Die Augenbrauen zogen sich zusammen, während er zittrig ausatmete.

„Soll ich öffnen?“, bot Bakura an, den das Theater anscheinend nervte, denn er befand sich schon halb im Aufstehen, Ryou dabei behutsam neben sich setzend.

„Nein.“, Katsuya schluckte. Das musste Yugi sein. Yugi und Yami… „Ich… ich werde öffnen.“

Oder sollte er die Tür einfach geschlossen lassen? Ihn gar nicht erst reinlassen? Der Blonde schluckte abermals. Verdammt. An sich gab es nichts zu fürchten. Aber wenn Yami zusammenbrechen würde oder Yugi… was immer der tun würde…

Die braunen Augen richteten sich auf den Rothaarigen.

„Ich werde jetzt die Tür öffnen.“, bekräftigte er noch einmal.

Yami sah stumm zurück, folgte ihm nur mit den Augen, wie er aufstand, auf den Flur trat und das Angekündigte tat. Natürlich hatte er richtig vermutet. Yugi. Es war jedem klar gewesen. Und doch war der Blonde aufs Äußerste geschockt. Yugi. Vor seiner Tür. In seinem Vorflur. In seinem Haus.

„Herr Muto.“, Katsuya neigte den Kopf zu einer angedeuteten Verbeugung und trat zur Seite, „Wir hatten nicht erwartet, dass sie noch kommen.“

„Bin ich…“, der Kleinere schloss den Mund und zog den Kopf ein, „Komme ich ungelegen?“, es war nur noch ein Flüstern. Eins stand fest. Der Mann war keine Bedrohung.

„Überhaupt nicht.“, der Jüngere lächelte, „Ich bin nur überrascht. Ähnlich wie die anderen Gäste, vermute ich.“

„Die anderen?“, echote der Lehrer und stoppte in seiner Bewegung die Schuhe auszuziehen.

„Die Bakuras und ihr Bruder.“, Katsuya versuchte einen neutralen Gesichtsausdruck zu bewahren. Ruhig. Bloß ruhig. Schonend beide Seiten vorbereiten. Yami hatte ihn nicht gehindert am Öffnen und Yugi konnte jetzt noch umdrehen. Beide hatten genug Chancen gehabt.

„Mein… Bruder…“, Yugi dehnte das Wort. Was mochte ihn bloß durch den Kopf gehen? „Er ist… hier?“

„Im Wohnzimmer.“, bestätigte der Jüngere.

Ohne die Schuhe auch nur auszuziehen ging der Andere an ihm vorbei ins Wohnzimmer.
 

Scheiße. Das konnte echt mächtig Ärger geben. Hoffentlich wusste Yami mit der Situation umzugehen. Irgendwie… aber wenn der ausflippen würde? Was sollten sie tun? Beide auseinanderzerren? Verdammt…

Der Blonde schmiss die Tür zu und hechtete Yugi nach.

„Atemu…“, der Zwilling seines besten Freundes stand ungefähr zwei Meter im Raum, als wäre er beim Gehen gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Eine Wand wie Yamis Aura, der mit dem Rücken zu seinem Bruder am Fenster stand.

Weder antwortete er, noch drehte er sich um.

„Großer Bruder…“, der Schwarzhaarige schluckte, „Es ist… schön dich zu sehen.“

„Ich denke, es ist besser, wenn ich gehe.“, die Amethyste des älteren von beiden richteten sich auf Seto, der sich aus der Schusslinie gebracht hatte. Das konnte doch nicht sein Ernst sein! Er floh? Vor Yugi?

„Nein, bitte…“, danke für die Kooperationsbereitschaft, Yugi, „Bitte… kann ich kurz mit dir reden?“

„Wenn du reden willst, tu es hier.“, meinte der Andere nur kalt und verschränkte die Arme vor der Brust. Oh je… Yami musste extreme Verletzungen erwarten. Yugi sollte bloß vorsichtig sein.

„Ich… ähm…“, der Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit schluckte und setzte erneut an, „Bist du noch sauer auf mich?“

Der Ältere lehnte sich gegen die Wand, verschränkte auch die Beine und wirkte so lockerer – auf den ersten Blick. Aber die Selbstsicherheit war gespielt, das dürfte jeder in diesem Raum merken. Yami war mehr als unwohl.

„Wenn du noch immer das Schoßhündchen unserer Eltern bist, ja.“

„Das Schoßhündchen? Wie meinst du das?“, fragte Yugi nach. Seine Augenbrauen hatten sich zusammen gezogen und seine Stirn lag in tiefen Falten.

„Dass du ihnen immer noch hörig bist.“, der Rothaarige seufzte und wurde leiser, „Genau danach hörst du dich an.“

„Was…“, der Lehrer schüttelte den Kopf, „Was habe ich denn falsch gemacht?“

„Nichts.“, Lider schlossen sich über den Amethysten, „Außer das Weltbild zu übernehmen, was unsere Eltern dir gegeben haben. Nichts zu hinterfragen, sondern einfach an das zu glauben, was einfach erscheint.“, sie schossen in die Höhe und durchbohrten den Kleineren, „Und mich damit zu hassen.“
 

„A… aber… ich hasse dich doch nicht!“, beteuerte Yugi, „Ich… ich weiß, du hast viel Dummes angestellt, aber-“

„Ach, habe ich das?“, unterbrach ihn der Ältere.

„Jeder macht Fehler, das ist menschlich.“, der Andere presste die Oberarme an den Körper und senkte den Kopf, „Und du hast nichts getan, was man nicht wieder gut machen könnte-“

„Und was soll ich deiner Meinung nach wieder gut machen?“, Katsuya sah zwischen den beiden hin und her. Holla… das hörte sich mal ganz anders an. Yami, die verletzte Raubkatze und Yugi, der Tierpfleger. Genau so hatte er sie kennen gelernt. Yugi war immer verständnisvoll und aufbauend gewesen, deswegen hatte er ihn gemocht. Und Yami war stets faszinierend gewesen. So wie jetzt. Aber zwischendurch war Yami die starke, aufbauende Persönlichkeit und Yugi das verletzte Es gewesen. Und hatte nicht Seto gesagt, dass Yugi sich mehr hasste als er sich selbst? Es passte so gar nicht in dieses Bild…

„Das… das, was dich davon abgebracht hat ein glückliches Leben zu führen.“

„Und wenn ich glücklich wäre?“, was er nicht war, fügte der Blonde im Stillen hinzu.

„Das… das kann ich mir nicht vorstellen.“, flüsterte der Jüngere.

„Ach, kannst du nicht? Passt es nicht in deine Welt, dass man sein Leben als Stricher mögen kann? Dass man dieses Leben lieber führt als deines?“, nun, dass er lieber Stricher als Lehrer war, das war möglich… aber war dem so?

„Nein, das passt nicht in meine Welt. Und ich glaube dir nicht, dass du lieber Stricher bist als ein ehrbares Leben zu führen.“, wow, das erste Mal war Selbstsicherheit in Yugis Stimme. Kannte er seinen Bruder doch gut?

„Ein ehrbares Leben? Bin ich so unehrbar in deinen Augen? So widerwärtig als das, was ich bin?“, spie Yami seinem Bruder entgegen. Der war aber auch darauf aus den anderen fertig zu machen…

„Natürlich nicht… aber du weißt doch selbst, wie schmutzig dein Beruf ist…“, Yugis Gesicht spiegelte Verzweiflung. Katsuya konnte es ihm nachsehen. Sein bester Freund war gerade ziemlich schwierig.

„Ach, weiß ich das? Und was, wenn ich anders denke?“, sah es nur so aus oder stieß er seine lackierten Nägel gerade etwas zu fest in seine Oberarme?

„Dann kann man das therapieren. Atemu, du musst dieses Leben nicht führen. Bitte, suche Hilfe und… lebe als das, was du wert bist.“

„Tue ich schon.“, warf Yami ihm mit einer solchen Verachtung in der Stimme entgegen, das Katsuya zitternd nach Setos Hand suchte, um einen Halt zu haben. Bitte nicht…

„Atemu…“, Yugi schloss die Arme um seinen Oberkörper.

„Atemu, Atemu…“, äffte der Andere nach, „Lass mich kurz nachdenken, der Satz von eben kommt mir so bekannt vor. Ach ja…“, seine Stimme triefte vor Hass und Ablehnung, „Ich glaube, der Satz, man könnte es therapieren und dann würde alles wieder gut werden, war der letzte, bevor ich dich damals zusammengeschlagen habe und das Haus für immer verließ.“

Was?
 

Yugi senkte betroffen den Blick zu Boden.

Bevor Yami… Yami? Hatte Yugi damals also die Wahrheit gesagt, dass Yami... Yami, der Gewalt ablehnte wie der Teufel das Weihwasser? Er hatte Yugi zusammengeschlagen? Weil dieser ihm sagte, dass man etwas therapieren könne? Aber…

„Und wenn ich mich weiterhin recht entsinne, dann ging es darum, dass ich schwul war. Oh nein!“, er sprach die beiden Worte voller gespieltem Entsetzen aus, „Atemu, das schwarze Schaf, der Schandfleck der ganzen Familie auch noch schwul? Wie abscheulich. Und schon kam der rettende, wunderbare kleine Bruder und erbarmte sich seiner, weil er ja ein so guter Mensch war. Ich bräuchte doch keine Angst zu haben, unsere Eltern würden das schon einsehen, dass es nur eine Krankheit ist, dass man es therapieren kann, dass doch bald alles wieder gut sein wird und wir alle wieder die glückliche Familie sind, die wir ja schon immer waren.“, besonders zum Ende hin war seine Stimme immer höhnischer geworden, „Klingelt es wieder bei dir, kleines Schoßhündchen? Du bist ja so ein braver Sohn, so ein gutes Kind. Und dann bist du auch noch so gnädig zu deinem verkommenen Bruder.“

Wow. Was war denn jetzt los? Yami? Verwirrt schwenkte Katsuya den Kopf zwischen beiden hin und her.

„Ich wollte immer nur dein Bestes!“, wehrte sich der Schwarzhaarige, formte eine Hand zur Faust und lehnte sich nach vorne, „Du hast unseren Eltern nun mal eine Menge Kummer bereitet, ja, aber du kannst mich doch nicht dafür hassen, dass ich dich liebe! Du bist mein Bruder, verdammt!“

„Ha.“, der Ältere stieß sich von der Wand ab und warf den Kopf in den Nacken, wobei ein trockenes Lachen erklang, „Flüchte dich weiter in deine kleine, heile Welt. Es ist so…“, seine Augen richteten sich wieder auf Yugi, doch diesmal waren sie tränengefüllt, „Du bist auch mein Bruder und ich habe dich furchtbar lieb. Aber so lange du weiter glaubst, was unsere Eltern dir Tag und Nacht erzählt haben, wirst du mich immer und immer wieder verletzen. Solange du nicht erkennst, dass sie mich misshandelt haben, bin ich gezwungen auch dich zu hassen, wenn ich überleben will.“

Die Puzzlestücke fügten sich zusammen… Yami war misshandelt worden. Yugi nicht. Yami litt darunter, weil er wusste, dass man ihm etwas angetan hatte, was man keinem Kind antun sollte. Yugi hielt es für gerecht, was sie mit ihm gemacht hatten. Was auch immer sie gemacht hatten…

„Unsere Eltern waren immer gut zu dir!“, rief der Jüngere, mittlerweile etwas wütend. Anscheinend war es okay ihn zu hassen – nur nicht seine Eltern. Er verstand, was Seto meinte, wenn er sagte, dass Yugi sich zutiefst hasste – und es unterdrückte.

„Ja, sie gaben mir nur das, was ich verdiente…“, Yamis Blick glitt zu Boden, „Denn ich bin nichts als ein wertloses Stück Fleisch…“

Was hatten sie ihm angetan?
 

„Das ist doch gar nicht wahr, das hast du falsch verstanden.“, nichts hatte Yami falsch verstanden. Wenn Eltern Kindern das Gefühl gaben wertlos zu sein, dann musste es heftig sein, was sie getan hatten! Katsuya ballte die freie Hand zur Faust. „Unsere Eltern haben dich immer geliebt. Sie hoffen auch jetzt noch, dass auf den richtigen Weg kommst und wieder Teil der Familie wirst.“

„Wozu? Damit sie damit prahlen können, wie ihr Mustersöhnchen sogar seinen Bruder von der schiefen Bahn geholt hat? Damit ich wieder mal ihr Werkzeug werde, damit sie dich in den Himmel preisen können?“, wieder mal? Werkzeug? Katsuya warf einen Blick zur Seite, doch Seto beobachtete nur ebenso erstarrt wie er selbst das Geschehen.

„Das würden sie nie tun!“, keifte der Jüngere. Oha… das sah nach Verleugnung aus… heftiger… Yami fuhr sich mit einer Hand über die Stirn, während er sich wieder gegen die Wand sinken ließ.

„Wie viel Realität muss man eigentlich ausschalten, um so wie du denken zu können?“, fragte er wie müde nach.

„Was soll das denn schon wieder heißen?“

„Mein komplettes Leben lang war ich deine Messleiste. Yugi kann dies besser, Yugi kann das besser, Yugi, das kleine Wunder. Der kleine Mustersohn. Die ganze Nachbarschaft beneidete uns um dich. Und wehe, ich konnte irgendetwas besser. Ich höre die Stimmen noch heute… „Schreib gefälligst schlechtere Noten, sonst fühlt sich dein Bruder doch minderwertig.“ oder „Wie kannst du nur so viel Sport treiben? Du weißt doch, dass dein Bruder schwächlich ist. Immer muss er daneben sitzen und dir zusehen.“ oder „Warum bist du so selbstsüchtig? Yugi wollte doch nur jemanden zum Spielen. Er hat doch niemanden außer dir.““, ach du heilige… wie krank war das denn? „Ach, der arme, kleine Yugi… aber wehe jemand anderes hörte zu. Wissen sie schon, was unser Yugi alles kann? Welch wunderbare Noten er schreibt? Wie toll er Fußball spielen kann? Und der andere? Wie hieß er gleich… Atemu? Ach nein, der ist leider nicht so gut. Wir wissen gar nicht, woran das liegt. Wir wollen seine Intelligenz testen lassen, wir vermuten, dass er eine Erbkrankheit hat. Ach wirklich? Nein, sie Armen…“

Hallo? Was zur Hölle… was waren das für Eltern? Wie konnte man so… widerwärtig sein? Erst den Sohn dazu bringen schlecht zu sein und ihn dann dafür beschuldigen? Was sollte das denn?

„Erzähl’ so etwas doch nicht, das haben sie nie gesagt.“, warf Yugi ein, doch seine Stimme zitterte.

„Sicher nicht, wenn du dabei standest.“, konterte der Ältere, „Du hast von Anfang an immer schön die Version geglaubt, die sie dir aufgetischt haben. Dass du so ein wunderbares Kind bist. Dass ich nur der böse Bruder bin, der andauernd austickt und dumm und grob und was immer sie sonst gesagt haben ist. Und welch wunderschöne Beispiele sie anführen konnten, weil ich voller Wut mal wieder irgendetwas kaputt gemacht habe. Und warum habe ich das getan? Weil ich ja so ein dummes, schlechtes Kind bin. Aber das lässt sich ja alles therapieren, nicht?“

Der Schein trügt

Nein, das hier ist nicht das letzte Kapitel, es ist das vorletzte. Es kommt noch ein Kapitel und danach ein Nachwort, das ist als "Epilog" kennzeichnen werde, weil ich keine Funktion für Nachwörter entdeckt habe. Vermutlich schreiben auch nicht viele Leute welche und wenn doch, dann direkt unter das Kapitel. Mache ich nunmal ungern, auch weil es recht lang ist ^.^

Nun gut, zum Kapitel. Ich will nicht lange aufhalten. Viel Spaß beim Lesen.
 

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„A… aber…“, Yugi schüttelte den Kopf.

„Was denn? Wusstest du das nicht?“, der Rothaarige stieß die Luft aus, „Komm, ich warte auf die nächste Ausrede. Hast du nichts mehr, um unsere heiligen Eltern zu verteidigen?“

Aller Blicke richteten sich auf den Schwarzhaarigen, der, die Arme um sich geschlossen, den Kopf schüttelte.

„Warum kannst du dich nicht damit abfinden, dass ich in manchem nun mal besser war? Warum musst du so eine Geschichte erfinden?“, ob es richtig war keine Gewalt anzuwenden? Katsuya hatte derbe Lust Yugi eine rein zu schlagen. Das war zu verständlich, dass selbst ein friedliebendes Wesen wie Yami nach achtzehn Jahren solch einer Missachtung ausgetickt war.

„Wir scheinen beide ziemlich masochistisch geworden zu sein.“, meinte der Größere trocken, „Du, dass du dir weiter meine Aggressionen antun willst und ich, dass ich deiner Ignoranz weiter zuhöre. Aber bitte, mache ich halt weiter, auch wenn ich weiß, dass es völlig sinnlos ist.“, Yamis Lider erschlafften, sodass er wieder einen müden Ausdruck annahm – oder anders gesagt jenen, der zeigte, dass er seine Wut dissoziierte.

„Geschichten erfinde ich also… wie sieht es damit aus, dass du immer so begeistert warst, dass ich dich getröstet habe, wenn bei dir mal was nicht geklappt hat und unsere Eltern erzählten, dass das nur ein Ausrutscher war, wobei du ganz genau wusstest, dass du es einfach nicht konntest. Dass ich dir immer Nachhilfe gegeben habe und dich verteidigt habe, wenn einer deiner so genannten Freunde merkte, dass du in Wirklichkeit gar nicht so toll bist, wie alle sagen? Wer war immer für dich da? Dein behinderter, geistig zurückgebliebener Bruder. Und wer prahlte mit den tollen Ergebnissen, die das alles brachte? War ich das?“

Der Kleinere versteckte sein Gesicht hinter seinen Händen.

„Und wie war das mit den Hobbys? Ich hatte an irgendetwas Spaß und kurze Zeit später gefiel es dir. Was kam von unseren Eltern? Nun hilf ihm doch, du kannst das doch. Und schon verlor ich die Lust daran, weil sie es mir systematisch zur Hölle machten. Erinnerst du dich, wie sehr ich Magic&Wizards geliebt habe? Ich habe den amtierenden Weltmeister geschlagen. Und was kommt? Mein toller Bruder beginnt sich dafür zu interessieren und ich habe ihm meine Karten zu geben, das sind schließlich so gute und ich habe doch eh erreicht, was man erreichen kann. Na ganz toll.“, ja, das Puzzle fügte sich wirklich zusammen… genau das hatte Seto doch gesagt. Yami war der Beste, aber er hatte aufgehört, hatte nie offiziell gespielt… jetzt war klar, warum. Aber sein Deck hatte er doch behalten?

„Ich musste dich anbetteln um meine Lieblingskarten zurückzukriegen. Damit ich nicht immer und immer wieder alles verliere, was ich mag. Und wieder ging es los. Wie gnädig mein Bruder doch ist, dass er mir Karten geschenkt hat. Und wird irgendwo erwähnt, dass sie mir alles weggenommen haben, was ich liebte? Alles?“, das letzte Wort war geschrieen. Okay, das klärte die Frage völlig…

„Aber… das waren doch nur Erziehungsmaßnahmen. So etwas muss sein.“, gab der Jüngere schwach von sich.

„Wach endlich auf, verdammt! Wach auf und hör dir selbst zu! Einen Menschen nicht zu schlagen heißt nicht, dass man gut mit seinen Kindern umgeht. Und weißt du was?“, Yami schrie noch immer, „Ich wäre froh gewesen, sie hätten es getan, damit ich ihre verdammten Ärsche in den Knast stecken kann!“
 

Bei allen Göttern… Yami…

Katsuya drückte sich gegen Seto, der beschützend seine Arme um ihn legte. Sich wünschen geschlagen zu werden? Sich wünschen… er schloss die Augen. Was war das? Gewalt? Missbrauch? Vernachlässigung? Psychische Folter. Einem immer wieder vorhalten, was man haben konnte und es jemandem nie geben. Ihm dabei die Möglichkeit auf Rache, auf Genugtuung verschließen. Wie konnte man jemanden so quälen? Einfach in dem man an eine Realität glaubte, die… anders war? Oder was war das? Wieso hatten seine Eltern das getan? Warum? Es war so… unverständlich. Es war einfach nur sinnlos. Folter ohne auch nur den kleinsten Sinn dahinter. Warum, verdammt?

„Du… du bist krank.“, murmelte der Schwarzhaarige, „Du… du phantasierst. Du musst dringend in Therapie. Das hat die Prostitution aus dir gemacht.“, er sah auf und ließ die Hände sinken, „Bitte, Atemu, sieh doch ein, wie schlecht es dir geht. Man kann sich doch nicht wünschen geschlagen zu werden. Das ist unsinnig. Es gibt sicher Medizin, die dir-“

„Halt endlich deine verdammte Fresse!“, schritt Bakura plötzlich ein.

Katsuyas Kopf schnellte zur Seite, die Lider weit aufgerissen, die Gesicht ausdruckslos. Wie? Was? Wieso mischte er sich da ein? Und warum hielt Ryou, der hinter dem Aufgestandenen saß, einen Kamm in der Hand? Hä?

„Dein gottverdammter Egotrip ist langsam nicht mehr auszuhalten. Wenn du die Realität nicht sehen willst, dann geh’ zurück nach Hause und spiel’ bei Mami und Papi mit deinen Puppen. Aber verschon’ uns mit dieser gequirlten Scheiße.“, ach du… Vorsicht, erhöhtes Aggressionspotential. Aber gut, vielleicht war es richtig, dass mal jemand einschritt.

„Das… das muss ich mir nicht sagen lassen…“, flüsterte der Lehrer, zog den Kopf ein, die Schultern hoch und trat einen Schritt zurück Richtung Tür, „O… oder… ? Seto?“, ein Blick mit verengten Pupillen traf den Mann hinter Katsuya.

„Ich gebe zu, dass sich Atemus Verständnis der Sache einleuchtender anhört. Derzeit würde ich zustimmen, dass du einer Wahrnehmungstäuschung unterliegst.“, urteilte dieser in einer ruhigen, sanften, aber tiefen Stimme.

Der Kleine schüttelte verständnislos den Kopf mit den Worten: „Ihr… ihr seid doch alle krank…“ – ungefähr vier Sekunden, bevor die Haustür ins Schloss fiel und Yugi verschwunden war.
 

„Ich hoffe, er stellt keinen Blödsinn an…“, murmelte der Stricher leise, bevor er zitternd wieder in Richtung des Tisches ging, an dem die anderen saßen – bis auf Bakura, der sich gerade wieder niederließ.

„Da er uns alle für verrückt hält, wird er zumindest sich selbst nichts antun.“, erklärte Seto in seiner Urteilsstimme von eben, während Katsuya fasziniert beobachtete, wie Ryou nach einer der silberweißen Strähnen Bakuras griff und sie kämmte. Das passierte allerdings, bevor er sich völlig auf seinen besten Freund konzentrierte und diesem seine Arme entgegen streckte, da er wellenartig von heftigem Zittern überfallen wurde.

„Danke…“, hauchte er nur, während er sein Gesicht gegen die Schulter den Blonden drückte, seine Nägel in dessen Shirt krallte und auch seine Schulter zu zucken begannen, bis Katsuya seine Arme um ihn legte und ihn fest an sich drückte.

Seto platzierte sein Kinn von hinten auf der anderen Schulter des Jüngeren und schloss beide in seine muskulösen, langen, starken Arme. Bei allen Göttern, war das beruhigend… der Blonde lauschte still dem Schluchzen des zerbrechlich wirkenden Geschöpfes in seinen Armen.

Sein Yami. Sein starker, stolzer Yami. Wie ein Grashalm, den man immer weiter gebogen hatte, auf dem man rumgetrampelt war, den man abgeknickt und abgeschnitten hatte und der sich doch immer wieder aufrichtete und nachwuchs. Er weinte keine blutigen Tränen, seine Tränen waren so unglaublich real, dass es einem mitten ins Herz schnitt. Sein Idol. Ja, auch wenn er manchmal auf ihn herabgesehen hatte, er hatte ihn gleichzeitig immer bewundert. Selbst jetzt, wo er weinend in seinen Armen lag, bewunderte er ihn. Er selbst hatte es so gut gehabt. Er hatte sich nie verkaufen müssen. Er hätte seinen Vater jederzeit wegsperren lassen können. Er hatte irgendwo eine Schwester, deren Liebe völlig selbstlos war.

Er hatte so viel Gutes und war nie dankbar dafür gewesen. Und jetzt hatte er Freunde, hatte bald einen Schulabschluss, hatte Seto – und Yami war immer noch allein und fürchtete das letzte bisschen zu verlieren, dass er noch hatte. Und niemand hätte seinen Schmerz je verstanden, wäre nicht genau das hier direkt vor ihren Augen geschehen.

Was hätte er denn damals getan? Wenn Yami gesagt hätte, dass seine Eltern ihm das angetan hatten? Hätte er gelacht und ihm vorgehalten, dass er jeden Tag fast tot geprügelt wurde? Ob das nicht viel schlimmer war? Es war nur Schmerz und das Wissen, dass es nun mal war, wie es war und dass es nicht besser werden würde. Aber immer sehen, wie es sein konnte, wenn man die heile Welt jeden Tag vor Augen hatte und wusste, dass sie nicht mehr war als Dreck und Lügen war… hätte er damit leben können? Waren nicht der körperliche Schmerz und die Demütigung um so viel schöner? Weil man… verstanden wurde? Weil die Menschen sich vorstellen konnten, dass das weh tat? Auch in der Seele?

„Wir sind hier, Yami… wir sind hier…“, flüsterte der Blonde, während Tränen seine Wangen benetzten.
 

„Habt ihr jemals über eine Dreierbeziehung nachgedacht?“, fragte Bakura in die bis auf das leise Schluchzen bestehende Stille, während er gekämmt wurde.

Katsuya blinzelte, sah kurz nach links und rechts – so weit es eben ging in seiner Position – und wischte sich mit der Hand die Tränen fort. Was hatte der Wolf gerade erzählt? Dreierbeziehung? Seto, er und… Yami?

„Führen wir die nicht schon?“, meinte der Brünette schließlich amüsiert.

„Platonisch…“, die Stimme des Sechsundzwanzigjährigen war ein wenig heiser und gedämpft durch Katsuyas Shirt, darum legte er sein Kinn auf dessen Schulter, um freier sprechen zu können, „Aber bleibt mal lieber so zusammen, ich wäre nur das dritte Rad am Fahrrad.“

„Als Freund hingegen bist du unersetzbar.“, fügte der Blonde an und drückte seine Wange gegen Yamis. Er konnte nicht verneinen, dass Yami das wirklich wäre. Für Seto wäre er nur ein Stück Fleisch, was beizeiten Intelligentes von sich gab und für ihn Intelligenz, die beizeiten Fleisch war – nebst der Tatsache, dass Eifersucht sie alle vermutlich zerfressen würde. Aber ein gutes Thema zur Ablenkung.

„Danke… hab’ dich auch lieb.“, der Rothaarige küsste ihn auf die Wange, löste seinen Griff und zog sich aus den zwei Umarmungen zurück auf das Kissen, auf dem er vorhin gesessen hatte, „Ihr seid echt süß zusammen, wenn ihr euch nicht gerade versucht umzubringen.“

„Würden wir doch nie tun.“, gab Seto in seinem altbekannten Sarkasmus an, bevor er sich zurückfallen ließ und Katsuya mit sich zog.

„Hey! Ah… ha! Hör- hör auf!“, er versuchte die Hände des Älteren zu fassen, doch sie entglitten ihm. Sie hatten Gäste, verdammt!

„Mit was?“, fragte Seto provokant nach.

„Damit!“, der Kleinere biss die Zähne zusammen. Bloß nicht lachen. Er durfte ihm nicht das Vergnügen geben zu lachen, egal, wie sehr er ihn kitzelte.

„Ist dir das etwa unangenehm?“, erkundigte sich der Brünette unschuldig – ohne seine Hände auch nur Millimeter von Katsuyas Seiten zu bewegen.

„Ja!“, die Bewegungen stoppten noch im selben Moment.

„Wenn das so ist, werde ich es natürlich sofortig unterlassen, mein Prinzesschen.“

„Hallo?“, dieser Idiot! Jetzt prustete der auch noch los! Es war doch nicht wahr! „Hörst du wohl auf!“

„Sonst was?“, stichelte der Ältere.

„Sonst zeigt er dir das Gedicht, was er heute für dich geschrieben hat.“

„Bakura!“, war denn die ganze Welt gegen ihn? Na, wenigstens lächelte Yami wieder…
 

„Ich gebe zu, ich kann mich darin wieder finden…“, gab Katsuyas Geliebter nach einiger Bedenkzeit zu, während er noch immer auf das Gedicht starrte, dass der Blonde ihn mit einiger Überredung doch übergeben hatte, „Yami? Hat man in Beziehungen anders Sex als sonst?“

„Ist das ein jugendfreies Gespräch?“, schritt der Silberhaarige ein, bevor der Angesprochene eine Antwort geben konnte.

„Äh…“, die Amethyste wandten sich zu ihm, „Ich denke… sag mal… hat es eine bestimmte Bedeutung, dass dein Bruder dir gerade die Haare kämmt?“, was er mittlerweile sicher seit einer Viertelstunden tat…

„Kaiba hat dir eine Frage gestellt.“, wehrte der Neunzehnjährige nur ab. Anscheinend hatte er keine Lust über die Psyche seines Bruders zu plaudern. Wenn es damit zusammen hing, was Katsuya aber stark annahm.

„Nun, Sex mit einem Geliebten ist nicht auf Lustpotenzierung ausgelegt.“, Yami warf noch einen unsicheren Blick zu den beiden Brüdern, wandte seine geröteten Augen aber schließlich doch dem Brünetten ganz zu, „Meistens nicht. Manchmal geschieht es natürlich auch aus Trieb, aber meistens soll es eher ein Mittel sein Gefühle zu vermitteln.“

„Bloß nicht.“, zischte der Blauäugige nur.

„Was soll das denn heißen?“, murrte Katsuya und stach mit dem Finger in dessen Seite. Anscheinend hatte er Yamis Erklärung besser verstanden als seine.

„Ich… ich…“, der Älteste warf einen Blick zur Seite, zurück zu Yami, zurück zu Seite, „Wie… wie macht man so etwas?“

„Mit Vertrauen.“, der Rothaarige zuckte mit den Schultern, „Man darf nicht versuchen eine gute Figur zu machen oder den besten Orgasmus überhaupt zu kriegen. Man tut einfach das, was beide tun wollen. Was immer das sei.“

„Die größte Hure der Stadt hat keine Ahnung?“, fragte Bakura belustigt nach.

„Ja.“, der Stricher sandte ihm ein Lächeln, „Ich habe noch nie geliebt und mit der betreffenden Person auch geschlafen…“, Katsuya traf ein kurzer Seitenblick, bevor er wie gezwungen wieder den Wolf ansah, „Also weiß ich es auch nicht.“

Setos durchdringender Blick lag währenddessen auf Katsuya, bevor er unhörbar für die anderen flüsterte: „Morgen?“

Der Blonde nickte nur und versuchte die Röte auf seinen Wangen niederzukämpfen. Auf dem Gebiet der Liebe waren sie beide noch unberührt…

The end

So, das letzte Kapitel ^.- Ich verabschiede mich und danke noch einmal herzlich für eure Kommentare (oder halt Nicht-Kommentare, vielleicht melden sich die Schwarzleser zum Ende hin einmal ^.-). Danke, dass ihr der Geschichte so lange treu geblieben seid! Das beweist echt Durchhaltevermögen.

Vielleicht sehen wir uns ja beim zweiten Teil von Dead Society wieder - ich würde mich freuen ^.^ Und nun viel Spaß beim Lesen.
 

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„Ryou?“, der Blonde lehnte sich ein wenig über den Tisch, „Darf ich dich aus deiner Trance reißen?“, bevor er anfing das Haar seines Bruders zu Garn zu spinnen…

Auch Bakura drehte den Kopf ein wenig, um den hinter sich sitzenden Bruder aus dem Augenwinkel beobachten zu können. Auf eine verquere Art und Weise kümmerte er sich ja schon um ihn…

„Kleiner?“, der Weißhaarige merkte auf von seiner Tätigkeit, „Katsuya hat dich angesprochen.“

„Wie bitte?“, langsam, wie eine motorisierte Puppe, wandte sich der Jüngste dem Blonden zu, die Hände still in der Luft verharrend, als hätte der Rest der Motorik versagt.

„Äh…“, die Augenbrauen des auf dem Tisch Lehnenden zogen sich zusammen, „Geht es dir gut?“

Der Wolf hob nur eine Augenbraue, doch schwieg. Anscheinend wollte er seinen Bruder antworten lassen. Doch der blieb stumm, starrte einfach weiter, ohne auch nur zu blinzeln.

„Was ist los mit dir?“

„Nichts.“, in der Stimme schwang eine erschreckende Monotonie, als würde kein Gefühl in ihr sein. In derselben Art und Weise, wie er sich eben bewegt hatte, drehte sich sein Kopf wieder so, dass er geradewegs Bakuras Haar vor Augen hatte, um es weiter zu kämmen.

„Da siehst du mal eine gemäßigte Derealisation.“, erklärte Yami für den Blonden, „Ein Großteil der Realität wird verdrängt, man nimmt nur einen Ausschnitt war.“

„Ryou ist kein Versuchsobjekt.“, knurrte Bakura, während sich die Lider über seinen Augen verengten und die Brauen sich senkten.

„Er hält sich an der Realität, indem er eine alltägliche Bewegung ausführt, das Kämmen der Haare.“, Yami verschränkte die Finger und stützte den Kopf darauf, schien den Gekämmten dabei völlig zu ignorieren, „Anscheinend hat ihn die Szene mit meinem Bruder sehr mitgenommen. Deshalb der Rückzug.“

„Sei ruhig!“, zischte Bakura, verzog die Mundwinkel und fixierte den Stricher aus dem dünnen Spalt, den seine Lider ließen. Unauffällig griff Katsuya zu seiner hinteren Hosentasche.

„Es tut mir Leid, dass ihr das mit ansehen musstet.“, Yami ließ dabei den Blick über alle Versammelten schweifen, „Ich dachte nicht einmal, dass es euch so mitnehmen-“

„Fresse!“, der Wolf schnellte nach vorn, das Klicken seines Messers im Rumpeln des Tisches, den er zur Seite stieß, fast untergehend.

Der Blonde reagierte im selben Moment, ließ sich nach vorne fallen, dem Gegner entgegen, das Messer ebenfalls in der Hand. Yami war Bakuras Ziel. Es ließ ihn unaufmerksam ihm gegenüber werden. Er musste es nutzen.

Stillstand.

Ein tiefes Grollen verließ Bakuras Kehle. Stahl war auf Haut gestoßen. Genug, um Blut zu fordern. Blut, das den Teppich tränkte.
 

„Kura…“, flüsterte Ryou, die Arme, mit denen er ihn gekämmt hatte, nur langsam sinken lassend. Sein Gesicht zeigte keinerlei Regung. Dieselbe derealisierte Maske, die er seit Minuten getragen hatte, lag auf seinem Gesicht. Die Iriden wirkten glanzlos, die Lippen spröde.

Yamis Augen hingegen hatte der Schock heftig geweitet. Die Lider waren zurückgetreten, die Farbe aus seinem Gesicht gewichen. Mit den Armen stützte er seinen Körper, der instinktiv nach hinten gefallen war und fixierte das Messer, dass einige Zentimeter über ihm schwebte – dort, wo sein Hals sich eben noch befunden hatte.

Katsuya war keinerlei Schrecksekunde widerfahren. Wie ein Film war das Geschehen vorbei gezogen, elendig langsam, wie in Zeitlupe. Sein Körper hatte das getan, was er verlangt hatte. Gestützt auf den linken Arm, den rechten ausgestreckt, drückte er die Klinge seiner eigenen Waffe an den Hals Bakuras.

Drei Tropfen liefen die Klinge entlang und mischten sich zu den Spritzern, die sich leuchtend rot vom hellen Teppich absetzten. Bakura blieb reglos. Das war kein Patt. Das war ein eindeutiger Sieg für Katsuya. Ein Sieg…

Eine Klinge fiel längs auf Yamis halb aufgerichteten Oberkörper, rutschte an dem Leder, das er trug, hinab und fiel mit einem dumpfen Klang zu Boden. Die Lider über den strahlend blauen Augen des Wolfes sackten nach unten, harrten aus, schlossen sich völlig. Die Brust blieb regungslos.

Vorsichtig löste der Blonde die scharfe Klinge aus der offenen Wunde, zog seinen Arm zu sich, beobachtete still. Bakura griff an seinen Hals, strich darüber, hob die Hand, um sein Blut zu betrachten, während sein Becken zur Seite kippte, hart auf den Teppich aufschlug.

„Du bist verletzt.“, stellte Ryou monoton fest.

„Das…“, flüsterte Seto leise, der seinen Blick ebenfalls nicht von der Wunde lösen konnte, „Wir… ich werde das behandeln.“, mit einem deutlich hörbaren Schlucken erhob er sich, griff mit seiner Hand um Bakuras Oberarm und zerrte ihn mit sichtbarer Gewalt in die Höhe, um ihn nach oben zu bringen, wohin ihm der Neunzehnjährige stolpernd folgte.

„Was… was…“, stotterte Yami verwirrt.

„Du solltest seine Aggressionen nicht unterschätzen.“, meinte Katsuya nur, selbst relativ unbeeindruckt von der Szene und ging hinüber zur Küche, um seine Waffe zu waschen und einen Lappen zu holen, um das Blut zu entfernen.
 

„Was… ?“, der Rothaarige schüttelte den Kopf.

„Du hast einen von Bakuras schwachen Punkten getroffen. Seinen Bruder. Andere sind sein Beruf und seine Talente. Beleidige sie nicht und halt die Klappe, sollte er dir das sagen. Ansonsten ist er ganz umgänglich.“, der Jüngere betrachtete den Hauch Rot, der zurückgeblieben war. Hoffentlich bekam er das mit Teppichschaum raus. „Entschuldige, dass ich deinen Bruder verletzt habe, Ryou.“

„Nein…“, der bisher Stumme schüttelte den Kopf, „Ich habe nicht schnell genug reagiert. Es ist meine Schuld.“

„Vor allen Dingen ist es mal die Schuld deines Bruders.“, mahnte der andere Schüler, „Es ist nicht deine Aufgabe ihn unter Kontrolle zu halten. Das sollte er selbst können.“, er versprühte etwas Teppichschaum und verrieb ihn, während er einen Blick zu seinem besten Freund warf, „Geht es, Yami?“

„Ja… ja…“, dieser starrte unentwegt auf Katsuyas fleißigen Hände, die das wenige Blut aus dem Teppich wuschen, „Geht schon…“, ihre Blicke trafen einander, „Du bist ganz sicher, dass man ihn nicht einweisen sollte?“

„Ganz sicher.“, bestätigte dieser nur. Verdammt. Yami würde doch nicht… nein, er würde auf ihn hören. Yami würde Bakura weder anzeigen noch per Zwang einweisen lassen. Auch wenn sein Gesicht ihm die Zweifel an seiner Entscheidung förmlich entgegen schrie.

„Und? Kannst du mit ihm arbeiten?“, fragte der Blonde mit einer gewissen Ironie in der Stimme nach.

„Therapeutisch oder beruflich?“, die dunklen Augenbrauen hoben sich, „Ersteres nämlich ganz bestimmt nicht. Alles andere wird schon irgendwie gehen…“

„Echt?“, der Kopf des Jüngeren schnellte in seine Richtung, „Trotz der Attacke?“

„Tja…“, der Stricher schluckte, „Jetzt weiß ich, mit was ich es zu tun habe, nicht? Aber gegen Yakuza dürfte er eine effektive Waffe sein.“

„Mein Bruder ist kein Gegenstand.“, warf der Weißhaarige leise ein.

„Entschuldige, bitte.“, erwiderte Yami sofort, „So wollte ich mich nicht anhören. Ich bin noch etwas geschockt.“

Schweigen breitete sich aus. Eins musste man der Situation lassen: Das war sicher eine der ereignisreichsten Partys überhaupt. Und eine voller Verlegenheiten für eine Menge Leute. Yami mit seinem Bruder, Ryou mit seinem Anfall, Bakura mit seiner Attacke, Seto mit der Einladung, er mit der Sexgeschichte… was sollte hieraus noch werden?

Und wie sollten sie sich verhalten, wenn Seto mit Bakura wiederkam? Ihn rauswerfen? Einfach weitermachen? Auf eine Entschuldigung warten, die sicher nicht kommen würde? Oder würde eine Reaktion von seiner Seite kommen?

Warum mussten sie immer wieder in solche Situationen kommen?

Die Treppe erbebte unter den Schritten zweier Personen.
 

„Entschuldigung.“

Katsuyas Unterkiefer sackte nach unten. Heilige… er hatte sich verhört, oder? Es war doch nur gemurmelt gewesen. Sicher war es „Ich töte euch“ oder „Sterbt“ gewesen und er hatte sich nur verhört. Bakura hatte sich nicht – das musste betont werden: nicht – entschuldigt. Nie im Leben.

„Gut so.“, brummte der Brünette neben ihm und schleifte ihn am Oberarm gepackt zu seinem Bruder herüber, wo er ihn mit einer zweiten Hand auf seiner Schulter zum Sitzen zwang, „Ist es für alle Anwesenden in Ordnung die Situation zu vergeben und vergessen?“, der Blick seiner graublauen Augen lag auf Yami.

„Natürlich.“, antwortete dieser nur, wich dem Blick des Wolfes allerdings aus. Katsuya nickte nur und sah zu, wie Ryou mit einem Finger über den straffen Verband an Bakuras Hals fuhr.

„Gut.“, Seto setzte sich neben ihn, griff selbstständig nach der Kaffeekanne und schenkte sowohl sich als auch dem Silberhaarigen ein – sich allerdings zuerst, „Hat jemand ein Vorschlag für ein Thema? Irgendetwas Neutrales?“

„Gott.“, warf Katsuya wie von einem Blitzschlag getroffen in die Runde. Der christliche Gott. Ryou hatte ihm damals beim Philosophieren auch viel über den christlichen Gott erzählt, also schienen ihre albanischen Eltern Christen gewesen zu sein. Was hieß, dass mindestens drei Fünftel der Anwesenden christlich erzogen wurden.

„Bitte?“, der Mann an seiner Seite blinzelte verwirrt, „Tja… okay… Gott.“

„Bakura, was denkst du über Gott?“, wandte er sich sofort an den ihm gegenüber Sitzenden.

„Gott?“, fragte dieser leise nach, vom Ton her eher Ryou ähnelnd, wenn er unsicher war.

„Ja.“, bestätigte der Blonde, „Kannst übrigens wieder überheblich und arrogant werden, dir wurde vergeben.“, er sandte ein Lächeln zu dem Wolf hinüber.

„Spiel nicht Mutter Theresa.“, gab dieser leicht fauchend zurück und lehnte sich zurück, sodass sein fast auf der Brust liegender Kopf relativ senkrecht wirkte.

„Wer ist Mutter Theresa?“, Katsuya warf einen schnellen Blick zur Seite.

„Eine sehr bekannte, als überaus gütig geltende Frau. Ich glaube, sie hat sogar einen Friedensnobelpreis gewonnen.“, beantwortete der Religionslehrer seine Frage.

„Ach so.“, hey, dann war das ja ein Necken gewesen, mit dem der Andere seine Grenzen austeste – er hatte demnach genau das getan, was Katsuya vorgeschlagen hatte, nur vorsichtig, „Also, was hältst du von Gott?“
 

„Ich bewundere ihn.“, erwiderte Bakura mit neuer Kraft in der Stimme, „Er ist unser aller Richter und vergibt jedem. Er straft die Sündigen und liebt jeden. Er gibt uns allen das Leben und erlöst uns von unserem irdischen Leid. Ich finde das wirklich faszinierend. Ich meine, wie viele Menschen kommen solch einem Ideal schon nahe? Ich finde, dafür, dass der Großteil der Menschheit so einen Gott verehrt, gibt es echt wenig Psychopathen, die beim Foltern von Menschen am laufenden Band erzählen, wie sehr sie sie lieben, dass es nur zu ihrem Besten ist, dass ihnen all ihre Sünden vergeben sind und dass das Paradies auf sie wartet.“

Seto gab einen Ton von sich, der einem unterdrückten Prusten doch arg nahe kam, hob die Hand und versteckte seine zusammengepressten Lippen, die ein Lächeln formen wollten. Katsuya konnte die Reaktion nur zu gut nachvollziehen, denn auch sein Grinsen versuchte er von seinem Gesicht zu verbannen. Das war genau die Reaktion, die er von Bakura erwartet hatte.

„Besonders seine Anhänger und ihre Heldentaten finde ich äußerst erstaunlich. Ich gebe zu, ich bewundere Menschen zutiefst, die die psychische Stärke haben ihre Frauen vergewaltigen zu lassen, um sich selbst vor so einer Schändung zu schützen, ihre Kinder zu verbrennen, um ihr Selbstbild zu bestätigen, selbst Frauen zu vergewaltigen, um ihre Gene zu vermehren und das als rechtens und moralisch vertretbar ansehen, Kinder in die Welt zu setzen und sie danach sich selbst zu überlassen mit der festen Überzeugung, dass sie nicht elendig verrecken, weil irgendwer sie sicher retten wird, andere unter Drogen zu setzen und sie zu vergewaltigen, weil man meint, dass das ihr Wille ist, Frauen und Kindern ihren rechtsmäßigen Platz als Eigentum und Gebrauchsgegenstand zuzuweisen, sie dementsprechend zu behandeln und von ihnen zu verlangen dankbar dafür zu sein, Männer, Frauen, Kinder und Vieh abzuschlachten, um die eigenen Nachkommen vor der Fähigkeit zum freien Denken zu schützen, jene auszurotten, die nicht zur Vermehrung der von einem selbst als wertvoll Angesehenen beitragen, was jeden Mann meint, der Geschlechtsverkehr mit anderen Männern, Tieren, nahen Verwandten und sich selbst hat oder sich einfach nur weigert Kinder zu kriegen, alle unfruchtbaren, behinderten oder organisch kranken Lebewesen und alle ihre Nachkommen, einen Gott zu verehren, der für ihren Vorteil oder rein aus Rachegelüsten Kindern die Seelen nimmt, ganze Völker verhungern lässt oder Städte in die Luft jagt und dabei zu sagen, wie unglaublich liebevoll sie und ihr Gott doch sind und wie wertvoll jeder Mensch für sie ist.“

Der Silberhaarige holte tief Luft, nahm einen Schluck Kaffee und sprach Seto an: „Was habe ich noch alles vergessen?“

„Ich glaube…“, der Brünette gluckste, „Ich denke, die Liste ist endlos. Die Bibel gibt wirklich keine besonders guten Vorbilder, vor allem nicht das alte Testament.“

„Das haben die echt alles gemacht?“, fragte Katsuya mit Entsetzen im Gesicht.

„Oh ja.“, lächelnd wandte sich Seto zu ihm, „Das waren gerade Beispiele von den Taten von Leuten aus dem Buch Genesis und Richter und Gesetze aus dem Buch Numeri.“, er beugte sich näher zu ihm, „Und das waren teilweise Menschen, die Gott dort als seine Auserwählten betrachtete.“

„Die haben sich echt nicht mit Ruhm bekleckert.“, urteilte Yami und sandte dem Silberhaarigen ebenfalls ein Lächeln.
 

„Sag mal… warst du nicht gläubig?“, fragte Katsuya seinen Geliebten, während er wieder auf dessen Schoß kletterte, wie er es gerade bei Ryou beobachtet hatte.

„Habe ich das je behauptet?“, fragte der Ältere spitzbübisch nach.

„Ja, du hast doch-“, der Blonde stoppte sich selbst. Hatte Seto irgendwo gesagt, dass er gläubig war? Doch nur im Park… „Ah…“, er hob die Augenbrauen, „Du sagtest, du seiest mit dem Verstand gläubig. Weil dir das gesellschaftliche Vorteile bringt, richtig?“

„Gut erkannt.“, Seto belohnte ihn mit einem schnellen Kuss auf die Lippen.

„Und schon werden wir ausgeblendet…“, murrte der Stricher leise.

„Nun ja, es ist eine Party zur Feier ihrer Beziehung, oder? Lass sie doch.“, der Wolf legte einen Arm um seinen Bruder, „Jetzt kannst du eh nix mehr ändern.“

„Wohl wahr.“, Yami seufzte, „Jetzt ist’s zu spät…“, die braunen Augen unter zusammengezogenen Brauen trafen seinen Blick, „Bei allen Göttern…“, der Rothaarige lächelte ihn an, „Jetzt hör’ mal auf immer an andere zu denken. Knutsch’ ihn besinnungslos, wenn du magst. Meinetwegen brauchst du dich nicht zurückhalten.“

„Aber…“, flüsterte der Braunäugige.

„Kein Aber. Ich verderbe sowieso schon die allgemeine Laune, lass mich dir nicht auch noch den Spaß verderben.“, der Ältere lehnte sich lässig zurück, den Körper mit den Händen gestützt, „Los.“, sein Lächeln verrückte in eine Richtung, so dass es verwegen wirkte, „Ich will einen Kuss sehen.“

„Aber ich werde weggezogen, ja?“, trotz der spöttischen Stimme strahlte der Brünette seinen Exfreund dankbar an.

„Du bist auch unartig, du versautes Ding.“, gab Yami zurück.

„Ach, bin ich? Man merkt, dass du deinen besten Freund noch nicht im Bett hattest.“, konterte der Achtundzwanzigjährige, ließ seinen Blick jedoch zu Katsuya gleiten, bevor er den Kopf ein wenig neigte und die Lippen auf die seines Geliebten legte.

Bei allen Göttern… der Blonde zog scharf die Luft ein, während seine Lider wie von allein zufielen. Eine heiße Zunge durchbrach den Schutz seiner Lippen, tippte die seine an, forderte sie zum Duell. Ein Kampf, den Katsuya natürlich annahm. Er nahm jeden Kampf an. Er würde immer an vorderster Front auf dem Schlachtfeld stehen – da machte er bei einer Beziehung ganz sicher nicht halt.

Ein Geräusch, was sich ähnlich einem Schnurren den Tiefen Setos Kehle entrang, paarte sich mit dem stoßweisen Keuchen, das Katsuya von sich gab, während er zu Boden gedrückt wurde, soviel Gewicht auf sich, dass er sich dem nur schwer entgegenstemmen könnte, wenn er wollte, aber genug, um nicht erdrückend zu werden. Eine kalte Hand fuhr unter sein Shirt, strich seine leicht hervortretenden Bauchmuskeln entlang, über seine Rippen, auf denen noch immer nur ein dünner Streifen Haut lag, zu seiner Brust, wo sie eines ihrer Lieblingsspielzeuge an seinem Körper fand.

„Der geht aber ziemlich ran…“, murmelte Bakura durch den Nebel, der sich um Katsuyas Kopf gebildet zu haben schien.

„Weniger als du.“, erwiderte sein Bruder schon fast herablassend.

„Ich vermute, Hunde sind nicht weniger stürmisch als Drachen…“, meinte Yami nur, während sich Katsuyas und Setos Lippen voneinander lösten, ihre Nasenspitzen übereinander strichen und das Gesicht des Brünetten neben ihn fuhr.

Wie schüchtern flüsterte der Ex-Punk in das Ohr seines Lehrers: „Ich bin daheim…“

Nachwort

Dead Society ist nun nach fast genau zwei Jahren beendet. Am 30. Mai 2006 lud ich einst das erste Kapitel hoch und wusste zu der Zeit nicht, was einmal werden sollte. Den Plan für die Geschichte stellte ich nämlich erst im Juni auf. Und selbst daran wurden Veränderungen vorgenommen. Zum Beispiel habe ich erst bei Ryous Rede festgelegt, dass auch viel Fachliches in diese Geschichte mit einfließen soll, damit die Entwicklung der Charaktere nicht nur stattfindet, sondern auch halbwegs nachvollziehbar ist. Zwar wusste ich, dass viele Leser von Mexx die Geschichte auch so verstehen würden, weil sie vieles am eigenen Leib erfahren haben, aber ich wollte sie schließlich für alle schreiben (mich selbst einbegriffen *lach*).

Dass viele es selbst erfahren haben, darüber möchte ich sprechen. Ich bin sehr froh von niemandem etwas wie „So würde sich ein Mensch nie verhalten“ oder „So etwas würde ein Mensch einem anderen nie antun“ gehört zu haben, aber ich weiß, dass dennoch viele mit diesem Bild leben. Vielleicht haben es manche Leser zwischendurch sogar gedacht. Auch ich war schon geschockt, was Menschen anderen antun können. Auch ich habe schon andere verdammt, gezetert und geflucht über die Grausamkeit vieler Menschen. Aber wie viele andere musste ich erkennen, dass auch ihr Verhalten nur menschlich ist. Täter sorgen für Opfer und Opfer für neue Täter. Es ist wahrscheinlich unmöglich das jemals zu stoppen. Aber vielleicht ist es möglich es einzudämmen. Daran halte ich zumindest fest. Ich möchte nicht noch einmal fassungslos vor folgenden Statistiken sitzen müssen:
 


 

Veröffentlichungen des Bundeskriminalamtes für das Jahr 2006: (und das sind nur die Zahlen von Angezeigten, Festgenommenen, Verurteilten etc.)
 

55% allen sexuellen Missbrauchs geschieht an Kindern
 

10% dieses sexuellen Missbrauchs bei Kindern ist eine Vergewaltigung
 

9,5% dieses sexuellen Missbrauchs bei Kindern ist ein schwerer sexueller Missbrauch (+Kinderpornographie)
 

Die Rate bekannt gewordener Kindesmisshandlung stieg um 8%
 

Es sind nur fünf Fälle von Kindeshandel bekannt geworden (alle zur sexuellen Ausbeutung)
 

Jeder Zehntausendste wird wegen Vergewaltigung oder sexueller Nötigung verurteilt
 

5% Fallzunahme bei der Körperverletzung
 

3% Fallzunahme beim sexuellen Missbrauch
 

10% aller Opfer von Vergewaltigungen sind Kinder
 

29% aller Opfer von Vergewaltigungen sind Jugendliche
 

7,5% aller Opfer von Körperverletzung sind Kinder
 

14% aller Opfer von Körperverletzung sind Jugendliche
 

11,5% aller Mordopfer sind Kinder
 

2% aller Mordopfer sind Jugendliche
 

Bei Kindern ist das Risiko Opfer sexueller Gewalt zu werden bei Mädchen 3,8 mal so hoch.
 

Bei Jugendlichen ist das Risiko Opfer sexueller Gewalt zu werden bei Mädchen 11,5 mal so hoch.
 

Bei Kinder ist das Risiko Opfer von Körperverletzung zu werden bei Jungen 1,9 mal so hoch.
 

Bei Jugendlichen ist das Risiko Opfer von Körperverletzung zu werden bei Jungen 2 mal so hoch.
 

36,6 % der Morde geschehen in der Verwandtschaft, 29,3% in der Bekanntschaft und 14,1% sind ungeklärt

Bei Frauen kommen die Täter zu 50,6% aus der Verwandtschaft
 

19,6% des sexuellen Missbrauchs geschehen in der Verwandtschaft, 41,7% Bekanntschaft, 6,5% ungeklärt
 

75% der gemeldeten Fälle sexueller Nötigung können aufgeklärt werden
 

30% aller Gewaltdelikte werden unter Alkoholeinfluss verübt
 

Allgemein nimmt die Kriminalität in Prozent unter Alkoholeinfluss zu.
 

Einen starken Rückgang gab es bei Rauschgiftdelikten um 7 186 (-23,8%) auf 22983 tatverdächtige Jugendliche. Bei Raubdelikten wurden 10 590 tatverdächtige Jugendliche und damit 250 (-2,3%) weniger registriert als 2005. Ein erneuter Anstieg wurde bei Körperverletzung -insgesamt- um 1 750 (2,7%) auf 66 980 tatverdächtige Jugendliche registriert. Einen Anstieg gab es auch bei der Sachbeschädigung um 2 165 (+4,7%) auf 48 220 jugendliche Tatverdächtige.
 

4,4% aller Tatverdächtigen sind Kinder unter 14 Jahren (1% davon unter 6 Jahre)

70,7% davon sind Jungs
 

12,2% aller Tatverdächtigen sind Jugendliche (14-18 Jahre)

71,9% davon sind Jungs
 

10,6% aller Tatverdächtigen sind Heranwachsende (18-21 Jahre)

79,1% davon sind Jungs
 

Die Rate an kriminellen Ausländern ist stetig sinkend, während die der kriminellen Inländer stetig steigt
 

98.8% des sexuellen Missbrauchs wird durch Männer durchgeführt
 

86,7% der Morde werden durch Männer durchgeführt
 

85,1% der Körperverletzungen werden durch Männer durchgeführt
 

0,2% aller Mordverdächtigen sind Kinder unter 14

0.2% aller Morde werden von Jungen unter 14 begangen, 0,1% von Mädchen u. 14
 

1,5% der sexuellen Missbrauchsverdächtigen sind Jungen unter 14

0,4% der sexuellen Missbräuche werden von Jungen unter 14 begangen
 

4,1% der schweren Körperverletzungen (Verdächtige) werden durch Jungen, 1% durch Mädchen unter 14 durchgeführt

13,7% aller schweren Körperverletzungen werden von Jungen unter 14 begangen

5,1% aller schweren Körperverletzungen werden durch Mädchen unter 14 begangen
 

12,5% aller Brandstifterverdächtigen sind Jungen unter 14, 1,9% Mädchen u. 14
 

Straftaten gegen Sprengstoff-, Waffen- und Kriegswaffengesetze werden zu 1,8% u. 14-jährigen Jungen zugerechnet und zu 3,2% von ihnen begangen (0,5% Mädchen u. 14)
 

0,9% aller Jungen zwischen 8 und 10 werden als Täter vermutet (Fast jeder 100.!)

0,25% aller Mädchen zwischen 8 und 10 werden als Täter vermutet (Jede 400. Täterin!)
 

2% aller Jungen zwischen 10 und 12 werden als Täter vermutet (Jeder 50.!)

0,67% aller Mädchen zwischen 10 und 12 werden als Täter vermutet (Jede 150.!)
 

4,5% aller Jungen zwischen 12 und 14 werden als Täter vermutet (Jeder 22.!)

2,37% aller Mädchen zwischen 12 und 14 werden als Täter vermutet (Jede 42.!)
 


 

Wie gesagt, Opfer werden manchmal zu neuen Tätern. Und die meisten Täter waren einmal Opfer. Das ist eine Sache, die betrifft alle. Ähnlich, wie wohl viele auch hiervon betroffen sind:
 


 

Studien aus Volksumfragen:
 

Es gibt ca. 9 Millionen Kinder in Deutschland.

250.00-400.000 Kinder werden sexuell missbraucht (Vergewaltigungen etc.)

1,42 Millionen Kinder werden von ihren Eltern rein körperlich missbraucht (Prügel etc.)

2,48 Millionen weitere Kinder werden mit körperlicher Gewalt erzogen (Ohrfeigen etc.)

Alles ist verboten - nur jeder vierhundertste Fall kommt zur Anzeige

Im Jahr wird 8000 Eltern das Sorgerecht (teilweise) entzogen
 


 

Datenreport des statistischen Bundesamtes:
 

Im Durchschnitt sterben in Deutschland jährlich zwischen 11.000 und 12.000 Menschen durch Suizid (etwa 14 je 100.000 Einwohner), wobei zusätzlich von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist. Diese Zahl entspricht ca. 1,3 Prozent aller Todesfälle und übersteigt damit die Anzahl der Verkehrstoten (5.362 Todesopfer im Jahr 2005) bei weitem. In der Altersgruppe der 15- bis 35-Jährigen ist der Suizid die zweithäufigste Todesursache (nach dem Unfalltod). Allerdings ist die verbreitete Annahme, dass Suizid in dieser Altersgruppe besonders häufig verübt wird, ein Trugschluss: Suizid ist in dieser Altersklasse neben Mord und Unfall aufgrund der weniger häufigen Krankheiten die nahezu einzig mögliche Todesursache.

Die Zahl ernsthafter Suizidversuche liegt bei ca. 100.000 bis 150.000 (auch hier sind genaue Erkenntnisse aufgrund der hohen Dunkelziffern schwierig), also um den Faktor 10 bis 15 über der der ausgeführten Suizide. Mit anderen Worten: Etwa jeder zehnte Suizidversuch geht tödlich aus. Die Zahl der Suizidversuche ist bei Frauen etwas höher als bei Männern (131 gegenüber 108 Versuche je 100.000 Einwohner).

Die Zahl erfolgreicher Suizidversuche ist jedoch bei Männern deutlich höher als bei Frauen mit weiter steigender Tendenz: Drei Viertel aller erfolgreichen Suizide werden von Männern begangen. Von den 10.733 Suiziden im Jahr 2004 in Deutschland wurden 7939 (74 %) von Männern und 2794 von Frauen begangen. Die Suizidrate von Ärzten ist bis zu 3,4-mal höher als die anderer Bürger, bei Ärztinnen ist die Rate sogar um bis zu 5,7-mal erhöht.

Die Selbsttötungen häufen sich im höheren Alter: von weniger als fünf pro 100.000 in der Gruppe der unter 20-jährigen bis auf fast 50 pro 100.000 bei den über 70-jährigen.

Von den 11.150 Suiziden in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2004 wurden folgende Todesursachen erfasst:

* Erhängen/Ersticken 5538 (50 %)

* Sturz in die Tiefe 1100 (10 %)

* Vergiftung durch Medikamente 940 (8 %)

* Erschießen 572 (5 %)

* Sich vor den Zug oder vor Autos werfen 556 (5 %)

* Abgase ins Auto leiten 216 (2 %)
 

Die Wahrscheinlichkeit, in seinem Leben an einer bipolaren affektiven Störung zu erkranken (Lebenszeitrisiko), liegt in den unterschiedlichsten Ländern bei 1 % bis 1,6 %, das ist mindestens jeder Hundertste. Es besteht kein Unterschied des Erkrankungsrisikos zwischen Männern und Frauen.

Das Risiko, eine hohe Phasenfrequenz (schneller Wechsel zwischen gehobener und gedrückter Stimmung) zu entwickeln, steigt mit der Dauer der Erkrankung. Etwa 10 % der Betroffenen entwickeln Krankheitsformen mit vier und mehr Episoden pro Jahr. Dies geht mit einer ernsteren Prognose einher. Ersten Untersuchungen zufolge scheinen 80 % der so genannten Rapid Cycler Frauen zu sein. Etwa ein Drittel der Patienten erreichen im Rahmen ihrer Erkrankung keine Vollremission (symptomfreies Intervall).

75 % der Patienten erleiden ihre erste Krankheitsepisode bis zum 25. Lebensjahr. 10 % bis 15 % der Betroffenen durchleben mehr als 10 Episoden in ihrem Leben. 39 % der Patienten haben eine weitere psychiatrische Diagnose.

Ungefähr 25 % bis 50 % aller bipolar Erkrankten unternehmen mindestens einen Suizidversuch. Etwa 15 % bis 30 % der Patienten suizidieren sich.

Am häufigsten ist die bipolare Verlaufsform der Manie, d. h. ein Betroffener erlebt sowohl manische als auch depressive Krankheitsphasen. Dabei sind die manischen Phasen in der Regel kürzer als depressive Phasen; erstere dauern normalerweise einige Wochen, letztere eher einige Monate. Jedoch verlaufen diese Phasen bedeutend kürzer, wenn der Kranke mit Medikamenten und/oder Psychotherapie behandelt wird.

Deutlich seltener ist die Verlaufsform mit ausschließlich manischen Episoden.

* Nur Manie: ca. 5 %, medizinischer Begriff: Mono-polarer Zustand.

* Nur Depression: ca. 55 %,

* Bipolare Störung: ca. 40 %.
 

0,5-1% der Menschen leiden an der dissoziativen Identitätsstörung (multiplen Persönlichkeitsstörung).
 


 

World Health Organisation (WHO):
 

Psychische Störungen sind weit verbreitet. Nach einer Studie der WHO leidet weltweit jeder vierte Arztbesucher daran. Deutsche Studien sprechen von ca. 8 Millionen Deutschen mit behandlungsbedürftigen psychischen Störungen. Die meisten würden jedoch nach einiger Zeit abklingen. Psychische Störungen gehören zu den häufigsten Beratungsanlässen in allgemeinmedizinischen Praxen.
 

Angsterkrankungen sind in der Praxis häufig anzutreffen. Nach einer Studie der WHO 1996 litten etwa 8,5 % der Patienten in deutschen Allgemeinarztpraxen an einer generalisierten Angststörung und 2,5 % an einer Panikstörung. Frauen erkranken circa zweimal häufiger als Männer. Menschen mit Panikstörungen leiden in der Hälfte der Fälle zusätzlich an einer Agoraphobie. Fast 20 % der Patienten, die sich in einem allgemeinmedizinischen Krankenhaus (in den USA) vorstellte, litten an einer Angsterkrankung, 41 % davon unbehandelt.
 

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft Erwachsene mit einem Body-Mass-Index über 25 als übergewichtig ein, mit einem Wert von über 30 als stark übergewichtig. Danach hatten im Mai 2003 36,3 % der Erwachsenen (ab 18 Jahren) Übergewicht (BMI 25 bis unter 30); stark übergewichtig waren 12,9 % (BMI 30 und mehr). Männer (57,7 %) sind häufiger übergewichtig als Frauen (41,2 %). Dies gilt für alle Altersklassen. Starkes Übergewicht haben 13,6 %der Männer und 12,3%der Frauen. Untergewicht (Body-Mass-Index kleiner als 18,5) wurde bei 2,3 % der erwachsenen Bevölkerung (3,6 % Frauen, 0,9 % Männer) ermittelt. Besonders häufig tritt Untergewicht bei den 18- bis unter 20-jährigen Frauen auf (12,7 %).
 


 

Bundesgesundheitsministerium:
 

Das Bundesgesundheitsministerium schätzt, dass vier Millionen Deutsche von einer Depression betroffen sind und dass gut zehn Millionen Menschen bis zum 65. Lebensjahr eine Depression erlitten haben. Eine reine Depression im Kindesalter ist selten. Bei Vorschulkindern beträgt sie weniger als 1 % und steigt bei Schulkindern auf 2–3 %. Bei Jugendlichen wird eine Häufigkeit von 7–13 % angegeben. Das Geschlechterverhältnis ändert sich in der Adoleszenz von einem Übergewicht bei Jungen vor der Pubertät zur Dominanz bei Mädchen ab dem zwölften Lebensjahr.
 

Mehr als 10 Millionen Menschen konsumieren in Deutschland Alkohol in gesundheitlich riskanter Form - 1,6 Millionen gelten als alkoholabhängig. Nur etwa 10 Prozent unterziehen sich einer Therapie - oft erst viel zu spät nach 10 bis 15 Jahren einer Abhängigkeit. 20 Prozent der Jugendlichen im Alter von 12 bis 25 Jahren trinken regelmäßig Alkohol. Die volkswirtschaftlichen Kosten alkoholbezogener Krankheiten werden auf mehr als 20 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Jährlich sterben ca. 42 000 Personen direkt (durch Alkoholmissbrauch) oder indirekt (u.a. durch alkoholbedingte Unfälle) an den Folgen des Alkoholkonsums.
 

Die Medikamentenabhängigkeit gehört in Deutschland zu den meist verbreiteten Suchterkrankungen neben der Tabak- und Alkoholabhängigkeit. Schätzungen gehen von 1,4 bis 1,9 Millionen Medikamentenabhängigen aus. Mehrheitlich Frauen und ältere Menschen sind von dieser "stillen" - weil nach außen nicht ohne weiteres erkennbaren- Sucht betroffen.
 

Beim illegalen Drogenkonsum spielt Cannabis die Hauptrolle. Über ein Viertel der Jugendlichen in Deutschland hat Cannabis mindestens einmal probiert. Während es bei der Mehrzahl beim Probierkonsum bleibt, stellen die regelmäßigen und häufigen Cannabiskonsumenten die eigentliche Risikogruppe dar. Rund zwei Millionen vor allem junger Menschen konsumieren in Deutschland regelmäßig Cannabis, etwa 400.000 von ihnen weisen einen missbräuchlichen oder abhängigen Konsum auf. Auch europaweit steigt die Zahl der Jugendlichen und jungen Heranwachsenden, die Cannabis gelegentlich oder häufiger konsumieren. Aus den Einrichtungen der Jugend- und Drogenhilfe wird zunehmend von riskanten Konsummustern und Mischkonsum bei Cannabis berichtet. Die Zahl derjenigen, die in Beratungsstellen betreut werden, hat sich von 8.403 Klienten bis 29 Jahre im Jahr 2001 auf 18.155 im Jahr 2005 deutlich erhöht.

Im Vergleich zu Cannabis werden andere illegale Drogen in Deutschland nur in geringem Ausmaß konsumiert. Schätzungen des Instituts für Therapieforschung München gehen von 250.000 bis 300.000 Konsumenten illegaler Drogen (ohne Cannabis) aus. Davon gelten 175.000 Personen als abhängig.

Im Jahr 2006 verstarben in Deutschland 1.296 Menschen nach dem Konsum von illegalen Drogen. Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der Drogentoten rückläufig und im Vergleich zum Vorjahr um 2,3 Prozent zurückgegangen.
 

Die Datenlage zur Prävalenz und den Auswirkungen von Glücksspiel und Glücksspielsucht in Deutschland ist bisher noch unzureichend. Die Anzahl der pathologischen Spieler in Deutschland wird vor dem Hintergrund der Therapienachfrage auf 110.000 bis 180.000 geschätzt.
 


 

Veröffentlichungen der deutschen Hauptstelle für Sucht:
 

Raucher (ab 15 Jahre): 27%

Davon regelmäßig: 85%
 

Alkoholabhängigkeit (18-64)

Männer 3,4% Frauen 1,4%

Todesfälle rein durch Alkohol (35-65)

Männer 3,4% Frauen 0,9%

Ein Viertel der Jugendlichen lässt sich mindestens einmal monatlich auf Binge-Drinking ein
 

Medikamentenabhängigkeit

Männer 2,5% Frauen 3,2%
 

Drogenmissbrauch und Abhängigkeit (18-59): 0,9%

5,3% bei 18-20

4,2% bei 21-24

Drogenkonsum

Westdeutschland 6,5% Ostdeutschland 5,2%

Weniger genommen wurden: Ecstasy, Heroin, Kokain

Mehr genommen wurden: Crack, LSD, Cannabis, andere Opiate
 


 

Diese Daten werde ich mal einfach so stehen lassen. Was ihr damit macht, ist eure Sache. Wir sehen uns wieder bei dem zweiten Teil von Dead Society. Ich hoffe, euch hat meine Geschichte gefallen.
 

Gepo



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Von:  Jaelaki
2015-03-22T23:42:48+00:00 23.03.2015 00:42
Hallo,

in diesem Kapitel sind einige inhaltliche Fehler, z.B. behauptete Jesus nie, der Sohn Gottes zu sein. Auch haben nicht die Römer den Kanon der Bibel bestimmt und auch nicht im dritten Jahrhundert. Es war ein viel längerer Prozess.

Was mich übrigens sehr verwundert ist, dass in der Geschichte jeder Charakter sich überaus gut mit Psychologie auszukennen scheint. Sicher kann man das als Hobby sehen und auch so viel darüber lernen, aber oft wirken die Gespräche wie aus Lehrbüchern abgeschrieben und nicht authentisch. Das ist schade und nimmt Dynamik aus den Dialogen.
Die Inhalte sind interessant, aber die Umsetzung oft trocken.

Natürlich muss man beachten, wie alt du warst, als du die Geschichte begonnen hast und dafür hat sie ein hohes Niveau. Trotzdem beurteile ich eine Geschichte in erster Linie nach der Geschichte selbst und nicht nach dem Alter der Autorin. ; )

Die Themen sind jedoch sehr interessant, stilistisch und rein von der Umsetzung ist noch eindeutig Luft nach oben.

Gruß,
Jaelaki
Von:  Jaelaki
2015-03-20T22:57:00+00:00 20.03.2015 23:57
Hallo!
Interessante Story. In diesem Kapitel sind mir aber ein paar inhaltliche Fehler aufgefallen, z.B. »Menschen nach ihren Einstellungen zu verurteilen, das ist Rassismus«: Das entspricht NICHT der Definition von Rassismus und ist entsprechend falsch.

Mir ist auch bis hierhin aufgefallen, dass Kats ziemlich oft weint, das empfinde ich seinem Charakter nicht entsprechend.
Manchmal sind emotionale Ausbrüche der Charaktere nur schwer nachzuvollziehen, mMn besonders bezüglich Kats und Yami, vor allem, da du häufiger schreibst, dass sie »sonst nie weinen«, aber trotzdem tun sie es in der Geschichte dann doch sehr oft.

Unrealistisch ist auch das Verhalten Kaibas gegenüber Kats ab und zu. Immerhin ist er Lehrer und sollte eine Distanz halten, was auch seinem Charakter entspräche. Dagegen stehen dann die Wutausbrüche, die manchmal mMn zu unnachvollziehbar kommen.

Formal fällt auf, dass du "Satz.", sagte er. schreibst, das ist nicht richtig. Der Punkt innerhalb der wörtlichen Rede ist zu viel.
Zudem schreibst du regelmäßig die Höflichkeitsformeln Sie/Ihr klein, was ebenfalls nicht richtig ist.

Ansonsten: interessante Story mit interessanten Charakteren!
Mal sehen, wie es weitergeht! ; )

Gruß,
Jaelaki
Von: abgemeldet
2014-11-17T11:44:05+00:00 17.11.2014 12:44
Atemberaubend. Ich hab keine Ahnung wie oft ich deine FF jetzt schon gelesen habe. Ich freue mich wirklich für dich dass du jetzt sogar ein Buch veröffentlichen konntest.
Mach weiter so & bleib wie du bist.

LG Refaye
Von:  Egyptprincess
2013-12-26T12:16:52+00:00 26.12.2013 13:16
Halluuuu ;)

So ich bin jetzt endlich mal dazu gekommen mir dein Buch zukaufen, kam letzte Woche Freitag bei mir an.
Ich war /bin schon ein riesiger Fan deiner FF´s und verschlinge dein Buch jeder mir gegebenen freien Minute,..und nun ist mir aufgefallen das sich auf Seite 434 Zeile 3 ein kleiner "Kaiba" fehler eingeschlichen hat ;)
Nicht das es da Irgendwann noch mal Probleme geben sollte.....und nun werde ich mich wieder in dein Buch verkriechen, wünsche dir noch ein schönes Fest!!

LG Egyptprincess ;)
Von:  Mizael
2013-12-06T06:26:15+00:00 06.12.2013 07:26
Hallo liebe Gepo!

Ich habe mir die Buchfassung deiner FF diese Woche gekauft und habe mich entschieden, hier auf Animexx die Kapitel zu kommentieren. :3

Zum Prolog:
Eigentlich mag ich keine Alltagsgeschichten, ich bin eher so der Fantasy-Typ. Aber dein Schreibstil ist echt gut, ich finde es sehr schön ihn zu lesen.
Maik scheint das Äquivalent zu Katsuya Jonouchi zu sein, richtig? Auf jeden Fall gefällt mir sein Auftritt, auch wenn er tatsächlich OoC wirkt wenn man ihn als Jono betrachtet. xD
Ich lese dann mal gleich weiter - natürlich das Buch. =3

LG Yuberu
Von:  jyorie
2012-12-17T16:15:02+00:00 17.12.2012 17:15
Hi^^

dein Joey überrascht, in so einer Charakterform habe ich ihn noch nicht erlebt. Habe das Kapi hier auf FF.de gelesen und dann erst den Link auf Animexx gesehen. Jetzt bin ich am überlegen. Weil der Anfang war echt gut. Aber die über 200Tausend Wörter schrecken mich schon etwas… Ich werds mal auf die To-Do-Liste sezten. … :D

LG Jyorie

Antwort von: abgemeldet
17.11.2014 12:45
Lohnt sich wirklich. Habs schon mehrfach gelesen. Nur nimm es dir am besten nicht vor, wenn du am nächsten Tag etwas vor hast :D
Von:  Kemet
2012-12-11T07:21:52+00:00 11.12.2012 08:21
Ich bin nie der Mensch gewesen, der mittendrin ein Kommentar schreiben wollte und konnte, sondern habe hier 125 Kapitel vergehen lassen, bis ich auf offiziellen Wege was dazu sage.

Nun aber, möchte ich ganz gern mit der 'Bewertung' aller Charaktere in dieser Fanfic, wenn man sie denn als solche noch bezeichnen kann, beginnen.
Die Charaktere selbst, sind überraschender Weise kaum OOC und geben dennoch ein vollkommen anderes Bild als in der Serie wider. Kommt es daher, dass man sie auf einmal kennenlernt?

Jonouchi Katsuya:
In der Serie wie hier ein absoluter Draufgänger, der vor nichts zurück schreckt, egal wie sinnlos, gefährlich oder nutzlos es ist.
Seine Geschichte klingt erschreckend real. Das Einzige, was ihn ansich von seinem Serienvorbild unterscheidet, ist die veränderte Anfangsgestalt, sprich die Kleidung, und der allgemeine Lebensumstand, was die Schule betrifft. Langsam beginnt man zu verstehen, warum er so ein Charakter ist. In sich treu und, meiner Meinung nach, mit einem ausgeweiteten Helferkomplex ausgestattet. Er sucht nach der BEstätigung, wie auch in der Serie. Findet sie aber erst, nachdem er selbst so einiges begriffen hat, und langsam beginnt erwachsener zu werden. Auch wie in der Serie.
Entsprechend also sehr authentisch.

Seto Kaiba:
Kalt, kälter, Seto. So lernt man ihn kennen. Nach Aussen hin der böse Indistriemensch, wenngleich hier auch als Lehrer, sieht er die Pflicht und das Streben nach einem festgesteckten Ziel als äusserstes Gebot.
Die permanente Ablehnung, der Unglauben, wenn ihn doch jemand näher kommt und beginnt in ihn hinein zu blicken, sind etwas, was den Kaiba der Serie, wie auch hier verfolgt.
Selbst nachdem er langsam von seiner Norm ab- und es geschehen ließ, dass Katsuya ihn half, wirkte er nicht stark verändert. Er wurde nur erklärt. Wie anhand von Extrembeispielen, wurde seine Psyche und sein Denken auseinander genommen, die Sehnsüchte geschürt und wieder gegeben, aber auch die Angst, die in eben dieser Kaibatypischen Ablehnung resultiere.
Auch wenn die Charakterentwicklung stetig und vor allem heftig ist, drängt sich dennoch bei mir der Gedanke auf, dass Seto Kaiba doch genau so reagieren würde. Und nicht anders...

Bakura Bakura:
Sinnvoller NAme, immernoch. XD Auch wenn hier als Zwillingsbruder, mit einem sehr erhöhten Agressionpotential dargestellt, unterscheidet sich auch dieser kaum vom orginal. Selbst die allgegenwärtige *Zwangsverschwulung*, wie bei solchen Serien üblich, passt hier.
Gefangen in der Rolle, in der er sich mal befand als Gradräuber, sieht er nur auf seine eigenen Vorteile, egal wie er daran kommt. Das macht ihn käuflich, gleichzeitig aber auch treu. Nur unterschwellig bekommt man die Liebe zu spüren, die er zu seinen Bruder hegt, den ausgeprägten Beschützerinstinkt, sowie aber auch die Bereitschaft zumindest sich annährend anzupassen.
Er ist einer der Charaktere, der ansich kaum Entwicklung in der Fanfic durchgemacht hat, sondern auf seinen eigenen Level blieb, ausser dass Zugeständnisse gemacht wurde, die aber auf einen verlorenen Kampf (Verbal/nonverbal) zurück zu führen ist.
Auch wieder nicht OOC, egal wie man es zu suchen vermag.

Ryou Bakura:
Es passt! Es passt einfach. Wieder grundlegend kein Unterschied zur Serie, nur auch wieder mit einer neuen Vergangenheit und Erklärungen ausgestattet.
Man suche die Fehler. Sorry, ich finde sie nicht.
Zu Ryou kann ich nicht viel sagen. Es ist einer der Charaktere, die einfach nur so agieren, wie sie sollen. Wie sie es auch unter dem Mangaka getan haben. Einfach Ryou Bakura.
Ich geb zu. Anfangs war ich nicht begeistert von dem Auftreten der Beiden, aber so nach dieser FF, mag ich sie nicht mehr missen.

Yami / Atemu:
Auch hier in eine andere Rolle geschlüpft, staune ich doch immer wieder, was sich aus einen einfachen König der SPiele machen lässt. Der Charakter selbst, gleicht dem Pharao Atemu, was, wie ich denke, auch beabsichtigt war.
Hilfsbereit, freundlich, vorrausschauend, irgendwie ein Herrscher, und irgendwie auch auf seine eigene, kleine Welt beschränkt. Ich möchte es noch nicht einmal als ausgemachten Helferkomplex bezeichnen, sondern eher als Treue, so wie er sich um Katsuya bemüht hat.
Der Weg ist das Ziel. Er war immer da, wenns brannte und hat immer die Hand hingehalten, um Andere zum eitermachen zu animieren - Ohne, dass er vor Vorurteilen nur so stank oder ihm eine Mutmaßung über die Lippen gerutscht ist. Sollte Yami wirklich einmal so abrutschen, dann denke ich auch, dass er genauso reagieren würde. So und nicht anders.

Yugi:
Gut.. Bei dem muss ich sagen, dass er einer der Wenigen ist, die OOC geworden sind.
Der Ansatz und die Grundstimmung ist richtig, nur zahlt sich eine Freundschaft bei ihm auch in der eigenen Treue aus. Er ist in der FF zu stark in sich selbst versunken und beharrt zu sehr auf den Standpunkt - Wahrscheinlich aber, um das GEgenteil von Atemu dar zu stellen.
Der Yuugi aus der Serie, ist dann doch etwas tolleranter. Wenn es so ist, dann ist es so. So in der Art eben.
Der Beruf, ist wie bei Seto Kaiba, eher Berufung....

Nebendarsteller:
Sie haben alle andere Rollen und ihre anderen Leben. Die Grundcharakterzüge bleiben, werden jedoch in die GEschichte eingeflochten, in welcher sie eben nur eine Nebenrolle spielen.
Damit müssen die Charaktere, aber auch die Leser leben. Kann man auch, denn keiner wurde so dargestellt, dass es abwegig erscheinen würde, würde sich genau so alles entwickeln.

Uff.. Weiter gehts.

Fazit zu der Geschichte:
Erstmal zu Deinem Schreibstil. Sicherlich musste man sich erst dran gewöhnen, dass jemand ausschweifend, informativ und doch durchgängig detailreich schreibt. Selten habe ich eine so gut umschriebene Sexszene gelesen, wie die, die sich hier in der FF befand. Ebenso stachen die vielen, kleinen Ereignisse hervor, welche sich aber so in den Plot intigrierten, sodass es nicht abgerissen oder stockend wirkte.
Dennoch... Ich bin der Meinung, dass Atemu promovieren sollte.. Schön auf Lehramt.. XD
Nein, im Ernst.
Deine Fanfic zeichnet etwas ganz bestimmtes aus. Etwas, was ich in der Form noch in keiner anderen gefunden habe, bis auf wenige.
Die Nähe. Nicht der körperliche Akt in Form von Küssen oder Sex stand im Vordergrund, sondern die seelische Nähe zueinander - Eigentlich ja der Fakt, der die Entwicklung ausmachen sollte. Zumindest bei den Meisten.
Man konnte sich super reinversetzen und hat die Handlungen, sowie auch die eigentliche Annährung blind verstanden.
Man konnte sie als Leser fühlen.
Auch, dass von Seiten Setos nie ein: Ich liebe Dich oder auch nur anderweitig etwas in der Richtung gefallen ist, macht die Story aus.
Es stört nicht einmal, dass die Entwicklung solange dauerte. Im Gegenteil. Alles andere hätte die Story weder zugelassen, noch gerechtfertigt.
Bevor etwas entstehen konnte, mussten beide erstmal aus ihrer Haut. Nichts kam von Heute auf Morgen, sondern war einer beständigen Entwicklung unterworfen...
Was soll ich noch groß dazu sagen?
Ich habe das geschrieben, was ich dachte; Was ich beim lesen empfand.

Mir ist auch aufgefallen, wie sehr sich in den Kaptiteln teilweise die Stimmungen ändern konnten. Von dark und ziemlich Böse, bis hin zu lustig, gemischt mit einer ordentlichen Portion Galgenhumor, Slapstick und Zynismus.
Das Lebensbild, welche manche Charaktere selbstkritisch erschaffen haben, lockert die gesamte Sache sehr auf und dennoch bleibt alles auf dem Untergrund haften, dass es eine ernsthafte Story ist, mit einen wahren Hintergrund und ebensolchen Charakteren.
Selbst Yamis Psycholohiestunden, wirkten nicht einschläfernd, sondern halfen dabei die Personen und sich selbst ein Stück weit besser zu verstehen.
Bemerkenswert ist auch, dass Du die Sicht Katsuyas konsequent durchgezogen hast. Wie ein Vogel schwebt man über dem Geschehen und ist dennoch mitten drin. Herrlich mit anzusehen und es anbei zu fühlen.

Eine Szene ist mir im Kopf beblieben.
Katsuya erwischt Atemu zusammen mit seinen ominösen Dauerkunden...
Es spicht die Verzweiflung darauf, die jeder bei einen so offensichtlichen Betrug empfinden würde, wenngleich die Reaktionen nicht alltäglich waren.
Dennoch.. Die Überraschung, der Stich ins Herz, die Flucht, auch die Innere, haben mich wachgerüttelt und staunen lassen. Nicht weil es abwegig ist, sondern weil es genau das beschreibt, was in jedem von uns in dem Augenblick vorgehen würde. Nicht mehr und nicht weniger.
Niemand kann sich von solcherlei Gefühlen frei machen und auch wenn man sagt: So würde ich nie reagieren!, tut man es doch. Weil es eben ein ehrliches Gefühl und eine rein menschliche Regung ist. Nichts also, was man verurteilen kann. So versteht man vielleicht, sollte es einem selbst so auch einmal passieren, was man denkt, wenn die Flucht der einzige Weg ist nicht zusammen zu brechen.

So einige Menschen die ich kenne, können sich eine Problemlösungsscheibe abschneiden, wie ich finde. Die Fanfic zeigt als literarisches Werk solcherlei Wege auf, ohne überladen zu wirken. Jeder kann sich daraus etwas entnehmen.. und ich denke auch, dass jeder eine gewisse Ähnlichkeit mit sich finden wird - Vielleicht nicht in allen, aber zumindest in mancherlei Begebenheiten.

Achtung!
Dieses Kommentar bezieht sich nur auf den Ersten Teil der Fanfic! Nicht auf die, die noch unter anderen Namen kommen mögen.
Weder kenne ich den Zweiten schon, noch kann ich dort Ereignisse benennen. Deswegen seht es mir nach, sollte ich einmal eine Veränderung nicht mitbekommen und deswegen falsch bewertet haben.

PS:
Rechtschreibfehler, sowie etwaige BB-Code-Fehler, sind der Tageszeit geschuldet und dürfen deswegen ignoriert werden.

Von:  Lunata79
2012-09-30T20:45:31+00:00 30.09.2012 22:45
Hui! Das war echt ... spannend, mitreißend, Stellen zum Lachen, wie zum Entsetzen, aber vor allem sehr interessant und lehrreich. Habe mich eigentlich nie wirklich für Psychologie interessiert, aber als ich den Vortrag von Ryou gelesen hab, konnte ich echt nicht still sitzen. Ich war von der ganzen FF total gefesselt.
Freu mich richtig auf den zweiten Teil.

Lg
Lunata79

PS: Konnte mich sogar in dem gesagten über die Psyche des Menschen wiederfinden. Wenns möglich ist, hätte ich gern die ganzen Aussagen irgendwie zusammen gefasst. Aber nur wenns keine Umstände macht. Würde mich gerne näher damit befassen.
Von:  Ansay
2012-02-15T10:38:40+00:00 15.02.2012 11:38
So bis hier hin habe ich es seit gestern geschafft xDDDD
Die FF ist wirklich gut gelungen und es wundert mich überhaupt nicht das du sie als Buch verlegen konntest OO
Was aber auffällt,ich kenne Meine Mediaplayer und ich muss sagen Samsas Traum und Hypnogaia passen super zu deiner FF ^^
So dann les ich mal weiter
*neugierig ist*
Von:  Lunatik
2011-07-04T22:43:33+00:00 05.07.2011 00:43
...Die Meiji-Zeit fing erst 1868 an... Demnach auch die Buddhistenverfolgung... Es ist auch nie im Leben genug Stoff um 2 Wochen damit zu füllen, diesen Abschnitt kann man in einer halben Stunde abhandeln, wenn man es ausführlich macht, sogar aus den Gesichtspunkten des Religionsunterrichts heraus.
(Übrigens nennt man es nicht "Regime", sondern eher Zeit. Vorallem da in Japan danach auch teilweise gerechnet wird. "Meiji" ist ein nengo, also die Divise unter der ein Zeitabschnitt steht und wir von tennôs eig. frei nach Schnauze verkündet)

Das nur um die geschichtliche Korrektheit zu wahren ^^
*knuddel*
your daughter


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