Zum Inhalt der Seite

Kaibas Herz

Seto x Joey
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Herzschlag

Das ist nur eine nächtliche, ziemlich spontan und schnell entstandende FF. Sie ist irgendwie seltsam geworden, auch wenn ich nicht genau drauf deuten kann und sagen was es eigentlich ist. *drop*
 

Vielleicht gefällt es ja trotzdem irgendwem. ^^
 

Pairing: Hints auf Seto Kaiba x Joey Wheeler
 


 

***
 

Ich will nicht. Das ist doch dämlich ...

Ich will das nicht tun.
 

"Finger weg!" werde ich angemacht.
 

"Denkst du, ich bin scharf drauf?!"
 

"Leg auch nur eine deiner schmutzigen Hundepfoten an mich - und du wirst es bereuen, Wheeler!"
 

Deine Stimme klingt eisig. Wie immer. Der Blick mit dem du mich durchbohrst ist auch nicht grade hilfreich. Was soll ich tun? Jetzt stehe ich widerwillig neben dir und weiß nicht was ich tun soll.
 

"Zuerst legt sich ihr Partner auf den Boden ..."

Von weit weg klingt die strenge Stimme von Frau Ayami an meine Ohren. Die ist witzig ... mein Partner würde mich grade lieber erdolchen als sich vor mir auf den Boden zu legen.

Ich werfe einen kurzen, hilflosen Blick rüber zu Tristan und Tea, aber sie sind zu beschäftigt um mich zu bemerken. Yugi ... musst du ausgerechnet heute krank sein? Sonst wärst du jetzt mein Partner und wir hätten sicher jede Menge Spaß bei dieser dämlichen Übung. Ich werfe einen Seitenblick auf Kaiba, der rigoros ablehnend und mit verschränkten Armen neben mit steht. Ich darf mich nicht weigern ... wenn ich noch eine sechs in diesem selten dämlichen Fach bekomme, werde ich durchfallen. Auch wenn er aussieht, als würde er mich jeden Moment an die nächst beste Wand werfen ...ich darf mich nicht weigern.
 

"Kaiba! Wheeler! Gibt es bei ihnen irgendeinen Problem?"

Ihre scharfe Stimme hallt durch die ganze Turnhalle und sämtliche Köpfe fliegen interessiert zu uns herum. Ich schüttele hastig den Kopf. Nein. Kein Problem. Ehrlich nicht ...

Zu meiner Überraschung bist du ebenfalls still. Keins der erwarteten Widerworte. Ein rascher Seitenblick und ich sehe, dass du deine Zähne so fest zusammengebissen hast, dass es schon vom hinsehen schmerzt. Wieso bist du denn angespannt? Du fliegst ja nicht durch, wenn du dich weigerst ...
 

"Hör zu, ich finde das auch nicht wirklich prickelnd, was wir hier tun sollen, aber verdammt, ich muss ...!" fieberhaft suche ich nach irgendwelchen überzeugenden Argumenten, wieso wir das jetzt bitte, bitte, so schnell wie möglich hinter uns bringen sollten.
 

"Sei still!" werde ich unfreundlich angeraunzt. "Und leg dich gefälligst hin!"
 

Aus großen, überraschten Augen starre ich dich an, zu perplex um zu gehorchen.
 

"Wirds bald?" Der Griff um mein Handgelenk mit dem du mich zu Boden zwingst ist unnachgiebig und hart. "Ich möchte dieses lächerliche Affentheater so schnell wie möglich hinter mich bringen."
 

Ich unterdrücke ein leises, schmerzerfülltes Winseln angesichts deiner rauen Behandlung, aber lege mich folgsam auf den Rücken. Starre immer noch aus großen Augen zu dir hoch. Du siehst mich an wie ein giftiges Insekt. Versuchst mir ja nicht zu nahe zu kommen, während du dich elegant neben mir niederlässt. Aber was soll ich sagen - ich bin ja dankbar, dass du es überhaupt machen willst.
 

"Derjenige, der auf dem Boden liegt, versucht sich zu entspannen. Atmet ganz ruhig ein und aus, lasst eure Gelenke ganz weich und biegsam werden und überlasst alles weitere eurem Partner."

Entspannen? Es ist schwer sich zu entspannen, wenn du mich mit deinen eisigen Augen praktisch zu durchbohren scheinst. Mein Bauch hebt sich schneller als gewöhnlich und irgendwo tief drinnen wird mir vage bewusst, dass ich nervös bin. Nervös ... ausgerechnet vor dir? Niemals.
 

Die Stimme von Frau Ayami dringt wie durch Watte gepackt zu mir, es sind nur einzelne Wortfetzen die bei mir überhaupt ankommen. Vermutlich sollte ich froh sein, dass du grade der aktive Part bist, da meine eigene Aufmerksamkeitsspanne grade auf Null ist. Aktiver Part? Okay ... irgendwie klingt das jetzt missverständlich.
 

"... jetzt die Beine hoch."
 

"Vielleicht solltest du ...", schlage ich hilfreich vor, werde aber sofort rüde abgewürgt.
 

"ICH mache das. Wenn du auch nur mit der Wimper zuckst, kannst du was erleben, Wheeler!" zischt deine Stimme dicht an meinem Ohr, bevor du mir einen weiteren finsteren Blick zuwirfst.

Wie kann ein einzelner Mensch nur so kalt und fies sein? Arrogantes Arschloch.
 

Du greifst nach meinen Beinen und ich zucke beinah zusammen, angesichts des unerwarteten Körperkontakts. Lieblos werden sie von dir hochgerissen und auf ein Polster fallen gelassen. Ich bin entspannt ... ganz entspannt ... nur ruhig bleiben ... einatmen ...ausatmen ... entspannen ... bis 100 zählen ...
 

"Pass doch auf, du Idiot!" fauche ich. Da geht sie hin die Entspannung. Entschwindet, was ich jetzt weniger toll finde. Gleichzeitig finde ich auch nicht unbedingt nett, wie du hier mit meinen Gliedmaßen umspringst. Ich bin ja nicht aus Gummi - das tut doch weh!
 

"Hör auf zu winseln, Köter!"
 

Na bitte. Die seltsame, gedrückte Stimmung von eben scheint vorbei zu sein. Das hört sich doch gleich viel mehr nach uns an. Moment mal ... sagte ich da grade uns? Schwachsinn. Es gibt kein uns. Nur dich und mich und ich habe jetzt schon keine Lust mehr.
 

"Beatmung!" donnert Frau Ayamis laute Stimme in mein Bewusstsein. Wir zucken beinah gleichzeitig zusammen. Argh! Wieso werde ich jetzt rot? Das ist doch bescheuert.
 

Dein Gesicht ist plötzlich genau über meinem, als du dich über mich beugst und du funkelst mich finster an.

"Starr mich bloß nicht so an!" befiehlst du knapp. "Augen zu." Ich kann nicht fassen in welcher Geschwindigkeit mein Bauch sich grade hebt und senkt. Das darf medizinisch überhaupt nicht vertretbar sein. Vermutlich ist dass die Todesangst, weil ich mich ja nicht wehren kann, wenn du irgendwas fieses mit mir vorhast. Ja, genau.
 

Langsam und widerwillig mache ich die Augen zu ... und dein Gesicht ist das Letzte was aus meiner Peripherie verschwindet. Eigentlich müssest du jetzt aus meiner Wahrnehmung verschwunden sein, aber als wollten sie den Verlust des Sehens irgendwie ausgleichen stellen sämtliche meiner anderen Sinne plötzlich auf höchste Schärfe um.
 

" ...Kinn leicht anheben ... richtige Position achten ...nicht zu sehr ..."
 

Erste Hilfe Kurs? Ich werde hier draufgehen - ich weiß es. Nichts mehr da, was das qualvolle Ende des jungen, unschuldigen Joey Wheeler noch aufhalten könnte. Deine Hand ist unter meinem Kinn, widerstrebend und zögernd, aber wesentlich sanfter als erwartet drehst du mein Gesicht zu dir. Augen zu, Augen zu, Augen zu ...
 

" ... beugen sich über ihren Partner ..."
 

Ich höre das Rascheln deiner Kleidung, als du dich bewegst. Komisch, ich dachte immer, deine Hände wären kalt ... so wie du. Aber sie sind ganz warm, als du mich festhältst.

Ich bekomme gleich einen Herzinfarkt. Das ist doch nicht ... wahr ... Das kann doch nicht wahr sein ...

Oh Gott ...

Komischerweise empfinde ich gar keinen Widerwillen ... nur Schiss, Schiss ohne Ende: Aber keinerlei Widerwillen bei dem Gedanken, dass du gleich ...
 

"...Position wie auf den Schaubildern ..."
 

Etwas Warmes streift meine Lippen. Dein Atem. Oh Gott ... das darf nicht wahr sein. AugenzuAugenzuAugenzuAugenzuAugenzuAugenzuAugenzuAugenzu!!! Ich kann praktisch spüren wie du näher kommst, dich immer tiefer über mich beugst ...
 

"Das ist natürlich nur zu Verdeutlichung! Deshalb halten sie jetzt die Position ... sie müssen sich keine wirkliche Mund-zu-Mund-Beatmung geben."
 

Du hältst inne. Millimeter von meinen Lippen entfernt. Ich bin steif gefroren ...wie eine Tiefkühlpizza. Keiner von uns bewegt sich und ich wage es nicht die Augen aufzumachen. Dein Gesicht ist ganz nah bei meinem ...ich kann es spüren. Ich kann beinah spüren wie deine Lippen sich bewegen ... so dicht über meinen schweben sie grade. Aber noch berühren sie sich nicht. Und deine Hand ist immer noch unter meinem Kinn. Gefährlich nah an meiner Kehle ... meinem sich heftig bewegenden Adamsapfel. Ich habe mich noch sie so verwundbar vor dir gefühlt. Und ich kann meine Augen nicht öffnen.

Herzrasen. Ob dich diese unerwartete Nähe auch so nervös macht? Oder geht dir das an deinem knochigen Arsch vorbei, wie alles andere auch? Immer wenn ich mir vorstelle, wie dein Körper sich anfühlt, dann denke ich dabei an Eis. Als ob du ganz kalt und steif bist. Als ob da nicht einmal Blut durch deine Adern pulsiert. Kann man so jemanden überhaupt wieder beleben? Und wieso denke ich grade so einen Müll?
 

"...Positionswechsel ..."
 

Langsam verschwindet deine Hand an meiner Kehle und ich darf meinen Kopf wieder sinken lassen. Die Stelle, wo deine Finger mich eben berührt haben, wird seltsam kalt ohne deine Wärme. Blinzelnd öffne ich die Augen. Dein Gesicht ist unscharf und verschwommen über mir. Nicht mehr so nah, aber nah genug.
 

"Guck nicht so dämlich!" Beinah ärgerlich drehst du den Kopf weg. Mir fällt nicht einmal eine Beleidigung ein, die ich darauf erwidern kann. Mein Kopf ist wie leer gefegt.
 

"Los, mach schon ..." deine Zähne sind wieder zusammengebissen. "Wir sollen die Plätze tauschen. Steh auf!"
 

Moment, verstehe ich das richtig? Meine Beine fühlen sich an wie aus Gummi, als ich mich aufsetzte und dir den Platz auf der Matte freimache. Dass darf nicht wahr sein ...bin ich jetzt der aktive Part? Yeah ...?

Toll, was mache ich jetzt, wenn Kaiba mich umbringt weil ich ihn irgendwo anfassen soll?
 

"Eine falsche Bewegung - und du bist tot, Wheeler!" zischst du und der Blick, den du mir zuwirfst, ist mörderisch, als du dich auf die Matte legst. Na toll, das hatte ich ja befürchtet.
 

"Hallo? Bin ich unfähig?! Ich weiß schon was ich tue!" Oh. Ich kann ja doch noch reden. Das ist praktisch.
 

"... entspannen ...vollkommen ihrem Partner überlassen ..." Frau Ayami sülzt weiter herum und obwohl ich jetzt wirklich zuhören sollte, kann ich nicht aufhören Kaiba anzustarren, der vor mir liegt und mich anfunkelt. Sein Körper ist ungefähr so entspannt, als läge er auf einer Ladung Glasscherben. Ich habe das dumpfe Gefühl, dass wird gleich nicht lustig.
 

"Glotz nicht! Mach endlich was!" knurrst du, so plötzlich, dass ich überrascht zusammenzucke. "Wir müssen das ja nicht unbedingt länger als nötig hinausziehen!"
 

Dieser Idiot! Den kann man doch gar nicht mehr wieder beleben - so lange ist der schon scheintot! Gefühlskalter, egoistischer ... Blödmann!!
 

"Entspann dich!" fauche ich zurück.
 

Eine schmale, fein gezeichnete Augenbraue hebt sich spöttisch. "Oha ... wird das Hündchen etwa dominant?"
 

"Ich bin kein Hund!" Toll, jetzt bin ich derjenige, der sich nicht entspannen kann. Dafür scheint er etwas entspannter zu werden, scheinbar ist es beruhigend für ihn wenn er mich beleidigen darf. Tz.
 

"...Puls fühlen ..."
 

Argh. Jetzt habe ich schon wieder nicht zugehört. Was soll ich tun? Ein kurzer Blick nach drüben verrät mir dass die anderen offenbar alle grade Händchen halten mit ihrem Partner spielen. Das ist nicht ihr Ernst, oder? Ich werfe einen Hilfesuchenden Blick zu Kaiba, welcher in einer Geste absolut überstrapazierter Geduld die Augen verdreht und seinen Arm so umdreht, dass seine Handinnenfläche zu mir zeigt.
 

"Wir spielen jetzt "Such den Puls", Köter!" sagt er mit vor Spott triefender Stimme.
 

Okay, das heißt ja wohl, ich darf ihn anfassen, oder? Unsicher greife ich nach seinem Handgelenk und hebe es an. Auch wenn er mich mit Blicken erdolchte, überlebe ich diesen Schritt, was wohl ein gutes Zeichen ist. Er hält tatsächlich still und überlässt mir seinen Arm.

Ich habe mich eben nicht getäuscht ...er ist wirklich ganz warm. Warm und lebendig. Sein Handgelenk ist viel schmaler als ich erwartet hatte ... beinah zerbrechlich. Zwar eindeutig das eines Jungen, aber irgendwie schmaler, knochiger, als ich dachte. Ich hatte wirklich nicht vor so behutsam zu sein, aber jetzt kann ich gar nicht anders.

Seine Haut ist warm und glatt unter meinen Fingern, aber so sehr ich auch taste ... ich spüre nichts was ich eindeutig als Puls identifizieren kann. Da ist eine Art Flattern in meinen Fingern, aber das ist wohl mein eigener Puls.

Er hat keinen Puls - ich wusste es ja. Scheintot. Vermutlich wird er jeden Morgen aufgezogen wie das Duracell-Häschen aus der Werbung. Also irgendwie ist das doch beunruhigend. Er scheint meinem ratlosen Gesichtsausdruck zu entnehmen, was in mir vorgeht, denn er verzieht entnervt das Gesicht.
 

"Du entpuppst also mal wieder als absolut unfähig. Welche Überraschung!" Arsch. Ich funkele ihn böse an. Was kann ich denn dafür, wenn du so ein gefühlloser Gefrierschrank bist?
 

"... bei manchen Menschen schwer zu finden ... braucht einiges an Übung ... Falls sie sich unsicher sind, versuchen sie es jetzt an der Halsschlagader!"
 

Na bitte. Das ist nicht meine Schuld, klar? Offenbar hast du ihre Aufforderung auch gehört, denn du entziehst mir prompt dein Handgelenk in einer ruppigen Bewegung. Dein Blick ist mal wieder absolut nicht gesundheitsfördernd für mich.
 

"Hör mal - was kann ich denn dafür?" versuche ich mich zu rechtfertigen. "Guck nicht so. Ich erwürge dich schon nicht, okay ...?"
 

"Falls ich jemals in einer lebensbedrohlichen Situation stecken sollte - lass es dir ja nicht einfallen mir erste Hilfe zu leisten!" knurrst du. "Ich überlebe ja viel, aber das garantiert nicht."
 

Zögernd rutschte ich weiter nach vorne, so dass ich dir direkt ins Gesicht sehen kann. Langsam und vorsichtig strecke ich die Hand nach deinem Hals aus. Zugegeben - würden wir das grade mit vertauschten Rollen machen, würde ich mich definitiv nicht wohl fühlen. Es ist schon beklemmend wie wenig Druck auf den Kehlkopf schon ausreicht um Sauerstoffmangel und Atemnot auszulösen.
 

Du hältst still, als meine Finger sanft deine Kehle berühren. Du zuckst nicht einmal zusammen, aber dein Blick verlässt nicht einmal mein Gesicht. Keine Sorge ... ich bin ganz vorsichtig ... ich verspreche es.

Du schluckst und ich kann die sachte Bewegung deines Kehlkopfes unter meinen Fingerspitzen spüren. Da lebt also doch etwas ... Kaiba, Kaiba, wer hätte das gedacht.
 

Meine Finger zittern, als sie vorsichtig höher fahren, an die Stelle, die auf einem überdimensionalen Schaubild an die Wand projiziert wird. Schon wieder bin ich überrascht wie weich und warm deine Haut ist.
 

Deine Pupillen zucken etwas, weiten sich ein kleines bisschen, aber das ist die einzige Regung, die preisgibt, dass du dich nicht wirklich wohl fühlst grade. Gehe ich dir etwa unter Haut, Kaiba? Spürst du meine Anwesenheit ... so wie es bei mir manchmal ist? Mache ich dich nervös ...?
 

Da ... was ...? Das ist ...

Ich halte inne. Starre dich an. Fasziniert. Ungläubig. Dieses Pochen unter meinen Fingern ... ist das dein Herzschlag? Mein Gott ... das ist es ...dein Herz ...

Seto Kaibas Herz.

Fest und gleichmäßig klopft es unter meinen Fingern. Es ist kräftiger, als ich erwartet hatte. Ein wenig beschleunigt ... okay, ich bin kein Arzt, woher merke ich, ob es beschleunigter ist als sonst? Fasziniert und atemlos lege ich die freie Hand auf meinen Brustkorb, direkt über mein eigenes schlagendes Herz. Beinah gleich schnell. Mein Herz. Dein Herz. Ich kann es nicht fassen. Ich merke plötzlich, dass ich dich anstrahle. Verzückt und in höchstem Maße fasziniert. Das ist dein Herz ... ich kann dein Herz fühlen, Kaiba.
 

"Das ist dein Herzschlag ...", hauche ich und starre dich an. Deinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hältst du mich spätestens jetzt für im höchsten Maße geisteskrank.
 

"Was denn ...?" du klingst beinah amüsiert. "Hast du gedacht, ich hätte keins?"
 

Ich weiß nicht ... Habe ich? Keine Ahnung ... Es ist komisch das spüren ... deinen Puls, so kräftig und lebendig. Du hältst ganz still und siehst mich unverwandt an ...hörst zum ersten Mal an diesem Tag auf mich zu kritisieren. Liegst einfach ganz still und lässt mich dein Herz fühlen. Direkt unter meinen Fingern schlägt es ... Lächelst du? Ich weiß nicht ... vermutlich amüsierst du dich nur über mich ... über meine Begeisterung ... aber es ist trotzdem seltsam dich lächeln zu sehen.

Frau Ayami erzählt immer weiter, bellt ihre Kommandos durch die Turnhalle, wir sollen irgendetwas machen, rechts und links werden die Anderen aktiv ... ich bekomme nichts mit. Ich bin dir so dankbar, dass du stillhältst. Sitze einfach da wie ein Idiot und lächele dich an ...

...dein Herzschlag unter meinen Fingern.
 

^Fin?^

Ein Lächeln

Eigentlich war diese Fortsetzung nie wirklich geplant. *drop* Aber ich bin grade absolut besessen von den Beiden und kann nicht aufhören über sie zu schreiben. ^^**

Warnung: Irgendwie ist dieses Kapitel dämlich .... O.O *nicht weiß wie immer auf solche Ideen kommt*
 


 

***
 

~ Everytime I try to make you smile

You're always feeling sorry for yourself

Everytime I try to make you laugh

You can't you're too tough

You think you're loveless

Is that too much that I'm asking for? ~
 

(Avril Lavigné "Too much to ask for")
 

***
 

Das Leben ist eine Achterbahn. Es geht Schwindel erregend rauf und wieder runter und in den Kurven wird dir schlecht. Und jedes Mal wenn deine Fahrt wieder nach unten geht, hast du das Gefühl spätestens jetzt als farbiger Matschfleck auf dem Boden zu enden.
 

"Bei nächster Gelegenheit wirst du das bereuen, Köter...!"
 

"Was habe ich wieder getan?!"
 

Mein Leben hatte seine Tiefpunkte. Um ehrlich zu sein hatte es schon unglaublich viele und wirklich unglaublich tiefe Tiefpunkte.
 

"Das ist deine Schuld!"
 

"Ist es nicht! Und wenn nicht allein!"
 

Aber die absolute Krönung, der ultimative Aufschlag, sozusagen der Tiefpunkt aller Tiefpunkte war der Moment in dem mein Lehrer mir versuchte zu verklickern, dass ich einen verdammten Frosch fangen sollte, damit er ihn für uns sezieren konnte.
 

"Kommst du mir blöde, Wheeler?" Seine Augen werden schmal und nicht zum ersten Mal fällt mir auf was für edel geformte Katzenaugen er hat.
 

"Hallo? Wieso ist das wieder meine Schuld?" fauche ich zurück. "DU hast doch angefangen!" Mir ist heiß. Mein T-Shirt klebt an meinem Oberkörper. Scheiß Sommer. Scheiß Hitze. Scheiß Sumpf. Was für ein Sumpf, fragt ihr? Der Sumpf formerly known as our Schulgarten.
 

"Sein endlich still!" werde ich unfreundlich angeschnauzt. "Du bist schließlich der jenige, der verschlafen hat und dann mitten in sein Experiment geplatzt ist!"
 

"Da bin ich jawohl nicht der Einzige!"
 

Ein Frosch. Ich fasse es nicht.

Mit funkelnden Augen und erhitzten Gesichtern stehen wir uns gegenüber. Schon wieder regt er mich so auf, dieser ... dieser Idiot!! Immerhin ist es seine Schuld, dass er mich so provozieren musste. Sonst hätte ich ja nicht aus Versehen den Versuchsaufbau vom Tisch gefegt, als ich mich auf ihn stürzen wollte. Dass wir beide auch noch zu spät gekommen sind, machte das Ganze nicht grade besser.

Ja, Tatsache! Holt die Fanfaren raus - Seto Kaiba kam zu spät zur Schule! Das war ein praktisch unerhörtes, da bis dato noch niemals eingetretenes Ereignis. Ich weiß bis jetzt nicht wie ich mit diesem Trauma fertig werden soll. Scherz.

Im Gegensatz zu mir sah er genervt und angepisst aus als er endlich eintraf und warf unserem Lehrer einen Blick zu, als machte er ihn persönlich dafür verantwortlich, dass er früher mit dem Unterricht angefangen hatte, als Kaiba bereit war sich einzufinden. Dass das nicht gut ankam, war klar.
 

Im Endeffekt gebe ich uns beiden die Schuld, so fifty-fifty, dass er uns schließlich rausgeschmissen hat. Na ja, so ganz unter uns - eigentlich sind es mindestens 70 Prozent Kaibas Schuld.
 

"Tu bloß nicht so erhaben! Du warst genauso spät wie ich!" Bitte, das muss ja mal klar gestellt werden. Und er hat immerhin einen persönlichen Chauffeur, der ihn zur Schule bringt.
 

"Werd nicht lächerlich. Das ist überhaupt nicht vergleichbar!" Seine Augen sind voller Verachtung. Es sind immer seine Augen, die seine Gefühle preisgeben - das Ausdrucksvollste an seinem sonst so unbeweglichen Gesicht. "Im Gegensatz zu dir habe ich einen verdammt guten Grund und nicht nur die erbärmlich Ausrede, dass ich verschlafen habe. Was hast du in deinem nutzlosen Versagerleben schon zu tun ..."
 

Ach, leck mich! Was weißt du schon ... Sauer wende ich mich von ihm ab und kicke einen Stein durchs beinah kniehohe Gras. Ehrlich - unser Schulgarten ist dermaßen übel verwahrlost ...

Ich bin kein Versager. Auch wenn du das immer von mir denkst und mir nicht grade zum ersten Mal an den Kopf wirfst. Ich sollte daran gewöhnt sein. Und eigentlich bin ich jetzt dran dir zu versichern, was für ein gefühlskaltes Arschloch du bist. So laufen unsere Argumente doch jedes Mal, nicht wahr?

Ich bin kein Versager ... es tut weh, wenn du das denkst.
 

Es ist albern. Es ist dämlich. Es ist geradezu lächerlich. Aber irgendwie ist alles anders, seit ich weiß, dass Kaiba ein Herz hat.

Ja, lacht ruhig. Ich will damit nicht sagen, dass es mein komplettes Leben umkrempelt, nur weil ich einmal seinen blöden Puls fühlen durfte, aber ... jedes Mal wenn wir jetzt anfangen uns anzugiften, dann kann ich nicht anders ... ich muss an das kräftige, gleichmäßige Pochen unter meinen Fingern denken und dann kann ich nicht mehr zurückfauchen. Es macht ihn so unglaublich ... warm ... und sanft ... und lebendig ...

Weiß der Geier, was er darüber denkt, dass ich plötzlich mitten in unseren Argumenten innehalte und nichts Beleidigendes mehr erwidern kann. Ihn bloß aus großen Hundeaugen ansehe und schlucke, schlucke ... so lange bis diese Kloß aus meiner Kehle verschwunden ist. Wenn er denn überhaupt was dazu denkt. Meistens hebt er nur eine elegant geschwungene Augenbraue und wendet sich mit einem verächtlichen Schnauben ab.
 

Genau wie jetzt. Er wendet sich ab. Immerhin ... er lässt mich in Ruhe. Jetzt weiß ich nicht ob ich mich darüber freuen soll oder nicht. Es ist eins der ungelösten Rätsel des Universums wieso es mich jedes Mal deprimiert wenn Kaiba mich ausnahmsweise zufrieden lässt.
 

Ich schraube an dem Glas herum, dass Herr Kazuka mir gegeben hat. Die Preisfrage lautet jetzt wie ich da einen Frosch hereinbekomme - und das bis Ende der Stunde damit ich nicht nachsitzen muss. Beziehungsweise wie WIR einen Frosch da hereinbekommen, damit WIR nicht nachsitzen müssen ... aber irgendwie habe ich das dumpfe Gefühl, dass es im Endeffekt doch wieder alles an mir hängen bleibt. Als ob sich schon jemals ein Lehrer getraut hätte Kaiba nachsitzen zu lassen. Ich kann es ihnen nicht verübeln. Nicht einmal ich würde mich trauen ihn nachsitzen zu lassen.
 

Ich werfe einen suchenden Blick nach rechts und links über das meterhohe Gras hinweg. Bei der flirrenden Hitze da jetzt herumzukriechen ist wirklich alles andere als verlockend ...

Falls hier irgendwo ein selbstmordgefährdeter Frosch sitzt - bitte melden!
 

"Okay", sage ich fest entschlossen und schraube nachdrücklich den Deckel auf. "Wir gehen das jetzt ganz methodisch an! Wenn ich ein Frosch wäre - wo würde ich sein?"
 

"Oh Gott ..." Er verdreht die Augen. "Da du offensichtlich der unfähigste Frosch wärst, den die Welt je gesehen hat - würdest du an einem Autoreifen kleben! Wheeler, manchmal kann ich kaum fassen, wie du mit diesem IQ jemals die Grundschule geschafft hast!"
 

Ach, sei still. "Hey, du bist doch auch grade nicht wirklich produktiv - Mr. "Jugendliches-Genie-mit-der-eigenen-Hightech-Firma"!" fauche ich zurück.
 

"Was erwartest du jetzt von mir, du Komiker?! Soll ich unser Satellitensuchsystem auf einen Frosch hetzen? Sehr intelligente Idee ..."
 

"Nein. Aber sei doch zur Abwechslung mal ein bisschen hilfreich und mach mich nicht dauernd fertig!" Eben. Das ist überhaupt nicht produktiv. Und es tut mir weh ...
 

Darauf antwortet er nicht. Stattdessen massiert er mit verzogenem Gesichtsausdruck seine Schläfen. Täuscht das ... oder sieht er irgendwie müde aus?
 

Bevor ich fragen kann, öffnet sich eins der eisblauen Augen und fixiert mich mit einem scharfen Seitenblick. "Bevor du hier ein weiteres Schauspiel deiner Unfähigkeit ablieferst für das ich im Augenblick einfach keine Geduld und keine Zeit habe, Köter, würde ich dir mal den dringenden Tipp geben es in der Nähe eines stehenden Gewässers zu versuchen."
 

Mal abgesehen davon, dass er ein Arsch ist und wieder äußerst erfolgreich auf meinen Gefühlen herumtrampelt - er hat Recht. Scheiße. Das ist echt eine seiner unangenehmsten Charaktereigenschaften ... muss der eigentlich immer alles wissen?
 

"Schulteich", folgere ich messerscharf und ohne auf seine Beleidigung einzugehen. Da dürfte es vor Fröschen nur so wimmeln. Ratlos drehe ich mich einmal um die eigene Achse. Irgendwo hier unter dem wild vor sich hinwuchernden Gras und Unkraut muss irgendwo der, schon seit Jahren stilvoll vor sich hinmodernde Teich existieren, welcher irgendwann mal angelegt wurde, als ich noch in der Unterstufe war. Seine Antwort besteht nur aus einem erschöpften Nicken. Er sieht wirklich müde aus. Nicht, dass es mich interessieren würde ...

Okay zugegeben, langsam werde ich doch neugierig - was ist los mit ihm?
 

Ich komme mir vor wie im Dschungel als wir durch kniehohes, stacheliges Gras stapfen. Die Temperaturen sind ungefähr genauso tropisch und feucht wie dort. Alles an mir klebt und ich wette zu meinen Füssen wimmelt es nur so vor Taranteln und Schlangen und Skorpionen. Oder wenigstens Insekten, Mäusen und Kriechtieren. Was für ein durch und durch beschissener Tag. Alles was ich brauche ist eine Peitsche und du darfst mich Indiana Jones nennen, Kaiba-Boy.
 

"Halt mal." Ich drücke ihm das Glas in die Hand.

"Sehe ich aus wie ein Kammerdiener?" ist die unfreundliche Erwiderung.
 

Statt einer Antwort bleibe ich stehen und beginne mich aus der Jacke meiner Schuluniform zu schälen, die an mir klebt wie eine zweite Haut. Er betrachtet mich mit hochgezogenen Augenbrauen, als ich sie unordentlich um meine Hüften schlinge und vorne die Ärmel verknote. Irgendwie komme ich mir beobachtet vor.

"Hey, guck nicht auf meinen Hintern!"
 

"Sehr witzig, Köter. Was für ein Interesse sollte ich deiner Meinung nach an deinem kleinen, mageren Arsch haben?"
 

"Blanker Neid?" rate ich mit einem koketten Grinsen und werfe die Haare zurück. "Weil ich so umwerfend gut aussehend bin?" Ja, ja, ich weiß ... nicht sehr wahrscheinlich. Andererseits würde ich lieber sterben, mir die Zunge abbeißen, mir die Lippen zutackern, als ihm jemals zu sagen, dass er ebenfalls eine nette ... Rückansicht hat. Er hatte auch eine nette Vorderansicht. Aber dass ändert nichts an der Tatsache, dass er ein Arsch ist. Meistens.
 

Mit einem spöttischen Schnauben verschränkt er die Arme. "Wegen mir fang ruhig an zu strippen, Wheeler - wir haben ja Zeit."
 

"Es ist heiß - was kann ich dafür? Es hat ja nicht jeder ein eingebautes Gefrierfach so wie du!"
 

Darauf erwidert er schon wieder nichts. Langsam fängt es mich zu beunruhigen. Ich bin es nicht gewohnt so viele verbale Auseinandersetzungen hintereinander zu gewinnen und es bewirkt, dass ich mich irgendwie ... gemein fühle. Was ist nur los mit ihm? Ist er krank?
 

Gereizt schnappe ich nach dem Glas und marschiere weiter. So, das ist schon besser. Ich will eigentlich nicht mal über ihn nachdenken. Jetzt muss ich mich nur noch damit abfinden, dass mir die Jacke um die Beine herumhängt und meine Bewegungsfreiheit irgendwie einschränkt. Suchend drehe ich mich erneut um mich selbst. Gras, Gras. Büschelweise, meterhohes Gras. Mäht hier mal jemand den Rasen? "Man, hier muss doch irgendwo der blöde Teich ..."
 

Es quakt. "Da!" Wie elektrisiert fahre ich herum. "Hast du das gehört?!"

"Hm?" Er klingt schläfrig.

"Es hat gequakt!"
 

"Das könnte genauso gut eine von deinen Schrauben gewesen sein, die sich gelockert hat ..." Kaiba lehnt neben mir an einem Baum und unterdrückt ein Gähnen. Er hat die Arme verschränkt und den Kopf gesenkt und sieht aus, als würden seine Augen jeden Moment zufallen. Ich fass es nicht. Er ist sogar noch dann fies, wenn er übermüdet ist. Aber ... er sieht wirklich fertig aus.
 

"Was ist mit dir los?" frage ich zögernd. Irgendwas stimmt nicht. Das merke sogar ich.
 

"Nichts. Frag nicht so blöd!" Sofort richtet er sich wieder auf und macht wieder einen auf eisig. So als hätte ich das gar nicht mitbekommen dürfen, dass er hier vor Müdigkeit fast aus den Latschen kippt. Ach ja, ich vergaß ... ein Kaiba hat keine Schwächen, nicht wahr? Das kann nicht dein Ernst sein ...
 

Und wieder habe ich dieses "Herzschlag"-Gefühl, dass mich seit der Erste Hilfe-Übung von neulich nicht mehr loslässt. Als ob ich etwas von ihm spüren kann, was er nicht preisgeben will. Mir etwas zeigt, dass eigentlich niemand sehen darf.

So als ob ich meine Finger wieder direkt an seinem Hals habe ... und das warme, feste Schlagen seines Pulses unter ihnen spüren kann. Schwäche. Verletzlichkeit. Alles irgendwo begraben unter Bergen aus Eis.

Hastig drehe ich den Kopf weg, damit er nicht sieht was mit mir los ist. Es verwirrt mich, nagt an mir, beschäftigt mich ... lässt mich nicht mehr los, dieses Gefühl.

Ich bin so dumm ...
 

Es quakt erneut, diesmal nur wenige Meter von uns entfernt, und unsere Köpfe fliegen beinah synchron herum. "Ha!" sage ich triumphierend.
 

"Schon gut ... ich habe es gehört!" Er schnaubt abwehrend. "Schwing keine Reden, sondern versuch lieber das Vieh zu fangen, damit wir es hinter uns haben."
 

Er hat gut reden - jetzt wo ich darauf achte, scheinen die Geräusche von überall zu kommen. Frösche, Grillen ... Stechmücken. Ich liebe den Sommer. Alles wird aufgeschreckt als ich durch das meterhohe Gras vorwärts stolpere. Kaiba und Wheeler - zwei tapfere Abenteuer verschollen auf einer Expedition in den Schulgarten. Ihre Leichen wurden nie gefunden. Schluck. Wo verdammt ist der blöde Teich?
 

"Ich sollte den Gärtner verklagen ...", murmelt Kaiba hinter mir. Irgendwie scheinen seine Gedanken sich grade auf ähnlichen Bahnen zu bewegen wie auf meinen. "Das hier ist fahrlässige Körperverletzung."
 

"Es gibt keinen Gärtner!" Verschwitzte Haare kleben in meiner Stirn und pieksende Grashalme haben sich in meine Klamotten geschmuggelt. "Genau das ist ja das Problem!"

Ich bleibe stehen, dermaßen abrupt, dass Kaiba beinah in mich hineinläuft.
 

"Was zum Teufel ...?!" knurrt er ärgerlich.
 

"Shhhht!!"
 

Fasziniert starre ich auf das kleine, grüne Objekt, das nur wenige Meter von mir entfernt auf einem flachen Stein sitzt und vor sich hinquakt. Es geht beinah unter in den Tarnfarben, welche es seiner Umgebung so unglaublich ähnlich machen. Ein Frosch - das ist definitiv ein Frosch. Kröte? Whatever. Es ist unser Freifahrtschein!

Mein Herz klopft vor Aufregung.
 

"Schnell, wir brauchen eine Strategie!" flüstere ich aufgedreht. "Einen Plan - irgendwas."
 

Kaiba wirft einen abschätzigen Blick auf das kleine, grüne Tier. "Wheeler ... wir reden hier vermutlich von dem einzigen Lebewesen auf der Welt, dessen Gehirn eventuell noch kleiner ist als deins. Es dürfte nicht so schwer sein das zu fangen."
 

"Ha ha, sehr witzig!" zische ich zurück, bemüht nicht zu laut zu werden. "Hilf mir lieber! Es ist wohl kaum zu erwarten, dass ich einfach das Glas aufhalten muss und sie mir den Gefallen tut und freundlicherweise hineinhüpft!"
 

"Sie?"
 

Keine Ahnung ... wie komme ich jetzt darauf? Irgendwie sieht es aus wie ein Froschmädchen, so wie die da auf dem Stein sitzt und sich sonnt ... Okay, manchmal finde ich es selbst beunruhigend was in meinem Gehirn so vor sich geht. "Sieh sie dir doch an", flüstere ich. "Sieht sie nicht aus wie ein Mädchen?"
 

Komischerweise sieht er nicht sie an, sondern mich. Mit einem langen, durchdringenden Seitenblick unter dem dunklen Pony, der meinen Puls vor lauter Nervosität beschleunigt. "Hündchen", flüstert er zurück, "da siehst sogar eher du aus wie ein Mädchen."
 

HÜNDCHEN???

Hallo?! Was soll das denn heißen? Scheiße, mir fällt nicht einmal eine passende Beleidigung darauf ein! Ich bin ja an vieles gewöhnt von ihm. Straßenköter. Flohschleuder. Kläffer. Streuner. Aber DAS geht entschieden zu weit! Bei Hündchen denke ich an ein verpeiltes, hechelndes Fellknäuel mit zu großen Ohren, das ständig über seine eigenen Füße stolpert! Ich kann mich nicht einmal darüber aufregen, dass er mir grade unterstellt, dass ich vielleicht wie ein Mädchen aussehe.

Ich mache den Mund auf um zu protestieren. Es liegt praktisch schon auf meiner Zunge ihm an den Kopf zu werfen, dass ich verdammt noch mal kein Hund bin. Und mit Sicherheit kein Hündchen. Und dass er mich mal kann.
 

Wieso ich es dann doch nicht tue, weiß ich in letzte Instanz nicht einmal selbst. Vielleicht weil es ...so um drei Millionen Ecken herum ... irgendwie das Netteste ist, was er je zu mir gesagt hat. Er klang nicht einmal so, als ob er es als Beleidigung meinte. Vielleicht war es ja keine. Vielleicht ... vielleicht ...

... oder ich bin einfach ein Idiot, weil ich mir diesen Scheiß einrede und nicht aufhöre nach Strohhalmen zu greifen und ihm das auch noch straflos durchgehen lasse. Ich verstehe ja selbst nicht wieso.
 

Ich tue das, was ich immer tue, wenn er mich so verwirrt. Ich wechsele das Thema.
 

"Also, zurück zu unserer Strategie!"
 

"Ach, wir hatten eine?" Er hebt spöttisch die Augenbrauen.
 

"Was glaubst du - wie gut sehen die Viecher?" frage ich leise, ohne meinen Blick von ihr abzuwenden. "Ich meine, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich mich unbemerkt an sie ranpirschen kann?"
 

"Was fragst du mich das? Ich leite eine Firma für Computertechnik - keinen Amphibienzoo!"

Er steht so dicht neben mir, dass ich die Wärme seines Körpers spüren kann. Seltsamerweise ist das nicht einmal unangenehm ... trotz der tropischen Temperaturen. Es ist angenehm ... weil er es ist.

Ich schlucke die Antwort runter, die mir auf der Zunge liegt - dass er doch eigentlich immer alles weiß. Das könnte man sonst glatt als Kompliment missverstehen.
 

"Sie mit dem Glas zu fangen, kannst du gleich vergessen", fügt er freundlicherweise nach ein paar Sekunden hinzu und nimmt es mir aus der Hand. Seine Stimme ist gedämpft. "Selbst wenn sie erst in letzter Sekunde kapiert was Sache ist, reicht das noch um wegzuhüpfen."

Scheinbar ist sein logischer, pragmatischer Verstand doch endlich bereit sich um unser aktuelles Problems zu kümmern. Na bitte. Vielleicht erspart er mir ja doch das Nachsitzen, was echt nett wäre. Denn sonst kann ich abends wieder nicht arbeiten - und wenn ich noch mal absagen muss, werden sie mir diesmal garantiert kündigen.

Bevor ich etwas darauf erwidern kann, tut er plötzlich etwas Unerwartetes. Etwas absolut und in jeder Hinsicht Unerwartetes. Kritisch betrachtet er mich von oben bis unten und dann spüre ich plötzlich seine Hände auf meiner Taille. Er berührt mich. Kaiba berührt mich!

Oh Gott - Herzinfarkt!
 

Was ... was ...?

Alarmiert halte ich die Luft an und weiß, dass meine Augen in diesem Augenblick garantiert so groß wie Unterteller sind. Ich wage nicht auch nur mit einem Muskel zu zucken. Was zum Teufel ... MACHT er da?! Langsam und mit hochrotem Kopf senke ich den Blick und starre auf seine Hände ... die damit beschäftigt sind vorsichtig die Ärmel meiner Jacke aufzuknoten. Mein Herz hämmert.

Er hat schöne Hände. Schon wieder fällt mir das auf. Schlank und ein wenig knochig, genau wie seine Handgelenke ... mit langen, eleganten Fingern. Mit wenigen präzisen Bewegungen öffnen sie den Knoten und meine Jacke löst sich. Er fängt sie auf, als sie von meinen Hüften nach unten gleitet.
 

Wortlos drückt er sie mir in die Hand. "Versuchs mal damit."
 

Ich starre ihn an, atemlos. Sprachlos. Rettungslos. Was ist los mit mir? Alles in meinem Körper spinnt ... spielt verrückt.

Es dauert eine endlos langen Moment in dem ich von meiner Jacke zum Frosch und seinem Gesicht immer hin und hersehe. Wieso ist er denn grade so nah? Und wieso sieht er plötzlich so amüsiert aus? Das verwirrt mich doch ...
 

"Was ist? Wenn du mich noch lange so anstarrst, ist er unter Garantie bald weg." Es klingt nicht einmal böse ... nur trocken und ein wenig belustigt. Und reißt mich schlagartig aus meinem weggetretenen Zustand. Toll, er macht sich mal wieder über mich lustig.
 

Hastig schüttele ich den Kopf. Fühle mich wie ein Idiot. "Ähm ... klar." Oh Gott, nur weg hier. Mit einer schwungvollen Kopfbewegung werfe ich eine Wolke blonde Haare aus meiner Stirn. Reiß dich zusammen, Junge.

"Ha", verkünde ich energisch, "jetzt sieh mal zu, wie Joey, der Safarijäger dieses Baby zur Strecke bringt!"
 

Fest entschlossen - es lebe die Macht der Verdrängung - marschiere ich auf das Froschmädchen zu. Sie sitzt immer noch brav auf ihrem Stein und quakt in regelmäßigen Abständen vor sich hin. Direkt hinter ihr ist so was wie ein riesiges Grasbüschel aus seltsam dicken Halmen, das irgendwie "ungrasig" aussieht, ohne dass ich genau erklären kann wieso.

Ungefähr einen Meter von ihr entfernt bleibe ich unsicher stehen. Strategie. Planung. Irgendwas?
 

"Beeil dich - die wird nicht ewig da sitzen bleiben" ertönt es hinter mir leise. Offensichtlich ist er mir nachgekommen.
 

"Ja, ja ... keine Hektik ...", murmele ich und pirsche mich noch etwas näher heran. Also, entweder ist die ziemlich dumm, oder sie ist blind und taub, denn sie scheint echt nicht zu checken, dass wir zwei potentiell bedrohliche Feinde sind, die da grade auf sie zukommen. Das wird vielleicht alles viel leichter als ich dachte.
 

Sie springt. Genau in dem Augenblick, als ich das denke, springt das blöde Vieh plötzlich los! Natürlich ausgerechnet in Richtung des dicken Büschels aus Halmen hinter ihr. Das darf nicht wahr sein! Wenn sie da verschwindet, sind wir geliefert!
 

"Nein!" Entschlossen stürze ich mich auf sie, die Jacke zwischen den Händen ausgebreitet. Und verfehle sie nur um Millimeter.
 

"Pass auf, das ist der ..." Ohne auf seine Worte zu hören, stolpere ich ihr hinter her. Fehler. Großer Fehler.

Der Boden gibt unter mir nach und Kaibas Stimme geht in einem Platschen unter. Wasser rauscht in meinen Ohren. Erschrocken werfe ich den Kopf zurück und schnappe nach Luft. Prustend tauche ich wieder auf. Häh? Wasser?

Feuchte, blonde Haarsträhnen kleben in meinem Gesicht, als ich mich triefnass und perplex vor mich hinblinkend herumdrehe. Und feststelle, dass ich wie ein begossener Pudel in einem flachen, trüben Gewässer sitze. Irgendwie habe ich das dumpfe Gefühl, dass ich grade den verschollenen Schulteich gefunden habe ... toll.

Okay, scheinbar waren die dicken Halme gar kein Gras ... sondern Schilf. Nun ja, nachher ist man ja bekanntlich immer schlauer.
 

"Wheeler ..." Kaibas Stimme lässt mich aufschauen. Kopfschüttelnd steht er am Rand. "Du bist wirklich zu gar nichts zu gebrauchen." Wenn ich es nicht besser wüsste, beziehungsweise wenn es sich hier nicht um Kaiba handeln würde, würde ich sagen, er versucht grade ein Lachen zu unterdrücken.
 

"Gar nicht wahr! Was kann ich dafür, dass das dämliche Teil schon so zugewuchert ist?!" Ich bin mitten am protestieren, als es plötzlich quakt. Wie auf Kommando sind wir beide still. Nein, oder?

Genau neben mir, wo meine Jacke vor sich hindümpelt, hüpft es plötzlich aus dem Wasser - und landet direkt genau auf meinem Knie. Sekundenlang starren wir beide mit identischen Gesichtsausdrücken auf das kleine Biest. Sie quakt und setzt zum Sprung an.
 

"Schnell, halt sie auf!!"
 

"Halt sie doch selber auf!"
 

"Scheiße, wo ist sie hin?"
 

"DA!"
 

Eine Viertelstunde später sind wir beide mehr oder weniger durchnässt (soll heißen, ich mehr und Kaiba weniger) und mit den Nerven am Ende - aber mein Job ist so gut wie gerettet und die Kröte ist im Glas. Jetzt sitzt sie leise vor sich hinquakend neben mir. Es ist ein Wunder, aber wir haben tatsächlich eine Stelle gefunden an der das Gras noch normale Höhe und nicht Dschungelausmaße hat. Meine Jacke und ich liegen ausgebreitet darauf zum trocknen. Immerhin haben wir noch eine gute halbe Stunde bis zum Ende des Unterrichtes und wie Kaiba kritisch und nicht ganz unberechtigt festgestellt hat - ich hinterlasse Pfützen.
 

"Sie sieht nicht glücklich aus", stelle ich fest und tippe sanft mit dem Finger gegen das Glas. Wir haben das Loch im Deckel soweit vergrößert wie es eben ging, ohne dass sie herausspringen kann und ein wenig Wasser hineingefüllt. Aber das ist irgendwie auch schon alles, was wir für sie tun können. Tut mir leid, Kleines ...
 

Kaiba wirft ihr einen kurzen, unbewegten Seitenblick zu. "Es ist Tierquälerei sie bei der Hitze in ein Glas zu sperren", stellt er fest.
 

Er sitzt neben mir. Oder neben uns, wenn man den Frosch mitzählt, was ich tue. Persönlich glaube ich, dass er nur deshalb noch sitzt, weil er im Liegen einschlafen würde, aber das sage ich ihm nicht.
 

"Sehe ich ja auch so. Können wir sie nicht irgendwo anders unterbringen?" Besorgt betrachte ich sie. "Sie sieht so ... schlapp aus."
 

"Was erwartest du? Dass sie vor dir Tango tanzt? Du siehst auch schlapp aus."
 

"Tu ich nicht ... ich bin bloß nass." Mein T-Shirt trocknet immerhin schon. "Aber ich finde immer noch, dass wir irgendwas mit ihr machen sollten ..." Irgendwie ist das nicht okay so ... Auch wenn sie mich eben noch in den Wahnsinn getrieben hat - jetzt tut sie mir leid.
 

"Wozu? Wir wissen doch beide, was er mit ihr vorhat." Er gibt sich Mühe gleichgültig zu klingen, aber wirklich glücklich sieht er auch nicht aus.
 

"Ich weiß ..." Niedergedrückt schiebe ich ihr Glas ein wenig mehr in den kleinen Fleck Schatten, der zwischen uns ist, gnädig gespendet von einem überdimensionalen Baum. Sie sieht mich sogar irgendwie dankbar an ... das dumme Vieh. Meine Haare tropfen und ich schiebe nachdenklich en paar durch die Nässe dunkler gewordene Strähnen aus meiner Stirn.
 

"Kaiba...?" frage ich, um mich von ihren großen, traurigen Froschaugen abzulenken.

"Hm?" Seine Stimme klingt schläfrig.
 

"Wieso bist du heute zu spät gekommen?"
 

"Was geht es dich an?"
 

"Nur so ..." ich zupfe ein paar Grashalme zu meinen Füßen aus und warte.
 

"Krisenkonferenz in der Firma", ist die knappe Antwort. Er unterdrückt ein Gähnen und sinkt, die Arme im Nacken verschränkt nach hinten ins Gras.
 

"Die ganz Nacht über?"
 

"Die letzten drei Nächte über", korrigiert er und fährt sich schlaftrunken über das Gesicht.
 

"Du hast drei Nächte nicht mehr geschlafen?!" Schockiert sehe ich ihn an als er wortlos nickt. Das erklärt immerhin die dunkle Ringe unter seinen Augen. Und ich dachte, ich habe Stress mit meinen zwei Nebenjobs ...

Allein, dass er mir so anstandslos auf die Frage antwortet, ist ein Beweis dafür, wie fertig er grade sein muss. Unter normalen Umständen würde ich eine eiskalte Abfuhr dafür kassieren. Aber irgendwie ist grade ohnehin nichts mehr normal zwischen ihm und mir ... schon seit der dämlichen erste Hilfe-Übung nicht mehr. Ich frage mich nur ob er das auch bemerkt. Oder ob ich der einzige bin, dem das zu schaffen macht ... dem das alles so sehr unter die Haut geht.
 

"Das klingt echt hart ... tut mir leid, dass zu hören."
 

"Tz, fang nicht gleich an zu heulen", murmelt er und klingt wie im Halbschlaf. "Halt nur die Klappe deswegen - Informationen wie diese werden an der Börse für ein paar Millionen Yen gehandelt."

HM? ... war das etwa grade so was wie ein streng geheimes Geschäftsgeheimnis?

Na toll, sobald er wieder wach und wieder er selbst ist, wird er sicher bereuen mir das jemals anvertraut zu haben und dann wird er diesen schrecklichen Knilch Roland auf mich hetzen, damit der mich zum schweigen bringt. Mein Leben ist keinen Pfifferling mehr wert ...!!

Ich schlucke und starre einen Moment auf den erschreckend blauen Himmel über uns. Blau ist ja so eine beruhigende Farbe ...
 

> " ... und nicht nur die erbärmlich Ausrede, dass ich verschlafen habe. Was hast du in deinem nutzlosen Versagerleben schon zu tun ..." <
 

"Kaiba ...?"
 

"Hm?" Seine Augen sind geschlossen und sein Gesicht sieht ungewohnt ruhig und entspannt aus. Es ist seltsam ihn so zu sehen. Ohne, dass er sich so perfekt unter Kontrolle hat wie sonst.
 

"Ich ... ich war nicht zu spät, weil ich verschlafen habe ..." Es ist dumm. Ich bin dumm. Aber es ist mir grade so wichtig, dass er das weiß. Ich will nicht, dass er mich für einen Versager hält. Nicht heute. Nicht jetzt. "Ich habe gearbeitet. Zeitungen ausgetragen."
 

Er klappt ein Auge auf und sieht mich an. Ich halte die Luft an. Bei näherer Überlegung ist blau vielleicht doch keine so beruhigende Farbe.
 

"Du trägst Zeitungen aus?"
 

"Ja."
 

"Auch in meinem Viertel?"
 

Ich nicke verwirrt. "Ja ... oft."

Ob er mich jetzt feuern lässt? Ich meine, er könnte es. Weiß ja jeder, dass bekanntlich sogar die Presse vor ihm kuscht.

Einen Moment lang ist er still und sieht mich einfach nur an. Ich weiß nicht einmal, ob ihn das überhaupt interessiert, was ich ihm hier erzähle ...

Ein Lächeln spielt um seine Lippen.
 

"Gut zu wissen. Demnächst werde ich auf deine Pfotenabdrücke auf dem Titelblatt achten ..."
 

Fasziniert starre ich ihn an. Oh Gott ... das ist ... das ist ... ein Lächeln. Sein Lächeln. Das ist es also ... wow ...

Blut schießt mir ins Gesicht und ich wende hastig den Blick ab. Das darf nicht wahr sein ... Jahrelang beleidigt mich dieser Arsch, macht mich in einer Tour nur fertig und behandelt mich wie einen Idioten ...und dann lächelt er mich einmal, ein einziges beschissenes Mal an ... und ich habe das Gefühl ... meine gesamte Welt hört auf sich zu drehen.

Nass und klebrig hin oder her ... in diesem Augenblick ist meine Achterbahn ganz oben. Und dieser Tag ist abgefahren. Dieser Tag ist wunderschön.
 

Ohne hinzusehen, greife ich hinter mich in den Schatten und hole das Glas zu mir nach vorne. Ich kann niemanden sterben lassen, wenn ich gerade so dämlich und grundlos glücklich bin.

Fragend sehe ich ihn an und er nickt ohne, dass ich etwas sagen muss. "Lass sie schon frei ...", sagt er. "Sonst darf ich mich noch den Rest des Tages mit deinen Schuldgefühlen herumschlagen."
 

"Und das Nachsitzen...?" wage ich zu fragen, während ich den Deckel langsam aufschraube.
 

Eine Augenbraue wird verächtlich nach oben gezogen. "Ich bitte dich, Wheeler, werde nicht lächerlich - keiner von den Versagern würde es wagen mich nachsitzen zu lassen."

Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: "Zumal ich grade dabei bin über eine größere Spende an die Schule nachzudenken ... zur Sanierung des Schulgartens ..."
 

^to be continued^
 

Nachtrag: Aufgrund meiner akuten Sucht ist eine weitere Fortsetzung sehr wahrscheinlich. ^_~

Hundekuchen I

Pairing: Seto Kaiba x Joey Wheeler
 

Warnungen: Ähm.... joah ... ausschweifendes Gelaber zu unpassenden Stellen, eine Lehrerin mit einem Eier-Fetisch und Kaibas ätzender Sarkasmus. ^^*
 

Anmerkungen: Sorry, dass es solange gedauert hat. *drop* Das Kapitel ist diesmal so abartig lang geworden, dass ihr es in zwei Teilen kriegt. ^^ Hier ist der erste. Der zweite folgt ... sobald ich ihn geschrieben habe.
 

***
 

~ All of the moments that already passed

We'll try to go back and make them last

All of the things we want each other to be

We never will be ...

And I see you standing there

Wanting more from me ...

And all I can do is try ~
 

(Nelly Furtado: "Try")
 

***
 

Ich bin zu SPÄT! Das darf nicht wahr sein!

Der Flur wird vor meinen Augen immer länger und länger und er ist so leer, dass alles was man hören kann mein leiser, keuchender Atem und das Geräusch meiner hallenden Turnschuhe auf dem Linoleumboden ist.

Ich komme zu spät. Scheiße, ich bin schon wieder zu spät! Verdammt ... verdammt! Verdammter Nebenjob ...!

Aber was soll ich tun? Ich brauche das blöde Geld nun mal. Es ist ja nicht grade so, dass mein Vater mir irgendetwas bezahlen würde. Nur gehen mir langsam aber sicher die Ausreden fürs zu spät kommen aus ... und offiziell ist es immer noch verboten als Schüler nebenbei Geld zu verdienen. Der einzige, der es wie immer geschafft hat dieses Verbot zu umgehen, ist natürlich Kaiba. Korruptes System!
 

Treppe, Flur, Treppe, Flur ... wieso ist der Hauswirtschaftsunterricht auch im siebten Stock? Und wie viele Anschisse habe ich diese Woche eigentlich schon kassiert? Wie viele braucht man um durchzufliegen in diesem selten dämlichen Fach? Werde ich nachsitzen müssen? Werde ich meinen Job verlieren, wenn ich heute Abend wieder nicht kommen kann? Tausend Fragen, tausend Stockwerke und viel zu viele Minuten, die ich schon zu spät bin.

Ich schnappe nach Luft, erschöpft und schon völlig außer Atem, weil ich seit zwei Stunden nichts anderes tue als zu rennen. Zuerst durch das blöde Villenviertel in dem ich Zeitungen austrage und dann von da aus den ganzen Weg zur Schule.

Da wo ich wohne, kann es sich fast niemand leisten eine Zeitung zu abonnieren. Oder sie können nicht lesen. Oder sie sind zu besoffen um sich dafür zu interessieren. Man könnte meinen, ich führe ein deprimierendes Leben.
 

Noch ein Stockwerk, noch eine Treppe. Gleich geschafft ... vielleicht habe ich Glück und Frau Yokita ist auch noch nicht da. Vielleicht ist sie schon so vertieft damit kunstvoll ein paar Eier zu schlagen, dass sie die Anwesenheit noch nicht überprüft hat. Vielleicht ... vielleicht ...
 

"WAAAH!"

In einem Moment sprinte ich noch die Treppe hoch und im nächsten sehe ich Sterne. Oberster Treppenabsatz und ich laufe gegen etwas - und pralle prompt zurück wie ein Gummiball. Erschrocken quietsche ich auf und rudere hektisch mit den Armen, balanciere dabei gefährlich dicht auf der äußersten Kante der Stufe. Nein, nein, nein ...!!

Keine Chance ... ich kippe unaufhaltsam nach hinten. Scheiß Schwerkraft!

Eine Hand schießt nach vorne und packt mich an meinem T-Shirt. Grade noch rechtzeitig bevor ich Bekanntschaft mit den Treppenstufen von sieben Stockwerken machen darf. Mit einem Ruck werde ich festgehalten und schwebe einen Moment lang direkt über dem Abgrund.
 

"Whoa ...!" hauche ich verängstigt.

Ich riskiere einen bebenden Blick nach unten und spüre wie mir schlecht wird. Nicht gut. Gar nicht gut! Habe ich erwähnt, dass ich unter extremer Höheangst leide? Schwer atmend sehe auf. Und bereue im selben Augenblick, dass ich nicht doch lieber sieben Stockwerke hinuntergefallen bin. Vertraute, eisig blaue Augen blitzen mir entgegen.

Mit einer Hand hält er mich fest, während seine Augen mich mit einer Mischung aus Spott und Verachtung betrachten.

Hallo Kaiba ... lange nicht mehr gesehen ...
 

"Na? Hängst du mal wieder nur rum, Wheeler ...?"

Na toll. Die erste Nahtod-Erfahrung am frühen Morgen und er macht Witze. Ich fass es ja nicht. Idiot! "Erbärmlich. Was würdest du nur tun wenn nicht immer jemand in der Nähe wäre und deinen kleinen Hundearsch aus den Schwierigkeiten retten würde ..." Und wie er es genießt.
 

"Hallo?!" explodiere ich, ungeachtet der Tatsache, dass ich nur deshalb noch nicht da unten liege, weil er mich grade festhält. "Es ist doch deine Schuld, dass ich beinah unten gelandet wäre!" Er stand mir doch im Weg, nicht umgekehrt!
 

"Pass nächstens lieber auf wo du hinläufst", knurrt er verächtlich. Der Griff um mein Hemd wird fester. "Nicht jeder ist so tierfreundlich wie ich und denkt an das Wohlergehen kleiner streunender Flohschleudern."
 

Tierfreundlich? Am Arsch! "Bild dir nur nichts ein! Ich brauche deine Hilfe nicht!" knurre ich schwer atmend und ziemlich voreilig. Meine große Klappe bringt mich irgendwann noch mal ins frühe Grab ...
 

"Wenn du meinst ..." Er zuckt desinteressiert mit den Schultern. Und - oh Gott! - lässt mich prompt los.

"Waaah! Hey ... nicht ...!!" Mit rudernden Armen kippe ich unaufhaltsam erneut nach hinten. PANIK! Das kann er doch nicht machen! Ich bin viel zu jung zum sterben!
 

"Idiot." In letzter Sekunde verdreht er die Augen und hält mich erneut fest. Zieht mich dermaßen ruckartig nach vorne, dass ich ihm praktisch in die Arme fliege. Ich muss den zwanghaften Impuls unterdrücken mich an ihn zu klammern und ihn nicht mehr loszulassen, bis er mich mindestens zehn Meter von dieser Treppe des Todes entfernt hat. Aber so weit kommt es noch, dass ich freiwillig Kaiba umklammere ...!

Millimeter vor ihm werde ich abgebremst, so dass ich den sauber gefalteten Kragen seiner Schuluniform auf Augenhöhe habe. Langsam lege ich den Kopf in den Nacken und blinke durch mein dichtes, ungekämmtes Pony zu ihm hoch.

Irgendwie vergesse ich jedes Mal wieder wie groß dieser Mistkerl ist. Hey, ich bin echt nicht grade klein und es ist verdammt ungewohnt und demütigend so weit zu jemandem aufsehen zu müssen, den man verabscheut. Seine viel zu blauen Katzenaugen sehen direkt auf mich hinab.
 

"Spinnst du?! Mach das ja nicht noch mal!" Meine Stimme klingt atemlos und ich spüre wie mir kalter Angstschweiß ausbricht bei dem Gedanken wie tief es hinter mir nach unten geht. Mein Herz flattert.
 

"Was denn? Angst?"
 

"Ist doch kein Wunder bei deinem Sadismus, du Arsch!"
 

Die Hand in meinem T-Shirt versteift sich. "Wenn ich ein Sadist wäre, wärst du garantiert der Erste der das zu spüren bekommen würde", stößt er mit zusammengebissenen Zähnen hervor. "Weißt du überhaupt was das bedeutet, du kleiner Klugscheißer?"
 

Statt zu antworten versuche ich mich seinem festen Griff zu entwinden. Seine ungewohnte Nähe ist beinah so einschüchternd wie die sieben Stockwerke in meinem Nacken - und ich hasse es eingeschüchtert zu werden. "Lass mich los!" fauche ich wütend. "Ich habe vor meinen siebzehnten Geburtstag noch zu erleben."
 

"Denkst du ernsthaft, ich würde dich fallen lassen?" Er klingt angepisst, als hätte ich ihn irgendwie beleidigt mit dieser Unterstellung. Komm schon, Kaiba ... so weit hergeholt ist das nicht!
 

"Was ...? Ich weiß nicht ..." Ich unterbreche mein Gezappel und sehe ihn an. Die Frage kommt dennoch absolut unerwartet - vor allem, weil er dabei so aussieht, als sei es ihm ernst. Ich weiß es wirklich nicht. Würde er ...? Immerhin hat er ein Herz für unschuldige Frösche, wie ich seit letzter Woche weiß. Das heißt aber noch lange nicht, dass er auch ein Herz für kleine Joeys hat ...
 

Von einer Sekunde auf die andere ist sein Gesicht wieder unbewegt und eisig. So als hätte er eine Maske darüber gezogen. "Wenn du meinst ..." er klingt gelangweilt. Gelangweilt ... und ein kleines bisschen bitter.
 

Sein fester Griff löst sich aus meinem Hemd, er tritt einen Schritt zurück und ich habe endlich wieder das Gefühl normal atmen zu können. So schnell es geht stolpere ich ein paar Schritte weg von dem mörderischen Treppenabsatz und versuche sekundenlang meine Fassung wieder zu erlangen.
 

"So war das nicht gemeint ...", sage ich schließlich.
 

"Sei still." Ich kassiere einen seltsamen Seitenblick aus blauen Augen, der mich abrupt zusammenfahren lässt. "Und erzähl mir nichts von Sachen, von denen du absolut nicht das Geringste verstehst!" Er wendet sich ab.
 

Ich starre ihm nach als er geht. Brauche ein paar Minuten bevor ich wieder aus meiner Erstarrung erwache und ihm hinterherlaufe. Was war das jetzt? Dieser Blick. Dieser Tonfall. Man könnte meinen, ich hätte ihn irgendwie getroffen. Man könnte meinen, er hat grade irgendwas Ernsthaftes zu mir gesagt. Irgendwas, das keine Beleidigung war und kein blöder Witz.
 

"Kaiba, warte!" Ich laufe ihm nach. Passe mich ein wenig atemlos wieder seinem Tempo mit den langen, zielstrebigen Schritten an und werfe ihm einen fragenden Seitenblick zu.
 

"Warte doch ... was habe ich denn gesagt?" Moment - wieso klingt das wie eine Entschuldigung? Wieso entschuldige ich mich? Er hat mich doch eben beinah fallen gelassen und in Todesangst versetzt... "Ich meine, ich weiß nicht, ob du mich fallen lassen würdest ..." rede ich weiter, mit einem Mal plötzlich und unerwartet unsicher.
 

"Verreck doch, Wheeler. Und hör auf mich mit deinem lächerlichen Gewinsel zu langweilen." Seine Stimme ist eisig, wie tief gefroren und ich beiße mir unwillkürlich auf die Unterlippe. Ich werde langsamer, so dass ich einen Schritt hinter ihm gehe und er mein verletztes Gesicht nicht sehen kann.
 

Ich verstehe das nicht. Wir haben uns nie gut verstanden ... aber das ...? Es ist schon die ganze Woche so, dass wir ununterbrochen auf einander losgehen.

Genauer gesagt seit letzten Dienstag ...

Seit dem Tag, an dem Kaiba und ich den Frosch freigelassen haben.
 

Man sollte wirklich meinen, das sei der Beginn einer wunderbaren Freundschaft gewesen, nicht wahr? Und wenn ich in Hollywood leben würde, dann wäre das auch so gewesen!

Er und ich, auf einer lebensgefährlichen Expedition im Dschungel, nass und verschwitzt, umgeben von wilden Tieren und zwischen uns ein Frosch. Heißt es nicht, dass extreme Situationen einen irgendwie zusammenschweißen? Und diese komplett durchgeknallte Erfahrung habe ich bisher nicht einmal mit Yugi gemacht - obwohl er mein bester Freund ist. Nicht einmal mit Tristan, mit dem ich wirklich schon jeden Scheiß angestellt habe. Ausgerechnet mit Kaiba ... meinem persönlichen Intimfeind, seit der Mittelschule. Meinem ewigen Rivalen und Hassobjekt, seit wir damals am ersten Tag im Flur zusammengestoßen sind. Sich unsere kompletten Sachen auf dem Boden verstreut hatten und wir beide prompt zu spät zur ersten Stunde kamen ... und definitiv keiner von uns beiden bereit war in irgendeiner Weise die Schuld dafür auf sich zu nehmen. Glaubt es mir - Kaiba war schon mit 14 genauso stur, kratzbürstig und unleidlich wie heute.
 

Das mag ja komplett naiv und verblödet von mir gewesen sein, aber ich bin letzte Woche wirklich mit der Illusion nachhause gegangen, dass jetzt alles anders sein würde zwischen ihm und mir. Einfach ... anders. Nicht, dass ich hier irgendwie anspruchsvoll sein will. Ich meine, es wäre ja schon als Fortschritt zu bezeichnen gewesen, wenn er mich mal nicht in jedem zweiten Satz als räudigen Köter, Versager oder zweitklassigen Duellanten bezeichnen würde. Aber stattdessen ist es nur schlimmer geworden ...
 

Er muss mich nur sehen und schon geht er auf mich los. Man könnte meinen, meine bloße Anwesenheit regt ihn auf. Entschuldige, dass ich lebe, du Penner!

In einigen Fächern haben die Lehrer angefangen uns auseinanderzusetzen, ihn ans eine Ende der Klasse und mich ans Andere. Nur damit sie einen halbwegs friedlichen Unterricht zustande bekommen. Als ob das etwas nützen würde.
 

Yugi hat mich ein paar Mal gefragt, was auf einmal zwischen uns los ist. Jedes Mal sah er aufrichtig besorgt dabei aus und ich musste ihm nachdrücklich versichern, dass wirklich alles in Ordnung sei und dass ich absolut keinen Plan hatte, was Kaiba diesmal über die Leber getrampelt war. Aber bei keiner dieser Gelegenheiten habe ich den Schulgarten erwähnt ... den Frosch ... oder sein Lächeln.

Ich verstehe selbst nicht wieso ich es ihm oder den anderen nicht einfach erzähle. Sie sind meine Freunde. Aber dennoch ...

Es ist eine seltsame Erinnerung ... weil sie schön ist ... und ich schöne Erinnerungen normalerweise nicht mit Kaiba verbinde. Aber bei dieser ist es so ... als ob ich sie wie in einer Glaskugel eingesperrt mit mir herumtrage und immer wieder ansehen muss, so sehr fasziniert sie mich.
 

Ich wage nicht von meinen Turnschuhen aufzusehen, bis wir an der Schulküche angekommen sind. Und wünsche mir dabei überall zu sein ... nur nicht hier ... neben ihm, wenn er mich so finster anschweigt.
 

In seiner üblichen dominanten "Hier, bin ich - kniet nieder!" Art und Weise macht er die Tür auf und ich kriege mit wie automatisch die Gespräche verstummen. Langsam betrete ich neben ihm den großen und wie immer vollkommen überheizten Raum, bereit für die Standpauke, die mich sicher gleich erwartet. Frau Yokita wirft uns von dem großen Tisch aus, an dem sie grade herumhantiert, einen strengen Blick zu. An die Wand hinter ihr wird grade ein überdimensionales Ei projiziert.
 

"Kaiba ... Wheeler." Sogar sie stolpert darüber, als sie unsere Namen in direktem Zusammenhang aussprechen muss. Ich kann es ihr nicht verdenken. "Sie sind zu spät."
 

Ich frage mich ob die Ausrede mit der alten Dame, der ich über die Strasse helfen musste schon wieder zieht. Vermutlich nicht. Vielleicht fällt mir auf die Schnelle irgendwas anderes ein. So was wie "Kaiba hat mich beleidigt, bedroht, in Todesangst versetzt und beinah die Treppe hinunter gestoßen!"
 

"Ähm ... ja, also ich ...", fange ich hastig an, aber komme nicht weit. Ohne mich dabei anzusehen, macht Kaiba eine kleine, scheinbar unbeabsichtigte Bewegung aus dem Handgelenk und schon habe ich die Ecke seiner Laptoptasche im Magen und stolpere zurück. Nach Luft japsend, taste ich nach Halt und werfe ihm einen mörderischen Seitenblick zu. Hey!! Was soll das?! Will er mich umbringen?

Er hat gut lachen. Er muss sich doch nicht rausreden! Ihn bestrafen die Lehrer sowieso nie.
 

"Geschäftlich", sagt er kühl und in einem Tonfall, der mich unwillkürlich mit einbezieht - und der jedes weitere Nachfragen verbietet.

WAS? Mein Mund klappt automatisch wieder zu und ich starre ihn an.

Das ist Kaiba. Jedes Mal denkst du, du kennst ihn allmählich und weißt, was du von ihm zu erwarten hast - und dann geht er hin und tut etwas vollkommen Unerwartetes. Wie dir eine Ausrede fürs zu spät kommen zu liefern.
 

"Oh ... tatsächlich ...?" Ein wenig ratlos blickt sie von ihm zu mir und wieder zurück. Sie wartet offenbar auf eine Erklärung. Nicht nur sie - das tut mehr oder weniger die gesamte Klasse. Also nicke ich hastig zur Bestätigung. Zu sprachlos um etwas Vernünftiges zu sagen.
 

"Eine Besprechung mit dem Direktor. Rufen sie in seinem Büro an, wenn sie eine offizielle Bestätigung brauchen." Sein Tonfall verrät, dass er es nicht schätzt, wenn man an seinen Worten zweifelt.
 

"Na gut ..." Sie blickt immer noch zögernd zwischen Kaiba und mir hin und her. "Dann ... nehmen sie bitte ihre Plätze ein. Wir fahren dann fort ..."
 

Er würdigt mich keines Blickes als er geht. Ich nutze die aufgetretene Sprachlosigkeit und sause hastig hinüber zur anderen Seite des Klassenraums zu meinen Freunden, bevor Frau Yokita anfängt sich wieder einzukriegen und mir doch noch eine Strafaufgabe aufbrummt. Gerettet!
 

"Joey ...?!" Der Ellenbogen, der nachdrücklich in meine Rippen gestoßen wird, ist von Tristan, der sich beinah überschlägt vor Neugierde. "Was war das denn?!"
 

Irgendwo weiter vorne geht der Unterricht weiter und ich bekomme nichts davon mit. Ich starre perplex auf seinen abweisenden, dunklen Hinterkopf. Wieso hat er das getan? Hat er mir wirklich grade eine Ausrede geliefert?
 

"Wart ihr wirklich zusammen bei Herrn Kisagi?" Tea.
 

"Was soll das heißen - Geschäfte? Was für Geschäfte?" Tristan.
 

"Ausgerechnet mit dem?!" Tea.
 

"JOEY!!" zischen beide gleichzeitig.
 

Oh toll ... jetzt auf einmal wird mir klar, was für einen anrüchigen Beiklang es hat, wenn Kaiba behauptet er und ich hätten gemeinsame "Geschäfte" gehabt ...

Hey, mein Ruf ist ruiniert!!

Aber dafür kriege ich keinen Anschiss. Gut, eventuell kann ich auf einen guten Ruf verzichten. Bei näherer Betrachtung - hatte ich denn schon mal einen?
 

"Du warst heute Morgen wieder Zeitungen austragen, nicht wahr?" höre ich die leise, angenehme Stimme meines besten Freundes und beide verstummen. Yugi betrachtet mich eingehend und es ist offensichtlich, dass er eins und eins schon längst zusammengezählt hat.
 

"Ja." Ich nicke. "Das mit Kaiba war ... totaler Zufall ..." Ich murmele irgendwas von wegen "im Flur begegnet" damit hier ja niemand auf falsche Gedanken kommt. Damit meine ich natürlich hauptsächlich Tea und Tristan.

Yugi denkt nie falsche Dinge über dich. Und er versteht immer alles, egal wie durchgeknallt es ist. Manchmal habe ich das Gefühl, dass Yugi mich sogar dann versteht, wenn ich nicht einmal selbst weiß, was mit mir los ist.
 

"Das war nett von ihm ..." Er sieht überrascht aus, als er einen Blick auf die andere Seite des Raumes wirft und beginnt zu grinsen. "Ich wette, er wird die nächste Zeit so unfreundlich wie möglich zu dir sein, damit du ja nicht auf die Idee kommst, das irgendwie sozial von ihm zu finden."
 

"Noch unfreundlicher als sonst ...?" Es soll ein Witz werden, aber die Grimasse, die ich dabei zustande bringe, sieht vermutlich nicht grade glücklich aus. Mitfühlend sieht Yugi mich an.
 

Tea und Tristan starren um die Wette zwischen uns beiden und Kaiba hin und her. Ich kann praktisch sehen wie es in ihren Köpfen rattert. Langsam scheint es ihnen zu dämmern, dass Kaiba und ich wohl doch keine Geschäfte miteinander zu erledigen hatten. Bei näherer Betrachtung ist das doch ganz klar, ihr Dumpfbacken.
 

"Aber ...dann hat er gelogen!" Tea klingt entsetzt. Frau Yokita wirft unserem Tisch einen scharfen Blick zu und sie senkt unwillkürlich ihre Stimme. "Er hat das nur so gesagt ...?!"
 

"Aber dank ihm kriegt Joey keinen Ärger", gibt Tristan leise zu bedenken. Offenbar sind sie sich noch nicht ganz einig wie sie sein Verhalten jetzt bewerten sollen.
 

"Er hat sich das Ganze nur ausgedacht!"
 

"Wer weiß das schon - vielleicht war er heute morgen wirklich noch bei Herrn Kisagi", überlegt Tristan halblaut. "Ich glaube, ich habe sogar gesehen wie er in sein Büro gegangen ist."
 

"Aber Joey war nicht da ...!" beharrt Tea. "Und er ist derjenige, der den Ärger bekommen wird, wenn das auffliegt ..." Sie klingt zögernd und immer noch schockiert.
 

"Man, sie wird sich niemals trauen an den Worten des allmächtigen Seto Kaiba zu zweifeln!" Tristan verzieht sein Gesicht zu einer billigen Horrorfilm-Grimasse. "Und mehr Ärger als Joey so oder so bekommen hätte, wird er auch nicht kriegen, wenn es auffliegt."

Ich liebe es, wenn sie über mich reden, als ob ich gar nicht da wäre ...
 

"Leute! Ist doch ganz egal! Hauptsache, ich muss nicht nachsitzen, okay?" Ich will lieber nicht darüber nachdenken, wieso er das gemacht hat. Sonst bin ich nachher nur verwirrter als vorher.
 

"Nein, das ist nicht egal", zischt Tea plötzlich gedämpft, aber entschieden. "Das kannst du nicht einfach so stehen lassen. Du musst dich wenigstens bei ihm bedanken, Joey!"
 

"WAS?!" Ich vergesse plötzlich, dass wir leise sein sollten. Sämtliche Köpfe fliegen zu mir herum. Sogar ein ganz gewisser brünetter Schopf dreht sich kurz zu mir um und runzelt die Stirn.
 

"Wheeler!" ertönt es erbost von vorne. "Ich darf sie doch sehr bitten endlich still zu sein und meinen Unterricht nicht länger zu stören! Sonst muss ich sie leider an einen anderen Tisch schicken."
 

Bedanken? ICH? Bei Seto Kaiba? Eher schneit es in der Hölle!
 

"Wie kommst du auf so eine abgeschmackte Idee?" Entsetzt, aber mit gedämpfter Stimme fuchtele ich mit den Armen. "Er hat gelogen - er ist böse! Er ist Kaiba! Hast du das vergessen?!"

Tristan ist ebenfalls ein Stück von ihr zurückgewichen und starrt sie mit einem Blick an, als hätte sie uns grade eröffnet, leidenschaftliche Kannibalin zu sein. Hat sie überhaupt eine Ahnung, was es für den Ruf eines abgebrühten, coolen Kerls wie mich bedeutet, wenn er sich bei irgendwem bedanken muss? Am besten verlegen herumstotternd und mit hochrotem Kopf ... Wie ein Mädchen! Das geht nicht!

Ich meine ... ich würde mich bei Yugi bedanken. Bei all meinen Freunden, genauer gesagt. Aber ich kann mich nicht bei Seto Kaiba bedanken!
 

"Joey, ich fass es nicht! Dass man ausgerechnet dir was über Freundschaft erzählen muss!" plustert sie sich empört auf. Und dann geht es los. Oh nein ... keine Ansprache über Freundschaft im Zusammenhang mit Kaiba, bitte! Tea ist eine klasse Freundin, ehrlich. Aber das ist zu viel.
 

Hilfe Suchend wandert mein Blick zu Yugi.

Er sieht immer noch versonnen zur anderen Seite der Küche und ich folge seinem Blick. Kaiba hat seinen Blick erneut abgewandt und sieht gelangweilt aus dem Fenster. Er wirkt nicht so, als ob es ihn interessiert, dass vorne grade ein "formschönes, erstklassiges Ei aus echter, ökologischer Bodenhaltung" an die Wand projiziert wird.
 

"Yugi ... Kumpel ...", flehe ich. Erspar mir das, bitte!
 

"Tea hat Recht." Er lächelt sie plötzlich und unerwartet an und zu meiner absoluten Überraschung hört sie mitten in ihrer Ansprache auf zu reden. Sie wird rot.
 

Yugi wendet seinen Blick zu mir "Wir erzählen Kaiba immer etwas über Freundschaft und was es bedeutet. Dann sollten wir uns auch danach verhalten. Sonst wäre alles, was wir sagen nur Heuchelei. Wie können wir erwarten, dass er sich freundschaftlich verhält, wenn wir es nicht auch tun?"
 

Yugi wirkt immer so klein und knuffig. Aber was psychologische Kriegsführung angeht, ist er einfach nur hinterhältig! Er schafft es tatsächlich mir ein schlechtes Gewissen zu machen. Argh!

Ich meine ... irgendwie habe ich ja selbst das Gefühl, dass ich Kaiba etwas sagen sollte ... irgendwas.
 

"Finden sie sich jetzt bitte in ihren Gruppen zusammen und dann beginnen wir damit den Teig anzurühren", trällert es von vorne. "Als erstes holen sie bitte ..."
 

Jetzt beginnt das Gewusel in der Küche, weil alle herumlaufen und Zutaten für ihren Tisch organisieren. Vielleicht sollte ich die Gelegenheit einfach nutzen.

Kaiba steht ganz alleine an seinem Tisch ... wie immer. Niemand wagt sich in seine Nähe und nicht einmal Frau Yokita fordert ihn auf sich einer Gruppe anzuschließen. Immerhin ... dann ist niemand da, der mit dem Finger auf mich zeigen und über mich lachen kann, wenn er mich erst mal am Boden zerstampft hat.
 

Seufzend löse ich mich von dem Tisch. "Na gut ..." Ich werfe Tea und Yugi einen schrägen Blick zu. "Wenn ich innerhalb von zehn Minuten nicht zurück bin, wisst ihr, dass er mich umgebracht und mir das Blut ausgesaugt hat, klar? Und ihr werdet für den Rest eures Lebens mit der Gewissheit leben müssen, dass euer bester Freund noch am Leben sein könnte, wenn ihr nicht gewesen wärt!"
 

Tea fährt mir mit einem dreisten Lächeln durch die Haare. "Du schaffst das schon, Joey. Wir haben vollstes Vertrauen in dich!"
 

Ja ja ... bla bla ... die hat gut reden.
 

Zögernd und mit den Händen in den Hosentaschen vergraben, mache ich mich auf den Weg durch die herumlaufende Menge. Ich werde ganz schnell hingehen und ,danke' sagen und dann werde ich wieder zurückgehen. Ende. Aus. Schluss. Nichts weiter. Ihm nur keine Gelegenheit liefern mich zu demütigen.
 

Ein paar Schritte vor seinem Tisch bleibe ich stehen, völlig unvorbereitet mit einem blöden Gefühl im Magen.
 

,Verreck doch, Wheeler...'
 

Ich will nicht, dass er mich wieder so ansieht ... So wie eben an der Treppe. Mit diesem eisigen, verächtlichen Blick, als wäre ich nur Dreck unter seinen Schuhsohlen. Ich verstehe selbst nicht, wieso es mir so viel ausmacht, wenn er das tut. Er kann mich mal! Es sollte mir einfach egal sein. Ist es aber nicht ...
 

Langsam schiebe ich mich durch das Gedränge, so lange bis ich schließlich direkt neben seinem Tisch stehe. Er steht mit verschränkten Armen auf der anderen Seite und sieht gelangweilt nach vorne, nicht bereit meine Anwesenheit auch nur mit einem Blick zur Kenntnis zu nehmen. Ich räuspere mich dezent. Er ignoriert mich. Ich hüstele ein wenig. Innerlich hüpfe ich allerdings wedelnd und springend auf und ab und möchte ihm zubrüllen "Bemerk mich doch endlich, du Penner!"
 

"Ähm ... ja ... also ... ich ... ich war grade in der Gegend..." plappere ich nervös drauf los. "Und ich d-dachte ... also ... irgendwie ... dass ..."
 

"Was willst du?"
 

Aus meiner akuten Notlage heraus kralle ich mir eine leere Tasse von seinem Tisch und halte sie ihm entgegen. "... Zucker?"

Meine Hand zittert und ich habe das Gefühl jeden Moment im Boden zu versinken vor Peinlichkeit. Was rede ich hier?
 

"Verpiss dich!"
 

Und da geht sie hin, meine Nervosität und verwandelt sich rasant in Ärger. Von Null auf Hundert in weniger als anderthalb Sekunden.
 

"Was zum Teufel ist los mit dir?" explodiere ich. "Wieso machst du es einem immer so verdammt schwer ein halbwegs zivilisiertes Gespräch mit dir zu führen?"
 

"Ein Straßenköter und zivilisiert? Bring mich nicht zum Lachen ..."
 

"Keine Angst!" fauche ich. "Ich habe nicht vor dich anzuspringen und dir in die Kehle zu beißen!" Öh ... Liegt das an mir... oder kam das irgendwie falsch rüber?
 

"Braver Hund." Herablassend sieht er mich an. "Scheinbar waren meine Erziehungsversuche doch nicht ganz umsonst."
 

Idiot!! "Ich bin kein Hund! Was ist dein verdammtes Problem, Kaiba? Wieso schaffst du es nicht mal lausige zehn Sekunden mir zuzuhören, ohne mich blöde von der Seite anzumachen?!"
 

"Vielleicht, weil ich kein Bedürfnis nach euch und euren Moralpredigten habe?"
 

"Ich bin nicht hier um dir eine zu halten!"
 

"Ach ja, ich vergaß ..." seine Stimme trieft vor lauter Sarkasmus. "Du bist hier um Zucker zu besorgen."
 

"JA!" Ich werde rot. "Ich meine ... nein ..." Verlegen senke ich den Kopf und betrachte voller Faszination den gekachelten Boden unter mir. Verdammt.
 

"Du bist dermaßen lächerlich, Wheeler ..."
 

Seine Stimme ist kalt und ich gebe mir alle Mühe sie auszublenden. Ich kann einfach nicht gewinnen, nicht wahr ...? Egal, was ich sage ... er wird immer das letzte Wort haben. Er wird immer einen Weg finden mich zu demütigen.

Ich weiß nicht, wieso er das gemacht hat ... für mich gelächelt ... und ich immer noch daran denken muss wie ein Idiot. So, dass ich sekundenlang geglaubt habe ... wirklich geglaubt habe, dass er anders sein kann... wenn es doch nichts zu bedeuten hatte ... gar nichts.
 

"Danke", sage ich leise und mit zusammen gebissenen Zähnen, bereit jeden Moment umzukehren und ihn einfach stehen zu lassen. "Danke wegen vorhin."
 

Er hält inne und ist einen Augenblick lang ganz still. "... was?" Seine Stimme klingt vollkommen ungläubig, so als zweifelt er an meinem Verstand.
 

Ich hebe den Kopf, wütend und über alle Maßen angepisst, dass er mich auch noch dazu zwingt es zu wiederholen. "Ich sagte ..."
 

"Ich weiß, was du gesagt hast." Seine Augen sind überrascht und ein wenig geweitet. Und sehr ... sehr blau. Sekundenlang sieht er nicht mehr finster und abweisend aus.
 

"Wieso fragst du dann?"
 

Er räuspert sich und wendet den Kopf ab, so dass mir ein kurzer Blick auf sein makelloses Profil gewährt wird. "Wheeler, ich weiß nicht, wovon du redest."

Wieso macht er es mir grade so schwer? Hat sich etwa noch nie jemand bei ihm bedankt?!
 

"Vorhin ..." Meine Hände spielen unsicher mit der leeren Tasse. "Du hast gesagt, dass wir zusammen bei Herrn Kisagi waren ... Geschäfte und so ..."
 

"Ich habe lediglich gesagt, dass ICH geschäftlich beim Direktor war - was absolut den Tatsachen entspricht", korrigiert er mich sofort. "Was andere in meine Worte hinein interpretieren, ist nicht meine Schuld." Er klingt wie auf einer Pressekonferenz. Ich will doch kein verdammtes Statement von ihm!
 

"Ist mir doch egal, wie es gemeint war!" Hitzköpfig werfe ich die Haare zurück. "Es hat mir erspart Nachsitzen zu müssen ... oder von der Schule zu fliegen, wenn sie herausgefunden hätte, dass ich nebenbei arbeite! Danke, okay? Einfach danke - und jetzt mach keinen Aufstand deswegen und akzeptier es gefälligst wie ein Mann!" Wütend funkele ich ihn an. Das ist mir so schon peinlich genug.
 

Ich wette, das war jetzt nicht unbedingt das, was Tea oder Yugi sich unter Bedanken oder einem freundschaftlichen Gespräch vorgestellt haben ... aber besser bekomme ich das einfach nicht hin. Immerhin habe ich es versucht.
 

Sein Blick ist gesenkt, so dass ich seine faszinierend langen, schwarzen Wimpern sehen kann. "Wenn du meinst ..." Er klingt gelangweilt, aber um seine Mundwinkel spielt beinah so was wie ein amüsiertes Grinsen. "Dann werde ich es wohl ertragen müssen ... wie ein Mann."
 

"Genau!" Verfluchte Scheiße - ich werde rot. Mit glühendem Gesicht starre ich auf die abgewetzten Spitzen meiner Turnschuhe, meine Hände immer noch eifrig damit beschäftigt, mit der leeren Tasse zu spielen.
 

"Und hier haben wir dann wohl Gruppe Nummer sieben", ertönt es plötzlich neben uns und ich hebe erschrocken den Kopf. "Kaiba und Wheeler", murmelt sie halblaut vor sich hin, während sie eifrig in ihr schwarzes Notizbuch kritzelt. "Sehr schön. Nachdem wir uns nun alle an den Tischen verteilt haben, können wir ja endlich loslegen ..."
 

"Was?!"
 

"WAS?!!"

Gruppe?? Wieso GRUPPE?! Therapiegruppe? Ich glaube, ich spinne ...
 

^tbc^
 

Nachtrag: Ich beeile mich mit dem zweiten Teil! ^_~ Rechnet im Laufe dieser oder der nächsten Woche damit. =)

Hundekuchen II

Ich weiß nicht wie, ich weiß nicht wieso - aber irgendwie ist dieser Teil noch länger geworden als der Erste. o.O Ich komme echt nicht zum Punkt .. .sorry! ^^* Aber ich hatte so viel was ich unterbringen wollte und ich lasse die Beiden einfach so gerne miteinander streiten ... *hust*
 

Ein dickes Dankeschön geht diesmal an: Lexi! ^_^ Sie hat mir mit einem russischen Satz geholfen, den ich ohne sie vermutlich nie hinbekommen hätte. ^_~
 

Warnungen: Eventuell OOCness, Kitsch (?), haufenweise doppeldeutige Anspielungen, Erwähnung von Weevil Underwood und Pegasus, eine freakige Lehrerin und ach ja - Kaiba lässt den kleinen Klugscheißer raushängen. *hust* XD
 


 

***
 

Kaiba und ich sind ja wirklich alles - aber keine Gruppe! Also, wovon redet diese merkwürdige Frau da?! Leider lässt sie sich durch unsere fassungslose Gesichter auch kein bisschen in ihrem Redefluss stören.
 

"Sie haben ja noch gar nicht alle Zutaten geholt." Vorwurfsvoll sieht sie auf den verhältnismäßig leeren Tisch vor uns. "So geht das aber nicht."
 

"Nein, Moment!! Das ist ein Missverständnis!" Ich klinge panisch. Natürlich klinge ich panisch! Wer würde nicht panisch klingen, wenn er mit Seto Kaiba in einer Gruppe landen würde? "Ich stehe nur hier ... wegen dem ... dem Zucker!" Ich fuchtele nachdrücklich mit der leeren Tasse. "Ich wollte nur ...!"
 

"Genau. Davon rede ich ja grade. Sie haben keinen Zucker - sie haben ja noch gar nichts hier! Nicht ein einziges Ei! Das sollten sie dringend ändern, wir beginnen nämlich jetzt." Sie klappt ihr Notizbuch zu und klatscht eifrig in die Hände. "So, ihr Lieben!"
 

"Nein, sie verstehen nicht ...!" flehe ich. Hilfe suchend blicke ich zu Kaiba. Er hat die Augen geschlossen und massiert sich mit einer Hand die Schläfen. Ich habe den dumpfen Verdacht, dass er grade innerlich bis Hundert zählt.
 

"Wheeler, wenn sie jemals von ihrer äußerst wackeligen Vier in diesem Fach herunterkommen wollen, sollten sie sich diesmal wirklich Mühe geben." Sie hebt die Stimme und wendete sich zur Klasse. "Und denken sie daran - jede Gruppe erhält natürlich eine gemeinsame Note, da das Ergebnis ja ein gemeinsamer Kuchen ist. Daher strengen sie sich bitte alle an, damit sie ihren Mitschülern nicht den Durchschnitt verderben."
 

Das darf nicht wahr sein!!
 

"Warten sie ...!"
 

"Was stehen sie denn hier noch rum?" Überrascht blickt sie mich an. "Holen sie endlich ihre Zutaten."
 

"Hören sie doch, wir sind KEINE ...!"
 

"Hey, sie da hinten! Was tun sie da mit dem Ei?!" Weg ist sie.
 

"Mit dem EI?!" Ich bin kurz davor mir die Haare zu raufen. "Was hat die Frau für Probleme?!" Aufgebracht fahre ich zu Kaiba herum. "Wie kannst du da einfach so stehen?! Wieso hast du nichts gesagt?"
 

"... achtundneunzig... neunundneunzig ... hundert", höre ich ihn murmeln. Er öffnet die Augen und blickt mich einen Moment lang durchdringend an. "Hm. Nein ... ich glaube, ich möchte dich immer noch umbringen."
 

"Mich?! Was kann ich denn dafür?! Ich bin ein unschuldiges Opfer!"
 

"Wenn du niemals geboren worden wärst, hätte ich dich jetzt nicht am Hals", stellt er mit unbestechlicher Logik fest.
 

"Was ist das denn für ein bescheuertes Argument? DU hast doch nichts gesagt!" Anklagend sehe ich ihn an.
 

"Wozu?" Abwehrend verschränkt er die Arme. "Ich verschwende meine Energie nicht mit diesem Kinderkram."
 

"Hallo?! Falls es dir entgangen ist - wir stecken jetzt zusammen in einer Gruppe! Das ist NICHT gut! Das war NICHT geplant!" Ich wollte doch lediglich Zucker! Ich meine ...
 

"Wie auch immer."
 

"Was ...?!" Ich fasse nicht wie er grade so ruhig bleiben kann. Das ist eine Katastrophe ... irgendwie. Wie kann er so tun als wäre das alles kein Problem? "Hörst du mir überhaupt zu? Sie erwartet, dass wir ..."
 

"Und wenn schon." Arrogant hebt er eine Augenbraue. "Alles was es bedeutet, ist schließlich dass wir am Ende eine gemeinsame Note bekommen - ob wir zusammenarbeiten oder nicht."
 

"Und ...?" Misstrauisch sehe ich ihn an. "Worauf willst du hinaus?"
 

"Stell dich doch nicht noch dümmer als du ohnehin schon bist!" Er verzieht abwertend das Gesicht. "Das bedeutet, dass du vermutlich das erste und einzige Mal in deinem Versager-Leben eine Eins in irgendeinem Fach bekommst - weil ich auf jeden Fall eine bekommen werde. Und ich habe nicht vor mit dir zusammen zu arbeiten. Also, los, verpiss dich schon zu deinen erbärmlichen Freunden und steh mir nicht länger im Weg herum."
 

Langsam dämmert mir, was er meint. Wir stecken ja nur auf dem Papier zusammen in einer Gruppe. Ich werde so oder so die Note bekommen, die Kaiba für seinen Kuchen erhält und der kriegt sowieso in allem eine Eins mit Sternchen. Und in dem Chaos, das hier grade herrscht, fällt sowieso nicht auf wo ich mich herumtreibe und mit wem ich zusammenarbeite. Ziemlich einfache Sache. Aber irgendetwas an dem Gedanken gefällt mir nicht. Vielleicht die Tatsache, dass ich ausgerechnet Kaiba eine gute Note verdanken würde ...
 

Misstrauisch sehe ich ihn an. "Ich soll einfach wieder zu den Anderen gehen ...?" wiederhole ich. "Und kriege nachher eine Eins?"
 

"Garavrui ja po baruski?" ("Rede ich eigentlich russisch?")
 

"... höh?"
 

Er verdreht die Augen. "Schon okay, vergiss es. Verschwinde endlich!"
 

Das klingt dumm ... aber ich habe grade einen absoluten Widerwillen dagegen jetzt zu gehen. Dabei müsste ich eigentlich froh sein so unbeschadet aus der Sache hinauszukommen. Aber wieso sollte man es sich leicht machen, wenn man es auch umständlich haben kann ...
 

"Nein! Vergiss es!" knurre ich und fuchtele aufgebracht mit der Tasse vor seinem Gesicht herum. "Das hättest du wohl gerne! Denkst du, ich durchschaue deinen Plan nicht?! Ich weiß genau, was du vorhast!"
 

"Ach ja?" Er hebt eine Augenbraue.
 

"JA! Alles, was du willst, ist mich fertig zu machen! Ich soll zu meinen Freunden gehen! Und dann kriege ich eine Eins - und ich muss nicht mal was dafür ...", mitten im Satz verheddere ich mich und halte inne. Ich weiß nicht wieso - aber irgendwie hat meine Argumentation ihre Lücken.
 

"Eine Frage, Köter ... wo hast du dieses Billig-Modell von Gehirn her? Ich würde den Hersteller verklagen."
 

Ich verhalte mich wie der erwachsene, reife Mensch, der ich nun mal bin und strecke ihm die Zunge heraus. "Leck mich!"
 

"Eher nicht."
 

"Mir egal, was du sagst - ich bleibe auf jeden Fall hier! Denkst du, ich lasse mir irgendwas von dir schenken?" So weit kommt es noch!
 

"Sieh an, sieh an - die Flohschleuder hat also auch ihren Stolz ..."
 

"Ich bin kein Hund!"
 

"Heißt das, ich habe dich jetzt für den Rest der Stunde am Hals?"
 

"Ja!" Ich nicke entschlossen. Mir egal, dass er sich grade bedrohlich dicht vor mir aufbaut.
 

"Du willst mir unbedingt dumm im Weg herumstehen?"
 

"JA!"
 

Er packt mich am Kragen meines T-Shirts. "Auch wenn ich dich auf jeden Fall schikanieren, demütigen und als persönlichen Sklaven missbrauchen werde?" knurrt er.
 

"J... Ich meine ... vielleicht ...?"
 

"Tu was du nicht lassen kannst." Gleichgültig hebt er die Schultern und lässt mich so abrupt los, dass ich nach hinten stolpere. "Aber wenn du dich hier schon aufdrängst, dann mach dich gefälligst nützlich und besorg endlich die Zutaten." Aus unerfindlichen Gründen werde ich das Gefühl nicht los, in irgendeiner Weise als Verlierer aus dieser Diskussion hervorgegangen zu sein ...
 

"Wieso sollte ich?" rutscht es mir sofort streitsüchtig heraus. Ich merke schon ... unsere Zusammenarbeit wird sich als äußerst schwierig gestalten.
 

"Ich dachte, du willst irgendwas für deine Eins tun...?" Von oben herab sieht er mich an. "Dann mach wenigstens irgendwas, womit dein Spatzenhirn nicht vollkommen überfordert ist."
 

Misstrauisch sehe ich ihn an. "Heißt das jetzt, wir sind ernsthaft so was wie eine Gruppe?"
 

"Werde nicht lächerlich. Das kann man grade mal als Konglomerat bezeichnen." Na toll ... und was bedeutet das jetzt? Er klingt verächtlich, also nehme ich nicht an, dass es etwas Gutes ist, wenn er uns so bezeichnet.
 

"Was heißt das? Dass wir zusammen arbeiten? Du ... und ich?"
 

"Wheeler, was willst du grade hören?" Er sieht aus, als wäre er kurz davor mir an die Kehle zu gehen. "Willst du, dass ich dir einen Vertrag über unsere Zusammenarbeit aufsetze? Den du, nebenbei bemerkt, sowieso nicht verstehen würdest? Hör auf mir dumme Fragen zu stellen - oder verpiss dich endlich und geh mir nicht mehr auf die Nerven!"
 

Arrogantes Arschloch ...! Ich bin kurz davor, ihm die Tasse an den Kopf zu werfen. Stattdessen donnere ich sie nachdrücklich auf den Tisch, funkele ihn wütend an und drehe mich wortlos um. So wird das nichts ... das kann gar nichts werden! Nie im Leben! Dampfend vor Wut bahne ich mir einen Weg durch die Menge. Aber zum Teufel mit ihm, wenn er denkt, dass ich jetzt klein beigebe!
 

Die meisten haben ihre Zutaten schon besorgt und sind jetzt eifrig dabei, sie nach den Anweisungen, die Frau Yokita trällernd und flötend von sich gibt, zusammen zu mischen. Ich habe nicht mal eine Ahnung, was wir überhaupt brauchen ... geschweige denn, von was für einem Kuchen wir reden, da wir die letzten Minuten, in denen das alles erklärt wurde, damit verbracht haben uns gegenseitig fertig zu machen. Ratlos und immer noch wütend bleibe ich vor dem riesigen Tisch stehen, auf dem alles steht. Wie ich diesen Penner hasse! Und wie ich es hasse, dass ich ausnahmsweise tun muss, was er von mir will ...
 

"Joey!" Es gibt definitiv nur einen Menschen, der es schafft mir dermaßen freundschaftlich und liebevoll seinen Ellenbogen in die Rippen zu rammen.
 

"Tris ...", sage ich ohne aufzusehen und angle nach einer Schüssel. Oh man ... ihn und die anderen hatte ich ja ganz vergessen. Kein Schimmer, wie ich ihm das verklickern soll - dass ich ausgerechnet mit Kaiba zusammenarbeite.
 

"Was ist los? Wieso warst du so lange bei diesem Idioten? Wir dachten schon, wir müssten irgendwann deine Leiche aus einem Fluss bergen!" Er klingt aufrichtig besorgt.
 

Es scheint mir eine ziemlich gute Idee zu sein ein paar Eier mitzunehmen. Immerhin waren die wohl bisher zentrales Thema dieser Stunde. "Hör zu ...", fange ich an, aber er unterbricht mich sofort.
 

"Du brauchst doch nichts mehr zu besorgen - wir haben schon alle Zutaten zusammen. Kommst du ...?" Er greift nach meinem Arm.
 

"Warte ... nein ..." Hastig schüttele ich den Kopf und sehe ihn immer noch nicht an. "Ich ... kann grade nicht zu euch kommen. Also, nicht jetzt sofort."
 

"Was? Warum nicht?"
 

"Weil ... Kaiba und ich ... wir sind jetzt ... sozusagen ... so was wie ... eine Art von ...", ich nehme das erstbeste Wort, dass mir durch den Kopf schießt. "... K-Kongo ...Konglomerat."
 

"Häh? Was soll das denn heißen?" Der Griff um meinen Arm wird fester. "Was zum Teufel ist los mit dir?"
 

"Nichts." Ich befreie mich aus seinem Griff. "Ich kann nichts dafür, okay? Es war Frau Yokitas Idee ... ich ... ich erzähle euch alles später. Ich muss jetzt wirklich ..."
 

"Oh Gott, hat er dir eine Gehirnwäsche verpasst? Oder nein - er erpresst dich! Er hat irgendwas gegen dich in der Hand und benutzt es jetzt um dich zu seinem willenlosen Sklaven zu machen und zu demütigen!" Er packt meine Schultern und beginnt mich zu schütteln. "Sag mir, was er dir angetan hat und ich werde ...!"
 

"Äh ... Tristan ... TRISTAN?!" Mühsam halte ich die Eier davon ab auf dem Boden zu landen, während mein Kopf vor und zurück fliegt. "Es ist alles okay - ich schwöre es. Mir geht's gut! Und jetzt hör schon auf mich zu schütteln ...! Mir wird davon schlecht!"
 

Endlich lässt er mich wieder los. "Wie kannst du sagen, dass alles in Ordnung ist?! Du arbeitest mit Kaiba zusammen!" Er klingt fassungslos. "Ich meine, mit dem will doch niemand zusammen arbeiten!"
 

"Das ist ja nicht der Untergang der Titanic ...", murmele ich, mehr um mich selbst zu überzeugen. "Tea sagt doch auch andauernd, wir sollen ihm eine Chance geben."
 

"Ja, Tea ...! Man, Tea ist eine Frau! Frauen denken auch, dass Rosa eine schöne Farbe ist, und dass es cool ist im Winter in bauchfreien Tops herumzulaufen!"

Das ist allerdings wahr ...

Dennoch. Ich habe jetzt definitiv keine Zeit, mich mit ihm über Frauen oder Kaiba zu streiten. Vielleicht später. Oder nie. Aber definitiv nicht jetzt.
 

"Tris, sei ein Kumpel, ja? Und sag mir einfach nur, was für Zutaten ich brauche ... bitte." Hilflos sehe ich ihn an.
 

"Joey ... das gefällt mir nicht. Bist du sicher, dass ...?"
 

"Bitte!"
 

Er seufzt und sieht absolut nicht glücklich dabei aus. Trotzdem beginnt er wortlos mir ein paar Sachen in verschiedene Schüsseln zu füllen und stapelt sie auf meine Arme. "Hier ...", sagt er schließlich. "Und pass auf, dass du die Eier in einer Extra-Schüssel anrührst ... sagt zumindest Tea."
 

"Danke, Kumpel - ich schulde dir was."
 

"Ja, tust du!" Er schnippt mir mit dem Zeigefinger gegen die Stirn und ich weiß, dass er nicht böse ist. "Lad mich doch mal wieder zu Burgerworld ein!" Er grinst ein wenig. "Und ... lass dich nicht von dem bösen Kaiba-Wolf auffressen, okay?"
 

"Also, wenn es nach ihm geht, bin ich doch der Hund in dieser Beziehung ..."
 

Mit einem weitaus besseren Gefühl im Magen als vorher mache ich mich auf den Weg zurück zu Kaibas Tisch. Unserem Tisch.

Aber als ich dort ankomme, erwartet mich eine Überraschung. Verwirrt bleibe ich direkt davor stehen und starre auf die eben noch leere Tischplatte. Alles, was ich grade mühselig auf den Armen balanciere - sämtliche Zutaten, die wir brauchen ... stehen schon da. Wieso stehen die schon da?! Perplex starre ich darauf. "Was ...? Wie ...? Äh ...?"

Kaiba ist grade dabei Mehl auf einer kleinen Waage abzuwiegen und hat mitten in der Bewegung inne gehalten. Verwirrt hebe ich den Kopf und sehe ich ihn an. Er starrt mit einem absolut unbewegten Gesichtsausdruck zurück.
 

"Wo kommt das her? Wie bist du da so schnell dran gekommen ...?" frage ich fassungslos, während ich meine Sachen mehr oder weniger unzeremoniell auf die Tischplatte fallen lasse. Das heißt, dahin wo noch Platz ist.
 

"Frau Yokita ...", sagt er langsam und starrt immer noch unbewegt auf die Zutaten, die ich eben noch hierher balanciert habe. Ich bin verwirrt. Ich bin sogar zu verwirrt um angepisst zu sein, obwohl ich grade ganz umsonst wie ein Idiot hier herumgerannt bin, während er offenbar einfach nur mit den Fingern schnippen muss und alles geliefert bekommt. Was geht hier ab?
 

"Aber ... aber wieso? ICH sollte sie doch holen!"

Er ist ganz still. Ich starre ihn an. Das Mehl rieselt langsam durch seine Finger.
 

"Ich dachte nicht, dass du wiederkommst", sagt er schließlich.

Sein Gesicht gleicht einer Maske, so unbewegt und bar jeder Emotion ist es grade. Trotzdem - oder vielleicht deswegen - habe ich mit einem Mal mehr denn je das Gefühl, Kaiba noch nie zuvor in einem so verletzlichen Moment erwischt zu haben.
 

> Ich dachte nicht, dass du wiederkommst ... <
 

Ich brauche einen Moment um diesen Satz zu verdauen.
 

Herzschlag.

Da ist es wieder. Dieses Gefühl. Wie ein Pochen unter meinen Fingerspitzen, direkt über seiner Kehle, ganz dicht unter der glatten Haut. Flatternd und unsicher ... wie Schmetterlingsflügel. Warm und lebendig ... und irgendwie verletzlich. Ich sehe was, was du nicht siehst. Und das ist ... Kaibas Herz.

Hat er wirklich gedacht, dass ich die Gelegenheit nutze und mich einfach aus dem Staub machen würde ...? Denkt er wirklich, dass ich eine gute Note einkassiere ohne etwas dafür zu tun? Ich weiß nicht, ob ich wütend sein soll deswegen. Oder ob es mich einfach nur deprimieren sollte. Das sind Augenblicke, in denen ich mich ernsthaft frage, was passiert ist, was schief gelaufen ist in seinem Leben ... dass er so geworden ist. Kein Mensch kann im Ernst so argwöhnisch und misstrauisch sein.
 

> Ich meine, mit dem will doch niemand zusammen arbeiten... <
 

Es stimmt was Tristan sagt ... er arbeitet immer allein. Nie mit anderen zusammen. In keiner Klasse. Zu keiner Gelegenheit. Nicht weil er unbeliebt ist ... ich kenne genug Mädchen, die sich beide Beine abhacken würden nur um mit ihm ein Referat halten zu dürfen. Aber er hat eine Art an sich, als ob er das einfach nicht braucht ... als ob er überhaupt niemanden braucht. Er hat diese "Verpisst euch und kommt mir ja nicht zu nahe"-Aura, die alle auf Abstand hält. Ein kalter Blick und alles rennt um sein Leben.

Bin ich vielleicht der erste, der so lebensmüde ist und zurückkommt ...?

Langsam atme ich aus.
 

"Du bist wirklich ein äußerst misstrauischer Mensch ..." bemerke ich beiläufig, während ich die überflüssigen Lebensmittel beiseite schiebe. "Hat dir das schon mal jemand gesagt?"
 

"Ja."
 

Er wirkt immer noch angespannt. Mir dämmert langsam, wie unangenehm ihm das sein muss. Vermutlich ist das für ihn so was wie das absolute Horrorszenario ... auf eine unvorbereitete Situation zu treffen und nicht sofort Herr der Lage zu sein.
 

"Tz. Denk nur nicht, dass du mich so schnell loswirst!" Es kommt netter rüber, als beabsichtigt. "Ich komme immer wieder."
 

"Wie Unkraut ..." Seine unnatürlich steife Haltung löst sich ein wenig, als wir uns auf vertrautes Gebiet begeben und er mich wieder beleidigen kann.
 

"Hey, und sieh es mal so - wenn wir alle Zutaten doppelt haben, macht es nicht einmal was, wenn der erste Versuch misslingt!" Ich finde das ist durchaus positiv zu bewerten. "Meine Versuche misslingen immer beim ersten Mal", füge ich nach kurzem Überlegen hinzu.
 

"Meine nicht."
 

"Irgendwie überrascht mich das nicht", grinse ich. "Also - wie geht es jetzt weiter?"
 

Er räuspert sich. "Kommen wir zu der Arbeitsaufteilung ..." Sofort klingt er wieder kühl und sachlich, als befände er sich auf einer Konferenz. Ich warte praktisch nur darauf, dass er eine komplette Power Point Präsentation aus dem Ärmel schüttelt und ein paar komplizierte Graphiken an die Wand beamt. "Der Arbeitsprozess teilt sich in drei Etappen, die wir simultan oder sukzessive durchführen können. Angesichts des eingeschränkten Arbeitsfeldes und deiner mangelnden Kompetenz halte ich Letzteres für effizienter. Wir sollten uns zuerst auf ..."

Er stoppt abrupt als ich anfangen muss zu lachen.
 

"Ja, Wheeler? Irgendwelche Einwände? Oder konstruktive Gegenvorschläge?" fragt er eisig und mit zusammengebissenen Zähnen, in einem Tonfall, der deutlich macht, dass er alles, nur nichts wirklich Konstruktives von mir erwartet.
 

"Kaiba ... entspann dich, okay?" Ich wedele beruhigend mit den Händen.
 

Verärgert runzelt er die Stirn. "Ich bin entspannt."
 

"Ja, aber vielleicht nicht entspannt genug ..." bemerke ich zweifelnd.
 

"Na und? Ich beabsichtige nicht einen Yoga-Kurs zu leiten! Wo ist dein Problem?" faucht er unwillig.
 

"Ich weiß nicht, wie ich dir das sagen soll ... aber wir sollen nur einen Kuchen backen. Keine Firmenübernahme planen!"
 

"Entschuldige, dass ich versuche methodisch vorzugehen."

Er stellt das Mehl zurück auf den Tisch. Einiges von dem weißen Pulver haftet noch an seinen Fingern und er streift es mit einem verärgerten Gesichtsausdruck ab.

Langsam sehe ich, wo das Problem liegt. Überraschung! - Kaiba ist nicht gut darin im Team zu arbeiten. Vermutlich ist er es gewohnt, alles alleine zu machen, oder einfach die Befehle zu geben und sie dann von anderen ausführen zu lassen.
 

"... und vergessen sie nicht so lange zu rühren, bis der Teig absolut klumpenfrei ist", trällert es von vorne. Na toll, irgendwie ist der Rest der Klasse schon um einiges weiter als wir es sind. Wir werfen uns beinah gleichzeitig einen anklagenden Blick zu und ich kann an seinem wütenden Gesichtsausdruck sehen, dass er kurz davor ist mich zu packen und durchzuschütteln. So wird das nie was.
 

"Hör zu, wie wäre es damit" beginne ich hastig, bevor er in Versuchung kommt genau das zu tun, "du behauptest doch die ganze Zeit, du hast hier den vollen Durchblick, nicht wahr? Bevor du den gesamten Tagesplan aufstellst, den ich mir doch nicht merken kann ... Sag mir doch einfach was ich tun soll. Und ich ... tue es."

Niemand kann sich vorstellen wie viel Stolz ich in diesem Augenblick hinunterschlucken muss, um diese Worte hervorzubringen. Mir von Kaiba sagen zu lassen, was ich tun soll ...
 

"Du tust alles was ich dir sage?"
 

"... ja."
 

"Ohne sinnlose Zwischenkommentare?"
 

"Ja, man!" Ich warte praktisch nur noch auf einen dummen Spruch von ihm ... irgendetwas Sarkastisches über Hunde, die sich endlich dressieren lassen. Aber zu meiner Überraschung nickt er nur langsam und zustimmend und lässt seinen Blick zielstrebig über den Tisch wandern.
 

"Zuerst der Teig." Er klingt entschlossen. "Wenn wir uns mit dem anrühren beeilen, könnten wir die anderen vielleicht noch einholen... Ich wiege ab, du rührst!"

Ich nicke brav. Ausnahmsweise.
 

"Schüssel!" kommandiert er knapp.
 

"Hm?"
 

Er verdreht die Augen. "Du sollst mich nicht groß angucken. Nimm die verdammte Schüssel."
 

"Sag das doch!"
 

"Ich wusste es! Deine Arbeitshaltung ist vollkommen unökonomisch."
 

"Ich bin ja auch keiner deiner blöden Computer!"
 

Er atmet tief ein und wieder aus. "Noch einmal", sagt er mit zusammengebissenen Zähnen und in einem Tonfall absolut überstrapazierter Geduld. "Schüssel."
 

"Und wie heißt das Zauberwort ...?" flöte ich.
 

"SOFORT!"
 

Zugegeben - es dauert eine ganze Weile, bis wir uns wenigstens halbwegs arrangieren können. Anfangs bin ich nicht unbedingt optimistisch, dass das jemals etwas werden könnte mit uns. Es funktioniert definitiv nicht so reibungslos wie mit Tristan oder Yugi. Aber nach einer Weile läuft es... und es läuft tatsächlich besser als gedacht.

Ich fasse es nicht - wir arbeiten tatsächlich zusammen. Kaiba und ich. Und nicht einmal schlecht. Er wiegt die Zutaten ab, die ich ihm reiche und ich versuche alles, was er in die Schüssel kippt, möglichst klumpenfrei zusammenzurühren. Das nennt man Teamwork.
 

"Butter", kommandiert er. Mit der freien Hand schiebe ich sie zu ihm rüber.
 

"Milch." Ich angle nach einer Milchtüte.
 

"Ei."

Na gut, an seiner Fähigkeit zu freundlichem Smalltalk müssen wir noch etwas arbeiten.
 

"Falls du dieses formschöne, erstklassige Ei aus echter, ökologischer Bodenhaltung meinst - es hört auf den Namen Weevil Underwood!" Ich hebe das Ei hoch, auf das ich eben mit Filzstift eine hässliche Brille und ein fieses Grinsen gekritzelt habe. Was soll ich sagen ... immer nur Teig zu entklumpen ist langweilig.
 

Er hält inne und hebt langsam den Kopf. Der schiefe Blick, den er mir zuwirft, spricht Bände und sagt so etwas wie "... ohne Worte."
 

"Was denn?" verteidige ich mich. "Weevil hat einen Eierkopf. Ich habe nur keine grüne Perücke gefunden, sonst würdest du das auch so sehen!"
 

"Her mit dem verdammten Ei!"
 

"Die Zubereitung ist ein wenig aufwendig", flötet Frau Yokita aufdringlich gut gelaunt von vorne. "Aber sie werden diesen Kuchen noch sehr zu schätzen wissen. Wissen sie auch wieso?"
 

"Ich werde nicht weiterleben können, ohne es zu wissen", bemerkt Kaiba bissig und so leise, dass nur ich es hören kann. Seine langen, schlanken Finger sind damit beschäftigt sorgfältig das Ei aufzuschlagen, welches ich ihm grade widerwillig überlassen habe.
 

"Was tust du da?!" keuche ich entsetzt. "Du ...du tötest Weevil!"
 

Er wirft mir einen fiesen Kaiba-Blick zu. "Meine Trauer hält sich in Grenzen."

Okay, wenn ich so darüber nachdenke ... meine auch.
 

"Ei." Ohne hinzusehen hält er mir die Hand hin. Ich reiche ihm das Nächste. Er hat die Ärmel seiner Schuluniform nach oben gekrempelt, so dass ich einen Blick auf seine schön geformten Unterarme werfen kann. Es widerstrebt mir zwar das zu zugeben, aber wenn ich einen Fetisch für Handgelenke hätte, dann wäre Kaiba ein heißer Kandidat. Seine sind mehr oder weniger perfekt. Und so sorgfältig und behutsam wie er sie grade bewegt, strahlen sie eine seltsame Mischung aus Kompetenz und Verletzlichkeit aus.
 

"Er braucht nur eine halbe Stunde im Ofen!" wird vorne begeistert verkündet. "Stellen sie sich nur vor wie sie später dastehen werden, wenn ihr Mann von der Arbeit anruft und ihnen ankündigt, dass er gleich den Chef mit nachhause bringt. Oder sie erhalten spontanen Überraschungsbesuch und haben nichts da, was sie den Gästen anbieten könnten. Eine Katastrophe! Was tun sie in dem Fall?"
 

"Ich werfe sie raus", erklärt Kaiba ungerührt einem Ei, das eine Sonnebrille aufhat und einen Schnurrbart.
 

"Pizza-Service", erwidere ich, während ich mit einem besonders hartnäckigen Klumpen kämpfe, der sich absolut nicht entklumpen lassen will. "Du willst doch deinen späteren Chef nicht rauswerfen, oder?"
 

Er wirft mir einen Blick zu, als hätte ich einen Dachschaden. "Mein Chef wird mich niemals besuchen."
 

"Wieso nicht?"
 

"Wheeler ... ich BIN der Chef."

Langsam hält er das Ei mit der Sonnenbrille und dem Schnurrbart hoch und hebt eine skeptische Augenbraue. "Hast du nicht genug zu tun? Und was zum Teufel soll DAS sein?"
 

"Roland ...?" spekuliere ich. "Freu dich, jetzt kannst du sogar in der Schule einen persönlichen, eierförmigen Bodyguard bei dir haben!" Hey, wer sagt, dass man mit Eiern keinen Spaß haben kann?
 

"WHEELER!"
 

"Hm?"
 

"Ich weigere mich standhaft Roland zu köpfen!"
 

"Keine Sorge - ich bin schon dabei Pegasus zu malen!" murmele ich und kritzele eifrig auf dem nächsten Ei herum.
 

Sekundenlang starrt er mich an und schüttelt in einer Geste absoluter Resignation den Kopf. "Manchmal zweifle ich ernsthaft an deinem Verstand ... Bei kurzer Überlegung - streich das ,manchmal'!" Er streckt die Hand aus. "Zucker!"
 

Wir bekommen eine gewisse Routine darin zusammen zu arbeiten. Es funktioniert und man könnte beinah so weit gehen und sagen, dass ich Spaß dabei habe. Ich wette, sogar Kaiba findet es nicht halb so schlimm wie er tut. Auch wenn er das mit Sicherheit noch viel weniger zugeben würde als ich. Ich entdecke grade, dass er tatsächlich eine Art von Humor besitzt, zumindest wenn er ein bisschen auftaut. Er redet nicht viel, aber wenn er irgendetwas sagt, dann sind es kurze, trockene Seitenkommentare, die mich zum Lachen bringen. Beim ersten Mal sieht er beinah verwirrt aus, als ich spontan lospruste. Vielleicht traut sich sonst niemand in seiner Gegenwart zu lachen ...
 

Ich kann richtig sehen, wie seine Augen sekundenlang schmal werden und er sich unsicher ist, ob ich mich nicht grade über ihn lustig mache ... und irgendwie versetzt es mir einen Stich. Er ist immer so angespannt. Als ob er in jeder Sekunde damit rechnet angegriffen zu werden und sich verteidigen zu müssen. Ich weiß, dass er es gewohnt ist anderen Menschen Befehle zu erteilen, über sie zu bestimmen und sie bei Bedarf fertig zu machen ... aber was zwischenmenschliche Interaktion angeht, ist er hoffnungslos verloren. Das einfache Konzept, dass man mit Anderen zusammen sein kann und Spaß haben, scheint ihm vollkommen fremd zu sein. Irgendwann ... vielleicht im nächsten Leben, fügt eine sarkastische innere Stimme hinzu ... werde ich ihn mal mit in das Spielcenter in der Stadtmitte schleppen. Nur so ... um ihm beizubringen, wie es ist Spaß zu haben.
 

"Hey!" Erschrocken blicke ich auf, als nachdrücklich mit zwei Fingern vor meinem Gesicht geschnippt wird. Verärgert sieht er mich an. "Ich warte."
 

"Auf was ...?"
 

"Den Weltuntergang? Los, Schokostreusel!"
 

"Ähm ... oh. Tut mir Leid ..." hastig und verlegen wühle ich auf dem voll gestellten Tisch herum, bis ich ein kleines Päckchen gefunden habe. "Hier ..."
 

Kopfschüttelnd sieht er mich an. "Bei deiner geistigen Dauerabwesenheit ist es kein Wunder, wenn du ständig irgendwo hinein oder herunterfällst", stellt er fest, während er das kleine Tütchen öffnet.
 

"Was soll das denn heißen?"
 

"Klingelt es, wenn ich Schulteich sage? Oder Treppe?" Er klingt spöttisch.
 

"Man, ich war zu spät, okay? Ich musste mich beeilen!" Und über den Schulteich ... will ich lieber gar nicht nachdenken.
 

"Dass du zu spät warst heute morgen, ist mir nicht entgangen." Er wirft mir einen scharfen Seitenblick zu. "Meine Zeitung war nämlich auch zu spät." Oh Himmel hilf - Kaiba konnte den Wirtschaftsteil nicht mehr lesen! Das ist der Untergang der Zivilisation!
 

"Ja, ja ... tut mir leid. Ich konnte nichts dafür. Mein Fahrrad ist kaputt gegangen und ich musste alles zu Fuß ablaufen!" verteidige ich mich. Und das Viertel ist verdammt lang!
 

Langsam richtet er sich auf und sieht mich durchdringend an.
 

"Aber Zeit dafür hattest du noch?"

Er greift in die Tasche seiner Schuluniform und zieht einen kleinen, zusammengefalteten Zettel hervor. Er ist gelb und zerknickt und die Schrift darauf ist leuchtend blau. Schlagartig lasse ich die Arme sinken und starre ihn an. Wie ...? Wieso ...? Woher ...?

Oh Gott ... na toll. Wieso fängt er denn jetzt damit an ... Ich dachte ... ich dachte, er hätte ihn übersehen. Ich dachte, er hätte alle Zettel in der letzten Woche übersehen ... oder weggeworfen ... oder ...

Errötend wende ich den Blick ab und starre verlegen auf meine Schuhspitzen. Ich weiß leider auch ohne hinzusehen nur allzu genau was darauf steht.

'Morgen! Wie ich sehe, ist die Firmenkrise vorbei. Deine Aktien stehen ganz oben. =) Wir sehen uns, Joey.'
 

Das ist meine Art ihm einen Pfotenabdruck zu hinterlassen.

Seit letzter Woche tue ich das. Ihm kleine, bunte Zettel zwischen die Seiten zu schieben, auf denen meistens nicht mehr als ein kurzer, in aller Eile hingekritzelter Satz steht ...

Es hat ganz harmlos angefangen, mit einem giftgrünen Klebezettel, und einem kurzen, frechen 'Joey was here!' mitten in seinem Wirtschaftsteil ... nur um ihn zu ärgern. Aber nachdem er nichts gesagt hat in der Schule ... und sich nicht beschwert hat ...
 

Wortlos und ohne ihn anzusehen spielen meine Hände mit dem Schneebesen, mein brennendes Gesicht gesenkt und der Blick hoch interessiert auf den beinah klumpenfreien Teig vor mir gerichtet. Es ist nur ein alberner, dummer, poppigbunter Klebezettel ... Wieso stelle ich mich also grade so an, als hätte er mich dabei ertappt, dass ich ihm anonyme Liebesbriefe schreibe?

Ich will nichts dazu sagen. Ich will es ihm nicht erklären, wieso ich das tue. Ich weiß es ja selbst nicht so genau ... Vielleicht mag ich einfach, wenn er über mich nachdenkt. Sogar dann, wenn er sich über mich ärgert.

Und vielleicht ist es ... einfach der Gedanke, dass es ihn zum Lachen bringt.

Ich stelle mir das oft vor ... wie er die Zeitung aufmacht und einer meiner bunten kleinen Zettel fällt heraus ... und er liest ihn auf und fängt an zu lächeln ... so wie neulich im Schulgarten. Das war ... schön ...
 

Seltsamerweise ist er auch still. Obwohl ich wirklich felsenfest damit gerechnet hätte einen dummen Spruch zu kassieren, so von wegen, dass ich nichts von Aktien verstehe und ob ich nichts Besseres mit meiner Zeit anfangen kann. Aber er sagt nichts von alledem - trotzdem spüre ich seine forschenden Seitenblicke auf mir. So als weiß er nicht genau was er jetzt mit mir anfangen soll. Man, das weiß ich ja selbst nicht.
 

"Du hättest mir früher sagen können, wenn dich das stört", murmele ich widerspenstig und mit zusammengebissenen Zähnen. Irgendwie fühle ich mich ertappt und gedemütigt.
 

Seine Antwort kommt schnell und ist ungewöhnlich heftig. "Idiot! Ich kann mich nicht entsinnen, das gesagt zu haben."
 

Überrascht hebe ich den Kopf. Und zum allerersten Mal seit dem Tag an dem ich ihn kenne, weicht er meinem Blick aus.

"Oh ... okay ...?"
 

"Ei", sagt er leise. "Ohne Gesicht bitte ..."
 

Ich reiche ihm eins. Als ich es auf seine Handfläche lege, umschließt er es behutsam mit den Fingern, damit es nicht herunterfällt. Ich lasse nicht schnell genug los, als er es festhält ... und unsere Hände berühren sich. Seine Finger sind ganz warm und ein bisschen mehlig.
 

Langsam sieht er auf. Sein Gesicht ist vollkommen unbewegt.

Ich weiß nicht wieso, aber ich werde rot. Langsam ziehe ich meine Hand zurück und warte mit klopfendem Herzen darauf, dass er seinen Blick wieder senkt. Sieh mich nicht so an, bitte. Das macht mich nervös. Und dann kann ich mich ... nicht auf die Klumpen im Teig konzentrieren ...
 

Endlich wendet er seinen Blick wieder ab und ich spüre wie ich vor Erleichterung ganz weiche Knie bekomme. Ob er eine Ahnung hat, wie einschüchternd dieser durchdringende, blaue Blick ist ...? Was rede ich da ... natürlich hat er die und er macht das bestimmt mit Absicht ...
 

"Joey ...?"
 

... ja?" quietsche ich. Hastig räuspere ich mich und wiederhole es in einer weniger Stimmbruchmäßigen Tonlage. "Ich meine ... ja?" Oh Gott ... was kommt jetzt ...? Es ist bestimmt wieder irgendwas demütigendes, ich weiß es!
 

Seine Finger öffnen behutsam das anonyme Ei und sein Blick ist konzentriert auf die kleine Schüssel vor ihm gerichtet. "Wieso starren deine merkwürdigen Freunde eigentlich die ganze Zeit hier her, so als rechnen sie damit, dass ich dich jeden Moment auffresse ...?"
 

"Höh?" Erstaunt wende ich den Kopf. Und kippe beinah um.

Die hatte ich echt komplett vergessen.

Irgendwie ist mir entgangen, dass wir die ganze Zeit fassungslos von ihnen beobachtet werden. Nebeneinander stehen sie an ihrem Tisch und starren uns an. Tristans Kinnlade ist runter geklappt und befindet sich vermutlich irgendwo im Stockwerk unter uns, Yugis Augen sind so groß wie Unterteller und Tea sieht aus, als würde sie jeden Moment in Ohnmacht fallen. Probeweise hebe ich eine Hand und winke vorsichtig. Sofort senken sie ihre Blicke und vertiefen sie sich hastig wieder in die Arbeit, ein Sinnbild absoluter Unschuld. Ich blinke.
 

"Das ist äußerst irritierend", stellt er fest, ohne aufzusehen.
 

"Ähm ... ich denke, sie sind nur verwirrt ... also, dass ... dass wir uns noch nicht gegenseitig an die Kehle gegangen sind."
 

"Tatsache ..." er hebt den Kopf und sieht beinah amüsiert aus. "So entsetzt wie sie gucken, könnte man meinen, ich würde mich an kleinen Hunden vergehen ... Hast du keine Angst um deine Unschuld?"
 

"Angst? Vor dir?" Ich schneide eine verächtliche Grimasse. "Nicht in diesem Leben!"
 

Er kommt nicht mehr dazu etwas zu erwidern, denn in diesem Moment quietscht eine aufdringliche Stimme hinter uns los wie eine Boje. "Nein, wie hübsch!" Autsch ... ich bin taub. "Kaiba, wie sie ihre Eier aufschlagen ist wirklich ta~del~los! Haben sie nicht Lust nach vorne zu kommen und das einmal für alle vorzuführen?"
 

Ich kann nichts dafür - ich bekomme einen Lachanfall. Die ganze Anspannung, die sich in den letzten Minuten in mir aufgestaut hat, fällt sekundenlang von mir ab. Der Blick, der mir aus finster zusammengezogen Augen zugeworfen wird, ist zwar mörderisch, aber im Augenblick ist mir das ganz egal. Prustend halte ich mir die Hand vor den Mund um mein schallendes Gelächter zu ersticken.
 

"Nein." Sein Blick ist vernichtend.
 

"Oh ..." erschrocken bringt sie ein paar Schritte Sicherheitsabstand zwischen sich. "Wie bedauerlich ..." Sie hüstelt ein wenig und ringt um Fassung. "Ja also ... wie läuft denn ihre Zusammenarbeit?"
 

Desinteressiert zuckt er mit den Schultern und überlässt mir die Antwort. Vielen Dank auch.
 

"Okay ...?" murmele ich verlegen, nicht sicher ob es irgendein Wort in unserem Sprachgebrauch gibt, welches die Zusammenarbeit mit Seto Kaiba halbwegs zutreffend beschreiben kann.
 

"Sehr erfreulich." Sie nickt billigend und sieht zwischen uns beiden hin und her. "Wissen sie", eröffnet sie vollkommen unerwartet, "ich habe mir in letzter Zeit so meine Gedanken über sie beide gemacht. Über die Spannungszustände, die zwischen ihnen herrschen."
 

Na toll. Hier scheint sich ja wirklich jeder Gedanken um uns zu machen. Als ob wir so faszinierend sind wie zwei Versuchsratten im Käfig. Was ist das hier? Eine weltweite Verschwörung? Kaiba hebt den Kopf und unsere Blicke kreuzen sich.
 

"... und dann war mir alles klar!" endet sie und mir wird klar, dass ich den Anfang ihres Satzes gar nicht mitbekommen habe.
 

"Ach ...?" Also, mir ist nach zwei Jahren immer noch nicht klar wieso er und ich dauernd an einander geraten. Aber vielleicht werde ich ja jetzt erleuchtet. Es leben die Hobby-Psychologen.
 

"Es ist wie bei den Tieren!"

Okay, DAS kam unerwartet ... Bei den Tieren?
 

"Alpha-Männchen, wissen sie?" Zufrieden blickt sie zwischen uns hin und her. "Ich habe das neulich im Fernsehen gesehen. Wasserbüffel waren es, glaube ich. Oder waren es Antilopen? Ist ja auch egal. Gibt es bei den meisten Spezies. Wenn zwei davon in einem Revier sind, wird es andauernd zu Machtkämpfen zwischen ihnen kommen. Und zwar so lange bis einer von beiden den anderen unterworfen und ihn in den Hals gebissen ... oder irgendwie so ... also auf jeden Fall seine Dominanz bewiesen hat."
 

Der Fußboden sieht wirklich sehr interessant aus. Faszinierend, dieses Kachelmuster ...

Verdammt, mein Gesicht glüht. Was REDET diese Wahnsinnige da?!
 

"Haben sie verstanden um was es geht?"
 

"Wasserbüffel ...?" hauche ich.
 

"Nein, Dominanz! Rein vom ethologischen Standpunkt aus gesehen, ist ihr Verhalten absolut nachvollziehbar. Und sobald einer von ihnen den Anderen unterworfen hat, werden wir endlich eine vollkommen harmonische Klassengemeinschaft haben." Sie tätschelt mir den Arm, bevor sie geht. "Sie sollten öfter "Discovery Channel" sehen, mein Lieber."
 

Ich möchte an dieser Stelle festhalten, dass es eine Dimension von dem Begriff "peinliches Schweigen" gibt, die zuvor noch kein Mensch betreten hat. Niemals.

Bitte ... kann sich nicht eine Erdplatte unter mir verschieben, damit ich in dem entstehenden Loch verschwinden kann?

Ich weiß nicht wie es Kaiba geht, aber in meinem Kopf spielen sich grade tausend Szenen ab, in denen ich ihn zu Boden werfe ... und in den Nacken beiße. Es lebe die Dominanz.

Oh Gott ... was rede ich da?! Pfui! Aus, Joey! Sitz!
 

Ich wage es erst wieder aufzusehen, als er plötzliches ein seltsames Geräusch von sich gibt. Vorsichtig hebe ich den Blick. Er hat die Arme auf dem Tisch abgestützt und den Kopf gesenkt, so dass ihm dunkle Haare in die Stirn fallen. Seine Schultern zucken verdächtig.
 

"Du ..." stößt er hervor. Seine Stimme bebt und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, es klingt nach unterdrücktem Gelächter. "Du bist wirklich ..."
 

"Was?! Ich habe nichts gemacht!" protestiere ich sofort. Immer diese haltlosen Anschuldigungen. "SIE hat doch mit den Wasserbüffeln angefangen!"
 

"Sie ... ist seit drei Jahren meine Lehrerin", er klingt anklagend und in seinen Augen blitzt es. "Und bevor du aufgetaucht bist, hat sie mich noch nie mit einem brunftigen Wasserbüffel verglichen!" Also bitte ... er will doch wohl nicht andeuten, dass da irgendein Zusammenhang besteht, oder?
 

"... reiner Zufall?"
 

"Nein." Er richtet sich auf, so dass er von oben auf mich herabsehen kann. "Du...! Du bist laut. Du bist aufdringlich. Du bist anstrengend. Du verursachst nichts als Chaos!" Mit jedem Satz kommt er näher und ich weiche unwillkürlich ein wenig zurück, so lange bis ich die unvermeidliche Tischkante in meinem Rücken spüre und es nicht mehr weitergeht.
 

"Ähm ... ich ... ich kann das erklären...?" Panisch blicke ich in alle Richtungen, auf der Suche nach irgendeinem Fluchtweg.
 

Er stützt die Arme rechts und links von mir auf der Kante ab, so dass ich plötzlich zwischen ihm und dem Tisch eingekesselt bin. Mein Kopf schnellt zu ihm und unwillkürlich halte ich die Luft an. Mein Herz hämmert und in meinem Gehirn herrscht unerwarteter Sauerstoffmangel und gähnende Leere ... er ist so verdammt einschüchternd wenn er so nah ist. Einer seiner Mundwinkel ist zu einem arroganten Lächeln verzogen. Erschrocken fahre ich zusammen, als er den Kopf ein wenig zu mir neigt.
 

"Sieht so aus, als müsste ich dich erst unterwerfen, damit du Ruhe gibst, nicht wahr?" raunt er dicht an meinem Ohr. "Das dürfte nicht allzu schwer sein. Dummer, kleiner Köter ..."
 

WAS?!

Ich bin kein Hund, möchte ich sagen. Aber mir fehlen die Worte. Sämtliche Worte. Mit riesigen, Yugi-ähnlichen Augen starre ich ihn an. Gelähmt, Perplex. Verwirrt. Erschrocken. Was ... was redet er denn da ...?
 

Er schnaubt verächtlich. In einer einzigen, fließenden Bewegung löst er sich wieder von dem Tisch und wirft mir einen herablassenden Blick zu. "Lächerlich ..."
 

Und ausgeknockt. K.O. in der ersten Runde. Dieser ... Idiot!
 

"HEY!" Er hat sich schon wieder dem verdammten Kuchen zugewandt. Ich fasse es nicht - er ignoriert mich! "Komm mir ja nicht mit der verdammten Hunde-Masche!" fauche ich wütend und mit geballten Fäusten. "Sie hat nicht gesagt, wer hier wen unterwirft, klar?!"

Nur weil er mich ganz kurz, wirklich ganz kurz aus der Fassung gebracht hat, heißt das noch gar nichts! Joey Wheeler lässt sich von niemand unterwerfen! Erst recht nicht von DEM! Und jetzt ... ignorier mich gefälligst nicht.
 

"Joey?"
 

Meine Augen weiten sich überrascht. Es ist so verdammt ungewohnt meinen Spitznamen aus seinem Mund zu hören. "Ja?"
 

In aller Seelenruhe füllt er den Teig in die passende Backform. Jede seiner Bewegungen ist so elegant, kompetent und perfekt, dass ich ihn allein dafür verprügeln könnte. Endlich hebt er den Kopf und sieht mich an. "Du hast Mehl im Gesicht."
 

Ich werde das dumpfe Gefühl nicht los, dass er mich einfach nicht Ernst nimmt ...

Langsam fahre ich mir mit der Hand über das Gesicht. Sie ist tatsächlich eingestäubt als ich sie zurückziehe. Nein ... wieso ich? Wieso passiert so was immer mir? Wurde ich geboren um gedemütigt zu werden? Wieso ... behält er immer irgendwie das letzte Wort ...?
 

Wortlos drehe ich mich um und gebe endlich dem überwältigenden Impuls nach zu fliehen. Rücksichtslos drängele ich mich an allem vorbei, was mir im Weg steht. Empörte Aufschreie begleiten meinen Weg. Die verdammte Küche ist vollkommen überfüllt und die Luft ist erdrückend und schwül von dem riesigen Ofen, der dabei ist vorgeheizt zu werden. Mir ist warm. Mein Herz klopft. Ich weiß nicht, was los ist.

Atemlos stoppe ich vor dem Waschbecken, das in einer Ecke angebracht ist. Mein eigenes erhitztes Gesicht starrt mich an, als ich in den Spiegel sehe. Weißes Puder klebt auf meiner Stirn und meiner linken Wange.
 

Wie macht er das ...? Wie kann er ... so ruhig bleiben? Als ob er nichts mitkriegt ... als ob ihn das alles nichts angeht. Wie kann er so sein ...?

Ich bin dumm ... ich weiß nicht einmal, was das Wort Konglomerat bedeutet ... und mir geht das nah, was er macht und was er sagt ... und irgendwie ... verliere ich Schritt für Schritt den Boden unter den Füßen in seiner Gegenwart.

Es ist in Ordnung sich zu ärgern. Es ist in Ordnung wütend auf ihn zu sein ... Es ist in Ordnung, wenn er mir unter die Haut geht. Es ist in Ordnung, versuche ich mir zu sagen ... Aber ich glaube es plötzlich nicht mehr.
 

Ruckartig drehe ich den Wasserhahn auf und halte meinen Kopf darunter. Es rattert in der veralteten Leitung und ein harter, hämmernder Strahl schießt hervor. Eisiges Wasser läuft über meinen Nacken und über mein Gesicht, so lange bis sich alles taub anfühlt und mein Kopf langsam beginnt von der Kälte zu schmerzen.

Besser. Viel besser.
 

Als ich zurückkomme, ist mein Gesicht gerötet, weil ich es so heftig trocken gerubbelt habe. Die Spitzen meiner Haare sind noch feucht und einzelne Tropfen perlen über meinen Nacken und versickern im Kragen meiner Schuluniform. Ich bin ruhig. Ich bin gelassen. Ich habe alles im Griff. Nichts was er sagt, kann mich aufregen. Genau.
 

Er dreht sich um und runzelt die Stirn, sein scharfer Blick gleitet an mir hinauf. "Wieso hat das so lange gedauert? Und wieso siehst du aus wie ein begossener Pudel?"
 

Meine Gelassenheit verpufft wie ein Luftballon. "Jetzt hör mir mal zu, du arroganter, selbstgefälliger ...!" explodiere ich.
 

"Wie auch immer." Rüde schneidet er mir das Wort ab. "Schwing keine Reden. Der Kuchen muss gleich in den Ofen und dank deiner "Mithilfe" wird das garantiert keine Eins mehr. Kümmere dich um den Rest und versau das nicht auch noch."
 

"Was ...?" Wieso "kümmere dich um den Rest"? War das hier nicht als Gruppenarbeit geplant? Ich verstehe nur Bahnhof.
 

Er greift nach seinem Laptop und wirft einen Blick auf seine Armbanduhr. "Ich bin für den Rest des Tages befreit. Ich denke mal, das Aufräumen ..." er macht eine lässige Handbewegung in Richtung des voll gepackten Tisches, "... schaffst du auch alleine."
 

Das ist nicht sein Ernst, oder ...?

Er will gehen? Er will sich einfach aus dem Staub machen?
 

"Wir sehen uns, Köter." Nein! Moment! Das kann er doch nicht machen! Er kann doch nicht ...! Er geht. Er geht wirklich. Ich starre ihm nach ... und zum ersten Mal heute bin ich vollkommen sprachlos. Alles in mir ist aufgewühlt und durcheinander ... und er geht.
 

Mein Blick fällt auf den Tisch und ich lasse meine Arme kraftlos nach unten sinken. Er ist voll gestellt mit klebrigen Schüsseln und Besteck, und Reste von den Zutaten, die wir nicht benutzt haben, bilden kleine Pfützen auf der Tischplatte. Aufgerissenes Papier und leere Milchtüten liegen herum und mitten in dem Chaos befinden sich meine leuchtend bunten Filzstifte, die ich benutzt habe um Eier anzumalen. Die Reste unserer ganzen abgedrehten, freakigen Gruppenarbeit liegen vor mir ... und in der Mitte steht der verdammte Kuchen, der mit Sicherheit keine Eins mehr wird ... wegen mir ...
 

Etwas zieht meinen Blick auf sich. Reflexartig runzele ich die Stirn und trete näher. Was ...?

Schlagartig werden meine Augen weit und ich starre wie ein Idiot auf die Backform.
 

Mein Kopf schießt hoch und mein Blick fährt wie alleine durch den Raum. Warte! Ist er schon ...?! Mein Blick fällt auf dunkle Haare und das Silber seines Aktenkoffers. Er steht mitten in der Tür, sein gerader, abweisender Rücken zu mir gewandt. Als würde er meinen Blick spüren, wendet er genau in diesem Moment den Kopf und blickt über seine Schulter zurück.

Mit weit aufgerissenen Augen erwidere ich seinen Blick.
 

Er senkt den Kopf und obwohl sein dichtes, dunkles Pony seine Augen verdeckt, kann ich sein Lächeln sehen. Nur Millisekunden lang, bevor er sich endgültig umdreht und geht.
 

Mitten auf dem glatten, ebenmäßigen Teig befindet sich ein sauberes Muster aus Schokostreuseln. Er ist nicht gut in künstlerischen Dingen, aber ... ich bin beinah sicher, dass das ... ein kleiner Hund sein soll.

Nein ... ich bin ganz sicher.
 

~ And I see you standing there

Wanting more from me ...

And all I can do is try ~
 

^to be continued^
 

Nachwort: Ich bin nicht ganz sicher, ob das alles so rübergekommen ist wie ich das gerne hätte. *drop* Im Endeffekt geht es in diesem Kapitel eigentlich nur darum, dass die Beiden versuchen netter zueinander zu sein (daher auch das schöne Lied mit dem Titel "Try" ^_~) ... und dass sie es schlichtweg nicht wirklich hinbekommen. Weil Kaiba zu stolz ist und Joey zu hitzköpfig.

Nun ja ... egal. Ich hatte Spaß beim schreiben und ich hoffe einfach mal, dass auch irgendjemand Spaß beim lesen hatte. ^^

Unfall

Pairing: Seto Kaiba x Joey Wheeler (immer noch ... *g*)
 

Warnungen für diesen Teil: Kaiba ist fies, Joey, verplant - das übliche. ^^* Und vermutlich OOCness auf Mokubas Part - ich bin sicher ob ich ihn richtig schreiben kann - vermutlich mache ich ihn viel zu lieb. ^^* Ach ja - und das völlige Fehlen jeglicher Handlung! OO
 

Ich hätte es nicht gedacht - aber hier kommt der nächste Teil. ^^ Es werden vermutlich drei zusammenhängende Kapitel. Je nachdem, wie lange ich brauche um zum Punkt zu kommen.

Vielen Dank für eure Kommentare! *___* *freu freu* Ihr habt keine Vorstellung wie sehr das motiviert. ^___^
 


 

~ I'm so cool - too bad I'm a loser

I'm so smart - too bad I can't get anything figured out

I'm so brave - too bad I'm a baby

I'm so fly - that's probably why it

Feels just like I'm falling for the first time ... ~
 

(Barenaked Ladies "Falling for the first time")
 

***
 

Seit mindestens zehn Minuten starre ich finster und unentschlossen auf den kleinen, hellblauen Zettel in meiner Hand. Ich frage mich, wie lange es dauert, bis ich mit meinem intensiven Blick die ersten Löcher hinein gebrannt habe.

Aber so ausdauernd ich ihn auch anfunkle, es hilft alles nichts - ich weiß immer noch nicht, was ich draufschreiben soll. Ich meine, ich könnte es einfach lassen, ihm die blöde Zeitung in seinen quadratkilometergroßen Vorgarten pfeffern und weiterfahren. Dafür werde ich schließlich bezahlt. Und nicht dafür, dass ich kleine, neonfarbene Klebezettelchen voll kritzele.

Aber dann hätte ich das Gefühl, als ob ich vor ihm kneifen würde. Als ob es mir peinlich wäre, dass er mich gestern darauf angesprochen hat. Ist es aber nicht, klar? Denk nur nicht, dass ich Schiss vor dir habe, Kaiba! Hatte ich noch nie - und werde ich auch nie!
 

Außerdem nerve ich ihn einfach gerne mit meiner Anwesenheit. Immerhin ist es nicht normal und sicher nicht gesund, wenn man den ganzen Tag so unbewegt und emotionslos vor sich hinvegetiert, wie er das tut. Soll er sich ruhig schon vor dem Frühstück über mich ärgern, damit er nicht einrostet und mit siebzehn zu einem verbitterten, alten Mann mutiert. Genau. Ich tue das also nur für ihn - um ihn jung und knack ... ähm fit zu halten.
 

Nachdenklich kaue ich auf meinem Kugelschreiber herum. Eigentlich bin ich angepisst. Sogar ziemlich! Weil er sich gestern einfach so schnöde aus dem Staub gemacht hat, der Idiot, und mich ganz allein, inmitten des von uns einträchtig verursachten Chaos, stehen gelassen hat. Und sich für den Rest des Tages nicht mehr hat blicken lassen! Von wegen, er muss ganz dringend weg ... Ich wette, das war nichts als eine billige Ausrede.

Aber ich bin eben nur eigentlich angepisst. Ich sollte es sein und ich versuche es ja auch ... aber jedes Mal muss ich wieder an den Hund auf dem verdammten Kuchen denken.

Oh Gott. Ich werde weich. Aufgrund eines Hundes. Auf einem Kuchen. Auch das noch.
 

Auch wenn ich der Erste bin, der ausrastet, wenn er mich mal wieder mit einem Straßenköter vergleicht ... aus unerfindlichen Gründen bin ich mir fast sicher, dass es diesmal nicht als Beleidigung gemeint war. Kaiba würde sich nicht so eine Mühe machen, nur um jemanden zu beleidigen. Glaubt mir, das kann er effektiver, nachhaltiger und mit wesentlich weniger Aufwand anstellen, wenn ihm danach ist. ICH muss es wissen.

Also, fassen wir zusammen. Ich bin nervös. Ich bin angepisst. Ich bin gefühlsduselig wegen einem Hundekuchen. Ich bin verwirrt und es ist seine Schuld. Aber gestern war es schön - und das ist auch seine Schuld. Also, beginne ich jetzt mit ,Danke' oder mit ,Du Arsch'? Konflikte über Konflikte.
 

> Hi! < Guter Anfang. Ich nicke befriedigt.

> Du hast gestern wirklich eine wahnsinnig fetzige Mathestunde verpasst < schreibe ich schließlich. > Nein, Scherz. Alles war so langweilig wie immer. Außer, dass irgendjemand gefehlt hat, der mich in einer Tour beleidigt. Oh - das warst du. <
 

Na, bitte. Der perfekte Mittelweg zwischen ,Du bist so ein Idiot' und ,Zugegeben, es war irgendwie langweilig ohne dich'. Und da sage noch einer, nur Frauen wären subtil. Nicht einmal Tea hätte das besser hinkriegen können.

Es ist noch nicht einmal gelogen. Es IST irgendwie langweilig ohne ihn. Ich ertappe mich dann ständig dabei, wie ich irgendeinen frechen Spruch loslassen möchte ... aber dann drehe ich mich um und es ist niemand da, für den diese Beleidigung gedacht war.
 

Ich kritzele ein schwungvolles > Joey < darunter, pappe es mitten auf die Börsennachrichten und falte die Zeitung wieder ordentlich zusammen. Er kann es einfach nicht übersehen. Äußerst zufrieden mit mir selbst, stecke ich sie in den seltsamen Apparat, den Kaiba anstatt eines Briefkastens hat. Ein paar Zahlenkolonnen flackern auf, während die Zeitung methodisch durchgescannt wird. Ich steige in der Zeit auf mein Fahrrad, welches an den wuchtigen Gitterstäben seines Eingangstores lehnt und warte geduldig auf die Bestätigung.
 

"Vielen Dank für ihren Einwurf", ertönt eine metallische Stimme. "Es konnten keine gefährlichen Inhaltsstoffe entdeckt werden. Ihre Sendung wird unverzüglich weitergeleitet. Die Kaiba Corporation wünscht ihnen einen schönen Tag."
 

Es lebe die Paranoia. Na gut, wer kann es ihm verdenken, wenn er vorsichtig ist. Vermutlich wäre ich das auch, wenn ich so viele Leute kennen würde, die hinter meiner heiß geliebten Firma her wären. Oder hinter meinem noch inniger geliebten, kleinen Bruder.
 

Auf den Pedalen balancierend, stoße ich mich von den Gitterstäben ab und kurve mit einem Satz über den Bordstein auf die Straße. Die Straßen sind noch weitgehend leer, weil der Berufsverkehr noch nicht angefangen hat, und ich genieße den Luxus ungehindert in der Mitte der Straße fahren zu können. Obwohl es noch so früh ist, verspricht der leuchtendblaue Himmel über Domino jetzt schon, dass die Hitzeperiode der letzten Wochen heute weitergehen wird. Ein Tag, wie geschaffen dafür um die Schule einfach sausen zu lassen und sich faul im Park in die Sonne zu legen.
 

Also, wenn ich Kaiba wäre - soll heißen, stinkreich und mit einem so bösen Blick gesegnet - würde ich die Ausrede mit der Firmenkrise öfter dafür nutzen, um genau das zu tun. Er kann es sich doch leisten zu fehlen - außer gelangweilt ein paar Einser zu sammeln, macht er doch den lieben langen Tag nichts in der Schule.

Aber ich befürchte wirklich, dass er das Wort Freizeit nicht einmal buchstabieren kann. Mal ernsthaft - kann sich irgendjemand Kaiba in kurzen Hosen und einem Eis in der Hand im Freibad vorstellen? Wenn ich so darüber nachdenke, bezweifle ich sogar, dass er so etwas wie T-Shirts oder kurze Hosen besitzt. Ich habe ihn zumindest noch nie anders als hochgeschlossen erlebt. Schon als ich gestern einen ungehinderten Blick auf seine bloßen Handgelenke werfen durfte, kam mir das beinah so intim vor, als würde ich ihn nackt sehen. Kaiba verleiht dem Begriff ,zugeknöpft' eine ganz neue Dimension.
 

Während ich all diesen absurden Gedanken nachhänge, bin ich fortdauernd damit beschäftigt, zusammengerollte Zeitungen in die Vorgärten zu werfen und lässig um die wenigen Passanten herumzukurven, die um die Zeit schon unterwegs sind. Denken, Fahrrad fahren und Zeitungen austragen - alles auf einmal. Hey, ist das nicht toll, wie multitasking-fähig ich bin? Nicht wie Tristan, der es nicht mal schafft im Laufen eine Pizza zu essen. Ich bin gut. Und heute wird ein richtig schöner Tag - das habe ich im Gefühl.
 

Lasst euch eins gesagt sein und merkt es euch für die Zukunft - auf Gefühle ist kein Verlass.
 

Ich schieße um eine Kurve herum, direkt auf eine breite Kreuzung. Die Strassen sind immer noch leer, ich habe nur Sonne und Fahrtwind um mich herum und sekundenlang bin ich high und unaufmerksam von diesem berauschenden Gefühl. Was für ein Tag um zu schwänzen. Ich lege den Kopf zurück und genieße die Sonne auf meinem Gesicht. Bis ich Reifen quietschen höre und mein Herz bleibt stehen. Dramatisch, aber wahr!

Quietschende Reifen sind nie gut. Ganz und gar nicht gut. Scheinwerfer, die auf einen zurasen, sind noch schlechter ... Ich habe gar eine Zeit mehr, um Panik zu schieben. ,Verdammt, wo kommt das Auto her?!' ist das letzte, was ich denke. In einer Sekunde bin ich noch auf dem Fahrrad und in der nächsten ...
 

Es gibt gewisse Sätze, die man einfach nicht hören möchte in seinem Leben.
 

Dazu zählt so etwas wie: ,Ihre Versetzung ist ernsthaft gefährdet.' Höre ich fast jedes Jahr.

Der Klassiker: ,Lass uns doch Freunde bleiben.' Hat Tristan mal zum Weinen gebracht. Kein schöner Anblick.

Oder: ,Deine Mutter und ich lassen uns scheiden.' Seufz.

Nicht zu vergessen: ,Ist er schon drin?' Also, DEN habe ich zum Glück noch nie gehört.
 

Und dazu gehört mit Sicherheit der Satz: "Oh Gott, er ist TOT!"
 

In diesem Fall bezieht sich dieser grässliche Satz auf mich.

Hey, das ist nicht nett! Ich bin nicht tot. Denke ich ... Mir tut nur alles weh und ich habe sekundenlang keine Ahnung, was überhaupt passiert ist. Ich blinzele heftig. Der strahlendblaue Himmel dreht sich über mir wie ein Karussell und ich spüre den harten Asphalt unter meinem Kopf. Was ist los ...? Ich bin durcheinander. Es tut weh klar zu denken.
 

"Oh nein! Oh NEIN!" Etwas Schwarzes, Buschiges schiebt sich in mein Blickfeld. Es klingt definitiv hysterisch. Und ziemlich vertraut, wenn ich so darüber nachdenke. "Es ist JOEY! Es ist Joey und er ist TOT!"
 

Hey!! Ich bin NICHT tot! Ich ertappe mich dabei, wie ich auch schon anfange in Großbuchstaben zu denken. Ich bin vielleicht ein bisschen lädiert und angeschlagen, aber ich bin definitiv nicht tot. Angestrengt versuche ich irgendetwas Dementsprechendes von mir zu geben, aber ich kriege meine Stimmbänder nicht zum funktionieren. Mein ganzer Körper fühlt sich grade an, als ob er nicht wirklich zu gebrauchen wäre. Als ob bei mir alles ein bisschen in Zeitlupe und gedämpft ablaufen würde. Was zum Teufel ist passiert ...?
 

"Seto!" Seine Stimme überschlägt sich fast vor Panik und seine schwarzen Haare streifen über mein Gesicht, während er den Kopf zur Seite dreht und nach seinem großen Bruder brüllt. "SETO!!"
 

Ich versuche immer noch zusammenzupuzzeln, was hier überhaupt los ist, während Mokuba anfängt verzweifelt an meiner Schulter zu rütteln. Bitte Kleiner, lass das ... Das ist nicht hilfreich, um Ordnung in meine chaotischen Gedanken zu bringen. Auch wenn ich es irgendwie süß finde, dass ihm das so zu schaffen macht, dass ich tot bin. Moment, ich bin ja nicht tot.
 

"Mokuba." Ein Kribbeln läuft über meine angespannte Haut wie Ameisen. Diese Stimme kenne ich doch. Sein ruhiger Tonfall ist wie ein Kommando. "Hör auf ihn zu schütteln."
 

"Aber Seto ...", schnieft er. "Ich glaube, er ist ..."
 

"Er ist nicht tot." Und der Fachmann spricht. Zumindest gibt es ja böse Zungen, die behaupten, dass er ein Untoter ist. Vampir, oder so. Sein langer Mantel rauscht, als er neben mir niederkniet. Ich sehe es wie in Zeitlupe. Dunkles Violett - sehr stylish, Seto, wirklich.
 

"Joey?" Eine Hand legt sich um meinen Unterkiefer und zwingt meinen Kopf dazu, sich zu ihm zu drehen. Er geht nicht grade sanft mit mir um, aber es hilft meinen verschwommenen Blick auf ihn zu fokussieren. Ich blinzele ein paar Mal und blicke direkt in unendlich tiefes Blau ... Kaibas Augen. Er wartet freundlicherweise, bis meine Augäpfel endlich aufhören zu rotieren und in der Lage sind, ihn zu fixieren. "Verstehst du mich?"
 

Ich nicke brav.
 

"Was...", seine Stimme ist ein einziges dunkles, tiefes Knurren, " ... fällt dir ein, direkt vor meinen Ferrari zu fahren, du lebensmüder Vollidiot?"
 

Ferrari ...?

Oh ... verdammt! Es macht klick und schlagartig explodiert die verlangsamte Seifenblase, in der ich schwebe. Alles geht wieder in Echtzeit. Kreuzung ... Auto ... quietschende Bremsen ... scheiße! Scheiße! Die Straße war doch leer ... wo ist er auf einmal hergekommen? Hat er mir die Vorfahrt genommen, oder habe ich ihm die Vorfahrt genommen? Wieso lebe ich überhaupt noch? Und wieso bin ich so schnell gefahren ... ich hatte doch Zeit ... ich war doch einmal in meinem Leben pünktlich ... Was heißt hier überhaupt Ferrari?
 

"Mein Fahrrad!" Fassungslos setze ich mich auf. Panisch fliegt mein Kopf in alle Richtungen. Wo ...?
 

"Joey - du lebst!" Mokuba klingt begeistert. Schmale, rührende Kinderarme fliegen um meinen Nacken und er umarmt mich. "Ich dachte, wir hätten dich umgebracht!" Bevor ich ihm über den Rücken streicheln und irgendetwas Beruhigendes sagen kann, wird Mokuba aus meinen Armen entfernt. Unnachgiebige Hände drücken mich bestimmt zurück auf den Asphalt.

"Was machst du denn ...?!" fauche ich und versuche mich zu wehren. Aber gegen

Kaibas festen Griff habe ich nicht die geringste Chance.
 

"Halt still." Er klingt angepisst. "Bist du jetzt vollkommen verblödet? Bringt man kleinen Hunden heutzutage nicht mehr bei, dass sie nach rechts und links sehen müssen, wenn sie eine Straße überqueren?"
 

"Ich bin KEIN Hund!"
 

"Wieso musst du dauernd meinen Weg kreuzen?" Funkelnd sieht er mich an. "Läufst du mir nach? Was hast du überhaupt hier zu suchen?"
 

Hallo? Das darf nicht wahr sein! Der Arsch hat mich mit seinem AUTO angefahren! Und trotzdem führt er sich auf, als wäre das alles MEINE Schuld.

Oh ... das sind die Großbuchstaben wieder.
 

"Entschuldige bitte, ich arbeite hier! Was hast DU hier zu suchen?"
 

"Ich wohne hier!"
 

Ach, stimmt ja ... "Lass mich los!" knurre ich wütend. "Du hast kein Recht ...!"
 

"Oh doch, du Penner - ich habe jedes Recht!"
 

"Hast du nicht! Finger weg!"
 

"BLEIB. GEFÄLLIGST. LIEGEN!"
 

Mehr aus Überraschung als aus Gehorsamkeit halte ich endlich still und blicke zu ihm hoch. Langsam und mit zusammen gebissenen Zähnen atmet er aus. Oh man, klingt der geladen. Er hat mich noch nie so angefahren. Zumindest kann ich mich nicht daran erinnern.

Die Hände, mit denen er mich so unnachgiebig zu Boden drückt ... bilde ich mir das ein, oder zittern die ein wenig ...? Als ob die ganze Wut eben nur aufgesetzt war. Wer weiß - vielleicht war sie das. Nicht einmal Seto Kaiba überfährt jeden Tag jemanden.
 

"Ich liege doch schon. Ich bin total entspannt und liege hier nur rum - sieht man das nicht?" erwidere ich unwillig.
 

"Besser für dich." Er wirft Mokuba einen kurzen Blick zu. "Sieh nach, ob der Idiot irgendwo am Verbluten ist und es nur nicht mitbekommt, in Ordnung?"
 

"Alles klar." Der Kleine nickt eifrig.
 

"Hey! Hältst du mich für so blöde?" frage ich aufgebracht. "Ich würde doch merken ...!"
 

"Vielleicht stehst du unter Schock", erwidert er kurz angebunden. "In diesem Zustand kann man sogar Gliedmaßen verlieren und würde keine Schmerzen spüren."
 

Ich kann spüren, wie ich blass werde. "WAS?!"

Oh Gott ... Sollte mich das etwa entspannen? Wenn ja, ging das voll in die Hose. "MOKUBA! Sieh nach, ob noch alles dran ist! Fehlt da irgendwas?!" Meine Stimme klingt panisch. Kein Wunder. Vielleicht liegt da irgendwo ein Bein von mir auf der Strasse und ich merke es nicht einmal!
 

"Äh ... Seto ...?" Er klingt unsicher.
 

"Ignorier ihn einfach. Keine Sorge", sagt er zu mir. "Wenn du noch so viel Schwachsinn von dir geben kannst, kannst du nicht so schwer verletzt sein ..." Er betrachtet meine Augen mit fachmännischem Interesse. Unbehaglich versuche ich seinem intensiven Blick auszuweichen, aber die Hand unter meinem Kinn verhindert jede Bewegung. "Halt still."
 

"Tut mir ja leid, das sagen zu müssen - aber um mir tief und romantisch in die Augen zu sehen, ist das hier nicht die passende Gelegenheit." Er macht mich nervös. Macht er das mit Absicht?
 

"Idiot." Er verdreht die Augen. "Ich versuche festzustellen, ob du eine Gehirnerschütterung hast. Auch wenn es da nicht viel zu erschüttern gibt." Er hält mir eine Hand vors Gesicht und breitet ein paar seiner langen, schlanken Finger aus. "Wie viele Finger sind das?"
 

" ..." Ist das sein Ernst?
 

"Du kannst doch bis drei zählen, oder?" fragt er herablassend. Oh Gott. Es IST sein Ernst.
 

Wenn Blicke töten könnten, müsste man ihn jetzt wieder beleben - und ich würde es garantiert nicht tun! "Du mieser, fieser, arroganter ...!" Ich zappele unter ihm und mache Anstalten ihm eine reinzuhauen.
 

"Halt still." Seine Hände sind unerbittlich. Der Blick aus blauen Augen nagelt mich förmlich am Boden fest. "Wenn dein ohnehin schon sehr klein geratenes Hundehirn irgendwelche Schäden genommen hat, würde ich das gerne jetzt wissen", sagt er erstaunlich ruhig. "Also, sei jetzt ein braver Köter - und beantworte meine Fragen."
 

Falls er sich Sorgen um mich macht, kann er das wirklich verdammt gut verstecken. Vielleicht habe ich mir das nur eingebildet, dass seine Hände eben am Zittern waren. Vermutlich hat er nur Bedenken, dass ich ihn auf Schmerzensgeld verklage.

Missmutig verdrehe ich die Augen und beschließe, ihm sämtliche potentielle Fragen vorwegzunehmen. "Du hast drei beschissene Finger hochgehalten. Mein vollständiger Name ist Joseph Jay Wheeler. Die Nummer meines Schließfaches in der Schule ist 1725. Meine Lieblingskarte ist der schwarze Rotaugendrache. Und ich komme grade zu spät zu Englisch. Da - zufrieden?"
 

"Ich bin zutiefst beeindruckt." Er trieft beinah vor Sarkasmus. "Kannst du auch Männchen machen und Stöckchen holen?"
 

Finster sehe ich ihn an. "Sorry, aber erste Hilfe von dir ist echt ... mies!"
 

» "Entspann dich!"

"Oha ... wird das Hündchen etwa dominant?"
 

"Falls ich jemals in einer lebensbedrohlichen Situation stecken sollte - lass es dir ja nicht einfallen mir erste Hilfe zu leisten! Ich überlebe ja viel, aber das garantiert nicht." «
 

Turnhalle. Kaiba. Sein Herzschlag unter meinen Fingern.
 

Das Wort Déjà-vu echot in Großbuchstaben in meinem Kopf herum. Es hat praktisch ein Baströckchen an und tanzt LaBamba, so aufdringlich ist es. Jetzt weiß ich, woher es kommt. Wir waren doch schon einmal in dieser Position ... er über mir und grade dabei, mir Erste Hilfe zu leisten. Nur diesmal ist es keine Übung. Und wir haben keine Lehrerin im Hintergrund, die lauthals Kommentare von sich gibt. Und er leistet mir nur Erste Hilfe, um mich damit zu demütigen. Wie praktisch, dass er das alles in einem Aufwasch erledigen kann.

Ich sehe ihn an. Diesmal ist es mein Herz, das schlägt. Ich kann es spüren. Er ist so nah. Ich habe mich die ganze Zeit so sehr über ihn aufgeregt, dass mir nicht einmal aufgefallen ist, wie nah er ist. Nun ja, wenn man mit dem potentiellen Verlust von ein paar Gliedmaßen konfrontiert wird, rückt alles andere ein wenig in den Hintergrund.
 

"Hättest du nicht korrekterweise meine Beine hochlegen oder meinen Puls fühlen müssen?" frage ich und bin überrascht wie unerwartet leise und verlegen es rauskommt. Ich mag es nicht unten zu liegen.
 

"Hast du mal wieder nicht aufgepasst?" Er sieht beinah amüsiert aus. Scheinbar hat er eben an dasselbe gedacht, denn er weiß sofort, wovon ich rede. "Das macht man nur, wenn jemand das Bewusstsein verloren hat. Aber dafür redest du definitiv zu viel ..." Eine Hand wandert hoch zu meinem Kinn und diesmal ist es beinah sanft, als er meinen Kopf so dreht, dass er mir direkt in die Augen sehen kann. "Sieht so aus, als hättest du Glück gehabt ..." sagt er leise. "Dein mickriges Gehirn hat vermutlich keine weiteren Schäden genommen."
 

"Hey, Doktor - was ist das denn für eine unwissenschaftliche Diagnose?" Ich kann nichts dafür, ich muss lächeln. Er sagt die fiesesten Dinge - und gleichzeitig geht er grade so nett mit mir um ...

Doktorspielchen mit Seto Kaiba - dieser Tag fängt ja gut an.
 

Ich frage mich ... ich frage mich ernsthaft ... wenn ich meine Finger jetzt, in diesem Moment, an seiner Kehle hätte - ob ich seinen Herzschlag wieder spüren könnte. Und ob es schneller schlagen würde als sonst ... ob er vielleicht sekundenlang Angst um mich gehabt hat.

Sein Puls ist vielleicht das einzige, was ihn verrät. Was verrät, ob er wirklich so unberührt von allem ist, wie er immer tut. Aber Seto Kaiba gegen seinen Willen anzufassen, ist ein wenig lebensmüder als ich grade drauf bin.

Wer weiß ... vielleicht haben wir irgendwann ja noch einmal Erste Hilfe im Sportunterricht.
 

"Seto ...?" Mokubas Stimme unterbricht diesen ... Moment. "Er blutet."
 

Er klingt nicht so panisch, als ob mein kompletter Fuß abgerissen wäre, von daher mache ich mir keine Gedanken. Ich habe in meinem Leben schon ziemlich oft geblutet. Das bringt das Leben in einem Ghetto so mit sich. Und das Leben mit meinem Vater.

Was mich viel mehr überrascht ist Kaibas Reaktion auf diese einfachen Worte. Er wird blass. Okay, er hat auch so eine ziemlich helle Haut, aber ich kann es trotzdem sehen. Und seine Hand verkrallt sich wie unbewusst in dem Stoff meines T-Shirts, wie ich überrascht feststellen muss.
 

"Wo?" Er dreht sich nicht um. Sein ganzer Körper ist plötzlich angespannt. "Ist es schlimm?"
 

"Nein", Mokuba klingt beruhigend. "Nur eine Schürfwunde. Am Knie."
 

"Gut." Beinah unmerklich atmet er aus. Ich betrachte ihn interessiert. Die leicht geweiteten Augen. Seine Hand in meinem T-Shirt. Er sieht grade so ... erschrocken aus. Unmaskiert. Beinah menschlich. Es dauert einen Moment, bis er meinen Blick bemerkt. Sofort verwandelt sich sein Gesicht wieder in eine unlesbare Maske, und abrupt lässt er mich los. Was ... war das denn?
 

"Sieh zu, dass du aufstehen kannst", befiehlt er knapp und erhebt sich in einer steifen, eiligen Bewegung. Die Intimität des Augenblicks ist schlagartig vorbei. Er wirkt, als könnte er plötzlich nicht schnell genug von mir wegkommen.
 

"Was ist mit ihm los?" Verwirrt sehe ich Mokuba an. Der Kleine lächelt sonnig und streckt mir eine Hand hin, um mir aufzuhelfen. Angesichts der Tatsache, dass er mir grade mal bis zur Taille reicht, ist das eher kontraproduktiv als hilfreich, aber ich nehme sie trotzdem an.
 

"Seto kann kein Blut sehen."
 

Ich starre ihn an und halte mitten in der Bewegung inne. "Nicht dein Ernst ...?"
 

"Doch." Er nickt. "Ihm wird sofort schlecht und ..."
 

"Genug jetzt!" Ein tiefes, finsteres Grollen unterbricht ihn. Kaiba steht über uns und wirft uns einen eiskalten Blick zu - direkt aus der Tiefkühltruhe der Verdammnis. "Los - steig in den Wagen, Mokuba. Wir haben keine Zeit um hier herumzutrödeln!"
 

Mokuba nickt brav und schenkt ihm einen reumütigen, liebevollen Blick aus überdimensionalen, dunklen Hundeaugen. Es scheint zu wirken, denn Kaiba räuspert sich und blickt errötend zur Seite. Kurz und verlegen fährt er ihm über die Haare, beinah als wollte er sich entschuldigen, dass er ihn grade so angefahren hat. "Steig ein", wiederholt er ein wenig sanfter.
 

Apropos fahren ...! Mein Fahrrad! Hastig drehe ich mich um. Vielleicht habe ich Glück und es ist genauso unbeschadet aus dem Zusammenstoß hervorgegangen wie ich. Vielleicht ... vielleicht ...

Meine Augen weiten sich entsetzt und mir bleibt unwillkürlich die Luft weg. "Oh ... fuck!" hauche ich voller Inbrunst.
 

"Was erwartest du?" Ich höre, wie er die Autotür aufmacht. "Das hättest du sein können."
 

Einzelne Zeitungen, die ich noch nicht ausgetragen habe, liegen verstreut auf der Straße herum. Die Seiten flattern in dem leichten Wind. Ich sehe von dem Haufen Schrott am Rande des Bordsteins hoch zu ihm. Und wieder zurück. Kaiba. Schrotthaufen. Kaiba. Schrotthaufen. Wie in Trance. Oh nein ... oh nein ... oh ... nein ... Also, wenn ich eben einen Schock hatte - will ich nicht wissen, was das jetzt für ein Zustand ist.

Dieser Schrotthaufen ... das ist ... Korrektur, das WAR ... mein Fahrrad ...

Das ist nicht irgendein Fahrrad. Das ist MEIN Fahrrad. Es war ein Geschenk von meinem Vater... zu meinem vierzehnten Geburtstag. Okay, ich habe es bezahlt ... und vor die Haustür gestellt - aber ... es war trotzdem so was wie ein Geschenk. Mein erstes selbst verdientes Geld. Ich habe Monate dafür bei ,Dinos Pizza' geschuftet. Fettige Backöfen geschrubbt bis ich dachte, ich würde nie wieder Pizza essen können. Und wie oft haben Tristan und ich es schon repariert. Erst gestern Abend haben wir gemeinsam die verdammte Kette gewechselt ...
 

Das Geräusch des startenden Motors reißt mich aus meiner Erstarrung. Ich fahre herum.

Das darf nicht wahr sein ...! Dieser Arsch will sich einfach aus dem Staub machen und mich hier stehen lassen. Oh nein! So nicht! Vergiss es, Junge!
 

"STOPP!"

Mit ausgebreiteten Armen werfe ich mich direkt vor seine Kühlerhaube, angepisst bis zum geht nicht mehr. Er wird mich ja wohl nicht zweimal an einem Tag überfahren. Mein Knie schmerzt, als ich es bewege, aber sonst scheint noch alles heil zu sein.

Seine Scheiben sind verspiegelt, so dass ich nicht in das Innere des Wagens sehen kann. Also funkele ich einfach wütend die Stelle an, wo das Steuer sein müsste. "Wag es ja nicht, jetzt einfach abzuhauen, Kaiba!"
 

Es surrt leise, als er das Seitenfenster hinunterfährt. "Aus dem Weg, du Penner. Ich bin spät dran."
 

"VERGISS ES! Das hättest du wohl gerne!" Angepisst deute ich auf den Schrotthaufen neben mir. "Du hast mein Fahrrad verschrottet! Du hättest beinah MICH verschrottet! Denk ja nicht, dass du dich jetzt so einfach aus dem Staub machen kannst!"
 

"Darf ich dich daran erinnern, wessen Schuld das ist? Mach mich nicht dafür verantwortlich, nur weil du blind und taub, und offensichtlich mit einem Spatzenhirn gesegnet bist."
 

Scheiße ... ich kann mich echt nicht mehr erinnern, wer hier wem die Vorfahrt genommen hat - dazu ist das alles viel zu schnell gegangen. Trotzdem - so leicht kommt er mir nicht davon! Ich meine - hey, ich hätte ein paar Beine verlieren können! Mindestens ... zwei!
 

"Los. Geh mir aus dem Weg, wenn du nichts Produktives mehr zu sagen hast."
 

"Oh DOCH, und wie ich etwas zu sagen habe!" Nachdrücklich stemme ich beide Hände auf die silberfarbene Kühlerhaube. "Oh, ich sollte dich dafür verklagen, du Idiot, wegen ... Körperverletzung! Psychoterror! Und totaler, gemeiner ... Fiesheit!"
 

Die Fahrertür wird geöffnet und langsam steigt er aus. Lehnt lässig und arrogant zwischen Tür und Auto und sieht mich finster an. "Da bin ich aber gespannt. Als ob du dir einen Anwalt leisten könntest."
 

"Hey!" Grrrr. Wie ich es hasse, wenn er einen auf sarkastisch, herablassend und "Ich-bin-ja-so-viel-toller-als-du" macht! "Jetzt hör mal zu - du KANNST mich nicht einfach frontal erwischen und beinah platt fahren und dich dann aus dem Staub machen, als ob nichts ...!"
 

"Nein. Jetzt hörst DU mir zu, Kleiner", knurrt er. Seine Augen sind schmal und düster. "Ich habe dich nicht frontal erwischt - sonst wärst du jetzt nicht mehr in der Lage, mir meine kostbare Zeit mit deinem niveaulosen Gelaber zu stehlen! Ich habe dich lediglich gestreift - was du im Übrigen nur meinem überdurchschnittlichen Reaktionsvermögen zu verdanken hast! - und dass dabei nur deine primitive Schrottmühle unter die Räder gekommen ist und nicht DU, solltest du als absolutes Glück betrachten!"
 

"Seto ...!" Die Beifahrertür öffnet sich und Mokuba springt heraus. Nervös blickt er zwischen uns hin und her. Sein bittender Blick landet schließlich auf mir. "Joey, er meint es nicht so. Sei ihm nicht böse. Er wollte dich bestimmt nicht anfahren und das mit dem Fahrrad tut uns sehr leid."
 

"Ja, sicher ..." Kaiba klingt mehr als sarkastisch.
 

Mokuba sieht ihn bittend an, auch wenn die nächsten Worte an mich gerichtet sind. "Wir nehmen dich auch mit zur Schule - nicht wahr, Seto?"
 

"Was?!"
 

"Bitte! Er ist doch verletzt." Und schon wieder werden seine großen, schimmernden Kulleraugen als absolute Geheimwaffe eingesetzt.

Kaiba schafft es ganze 43 Sekunden lang ihnen stand zu halten, aber schließlich seufzt er Schicksalsergeben und nickt. Irgendwann muss ich Mokuba bitten mir diesen Blick beizubringen. Oder Yugi. Der kann auch so gucken, dass es Butter zum Schmelzen bringt.
 

"Hmpf." Abwehrend verschränke ich die Arme. Eigentlich bin ich zu stolz, um mir von ihm etwas schenken zu lassen. Aber auf dieses Angebot sollte ich vielleicht wirklich zurückkommen ... Unser Englischunterricht hat vor zehn Minuten angefangen. Außerdem bin ich noch lange nicht fertig mit dem, was ich ihm noch alles an den Kopf werfen will. Und ich fühle mich wirklich ein bisschen lädiert. Auch wenn ich ihm das nicht unbedingt erzählen würde.
 

"Was ist?" Er wirft mir einen finsteren Blick zu. "Dieses Angebot steht noch genau zehn Sekunden. Wenn du dann nicht im Auto sitzt, sind wir weg."
 

Funkelnd sehe ich ihn an, aber beschließe alle weiteren Argumente zu verschieben, bis wir am Fahren sind. Mokuba blickt abwartend zwischen ihm und mir hin und her. Schließlich lässt er, nach kurzem Überlegen, die Beifahrertür für mich offen und krabbelt freiwillig auf einen Rücksitz. Kaiba betrachtet es mit Missfallen.
 

"Schnall dich an", sagt er zu Mokuba. Und zu mir: "Mach die Polster nicht dreckig. Verlier keine Hundehaare. Und behalt deine Pfoten bei dir." Er wirft mir einen scharfen Blick zu, bevor er den Schlüssel umdreht und den Motor anwirft. Das Auto ist so edel und teuer, dass es beinah lautlos anspringt. Ich ignoriere seine geballte Ladung an Beleidigungen.
 

"Was ist mit meinem Fahrrad?" frage ich stattdessen nachdrücklich und deute nach draußen. "Das kann nicht einfach da liegen bleiben!"
 

"Ach nein?"
 

"Nein!"
 

"Du hörst nicht auf zu winseln, bis das erledigt ist, sehe ich das richtig?"
 

"Ja!"
 

Genervt verdreht er die Augen. Mit einer Hand schaltet er einen Gang höher, mit der anderen greift er nach dem Kragen seines langen, dunkelvioletten Mantels. Es knistert leise, als das Intercom verbindet.
 

"Roland?"
 

"Ja, Sir?" ertönt es.
 

"An der Ecke Dreiundvierzigste und Domino Street liegt ein ... Subjekt auf der Straße. Es könnte eventuell den Verkehr behindern. Sorgen sie dafür, dass es entfernt wird."
 

"Nein!" sofort mische ich mich ein. "Nicht entfernt! Es soll zu mir nachhause! Vielleicht kann man es noch ... reparieren?"
 

Der Blick, den er mir zuwirft, spricht Bände. "Daraus kann man höchstens noch eine avantgardistische Blumenvase machen", zischt er leise. Trotzdem sagt er: "Sorgen sie dafür, dass es in den westlichen Distrikt transportiert wird. Yumimostraße 93. Möglichst schnell."
 

"Jawohl, Sir. Wird sofort erledigt."
 

"Danke."
 

Ich starre ihn an. Sein Blick ist unbewegt auf die Strasse gerichtet.

"Hey, Moment ...! Wieso weißt du, wo ich wohne?!" Sollte mich das beunruhigen? Wieso weiß er das? Wieso weiß ich nicht, dass er es weiß?
 

Ein weiterer Gang wird hoch geschaltet. "Ich bin allwissend."
 

"Denk doch mal nach, Joey", ertönt es von dem Rücksitz. "Wir haben Dateien über jeden Duellanten, der bei dem ,Battle City Turnier' teilgenommen hat. Auch sonst über alle, die schon einmal gegen meinen Bruder angetreten sind."
 

Stimmt ... daran kann ich mich erinnern. An diese dämliche Datei, wo Kaiba meine Punkte soweit nach unten gesetzt hatte, dass ich beinah nicht hätte teilnehmen dürfen. Tz. Der hatte doch nur Angst vor der Herausforderung.

"Aber allein ,Battle City' - das waren doch Hunderte!" Ich werfe Kaiba einen fragenden Seitenblick zu, aber er sieht mich nicht einmal an. Schon wieder ist es Mokuba, der antwortet.
 

"Mag sein." Ich kann an seiner Stimme hören, wie breit er grade grinst. "Aber nur eine einzige Datei hat keinen Zahlencode, sondern heißt ,Hündchen'".
 

"WAS?!" Mein Kopf fliegt nach hinten und ich starre ihn perplex an.
 

"Mokuba." Es klingt scharf und äußerst nachdrücklich.
 

"Entschuldigung. Ich meine - sie heißt ,Köter'", korrigiert Mokuba sich mit einem engelsgleichen Lächeln. Er lehnt sich nach vorne. "Wie geht es deinem Knie, Joey?"
 

Na, was für ein dezenter Themenwechsel. Ich sehe zwischen ihm und seinem unnahbaren, großen Bruder hin und her, aber keiner von beiden scheint bereit zu sein, noch irgendetwas preiszugeben. Seufzend ziehe ich ein Bein an und stütze meinen Turnschuh auf dem edlen Armaturenbrett ab. Die Hose ist am Knie aufgerissen, wie ich zur Kenntnis nehme, als ich sie vorsichtig nach oben rolle. Allgemein sieht meine Schuluniform nicht mehr wirklich einwandfrei aus. Ich spare eigentlich grade für ein paar neue Karten für mein Deck, aber so wie es aussieht, wird mein gesamtes Erspartes für eine neue Uniform draufgehen. Yeah ...
 

"Ist okay", sage ich, nach einem kurzen, prüfenden Blick auf mein lädiertes Knie. Es brennt ein wenig, aber es hat schon auf gehört zu bluten. Ein Pflaster drauf und damit war es das. Vermutlich habe ich echt verdammt viel Glück gehabt ... wenn ich an mein Fahrrad denke ...
 

"Nimm deine Schuhe da runter", befiehlt Kaiba. "Oder ich werfe dich raus und du darfst den Rest zu Fuß gehen!"
 

Dabei fällt mir ein, dass ich ja immer noch mächtig angefressen bin auf ihn - ob die verdammte Datei über mich nun ,Hündchen' heißt, oder nicht!
 

"Hey!" knurre ich und lasse meine Füße genau da, wo sie sind. "Denk nicht, dass die Sache schon erledigt ist! Ich will immer noch ein neues Fahrrad von dir!"
 

"Ach was."
 

"Ja, man! Du hast es immerhin verschrottet!" Das ist nicht das einzig Schlimme an der Sache. Ich werde meinen Job verlieren ohne irgendein Fortbewegungsmittel. Sonst brauche ich ja jedes Mal drei Stunden bis ich alle Zeitungen ausgetragen habe. Ohne Fahrrad, kein Job. Ohne Job, kein Geld. Ohne Geld, kein neues Fahrrad! Seht ihr, in welcher Klemme ich stecke?
 

"Du solltest lieber froh sein, dass ich keinen Schadensersatz von DIR verlange."
 

"Bitte ...?" Ich glaube, mein Schwein pfeift. "Wofür denn?!"
 

"Du hast eine Schramme in meinen neuen Ferrari gemacht."
 

"Habe ich nicht!"
 

"Das entspricht einem Wertverlust von mindestens zehn Prozent", fährt er ungerührt fort. "Willst du, dass ich die 50.000 Dollar von dir einklage?"
 

"WAS?!" Mit großen Augen starre ich ihn an. "Der Schlitten hat 500.000 gekostet?!" Langsam und ehrfürchtig entferne ich meinen Schuh von seinem Armaturenbrett und nehme zum ersten Mal den ganzen High-Tech-Bedienungskram zur Kenntnis. Vermutlich ist das irgendeine Spezialanfertigung mit tausend überflüssigen Extras und Raketenantrieb.
 

Er fährt mit quietschenden Reifen an den Rand und sekundenlang denke ich, dass er die Drohung von eben jetzt doch wahr macht und mich raus wirft. Aber dann sehe ich, dass wir nur angehalten haben, weil wir vor Mokubas Schule stehen.
 

"Danke fürs Fahren, Seto." Mokuba quetscht seinen schmalen Körper am Sitz vorbei und umarmt seinen Bruder liebevoll von hinten. "Arbeite nicht so lange."
 

"Hn." Kaiba wirft mir einen scharfen, warnenden Blick zu, der deutlicher als Worte sagt ,Ein Spruch und du bist tot.' Also bin ich so höflich und gucke dezent zur anderen Seite. Mein Gesicht brennt. Ich weiß nicht genau wieso, aber ich kann es in der Spiegelung der Fensterschreibe sehen.

"Roland wird dich nachher abholen", höre ich seine leise Stimme zu Mokuba gewandt.
 

"Sollen wir mit dem Essen auf dich warten?"
 

"Nein. Es wird spät."
 

"Aber Seto ..."
 

Ich versuche wirklich nicht zu zuhören, aber es ist schwer. Ich fühle mich wie ein ungebetener Eindringling, denn das ist so ein privater ,Kaiba-Moment', der nicht für die Augen anderer Menschen bestimmt ist. Es ist immer wieder seltsam zu sehen, wie liebevoll er mit seinem kleinen Bruder umgehen kann. Als ob er in solchen Augenblicken ein komplett anderer Mensch ist, den ich nicht kenne.

Es ist beinah rührend ... was soll ich sagen, ich bin eben sehr empfänglich für schöne Geschwistermomente. Langsam gelingt es mir, ihre leisen, gemurmelten Stimmen auszublenden.

Und irgendwo ... ganz tief drin ... beneide ich Mokuba vielleicht ein wenig, dass er der Einzige ist, der Kaiba von dieser Seite erleben darf.
 

"Auf Wiedersehen!" Ich höre wie die hintere Autotür zufällt. Mokuba winkt uns von draußen zu. Ich winke zurück. Kaiba wartet, bis sein Bruder hinter den Eingangstoren verschwunden ist, dann startet er den Motor.

Wir sind allein in seinem Wagen. Das plötzliche Schweigen zwischen uns ist beinah erschlagend.

Unbehaglich rutschte ich auf dem teuren Ledersitz hin und her. Ich werfe ihm einen kurzen, scheuen Seitenblick zu, aber er hat mir sein makelloses, abweisendes Profil zugewandt und sieht nach vorne.
 

"Du ... ähm ... gehst heute also gar nicht zur Schule?" frage ich schließlich.
 

"Sehe ich so aus?"
 

"... nein?"

Er arbeitet wirklich viel im Moment. Zumindest nach dem, was ich so mitbekomme. Eigentlich ist er fast nur noch zu den Klausuren da. Ich frage mich, ob er einfach keine Lust auf Schule hat ... oder ob die Kaiba Corp. in irgendwelchen Schwierigkeiten steckt. In der Presse stand nichts - ich weiß es, immerhin sitze ich ja an der Quelle. Aber das heißt natürlich nicht viel. Kaiba kontrolliert so ziemlich sämtliche öffentlichen Medien in Domino.
 

Es sind nur drei Querstraßen zwischen der Grundschule und Domino High, deswegen geht es ziemlich schnell, dass er erneut anhält und rechts an den Rand fährt. Vielleicht zu schnell. Ich habe ihn immer noch nicht dazu gebracht, dass er mir ein neues Fahrrad bezahlt. Ich habe immer noch nicht alles gesagt, was ich sagen wollte ... Was auch immer das war.

Der Schulhof ist natürlich schon wieder komplett leer, weil der Unterricht schon längst begonnen hat.
 

Er wirft einen kurzen Blick darauf und sieht dann wieder nach vorne. "Sieht aus, als wärst du trotzdem zu spät."
 

"Ja." Ich seufze. "Also, dieses Schuljahr habe ich wirklich gar kein Glück ..." Angefahren, in einen Teich gefallen, beinah eine Treppe hinuntergefallen ... wieso passiert so was immer nur mir? Und wieso passiert mir das besonders oft in Kaibas Gegenwart? Er muss mich echt für einen Trottel halten.

Ich greife nach meinem Rucksack und öffne langsam die Autotür. "Ähm ... also ... danke ... fürs Fahren ...", murmele ich unsicher. Ist es angemessen sich bei jemandem zu bedanken, der einen grade angefahren hat?
 

Er wartet, bis ich ausgestiegen bin. "Hey ... Joey?"
 

"Ja?" Abwartend und mit idiotisch klopfendem Herzen stehe ich in der Autotür.
 

"Pass ... nächstens besser auf." Er sieht mich nicht an. "Der nächste, dem du vors Auto fällst, reagiert vielleicht nicht so schnell ..."
 

In dieser Sekunde denke ich, vielleicht ... vielleicht haben seine Hände doch gezittert ...
 

Mein Gesicht glüht, als ich nicke. " ...okay."
 

"Aber ..." Er wendet den Kopf und sieht mich direkt an. Hebt in einer Geste absoluter Überlegenheit und Arroganz die Augenbrauen. "... denk nur nicht, dass ich dir deshalb ein neues Fahrrad finanziere! Es ist vielleicht ungefährlicher, wenn du mit dem Bus fährst."
 

Die Tür schließt automatisch, so dass ich nicht einmal dazu komme, etwas zu erwidern. Mit quietschenden Reifen löst er sich vom Bordstein.
 

"KAIBA ...!" brülle ich ihm hinterher, auch wenn er mich sicher nicht mehr hören kann. "Du Bastard!" Na warte ... ich werde so was von NICHT nachgeben diesmal ...

Das kriegt er zurück. Warte nur, Kaiba ...! Niemand verschrottet ungestraft mein Fahrrad und macht Witze darüber!
 

^to be continued^

Reinfall

Warnungen für dieses Kapitel: Joey leidet, Kaiba ist ein Arsch (sorry ^^*) , Auftauchen eines OC's (die ich normalerweise hasse), eine sexuelle Belästigung *drop*, der übermäßige Gebrauch des Wortes 'Bastard', die Misshandlung und Zerstörung einer unschuldigen Kappe, und ein Cliffhanger - viel Spaß damit. ^^
 

Feedback: Immer her damit. ^^
 


 

~ You know, with love comes strange currencies

And here is my appeal:

I need a chance, a second chance, a third chance, a fourth chance

A word, a signal, a nod, a little breath ...

Just to fool myself, to catch myself, to make it real ... ~
 

(R.E.M "Strange Currencies")
 

***
 

Ich habe ein déjà vu. Ich habe ein déjà vu und es regnet.

Schon wieder stehe ich vor einem riesigen, geschlossenen Eingangstor und weiß nicht, ob ich wütend auf ihn sein soll. Nur, dass ich mir diesmal nicht überlegen muss, was ich auf einen kleinen, bunten Zettel schreibe. Und dass das Tor diesmal nicht zu seinem Zuhause, sondern zu dem gigantischen Hauptsitz der Kaiba Corp. gehört. Und dass es diesmal regnet.

Ich weiß, dass ich verrückt bin, okay? Hierher zu kommen ... und zu erwarten, dass er ernsthaft mit mir redet.

Natürlich ist schon geschlossen. Immerhin ist es praktisch schon dunkel. Aber es brennt noch Licht ... ganz oben, in der Chefetage. Genau wie ich erwartet hatte. Das ist er ... bestimmt. Ihm ist zuzutrauen, dass er so lange Überstunden macht. Dieser Vollidiot. Penner. Arroganter Bastard.

Und ich sollte überhaupt nicht hier sein. Ich sollte Zuhause sein und meine Wunden lecken.
 

Die Schulschwester meint, ich habe mehr Glück als Verstand gehabt. Und einen verdammt harten Schädel. Aber mir war gleich klar, dass ich keine Gehirnerschütterung habe. Immerhin hat er das doch ...
 

» "Du siehst echt nicht gut aus. Du hättest überhaupt nicht in der Schule sein sollen in deinem Zustand."
 

"Sag nicht ,in deinem Zustand'! Das klingt, als ob ich schwanger wäre ... Außerdem hat er doch gesagt, dass ich keine Gehirnerschütterung habe."
 

"Und wenn schon! Vertrauen wir jetzt etwa Seto Kaiba? Was sind denn das für neue Sitten?" «
 

Ich gebe zu, dass mir darauf keine Antwort mehr eingefallen ist.

Er mag ja ein arroganter Bastard sein, aber in den meisten Fällen weiß er, was er sagt. Denke ich. Hoffe ich!

Ich muss daran denken, wie ewig lang er mir heute Morgen in die Augen gesehen hat. Auf der Straße ... als er neben mir gekniet hat. Mit diesem ernsthaften, sachlichen Ausdruck im Gesicht, als ob er mich ausnahmsweise mal wie eine ernste Sache betrachten würde und nicht wie eine Witzfigur. Mit seinen viel zu blauen Augen ...

Komisch, das hat die Schulschwester nicht getan ...

Seufzend bleibe ich stehen und fahre mir durch die feuchten Haare. Es tropft langsam und kalt in meinen Kragen. Ich schaudere.

Er macht mich verrückt. Ich bin verrückt gewesen, hier herzukommen, so sieht es aus.
 

» "Ich bin immer noch dafür, das ganze vernünftig anzugehen. Warte einfach, bis er das nächste Mal in der Schule auftaucht und rede mit ihm. Es kann doch nicht so schwer sein, ihn dazu zu bewegen, dir Schadensersatz zu leisten." «
 

Vernünftig, ja? Dieses Wort ist leider so ziemlich das letzte, was die Beziehung zwischen Kaiba und mir auch nur annähernd beschreiben kann. Wir sind einfach nicht ... vernünftig zueinander. Wenn wir vernünftig wären, wäre ich nicht hier.
 

» "Soll ich ihn für dich festhalten und du verprügelst ihn?" «
 

Ja, das klingt schon eher nach uns. Tristans Vorschlag hatte doch etwas für sich. Wieso habe ich ihn eigentlich nicht angenommen?

Das liegt daran, weil ...
 

» "Du willst gar kein Geld von ihm, nicht wahr? Keinen Schadensersatz, meine ich. Und kein Fahrrad."
 

"Nein ..."
 

"Dachte ich mir..." «
 

Soweit die Meinungen meiner drei besten Freunde. Tea ist empört, aber entschlossen, weiterhin pazifistisch zu bleiben und auf der Basis der Vernunft zu argumentieren. Tristan ist nur empört, und bereit alles zu tun, um es Kaiba heimzuzahlen. Und Yugi ist ...

Seltsam. Definitiv seltsam. Er hat seltsam gelächelt und seltsame Dinge gesagt. Kurz - er war richtig seltsam.

Ich kann gar nicht beschreiben, wie seltsam er war. Während Tea, Tristan und ich uns die Köpfe heiß diskutiert haben, was ich jetzt tun soll, hat er daneben gestanden und sah aus, als würde er mit sich selbst reden. Nun, vielleicht hat er das. Also, nicht mit sich selbst, sondern mit Yami, und ich bin nicht sicher, ob ich wissen will, was die Beiden über mich zu sagen hatten.
 

Und jetzt ... bin ich hier. Nass. Allein.

Wieso allein?

Bei Tristan hatte ich Bedenken, dass er wirklich anfängt, sich mit Kaiba zu prügeln, wenn ich ihn mitnehme. Und ich hänge eben doch zu sehr an meinem Kumpel, als dass ich ihn ohne weiteres von Kaiba auseinander nehmen lassen würde. Tea wollte nicht aufhören mich zu bemuttern, und sie hätte mich schon längst überredet nach Hause zu gehen und mich hinzulegen.

Und Yugi ... Yugi war definitiv zu seltsam. Ich hatte die ganze Zeit den Eindruck, dass er etwas über mich weiß, was ich selbst noch nicht weiß - und ich bin nicht sicher, ob ich das gut finden soll.

Deswegen bin ich alleine hier. Ohne Beistand. Aber ich schaffe das. Genau. Glaub an dich, Joey!
 

Ich atme tief durch und hebe entschlossen die Hand. Hier ist nur ein einziger Knopf auf den man drücken kann - hoffentlich ist das die Klingel und nicht der Feueralarm oder so was. Aber was habe ich zu verlieren ... noch viel nasser kann ich auch nicht mehr werden.
 

"Guten Abend", kommt eine leicht metallisch klingende Frauenstimme aus der Sprechanlage. Sie kommt mir vage bekannt vor, aber ich kann sie nicht zuordnen.
 

"Äh ... hi?" sage ich vorsichtig. Wie auf Kommando werden tausend Überwachungskameras langsam und bedrohlich in meine Richtung geschwenkt. Ich lächele nervös und versuche nicht wie ein Terrorist auszusehen.
 

"Wir haben zurzeit geschlossen", leiert sie herunter. "Bitte besuchen sie uns zu unseren offiziellen Geschäftszeiten. Diese sind Mo.-Fr. von 8.00 bis..."
 

"Ähm ... tut mir leid, das ist ein Notfall." unterbreche ich. Moment ... Hat es Sinn, einen Computer zu unterbrechen?
 

"...19.00 Uhr und Sa. von 8.30 bis 15.00 Uhr. Außerhalb unserer Geschäftszeiten kontaktieren sie uns bitte über ..."
 

Ich verdrehe die Augen. Wen interessiert das? Nachdrücklich drücke ich auf dem Knopf herum, in der Hoffnung diesen Programmpunkt zu überspringen. "Sehr schön, wirklich - ich will doch nur ..."
 

"Würdest du mich gefälligst ausreden lassen, du kleiner Punk?" Eine der unzähligen Überwachungskamera wird drohend näher auf mich gefahren.
 

"Punk?" wiederhole ich ungläubig und starre in die Kamera. Und ziehe in Erwägung, dass das doch kein Computer ist.
 

"Ja, du da, mit den gefärbten Haaren!" Sie zeigt auf mich. Das heißt ... so weit eine Kamera eben zeigen kann.
 

"Hey! Meine Haare sind nicht gefärbt!"
 

Schneller als ich reagieren kann, saust sie zu meinem Kopf und ich komme mir vor, als würde ein Hund an mir schnüffeln. Erschrocken hüpfe ich zur Seite. "Tatsache ..." murmelt die Frauenstimme. "Kein dunkler Ansatz."
 

"Natürlich nicht! Ich bin von Natur aus blond!" Und stolz drauf. Tz ...
 

"Was du nicht sagst, Schätzchen." Sie klingt herablassend. "Nun ja, es gibt nur einen todsicheren Weg das herauszufinden ..." Langsam fährt sie die Kameras tiefer. "Aber dafür müsstest du die Hosen herunterlassen."
 

Bitte ... WAS?

Hastig halte ich meine Hände vor den Schritt - reine Vorsichtsmaßnahme, falls hier gleich irgendwelche computergesteuerten Greifarme auftauchen und an meiner Hose zerren. Das darf nicht wahr sein. Ich werde SEXUELL BELÄSTIGT! Ich meine ... von einer ÜBERWACHUNGSKAMERA! Von ... KAIBAS Überwachungskamera!
 

"Finger weg!" knurre ich bissig.
 

"Schüchtern, Kleiner?"
 

"HALLO?!" Zu meiner persönlichen Demütigung werde ich rot. Ich bin nicht schüchtern. Aber ich steh auch nicht unbedingt darauf, wenn wildfremde Computerfrauen über die Farbe meiner Schamhaare spekulieren! "Hören sie ... ich will doch nur noch mal kurz rein gelassen werden ... bitte!"
 

"Sind wir die Wohlfahrt?" kommt schnippisch zurück. "Wir haben längst Feierabend. Um diese Uhrzeit ist niemand mehr da."
 

"Aber in der oberen Etage brennt doch noch Licht!"
 

"Wir sind wohl ein ganz Schlauer, was Blondie?" erwidert sie herablassend. "Hier sind nur noch ich - und der Boss. Und den wollen wir sicher nicht stören, oder?"
 

Der Boss? Ihr Boss? Boss wie in Seto Kaiba-Boss? Bei näherer Betrachtung ...wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass es hier noch einen Boss gibt, außer ihm?
 

"Und wie ich den stören will!" rutscht es mir heraus. Die Kamera fährt wieder näher auf mein Gesicht zu. Entschlossen funkele ich sie an. "Ich will zu Kaiba. Jetzt!"
 

"Du bist hier wegen einem Termin mit der Chefetage?"
 

Ich nicke eifrig. "Ja, genau." Chefetage? Man, bin ich wichtig.
 

"Verstehe." Sofort klingt sie entgegenkommender. "Das ist natürlich was vollkommen anderes. In welcher Angelegenheit wollen sie Seto Kaiba sprechen? Geschäftlich oder privat?"
 

Na endlich. Vielleicht habe ich heute doch noch Glück. Wenigstens einmal an diesem beschissenen Tag. Erleichtert fahre ich mir durch die Haare. "Privat."
 

"ÄTSCH! Pech gehabt, du Punk - Seto Kaiba vergibt keine privaten Termine!"
 

"WAAS?! Nein - Moment!! Ich meinte, geschäftlich! Geschäftlich!!"
 

"Tja, das hätten wir uns wohl ein bisschen früher überlegen sollen, was? Haha!"
 

"Grrr! Du miese, kleine ..." Ich bin so kurz davor, sie zu erwürgen!
 

"Sprich dich ruhig aus, Blondchen ... Ich mache in der Zeit Feierabend." Die Kameras surren zurück.
 

"Was?! Nein! Nicht doch ...! Bitte!" Verzweifelt versuche ich sie aufzuhalten. "Warten sie! Ich brauche ganz dringend einen geschäftlichen Termin mit Seto Kaiba!! BITTE! Ich lasse auch meine Hosen runter, wenn es sein muss! Ich ..."

Ich bin nur noch Millisekunden vor meiner persönlichen Demütigung entfernt, als plötzlich ...
 

"Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich es schmeichelhaft oder schlichtweg bedenklich finden soll, dass du deine Hose für mich herunterlassen würdest ..." ertönt es hinter mir. "Was mir allerdings ganz neu ist, ist, dass wir beide Geschäfte miteinander zu erledigen hätten, Köter. "
 

Mein Herz bleibt stehen. Ich bleibe stehen. Sogar die Kameras bleiben stehen. Es ist wie im Film. Es ist wie Zeitlupe in einem Film, und ich warte eigentlich nur noch auf die passende Musik im Hintergrund. Was ... macht der denn hier?

Langsam drehe ich mich um.

Er hat die Arme verschränkt und lehnt auf der anderen Seite des Eingangstors an der Wand. Größer, schlanker und eleganter, als das jemals ein anderer Mensch hinbekommen würde. Sein langer, dunkelvioletter Mantel schwingt stilvoll um seine Beine, so als hätte er sich eben noch bewegt. Und im Gegensatz zu mir, hängen ihm seine Haare nicht wie ein nasser Wischmopp im Gesicht ... sie sehen sogar trocken aus, obwohl er genau wie ich mitten im Regen steht. Verwirrt sehe ich ihn an. Irgendetwas stimmt mit diesem Bild nicht.
 

"Kaiba ...?" frage ich unsicher. Ist das etwa ein Hologramm?
 

"Köter." Er hat einen Mundwinkel zu einem kleinen, spöttischen Lächeln verzogen. Oh man ... das ist ein Hologramm. Es flackert sogar ein wenig, wenn man genau hinsieht. Scheinbar verträgt die moderne Technik auch keinen Regen. Nur seine Stimme ist original die echte dunkle, leicht unterkühlte Kaiba-Tonlage. Also redet er wirklich mit mir. "Würdest du mir verraten, wieso du hier grade so einen Aufruhr veranstaltest? Müssten kleine Kläffer wie du, um diese Uhrzeit nicht schon längst im Bett sein?"
 

"Sir, ich habe versucht ihn zu vertreiben, aber er hat nicht aufgehört mich zu belästigen ..." ertönt es von allen Seiten.
 

"Gar nicht wahr! Es ist ... alles nicht so, wie du denkst! Ich ... ich wollte ja nicht einmal einen Geschäftstermin - aber die blöde Schachtel sagt, du vergibst keine privaten Termine ... Und ich wollte auch nicht meine Hose runterlassen, aber sie hat mir ja nicht geglaubt, dass ich blond bin ... und ..." versuche ich atemlos zu erklären und werfe der Überwachungskamera, die am dichtesten um mich herumkreist, einen bösen Blick zu. "Wer ist das überhaupt - deine Sekretärin?"
 

"Sekretärin?!" Sie klingt empört. "Hat sich was mit Sekretärin, du kleiner Punk! Pass auf was du sagst - sonst brenne ich dir eins mit meinen Lasern auf den Pelz!"
 

"Genauer gesagt, ist das M.I.C.A", erklärt Kaiba ruhig und völlig unbehelligt von dem Kleinkrieg vor seinen Augen. Er hebt den Kopf und wirft mir einen abschätzigen Blick durch die Gitterstäbe zu. "Was willst du hier?"
 

"Mika?" wiederhole ich dümmlich.
 

"M.I.C.A., du Kleinhirn" er verdrehte die Augen. "Steht für Microtechnology-Intranet-Communicator-Assistant".
 

Ich blinke. "Äh ... und das bedeutet?"
 

"Das bedeutet, dass M.I.C.A. tausend Dinge kann, für die dein mickriger IQ noch nicht hoch genug entwickelt ist, und es vermutlich auch nie sein wird." Die Überwachungskameras nicken zur Bestätigung. Ich werfe ihnen einen bösen Blick zu.

Muss er eigentlich immer das letzte Wort haben? Arroganter Bastard! Trotzdem bin ich gegen meinen Willen irgendwie beeindruckt von ihm. "Ist das eine von deinen Erfindungen?"
 

"Siehst du hier noch ein Genie außer mir?"
 

Wütend knurre ich ihn an. "Schon gut. Erspar es mir. Wenigstens weiß ich jetzt, von wem sie ihren freundlichen Charakter hat. Bescheidenheit, Liebenswürdigkeit - das klingt ja wirklich ganz nach dir."
 

Statt darauf einzugehen, verzieht er nur das Gesicht, als hätte ich etwas besonders Dummes gesagt. "Hör zu, Köter ... ich muss arbeiten und ich habe absolut nicht genug Zeit, um sie an dich zu verschwenden. Also - komm zur Sache. Was. Willst. Du hier?"
 

Natürlich ... hat er keine Zeit.

Wie komme ich nur auf die verrückte Idee, dass der große, der wichtige, der superbeschäftigte Seto Kaiba sich ausnahmsweise Zeit für einen kleinen, nassen Hund nehmen könnte?! Entschuldige bitte, das muss wirklich ein kompletter Denkfehler von mir gewesen sein.

Sie haben einen hässlichen Stachel, diese Worte, und er bleibt stecken ... auch wenn ich versuche, mir das nicht anmerken zu lassen.

Das ist er. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Ich kann spüren, wie meine Hände sich wie von selbst zu Fäusten ballen. Dieser ... Bastard! Er hält es nicht einmal für nötig, mir das Tor zu öffnen ... denkt er wirklich, dass er mich so schnell abwimmeln kann? Geht es ihm denn immer nur darum, mich möglichst schnell wieder loszuwerden?
 

"Was ich hier will?" fauche ich zurück. "Du bist witzig! Ich bin hier, weil ich einen beschissenen Tag hatte und alles DEINE Schuld ist! Und jetzt lass mich gefälligst rein und stell dich deiner Tracht Prügel, wie ein Mann!"
 

Sein Hologramm hebt eine Augenbraue. Wütend trete ich näher an das Gitter.
 

"DU hast mich angefahren! Deinetwegen ist mein Fahrrad ein Haufen Schrott! Und dann hast du mich auch noch zur Schule gebracht, du egoistischer Mistkerl ...!"
 

"Also mir kam das noch wie ein selbstloser Akt reiner Nächstenliebe vor ..."
 

"Ja sicher. Deswegen hassen mich jetzt auch alle 639 Mädchen unserer Schule - und ja, ich weiß, dass es so viele sind, weil ich genau so viele Drohbriefe in meinem Schrank gefunden habe! Vielen Dank auch! Jetzt ist dein gesamter, gottverdammter Fanclub wütend auf mich, weil sie wissen, dass du mich zur Schule gebracht hast - und sie hassen MICH dafür! Als ob ich was dafür könnte! Ich war bestimmt nicht scharf darauf in deinem 500.000 Dollar Ferrari durch die Gegend kutschiert zu werden!" Aufgebracht wedele ich mit den Armen.
 

Ich meine, es ist schon irgendwie eine gewisse bittere Ironie des Schicksals, wenn man es sich recht überlegt. 639 Mädchen sitzen jetzt vermutlich frustriert zu Hause und sind damit beschäftigt, mich zu hassen - weil ich ein einziges Mal ihrem angebeteten Sexgott so nah sein und meine dreckigen Turnschuhe auf seinem 500.000 Dollar Armaturenbrett abstützen durfte ... und ich habe im Endeffekt nichts als Scherereien dadurch. Und er und ich ... hassen uns mehr als je zu vor.
 

"Mein ... Fanclub ...?" wiederholt er gedehnt.
 

"Ja! Tu nicht so, als ob du nicht wüsstest, dass du einen hast!" Weiß der Geier, was sie alle so toll an ihm finden.
 

Er zuckt mit den Schultern. "Ich dachte, ich hätte ihn per Gerichtsbeschluss untersagen lassen."
 

"Ist mir vollkommen egal! Tatsache ist, dass ich nicht mehr über den Schulhof laufen kann, ohne dass sie mir böse Blicke zuwerfen - oder faule Eier! Bald muss ich nach Australien auswandern oder die Schule wechseln oder mich umbringen! DEINE Schuld!" Wenn nicht die Gitterstäbe zwischen uns wären, würde ich ihn jetzt erwürgen - Hologramm hin oder her. Wütend funkele ich ihn an. "Außerdem bin wegen dir schon wieder zu spät zu Englisch gekommen! Und jetzt darf ich eine Woche lang Nachsitzen - was ebenfalls deine Schuld ist! Und außerdem ..." Ich hole tief Luft. "... habe ich heute meinen Job verloren! Beide Jobs!"
 

"Entschuldige - ich muss lachen." Der Arsch klingt tatsächlich amüsiert. Also ehrlich ... irgendwie behandelt er das Ganze nicht mit dem gebührenden Ernst! "Wie bitte, hast du es geschafft, an einem Tag zweimal gefeuert zu werden?"
 

"Ha ha! Ja, lach mich ruhig aus! Dreimal darfst du raten, wer dafür verantwortlich ist! Weil ich jetzt kein Fahrrad mehr habe, kann ich keine Zeitungen mehr austragen. Und weil ich so oft nachsitzen muss, kann ich abends nicht mehr bei ,Dinos Pizza' arbeiten! Und das ist alles DEINE Schuld! Und dann bin ich nicht rechtzeitig nach Hause gekommen ... weil ich kein Fahrrad mehr hatte, und dann war es schon zu spät ...und ..." miserabel senke ich den Kopf. "... mein Vater hat den Kuchen gegessen."
 

"Kuchen?"
 

"Den Kuchen! Den ... Hundekuchen." Es liegt mir auf der Zunge zu sagen ,Deinen Kuchen' aber nachher, bildet er sich noch was drauf ein. Oder darauf, dass ich ihn aufgehoben habe. "Ich habe ihm gesagt, dass er ihn nicht essen soll ... aber er hat mir vermutlich nicht zugehört ..." Ich fahre mir über die Augen. "Und dann hat mich deine Überwachungskamera sexuell belästigt und mir nicht geglaubt, dass ich blond bin ... und es hat angefangen zu regnen ... und jetzt muss ich mit einem blöden Hologramm von dir streiten und ... und das war ein wirklich schlimmer ... schlimmer Tag." Ich schniefe erbärmlich.
 

"Taschentuch?" kommt es mitfühlend von der Seite. Zum ersten Mal klingt Mika nett und nicht wie eine Zicke.
 

"Nein. Danke ..." Deprimiert lasse ich den Kopf hängen.
 

"Was zu essen? Ein Schokoriegel?"
 

"Äh ..."
 

"Schlaftabletten? Ich meine, nicht, dass ich Selbstmord befürworten würde, aber in diesem Fall ..."
 

"Entschuldigung, dass ich lebe!!" Ich hasse sie.
 

"Und deswegen kommst du zu mir?" Kaiba klingt nicht, als ob er begeistert davon wäre. Überrascht mich das? "Wheeler, ich habe zu tun ... Manche von uns arbeiten tatsächlich ab und zu."
 

Ich seufze und hebe den Kopf. Wasserperlen tropfen aus meinen Haaren und laufen über mein Gesicht. Warmer, schwerer Sommerregen. Vermutlich sehe ich wirklich aus wie ein ertrunkener Hund. "Hör zu, Kaiba ... Mein Tag war echt ... mies. Ich habe kein Fahrrad mehr. Ich habe keinen Job mehr. Ich habe keinen Kuchen mehr. Ich bin nass. Alle hassen mich. Sogar dein Überwachungssystem denkt, ich sollte mich umbringen ... Also, könntest du mich bitte ... bitte ... eventuell ... vielleicht ... reinlassen?"
 

Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, dass er mich einfach nur ansieht. Seinen unlesbaren, blauen Blick über mich wandern lässt. Ich sage mir, dass es nur ein Hologramm ist ... aber das hilft nicht viel.
 

Schließlich verschränkt er die Arme. "Ich werde es in Erwägung ziehen."
 

"KAIBA!"
 

"Ja ja. Fang nicht an zu heulen." Er rollt mit den Augen, und dann sehe ich, wie er mit ein paar beiläufigen Bewegungen seiner langen, schlanken Finger ein paar Zahlenreihen irgendwo eingibt. Es gibt ein leises, surrendes Geräusch von sich und das Tor beginnt langsam sich zu öffnen. "Manchmal bin ich wirklich nicht sicher, ob ich dich wegen deiner Dummheit bedauern oder deine Sturheit bewundern soll." Er verzieht das Gesicht. "Es gibt nicht viele Menschen, die lebensmüde genug sind, um sich so permanent mit mir anzulegen. Du bist wirklich ... ein Freak."
 

Ich weiß nicht, ob ich das als Kompliment oder doch als Beleidigung auffassen soll. Besser, ich frage nicht nach.

Stattdessen sehe ich dabei zu, wie sich das Gitter zwischen uns langsam auseinander schiebt. Endlich.
 

"M.I.C.A. wird dir den Weg zeigen. Tu einfach, was sie sagt und verlauf dich nicht." Er drückt auf irgendetwas, das ich nicht sehen kann und sein Hologramm beginnt zu flackern und verblasst schließlich.
 

Wie auf Kommando fahren sämtliche Überwachungskameras von allen Seiten auf mich zu. "Tja, sieht aus, als wären es nur noch du und ich, Kleiner. Nyahahahaha!"

Schluck. Hilfe! Ma~ma ...!
 

"Willkommen in der Kaiba Corporation. Bitte genießen sie unseren Rundgang und vergessen sie nicht, sich an die Regeln zu halten", flötet sie. Etwas wird auf meinen Kopf gedrückt. Ich greife danach und schnappe empört nach Luft, als ich sehe was es ist.
 

"Hey! Du erwartest doch nicht, dass ich damit rumlaufe!" Aufgebracht fuchtele ich mit dem Ding vor ihrer Nase herum. Okay, sie hat keine Nase - es ist immerhin nur eine Kamera, aber ihr wisst, was ich meine. ,Das Ding' ist eine Kappe. Eine wirklich hässliche Kappe. Eine sehr hässliche Kappe mit einem fetten K.C. oben drauf. Sehe ich so aus, als würde ich mit Kaibas Logo durch die Gegend laufen? Oh nein! Nie~mals ...! Das wäre ja praktisch, als würde ich mit einem Hundehalsband mit seinem Namen darauf herumlaufen. Was ihm sicher gefallen würde, so wie ich den Bastard kenne.
 

Zugegeben, Mika zeigt mir tatsächlich den Weg. Sie macht mich zwar in einer Tour fertig und bedroht mich mit ihren Lasern - aber man könnte sagen, sie zeigt mir den Weg. Irgendwie. Und ich schaffe es die demütigende Kappe hinter ihrem Rücken loszuwerden, als sie mal wieder damit beschäftigt ist, irgendeine Sicherheitstür für mich zu öffnen. Ich werfe sie ganz einfach elegant über die Brüstung in eine der tausend Produktionshallen, durch die wir laufen. Hoffentlich wird sie von einer der riesigen Maschinen zerstampft, die immer noch am laufen sind. So weit kommt es noch, dass ich wie ein billiger Tourist mit einer Kappe auf dem Kopf herumlaufe. Mit seinem K.C. darauf!
 

Allein wäre ich verloren hier drin. Wie findet sich Kaiba hier zurecht? Ob er Mika immer nach dem Weg fragen muss, wenn er den Ausgang sucht? Und wie finden die Angestellten jemals zurück zu ihrem Büro, wenn sie mal auf dem Klo waren? Jeder Flur sieht gleich aus - und alles ist riesengroß, gigantisch und verschachtelt ohne Ende, voll mit Chrom und Glas. Edel. Beängstigend. Gewaltig.

Und ich gehöre nicht hierher.
 

Nach einer ewig langen Fahrt im Aufzug, und nachdem wir durch einen endlosen Flur gelaufen sind, halten wir endlich vor einer dunklen Bürotür an. Wir befinden uns garantiert ungefähr im 175. Stockwerk. Mika macht irgendetwas mit der Tür, denn sie beginnt ganz langsam aufzuschwingen. Mein Herz klopft. Ich versuche zuversichtlich und entspannt auszusehen ... aber ich hinterlasse Wasserflecken auf seinem Teppich. Irgendwie ist mein Auftritt nicht so beeindruckend, wie er sein sollte.
 

Er sitzt an seinem Schreibtisch und ist vertieft in irgendeine Akte. Mit einer Hand macht er Notizen und mit der anderen tippt er ohne hinzusehen auf seinem PC herum. Das Computerlicht wirft dunkle Schatten auf sein Gesicht, und als ich näher komme, sehe ich, wie müde er aussieht. Er trägt eine Lesebrille, was mich überrascht, denn ich habe ihn noch nie mit Brille gesehen. Ich wusste nicht einmal, dass er eine hat. Sein Mantel liegt, achtlos über eine Stuhllehne gehängt, neben ihm, und er wirkt sehr schlank, und sehr jung in den engen, schwarzen Sachen, die er trägt.

Kann es wirklich sein, dass er schon seit heute Morgen hier sitzt und nichts anderes tut außer Arbeiten?

Mit einem Mal weiß ich nicht mehr, ob ich noch wütend auf ihn bin ...
 

Verlegen komme ich näher, unsicher was ich jetzt sagen soll. Es ist irgendwie leichter gewesen ihn über sein übermächtiges, arrogantes Hologramm anzubrüllen, als so ... Die Tür fällt mit einem endgültigen Geräusch hinter mir ins Schloss und ich zucke unwillkürlich zusammen. Abwartend bleibe ich vor seinem Schreibtisch stehen und traue mich nicht etwas zu sagen.
 

"Wie ich sehe, warst du intelligent genug zur Schulschwester zur gehen", bemerkt er beiläufig und ohne den Kopf zu heben.

Automatisch schnellt meine Hand nach oben und berührt verlegen das Pflaster mit den kleinen Teddybärchen darauf, welches meine linke Wange ziert. Das ist so was wie das Markenzeichen dieser schrecklichen Frau.

"Yugi hat mich gezwungen", höre ich mich selbst murmeln, bevor ich es verhindern kann. Ich bin wütend. Ich bin wütend. Er hat mein Fahrrad verschrottet. Mich meinen Job gekostet. Nachdrücklich versuche ich mich dran zu erinnern.
 

"Dummkopf...", sagt er leise. "Hast du nicht daran gedacht, dich von ihr krankschreiben zu lassen?"
 

"Nein. Zu viele Fehlstunden ..." Verlegen schüttele ich den Kopf. Mein Blick wandert um ihn herum. Obwohl sein Büro randvoll ist mit technischen Geräten, Computern, Büchern und dicken Akten, wirkt es dennoch auf seltsame Art und Weise steril und leer ... weil nichts Persönliches hier ist. Nichts Privates. Nichts, was nicht Arbeit ist. Es ist so deprimierend ...
 

"Oh man Joey, das ist ... wirklich erbärmlich." So wie er das sagt, klingt das beinah nett. Aber nur beinah. Er kritzelt immer noch unablässig in der Akte herum und weigert sich, mich anzusehen.
 

"Hey, vielleicht bin ich erbärmlich - aber ich bin trotzdem im Recht!"
 

"Im Recht ist immer derjenige mit dem Geld - und rate mal, wer von uns beiden das ist." Endlich hebt er den Kopf und sieht mich an. Ein Mundwinkel ist zu einem herablassenden Lächeln verzogen. Ich möchte beinah aufatmen. Das ist wieder der Kaiba, den ich kenne. Provokant. Anmaßend. Ein arroganter Bastard.
 

"Ja, aber ich bin viel nerviger und aufdringlicher als du - und ich könnte dich mit meiner Anwesenheit in den Wahnsinn treiben", erinnere ich ihn.
 

Er hebt eine Augenbraue. "Das wagst du nicht."
 

"Darauf würde ich nicht wetten, Kaiba!"
 

"Sir, er ist unverschämt zu ihnen! Ich bitte um Erlaubnis ihn eliminieren zu dürfen." Klickend werden sämtliche Kameras auf mich gerichtet und ich bin ziemlich sicher, ein rotes Zielkreuz auf der Stirn zu haben. "Zielobjekt anvisiert ... erfasst. Drei ... zwei ... "
 

"Hey!" Entsetzt springe ich zur Seite. "Sag ihr, sie soll das lassen! Das ist nicht witzig!"
 

"Sei nicht albern."
 

"Ich bin nicht albern! Sie - sie zielt auf mich!" Anklagend deute ich auf eine der Kameras.
 

Er seufzt und wirft ihr über den Rand seiner Brille einen scharfen Blick zu. "Keine Todesdrohungen in meinem Büro."
 

"Aber er hat angefangen!"
 

"Keine Sorge - er ist nur ein kleiner Straßenköter ohne Manieren. Ich werde mir irgendwann die Zeit nehmen, ihn zu erziehen."
 

"Hey, ich bin KEIN Hund!" mische ich mich empört ein.
 

"Komisch - das sagst du immer wieder. Aber dann verrate mir mal, wieso du immer wie einer herumkläffst?"
 

"Grrrrrr!"
 

Er gibt ein leises, amüsiertes Geräusch von sich, als er mein Knurren hört, und verzieht die Mundwinkel zu einem Grinsen. Überrascht sehe ich ihn an und vergesse sekundenlang mich über ihn aufzuregen.

Er lacht ... hey, wieso lacht er denn jetzt ...? Ich meine ... wow ... okay ...

Normalerweise hasse ich es, wenn andere mich auslachen oder nicht ernst nehmen - aber bei ihm ist es in Ordnung ... irgendwie. Ihn bringe ich gerne zum Lachen. So wie im Schulgarten. Dann sieht er nicht länger aus, wie ein dunkler Fürst der Finsternis, dessen Seele ewiger Verdammnis anheim gefallen ist ... okay, eine Spur ZU dramatisch, aber ihr wisst, was ich meine, oder? Und auch nicht länger wie ein allmächtiger Firmenboss - sondern mehr wie er wirklich ist ... ein ganz normaler Teenager ... mit einer viel zu großen Klappe ... und einem sehr schönen Lächeln.
 

"Das solltest du öfter tun", rutscht es mir heraus, ohne dass ich darüber nachdenke.
 

"Was?"
 

"Na ja ... Lachen?" In seiner Gegenwart klingt das wie ein obszönes Fremdwort. Vor allem in Gegenwart dieses Büros, dass so durch und durch funktional und professionell aussieht.
 

"Tz. Für diesen Kinderkram habe ich keine Zeit." Er wendet den Kopf zur Seite und nimmt die Brille ab. Langsam und ohne hinzusehen, legt er sie auf den Schreibtisch und fährt sich mit den Fingern über die Schläfen. "Außerdem ...", fügt er leise und unerwartet hinzu, "bist du ohnehin das erste Lachhafte, was heute in dieses Büro geplatzt ist ..."
 

Ähm ... war das etwa eine Art Kompliment? An mich? Ich bin schockiert ...

Bevor ich diesen vollkommen utopischen Gedanken aussprechen kann, räuspert er sich hastig, als würde er es schon wieder bereuen, das gesagt zu haben und wirft mir einen sachlichen, rein geschäftsmäßigen Blick zu.

"Da du jetzt schon einmal hier bist, und mich sehr effektiv vom Arbeiten abhältst ..." Sein Blick wandert an mir herunter, "... und auf meinen Teppich tropfst ... können wir auch gleich zur Sache kommen. Was willst du von mir?"
 

Dich ... Ich meine, dich zum Lachen bringen! Aber das ist etwas, was er nicht verstehen würde, wenn ich es ihm sage. Ich verstehe es ja selbst nicht.

Der abrupte Themenwechsel lässt mich sekundenlang nach Worten suchen. Was soll das? Komme ich ihm etwa zu nah? Gehe ich ihm unter die Haut? Das kannst du nicht leiden ... nicht wahr, Kaiba?

Ich hole tief Luft. "Also gut ..." Langsam trete ich näher zum Schreibtisch. "Ich will wirklich etwas."
 

"Welche Überraschung." Er rollt mit den Augen und gibt mir sekundenlang das Gefühl ein korrupter, heuchlerischer Mensch zu sein, was ich absolut nicht leiden kann "Und was? Geld? Ein neues Fahrrad? Eine offizielle Entschuldigung? Oder doch lieber ... Geld?"
 

"... nein."
 

Es tut ein bisschen weh. Vielleicht ein bisschen mehr weh, als es sollte. Der Gedanke, dass für ihn alles seinen Preis hat - sogar ich ... und mein Stolz. Aber ich hätte es erwarten sollen. So ist er nun mal. Er lebt in einer Welt, in der vielleicht wirklich alles nur eine Frage des Preises ist.
 

Er angelt nach seinem Kugelschreiber und nach etwas anderem, das verdächtig wie ein Scheckbuch aussieht. "Bringen wir es einfach hinter uns. Nenn mir eine Summe und ich sage dir, ob ich sie für akzeptabel halte. Aber ich warne dich. Wenn du ..."
 

"Ich ... will einen Job."
 

Meine Stimme ist ganz leise, aber es unterbricht ihn sofort. Er hält mitten in der Bewegung inne. "... was?"
 

Endlich, endlich entdecke ich etwas Persönliches hier. Das einzige in seinem gesamten Büro. Es ist ein Bild von Mokuba auf seinem Schreibtisch.

"Einen Job", wiederhole ich etwas lauter. "Bei dir."
 

Er starrt mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Vielleicht habe ich das. "Vergiss es!"
 

"Wieso nicht?"
 

"Niemals!"
 

"Kaiba, das ist mein Ernst!"
 

"Meiner auch! Wie kommst du auf so eine lächerliche Idee?"
 

"Ich will wirklich ... einen Job bei dir."
 

"Du hast ja nicht mehr alle Tassen im Schrank!"
 

» "Du hast ja nicht mehr alle Tassen im Schrank, Joey!"
 

"Oh, vielen Dank auch."
 

"Wieso würdest du ausgerechnet für Kaiba arbeiten wollen? Ich meine ... es ist Kaiba!"
 

"Leute ... Ihr versteht es nicht ..."
 

"Dann erklär es uns! Wieso willst du dir das antun?" «
 

"Wieso sollte ich dich einstellen?" knurrt er gereizt. "Und wieso solltest du ausgerechnet für mich arbeiten wollen?" Er steht mir direkt gegenüber und nur sein wuchtiger Schreibtisch ist noch zwischen uns, während wir uns aufgebracht über ihn hinweg anfunkeln.
 

"Weil ich einen Job brauche, okay? Und weil es deine Schuld ist, dass ich meinen verloren habe!"
 

Er verschränkt die Arme. "Das ist vollkommen absurd."
 

"Ist es nicht!"
 

Er schnaubt verächtlich. "Du bist wirklich noch dümmer als ich dachte. Denkst du so ein Angebot unterbreite ich jeden Tag? Denkst du, ich ..."
 

"Hör endlich AUF damit! Ich will dein VERDAMMTES GELD NICHT!" Mein Gesicht glüht vor Rage. "Kapier es endlich! Ich bin nicht käuflich! Ich brauche keine Nettigkeit von dir und bestimmt keine Almosen! Denkst du, so einfach wirst du mich los?! Aber du hast mich nun mal meinen Job gekostet! Also, steh endlich dazu und gib mir verdammt noch mal einen neuen!"
 

» "Wenn ich ihn um Geld bitte, könnte er es mir ohne zu zögern geben. Wie du schon sagtest ... es ist nicht so, als ob er mir nicht ohne mit der Wimper zu zucken ein halbes Dutzend Fahrräder finanzieren könnte. Aber er würde es so aussehen lassen, als ob er es mir aus reiner Gefälligkeit gibt. Nicht, weil ihn irgendeine Schuld trifft.

Er könnte einfach mit einem herablassenden Lächeln sein Scheckbuch zücken und mir ein Stück Papier mit seiner Unterschrift darauf geben. Und er müsste nicht länger als drei Sekunden auch nur einen Gedanken an mich verschwenden ... und könnte sich noch großzügig und gönnerhaft dabei fühlen. Aber das ist nicht, was ich will ..." «
 

"Denk nur nicht, dass ich mir das nicht überlegt habe!" Nachdrücklich wedele ich mit den Armen. "Für dich zu arbeiten ist nicht grade eine Traumvorstellung von mir. Aber ich brauche nun mal einen Job! Und ich habe auch meinen Stolz!"
 

"Wieso bei mir?" wiederholt er stur.
 

"Weil die einzige andere Alternative im Augenblick ,Burgerworld' ist! Oh - und weil es deine Schuld ist."
 

"Das sagtest du bereits. Ungefähr hundert Mal."
 

"Dann sollte es langsam ankommen!"
 

"Ich warne dich ... komm mir nicht blöde!"
 

"Ach nein?!"
 

Es passiert vollkommen unerwartet. In einer Sekunde funkeln wir uns noch an - und in der nächsten macht es ,Zapp' ... und schlagartig wird es dunkel um uns. Die Computer geben ein sterbendes Geräusch von sich, als sie leise und unaufdringlich abstürzen. Hey, hallo ...was ist jetzt los?

Alarmiert sehe ich mich um. Obwohl sehen das falsche Wort ist. Ich sehe mehr oder weniger gar nichts mehr. Alles ist schwarz. "Ähm ... Kaiba? Das Licht ist aus", stelle ich überflüssigerweise fest.
 

"Danke, dass du es erwähnst - das wäre mir sonst gar nicht aufgefallen."
 

Ich beschließe seinen völlig unangemessenen Sarkasmus zu ignorieren. "Ja, aber wieso ist es aus? Stromausfall?"
 

"Sieht so aus ..." er klingt zögernd.
 

"Und ... was machen wir jetzt?" frage ich nervös. Ich meine, es ist dunkel! Ich mag nicht, wenn es dunkel ist. Und ich bin allein mit Seto Kaiba, der grade mehr als nur ein bisschen angepisst auf mich ist!
 

"Also rein theoretisch..." ertönt es plötzlich direkt neben mir.
 

"WAAAAH!" Entsetzt hüpfe ich zur Seite. "Mika ...?!"
 

"Ja?"
 

Oh Gott, die hatte ich ja ganz vergessen ... Also, Korrektur, ich bin allein im Dunkeln mit Seto Kaiba, der grade nicht sehr gut auf mich zu sprechen ist - und einem feindlichen, weiblichen Computersystem, dass in einer Tour versucht mich zu eliminieren! Oh man ... wieso ich ...?
 

"Moment mal ... wieso bist du überhaupt noch an?" frage ich misstrauisch. "Müsstest du nicht auch längst abgestürzt und tot sein?"
 

"Deine Wortwahl gefällt mir nicht, Punk! Und denk nicht, dass ich dich im Dunkeln nicht sehen kann. Ich weiß genau, wohin ich meine Laser richten muss ..."
 

"Hey ...!"
 

"Entspann dich, Köter ..." sagt eine ruhige, dunkle Stimme plötzlich direkt an meinem Ohr. Seine Hand berührt kaum merklich meine Schulter, als er an mir vorbei geht. Meine Augen werden weit und ich erstarre. "M.I.C.A. läuft auf externer Strombasis, wenn es sein muss - soll heißen, sie kann sich im Notfall in das öffentliche Stromnetz einhacken. Allerdings nur für ungefähr zehn Minuten." Kleine Schauer laufen über meinen Rücken, als er plötzlich so nah ist.
 

"Aber müsste nicht eigentlich das ganze Viertel ohne Strom sein?" frage ich und versuche mein klopfendes Herz unter Kontrolle zu bringen.
 

"Kluges Hündchen." Ich kann hören ... spüren ... wie er an mir vorbeigeht und an das riesige Panoramafenster an der Seite tritt. Die Vorhänge rascheln, als er sie beiseite hebt und sekundenlang wird seine dunkle Silhouette in weißsilbernes Mondlicht getaucht. "Aber im Gegensatz zu uns hat das übrige Viertel Strom. Die Straßenlaternen funktionieren noch."
 

Er lässt die Vorhänge los und sie fallen mit einem Rauschen zurück an ihren Platz. Alles wird wieder dunkel und ich kann ihn nicht mehr sehen. Das ist unheimlich.
 

"Kaiba ...?" Mein Herz klopft.
 

"Hm?" Ich versuche ihn zu orten. Seine Stimme befindet sich irgendwo in der Nähe seines Schreibtisches. Er scheint sich vollkommen lautlos zu bewegen, und Nachtsicht zu haben wie eine Katze, denn irgendwie schafft er es tatsächlich alle Hindernisse zu umgehen und mit nichts zusammen zu stoßen - so wie es mir garantiert passieren würde. Genau deswegen wage ich nicht, mich zu rühren.
 

"Und ... ähm ... was jetzt?" frage ich leise und kleinlaut. Rede mit mir ... bitte. Ich mag nicht alleine im Dunkeln sein.
 

Seine Schubladen rascheln, als er sie auf und zu schiebt, und ich kann hören, wie er darin herumwühlt. "Jetzt ... suche ich den Sicherungskasten." Ein kleines Licht flammt auf und er gibt ein leises, zufriedenes Geräusch von sich. Scheinbar hat er seine Taschenlampe gefunden. Hallo - welcher Mensch hat eine Taschenlampe in seinem Arbeitszimmer? Außer einem Pfadfinder ... eine Rolle, in der ich Kaiba nicht wirklich sehen kann.
 

"Du bleibst hier", befiehlt er knapp. Der schmale Lichtstrahl wandert kurz über mein Gesicht und ich schirme aus Reflex meine Augen ab. "Warte, bis ich zurückkomme. Es wird einen Moment dauern."
 

"Allein?" Ich kaue auf meiner Unterlippe herum. Irgendwie gefällt mir der Gedanke nicht.
 

"Ja, ganz allein ...", es folgt ein gruseliges Lachen aus allen Ecken des Zimmers, "... mit mir!"
 

"WAAAH - Kaiba!" Ich stürze auf das Licht zu, das grade an mir vorbeiwandert und klammere mich panisch an seinen Arm. "Ich komme mit, okay?! Lass mich hier nicht allein! Nicht mit der!" Ja, Todesangst IST eine Entschuldigung für Lächerlichkeit!
 

"Oh bitte ...!" Trotz der Dunkelheit kann ich praktisch sehen, wie er mit den Augen rollt. "Joey, das ist albern ... lass mich los."
 

Ich schüttele ungestüm den Kopf. "Nein!" Nachdrücklich halte ich mich an seinem Arm fest, bereit, mich notfalls von ihm überall hin mitschleifen zu lassen. "Ich komme mit!"
 

Ich erwarte, dass er mich einfach abschüttelt. Hartherzig beiseite stößt. Oder mich als erbärmlichen Feigling bezeichnet. Oder alles zusammen. Ich bin ganz sicher, dass er so etwas tun wird ...

Aber irgendetwas in meinem entschlossenen Tonfall scheint ihm klar zu machen, dass argumentieren im Augenblick vollkommen sinnlos ist. Schließlich seufzt er. Schicksalsergeben.
 

"Meinetwegen ..."
 

Ja - gerettet! Ich atme förmlich aus vor Erleichterung, und mein fester Griff um ihn lockert sich ein wenig. Bevor ich mich jedoch endgültig von ihm lösen kann, schießt seine freie Hand plötzlich und unerwartet vor und packt mich am Kragen meines T-Shirts. Seine Zielsicherheit im Dunkeln ist beängstigend.

"Jetzt hör mir gut zu!" knurrt er mit zusammengebissenen Zähnen. Er klingt scharf, und so als ob es ihm ernst ist. "Du bleibst in meiner Nähe, verstanden? Und du tust alles, was ich dir sage! Wenn die Hauptstromleitung der Kaiba Corp. unerwartet ausfällt, werden automatisch die internen Sicherheitsvorkehrungen scharf gemacht. Und ich bin der Einzige, der sämtliche Alarmcodes kennt und weiß, wie man sie entschärft. Also, wenn du vermeiden willst, auf dem Weg in kleine Häppchen geschnitten oder pulverisiert zu werden, tust du gut daran an meiner Seite zu bleiben! Alles klar?"
 

"Klar ...", hauche ich und nicke schwach.
 

Mein Leben ... ist keinen Pfifferling mehr wert.
 


 

^Fortsetzung folgt^

Stromausfall I

Okay, das Kapitel ist mal wieder so lang geworden, dass ich es in zwei Teile teilen musste. *drop* Hoffe, es gefällt irgendwem. ^^* Ich habe nämlich das Gefühl, es ist nicht sonderlich gut geworden.
 

Warnungen für diesen Teil: Joey ist eine penetrante Nervensäge, Kaiba ist ... seltsam (OOCness?), ein paar Stellen, die man vermutlich als Kitsch qualifizieren könnte und außerdem erfahrt ihr tausend technische Details über die Kaiba Corp, die ich mir alle ausgedacht habe und die ihr niemals wissen wolltet. =)
 

Danke an alle wunderbaren Kommentarschreiber. *__* Ihr seid toll und eine unglaubliche Motivation für mich! ^__^
 


 

***
 

~ I tried to climb your steps

I tried to chase you down

I tried to see how low I could get down to the ground

I tried to earn my way

I tried to change this mind

You better believe that I have tried to beat this
 

I never thought I'd end up here never

Thought I'd be standing where I am

I guess I kind of thought that it would be easier than this

I guess I was wrong now one more time ~
 

(Lifehouse: "Sick Sycle Carousel")
 

Wenn das hier ein Märchen wäre, würde ich spätestens jetzt die Gebrüder Grimm verklagen. Dabei hätte das ganze echt Potential als Märchen - wenn man sich Kaiba in der Rolle der fiesen, unleidlichen Prinzessin im Turm vorstellt und Mika als den grausamen, bösartigen Drachen, der den Eingang bewacht. Was mich natürlich automatisch zum umwerfend gut aussehenden, tapferen Ritter macht. Der gekommen ist, um die Prinzessin zu ... äh ... nun ja. Überspringen wir diesen Teil.

Fakt ist: Der Held kommt - der Strom geht.
 

Seht ihr? DAS erzählen sie natürlich nie in den Märchen.

Da sind die Ritter auch nie nass und am Frieren und stehen nicht im Dunkeln - und kommen sich nicht unsagbar idiotisch vor. So wie ich in diesem Augenblick, in dem Kaiba mir rüde verklickert, dass ich nur die Auswahl habe, allein im Dunkeln bei Psychotante Mika zu bleiben, oder von seiner eigenen Firma gewalttätig zerkleinert zu werden.

Oh man - wie gut sind meine Chancen, hier noch mal unversehrt und an einem Stück herauszukommen? Die müssten sich irgendwo nahe Null bewegen. Ist das jetzt meine Strafe dafür, dass ich einen einzigen ... wirklich nur einen einzigen Moment seiner Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch genommen habe?
 

"Was für Sicherheitsvorkehrungen?" traue ich mich schließlich zu fragen, als Kaiba endlich beschließt, dass mein T-Shirt es nicht wert ist, ihm so viel Aufmerksamkeit zu schenken und mich abrupt loslässt.
 

"Sicherheitsmodus", antwortet Mika an seiner Stelle, als würde das alles beantworten. Kaiba flucht. Und ich bekomme langsam ein ungutes Gefühl bei der Sache.
 

"Und das bedeutet?"
 

"Das bedeutet, dass es nicht ungefährlich für Zivilisten ist, hier herumzulaufen", sagt Mika. Zivilisten? Wo sind wir denn? Im Dschungelcamp?

Sekundenlang habe ich eine Vision von ihr, wie sie aussehen würde, wenn sie ein Mensch wäre. Meine Vorstellungen bewegen sich irgendwo zwischen "Frauen in Uniform", Lara Croft und meiner Sportlehrerin aus der fünften Klasse, die wir immer nur ,den Feldwebel' genannt haben.
 

"Ähm ... ja, okay. alles klar ..." Ich nicke brav.
 

"Du weißt gar nicht wovon ich rede, nicht wahr?"
 

"... nein?"
 

"Sicherheitsmodus bedeutet, dass alle Flure gesichert sind - niemand kommt rein oder raus. Und durch das gesamte Gebäude kommt man nur mit den passenden Codes. Es gibt 47 Stockwerke, alle unterteilt in drei Unterbereiche und jeder ist mit einem anderen 17-stelligen Zahlencode gesichert", rattert Mika in einem Atemzug herunter. "Die einzigen, die alle Codes kennen sind Seto und Mokuba Kaiba."
 

"Und das passiert alles durch einen Stromausfall?" Ich bin platt. Entweder ist Kaiba hochgradig neurotisch oder ... okay, streicht das ,oder'. Kaiba IST hochgradig erotisch ... NEUROTISCH! Ich meine, neurotisch!
 

"Ich weiß nicht, wie du es angestellt hast - aber ich könnte wetten, es ist deine Schuld!" stößt er mit zusammengebissenen Zähnen hervor.
 

"Wieso meine?" brause ich auf. Ich weiß zwar nicht, wo sein Problem liegt, aber ich war es nicht. Ich habe nichts getan! Außer mit meinen feuchten Klamotten auf seinen Teppich getropft ... und äh, ich hoffe doch, dass das keine bleibenden Schäden in der Elektronik hervorgerufen hat.
 

"Weil du, wo du gehst und stehst, nur Chaos um dich verbreitest!"
 

"Hallo?! Du kannst mir doch nichts in die Schuhe schieben, von dem ich nicht mal genau weiß, was es ist!" Sicherheitsmodus ... also ehrlich. Es lebe die Paranoia. "Du kannst doch einfach nur nicht zugeben, dass deine tolle Firma eben auch nicht immer so einwandfrei funktioniert, wie du das gerne hättest!" Nobody´s perfect, mein Lieber. Nicht einmal du.
 

"Oh, glaub mir - sie funktioniert tadellos", jetzt klingt er unangenehm sarkastisch. "In einer Weise, die dir nicht besonders gefallen wird." Ich höre das leise Rascheln in der Dunkelheit, als er sich abwendet. Kann mich mal jemand daran erinnern, wieso ausgerechnet ER die blöde Prinzessin in meinem Märchen geworden ist? Hätte ich nicht Anspruch auf eine nettere Ausgabe?
 

"Hey Blondie, wir stecken hier im Moment alle in derselben Klemme", bemerkt Mika. "Aber niemand kann sich bei deinem Gejaule konzentrieren. Also, lass uns in Ruhe arbeiten." Die kann mich echt nicht leiden, kann das sein? Man, was habe ich ihr je getan - abgesehen von der Tatsache, dass ich blond bin? Ich fühle mich diskriminiert. Von allen Seiten.
 

"Was heißt hier arbeiten? Ich kann nicht sehen, dass du auch nur einen deiner nicht vorhanden Finger krumm machst."
 

"Wheeler! Hör auf, mein Sicherheitssystem zu ärgern", kommt es von Kaiba. Seiner Stimme nach zu urteilen, steht er an seinem Schreibtisch. Ich höre die Schubladen rascheln, als er sie auf und zuschiebt. Vielleicht sucht er etwas. Ein Seil, um mich zu fesseln? Handschellen? Wer weiß, was er noch alles in seinem Schreibtisch hat. Nach der Pfadfinder-Taschenlampe traue ich ihm alles zu.
 

"Sie hat doch angefangen ...", nuschele ich.
 

"Sie macht nur ihren Job." Grrr ...! Wieso verteidigt er sie? Also, wenn das nicht so absurd wäre, würde ich ihn beschuldigen ein Verhältnis mit seiner Sekretärin zu haben ...
 

"Ganz genau. Und jetzt sieh gut zu - dann lernst du was von der Arbeit eines rundum perfekten Sicherheitssystems - nyahahahaha!"

Sie steht ihrem Boss echt in nichts nach - weder was das Ego noch das psychopathische Lachen angeht. "Sir, ich habe den Sicherheitscheck komplett abgeschlossen. Zu Hause ist alles in Ordnung. Alle Sicherheitsvorkehrungen sind intakt, keine unerwünschten oder nicht registrierten Personen befinden sich auf dem Grundstück. Mokuba ist im Wohnzimmer und sieht sich Cartoons an. Er hatte außerdem schon wieder eine Peperonipizza zum Abendessen. Abgesehen von seiner ungesunden Ernährung, befindet er sich in keiner akuten Gefahrensituation."
 

Ich starre sie an. Sofern man eine körperlose Stimme im Dunkeln eben anstarren kann. Woher weiß sie das? Ist sie etwa mit seinem Haus verbunden? Kann sie alles sehen, was da abgeht? Spannt sie etwa auch manchmal, wenn Kaiba am Duschen ist? Kann ich auch eine Peperonipizza haben? Fragen über Fragen.
 

"Die Kaiba Corp?" fragt er sachlich. Scheinbar hat er sich wieder beruhigt, denn seine Stimme klingt genauso emotionslos und gefasst, wie sonst.
 

"Keine Eindringlinge feststellbar. Es gab keine Versuche von Infiltration - weder virtuell noch tatsächlich. Der Sicherheitsmodus wurde nicht angetastet. Das einzige, nicht registrierte Subjekt in diesem Gebäude ist der kleine Punk."
 

Endlich finde ich meine Stimme wieder. "Ich bin ein nicht registriertes Subjekt?!"

Niemand schenkt mir auch nur die geringste Beachtung.
 

"Das hatte ich auch nicht erwartet", sagt Kaiba brüsk. "Dennoch ist es merkwürdig. Irgendetwas muss die Aktivierung ausgelöst haben."
 

"Was ist merkwürdig?" Langsam werde ich nervös. Irgendetwas ist hier nicht gut - gar nicht gut, und keiner hält es für nötig mich aufzuklären. Ich hasse es im Dunkeln zu tappen. Sprichwörtlich.
 

"Ich konnte leider noch nichts finden, Sir. Und ich fürchte meine Laufzeit hier beträgt nur noch maximal vier Minuten. Kann ich in der Zeit noch etwas für sie tun?"
 

"Hallo?" Ich wedele nachdrücklich mit den Armen. Vollkommen sinnlos im Dunkeln. "Beachtet mich mal jemand?!" Ich spiele mit dem Gedanken, mir Pompoms zuzulegen und damit herumzuwedeln. Vielleicht sollte ich mir ein Röckchen aus Duell Monsters-Karten basteln - das müsste seine Aufmerksamkeit doch ganz sicher erregen.
 

"Vielleicht ..." Er klingt zögernd. Und zögernd passt nicht zu Kaiba. Ganz und gar nicht. "Gibt es ... irgendeine eine Möglichkeit ihn hier rauszuschaffen?"
 

Überrascht höre ich auf zu wedeln. Wartet mal ... meint er mich?
 

"Ich fürchte nein, Sir. Nicht aus dem 47. Stock."
 

"Ihr redet von mir, oder? Redet ihr von mir?"

Natürlich wird mir schon wieder keinerlei Beachtung geschenkt. So muss es sich anfühlen, unsichtbar zu sein. Oder eben ein ,nicht registriertes Subjekt ...' Ich komme mir so minderwertig vor.

Aufmüpfig verschränke ich die Arme. "Pfff ...Bitte, ignoriert mich doch. Ist ja nicht so wichtig, dass ich der Einzige hier bin, der nicht weiß, was vor sich geht. Ich werde ja vielleicht nur gehäckselt und zerkleinert - was soll´s. Man kann auch in Einzelteilen noch ein erfülltes Leben haben, nicht wahr?"
 

Er ist einen Moment lang still, und obwohl es dunkel ist, kann ich seinen intensiven Blick auf mir spüren. Nicht einmal Mika haut mir irgendeinen fiesen Spruch um die Ohren. Also, wenn ich irgendetwas beängstigend finde, dann ist es das.

"Hündchen ...", sagt er leise und unerwartet. "Das ist ernst."
 

"... was?" Langsam lasse ich meine Arme sinken. Ich kann spüren, wie meine Wangen anfangen zu glühen und er mir praktisch mit einem einzigen Satz den Wind aus den Segeln nimmt. Ich versteh das nicht ... er nennt mich oft genug ,Köter', und das bringt mich nie so aus der Fassung. Aber ,Hündchen' ist fast so was wie ein Kosename ... Und das von ihm. Kosenamen sind für Menschen, die man sehr mag. Aber Kaiba kann mich nicht einmal leiden!
 

"Wie ernst?" frage ich, als ich endlich meine Stimme wieder finde. "Ich dachte, dass ist nur ein Stromausfall?"
 

"Wenn es ein gewöhnlicher Stromausfall wäre, hätte die Kaiba Corp. automatisch auf Notstromversorgung umschalten können - und wir hätten vermutlich nichts davon mitbekommen", erklärt er geduldig. "Der Strom ist aus, weil es irgendwo einen Defekt gegeben hat, der so gravierend gewesen sein muss, dass das System zu seiner eigenen Sicherheit den Strom komplett abgestellt hat - und in den Sicherheitsmodus übergegangen ist."
 

"Was heißt Defekt?" Langsam bekomme ich wirklich ein ungutes Gefühl bei der Sache. Es wird allmählich ein bisschen kalt in den feuchten Klamotten und ich verschränke die Arme um mich ein bisschen aufzuwärmen. Das alles trägt nicht dazu bei, das mulmige Gefühl, welches sich langsam in meinem Bauch ausbreitet zu verringern.
 

"Defekt kann alles Mögliche sein", antwortet er. "Vielleicht eine überhitzte Maschine. Irgendetwas in der Forschungsabteilung, das nicht ordnungsgemäß abgeschaltet wurde." Es raschelt leise, und ich kann mir vorstellen, wie er mit den Schultern zuckt. "Vielleicht einfach ein defektes Stromkabel. Natürlich könnte es auch jemand sein, der hier eingedrungen ist und dabei die Alarmanlage zerstört hat..."
 

"WAS?!"
 

"Das ist allerdings relativ unwahrscheinlich."
 

"Was heißt unwahrscheinlich? WIE unwahrscheinlich?!" Ich schiebe Panik.
 

"Nun ja - rein statistisch gesehen wurde die Kaiba Corp in den letzten zwei Jahren öfter überfallen und in fremde Gewalt gebracht, als ich Urlaubstage hatte ... aber ich hatte auch nicht besonders viel Urlaub. Von daher ist diese Statistik wohl nicht sehr aussagekräftig." Er nimmt mich nicht ernst, der Penner! Zumindest wenn man von dem leicht sarkastischen Unterton in seiner Stimme ausgehen kann. Ich blicke finster in die Richtung, aus der seine Stimme kommt.
 

"Und jetzt? Haben wir irgendeinen Plan? Was machen wir jetzt?" Wir rufen die Polizei? Nehmen Geiseln? Aktivieren die Selbstzerstörung und jagen alles in die Luft? Zücken unsere Duell Monsters Karten? Verdammt, meine habe ich ja zu Hause gelassen ...
 

"Den Sicherheitsmodus wieder deaktivieren - was sonst? Hast du nur Hundekuchen im Kopf?"
 

"Oh ..." Okay, vergessen wir die Geiseln und die Selbstzerstörung. "Und ... öh ... wie machen wir das ...?"
 

"Ich gehe zum Hauptrechner ..."
 

"WIR gehen zum Hauptrechner", korrigiere ich sofort. Jetzt wo ich weiß, dass hier rein statistisch gesehen ein durchgeknallter Psychopath herumschleichen könnte, bin ich erst recht fest entschlossen hier definitiv nicht alleine zurückzubleiben. Ich weiß nicht wieso, aber die meisten Psychopathen, denen wir bisher über den Weg gelaufen sind hatten es auf die eine oder andere Art auf mich abgesehen.
 

"Von mir aus. WIR gehen zum Hauptrechner, wobei ICH derjenige sein werde, der die Codes kennt, und dann werde ICH den Sicherheitsmodus deaktivieren, während DU mir nicht im Weg stehst und alles tun wirst, was ICH dir sage. Noch Fragen?"
 

"Ja - kann ICH die Taschenlampe haben?"
 

"Nein, kannst du nicht." Sein Tonfall macht deutlich, dass er nicht in der Stimmung für Diskussionen ist.
 

"Wieso nicht? Im Gegensatz zu dir würde ich sie nämlich ab und zu mal anmachen." Dann könnte ich wenigstens sehen, ob meine bösen Blicke auch in die richtige Richtung gehen. Nachher durchbohren sie nur seinen Zimmerkaktus, obwohl die doch eigentlich für ihn bestimmt sind.
 

"Oh, glaub mir - das ist nur eins von den Problemen, die wir grade am Hals haben, Wheeler." Er klingt spöttisch. "Die Batterie wird es nicht mehr lange machen - und es wäre wirklich sehr unangenehm, wenn wir die Schalttafeln nicht mehr sehen könnten, während der Sicherheitsmodus aktiviert ist. Also, gewöhn dich besser an die Dunkelheit."
 

"... Du genießt es, mir Angst zu machen, nicht wahr?"
 

"Du hast keine Vorstellung."
 

Ich hasse ihn.

Keine Prinzessin der Welt sollte dermaßen bösartig sein.
 

"Ja, dann ... ich wünsche ihnen viel Spaß auf dem Weg, Sir", flötet Mika. Ihr Sarkasmus ist nur noch als niederträchtig zu bezeichnen.

Kaiba hüstelt dezent. "Danke."
 

Ha ha, denke ich. Der war gut. Wir werden uns vermutlich zerfleischen - aber hey, das kann ja bekanntlich auch Spaß machen. Wer braucht noch Angst vor Psychopathen zu haben, wenn er mit Kaiba unterwegs ist?
 

"M.I.C.A?"

Ich höre das leise Rascheln seines Mantels, als er sich zur Tür bewegt. Ich weiß nicht mal, wann er den wieder angezogen hat. Vielleicht gehört das zu der Rolle, die er so gerne spielt ... der Boss, der alles im Griff hat. Der allmächtige Boss vor dem sie alle kriechen. Vielleicht denkt er, dass das bei mir auch funktioniert. "Sorg dafür, dass Mokuba ins Bett kommt. Und sag ihm, dass es hier noch etwas dauern kann ... technische Probleme und so weiter"
 

"Ich tue, was ich kann. Aber er wird sowieso auf sie warten." Ihre Stimme klingt weicher, als ich das von ihr gewohnt bin. Andererseits bin ich von ihr sowieso nur gewohnt, dass sie mich blöde von der Seite anmacht. Wer weiß - vielleicht ist da noch eine Gemeinsamkeit, die sie mit Kaiba teilt. Eine gewisse Schwäche für Mokuba Kaiba ...
 

Das klingt alles so vertraut, wie die beiden miteinander umgehen, als ob sie diese Art von Gespräch an vielen Abenden haben.

Sekundenlang, während sie reden, zoome ich plötzlich weg. Wenn man das so nennen kann. Ich habe dieses Bild im Kopf ... von Kaiba ... in seiner riesigen, gigantischen, mit Hightech vollgestopften Firma ... ganz alleine ... noch lange am Arbeiten, wenn alle anderen längst gegangen sind ... wenn alle Flure schon leer und verlassen sind ... und das elektrische Licht langsam im ganzen Gebäude ausgeht ... ein Zimmer nach dem anderen wird dunkel ... und der Parkplatz wird immer leerer, während ein Auto nach dem anderen wegfährt ... und nur in Kaibas Büro brennt noch Licht ... bis lange nach Mitternacht ...

Und ich denke, vielleicht ist er manchmal froh, dass er ein Sicherheitssystem wie Mika hat. Jemand, der einfach da ist und antwortet, wenn er etwas sagt. Selbst, wenn es nur ein seltsames Programm ist, das irgendwo auf seiner Festplatte liegt.

Vielleicht ist Kaiba manchmal eine sehr einsame Prinzessin ...
 

"Was ist?" Seine Stimme kommt von der Tür und klingt ungeduldig. "Worauf wartest du?"
 

Einsam vielleicht ... aber viel zu stur, viel zu arrogant und viel zu verschlossen, um es jemals zuzugeben.

Ich seufze und mache mich auf den Weg. Trotz des matten Scheins des Mondlichtes, das durch die Vorhänge dringt, ist kaum etwas zu erkennen, außer schattigen Konturen. Es ist kaum zu glauben, aber irgendwie schaffe ich es auf dem kurzen Weg bis zur Tür über zwei Stühle und ein Computerkabel zu stolpern - und gegen einen Schrank zu laufen. Was soll ich sagen ... nicht jeder hat hier Nachtsicht wie die Beiden. Ich komme mir eindeutig benachteiligt vor.
 

"Au ..." Ich reibe mir kleinlaut über die Stirn, als ich stolpernd beim ihm ankomme. Wenn ich allerdings annehme, dass er mich wenigstens ein bisschen bedauert, bin ich schief gewickelt.
 

"Endlich." Mitleidslos werde ich am Arm gepackt und unter lautstarken Protesten meinerseits auf den Flur gezerrt. "Hey ...! Moment mal ...!"
 

"Halt den Mund", befiehlt er kalt.
 

"Sklaventreiber!"
 

"Heulboje."
 

Wie bitte? Also, das muss ich mir nicht gefallen lassen! Es kann ja nicht jeder so ein gefühlloser Eisklotz wie er sein.

Bevor ich mir jedoch eine qualitative Beleidigung in genau dieser Richtung ausdenken kann, fällt die Tür hinter uns plötzlich mit einem endgültigen Geräusch ins Schloss. Ich höre, wie tausend kleine Sicherheitsriegel klacken, als sie sich automatisch verriegelt.

Erschrocken schnappe ich nach Luft.
 

"Hey - wieso ...?"
 

"Sie wird automatisch verschlossen, sobald ich nicht mehr in meinem Büro bin", beantwortet Kaiba meine Frage, bevor ich sie aussprechen kann.
 

Es dauert einen Moment, bis ich diese Erkenntnis verarbeitet habe. "WAS?! Du hättest mich da drin eingeschlossen?!"
 

"Ohne zu zögern, Köter."
 

"Du eiskalter, fieser, berechnender ...!" hole ich wütend aus.
 

"Glaub mir, es wäre zu deiner eigenen Sicherheit gewesen."
 

"Ja klar. Das kannst du deiner Großmutter erzählen ...!", fauche ich.
 

Obwohl es so dunkel ist, dass man kaum seine Hand vor Augen sieht, blicke ich kurz zurück. Ich bekomme Gänsehaut bei dem Gedanken, immer noch da drin zu sein.

Der Flur ist noch finsterer als sein Büro, denn hier befinden sich nicht einmal Fenster. Und der einzigen potentiellen Lichtquelle hier, seiner Pfadfinder-Taschenlampe geht langsam aber sicher die Batterie aus. Wunderbar ... wieso gerate ich immer in solche Situationen? Yugi wäre viel geeigneter für so was. Er verbreitet wenigstens Optimismus.

Entschlossen und scheinbar völlig ungerührt davon, dass hier Psychopathen und Freaks in Massen auf uns lauern könnten und dass er realistisch betrachtet auch nicht viel mehr sehen dürfte als ich grade - nämlich nichts - marschiert Kaiba los und zerrt mich dabei unnachgiebig hinter sich her. Ich protestiere nicht dagegen, auch wenn es schwer ist mit seinen langen Beinen Schritt zu halten. Aber alleine wäre ich aufgeschmissen im Dunkeln.
 

"Viel Erfolg, Sir", vernehme ich Mikas Stimme. Sie klingt seltsam verrauscht und unscharf, als ob sie grade gähnen würde. Scheinbar geht ihre Energie wirklich zur Neige. "Passen sie auf, dass der kleine Punk nicht geröstet wird."
 

Geröstet? Bevor ich sie fragen kann, was das bedeutet, gibt sie ein endgültiges Knistern von sich, und dann ist es ganz still. Sie ist weg. Und obwohl sie eine blöde Ziege ist, die mich nur geärgert hat, vermisse ich sie ein wenig. Denn sie hat wenigstens die ganze Zeit mit mir geredet.
 

"Hey ... Kaiba?" Die Stille um uns ist beklemmend.

Keine Antwort. Nur der Griff um meinen Arm wird beinah schmerzhaft, aber ich verkneife mir tapfer jeden Laut. Als ,Heulboje' bezeichnet zu werden, muss ich mir echt nicht noch mal geben. "Was genau meinte sie eben mit geröstet? Sollte mich das beunruhigen?"

Hat er eine Schweigegelübde abgelegt? Ist er ein Mönch? Rede mit mir ... komm schon ...
 

"Du wirst nicht geröstet", antwortet er schließlich. "Vermutlich nicht."
 

Also diesen Nachsatz hätte er sich echt sparen können.
 

"Sie hasst mich, oder?" frage ich, als es erneut beängstigend still zu werden droht.
 

"Wer?"
 

"Na ja ...sie. Mika."
 

"Sei nicht albern. M.I.CA ist ein Computerprogramm."
 

Ich rolle mit den Augen. "Ja, natürlich! Aber sie ... sie ist so ...so ..." Ich wedele mit meinem freien Arm - unfähig es in Worte zu fassen. Menschlich? Zickig? Weiblich? Ein Miststück? Wie kann man das am besten ausdrücken? "Sie ist dir ziemlich ähnlich", rutscht es mir schließlich heraus. "Und du kannst mich ja auch nicht leiden ..."

Es ist beinah eine Frage. Okay, es ist eine Frage. Aber mir hätte klar sein müssen, dass er nicht antworten würde. Sekundenlang komme ich mir vor wie ein Idiot, weil ich irgendwo, tief drin, wirklich die Hoffnung hatte, er würde mir widersprechen ...
 

Seine Finger haben sich inzwischen fest um mein Handgelenk geschlossen und zerren mich unnachgiebig hinter sich her. Wenn er noch ein bisschen tiefer fassen würde, wäre es beinah als ob er meine Hand halten würde. Aber okay ... es ist Kaiba. Das gehört zu den Dingen, die er niemals tun würde. Nicht, dass ich irgendwie scharf drauf wäre!

Der einzige Mensch, mit dem ich bisher Händchen gehalten habe, war meine kleine Schwester. Oh, und einmal mit Yugi. Aber es war nicht diese Art von Händchenhalten, klar? Es war mehr ein männliches, vollkommen unschwules Händeschütteln, bei dem unsere Hände sich ein bisschen länger festgehalten haben als nötig. Wenn ich mich Recht erinnere, war das auch in einem sehr emotionalen "Wir haben mal wieder die Welt gerettet und sind nur knapp dem Tod entronnen" -Augenblick.
 

"Hey Kaiba?"
 

Stille.
 

"Wie weit ist es bis zum Hauptrechner?"
 

"Weit genug."
 

"Also, bis jetzt sieht doch alles noch ganz harmlos aus. Bist du sicher, dass ..."
 

"Ja."
 

Langsam wird das frustrierend. Er ist so angespannt. Okay, ich bin auch nicht grade wirklich entspannt - unter anderem, weil er grade meinen Arm malträtiert - aber ich schaffe es doch auch eine ganz normale, höfliche Konversation zu führen.
 

"Hey Kai..."
 

"Wheeler, was zum Teufel, soll das werden?! Willst du mich über meine Firma ausfragen?" Sein kalter, misstrauischer Tonfall ist wie eine eiskalte Dusche. Als ob ich ein feindseliger Eindringling bin, der nur darauf lauert, ihn zu hintergehen und ihm alles wegzunehmen.

Ich bin verletzt. Und es dauert einen viel zu langen Moment, bis ich meine Stimme wieder finde. "Das nennt man Small Talk, Kaiba ..."
 

Er schnaubt verächtlich. "Das kann nicht dein Ernst sein! Du hast ein Bedürfnis nach sinnlosem Small Talk? Hier? Und jetzt? Lass dein nicht vorhandenes Gehirn untersuchen."
 

Jedes seiner Worte ist wie ein kleiner, fieser Glassplitter unter meiner Haut und ich frage mich, ob ihm bewusst ist, wie weh es tun wird, die alle einzeln rauszuholen ...

Ich bin nur nervös und es ist dunkel und ... ich habe das Bedürfnis eine menschliche Stimme zu hören. Auch wenn es die von Kaiba ist, der sowieso nur eingeschränkt als Mensch zählt. Ich vertrage Stille nicht gut. Mir ist es lieber, wenn mich Menschen anschreien und sich über mich ärgern - alles ist besser als angeschwiegen zu werden. Das ist der Grund, wieso ich niemals bei meiner Mutter leben könnte ... Nicht, dass sie mich jemals darum bitten würde.

"Entschuldige bitte, dass ich gerne wissen möchte, ob ich hier irgendwo in Gefahr laufe, geröstet oder zerstückelt zu werden!" erwidere ich leise, während er mich weiterhin ohne Rücksicht auf Verluste durch die finsteren Gänge zerrt. "Sogar nicht registrierte Subjekte haben ein Recht darauf, das zu erfahren!" Es klingt bitterer als ich beabsichtigt hatte. Er ist einen Augenblick lang still.
 

"Das scheint dich ja ganz schön zu beschäftigen."
 

"Was?"
 

"Dass du ein nicht registriertes Subjekt bist."
 

Widerwillig beiße ich die Zähne zusammen. "Tut es nicht!"
 

"Ach was ..."
 

Ich knurre frustriert. Ist mir doch egal, ob ich für ihn nichts weiter als ein Subjekt bin, und noch dazu ein nicht registriertes ... Wen interessiert das überhaupt.
 

Seine Schritte werden ein wenig langsamer und passen sich ein bisschen mehr meinem Tempo an. "Hör zu - alles, was es bedeutet, ist dass du nicht als Mitarbeiter der Firma im Datenspeicher registriert bist", erklärt er schließlich vollkommen unerwartet. "Mehr oder weniger."
 

"Oh ... okay." Verblüfft klappe ich den Mund zu. Zugegeben, unter dieser Definition betrachtet, klingt es nicht mehr ganz so herabwürdigend ...
 

"Zufrieden?"
 

"Hm ..." Ich werde rot und nicke, obwohl er das gar nicht sehen kann.

Unwillkürlich muss ich lächeln. Ich glaube, das ist das Erste, was er je zu mir gesagt hat ... damit ich mich besser fühle und nicht schlechter.
 

"Hey Kaiba?"
 

"Hm?"
 

"Also, wenn das so ist ... dann werde ich das ja nicht mehr lange sein. So weit ich mich erinnere, waren wir doch grade bei Verhandlungen über meinen neuen Job bei dir." Um das mal wieder aufs Tablett zu bringen. Immerhin bin ich deswegen überhaupt hierher gekommen, bevor dann alles schief gelaufen ist. Nicht, dass er denkt, ich hätte es vergessen.
 

"In deinen Träumen vielleicht."
 

"Nein, in deinem Arbeitszimmer."
 

"Niveaulose Witze qualifizieren dich auch nicht als brauchbaren Mitarbeiter der Kaiba Corp.", gibt er zurück. "Ehrlich gesagt, qualifiziert dich so ziemlich gar nichts als brauchbaren Mitarbeiter irgendwo."
 

"Woher willst du das wissen? Du kennst meine verborgenen Fähigkeiten vielleicht gar nicht!"
 

"Vielleicht habe ich auch kein Interesse daran sie zu Tage zu fördern."
 

"Vielleicht hast du nur Angst davor, Unrecht zu haben und mich endlich ernst nehmen zu müssen!"
 

"Vielleicht bist du einfach ein Idiot."
 

"Und vielleicht bist du ..."
 

"Schon gut, es reicht!" Auch wenn es dunkel ist, kann ich den intensiven Seitenblick förmlich spüren, den er mir zuwirft. "Du bist echt unglaublich. Ich kenne wirklich niemanden außer dir, der so blöde wäre, sich gleich bei seinem Einstellungsgespräch mit seinem neuen Boss anzulegen."
 

"Ehrlich?" Ich blinke überrascht. "Und? Qualifiziert mich das nicht unheimlich für irgendeinen Posten?"
 

"Idiot! Das war nicht als Kompliment gemeint ..."
 

"Oh ...aber ..."
 

Er antwortet nicht. Stattdessen bleibt er so ruckartig stehen, dass ich beinah gegen ihn laufe. Sein ganzer Körper ist plötzlich angespannt und steif, und er scheint auf etwas zu warten.
 

"Was ...?"
 

"Still!" Wie zur Untermalung seiner scharfen Worte, löst er die Hand von meinem Arm und presst sie nachdrücklich auf meinen Mund.
 

Ich will protestieren, aber ein paar leise, klackende Geräusche, die plötzlich von überall um uns herum ertönen, bringen mich zum Schweigen. Nicht, dass ich viel sagen könnte, mit seiner Hand auf meinem Mund. Er lauscht.

Ein seltsames, elektrisches Summen liegt in der Luft, als ob ein ganzer Schwarm Killerbienen sich um uns herum versammelt, bereit sich jeden Moment auf uns zu stürzen. Ich kann spüren wie sich sämtliche feinen Härchen in meinem Nacken aufrichten vor Schreck, und ich wage kaum zu atmen. Das elektrische Knistern ist überall, ohne dass ich sehen kann, woher es kommt. Irgendwie habe ich das beunruhigende Gefühl, dass wir grade etwas aktiviert haben. Vielleicht eine von den tausend kleinen Fallen, mit denen die Kaiba Corp. ausgestattet ist und die mir allesamt nach dem Leben trachten.

Oder, wie unser ehemaliger Physiklehrer immer zu sagen pflegte: "Es ist keine Paranoia, wenn sie wirklich hinter dir her sind!" Meistens sagte er das, bevor er die Jalousien unseres Klassenzimmers herunter ließ und den Unterricht im Dunkeln fortsetzte.

Nun ja.
 

"Was ist das?" hauche ich, als er endlich die Hand von meinem Mund nimmt. Ich habe genug Actionfilme mit Tom Cruise gesehen, um zu wissen, dass ich jetzt gerne einen Stuntman hätte.
 

"Beweg dich nicht", gibt er ebenso leise zurück. "Keinen Zentimeter, verstanden?" An seiner Stimme ist nicht zu erkennen, ob er das ernst meint oder mir nur Angst einjagen will. Ich beschließe lieber kein Risiko einzugehen und erstarre folgsam in der Position, in der ich mich grade befinde. Er macht die Taschenlampe an und fährt damit suchend die Wand ab. Der Lichtstrahl sieht schon erstaunlich matt aus und flackert ein paar Mal bedenklich.
 

"Was machst du da?" flüstere ich.
 

"Ich suche was ...", murmelt er. "Stör nicht."
 

Ich fröstele. Aber das kann auch an der kühlen Luft und meinen feuchten Klamotten liegen. Endlich hält der schmale Lichtkegel inne und landet auf einer Ansammlung von Tasten. Er hebt die Hand und gibt in rascher Abfolge ein paar Befehle ein. Wie aus dem Nichts taucht plötzlich ein grüner Lichtstrahl auf und fällt genau auf sein ruhiges, unbewegtes Gesicht. Der Lichtstrahl wird immer schmaler und zentriert sich schließlich über seinem rechten Auge. Ich zucke zusammen, aber er blinzelt nicht einmal. Langsam und methodisch fährt das grüne Licht über sein Auge und scannt es ein.

Okay, scheinbar hat Kaiba auch zu viele Actionfilme mit Tom Cruise gesehen. Wow - wer hätte gedacht, dass es in einem abgelegenen Kaff wie Domino so viel Hightech auf einen Haufen gibt?
 

"Netzhaut-Identifikation abgeschlossen. Seto Kaiba - erkannt", ertönt eine emotionslose Stimme. Zum Dank wird eine weitere Schaltfläche freigegeben. Ohne zu zögern oder auch nur einmal innezuhalten und nachzudenken, gibt er weitere Zahlencodes darauf ein. Wie behält er sich die nur alle? Ich kann mir ja nicht mal meine eigene Handynummer merken.
 

"Deaktivierung des Abwehrsystems von Teilbereich B - abgeschlossen", verkündet die tonlose Computerstimme. So langsam beginne ich beinah Mikas ätzenden Sarkasmus zu vermissen. Aber dafür hört das unheimliche Surren um uns herum schlagartig auf. Überrascht von der plötzlichen Stille, blicke ich mich um.
 

"Äh ... will ich wissen, was du da grade deaktiviert hast?" Ich habe Gänsehaut und weiß nicht, ob es an der kühlen Luft liegt oder etwas anderem. Frierend reibe ich mit den Händen über meine bloßen Arme und verfluche mich zum zwanzigstens Mal dafür, keine Jacke mitgenommen zu haben.
 

"Nein, willst du nicht." Er geht weiter und macht das Licht aus. Diesmal ohne meinen Arm zu packen. Ich fühle mich vernachlässigt.
 

"Hey, warte - ich will doch! Was war das? Sag schon!" Hastig sprinte ich ihm hinterher. Besser gesagt, seiner Stimme nach.
 

"Laser."
 

" ...LASER?!"
 

"Ja." Eins muss man ihm lassen. Er vergeudet wirklich keine Zeit mit Smalltalk.
 

"A-aber wieso? Woher? Da waren doch vorhin noch keine, als ich gekommen bin! Das hätte ich doch gemerkt!" Ich wedele aufgeregt mit den Armen, während in meinem Kopf Horrorvisionen von Joey, geröstet am Spieß, ablaufen. Oh Gott, ich will nicht sterben!
 

"Nerv nicht rum. Das liegt am Sicherheitsmodus", sagt er in einem Tonfall, als ob das alles erklären würde. Mir reicht es langsam mit diesem bescheuerten Begriff.
 

"Aber das waren LASER! Müssen wir jetzt alle sterben? Evakuiert werden? Fliegt gleich alles in die Luft? Sollte ich anfangen zu beten?" Ja, ich bin dumm, ich bin unwissend - ich gebe es zu! Aber woher soll ich wissen, wie die Psycho Corp. funktioniert? Alles was ich weiß, ist, dass Laser nicht gut sind! Und das weiß ich nicht erst seit sämtlichen Actionfilmen mit Tom Cruise.
 

Er zuckt mit den Schultern. Ich kann ihn nicht sehen, aber man kann es förmlich in seinem Tonfall hören. "Ich habe dir gleich gesagt, du sollst in meinem Zimmer bleiben."

So langsam habe ich das beunruhigende Gefühl, es war doch kein Scherz, als er meinte, dass es zu meiner eigenen Sicherheit gewesen wäre ...

Kaiba, der sich Gedanken um meine Sicherheit macht - also, wenn ich die Überzeugung, dass das ganze ein böser Traum ist, nicht schon längst hinter mir gelassen hätte, wäre jetzt der geeignete Zeitpunkt gewesen um mich zu kneifen. Andererseits hat er vermutlich nur Angst, dass ich seine Firma verklage, wenn ich hier draufgehe.

Oh Gott, da ist schon wieder so ein komisches Geräusch! Meine Nackenhaare stellen sich auf vor Schreck. Es klappert ganz leise ... Was für eine teuflische, heimtückische Waffe ist das jetzt wieder?
 

"Joey."
 

"... ja?" quietsche ich alarmiert.
 

"Deine Zähne klappern."
 

Oh ...

Okay, das wäre eine mögliche Erklärung für das Geräusch. Peinlich berührt presse ich die Lippen aufeinander.
 

"Was ist ...?" fragt er. "Kann ich das so interpretieren, dass du inzwischen bereust mitgekommen zu sein?" Es klingt spöttisch.
 

"Was? Nein!" Widerspenstig werfe ich den Kopf zurück. "Niemals! Denk nur nicht, dass ich Angst habe! Vor ein bisschen Dunkelheit und ein paar Lasern ... pfff - Kinderkram!"

Meine Zähne klappern immer noch. Verdammt, das untergräbt meine Glaubwürdigkeit. "Ich habe keine Angst, klar?" wiederhole ich unwillig. Ich reibe mir heftig über die Arme und spüre, dass ich Gänsehaut habe. "Es ist nur ein bisschen ... kühl hier ..."

Nur damit er nichts Falsches denkt. Ausgerechnet vor Kaiba will ich nicht als Feigling dastehen. Wie auf Kommando fange ich noch mehr an zu zittern. Ich bin erbärmlich. Sag es ruhig.
 

Er bleibt stehen. "Du bist erbärmlich."
 

Und da behaupte noch einer, ich kenne ihn nicht gut.

Widerstandslos lasse ich den Kopf hängen, und zum ersten Mal bin ich beinah froh über die Dunkelheit. Denn wenn er mein Gesicht sehen könnte, würde er wissen, wie armselig ich mich grade fühle. Dumm und erbärmlich. Und dann würde er darüber lachen. Und das würde mir den Rest geben.
 

Ich bin ehrlich sicher, dass er sich jetzt umdreht und einfach weitergeht, nachdem er mich beleidigt hat ... aber ... scheinbar kenne ich ihn vielleicht doch nicht so gut, wie ich eben noch dachte.

Ich höre seine leisen Bewegungen, als er einen Schritt auf mich zutritt und zucke unwillkürlich zurück. Was hat er vor? Mich eliminieren, weil ihm plötzlich bewusst geworden ist, dass ich so langsam sämtliche Geheimnisse seiner hochgesicherten Firma kenne? Das fällt ihm aber spät ein ...
 

"Lass mich raten - mein Zähneklappern geht dir auf die Nerven und ich soll es lassen? Man, ich kann es auch nicht ..."
 

"Sei still."
 

Mit der beängstigenden Zielstrebigkeit, die er selbst hier an den Tag legt, wandert seine Hand hoch zu meinem Haaren. Ich erstarre förmlich vor Schreck. Nur meine Augen weiten sich.

Er wird mir nicht wehtun, oder ...?

Seine Berührung ist durch und durch sachlich und unpersönlich, so als ob er eine beschädigte Ware auf ihre Qualität prüfen würde. Trotzdem komme ich mir vor, wie ein kleiner, nasser Hund, als die langen, schlanken Finger einmal mitten durch meine zerzausten Ponysträhnen fahren und sie ungewohnt behutsam wieder loslassen. Sie sind noch ziemlich feucht - auch wenn man das bei meinen Haaren nicht unbedingt sehen kann. Vielleicht weil sie so dicht und widerspenstig sind. Ich wäre keine gute Werbung für DreiWetter-Taft.

Es dauert einen ewig langen, schweigenden Moment, in dem meine Haarsträhnen langsam durch seine Finger gleiten und zurück an ihren Platz fallen. Es ist wie Zeitlupe. Mein Gehirn ist vollkommen leergefegt.

Er gibt ein leises, beinah verärgert klingendes Geräusch von sich, als er die Hand endlich zurückzieht, und der Bann ist gebrochen. Er tritt einen Schritt zurück und ich kann das leise Rascheln seiner Klamotten hören.
 

"... Kaiba?" Mit glühenden Wangen hebe ich eine Hand und taste nach den widerspenstigen Ponysträhnen, die er eben noch zerzaust hat. Was ... war das denn jetzt? Ich bin verwirrt. Und weiß der Geier, wie meine Frisur jetzt aussieht ...

Außerdem ...hey, er hat mich grade wie einen Hund behandelt! Ich sollte beleidigt sein. Aber alles, was ich fühlen kann, ist das mein Puls wie blöde vor sich hinrast ... dass mir heiß ist ... obwohl ich eben noch gefroren habe ...

Vielleicht werde ich wirklich krank.
 

"Wieso hast du nichts gesagt?" knurrt er.
 

"Was?"
 

"Dass du so nass bist ..." Er murmelt noch etwas, dass verdächtig nach ,Blöder Köter' klingt, aber ich bin immer noch zu perplex um darauf zu reagieren.
 

"Da", sagt er knapp und wirft mir zielsicher etwas ins Gesicht. Reflexartig fange ich es auf. Es ist lang und weich und der Stoff fühlt sich edel und teuer an. Es kommt mir seltsam bekannt vor ... Es dauert einen Moment, bis ich schalte.

Oh warte ... das kann doch nicht ... das ... das ist ...

"Was ist? Bist du da festgewachsen?" Er klingt ungeduldig.
 

"Aber ... das ist dein Mantel ...!" Ich bin schockiert.
 

"Sehr intelligent beobachtet." Seine Stimme trieft förmlich vor Sarkasmus. "Und jetzt zieh ihn an und lass uns weitergehen."
 

"Aber wieso ...?!"
 

Ich kann praktisch vor mir sehen, wie er mit den Schultern zuckt und spöttisch das Gesicht verzieht. "Vielleicht weil mir dein Zähneklappern auf die Nerven ging."
 

"..." War das nicht mal mein Satz?
 

Oh Gott. Ich glaube, ich hyperventiliere gleich. Er kann doch nicht ernsthaft erwarten, dass ich einen der mystischen, unantastbaren, Schwerkraft-widerstehenden Kaiba-Mäntel anziehe! Ich meine ... das geht nicht! Mich wird garantiert ein böser Fluch treffen! Ich werde einen grauenvollen, schmerzhaften Tod sterben! Andererseits ...

Den grauenvollen, schmerzhaften Tod werde ich vielleicht sowieso sterben. Wieso nicht in Kaibas Mantel - das hätte wenigstens Stil. Und mir ist wirklich kalt.

Hin und her gerissen zwischen diesen Überlegungen, beginne ich ihm nachzulaufen.
 

"Danke", murmele ich schließlich mit einiger Verspätung, während ich den Mantel im Gehen überstreife. Die Ärmel sind ein bisschen zu lang, so dass ich sie über den Handgelenken hochkrempeln muss. Der Stoff ist noch warm und ganz schwach riecht er noch nach etwas, dass ich unschwer als ,au de Kaiba' identifizieren kann ... und es reicht aus, damit ich erneut knallrot werde. Nicht daran denken ... und nicht an seine Hand in meinen Haaren ... das ist sonst zu merkwürdig ...
 

"Hm ..." Und das ist alles, was er dazu sagt.

Und ich bedauere erneut ... mehr als alles andere ... dass ich sein Gesicht in diesem Augenblick nicht sehen kann. Verdammte Dunkelheit.
 

Plötzlich schießt mir etwas durch den Kopf. So unerwartet und heftig, dass ich stehen bleibe. Der Gedanke ist dumm und vollkommen absurd ... und doch wieder nicht. Man könnte ihn praktisch als absolute Erleuchtung beschreiben.

Ich tappe im Dunkeln. Das ist es. Sprichwörtlich!

Ich meine ... nicht nur hier und jetzt - sondern ... in allem. Allem, was das gesamte Mysterium Seto Kaiba angeht. Das hier - das alles - ist so schrecklich symbolisch, dass unsere Japanischlehrerin ihre helle Freude daran haben würde. Sie würde uns Aufsätze ohne Ende darüber schreiben lassen, darauf könnte ich wetten.
 

Er lässt mich eiskalt im Dunkeln tappen, der Penner. So ist es doch. Immer wieder erwische ich etwas von ihm... ein Geräusch, einen Schatten, eine Bewegung ... aber ich kann ihn niemals wirklich sehen. Er ist ein einziges Rätsel. Der totale X-Faktor. Was in ihm vorgeht, was er tut ... und vor allem, WIESO er etwas tut. Wieso er etwas sagt ... und was er wirklich damit meint. Wenn er alle Jubeljahre mal nett zu mir ist, so wie eben ... dann kann ich das nur erraten ... weil ich ihn dabei nicht sehen kann ... weil sein unbewegtes, kühles Gesicht niemals etwas über ihn verrät ...

Er versteckt sich. Irgendwo im Dunkeln, so dass ihn niemand finden kann. Und ich laufe wie ein Idiot die ganze Zeit gegen Schränke und stolpere über Stühle ... und finde keinen Anhaltspunkt darauf, was in ihm vorgeht.

Ich bin wirklich dumm ... nachtblind ...
 

"Joey."

Seine Stimme reißt mich aus meinen Gedanken, so dass ich überrascht den Kopf hebe.
 

"Kaiba?" Suchend sehe ich mich um, nicht sicher aus welcher Richtung seine Stimme kam.
 

"Wo bist du?" fragt er scharf.
 

"Ich ... ähm ... hier?" antworte ich intelligent. Wo immer auch ,hier' ist. Es ist jedenfalls nicht ,dort', wo ich sein sollte. Denn dort ist, wo Kaiba ist und das klingt, als sei er schon einige Schritte entfernt.
 

"Komm her. Sofort!" befiehlt er.
 

"Können vor Lachen. Ich sehe nichts, okay?" Überall ist es schwarz. Mehr als schwarz. Ich komme mir vor, als hätte man mir die Augen verbunden. Testweise strecke ich die Arme aus. Spätestens wenn ich dagegen laufe, weiß ich, dass ich eine Wand zum Entlang tasten gefunden habe.
 

Als ob er meine Gedanken gelesen hat, lässt mich seine schneidende Stimme inne halten. "Fass nichts an, klar? Lauf einfach geradeaus und komm gefälligst her!"
 

"Wieso soll ich nichts ...?" Ich erstarre mitten in der Bewegung, und plötzlich bekomme ich doch Angst. Seine Stimme klingt so ernst. Ist das vielleicht der Punkt, an dem ich geröstet werden könnte, wenn ich mich dumm anstelle ...? "Kaiba ...?" frage ich unsicher, plötzlich zu eingeschüchtert um mich von der Stelle zu rühren.
 

"Was ist?"
 

"Was passiert, wenn ich etwas berühre?" frage ich leise. Ich versuche zu lauschen, ob ich schon irgendetwas höre. Das Summen der Killerbienen, die mein vorzeitiges Ende ankündigen. Vielleicht sind hier überall Mechanismen in der Wand versteckt, die ich auslösen könnte. Und vielleicht färbt seine Paranoia langsam auf mich ab.
 

"Tu es einfach nicht."
 

"Wenn du das schon wieder einfach nur sagst, um mir Angst zu machen - bringe ich dich um!" stoße ich mit zusammengebissenen Zähnen hervor. Mein Körper ist wie festgefroren und nur meine Brust hebt und senkt sich in rasantem Tempo. Ich weiß nicht einmal, ob ich in der Mitte des Ganges bin oder vielleicht ganz am Rand. Direkt in der Schussbahn.

"Ich sage das nur ungern ... aber ich weiß nicht, wo ich bin. Und ich weiß nur ungefähr, wo du bist ..." Ich wage kaum zu atmen.
 

Er seufzt. Vielleicht tut es ihm ja jetzt leid, wie viel Spaß er daran hatte mir Panik zu machen. Andererseits - wenn Kaiba jemals etwas Leid tun sollte, was er mir angetan hat, kann ich sicher sein, dass ich so gut wie auf dem Sterbebett liege.
 

"Bleib, wo du bist. Ich komme zu dir ..."
 

Jetzt wo er seinen Mantel nicht mehr trägt, sind seine Bewegungen erneut völlig lautlos. Kein Rascheln, kein noch so kleines Geräusch verrät ihn. Ich stehe im Dunkeln. Hilflos. Orientierungslos. Und lausche. Auf irgendetwas. Kaiba. Laser, die mich zerstückeln wollen. Psychopathen, die sich von hinten anschleichen. Mein eigenes schneller und schneller klopfendes Herz.
 

"... Joey?"
 

"Ja?"
 

"M.I.C.A hasst dich nicht."
 

"... was?" Diese Aussage kommt so überraschend, unerwartet und ist so völlig am Thema vorbei, dass ich für einen Moment glatt vergesse, dass ich Angst habe und vielleicht gleich drauf gehe.
 

"Sie ist nur ... nicht gut darin zu zeigen, wenn sie jemanden ma ... nicht hasst."
 

"Das kann man wohl sagen..." Meine Augen sind weit. "Sie hat mich mit Lasern bedroht."
 

"Ja, aber sie hat sie nicht eingesetzt."
 

"... da ist was dran."
 

"Also ... denk nicht immer so einen Blödsinn. Denk am besten gar nicht so viel - dein kleines Hundegehirn ist der Anstrengung vielleicht nicht gewachsen."
 

"Kaiba ..." Mir fehlen tatsächlich die Worte. Mein Herz hämmert und mir ist ganz warm ... nur in meinem Kopf herrscht gähnende Leere. Alles was ich denken kann, ist ... ist er grade wirklich nett zu mir? Meint er das so, wie er sagt ... oder meint er das so, wie es klingt? Ich bin durcheinander ...
 

"... gib mir deine Hand."
 

"WAS?"
 

"Los. Mach schon."
 

Mit klopfendem Herzen und blindlings strecke ich meine Hand aus. Sie trifft auf etwas Warmes und ich zucke überrascht zusammen, als er nach ihr greift. Er hält sie fest. Nicht mein Handgelenk diesmal ... sondern wirklich meine Hand. Seine Finger schließen sich um meine.

Kaiba ... der X-Faktor. Das Unbekannte in meiner Gleichung.
 

"Tu nächstens, was ich dir sage."
 

"Ähm ..."
 

"Fass nichts an!"
 

"Ich ..."
 

"Und bleib gefälligst nicht mehr stehen." Unablässig Befehle auf mich abfeuernd, zieht er mich unnachgiebig hinter sich her. Sein Griff ist nicht wirklich sanft ...aber er tut auch nicht weh. Seine Finger sind ganz warm. Und mein Gesicht brennt. "Man sollte dich an die Leine nehmen."
 

"Ich bin kein Hund!" Endlich schaffe ich es auch mal einen Satz los zu werden.
 

"Stimmt, die meisten sind besser erzogen als du ..."
 

Ich kann mich nicht dagegen wehren ... gegen das dumme, völlig deplazierte Lächeln, dass sich auf meinem Gesicht ausbreitet. Ich halte Kaibas Hand ...

Das ist nett. Mehr nett, als ich jemals erwartet hätte ...
 

Und ich denke ... der einzige Weg Kaiba im Dunkeln zu finden, ist vielleicht ... wenn er es ist, der nach dir sucht ...
 


 

^Fortsetzung folgt^

Stromausfall II

Anmerkung: Sorry, ich glaube, dass es diesmal nicht besonders witzig geworden ist. ^^* Aber äh - dafür kriegt ihr etwas anderes. *lock* XD

Nur so viel - es ist irgendwie ein verdammt emotionales Kapitel geworden. o.O
 

Ich wollte mich nochmal ganz lieb bei allen bedanken, die so aufbauende Kommentare geschrieben haben. ^__^ Ich bin wie auf Drogen herumgeflattert und war wirklich selten motiviert möglichst schnell weiterzuschrieben. *g* Danke!! Ihr seid toll!
 


 

~ You can´t fight gravity

On a plant that insists

That love is like falling

And falling is like this ... ~
 

(Ani Difranco: "Falling is like this")
 

***
 

"Hey ... Kaiba?"
 

"Was!"
 

"... nichts."
 

Zum dritten Mal in Folge beiße ich mir grade noch rechtzeitig auf die Lippen.

Okay, ich werde nicht fragen.

Ausnahmsweise werde ich nicht fragen. Ich bin nicht einmal sicher, ob ich seine Antwort überhaupt hören will.

Zugegeben, es ist nicht so, als ob er meine Hand in irgendeiner ... gefühlsbetonten Art und Weise halten würde. Er ist sogar so sehr nebenbei mit anderen Dingen beschäftigt - Codes eingeben, Teilbereiche deaktivieren, verhindern, dass wir geröstet werden ... dass ich beinah das Gefühl habe, er hat es schon wieder vergessen. Also mich. Und ... äh meine Hand. Und die überraschende Verknüpfung zu seiner Hand.

Vielleicht hat das Ganze nur etwas mit seinem großen Bruder-Gen zu tun. Ich kenne das Phänomen. Wann immer ich kleine Mädchen im Alter meiner Schwester sehe, möchte ich sie an die Hand nehmen und aufpassen, dass sie nur bei Grün über die Ampel gehen, und dass keiner von den großen, bösen Jungs an ihren Haaren zieht. Vielleicht ist das bei ihm genauso. Manchmal sind die Gene einfach stärker als man selbst.

Der Gang macht eine abrupte Biegung und ich laufe nur dank seiner Führung nicht gegen die Wand.
 

"Man müsste dich an die Leine nehmen können", murmelt er, als ich wegen dem unerwarteten Schlenker ins Stolpern gerate.

Und manchmal sind es nicht die Gene, sondern einfach seine Unverschämtheit.
 

"Was soll das denn heißen?!" Ich bin glatt in Versuchung, ihm meine Hand einfach wieder zu entziehen und ihm damit eine reinzuhauen. Soll er seine großen Bruder-Gene doch woanders ausleben!
 

"Das soll heißen, wenn du etwas anstellst - dann stecken wir beide bis zum Hals in Schwierigkeiten. Eine Leine wäre vielleicht sicherer." Es klingt nicht einmal vorwurfsvoll, nur sachlich. Trotzdem pisst es mich an. Okay, vielleicht bin ich ein bisschen dumm ... aber er traut mir ja wirklich gar nichts zu.
 

"Danke, ich bin auch nicht scharf darauf geröstet zu werden!"
 

Ich bin nicht einmal scharf darauf, dass Kaiba geröstet wird. Okay, vielleicht manchmal - ganz kurz. Wenn er mich mal wieder rasend gemacht und auf sämtliche Palmen im Umkreis gebracht hat. Aber nicht im Moment, wo er mich davor bewahrt, uns beide aus Versehen umzubringen.
 

"Hey Kaiba ...?"
 

Ruckartig bleibt er stehen und benutzt den festen Griff um meine Hand erneut, um mir wehzutun. "Herrgott, was bist du, Wheeler? Eine nervige Stimme in meinem Unterbewusstsein? Wenn ich noch einmal ,Hey Kaiba ...' höre, werde ich dir den Mund zukleben. Was ist?!"
 

"Hast du noch mal über die Sache mit dem Job nachgedacht?"
 

Wortlos dreht er sich um und marschiert weiter.
 

"Heißt das nein?"
 

"Das heißt, du nervst!"
 

Ich weiß ... Aber das ist nun mal die einzige Überlebenstaktik, die ich besitze. Ich habe auch nicht erwartet, dass er das verstehen würde.

Ich bin nicht so intelligent wie Kaiba, und nicht so optimistisch und tapfer wie Yugi. Ich kann niemanden in den Boden argumentieren, so wie Tea und ich wirke nicht so zuverlässig und anständig wie Tristan. Ich bin nicht sexy und stark wie Mai. Und ich bin nicht einmal lieb und sanftmütig wie Ryou oder meine Schwester. Alles, was mir übrig bleibt, ist dass ich nerviger und aufdringlicher bin, und eine größere Klappe habe, als jeder andere im Umkreis.

Ich weiß, ich weiß. Manchmal fühle ich mich ja selbst ganz klein und erbärmlich deswegen.
 

"Ich wüsste nicht einmal, als was ich dich einstellen sollte", sagt Kaiba unerwartet. "Du bist einfach zu nichts zu gebrauchen."
 

"Gar nicht wahr!"
 

"Beweis mir das Gegenteil."
 

"Du könntest mich brauchen als ... als ..." hastig suche ich nach Ideen. Daran hätte ich eher denken sollen. " ...Babysitter für Mokuba? Ich habe jahrelange Erfahrung mit meiner kleinen Schwester."
 

"Mokuba könnte eher auf dich aufpassen, als umgekehrt. Außerdem ist er schon 13 und nicht erst drei."
 

"Persönlicher Bodyguard?"
 

"Werd nicht lächerlich."
 

"Männliche Sekretärin?"
 

"Ich brauche keine Sekretärin - ich habe einen sich selbst verwaltenden Terminplaner und M.I.C.A."
 

"Chauffeur?"
 

"Du hast nicht mal einen Führerschein."
 

"Aber ich kann fahren!"
 

"Ja - Schlitten vermutlich."
 

"Ich ... ich kann kochen! Also zumindest ... Sachen in den Ofen schieben ... die dann warm werden ..."
 

" ..."
 

"Ja, okay! Ich habe nichts gesagt!"
 

"Gib es auf."
 

"Weißt du, was dir fehlt, Kaiba?!" fauche ich aufgebracht.
 

"Hmm ... Mitgefühl?" Er klingt sarkastisch und gelangweilt.
 

"Jemanden der für deine Wäsche weniger Stärke verwendet!"
 

"... bitte?"
 

So. Irgendjemand muss ihm ja mal die bittere Wahrheit verklickern.

Sogar dieser Mantel, so weich und edel er auch ist, hat diese windschnittige Dynamik um die Beine herum. Wofür ich ja auch dankbar bin, weil es verhindert, dass ich ständig über den Saum stolpere - aber ich könnte trotzdem wetten, dass es an mir einfach nur lächerlich aussieht. Ich weiß auch nicht, wie er das hinkriegt, dass sein Mantel immer im Wind weht - auch wenn es vollkommen windstill ist! Das ist einer von den Tricks, die nur Kaiba beherrscht.
 

"Versteh ich dich richtig? Bewirbst du dich grade als Zimmermädchen?"
 

"Na ja ... so indirekt ...?" Tue ich das? Was stimmt mit mir nicht?!
 

"Wheeler, allein bei dem Gedanken, dass du meine Unterwäsche stärkst, bekomme ich Bauchschmerzen. Also, vergiss den Gedanken daran ganz - ich wiederhole ganz schnell wieder."
 

Sch~on verdrängt ...

Mir fällt nichts mehr ein. Ich bin unfähig. Vielleicht könnte ich Leute, die er hasst, auf Befehl zu Tode nerven ...

Inzwischen bin ich schon so weit, dass mir beinah entfallen ist, wieso ich diesen Job bei ihm so dringend haben möchte. Wieso lege ich es so sehr darauf an, mich zu demütigen? Ich muss ein heimlicher Masochist sein ... Einzig und allein meine Sturheit hält mich davon ab, jetzt noch einen Rückzieher zu machen. Und die Gewissheit, dass es ihn ärgern würde, wenn er mich einstellen müsste. Dass es nicht in sein perfekt sortiertes Leben passt. Dass er zugibt, dass er im Unrecht war. Dass er einmal nur derjenige ist, der nachgibt ... der aufgibt ...
 

>> "Haben sie verstanden, um was es geht?"
 

"Wasserbüffel ...?"
 

"Nein, Dominanz! Und sobald einer von ihnen den Anderen unterworfen hat, werden wir endlich eine vollkommen harmonische Klassengemeinschaft haben." <<
 

Und das hat NICHTS damit zu tun!
 

"Wenn ich dich einstellen würde ...", fragt er genau in diesem Moment, als hätte er meine Gedanken gelesen, "würdest du wirklich alles tun, was ich dir sage?"
 

"Hm ...?" Überrascht werde ich langsamer. Ist das sein Ernst?
 

"Du würdest mir aufs Wort gehorchen, gleichgültig, was ich von dir verlange? Meine Autorität nie in Frage stellen? Dich Tag und Nacht von mir herumkommandieren lassen, ohne dich zu beschweren? Demütigende Anordnungen ausführen, ohne sie zu hinterfragen, einfach weil ich es bin, der es dir befiehlt?"

Unnachgiebig zieht er mich weiter, während er ohne Unterlass demütigende Fragen auf mich abfeuert.
 

"Ist das etwa deine Idee von einem Vorstellungsgespräch?"
 

"Antworte. Würdest du?"
 

"... ja." Ich beiße die Zähne zusammen. Und füge in Gedanken hinzu ,... vielleicht ...'
 

"Tatsächlich ..." Es klingt beinah interessiert.
 

"Heißt das, ich kriege den Job?" frage ich aufgeregt, sekundenlang einfach vergessend, was das bedeuten würde. Seine Antwort ist kurz und unmissverständlich.
 

"Eher friert die Hölle zu."
 

"...WAS?! Hey ...! Wieso fragst du dann diesen ganzen Mist?!"
 

Er zuckt mit den Schultern. Ich kann spüren, wie seine Hand sich dabei bewegt. "Reine Neugierde."
 

Dieser Bastard.

Ich fasse es nicht. Wieso ist er immer so versessen darauf, dass ich ihm gehorche?! Ich weiß, dass er einen pathologischen Kontrollwahn hat, aber das geht zu weit!

Dieselben blöden Fragen hat er bei mir auch schon gestellt, als wir gezwungenermaßen gemeinsam den Kuchen gebacken haben. Bei näherer Betrachtung kann ich gar nicht fassen, dass das erst gestern war. Es fühlt sich an, als sei es eine halbe Ewigkeit her ...

Immer will er, dass ich zu seinen Füßen liege ... schon so lange ich denken kann. ,Knie nieder vor deinem Meister ...'

Ja ja, hat sich was damit, du arroganter ...
 

Ich bin so sehr in meinen Mordphantasien vertieft, in denen er die Hauptrolle spielt, dass ich nicht einmal mitbekomme, wie er plötzlich und unerwartet stehen bleibt.
 

"Warte." Abrupt lässt er meine Hand los. Folgsam, aber immer noch angepisst, bleibe ich stehen. Das matte Licht der Taschenlampe flackert kurz auf und wirft ihren Lichtkegel an eine Tür, die förmlich schreit: ,Ich-bin-hochgesichert-komm-mir-nicht-zu-nah-sonst-muss-ich-dir-sehr-sehr-wehtun'.

Scheinbar sind wir da. Wo auch immer. Er trägt einen selbstgefälligen, überlegenen Gesichtsausdruck zur Schau, als ob er nicht für eine Sekunde daran gezweifelt hätte, dass wir je hier ankommen würden. Was mich angeht - ich will ihn immer noch qualvoll meucheln und seine Überreste in unserem nicht vorhandenen Vorgarten verscharren, aber fürs erste bin ich zumindest dankbar, dass wir es bis hierher in einem Stück geschafft haben.

Genau diesen Moment nutzt das Licht, um ein paar Mal dramatisch zu flackern und schließlich ganz auszugehen. Lasst uns über mieses Timing reden.

"Verdammt ...", höre ich ihn leise fluchen.

Er schüttelt sie ein paar Mal, so lange bis sie sich dazu entschließt wenigstens noch einmal anzugehen. Mattes Licht scheint mir kurz in die Augen, als der Strahl mein Gesicht streift, aber es ist so schwach, dass es nicht einmal blendet.
 

"Und jetzt?" frage ich widerwillig. Eigentlich hatte ich vor, ihn mit eisigem Schweigen zu strafen - aber so bin ich einfach nicht.
 

"Ich gehe rein und deaktiviere den Sicherheitsmodus." Er macht die Taschenlampe aus. "Du bleibst hier."
 

"WAS?!"

Nein! Moment! Das kann nicht sein Ernst sein! Er kann mich doch hier nicht alleine lassen! Umringt von Killerbienen, potentiellen Psychopathen, Todesfallen, Laserstrahlen, Dunkelheit - nein! "Ich komme mit."
 

"Nein, tust du nicht", stellt er in einem endgültigen Tonfall fest.
 

Ja zugegeben - er ist ein Arsch. Ein Bastard. Ein Vollidiot. Und er quält und foltert mich ununterbrochen auf die denkbar übelste emotionale Weise. Aber ... eigentlich ist er gar nicht so übel. Seine Anwesenheit ist doch bisher auch immer ganz unterhaltsam gewesen ...
 

"Oh nein, nein, nein!" Ich schüttele heftig den Kopf. "Du kannst mich hier nicht festbinden - ich komme mit rein, egal was du sagst!"

Eventuell klinge ich ein bisschen verzweifelt. Aber wirklich nur ein bisschen.
 

"Ob du es glaubst oder nicht ...", sagt er mit zusammengebissenen Zähnen, "mir wäre es auch lieber, wenn ich ein Auge auf dich werfen könnte und aufpassen, dass du nicht alles in Schutt und Asche legst."
 

"Na also!" Erleichtert atme ich auf. "Dann ist es doch kein ..."
 

"Es geht nicht, in Ordnung?" fährt er mich an.
 

"Nein - nicht in Ordnung!" Ich beiße mir hartnäckig auf die Unterlippe, um einen leisen, frustrierten Laut zu unterdrücken. "Vertraust du mir nicht ... ist es das?"

Wovor hat er Angst? Als ob ich ausplaudern würde, wie man ihm seine geheiligte Firma wegnehmen kann ... Wo sie ihre Schwachstellen hat und wie man das Sicherheitssystem ausschaltet? Hat er etwa schon vergessen, wer es war, der ihm jedes verdammte Mal aufs Neue geholfen hat, die Kaiba Corp. wieder zurückzubekommen? Ich bin immer auf seiner Seite gewesen ... egal, was für Differenzen und Auseinandersetzungen wir sonst hatten ... immer ...
 

"Dummkopf. Das ist es nicht." Er klingt angepisst. Ausnahmsweise nicht spöttisch und herablassend. Hoffnungsvoll hebe ich den Kopf.
 

"Es ist eine reine Sicherheitsmaßnahme. Nur für den Notfall. Ich kann ihn zwar betreten, wenn ich die richtigen Codes eingebe ... aber er lässt keine ...", er zögert kurz und ich ahne schon, was jetzt kommt, ohne dass er es aussprechen muss.
 

"Lass mich raten ... nicht registrierte Subjekte können ihn nicht betreten?"
 

"Ja."
 

Ich hasse diesen Begriff.

So langsam rutscht er in meiner privaten TopTen-Liste ,unangenehmer und nicht hörenswerter Worte' wirklich ganz nach oben. Noch vor ,Mathearbeit' oder ,Zahnarzttermin' oder ,Alkoholproblem'. Okay, vielleicht ist er noch ein klitzekleines bisschen unter dem letzten. Aber wirklich nur unwesentlich.

Ich seufze schicksalsergeben und senke den Kopf. Er hat sich das ja nicht ausgedacht, um mich zu ärgern. Das weiß sogar ich. Trotzdem ... was für ein blödes Gefühl. Ein nicht registriertes Subjekt zu sein ... nicht nur in seiner Firma, sondern auch in seinem Leben. Nirgendwo hinzukommen, wo es wirklich zählt ...

Als ob in allen wichtigen Bereichen seines Lebens ein Schild hängt, mit einem kleinen Joey-Hund drauf und dem Satz: "Wir müssen leider draußen bleiben."
 

"Na dann ..." Ich zucke unbehaglich mit den Schultern. Es ist nicht so, als ob mir etwas anderes übrig bleibt. "Ich ... warte dann hier. Keine große Sache. Jeder Pfadfinder würde hier alleine klarkommen."
 

"Braver Hund."
 

Ich knurre unwillig.
 

"Es wird nicht lange dauern." Er zögert kurz. Die Luft zwischen uns ist plötzlich angespannt und seltsam befangen, jetzt wo wir keinen akuten Anlass mehr haben, uns zu streiten. "Hier", sagt er schließlich. Er greift nach meiner Hand und legt etwas hinein. Ich erkenne es trotz Dunkelheit sofort. Es ist seine Pfadfinder-Taschenlampe.
 

"Brauchst du sie nicht?" frage ich überrascht und meine Finger umschließen das warme Metall. Sekundenlang berühren sich unsere Hände, bevor er seine langsam wieder zurückzieht. Vielleicht sind es Millisekunden zu lang, ich weiß es nicht. Nicht, dass hier irgendjemand die Zeit stoppt. Ich zumindest nicht ... bei ihm würde ich allerdings nicht darauf wetten.
 

"Drinnen ist genug Licht von den Monitoren. Und die Batterie ist ohnehin kurz vor dem Ende."
 

"Danke ..." murmele ich, mit einem Mal seltsam schüchtern.
 

Ich glaube, wir hatten heute mehr Action, als gut für seine oder meine Nerven war. Vielleicht ist es das, was unsere Beziehung ausmacht. Also, nicht, dass wir eine Beziehung hätten, zumindest nicht diese Art von Beziehung. Aber egal, was wir haben - es ist eine Knochenarbeit.

Er macht die Netzhaut-Sache wieder und gibt tausendstellige Codes ein. Ich stehe daneben, leuchte mit der Taschenlampe auf das Display und versuche mich zusammen zu reißen. Es wäre echt peinlich, wenn ich mich jetzt wimmernd an ihn klammere und ihn anflehe mich nicht alleine zurück zu lassen. So viel Stolz habe ich noch, vielen Dank.

Langsam gleitet die Tür auf und seine schlanke Silhouette erscheint in dem matt beleuchteten Eingang. Er bleibt stehen.
 

"Hey ...Joey."
 

Überrascht sehe ich auf. Ich werde mich nie daran gewöhnen, dass er mich manchmal so nennt.
 

"Pass auf di- ... den Mantel auf", sagt er.

Das künstliche Licht beleuchtet sein scharf geschnittenes Profil und seine makellose Frisur. Sekundenlang sieht er aus wie ein Fremder.
 

"Den Mantel?" Ich blinzele verwirrt.
 

"Ja! Ich will nicht, dass er irgendwelche Brandlöcher bekommt, nur weil du mit meinem Sicherheitssystem spielen musstest ..."
 

"Hey...! So blöd bin nicht mal ich ..."
 

Er gibt ein leises spöttisches Geräusch von sich, und es klingt, als würde er tatsächlich lächeln. "Ich hoffe es. Ich hänge nämlich irgendwie an ihm ..."
 

Bevor ich den Mund aufkriege, ist er weg und die Tür verschließt sich von selbst. Und dann es ist dunkel und ich bin allein, und zum ersten Mal wird mir klar, wie viel angenehmer es war, mit ihm zusammen zu sein. Er war in einer Tour nur gemein zu mir und hat nicht viel geredet, außer ich habe ihn gezwungen ... aber trotzdem ...
 

Ich umschließe die Taschenlampe mit beiden Händen und atme tief durch. "So, jetzt sind es nur noch wir zwei", murmele ich. "Du und ich. Wie wahre Pfadfinder. Ganz ruhig, Baby. Hier sind keine Psychopathen. Wenn ja, hätten wir das schon längst gemerkt, klar?" Wieso rede ich mit einer Taschenlampe?

Außer ... sie haben vielleicht nur darauf gewartet, dass wir uns trennen ... um dann einzeln leichter mit uns fertig zu werden ...

Ein kühler Luftzug streift meinen Nacken und sämtliche meiner Haare richten sich auf. Ierks, wo kommt das her? Oh Gott ... ich bin zu jung zum Sterben!

Krampfhaft versuche ich mich zu beruhigen. Denk an etwas anderes. Irgendetwas Schönes. Genau. Ablenkung ist angesagt. Denk an ...
 

,Pass auf dich auf ...'

Sein Beinah-Versprecher hängt in der Luft und trotz allem muss ich lächeln. Das ist so absolut typisch für ihn ... diesen Penner. Alles an Kaiba ist beinah. Beinah-nett. Beinah-humorvoll. Wir sind an der Schwelle von ,beinah'... von 'beinah irgendetwas', und das schon seit einer ganzen Weile ...
 

Ich mag ihn ... beinah ...
 

Mit einem leisen Ausatmen schließe ich die Augen. Wer hätte gedacht, dass ich das mal sagen würde.

Ich wage nicht einmal nach der Wand zu tasten und mich dagegen zu lehnen, aus lauter Angst, dass ich dabei irgendetwas auslöse, was mich dann frittiert. Also, bleibe ich einfach stehen, wo ich bin und halte mich an seiner Pfadfinder-Taschenlampe fest. Kuschele mich tief in seinen Mantel, der immer noch - ganz schwach - nach ihm riecht.
 

Ich denke über diesen abgefreakten Tag nach, der damit begonnen hat, dass Kaiba mich angefahren und mein Fahrrad verschrottet hat, und damit weiter ging, dass ich von seinem Sicherheitssystem sexuell belästigt wurde. Irgendwie sind das Dinge, die immer nur mir passieren. Vielleicht ist es angeborenes Pech. Oder das Wort ,Opfer' steht auf meiner Stirn geschrieben und ich weiß es nur nicht.
 

Und jetzt bin ich hier. Allein. Im Dunkeln. In Kaibas Mantel. In seiner Firma. Und er ist nicht da.

Kurz gefasst und unter Berücksichtigung aller Umstände ... es war besser, als er da war. Heißt das übersetzt so etwas wie, dass ich ihn vermisse? Ich muss den Verstand verlieren - eindeutig.
 

Er ist eigentlich ganz in Ordnung, wenn man ihn ein bisschen näher kennen lernt. Ich würde ihm das nicht unbedingt sagen, aber es ist wirklich so. Zugegeben, er ist arrogant und unangenehm sarkastisch, herablassend, reizbar und ein kleiner Klugscheißer - und das sind nur die positiven Eigenschaften. Und er treibt mich ununterbrochen in den Wahnsinn. Auch wenn er sicher behaupten würde, es sei umgekehrt.

Vielleicht ist das die große Preisfrage. Treibt er mich in den Wahnsinn oder treibe ich ihn in den Wahnsinn? Wer hat damit angefangen? Oder ist das eine Frage, wie die nach dem Huhn und dem Ei?
 

Er ist heiß und kalt zu mir ... manchmal lieb und meistens fies ... und ich kann mich nicht entscheiden, ob ich ihn hassen soll ... oder nicht ...

Aber er lässt mich niemals kalt. Er geht mir immer unter die Haut - fies genauso, wie lieb ... so ist es einfach und ich verstehe es nicht ... Und manchmal - ganz selten, habe ich das Gefühl, ich gehe ihm vielleicht auch unter die Haut, nur ein kleines... ein ganz kleines Bisschen ...
 

Es knackt von irgendwoher und ich erstarre förmlich. Mit geschlossenen Augen und verkrampften Muskeln lausche ich in die Dunkelheit. Was ... war das?!

Meine Hände sind so verschwitzt, dass mir beinah die Taschenlampe aus den Fingern flutscht. Ein leises, schabendes Geräusch lässt das Blut in meinen Adern gefrieren. Keine Spuren von feindlicher Infiltration - ha! Was weiß Mika schon! Auf Computer ist auch kein Verlass mehr, egal wie unfehlbar sie angeblich sein wollen.

Ich wusste es ... verdammt ... das sind die Psychopathen ... alle auf einmal ... bereit mich zu martern und zu quälen ... und mir meine Pfadfindertaschenlampe wegzunehmen ... ich bin klein, mein Herz ist rein ... Vielleicht wollen sie mich foltern, um die geheimen Zugangscodes aus mir herauszuquetschen. Aber ich weiß doch gar nichts mehr ...! Ich bin nur ein nicht registriertes Subjekt, das eigentlich gar nichts hier zu suchen hat ...
 

Etwas berührt mich an der Schulter.
 

"WAAAAAAAAAAAAAHH!!!!!"

Mit einem entsetzten Aufschrei fahre ich herum, wilde Panik und Adrenalin in gleichen Teilen durch meinen Körper schießend. "WAAAAAAAH! WAAAAAAAAAH!"

Ohne nachzudenken hole ich mit der Taschenlampe aus und schlage zu. Sie trifft prompt auf etwas Hartes und ich zucke überrascht zusammen. Whoa ... getroffen! Irgendjemand stöhnt auf. Beinah lasse ich die Lampe fallen, aber dann macht sich wilde Entschlossenheit in mir breit. Da! Nimm das, du Psycho! Und das ...! Jemand versucht nach mir zu greifen und mich festzuhalten, aber jahrelang auf der Strasse trainierte Instinkte werden wach und ich weiche grade noch aus. Ich werde euch gar nichts verraten, ihr Penner! Und wo Kaiba ist, kriegt ihr auch nicht aus mir heraus! Dazu müsst ihr mich schon foltern und umbringen und ...
 

"Herrgott ...!" Der wütende, dumpfe Laut kommt mir seltsam bekannt vor und ich halte schlagartig inne. Hey, dieser Psychopath klingt beinah wie ... wie ...

Nein, oder ...?

"Du kleiner, räudiger ..." Seine Stimme ist ein einziges, tiefes Grollen. "... Köter!"
 

Beinah lasse ich die Taschenlampe fallen. Meine Augen werden weit. Es gibt definitiv nur einen Menschen, der mich so nennt. Und das ist ...

Oh nein ... oh ... fuck ... ich habe doch nicht etwa ...?
 

"Kaiba ...?" hauche ich, und denke: ,Bitte, lass es Dartz sein!'
 

"Hast du jetzt endgültig den VERSTAND VERLOREN?!" Es ist nicht Dartz. Es ist nicht mal Pegasus. Oh Gott, stecke ich in der Klemme.
 

Ich bin kein guter Pfadfinder. Werde es nie sein. Ich bin ein Idiot. Jetzt wissen wir es wenigstens definitiv.
 

Er ist zwar ein Psychopath - aber keiner, der mich umbringen und mir die Geheimnisse der Kaiba Corp. entreißen will. Andererseits ... was den ersten Teil angeht, könnte ich das im Moment nicht unbedingt beschwören ...

Mit fahrigen Fingern knipse ich die Taschenlampe an. Der matte Lichtstrahl fällt direkt auf sein helles Gesicht mit zwei finster zusammengepressten, tiefblauen Augen. Ich fasse es nicht. Er ist es wirklich.

Er lehnt an der Wand und hat eine Hand an seine Schläfe gepresst. Sein Gesicht ist schmerzverzerrt und der Blick, den er mir unter seinem dichten Pony zuwirft, ist absolut mörderisch. Ich schlucke unwillkürlich.
 

"W-was machst du denn schon hier ...?"
 

"Was denkst du? Dass ich mir besonders viel Zeit lasse, während du hier die gesamte Firma in die Luft jagst?!"
 

Irgendetwas in mir verarbeitet den seltsamen Gedanken, dass er sich extra wegen mir beeilt hat. Und dass ich ihm zum Dank eine übergezogen habe ...
 

"Kaiba ...das ..."
 

"Erspar es mir!" werde ich angeschnauzt.
 

"Es war keine Absicht! Es war ... Notwehr!" Und ich wollte deine Firma verteidigen, füge ich innerlich hinzu. Und dich ... Ich hätte ausnahmsweise der Held sein müssen. Aber ich bin schon wieder nur der Trottel. Meine Lieblingsrolle.

Adrenalin strömt immer noch ungehindert durch meinen Körper und bringt mein Herz zum Rasen. Ich bin so high von dem Zeug, dass ich durch keine Drogenkontrolle mehr kommen würde. Meine Hände zittern schon. Es tut mir wirklich leid ... ich wollte ihm nicht wehtun ...
 

"Wenn du fertig bist, wieso ist es dann noch dunkel hier ...?"
 

"Was glaubst du, wie lange es dauert, bis sich das komplette System neu gestartet hat?!" Er wirft mir einen verächtlichen Blick zu. Jetzt hasst er mich ... und als er die Hand sinken lässt, sehe ich auch ein, wieso ...
 

Ich habe ihn volle Kanne seitlich an der Stirn erwischt, und selbst in dem schwachen, flackernden Licht kann ich erkennen, dass die Stelle jetzt schon langsam anschwillt und eine dunkle Färbung annimmt. Ich hoffe nur, dass ich ihm keine Gehirnerschütterung verpasst habe ... Das wird morgen richtig übel aussehen.
 

"Tut mir leid ..." murmele ich schuldbewusst und mache einen vorsichtigen Schritt auf ihn zu.

So bedrohlich wie er mich grade aus gefährlich schmalen Augen fixiert, sieht er aus wie ein wildes, verletztes Tier. Eins, welches mich garantiert beißen wird, wenn ich ihm zu nah komme ... Elektrisches Summen liegt in der Luft. "Ich wollte wirklich nicht ..."
 

Er richtet sich so abrupt auf, dass ich erschrocken zurückstolpere. Sein Blick ist unlesbar, aber ohne Zweifel gefährlich. "Schon gut, ich bin schon weg ..." Ich wedele so hektisch mit den Armen, dass der matte Lichtstrahl Muster in der Luft hinterlässt. Das Summen wird stärker und es kommt mir seltsam bekannt vor. "Ich warte einfach da drüben, bis das Licht wieder angeht und ...und verschwinde dann still und leise nach Hause und ..."
 

"Bleib stehen!"
 

"... tu einfach so, als ob ich niemals hier gewesen bin ..."
 

"Bleib stehen!" Seine Stimme ist so schneidend, dass ich mich frage, wieso er dafür keinen Waffenschein braucht.
 

Alles geht so schnell, dass ich mich selbst wundere, wieso ich es nur in Zeitlupe wahrnehme. Die Pfadfinder-Taschenlampe gleitet aus meiner Hand, als er mich unsanft zurückreißt. Sie landet mit einem metallischen Scheppern auf dem Boden und das letzte bisschen Licht flackert und erlischt. Durch unseren eigenen Schwung mitgerissen, stolpern wir zurück.

Alles dreht sich, als er mich herumzerrt und so heftig gegen eine Wand presst, dass ich Sterne sehe. Sekundenlang frage ich mich, ob er plötzlich den Verstand verloren hat ... bis mir endlich klar wird, was ich grade angerichtet habe.

Es ist, als ob ein Feuerwerk startet, mitten im Flur ... beängstigend genau an der Stelle, an der ich eben gestanden habe.

Ich quietsche auf vor Schreck und mache eine impulsive, panische Bewegung, die er sofort durch seinen unnachgiebigen Griff verhindert. Er drückt mich so heftig gegen die Wand, dass ich kaum noch atmen kann, während um uns herum die Hölle los ist. Ich schiebe solche Panik, dass ich kaum bemerke, wie sehr ich mich an ihn klammere. Das ist sie also ... die Kaiba Corporation in Action ... Es ist meine Schuld ... Wir sind Toast. Es knistert um uns herum und ich ahne mehr, als dass ich sehe, dass ich etwas aktiviert habe, und oh Gott, es wird uns rösten, das ist der Moment, in dem wir frittiert werden, es wird ihn verletzen und es ist meine Schuld, wieso habe ich nicht auf ihn gehört ...
 

Alles was ich denken kann, alles was sich wie eine Endlos-Schallplatte in meinem Kopf abspielt, ist ,Es tut mir Leid! Es tut mir Leid! Es tut mir Leid!' Zum ersten Mal, seit wir in diesem Schlamassel stecken, habe ich keine Angst um meine eigene Haut ... sondern ausgerechnet um Kaiba ... darum dass der arrogante Saftsack verletzt werden könnte ... meinetwegen ... wieso muss er ausgerechnet jetzt und hier einen auf Held machen ... und mich mit seinem Körper vor allem abschirmen ...
 

In meinem Kopf klingelt es auch noch, als alles plötzlich und abrupt aufhört und wieder still wird. Ich kann seinen unregelmäßigen, stoßweisen Atem hören, direkt neben meinem Ohr, in fast identischem Rhythmus mit meinem eigenen. Wir leben noch ... okay, gutes Zeichen ... Er lässt mich nicht los. Und ich wage nicht, die Augen zu öffnen. Meine Knie sind weich und ich habe das Gefühl, sobald er mich loslässt, sinke ich auf den Boden wie weich gekochte Spaghetti.

Es gibt ein leises klackendes Geräusch ... und dann flackert plötzlich das Licht um uns herum an. Alles ist still. Still und hell erleuchtet, als ob wir plötzlich aufwachen - und hey, Überraschung - alles war nur ein Traum! Ich blinzele wegen der unerwarteten Helligkeit und muss der Versuchung widerstehen, mein Gesicht tiefer in seinem schwarzen Pullover zu vergraben.

In derselben Sekunde, in der ich es doch tun will, kann ich spüren, wie er sich bewegt und sich ein wenig von mir löst. Hoffentlich ist er in Ordnung. Hoffentlich habe ich ihn nicht verletzt ... hoffentlich ... es tut mir so leid ...
 

"Kaiba ..." Ich strecke die Hand nach ihm aus, um ihn aufzuhalten, aber er schlägt sie sofort beiseite.
 

"Du Idiot!" faucht er atemlos. Seine Finger sind in meinen Schultern vergraben und er fängt an mich durchzuschütteln. "Was hast du vor? Willst du uns alle UMBRINGEN?!" Sein verschwommenes Gesicht nimmt langsam schärfere Konturen an. Es ist komisch, auf einmal wieder etwas zu sehen, wenn man die ganze Zeit nur hören und fühlen konnte. Er ist nicht verletzt. Ich möchte vor Erleichterung heulen. Ierks ...ich werde gefühlvoll. Aber das war heute definitiv eine Nahtod-Erfahrung zu viel für mich.
 

"Ich wollte nur ..."
 

"Denkst du JEMALS nach?! Oder bist du auch dazu vollkommen unfähig?!"
 

"Nein, ich ..."
 

"Kannst du nicht EINMAL in deinem Leben auf mich hören, du Penner?!"
 

"LASS MICH LOS!" fauche ich mit brennenden Augen und fühle mich so elend. Wie der größter Versager aller Zeiten.
 

"Du bist einfach zu nichts zu gebrauchen." Echot es in meinem Kopf.
 

"...ich habe absolut nicht genug Zeit, um sie an dich zu verschwenden."
 

"Wheeler, ich hab zu tun ..."
 

"Deswegen kommst du zu mir?"
 

"Fang nicht an zu heulen."
 

Immer sagt er so etwas zu mir. Als ob ich eine einzige Last für ihn bin. Ein nerviges, überflüssiges Subjekt, das er am liebsten dreimal am Tag überfahren würde. Nicht wert um seine Zeit an mich zu verschwenden ... Und ich laufe ihm nach wie ein dummer kleiner Köter ... und gebe ihn einfach nicht auf ... sitze zu seinen Füßen und warte auf ein Lächeln ... ein nettes Wort ... Mache mir Gedanken um ihn ... Interpretiere und rate, was er sagt und meint ... und tappe doch nur im Dunkeln ... mache alles falsch ... Ich habe es so satt ...

Vielleicht sind wir einfach nicht gut füreinander ... Vielleicht bin ich einfach all das, was er nicht braucht in seinem Leben.
 

"Du entpuppst dich also mal wieder als absolut unfähig. Welche Überraschung!"
 

"Was hast du in deinem nutzlosen Versagerleben schon zu tun ..."
 

"Du bist dermaßen lächerlich, Wheeler ..."
 

Lächerlich ...
 

Erbärmlich ...
 

Versager ...
 

"HÖR AUF DAMIT!" fauche ich, den Tränen nahe. "Kannst du nichts anderes zu mir sagen?! Es tut mir leid, dass ich GEBOREN WURDE! Es tut mir leid, dass ich nichts anderes tue, als dir das Leben schwer zu machen!"

Mit mehr Kraft als ich mir selbst zugetraut hätte, presse ich beide Hände gegen seine Brust und stoße ihn von mir weg. Sein Blick ist mehr überrascht, als wütend. Seine Hände gleiten fast widerstandslos von meinen Schultern. Ich zittere und ich weiß nicht, ob es von dem ganzen Schreck ist oder weil ich so furchtbar wütend bin. Auf ihn. Auf mich selbst. Was tue ich hier? Aber ich kann die Worte nicht aufhalten, die ungebeten aus meinem Mund sprudeln.
 

"Wieso fällt es dir nur so schwer, dich zu Abwechslung wie ein MENSCH zu verhalten?! Es tut mir Leid, in Ordnung?! Es tut mir leid, es tut mir leid! Ich mache das nicht mit Absicht! Ich mache das nicht, um dich zu verletzen! Alles, was ich die ganze Zeit versuche, ist mit dir auszukommen und dich besser zu verstehen ... und es ist eine Knochenarbeit ...! Aber egal, was ich anstelle, es ist doch falsch und es führt nur dazu, dass einem von uns beiden wehgetan wird. Und ich weiß nicht einmal, wieso ich mir überhaupt die Mühe mache, weil es dir doch sowieso vollkommen gleichgültig ist! Ich weiß nicht, wieso ich das nicht auch schaffe! Du solltest mir vollkommen egal sein ... und es sollte mir egal sein, ob du hier für den Rest deines Lebens einsam und allein in diesem Hochsicherheitstrakt versauerst. Und es sollte mir egal sein, ob du meinetwegen geröstet wirst oder nicht ...! Aber das ist es nicht! Hörst du? Es ist mir nicht egal!

Und ja, danke - ich WEIß, dass ich ein Idiot bin! Du könntest mir wenigstens verraten ... wie du es schaffst, dass dich alles an mir so kalt lässt ... Und wieso kostet es dich so unglaublich viel ... einfach nur nett zu mir zu sein ...? Warum ...?!"
 

Ich komme nie mehr dazu, diese eine letzte Frage nach dem ,Warum' zu stellen.

Er muss nur einen einzigen Schritt machen um bei mir zu sein. Einen einzigen Schritt, um mich grob packen zu können und gegen die Wand zu drücken. Schmerz explodiert in meinem Hinterkopf, als er unsanft Bekanntschaft mit dem Beton macht, und sekundenlang sehe ich nichts als Sterne. Und dann presst er seine Lippen auf meine, und versiegelt meinen Mund, so dass ich nicht einmal mehr protestieren kann.

Er küsst mich.
 

Er ... küsst mich.
 

Meine Gedanken funktionieren nicht mehr. Er hält meine Handgelenke fest und ich werde so unnachgiebig an die Wand gepresst, dass ich das Gefühl habe, mein Rücken bricht gleich durch. Ich habe einen metallischen Geschmack im Mund.

Es ist kein netter Kuss.

Kein Sonnenuntergangs-Geigen-Schnulzen-Kitschroman-Kuss.

Es ist ein rauer, harter, wütender, irrationaler Kuss, mit dem er mir die Luft aus den Lungen presst. Ein Kuss, um mir den Mund zu stopfen. Mich zum Schweigen zu bringen. Als ob er mich umbringen will. Und nichts an ihm ist ,beinah'.

Es ist ein ,Ich hasse dich Joey Wheeler, ich will dich auf Knien vor mir sehen, ich will dich demütigen und besiegen und dass du endlich aufhörst zu reden, und ich will, dass du mir gehörst'- Kuss.
 

Nicht, dass ich ein Wörterbuch dafür nötig hätte ...
 

Dieses Mal muss ich nicht raten, ob er durcheinander ist ... ob ich ihm unter die Haut gegangen bin. Dieses eine Mal bin ich nicht darauf angewiesen, seine unlesbare Mimik zu entziffern ... zu raten ... im Dunkeln zu tappen ...

Ich kann es spüren. Er ist so nah, dass ich es beinah hören kann.

Ich fühle, wie es schlägt. Er ist so dicht an mich gepresst, dass ich spüren kann, wie es gegen meinen Brustkorb hämmert. Warm ... und lebendig. Viel zu schnell ... unregelmäßig ... aufgewühlt ...

Wunderschön ...

Das ist es ... Kaibas Herz.

Und in dieser einen Sekunde schlägt es für mich.
 

Er ist grob zu mir und tut mir weh ... und was er hier abzieht, hat allgemein mehr Ähnlichkeit mit einem interessanten Mordversuch, als mit Romantik. Und doch ... ist es das erste Mal, wo ich ihn verstehen kann. Das erste Mal, wo er zugibt, dass ich ihm nah gehe ... genau so wie er mir nah geht ... mit allem was er tut und sagt. Das erste Mal, wo ich nicht allein dastehe, mit diesem Gefühl, dass wir uns gegenseitig in den Wahnsinn treiben, schon lange jenseits des Normalen.

Blut rauscht in meinen Ohren und mir geht langsam aber sicher die Luft aus. Was für ein schöner Tod. Für später ... aber definitiv nicht jetzt, bevor ich ihm nicht wenigstens eine reinhauen kann. Zuerst muss ich nur meine Erstarrung loswerden. Ehrlich, passive Rollen liegen mir nicht. Frustriert bewege ich mich unter ihm und versuche mich seinem unnachgiebigen Griff zu entwinden. Den Kuss zu erwidern. Irgendetwas. Hauptsache, ich liege nicht länger, wie eine Plastikpuppe in seinen Händen.
 

Ruckartig lässt er mich los, als er meinen Widerstand zu spüren scheint und stolpert nach hinten. Seine Augen sind weit vor Entsetzen und er wirft mir einen Blick zu, als ob ich hier der Psychopath sei.

Ich starre atemlos zurück und sinke an die Wand, viel zu verwirrt und ausgesaugt, um irgendetwas Produktives dazu sagen zu können.
 

Er hat mich geküsst. Ich finde keine anderen Worte dafür. Er hat mich definitiv geküsst.

Meine Lippen kribbeln immer noch.
 

Scheinbar wird ihm das auch grade nur allzu deutlich bewusst, denn er gibt ein ersticktes, bestürztes Geräusch von sich. Seine Hände tasten verzweifelt nach Halt und er sinkt kreidebleich neben mir an die Wand und schließt die Augen. Für ihn ist das sicher noch dramatischer als für mich.

Andererseits ...
 

Er hat mich geküsst ...

Oh Gott ...

Er ... er hat ... Wieso ...

Okay, es IST dramatisch für mich!
 

Schwer atmend wende ich den Kopf und starre ihn an. Nichts geht mehr. Keine sinnvollen Worte. Keine wichtigen Fragen. Adieu, mein Gehirn. Ich mochte dich sehr. Jetzt hast du dich in Luft aufgelöst und ich werde dich wohl nie wieder sehen.
 

Er hat mich grade GEKÜSST!!

Das KANN nicht sein Ernst sein!
 

Wieso hat mein Leben keine Untertitel? Jetzt grade könnte ich sie mehr brauchen als je zuvor. Ich habe nämlich grade das überdeutliche Gefühl, dass ich so ziemlich gar nichts mehr von der Handlung verstehe. Was geht hier ab? Wo ist die versteckte Kamera?! WIESO HAT ER DAS GEMACHT?!
 

"Wheeler ..."
 

Ich hebe den Kopf und sehe ihn fragend an. Sein Atem geht stoßweise und unregelmäßig, und er ist so blass, dass ich sekundenlang Angst habe, dass er jeden Moment umkippt und vor meinen Füßen landet. Nur seine Augen sind ein Sinnbild fester Entschlossenheit.
 

"Das hier ist niemals passiert."
 

"... wie jetzt?" Ich bin sicher, ich sehe ihn grade an wie ein Mondkalb. "Was ...?"
 

"DAS hier!" faucht er unwirsch, und es kehrt ein kleiner Hauch Farbe in seine Wangen zurück.
 

"Aber es ist passiert ..."
 

"Nein ist es nicht. Wenn es für irgendetwas keine Zeugen gibt, dann ist es auch nicht passiert", sagt er stur.
 

Wenn er mit allen unangenehmen Dingen in seinem Leben so umgeht, dann wundert es mich nicht, dass der Junge massive Probleme hat. Ich berühre meine geschwollenen Lippen mit den Fingerspitzen und verziehe sekundenlang das Gesicht, weil es brennt. Als ich die Finger zurückziehe, klebt Blut daran.

"Schon mal was von Indizienbeweisen gehört?"
 

Sekundenlang huscht eine fremde, raue Emotion über seine angespannten Gesichtszüge, als er die roten Flecken sieht, aber sie ist weg, bevor ich sie erwischen und identifizieren kann. Stattdessen werden seine Augen schmal und sehen mich scharf und bohrend an.
 

"Überhaupt - was ist mit mir? Bin ich kein Zeuge?" bohre ich entschlossen nach.
 

"Du stehst unter Schock und bist nicht zurechnungsfähig."
 

"Also, entschuldige mal ...!"
 

"Was ist los mit dir, du Penner? Bist du etwa scharf darauf, dass es passiert ist?"
 

"SETO!"
 

Beinah zeitgleich drehen wir uns um. Es macht ,wusch' und ein kleines, sehr vertrautes, schwarzhaariges Bündel rennt durch den Gang, wirft sich ihm entgegen und schlingt die Arme um seine Taille. Alles geht so schnell, dass Kaiba nur mit einem leisen Geräusch die Luft entweicht, als er leidenschaftlich angesprungen wird.
 

"Seto ...!" Ich blinke. Sogar Kaiba blinkt. Daran kann man erkennen, wie sehr er durch den Wind ist.
 

"Mokuba!" Irritiert blickt er auf seinen kleinen Bruder hinab und runzelt die Stirn. "Was machst du denn hier?"
 

Große, dunkle Hundeaugen blicken zu ihm auf. "Ich wollte nach euch sehen! Ich habe mich von zu Hause aus in den Hauptrechner eingeloggt. Aber er konnte den Fehler nicht finden. Also dachte ich, ich sehe nach, ob bei dir alles in Ordnung ist."
 

"Wieso bist du nicht da, wo du sein solltest? Im Bett?"
 

"Und als ich auf dem Weg nach oben war, ging das Licht wieder an", erzählt Mokuba ungehindert weiter. "Leider erst, als ich im 42. Stock war. Sonst hätte ich ja den Aufzug genommen."

Heilige Scheiße ... ist er etwa in dem Tempo 47 Treppen hoch gerannt? Das nenne ich wahre Bruderliebe. Oder erblich bedingten Wahnsinn. Muss in der Familie liegen.

"Was ist eigentlich passiert? Gab es einen Defekt? Ist irgendetwas kaputt?"
 

Mokuba, Junge ... hier ist so gut wie ALLES kaputt!! Irreparabel geschädigt, zersplittert, zerfetzt, zersprungen, am Boden ... es ist hinüber! Einfach gelaufen! Aus, vorbei! Nie mehr wieder ganz zu kriegen!

Ach so ...er meint, die Firma ...
 

"Ich weiß es noch nicht - aber ich werde es mit Sicherheit herausfinden." Kaibas Gesicht wird sekundenlang weich und seine Hand verweilt auf den schwarzen, zerzausten Haaren. "Keine Sorge, ich habe hier alles im Griff."

Ausgerechnet ich könnte das jetzt bestreiten ... aber ich desillusioniere kleine Geschwister nicht gerne. Außerdem würden mir schlichtweg die Worte fehlen ... Kaiba wirft mir einen warnenden Blick zu, ganz so, als hätte er meine Gedanken gelesen. Alles an ihm sagt mehr als deutlich ,Es ist NIE passiert!'

Also schweige ich. Widerwillig.
 

"Was ist mit deinem Kopf passiert?" unterbricht Mokubas Stimme die erdrückende Stille zwischen uns.
 

"Nur ein kleiner Unfall ...", winkt er ab und wirft mir einen giftigen Blick zu, nur um sofort das Thema zu wechseln. "Wie bist du überhaupt hierher gekommen?"
 

"Roland hat mich gefahren. Er wartet draußen. Er hat sich auch Sorgen gemacht. Ist wirklich alles in Ordnung?"
 

"Ja, alles bestens."
 

"Was ist mit Joey? Er blutet ja." Verwirrt sieht Mokuba zwischen uns beiden hin und her. Ich lächele schwach. "Ein ... kleiner Unfall."
 

"Seid ihr im Dunkeln gegeneinander gelaufen?"
 

Kaiba setzt seinen Lieblingsgesichtsausdruck äußerster Ausdruckslosigkeit auf und ich sehe überall hin, nur nicht zu ihm. "So in der Art ...", murmele ich.

Gegeneinander gelaufen ...? Übereinander hergefallen trifft es besser ... Meine Gedanken schweifen ab, während die beiden eine Flut von technischen Details austauschen, die ich nie verstehen wollte.
 

"Du hättest trotzdem nicht kommen sollen, Mokuba."

Ich fass das alles nicht ... Was hat er sich dabei gedacht ...? Wieso hat er das gemacht ...? "Du hast morgen früh Schule."
 

"Ich weiß. Entschuldige. Aber M.I.C.A hat mir erzählt, was passiert ist - und ich habe mir Sorgen gemacht. Ich wollte nur nachsehen, ob ich dir irgendwie helfen kann."
 

Ich glaube, wir erstarren beide zeitgleich. Er hat nicht daran gedacht. Ich habe nicht daran gedacht.
 

Mika ...
 

Kaibas Augen werden weit und sein Blick wandert unwillkürlich zu mir. Ich kann förmlich sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitet. Wortlos starre ich zurück. Und dann hoch an die Decke, zu den hell brennenden Lampen. Und unwillkürlich versuche ich zurückzurechnen, zu welchem Zeitpunkt ungefähr das Licht wieder angegangen ist.

Licht bedeutet Strom. Und Strom bedeutet Mika.
 

,Wenn es für etwas keine Zeugen gibt ... dann ist es auch nie passiert ...'
 


 

^Fortsetzung folgt^
 

Feedback? Immer her damit. ^_^

Ohne Worte

Anmerkungen: Sorry, dass es so lange gedauert hat. Ich habe dieses Kapitel tatächlich in der neuen Rekordzeit von vier Tagen runtergeschrieben, um es endlich hinter mich zu bringen. ^^*

Ich weiß, dass es nicht so actiongeladen ist wie das Letzte, sondern wesentlich ruhiger - aber es war wichtig. Ich wollte es nicht so auf Knall auf Fall einfach weiterlaufen lassen. ^^

Ach ja - die Karte "Mut zur Wahrheit" gehört mir. XD Ich dachte, so ein pompöser Titel passt doch perfekt zu all den anderen tollen Kartennamen. *g*
 

Vielen, vielen Dank an alle Kommentarschreiber. *___* Ihr seid wirklich unglaublich, Leute! *umkipp* O_O Und es tut mir echt leid, dass ich nicht allen antworten konnte - ich werde mich bemühen das nächstens wieder zu tun, aber ich hatte kaum Zeit in den letzten Wochen. :-/ Danke auch für konstruktive Kritik, die kam - ich habe sie mir zu Herzen genommen.

Ach ja - falls jemand möchte, dass ich ihn bei Updates benachrichtige, lasst es mich wissen. ^^
 


 

~ Es ist verrückt, wie schön du schweigst

Wie du dein hübsches Köpfchen neigst

Und so der ganzen lauten Welt und mir

Die kalte Schulter zeigst ...
 

Bitte, gib mir nur ein Wort ~
 

(Wir sind Helden: "Nur ein Wort")
 


 

Im Leben jedes Menschen gibt es Tage und es gibt ... Tage.

Gute Tage und schlechte Tage. Erfolgreiche Tage, an denen sich das Leben lohnt und Tage, an denen man besser niemals aufgestanden wäre. Tage, an denen es egal ist, ob man aufsteht oder nicht, weil die Katastrophe einen so oder so einholt. Und Tage, die man nachträglich im Kalender rot anstreicht.

Und es gibt Tage ... also, es gibt Tage ... nach dem Tag, an dem Seto Kaiba einen geküsst hat.

Streicht das. Nach dem Tag, an dem Seto Kaiba MICH geküsst hat.
 

Heute ist dieser Tag.

Der Tag DANACH.
 

Ich habe das Gefühl, er hat mir gestern das letzte bisschen Gehirn rausgeküsst. Denn in meinem Kopf ist es leer, wie in der Wüste Sahara und ich fühle mich wie ein herumwandelnder Zombie. Die Synapsen in meinem Kopf sind am Streiken und weigern sich, irgendeine sinnvolle Verbindung zu knüpfen.
 

Ich meine ... es ist Kaiba.

Kaiba küsst einen nicht einfach so. Nicht er. Und nicht einfach so.

Und selbst wenn er das tun würde - dann garantiert nicht MICH!

Jeden anderen. Ehrlich, er würde mit Sicherheit eher eine pinkfarbene Leguanhandtasche küssen als mich. Zumindest dachte ich das. Bis gestern.
 

Und jetzt ...?

Keine Ahnung, was ich jetzt denken soll. Es funktioniert sowieso nicht, das Denken ... die durchgeschmorten Synapsen und alles, ihr wisst schon ...

Ich weiß nicht, wie es jemals so weit kommen konnte. Wie ist das passiert? Welchen Augenblick habe ich verpasst, an dem klar wurde, dass das geschehen würde? Ab wann hätte ich wissen müssen, dass es unweigerlich darauf hinausläuft? Wo waren die Hinweise? Was ist mir entgangen?

In einer Sekunde brüllen wir uns noch an ... und in der nächsten küsst er mich, als gäbe es kein Morgen mehr.

Wo waren die Anzeichen? Die passende Musik, die Zeitlupe, die Lichteffekte? Wo war die gottverdammte Vorwarnung?! Was zum Teufel habe ich verpasst?!
 

Nun, vielleicht gab es diese Anzeichen. Vielleicht war es offensichtlich, dass es passieren würde und vielleicht hätte jeder halbwegs intelligente Mensch gesehen, was Sache ist.

Aber was bringt mir das ,vielleicht'. Ich habe es nicht gesehen.
 

Ich seufze und vergrabe die Hände tiefer in den Hosentaschen. Um mich herum herrscht das übliche Chaos, während ich über den Schulhof laufe. Verpennte Schüler, denen ungefähr vier Stunden Schlaf fehlen, illegal eingeschmuggelte Zigaretten, die eben noch heimlich in einer Ecke zu Ende geraucht werden und letzte Tassen Kaffee, die noch schnell ausgetrunken werden müssen, vergessene Hausaufgaben, die man in letzter Sekunde noch irgendwo abschreibt und trantütige Lehrer, die versuchen, alle diese Aktivitäten auf einem halbwegs legalen Level zu halten. Die ganze gewöhnliche Idylle, morgens um viertel vor acht auf einem Schulhof.

Alles ist so erschreckend normal.
 

Normal ... Ich frage mich ernsthaft, ob dieses Wort jemals wieder auf mich zutreffen wird. Kaiba hat jedes bisschen Normalität aus mir ... rausgeküsst, der Arsch.
 

Ich meine, fangen wir damit an, dass ich pünktlich in der Schule bin. Nicht nur pünktlich - um der ganzen Sache die Krone aufzusetzen, bin ich sogar zu früh dran. Das ist mir noch nie passiert. Es liegt zum Teil daran, dass ich seit heute Morgen keine Zeitungen mehr austragen muss, und zum Teil daran, dass ich sowieso nicht geschlafen habe.
 

Ich wette, ER hat toll geschlafen, letzte Nacht.

Er ... Mr. Seto "Wenn-es-für-irgendetwas-keine-Zeugen-gibt-dann-ist-es-auch-nicht-passiert" Kaiba. Ja, damit macht er es sich schön leicht. Es ist einfach nicht passiert. Tun wir so, als ob er mich nicht einfach gepackt und geküsst hätte. Tun wir so, als ob er mich nicht für den Rest meines Lebens traumatisiert hätte. Tun wir so, als ob Mika das ganze nicht gesehen und für Ewigkeiten auf Polaroid gebannt hätte! Alles klar. So was verdränge ich doch jeden Tag dreimal, und das vor dem Frühstück.

Das denkst du vielleicht, Kaiba ... dass es so verdammt einfach geht...
 

Dabei ist es nicht einmal der verdammte Kuss, der mir zu schaffen macht ... nicht alleine zumindest ...
 

"Joey?" Eine vertraute Stimme ruft meinen Namen. Ruckartig drehe ich mich um und sekundenlang schnellt mein Puls nach oben, als mein Blick auf braunen Haaren landet.

Aber es ist nur Tea, die dabei ist sich hinter mir einen Weg durch das Treppenhaus zu bahnen. Ich bleibe stehen und warte, bis sie mich eingeholt hat, versuche das Hämmern in meiner Brust unter Kontrolle zu halten. Oh Junge ... als ob Kaiba ... ich meine ... also ehrlich ...
 

"DU? Hier? Um diese Zeit?" Sie klingt so überrascht, als hätte sie Yugi grade in einem SM-Club erwischt. Anderseits ist das angesichts seiner bevorzugten Klamottenwahl vielleicht kein guter Vergleich. Tea hebt ihr Handgelenk und hält prüfend ihre rosafarbene Swatch ans Ohr. "Ist meine Uhr stehen geblieben? Oder kann man am frühen Morgen schon Halluzinationen haben?"
 

"Ha ha. Du warst auch schon witziger." Ich werfe ihr einen schrägen Blick zu.
 

"Was erwartest du denn so früh am Morgen?" Sie legt den Kopf schief und betrachtet mich genauer. "Hey ... was ist mit deiner Lippe passiert? Bist du in eine Schlägerei geraten?"
 

Sie klingt, als sagt sie das nur im Scherz, aber ich spüre, wie mir trotzdem heiß wird. Hastig schüttele ich den Kopf und hasse mich selbst dafür, dass ich mir nicht rechtzeitig eine glaubhafte Ausrede für diese Frage zurechtgelegt habe. Tea ist nicht wie Mokuba. Ihr kann man nicht ankommen, mit ,ein kleiner Unfall' und hoffen, dass sie nicht mehr nachfragt.
 

"Warte!" Ihre Augen werden schlagartig weit. "Das war nur ein Witz!"
 

"Oh ... okay." Ich ringe mir ein Lachen ab.
 

"Joey ...!" Sie starrt mich an und ich kann förmlich sehen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitet. "Du hast doch gestern gesagt, dass du direkt nachhause gehst ...! Bist du etwa nicht?"
 

"Doch! Nein ... Also ... nicht direkt ..."
 

Ihr Blick klebt auf meinem Gesicht und so langsam klärt sich die Verwirrung in ihren Zügen. "Du warst bei ihm", sagt sie mit Grabesstimme. "Du warst wirklich bei Kaiba."

Es ist nicht einmal eine Frage, sondern vielmehr eine Feststellung. Sie klingt so schockiert, als hätte sie mir das nicht zugetraut. Schockiert und verärgert. Was kein Wunder ist, nachdem sie mich gestern stundenlang bekniet hat, nichts Unüberlegtes zu tun und noch mal drüber zu schlafen, bevor ich mit ihm rede.

Verdammt. Wieso habe ich nicht gesagt, dass mich eine namenlose Straßengang überfallen hat?
 

"Aber wir haben dir doch alle gesagt, dass es kein Sinn hat! Und du hast gesagt, du würdest nicht einmal daran denken!"
 

"Tea, ich wollte ja auch nachhause ... ehrlich ... ich habe nur einen kleinen Umweg gemacht ... über ähm ... seine Firma ..."
 

"Du warst wirklich bei ihm ... das darf doch nicht wahr sein." Ich sehe förmlich, wie es hinter ihren Augen rattert, während ihr scharfer Blick über mich gleitet und all die feinen Details wahrnimmt, die nur Frauen sehen können.

Tea hat ein Gespür für so was, auch wenn sie diesmal mit ihrer Intuition ziemlich danebenliegt. Aber was soll ich ihr sagen? Meine Lippe hatte einen zufälligen Zusammenstoß mit der von Kaiba?

"Oh bitte, sag mir jetzt nicht, du bist zu ihm gegangen und hast so etwas unglaublich Männlich-macho-bescheuertes getan, wie dich mit ihm zu prügeln?! Ich fass das nicht!"
 

"Waff fafft du nifft?" Es ist Tristan, der direkt neben uns auftaucht. Seine Stimme ist gedämpft, weil er ein Käsebrötchen im Mund hat, während seine Hände damit beschäftigt sind, in seinem Rucksack herumzukramen. "Kea - liebste, beste Kea ..." fängt er säuselnd an, aber sie drückt ihm schon ohne hinzusehen einen Ordner in die Hand. So viel Routine haben die Beiden also schon, was das morgendliche Hausaufgabenabschreiben angeht.
 

"Das ist das letzte Mal ..." sagt sie vollkommen unüberzeugend und ihr Blick ist immer noch auf mein Gesicht gerichtet.
 

"Ganke!" nuschelt er und klingt sogar durch das Brötchen maßlos erleichtert. "Gu gist die Allergeste!" Als er mitkriegt, dass sie ihm keinerlei Aufmerksamkeit schenkt, folgt er ihrem Blick und sieht sekundenlang fragend zwischen ihr und mir hin und her. "Gas gist gassiert?"
 

"Joey hat sich gestern mit Kaiba geprügelt." Sie klingt finster. Enttäuscht. Alles, was ich jetzt nicht gerne hören möchte. "Um was ging es, Joey? Etwa immer noch um dein Fahrrad? Ich habe dir doch gleich gesagt..."
 

"Woah ...!" Tristans Kinnlade fällt nach unten und er kann das Brötchen grade noch auffangen, als es fällt. "Ernsthaft ...?"
 

"Hey ... Moment mal ... ich weiß gar nicht, wovon ihr redet!" protestiere ich mit glühenden Wangen. "Wir haben uns nicht geprügelt!"
 

"Und was ist dann mit deiner Lippe passiert?" fragt sie scharf.
 

> Schmerz explodiert in meinem Hinterkopf, als er unsanft Bekanntschaft mit dem Beton macht, und sekundenlang sehe ich nichts als Sterne. <
 

> Und dann presst er seine Lippen auf meine, und versiegelt meinen Mund, so dass ich nicht einmal mehr protestieren kann. <
 

Es ist wirklich.

Es ist wirklich passiert.

Komisch, aber jedes Mal, wenn ich erneut zu der Erkenntnis gelange, dass ich jetzt nicht einfach aufwachen kann und alles ist wieder gut, überkommt mich das Gefühl, dass ich mich ganz dringend hinsetzen muss. Mir wird beinah schwindelig vor lauter Anstrengung, die Bilder, die meinen Kopf überfluten, zurückzudrängen.
 

"Hast du wenigstens gewonnen?" Tristan klingt interessiert.
 

"Hey Leute. Was ist los?" Wir senken praktisch synchron den Blick, hinab zu dem kleinsten Mitglied unserer Truppe. Es ist Yugi, der mit großen Augen und fragend zwischen uns hin und herblickt.
 

"Joey hat sich geprügelt! Mit Kaiba!"
 

"Hab ich nicht!"
 

"Und wie erklärst du das?"
 

" ...!"
 

Und so geht es die nächsten zehn Minuten und den ganzen Weg zu unserem Klassenzimmer weiter. Tristan ist perplex, Tea ist mächtig angefressen, Yugi versucht uns allen gleichzeitig zuzuhören ... und ich kann meinen Freunden zum ersten Mal in meinem Leben nicht die Wahrheit sagen. Ich kann irgendwie gar nichts produktives mehr sagen.

Ich will sie ja nicht anlügen. Aber ihnen die Wahrheit zu sagen ... bringe ich einfach nicht fertig.
 

Ich mache mich klein auf meinem Platz, während sie um mich herumdiskutieren und mein Blick wandert wie von selbst zur Tür und bleibt dort kleben. Der Lärm und die Stimmen um mich herum verschwinden. Ich bin müde und fühle mich trotzdem hellwach. Wie auf Drogen. Ist das die normale Reaktion nach dem ersten Kuss? Mein Blick wandert zu der Uhr, die über der Tür hängt und drei Minuten vor acht anzeigt. Ich habe das Gefühl, ich kann sie ticken hören. Wird er kommen ... oder nicht?

Und was werde ich tun, wenn er kommt?
 

» "Was ist los mit dir, du Penner? Bist du etwa scharf darauf, dass es passiert ist?" «
 

Seine scharfe, unnachgiebige Stimme echot in meinem Kopf.

Da ist sie. Die Frage, die mich nicht mehr loslässt, seit er sie gestern Nacht gestellt hat. Die Frage, die ich am liebsten nicht mal mit der Kneifzange anfassen möchte. Die in meinem Kopf herumrennt, als wäre sie ein verdammter Hamster, den man in ein Laufrad gesteckt hätte.

WILL ich, dass es passiert ist?
 

Die Wahrheit ist, dass ich es nicht weiß. Und allein der Gedanke, dass ich diese Frage nicht mit einem eindeutigen ,Nicht ums verrecken, du Penner!' beantworten kann, macht mir eine Heidenangst ...
 

Ich meine, es gibt tausend gute Gründe, es nicht zu wollen. Wenn ich so darüber nachdenke, gibt es eigentlich NUR Gründe, es nicht zu wollen. Und die meisten davon beinhalten die Tatsache, dass wir hier von Seto Kaiba reden, dem menschlichen Gefrierschrank, dessen liebstes Hobby es ist, mich zu demütigen und zu erniedrigen. Also ehrlich - niemand, der halbwegs bei Verstand ist, will von so jemandem geküsst werden. Und zum Teufel, es war nicht einmal ein netter Kuss! Zumindest nicht so, wie ich mir einen vorstelle ... nicht, dass ich damit allzu viel Erfahrung habe ... also ...
 

Der große Zeiger rutscht vor, in einer fiesen, millisekundenlangen Bewegung, und dann ist es ungefähr zehn Sekunden vor acht. Mir wird heiß und kalt und ich kann spüren, wie mir der Schweiß ausbricht, bei dem Gedanken, dass er jeden Moment ...

Die Tür geht auf. Mein Herz bleibt stehen. Alles bleibt stehen.
 

Und es ist unser Biolehrer.

Ich atme aus und fühle mich wie ein Idiot. Oh man. Kaum zu fassen, dass ich mich so anstelle. Ich übertreibe mal wieder maßlos. Tief und gleichmäßig atme ich ein und aus. Macht man das nicht so bei Panikattacken? Oder war das Schwangerschaftsgymnastik? Was soll schon passieren? Immerhin ist es nur der arrogante Geldsack, von dem wir hier ...

Die Tür schließt sich nicht. Eine Hand schnellt vor und hält sie von außen auf, Zentimeter bevor sie hinter Herr Tanoki wieder ins Schloss fallen kann. Mein Kopf fliegt hoch und das ganze ruhige Atmen geht zum Teufel, weil ich plötzlich keine Luft mehr kriege.
 

Und ... oh Gott! Herr, nimm mich gleich! Wieso ich? Was habe ich getan? ... diesmal ist es wirklich Kaiba. Der Eisberg himself. In voller, arroganter Lebensgröße.
 

Ich höre, wie Tea neben mir scharf einatmet und ich kann es ihr nicht verdenken. Genauer gesagt scheint unsere ganze Klasse kollektiv nach Luft zu schnappen. Ich fühle mich mehr und mehr wie bei der Schwangerschaftsgymnastik. Atmen, atmen, atmen ...

Er sieht schlimm aus. Also, eigentlich sieht er gut aus, aber eben ... schlimm für Kaiba-Verhältnisse. Er sieht aus, wie ich aussehe, wenn ich mal wieder in eine Schlägerei geraten bin. Oder an meinen Vater, wenn er in schlechter Stimmung war.

Sein makelloses Gesicht ist wie üblich teilnahmslos und vollkommen unbewegt, aber direkt über seinem linken Auge schillert seine blasse Haut in modischen Grün- und Blautönen ... das ist ein astreines Veilchen, was er da hat. Und ich fürchte irgendwie, dass das meine Schuld ist.
 

"Oh Gott ... ich glaube, Joey hat gewonnen ..."
 

Drei Paar fragende Augen wandern wie von selbst zu mir und starren mich an. Ich sinke in meinem Sitz zusammen. Na toll. Jetzt werden sie mir mit Sicherheit glauben, dass wir uns nicht geprügelt haben. Ich würde ja versuchen, unschuldig auszusehen, aber ich bin zu sehr damit beschäftigt, innerlich zu sterben.
 

Sogar Herr Tanoki öffnet den Mund und sieht sekundenlang aus, als möchte er etwas fragen, aber ein einziger, scharfer Blick aus den stahlblauen Augen reicht aus, um ihn zum Schweigen zu bringen. Sein Mund klappt zu. Es ist ja nicht so, als ob Kaiba zu spät wäre - er ist pünktlich, und zwar auf die Sekunde genau.
 

Kaiba ignoriert die Blicke, meine und die aller anderen und geht wortlos zu seinem Platz. Seine Bewegungen sind elegant und effizient wie immer ... und trotzdem irgendwie steif. Angespannt. Nicht ein einziges Mal landen die blauen Augen auf mir. Alles an ihm ist kontrolliert. Abweisend.

Ist das wirklich derselbe Seto Kaiba, der mich gestern noch atemlos und rasend vor Wut an die Wand seiner Firma gepresst hat, wie ein billiger Romanheld ...?
 

Herr Tanoki räuspert sich. "Nun, da wir jetzt alle vollzählig sind, beginnen wir heute mit dem neuen Thema. Schlagt eure Bücher auf und ..."
 

Ich höre, wie das Getuschel um mich herum losgeht. Die Gerüchteküche brodelt. Wer interessiert sich schon für ein paar bunt aussehende Bausteine in unserem Biobuch, wenn Seto Kaiba aussieht, als hätte er eine ganz ordinäre Schlägerei gehabt. Ich wette, sämtliche anwesenden Mädchen - mit Ausnahme von Tea vielleicht - würden mich jetzt gerne lynchen, wenn sie wüssten, dass ich es war, der ihrem Schnucki eins übergezogen hat. Mit seiner eigenen Taschenlampe.
 

Ja, ja - ich fühle mich schlecht deswegen. Zufrieden?

Aber wirklich nur ein bisschen. Und nur, weil es wirklich schmerzhaft aussieht.
 

Ich starre auf meine Tischplatte. Auf meine Turnschuhe. An die Tafel. Auf meinen Ordner. Mein Buch. Und auf seinen abweisenden Rücken, zwei Reihen vor mir. Seinen gestärkten, ordentlich gefalteten Kragen, hoch geschlossen bis zum letzten Knopf. Er sitzt da, als hätte er ein Lineal verschluckt.

Ich versuche zu sehen, was in ihm vorgeht, so wie Tea das manchmal bei mir kann, aber vielleicht ist das so eine Frauengeschichte, denn ich kriege es nicht hin. Er ist vollkommen unleserlich.
 

Er wird mich nicht ansehen. Und ich werde von ihm keine Antworten bekommen, in diesem Scheiß-Quiz. Er wird mich ganz allein lassen, mit den verdammten Fragen, so sieht es aus.

Alles in mir kribbelt vor lauter Anspannung. Ich will mit ihm reden, verdammt. Er kann jetzt nicht einfach so tun, als ob das nicht passiert wäre. Er soll mir nicht ausweichen. Er soll nicht so tun, als existiere ich plötzlich nicht mehr. Ich möchte am liebsten aufspringen und zu ihm gehen, ihn am Kragen packen und durchschütteln. Und ihn dazu zwingen, mich zur Kenntnis zu nehmen. Mit mir zu reden.
 

Er hat mich gestern Nacht nach Hause gefahren. Kaum zu glauben, nicht wahr? Das ist netter gewesen, als ich ihm zugetraut hatte, aber ich schiebe es nicht unerheblich auf Mokubas Anwesenheit. Und schon da hat es angefangen, dass er kein Wort mehr gesagt hat. Wenigstens nicht zu mir. Nur zu Mokuba. Und zu Roland, um ihm die Adresse zu nennen. Wenn er so weitermacht, werde ich über kurz oder lang anfangen, mich unsichtbar zu fühlen und zu glauben, dass ich durch Wände gehen kann.
 

War es das jetzt?
 

Okay, das war es ... nicht wahr? Es ist gelaufen ...

Aus. Ende. Vorbei.
 

Ich muss an die Erste Hilfe-Übung denken, mit der alles angefangen hat. An den Schulgarten. Den dämlichen Frosch. Und an Kaibas vollkommen unerwartetes Lächeln. Den Schokohund auf dem Kuchen. An das Roland-Ei, das er nicht köpfen wollte. Und an seine Hand, die mich hinter sich hergeschleift hat, damit ich im Dunkeln keine Katastrophe anrichten kann.

Und in diesem Moment ist es mir beinah egal, ob ich diesen Kuss wollte oder nicht und was das bedeuten würde ...
 

Es ist ein komischer Gedanke, aber ... die ganzen letzten Tage, Wochen ... die Momente, die wir gezwungenermaßen miteinander verbracht haben ... all die Katastrophen und das Chaos, in das wir gestolpert sind ...

Es war ... nett. Es hat irgendwie sogar Spaß gemacht. Vielleicht habe ich auch nur einen seltsamen Humor, aber es hat wirklich Spaß gemacht.

Und noch nie ... noch nie habe ich mich Kaiba so nah gefühlt. Er war als ob wir ... Freunde wären.
 

Wir passen nicht zusammen. Wir ergänzen uns nicht einmal besonders gut, wie man es Gegensätzen sonst nachsagt. Ich weiß das selbst. Wir sind wie zwei chemische Stoffe, die sich gegenseitig abstoßen. Wir mischen uns nicht ... nicht mal ein bisschen. Und trotzdem ...

Trotzdem hätte ich das alles mit keinem anderen machen wollen. Den Kuchen backen. Den blöden Frosch fangen. Und ihn wieder freilassen. Einen Stromausfall in der Kaiba Corp. überleben.
 

Und er ist aufgetaut. Ganz langsam, Stück für Stück ... ist da etwas weg geschmolzen ... habe ich etwas zu sehen bekommen ... Ich weiß, er würde es abstreiten, aber es ist wahr. Es war beinah so, als ob Kaiba ein Mensch wäre.
 

Als ob er ein Herz hätte.
 

Wird er jetzt wieder so tun, als existiere ich nicht? Als ob das alles nie passiert wäre?
 

Es tut mir leid ... es tut verdammt weh ...

Der Gedanke, dass das alles gewesen ist. Diesen einen kurzen Blick darauf, wie es sein könnte ... und das war es jetzt ...
 

Und ich ...
 

"Wheeler?"
 

"Ich wollte das nicht!"
 

Schlagartig ist es still in der Klasse, angesichts meines Ausbruchs. Mein Biobuch landet mit einem Knall auf dem Boden, weil ich so heftig aufgesprungen bin. Sämtliche Augen sind auf mich gerichtet. Nur ein einziges Paar nicht. Nicht einmal jetzt würdigt er mich eines Blickes.

"Entschuldigung ...", murmele ich. Langsam und verlegen lasse ich mich zurück auf meinen Sitz gleiten und angele mit einer Hand nach dem Buch.

Ierks ... Wo ist das nächste Loch, in das ich kriechen kann?
 

Herr Tanoki wirft mir einen schrägen Blick zu.

"Tut mir leid, Wheeler, aber sie müssen wohl damit leben, dass es Genforschung gibt, auch wenn es zweifellos ein strittiges Thema ist." Er klingt spöttisch. "Aber vielleicht haben sie ja Lust, bis nächste Woche einen Vortrag über diese Materie vorzubereiten ..."
 

Ich hasse mein Leben.
 

***
 

"Die neuen Karten sehen toll aus! Ich durfte gestern Abend schon einen Blick auf die Lieferung werfen. Mein Großvater meint, wir können sie uns alle ansehen und er macht euch sogar einen guten Preis, wenn ihr eine kaufen wollt. Da ist eine, wo ich sofort dachte ..."

Yugis Augen leuchten, während er erzählt, und wie immer, wenn es um dieses Thema geht, wirkt er ganz anders, als der kleine, schüchterne Junge, der er sonst ist. Eben wie ein richtig cooler Typ. Alles in allem ist Yugi ein richtig cooler Typ, auch wenn er es selbst nicht weiß.

Tea wirft ihm ein liebevolles Lächeln zu, von dem sie hofft, dass es niemand sieht und Tristan kritzelt im Gehen wie wild auf einem Block herum, wo er versucht auszurechnen, wie viele neue Karten er sich wohl leisten kann, wenn er die nächsten drei Monate auf Burgeressen und Kino verzichtet. Nicht dass er das je schaffen würde.
 

Ich laufe neben ihnen her und bin nicht ganz da, höre mit einem Ohr zu und nicke, lache an den passenden Stellen, aber bin einfach ...nicht wirklich da.

Wir sind auf dem Weg zur Mensa und die anderen haben es inzwischen aufgegeben, mich mit Fragen zu überhäufen. Wofür ich echt dankbar bin, weil mir langsam die Ausreden ausgehen. Es ist nicht so, dass ich mich nicht mies fühle, weil ich den Mund nicht aufkriege und ihnen etwas so Wichtiges verschweige ... ehrlich, ich fühl mich mies! Aber ich kann einfach nicht. Jetzt noch nicht. Dazu habe ich selbst zu wenig Ahnung, was eigentlich Sache ist.

Und es wird auch nicht besser werden, so lange Kaiba tut, als sei ich über Nacht unsichtbar geworden und sich weigert, mich zur Kenntnis zu nehmen.
 

Wieso zum Teufel tut er überhaupt so, als hätte ICH etwas ganz und gar unverzeihliches getan?! Er hat mich doch ...

Zugegeben, ich habe ihm vorher eins mit der Taschenlampe übergezogen - aber man, dass hätte jedem passieren können. Also, fast jedem. Zumindest vielen. Einigen ...

Okay, vielleicht hätte es auch nur mir passieren können - aber das ist doch echt kein Grund mich jetzt zu behandeln, als sei ich der Antichrist ...
 

Wenn man vom Teufel spricht ... Mein Kopf fliegt hoch wie auf Kommando, als ich seine vertraute, hoch gewachsene Gestalt am anderen Ende des Flurs ausmachen kann und mein Pulsschlag beginnt sich zu beschleunigen. Yugi unterbricht sich mitten im Satz und Tristan hebt fragend den Kopf. Tea seufzt.

And here we go again ...
 

"Ja Yugi, ich finde auch, wir sollten uns dringend mal wieder duellieren!" Meine Stimme quietscht und ich räuspere mich hastig. Tu so, als ob alles normal wäre, tu so, als ob alles normal wäre, tusoalsoballesnormalwäre ... "Es ist nur schade, dass es überhaupt keine Herausforderungen mehr für uns gibt, Alter. Wir sind einfach die beiden besten Duellanten überhaupt."
 

Seine Schritte sind lang und zielstrebig. Er hat eine Hand in der Hosentasche, trägt mit der anderen seine Aktentasche und sieht furchtbar professionell aus. Kühl, gelassen, erwachsen. Abgesehen von den deutlichen Anzeichen einer Prügelei im Gesicht, wirkt er durch und durch wie ein erfolgreicher Geschäftsmann. Jemand, der sich nur zufällig hier in diese Schule verirrt hat und eigentlich auf dem Weg zu einer wichtigen Konferenz ist. Das ist nicht gut ...
 

Er kommt immer näher und meine Schritte verlangsamen sich. Er kann mir hier nicht ausweichen - nicht auf einem grade mal zwei Meter breiten Schulflur. Wir sind höchstens noch zehn Meter voneinander entfernt ... sieben ... fünf ... drei ... Unwillkürlich halte ich die Luft an. Er geht direkt auf mich zu ...

Und ... in letzter Sekunde läuft er haarscharf an mir vorbei.

So dicht, dass ich sein kühles, desinteressiertes Profil sehen kann. Ich bleibe beinah stehen und wende den Kopf, starre ihn an und versuche ihn durch Hypnose dazu zu bringen, sich zu mir umzudrehen ... mir einen einzigen, kurzen Blick zuzuwerfen.
 

"An dich kommt sowieso niemand ran, Yugi, und meine Fähigkeiten sind natürlich nur noch als genial zu bezeichnen." Meine Stimme schallt laut und selbstbewusst über den Flur. "Außer dir gibt es ohnehin niemanden, der mich je schlagen könnte!"
 

Sag es. SAG es. Sag schon, dass ich ein mieser, drittklassiger Duellant bin, der mit seinen Karten höchstens Mau-Mau spielen sollte und der dir in hundert Jahren nicht das Wasser reichen kann. Sag es ...!

Komm schon, Kaiba ... das ist etwas, worauf du immer anspringst. Wirklich immer! Beleidige mich von mir aus, aber rede verdammt noch mal mit mir!
 

Seine Tasche streift mich im Vorbeigehen und ich erstarre, halte sekundenlang die Luft an.

Er wird langsamer, aber er stockt nicht. Er tut, als bemerkt er es nicht einmal. Toll, ich erniedrige mich hier in aller Öffentlichkeit und er ignoriert mich. Schon wieder Langsam komme ich mir echt blöde vor ...
 

"KAIBA!" fauche ich und spüre, wie die ersten Schüler im Flur anfangen sich nach uns umzudrehen. Einige Blicke, die auf mir landen, sind amüsiert, und andere genervt ... weil es nur eine weiter von vielen hunderttausend identischen Szenen ist, die sie grade erleben.

Seto Kaiba und Joey Wheeler begegnen sich - und es fliegen die Fetzen. Wie immer. Aber diesmal ist es anders ... und sie wissen es nicht einmal.

Er erwidert nichts. Er zuckt nicht einmal mit der Wimper, der Bastard. In meinen Augenwinkeln brennt es vor lauter Frust. Ich spüre Tristans Hand nachdrücklich auf meinem Arm, der mich zurückhält, als ob ich vorhätte, mich auf ihn zu stürzen. Und er geht ... Kaiba geht einfach weiter ... als ob ich nichts gesagt hätte. Er verschwindet um die nächste Ecke, ohne sich auch nur einmal zu mir umgedreht zu haben.
 

So geht das schon den ganzen Tag. Und ich weiß langsam echt nicht mehr, wie ich ihn noch provozieren soll, damit er endlich aus seinem Schneckenhaus kommt.

Früher hätte er sich wenigstens die Zeit genommen, um mit mir zu streiten ...
 

Ehrlich, Kaiba hatte immer Zeit mit mir zu streiten. Ganz egal, ob er auf dem Weg war, seinen kleinen Bruder zu retten oder seine kostbare Firma, ein wichtiges Turnier auszurichten, sich eine Götterkarte unter den Nagel zu reißen oder kurz vor einem schicksalsträchtigen Duell stand ... er hatte immer Zeit, um stehen zu bleiben und gepflegte Beleidigungen mit mir auszutauschen.
 

In Ordnung. Wie du willst, du Penner. Es ist ja nicht so, als ob ich es nicht versucht hätte. Was soll ich noch tun? Mich vor deine Füße werfen, damit du über mich trampeln kannst?!

Nach fünf Stunden Unterricht und drei großen Pausen, in der er so getan hat, als sei ich Luft, sollte ich mich wohl langsam mit dem Gedanken anfreunden, dass er wirklich nicht mit mir reden will ...
 

Als ich mich wieder umdrehe, sehe ich, dass meine Freunde grade dabei sind, einen langen, bedeutungsvollen Blick untereinander auszutauschen. Einen dieser Blicke, die mehr sagen als tausend Worte und in dem ziemlich deutlich mein Name mitschwingt.
 

"Was denn...?" verteidige ich mich. "Er ...er hat mich angerempelt ...!"
 

Niemand sagt etwas. Ich bin so ein mieser Lügner, das ist echt erbärmlich. Ich kann nicht fassen, dass ich ausgerechnet wegen Kaiba meine Freunde beschwindle. Vielleicht kann man das nicht direkt lügen nennen, was ich tue ... mehr ein Verschweigen wichtiger Tatsachen. Aber in dieser Ausrede war ich ja schon immer ganz groß ...

Niedergeschlagen versenke ich meine Hände in den Hosentaschen und wende mich ab. Nach kurzem Zögern folgen mir die anderen. Und darüber bin ich wirklich froh.
 

Es ist Yugi, der mich zuerst einholt.

"Hey Joey ...?" Er lächelt und macht diese verhängnisvolle Sache mit seinen Augen, womit er aussieht wie ein kleines, knuffiges Stofftier. "Kommst du auch nach der Schule mit in den Laden? Die Karten ansehen?"
 

"Klar. Bei so was bin ich immer dabei." Ich nicke und spüre, wie ich gegen meinen Willen das Lächeln erwidere.
 

"Weißt du", fährt er fort, "da ist eine Karte, die dir gefallen könnte. Ich bin sicher, Großvater überlässt sie dir für den halben Preis, wenn du sie haben willst. Sie würde sich gut in deinem Deck machen."
 

"Ach ja?" Ich steige auf seinen leichten Plaudertonfall ein und muss mir nicht einmal Mühe geben, interessiert zu klingen. Neue Karten sind immer toll. "Was ist das für eine Karte?"
 

"Sie nennt sich ,Mut zu Wahrheit'."
 

Er hält inne, als er merkt, dass ich ruckartig stehen bleibe, und dreht sich zu mir um. Ich starre ihn an.
 

"Ach ja ...?" Meine Stimme klingt rau.
 

Er nickt versonnen. "Es ist eine sehr mächtige Karte. Sie zwingt deinen Gegner dazu, dir umgehend alle Karten zu zeigen, die er auf der Hand hat."
 

Ich schlucke. "Das ... klingt toll."
 

"Ja, nicht wahr?" Er nickt und sieht gedankenverloren zu mir hoch. "Manchmal bringt Taktik allein einen nicht weiter ... dann hilft nur noch die Wahrheit, damit man weiß, was der andere vorhat."
 

"Denkst du ...?"
 

"Na ja, es kann nie schaden, dem anderen in die Karten zu sehen, nicht wahr?"
 

Die Wahrheit ...
 

"Was ist? Beeilung, Leute - ich verhungere grade!" Es ist Tristan. Er und Tea haben uns eingeholt und bleiben jetzt ungeduldig stehen.
 

Yugi nickt und lächelt, aber dann wandern seine unergründlichen Augen wieder zu mir. Es ist ein durch und durch aufrichtiger, lieber Blick, den er mir zuwirft und der sagt ,Ich weiß nicht, was hier vorgeht - aber ich bin auf jeden Fall auf deiner Seite, Joey.'. Und ich muss nicht einmal Tea sein, um das entziffern zu können.
 

"Joey? Kommst du?"
 

"Ich ähm ..." Ich öffne den Mund und lasse ihn sofort wieder zuklappen ... weil ich merke, dass ich in dieser Sekunde meinen Entschluss gefasst habe.
 

"Tut mir Leid, Leute."
 

Hey ... ich habe mich noch nie unterkriegen lassen. Ich habe noch nie vor irgendeiner Herausforderung zurückgeschreckt und ich werde bei Kaiba bestimmt nicht damit anfangen. Yugi hat Recht - auch wenn ich nicht einmal sicher bin, dass er weiß, dass er Recht hat. Manchmal bringt Taktik dich nicht weiter.

Diese blöden Spielchen um Kaibas Aufmerksamkeit zu erregen, sind einfach für den Arsch. Das hilft mir nicht weiter, weil Kaiba auf Spielchen nicht einsteigt. Also, Schluss damit.
 

Ich werde einfach zu ihm gehen und ihm sagen, was Sache ist. Waghalsig bis zum bitteren Ende - aber mehr als umbringen kann er mich ja nicht.

Dass ich verwirrt bin. Und durcheinander. Dass mich dieser Kuss komplett aus der Bahn geworfen hat. Und dass ich nicht will, dass er mich für alle Ewigkeit ignoriert.
 

Ich weiß, dass er auch darüber nachdenkt und dass ihn das genauso beschäftigt, wie mich. Ich weiß, dass er irgendetwas fühlt. Vielleicht muss ich es nur aus ihm rauskitzeln. Ich will endlich in seine Karten sehen. Ich will wissen, was Sache ist. Und mehr als alles andere, will ich wissen, warum er das getan hat.
 

"Ich muss noch was unglaublich Wichtiges erledigen. Ich komme später nach."
 

Und mit einem Gedanken sollte der arrogante Bastard sich besser ganz schnell anfreunden ...

Ich bin viel, viel hartnäckiger als er.
 

ZEIT FÜR EIN DUELL!
 

Ach ne ... falscher Text.

Ich meine, Zeit um Kaiba klarzumachen, dass Joey Wheeler einfach nicht ignorierbar ist. Mir egal, wie lange ich ihn belästigen und was ich ihm alles erzählen muss, aber er wird mich verdammt noch mal zur Kenntnis nehmen.
 

Als ich durch die endlosen, total überfüllten Flure sprinte, fühle ich mich endlich wieder gut.

Danke, Yugi ...
 

~ Ich sehe, dass du denkst

Ich denke, dass du fühlst

Ich fühle, dass du willst

Aber ich hör dich nicht...
 

Zu deinen Füßen rede ich mich um Kopf und Kragen

Ich will in deinem tiefen Wasser große Wellen schlagen

Bitte gib mir nur ein Wort ~
 

^tbc^
 

Feedback? Immer her damit. ^^

Ohne Einlass

Warnungen: Öhm ... jede Menge sexuelle Anspielungen. ^^** Streckenweise kitschig, Zickenterror ohne Ende und ziemlich viel Roland. oO
 

Vielen Dank an alle, die mir Kommentare oder ENS geschrieben haben und natürlich auch an die, die meine FF empfohlen haben. *__* Ihr seid die Besten! Ihr glaubt gar nicht, was für eine tolle Motivation das ist um weiterzuschreiben, auch wenn man eigentlich ganz dringend lernen müsste. Ich liebe euch! ^___^ Und es tut mir echt leid, dass ich grade so wenig Zeit habe und kaum was anderes hinkriege außer schreiben. *schäm*

Wer wieder benachrichtigt werden will bei einem Update - bitte lasst es mich wissen. ^^ Ich habe diesmal echt versucht an alle zu denken. =)
 

Gewidmet ist es diesmal Geburah! ^___^ Vielen Dank - du weißt schon wieso! *___*
 


 

~ No one knows what it's like

To feel these feelings

Like I do

And I blame you! ~
 

(Limp Bizkit: "Behind Blue Eyes")
 


 

Schulhof? Check. Mensa? Check. Jungentoilette? Check. Bibliothek? Check.

Wo zum Teufel steckt der Bastard?!
 

Keuchend halte ich mitten auf dem erschreckend leeren Schulhof inne, stütze die Hände auf die Knie und schnappe erstmal nach Luft. Ich bin grade in der absoluten Rekordzeit von neun Minuten und dreiundvierzig Sekunden durch die gesamte Schule gesprintet, und glaubt mir, das schlaucht.
 

Weit und breit keine Spur von Kaiba.

Sonst sitzt er in den Pausen immer irgendwo in einer entlegenen Ecke des Schulhofes oder der Bibliothek, hämmert auf seinem Laptop herum und sieht wahnsinnig beschäftigt aus. Aber überall Fehlanzeige. Er ist auch nicht in der Mensa, wie 80% der Schüler, und prügelt sich um matschige Fischstäbchen. Das wundert mich aber auch nicht wirklich - hat mal jemand gesehen, wie dünn der Kerl ist?

Trotzdem ... ich weigere mich zu glauben, dass er sich einfach in Luft aufgelöst hat!

Zugegeben, es wäre nicht auszuschließen, dass er für heute genug von der Schule (und mir) hatte und einfach verschwunden ist. Aber das macht er doch nicht, oder? Das wäre doch wie eine Niederlage ... wie ein Eingeständnis dafür, dass ihn doch nicht alles kalt lässt - und ich denke nicht, dass er mir die Genugtuung geben würde.
 

Oder doch ...?
 

Trotz schmerzender Beine und rasselnder Lunge, die meiner achtzigjährigen Oma alle Ehre gemacht hätte, werfe ich den Kopf zurück und renne los.

Nein, das macht er nicht. Das kann er nicht. Das darf er nicht, man! Nicht so lange ich da ein Wörtchen mitzureden habe. Wehe, der Penner versucht wirklich sich heimlich aus dem Staub zu machen und mich hier allein mit dem ganzen Schlamassel sitzen zu lassen!

Komm schon, Kaiba ... das wäre echt lau! Sogar von dir. Besonders von dir!
 

Ich bin beinah ein wenig enttäuscht von ihm, als seine fette Limousine wirklich das Erste ist, was ich zu sehen bekomme, als ich den Lehrerparkplatz erreiche.

Er ist tatsächlich grade dabei hinten einzusteigen ... sich vom Acker zu machen ... mich hier sitzen ... stehen ... was auch immer zu lassen. Ich sehe nur noch, wie die Autotür hinter ihm zugeht und höre, wie der Motor anspringt.

Oh nein, Kaiba! So nicht!
 

Der Motor läuft schon und der Knilch am Steuer ist grade dabei loszufahren. Das riesige Schiff hat kaum Platz zwischen den engen Reihen an Autos und manövriert sich ziemlich langsam auf die Straße, aber genau dieser Umstand kommt mir entgegen.

Vielleicht ist es einfach der Zorn, der grade in mir aufwallt, oder der Yugi-Mega-Freundschafts-Power-Schub, der noch nachwirkt - aber ich tue es einfach. Ich denke nicht einmal darüber nach. Mir ist nur klar, dass er sich jetzt nicht einfach aus dem Staub machen darf. Also renne ich los.

Ohne auch nur daran zu denken, langsamer zu werden, stürze ich mich auf das anfahrende Auto und kriege grade noch einen Türgriff zu fassen. Schwungvoll und ohne Rücksicht auf Leib und Leben reiße ich die Hintertür auf.
 

Reifen quietschen und eine Männerstimme brüllt: "Hey, was zum Teufel ...?!". Ein Ruck geht durch das Auto, als plötzlich jemand abrupt auf die Bremsen steigt und ich werde durch meinen eigenen Schwung nach vorne geschleudert, purzele in das Innere des Wagens ...

... und lande kopfüber auf der Rückbank.

Die Tür fällt hinter mir zu, als der Wagen schlingert, und spätestens da presse ich die Augen zu und quietschte nur noch. Rechts und Links um uns hupen Autos, weil wir so abrupt mitten auf der Straße stehen geblieben sind. Sekundenlang denke ich, das war es jetzt, Goodbye, Joey Wheeler, und rechne mit dem großen Crash ... aber, oh Wunder, er kommt nicht.
 

"Oh Gott, was ist das für ein Irrer?!"
 

Das frage ich mich auch grade ... Hechelnd und in einem verdrehten Knäuel aus Armen und Beinen liege ich irgendwo halb auf und halb neben der Rückbank und klammere mich an etwas fest. Mein Rucksack ist scheinbar unter die Sitze gerutscht und liegt jetzt am Boden - direkt neben meinem Stolz. Joey Wheeler ... ungeplanter Suizidversuch, die Zehnte.

Macht das ja nicht zu Hause nach.
 

Erst als mein Gehirn endlich aufhört unter meiner Schädeldecke zu rotieren, öffne ich langsam wieder die Augen. Schlagartig werden mir zwei unangenehme Tatsachen auf einmal bewusst.

Erstens - irgendjemand hält mir grade eine Waffe ins Gesicht.

Zweitens ... ich liege quer auf etwas, dass aussieht, wie ... Kaibas Schoß. Und sich anfühlt wie Kaibas Schoß. Und - oh heilige Scheiße - es IST Kaibas Schoß!

Joey Wheeler - ungeplanter Suizid, die Elfte. Er wird mich filetieren!

Langsam und schockiert hebe ich den Kopf, nicht sicher, mit welcher der tödlichen Gefahren ich mich zuerst auseinandersetzen soll.
 

"Ähm ... Kaiba, hör zu ... ich ..."
 

Ich habe eine Erklärung! Ganz sicher! Gib mir nur drei Sekunden, um sie mir zu Recht zulegen ...!
 

"Keine Bewegung", knurrt eine tiefe Stimme. Sie stammt von dem Anzugtypen mit Sonnenbrille, der mich vom Beifahrersitz aus bitterböse ansieht und grade dabei ist, seine Automatik zu entsichern. "Hände hoch, Kleiner!"
 

"WAS?! Hey ...!" Entsetzt klammere ich mich an dem Erstbesten fest, was mir zwischen die Finger gerät. Und das ist Kaibas Bein. Oh Gott, Kaibas Bein! "Ich bin unschuldig!"
 

"Wheeler ..." ertönt es tonlos über mir, und ich sehe auf.

Sein Gesicht ist vollkommen unbewegt, aber sein Blick sieht tatsächlich ein wenig geschockt aus. Man könnte glatt meinen, er ist irgendwie überrascht mich zu sehen. Aber vielleicht schmeißt sich nicht jeden Tag jemand so suizidal in seinen Wagen und hält den gesamten Verkehr auf, keine Ahnung. Oder es hatte noch nie zuvor jemand so frontalen Kontakt mit seiner Schrittregion.

Argh! Kein guter Gedanke, kein guter Gedanke!
 

"Sir, kennen sie den Attentäter etwa?"
 

"Geht's noch? Was heißt hier Attentäter?" fauche ich. Wer zum Teufel ist denn die Pflaume? Etwa sein Bodyguard? Das kann ich um Kaibas Willen nicht hoffen. "Ich wollte nur mit ihm reden. Ist das verboten?"
 

"Ich fürchte, dies ist tatsächlich ein ... ähem ... vager Bekannter von Seto Kaiba", ertönt es in diesem Moment trocken vom Fahrersitz, und eine weitere Sonnenbrille dreht sich zu mir um. Meine Augen weiten sich überrascht, als mir klar wird, wer das ist.
 

"Roland, Kumpel ...", sage ich erleichtert. "Danke, man - sie retten mir grade die Eier ..."
 

"Das reicht jetzt!" Kaibas scharfe Stimme lässt uns alle zusammenzucken. Offenbar hat er sich wieder von dem Schock erholt, dass ich mich grade äußerst südlich seiner Hemisphäre befinde und an sein Bein klammere wie ein verängstigtes Karnickel. "Das ist hier kein Kaffeekränzchen! Packen sie gefälligst die Waffe weg, sie Vollidiot, und versuchen sie sich nächstens nicht ganz so inkompetent anzustellen - sonst werde ich sie feuern."
 

"Aber, Sir ...!"
 

"Roland - wischen sie sich das Grinsen aus dem Gesicht und fahren sie endlich los! Wir halten den gesamten Verkehr auf. Und was dich angeht ..."

Der Blick, den er mir zuwirft, ist mehr als Unheil verkündend. "Nimm auf der Stelle die Pfoten von mir! Ich bin nicht dein Kuscheltier, Wheeler!"
 

Was heißt denn hier Kuscheltier?! Also, von dem mentalen Bild bekomme ich garantiert ein Trauma ...

So hastig als hätte ich mich an ihm verbrannt, reiße ich die Hände von seinem Bein und krabbele so schnell es geht von ihm weg. Leider scheint Roland sich genau in diesem Moment dazu entschlossen zu haben, der Aufforderung seines Bosses Folge zu leisten und fährt so ruckartig an, dass ich prompt das Gleichgewicht verliere und von der Rückbank taumele. Ich stolpere nach hinten und meine Kehrseite macht schmerzhaft Bekanntschaft mit dem Boden. "Au ..."
 

"Selber schuld", stellt Kaiba mitleidslos fest, während er ein Bein über das andere schlägt, die Arme verschränkt und kalt auf mich hinabsieht. "Und jetzt - raus aus meinem Wagen!"
 

"Hast du sie noch alle?! Wir fahren ja schon!"
 

"Das hat dich doch eben auch nicht aufgehalten."
 

"Vergiss es!" knurre ich ebenso pampig zurück und angele nach meinem Rucksack, der zu seinen Füßen liegt. Langsam rappele ich mich wieder auf und lasse mich neben ihn auf die teure Ledergarnitur fallen. Finster sehe ich ihn an und zische: "Ich weiß, dass es dir sicher am liebsten wäre, wenn ich mich jetzt vor den nächsten Laster werfe, aber den Gefallen tu ich dir bestimmt nicht!"
 

"Ja, das ist zu schade, Wheeler", zischt er zurück.
 

"Verdammt, du kannst mir nicht bis in alle Ewigkeit aus dem Weg gehen ...!"
 

Er schnaubt verächtlich und wendet den Kopf ab. "Bild dir nur nicht zu viel ein. Wer sagt, dass ich dir aus dem Weg gehe?"
 

"Du haust sogar aus der Schule ab, um nicht mit mir reden zu müssen ...wie billig ist das denn?!" explodiere ich.
 

"Ich bin nicht abgehauen." Er versucht ruhig zu klingen, aber ich kann tatsächlich hören, wie seine Zähne knirschen, so fest presst er sie aufeinander.
 

"Ach nein? Wie würdest du das sonst nennen?!"
 

"Ich bitte dich." Er hebt verärgert eine Augenbraue. "Wir hatten gestern Nacht einen unvorhergesehenen Stromausfall, für den ich die Ursache nicht kenne. Was glaubst du, was ich für den Rest der Nacht getan habe?! Ich habe im Augenblick wirklich Besseres zu tun, als mich mit dir zu beschäftigen!"
 

Autsch. Treffer. Versenkt. Er hat doch immer etwas Besseres zu tun, als mich ... "Keine Sorge", beiße ich zurück, "ich hatte nicht erwartet, dass du an mich denkst und dabei wehmütig Rosenblätter auf mein Photo streust!"
 

"Werd nicht lächerlich!"
 

"ICH?! Ich bin nicht derjenige, der sich schon den ganzen Tag aufführt, wie eine Diva auf PMS!"
 

"..."
 

"Was? Was ist ...?" Als er nicht antwortet, folge ich seinem Blick und wende den Kopf nach vorne. Erst dann wird mir bewusst, dass wir nicht allein im Auto sind und dass dieses Gespräch grade mehr als peinlich wird. Zwei Sonnenbrillen sind im Rückspiegel auf uns gerichtet und folgen interessiert jedem Satz, als seien wir eine Nachmittags-Talkshow.
 

"Roland!"
 

"Sir?"
 

"Ich würde es sehr begrüßen, wenn sie beim Fahren auf die Straße sehen." Kaibas Stimme ist frostig.
 

"Ja, Sir. Natürlich." Roland räuspert sich hastig, aber das Grinsen in seinem Gesicht will einfach nicht verschwinden. Wegen der Sonnenbrille kann man ohnehin nicht sicher sein, wo er grade hinsieht.
 

Kaiba gibt ein wütendes und gleichzeitig resigniertes Knurren von sich und massiert sich mit einer Hand die Schläfen. Mit der anderen Hand drückt er einen Knopf, der sich an seiner Armlehne befindet. Sofort beginnt eine schwarze Scheibe, die den Wagen in zwei Hälften teilt, direkt hinter den Vordersitzen hochzufahren.
 

"Rosenblätter...?" zischt er leise in meine Richtung. "Manchmal fasse ich einfach nicht, was in deinem Kopf vor sich geht ..."
 

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich rot werde. Ich habe selbst keine Ahnung, was mich da geritten hat. "Sorry ...", murmele ich verlegen. "Das ist mir so rausgerutscht ..."
 

"Ohne Worte." Er seufzt und verdreht die Augen. "Und jetzt setz dich hin und schnall dich gefälligst an."
 

"... was?" Hat der grade keine anderen Probleme?
 

Er dreht den Kopf und sieht mich endlich direkt an. "Ich werde dich nicht mehr los, oder? Also schnall dich gefälligst an und hüpf hier nicht rum wie ein Affe. Sobald wir die Kaiba Corporation erreicht haben, wird Roland dich zurück zur Schule fahren."
 

"Aber will nicht in die Schule!"
 

"Und ich will nicht mit dir reden! Schade, dass wir nicht immer kriegen, was wir wollen."
 

Ich seufze und verziehe das Gesicht zu einer frustrierten Grimasse. Irgendwie läuft das alles nicht wie geplant. Widerstrebend greife ich nach dem Gurt und schnalle mich an. Ich wette, das ist sowieso wieder nur so eine versicherungstechnische Geschichte, wieso er darauf besteht, dass ich das mache.

Mit Kaiba zu reden, ist manchmal einfach nur, wie gegen eine Betonmauer zu laufen. Es frustriert ohne Ende, weil du keinen Schritt weiterkommst ... und irgendwann beginnt es verdammt wehzutun.

Aber ich will da jetzt durch und ...zum Glück weiß ich durch jahrelange Erfahrung, dass ich einen harten Schädel habe. Außerdem ist selbst streiten besser, als wenn er mich anschweigt.

Unwillkürlich frage ich mich, ob ich diese Mauer noch einmal so zum Einstürzen bringen kann ... so wie letzte Nacht. Wobei ich immer noch nicht sicher bin, wie ich das eigentlich angestellt habe. Kaiba ohne Kontrolle, ohne tausend Abwehrmechanismen, einfach nur er selbst ... verwirrt, wütend, frustriert, gewalttätig, hilflos ... aber endlich er selbst ... das war es auf jeden Fall wert.
 

Es ist seltsam still zwischen uns, besonders nachdem das Auto eben noch mit unserer lautstarken Auseinandersetzung angefüllt war, und sein Blick ist abwesend und emotionslos aus dem Fenster gerichtet. Seine Arme sind verschränkt und sein ganzer Körper hat eine abweisende, steife Haltung eingenommen.

Wieso hat er überhaupt diese private Trennscheibe hochfahren lassen, wenn er doch nicht vorhat, weiter mit mir zu reden? Jetzt wird Roland denken, wir tun hier was ganz Schlimmes. Und ich will nicht mal wissen, was das sein könnte!
 

Irgendwann, als ich die Stille nicht mehr aushalte, beginne ich in meinem Rucksack zu kramen und zerre langsam etwas aus seinen Untiefen hervor. Es ist kühl und unförmig und hat feuchte Spuren auf meinen Schulbüchern hinterlassen. Wortlos halte ich es ihm hin.

Er wendet überrascht den Kopf.
 

"Hier, das ist für ..." Ich mache eine vage Bewegung Richtung Schläfe.
 

Er runzelt die Stirn und macht keine Anstalten es entgegenzunehmen. "Was soll das?"
 

"Das ist ein Eisbeutel", fühle ich mich genötigt zu erklären. "Ich habe ihn im Krankenzimmer mitgehen lassen, als ich die halbe Schule nach dir abgesucht habe. Hier ... auch wenn du es nicht verdient hast."
 

"Ich weiß, was das ist", knurrt er unwirsch, aber seine Stimme klingt mehr überrascht, als verärgert. "Du hast ihn mitgehen lassen?"
 

"Nur geborgt. Ich werde ihn natürlich wieder zurückbringen", versichere ich. "Er ist inzwischen leider nicht mehr so kalt, weil ich ihn die ganze Zeit mit mir herumschleppen musste ..."
 

"Wieso?"
 

"Was wieso?"
 

"Was soll das? Wieso machst du das?"
 

Ich sah die Eiswürfel und musste sofort an dich denken? Ich brauchte was Schweres, um es dir notfalls an Kopf zu werfen, wenn du fies zu mir bist?

Nein. Ich muss daran denken, was Yugi eben gesagt hat. Karten auf den Tisch. Keine Spielchen mehr. Und da ich widerstrebend zugeben muss, dass Yugi im Durchschnitt wirklich mehr Duelle gewinnt als ich, beschließe ich ausnahmsweise seiner Strategie zu folgen. Herz der Karten. Mut zur Wahrheit. Was auch immer. Vielleicht hat das ja mehr Erfolg als ihn anzubrüllen.
 

"Weil es mir leid tut, okay?"

So, das ist die Wahrheit. Ich atme tief durch und werfe ihm einen raschen Seitenblick zu. "Also ... das! Ich meine, es war meine Schuld ... wegen der Taschenlampe ... Und es ... also, es sieht wirklich ziemlich ... schmerzhaft aus."
 

"Hmpf." Er gibt ein unwilliges Geräusch von sich und sieht mich finster an. Trotzdem kommt der herablassende Gesichtsausdruck nicht so gut zur Geltung wie sonst - was tatsächlich an dem bösen Veilchen liegen könnte.

Ich muss grinsen. Das kommt sicher nicht gut, wenn man grade dabei ist, sich zu entschuldigen ... aber dieser Anblick hat einfach was. Seto "Ich-bin-ja-so-viel-toller-als-ihr-alle" Kaiba mit den Spuren einer ganz ordinären Schlägerei im Gesicht. Ich komme nicht drüber weg.
 

"Nun, nimm es schon", sage ich. "Das hilft wirklich - glaub mir, ich kenne mich damit aus."

Als er immer noch keine Anstalten macht sich zu bewegen, sondern mich nur misstrauisch ansieht, verliere ich die Geduld. Ich hebe die Hand und drücke den Eisbeutel behutsam gegen seine Schläfe. Er zuckt zusammen, ob vor Überraschung oder wegen der plötzlichen Kälte, weiß ich nicht. Sekundenlang rechne ich damit, dass er so weit es geht von mir abrückt - was nicht weit wäre, wenn man in Betracht zieht, dass er am Fenster sitzt. Die Rückbank wäre allerdings lang genug, dass wir miteinander Badminton spielen könnten, wenn er es drauf anlegt - aber er tut es nicht. Er sieht mich nur finster an und lässt es geschehen.
 

"Er ist auch nicht vergiftet", füge ich hilfreich hinzu.
 

"Danke. Ich hatte nicht vor, ihn zu essen."
 

Ich räuspere mich und beiße hastig auf meine Unterlippe, um mir ein Grinsen zu verkneifen. "Das ... ähm ... hatte ich nicht angenommen."
 

"Joseph Jay, ich warne dich." Er wirft mir einen schiefen Blick zu. "Solltest du anfangen zu lachen, werde ich dir sehr, sehr wehtun müssen."
 

"Du ... ähm ... wirst mir das mit der Taschenlampe aber nicht für alle Ewigkeit vorhalten, oder doch?" frage ich vorsichtig.
 

Sekundenlang wendet er den Kopf ab und tut, als hätte er etwas unglaublich Spannendes am Fenster erspäht, bevor er sich wieder zu mir umdreht; aber er ist nicht schnell genug. Ich habe es trotzdem gesehen. Das Lächeln, das drauf und dran war, sich auf seinem Gesicht auszubreiten.

"Oh, verlass dich darauf - das werde ich."
 

"Nun sei nicht so nachtragend ... es war doch keine Absicht. Ich wollte nur heldenhaft deine Firma verteidigen! Sei mir lieber dankbar."
 

"Sieh es ein - nicht jeder Straßenköter ist gleich Lassie."
 

"Blödmann", knurre ich.
 

"Versager", erwidert er, und es klingt nicht einmal böse.
 

Danach sind wir still und ich bin damit beschäftigt den Eisbeutel vorsichtig auf die Schwellung zu drücken. Ein paar Haarsträhnen aus seinem methodisch geschnittenen Pony streifen meine Finger, als er den Kopf ein wenig neigt, und seine Augen sind unablässig auf mein Gesicht gerichtet.

Ich lache nicht, auch wenn die Situation einiges an komischen Elementen hat. Aber jetzt grade, in diesem Moment, ist mir nicht danach.

Ich meine, ich sitze neben Seto Kaiba, in seiner schicken Limousine, und halte ihm einen Eisbeutel an den Kopf. Und den Blick, mit dem er mich die ganze Zeit ansieht, kann ich auch nicht zuordnen - er schwankt irgendwo zwischen Frustration, Verwirrung und vielleicht einem kleinen bisschen Belustigung.

Er macht nicht einmal Anstalten den Beutel selbst zu halten, der verwöhnte Bengel. Aber das ist schon in Ordnung so ... ausnahmsweise.
 

Es sind Momente wie diese, wo ich denke ... so schlimm ist er gar nicht. Versteht mich nicht falsch, er ist schon schlimm auf seine Weise - aber eben nicht immer. Nicht jetzt grade. Er ist beinah ... erträglich, wenn er so ruhig ist und still hält und mich einfach da sein lässt, und seine Haarspitzen auf meinen Fingern kribbeln.
 

Unsere Beine liegen so dicht nebeneinander, dass sein Oberschenkel ununterbrochen an meinen entlang streift, und ich muss daran denken, wie ich mich eben noch daran geklammert habe. Allein die lebhafte Erinnerung sorgt dafür, dass mein Gesicht beginnt, in unvorteilhaften Rottönen zu glühen. Aber nicht einmal das führt dazu, dass ich diesen Augenblick beenden will.
 

Da sind nämlich eine ganze Menge Dinge, die ich ihm sagen will und noch mehr Fragen, die ich ihm stellen möchte. Seit letzter Nacht schwirren sie mir im Kopf herum und er ist der Einzige, mit dem ich darüber reden kann. Aber fürs Erste bin ich schon dankbar, dass er zulässt, dass ich so dicht neben ihm sitze. Natürlich auch, dass er mich nicht aus dem Auto und vor den nächsten Laster schubst.
 

Er ist es, der schließlich das Schweigen bricht.

"So, das reicht", stellt er abrupt fest und hebt die Hand. "Hast du dein schlechtes Gewissen jetzt genug beruhigt ...?"
 

"Wie bitte?!"
 

"Der schockierte Hundeblick steht dir nicht, Wheeler." Mit einem durch und durch selbstgefälligen Gesichtsausdruck greift er nach dem Eisbeutel und nimmt ihn mir aus der Hand. "Ich hoffe, du fühlst dich jetzt besser und springst nicht vor lauter Schuldgefühlen von der nächsten Brücke."
 

Oh man - das ist so typisch Kaiba, dass mir glatt die Worte fehlen. Ich bin ausnahmsweise nett und er schafft es irgendwie alles so zu drehen, als sei er derjenige, der mir großzügig einen Gefallen tut.

"Ein einfaches ,Dankeschön' hätte es auch getan, du Bastard!" knurre ich. Seine Erwiderung besteht darin, den Eisbeutel kommentarlos in meinen Schoß fallen zu lassen. Waaah! Autsch! Kalt! Ungünstige Stelle! Hastig und mit wedelnden Händen entferne ich das Eis von meinen Kronjuwelen, bevor es dauerhaften Schaden anrichten kann und die edlen Teile noch an Wert verlieren.
 

"Sieh es ein - das Chaos, was du rechts und links um dich verbreitest, kannst du nicht immer mit einem Eisbeutel beseitigen." Es klingt nachdenklich. Oder es würde nachdenklich klingen, wenn es nicht Kaiba wäre, der es sagen würde. "Aber es ist typisch für dich, dass du es versuchst."
 

Weltfrieden ... ist nur einen Eisbeutel entfernt!

Was für ein Chaos denn? Er ist doch derjenige, der mich mit seinem Verhalten die Wände hochtreibt ... Ich komme nicht mehr dazu, etwas Produktives zu erwidern und auch nicht mehr dazu, ihn zu fragen, was das jetzt wieder bedeuten soll, denn in diesem Moment hält der Wagen an.

Verdammter Mist. So lange wir in einem fahrenden Auto festsaßen, konnte er mir wenigstens nicht aus dem Weg gehen. Jetzt sieht das schon gleich ganz anders aus. Ich höre wie jemand aussteigt und um das Auto läuft, dann wird auf Kaibas Seite die Tür geöffnet. Natürlich ist es Roland.
 

"Wir sind da, Sir."

Verdammt.

Angespannt sehe ich Kaiba an und warte auf etwas von ihm ... irgendetwas, ein Wort, ein Blick, ein Signal, irgendetwas, dass man als Versuch zwischenmenschlicher Kommunikation werten könnte. Irgendetwas, das ... mir irgendetwas sagt.

Ich meine, er kann ja jetzt schlecht aussteigen und mich hier sitzen lassen, als ob alles normal und in Ordnung wäre ...
 

"Danke, Roland."

Okay. Er KANN.

Ohne einen weiteren Blick an mich zu verschwenden, greift Kaiba nach seinem Aktenkoffer und steigt aus. "Bringen sie Wheeler zurück in die Schule. Danach fahren sie wieder hierher und kommen in mein Büro", befiehlt er.
 

Mein Unterkiefer liegt irgendwo auf dem Boden und ich habe Mühe ihn wieder hochzukriegen. Was soll das denn jetzt?! Was denkt der sich? Ich erwarte ja wirklich nicht viel von ihm - aber doch mehr als das! Er kann mich doch nicht einfach so sitzen lassen! Ist das jetzt sein neues Hobby? Lassen wir Joey doch einfach mal irgendwo sitzen?!
 

"Natürlich, Sir."
 

"Verzichte, kein Bedarf." Grade noch halte ich die zufallende Tür auf, krabbele aus dem Auto und stürze hinter ihm her. "Verdammt Kaiba, warte!"
 

"Master Joey - ihr Rucksack!"
 

"Ups ... danke, Kumpel." Hastig reiße ich ihn Roland aus der Hand und sprinte Kaiba hinterher, der mit raschen Schritten auf den Eingang der Kaiba Corporation zugeht. Er sieht nicht nach rechts und nicht nach links, und definitiv nicht zu mir. Er geht so schnell, dass es haarscharf davor ist, als weglaufen klassifiziert zu werden. "Warte gefälligst! Wir sind noch nicht fertig miteinander!"
 

"Roland?"
 

"Sir?"
 

"Ich überlasse ihn ihrer Verantwortung. Sorgen sie dafür, dass er pünktlich zum Englischunterricht wieder in der Schule ist. Irgendwie."
 

"Aber Sir ...?"
 

"Notfalls tragen sie ihn ins Auto."
 

"Master Joey, wenn ich sie höflich bitten darf ..."
 

"Hey, ich kann Karate!" fauche ich vorsichtshalber, auch wenn Roland keine Anstalten macht, mir zu nahe zu kommen. Er sieht einfach nur unsicher zwischen uns beiden hin und her und fährt mit einem Taschentuch über seine feuchte Stirn, während er uns hinterherläuft.
 

"Das halte ich für ein Gerücht." Kaiba hebt seine freie Hand, zieht eine Chipkarte aus seiner Tasche und lässt sie durch einen Schlitz an der Tür gleiten. Sein Blick ist so abweisend, als hätte ich nicht grade Krankenschwester für ihn gespielt und vor weniger als zwanzig Minuten noch in seinem Schoß gelegen. Als wären wir nur so was wie weitläufige Bekannte, die sich grade zufällig begegnet sind, und ich hätte ihn um Geld angebettelt oder so was. Ich meine, ich erwarte ja nicht, dass er mich irgendwie besonders behandelt ... okay, vielleicht doch ... aber nur ein bisschen ... bitte, lass mich nicht hier stehen, Kaiba ...!
 

Frustriert hebe ich die Arme. "Hallo? Sieh mich wenigstens an, wenn ich dich anschreie!"
 

"Oh Bitte. Langsam wird dein Auftritt peinlich ..."
 

"Peinlich?" fauche ich wütend. "PEINLICH?! Du hast keine Ahnung, wie peinlich ich werden kann, wenn du es darauf anlegst! Was soll ich denn tun, damit du mir endlich zuhörst? Mir ein Baströckchen aus Duellmonster-Karten umhängen und Lambada tanzen?!"

Roland gibt ein komisches Geräusch von sich, was haarscharf an einem Lachen vorbeischrammt, aber er schafft es grade noch rechtzeitig, es als Räuspern zu tarnen. Kaiba wirft uns beiden einen vollkommen überstrapazierten Blick zu.
 

"Wheeler, ich habe es dir schon einmal gesagt - ich habe im Moment Wichtigeres ..."
 

"Ihr Zugang wurde verweigert."
 

Wir halten beide gleichzeitig inne und starren auf die Tür. Sekundenlang sind sämtliche Differenzen kurzfristig beigelegt. Habe ich das grade richtig gehört? Hat er sich vielleicht in der Haustür geirrt? Seine eigene Firma verweigert ihm den Eintritt? Seinem Blick nach zu urteilen, kann Kaiba es offenbar auch nicht glauben.
 

"Verdammt, was soll das?!" zischt er und lässt die Karte erneut durch den Schlitz gleiten. Man kann einiges über ihn sagen, aber Geduld gehört nicht zu seinen Tugenden.
 

"Ihr Zugriffscode konnte nicht identifiziert werden. Ihr Zugang wurde verweigert", verkündet die mechanische Stimme, und es dauert einen Moment, bis ich trotz des ausdruckslosen Tonfalls erkenne, wessen Stimme das ist. Meine Augen weiten sich überrascht.
 

"M.I.C.A ...!" grollt Kaiba in einem Tonfall, den er sonst nur für sein leidenschaftliches "Wheeler!!" reserviert hat. Er atmet tief durch, und ich kann förmlich sehen, wie er innerlich um Kontrolle ringt. Seine Bewegungen, mit denen er die Karte erneut durchzieht, sind ungewohnt fahrig, beinah hektisch. Man könnte meinen, er kann es wirklich kaum abwarten, von hier wegzukommen. Hat er wirklich so einen Widerwillen dagegen mit mir zu reden ...?

"Roland!"
 

"Sir?" Es klingt nervös.
 

"Was hat das zu bedeuten? Ich dachte, wir hätten dieses ...Problem erledigt."
 

"Nun ja, Sir ... nicht direkt ..."
 

"Keine Ausreden! Ich hatte doch angeordnet sämtliche infizierte Programme neu zu konfigurieren!"
 

Ich tausche verwirrte Blicke mit Roland aus - so weit man eben mit jemandem Blick austauschen kann, der eine Sonnenbrille trägt. "Was ist los?" zische ich leise in seine Richtung.
 

Roland sieht vorsichtig zu seinem Boss, der damit beschäftigt ist wütend Zahlen auf eine Schaltfläche einzuhämmern, bevor er zurückflüstert. "Das geht schon den ganzen Tag so. Machen sie sich keine Gedanken. Scheinbar eine ... ähm ... Störung im System."
 

"Störung?" Also bitte, wen versucht er denn davon zu überzeugen? Das ist keine Störung - das ist Zickenterror!

Aber irgendetwas an Mika ist komisch. Ihre Stimme ist vollkommen tonlos und sie wiederholt nichts weiter, als die drei einprogrammierten Standardsätze. Da sind keine Beleidigungen, keine bedrohlich herumfahrenden Kameras, keine Laserwaffen, die auf uns gerichtet werden und kein psychopathisches Gelächter. Niemand, der mir an die Wäsche will. Irgendetwas ist nicht in Ordnung hier, so viel ist sicher.
 

"Ihr Zugang wurde verweigert", wiederholt sie grade monoton, und langsam beginne ich, mir ein wenig Sorgen zu machen. Kaiba hat ihr doch wohl nichts angetan, oder? Ich meine, so was wie ein paar lästige Zeugen beseitigt ... Zeugen für gewisse ... unliebsame Ereignisse der letzten Nacht ...

Gruseliger Gedanke. Aber zuzutrauen wäre es ihm.
 

"Kaiba!" Ich bin selbst überrascht, als ich mich plötzlich mit ausgebreiteten Armen zwischen ihm und der Tür wiederfinde. "Was machst du denn da?! Wieso bist du so gemein zu ihr?"
 

Mit schmalen Augen sieht er mich an. "Ich weiß nicht, wovon du redest. Und jetzt verschwinde gefälligst, Wheeler."
 

"Verdammt ... 'Wheeler' mich nicht!", zische ich so leise, dass Roland es nicht hören kann.
 

"Geh mir aus dem Weg! Ich kann das jetzt nicht gebrauchen ...!" zischt er ebenso leise zurück.
 

"Sag mir einfach, was hier los ist! Und wag es nicht, so zu tun, als ob mich das nichts angeht!" Ich könnte wetten ... ich könnte so was von wetten, dass das irgendwas mit letzte Nacht zu tun hat - und mit der Tatsache, dass Mika uns gesehen hat ...
 

"Ich habe keine Zeit für ...!"
 

"Ich weiß, ich weiß! Du hast keine Zeit für mich. Erzähl mir doch mal was Neues!" Frustriert fahre ich mir durch die Haare und senke meine Stimme noch mehr. "Denkst du nicht, dass du mir wenigstens das schuldest? Ein bisschen Zeit ...?"
 

"Herrgott ..." Er stützt die Hände rechts und links von mir an der Sicherheitstür ab, schließt sekundenlang die Augen und atmet tief durch. "Joey ..."
 

Überrascht klappe ich den Mund wieder zu und beiße mir auf die Unterlippe, vergesse alles was ich sagen wollte.

Es ist nur ein einziges Wort, mein Name ... aber es klingt so gequält und beinah bittend ... wenn man von der Tatsache absieht, dass Kaiba nicht bittet. Ich sehe genauer hin, und zum ersten Mal merke ich, wie müde er aussieht. Müde. Frustriert. Erschöpft.

Ist das der Grund, wieso er die ganze Zeit vor mir davonläuft ...?

Nicht, weil er nie wieder mit mir reden und mich nie wieder sehen will - auch wenn man diese Möglichkeit nicht außer Acht lassen sollte -, sondern nur, weil ihn das alles genauso überfordert wie mich ... weil er genug andere Probleme am Hals hat und nicht die Energie und den Nerv, sich auch noch mit Klein-Joeys Herzweh auseinanderzusetzen?

Er wirkt so gehetzt, als macht es ihm Angst, mit mir zu reden. Als rechnet er jeden Moment damit, dass ich ihm etwas sage, dass er nicht hören will. Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wieso er davonläuft ... und ich weiß nicht, was ihm so zusetzt.

Alles was ich weiß, ist, dass die ganze Wut auf ihn, die sich in mir angestaut hat, von einer Sekunde auf die andere verschwunden ist.
 

"Hey ...", sage ich leise und schlucke sekundenlang alles andere, was mir auf der Seele brennt hinunter. "Was wenn du mit ihr redest und sie einfach nett bittest? Vielleicht macht sie dir dann auf?"
 

"Nein. Glaub mir, das wird nicht funktionieren."
 

"Wieso nicht?"
 

Er zögert kurz. "... weil ich ihre Persönlichkeit heruntergefahren habe."
 

"Du hast ... WAS?!" Also, das glaube ich jetzt nicht ... "Wie zum Teufel geht das denn?!"
 

Er seufzt und schüttelt den Kopf. "Frag nicht. Frag einfach nicht. Details würden jetzt zu lange dauern."

Oh man ... ich wusste es. Er hat sie umgebracht. Mundtot gemacht. Aus dem Weg geräumt! Mit Beton an den Füßen im Fluss versenkt!! Irgendwie so.
 

"Sir? Kann man ihnen helfen?" höre ich Rolands besorgte Stimme hinter uns. Abwartend sehe ich Kaiba an, aber er antwortet nicht. Seine Augen sind geschlossen und er sieht aus, als wünscht er sich überall zu sein, nur nicht hier und jetzt, und nicht mit mir.
 

"Sir ...?"
 

"Ist schon in Ordnung", sage ich in diesem Moment und nehme Kaiba die Antwort ab. Ich lasse meine Finger knacksen. "Lassen sie mich mal ran ... ich kenne mich total aus mit technischen Dingen." Glatt gelogen - aber wir brauchen ein bisschen Optimismus. "Kaiba ...? Ich brauche deine Karte." Blaue Augen öffnen sich und funkeln mich an, aber er sagt nichts und lässt wortlos zu, dass ich sie ihm aus der Hand nehme. Widerwillig richtet er sich auf und lehnt sich neben die Tür, mit dem Rücken an die Wand. Seine Arme sind verschränkt und er sieht mir zu.
 

"Wieso sollte sie ausgerechnet dir aufmachen?"
 

Ich atme tief durch und drehe mich um. "Frauen mögen es einfach nicht, wenn man so unhöflich ist, klar? Tea gibt mir ihre Hausaufgaben auch nur, wenn ich sie darum bitte."

So nett wie man einem weiblichen Wesen eben irgendwo irgendwas reinstecken kann, ziehe ich die Karte durch den Spalt. Nichts tut sich.
 

"Okay, was immer er getan hat ... ich rede mit ihm, ja?" verspreche ich der Sicherheitstür. "Er kann es sicher wieder umprogrammieren! Ehrenwort! Aber dafür musst du uns erst reinlassen."

Kaiba schnaubt verächtlich, aber er sagt nichts.
 

Ich ziehe die Karte noch einmal durch, so vorsichtig, als wäre sie aus Glas. "Bitte", flüstere ich leise, so leise, dass Kaiba es nicht hören kann. "Er ist echt ziemlich neben der Spur ... nicht, dass er noch anfängt, Amok zu laufen ..."

Sekundenlang passiert gar nichts, so als ob Mika das erst mal verarbeiten muss. Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, denn laut Kaiba ist das eigentlich nicht mehr möglich. Sekunden später blinken ein paar Lichter auf.
 

"Zugang gestattet. Seto Kaiba ... erkannt."
 

Perplex starre ich auf die Tür. Und auf die Karte in meiner Hand. Tür. Karte. Tür. Karte.

"Oh ...!" Das kommt jetzt nicht wirklich intelligent rüber, aber wer hätte schon gedacht, dass das mit dem ,Nett bitten' tatsächlich funktionieren würde?!

Euphorisch fahre ich herum, absolut begeistert von mir selbst. "Hey wow - ich habe es tatsächlich ..."
 

Kaiba räuspert sich. "Wenn du mich jetzt netterweise durchlassen würdest ..."
 

... mal wieder geschafft, mir selbst ans Bein zu pinkeln.

Nein ... bitte.

Wieso hätte ich mir das eigentlich gleich denken können? Mein Mund klappt zu.

Wortlos senke ich den Blick und trete einen Schritt beiseite, meine ganze Euphorie auf einen Schlag verpufft. Innerlich möchte ich mich am liebsten selbst ohrfeigen. Wieso bin ich nur so unglaublich blöde, blöde, blöde?! So lange er noch ausgesperrt war, konnte er wenigstens nicht wegrennen ... und ich gehe hin und ermögliche es ihm höchstpersönlich, sich jetzt vom Acker zu machen und mich ein weiteres Mal einfach stehen zu lassen.

Nummer zehn an diesem Tag. Aber wer zählt schon mit.

Was musste er auch so fertig aussehen ...
 

Wortlos nimmt er die Karte aus meiner Hand, als er an mir vorbeigeht. Auf ein einfaches ,Danke' zu warten, ist jetzt wohl nicht drin, was ...? Nein, schon okay ...

Ich sehe ihm nach und diesmal bin ich stumm. Sogar ich weiß, wann ich verloren habe.

"Roland!"
 

"Sir?"
 

"Besorgen sie mir einen ausführlichen Bericht aus der Sicherheitsabteilung. Ich erwarte sie in einer halben Stunde in meinem Büro."
 

"Natürlich, Sir."
 

Das Sicherheitsglas gleitet auseinander, als er darauf zugeht, Roland direkt bei Fuß. Und zum ersten Mal in meinem Leben beneide ich jemanden darum, dass er Kaibas Hund sein und ihm hinterherlaufen darf. Schön dumm, nicht wahr?

Gleich werden die Türen zu sein und ich werde mal wieder hier stehen, wie bestellt und nicht abgeholt ... ohne ein Wort von ihm ... ohne eine einzige Antwort auf irgendeine Frage ... und die Fahrmöglichkeit zurück zur Schule habe ich jetzt vermutlich auch verschenkt ...

Ich gehöre nicht hier her. In diese Welt, wo man durch Sicherheitstüren muss und Zahlencodes eingeben, wenn man zu seinem Zimmer will ... und wo es eine Sicherheitsabteilung gibt und Hightech-Programme mit Persönlichkeit. Das ist seine Welt ... und ich werde niemals ein Teil von ihr sein. Vielleicht war es in erster Linie dumm ... einfach dumm und hoffnungslos, es überhaupt zu versuchen.
 

Kaiba bleibt stehen. Mitten im Satz dreht er sich zu mir um und sieht mich sekundenlang einfach an. Ich weiche seinem Blick aus, dankbar über den langen, zotteligen Pony, der mir ins Gesicht fällt und meine Augen verbirgt. Vermutlich sehe ich grade jämmerlich aus, lächerlich ...wie ein Hund, der grade sein Herrchen verloren hat. Und wenn er wüsste, dass ich das denke, müsste ich mich umbringen.

Verärgert runzelt er schließlich die Stirn. "Was ist? Hast du vor, hier festzuwachsen?"
 

Mein Kopf fliegt hoch. Ungläubig sehe ich ihn an. "...was?"
 

"Du wolltest doch reden, oder?" Seine Miene ist an Herablassung und Desinteresse nicht mehr zu überbieten. Aber da ist noch irgendetwas anderes ... schwer Lesbares in seinem Blick. Ein Gefühl von ihm, dass ich nicht zu fassen kriege. Und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, es ist Unsicherheit ...

Mir fehlen die Worte, also nicke ich nur heftig.
 

"Schön." Er verschränkt die Arme. "Ich habe jetzt genau eine halbe Stunde Zeit für dich. Und die Uhr läuft - also setz dich lieber in Bewegung."
 

Er hat eine halbe Stunde Zeit freigeschaufelt ... nur für mich?! Eine ganze halbe Stunde reine, kostbare Kaiba-Zeit ... Das ist das Beste, was ich an dem ganzen Tag höre.

Ich kann nicht anders - ein Grinsen breitet sich auf meinem Gesicht aus, als ich ihm hinterhersprinte und grade noch so durch die sich schließenden Türen schliddere, die hinter mir mit einem dezenten Geräusch zusammen gleiten. Ein weißer Drache aus Pappe wackelt bedenklich, als ich daran vorbeisause, und ich höre ein paar Leute in Anzügen schockiert nach Luft schnappen.
 

"Master Wheeler, fallen sie nicht hin - der Boden ist frisch gebohnert."
 

"Roland, sie sind ein echter Kumpel!"
 

Kaiba verdreht die Augen und dreht sich um ... aber ich kann grade noch den schwachen Abglanz eines Lächelns auf seinen Lippen sehen.

Pass auf Kaiba Corp. - hier kommt Joey!
 


 

But my dreams they aren't as empty

As my conscience seems to be

I have hours, only lonely

My love is vengeance

That's never free
 

^tbc^

Im Glashaus

Warnung: Irgendwie ist dieses Kapitel total daneben ... Ansonsten: OOCness. Kitsch (?).
 

Danke an alle Kommentarschreiber!! Ihr seid die Tollsten, ehrlich ich wüsste gar nicht, was ich ohne euch machen sollte.
 


 

~ The moment I let go of it was

The moment I got more than I could handle

The moment I jumped off of it was

The moment I touched down ... ~
 

(Alanis Morissette: "Thank You")
 


 

Ein kluger Mensch hat mal gesagt: Je mehr man weiß, desto mehr Fragen hat man.

So weit ich mich erinnere, bezog sich das auf Astrophysik - aber man kann es genauso gut auf Seto Kaiba anwenden.

Ich weiß eine Menge über Kaiba. Wenn man jahrelang mit jemandem streitet, bleibt das vermutlich nicht aus. Aber je mehr ich über ihn weiß, desto mehr habe ich das Gefühl eigentlich gar nichts zu wissen ... und dass das Ende überraschender Erkenntnisse bei ihm niemals in Sicht ist. Je länger wir uns kennen, desto mehr Fragen habe ich an ihn ... und das Schlimmste ist, dass ich nicht einmal weiß, ob er die Antworten darauf kennt oder überhaupt bereit ist, sie mir zu sagen.
 

Im Augenblick muss ich mich allerdings nur mit einer Frage auseinandersetzen.
 

"Kaffee oder Tee?" fragt sie kühl.
 

"Ähm ...also ..." Das Leder quietscht ein wenig, als ich unsicher darauf hin- und herrutsche. Ich finde es seltsam, wenn andere Menschen mich bedienen. Sogar in Restaurants fühle ich mich dabei unwohl, und erst Recht, wenn es die Privatsekretärin von Seto Kaiba ist, die garantiert einen Abschluss an irgendeiner Elite-Universität gemacht hat, wo ich es mir nicht einmal leisten könnte, ein belegtes Brötchen zu essen. Außerdem trinke ich nicht einmal gerne Kaffee. "... kann ich auch eine Limo haben?"
 

Ihre schmalen Augenbrauen bewegen sich ungefähr einen Millimeter nach oben, ansonsten bleibt ihr Gesicht unbewegt. Offensichtlich verlangen hier nicht so oft Leute nach einer Limonade. "Ich denke, das lässt sich einrichten", erwidert sie gedehnt, während ihr Blick irgendwo an meinen Turnschuhen hängen bleibt. Unsicher höre ich auf, damit zu wippen.
 

"Ach ja - und bitte ... keine Diätlimo oder irgendwas, wo ,Light' draufsteht."
 

Ihr Blick spricht Bände und sagt irgendwas von wegen ,Extrawürste'. "Ich werde sehen, was wir haben."
 

Ihre Stimme ist höflich bis zur Perfektion und ihr hübsches Gesicht ist unbewegt, aber trotzdem schafft sie es grade noch so viel Geringschätzung für mich hineinzulegen, dass es mir plötzlich irgendwie peinlich ist, dass ich in meinen ausgelatschten Turnschuhen und mit zerzausten Haaren hier sitze und meine Schuluniform auch schon mehr als schäbig aussieht. Da ist immer noch das Loch im Knie, welches ich Kaibas Ferrari zu verdanken habe, und auf meiner Wange klebt ein Pflaster mit kleinen Teddybärchen. Straßenköter hat er mich mal genannt ... ist schon eine Weile her und war kein schönes Gefühl - denn sogar damals dämmerte mir schon, dass er vermutlich nicht ganz Unrecht damit hat ...

Ich weiß, dass ich nicht hierher gehöre und sie weiß es auch. Sie weiß, dass ich weiß, dass sie es weiß.

Sie macht Anstalten sich umzudrehen und auf ihren Zehnzentimeterabsätzen davon zu stöckeln. Aus reinem Widerspruchsgeist, und weil ich es hasse, so herablassend behandelt zu werden, füge ich schnell hinzu: "Machen sie ein Schirmchen rein."
 

"Ein ... Schirmchen?" Sie wendet sich um und ihre dunkelroten Lippen werden zu einem schmalen Strich.
 

Ich nicke, plötzlich sehr angetan von der Idee. "Ja, und dieses Zeug, das bei Cocktails immer am Rand ist - die ganze Früchtedeko. Und ein Strohhalm! Bitte", füge ich höflich hinzu.
 

Ihre Mundwinkel zucken nach unten und sie muss sich offenbar Mühe geben, die glatte Fassade zu behalten. "Wenn Sie das wünschen."
 

Ich sehe ihr nach, als sie verschwindet und empfinde ein klein wenig billig erkämpften Triumph dabei. Hey, vielleicht war sie ja auf einer schicken Elite-Uni. Und vermutlich haben allein ihre Schuhe mehr gekostet, als wir im Monat an Miete bezahlen. Und sie rollt ihr ,R' wirklich ganz bezaubernd.

Aber ich kriege wenigstens ein Schirmchen in meine Limonade.

Man muss sich auch mit kleinen Lichtblicken zufrieden geben.
 

Während ich warte, habe ich endlich Zeit mich umzusehen. Ich war zwar schon einmal in Kaibas Wartezimmer - aber damals war ich nass und habe gefroren und war mehr als nur ein bisschen angesäuert. Jetzt sitze ich in einem edlen, schwarzen Luxusledersessel, der breiter ist als mein Bett und garantiert so viel gekostet hat wie ein halber Ferrari - ob da noch irgendwo ein Preisschild dran klebt? -, und warte auf eine Sekretärin, die mir eine Limonade bringt. Und auf Kaiba.
 

Richtig gehört. Der Penner hat sich aus dem Staub gemacht und ist in seinem Büro verschwunden, sobald wir oben waren. Nachdem er mir befohlen hat mich hinzusetzen und nichts schmutzig zu machen. Irgendwo war da auch noch die Rede von wegen ,nicht auf den Teppich pinkeln' und ,stubenrein', aber das habe ich Großzügigerweise mal überhört.
 

Hier oben ist also die elitäre Chefetage. Im Hellen ist sie sogar noch beeindruckender als letzte Nacht - aber da hatte ich echt keinen Nerv um auf meine Umgebung zu achten. Alles ist voll mit Glas und Chrom, edlem schwarzem Holz und weißen Wänden. Die wenigen Mitarbeiter, die hier herumlaufen, sehen furchtbar beschäftigt aus und schleichen nur auf Zehenspitzen um sein Büro herum. Die meisten bleiben allerdings kurz stehen, als sie mich sehen und werfen mir seltsame Blicke zu. Hoffentlich überlegt keiner, den Sicherheitsdienst zu rufen und mich entfernen zu lassen.

Vermutlich falle ich hier auf, wie ein bunter Hund ... Aber hey - ob es ihnen passt oder nicht, ich bin ein Teil von Kaibas Leben. Es mag ein kleiner, nervtötender und überflüssiger Teil sein und er mag Kaiba nicht gefallen ... aber es ist einfach so. Genau ... es ist einfach so. Ich habe ein Recht hier zu sein, wiederhole ich in meinem Kopf.
 

"Ich habe die Limonade in Mr. Kaibas Büro bringen lassen", ertönt es unerwartet hinter mir und ich fahre zusammen. "Mit dem Strohhalm." Erstaunlich wie viel Verachtung man in ein einziges Wort legen kann ... "Er erwartet sie jetzt."
 

Ich springe auf und nicke. "Okay ... okay..." Hektisch fahre ich mir durch die Haare und versuche den Wischmopp auf meinem Kopf in irgendeine erkennbare Ordnung zu bringen, was nicht so leicht ist. Der Stunt in seinem Auto hat meine Frisur nicht unbedingt verbessert.
 

"Folgen Sie mir, bitte", befiehlt sie steif und dreht sich um, ohne auf mich zu warten.
 

Ich bin immer noch damit beschäftigt durch meine Haare zu fahren und setze mich hastig in Bewegung, um mit ihr Schritt zu halten. Sie wirft mir beim Laufen kurze, abwertende Blicke zu, so als kann sie gar nicht fassen, was für ein seltsames Subjekt ich bin. Jetzt wo ich neben ihr herlaufe, fällt mir auf, dass sie gar nicht so groß ist, wie sie eben noch gewirkt hat, sondern grade so bis an mein Kinn reicht - und dass auch nur dank der hohen Absätze.

Das ist bei meiner kleinen Schwester auch so ... oder es wäre so, wenn Serenity hohe Absätze anziehen würde.

Sofort tut es mir beinah leid, dass ich eben so ungezogen zu ihr war.
 

Es ist idiotisch, ich weiß, aber ich muss bei fast jeder Frau an meine kleine Schwester denken ... und daran, wie wütend ich werde, wenn irgendjemand unhöflich oder gemein zu ihr ist, ganz egal in welcher Situation. Langsam lasse ich die Hände sinken und schiebe sie in die Hosentaschen, komme mir plötzlich groß und ungelenkig neben ihrer schmalen, eleganten Gestalt vor.
 

"Sie können sich schon mal setzen." Sie öffnet die Tür zu seinem Büro und hält sie für mich auf. "Er wird gleich bei ihnen sein."

Ich will etwas erwidern, aber ich kriege den Mund nicht auf. Schon von draußen kann ich das riesige, bunte Cocktailglas sehen, dass auf seinem Schreibtisch steht und mehr oder weniger sprachlos bleibe ich stehen. Kann ich ahnen, dass sie es gleich so übertreiben muss?

Es ist gigantisch. Es ist ... bunt. Es hat ein neongrünes Schirmchen und einen pinkfarbenen Strohhalm, und die Früchte, die kunstvoll an die Ränder gesteckt wurden, sind so exotisch, dass ich von der Hälfte nicht einmal die Namen nennen könnte. Ein Hauch von Karibik und Sommerurlaub umweht das Glas und es wirkt absolut deplaziert und geradezu absurd in dem durch und durch technisch kühlen, funktionellen Raum.
 

"Darf ich die Tür schließen?" fragt sie kühl.
 

"Ja ... klar ... ich meine ..." hastig trete ich einen Schritt weiter in das Büro, um ihr nicht mehr im Weg zu stehen und drehe mich noch einmal zu ihr um. "Danke ...", murmele ich verlegen, "wegen dem Schirmchen und so."
 

Sekundenlang sieht sie aufrichtig überrascht aus, als ist sie es nicht gewohnt, dass sich jemals irgendwer bei ihr bedankt. Sofort räuspert sie sich hastig und schenkt mir ein winziges Lächeln, bevor sie sich umdreht.

Ich glaube, diesmal ist es ehrlich gemeint.
 

Ich schlendere langsam auf seinen Schreibtisch zu, unsicher, ob ich mich einfach setzen soll oder lieber noch ein bisschen dumm hier herumstehen. Die Entscheidung wird mir abgenommen, bevor ich sie treffen muss. Im selben Moment, als die Tür mit einem endgültigen Geräusch hinter mir geschlossen wird, öffnet sich eine kleine Seitentür hinter dem Schreibtisch.
 

Mein Kopf fliegt hoch und ich erstarre mitten in der Bewegung. Es ist Kaiba.

Er hat sich umgezogen und die blaue Schuluniform gegen seinen weißen, langen Mantel eingetauscht. Er sieht sehr professionell aus, kühl, kontrolliert und unangreifbar. Jede Spur von Emotion ist aus seinem Gesicht verschwunden, als hätte er sich grade innerlich für dieses Gespräch gewappnet. Vermutlich hat er das.

Er sieht vertraut aus und gleichzeitig sehr fremd ... so, als hätte ich ihn schon eine Weile nicht mehr genau angesehen. Irgendwas ist anders - aber ich komme nicht darauf, was es ist. Aber ich starre ihn länger an, als ich das sonst tue.

Er wirft mir einen kurzen, seltsamen Blick zu und geht in langen zielstrebigen Schritten zu seinem Schreibtisch. Seine Schritte werden langsamer, als er das gefährlich aussehende, poppig bunte Glas mitten auf seinem Schreibtisch sieht. Abrupt bleibt er stehen.
 

"Was zum Teufel. Ist. DAS?"
 

"Das ... oh ... meine Limonade." Ich greife danach und schiebe mir den Strohhalm zwischen die Lippen. Mein Mund ist trocken und Limo kommt mir plötzlich vor wie eine gute Idee.

Er betrachtet das Ganze mit Argwohn.

"So etwas haben wir hier?"
 

"Keine Ahnung - das ist deine Firma. Auch ein Schluck?" Ich halte es ihm hin.

"Nein." Er sieht das Getränk an wie ein giftiges Subjekt und runzelt die Stirn. "Ich darf dich bitten nirgendwo hinzukleckern - die Schäden könntest du nicht bezahlen."
 

Ich schiebe mir eine glasierte Kirsche in den Mund und verdrehe die Augen, aber verkneife mir ausnahmsweise jede Erwiderung.

Ich bin hier, in Kaibas Büro. Ich trinke Limonade mit Schirmchen. Seit zehn Minuten verpasse ich die Schule. Das ist vollkommen okay für mich. Wirklich.
 

Er setzt sich hin und überschlägt die Beine. Der Schreibtisch zwischen uns wirkt riesig, als wäre er mindestens zehn Meter breit und ist so hoch wie eine Mauer. Kaiba versucht aus der ganzen Angelegenheit eine Art Geschäftstermin zu machen, und ich muss kein Psychologe sein, um das zu merken. Deswegen auch das Büro und der Mantel und seine Sekretärin, und dass er mich hat warten lassen. Aber das ... Kaiba, das ist nicht geschäftlich ... das ist nicht wie ein kaputtes Fahrrad, welches du einfach bezahlen musst und alles ist gut ...

Mein Herz klopft. Zugegeben, es ist normal, dass es klopft - es wäre beunruhigend, wenn es das nicht täte. Aber normalerweise macht es dabei nicht so einen Aufstand.

Ich bin nervös und ich weiß nicht, ob ich das so gut kaschieren kann wie er.

Endlich sind wir allein. Und er ist bereit und willig. Zum äh ... Reden.
 

"Also gut." Er ist derjenige, der das unangenehme Schweigen zuerst bricht. "Dir bleiben noch exakt 19 Minuten und 37 Sekunden."
 

"Oh, komm schon!" protestiere ich beinah aus Reflex und stelle das Glas ab. "Du kannst mir doch nicht die Zeit abziehen, die wir im Aufzug gestanden haben! Oder wo du dich umgezogen hast!" Nach einer kurzen Pause füge ich unschuldig hinzu: "Ich finde es übrigens nett, dass du dich extra für mich schick machst."
 

Sein Blick spricht Bände und sagt deutlicher als tausend Worte, dass er nicht in Stimmung ist für Scherze. Nun ja, es war einen Versuch wert. "Komm zum Punkt. Was willst du?"
 

Ich nicke brav und atme tief durch. Also gut. Zum Punkt. Zu dumm, dass ich keine Ahnung habe, was der Punkt ist. "Also ... ich ... ähm ... weißt du ..." Meine Finger verknoten sich vor lauter Nervosität und ich gebe mir verzweifelt Mühe einen halbwegs vernünftigen Satz zustande zu bringen. "Es ist ...es geht ... also ..."
 

"Ja, bitte?"
 

Meine herumschweifenden Augen fallen auf das poppigbunte Limoglas. "Du hast eine nette Sekretärin", stottere ich in Ermangelung etwas besseren.
 

Er hebt eine Augenbraue. "Wer - Michalina?"

Ich nicke, ein wenig überrascht von dem fremdländisch klingenden Namen.

Ungeduldig schüttelt er den Kopf. "Sie ist nicht meine Sekretärin."
 

"Aber sie hat ..."
 

"Bist du hier, um über meine Angestellten zu sprechen?"
 

"Ähm ... ja!" Ich nicke heftig. Hastig spreche ich das Erste an, was mir in den Sinn kommt. "Was ist mit ... Mika?" Das ist nicht das, was ich fragen wollte, aber das ist immerhin auch wichtig. Zumal ich das dumpfe Gefühl habe, dass das um drei Ecken herum auch irgendwie mit uns zu tun hat ...
 

"Was soll mit ihr sein?"
 

"Das mit ihrer Persönlichkeit ... das kapiere ich nicht. Wieso kannst du sie runterfahren? Was hast du mit ihr gemacht? Und wieso?"
 

Er seufzt und seine Finger spielen mit einem Kugelschreiber. "Wir hatten eine kleine Auseinandersetzung", erwidert er knapp. "Und ich kann kein zickiges Sicherheitssystem gebrauchen."
 

Ich runzele die Stirn. "Du kannst sie doch nicht einfach abschalten, wenn ihr nicht einer Meinung seid!"
 

"Ach nein? Glaub mir - ich arbeite daran, dass bei dir auch hinzukriegen."
 

Ich würde ja lachen, aber leider befürchte ich, dass das grade kein Witz war. Zum Glück habe ich keinen Knopf, den er drücken kann, um mich abzustellen - sonst würde er vermutlich ununterbrochen darauf herumdrücken. "Über was habt ihr gestritten?" frage ich stattdessen.
 

Er sieht mich nicht an. "Sie hat mir den Zugriff zu gewissen Dateien verweigert."
 

"Dateien ...?"
 

"Geht dich nichts an, Whee-..." Er hält inne und sieht auf. Der Kugelschreiber wird mit einem scharfen Klicken zugeklickt. "Wieso zum Teufel bestehst du eigentlich darauf, dass ich dich Joey nenne?"
 

Wieso bestehen ... was soll das denn heißen? Er hat doch damit angefangen mich so zu nennen! Das weiß ich ganz genau! Es ist ja nicht so, als ob ich großen Wert darauf lege würde...

Alles, was ich weiß ist ... wenn er ,Wheeler' sagt, dann wird er wieder herablassend und gemein. Das macht er nur, wenn er merkt, dass ich ihm zu nah gekommen bin ... und er wieder diese Scheißdistanz um sich herum aufbauen möchte, die ihm so schrecklich wichtig ist. Aber das kann ich ihm natürlich nicht sagen.

"Weil das mein Name ist?" schlage ich stattdessen vor.
 

Streng sieht er mich an. ",Joey' ist ein Diminutiv."
 

"Hey, beleidige meinen Namen nicht!"
 

"Das bedeutet Verniedlichungsform." Er verdreht die Augen. "Ich finde dich aber nicht niedlich."
 

"Tust du nicht?"
 

"Sehe ich vielleicht so aus?"
 

Sekundenlang blitzt etwas von dem alten Kaiba auf ... dem Kaiba, den ich kenne und der mir auf eine Weise vertraut ist, wie nur jahrelange Intimfeinde es sein können. Aber sofort ist er wieder weg, und an seiner Stelle sitzt wieder der kühle Geschäftsmann vor mir, den ich nicht wirklich kenne ... und mit dem man nicht reden und nicht streiten kann, und von dem ich keine Antworten erhalten werde. Der will, dass ich wieder verschwinde und keine Spuren in seinem Leben hinterlasse ...

Wir schleichen wie Katzen um den heißen Brei herum. Wow, also das ist ganz neu. Normalerweise tun wir das nicht ... oder doch? Ich habe das Gefühl, dass ich ununterbrochen versuche, ihm eigentlich etwas ganz anderes zu sagen ... aber die Worte kommen einfach nicht raus. Es funktioniert nicht. Der direkte Draht zwischen meinem Mund und meinem Gehirn war ja noch nie besonders ausgeprägt ... aber jetzt im Augenblick scheint er sich grade absolut in Luft aufgelöst zu haben. Er scheint es ebenfalls zu bemerken, denn er wirft einen demonstrativen Blick auf seine Uhr. "16 Minuten."

Langsam wird das frustrierend. Ich will doch! Ehrlich, ich will ... aber ich kann nicht ...
 

"Ich korrigiere: 15 Minuten, 54 Sekunden ..."
 

"Vielen Dank, das ist wahnsinnig hilfreich!" fauche ich. "Du könntest mir ruhig etwas entgegen kommen ..."
 

"Wieso sollte ich?" Er verschränkt gleichgültig die Arme. "Du wolltest doch reden."
 

"Weil das genauso deine Angelegenheit ist, wie meine!"
 

"Was ,das'?
 

"Na das! DAS!" Hysterisch wedele ich mit den Armen und springe auf. "Du weißt genau, was ich meine! DAS!"
 

Er starrt mich an, ich starre zurück, und es dauert einen Moment, bis er antwortet. "Ach ... das." Es klingt leise und gedehnt, und seine Stimme ist vollkommen ausdruckslos.
 

"Ja, DAS!"
 

Ist das alles, was ihm dazu einfällt? Sekundenlang sagt keiner etwas. Wir starren uns einfach nur an - Herzschläge lang, und ich bin so erschrocken und atemlos, dass es mir die Kehle zuschnürt. Langsam sinke ich zurück auf den Sessel. Trotzdem ist es Kaiba, der zuerst den Blick abwendet. Ich kann sehen, wie sein Kehlkopf sich bewegt, als er schluckt.
 

"Das bringt doch nichts", sagt er kalt und steht so abrupt auf, als hält er es nicht mehr aus, länger sitzen zu bleiben. Langsam und ohne mich anzusehen, tritt er an die riesige Fensterwand seines Büros. "Dir ist schon klar, dass dein Verhalten rein rechtlich den Tatbestand des Stalkings erfüllt, oder?"
 

"Was ...?" Meine Hand, mit der ich eben noch nach der Limonade greifen wollte, hält inne und ich lasse sie wieder sinken.
 

"Mich zu verfolgen und in meine fahrende Limousine zu springen - wie würdest du das bezeichnen? Abgesehen von lächerlich ..."
 

"Ich bin ein Stalker?" wiederhole ich kleinlaut. Vielleicht sehe ich wirklich so geschockt aus, wie ich mich fühle, denn er schnaubt leise, und sekundenlang verschwindet der harte Ausdruck aus seinem Gesicht. Er wirft mir einen unlesbaren Blick zu, als versucht er, aus mir schlau zu werden.
 

"Schon gut, vergiss es." Ein paar Streifen Sonnenlicht fallen auf seine Haare und verleihen ihnen einen rötlichen Schimmer. Nur seine Augen liegen im Schatten. "Ich hatte nicht vor, dich deswegen zu verklagen. Ich denke nicht, dass Hunde dafür haftbar sind, wenn sie ihrem Herren nachlaufen ..."
 

Irgendetwas läuft hier falsch. Irgendetwas läuft hier ganz und gar nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe ... und ich kann nicht mal mit dem Finger draufdeuten und erklären, was es ist ...
 

"Kaiba ..."

Jetzt ist der Zeitpunkt, wo ich es nicht mehr aushalte noch länger still zu sitzen. Der Stuhl schabt leise, als ich ihn ruckartig zurückschiebe. Langsam erhebe ich mich und schlendere zum Fenster, meine Beine bewegen sich wie von selbst. Die Hände wie üblich in den Hosentaschen vergraben, stelle ich mich neben ihn. Mit dem Rücken zur Scheibe, denn wenn ich aus siebenundvierzig Stock nach unten sehen würde, kann ich jetzt schon garantieren, dass mir schlecht wird. Keiner von uns sagt ein Wort.

Ich kann es nicht erklären. Es ist als ob ich in seiner Gegenwart permanent Höhenangst habe. Es fasziniert mich. Es macht mir Angst. Mir wird schwindelig und ich habe das Gefühl keine Kontrolle mehr zu haben. Und doch kann ich nicht aufhören in die Tiefe zu sehen und mich zu fragen wie es wohl ist, wenn ich falle ...
 

Ich lehne den Kopf so weit zurück, dass er das Glas hinter mir berührt und ich einen Fetzen blauen, klaren Himmel über mir sehen kann. In Augenblicken wie diesen habe ich das Gefühl, wenn ich jetzt loslasse, werde ich nach oben fallen und nicht nach unten.
 

"Zwölf Minuten" sagt er nach einer halben Ewigkeit. Ich kann die Zeit ticken hören. "Was willst du eigentlich von mir ...?"
 

" ..."
 

"Eine offizielle Entschuldigung?"
 

Stumm schüttele ich den Kopf.
 

"Herrgott ... Weißt du überhaupt, was du willst?"
 

> "Was ist los mit dir, du Penner? Bist du etwa scharf darauf, dass es passiert ist?" <
 

"Ich will ..." Ich atme tief durch und sehe ihn nicht an. "Ich will nur etwas wissen."
 

Ich brauche nur eine Antwort ...eine einzige. Auch ohne hinzusehen, kann ich spüren wie er den Kopf wendet und mich ansieht. Seine Stimme klingt mehr als misstrauisch und seine blauen Augen sind durchdringend und forschend auf mein Gesicht gerichtet. "Was?"
 

Beinah muss ich lächeln. Kaiba mag es, wenn er die Antworten weiß, noch bevor er die Frage kennt ... wenn er vorbereitet ist auf das, was kommt. Aber in diesem Fall ...in diesem Fall weiß ich die Antwort nicht einmal selbst, und ich kann ihn nicht darauf vorbereiten. Ich wende den Kopf und erwidere seinen Blick.
 

"Das", sage ich und greife nach seinem Oberteil.
 

Er hat so unglaublich blaue Augen ... und sie werden weit, als ich ihn zu mir ziehe. Ich bin nett und komme ihm auf halbem Weg entgegen. Meine Arme wandern in seinen Nacken und er stolpert von meinem Schwung mitgerissen nach hinten ... fängt sich grade so mit einer Hand am Fenster ab. Er ist so überrascht, dass er nicht einmal dazu kommt, sich dagegen zu wehren, als ich meine Lippen auf seine presse.

Dieses eine Mal ... werde ich nach oben fallen ...
 

Ich habe tausend Dinge, die du wissen sollst ... und ich finde nie die richtigen Worte um sie dir zu sagen ...

Ich habe tausend Fragen an dich, du Sturkopf ... und du wirst sie nie beantworten ...

Ich will tausend verschiedene Sachen von dir ... jede Menge halbe Stunden von deiner kostbaren Zeit und dass du ab und zu mal ein Lächeln in meine Richtung wirfst ...und ich habe Angst, dass du sie mir niemals geben kannst ... oder nicht willst ...
 

Dieses Mal bin ich derjenige, der ihn aus der Fassung bringt. Er hält die Luft an und ist sekundenlang vollkommen gelähmt. Dieses Mal bemerke ich all die Dinge, die beim letzten Mal irgendwie untergegangen sind. Dass seine Lippen ganz weich sind ... und wie es sich anfühlt, als die sauber geschnittenen Spitzen seiner Nackenhaare meine Finger streifen ... und dass seine schwarzen Rollkragenpullover wirklich so dünn sind, wie sie immer aussehen, denn man kann jede Faser seines Körpers darunter spüren. Er ist verdammt warm, für jemanden, der den Ruf und das Auftreten eines Gefrierfachs hat ...
 

Sein Herz hämmert. Sein Pullover ist tatsächlich so dünn, dass ich es spüren kann. So schnell, dass ich mich frage, ob es nicht schmerzhaft ist ... und so laut, dass es jeder in dem gesamten Gebäude hören müsste. Wild und unregelmäßig ... durcheinander ...

Ich kann es spüren, und unwillkürlich fange ich an zu lächeln. Da ist sie ... eine meiner Antworten.

Nichts an seinem Herz ist so, wie Kaiba gerne wäre. Es ist ein Fremdkörper in ihm, genauso wie ich es in seinem Leben bin ... und trotzdem ist es ein Teil von ihm, den er nicht loswerden kann, so gerne er das sicher manchmal möchte.
 

Seine Hände wandern auf meinen Rücken und er packt mich an meinem T-Shirt. So schnell, dass ich es kaum mitbekomme, und ohne seinen Mund von meinem zu lösen, werde ich ruckartig herumgedreht und finde mich gegen die große Glasfront gedrückt wieder. Ein leises, überraschtes Geräusch dringt über meine Lippen.

Ich versuche etwas zu sagen, aber er verschließt meinen Mund auf höchst effektive Art und Weise. Habe ich eben nicht noch gedacht, dass es keinen Knopf gibt, mit dem Kaiba mich zum Schweigen bringen kann ...? Okay, ich habe mich geirrt.

Atmen ... wird so überbewertet.

Er küsst mich ... während seine Hände immer noch in mein T-Shirt geklammert sind und mich festhalten.
 

"Du kannst es echt nicht ab, mal der passive Part zu sein, was ...?" murmele ich atemlos, als mein Gehirn wieder bereit ist zu funktionieren.
 

"Nein", knurrt er und öffnet abrupt die Augen. Schmale, blaue Katzenaugen funkeln mich an. "Hier sind ein paar Regeln über mich, mit denen du dich anfreunden solltest, Wheeler: Ich verliere nicht, ich liege nicht unten - und ich WERDE nicht geküsst. Vor allem nicht von dir."

Was wetten wir, dass er schon mit diesem Regelwerk auf die Welt gekommen ist?
 

"Jetzt hast du die romantische Stimmung versaut", stelle ich fest, als er mich loslässt. Ich bin froh, dass sich hinter mir etwas befindet, wo ich mich dagegen lehnen kann. Ich glaube ... sonst würden meine Knie jetzt weich werden.
 

"Welche romantische Stimmung?" Er klingt unangenehm sarkastisch. "Und was zum Teufel sollte die Aktion ...?"

Ich glaube nicht, dass er wirklich wütend ist. Wenn Kaiba wütend ist, klingt das anders und man sollte sich schleunigst aus dem Staub machen. Eigentlich klingt es hauptsächlich misstrauisch ... und verwirrt. Schön, endlich gibt es mal einen Rollentausch. Normalerweise bin ich nämlich derjenige, der in seiner Gegenwart durchgehend verwirrt ist. Aber ausnahmsweise glaube ich, dass er es nicht wirklich gut durchdacht hat ... diesen Kuss zu erwidern, meine ich.
 

"Ich brauchte eine Antwort ..." Ich lehne an dem Fenster und bin immer noch damit beschäftigt ein und auszuatmen, um den Sauerstoffmangel von eben auszugleichen. "... und die habe ich jetzt."
 

Seine Augenbrauen zucken vor lauter Anspannung und ich kann sehen, wie schwer es ihm fällt, mich jetzt nicht zu packen und durchzuschütteln. Ich kann es ihm nicht mal verdenken. "Was für eine Antwort? Was für eine Frage?" Er weiß es wirklich nicht ... oder?
 

Ein seliges Grinsen macht sich auf meinem Gesicht breit, und ich löse mich von dem beschlagenen Glas hinter mir. Ich bin so high, dass es ein Wunder ist, dass meine Füße noch den Boden berühren. Beinah reflexartig tritt er einen Schritt zurück, während sein misstrauischer Blick abwartend auf mich fixiert bleibt.

"Du bist scharf auf mich", stelle ich versonnen fest und puste eine Wolke blonder Haare aus meiner Stirn. "Aber wer kann dir das schon verdenken - ich bin einfach ein verdammt heißes ..."
 

"Ich würde es sehr begrüßen, wenn du aufhörst mit den Hüften zu wackeln! Das sieht lächerlich aus! Außerdem weiß ich nicht, wovon du ..." Er hält schlagartig inne und seine Gesichtsmuskeln sind so angespannt, dass es beinah schmerzhaft aussieht. Seine Augen werden weit.
 

"Du findest mich toll", trällere ich und mein Grinsen wird breiter. "Du denkst, ich bin ein sexy Biest. Du willst mich ha~ben!"
 

Ich gebe zu, dass ich vielleicht grade einen winzigen Hauch an Triumph empfinde - einen verdammt großen ... winzigen Hauch.

Aber hey, ganz ehrlich - wem würde es anders gehen, wenn er auf einmal feststellt, dass ausgerechnet der Mensch, der einen jahrelang erniedrigt, gedemütigt und herumgeschubst hat, einen als dumm und minderwertig bezeichnet und auf einem herumgetrampelt ist wie kein Zweiter ... dass ausgerechnet dieser Mensch insgeheim findet, dass ich ein verdammt scharfes Teil bin? Kaiba kann sagen, was er will ... und sich so abweisend verhalten, wie er will ... sein Herz ist wie ein Lügendetektor, der ihn auffliegen lässt. Ich weiß es. Er weiß es. Und ich weiß, dass er weiß, dass ich es weiß. Scheinbar dämmerte ihm grade genau dasselbe.

Sein Gesicht erstarrt zu einer unbewegten Maske, als er plötzlich zu begreifen scheint. Nur in seinen Augen flackern in rascher Folge Unverständnis auf, plötzliche Panik und schließlich ... das pure Entsetzen.
 

Zu spät, viel zu spät dämmert mir plötzlich, dass er das vermutlich nicht so absurd und irgendwie witzig findet, wie ich. Kaiba hat es noch nie sonderlich geschätzt, wenn seine innersten Gefühle für irgendjemanden sichtbar waren, und ich schätze mal, die Tatsache, dass er mich ... äh nicht ganz uninteressant findet, ist nicht unbedingt etwas, dass er an die Wände sprühen und in der Zeitung veröffentlichen möchte.
 

Er ist inzwischen so weit zurückgewichen, dass ihm der Schreibtisch in die Quere kommt und er schwer dagegen lehnt. Sämtliche Farbe ist aus seinem Gesicht verschwunden und er ist so blass, dass ich plötzlich Angst bekomme, dass er jeden Moment vor meinen Augen zusammenbricht. Mein Triumphgefühl verpufft wie Luft aus einem Ballon.

Oh Gott ... sag mir jetzt bloß keiner, er hat das selbst nicht gewusst? Okay, in dem Fall kann ich nachvollziehen, dass diese Enthüllung ein echter Schocker für ihn ist und ihn aus den Socken haut.
 

Ich mache einen hastigen Schritt auf ihn zu. "Hey, hör zu ... so war das nicht ..."
 

"Sei still." Er atmet flach und unregelmäßig und ich habe das vage Gefühl, dass er gleich eine Panikattacke bekommt oder so etwas. Er nimmt das wirklich nicht gut auf. Sollte mich das beleidigen? Es wäre doch wohl wesentlich schlimmer, wenn ich Marik wäre, oder Dartz oder einer von den anderen Psychos, die uns in den letzten Jahren das Leben schwer gemacht haben ...
 

"Verdammt, setz dich hin!" befehle ich beunruhigt, als er sekundenlang die Augen schließt, als ob er es grade nicht ertragen kann, mich anzusehen. "Ich habe ein Problem damit, wenn du mir vor die Füße fällst, okay?"
 

"Keine Sorge. Das habe ich nicht vor." Trotz seines bissigen Tonfalls lässt er es ohne nennenswerten Widerstand zu, dass ich ihn zu seinem Schreibtischsessel schiebe und lässt sich tatsächlich hineinfallen. So langsam mache ich mir wirklich ein bisschen Sorgen.
 

"Alles wird gut, atme einfach weiter, ja?" bettele ich leicht panisch. "Tea meint, es hilft, wenn man in solchen Momenten den Kopf zwischen die Knie steckt - hast du Lust das mal zu ...? Nein? Schon gut, das war nur ein Vorschlag ..."

Wenn Blicke töten könnten, wäre ich jetzt schon auf halbem Weg über den Jordan. Mein Glück, dass er es vorzieht erneut die Augen zu schließen. Er hat zwei Finger an die Nasenwurzel gepresst und sieht aus als bekämpft er eine massive Kopfschmerzenattacke. Und äh ... ich hoffe doch, dass ist nicht meinetwegen?
 

"Hey ..." ich atme tief durch und durchforste mein Gehirn verzweifelt nach irgendwas Vernünftigem, was ich ihm sagen kann. Irgendwas, was dem ganzen wieder einen lustigen, banalen Anstrich gibt ...

In gewisser Weise bin ich vermutlich genauso unfähig meine Gefühle auszusprechen oder sie zu zeigen, wie er das ist. Manchmal hasse ich mich selbst dafür, dass ich aus allem einen großen, kosmischen Scherz machen muss. Immer scheine ich dadurch auf den Gefühlen anderer herumzutrampeln. Ich will das gar nicht ... aber ich kriege es auch nicht mehr raus aus dem System.

Das, letzte Nacht ... das war eine Ausnahmesituation. Ich habe keine Erklärung dafür, was passiert ist. Bis eben dachte ich, dass er es war ... dass nur seine Mauern unten waren. Aber jetzt wird mir plötzlich klar, dass meine es ebenfalls waren. Keine blöden Witze mehr von mir ...keine Sicherheitsschilder mehr von ihm ... alles unten, alles freigelegt. Vollkommen nackt. Ich weiß nicht, wie es passiert ist ... und vor allem weiß ich nicht, ob es jemals wieder passieren wird ...
 

Langsam lasse ich mich zurücksinken und schwinge mich auf den Rand des Schreibtischs, direkt vor ihm. Ich stütze die Arme auf die Knie, so dass ich ihn im Auge behalten kann und sehe ihm dabei zu, wie er unregelmäßig ein und ausatmet.
 

"Besser ...?" frage ich leise, als seine Atemzüge ruhiger werden.
 

"Unwesentlich", ist die knappe Antwort.
 

"Willst du was trinken? Ähm ...Limonade? Mit Schirmchen?"
 

Die Antwort besteht in einem Kopfschütteln.

Jetzt fühle ich mich mies, weil ich es nicht mal hinkriege, dass es ihm wieder besser geht. Vielleicht bin ich doch ein bisschen zu weit gegangen ... Vielleicht habe ich mit dieser Kamikazeaktion eben alles versaut ...
 

Ich wende den Kopf und sehe hinüber zu der Sonnen beschienenen Glasfront. An einer Stelle ist das Glas beschlagen und verschmiert ... dort wo sich immer noch die erhitzten Abdrücke unserer Hände befinden. Dieser Anblick hat etwas so furchtbar Unwirkliches und Intimes an sich, so dass ich unwillkürlich erröte und den Blick abwende.
 

"Ehrlich, es hätte schlimmer kommen können ...", sage ich vorsichtig und lasse die Beine ein wenig baumeln. Kaiba und ich. Ich und Kaiba, hallt es in meinem Kopf. Das klingt schon vom Grundprinzip her einfach nur ... falsch. Falsch, falsch, falsch. Aber was soll ich machen, wenn es sich einfach so verdammt richtig anfühlt? "Das ist nicht der Untergang der Welt."
 

Es dauert einen endlos langen Moment, bis er antwortet. "Für dich sicher nicht."
 

"Was soll das denn wieder heißen?"
 

Er nimmt die Hand vom Gesicht und fixiert mich scharf. Ein bisschen Farbe ist in sein Gesicht zurückgekehrt und er sieht nicht mehr länger aus, als müsste ich gleich Roland wegen Wiederbelebungsmaßnahmen um Hilfe rufen. Ich bin echt erleichtert, aber die nächsten Worte zerstören dieses Gefühl prompt wieder. "Glaub mir, du bist nicht der Erste und nicht der Einzige, der mich äußerst anziehend findet", sagt er knapp. "Willkommen im Club."
 

Meine Kinnlade klappt nach unten und ich starre ihn empört an. Dieser arrogante Saftsack! Das ist doch nicht zu glauben! "Hallo überdimensionales Ego! Und ich hatte schon angefangen mir Sorgen um dich zu machen ..."
 

"Wie rührend."

Er lehnt sich zurück, atmet tief durch und schlägt die Beine übereinander. Prompt sieht er wieder mehr wie er selbst aus und nicht mehr so, als hätte ich ihm grade den totalen Ruin seiner Firma verkündet. "Wenn du die Finanzzeitungen auch ab und zu mal lesen würdest, die du austrägst, wüsstest du, dass ich bereits zum siebten Mal in Folge zum begehrenswertesten Junggesellen des Monats gewählt worden bin." Er klingt gelangweilt, so als sei das nichts Besonderes. "Du darfst Roland auch gerne nach der Menge an Fanpost fragen, die ich jeden Tag in den Reißwolf stecke."
 

"Oh ja, ganz toll! Fanpost von Leuten, die dich vermutlich nicht mal persönlich kennen!" gebe ich zurück, ein wenig angesäuert, weil er mich mit diesen Spinnern in einen Topf wirft. Das hier ist doch wohl was ganz anderes! Das ist viel ...dramatischer! Ich verkneife mir den kleinlichen Einwand, dass ich dank ihm keine Zeitungen mehr austragen kann. Ebenso wie ich den stärker werdenden Drang unterdrücke, nach meiner Limo zu greifen und sie ihm über den Kopf zu schütten. "Darauf würde ich mir an deiner Stelle nicht allzu viel einbilden! Wenn sie dich kennen würden, wüssten sie, dass du ein Scheißkerl bist ..."
 

Zu meiner Überraschung betrachtet er mich nachdenklich, als hätte ich zur Abwechslung tatsächlich mal was Intelligentes gesagt. Trotzdem klingt seine Stimme spöttisch. "Und du weißt natürlich alles über mich ...?"
 

"Ich weiß wenigstens, dass du ein Scheißkerl bist!"
 

"Das scheint dich aber nicht davon abzuhalten ..." Er sieht mich an und lässt den Satz unvollendet in der Luft schweben, so dass er wie eine Frage klingt. Eine Frage ... nach was?

Nach ... mir?

Was mich angeht, ich kann mich nicht entscheiden, ob ich dich einfach nur hassen oder für einen verdammt sexy Bastard halten soll ... das ist auch schon alles. Ehrlich! Okay, beinah ehrlich. Vielleicht ist es das auch nicht ... aber wenn es nicht alles sein sollte, dann will ich den Rest nicht mal wissen, glaube ich.

Ich fürchte, ich mag dich ... auch wenn du ein fieser Arsch bist. Deinem Fanclub beitreten werde ich aber trotzdem nicht, und deine Finanzzeitungen darfst du auch weiterhin alleine lesen, vielen Dank.

"Na ja, wenn du kein Bastard wärst ... wärst du einfach nicht du selbst." Verlegen wuschele ich mir über den Hinterkopf und versuche Kaiba nicht anzusehen.
 

"Deine Gefühlsduseligkeit ist wie üblich geradezu erschlagend." Er hebt eine spöttische Augenbraue.
 

"Was erwartest du denn?! Denk nicht, dass mir das alles leicht fällt - nur weil es den 639 Mädchen unserer Schule und den Mitgliedern deines Fanclubs leicht fällt. Glaub mir, wenn ich die Wahl hätte, würde ich mir lieber ohne Betäubung sämtliche innere Organe mit einer rostigen Kettensäge entfernen lassen, als dich ... äh nicht für einen Arsch zu halten." Nervös verschränke ich meine Finger und wünsche mir zum ersten Mal, dass ich keine Limo hinter mir stehen hätte, sondern irgendwas Hochprozentiges. Schade, dass ich keinen Alkohol trinke - jetzt wäre die ideale Gelegenheit um damit anzufangen.

"Das war echt nicht grade ganz oben auf der Liste mit Wünschen für mein weiteres Leben, das kannst du mir glauben. Ich wollte ein Star werden und reich und berühmt ... und dich wenigstens einmal bei DuellMonsters schlagen - aber DAS wollte ich ganz bestimmt nicht. Mal ganz abgesehen davon, dass du DU bist ... was ja schon schlimm genug ist ..." Ich rede mich hier noch um Kopf um Kragen.
 

"Joey ..."
 

"Ja?"
 

"Falls du versuchen solltest mir etwas Nettes zu sagen, werde ich dir den Arm brechen."
 

"Also... äh eigentlich wollte ich nur grade einen Schwank aus meiner bewegten Jugend erzählen ..."
 

"Gott steh uns bei."
 

"Blödmann." Ich verdrehe die Augen.

"Straßenköter", erwidert er gleichzeitig ... und wenn dieser Ausdruck jemals freundlich klingen sollte, dann ist das jetzt, in diesem Moment.

"Hey ...Kaiba?" sage ich leise.

Er hebt den Kopf und sieht mich an.

"Falls du eben Angst hattest, dass ich es weitererzähle ... keine Sorge, ich behalte für mich, dass du mich absolut scharf findest." Ich habe das plötzliche Bedürfnis ihm das zu versichern. Und mir zu versichern, dass immer noch er es ist, der hier in der Patsche sitzt, und nicht ich.
 

Er schnaubt und gibt ein leises, resigniertes Geräusch von sich. "Wie beruhigend ..."
 

"Ich mache mich auch nicht darüber lustig - außer ab und zu mal", füge ich nach kurzem Nachdenken hinzu. Kommt schon, das kann mir doch keiner vorhalten, oder?
 

"Dir ist schon klar, dass du absolut keine Beweise hast für diese ... absurde, an den Haaren herbeigezogene Behauptung, oder?" Scharf sieht er mich an. "Ich könnte jederzeit alles abstreiten."
 

"Nö", antworte ich freudestrahlend. "Ich habe Mittel und Wege es aus dir rauszuquetschen."
 

"Joey ..." Resigniert lehnt er den Kopf zurück. "Solltest du noch einmal in meiner Gegenwart mit dem Hintern wackeln, breche ich dir mehr als nur den Arm."
 

Dieser Wortwechsel ist so vertraut, dass es beinah schmerzt.

Hier bin ich, und da ist er ... und so weit sind wir nicht einmal voneinander entfernt. Ich sitze auf seinem Schreibtisch und lasse meine Beine baumeln. Dann und wann streifen sie seinen Mantel, welcher malerisch über die Armlehnen gegossen daliegt. Die Sonne scheint durch das riesige Fenster auf ihn und verleiht seinen kühlen, scharf geschnittenen Gesichtszügen etwas ungewohnt Jungenhaftes. Ausnahmsweise ist er derjenige, der zu mir aufsehen muss und nicht umgekehrt ... und irgendwie ist das Ganze plötzlich richtig nett und warm ... und auf beinah freundliche Art und Weise persönlich.
 

"Hey ... Kaiba ...?" frage ich aus heiterem Himmel.
 

"Hm?"
 

Ich grinse breit. "Denkst du nicht, dass wir ein kleines bisschen zusammenpassen?" Und diesmal bin ich sicher, dass das Zucken um seine Mundwinkel nicht nur eine willkürliche Gesichtszuckung ist, als er antwortet ...

"Wie Pest und Cholera."
 


 

^to be continued...^
 

Nachwort: Oh man ... das Kapitel war eine Knochenarbeit. >.< Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass es von vorne bis hinten nicht gut geworden ist, sondern einfach nur verkorkst. *seufz* Aber ich hatte einfach keinen Nerv alles nochmal umzuschreiben und ich habe nicht mal eine Ahnung, woran es liegt, dass ich es so daneben finde ... *seufz*

Ausnahmsweise war Joey für mich wirklich eine harte Nuss. Normalerweise ist er einer der am angenehmsten zu schreibende Charaktere ever, aber diesmal hat er sich mir komplett entzogen. Er wollte partout nichts über seine Gefühle preisgeben und ihn zu knacken war fast unmöglich. <.< Ich habe mir wirklich den Kopf zerbrochen, wie er und Kaiba wohl reagieren würden ... und irgendwie fand ich diesen Gedanken am naheliegendsten. Joey badet im Triumph und Kaiba ... erhält den Schock seines Lebens. *g* Also irgendwie sind die beiden, jeder auf seine Art die absoluten Weltmeister im Verdrängen. òO
 

PS: Maddle meinte grade: "Glashaus? Was soll das denn?! Jetzt wird jeder denken, du bist Fan von der Band!"

Na ja, so schwer ist das nicht, zu raten wie der Titel gemeint war ... ^.~ *Joey flausch*

Perspektiven

Anmerkung: Ich fasse mich kurz: It sucks. Aber wenigstens hat es mir keinen größeren Stress bereitet, da ich das alles innerhalb von drei, vier Tage runtergeleiert habe. (Man merkts ...)

An dieser Stelle Danke an alle Kommentarschreiber. Ihr seid wunderbar und die Sonne meines Daseins! Ich liebe euch, Leute!

Danke auch an Azra - die schuld ist, dass ich noch nicht angefangen habe diese FF an die Wand zu nageln und einfach aufzugeben. Denn immer wenn ich ihren wunderbaren Joey lese, bekomme ich Lust selbst weiterzuschreiben ... ^^

Nicht zu vergessen Nyx, deren Schuld es ist, dass ich dieses Kapitel so schnell beendet habe. Sie hat mich nämlich mit einem, ihrer wunderbaren Bilder erpresst. ^_~
 

http://animexx.4players.de/fanarts/output/?fa=616007&sort=zeichner&sort_def=0&sort_manuell=&datum=0&set_empfehlen=1
 


 

~ I was just guessing

At numbers and figures

Pulling your puzzles apart
 

Questions of science

Science and progress

Don´t speak as loud as my heart ~
 

(Coldplay: "The Scientist")
 


 

,Pest und Cholera ...'

Seine Worte hängen in der Luft, genauso wie die Andeutung eines Lächelns um seine Lippen ... und ich finde, es ist beängstigend, wie gut ich Kaiba in diesem Augenblick leiden kann.

Ich kann ihn selten genug leiden. Auch wenn diese Momente sich in letzter Zeit irgendwie häufen.

Aber jetzt grade würde ich ihm direkt eine Niere spenden. Oder wenigstens ein Eis ausgeben ... wenn es hier irgendwo eins geben würde.
 

Ich bin aufgewühlt und gleichzeitig ganz ruhig. Mein Herz klopft, und zum ersten Mal wird mir klar, dass ich zwar langsam persönlicher Dolmetscher von Kaibas Herz werden könnte ... aber dass ich eigentlich nie wirklich darauf achte, was mein eigenes Herz so treibt. Ich habe keine Ahnung, was es bedeutet, wenn es jetzt so laut vor sich hin hämmert. Ich weiß nicht einmal, ob ich es so genau wissen will. Aber es ist irgendwie nett ... viel netter, als das Gefühl nach dem Völkerball im Sportunterricht, was der einzige Moment ist, wo es genauso in meiner Brust herumrast. Ja, genau ... nettes Gefühl.
 

Es gibt eine Menge Dinge, die jetzt passieren könnten.

Das wahrscheinlichste ist, dass ich jetzt aufwache, weil alles nur ein total irrer Traum war. Und wenn ich zu mir komme, bin ich vielleicht grade in Mathe und Kaiba wirft mir einen bösen Blick über den Rand seines Laptops zu, weil ich mitten im Unterricht angefangen habe, auf mein Mathebuch zu sabbern.

Okay, das wäre richtig frustrierend.

Oder vielleicht wird er in einer Sekunde wieder er selbst, ihm fällt ein, dass er mich eigentlich hasst und er ruft den Sicherheitsdienst. Und morgen sitze ich dann wegen Stalking hinter Gittern. Also, DAS wäre echt mies! Aber Kaiba durchaus zuzutrauen.

Das relativ Unwahrscheinlichste, was passieren könnte, ist allerdings dass er mich jetzt packt und wir eine leidenschaftliche Orgie auf seinem Schreibtisch haben.

Könnte aber passieren!

Allerdings ... unwahrscheinlich.
 

Oder wir könnten einfach hier sitzen bleiben ... ich könnte weiter mit den Beinen schlenkern, ihn die nächsten Stunden dämlich angrinsen und an mich an dem Sonnenschein auf seinen Haaren erfreuen ... und ihm Geschichten aus meinem Leben erzählen. Und das klingt nicht einmal nach der schlechtesten Alternative.
 

Das melodische Dudeln irgendeiner klassischen Oper reißt mich aus diesen Gedanken. Verwirrt sehe ich mich um. "Was ist das?" Wie denn, was denn - etwa romantische Musik? Nur für mich?

"Mein Wecker. Deine halbe Stunde scheint abgelaufen zu sein", stellt er ungerührt fest.

"Wecker", wiederhole ich geistlos.

Er greift nach einem der modernen Hightech-Schnickschnack-Geräte auf seinem Schreibtisch, mit dem man garantiert unter Wasser tauchen, sich die Morgentemperatur auf dem Mars anzeigen lassen und gleichzeitig seine Brötchen auftauen kann, und drückt mit einem herablassend-nachsichtigen Gesichtsausdruck auf einen der tausend Knöpfe.

"Du hast ... einen Wecker gestellt?!" wiederhole ich etwas lauter, damit es hier keine Irrtümer gibt.

Er nickt. "Sehe ich aus, als hätte ich Zeit zu verschenken?"
 

Okay, streicht den ganzen romantischen Müll mit dem Eis wieder. Von mir kriegt er keins!

Er hat einen Wecker gestellt?!

Grade will ich ansetzen ihm zu sagen, was ich davon halte, als es wie auf Kommando in diesem Moment an der Tür klopft. Ich kriege die Krise. Was habe ich nur verbrochen? Muss uns denn immer irgendjemand dazwischen platzen?
 

Es ist Michalina, die ihren Kopf hereinsteckt. Ihr Blick landet sofort auf mir, aber wenn sie von der Tatsache überrascht ist, dass ich vor ihrem Boss auf seinem Schreibtisch sitze, lässt sie es sich nicht im Geringsten anmerken.

"Roland ist jetzt hier, Sir", verkündet sie. "Möchten sie mit ihm sprechen?"

Kaiba nickt. " Ja, bitten sie ihn herein."

"Sofort, Sir."

"Dziekuje", ist die Erwiderung. Abwartend sieht er sie an.

Zu meiner absoluten Überraschung lächelt sie. "Korrekterweise ist die Betonung DzieKUje, Sir."

"Ah, danke." Kaiba nickt und sie verschwindet wieder.
 

"Was war das denn?" frage ich perplex und schwinge mich langsam und widerwillig von seinem Schreibtisch herunter. Irgendwie kommt das vielleicht nicht gut, wenn Roland jetzt gleich reinstiefelt und einen Haufen Paragraphen aus der Tasche zaubert, und ich immer noch vor seinem Boss auf dem Schreibtisch sitze und mit den Beinen baumle.
 

"Ich nutze Michalinas dreisprachige Herkunft, um meine Fremdsprachenkenntnisse zu erweitern", erwidert er, als wäre das ganz selbstverständlich. "Ich verlasse mich nicht gerne auf andere Leute zum Dolmetschen."
 

Eine weitere Information über Seto Kaiba, die lohnenswert ist, um abgespeichert zu werden. Ich stecke sie in den Ordner in meinem Kopf, der die Aufschrift ,Arroganter Pinkel' trägt und alles Wissenswerte über Kaiba enthält, was ich jemals erfahren habe. "Du findest es echt scharf, ein Genie zu sein, oder?"
 

"Ja, manchmal ist es ganz praktisch", stellt er mit einem dermaßen selbstgefälligen Gesichtsausdruck fest, dass ich unwillkürlich die Augen verdrehe. Ich schlendere zu meinem Rucksack, der auf dem Boden neben dem Drehstuhl liegt, auf dem ich vorhin gesessen habe und hebe ihn auf.

"Also gut", sage ich. "Du willst arbeiten, nehme ich an. Ich bin ausnahmsweise friedlich und lasse dich in Ruhe."
 

"Zu gütig."

Ich überhöre diesen vollkommen überflüssigen Einwand und fahre fort. "Aber ..."

"Ich wusste, dass da noch was kommt."
 

Ich stütze die Hände auf dem Schreibtisch ab, beuge mich ganz weit vor und sehe ihn direkt an. " ... denk nicht, dass das alles war!" Er erwidert meinen Blick mit erhobenen Augenbrauen und zusammen gespreizten Fingern. "Ich will etwas", fahre ich fort, "und zwar eine ganze Menge - und zwar von dir!"

"Du willst immer irgendetwas, kann das sein?" erwidert er trocken. "Was ist es diesmal?"

Ich schiebe den Träger meines Rucksacks über eine Schulter. "Ich will eine Menge mehr halbe Stunden Joey-Zeit in deinem Kalender haben, als jetzt drin stehen."
 

"Du willst mehr Joey-Zeit in meinem Kalender?" wiederholt er.

"Genau!" Ich nicke eifrig. "Und ich will auch mal welche ohne Wecker haben", füge ich schnell hinzu, als mein Blick auf das Hightech-Ding fällt.

"Sehe ich das richtig? Du willst ... Zeit mit mir verbringen?" Er klingt, als wäre ihm allein der Gedanke absolut suspekt und nahezu unbegreiflich.

"Ja, man!" Ich nicke nachdrücklich.

"Um was zu tun?" fragt er scharf.
 

Ich grinse breit und puste eine Wolke heller Haare aus meinen Augen. "Ach, da fällt mir schon was ein ..."

Hey, ich dachte wirklich - wirklich! - an so was wie DuellMonsters. So ziemlich.
 

Hinter mir geht die Tür auf, erspart ihm eine Antwort und ermöglicht mir einen richtig coolen Abgang. Wenigstens einmal in meinem Leben kriege ich einen! Yess!

Zumindest ... fast ... krieg ich einen.
 

"Sir?" Es ist Roland, der mir auf halbem Weg entgegenkommt und schnurstracks an mir vorbei zu Kaibas Schreibtisch marschiert. Aus reinem Interesse bleibe ich stehen und drehe mich um. Kaiba sieht mir nach und ich muss lächeln, als er sich hastig räuspert und seinen Blick auf Roland konzentriert. Ich bin ja in Versuchung nur einmal mit den Hüften zu wackeln ... nur ein Mal noch, und nur um ihn zu ärgern... aber seine Drohung, mir dann den Arm und weitere Körperteile zu brechen, ist vermutlich kein Scherz gewesen.

"Die Techniker haben die vermutliche Ursache für den Stromausfall entdeckt", sagt Roland. "Es scheint sich tatsächlich um einen bösartigen Akt von Sabotage zu handeln!"
 

"Sabotage?" Kaiba klingt beinah gelangweilt, und er hat einen unterschwelligen ,Ach, schon wieder?'-Tonfall in der Stimme. Seine Augen zucken kurz in meine Richtung, aber er bleibt standhaft und sieht mir nicht nach. Ich stehe in der Tür und bin einfach neugierig. Und ein winzig kleiner Teil von mir will einfach noch nicht gehen.
 

"Jawohl, Sir!" Was Roland dann in einer Plastiktüte nach vorne streckt, kommt mir Überraschenderweise irgendwie bekannt vor. Dabei habe ich doch echt keinen Schimmer von Sabotage. "Das hier wurde offenbar in eine der laufenden Maschinen geworfen. Dadurch kam es zu einer Überhitzung und sämtlicher Strom schaltete sich als Sicherheitsmaßnahme ab."
 

Moment ... Ich runzele die Stirn. Dieses qualmende, angeschmorte Ding kommt mir tatsächlich vage bekannt vor ... Nur, woher?

Eine verschwommene, vollkommen unwichtige, kleine Erinnerung taucht in mir auf ... und verursacht mir unerwartete Bauchschmerzen.
 

> "Hey! Du erwartest doch nicht, dass ich damit rumlaufe!" <
 

Könnte das vielleicht ...? Ach nein ... das ist nicht ... ich hätte doch niemals ...

Oder doch? Die plötzliche Erkenntnis zuckt wie ein Blitzschlag durch mein Gehirn.
 

"Was soll das sein?" fragt Kaiba im selben Augenblick mit zusammengekniffenen Augen.
 

> ,Das Ding' ist eine Kappe. Eine wirklich hässliche Kappe. Eine sehr hässliche Kappe mit einem fetten K.C. oben drauf. <
 

Beide scheinen vergessen zu haben, dass ich immer noch im Raum bin. Das ist gut, denn sonst wäre vielleicht jemandem aufgefallen, dass ich im Augenblick verdammt grün um die Nase bin. Unbemerkt rutscht mir mein Rucksack aus den plötzlich schweißnassen Händen und landet mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden.

Bitte ... das darf nicht ...
 

"Das ist eine von den Kappen, die wir immer an Besucher und die Touristengruppen verteilen, Sir."
 

> ...ich werfe sie ganz einfach elegant über die Brüstung in eine der tausend Produktionshallen, durch die wir laufen... <
 

"Wir können uns im Moment noch nicht erklären, wie sie in genau diesen Abschnitt der Maschine gelangen konnte ... Wahrscheinlichkeit gleich Null ... Besuchergruppen dürfen nicht einmal in die Nähe ..." Rolands Worte verschwimmen zu einem einzigen unverständlichen Brei.
 

> Hoffentlich wird sie von einer der riesigen Maschinen zerstampft, die immer noch am laufen sind. So weit kommt es noch, dass ich wie ein billiger Tourist mit einer Kappe auf dem Kopf herumlaufe. Mit seinem K.C. darauf! <
 

Oh Gott ... nein.

Wieso ich ...? Wieso immer ich?!

Wieso ...?!
 

Ich renne. Der Asphalt unter mir hämmert und Autos hupen, wenn ich direkt vor ihren Kühlerhauben die Straße überquere. Die Spätsommersonne knallt auf mich hinab und droht mich zu grillen, aber mir ist das alles ganz egal im Augenblick.

Oh fuck ... fuck ... fuck ...

Das ist der einzig klare Gedanke, den ich grade fassen kann, und er bohrt sich in meinen Kopf wie ein Presslufthammer. Da geht es hin, mein neues, tolles Leben, mit coolen Abgängen und einem sprachlosen Seto Kaiba ... einem Seto Kaiba, der dann und wann tatsächlich ein ehrlich gemeintes Lächeln in meine Richtung wirft und der mir halbe Stunden von seiner Zeit reserviert.

Ich habe seine Firma lahm gelegt. Ich habe seine VERDAMMTE Firma lahm gelegt!!

Ich ... fasse das einfach nicht.
 

Ich meine ... oh Gott ... Wahnsinn. Das ist die am besten gesicherte Firma der Welt - denke ich - und ich gehe hin und lege sie mit einer blauen BASEBALLKAPPE FÜR TOURISTEN lahm!

Wie groß ist überhaupt die Wahrscheinlichkeit, dass DAS passiert?

Wieso ich ...?

Wieso passiert so was immer nur mir?

Und welcher Teil des menschlichen Gehirns ist bei meiner Geburt vergessen worden, mitgeliefert zu werden?!

Oh Hilfe ... Ich habe seine gottverdammte Firma lahm gelegt ... ich meine ... ich habe es ja nicht mal versucht ... und ich habe nicht mal zehn Sekunden dafür gebraucht ... ob er von dieser äußerst bedenklichen Sicherheitslücke überhaupt weiß?!
 

Ein riesiger Laster donnert hupend an mir vorbei und ich schaffe es in letzter Sekunde, mich auf den Bordstein in Sicherheit zu bringen. Sekundenlang klammere ich mich an den nächstbesten Laternenpfahl. Ich atme tief durch und presse meine Stirn gegen das aufgeheizte Metall. Denk nach, Joey! Los, DENK nach!
 

Das verzeiht er mir nie.

Niemals.

Wenn er das herausfindet ... oh man ...

Ich meine, das ist die Kaiba Corporation. Das ist sozusagen sein Baby. Sie rangiert auf seiner ,Wichtige Dinge in meinem Leben'-Liste, die ja ohnehin kurz genug ist, vermutlich direkt hinter Mokuba. Und mit absoluter Sicherheit irgendwo vor mir.

Ich bin ja nur Joey, der nervige Typ mit der großen Klappe, der ihn in seinem Büro geküsst hat - und DAS ist so was wie sein Lebenswerk!

Oh Gott, bin ich tot ...

Ich habe seinem Baby geschadet.

Und ich WEIß, was mit Typen passiert, die so dumm sind, das zu tun. Immerhin war ich die letzten Monate regelmäßig dabei, wenn wir sie erledigt haben.

Fuck ...
 

Ein unerwarteter und nicht grade netter Gedanke schießt mir plötzlich durch den Kopf.

Andererseits ... NOCH weiß er es ja nicht.
 

Ich bin aus seinem Büro gerannt, bevor mein Verhalten auffällig werden konnte. So was wie hysterische Ausbrüche kriegen oder in Ohnmacht fallen. Ich habe mich einfach umgedreht und bin wie von Furien gehetzt davon gerannt. Also, noch hat er keine Ahnung, dass ausgerechnet ich es war, der diesmal den unfreiwilligen Attentäter gespielt hat.

Wer sagt denn, dass er es jemals erfahren muss? Was er nicht weiß ...macht ihn auch nicht heiß, und mich nicht tot.
 

Ich hebe den Kopf und starre entrückt auf die Metallstange vor mir.

Genau. Ich wollte ja nicht mal was Böses tun. Ehrlich nicht. Ich bin praktisch so gut wie unschuldig. Auch wenn ,praktisch so gut wie' nicht dasselbe ist wie ganz unschuldig. Aber es war wirklich nur ein Unfall ... und es würde alles nur viel komplizierter machen, wenn er das jetzt wüsste ...

Und verdammt, ich will meine Chance auf mehr Kaiba-Zeit nicht so einfach wieder hergeben. Irgendwo tief drin habe ich nämlich immer noch dieses warme, tingelnde Gefühl, wenn ich jetzt an ihn denke ... welches mir verrät, dass ich ihm immer noch ein Eis spendieren würde ... oder ne Niere und so ...
 

Los, Kumpel, streng dein Gehirn an! Glaub an dich! Du schaffst es. Dir fällt schon irgendwas ein.

Ich ertappe mich dabei, dass ich mich selbst motiviere, genau wie vor einem Duell. Aber so fühle ich mich irgendwie auch grade. Diese Mischung aus hundertprozentigem Adrenalin, welches durch meine Adern rauscht ... die Angst, dass ich versagen und alle enttäuschen könnte ... und das triumphierende Gefühl, dass der Sieg nur noch eine Handbreit entfernt ist.
 

Ich habe mit einer Baseballkappe seine Firma lahm gelegt ... heilige Scheiße ... das glaubt mir doch keiner, wenn ich es ihm erzähle ...

Ich meine, darauf kommt er bestimmt nicht von allein. Das ist ja nicht grade was, was jeden Tag passiert.

Denk nach, Joey, denk nach ...

Wo könnten Beweise sein, die gegen dich sprechen?

Fingerabdrücke? Schwer zu glauben, so verkokelt, wie das Ding aussah ...

DNS?

Okay, Kaiba übertreibt ja immer maßlos - aber das traue ich ihm dann doch nicht zu.
 

Mika. Überwachungsvideos. Genau.

Ich weiß, dass es welche gibt. Da waren doch überall Kameras an den Wänden. Aber Kaiba scheint sie nicht gesehen zu haben ... denn sonst wüsste er doch längst ...

Ja, genau, wieso hat er die nicht längst angesehen, wenn er wissen will, was passiert ist?

Da bin ich doch mit Sicherheit irgendwo drauf, wie ich diese Kappe mit einer unauffälligen Handbewegung über die Brüstung entsorge. Mika hat doch wirklich ununterbrochen mit den Kameras um mich herumgeschwenkt. Mika ...

Wie Puzzlestücke fällt es in meinem Kopf zusammen, als ich Kaibas Stimme hören kann, der sagt: > "Sie hat mir den Zugriff zu gewissen Dateien verweigert." <
 

Er hat die Überwachungsbänder nicht gesehen ... er KANN sie gar nicht sehen, weil Mika sie zurückhält. Deswegen haben sie gestritten ... und er hat zur Strafe ihre Persönlichkeit runtergefahren ... und sie hat ihn ausgesperrt ... das macht alles Sinn. Das macht sogar eine ganze Menge Sinn.

Und natürlich wollte er die Bänder sehen ... aber nicht etwa, weil da drauf zu sehen ist, wie ich eine unschuldige Kappe ermorde.

Weil da ein Kuss zu sehen ist.

Sein Kuss. Unser Kuss.

Das Erpressungsvideo des Jahrhunderts.
 

Alle diese Gedanken rasen in Lichtgeschwindigkeit durch meinen Kopf und es dauert minutenlang, bis ich sie alle in eine halbwegs stimmige Reihenfolge gebracht habe. Ich bin ein Genie. Und ich habe nur sechzehn Jahre gebraucht, um es zu merken. Gott, bin ich toll!

Langsam und ungläubig löse ich mich von der Laterne. Ein paar Grundschüler stehen daneben und starren aus großen Augen zu mir hoch.
 

"Der Mann da redet mit sich selbst" piepst ein kleines Mädchen und versteckt sich hinter einem etwas größeren Jungen. Ihre Augen sind kugelrund und sie hat zwei kleine Pferdeschwänze seitlich von ihrem Kopf abstehen.

"Sind sie verrückt?" fragt der Junge mit schief gelegtem Kopf. "Oder ein Perverser?"
 

Ich blinzele. "Ich ... äh ... nein. Ich bin nur ein hilfloses Opfer der Umstände."

Mit diesen Worten sause ich davon.

Es gibt im Moment eigentlich nur eine einzige Person, die mir helfen kann. Und die kann mich nicht ausstehen und ist ein zickiges, weibliches Computerprogramm.

Ich liebe mein Leben.
 

Natürlich macht es keinen Sinn zurück zur Kaiba Corp. zu laufen, wo ich grade so panisch entschwunden bin. Aber das ist ja, soweit ich bisher mitbekommen habe, nicht der einzige Ort, wo man mit Mika in Kontakt treten kann. Es gibt noch einen weiteren.

Immerhin habe ich ja selbst gesehen, wie sie nach Mokuba gecheckt hat, als wir den Stromausfall in der Firma hatten. Also muss da logischerweise auch eine Verbindung zu Kaibas Haus sein.

Habe ich schon erwähnt, dass ich ein Genie bin?
 

Leider sind auch Genies nicht automatisch Supersportler - das merke ich spätestens dann, als ich schwer atmend gegen die Gitterstäbe seines Eingangstores sinke und mir die Lunge aus dem Leib keuche. Fünfzehn Minuten von der Innenstadt bis hierher, und nur gerannt - nicht schlecht. Ich vermisse mein Fahrrad ...

Nach Luft schnappend und mit Seitenstechen richte ich mich auf und drücke auf die Klingel. Immerhin ist es schon Nachmittag und ich habe die vage Hoffnung, dass wenigstens Mokuba zu Hause ist.
 

Es dauert einen Moment, bis ein knisterndes Rauschen verkündet, dass jemand auf der anderen Seite an die Sprechanlage gegangen ist.
 

"Willkommen beim Anwesen der Kaibas", lässt mich eine vertraut metallisch klingende Stimme wissen.
 

"Ähm ... hi ...", beginne ich und habe das vage Gefühl, dass mir diese Situation sehr bekannt vorkommt.
 

"Bitte nennen Sie Ihr Anliegen."
 

"Ähm ... persönlich ... oder auch geschäftlich. Ich ... also ... ich bin ... ich bin ein Freund der Familie. Von Mokuba! Genau!"
 

"Bitte identifizieren Sie sich."
 

Ich wusste es. Das wird garantiert wieder nichts. Ich bin nicht gut mit Maschinen, vor allem nicht mit welchen, die intelligenter sind als ich. Sieht man ja an Kaiba.

"Ich bin nur ein harmloser Besucher! Kein Attentäter, kein Bombenleger, kein Psychopath aus Atlantis, kein tot geglaubter, durchgeknallter Stiefbruder, kein rüschentragender, konkurrierender Firmenboss", leiere ich in einem Atemzug herunter. "Oh, und keiner von fünf frustrierten Angestellten, der sich rächen will oder so etwas. Reicht das?"
 

Offenbar ist die elektronische Mika mit diesen Informationen deutlich überfordert.

"Identifizieren Sie sich", wiederholt sie in monotonen Tonfall. Die echte Mika hätte das wenigstens irgendwie witzig gefunden. Ich ertappe mich dabei, dass ich dieses Scheusal beinah ein wenig vermisse. Und ich habe echt keinen Plan, wie zum Teufel ich mich identifizieren soll. Mit was denn?
 

"Joey Wheeler", sage ich probeweise.

Es rauscht ein wenig.
 

"Kein Eintrag vorhanden."
 

Oh klasse. Wieso hat Kaiba keinen Eintrag über mich?! Das darf ja nicht wahr sein ... immerhin bin ich ein essentiell wichtiger Teil seines Lebens! Ich habe seine Firma und seinen Arsch ja wohl mehr als nur einmal gerettet.
 

"Joseph Jay Wheeler?" versuche ich, ohne große Hoffnung. Bei meinem Glück hat Kaiba mir einen zwanzigstelligen Zahlencode zugeordnet. Oder gar nichts.

Erneutes Rauschen folgt.
 

"Kein Eintrag vorhanden."
 

"Bonkotsu?" frage ich.
 

"Kein Eintrag vorhanden."
 

"Köter?"
 

"Kein Eintrag vorhanden."
 

"Hündchen?!"
 

"Kein Eintrag vorhanden."
 

"J.J.?!" probiere ich aus reiner Verzweiflung.
 

"Kein Eintrag vorhanden."
 

"Zweitklassiger Duellant?"
 

"Kein Eintrag vorhanden."
 

Grrr, soll das ein Scherz sein?!

Oh man ... das wird schwerer, als erwartet. Man könnte glatt meinen, Kaiba will nicht, dass ich ihn besuche. Pah! Um das zu verhindern, muss er früher aufstehen.

Entschlossen hebe ich die Hand und drücke auf sämtlichen vorhandenen Knöpfen herum. Irgendwo muss es doch hier eine Direktverbindung ins Haus geben. Wenn ich es nur schaffe, endlich mit Mokuba zu reden - er lässt mich bestimmt rein.
 

"Identifizie-..." "... keine Berechtigu-..." "Bitte ..." "Wenden Sie sich ..." "... haben kei-..." Aufgebracht hämmere ich auf den Tasten herum. Los, spuck schon irgendwas Brauchbares aus! Ich muss da jetzt rein! Und ich lass mich von einer sprechenden Schrottkiste ganz sicher nicht aufhalten.

"Blödes Mistding!", murmele ich.
 

"Joey?" ertönt plötzlich eine Stimme, die ganz und gar nicht nach Computer klingt, und ich halte abrupt inne.
 

"Mokuba?!" rufe ich in die Sprechanlage und umklammere sie mit beiden Händen. Oh Gott ja! Ein Mensch - endlich! Ich bin gerettet! "Zwerg, ich bin´s!"
 

"Ja, das ist mir nicht entgangen. Ich habe dich auf dem Monitor."
 

"Hör zu, es tut mir leid - sie wollte mich nicht reinlassen. Ich habe nur versucht ..."
 

"Ich sehe schon. Ich weiß nicht genau, was du versucht hast - aber dabei hast du den internen Alarm ausgelöst." Er seufzt. "Es werden gleich ein Haufen Wachleute bei dir sein. Beweg dich nicht und leiste besser keinen Widerstand. Mach alles, was sie sagen und lass dich einfach ohne Gegenwehr von ihnen zum Haus bringen. Ich versuche das irgendwie zu klären."
 

"Wie bitte?!"
 

"Ich meine es ernst - leiste keinen Widerstand, ja?"
 

"Wa- ...? AAAAAAAAAAAAAAAH!"
 

Fünf Minuten später, in denen ich von einem Haufen Ninjas in schwarzen Anzügen mit Waffen bedroht, zu Boden geworfen, mit Handschellen gefesselt und ins Haus geschleift werde wie ein Sack Kartoffeln, finde ich mich auf dem Boden kniend vor Kaibas kleinem Bruder wieder. Meine Haare sind zerrupft, mein T-Shirt zerwühlt und mein Knie tut weh - ausgerechnet das Knie, welches sich immer noch nicht von dem Zusammenstoß mit Kaibas Wagen erholt hat. Kurz, ich mache wie üblich einen tollen Eindruck als ich über die Türschwelle ins Innere gezerrt werde.
 

Mokuba steht im Flur vor mir und löffelt in aller Seelenruhe ein Eis. Irgendwie fehlt es dem kleinen Knilch an angemessenem Mitgefühl.
 

"Ist er das?" fragt einer der Anzugninjas, den ich inzwischen als den Anführer der Horde und gleichzeitig als den Typen aus dem Auto identifiziert habe, der mich schon mal mit einem Attentäter verwechselt hat. Scheinbar gibt er die Hoffnung echt nicht auf, mich doch noch bei was Widerrechtlichem ertappen zu können. Oder er ist einfach nur schrecklich übereifrig in seinem Job.

Mokuba nickt. "Yep, das ist Joey." Er klingt etwas undeutlich, weil er den Löffel noch im Mund hat. "Machen sie ihm die Handschellen ab."
 

"Danke, Kumpel - ich schulde dir was!" Ich atme auf und möchte ihm am liebsten die Füße küssen vor Erleichterung.
 

Äußerst widerwillig macht der Anzug mir die Handschellen ab, packt mich am Oberarm und zerrt mich mit einer Hand auf die Beine. Ich fühle mich neben diesem zweimetergroßen Muskelpaket klein und hilflos, wie ein Welpe, den man grade am Nacken gepackt hochhält.

Woher zum Teufel kommen immer diese Hundeanalogien?!
 

"Melden sie sich, wenn er Ärger macht. Wir sind immer in der Nähe." Er wirft einen bedrohlichen Blick in meine Richtung, als rechnet er jeden Moment damit, dass ich mir Mokuba unter den Arm klemme und mit ihm türme. Scheinbar färbt die Paranoia ihres Bosses auch auf seine Angestellten ab.
 

"Alles okay?" fragt Mokuba, während die Anzugtypen sich langsam vom Acker machen und ebenso plötzlich wieder verschwinden, wie sie gekommen sind.
 

"Klar, alles bestens. Ich bin hart im Nehmen!" Ich winke lässig ab und verziehe sofort das Gesicht. Der Typ hat meinen Arm lädiert! "Eure Sicherheitsvorkehrungen sind wirklich ... äh ja."
 

Mokuba seufzt und verdreht die Augen. "Sorry, ehrlich. Das liegt nur an dem Stromausfall letzte Nacht. Immer, wenn so was passiert, besteht Seto darauf, dass wir die Sicherheitsmaßnahmen für ein paar Tage verschärfen."

Spätestens jetzt fühle ich mich richtig schuldig.

"Deswegen habe ich jetzt Ralf am Hals", fährt Mokuba fort, "als Bodyguard! Aber ich habe Seto gleich gesagt, dass er mich nicht wieder in die Schule begleiten soll. Das ist so peinlich!"
 

Ralf? Woher zum Teufel kriegen die eigentlich ihre Angestellten? Aus dem Teutonenkatalog? Ich meine - Ralf und Roland?!
 

"Kann ich verstehen." Ich nicke zur Bestätigung. Wie viele Dreizehnjährige gibt es schon, hinter denen im Matheunterricht ein schwer bewaffneter zwei Meter Kampfninja im schwarzen Anzug steht? Das steigert die eigene Popularität nicht grade ungemein.
 

"Schon okay. Er ist nett. Nur ungeheuer paranoid. Willst du ein Eis?" Plötzlich und unerwartet strahlt er mich an. "Hey, ich war grade dabei, ein neues Computerspiel für meinen Bruder zu testen - willst du mitmachen? Es ist ohnehin als Multiplayer gedacht."
 

"Oh, im Prinzip gerne ... aber nicht grade heute ...", stottere ich herum. Ich knie nieder, um auf Augenhöhe mit ihm zu sein. Seine großen, runden Kulleraugen haben frappierende Ähnlichkeit mit Yugis und das ist verhängnisvoll genug. "Hör zu, wegen mir können wir nachher eine Runde zocken - so lange du willst. Aber ich bin eigentlich gekommen, weil ... na ja ... ich wollte mit ... Mika sprechen."
 

"Mit M.I.C.A?" Er klingt überrascht. "Ich glaube nicht, dass das ..."

"Ich weiß, dass Kaiba sie abgeschaltet hat", unterbreche ich ihn rasch. "Also, ihre Persönlichkeit runtergefahren oder wie auch immer. Aber deswegen - unter anderem - muss ich ja mit ihr reden."

"Man kann nicht mit ihr reden, wenn ihre Persönlichkeit unten ist", erklärt er geduldig. "Dann ist sie nur noch ein ganz normales Computerprogramm."

"Aber rumzicken kann sie doch immer noch", stelle ich fest und denke an den Vorfall vor seiner Firma, wo sie ihn nicht reinlassen wollte.

"Seto meint, das ist nur ein Fehler im System." Er klingt unsicher. "Und das heißt nicht, dass man richtig mit ihr reden kann."
 

"Aber wenn du vielleicht ...? Es ist wirklich wichtig." Bettelnd sehe ich ihn an. Ich habe diesen Eiswürfel-Schmelz-Blick zwar noch nicht so aus dem Stehgreif drauf wie er oder Yugi, aber ich arbeite daran. Bei meiner Schwester funktioniert er schon. "Ich meine, kannst DU nicht ...?"

"... ihre Persönlichkeit wieder hochfahren?" vervollständigt er überrascht. "Doch, das könnte ich natürlich. Aber Seto ...!"
 

"Es ist ja nur zu seinem Besten", nicke ich eifrig. "Er findet es sicher auch besser, wenn sein Sicherheitssystem keine Zicken mehr macht. Und wenn du mich nur einmal mit ihr reden lässt ..."

Er legt den Kopf schief und sein Blick ist immer noch skeptisch. Etwas eindeutig gegen die Anweisungen seines Bruders zu tun, scheint nicht leicht für ihn zu sein.

"Bitte!" sage ich.
 

"Und du willst das wirklich nur machen, um Seto zu helfen?"
 

Ein fieses Gefühl breitet sich in meiner Magengegend aus, und ich muss mich praktisch dazu zwingen zu nicken. Ich meine, indirekt will ich ihm ja wirklich helfen ... es würde ihm immerhin auch nichts bringen, wenn er das Überwachungsvideo sieht ... wenn er wüsste, dass ich ...

Also, eigentlich tue ich ihm damit praktisch einen Gefallen. Genau.

Ich nicke noch einmal, diesmal etwas nachdrücklicher.
 

"Na gut." Er gibt sich geschlagen. "Komm mit."

Scheinbar ist Mokuba wieder eingefallen, dass wir zu den wenigen vertrauenswürdigen Menschen in seinem Leben gehören. Anstatt besser, fühle ich mich jetzt noch mieser. Aber um mein schlechtes Gewissen kümmere ich mich später. Jetzt geht es ums nackte Überleben.
 

"Ich wusste nicht einmal, dass du sie kennst", sagt Mokuba, während wir durch lange, edel aussehende Korridore laufen, in denen ich schon nach einer Minute die Orientierung verliere. "M.I.C.A meine ich. Sonst will nie jemand mit ihr sprechen."
 

"Doch, klar. Wir sind total gut ... bekannt miteinander." ,Befreundet' wäre vielleicht ein kleines bisschen zu dick aufgetragen.
 

"Sie ist cool, nicht?" Er klingt stolz. "Ich habe sie programmiert."
 

"Was? Ich dachte Kaiba hätte ...?"
 

"Seto hat natürlich das Sicherheitssystem programmiert - aber ich habe ihren Charakter dazugeschrieben." Er sieht zu mir hoch, als erwartet er, dass ich ihm nicht glaube. "Ich kann so was. Ehrlich."
 

Was hat er sich dabei eigentlich gedacht, so ein Monster zu erfinden?! Okay, vermutlich ist sie zu ihm etwas netter ... zu Kaiba ist sie ja auch netter als zu mir. Trotzdem ...

Ich ertappe mich dabei, wie ich ihm versichere, dass sie wirklich eine sehr ... eindrucksvolle Persönlichkeit hat.
 

"Ja, nicht wahr? Seto konnte seine Sekretärinnen nie richtig leiden. Er vertraut den meisten unserer Angestellten nicht wirklich. Aber Mika ist toll - sie kann einfach alles! Und er hat jemanden zum Reden, wenn er abends allein in der Firma ist." Ein Lächeln breitet sich bei diesem Gedanken auf seinem Gesicht aus. "Willst du ein Bild von ihr sehen?"
 

"Es existieren Bilder von ihr?"
 

"Keine wirklichen natürlich", versichert er, während wir bei einer Tür ankommen. Auch hier muss man einen Code eingeben, aber die Sicherheitsvorkehrungen scheinen etwas weniger strikt zu sein, als in der Kaiba Corp. "Mehr so, wie ich sie mir vorgestellt habe, beim Programmieren." Ein leichter Hauch von Röte macht sich auf seinen Wangen breit, während die Tür langsam vor uns aufgleitet. Allein das macht mich neugierig.
 

Wir landen in einem Raum, der aussieht wie eine riesige Schaltzentrale - oder eine Raumstation. Überall sind Monitore, Schaltflächen und Tastaturen, und es blinken irgendwelche Lichter. Alles ist verchromt und hinter Glas und sieht nach mehr-als-teuer aus. Ich trau mich kaum, zu auffällig zu atmen, aus lauter Angst, dadurch etwas zu beschädigen, was ich in diesem Leben nie wieder bezahlen kann.
 

"Das ist die Hauptschaltzentrale von M.I.C.A", erklärt Mokuba. "Hier ist man verbunden mit sämtlichen ihrer externen und internen Kameras, allen Sicherheitsvorkehrungen, mit Setos Laptop und der Kaiba Corp. Sie hat Zugriff auf alle Dateien, die sich irgendwo in unserem Datennetz befinden. Im Notfall wäre es sogar möglich, die Kaiba Corp. von hier aus zu steuern." Er klingt mächtig stolz und ich kann es ihm nicht verdenken.
 

"Abgefahren ...", murmele ich und wende den Kopf nach allen Seiten.
 

"Und das ..." Mokuba greift nach einem Bild, das hinter einen der Monitore geklemmt ist und hält es mir mit einem Ausdruck von Besitzerstolz entgegen, "... das ist sie."
 

Ich schnappe es mir und werfe einen Blick darauf. Wortlos klappt mein Unterkiefer hinunter.

Auf dem Bild ist eine absolute Superbraut zu sehen. Sie rekelt sich in einem verdammt knappen, schwarzen Lederbikini verführerisch im Sand und sieht aus, als würde sie mir jeden Moment zuzwinkern. Die könnte glatt Mai Konkurrenz machen - aber auch nur fast.
 

"Gefällt sie dir?" Das Rot auf seinen Wangen hat sich vertieft und er sieht mich mit einem abwartenden Ausdruck in seinen riesigen, violetten Augen an.
 

"Mokuba ... Mokuba ..." Ein Grinsen breitet sich auf meinem Gesicht aus, als ich sie ihm zurückgebe. Ich pfeife leise vor mich hin und wuschele ihm verschwörerisch durch die Haare. "Ich bin schwer beeindruckt von dir. Erinnere mich mal daran, dich bei Gelegenheit zu unseren Männerabenden einzuladen."
 

"Hast du sie dir auch so vorgestellt?" fragt er interessiert.
 

"Also ... nicht ganz ... aber äh ganz dicht dran", versichere ich hastig. In meiner Phantasie hatte sie eine Knarre in der Hand und eine Zigarette im Mundwinkel - und wollte mich umbringen. Mika war für mich immer eher der Typ fiese Ganovenbraut. Gefängnisaufseherin. Dominante Schuldirektorin. So was in der Art.
 

"Ich bin froh, wenn sie wieder an ist", sagt Mokuba ein wenig bedrückt und klemmt das Bild mit einem letzten liebevollen Blick zurück hinter den Monitor. "Es ist so langweilig hier ohne sie. Ralf ist echt in Ordnung - aber er hat absolut keine Ahnung von Computerspielen."
 

"Ich tue was ich kann, Zwerg", verspreche ich in einem unerwarteten Moment der Rührseligkeit. Mokuba schwärmt für seine superscharfe Sicherheitsanlage - das ist einfach zu schön, um wahr zu sein.
 

"Ich fahre sie jetzt hoch - aber nur das interne Netz innerhalb des Hauses, sonst kriegt Seto es mit." Mit einem entschlossenen Gesichtsausdruck stellt er sich auf die Zehenspitzen und tippt auf einer der unzähligen Schaltflächen herum. Es gibt einige surrende Geräusche von sich und die Lichter um uns herum blinken etwas heftiger.

Er deutet auf einen Monitor, auf dem sich ein langer Balken hochläd. "Wenn er voll ist, ist sie ganz hochgefahren. Willst du alleine mit ihr reden?"
 

Ich nicke und starre wie gebannt auf den immer voller werdenden Balken. Langsam wird mir ein bisschen mulmig. Das letzte Mal, als wir uns über den Weg gelaufen sind, hat sie mich mit Lasern bedroht und sexuell belästigt. Wer weiß, wie sie diesmal drauf ist. Mokuba sieht erst mich an und dann den Balken, der jetzt bei 69% steht. Es fällt ihm offensichtlich schwer, aber er geht zur Tür.
 

"Viel Glück", sagt er und ich höre ein leises Geräusch, als die Tür aufgleitet. "Wenn du raus willst - drück einfach auf diesen Knopf."
 

"Danke."

Ich denke an Kaiba - und das seltsame, unbeabsichtigte Lächeln auf seinem Gesicht eben in seinem Büro. Und seinen Blick, als er mir nachgesehen hat. An unsere verschmierten Handabdrücke auf der Glasfront.

Ich tue das Richtige. Wirklich. Bestimmt. Ganz sicher ...
 

"... das können sie nicht mit mir machen! Ich bin wirklich empört, Sir! Wie können sie es wagen ...?!"
 

Überrascht sehe ich auf. Die zeternde, wutentbrannte Stimme kommt mir sehr bekannt vor. Sie scheint in dem ganzen, kleinen Raum wiederzuhallen.
 

"Äh ... Sir? Wo ...?" Ein paar Kameras lösen sich von den Wänden und beginnen suchend im Raum herumzuschwirren. "Sir?"

"Hi ...", beginne ich unsicher.

Prompt landen sie auf mir. "Na, wen haben wir denn da ..." Rasant sausen sie auf mich zu, so dass ich erschrocken zur Seite springe. "Wenn das nicht der kleine Punk ist. Was zum Teufel machst du denn hier?"
 

"Ich ... äh ..."
 

"Wo ist der Boss?" verlangt sie ungehalten zu wissen und ihre Kameras kreiseln um mich herum, so dass einem schwindelig wird davon.

"Na ja, er ..."

"Was hast du gemacht? Und wie bist du überhaupt hier hereingekommen?"

"Mokuba hat ..."

"Mokuba ...", wiederholt sie. "Moment, Moment - halt die Klappe!" Einer der großen Monitore beginnt hektisch zu flimmern, und dann sehe ich, wie darauf ein Bild entsteht. Es scheint so etwas wie das Wohnzimmer zu sein, und man sieht Mokuba, der sich grade auf der Couch niederlässt und nach einem Joystick greift. Neben ihm steht eine Schüssel Chips und ein Stapel Kissen liegt auf dem Boden. Es hat etwas unheimlich Verlorenes an sich, wie er so am helllichten Tag in dem abgedunkelten Raum sitzt und auf einen flackernden Bildschirm starrt.

Mika seufzt abgrundtief.

"Ist er böse auf mich?" fragt sie schließlich. "Ich hatte ihm eigentlich versprochen, das neue Spiel mit ihm zusammen zu testen ... aber kann ich ahnen, dass der Boss heute Morgen diesen Anfall bekommt und mich ausschaltet?!"
 

"Nein ... also, ich hatte nicht den Eindruck." Hastig schüttele ich den Kopf. "Ich glaube, er ... öh ...vermisst dich sogar." Unbegreiflicherweise.
 

"Na gut." Das Bild auf dem Monitor flackert und verschwindet. "Ich werde es ihm später erklären."

Die Kameras schwenken langsam und bedrohlich zurück zu mir. Ich finde mich in eine Ecke des Raumes gedrückt wieder und versuche nicht so aussehen, als ob ich mir vor Angst gleich in die Hose mache.
 

"Kommen wir zu dir, Kleiner. Was machst du hier?" Sie klingt misstrauisch. Ihre Kameras schwenken um mich herum und betrachten mich genauer. "Du siehst aus, als hättest du eine Schlägerei hinter dir."

"Könnte man so bezeich-..."

"Wo ist der Boss?" würgt sie mich ab.

"In seiner Firm- ...", versuche ich erfolglos zu erklären.

"Hat er dich geschickt?"

"Nein, ich bin frei- ..."

"Und weswegen bist du hier?"

"Ich wollte nur ..."

"Du wolltest nur?"
 

"STOP!" explodiere ich und balle die Fäuste. Angst hin oder her. "Das reicht! Lass mich gefälligst ausreden!"
 

"Oho ...was soll das denn werden? Aufstand der Blondies?" Sie klingt beinah belustigt. "Reg dich ab - ich bin ja schon ganz Ohr." Sie neigt eine Kamera zu mir. "Erzähl mir deinen Frust, Kleiner. Los, lad ihn ab bei Tante Mika."
 

Ich habe nicht das Gefühl, dass sie mich ernst nimmt.

"Ich bin nicht gefrustet", stelle ich verärgert fest. "Mir geht's fabelhaft, danke!"
 

"Ach ja? Letzte Nacht sahst du mir sehr gefrustet aus ...Mutiere ich jetzt zu deiner Liebeskummertante, weil du nicht beim Boss landen konntest?"
 

Wumm! Meine Augen werden weit.

"Ich ... was ... NEIN!" Ich stolpere zurück und wedele hektisch mit den Händen. "Das ist ... überhaupt nicht ... kein Wort ist wahr ...!" Ich kann spüren, wie mein Gesicht brennt. Muss sie alles so unverblümt in Worte fassen?
 

"Ist ja wieder typisch! Sich erst ranschmeißen und es dann wieder nicht gewesen sein!"
 

"Das stimmt nicht ...!!" keuche ich. "Das war ganz anders ... ich habe nicht ...!" Oh Gott, die ist schlimmer als erwartet. Ich hatte vergessen, WIE schräg die drauf ist.
 

"Ach, du HAST also gar nicht ... Na, wenn das so ist ...! Erste Lektion für die Zukunft, Punk. Belüge niemals ein allwissendes Sicherheitssystem." Mit diesen Worten beginnt der riesige Bildschirm erneut zu flackern. Unangenehmes, elektrisches Licht breitet sich dort aus - und dann sehe ich mich selbst. Mit dem Rücken zur Wand stehend. Kaibas Mantel sieht lächerlich lang an mir aus. Mein Gesicht ist wütend. Aufgelöst. Mein Mund bewegt sich hastig und ich brülle Kaiba an, aber kein Ton verlässt dabei meine Lippen.
 

"...WEIß, dass ich ein Idiot bin!" schallt mir meine eigene Stimme entgegen, als sie den Ton andreht und mein Magen zieht sich zusammen. "Du könntest mir wenigstens verraten ... wie du es schaffst, dass dich alles an mir so kalt lässt ... Und wieso kostet es dich so unglaublich viel ... einfach nur nett zu mir zu sein ...? Warum ...?!"
 

Kaiba steht mit dem Rücken zur Kamera, von daher kann ich nichts sehen, außer wie seine Schulterblätter sich anspannen. Er sieht aus, als würde er vor Wut zittern. Aber das kann auch das leichte Flackern des Bildschirmes sein.
 

"Mach das weg ...", flüstere ich entsetzt und wende den Blick ab.
 

"Was denn? Lieber eine andere Perspektive?" flötet sie.
 

Ein weiterer Monitor geht an. Und noch einer. Und ein weiterer. Egal, wo ich mich hinwende - überall sehe ich ihn und mich. Mein wütendes Gesicht und die glitzernden Tränen in meinen Augen, die ich letzte Nacht nicht einmal bemerkt habe. Sein Körper, angespannt bis zum geht nicht mehr und sein Gesichtsausdruck, der unerwartet lebendig ist. Aus vier verschiedenen Kameraperspektiven muss ich mit ansehen, wie Kaiba einen Schritt auf mich zumacht und mich an die Wand donnert.

Ich presse die Augen zusammen, so fest, dass ich Sterne sehe. Die Wand hinter mir fängt mich auf, als ich dagegen sinke und mit zitternden Knien zu Boden rutsche. Mir wird schlecht. Ich hatte vergessen, wie sehr mich das traumatisiert hat ...

"Mach das weg!" fauche ich.
 

"So ..." sagt sie und Überraschenderweise klingt ihre Stimme beinah mild. Meine Stimme auf den Monitoren erstirbt. "Jetzt noch mal Klartext." Ich öffne die Augen und zu meiner Erleichterung stelle ich fest, dass alle Bildschirme schwarz sind. "Ehrliche Antwort. Bist du deswegen hier?"

"Nein ..."

"Du willst die Bänder nicht bekommen, um sie zu vernichten? Oder den Boss damit zu erpressen?"

Hastig schüttele ich den Kopf.

"Sicher?"

"Ja!"

"Nicht mal erpressen?"

"Verdammt ...nein!"

"Oh ... gut." Sie klingt überrascht. "Ähm - möglicherweise habe ich dann ein wenig überreagiert..."

"Möglicherweise?! MÖGLICHERWEISE?"

"Jetzt regen wir uns am besten alle wieder ab, nicht wahr?"

"Grrrrr..."
 

Ich atme tief ein und aus und versuche sie nicht zu erwürgen. Zum ersten Mal schäme ich mich ein kleines bisschen für das Übermaß an Triumph, welches ich eben in Kaibas Büro empfunden habe. Vielleicht habe ich irgendwie vergessen ... verdrängt ... dass er hier nicht der einzige ist, der dieses Problem am Hals hat. Scheiße ... das kam so unerwartet ... und dann haut sie mir das so um die Ohren. Mein Herz hämmert.

"Wollte Kaiba das etwa löschen ...?" frage ich schließlich aus einem Impuls heraus und öffne die Augen.

"Das kannst du glauben! Ich musste es mit Zähnen und Klauen verteidigen!"
 

Ich nicke dumpf. Auch wenn es nicht wirklich unerwartet kommt und es ziemlich gut in meine Theorie über ihren Streit hineinpasst ... der Gedanke schmerzt. Dass Kaiba es wirklich auslöschen wollte. Einfach vernichten.

Als ob es nie passiert wäre, denn wie wir alle wissen ... wenn es keine Zeugen für etwas gibt, dann ist es auch nicht passiert. Sekundenlang frage ich mich, ob ich doch danebengelegen habe, mit allem was ich vorhin noch gesagt habe ... ob das alles nur ein Hirngespinst war ...

Aber nein, das war echt. Sein Herzschlag war echt ... auch wenn er mich vielleicht immer noch nicht wirklich leiden kann - irgendetwas IST da. Irgendetwas, was nicht einmal er wegignorieren kann. An diesen Gedanken klammere ich mich.
 

"Jetzt aber Klartext! Weswegen bist du hier? Etwa nur wegen meiner reizenden Gesellschaft?"
 

"Natürlich ni-..." Bedrohliche Kameras surren auf mich zu, und ich habe das deutliche Gefühl schon wieder ein rotes Fadenkreuz auf meiner Stirn zu haben. "Natürlich! Das auch! Auf jeden Fall!" nicke ich hastig.
 

"Was noch?" fragt sie scharf.
 

"Die Bänder ...", murmele ich widerwillig. "Da muss noch was von mir drauf sein ..."
 

Der große Bildschirm zu meiner Linken beginnt erneut zu rauschen. Ein Bild erscheint und wieder kann ich uns sehen. Ich will den Kopf abwenden, aber sofort beginnt es zu flackern und mir wird klar, dass sie zurückspult. Es wird schwarz und ich vermute, dass das die Zeit während des Stormausfalles war.
 

"Sag Stopp, wenn wir da sind", befiehlt sie.
 

Unsere sich zackig bewegenden Gestalten in seinem dunklen Büro rauschen über den Bildschirm. Jetzt ist das Licht wieder an und ich kann meine eigene, desolate und auf den Teppich tropfende Gestalt sehen. Rückwärts gehe ich aus seinem Büro. Fahre im Aufzug nach unten. Und da ... da betrete ich endlich die Kaiba Corp.
 

"Stopp", sage ich tonlos.
 

Ausnahmsweise ganz ohne biestige Kommentare hält sie an und lässt das Band laufen. Und da ist es.

Da bin ich. Ganz klar und deutlich. Kein Zweifel möglich. Meine Haare leuchten verräterisch hell in der dunklen Halle. Unwillkürlich halte ich die Luft an, als der Joey auf dem Bildschirm seinen Arm bewegt. Etwas saust durch die Luft. Es ist klein und blau, und er wirft ihm einen beleidigten Blick hinterher, während er seine Hände lässig in die Hosentaschen schiebt.
 

"Noch mal aus einer anderen Perspektiven?" fragt sie höflich.

"Danke", erwidere ich mit Grabesstimme. "Einmal reicht ..."

"Du hast die Kaiba Corporation lahm gelegt", stellt sie interessiert fest und geht auf Standbild. Sie klingt, als könnte sie es selbst nicht glauben.

"Könnte man so sagen ...", hauche ich und vergrabe den Kopf in den Händen.

"Bin beeindruckt."

"Ehrlich ...?"

"Ne Scherz."

Ich stöhne leise und schlinge die Arme um meinen Kopf.
 

"Trotzdem wow. Das schafft nicht jeder", bemerkt sie. "Wieso lebst du eigentlich noch?"

"Weil Kaiba das noch nicht gesehen hat - deshalb", murmele ich dumpf.

"Du willst, dass ich die Aufnahme lösche, nicht wahr?" sagt sie nach einem Moment Nachdenken. "Deswegen bist du hergekommen."

Ohne aufzusehen, nicke ich. "Ich ... ja ... weiß nicht ...irgendwie schon ...", murmele ich unglücklich.

"Wieso?"

"Wieso?" wiederhole ich gedämpft. "WIESO?! Weil er mich sonst umbringt! Weil ich an meinem verdammten Leben ein bisschen hänge! Weil ich an ihm ein bisschen hänge! Und weil ich auf beides nicht gerne verzichten möchte - deswegen."
 

"Wie schrecklich rührend."

"Schon gut", knurre ich unwillig. "Mach mich ruhig fertig. Ich hatte nicht erwartet, dass du das verstehst ..." Wie sollte sie auch.

"Jetzt stell dich doch nicht an, wie ein laufender Blondinenwitz, selbst wenn du schon so aussiehst", befiehlt sie barsch.

"WAS?! HEY!" Mein Kopf fliegt hoch und ich funkele wütend die nächstbeste Kamera an, die um mich herumschwirrt.
 

"Du willst also, dass ich hingehe und es lösche - ja?" fragt sie, ohne auf meinen Einwand einzugehen.

Unsicher nicke ich. "Ja ..."

"Das klingt nicht sehr überzeugend, mein Lieber."

"Doch schon ... ich meine, das wäre toll ..."

"Sicher?"

Ich atme tief durch. Der Gedanke an unsere Handabdrücke auf seiner Glasfront verfolgt mich, und allein deswegen möchte ich nicken und einfach ,ja' sagen.

"Ich weiß nicht ...", sage ich schließlich und komme mir dumm vor. Wieso nehme ich den ganzen Ärger auf mich, nur um dann hier zu sitzen und keine klare Antwort geben zu können?
 

"Das darf nicht wahr sein. Ihr seid beide wirklich begriffsstutzig", sagte sie und klingt wirklich wütend. "Wenn es keine Zeugen gibt, ist es nicht passiert. Wenn ich das Überwachungsband vernichte, habe ich auch niemals die Kaiba Corp. lahm gelegt. Bla bla bla. Wenn ihr das wirklich denkt, tut ihr mir leid. Fangt endlich an, euch wie Erwachsene zu benehmen und steht mal dazu, was ihr getan habt! Langsam frage ich mich, ob ihr nichts Besseres mit eurer Zeit anzufangen habt, als Spuren davon auszulöschen!" faucht sie. "Das ist ja wie im Kindergarten! Und jetzt raus! Du hast hier ohnehin nichts zu suchen. Komm wieder, wenn du endlich weißt, was du willst."
 

Mein Kopf fährt hoch und ich starre perplex in eine der Kameras. "Du kannst mich doch nicht einfach rauswerfen ...!" Vor allem nicht nach den Mühen, die ich hatte hierher zukommen!
 

"Schätzchen - ich habe die Laser. Natürlich kann ich."

Schon wieder klickt es verdächtig um mich herum und ich krabbele hastig rückwärts zur Tür. Sie scheint wirklich angepisst zu sein ... und dann wird sie psychopathisch.

"Ihr regt mich so was von auf - alle beide!"
 

Ein roter Strahl zischt durch die Luft und zwei Zentimeter von meinem rechten Bein entfernt verkokelt leise ein bisschen Metall am Boden. Oh Gott, sie hat es getan. Hilfe! Yugi!

Ohne abzuwarten, was sie noch zu sagen hat, springe ich auf und hämmere auf dem Knopf herum, den Mokuba mir vorhin gezeigt hat. Die Tür gleitet auf und ich stürze nach draußen. Ich will gar nichts mehr hören.
 

Ich bin ein Idiot.

Ich stolpere ein paar Schritte von der Tür weg, die sich mit einem endgültigen Geräusch hinter mir schließt und sehe mich um. Adrenalin pulsiert noch immer wild durch meinen Körper und so langsam habe ich das Gefühl, wenn das nicht bald nachlässt, zerbröselt es mich irgendwann in Einzelteile, wie ein altes Knäckebrot.
 

Oh scheiße ... scheiße ...

Ich fühle mich wie ein Schwächling, weil ich es nicht einmal schaffe, mich gegen ein zickiges Computerprogramm durchzusetzen. Ich fühle mich schlecht, weil ich tief drinnen weiß, dass sie Recht hat. Ich ...

Verdammt ... wo bin ich überhaupt?

Lange Flure erstrecken sich in alle Richtungen, manche zweigen ab oder münden in Treppen, die in andere Stockwerke führen. Eine kleine, hartnäckige Stimme in meinem Inneren versucht mich zu motivieren, weiterzumachen, zu planen, nachzudenken, irgendetwas zu überlegen, was ich als nächstes tun soll ... aber ich blende sie einfach aus. Zum ersten Mal heute bin ich wirklich müde.

Ich habe die letzte Nacht nicht viel Schlaf abbekommen und der Tag heute war alles in allem verdammt anstrengend. Hässliche und mit Sicherheit sündhaft teure Gemälde hängen an den Wänden und ich frage mich düster, wie viel ich von Kaibas Sachen noch kaputt machen kann.

Ich bin ein Hund im Porzellanladen ... so sieht es aus.
 

Anstatt ziellos durch die Flure zu strolchen, trete ich weiter in das Zimmer, welches sich direkt an Mikas Schaltzentrale anschließt. Am Rand steht ein Bett. Es ist so riesig, dass dem man vermutlich Volleyballturniere darauf abhalten könnte - und im Augenblick trägt es meinen Namen. Jetzt in diesem Riesenschloss nach Mokuba zu suchen oder mich mit den Anzugninjas anzulegen, geht über meine Kräfte. Ich brauche eine Pause. Nur ganz kurz.
 

> "Fangt endlich an, euch wie Erwachsene zu benehmen und steht mal dazu, was ihr getan habt! Langsam frage ich mich, ob ihr nichts Besseres mit eurer Zeit anzufangen habt, als Spuren davon auszulöschen!" <
 

> "Weil ich an meinem verdammten Leben ein bisschen hänge! Weil ich an ihm ein bisschen hänge!" <
 

Wenn es Sinn machen würde, hätte ich mir spätestens jetzt die Ohren zugehalten, nur um meine eigenen Gedanken nicht mehr hören zu müssen. Ich starre hoch an die Decke und da ist ein riesiges Gemälde von Kaibas angebeteter Lieblingskarte. Ein weißer Drache. Natürlich. Wer hätte das gedacht.
 

Ich sinke auf das Bett und schließe die Augen, vergrabe den Kopf in den Armen. Wieso stelle ich mich nur so dumm an? Wieso bin ich so unfähig in diesen Dingen? Und wieso war es früher nur so unglaublich einfach ihn zu hassen ... und wieso ist alles andere nur so schwer ...?
 

Ich rolle mich in der Mitte zusammen und schließe die Augen.

Ralf, der Teutonen-Ninjakrieger, wird mich schon rechtzeitig rauswerfen, wenn er mich findet ... ist mir egal ...
 


 

~ Nobody said it was easy

It's such a shame for us to part

Nobody said it was easy

No one ever said it would be this hard
 

Oh, take me back to the start ... ~
 


 

^ to be continued ^
 

Feedback?: Ich lebe dafür. ^^

Tauziehen

Vorwort: Ich gestehe, ich weiß nicht was ich machen soll. ^^* Ich habe das Gefühl, dass die Qualität dieser FF mit jedem Kapitel nachlässt. *seufz* ;_;

Nachträglich weiß ich, was ich hätte anders machen müssen, aber jetzt ist es zu spät und kann nicht mehr ein paar Kapitel zurückgehen und Dinge ungeschehen machen. Aber ich liebe diese verdammte Fic - und ich werde es sicher nicht übers Herz bringen sie abzubrechen. Also macht euch deswegen vorerst keine Gedanken. ^^
 

Warnungen: UST (mit einem großen U *hust*), Kitsch, Knatsch, das übliche
 

Danke an alle Kommentarschreiber - ihr seid wunderbar. *__* Ehrlich! Ich bin total platt - und wow, danke. *___*
 


 

~ Joey, baby - don't get crazy

Detours. Fences ... I get defensive

And if I seem to be confused

I didn't mean to be with you.

And when you said I scared you,

well I guess you scared me too

But we got lucky once before

And I don't wanna close the door ~
 

Concrete Blonde: "Joey"
 


 

"Joey."

Jemand rüttelt an meiner Schulter.
 

Ich träume von Riesenmarshmallows, die mich quer durch die Stadt verfolgen. Ich hasse diesen Traum. Seit ich acht bin, träume ich davon und seitdem sehe ich Marshmallows mit anderen Augen. Hinterhältige Biester ...

"Nicht essen...", murmele ich. "Ich will euch auch nicht essen ..."
 

"Herrgott, Joey!" Diesmal klingt es nachdrücklicher und der Griff um meine Schulter wird fester.
 

Die Marshmallows verschwinden. Ich gebe ein unidentifizierbares Geräusch von mir und blinzele verwirrt. "Wassislos?" Muss ich etwa in die Schule ...?

Wo bin ich? Wer bin ich? Und vor allem - ist das ...
 

"Was los ist?! Das wüsste ich gerne von dir!"
 

"...Kaiba?" Ich blinzele ein wenig mehr und das verschwommene, helle Oval vor meinen Augen wird schärfer. Blaue Augen, unterkühlter Blick, ausdruckslose Mimik - yep, das ist er. Kaiba.

KAIBA?!

Meine Augen werden weit. "Hey! Was machst du in meinem Zimmer?" Ich starre ihn an. "In meinem BETT?!" Ich klinge wie eine hysterische Jungfrau, aber das muss daran liegen, dass ich noch nicht ganz wach bin.
 

Sekundenlang starrt er mich einfach an. Dann schießt eine schmale, dunkle Augenbraue nach oben. "Dein Zimmer? Bring mich nicht zum Lachen. Ihr könntet euch doch nicht einmal eine Wohnung in dieser Größe leisten."
 

Eine passende (und sehr beleidigende) Erwiderung liegt schon auf meiner Zunge, aber in letzter Sekunde überlege ich es mir anders und schlucke sie hinunter. Hastig setze ich mich auf und mein Kopf fliegt herum, während ich mich fragend umsehe. Ich ... oh ... Gott ...

Das sieht tatsächlich nicht aus wie mein Zimmer. Erstens ist es fünfmal so groß. Zweitens ist es fünfmal so blau.

Gut, ich übertreibe. Aber nur ein bisschen. Die dominierenden Farben sind schwarz, weiß und ... äh blau, und an mehreren strategischen Stellen sind weiße Drachen in allen möglichen Formen und Größen angebracht. Eine edel verchromte Stehlampe neben dem Bett verteilt warmes, indirektes Licht.

Ich blinzele und reibe mir heftig über die Augen. Langsam dämmert mir, wem dieses Zimmer gehört. Und das liegt nicht nur an dem verschlungenen, silbernen KC, dass auf die Bettwäsche gestickt ist. Kann einem so etwas wirklich entgehen?
 

"Oh ...", sage ich in Ermangelung etwas Besserem. Und nach einem Augenblick: "OH!"
 

Was ...? Wieso ...? Innerhalb des Bruchteils einer Sekunde rauschen die Erinnerungen durch mein langsam erwachendes Gehirn, und mir fällt schlagartig alles wieder ein. Kaiba. Die Kaiba Corp. Sein Büro. Seine Fensterfront. Die Baseballkappe. Mokuba. Überfall der Teutonen-Ninjakrieger. Mika.

Mein Mund klappt auf. "Ah ...", hauche ich intelligent.
 

"Deine sprachliche Kompetenz verblüfft mich immer wieder." Es klingt sarkastisch. "Wenn du die Vokale alle durchhast, kriegst du einen Keks."
 

"Ich bin in deinem Zimmer?" frage ich kleinlaut. "In deinem ... Bett?"
 

"Es sieht nicht grade aus wie deine Hundehütte, nicht wahr?" Er seufzt und lässt sich auf der Bettkante nieder.
 

"Hey! Warte mit den Beleidigungen gefälligst, bis ich richtig wach bin!" Missmutig fahre ich durch meinen fransiges Pony, welches wischmoppartig in meinem Gesicht hängt, und werfe ihm einen schiefen Blick zu. Oh verdammt ... da ist Kaiba ... hier bin ich ... und er ... wir ... jetzt ... oh man ...
 

Als hätte er das Chaos in meinem Kopf gesehen, höre ich ihn leise schnauben. "Ich will dir nicht zu nahe treten, aber es spricht nicht unbedingt für dein Gehirn, dass es länger braucht als ein durchschnittlicher PC, um sich hochzufahren."
 

Andererseits ändern sich manche Dinge zwischen uns vermutlich nie.

Ich öffne den Mund und suche hastig nach einer passenden Erwiderung ... aber ausnahmsweise fällt mir keine ein. Also klappe ich ihn wieder zu und beschließe, dass es mir für den Moment egal ist. Ich bin nicht einmal wach genug, um mich zu ärgern. Außerdem bin ich grade mit Kaiba im Bett. Mehr oder weniger.

Ich meine - wie viele Leute können das von sich sagen?

Allerdings sieht er im Augenblick weniger romantisch aus, sondern viel eher königlich angepisst.
 

Langsam schwinge ich meine Beine über die Bettkante und rutsche in eine halbwegs aufrechte Position neben ihn. Dabei bemerke ich, dass ich nicht einmal daran gedacht habe, meine Turnschuhe auszuziehen, bevor ich mich auf seinem Bett ausgebreitet habe. Kaiba wirft mir einen Seitenblick zu und hebt vielsagend eine Augenbraue, aber er kommentiert es nicht.
 

"Du hast deinen Rucksack in meinem Büro vergessen", sagt er stattdessen und deutet mit einem Kopfnicken auf den blauen, unförmigen Klumpen in der Nähe der Tür.
 

"Oh ...danke." Den muss ich bei meiner panischen Flucht liegen gelassen haben. Der panischen Flucht aus seinem Büro, in dem wir uns vor einigen Stunden noch ge-... äh -dingst haben. Danach herrscht sekundenlanges, unbequemes Schweigen.

Ich lasse meinen Blick durch das Zimmer schweifen, überallhin, nur nicht zu ihm. Sein Mantel hängt über einem Sessel, der mitten im Zimmer steht und sieht aus, als hätte er ihn einfach achtlos darüber geworfen. Mir wird klar, dass ich nicht einmal über ihn weiß, ob er unordentlich ist oder eher ordentlich ...

Aus unerfindlichen Gründen deprimiert mich das. Als ob ich keine anderen Probleme hätte.

Unsicher starre ich auf meine nervös hin und herschlenkernden Turnschuhe. Zwischen uns ist mindestens ein halber Meter Abstand ... was nicht weit genug ist, wenn er mich umbringen will. Und viel zu weit, wenn er das nicht will.

Ich werfe ihm einen nervösen Seitenblick zu. Da sind so viele Dinge, die ich ihm beichten muss, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll ...

Das kommt auch alles so schlecht, wenn man grade dabei ist, jemandem auf alle möglichen Arten näher zu kommen. Mein Timing ist echt mal wieder am Rande der Katastrophe.
 

Falls er meinen Blick auf sich spürt, lässt er es sich zumindest nicht anmerken. Er sitzt mit übereinander geschlagenen Beinen auf der Bettkante in einer Haltung, die durch und durch Kaiba ist. Seine Arme sind verschränkt und sein Kopf ein wenig geneigt, so dass man die elegante Linie seines Nackens verfolgen kann. Irgendwie wirkt er steifer als sonst, was möglicherweise an meiner Anwesenheit auf seinem Bett liegt. Aber vielleicht gebe ich mir da auch zu viel der Ehre.
 

"Joey."
 

Ich zucke schuldbewusst zusammen. "Ja?"
 

"Wäre es möglich, dass du irgendwann heute ... sagen wir zwischen 12 und 12.30 Uhr ... gegenüber deinen lächerlichen Freunden erwähnt hast, dass du, Zitat ,gleich wiederkommst'?" fragt er im Plauderton und ohne mich anzusehen.
 

Verwirrt schaue ich ihn an. Dass ich heute irgendwann mal in der Schule war, kommt mir vor wie ein anderes Leben. Auf jeden Fall ist es soweit weg, dass ich mich kaum noch dran erinnern kann. Ist das wichtig?

Vage zucke ich mit den Schultern. "Kann sein, wieso?" Irgendwo dämmert mir, dass ich so was in der Art gesagt haben könnte.
 

"Und du hast nicht ganz und gar zufällig im Zuge dessen angedeutet, dass du vorhast, mich zu belästigen?"
 

"Weiß nicht ... möglich wäre es ..."

Ich halte inne. Mir dämmert da was. 12.30 Uhr ist schon ganz schön lange her, nur um mal kurz ...

Abrupt fliegt mein Kopf herum und mein Blick landet auf der großen Uhr an seiner Wand. Ich spüre, wie meine Augen weit werden "Wo~ah ..."
 

"Ja, Joey. ,Woah'", erwidert Kaiba in gefährlich sanftem Tonfall.
 

Es ist gleich NEUN! Scheiße - wie ist denn das passiert ...?! Wie lange habe ich denn geschlafen? "Ähm ... wieso ...? Ich meine ... wer? Wie ...? Heilige Scheiße!"
 

"Nachdem du ungefähr vier Schulstunden verpasst hast und einfach nicht mehr aufgetaucht bist, sind deine Kindergartenfreunde zu dem Schluss gekommen, dass ich dich offenbar umgebracht und mit Beton an den Füßen im Fluss versenkt habe." Er klingt, als würde er das jetzt gerne nachholen und ich werde mit jedem Wort kleiner und kleiner. "Daraufhin kamen sie auf die brillante Idee, meine Firma aufzusuchen, meine Sicherheitskräfte zu belagern und mich von meiner Arbeit abzuhalten!"
 

"Sorry, ehrlich - ich habs total vergessen ... oh man, ich muss Yugi anrufen und ihm Bescheid sagen, dass ich nicht mit Beton an den Füßen im Fluss liege ... Tea wird das garantiert nachholen ... Was haben sie gemacht? Und vor allem, was hast du ihnen gesagt?!"
 

"Sehr witzig, Wheeler. Was hätte ich ihnen deiner Meinung nach sagen sollen - nachdem ich in keinster Weise über deinen Aufenthaltsort informiert war." Seine Stimmt hebt sich merklich am Ende des Satzes.
 

"Ach ja ..." Ups. Verlegen wuschele ich mit einer Hand über meinen Hinterkopf.

Jetzt heißt es also wieder ,Wheeler'. Oh man, er klingt echt angefressen.
 

"Hey ... ähm, du hast dir doch nicht etwa Sorgen um mich gemacht, oder?" Das ist ein Scherz. Ehrlich.
 

"Halt den Mund." Seine Zähne sind so fest aufeinander gepresst, dass es schmerzhaft aussieht. Das ist nicht gut.
 

"Hör mal, Kaiba ..." Ich hole tief Luft und versuche ruhig zu bleiben. "Es gibt einen total naheliegenden Grund, wieso ich hierher gekommen bin und ... ähm ... wieso ich es dir nicht gesagt habe. Ich bin hierher gekommen, weil ... weil ... ich wollte ... also ..."

Oh Shit ... mir fällt einfach nichts ein, was ihn davon abhält, mich eiskalt auf die Straße zu setzen, sobald er es hört.
 

"Geschenkt. Ich will es nicht einmal wissen."
 

"Doch, willst du!" widerspreche ich, mehr aus Prinzip als aus Überzeugung.
 

"Nicht wirklich." Er wendet den Kopf ab und ich habe den vagen Eindruck, dass er sich innerlich zusammenreißt. Er wirkt schrecklich angespannt. "Ich sollte dich wegen Hausfriedensbruch verklagen."
 

"Und wie du das willst!" Langsam werde ich wütend. Ich bin bereit ihm alles zu gestehen - in dieser Sekunde. Das muss nicht bis morgen anhalten, ich kenne mich doch. "Hör zu, ich bin hier, weil ...!"
 

Und dann werde ich gepackt und rückwärts auf das Bett gedrückt, so schnell und so fest, dass ich nicht reagieren kann.

"Ufff...!" Luft entweicht meinen Lungen, wie aus einem aufgestochenen Luftballon. Die Matratze federt und gibt nach, als er mich darauf niederdrückt, und meine Augen sind garantiert so groß wie Unterteller.
 

"Du hast Nerven!" Er ist direkt über mir, seine Augen schmal und dunkel wie die einer Raubkatze.
 

"Äh ... Kaiba ...?"

Er steht darauf mich festzuhalten und irgendwo gegen zu drücken, kann das sein?
 

"Sei einmal im Leben im richtigen Moment still!" werde ich angefaucht. "Und halte mich davon ab, dir den Hals umzudrehen!"
 

"Was?!"
 

"Ich will es nicht wissen, hörst du?!" Seine Stimme ist ein einziges lautes Grollen und mit jedem Satz wird der schmerzhafte Griff um meine Handgelenke fester.
 

Okay ... er scheint wirklich wütend zu sein ...

Was habe ich gemacht?!

Also ... außer meine Freunde auf ihn zu hetzen, meine ich.

In sein Haus einzudringen ...

Seine Anweisungen zu missachten ...

Mika wieder einzuschalten ...

Ihn vom Arbeiten abzuhalten.

Oh, und seine Firma lahm zulegen ...
 

Wo ist mein Anwalt?!
 

"Ich ... hey ..." Ich versuche etwas zu sagen, aber ich bekomme kaum Luft.
 

"Ich könnte dich wegen so vieler Dinge einsperren lassen, dass du es dir kaum noch vorstellen kannst! Also, halt den Mund! Halt einfach den Mund!"
 

Ich schlucke heftig. Irgendwo dämmert mir, dass er Recht hat ... und dass mein gesamtes Verhalten in den letzten Tagen nicht ganz legal und moralisch einwandfrei war. Die Standpauke, die Mika mir vorhin gehalten hat, hallt immer noch in meinem Kopf wieder und gibt mir den Rest.

Aber den Mund halten ... genau das habe ich nie gekonnt.

Verzagt hebe ich den Kopf und sehe ihn direkt an. Der Abstand zwischen unseren Gesichtern ist so gering, dass ich jede einzelne seiner Wimpern sehen kann. Das Schlimme ist ...

Das Schlimme ist, ich mag ihn wirklich ...

Auch wenn er gemein ist ... und mich permanent aufregt ...

... und ich hasse es, wenn er so wütend auf mich ist. Und ich hasse es, dass ich wieder alles falsch gemacht habe, was man nur an einem Tag falsch machen kann. Man sollte doch meinen, dass es für jeden Menschen ein gewisses Limit an Dingen gibt, die man innerhalb so kurzer Zeit falsch machen kann! Aber nein ... nicht für mich.

"Kaiba ...", sage ich so leise, dass es kaum hörbar ist, " ...ich habe die Kaiba Corp. letzte Nacht lahm gelegt!"
 

Jetzt ist es raus.

Und ich bin mausetot. Hundetot.

Er ist ganz still. Der Druck um meine Handgelenke lässt ein wenig nach und sein Gesicht ist vollkommen unbewegt.
 

"Es ... es war meine Kappe, die das ... das Dings verstopft hat ..." flüstere ich. Ich weiß nicht mal, wie es heißt.
 

Da. Ich habe es gesagt. Zufrieden, Mika? Jetzt wird er es wissen und mich hassen und mich nie wieder in seine Firma oder in sein Leben oder sonst wohin lassen, wo es irgendeine Rolle spielt und ...
 

"Ich weiß."
 

"Es tut mir Leid, ehrlich!", beginne ich hastig. "Es war keine Absicht! Ich wollte das nicht! Ich kann verstehen, wenn du mich jetzt hasst und nie wieder etwas mit mi-... äh, was?"
 

"Ich weiß." Der Zorn ist aus seinem Gesicht gewichen und hat eine Art vorsichtige, betonte Gleichgültigkeit hinterlassen.
 

"Du weißt ...?"
 

Er zuckt mit den Schultern und erwidert meinen Blick nicht. "Es war naheliegend." Sein Körper ist so angespannt und steif, als sei er mitten in der Bewegung eingefroren und seine Stimme ist teilnahmslos.
 

Sprachlos sehe ich zu ihm auf.

"Naheliegend ...?"
 

"Irgendwie habe ich mir schon gedacht, dass dein Besuch nicht ohne Spuren vorbeigehen würde ..."
 

" ... Spuren?"
 

"Ist da irgendwo ein Echo?"
 

"HALLO?!"
 

Oh nein, so nicht, Freundchen! Sein Griff um mich hat sich gelockert und ich nutze den Moment, um mich freizukämpfen. Da hast du deine Karatetricks, Kaiba! Ich komme von der Straße und ich weiß, wie man schmutzig kämpft.

Ich drehe mich um und ziehe ihn mit. Er gibt ein überraschtes Keuchen von sich, als er mit einem dumpfen Quietschen auf der Matratze landet, und ich werfe mich auf ihn, wie ... tut mir Leid das sagen zu müssen ... wie ein bissiger Hund.
 

"Ich habe mir VORWÜRFE gemacht!" brülle ich ihn an, als er endlich unter mir liegt. Meine Hände sind in dem dünnen Stoff seines Pullovers verkrallt. "Ich dachte, du KILLST mich oder steckst mich ins Gefängnis oder willst mich nie wieder sehen! Ich war kurz davor, mich in deinen Computer zu hacken, wenn ich nur gewusst hätte wie das geht! Ich habe mich mit KAMPFNINJAS und mit deinem Sicherheitssystem angelegt! Alles um diese abgefuckten Beweisaufnahmen zu löschen! Also los - schlag mich, brüll mich an, verklag mich, werfe mich aus dem Haus! Aber komm mir nicht mit ,ICH WEIß'!!"
 

Heftig atmend halte ich inne. Seine Zähne sind zusammengebissen und er sieht aus, als könnte er nicht fassen, dass ich ihn so überrumpelt habe. Oder als hätte er nicht erwartet, dass ich mich das traue. Mich auf ihn zu stürzen und so ...

"Nimm die Pfoten von mir", befiehlt er kühl und versucht vergeblich, mich von sich zu schieben.
 

"Ich denke ja nicht dran!" Ich bin kurz davor ihn zu packen und durchzuschütteln. Ich meine, ,Ich weiß'?! Was für eine Reaktion ist das, wenn jemand deine Firma lahm legt?!
 

"Hast du sie noch alle? Wieso bist DU denn wütend?!" zischt er.
 

"Weil ich es hasse, wenn ich dir egal bin!" fauche ich zurück. "Wieso zum Teufel bist DU so wütend?!"
 

"Weil ich es HASSE, was du mit meinem Leben anstellst!"

Er öffnet den Mund, um noch etwas zu sagen und schließt ihn dann wieder, als sei er selbst schockiert darüber, was ihm grade herausgerutscht ist.
 

Sekundenlang starren wir uns einfach nur an ... wortlos, atemlos, erschrocken.

Irgendwie habe ich grade das Gefühl, dass es hier nicht mehr länger nur um seine lahmgelegte Firma geht ...

» Weil ich es hasse ... HASSE ... hasse ... was du mit meinem Leben anstellst. «

Seine Worte echoen in meinem Kopf. Seine Brust unter meinen Händen hebt und senkt sich in irrwitzigem Tempo und er liegt ganz still. Atmet nur ein und aus ... und sieht mich aus dunklen Augen an. Ich wage nicht zu blinzeln. Langsam gleitet mir der schwarze Stoff seines Pullovers aus den taub gewordenen Fingern.

Meine Gedanken sind chaotisch und ich kriege keine Ordnung hinein. Alles fliegt durcheinander in meinem Kopf, passend zu dem rhythmischen Hämmern meines Herzens. Ich versuche zu verstehen, was hier los ist und was mit mir abgeht - oder mit ihm. Und zum ersten Mal in meinem Leben wünsche ich mir, eine Frau zu sein. Die tun doch immer so, als hätten sie als Einzige das Monopol auf den totalen Gefühlsdurchblick. Vielleicht muss man eine Frau sein, um das alles zu verstehen.

Ich vermisse die Untertitel in meinem Leben ... oder Tea, die mit einem Wörterbuch daneben steht und es mir erklärt.
 

Ausnahmsweise ist er der Erste, der die Stille durchbricht.
 

"Egal ...?" wiederholt er. Er seufzt leise und verdreht die Augen, als hätte ich damit etwas unglaublich Dummes gesagt. Das warme, seitliche Licht macht seine scharfen Gesichtszüge weicher.

"Du machst mich wahnsinnig. Du bist aufdringlich und laut und penetrant." Er wendet den Kopf ab und fährt sich durch die Haare, die nach meiner Attacke unordentlich und zerzaust aussehen. "Du bist die reinste Pest. Aber ,egal' ... bist du mir wirklich noch nie gewesen ..."
 

Ich starre ihn und schlucke heftig, selbst überrascht davon, was diese Worte in mir auslösen.

Dabei war die Hälfte davon nur beleidigend.

Eine Menge Menschen haben in den letzten Jahren eine Menge Adjektive benutzt, um unser Verhältnis zu beschreiben, von denen einige mehr und andere weniger schmeichelhaft waren. Das reichte von ,streitsüchtig', ,besessen', pubertäres Machogehabe' (danke, Tea) über "vorübergehende Phase", bis hin zu ,Wasserbüffel, die um Dominanz ringen'. Aber ein Wort ist im Zusammenhang zu uns tatsächlich noch nie gefallen.

Egal.
 

Ein warmes, kribbeliges Gefühl steigt in meinem Magen auf, wie Luftblasen in Limonade. Meine Eloquenz erreicht einen neuen Tiefpunkt. Aber das macht nichts ... denn sekundenlang ist meine Achterbahn ganz oben.
 

Ich spüre wie meine Arme nachgeben und lasse mich ihm einfach entgegen fallen. Mein Gesicht stoppt genau vor seinem. Direkt über seinem linken Auge ist die blasse Haut immer noch verfärbt, da wo ich ihn mit der Taschenlampe getroffen habe. Man könnte meinen, wir massakrieren uns, sobald wir nur zusammen in einem Zimmer sind.

Ich denke ... ausnahmsweise werde ich um Erlaubnis fragen.

"Kaiba ... darf ich ...?"
 

"Was denn noch? Mein Haus in die Luft jagen?" Er hebt eine Augenbraue. "Nein."
 

Er ist soo unromantisch.

Egal. Ich bin oben. Er ist unten. Hah! Bitte, noch mal - HAH!

Und ich küsse ihn.
 

Zum dritten Mal innerhalb von vierundzwanzig Stunden. Langsam sollte ich mich daran gewöhnen. Aber das ... das ist jedes Mal wieder ein Schocker.

Jedes Mal merke ich, wie viel ich davor verpasst habe. Weil da etwas ist an ihm, dass nicht hart und kantig und abweisend ist. Ich will das alles ... und ich will noch viel mehr.

Sekundenlang erstarrt er, aber dann spüre ich wie er sich ganz langsam unter mir entspannt.
 

"Musst du immer gegen alle meine Regeln verstoßen ...?" murmelt er, bevor er den Kuss erwidert.

"Hm?" Ich kann nicht gleichzeitig küssen und denken - no way. Welche Regeln überhaupt? Dass er nicht geküsst wird? Dass er niemals unten ist? "Ich dachte nicht ..."

"Tust du eh nie."

Ich hebe den Kopf. "Ach, sei still!"

"Sei selber still." Seine Hand wandert in meinem Nacken und zieht mich wieder zu sich hinunter.
 

Werden wir jemals aufhören das letzte Wort behalten zu wollen?

Vermutlich nicht ...

Meine Haare fallen ihm ins Gesicht und ich spüre seinen warmen Atem auf meiner Haut, als er den Kuss erwidert. Er nimmt die Hand von meinem Nacken. Mit den Fingern schiebt er meinen fransigen Pony über meiner Stirn zusammen, damit es ihm nicht im Weg ist und ich merke, wie seine Mundwinkel zucken, als er versucht nicht zu lachen.

"Köter", sagt er.

"Schnauze", erwidere ich. Atemlos und zwischen zwei Küssen.

Wir werden besser. Diesmal weiß ich, was ich machen muss, damit ich gleichzeitig atmen und denken kann und nichts verpasse. Ich mag seinen Mund ... diesen Mund, den er so unglaublich sarkastisch verziehen kann und aus sonst dem nur Beleidigungen kommen ... und der so sanft ist, wenn er mich küsst.

Ich merke, wie meine Knie langsam auseinander rutschen, so dass ich praktisch auf ihm liege. Er ist ganz warm ... und ich habe immer noch Schuhe an ... in seinem Bett ...

Ach ... egal ...
 

"Sir?" Plötzliches, unerwartetes Hämmern an der Tür lässt uns schlagartig innehalten. Wir schrecken beinah gleichzeitig hoch.

Abrupt spüre ich Hände auf meiner Brust und dann werde ich heftig von ihm hinunter gestoßen. Rücklings und mit einem dumpfen Poltern lande ich auf dem Boden.

"Hey-...!" protestiere ich, während ich mich empört wieder aufrappele. Man, das tut doch weh ...!

Kaiba schnellt vor und presst eine Hand auf meinen Mund, bevor ich mich beschweren kann.

"Shhht!" werde ich wütend angezischt. Er ist blass geworden. Aufgebracht funkele ich ihn vom Boden aus an. Was soll das denn?
 

"Herr Kaiba?" kommt es von draußen. "Ist alles in Ordnung bei ihnen?"
 

"Ja! Ja. Einen Moment." Seine Stimme klingt kühl, kontrolliert, und niemand, der ihn in diesem Moment nicht sehen kann, würde auf die Idee kommen, dass seine Haare durcheinander sind oder vermuten wie schnell er atmet.
 

"Los!" zischt er leise und nimmt die Hand von meinem Mund. Auffordernd deutet er unter das Bett. Häh? Wie jetzt?
 

"Unter das Bett!" verdeutlicht er. "Sofort!"
 

Ne, oder? Das kann nicht sein Ernst sein!

"Hast du sie noch alle?" fauche ich leise zurück. Ich bin doch kein heimlicher Liebhaber, den man von dem aufgebrachten Ehemann verstecken muss! Außerdem sind die immer im Schrank ... und nicht unterm Bett!

Nicht zu vergessen habe ich immer noch meine Schuluniform an - und die sieht schon lädiert genug aus. Da muss ich nicht noch auf dem Boden herumkriechen.
 

"Keine Widerworte! Wird´s bald?!" Ich kann hören, wie er mit den Zähnen knirscht.
 

"Nie im Leben!" Aufsässig verschränke ich die Arme. Da sind bestimmt Spinnen ... und Ratten ... und Monster ... und ...
 

"Tu es! Oder ich verklage dich! Wegen ... wegen sexueller Nötigung, Hausfriedensbruch, Körperverletzung, Stalking und mit Sicherheit auf Schadensersatz!"
 

Dieser ... Bastard!

Ich bin so kurz davor, ihm an die Kehle zu gehen. Aber ein erneutes, nachdrückliches Klopfen an der Tür hält mich davon ab. Ich werfe ihm einen mörderischen Blick zu, bevor ich mich gegen meinen Willen flach auf den Bauch sinken lasse und hastig unter das Bett rutsche. Er steht auf und ich höre, wie es über mir raschelt, als er die lange Bettdecke glatt streicht, so dass sie beinah bis zum Boden reicht. Ich fasse das einfach nicht.
 

"Ja, Roland?"
 

Die Tür öffnet sich und ich ziehe hastig meine Beine an, bevor ich ganz still liege.

Hier unten ist es kühl und staubig. Behutsam und so leise wie möglich drehe ich mich auf den Bauch und versuche meinen beschleunigten Atem unter Kontrolle zu bekommen. Ich lege die Arme übereinander, stützte den Kopf darauf ab und seufze leise. Vielen Dank auch, Kaiba ...

Ich weiß nicht einmal, wieso ich hier bin. Als ob Roland mich noch nie gesehen hätte ...!

Gut, vielleicht waren wir in einer etwas kompromittierenden Situation grade ... aber man, hätten wir nicht einfach sagen können, ich war hier ... um Hausaufgaben zu machen?
 

Schritte nähern sich dem Bett, und als ich den Kopf zur Seite wende, sehe ich sauber polierte, schwarze Lederschuhe.
 

"Sir? Ist alles in Ordnung?"
 

"Natürlich", ist die brüske Erwiderung, und die Matratze bewegt sich ein wenig nach unten, als Kaiba sich darauf niederlässt und die Beine übereinander schlägt. "Was gibt es?"
 

"Ich wollte sie unterrichten, dass unsere Suchaktion bislang erfolglos war. Allerdings habe ich grade von Master Mokuba erfahren ..."
 

Wa-...? Moment! Halt! Stopp! Zurück! Irgendwie habe ich grade das Gefühl, dass ich die ganze Action voll verpennt habe. Was zum Teufel ging den ganzen Nachmittag lang ab? Suchaktion? Nach ... äh mir? Irgendwie habe ich mehr Ärger gemacht, als ich je vorhatte - und das nur weil ich eingeschlafen bin ...
 

"Schon gut", unterbricht Kaiba ihn knapp. "Brechen sie das Ganze ab."
 

"Verzeihung ... Sir?"
 

"Brechen Sie es ab. Ich habe mich ohnehin nur darauf eingelassen, weil Yugi Mutou so ein penetranter Bettler ist."
 

"Wie sie wünschen, Sir. Aber bezüglich dessen, was Master Mokuba sagt ..."
 

Ich kann bis hier unten hören, wie Kaiba mit den Zähnen knirscht. "Ja, das ist mir bekannt. Wheeler war hier."
 

"Genau, Sir."

Einen Moment lang ist es still und ich wette, dass Roland auf eine Erklärung wartet. Ja, auf die bin ich auch gespannt! Aber er ist ja nicht Seto Kaiba, weil er irgendjemandem Rechenschaft schuldig ist ... also ist alles, was von seiner Seite kommt, eisiges Schweigen.
 

"Und jetzt ist er ...?"

Hey, Roland hat mehr Mumm als man ihm zutraut. Nachzubohren, wenn Kaiba einen so giftig anschweigt, ist echt mutig. Respekt, denke ich grinsend.
 

"... offensichtlich nicht mehr hier."
 

"Seto?"
 

"Mokuba! Du sollst doch schlafen."

Kleine Füße in gepunkteten Socken tapsen über den Teppichboden und die Matratze senkt sich kaum merklich, als Mokuba darauf springt. "Wo ist Joey?" Er klingt verwirrt.
 

"Nicht hier."
 

Ja, ja ... nicht mehr da. Der Herr hat sich verabschiedet - unters Bett! Grrrr. Dafür kann Kaiba gleich was erleben.
 

"Er ist weg?" Der Kleine klingt verwirrt. "Ich hoffe, er ist nicht böse auf mich, weil ich ihn nicht geweckt habe ... hätte ich gewusst, dass ihr ihn alle sucht ..."
 

"Du solltest eher böse auf ihn sein, Mokuba." Er klingt streng. "Seinetwegen hast du meine Anweisungen missachtet."
 

"Es tut mir Leid, Seto ..." Der Kleine klingt beschämt. "Aber ... ich fand es auch nicht gut, dass Mika ausgeschaltet war ... Es ist so langweilig ohne sie."
 

"Sie ... hatte einen Defekt. Das weißt du doch."
 

Defekt? Ja, sicher! Ich halte mich grade so davon ab, verächtlich zu schnauben. So kann man es natürlich auch nennen, wenn jemand ausnahmsweise Mal nicht einer Meinung mit Kaiba ist ...

Leise ausatmend lege ich den Kopf auf die Arme und schließe die Augen. Staub kitzelt in meiner Nase und ich bemühe mich durch den Mund zu atmen. Es wäre so übel klischeehaft, wenn ich ausgerechnet jetzt niesen müsste.

Ich lausche, wie sie da oben über mich reden und versuche so zu tun, als bin ich nicht hier. Nicht existent.

Ein kleines Bisschen schmerzt es schon ...
 

Ich bin ihm peinlich.

Zu peinlich, um vor irgendjemand zuzugeben, was wir grade gemacht haben ...

Zu peinlich um zu zugegeben, dass ich überhaupt in seinem Zimmer bin.
 

Witzig.

Ich habe in den letzten Tagen so viel über uns nachgedacht. Über ihn. Mich. Und das ,uns', das daraus werden könnte. Aber ich habe bis eben nicht einen Gedanken daran verschwendet, dass es auch noch eine Außenwelt gibt, die eine Meinung dazu haben wird. Und der irgendwas daran nicht gefallen könnte.
 

Mir ist so ziemlich gar nichts peinlich. Aber ich gebe zu, dass ich den Gedanken nicht sonderlich angenehm finde, Tristan oder Yugi oder Tea zu erzählen, was wir ...

Puuuh, neee.

Sekundenlang unterhalte ich mich mit dem Gedanken, wie ich Kaiba unter meinem Bett verstecke, während Yugi und ich oben drauf Karten spielen oder Tea mit mir Vokabeln paukt, und verkneife mir ein Grinsen. Unter meinem Bett ist es mehr als nur ein bisschen staubig. Da könnte man vermutlich Biotope züchten.

Aber es dauert nicht lange, bis mir wieder einfällt, dass jemandem peinlich zu sein, keine schöne Sache ist ...
 

Liegt es an mir? Hätte er Yugi auch unterm Bett versteckt? Oder Tea? Oder seine toll aussehende Sekretärin? Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass er Michalina vom Bett geschubst hätte ... Sie ist der Typ Frau, von der ich immer gedacht habe, dass Kaiba so jemanden haben will.

Sie sieht toll aus und sie ist intelligent und hat ... wie heißt das so schön? Stil. Sie weiß vermutlich immer, wovon er redet. Wir haben alle unseren Leichen im Keller ... nur Kaiba hat einen Joey unter dem Bett.
 

"Geh jetzt ins Bett, Mokuba. Sonst bist du morgen in der Schule müde." Kaibas Stimme klingt an mein Ohr, und obwohl es ein Befehl ist, überrascht es mich einen Moment lang, wie sanft er dabei klingt.

Ich spüre, wie die Matratze sich über mir bewegt und ich stelle mir vor, wie Mokuba ihn umarmt. Oder wie Kaiba ihm über die Haare streichelt. Nur ganz kurz. Mit dieser beiläufigen Bewegung, bei der er immer denkt, dass sie keiner sieht. Als ob seine Hand nur ganz zufällig da ist, wo Mokubas Haare grade sind.
 

"Schlaf gut, Seto. Und hoffentlich meldet sich Joey morgen mal ... ich finde es echt komisch, dass er einfach so gegangen ist."
 

"Mach dir nichts draus. Er hat einfach keine Manieren."

Ich kann förmlich vor mir sehen, wie Kaiba mit einem maliziösen Lächeln die Arme verschränkt und möchte ihm am liebsten an die Kehle gehen. Er ist so tot ...!
 

"Bringen Sie ihn in sein Zimmer, Roland. Und regeln Sie alles weitere mit den Sicherheitskräften."
 

"Natürlich, Sir."
 

Ich sehe ihren Füßen nach, als sie weggehen und höre, wie behutsam die Tür geschlossen wird. Die Matratze bewegt sich, als Kaiba aufsteht, und ich krabbele hastig unter dem Bett hervor, während er hinter Roland und Mokuba die Tür abschließt.
 

Ich stehe auf und strecke mich ausgiebig, warte auf das befriedigende Knacken meiner Gelenke. Langes Stillhalten ist absolut nicht mein Ding.

"Du bist ein mieser Bastard", sage ich beiläufig, während er zurück zum Bett kommt.
 

"Tatsächlich."
 

"Kaiba!" Ich greife nach seinem Arm und blicke ihn finster ihn an. "Mach das ja nie wieder!" Ich meine es ernst. Vielleicht bin ich nur ein kleiner, blonder Versager - aber nicht mal ich verdiene es, unter seinem Bett versteckt zu werden, wie eine zweitklassige Geliebte. Das ist so ... niedrig.

Sein Blick wandert von meinem Gesicht vielsagend hinunter zu meiner Hand auf seinem Arm. Unwillig nehme ich die Finger weg. Es dauert einen Moment, bis er antwortet.
 

"Ich hatte nicht direkt eingeplant, dich hier zu finden ...", erwidert er. Es ist keine Rechtfertigung, aber verdammt nah dran. Okay, ich habe ihn überrascht. Zugegeben, man findet nicht jeden Tag Joey Wheeler auf seinem Bett, nachdem man die halbe Stadt nach ihm abgesucht hat. Trotzdem ...
 

"Heißt das, dass ich verschwinden soll?" Blut rauscht in meinen Ohren, weil mein Herz so hämmert. Ich möchte nicht gehen.
 

Er schüttelt den Kopf. "Nicht jetzt."
 

"Nicht jetzt?" Was ist das denn für eine Antwort ... nicht jetzt ...

"Ah, versteh schon. Du willst mich loswerden, aber am liebsten so, dass es keiner mitkriegt." Meine Stimme klingt bitter. "Von wegen sexuelle Nötigung ... am Arsch. Als ob du nicht in erster Linie damit angefangen hättest! Wenn es dir nicht passt, was wir tun ...!"
 

Ich mache Anstalten mich umzudrehen, aber sein Arm schießt vor und versperrt mir den Weg. "Das habe ich nicht gesagt!"

Unfreundlich ist das Kaiba- Äquivalent zu aufrichtig.
 

"Setz dich", befiehlt er und deutet auf das Bett.
 

"Nein!"
 

"Joey ..."
 

"Wenn wir uns erstmal setzen, dann fangen wir wieder an, mit dem ... damit." Nachdrücklich verschränke ich die Arme. "Entweder damit - oder ich bringe dich diesmal wirklich um."

Ich weiß es, okay? Egal, wie sauer ich grade auf ihn bin - wenn wir einmal auf dem Bett sind, dann landen wir wieder kreuz und quer übereinander. Es ist, als ob wir letzte Nacht etwas losgelassen haben zwischen uns ... etwas, das sich nicht mehr einsperren lässt.
 

"Schön, dass du mich für so unwiderstehlich hältst ..."
 

"Grrrr, ich warne dich ...!"
 

Kaiba schließt sekundenlang die Augen und atmet tief durch. "Setz dich. Bitte." Das letzte Wort wird mir so viel Widerwillen hervorgepresst, als müsste er sich zwingen, es zu sagen. Er öffnet die Augen wieder und sieht mich direkt an. "Ich will verhandeln."
 

"Nicht auf dem ..."
 

"Herrgott, mein Bett ist drei Meter breit! Wenn es dich glücklich macht, gehe ich auf die andere Seite."
 

Ich nicke zögernd. Aber gut, es ist sein Leben, das auf dem Spiel steht. Lächerliche drei Meter werden mich nicht davon abhalten, ihn zu meucheln.

Steif lasse ich mich auf die Kante sinken. Er verdreht die Augen und wirft mir einen Blick zu, als sei ich nicht ganz dicht, aber er geht tatsächlich einmal um das Bett herum. Diese Verhandlungssache muss ihm echt wichtig sein.
 

"Und? Denkst du, du kannst so die Finger von mir lassen?" Spöttisch verschränkt er die Arme, als er sich ebenfalls hinsetzt.

"Kaiba!" Aufgebracht werfe ich ein Kissen nach ihm, aber er fängt es lässig mit einer Hand ab. Arroganter Bastard.
 

Ich streife meine Schuhe ab und kicke sie mit einem dumpfen Knall auf den Boden. Es bringt mir einen missbilligenden Blick ein, aber das könnte mir grade nicht weniger egal sein. Wenn ich mich schon von ihm beleidigen lasse, kann ich dabei auch bequem sitzen. Ich krabbele auf hoch zum Kopfende, strecke die Beine aus und stapele einen Haufen Kissen hinter meinen Rücken. Zwei behalte ich als potentielle Wurfgeschosse neben mir. Man weiß ja nie.
 

"Bist du endlich fertig?"
 

Ich nicke gnädig. "Du kannst."
 

"Schön. Machen wir es kurz." Er setzt sich ebenfalls so, dass er am Kopfende lehnt, aber die versprochenen drei Meter Abstand sind immer noch zwischen uns. "Wir brauchen ein paar Grundregeln, damit das Ganze nicht noch mehr außer Kontrolle gerät, als es ohnehin schon ist."

Ein erneuter Kaiba-Augenblick, wo ich nur darauf warte, dass er einen Beamer aus dem Ärmel schüttelt und ein paar Statistiken und Graphen an die Wand wirft. Na ja, ich bin ja schon froh, dass er überhaupt zugibt, dass da irgendetwas ist, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen.
 

"Erstens ..." Ich sehe schon die erste Tabelle vor mir ...

" ...ich will, dass du dich bei Mokuba entschuldigst." Er klingt streng und unnachgiebig, aber wenigstens nicht so, als ob ich demnächst damit rechnen muss, eine Briefbombe vor meiner Haustür zu finden. "Mach das ja nie wieder. Du hast ihn angelogen, nur damit er dich hereinlässt und meine Anordnungen missachtet."
 

Ich nicke und fühle mich plötzlich wie ein Wurm. Innerlich sehe ich Mokubas erfreut strahlende Augen vor mir, die mich vertrauensselig ansehen. Gott, was bin ich für eine niedrige, verachtenswerte Kreatur ...

"Ja, okay."
 

"Benutze ihn niemals, um an mich heranzukommen oder weil du irgendetwas von mir willst. Niemals."
 

"Pfadfinderehrenwort."
 

"... du bist kein Pfadfinder."
 

"Ich meine es trotzdem ernst!" Ehrlich. Ich hatte nicht vor, irgendjemanden zu benutzen, wenn ich was von Kaiba will. Am allerwenigstens den kleinen Puschel. Ich hätte es auch nicht gerne, wenn Kaiba sich an Serenity ranmacht, wenn er irgendwas von mir will.
 

"Zweitens - du kommst nicht mehr in meine Firma, während ich arbeite."
 

"Einspruch!"
 

"Jetzt schon?"
 

"Ja, man!" Ich ziehe die Beine an und wende mich zu ihm. "Du arbeitest andauernd! Du bist so gut wie immer in der Firma! Wann soll ich dich dann überhaupt belästigen? Ich wette, ,Drittens' ist, dass ich das in der Schule auch nicht darf!"
 

"Korrekt."
 

Ich werfe ein Kissen nach ihm. Es fliegt haarscharf an seinem Kopf vorbei und er hebt eine Augenbraue. "Nett, Joey. Wirklich ... nett."
 

"Ich will meine halbe Stunden Joey-Zeit!" erwidere ich aufsässig.
 

"Ja, in Ordnung", knurrt er. "Aber nicht jeden Tag zwanzig Stück."
 

"Keine Sorge, ich habe auch noch ein eigenes Leben!" Als ob ich so an ihm hängen würde ... tz. "Dank dir darf ich die nächsten Wochen sowieso erstmal pausenlos Nachsitzen."
 

"Viertens", er wirft mir einen vielsagenden Blick zu. "Sieh bitte ihn Zukunft davon ab, meiner Firma weitere Schäden zuzufügen."
 

"Ähm ... ähem ..." Verlegen nicke ich. Ich bin echt überrascht, dass er das so gelassen hinnimmt. Ich dachte wirklich, er würde mich erwürgen oder so. "Sorry ... ehrlich ..."
 

"Wie auch immer. Auf diese Weise haben meine Techniker wenigstens dieses bedenkliche Sicherheitsleck gefunden."

So kann man es natürlich auch sehen.
 

"Fünftens ... du wirst es niemandem sagen."

Seine Worte hängen in der Luft und ich halte inne. Da ist es wieder, dieses ekelhafte Gefühl ... dass ich nichts weiter als eine Leiche in seinem Keller bin.

"Ich hatte nicht vor, es an die Wände zu sprühen und in der Zeitung bekannt zu geben ...", sage ich leise.
 

Nachdrücklich sieht er mich an. "Nein. Niemandem. Auch nicht deinen kleinen, lächerlichen Freunden. Aber vor allem nicht Mokuba."
 

Ich atme aus. Und wieder ein. Ich suche nach irgendwelchen passenden Worten, die ihm zeigen, wie arsch ich das von ihm finde ... wie daneben ... und wie verletzend ... und ... und ich finde einfach keine. Das ist fast so schlimm, wie meine Mutter ... die vor ihren Nachbarn nicht einmal zugeben kann, dass sie auch noch einen Sohn hat ...

Abrupt stehe ich auf und wende ihm den Rücken zu.
 

"Joey."
 

"Du kannst mich mal." Ich atme tief durch und bleibe stehen. Argh. Ich will nicht davonlaufen. "Hör zu, das muss ich mir nicht geben!" fauche ich und fahre herum. "Ich bin keine billige Geliebte, der du ein paar Scheine auf den Nachttisch legst, und dann hält sie den Mund und nervt dich nicht länger. Ich bin auch keins deiner Computerprogramme, die du an- und ausschalten kannst, wie es dir passt! Wenn es das ist, was du suchst, dann bin ich offensichtlich vollkommen falsch für dich."
 

"Natürlich bist du vollkommen falsch für mich!"

Ich stürze zurück auf das Bett und schnappe mir ein Kissen. Er zuckt nicht mal zusammen, als ich ihn damit treffe. "Vielen Dank, du Bastard, das wollte ich hören!" Das nächste Kissen fängt er grade noch ab, bevor es ihn trifft.
 

"Verdammt Joey, das ist albern ...!" Federn fliegen um sein Gesicht wie Schneeflocken. Irgendein Kissen habe ich bestimmt grade kaputtgemacht.
 

"Nein, ist es nicht! Ich habe nicht vor, mich mit den Staubflocken unter deinem Bett auf Dauer anzufreunden!" Tag, Staubflocke, mein Name ist Joey und ich knutsche mit deinem Boss. N.I.E.M.A.L.S!
 

Er schnellt vor und packt mein Handgelenk, bevor ich das nächste Kissen nach ihm werfen kann. "Hör mir gefälligst zu!"
 

"Bastel dir doch einen Roboter! Den kannst du nach Gebrauch wieder in den Schrank stellen, wenn er dich nervt. Aber mich nicht, okay?!"
 

Kaiba ist nie ein Mensch großer Worte gewesen. Ruckartig zieht er mich nach vorne, so dass ich das Gleichgewicht verliere und in dem Berg aus Kissen lande, den ich vorhin noch angestapelt habe.
 

"Denkst du ernsthaft, ich würde mir die ganze Mühe machen, wenn es nur um die Befriedigung ein paar durcheinander geratenen Hormone ginge?!" faucht er. "Trau mir doch bitte so viel zu, dass ich mich dahingehend unter Kontrolle habe."
 

Ich spucke eine Feder aus und rappele mich aufgebracht wieder auf. "Unter Kontrolle? Nicht bei mir!"
 

"Nein." Er atmet tief durch. "Nicht ... bei dir."
 

Ich blinzele überrascht und lasse das Kissen sinken, dass ich mir grade geschnappt habe. Kaiba ... räumt eine Schwäche ein? Wo ist ein Kalender, wenn man mal einen zum rot Anstreichen braucht?

Er hat sich nie unter Kontrolle bei mir ...

Stimmt auffallend. Er ist bei keinem anderen so rachsüchtig, kleinlich, aufbrausend, kindisch und besessen, ihn am Boden zu sehen, wie bei mir. Soll ich mich jetzt geschmeichelt fühlen?
 

"Und genau das ist der Punkt", fährt er fort. "Das ... und die Tatsache, dass du vermutlich nicht in den nächsten Tagen nach Alaska verschwindest, so dass ich dich nicht mehr vor Augen habe."
 

Ich werfe ihm einen schiefen Blick zu. "Man kann Menschen auch was Nettes sagen, ohne dass es als Beleidigung getarnt ist, weißt du?"
 

"Möglich. Wer sagt, dass es nett gemeint war?"
 

"Wieso darf ich es meinen Freunden nicht sagen?" entgegne ich und kicke ein störendes Kissen mit dem Fuß beiseite. Kaiba wirft ihm einen leidgeprüften Blick hinterher, bevor er antwortet.

"Ich weiß nicht, ob es dir klar ist - aber ich muss eine Firma leiten. Ich kann mir keine Skandale in irgendeiner Richtung leisten."
 

"Denk mal scharf nach, Kaiba. Ich werde in meiner Strasse verprügelt, wenn irgendjemand erfährt, dass du und ich ... Denkst du, ich bin scharf drauf, es an die große Glocke zu hängen?" Mein Vater würde mich mit Sicherheit rauswerfen.
 

"Joey ... ich bin siebzehn."
 

"Ja und? Ich auch. Schicksal würde ich sagen."
 

"Du verstehst es nicht, oder?" Er lässt sich in den Berg Kissen sinken und legt eine Hand an die Stirn.
 

"Ich verstehe was nicht?"
 

Er wendet sich ab und fährt sich durch die Haare. Es dauert einen Moment, bis er weiterredet. "Ich habe das Sorgerecht für Mokuba."
 

Ich öffne den Mund und schließe ihn wieder. Daran ... daran habe ich überhaupt nicht gedacht.
 

"Es war nicht leicht zu bekommen - aber ich habe es. Tausend Sondergenehmigungen und Anträge, jede Menge Papierkram, den ich Roland aufhalse. Ein paar Bestechungen und eine Dame vom Jugendamt, die mir jeden Monat einmal auf die Nerven fällt. Ich hatte bisher eine Menge Glück, weil sie nie in der Nähe war, wenn Mokuba mal wieder von Psychopathen entführt worden ist, die die Weltherrschaft an sich reißen wollten. Und ich habe nicht die Absicht, es zu verlieren ... nur weil sie mich für einen unangemessenen Erziehungsberechtigten hält."
 

Das muss ich erstmal verdauen. Ausgerechnet Kaiba ist ein Minderjähriger, dem die Behörden genauso auf den Keks gehen, wie uns Normalsterblichen. Irgendwie witzig, dass das Jugendamt bei Mokuba so einen Aufstand probt und bei mir nie einer vorbeischaut ... Andererseits bin ich verdammt froh darum. Ich wäre ziemlich im Eimer, wenn sie mich Zuhause rausholen und in ein Heim verfrachten.

Wer hätte gedacht, dass auch Kaiba nicht alle Probleme mit genügend Geld beseitigen kann. Das ist vielleicht der Grund, wieso er sich seine Freizeit mit Kartenspielen vertreibt. Drogen, Sex und Alkohol sind da wohl nicht drin, was ...?
 

Wir liegen erhitzt in einem Berg zerknautschter Kissen und die ursprünglichen drei Meter Abstand sind auf weniger als einen halben Meter geschrumpft. Ich wende den Kopf und sehe ihn an. Diese Beziehung gestaltet sich wie ein einziger Ringkampf. Nein ... wie Tauziehen. Tauziehen auf schlammigen Boden. Mitten in einem Gewittersturm.

Er zieht auf seiner Seite und ich ziehe auf meiner, und wir sind beide nicht bereit und willens, auch nur einen Millimeter nachzugeben.
 

"Okay ...", sage ich schließlich.
 

Er hebt fragend den Kopf.
 

"Ich schweige", fahre ich fort. "Und ich bleibe vorerst dein schmutziges, kleines Geheimnis."

Eine seiner Augenbrauen zuckt nach oben und er sieht aus, als weiß er nicht genau, wie er das finden soll.

"Ich meine es ernst", beteuere ich. "Wenn du willst, erzähle ich dir irgendein peinliches Geheimnis von mir, dann kannst mich damit erpressen. Wie damals, als Tristan und ich acht waren und wir ..."
 

Sein Gesicht nimmt einen seltsamen Ausdruck an, irgendwo zwischen dem angestrengten Versuch nicht zu lachen, und einer plötzlichen Faszination, so als ob er mich noch nie zuvor gesehen hat. "Danke", erwidert er trocken, "aber ich denke, ich verzichte auf dieses ... Privileg."
 

Jetzt fragt sich nur, wie lange das Seil hält.

Entweder reißt es unter dem Druck. Oder wir rutschen irgendwann auf dem matschigen Boden aus ... und fallen uns einfach entgegen ...
 

Wo wir es grade mit Privilegien haben ... "Hey, Seto ...?"
 

"Hm?"
 

Ich lächele breit und kuschele mich tiefer in den Berg aus Kissen. "Nichts. Wollte nur sehen, ob du darauf reagierst."
 


 

^tbc^
 

Nachtrag: Warum Seto so viele Kissen auf seinem Bett hat? Erstens - drei Meter müssen ja irgendwie gefüllt sein (XD) und zweitens - ich konnte mir das einfach zu gut vorstellen, wie ein übereifriges, berüschtes Zimmermädchen ihm jeden Morgen tonnenweise frische Kissen aufs Bett stapelt. *hust*
 

Nachtrag 2: Da ich regelmäßig gebeten werde Leuten Bescheid zu sagen, wenn ich update (und das genauso regelmäßig vergesse *in Grund und Boden schäm*) kann ich allen, die es interessiert nur empfehlen, meinen Animexx-Weblog zu abonnieren. Da schreibe ich eigentlich nur Updates über Geschichten rein - ihr werdet also von sonstigem Gelaber verschont. ^^

Das böse B-Wort oder "Was wir hätten sein können"

Warnungen: Zeitsprünge. Oh Gott, exzessive Zeitsprünge. x____X Es tut mir leid. Ach ja - und Tea. Pornos. Viiiiel Dialog. Das dürfte es gewesen sein.

Viel Spaß.
 


 

„Mir ist heiß!“
 

„Trödel nicht so rum.“
 

„Aber mir ist heiß!“
 

„Joey …“
 

„Oh nein, Kumpel! Nein, nein, nein! Es hat sich ausgejoeyt! Endgültig! Für immer! Das Privileg hast du dir versaut!“
 

Kaiba schnaubt. „Ich bin nicht dein Kumpel, Wheeler.“
 

„Das wirst du in diesem Leben auch nicht mehr, du Arsch!“, fauche ich zurück.
 

Grrrrrr! Kaiba kann mich mal! Für was hält er mich denn? Seinen Sklaven? Seine Sekretärin? Butler? Diener? Botenjunge? Blindenhund?
 

Ich bin schon seit Tagen so was von angepisst auf ihn – und jetzt bin ich es erst recht. Es ist heiß, mein Shirt klebt an meinem Rücken, Mücken betrachten mich als Gratisbüfett und ich stapfe durch kniehohes Gras. Nebenbei schleppe ich Kaibas Laptop und möchte diesen Bastard erschlagen.

Hat da grade jemand was von Déjà vu gesagt?

Schnauze.
 

Tatsache – wir sind einmal mehr im Schulgarten. Genauer gesagt in dem Dschungel formely known as our Schulgarten. Ich natürlich nicht freiwillig. Und natürlich ist es wieder Kaibas Schuld.
 

Bin ich grade zu schnell? Ich bin zu schnell.

Vermutlich macht das ganze mehr Sinn, wenn ich ein paar Tage zurückspule …
 

Gehen wir zurück zu dieser verhängnisvollen Donnerstagnacht, die ich aufgrund zwingender Umstände in Kaibas Hightech-schickimicki-Superluxusvilla verbracht habe. Nämlich nachdem ich seine Firma lahm gelegt, ihn mit einer Taschenlampe niedergeschlagen und in seinem Büro spontan geküsst habe, in seine Villa eingebrochen bin und später in seinem Bett gepennt habe (ohne meine Schuhe auszuziehen). Ihr wisst ja, wie das ist. Vermutlich fangen viele Beziehungen so an.

Andererseits … vielleicht auch nicht.
 

Ah, jetzt habe ich das böse Wort gesagt.

Das B-Wort.

Nicht Brüste.

Brüste ist das böse B-Wort, was Tea aufregt.

Beziehung ist das böse B-Wort, das Kaiba aufregen würde, wenn er wüsste, dass ich es im Zusammenhang mit ihm denke. Gedacht habe. Ein bisschen. Vielleicht.

Wie auch immer.
 

Zurück zu Donnerstag.

Das ist jetzt ziemlich genau vier Tage her. Das und die Tatsache, dass ich mich bereitwillig und sozial erklärt habe, sein, Zitat - ‚schmutziges, kleines Geheimnis’- Zitat Ende, zu bleiben und sein Leben nicht unnötig zu ruinieren. Ich bin ja gar nicht so.
 

Und jetzt …?

Also, ich weiß ja nicht, wie ihr das seht, aber ‚schmutzig’ hatte ich mir irgendwie … schmutziger vorgestellt.
 

Inzwischen weiß ich so faszinierende Dinge über ihn, wie die Tatsache, dass er seinen Kaffee immer schwarz trinkt, und zwar nur die extra aus Kolumbien eingeflogene, besonders schonend geröstet Gold-Edition. Oder dass er drei verschiedene Sekretärinnen hat – eine für die Tagesschicht, eine für die Nachtschicht und eine fürs Wochenende. Das weiß ich, weil ich sie andauernd am Telefon habe, wenn ich versuche Kaiba anzurufen.
 

Noch ein Punkt, von dem ich mir irgendwie mehr versprochen hatte.

Ich bin jetzt stolzer Besitzer von Kaibas Handynummer. Genau. Nicht das Bürotelefon – ich rede von seiner ganz privaten Handynummer. Ich fühlte mich so geliebt.

Das wäre eine wirklich nette Geste von ihm gewesen – wenn er das Scheißding nicht dauernd auf sein verfucktes Bürotelefon umleiten würde, weil er grade mal wieder in einer wichtigen Sitzung ist.

Ich habe inzwischen öfter mit Mika gesprochen als mit ihm. Danke, du Arsch. Das ist toll. Ganz toll.
 

Langsam kommt mir Dampf aus den Ohren und ich bin noch gar nicht bei den wirklich –wirklich – ätzenden Dingen angelangt.
 

Eigentlich fing alles gut an.

Kaiba und ich schafften es genau acht Stunden und siebenundzwanzig Minuten lang tatsächlich zivilisiert zueinander zu sein. Minus eine halbe Stunde, die ich in seiner Luxus-Dusche verbrachte und minus weitere dreieinhalb Stunden, die ich irgendwann auf seinem Bett eingeschlafen bin. Es hat einfach was sehr Einlullendes, wenn Kaiba neben dir sitzt und eine Kostenkalkulation berechnet …

So oder so war es eine unerhörte und nie da gewesene Leistung. Seit wir uns kennen, haben wir noch nie mehr als drei Sätze gewechselt ohne uns zu beleidigen, niederzumachen oder herauszufordern.
 

Wir haben überhaupt nicht mehr so viel geredet. Er hat Berichte geschrieben und ich habe in einem geborgten T-Shirt neben ihm gelegen und ihm dabei zugesehen. Wir waren richtig … friedlich.

Es war, als ob wir die Tage davor so intensiv und ausdauernd gezofft und gestritten hatten, dass einfach keine Luft und keine Energie mehr da war, um so weiterzumachen. Mein Akku war leer … und ich glaube, seiner war es auch.
 

Wenn wir geredet haben, waren wir beinah nett.
 

Ich bin total geplättet. Wusste nicht, dass du auch ganz normale Klamotten hast …’

‚Was soll das denn heißen?’

‚Na ja … Klamotten ohne Nieten und … äh Schnallen und so …’

‚…’

‚Was? Was?’

‚Joey … du würdest modebewussten Stil nicht mal erkennen, wenn er dir ins Bein beißen würde.’

‚Hey!
 

Also, beinah nett.

Für unsere Verhältnisse waren wir nicht schlecht. Kaiba hat nur vier Hundesprüche in acht Stunden gebracht. Das finde ich eine ziemlich gute Quote. Sein Bett ist übrigens auch toll … wenn man nicht grade versucht sich darauf mit Kissen zu verprügeln.
 

Hey Kaiba …?’

‚Hm?’

‚Der Laptop auf deinem Schoß …’

‚Was ist damit?’

‚Machst du dir nie Gedanken um … du weißt schon?’

‚Joey … was versuchst du mir zu sagen?’

‚… wegen der Strahlung …?’

‚… Bitte. WAS?!’

‚Na ja … wegen deinem … deiner … und so … ich mein ja nur …’

‚ …’

‚Hey, es gibt Studien, die belegen … wirklich …’

‚…’

‚Schon gut, ich habe nichts gesagt!
 

Ich war nicht mal beunruhigt, als er mich am nächsten morgen rausgeworfen hat. (Ich hatte Mathe und er eine Konferenz in New York.)

Ich war nicht mal sauer, obwohl es sechs Uhr morgens war. Nein, ich fühlte mich den ganzen Tag halbduselig vor Glück … bloß weil ich ein zerknautschtes T-Shirt von Kaiba in meinem Rucksack hatte, das er nicht wieder haben wollte.
 

Nachträglich verstehe ich nicht, wie ich so blöde sein konnte.

Mir hätte klar sein müssen, dass unser Ritt in den Sonnenuntergang nicht SO einfach sein würde. Ich kann nicht mal reiten.
 

Anders ausgedrückt: Unser Happy End kam mit einem breiten Strahlen um die Ecke geschlendert …

… und Kaiba schlug ihm mitten in die Fresse.
 

Zurück zum Hier und Jetzt.

Schulgarten. Hitze. Déjà vu.
 

„Eigentlich solltest du mir dankbar sein.“ Kaibas Stimme reißt mich aus meinen Gedanken.

Und hier bitte Zeitlupe auf mich und zoomen auf mein Gesicht. Danke.
 

Ich bleibe stehen – mitten im Gras – und drehe mich langsam um.

„Dankbar?“ wiederhole ich. Ich fasse es nicht. „DANKBAR?!“
 

Jetzt reicht’s! Das war’s! Schluss mit lustig.
 

„Du hast keine Ahnung, wie unendlich dankbar, ich dir DAFÜR bin!“, fauche ich und zerre ein zusammengeknülltes Blatt Papier aus meiner Hosentasche, um ihm damit vor der Nase herumzuwedeln. „Ich kann nicht glauben, dass du mir tatsächlich so einen beschissenen Brief schreibst! Oh entschuldige – dass du deinen ANWALT beauftragst, mir so einen beschissenen Brief zu schreiben!“
 

In einem Anfall von kindischem Jähzorn schleudere ich den Brief nach ihm. Natürlich fängt Kaiba ihn mit einer Hand direkt vor seinem Gesicht ab.
 

„Du wirkst aufgebracht“, stellt er überflüssig fest und entknüllt das Blatt Papier.
 

„Aufgebracht ist gar kein Ausdruck!“ Der hat Nerven. „Genauso dankbar bin ich dir für die Tatsache, dass du mich jetzt offiziell zu deinem SKLAVEN gemacht hast! Und das auch noch TOLL FINDEST!“
 

Der Brief … genau.

Der Brief, müsst ihr wissen, war ziemlich genau der Anfang vom Ende.
 

Übers Wochenende war Kaiba wie erwähnt in New York. Am Montag kam er wieder und ich erhielt diesen Brief. Per Express.

Man könnte meinen, ich sei wichtig.
 

Tatsächlich war ich wichtig genug, um Post von seinem Anwalt zu bekommen. Tatsächlich war es eine Liste mit – Haltet euch fest! – offiziellen Verhaltensregeln.

Ich checkte meinen Kalender, aber es war nicht der 1. April.
 

Mir wurde am Telefon versichert, dass alle von Kaibas „Begleiterinnen“ so ein Schreiben erhielten. Nur dass meins, ich zitiere „den anderen Umständen entsprechend“ leicht modo-… modofi-… also verändert wurde.

Andere Umstände, fragte ich.

Weil ich ein Kerl bin. Und nicht öffentlichkeitstauglich und so. Das Wort stubenrein könnte gefallen sein, aber das war vielleicht auch nur Einbildung. So was würde doch kein Anwalt sagen – oder doch?

Weiter weiß ich nicht, weil ich so wütend wurde, dass ich mein Telefon gegen die Wand schmiss.
 

Ich meine … Verhaltensregeln!

Geht’s noch? Was stimmt mit diesem Bastard nicht?
 

„Was ist dein Problem?“ Kaiba runzelt die Stirn und faltet den Brief auseinander. „Keine meiner Begleiterinnen bisher hat …“
 

„Und genau DAS ist das Problem!“ Aufgebracht hebe ich die Arme. „Ich bin keine Begleiterin!“
 

Noch ein böses B-Wort.

B-egleiterin.
 

„Offensichtlich nicht“, erwidert er herablassend. „Deswegen wurden die Regeln entsprechend modifiziert.“
 

„Zehn Meter Abstand in der Öffentlichkeit?!“ Ich habe das Gefühl, ich ersticke gleich vor lauter Wut. „Persönliche Anrufe nur samstags zwischen acht und halb neun?! Kein Blickkontakt im Unterricht?! Was ist dein Problem, Junge?!“
 

„Mein Problem?“ Kaibas Tonfall wird wenn möglich noch eine Spur herablassender. „Korrigiere mich, wenn ich falsch liege, aber ich bin nicht derjenige, der wegen Sachbeschädigung, Beamtenbeleidigung, Erregung öffentlichen Aufsehens, tätlichen Angriffs auf eine Aufsichtsperson und …“, arrogant hebt er einen Mundwinkel, „… Besitz von pornographischem Material beinah zu Nachsitzen für den Rest seines Lebens verdonnert worden wäre. Nur dein völlig überflüssiger Suizidversuch scheint sie etwas milde gestimmt zu haben.“
 

„Wie oft denn noch! Das war kein Suizidversuch!“
 

„Du bist aus dem zweiten Stock gesprungen.“
 

„Ja, aber ich wollte nicht mich umbringen, sondern DICH! Das ist ein wichtiger Unterschied!“
 

„Und kein bisschen weniger strafbar.“
 

„Klappe!“, fauche ich. „Das war alles ganz anders!“
 

„Darauf wette ich.“
 

Heute Morgen kam ich in die Schule mit dem festen Vorsatz Kaiba zu erwürgen. Das, oder ihn wenigstens furchtbar zu kompromittieren. Dieses Wort kam auch mehrfach in dem Brief vor. Ich fragte Tea danach. Sie lachte und fragte, wen ich vorhatte bloßzustellen.
 

An den darauf folgenden Ereignissen war sie dann auch nicht ganz unschuldig … auch wenn ich zugeben muss, dass ich vielleicht ein kleines … ein klitzekleines Bisschen überreagierte.

Film ab.
 

***
 

„Klar soweit?“ fragte Tea und kramte in ihrer Tasche.
 

Ich nickte abwesend und speicherte „kompromittieren“ in meinem geistigen Wörterbuch ab, zwecks späterer Verwendung. Man hatte bei Kaiba einen wichtigen strategischen Vorteil, wenn man intelligente Wörter benutzte, weil er einen dann nicht für blöde hielt und einem eher zuhöre. Und er sollte ja verstehen, wieso ich ihn hasste.
 

Mein Plan war simpel, aber genial. Ich hatte vor jede einzelne von Kaibas blöden Regeln zu brechen.

Zugegeben, weiter hatte ich das noch nicht durchdacht, aber es erschien mir ein ganz passabler Anfang zu sein.
 

„Du, sag mal …“ fragte ich beiläufig, während mein Blick aus dem Fenster lauernd über den Schulhof wanderte. Wo steckte der reiche Schnösel? „Was würdest du machen, wenn du jemanden … richtig schlimm kompromittieren wollen würdest? Nur mal so … äh heh heh … theoretisch.“
 

„Joey!“ Sie warf mir einen strafenden Blick zu und ich wusste, dass sie mich sofort durchschaut hatte. „Du weißt, ich unterstütze diesen kindischen Kleinkrieg zwischen dir und Kaiba nicht. Also, lass mich bloß damit zufrieden.“ Sie warf die Haare zurück und zog ein Buch aus ihrer Tasche.
 

„Aber rein theoretisch …“, fügte sie nach ein paar Sekunden nachdenklich hinzu, „… würde mir vermutlich irgendetwas einfallen, um seinen Ruf furchtbar zu ruinieren.“
 

„Aber du verrätst es mir nicht?“
 

„Seh ich so blöde aus?“ Sie lachte. „Du würdest es doch eiskalt in die Tat umsetzen und dir damit nur eine Menge Ärger einhandeln.“
 

Damit hatte sie natürlich absolut Recht. Mit einem Kopfschütteln in meine Richtung stützte sie die Ellbogen auf das Fensterbrett und klappte das Buch auf.

Sonnenschein fiel auf ihren nach vorne geneigten Kopf, und genau in diesem Augenblick wurde mir plötzlich bewusst, wie schrecklich gerne ich ihr alles erzählen wollte. Wirklich alles, was in den letzten Wochen passiert war.
 

Ich meine, ich liebe Tris - auf völlig unschwule, freundschaftliche Kumpel-Art möchte ich betonen -, aber ihm wäre das vermutlich alles irgendwie peinlich. Und wenn Yugi es weiß, dann weiß Yami es auch, und das wäre mir wiederum peinlich.

Aber Tea war klug. Nicht nur in der Schule, sondern auch in alltäglichen Dingen. Wie man am besten mit anderen Menschen umgeht, wie man das Richtige macht und trotzdem Recht behält, so was eben …

Sie würde sich vermutlich einen Ast ablachen und mir dann einen langen Vortrag halten – oder umgekehrt. Aber nie, nie würde sie mir das Gefühl geben, dass ich ein Idiot war.
 

Wenn ich es diesem Bastard nur nicht versprochen hätte.
 

Ich versank grade in einer weiteren gedanklichen Hasstirade auf Kaiba, als sie plötzlich ganz unerwartet loskicherte. Überrascht öffnete ich den Mund, um zu fragen, was so komisch war, als mein Blick auf ihr Buch fiel und mein Mund schlagartig offen blieb.
 

Was zum Teufel LAS sie denn da …?
 

Ohne zu Fragen, riss ich ihr das Buch aus der Hand.

Hey! Joey, was soll das …“
 

Der Rest ihres Protestes rauschte ungehört an mir vorbei.
 

Das war …!
 

***
 

„Ja bitte?“ Kaiba hat die Arme verschränkt.
 

„Es äh …ähm …“, stammele ich. „Mathe! Es waren … die Mathehausaufgaben! Ich war schockiert von dem Schweregrad der Aufgaben und konnte einfach nicht an mich halten und …“
 

„Ich glaube dir kein Wort.“
 

„DEIN Problem!“
 

***
 

Es war ein PORNO.
 

„Was …“, ächzte ich und starrte auf die aufgeschlagene Seite, „was machen die denn da …?!“

War das anatomisch überhaupt möglich? War das ein Junge? Okay, er hatte große Kulleraugen und erschreckend lange Wimpern, aber er schien tatsächlich … hektisch blätterte ich um. Scheiße, es WAR ein Junge.

Korrektur, das waren ZWEI Jungs und sie trieben Dinge, die ich bisher nicht mal in ‚1001 Stellungen’ oder ‚Jung, nackt und willig sucht …’ gesehen hatte. Woher kam die ganze Flüssigkeit?
 

An dieser Stelle würde ich wirklich, wirklich gerne vorspulen.

Denn dann könnte ich mir und euch jetzt folgende peinliche Szene ersparen.
 

„Tea!“, japste ich schockiert. „Das ist ein PORNO!“
 

„Shhhht!“ zischte sie aufgebracht und sah sich ein wenig verlegen um. „Geht es noch ein bisschen lauter, du Brüllaffe?! Das ist kein Porno! Das ist eine sehr dramatische Liebesgeschichte …“
 

Hah! Ich erkannte einen Porno, wenn ich einen sah …
 

„Jetzt gib schon wieder her“, befahl sie ungeduldig und zerrte an meinem Arm. „Ich habe vierzehn Bände lang gewartet, dass sie endlich so weit sind!“
 

„Vierzehn Bände …?“, wiederholte ich ziemlich geistlos, während ich schockiert auf eine Zeichnung starrte, wo der Junge mit den langen Wimpern seine erstaunliche Dehnbarkeit bewies. „Was haben die in den anderen dreizehn Bänden gemacht …?!“
 

„Na ja, sich gestritten und so.“
 

„Wie kann man sich dreizehn Bände lang nur streiten? Was ist das für ´ne billige Handlung? Und seit wann liest du so was?“
 

Ich war schockiert. Ich war entsetzt.

Sie verdrehte die Augen. „Seit immer. Es hat euch doch vorher auch nie interessiert.“
 

Das ist wahr.

Vielleicht hätte es mal besser. Mir lief es eiskalt den Rücken herunter, wenn ich daran dachte, dass Mai … oder oh Gott, Serenity … meine unschuldige, kleine Schwester …
 

„Aber wieso …? Warum …? Herrgott, was macht er da mit seinem Becken?!“
 

„Ach Joey, jetzt sei doch nicht so verklemmt und gib es wieder her …! Über deine Pornosammlung sag ich auch längst nichts mehr.“
 

„Aber siehst du nicht, wie er seine Beine …?“
 

Ich war nicht sicher, ob ich fasziniert oder entsetzt sein sollte. Aufgrund meiner überlegenen Körpergröße hatte Tea keine Chance den Manga zu erreichen und ich konnte hemmungslos darin herumblättern, auch wenn sie aussah, als ob sie mir gleich das Gesicht zerkratzen würde.
 

„Joey! Gib es zurück! Mach schon … es muss ja nicht unbedingt jeder sehen … Herrgott, ich bin Klassensprecherin!
 

Und das war der Moment, der Moment, wo Tea lautstark um ihre Karriere fürchtete, wo mir schlagartig bewusst wurde, dass Kaiba und ich Sex haben könnten.
 

S.E.X.
 

Es flammte praktisch in Leuchtbuchstaben vor meinem inneren Auge auf.
 

Ich meine … Sex.

Wie in … Sex.

Abgesehen von der nebensächlichen Tatsache, dass ich ihn grade hasste und umbringen wollte, hätten wir Sex haben können!

Könnten wir theoretisch immer noch …
 

Ich starrte auf den Manga und versuchte in Gedanken den beiden anonymen Knaben unsere Gesichter aufzusetzen – aber es funktionierte nicht so wirklich. Die sahen nicht wütend genug aus. Die hassten sich einfach nicht genug. Und ihre Körperhaltungen wirkten tierisch schmerzhaft. (So weit konnte doch kein Mensch den Rücken durchdrücken, ohne dass er durchbrach.)

Mir wurde schwindelig.
 

Wieso hatte ich nie daran gedacht?

Vielleicht war ich einfach ein Idiot oder ich bin einfach nur abgelenkt gewesen von den ganzen anderen Dingen, keine Ahnung. Aber ich hatte nie weitergedacht, als bis zu der Sache mit dem Küssen und dass das eigentlich ganz cool war. Ich bin so stolz darauf gewesen, dass Kaiba mich irgendwie scharf fand, dass ich nicht … dass ich nie … an die logischen Folgen gedacht habe.
 

Ich verstand nicht, wieso ich nicht darauf gekommen war … ich hatte doch genug Pornos gesehen in meinem Leben.

Großer Gott! Hatte ER daran gedacht?

Ich hatte das Gefühl, mir würden gleich die Beine wegknicken.
 

Aber wo bekamen wir die ganze Flüssigkeit her? Konnte ich das mit meinem Becken auch machen? Kaiba hatte längere Wimpern als ich – hieß das, er musste automatisch unten liegen? Gab es da überhaupt Regeln, die ich wissen musste?

Und wollte ich das alles überhaupt …?
 

„Dir wird doch jetzt nicht schlecht, oder?“ Tea klang plötzlich besorgt (was sie nicht davon abhielt, meinen Moment der Schwäche auszunutzen und sich den Porno zurück zu erobern). „Atme tief durch – du bist schon ganz grün im Gesicht.“
 

„Bin ich nicht.“
 

„Doch.“ Sie wedelte fürsorglich mit dem Manga vor meinem Gesicht herum. Danke, das half ungemein.
 

Vielleicht war ich wirklich grün.

Ich kam nicht mehr dazu, großartig darüber nachzudenken, denn aus den Augenwinkeln entdeckte ich eine sehr vertraut aussehende und ebenso verhasste Gestalt, die über den Schulhof schlenderte.

Und statt grün, sah ich sofort rot.
 

Sie werden angehalten, vermehrten Blickkontakt in der Öffentlichkeit zu meiden.
 

Sprechen Sie Mr. Kaiba niemals von sich aus an, sondern warten sie, bis er das Wort an Sie richtet.
 

Vermeiden Sie unter allen Umständen auffälliges oder gesetzwidriges Verhalten, welches Sie oder Mr. Kaiba kompromittieren könnte.
 

Sex.

Oh Gott, wir hätten Sex haben können …

Ungerechterweise war ich deswegen am allermeisten sauer auf ihn.
 

„KAIBA!!“ brüllte ich und stürzte mich halb aus dem Fenster, so dass Tea hinter mir erschrocken aufkreischte. „DU BASTARD!“
 

Endlich bekam ich wieder besser Luft. Schlagartig kehrte Stille auf dem Schulhof ein und ungefähr hundert Augenpaare wandten sich hoch zu mir. Ich war nur zu sauer, gedemütigt und verwirrt, um mich darum zu scheren. Außerdem stellte ich mit gewisser Befriedigung fest, dass ich grade drei seiner Verhaltensregeln auf einmal gebrochen hatte. Go Joey, go!
 

Kaiba erstarrte und warf mir aus schmalen Augen einen mörderischen Blick zu, bevor er weiterging. Er dachte wohl, er konnte mich einfach ignorieren. Oh nein, Kumpel! Das kannst du vergessen! So was von!
 

„Joey, geh da weg – du hast doch Höhenangst!“, kreischte Tea.
 

Auf solche Kleinigkeiten konnte ich keine Rücksicht nehmen – Kaiba entwischte mir! In einer Aufwallung leidenschaftlicher Emotionen griff ich das erste, was mir in die Finger kam (es war zufällig der Manga) und holte aus. Tea klammerte sich an meinen Arm und wir rangelten einen hektischen Augenblick lang miteinander.

„Was machst du denn?! JOEY!“
 

Ich warf, Tea kreischte.

Da siehst du mal, wie das zwischen uns hätte aussehen können, du reicher, arroganter Sack!

Ähm, also ohne die viele Flüssigkeit und die Wimpern… und ohne die äh Beckenverrenkungen …

Und du hast es versaut, du Arsch!
 

Zielsicher sauste der schmale Pornoband durch die Luft und knallte – perfekt getroffen – an einen ordentlich gescheitelten Kopf. Yesss! Treffer! Versenkt! Ich wollte jubeln.
 

Oder auch nicht …
 

Oh, scheiße … scheiße … scheiße …
 

Teas wütendes Gezeter erstarb. Mein Triumphgefühl gleich mit.

Wer sich da umdrehte und mit vor Wut (es könnte auch Schmerz sein) verzerrtem Gesicht nach oben sah, war niemand anderes als unser Mathelehrer. Von Kaiba weit und breit keine Spur mehr. Er war abgedampft … entwischt … entfleucht … hatte sich aus dem Staub gemacht, während Tea und ich uns geprügelt hatten … dieser miese, hinterhältige …
 

„Mein Manga …!“ hauchte Tea und klammerte sich panisch an mich. „Dreizehn Bände lang hab ich gewartet …!“
 

„Wer zum Teufel …?!“ donnerte es zu uns herauf.
 

Oh Gott!“ Tea klang beinah hysterisch und begann mich durchzuschütteln. „TU was! Bevor er ihn aufhebt …!“
 

„WHEELER!“
 

„JOEY!“ Tea renkte mir vor lauter Verzweiflung beinah den Arm aus. „Dreizehn Bände lang! Und ich bin Klassensprecherin …!
 

Aus reiner Verzweiflung und weil Tea aussah, als würde sie gleich losheulen, tat ich tatsächlich was. Etwas, was ich vielleicht besser nicht getan hätte.
 

Andererseits war ab dem Zeitpunkt sowieso alles egal.

Ich sprang.
 

***
 

„Du bist aus dem Fenster gesprungen“, wiederholt Kaiba. „Aus dem zweiten Stock. Um Gardners Mathehausaufgaben zu retten?“
 

Wenn er das so in Worte fasst, klingt das, als hätte ich einen Dachschaden.

„Es waren eben … außergewöhnliche Umstände.“
 

„Und die Sachbeschädigung?“ fragt er mit skeptisch gehobenen Augenbrauen.
 

„Ich bin in den Büschen unter dem Fenster gelandet …“, gestehe ich ein wenig widerwillig. Die waren tatsächlich ziemlich lädiert … und es tat ihnen sicher auch nicht besonders gut, dass ich verzweifelt durch sie gerobbt bin, um mir noch rechtzeitig Teas Porno zu krallen. Leider kam ich zu spät.
 

„Was bist du auch so schnell abgehauen?“ beschwere ich mich. „Ich war noch lange nicht fertig mit dir!“
 

Er wirft mir einen Blick zu, als sei das vollkommen offensichtlich. „Weil du peinlich warst.“
 

„Was?!“
 

„Joey …“
 

„Hey, ich habe doch gesagt, es hat sich …!“
 

„… ausgejoeyt. Ja doch.“ Er verdreht die Augen. „Ich wünschte wirklich, du würdest deinen Namen nicht ständig fälschlicherweise in ein Verb verwandeln. Deine Grammatik verursacht mir Schmerzen und ist einfach lächerlich.“
 

„Das ist überhaupt nicht …!“
 

Er durchbohrt mich mit einem scharfen, blauen Blick, der mich unwillkürlich zum Schweigen bringt. „Versuch nur nicht mich für dumm zu verkaufen… Wheeler. Denkst du, es fällt mir nicht auf, dass du so verdächtig vage bleibst, was dieses mysteriöse Buch angeht?“
 

„Äh heh heh heh …“ Ich bekomme einen Hustenanfall. „Also … jetzt unterbrich mich doch nicht dauernd!“
 

***
 

„Ich bin unschuldig! Hören sie doch – es war ein Versehen! Ich bin ganz und gar unschuldig Ein Opfer der Umstände!“
 

„Hören Sie auf zu zappeln, Wheeler. Sie machen es nur schlimmer.“
 

„Oh man, bitte nicht dahin! Nicht zum Direktor … nicht doch … au, lassen sie gefälligst mein Ohr los!“
 

„Und geben Sie das gefälligst her!“
 

„NEIN! Nicht den Porn- … äh das Buch! Bitte! Es gehört nicht mal mir …!“
 

***
 

„Es war nicht so komisch“, sage ich säuerlich.
 

„Ich lache auch nicht. Los … ähm, erzähl weiter.“
 

***
 

Ich landete also dort, wo ich lieber nicht hinwollte, nämlich im Vorzimmer des Direktors.

Blutübertströmt.

Also zumindest sehr blutend.

Und keiner kümmerte sich um mich.
 

Teas Porno lag in Greifweite vor mir auf dem Schreibtisch der Sekretärin und ich spielte ein paar Mal mit dem Gedanken aufzuspringen und damit abzuhauen. Oder ihn zu vernichten. Aber erstens warf die Sekretärin mir permanent böse Blicke zu und zweitens war er zu groß, um ihn herunterzuschlucken, so wie ich das mal mit einem Spickzettel gemacht hatte. Da ich keinen Flammenwerfer in der Tasche hatte, waren meine Handlungsmöglichkeiten sehr begrenzt.

Deswegen blieb ich, verletzt wie ich war (Hhatte ich blutend schon erwähnt?), einfach sitzen und bemitleidete mich selbst. Und hasste Kaiba. Dafür war immer noch Zeit genug.
 

Alles war schrecklich und der Tag war im Arsch und es war noch nicht mal zehn Uhr morgens.
 

Und dann passierte es.

Das unglaubliche.

Der Tag wurde noch schlimmer. Ja Tatsache. Ich hatte zu diesem Augenblick auch nicht mehr geglaubt, dass es möglich war.
 

Zeitlupe. Die Tür zum Büro geht auf.

Stimmen ertönen.

Bitte eine Einblende auf mein Gesicht. Danke.

Zoom. Mehr Zoom. Direkt auf meine Augen, die immer größer werden …
 

„Ich schicke ihnen den Vertrag im Lauf der Woche zu. Meine Sekretärin wird Sie kontaktieren, damit wir …“ Die Stimme stoppte abrupt.
 

Nein. Nein …! Wieso jetzt? Wieso hier? Wieso ER? Und vor allem … wieso ich?
 

Ja, ihr ratet richtig. Es war Kaiba. Ja, es war Kaiba, der grade aus dem Büro unseres Direktors stolzierte.
 

Da war er – wie aus dem Ei gepellt, die Schuluniform tadellos und ordentlich, der Kragen perfekt gestärkt und gefaltet, kein Haar aus seiner disziplinierten Frisur wagte es, aus der Reihe zu tanzen.
 

Und da war ich. Ohne Worte.

Meine zerzausten Haare dürften inzwischen einem Wischmopp gleichen, meine Uniform sah aus, als wäre ich damit durch den Dreck gerobbt (war ich korrekterweise ja auch), ich hatte kleine Blätter und Äste im Kragen meiner Uniform und eine Schürfwunde auf der Stirn, die ein paar verdächtige rote Flecke auf meinem ehemals weißen T-Shirt hinterlassen hatte. Nicht zu vergessen, dass meine Füße mitsamt den dreckigen, ausgelatschten Turnschuhen immer noch auf dem edlen Kunstleder der Vorzimmerstühle ruhten und ich ihm auch noch einen ungehinderten Blick auf mein lädiertes Knie gewährte.

Zugegeben – ich fand ja auch, dass ich schöne Beine hatte. Aber musste er deswegen gleich so darauf starren?
 

***
 

„Mach dich nicht lächerlich. So toll sind deine Beine auch wieder nicht.“
 

„Hey, Klappe zu, ja? Das ist MEIN Drama!“
 

***
 

Jede Sekunde meiner Demütigung schien sich grade auf das Tausendfache ihrer üblichen Länge auszudehnen, denn dieser Moment nahm einfach kein Ende.
 

„Wheeler …!“, unterbrach Herr Kisaki endlich das Schweigen. Er klang auch nicht wirklich begeistert. „Ich hatte ernsthaft gehofft, Sie für den Rest des Schuljahres nicht mehr hier sehen zu müssen.“
 

Kaiba und ich starrten uns immer noch an. Wie zwei Autos kurz vorm Zusammenstoß.
 

„Straßenköter sollten nicht ohne Leine herumlaufen“, bemerkte Kaiba schließlich sachlich. Er sagte es zum Direktor, aber sah mich dabei an. „Sie verbreiten sonst Tollwut.“
 

„WAS?!“ stieß ich aufgebracht hervor, sekundenlang vergessend, wo ich mich grade befand. „Du aufgeblasener, arroganter …!“ Ich war kurz davor aufzuspringen und ihm an die Kehle zu gehen, aber mein schmerzendes Knie hielt mich davon ab.
 

„Reißen Sie sich zusammen, Wheeler. Sie wollen doch nicht noch mehr Ärger bekommen.“ Kisaki klang mehr resigniert, als wütend. Ich musste ihm zugute halten, dass er sich nie wirklich darüber freute, mir einen neuen Eintrag zu schreiben. Na ja, es war nicht so, als ob ICH mich darüber freute.

„Weswegen sind Sie diesmal hier?“
 

Ich machte Anstalten, mich zu rechtfertigen, als seine übereifrige Sekretärin sich hastig räusperte.

„Tätlicher Angriff auf eine Aufsichtsperson“, zählte sie verzückt auf. „Ungebührliches Verhalten in der Öffentlichkeit. Springen aus dem Fenster im zweiten Stock. Beschädigung von Schuleigentum. Oh ach ja …“ Sie lächelte süffisant. „Der Besitz und das in Umlauf bringen von pornographischem Material. Alles schwere Verstöße gegen die Schulregeln.“
 

„Das ist alles gar nicht …!“ brauste ich auf.
 

„Lieber Gott, Wheeler!“ japste Kisaki. „Ich bin entsetzt von Ihnen! Was ist denn in Sie gefahren …?“
 

Kaiba wandte den Kopf zur Seite und gab ein ersticktes Geräusch von sich, das er elegant als Räuspern tarnte. Aber mich konnte er nicht täuschen. Der hatte gut lachen. Das war doch alles seine Schuld!
 

„Warten sie kurz hier.“ Kisaki seufzte resigniert. „Ich hole ihre Akte.“
 

„Sieh an, sieh an. Besitz von pornographischem Material …“, wiederholte Kaiba völlig überflüssig.
 

„Das war nicht … das ist nicht …!“ stammelte ich wütend. Natürlich konnte ich Tea vor dem Direktor nicht verpetzen. Sie hing so an ihrem Klassensprecherposten und dem blütenweißen Image. (Außerdem wusste sie Dinge über mich, die ziemlich peinlich werden könnten, wenn sie an die Öffentlichkeit gelangen.)
 

„Nimm es nicht persönlich“, Kaibas Stimme war ätzend wie Säure, „aber du siehst wirklich erbärmlich aus, Wheeler.“
 

Statt einer Antwort, biss ich mir auf meine ohnehin schon blutende Unterlippe und knurrte ihn nur finster an. Was machte er überhaupt hier? War er jetzt Stammgast und persönlicher bester Freund unseres Direktors? Hah! Ich wusste immer, dass seine gesamten Ausnahmen und Extrawürste nicht von ungefähr kommen! Korrupte Schule …!
 

„Wheeler, ich weiß wirklich nicht, ob es diesmal nur mit Nachsitzen getan ist …“ Herr Kisaki machte ein strenges Gesicht, als er wieder aus seinem Büro auftauchte. „Das ist jetzt die siebenundzwanzigste Ermahnung in diesem Jahr.“
 

Oh Gott nein … bitte nicht. Bitte, schmeißt mich nicht von der Schule!

Ich spürte wie mir kalter Schweiß ausbrach bei dem Gedanken.
 

„Warten sie! Ich könnte den Schulhof kehren“, bot ich hastig an. „Oder die Schulordnung fünfzig mal abschreiben. Hundert mal …? Oder Kekse auf dem Schulfest verkaufen. Oder …Blutspenden! Zu Gunsten der neuen Bibliothek. Oder … “
 

Ich ging nun echt nicht gerne zur Schule. Aber ich hatte keine Ahnung, was ich machen sollte, wenn sie mich hinauswarfen. Vermutlich musste ich Stricher werden. Das wäre zwar ein Gewinn für den Rest der Welt, aber ein herber Schlag für Yugis und Teas gesammelte Erziehungsversuche.
 

Während ich noch in Horrorszenarien meiner näheren Zukunft schwelgte, sagte Kaiba die schicksalhaften Worte, die uns wieder ins Hier und Jetzt und in den Schulgarten führten.
 

„Entschuldigung, wenn ich unterbreche …“ Es klang kein bisschen entschuldigend. „Aber was halten sie davon, Joey Wheeler für die nächsten Wochen zu meinem persönlichen Leibsklaven zu machen?“
 

***
 

„Du halluzinierst! Das habe ich nie gesagt!“
 

„Hast du wohl!“
 

Wir funkeln uns wütend an, so lange bis Kaiba entnervt aufstöhnt und beginnt, sich mit einer Hand die Schläfe zu massieren. „Wheeler … wieso erzählst du mir das? Erstens war ich dabei … und zweitens stellst du das alles vollkommen falsch dar.“
 

„Weil … weil …“ Ich fuchtele nachdrücklich mit den Armen. „Weil ich gelitten habe wie ein Tier und will, dass das endlich mal jemand zur Kenntnis nimmt!“
 

„Du bist so eine Dramaqueen“, bemerkt er kühl. „Außerdem habe ich nie darum gebeten, dass du mein persönlicher … Leibsklave wirst.“ Er verzieht angewidert von so viel Geschmacklosigkeit das Gesicht.
 

Okay, vielleicht hat er Recht und ich übertreibe. Ein klitzekleines Bisschen. Ich beschließe auf das eigentliche Thema zurückzukommen und wedele anklagend mit seiner beschissenen Laptoptasche. „So, und was ist damit?! Du hast mich versklavt, Kaiba!“
 

Zugegeben. Vielleicht ist das Wort „Sklave“ so direkt nicht gefallen. Aber es läuft darauf hinaus, dass ich die Wahl hatte, die nächsten Wochen über Kaiba bei seinem neuen Finanz-Projekt zu unterstützen oder mich freiwillig von der Schule zu entfernen und nie wieder aufzukreuzen.
 

„Korrektur - ich habe dich vor hundert Jahren Nachsitzen gerettet. Aus reiner philantrophischer Großzügigkeit.“
 

„Versklavt!“
 

„Gerettet.“
 

„VER-…!“
 

„Zum Teufel mit dir, Wheeler! Das ist doch albern.“
 

„Albern? ALBERN?!“
 

Das ist nicht albern. Das ist ein Desaster.

Bitte schön - jetzt bin ich ganz offiziell Kaibas Taschenträger und Laufbursche! Und das vermutlich bis zu meinem bitteren Ende oder wenigstens bis zu meinem in weiter – WEITER! - Ferne liegenden Schulabschluss!

Es grenzt fast an ein Wunder, dass Herr Kisaki sich dazu hat breitschlagen lassen … aber wenn Kaiba seinen Killerblick auspackt, ziehen eben die meisten Leute den Schwanz ein.
 

Ich hasse ihn. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie sehr ich ihn hasse.

Und dabei hätten wir Sex haben können.
 

Zum Glück weiß er das nicht. Andererseits will ich beinah, dass er es weiß, damit er endlich kapiert, was er versaut hat.
 

„Weißt du was? Mir reicht´s!“ knurre ich wütend und zerre die Tasche von meiner Schulter. „Da hast du deinen Laptop wieder. Wieso fragst du nicht eine deiner Begleiterinnen, ob sie dir hilft – die wären bestimmt liebend gerne deine willige Sklavinn! Denen müsstest du nicht mal einen Brief mit Verhaltensregeln zukommen lassen. Ich wette, die benehmen sich eh immer wie … wie … so wie du sie haben willst!“ Und das ist eigentlich auch schon die schlimmste Beleidigung, die mir einfällt.
 

Wütend drehe ich mich um und stapfe davon. Oder versuche es zumindest, denn bevor ich auch nur drei Schritte weit gekommen bin, hält Kaibas unterkühlter Tonfall mich auf.
 

„Hast du nicht etwas vergessen, Wheeler?“
 

„Leck mich!“ Ich drehe mich trotzdem um. „Was soll das sein?“
 

Eine Hand hat er elegant in seine Manteltasche geschoben, die andere hebt er in einer nachlässigen Bewegung und schwenkt damit etwas hin und her. Ich erstarre.

Nein. Nein …!
 

„Könnten das eventuell …“ seine Stimme klingt maliziös, „… deine Mathehausaufgaben sein?“
 

Verdammt. Fuck. Fuck. FUCK!
 

„Gib das her!“ In wenigen Sätzen bin ich bei ihm und stürze mich auf ihn.

Wieso hat er den Manga? Der wurde doch konfisziert!
 

Ich erlebe eine Art seltsames Déjà-vu, als wir um den Porno rangeln, nur dass ich dieses Mal größenmäßig eindeutig die Arschkarte gezogen habe. Scheiße. Scheiße. Scheiße. Wieso ich? Wieso passiert so etwas nur mir?

Okay, vielleicht ist es meine Schuld. Vielleicht hätte ich Tea einfach Porno lesen lassen sollen. Vielleicht hätte ich nicht versuchen sollen, unsere Gesichter da einzusetzen. Vielleicht hätte ich keinen Mordanschlag auf Kaiba planen sollen.
 

Die Umstände waren einfach gegen mich.
 

Jetzt weiß ich, wie Tea sich gefühlt hat, als ich mit dem Manga vor ihrer Nase herumgewedelt habe, nachdem sie dreizehn Bände darauf gewartet hatte, dass sie endlich so weit sind. Ich fühle mich grade genau so.
 

„Gib ihn her, du Bastard!“ fauche ich, während ich vergeblich versuche ihm den Arm auszukugeln. „Das ist nicht mal meiner!“
 

„Ich kann nicht fassen“, bemerkt er kühl, „dass du mich damit beworfen hast. Das ist sogar für deine Verhältnisse stillos.“
 

„Du hast ihn GELESEN?!“ keuche ich entsetzt. Oh Gott. Oh Gott!
 

„Gelesen?“ Er packt mich am Handgelenk und nutzt meinen Moment der Unaufmerksamkeit, um mir den Arm auf dem Rücken zu verdrehen. Nicht schmerzhaft, nur so, dass ich mich nicht mehr bewegen kann. Ich jaule trotzdem.

„Bring mich nicht zum Lachen. Da gab es nicht viel zu lesen, Wheeler.“
 

Aus reiner Verzweiflung lasse ich meinen Ellenbogen nach hinten schnellen und treffe ihn direkt in die Rippen. Er atmet zischend ein, der Griff um mein Handgelenk lockert sich unwillkürlich und ich reiße mich ruckartig los.
 

Nach Luft schnappend bringe ich einen gewissen Sicherheitsabstand zwischen uns und reibe mein malträtiertes Handgelenk, während ich ihm vorwurfsvolle Blicke zuwerfe.

„Das hat wehgetan.“
 

Er hat eine Hand auf die Rippen gepresst und zieht eine unfreundliche Grimasse. „Das auch, du Idiot.“
 

Unsanft schleudert er mir den Manga vor die Füße.

Die beiden Jungs auf dem Titelbild sehen sich verliebt in die Augen, während er und ich uns aufgebracht anfunkeln.

Alles ist so vollkommen verkehrt in unserer Welt.
 

„Der gehört Tea“, sage ich schließlich, weil ich irgendwie wichtig finde, das klarzustellen.
 

„So?“
 

„Ja man.“
 

„Darf ich auch fragen, wieso du Gardners obszöne Lektüre nach mir wirfst?“

Ierks. Wieso wusste ich nur, dass die Frage irgendwann auftauchen würde?
 

„Ich war sauer …“, murmele ich und senke den Blick. „Deine Scheißregeln kannst du dir sonst wohin …“
 

„Danke, Wheeler, keine Details.“ Er winkt unwirsch ab.
 

Danach schweigen wir minutenlang.

Ich sehe ihn nicht an. Stattdessen starre ich auf den Manga zu meinen Füßen. Auf die beiden Jungen mit den langen Wimpern und den flatternden Rosenblättern im Haar, und denke … scheiße, das sind wir nicht.

Wir werden nie so sein. Keine Rosenblätter für uns. Und das ist okay, denn ich kann Blumen eh nicht viel abgewinnen.

Aber das heißt, ich muss mich auch an keine Regeln halten.
 

„Wir hätten Sex haben können …“, murmele ich schließlich.
 

„Bitte?“
 

Ich hebe den Kopf und hole tief Luft. „Ich sagte … wir hätten Sex habe können.“
 

Kaiba starrt mich an, als rede ich rückwärts.
 

„Wir hätten Sex haben können!“ fauche ich, diesmal etwas lauter, weil ich gereizt bin und das ganze megapeinlich ist. „Du. Ich. Sex. Ich hab es nur nicht gepeilt … und jetzt hast du es versaut!“ Unsicher fummele ich in meinen Haaren herum und schiebe sie unsanft aus meinem Gesicht. „Ist auch egal.“ Brütend starre ich zu Boden. „Vermutlich hast du eh nie an so was gedacht …“
 

Natürlich erwarte ich, dass er ‚Nein’ sagt.

Wir reden hier immerhin von Kaiba, der ungefähr so sexuell aktiv ist wie Teas Hamster und so verklemmt wie meine alte Deutschlehrerin in der siebten Klasse.
 

Aber zu meinem grenzenlosen Entsetzen wendet er das Gesicht ab und es passiert etwas, was ich noch nie gesehen habe, und vermutlich auch nie wieder sehen werde. Ein wahrhaft historischer Augenblick. Nahaufnahme auf sein Gesicht, bitte.
 

Kaiba wird rot.

Sprachlos starre ich ihn an. Es ist nur ein zarter, rosa Hauch auf seinen Wangen, aber so unübersehbar da, wie der Porno zu meinen Füßen.
 

„Um ehrlich zu sein …“ er räuspert sich und sieht plötzlich seltsam steif aus. „Ja, der Gedanke ist mir gekommen … Joey.“
 

Uh …?!

Häh …?!

Wie jetzt …?
 


 

^tbc^



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (907)
[1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11...60] [61...80] [81...90] [91]
/ 91

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Brooky
2022-12-19T07:54:33+00:00 19.12.2022 08:54
Ich suchte seit ein paar Tagen deine Joey x Seto Fanfictions und bin gerade hier angekommen und habe festgestellt, dass sie gar nicht a geschlossen ist und das seit 14 Jahren. Das ist echt bitter, denn dein Schreibstil ist so gut und es war so erfrischend zu lesen, dass ich dem nicht vorhandenen Abschluss gerade wirklich nachtrauere.
Ich glaube zwar nicht, dass du sie wirklich noch irgendwann abschließen würdest, dennoch wollte ich dir hier einen Kommentar da lassen, weil ich die Fanfiction WIRKLICH richtig gut finde und traurig bin, dass sie nie beendet wurde.
Vielleicht... unwahrscheinlich, aber vielleicht... wirst du sie ja doch noch irgendwann einmal beenden. Sollte es so sein, so habe ich sie nun zumindest zu meinen Favoriten hinzugefügt, denn dann bekomme ich zumindest eine Benachrichtigung darüber, sollte der unwahrscheinliche Fall auftreten. Du würdest damit sicher einige Personen glücklich machen.
In diesem Sinne. Toller Schreibstil, tolle Story. Ich bin ein Fan. Mehr der Worte braucht es nicht. Danke für für meine Erheiterung die letzten Stunden. Es war mir ein Fest! :)
Von:  Hito
2019-12-15T15:42:46+00:00 15.12.2019 16:42
Auch ich bin mal wieder über deinen FF gestolpert, in der Hoffnung, dass es ein neues Kapitel gibt. Vielleicht findet du mal wieder zu deinem ehemaligen OTF-Pairung und dieser FF zurück? Ich hoffe es!
Von:  rubymoore
2018-08-15T20:57:41+00:00 15.08.2018 22:57
Ich denke zwar nicht dass es nach 10 Jahren jetzt doch plötzlich noch weiter geht, aber ich muss einfach einen Kommentar dalassen. Ich habe diese Fanfic heute entdeckt und verschlungen! Sooooo toll! Konnte gar nicht aufhören mit lesen. Du hast echt einen mega Schreibstil. Das ist glaube ich die beste Story, die ich je von den beiden gelesen hab! Wirklich schade, dass es nicht weiterging/weitergeht. :)
Von:  Miisha
2018-03-21T19:59:40+00:00 21.03.2018 20:59
Ich liebe diese phänomenale Fanfiction, weshalb ich sie schon sehr oft auf meinem E-Reader gelesen habe. Aber jedes Mal endet sie bei dem für mich fiesesten Cliffhanger aller Zeiten! T.T
Ich möchte so schrecklich gern wissen, wie es mit den beiden - so ganz allein im Schulgarten und mit dieser einschneidenden Erkenntnis - weiter geht.
Vor allem liebe ich, wie authentisch du beide darstellst. Kaiba ist weder übertrieben noch zu lasch und die Sicht aus Joeys Blickwinkel ist einfach nur lustig und fantastisch! Dieses Werk ist einer der Gründe, warum ich seit gut 15 Jahren an diesem Pairing hänge und mir noch viel mehr solcher großartiger Geschichten wünsche.
Ich hoffe, dass meine kleine Bauchpinselei womöglich noch mal die Lust in dir weckt, diese und vielleicht auch ein paar der anderen FFs weiterzuführen. Träumen ist schließlich nicht verboten. ;)

LG Miisha
Von:  Seraphima
2017-08-01T18:30:32+00:00 01.08.2017 20:30
Wow... auch ich habe diese Fanfic vor inzwischen zehn Jahren ca? gelesen und geliebt... schade, zu sehen, dass sie nicht fertig ging. Aber vllt ist ja doch ein für mich neues Kapitel dabei xD
Danke Rei, für deine Geschichte!
Antwort von:  Seraphima
01.08.2017 21:16
Ist das traurig, dass der nicht fertig ist x'''((
So eine schöne Geschichte! Och Rei.
Von:  Joy54
2017-07-11T16:52:48+00:00 11.07.2017 18:52
2005 habe ich diese FanFic schon mal gelesen und ich habe sie geliebt. und jetzt bin ich hier angekommen und ich bin VERZWEIFELT dass sie noch nicht abgeschlossen wurde *__* Bitte Bitte Bitte bring die beiden Täubchen doch in den sicheren Hafen xD liebste Grüße
Von:  LadyUndertaker
2016-12-14T14:59:09+00:00 14.12.2016 15:59
Bitte beende diese FF!! *_* Das ist die Beste, die ich jemals gelesen habe...und auch die, die ich am häufigsten gelesen habe. Ich MUSS wissen wie es endet! ;_;
Von:  aliuta
2016-11-11T09:24:32+00:00 11.11.2016 10:24
Nein, wie kann man jetzt aufhören. Ich will wissen wie es weitergeht. Also wirklich an der spannendsten Stelle aufhören. Du schreibst herrlich und die Ideen sind super. Ich würde mich sehr freuen, wenn es weitergeht. :)

Von:  Merylex
2015-10-13T13:39:14+00:00 13.10.2015 15:39
ah wie ich die Story liebe, und wie ich immer wieder lachen muss bei den Wasserbüffeln, und der Szene mit den Eiern. Da schmeiss ich mich echt immer wieder weg. Arme Tea ob sie ihren Band je wiederkriegt ich meine sie hat 13 Bände darauf gewartet, ich leide so dermassen mit ihr <3
Die zwei sind in deiner Story so ein herrliches Paar und ich liebe es jedesmal das erneut zu lesen, weil es einfach so gut geschrieben wurde. Ich hoffe irgendwan geht es weiter, aber ist auch so eine wunderbar offene Story.
Von:  Yidas
2015-06-12T08:07:06+00:00 12.06.2015 10:07
Mein Gott.... nach ewiger Zeit werd ich wieder in mexx aktiv, lese deine FF und weiß wieder warum ich vor gut... hm 10 Jahren? das Pairing so toll fand xD
Ich hoffe, daß du vielleiht irgendwann weiterschreibst. Es wäre schade drum.
Tolle FF!


Zurück