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The Wolves among us

"Die Werwölfe erwachen. Sie wählen ihr heutiges Opfer ... Die Werwölfe schlafen wieder ein." [Video-Opening online]
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
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Von nackten Männern, Schätzen und Wahnsinn


 

~ 17 ~
 

Wir müssen systematisch vorgehen“, erklärte Neji. „Am besten fangen wir mit der Todesursache an.“

„Er ist verbrannt“, sagte Kiba überzeugt. „Deswegen ist er nackt. Alles ist verbrannt.“

„Nein.“

„Aber er ist durch ein Feuer gestorben!“

„Falsch.“ Sakura grinste.

„Was heißt hier falsch?“, rief Kiba. „Der Typ hat ein Streichholz in der Hand und ist tot!“

„Richtig.“

„Sakura, du bis heute echt fies“, lachte Tenten.

„Richtig.“

„Ah, verdammt!“ Kiba raufte sich die Haare. Auch Naruto fand die Sache merkwürdig – aber das war ja der Sinn des Spiels.

„Er kam also nicht durch ein Feuer um. Aber er ist definitiv tot und er liegt am Fuße eines Berges“, rekapitulierte Neji.

„Genau“, bestätigte Sakura.

„Woran ist er denn dann gestorben?“, platzte Naruto heraus.

„Das frage ich euch“, gluckste Sakura. „Ihr kommt nie drauf.“

Ihre Clique hatte ihre Leidenschaft für Rätsel entdeckt. Nicht diese üblichen Rätsel, die man in Zeitschriften und Rätselblöcken fand, sondern echte Kopfnüsse. Ausgehend von Neji hatte der Hype auch die anderen angesteckt. Neulich hatte Sakura ein interessantes Kartenspiel mitgebracht, das perfekt in die Gestaltung ihrer lustigen Abende passte: Ein Spieler schilderte kurz einen abstrusen Todesfall, und die anderen mussten erraten, welche Umstände zu dem Tod geführt hatten. Dabei tasteten sie sich mit Ja-Nein-Fragen Stück für Stück an die Lösung heran. Im Moment waren sie bei der fünften Runde, und an diesem Rätsel bissen sie sich noch die Zähne aus.

„Er liegt ganz allein da“, sagte Sasuke und tippte nachdenklich die Zeigefinger gegeneinander. „Am Fuß eines Berges. Er ist nicht zufällig von eine Lawine überrascht worden, und der Schnee ist dann im Frühling geschmolzen?“

Die anderen starrten ihn verblüfft an. „Mann, wie kommst du nur auf so was?“, fragte Naruto.

„Wow“, machte Sakura und besah sich ihre Karte mit der Lösung, um dann zu grinsen. „Leider auch falsch.“

„Hast du geglaubt, weil er nackt ist, würde er viel eher erfrieren?“, lachte Naruto, der sich freute, dass  Sasuke sich geirrt hatte.

„Selbst in Eskimoklamotten würdest du unter einer Lawine sterben, Idiot.“

„Na, na“, versuchte Tenten den aufbrandenden Streit zu schlichten.

„Dann muss sein Körper irgendwelche Wunden aufweisen“, machte Neji sofort weiter.

„Ja, vermutlich“, meinte Sakura. Einige Details musste man sich manchmal dazureimen, um auf die Fragen der Mitspieler antworten zu können. Das war in Ordnung, solange die Geschichte konsistent blieb.

„Aha!“, rief Kiba. „Ist doch völlig klar! Das blödes Streichholz soll uns nur in die Irre führen, er ist in Wahrheit an der Felswand zerschellt!“

„Hm.“ Sakura schien etwas ratlos. „Kannst du das präzisieren?“

„Er ist gefallen und mit hoher Geschwindigkeit gegen etwas Felsiges geprallt“, sagte Neji. Sakura nickte. „Das bedeutet, er kann sowohl vertikal als auch schräg dagegen geflogen sein“, erklärte Neji seine Formulierung.

„Also ist er irgendwo abgestürzt“, vermutete Tenten.

„Beim Bergsteigen!“, war sich Naruto sicher.

„Nackt und mit einem Streichholz bewaffnet?“, fragte Ino hämisch. „Wie schlau.“

„Vielleicht war er ein Idiot?“ Naruto zuckte die Achseln.

„Der Mann war kein Idiot“, sagte Sakura. „Und nein, er war nicht beim Bergsteigen. Was Tentens Frage angeht …“ Wieder zögerte sie. „Das ist schwer zu beantworten … Kannst du sie vielleicht etwas anders stellen?“

„Du bist nicht sicher, ob man abstürzen auch so auslegen kann, dass er freiwillig gesprungen ist“, vermutete Sasuke. „Also sagen wir, er ist gesprungen.“

„Jetzt hast du mich“, grinste Sakura verlegen. „Stimmt.“

„Dann ist er aus einem Flugzeug gesprungen“, warf Naruto mit seiner nächsten Theorie um sich. „Ich hab’s! Es war finster, und er wollte irgendwas nachsehen gehen. Darum hat er ein Streichholz entzündet, aber die Flamm hat die Triebwerke in die Luft gehen lassen – nein, der Tank hat angefangen zu brennen. Da ist der Mann lieber abgesprungen.“

„Falsch“, prustete Sakura.

„Das war die bisher dämlichste Theorie“, meinte Sasuke trocken. Naruto funkelte ihn zornig an.

Hinata sah schon seit einer Weile so aus, als wollte sie etwas sagen. Jetzt, da die anderen nur überlegten, kam sie endlich zu Wort. „Und wenn er das … das Streichholz gar nicht angezündet hat?“, fragte sie vorsichtig.

Alle starrten sie an. „War das Streichholz frisch?“, fasste Neji die Vermutung in neue Worte.

„Ja, es war ungebraucht“, sagte Sakura und nickte. „Nicht schlecht.“

„Bitte was?“ Naruto war nun vollends verwirrt. „Wieso hat der Kerl nichts als ein Streichholz dabei und hat noch nicht mal ein Feuer oder sowas damit gemacht?“

„Wartet, überlegen wir doch erst mal, von wo er abgestürzt ist“, schlug Ino vor. „Ein Flugzeug also nicht. Also doch von einer Bergspitze? Ich meine, er muss ja nicht geklettert sein, vielleicht wohnt er dort oben.“

„Er ist nicht von dem Berg abgestürzt“, sagte Sakura.

„Ist er aus einem von Menschen gebauten, fliegenden Objekt gespru… nein, begann sein Sturz an Bord eines solchen Objekts?“, fragte wieder Neji mit seinen seltsamen Formulierungen. Erklärend fügte er hinzu: „Es ist besser, möglichst abstrakt zu bleiben. So kommen wir eher auf die Lösung.“

„Ja, Nejis Theorie stimmt“, bestätigte Sakura.

„Toll. Viel weiter sind wir immer noch nicht“, murmelte Tenten.

„Doch.“ Sasuke beugte sich vor. „Das fliegende Objekt wurde mit Gas betrieben, oder? Mit irgendeinem Gas.“

„Ja.“

„Dann war es ein Heißluftballon. Das Streichholz hat aber damit nichts zu tun?“

„Ähm …“ Sakura schien sich nicht sicher zu sein. Vermutlich konnte man allein anhand dieser Tatsache ein Stückchen in Richtung Wahrheit kommen – Naruto konnte es jedenfalls nicht. „Nein, also dieses Streichholz nicht. Und es war ja auch noch ungebraucht.“

„Aber es war kurz“, sagte Neji plötzlich, und diesmal fing er sich einige verwirrte Blicke ein. Sakura grinste vielsagend. „Folgende Theorie“, sagte Neji. Er war mit vollem Eifer bei der Sache – wenn es etwas gab, das ausdrückte, wie sehr er etwas genoss, dann das. „Der Mann ist mit dem Heißluftballon geflogen, zusammen mit ein paar anderen. Plötzlich kommt ein Berg oder eine Bergkette in Sicht. Sie können nicht wenden, und sie sind zu schwer, als dass sie darüberfliegen könnten. Also muss einer von ihnen springen.“

„Und wer sich opfern muss, haben sie mit Streichholzziehen ausgelost“, murmelte Tenten bewundernd. „Du bist ein Genie, Neji.“

„Ich habe nur die Informationshappen, die Sakura uns geliefert hat, zu einem Bild zusammengesetzt.“

„He, werft ihm nicht gleich eure Lorbeeren zu“, mischte sich Kiba ein. „Er hat uns noch nicht gesagt, warum der Kerl nackt war.“

„Überleg doch mal.“ Nejis helle Augen richteten sich auf ihn. „Du bist mit Freunden in einem Ballonkorb, und ihr seid zu schwer. Was würdest du als Erstes tun?“

„Ballast abwerfen, natürlich.“ Kibas stutzte. „Du meinst …?“

Neji nickte. „Sie haben zuerst ihre Kleidung über Bord geworfen. Dann waren sie immer noch nicht hoch genug und haben jemanden springen lassen. Hätten wir Sakura gefragt, ob in der Nähe des Mannes auch seine Klamotten liegen, hätte sie ja gesagt.“

„Bravo. Du hast es.“ Sakura las ihre Karte vor. „Drei Freunde unternahmen eine Ballonfahrt. Unterwegs steuerten sie auf eine Bergkette zu, doch selbst, nachdem sie ihre Kleidung abgeworfen hatten, waren sie zu schwer, um sie zu überfliegen. Also zogen sie Streichhölzer, und derjenige mit dem kürzesten musste springen.

Kiba nickte Neji anerkennend zu. „Das ist doch blöd“, maulte Naruto. „Warum hält der sich an dem Streichholz auch noch fest, während er fällt? Wer macht so was?“

„Offenbar hat er die Hand eben richtig darum verkrampft“, versetzte Sakura. „Was ist, wollt ihr noch eins?“

„Wartet, ich check noch mal kurz meine Mails.“ Kiba trat zu seinem Schreibtisch und schaltete den Bildschirm ein. Die anderen scharten sich erwartungsvoll um ihn.

Dann sahen sie die Mail in seinem Posteingang blinken – den Grund, warum sie sich alle bei ihm versammelt hatten und die Zeit totschlugen. „Hey, sie ist echt da!“, rief er erfreut. Ein Mausklick, und die Mail war offen.

Eine Woche zuvor hatten die jüngst Rätselbegeisterten bei einem schwierigen Online-Rätsel mitgemacht. Es war eine Mischung aus Kombinationsaufgabe, Kreuzworträtsel und ein paar anderen Rätselsorten gewesen, und ein schickes Auto war zu gewinnen gewesen. Die Freunde hatten die Kopfnuss alle gemeinsam in Angriff genommen, anfangs ohne viel Hoffnung, doch zu acht hatten sie sie letztlich nach nur einem Tag geknackt. Dass nun tatsächlich eine Mail von den Seitenbetreibern eingelangt war, bedeutete Aufregung pur.

Kiba las vor. „Sehr geehrte Teilnehmer – wie jetzt, die wissen, dass wir mehrere sind? –, Sie haben sich in unserem Online-Rätsel bewährt. Wir laden Sie herzlich zu einer Endrunde ein. Sie sind nur noch ein Rätsel vom Hauptpreis entfernt. Schicken Sie uns das gesuchte Wort zusammen mit Namen und Anschrift aller Mitglieder Ihrer Gruppe zu. Die erste Mail, die uns erreicht, gewinnt den Hauptpreis. Sollten sich in Ihrer Gruppe mehr als eine Person befinden, erhalten Sie für Ihre gute Zusammenarbeit einen Gruppenbonus. Klingt doch klasse, oder?

„Klingt merkwürdig“, hielt Sasuke entgegen. „Warum wollen sie es fördern, wenn mehrere Leue die Rätsel lösen? Sollte das nicht eher jeder für sich versuchen?“

Kiba las bereits das Rätsel vor. „Im Süden ist das Wasser säurehaltig. Eine Kugel glüht über einem Stock. Geht nach Norden und findet den Schatz. Hä? Was soll das sein?“

„Ein Rätsel“, witzelte Sakura.

„Das ist aber echt schwer“, murmelte Naruto.

„Ich bleibe dabei. Die ganze Sache ist seltsam.“ Sasuke verschränkte die Arme, und Neji nickte zustimmend: „Das klingt mir eher nach einem Phishing-Versuch oder wie das heißt. Die wollen nur unsere Daten.“

Kiba rollte mit den Augen. „Seid nicht solche Pussys. Ich opfere mich und geb als Einziger meine Anschrift raus, ja? Bei euch schreib ich nur die Vornamen hin – okay?“

 

„Verstehe“, murmelte Shikamaru. „Und damit wart ihr dann einverstanden.“

„Anfangs nicht“, brummte Sasuke. „Aber diese Quälgeister können einen echt nerven. Von wegen Gruppenbonus.“

„Und Sphinx haben natürlich Kibas Adresse und eure Namen gereicht, um eure Verbindung zueinander herauszufinden und euch alle abzuholen“, schlussfolgerte Shikamaru.

Die anderen nickten betreten. „Mit einem weißen Kastenwagen. Ich dachte, ich sehe nicht richtig!“, berichtete Tenten. „Steigen da nicht plötzlich drei Leute aus, zeigen mir irgendeinen ärztlichen Wisch und zerren mich ins Auto, ohne dass sie auf irgendwas hören, was ich sage oder tue!“

„Naruto haben sie sogar mit Medikamenten ruhiggestellt“, sagte Sakura mit einem Blick auf ihren Freund, der den Mund verzog. „Er hat sich heftig gewehrt.“

„Ja, und obwohl ich das halbe Stiegenhaus zusammengeschrien habe, hat keiner einen Finger gerührt“, maulte er. „Die dachten echt, ich bin bekloppt!“

„Ist bei dir ja auch gar nicht so abwegig“, meinte Sasuke.

Wie war das?“, knurrte Naruto.

„Hört schon auf“, mischte sich Sakura ein und wandte sich wieder an Shikamaru, um den beiden Streithähnen keine Gelegenheit für weitere Anfeindungen zu geben. „Mich würde interessieren, was du zu dem Rätsel mit dem säurehaltigen Wasser und dem Schatz sagst. Kannst du es lösen?“

Shikamaru ließ es sich noch einmal aufsagen und nickte dann. „Ist nicht weiter schwer.“

„Ehrlich? Wir haben drei Tage gebraucht!“

„Ist eigentlich ein Wunder, dass wir trotzdem die Ersten waren, die geantwortet haben“, meinte Ino säuerlich.

„Ein Wunder? Bist du sicher?“, gab Tenten genauso angesäuert zurück.

„Da die Lösung offenbar ein Wort ist, müssen sich in dem Rätsel die entsprechenden Buchstaben verstecken. Anders kann ich mir nicht erklären, warum die Sätze so total unzusammenhängend sind. Es ist zwar von einem Schatz die Rede und ich hab zuerst gedacht, dass das eine Art Geo-Caching ist und man das Lösungswort auf einem Zettel irgendwo versteckt hat, aber dazu gibt es zu wenig Hinweise. Wenn das ein Online-Rätsel war, haben sicher Leute von überallher dabei mitgemacht. Sphinx hätte die wohl kaum quer über den Kontinent geschickt, wenn es ihm darum geht, gute Leute für sein Spiel zu finden“, sagte Shikamaru.

„Rückwirkend betrachtet ist es natürlich einfacher“, meinte Neji. „Immerhin kennen wir jetzt die Intention des Rätselmachers.“

„Was nicht unwichtig sein kann“, sagte Shikamaru, doch ehe Sakura fragen konnte, was er damit meinte, fuhr er fort: „Also. In dem Rätsel verstecken sich zwei Richtungsangaben. Süden und Norden. Beide werden aber gern abgekürzt, zum Beispiel auf einem Kompass. Zwei Buchstaben sind also S und N. Dann das säurehaltige Wasser. Das scheint mir wirklich aus der Chemie zu kommen. Ob eine Lösung – oder eigentlich irgendwas – sauer oder basisch ist, stellt man durch den PH-Wert fest. Der Ansatz ist ein wenig willkürlich, aber man muss dazu kein Chemiker sein und es gibt zwei weitere Buchstaben her. Jetzt ist es eigentlich schon ziemlich einfach. Eine Kugel glüht über einem Stock – abstrakt gesehen sieht das wie ein i aus. Und wenn es heißt, Geht nach Norden und findet den Schatz, denke ich an eine Schatzkarte. Und der Ort des Schatzes wird meist durch ein X markiert. So einfach ist das Ganze. Die Buchstaben lassen sich sogar linear zusammenfügen, und das Lösungswort ist …“

„Sphinx“, seufzte Sakura. „Wir wissen es.“

„Hat mich jemand gerufen?“, griente eine Stimme. Alle Versammelten wandten sich zu der skurrilen Gestalt um, die an sie herangetreten war. Ein kariertes Hemd, dazu warme Handschuhe, ein Hut im Leprechaun-Stil und weite Pluderhosen verliehen ihm etwas Clownhaftes, Dürres. Seine Auserwählten füllten fast die Halle aus, und wenn man es genau nahm, hätten sie ihn spielerisch überwältigen können – wobei Sphinx‘ Leute in dieser Anstalt sicher über wirksame Maßnahmen verfügten, aufmüpfige Insassen zu besänftigen.

„Es freut mich, dass so viele meinem Ruf gefolgt sind“, erklärte Sphinx süffisant und ließ den Blick von einem zum nächsten schweifen. „Ich vertraue darauf, dass die Veteranen unter euch den anderen alles über die Spielregeln erzählen werden. Lasst mich trotzdem ein paar Dinge erklären. Dieses Mal werde ich mit allen Tricks und aller Härte spielen.“ Bei diesen Worten fixierte er vor allem Shikamaru, wie es Sakura schien. „Ich werde euch selbst die Figuren zuteilen, die ihr spielen werdet. Es gibt keine Zufallsauswahl mehr. Shikamaru bekommt die Karte des Beobachters. Er kann nicht getötet werden, hat während des ganzen Spiels zu schweigen und nachts zu schlafen. Wir werden das Spiel ohne Unterbrechung spielen, und wer ausscheidet, bleibt ruhig sitzen. Und wenn der Erste von euch versucht zu mogeln oder ein Werwolf nicht ernsthaft spielt, merke ich das, verstanden? In dem Fall breche ich ab und lasse euch hier drin versauern.“ Als er merkte, dass ihre Gesichter grimmig wurden, lächelte Sphinx. „Versteht es als meinen dringenden Wunsch, dieses Spiel perfekt und intellektuell zu machen. Wir sehen uns heute Nacht – die Alteingesessenen bleiben in ihren Zimmern, die anderen dürfen ausnahmsweise hier schlafen.“ Er machte eine ausschweifende Geste. Der große Aufenthaltsraum war wie durch Zufall von sämtlichen anderen Patienten und Pflegepersonal geräumt.

Nachdem Sphinx sich wieder in sein Büro eingeschlossen hatte, entwickelten sich tatsächlich verschiedene brachiale Ausbruchspläne. Natürlich wollte nicht jeder alles auf Shikamaru setzen. Diejenigen, die es für vernünftiger hielten, sich Sphinx ein letztes Mal zu fügen, setzten sich letztendlich durch. Und nachdem die Neuankömmlinge in das Spiel eingeweiht waren, brach die für sie hoffentlich letzte Nacht in dieser Anstalt an.

 

Tenten konnte nicht schlafen. Nicht nur, weil ihr übel war. Sie saß auf ihrem Bett und versuchte, sich schon mal Strategien für morgen auszudenken, sowohl solche, in denen sie der Werwolf war, als auch solche, in denen sie die Werwölfe bekämpfen musste. Sie wünschte, sie wäre besser in solchen Sachen. Welche Taktik würde gerade so offensichtlich sein, dass Sphinx sie durchgehen ließ? War es überhaupt okay, in diese Richtung zu denken?

Ein Klicken ließ sie zusammenfahren. Sphinx war da.

Von draußen fiel gedämpftes Licht in ihr Zimmer, das völlig in Schatten versunken war. Selbst Sphinx‘ Umrisse hatten etwas Groteskes. „Schönen guten Abend“, sagte er leise und trat ein. „Ich bringe euch eure Karten.“

Als Tenten in dem schummrigen Licht sah, was er aus der Innentasche seines Sakkos zog und auf ihren Nachttisch warf, blieb ihr fast das Herz stehen.

 

Die Neuen stromerten durch den Aufenthaltsraum, saßen in kleinen Gruppen zusammen oder schliefen auf den Stühlen. Shikamaru hatte sich alles Wissenswerte erzählen lassen und war dabei, am Rande einer leise diskutierenden Gruppe einzuschlafen. Einmal schreckte er aus seinem Dämmerzustand hoch, als es einen Aufruhr gab. Einer der Neuen – natürlich war es dieser lästige Schreihals, dem Shikamaru fast ein Tourette-Syndrom unterstellte – hatte bei einem der Pfleger angeeckt, die aufgetaucht waren, nachdem es Schlafenszeit geworden war. Wobei Pfleger wohl nicht ganz hinkam: Sie waren eher von der Sorte, die die Leute hierher brachte, muskulöse Männer in weißen Mänteln, die überall in der Innenstadt als Türsteher durchgegangen wäre. In der kurzen Auseinandersetzung ließen sie freimütig das Waffenarsenal erkennen, das sie am Gürtel oder in ihrem Mänteln trugen: Von einem Schlagstock über eine Taserpistole bis zu einigen Injektionsnadeln und verschiedenen Ampullen war alles dabei. Shikamaru fühlte sich eher wie in einem Gefängnis. Dieser Sphinx zog hier offensichtlich eine total übertriebene Show ab, doch es wirkte: Der Aufmüpfige wurde von seinen eigenen Bekannten zurückgezogen, ehe die Wärter in die Offensive gehen mussten.

Shikamaru hoffte nur, dass die Nacht nicht in der Weise weiterging.

Schließlich erschien Sphinx, gut gelaunt, und teilte ihnen die Karten aus. Beobachter stand auf Shikamarus, und eine Figur mit Vergrößerungsglas war darauf abgebildet. Sphinx schärfte ihnen ein, die Karten einander nicht zu zeigen – in einem Tonfall, mit dem man einem Kind verbat, auf der Straße zu spielen.

Danach versuchte Shikamaru einmal mehr, einzuschlafen – doch er wurde wieder gestört.

Er wusste nicht, wo der Typ plötzlich hergekommen war, aber als er mit starrem Blick neben ihm stand, zuckte Shikamaru zusammen. „Du bist der Beobachter?“, fragte er, die Stimme war krächzend wie die einer Krähe.

„Sieht so aus“, erwiderte Shikamaru, als der Alte ihn nur unverwandt anstarrte. Die Augen sahen aus, als würden jeden Moment Tränen daraus hervorbrechen. Der Buckel wirkte schmerzhaft.

„Es gab noch nie einen Beobachter“, murmelte der Mann abwesend. „Immer nur Täter und Opfer und Opfer, die zu Tätern wurden.“

„Sie kennen das Spiel?“, fragte Shikamaru, doch der Alte entfernte sich bereits mit langsamen Schritten von ihm. Shikamaru konnte nicht sagen, ob sein Kopfschütteln als Antwort galt.

„Ein Beobachter … Vielleicht ist es gut“, hörte er ihn noch murmeln. „Ein Beobachter wird dem Fluch vielleicht nicht unterliegen …“

Die Security-Pfleger ließen ihn ohne Weiteres davonmarschieren, in die kalten Gänge der Anstalt hinein. Wo sein Zimmer lag, wusste er offenbar. Shikamaru verbat sich, zu viel über ihn nachzudenken. Er tat es trotzdem, schlief aber immerhin bald ein.

Am nächsten Tag begann nach einem kargen Frühstück für alle das letzte Spiel.

 

Das Twilight sah von außen schon schäbig aus, sogar für einen Nachtclub in dieser heruntergekommenen Gegend. Nachdem die bulligen Securitys sie hineingelassen hatten, stellte Shikamaru fest, dass es innen nicht viel ansehnlicher war. Das Etablissement war kaum mehr als eine simple Kellerbar, in der man sich leicht die Ellenbogen an den rohen, gemauerten Wänden zerschrammte, wenn man sich an den dicht an dicht stehenden Besuchern vorbeidrängeln wollte. Die Decke bestand aus leicht modrigen Holzbalken. Trotzdem stank es hier nicht nach Moder oder Keller, sondern eher nach verschiedensten Rauchnuancen von süß bis bitter. Aus den Lautsprechern vor der kleinen, gezimmerten Bühne dröhnte lauter Bass. Die Bühne selbst lag, sah man von dem verhüllten Schlagzeug ab, noch wie ausgestorben da. Dahinter hing ein breites, schwarzes Banner mit dem Logo der Vorband. Lesen konnte man den Bandnamen nicht, dazu waren die Buchstaben zu krakelig, aber die Farbgebung erinnerte an Blut, das an einer Wand hinunterlief.

„Das Lokal ist genauso zwielichtig wie sein Name“, stellte Shikamaru trocken fest.

„Wäre dir ein Aufgebot an Glitzervampiren lieber gewesen?“, neckte ihn Ino.

„Meint ihr, es gibt hier auch was Warmes zum Essen?“, fragte Chouji unvermittelt und musterte die Bar an der einen Seite des Kellerlochs. Es sah eher so aus, als gäbe es nur Drinks, aber Shikamaru wollte die Hoffnungen seines Freundes nicht zerschlagen.

Ino sah sich um, dann blickte sie auf ihr Handy. „Noch fünfzehn Minuten. Hoffentlich kommen sie rechtzeitig.“

„Na, auch schon da?“, übertönte eine Stimme neben Shikamaru die wummernde Musik – was nichts anderes bedeutete, als dass ihm jemand mit aller Macht ins Ohr schrie.

Stöhnend bohrte er mit dem Zeigefinger darin herum. „Du bist so nervtötend wie eh und je“, murrte er.

Temari grinste ihn breit an. „Lange nicht gesehen, ihr drei.“ Sie deutete auf ein Fass in einer Ecke, das als Tisch diente. „Gesellt euch doch gleich zu uns. Dort hinten ist vergleichsweise wenig los.“

Shikamaru meinte unter den Rauchschwaden, die seine Sicht trübten, etwas Rotes zu sehen. „Gaara ist auch mitgekommen?“, sprach Ino seine Gedanken aus.

„Er musste“, erklärte Temari süffisant. „Wenn sein Bruder seinen großen Auftritt hat, hat er gefälligst dabei zu sein.“

Großer Auftritt war übertrieben, dazu war das Lokal einfach zu klein. Aber Kankurou machte immerhin den Bassisten der Hauptband. Nachdem die einzige Vorband drei, vier Songs zum Besten gegeben hatte, würde sie das Feld für das eigentliche Highlight des Abends räumen, und falls die Puppeteers je groß rauskommen sollten, würden sie dieses Ereignis sicher als ihren persönlichen Startschuss sehen.

Bei der Gelegenheit hatten Shikamarus Freunde beschlossen, seit langem wieder einmal gemeinsam zu feiern. Zumindest Kiba war ein großer Fan von Kankurous Musik, und Lee fand es sowieso unwiderstehlich cool, dass er in einer Band spielte. Außerdem waren Ino und die anderen erst vor ein paar Wochen von ihrem Urlaub aus den Bergen zurückgekehrt. Sie dürften in Inos Wochenendhaus eine stressfreie Zeit verbracht haben, um die Shikamaru sie beneidete. Jedenfalls waren sie hinterher der Meinung gewesen, dass sie auch mal wieder was mit der ganzen Clique unternehmen sollten, und dieses Konzert am schmutzigsten Ende der Stadt hatte sich da förmlich aufgedrängt.

Nachdem Shikamaru, Ino und Chouji auch Gaara begrüßten, den sie seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatten, ging Temari an die Bar, um etwas zum Anstoßen zu besorgen. Ino zückte ein weiteres Mal ihr Handy. „SMS von Sakura“, verkündete sie. „Sie werden es nicht bis zur Vorband schaffen. Naruto hat mal wieder getrödelt.“

„Was sonst“, seufzte Shikamaru.

Kurz bevor es acht wurde, tauchte noch die dritte Partie ihres Freundeskreises auf. Kiba, Lee und Shino wohnten im selben Bezirk, daher waren sie gemeinsam hergefahren. Erster wirkte hochmotiviert, zweiter sowieso, nur Shino trug seine undifferenzierte Miene zur Schau. Ino winkte, und kurz darauf bestellte Kiba die zweite Runde. Nun fehlte also nur noch Narutos Truppe.

„Hast du gesehen?“ Temari stieß ihren Bruder an und deutete in die Menge, die sich nahe der Bühne drängte. Gaara nickte. Offenbar war dort jemand, den sie kannten. Shikamaru konnte wieder nur einen roten Haarschopf erspähen, ähnlich Gaaras, dann schob sich jemand Großes dazwischen und er verlor ihn aus den Augen.

„Trinkt aus“, forderte Temari die anderen auf und stürzte ihren Whiskey auf einmal hinunter. „Ich geh mal schnell für kleine Mädchen und hol dann noch eine Runde.“

„Willst du uns etwa was vom Klo mitnehmen?“, scherzte Kiba.

Temari verdrehte die Augen. „Ich werde den Barkeeper extra für dich fragen, ob er was Vergleichbares hat“, sagte sie säuerlich und war dann auch schon verschwunden. Shikamaru schmunzelte. Dann ging plötzlich überall in dem Club das Licht aus und nur die Bühne wurde von einem breiten Spotscheinwerfer erhellt.

 

„Jetzt beeilt euch schon! Wegen euch kommen wir zu spät!“

„Darf ich dich daran erinnern, dass du es warst, der noch drei Mal in seine Wohnung gerannt ist, weil er irgendwas vergessen hat?“, fragte Sakura mit zornblitzenden Augen. Naruto lief wie von einer Wespe gestochen immer wieder ein paar Schritte vor und wartete dann ungeduldig, bis seine Freunde in normalem Eilschritt zu ihm aufschlossen. Hinata, die von ihnen allen die schlechteste Kondition hatte, atmete schon schwer und hatte gerötete Wangen, aber nicht einmal darauf achtete Naruto.

„Dann müsst ihr eben jetzt die verlorene Zeit wieder rausholen!“, rief Naruto.

„Spinner“, brummte Sasuke.

Sakuras Handy vibrierte. „Ino hat gerade geschrieben, dass die Vorband zu spielen anfängt“, sagte sie.

„Sieh lieber nach vorne. Bei Narutos Geschwindigkeit läufst du noch gegen eine Straßenlaterne“, scherzte Tenten.

„Leute, schneller!“, drängelte Naruto weiter.

Der Bezirk, in dem sie unterwegs waren, genoss mit Recht einen schlechten Ruf. Dass man ihn gemeinhin den Hinteren Bezirk nannte, war eigentlich eine Beschönigung. Die Straße stank nach Unrat, der Bürgersteig war an vielen Stellen brüchig, der Asphalt sowieso. Nur dann und wann brauste ein Auto an den sechs vorbei, Fußgänger hatten sie noch gar keine gesehen. Die Gebäude ringsum waren niedrig und entweder von vornherein nur halbherzig verputzt worden, oder aber der Verputz bröckelte schon wieder ab. Die vorherrschenden Farben reichten von weiß bis dunkelgrau, mit unfreundlichen, schwarzen Sprenkeln, wo sich sogar an den Außenwänden der Häuser Schimmel breitmachte. Im schwindenden Tageslicht wurde die ganze Szenerie zunehmend düster.

„Echt ätzend, dass es in diesem verdammten Stadtteil gerade mal eine Buslinie gibt. Und die muss natürlich einen weiten Bogen um das Twilight machen“, seufzte Tenten. „Was sagt unser Navi? Sind wir hier überhaupt noch richtig?“

Neji, der eine App von der Straßenkarte auf seinem Smartphone hatte und genau genommen noch weniger auf die Straße achtete als Sakura, nickte. „Das da vorn könnte eine Abkürzung sein“, sagte er.

„Wo? Das da?“ Sasuke blieb vor einer schmalen Seitengasse stehen und musterte die Backsteinwände, die einen kaum zwei Meter breiten Weg einpferchten. Eine verbogene Regenrinne neigte sich wie ein künstlicher Schranken über den Eingang.

Sakura rümpfte die Nase, als sie bei ihm ankam. Aus der Gasse wehte fauliger Geruch. „Keine zehn Pferde bringen mich da hinein.“ Hinata konnte das nur zu gut nachempfinden.

„Hast du etwa Angst?“, fragte Naruto scherzhaft.

„Ich hab nur was dagegen, mich mitten in der Nacht im heruntergekommensten Teil der Stadt durch eine enge, stinkende Gasse zu zwängen“, schnappte sie gereizt.

„Ich … ich habe Angst“, gab Hinata kleinlaut zu. „Wenn wir einfach der Straße folgen, kommen wir doch auch zu dem Lokal, oder?“

„Theoretisch schon“, sagte Neji. „Aber es dauert länger. Und wir sind schon fünf Minuten über der Zeit.“

„Es ist besser, ein paar Minuten von Kankurous Auftritt zu versäumen, als in einer dunklen Gasse überfallen zu werden“, sagte Sakura.

„Also hast du doch Angst“, stellte Sasuke mit einem schiefen Grinsen fest. „Ihr habt doch ein paar starke Männer an eurer Seite, was soll schon passieren?“, fragte er überheblich.

„Ich habe keine Angst“, zischte sie. Das meinte sie vermutlich ernst. Hinata schätzte, dass sie in dem Moment einfach nur stur sein wollte. „Komm, Hinata. Lassen wir die Idioten doch einfach durch diese Müllhalde kriechen.“

Sie stapfte los, wieder die Straße entlang. Hinata folgte ihr zögerlich, wandte sich noch einmal kurz um. „Naruto?“, fragte sie schüchtern. Es wäre ihr lieber, wenn er nicht in diesen finsteren Schlund ging.

Naruto schien hin- und hergerissen, dann zuckte er mit den Achseln. „Also schön.“ Hinata fühlte bodenlose Erleichterung, als er ihnen hinterher marschierte. Sakura legte ein strammes Tempo vor.

„Bist du jetzt auch unter die Angsthasen gegangen?“, rief Sasuke ihm hinterher.

„Nein“, rief Naruto gedehnt zurück. „Aber die Straßen sind hier auch gefährlich, also sollten sie einen Mann dabeihaben, oder?“

Hinata bewunderte ihn für die schlaue Ausrede – so schlagfertig war er selten –, aber Sakura funkelte ihn an, als wollte sie ihn im nächsten Moment ihre Faust spüren lassen. Die anderen standen noch vor der Seitengasse. „Was ist mit dir?“, fragte Sasuke Tenten. „Willst du ihnen nicht auch nach?“

„Weil ich ein Mädchen bin, oder was?“ Sie grinste. „Bist du neuerdings sexistisch veranlagt? Wenn da in der Gasse jemand lauert, sollte er besser Angst vor uns haben.“

Neji trat unbehaglich von einem Bein aufs andere. Hinata kannte ihren Cousin gut genug, wahrscheinlich bereute er mittlerweile, die anderen auf die Abkürzung aufmerksam gemacht zu haben. Tenten gab ihm allerdings keine Gelegenheit, sich aus dem Staub zu machen. Sie hakte sich bei ihm unter und verkündete fröhlich: „Das Navi bleibt bei uns, damit wir uns dort drin nicht verirren.“

So betraten Tenten, Neji und Sasuke die finstere Seitengasse, und obwohl sie es nicht laut sagte, hatte Hinata ein ganz mieses Gefühl bei der Sache.

 

Als sie eingetreten waren, hatte Ino einen Witz über Glitzervampire gemacht. Als die Vorband auf die Bühne kam, musste Shikamaru unwillkürlich daran denken. Die vier Bandmitglieder glitzerten zwar nicht, aber von Vampiren waren sie nicht mehr weit entfernt: Alle vier waren weiß geschminkt, die Augen dunkel umrahmt, das Haar bleich und lang. Am furchterregendsten sah der Sänger und Leadgitarrist aus: Er spielte mit nacktem, geschwärztem Oberkörper, auf den im Corpse-Painting-Stil Rippen und andere Knochen gemalt waren. Das Gesicht war ebenfalls schwarzweiß bemalt.

Am hässlichsten jedoch war sein Gesang, wenn man es denn überhaupt noch als solchen titulieren wollte. Es klang eher, als wollte er mit Halsschmerzen einen Sturm übertönen, und das mit einer Handvoll Reißnägel im Mund. Shikamaru verstand kein Wort von dem gegrölten Text. Die Gitarren waren so sehr verzerrt, dass sie gar nicht mehr wie ein Musikinstrument klangen, und er war nicht sicher, ob es in dem Song überhaupt so etwas wie eine Strophenstruktur oder auch nur einen richtigen Takt gab. Immerhin, den eingefleischten Fans ganz vorne bei der Bühne schien es zu gefallen, sie ließen mit gespreizten Fingern ihre Haare durch die Luft wirbeln.

„Spielt Kankurous Band auch so einen Stil?“, schrie er Gaara zu.

„Was?“ Er hielt eine Hand an sein Ohr. Die Musik war selbst hier hinten so laut zu hören, dass man kaum sein eigenes Wort verstand. Shikamaru winkte ab und geduldete sich, bis das Lied zu Ende war.

„Wie heißt die Band überhaupt?“, fragte Kiba, als sich die kreischenden Instrumente beruhigt hatten und Shikamarus Ohren sich wie mit Wolle gefüllt anfühlten.

„Ich weiß nicht genau. Irgendetwas mit Jashin“, sagte Gaara. „Offenbar haben sie eine Abmachung mit den Leuten, denen das Twilight gehört. Sie dürfen immer auftreten, wenn hier irgendein Gig stattfindet. Kankurou versteht es auch nicht ganz.“

Dann gab es immerhin Hoffnung, dass Shikamaru Kankurous Musik besser gefiel. Die Jashin-Band quälte ihre Instrumente noch für ein zweites, ebenso furchtbares Lied, dann schien der Sänger eine Ankündigung machen zu wollen.

„Haut rein, Anhänger Jashins!“, schrie er in sein Mikrofon. Shikamaru fand, dass seine Stimme ruhig heiserer klingen dürfte. „Heute Nacht schwebt wieder ein blutiger Mond über dieser beschissenen Stadt, und das heißt, dass unser Meister Hunger hat!“

Ganz vorne johlten ein paar Fans auf. Shikamaru hatte keinen Plan, was der da Typ faselte.

„Seid ihr bereit, ihm euer Blut zu opfern?“, schrie der Sänger, als wäre er gerade in höchster Ekstase. Oder war er auf Drogen? Die paar Leute in der ersten Reihe stimmten freudiges Geschrei an. „Pain for Jashin!“, hörte Shikamaru heraus. Vielleicht war das der volle Name der Band.

„Einfach nur krank“, war Inos simpler Kommentar dazu.

„Sehr gut!“, rief der Sänger und ließ seine Hand über dem Kopf tanzen, als vollführe er eine Zaubershow. „Jashin hat zu mir gesprochen! Einer hier im Raum hat die Ehre, ihm als Opfer zu dienen!“ Diese zweifelhaften Anhänger tanzten daraufhin wie wild herum.

„Nein, danke“, meinte Gaara trocken. Kiba und Lee lachten.

„Schaut übrigens immer mal wieder auf unsere Website! Jashin freut sich über jeden neuen Anwärter! Und jetzt geht es weiter mit Drain Blood To Kill!

Shikamaru war jetzt ganz froh darüber, nicht zu verstehen, worum es in deren Liedtexten ging. Das Gitarrengetöse setzte wieder ein, und wenn ihn nicht alles täuschte und er die zurückhaltenden Gesichtsausdrücke der anderen Besucher richtig deutete, fand der Großteil der Gäste des heutigen Abends diese erzwungene Vorband geschmacklos.

Als sie gerade beim vierten Song waren, kam Bewegung in die starren Körper der Zuhörer, als sich drei Neuankömmlinge an ihnen vorbeidrängten. Sie hatten sie bemerkt und steuerten auf das Holzfass zu; Ino winkte ihnen überflüssigerweise zu.

Die letzten Gitarrentöne verklangen pünktlich um halb neun und von ganz vorne brandete Jubel auf, hier und da ertönte verhaltener Applaus. „Da seid ihr ja endlich!“, rief Ino gegen ihre halbtauben Ohren an, als Sakura, Hinata und Naruto das Fass erreichten.

„Hey. Sorry für die Verspätung. Was war denn das gerade?“, fragte Sakura stirnrunzelnd.

„Ihr habt nichts verpasst“, sagte Chouji sarkastisch. Die drei Neuankömmlinge begrüßten die anderen per Handschlag, Umarmung oder Küsschen – zumindest Sakura und Naruto; Hinata murmelte nur eine Begrüßung. Naruto freute sich besonders, dass Gaara auch hier war, und versprach, gleich Drinks für alle zu bestellen, obwohl Temari sich gerade erst mit einem Tablett durch die Menge kämpfte, auf der die letzte Runde stand. Als er in Richtung Bar verschwand, stand der Sänger immer noch starr auf der Bühne, die Arme ausgebreitet, als wollte er das ganze Lokal umarmen, die Augen geschlossen. Hoffentlich machten sie bald Platz für Kankurous Band.

„Hat ja lange gedauert“, merkte Shikamaru an, als Temari endlich bei ihnen war und das Tablett auf dem Fass abstellte.

„Jaja, tut mir leid“, sagte sie genervt und blickte nervös hinter sich, dann machte sie ein paar Schritte in den Kreis hinein, den die Freunde um das Fass bildeten, sodass sie nun vor Shikamaru stand.

„Was ist denn mit dir los?“, fragte er stirnrunzelnd und wollte sich schon in die Richtung drehen, in die sie gespäht hatte.

„Bleib so stehen“, sagte sie tonlos. „Und dreh dich nicht so auffällig um, verdammt. Siehst du den Kerl da hinten? Der hat mich aufgehalten.“

„Welcher Kerl?“ An der Bar war ziemlich was los. Naruto drängte sich gerade an einigen pockennarbigen Schwermetallern vorbei.

„Der mit den langen Haaren. Gott, schau nicht so auffällig!“

Da sah Shikamaru ihn auch. Ein Mann zwischen zwanzig und dreißig starrte direkt zu ihnen herüber, ein Glas mit irgendetwas Klarem in der Hand. Seine Haarmähne erinnerte ihn an Inos, blond und lang und gepflegt. Schulterzuckend drehte sich Shikamaru wieder um. „Und? Was ist mit ihm?“

Temari verdrehte die Augen. „Nehmt euch einfach eure Drinks, okay?“

Da bemerkte Shikamaru, dass auch Sakura suchend den Blick über die Menge schweifen ließ. „Sagt mal, wo sind die anderen?“

„Welche anderen?“, fragte Ino.

„Sasuke, Tenten und Neji. Sind sie noch nicht hier?“

„Ich dachte, sie wollten mit euch herkommen?“

Shikamaru wandte sich verdutzt zu Sakura um und sah, wie ihre nachdenkliche Miene langsam in Besorgnis umschlug.

 
 

- Der Hintere Bezirk, erste Nacht -

 

„Und wieder ist es Zeit für das Dorf, einzuschlafen. Ich gehe davon aus, jeder hat sich mit der Fähigkeit seines Charakters vertraut gemacht?“

Shikamaru nickte nicht, er hielt nur konzentriert seine Augen geschlossen. Er wusste, welche Karten es insgesamt gab, aber er wusste nicht, welche alle im Spiel waren. Deshalb war es wichtig, in der ersten Nacht aufzupassen. Sphinx hatte ihm erlaubt, tagsüber Notizen zu machen, daher musste er sich unbedingt merken, wen er in welcher Reihenfolge aufrief.

„Zuerst stirbt der Geist und erwacht gleich darauf. Beherrschst du das Finger-Alphabet? Ja? Dann sieh dir an, was heute Nacht noch so alles geschieht, und in der Dämmerung zeigst du mir dann den Buchstaben, den du den Lebenden mitteilen willst.“ Der Geist war von Anfang an tot. Er durfte das ganze Spiel über die Augen geöffnet haben, aber mit keinem anderen Spieler in irgendeiner Weise in Kontakt treten. Selbst Blickkontakt war verboten, und Sphinx war da sicher sehr streng. Dafür durfte der Geist pro Nacht eine Nachricht aus dem Jenseits senden, einen einzelnen Buchstaben, der jedoch nicht als Initiale eines Namens gedacht sein durfte.

„Nun erwachen die Freimaurer. Sie sehen sich an und erkennen sich – gut so. Sie schlafen wieder ein.“ Die Freimaurer kannten einander und wussten daher, dass sie keine Werwölfe waren. Dass Sphinx nicht sagte, wie viele es gab, war lästig. So war es schwierig, sie ausfindig zu machen.

„Als Nächstes erwacht die Alte Vettel. Zeige auf einen Spieler, der am nächsten Tag das Dorf verlassen muss.“ Der verbannte Spieler konnte tags darauf weder abstimmen noch gelyncht werden. Diese Fähigkeit konnte sowohl nützlich als auch verhängnisvoll werden.

„Du schläfst wieder ein. Jetzt erwacht der Leibwächter und zeigt mir den Spieler, den er in dieser Nacht vor Tötungsversuchen schützen möchte. Der Leibwächter schläft wieder ein, die Unruhestifterin erwacht. Möchtest du das Dorf schon am ersten Tag etwas aufwiegeln? Du schläfst wieder ein und die Doppelgängerin erwacht. Wähle einen Spieler, und du erhältst dessen Charakter, wenn er stirbt. Sobald er tot ist, wachst du in der Nacht auf, und ich werde dir die Karte zeigen, die du von da an dein Eigen nennen darfst.“ Noch ein tückischer Charakter. So etwas war wieder einmal perfekt, um die Seherin auszutricksen. Ob Sphinx zweimal denselben Schachzug verwenden würde?

„Nachdem die Doppelgängerin wieder in süße Träume versunken ist, erwacht der Strolch und wählt seine beiden Todfeinde. Zeige sie mir. Du schläfst wieder ein.“ Der Strolch musste in der ersten Nacht zwei Spieler auswählen. Er gewann nur, wenn beide am Ende tot waren und er selbst noch lebte.

„Der Paranormale Ermittler erwacht. Möchtest du drei nebeneinander sitzende Spieler auf Werwölfe durchleuchten? Der Priester erwacht und sagt mir, ob er gern jemanden segnen möchte. Dann schläft er wieder ein. Die Zaubermeisterin erwacht und sucht nach der Seherin. Wähle einen Spieler und ich zeige dir, ob du richtig liegst … Die Zaubermeisterin schläft wieder ein.“

Shikamaru spürte ein starkes Verlangen, die Augen zu öffnen und wie der Geist zuzusehen, was des Nachts geschah. Sphinx hatte wieder so viele Charaktere mit Spezialfähigkeiten ins Spiel gebracht …

„Die Seherin ist dran. Wähle einen Spieler. Wenn er ein harmloser Dorfbewohner ist, deute ich mit dem Daumen nach unten, andernfalls nach oben … Du schläfst wieder. Der Kultführer erwacht! Wähle einen Spieler, der in deinen Kult eintreten soll!“ Der Kultführer also auch. Hier schienen mehrere Fraktionen gegeneinander anzutreten. Der Kultführer musste versuchen, alle lebenden Spieler in seinen Kult zu bekommen, einen pro Nacht. Schaffte er das und überlebte selbst auch, gewann er unabhängig von den Werwölfen. Die Mitglieder des Kultes selbst erfuhren davon gar nichts. „Sollte der Kultführer übrigens sterben, tippe ich, wenn ich den Kultführer in der nächsten Nacht aufrufe, dem ältesten Kultmitglied auf die Schulter. Dann wird es zum nächsten Kultführer, und das Mitgliedersammeln geht weiter. Du schläfst wieder ein. Jetzt erwachen die Werwölfe.“

Endlich ging es zur Sache. Shikamaru hielt gespannt den Atem an.

„Ihr wählt euch ein Opfer für diese Nacht.“

Nach Shikamarus Geschmack könnte es ruhig ewig dauern, bis er etwas zu tun bekam, aber irgendwie freute er sich, dass die Nacht bald vorbei war und er die Augen wieder öffnen durfte. Jetzt musste Sphinx nur noch die Hexe aufwecken, damit diese ihre Tränke ausspielen konnte, dann war der Morgen da.

„Die Werwölfe schlafen wieder ein.“ Shikamaru konnte Sphinx‘ Lächeln während seiner nächsten Worte förmlich hören. „Die Vampire erwachen.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Willkommen also beim dritten Spiel :D Wer kennt das Spiel mit dem Todesfälle-Erraten? ;) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (7)

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Von:  Cosmoschoco1209
2019-03-11T20:13:20+00:00 11.03.2019 21:13
Oh man.... So viele Rollen. Ich glaube ich werde mich die nächsten Tage erstmal damit auseinandersetzen in deiner Beschreibung, damit ich nicht permanent raus muss um zu wissen was sie für eine Funktion haben.
Allerdings macht es jetzt schon Spaß das ganze aus Shikamarus Sicht zu lesen, in der Hoffnung das er noch nicht ganz so schnell die Lösung findet, was die Rollenverteilung betrifft, sonst habe ich keine Chance, selbst was herauszufinden.
Von: Swanlady
2016-11-06T10:47:52+00:00 06.11.2016 11:47
Ich mag das neue Setting! Hidan als Frontman einer Metalband kann ich mir total gut vorstellen. Irgendwie hab ich mir das mit den Vampiren schon gedacht, als Ino den Twilight-Witz gemacht hat. XD Fragt sich nur, ob sie eine werwolfähnliche Funktion haben und quasi ihre "Konkurrenten" sind. Ich hatte ja schon letztes Mal Probleme mit den ganzen Spezialkarten, diesmal werde ich also bestimmt auch im Dunkeln tappen, lol. Bin gespannt, was Tenten für eine Karte hat. Es muss eine sehr wichtige sein, immerhin hast du ihre Zuteilung besonders hervorgehoben. ;)
Ich glaube, es wird Shikamaru noch ganz schön frustrieren, dass er nur beobachten darf. So würde es zumindest mir gehen. @@
Ich bin so froh, dass das Rätsel mit dem säurehaltigen Wasser usw. gelöst wurde! Im Nachhinein macht es natürlich Sinn, aber darauf wäre ich echt nicht gekommen. Aus mir wird nie ein Detektiv. :D'
Antwort von:  UrrSharrador
19.11.2016 21:38
Danke für deinen Kommi :)
Argh, dabei sollte der Witz doch gar kein Hinweis sein xD Wollte nur, dass Ino sich über den Namen von dem Lokal lustig macht ... ^^
Eine Auflistung der neuen Karten und ihrer Fähigkeiten kommt wieder, mit dem nächsten Kapitel leg ich die an :) Aber werwolfähnliche Funktion und deren Konkurrenten triffts eigentlich gut ;)
Kommt drauf an. Ich bin ja selbst meist Moderator, aber ich hab gehört, dass einfach nur zuschauen auch sehr interessant sein kann. Wobei der gute Shikamaru ja leider nachts die Augen geschlossen halten muss und somit das Beste nicht mitkriegt^^
Von:  EL-CK
2016-11-06T09:29:49+00:00 06.11.2016 10:29
Yang ich kenn die Black Stories ^^
Diesmal sind ja sehr (!) viele Spezialisten unterwegs. .. bin mal gespannt wer alles diese "Nacht" streben wird...
Antwort von:  EL-CK
06.11.2016 10:31
Wen ich die Autokorrektur hasse... ich wollte ja "yepp" schreiben und was die daraus '
"yang" -.-
Antwort von:  UrrSharrador
19.11.2016 21:34
Danke für deinen Kommi :) Hehe, aber es ist lustig zu lesen xD
Die Black Stories mussten einfach rein, weil ich die auch zu der Zeit gespielt habe, als ich Werwölfe richtig zu spielen begonnen habe :D
Antwort von:  EL-CK
20.11.2016 12:02
Ich spiel beides auch recht gerne - va mit meinen SchülerInnen aus den älteren Klassen (so kurz vor Weihnachten/Ostern) ;)
Von:  ReverdeLune
2016-11-05T19:46:04+00:00 05.11.2016 20:46
Echt super Kapitel!

Ich finde das neue Setting ziemlich interessant und bin gespannt in welche Richtung das noch gehen wird.
Es gibt so viele neue Karten, dass es dieses mal echt noch kniffliger wird als das letzte Spiel.
Das mit den Vamipen, die wahrscheinlich eine ähnliche Rolle wie die Werwölfe einnehmen werden (?) finde ich, macht das ganze noch einmal zusätzlich spannend ;-)

Aber wer spielt noch mal alles mit? Alle alten Charaktere plus ein paar neue oder? Oder spielt irgendjemand nicht?
Antwort von:  UrrSharrador
19.11.2016 21:33
Danke für deinen Kommi! Freut mich, dass du das Setting magst - ja, vermutlich wird das Spiel in seiner Gänze kniffliger, aber es sollten einzelne Rätsel dabei sein, die recht einfach zu lösen sind.
Ja, diesmal spielen alle alten mit und die neuen. Mit dem nächsten Kapitel gibt es wieder eine Galerie von den Spielern und eine Auflistung aller Karten und ihrer Fähigkeiten :)
lg
Von:  Thrawn
2016-11-05T19:04:03+00:00 05.11.2016 20:04
Super Kapi

Als ich gelesen habe wie Tenten, Neji und Sasuke alleine durch die Gassen laufen wollen, so wusste ich gleich, dass sie entweder ziemlich spät oder mit Verlusten ankommen. Es war auch schön zu erfahren, wie Naruto und Co. in die Falle gelockt wurden. Das kann doch kein Zufall gewesen sein. Dahinter steckt doch eine Absicht. Die Gruppe löst gerne Rätsel und bekommt so eine Mail. Alles sehr interessant.

Bei den neuen Spieler und ihren Karten bin ich sehr gespannt. Shikamaru und der Geist sind ja die einzigen, die den ganzen Spaß überleben. Also geht die nächste Runde in Richtung Polizei und Verbrechensaufarbeit mit Okkultismus? Besonders Shikamaru wird es knifflig, wie er in der Geschichte überlebt und die Wölfe trotzdem weiter morden.

Freue mich auf das nächste Kapi und warte gespannt darauf.

MfG Thrawn
Antwort von:  UrrSharrador
19.11.2016 21:31
Danke für deinen Kommi mal wieder :) Man hüte sich vor dunklen Gassen! xD
Du wirst schon sehen, ich hab mir was Besonders für das Setting einfallen lassen ;)
lg


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