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Lang lebe die Königin

Vertrau mir deine Flügel an II
von

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Enthüllte Geheimnisse


 

Achter Juni, erstes Jahr der Genji Ära (1864)
 

Die Stille der Nacht war von den Geräuschen eines tobenden Kampfes durchbrochen wurden. Der Geruch von Blut tränkte die reine Abendluft und drang zu Jandates empfindlicher Nase vor. Verstimmt verzog sie das Gesicht, auch wenn sie nicht leugnen konnte, dass die hauchzarte Duftnote von Testosteron, die im eisenhaltigen Geruch des Todes mitschwang, sie nicht doch erregte. Gegen ihre Natur konnte sie eben nichts tun, auch wenn die Gründe für ihre Anwesenheit andere waren.

„Ihr wisst schon, dass wir diese Gelegenheit nutzen sollten, um Geld zu verdienen. Heute sind die Blaumäntel nicht auf Patrouille.“ Mit einem Tablett in beiden Händen trat Mio zu Jandate auf das Dach, welches gegenüber des Ikedaya-Hauses stand.

Vorsichtig stellte sie das Tablett zwischen sich und ihrer Freundin, der sie sogleich etwas von der klaren, scharf riechenden Flüssigkeit, welche man Sake nannte, einschenkte.

„Wir haben mehr als genug. Und das obwohl unsere Waffen nicht gerade günstig waren. Diese Stadt scheint ein Brutkasten für zwielichtiges Gesindel zu sein. Uns wird das Geld so wohl nie ausgehen.“ Im Angesicht dieser Übertreibung verzog Mio das Gesicht und sah zu dem Haus gegenüber. Sie hörte klar und deutlich die Geräusche des tobenden Kampfes und vor ihrem geistigen Auge blitzten die Bilder von eben diesem auf.

„Ich bin gespannt, ob die goldene Ratte auch hier ist und wann sie das sinkende Schiff verlässt.“

Leise seufzte Mio. Zwar spürte auch sie die Anwesenheit zwei ähnlicher Artgenossen, aber das musste noch lange nicht bedeuten, dass darunter der Oni war, den sie bei ihrer Ankunft in Kyoto getroffen hatten. Und dennoch saßen sie auf Befehl von Jandate hier und warteten darauf zu sehen, wer diese Oni waren.

„Dort scheint es wirklich ein hitziges Gefecht zu geben. Ich wüsste zu gerne wieso.“ Eine deutlich erkennbare Neugier blitzte in Jandates Augen auf. Ein Leuchten, das Mio in Alarmbereitschaft versetzte. Sie wusste, dass es Jandate in den Fingern juckte und sie nur zu gerne ebenfalls mitgemischt hätte. Umso erstaunlicher war es, dass sie beherrscht sitzen blieb und stattdessen an den Schälchen Sake nippte.

„Es ist wirklich unglaublich, oder Mio? Egal wohin man geht, Krieg, Mord, Leid und Armut sind überall. Egal ob in unserer Heimat oder hier, die Menschen lassen sich alle von denselben tödlichen Motiven leiten.“

Verwundert sah Mio zu Jandate auf, deren Verhalten mit einem Mal so anders wurde. Der verspielte Ausdruck in ihren Augen war einem uralten Zorn gewichen, den Mio nur zu gut verstehen konnte.
 

Jandate war aufmerksam geworden, als eine Gestalt durch ein Fenster das Ikedaya-Haus verlassen hatte. Sofort war hatte sie ihre Sinne auf den Flüchtigen konzentriert.

„Zeit zu gehen, Mio“, wisperte Jandate und erhob sich von ihrem Platz. Ohne lange nachzudenken lief sie in die Richtung, in die auch der Unbekannte geflohen war.

Einen leisen Fluch ausstoßend, erhob sich Mio ebenfalls. Vergessen war der Sake, den sie zum Glück im voraus bezahlt hatte, und alle Ernsthaftigkeit mit der sie wenige Sekunden zuvor über das Land der aufgehenden Sonne ausgesprochen hatten.

Flink folgte Mio der Dämonenkönigin, einfach der Spur folgend, die dieser Oni physisch und ohne es zu merken, legte. Dabei war nicht einmal sicher, dass es sich um den Onimann handelte, der Jandate ein Dorn im Auge war. Mio wusste nicht einmal, warum es sich die Dämonin so sehr wünschte, ihn wiederzusehen.

„Verdammt!“ In einer kleinen Gasse hatte Jandate inne gehalten. Bis hier her waren sie dem Oni gefolgt, doch nun war seine Präsenz verschwunden.

„Ich hatte mich schon gefragt, wer uns die ganze Zeit beobachtet und verfolgt.“ Die Augen weiteten sich, als sie die Stimme des Onis hörte, auf den sie die ganze Zeit gehofft hatte. Sie hob ihren Blick und erkannte ihn schließlich sitzend auf dem Dach, mit seinen roten Augen die hochmütig auf sie gerichtet waren. Neben ihm stand der zweite Oni, den sie gespürt hatten. Ein Mann, mit stattlicher Statur, rotem Haar und schwarzer, traditioneller Kleidung. Sein Kinn zierte ein Bart, der ihn älter wirken ließ als er wahr. Wobei seine Haltung zeigte, dass er bereits seit vielen Jahren gekämpft und gelebt hatte und dadurch Erfahrungen gesammelt hatte, die dem Oni neben sich noch verwehrt waren.

„Es ist unklug von euch, eure Präsenz nicht zu unterdrücken, wenn ihr jemanden folgt, der sie wahrnehmen kann. Zumindest wenn ihr unerkannt bleiben wollt.“ Mio war von den Worten des ihnen bekannten Oni geschockt und sah zu Jandate, auf deren Lippen sich nur ein verspieltes Grinsen widerspiegelte. Sie wusste, dass die Königin diejenige war, die scheinbar bewusst ihre Präsenz nicht unterdrückt hatte. Somit war es auch mehr als nur wahrscheinlich, dass die Oni sie die ganze Zeit gespürt und bewusst in diese Gasse gelockt hatten, die ohne weiteres zu ihrem Grab werden konnte.

„Ich habe nie behauptet, dass ich nicht entdeckt werden wollte.“ Seufzend schüttelte Mio den Kopf. Das waren genau die Worte, die sie von Jandate erwartet hatte. Ihr wurde aber nicht klar, wofür sie das alles getan hatte, bis die Königin ein rotes Säckchen aus dem Oberteil ihres Kamishimos zog und dieses mit ganzer Kraft dem sitzenden Oni entgegenwarf. Blitzschnell reagierte dessen Begleiter und fing das Säckchen mit seiner rechten Hand, bevor es den anvisierten treffen konnte.

„Ich hoffe, das Geld reicht dir und wir sind damit quitt.“ Fragend hob sich eine feine geschwungene Augenbraue des sitzenden Onis, der auf das ihm hingehaltene Säckchen sah. Auch Mio war verwundert und blickte zu ihrer Freundin neben sich.

„Ich habe gehört, dass man hier in Japan Informanten Geld zahlt. Du hast uns doch die Information von diesem Laden zukommen lassen. Dank dessen bekamen wir ein Startkapital.“

Verstimmt verzog der sitzende Oni das Gesicht, nahm aber dennoch das Säckchen entgegen. Es missfiel ihm wie ein einfacher Informant behandelt zu werden und augenscheinlich war Jandate das bewusst, denn eine gewisse Zufriedenheit spiegelte sich in ihrem siegessicheren Lächeln wieder.

„Ihr solltet dieses Land verlassen, solange ihr noch die Gelegenheit dazu habt. Bald werden hier Dinge geschehen, in die Ausländer sich nicht einmischen sollten.“ Wie schon damals legte der Oni den beiden Frauen nahe, Japan zu verlassen. Doch genau wie damals lehnte Jandate das ab.

„Wir würden gerne dieses zurückgebliebene Land verlassen, aber es geht nicht. Wir müssen hier eine Sache klären, die eine Angelegenheit der westlichen Dämonen ist.“ Ernst sah Jandate nun die beiden Oni an. Sie schienen darauf zu warten was als nächstes kam, doch Schweigen legte sich in die Stille nieder.

„Verzeiht Kazamas Wortwahl, auch wenn es nicht den Anschein hat, so macht er sich nur Sorgen um euer Wohlbefinden. Die Zeiten werden rau und uns wäre es sehr angenehm, wenn Ausländer nicht in diese Sache mit hineingezogen werden. Ich weiß auch, dass wir einander fremd sind, aber würdet ihr uns bitte erklären, mit welchem uns hinderlichen Auftrag ihr in dieses Land gekommen seid?“ Es war der Krieger neben dem sitzenden Oni, der die Stille durchbrach und von den beiden Frauen forderte, ihr Geheimnis zu offenbaren.

Nachdenklich verschränkte Jandate die Arme. Sie wog ab, inwieweit sie diesen Onis trauen konnten.

„Hoheit, wir sollten es ihnen sagen. Sie gehören zu unsereiner und damit betrifft sie das Problem ebenso wie uns.“ Jandate nickte auf die Worte ihrer Freundin hin. Irgendwann würde es sowieso herauskommen. Und wenn diese Onis das Problem erkannten, würden sie ihnen vielleicht auch helfen und keine Steine mehr in den Weg legen.

„Mein Name ist Jandate Kaminir Ravenclaw von Evangion. Zusammen mit Mio bin ich aus Frankreich hierher gekommen, um einen Fehler zu beseitigen, der in meinem Herrschaftsgebiet entstanden ist und einige der unseren das Leben gekostet hat.“ Sie machte eine kurze Pause und sah zu den beiden Oni, um sicher zu gehen, ob sie ihr wirklich zuhörten. „Dieser Fehler wird bei uns Vampirelixier genannt. Es wurde vor einigen Jahren von Chemikern entwickelt. Das Vampirelixier gibt jenen die es trinken dämonische Heilungskräfte. Ebenso mehr Kraft und Schnelligkeit sowie ein teils uns ähnliches Äußeres. Ihre Augen glühen allerdings in einer roten Farbe und sie haben keine Hörner, wodurch sie von echten Dämonen unterschieden werden können. Das Mittel ist allerdings auch nicht perfekt. Diejenigen die es tranken, sind einem Blutrausch verfallen und Amok gelaufen. Irgendwie ist eine Kiste von diesem Elixier aber nach Japan gekommen und ich bin mit Mio hier, um es zu zerstören.“

Deutlich erkannte Jandate, wie der sitzende Oni aufhorchte und das Gesicht verzog. Ihm schien nicht zu gefallen, was er da hörte. Genauso wenig hatte es ihr gefallen, als sie ihrem ersten künstlichen Dämon gegenüber gestanden hatte.

„Wir brauchen bezüglich dieser Sache alle Informationen, die wir kriegen können. Sollte jemand das Elixier weiterentwickeln, könnten alle Nebenwirkungen, die diese falschen Dämonen schwächen, eliminiert werden. Sie können sich bei Tag immerhin sehr schlecht bewegen und sind bei ihrem Amoklauf zwar stark, aber nicht koordiniert genug, sodass es ein Leichtes ist, ihnen den Kopf abzuschlagen oder das Herz zu durchbohren.“ Mit ihren Worten verdeutlichte Mio, wie sehr die Zeit drängte. Immerhin kannten sie die hässliche Seite des von den Menschen so hochgelobten Wundermittels.

„Dann solltet ihr zurück in eure Heimat und das Mittel dort vernichten. Jetzt, da wir davon wissen, werden wir Onis uns höchstpersönlich darum kümmern.“ Die Arroganz des sitzenden Onis kannte wirklich keine Grenzen. Scheinbar hielt er die Dämonen des Westens für genauso unnütz, wie es Jandate von den Onis dachte.

„Das haben wir bereits getan. Diese eine Kiste ist alles, was von dem Elixier übrig ist. Und wir werden nicht eher zurückkehren, bis wir nicht jeden einzelnen Tropfen beseitigt haben.“ ernst fixierte Jandate den sitzenden Oni, der sie mit genau derselben Ernsthaftigkeit bedachte. Die Atmosphäre wurde unangenehmer, denn die Königin der Dämonen und der Oni der auf den Namen Kazama hörte, waren sich in Sachen Starrköpfigkeit und Arroganz ebenbürtig.

„Tut was ihr nicht lassen könnt. Mischt euch aber nicht in die hiesigen Angelegenheiten ein.“ Es war der Oni, der das Blickduell mit der Königin beendete und sich von seinem Platz erhob. Er gab seinem Begleiter das Zeichen, dass sie gehen würden und verschwand in der Dunkelheit der Nacht.

„Hoheit, wir sollten auch gehen“, wisperte Mio ihrer Königin zu. Diese nickte nur mit einem Siegeslächeln, denn der Rückzug des Onis fühlte sich wie ein Sieg an, mit dem sie ein Unentschieden geschaffen hatte.
 

**~~**
 

„Wenn sie jetzt dieses Gebäude stürmen, werden sie das ganze Ansehen für die Niederdrückung Chôshus bekommen.“ Es war Yamazakis Stimme, die Natsus Bewusstsein wieder ins Hier und Jetzt zerrte.

Sie spürte seinen schlanken, aber starken Körper unter ihrem und wusste sofort, dass er sie wohl Huckepack trug. Doch wozu? Zwanghaft versuchte sie sich daran zu erinnern, was nach ihrem Kampf gegen den Rônin vorgefallen war. Sie erinnerte sich an mehr Männer, die plötzlich aufgetaucht waren. An die Anstrengung, die sie aufgebracht hatte, um ihr Leben zu schützen und an den Schmerz, der sie in die Ohnmacht getrieben hatte. Yamazaki musste sie schließlich gefunden und mitgenommen haben, damit sich später jemand um sie kümmern konnte.

„Die Tapferkeit der Shinsengumi-Mitglieder, die vor ihnen hier waren, würde umsonst gewesen sein.“ Mit jedem Wort das Yamazaki und Chizuru sprachen – Natsu war froh, dass sie es wohl geschafft hatte, die Botschaft zu überbringen – kam sie wieder etwas mehr ins Hier und Jetzt. Sie nahm die Geräusche des tobenden Kampfes war und roch das Blut der Krieger, die sich im hitzigen Gefecht verletzt hatten. Und darunter mischte sich ein bekannter, vertrauter Duft.

„Niu...“ Leise wisperte sie den Laut, der so natürlich von ihr kam, als wäre er ihr angeboren. Obwohl ihr Körper schmerzte, wehrte sie sich gegen den sicheren Halt, den Yamazaki ihr bot. Sie musste rein in dieses Haus und der Fährte folgen.

„Hey... Beweg dich nicht! Du bist schwer verletzt!“ Der Griff Yamazakis wurde fester und Natsu in dieser menschlichen Form hatte keine Chance zu fliehen. Es gab nur eine Möglichkeit, um frei zu kommen, selbst wenn diese Möglichkeit ihr größtes Geheimnis offenbaren würde. Doch das war ihre kleinste Sorge.

Ohne Zögern nahm Natsu ihre Fuchsgestalt an und fiel aus dem Stoff ihres Yukatas, den Yamazaki nur noch zu fassen bekam. Erschrocken sah der Inspektor der Shinsengumi dem rotbraunen Fuchs nach, der in das Ikedaya-Haus lief und ihm nicht einmal die Zeit gab, zu realisieren, was eben geschehen war.
 

Auch wenn Natsus gesamter Körper schmerzte, rannte sie auf flinken Pfoten vorbei an den kämpfenden Männern der Shinsengumi und Chôshus. Zielstrebig folgte sie der Fährte Heisukes bis in die oberste Etage. Nur noch wenige Kämpfe wurden hier ausgetragen, doch es waren genug, um Natsu wirkliche Sorgen zu bereiten.

Sie spürte und roch, dass sie ihrem Krieger ganz nahe war, doch das Blut, das sich mit seinem Geruch vermischte, alarmierte sie. Noch schnell, obwohl sich ihr Körper dagegen wehrte, lief sie zu dem Zimmer, in dem Heisuke zwischen aufgebrochenem Holz lag. Seine Augen waren verschlossen und sein Gesicht schmerzverzerrt, was Natsu nur noch deutlicher zeigte, dass es ihm nicht gut ging.

„Ein Hauptmann der Shinsengumi... Wenn ich dich umbringe, bin ich ein Held!“ Deutlich erkannte Natsu die Silhouette des rundlichen Mannes. Er war schwer verletzt in diesen Raum geflohen und hatte wohl gehofft, dass man ihn nicht entdecken würde. Und schließlich hatte er Heisuke in den Trümmern gesehen und es als seine Chance erkannt.

Mit gezogenem Schwert näherte er sich dem bewusstlosen Hauptmann und lächelte siegessicher auf ihn hinab. Wenn nichts passierte, würde Heisuke nicht lebend hier herauskommen.

Ohne nachzudenken, oder sich andere Optionen zu überlegen, nahm Natsu ihre menschliche Form an und griff zu dem nächst dünneren Balken, der in ihrer Nähe lag. Fest umklammerte sie diesen, sodass sich kleine Splitter in ihre Hand jagten. Und dennoch wollte sie nicht loslassen.

„Lass Heisuke-san in Ruhe!“ Mit einem Kriegsschrei lief das Fuchsmädchen auf den Mann zu, der erschrocken aufblickte und nur noch den Holzbalken sah, den sie ihm ins Gesicht schlug und der seine Nase zertrümmerte. Wieder und wieder schlug Natsu, beseelt von der Angst, Heisuke zu verlieren, auf den Mann ein, bis schließlich ein rotes Rinnsal am Boden sie dazu bewegte aufzuhören.

Schwer atmend sah sie auf den Fleischberg vor sich. Er würde Heisuke nichts mehr tun. Erst jetzt, da die drohende Gefahr gebannt war, sank Natsu auf die Knie und ergab sich dem Schmerz ihres Körpers, der sie aller Sinne beraubte.
 

**~~**
 

Obwohl der sogenannte Ikedaya-Vorfall erst wenige Tage her war, hatte sich die Tat der Shinsengumi herumgesprochen. Sie hatten das Haus der Ikedayas fast vollständig auseinander genommen, sodass es nicht nur durch seinen Ruf zu einem Schandfleck der Gegend geworden war.

Doch nicht nur die Kunde über ihren Sieg machte sich breit. Auch von den Verletzten, von denen einige Namen bekannt waren, wurde gesprochen.

Genug, damit Mizu sich Sorgen um eine gewisse Person machte und den Weg zum Hauptquartier der Shinsengumi auf sich genommen hatte. Und obwohl sie ihn und sein verschämtes Lächeln unbedingt sehen wollte, stand sie unschlüssig vor dem Tor ins Innere.

„Mizu-chan?“ Erschrocken wirbelte die Samuraitochter herum, als sie die Stimme Haradas hinter sich hörte. Dort stand er, der Speerträger. Unverletzt und mit einem verwunderten Blick der in diesem Moment nur ihr galt.

„Männer, geht schon vor. Ich komme gleich nach.“ Dem Befehl ihres Hauptmanns folgend, liefen die Krieger der Shinsengumi rechts und links an den beiden vorbei. Harada wartete, bis alle außer Hörweite waren, ehe er einen Schritt auf Mizu zumachte.

„Bist du wegen Souji hier?“ Seine Frage hätte nicht schlimmer als eine Ohrfeige sein können. Denn bisher hatte sie immer geglaubt, dass sie nicht so leicht zu durchschauen war. Doch scheinbar wusste jeder wie viel ihr an dem Samurai Okita Souji lag.

„Wie geht es ihm?“ Obwohl der Schock ihrer Erkenntnis tief saß, war die Sorge um ihn größer. Sie wollte nur wissen, dass es ihm gut ging und dass er wieder auf die Beine kommen würde.

„Komm mit. Ich denke, er freut sich dich zu sehen.“ Ohne Mizus Frage zu beantworten, griff Harada nach der Hand des Mädchens und zog sie durch das Tor, durch das sie sich zuvor geweigert hatte zu gehen.
 

**~~**
 

Sie hätte nie geglaubt, nicht einmal in ihren Träumen, dass sie einen Menschen finden würde, für den sie zu sterben bereit war. Doch jetzt, da ihr Bewusstsein sich wieder zurück ins Leben kämpfte, wurde sie sich dessen erst bewusst.

Die Schmerzen, der kratzige Stoff an ihren Kopf, das Gefühl des menschlichen Körpers und auch diese Stimmen der Männer, die ihr so vertraut waren, waren Zeugen ihrer impulsiven Taten.

„Du kannst sie nicht einfach vor die Tür setzen, Hijikata-san!“ Sie hörte deutlich, dass Heisuke aufgebracht war. Ging es etwa um sie?

„Sobald sie gesund ist, werden wir das aber. Sie könnte eine Spionin sein, die uns für unsere Feinde aushorchen soll. Diese Fuchsgestalt ist nur Tarnung.“ Die Stimme des Onis der Shinsengumi klang aufgebracht. Aufgebracht wegen ihr, weil sie ein Fuchs war. Oder war er aufgebracht weil sie auch menschlich war?

Vorsichtig schlug Natsu die Augen auf. Auch wenn sie müde war, sie musste wach werden. Sie musste sich verteidigen, um ihre Nähe zu Heisuke kämpfen.

„Bin keine Spionin. Bin nur Natsu... Ein Fuchsgeist. Das hier ist... meine Heimat niu. Ich war vor euch hier...“ Ihre Stimme war ein schwaches Flüstern, doch die Männer verstanden sie und sahen zu ihr.

„Da hörst du es, Hijikata-san! Sie tut keiner Fliege etwas zu leide. Außerdem säße ich nicht mehr hier, wenn sie mich nicht beschützt hätte.“ Ihr wurde ganz warm ums Herz, als sie hörte, dass Heisuke Partei für sie ergriff. Ihn störte scheinbar nicht, dass sie ihn bezüglich ihrer Identität angelogen hatte. Damit war er, von Yuki abgesehen, der erste Mensch, der sie akzeptierte wie sie war.

„Dennoch kann sie nicht als einzige Frau hier wohnen. Bei Yukimura mag das mit der Verkleidung funktionieren, aber nicht auch noch bei ihr!“

Natsu erhob sich langsam, um dem Oni-Kommandanten in die Augen sehen zu können und seine halbwahre Logik zunichte zu machen. Sie wollte nicht von hier weg.

„O-Oi! Nicht aufstehen!“ Sanft legte Heisuke seine Hände auf ihre Schultern und drückte sie zurück aufs Bett.

„Es hat bisher niemanden gestört, dass ich hier war, niu. Ich jage mir mein Essen alleine... ich räume bei mir alleine auf, niu. Ich bin ganz leise. Niemand wird merken, dass ich hier bin, niu. Nicht einmal die Monsterkrieger.“ Natsu sah, wie die Augenbraue Hijikatas hochschnellte und wusste sofort, dass sie was Falsches gesagt hatte. Sie schollt sich eine Närrin, denn die Rasetsu waren das größte Geheimnis der Shinsengumi und sie hatte eben zugegeben, dass sie es kannte. Damit hatte sie ihr Leben verspielt.

„Hijikata-san.“ Natsu sah auf, als sie eine ruhige Stimme von der anderen Seite des Zimmers vernahm. Es war Sannan, der dem Gespräch augenscheinlich gelauscht hatte und sich nun in das Gespräch einmischen wollte.

„Bedenke bei deiner Entscheidung, dass sie der Shinsengumi sehr dienlich in Shimabara gewesen ist. Ebenso hat sie Toudou-kun und auch Yukimura-kun gerettet. Die Shinsengumi steht damit in ihrer Schuld. In Anbetracht dieser Umstände und angesichts der Tatsache, dass die Shinsengumi der Eindringling in ihre Heimat ist, wäre es nicht sonderlich tugendhaft sie vor die Tür zu setzen.“ Ein unheimliches Lächeln lag auf Sannans Gesicht. Ein entwaffnendes, das seine Worte nur mehr verstärkte und dem Oni-Kommandant in die Knie zwang. Dieser seufzte auf und sah zu Natsu.

„Ihr seid ein unerträglicher Haufen. Aber ihr habt Recht. Sie kann bleiben solange keiner der Männer sie in ihrer Menschengestalt sieht.“

Tränen kullerten vereinzelt über die Wangen Natsus, als Hijiakta sein Einverständnis gab. Sie war erleichtert, denn sie würde ihre Heimat und Heisukes Nähe nicht verlieren.
 

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Ein Seufzen glitt über Mizus Lippen, als sie ihre Beine über den Holzweg baumeln ließ. Das raue Holz unter ihren Fingern fühlte sich noch immer so vertraut an als würde sie es aller zwei Tage schrubben. Doch jetzt putzte der Yagi-Haushalt wieder selbst.

Hinter ihr lag das Zimmer, in dem Souji untergekommen war und gerade schlief. Sie fühlte sich erbärmlich, denn obwohl sie wegen ihm hier war, traute sie sich einfach nicht in seine Nähe.

„Mizu?“ Erschrocken sah Mizu auf und erblickte Chizuru mit einem Tablett in der Hand. Sicher war sie gerade dabei allen Kommandanten ihren Tee zu bringen, denn auf dem Tablett standen drei dampfende Becher.

„Okita-kun freut sich sicher, wenn du ihn besuchst. Also nur keine scheu. Geh rein.“ Unschuldig lächelte sie das Mädchen an, das ihre momentane Position, eben vor dem Zimmer des Verletzten, falsch deutete.

„Ich war schon bei ihm. Er schläft aber gerade und... Ich wollte ihn nicht wecken.“ Um ihre Verlegenheit zu verbergen, weil ihre Worte vor Unlogik nur strotzten, wandte sie ihren Blick ab.

„Okita-kun schläft also... Dann habe ich einen Tee zu viel gemacht.“

In einer fließenden, femininen Bewegung, hockte sich Chizuru neben Mizu und stellte das Tablett mit dem Tee neben sie ab. Vorsichtig griff sie nach einem der Becher und hob diesen vom Tablett, um ihn Mizu zu reichen.

„Harada-kun hat mich gebeten, euch Tee zu machen. Hier.“ Dieses unschuldige Lächeln. Mizu ertrug es nicht. Immerhin lebte Chizuru unter den Männern der Shinsengumi und doch war ihr Lächeln so unschuldig und rein.

„Harada scheint heute wirklich in Plauderlaune zu sein. Er hat mir sogar das mit dir und Souji erzählt.“ Vorsichtig führte sich Mizu den Becher Tee an die Lippen und nippte zaghaft daran. Er war nicht schlecht, aber auch nicht besser als ihrer. Eben vollkommen bodenständig, so wie sie.

„M-Mit mir und Okita-kun?“

Mizu grinste. Sie sah den roten Schimmer auf Chizurus Wangen und wusste genau, dass sie ihre Worte fehlinterpretierte. Sie war eben ein einfaches, unschuldiges und naives Opfer. Genau der Typ Frau, der Soujis Herz im Sturm erobern konnte. Daran zweifelte Mizu nicht.

„Du bist bei ihm geblieben bis sie ihn rausgetragen haben. Du hast versucht, erste Hilfe zu leisten. Das meine ich.“ Sie konnte das arme Ding einfach nicht weiter aufziehen. Das war Soujis Art, aber nicht ihre.

„Harada sagte auch, dass er ohne dich gestorben wäre. Und deswegen... Danke, Chizuru. Danke, dass du statt meiner an seiner Seite warst.“ Schlagartig verschwand der rote Schimmer auf Chizurus Wangen, als sie sich bewusst wurde, was Mizu ihr eben alles offenbarte.

„Das sind ganz neue Töne von dir, Mizu-chan. Dabei war Chizuru-chans Anwesenheit wesentlich nutzloser, als es deine gewesen wäre.“

Synchron zuckten die Mädchen zusammen und drehten sich zu Souji um, der mit einem verschmitzten Grinsen hinter ihnen saß. Ohne, dass sein Grinsen schwand, griff Souji zu dem Becher Tee, den Mizu in ihrer Hand hielt, und nahm ihr diesen ab, um schließlich genüsslich einen Schluck daraus zu trinken.

Fassungslos sah Mizu zu dem Krieger, der seelenruhig bei ihnen saß und alles von ihrem Gespräch gehört hatte. Damit wusste er auch, was sie für ihn empfand.
 

Mitte Juli das erste Jahr der Genji Ära (1864)
 

Ihre Augen leuchteten vor Freude auf, als sie endlich wieder Kyotos Treiben sehen konnte. Hier war der Ort an dem sie, Erenya, ihrem geliebten Krieger, Harada Sanosuke, nahe sein konnte.

„Hier hat sich nichts verändert“, merkte Yuki mit einem Lächeln an und sah zu Koji, der nur bestätigend nickte.

„Und was machen wir nun?“ Chihiro war es, die diese nostalgische Stille durchbrach und zu dem Dreiergrüppchen sah, dessen Rückkehr ein besonderer Moment war.

„Lasst uns zu Lhikans Laden gehen! Ich will ihm 'Hallo' sagen. Und dann zu Mizu. Und danach zur Shinsengumi.“ Aufgeregt sprach Erenya ihre Wünsche aus. Ihre Stimme überschlug sich fast, denn sie hatte niemals geglaubt so schnell zurückzukehren.

Ein Lächeln lag auf Yukis Lippen, denn selten hatte sie Erenya in den letzten Monaten so aufgeregt und glücklich gesehen wie jetzt. Und dennoch...

Yuki sah zum Himmel, der sich in ein verabschiedendes Orange tauchte. Die Wiedersehensfreude mussten sie in Anbetracht der Tatsache, dass der Abend dämmerte wohl vertagen.

„Vergesst nicht, dass wir hier sind, um die Hoheit zu finden. Wenn das, was ihr erzählt habt wirklich wahr ist, dann wird sie Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um das Vampirelixier zu finden und zu zerstören.“ Mit ernster Miene bedachte Chihiro das Dreiergrüppchen und ließ sie sofort die Freude ihrer Rückkehr vergessen.

„Wir wissen ja wer das Mittel hat... Und sollte deine Freundin das bereits erfahren haben, haben wir ein Problem. In der Shinsengumi gibt es viele Kämpfer und dann wäre da noch Kodo, der das Mttel immer wieder entwickeln kann.“ Yuki wollte nicht deutlicher aussprechen, was sie Chihiro klarmachen musste. Doch es brauchte auch keine deutlicheren Worte. Wenn Jandate bereits von der Shinsengumi wusste und auch deren Geheimnis kannte, hatte sie das Elixier sicher bereits zerstört und den Doktor getötet.

„Entschuldigt ihr vier.“ Verwundert wandte sich die Gruppe zu einer alten Frau um, die sie mit einem neugierigen Blick musterte. Wahrscheinlich hatte sie Teile des Gesprächs gehört, zumindest hatte es auf Yuki so den Anschein.

„Ihr habt doch gerade von Kodo-sensei gesprochen, richtig?“ Yuki zog sich der Magen zusammen, als die Frau den Namen des Arztes der westlichen Medizin aussprach. Sie hatte also genug gehört. um sie darauf anzusprechen. Und dennoch, vielleicht hatte sie nützliche Informationen.

„Es ist wirklich ein Jammer. Er war so ein guter Mann, immer besorgt um seine Tochter, die er in Edo gelassen hatte. Vor etwa einem halben Jahr ist seine Klinik abgebrannt. Niemand weiß, wie das geschehen konnte. Gerüchten zufolge waren es aber die Mibu-Wölfe. Der Doktor soll sich geweigert haben, ihre Verletzen zu versorgen und das musste er schließlich mit dem Leben bezahlen. Ich sage Ihnen, halten Sie sich bloß von diesen Unruhestiftern der Shinsengumi fern.“

Yuki verzog das Gesicht wegen der Warnung der alten Frau. Viel Sympathie hatten die Wölfe Mibus seit ihrer Abwesenheit nicht gesammelt und wahrscheinlich würden sie das auf Lebenszeit nicht mehr schaffen.

„Hören sie auf, so zu reden! Harada-kun und seine Freunde kämpfen, damit sie in Frieden leben können! Sie würden niemals jemanden umbringen, der es nicht auch verdient hätte. Schon gar nicht einen alten Mann, der Familie hat.“ Laut hallte Erenyas Stimme über die Straße. Sie konnte nicht zulassen, dass man so über Harada sprach. Er war ein guter Mann mit reinem Herzen, jemand, dem sie blind vertraute, weil sie ihn liebte und weil er soviel für sie getan hatte.

„Armes Kind. Wenn du meinen Worten nicht glauben kannst, dann frag sie selbst und sieh das verlogene Glänzen in ihren Augen. Dort hinten laufen sie.“ Die Alte hob den Arm und verwies in die Richtung, die hinter der Gruppe lag. Erenya folgte ihrem Zeig und erkannte ohne Probleme, ohne ihren Augen zu misstrauen Harada Sanosuke.

Wild schlug ihr das Herz gegen die Brust, denn ihr Glauben, dass er noch lebte, hatte sich bezahlt gemacht. Sie sah ihn klar und deutlich mit seiner Truppe.

Jegliches logische Verhalten wurde aus ihrem Geiste eliminiert, kaum dass sie ihn sah. Sie wollte nur noch eines, zu ihm laufen und ihm zeigen, dass sie wieder da war.

Ohne der alten Frau, oder sonst jemanden Beachtung zu schenken, lief sie los, in Richtung der Gasse, durch die Harada aus ihrem Sichtfeld verschwunden war.
 

Yuki konnte nur noch ihre Hand nach Erenya ausstrecken, bekam aber ihren Arm nicht mehr zu fassen. Sie hätte es wissen müssen. Sobald Erenya Harada sah, vergaß sie alles um sich herum und wollte nur noch mit dem Mann reden, dem sie einst ihr Herz geschenkt hatte.

„Lass mich nur machen. Ich hole Erenya zurück. Ihr Beide sucht nach einer Unterkunft. Wir treffen uns dann wieder hier.“ Yuki nickte auf Chihiros Angebot hin. Sie war wesentlich schneller als der ehemalige Schneeengel und konnte einen Feind im Notfall diskret und unbemerkt von anderen zur Strecke bringen.

„Sollte sie aber mit Harada reden, gib ihr etwas Zeit. Die beiden haben sich lange Zeit nicht mehr gesehen.“ Auch wenn Yuki es nicht gefiel, dass Erenya auf eigene Faust losgestürmt war, wollte sie nicht, dass ein wiedersehen der beiden Liebenden zu abrupt endete. Dank dem Wissen, was Erenya hier in Kyoto erlebt hatte, verstand sie was Yuki meinte. Mit Sicherheit wäre sie die Letzte gewesen, die das Pärchen entzweit hätte.

„Bis später.“

So schnell Chihiro konnte, lief sie los in die Richtung, in die auch Erenya verschwunden war. Sie musste sich beeilen, wenn sie das Mädchen nicht aus den Augen verlieren wollte.
 

Trommeln und Flöten erklangen in einer noch vertrauten und doch befremdlichen Harmonie und drangen zu ihren Ohren vor. Sie hatte lange Zeit keine heimischen Umzüge mehr gesehen. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie sie als kleines Mädchen einmal mit ihren Eltern nach Kyoto gezogen war, um die leuchtenden Umzugswagen des Gion-Festes zu sehen.

Wie hypnotisiert wandte sie sich zu den Wagen, die genauso schön waren, wie sie es noch in Erinnerung hatte. Japan hatte ihr gefehlt und in Momenten wie diesen wurde ihr das nur all zu schmerzhaft bewusst.

'Keine Zeit dafür...'

Es kostete sie einiges an Beherrschung, um sich von diesem Bild abzuwenden. Sie musste Erenya zwischen all diesen Menschen finden.

Schnell und geschickt schlängelte sie sich durch die Menge und suchte nach dem schwarzen Haupt ihrer Zielperson. Ein schwieriges Unterfangen, denn ein Großteil der japanischen Bevölkerung hatte schwarzes Haar. Und doch war sie sich sicher, dass sie Erenya finden würde. Denn so typisch japanisch war der Engel nicht. Vor allem was ihr Verhalten anging.

Ihre Schritte wurden sicherer, schneller und unvorsichtiger, zumindest wusste sie, dass sie nicht genug aufgepasst hatte, als sie mit einem Körper kollidierte, der dort, wo sie entlang wollte, nicht hätte stehen dürfen.

„Verzeihung...“, nuschelte sie unsicher und hob den Kopf, um zu sehen, mit welcher halben Portion sie zusammengestoßen war. Alles was sie aber erblickte, waren Muskeln, die ihr einen roten Schimmer auf die Wangen zauberten.

„Nein, nein mir tut es leid. Ich habe wohl nicht aufgepasst. Geht es Ihnen gut?“ Widerwillig löste sich Chihiro von diesem gut trainierten Oberkörper und sah zu dem Mann, der versucht höflich die Schuld auf sich laden wollte.

Verwegen blitzten seine treudoofen grau-blauen Augen ihr entgegen und rissen sie zurück in die Realität. Eine Realität in der sie wegen dem Körper eines Mannes verlegen geworden war.

„G-Genau! Sie Holzkopf sollten besser aufpassen!“ Sie wusste, dass sie übertrieb, aber immerhin würde er nun glauben, dass dieser verräterischer Schimmer auf ihren Wangen nur zu sehen war, weil sie erbost über seine Unvorsichtigkeit war.

„Verzeihen Sie. Kann ich es wieder gut machen?“ Schüchtern lächelte der Mann sie an und in ihrem Kopf arbeitete es. Bei einer Wiedergutmachung sagte sie nicht nein.

„Ich werde darauf zurückkommen. Und nun gehen Sie mir aus dem Weg!“ Sie wusste nicht seinen Namen, aber selbst Kyoto mit seiner unglaublichen Größe war ein Dorf. Solche Dinge waren ihr in Europa bewusst geworden. Die ganze Welt... war ein Dorf.

Wie sie es forderte, ging der muskulöse, gut gebaute Mann mit dem hellblauen Mantel aus dem Weg. Sie konnte sich nicht weiter mit ihm abgeben, auch wenn sie gerne mehr mit ihm gesprochen und vielleicht seinen Körperbau bewundert hätte.

Noch bevor sie schwach wurde, stürmte sie an ihm vorbei, die Augen nach Erenya offen haltend.
 

**~~**
 

Erenyas Herz schlug schneller mit jedem Schritt, den sie sich Harada näherte. Neben ihm stand eine wesentlich kleinere Person. Der Kleidung nach zu urteilen war es ein Junge. Vielleicht ein Freund oder ein zukünftiger Anwärter der Shinsengumi.

„Es ist wirklich wunderschön, Harada-san.“

Sie hielt in ihrer Bewegung inne, als sie die Stimme der Person neben Harada vernahm. Das war kein Krieger. Es war nicht einmal ein Junge. Diese Person war weiblich und sie war eindeutig mit Harada hier.

„Du hast es dir verdient. Vielleicht bringt dich das alles für diesen Augenblick auf andere Gedanken. Immerhin sind deine Umstände alles andere als leicht.“

Erenya schluckte wegen der Worte des Speerkämpfers. Sie war zwar noch nicht so gebildet was diese Welt anging, aber sie konnte sich vorstellen, was für Umstände Harada meinte. Das erklärte die Männerkleidung, von der Erenya glaubte, dass sie bequemer als die der Frauen war.

Er hatte sie vergessen, ersetzt mit einer Frau, mit der er eine Familie gründen konnte. Sie hatte verloren, ohne die Chance bekommen zu haben, sein Herz erobern zu können.

„Werde glücklich, Harada-kun...“

Sie hatte genug gesehen und gehört. Harada war verloren und ihr Herz gebrochen. Nun konnte sie sich darauf konzentrieren, die Dämonenkönigin Europas zu finden.

So schnell sie konnte, suchte sie sich ihren Weg durch die Massen und merkte nicht einmal, dass Harada sich umgedreht hatte, weil er beseelt von seiner Hoffnung immer nach ihr Stimme lauschte und sie so auch gehört hatte. Sie wusste nichts von seiner Sehnsucht, die in für den Moment kämpfen ließ, an dem er wieder mit ihr vereint sein würde. Denn für ihn, war sie einfach unersetzlich.

„Harada-san? Ist alles in Ordnung?“ Fragend sah Chizuru zu dem Krieger auf, der seufzend den Kopf schüttelte. Wahrscheinlich hatte seine Sehnsucht ihm einen Streich gespielt und er hatte sich ihre Stimme, die er so deutlich gehört hatte, nur eingebildet.
 

Erenya war froh als sie zwischen den Menschen das vertraute Gesicht Chihiros sah. Trost suchend lief sie zu der Assassine, die sofort die Tränen erkannte, die ihre Wangen benetzten. Irgendetwas war vorgefallen, doch sie traute sich nicht zu fragen. Erenya würde schon selbst reden, wenn sie wollte.

„Lass uns gehen...“, schluchzte der Engel leise und griff haltsuchend nach Chihiros violetten Yukataärmel. „Ich kann ihn nicht mehr wiedersehen.“

Ihre Stimme war gebrochen. Genauso wie ihr Herz. Doch noch immer schwieg Chihiro. Sie nickte nur zum Zeichen, dass sie verstanden hatte und führte Erenya von den Menschen und den zwei Mitgliedern der Shinsengumi weg.
 

August, erstes Jahr der Genji Ära (1864)
 

Fest und starr war Erenyas Blick auf die Fassade von Lhikans Laden gebannt. Die Erinnerungen an die Zeit als sie hier gearbeitet hatte, waren noch so lebendig als wären sie erst ein paar Tage alt.

Aufgeregt schlug ihr Herz in der Brust, während sie in ihrem Kopf alle möglichen Szenarien durchspielte, die geschehen konnten, wenn sie den Laden betrat.

Wie würde Lhikan reagieren? Könnte sie ihn darum bitten, wieder bei ihm zu arbeiten? Hatte er vielleicht schon eine neue Angestellte?

Es waren so viele Fragen. Fragen, von denen sie wusste, dass die Antworten hinter der Holzfassade lagen. Tief holte sie Luft, als würde sie mit dem Atemzug allen Mut sammeln, den sie brauchte und betrat schließlich das ihr vertraute Geschäft.

„Willko-“ Ein Lächeln schlich sich auf Erenyas Lippen als sie klar und deutlich Lhikans abrupt verklingende Stimme hörte.

Der Ladenbesitzer stand hinter seiner Theke und hatte sich gerade mit einer Kundin unterhalten, die Erenya selbst nur zu gut kannte. Beide Menschen starrten sie überrascht an, als sei sie ein Geist, der ruhelos auf Erden wanderte.

„Lhikan... Mizu... Ich...“ Sie hielt inne und sah zu ihren Freunden, deren überraschtes Gesicht zu einem glücklichen Lächeln geworden war. Erenya konnte nicht mehr an sich halten. Sie legte ihre Beherrschung beiseite und lief auf Mizu zu, die sie ohne zu zögern in ihre Arme schloss und erleichtert an sich drückte.

„Ich bin wieder zu Hause“, wisperte der Engel. Vergessen waren alle Ängste, die sie noch vor dem Betreten des Ladens hatte.
 

Es fühlte sich so natürlich an, als Erenya die Bestände im Laden auffüllte. Sie hatte keine der Handbewegungen vergessen, auch wenn genug Zeit zwischen ihrem heutigen und letzten Arbeitstag verstrichen war. Lhikan hatte sie mit Freuden eingestellt und somit konnte auch sie etwas zu ihrem Unterhalt beitragen. Koji und Chihiro verdienten immerhin Geld mit Söldnerarbeiten, wogegen Yuki in den nächsten Tagen in den Rotlichtvierteln der Stadt um Arbeit als Wächterin bitten wollte. Durch Mizu hatten sie immerhin erfahren, dass Shimabara keine Wächter mehr brauchte, auch wenn es Erenya doch verwunderte, dass Mizu entgegen ihrer Abneigung aller Rotlichviertel nun doch in einem arbeitete.

Es hatte sich viel in ihrer Abwesenheit verändert, doch sie hatte nichts anderes erwartet. Die Zeit blieb eben nicht stehen nur weil sie nicht da war.

„Eri-chan, pass bitte auf den Laden auf. Ich liefere schnell Yagi-sans Bestellung aus.“

Ein Gefühl, das die Menschen wohl Gewissensbisse nannten, stach Erenya in die Brust. Sie hatte darum gebeten, dass sie keine Lieferungen mehr zur Shinsengumi machen würde. Ebenso hatte sie verboten den Kriegern von ihrer Rückkehr zu erzählen. Dank der ganzen Ereignisse, die durch sie in der Vergangenheit ausgelöst worden waren, hatte sie immerhin eine Ausrede für ihren Wunsch. Doch anders als damals hatte sie ihren Körper unter Kontrolle. Zumindest fast. Ihre nichtmenschliche Gestalt machte ihr noch Probleme, aber es gab keine Notwendigkeit, sie anzunehmen. Sie musste nicht kämpfen und wollte es auch nicht.

„Pass auf dich auf, Lhikan!“, rief sie dem Händler noch nach, bevor er den Laden verließ und sie alleine zurück blieb.
 

Konnte man es Glück, oder doch eher Pech nennen? Erenya wusste es nicht so genau, denn seit Lhikan die Lieferung zum Yagi-Tempel machte, war Kundschaft rar gewesen. Erenyas Tun begrenzte sich daher auf's Warten und sich Langweilen.

Ein Blick zum Eingangsbereich verriet ihr, dass die Sonne in langsamen Bewegungen den Horizont überschritt und bald die Nacht ihre Decke über Japan legen würde. Spätestens wenn der erste Stern sein Haupt erhob, musste sie den Laden schließen und zurück zu dem Gasthof gehen, in dem sie günstig untergekommen waren.

Seufzend wandte sie ihren Blick ab und stützte ihren Kopf auf den Händen ab. Sie musste bald das Lager ausfegen, immerhin eine sinnvolle Beschäftigung bevor sie schlossen.

„Entschuldigung...“ Erschrocken fuhr Erenya zusammen, als sie die Stimme eines Mannes vernahm, der ihr direkt gegenüber am Tresen stand. Sofort richtete sie sich auf, neigte demütig den Kopf und hob diesen, um eine angemessene Entschuldigung auszusprechen. Doch als sie das Gesicht des Mannes sah, blieben ihr die Worte bleischwer auf der Zunge liegen. Seine goldbraunen Augen fixierten sie, zogen sie in ihre freundlichen Tiefen und beraubten sie ihres Verstandes.

„Harada-kun...“, wisperte sie heiser und versuchte das Zittern zu unterdrücken, dass ihre Beine schwach werden ließ.

„Willkommen zurück, Eri-chan.“ Freundlich lächelte er sie an, griff nach einer ihrer Hände, die sie auf dem Tresen liegen hatte und berührte sie damit endlich wieder, nach einer viel zu langen Zeit die beiden wie eine Ewigkeit erschienen war.
 

Mitte August, das erste Jahr der Genji Ära (1864)
 

Ernst sah Hijikata sich in der Umgebung nahe Natsus Bau um. Er wollte vermeiden, dass man ihn vor ihrem Aufbruch zu ihrem Auftrag hier erwischte. Immerhin war er es gewesen, der sie aus der Heimat hatte vertreiben wollte. Und nun suchte er sie auf, um die Fuchsdame, um einen unmöglichen Gefallen zu bitten.

Erst als er sich sicher war, dass niemand ihn hier sehen würde setzte er sich auf den Boden und stellte neben ihrem Eingang ein kleines Päckchen ab.

„Wir ziehen heute in eine Schlacht. Heisuke und ein paar andere Verletzte werden hier bleiben. Du kannst also ungesehen hier herumlaufen.“ Kurz schwieg Hijikata und sah zu dem Eingang, aus dem Natsus Köpfchen lugte. Vorsichtig legte er seine Hand auf dieses und kraulte das zierliche Wesen hinter den Ohren.

„Ich habe Dangos für dich geholt. Heisuke liebt Dangos“, erklärte er sanft. Er verpackte seine Bitte, dass sie Heisuke die Dangos brachte und sich diese mit ihm teilte, in indirekten Worten. Es sollte nicht jeder merken, dass er alles andere als ein gefährlicher Oni war.

Dass sein Handeln diesen Eindruck bei Natsu nicht erwecken konnte, war ihm aber ebenso klar. Doch noch indirekter konnte er das Tun des Fuchsmädchens nicht lenken.

„Pass gut auf dein Heim auf, während wir weg sind.“

Ein kaum sichtbares Lächeln zeichnete sich auf dem Gesicht des Onikommandanten ab, ehe er sich erhob und das Fuchsmädchen wieder alleine ließ.
 

**~~**
 

Sie hätte eigentlich noch schlafen sollen, doch nachdem Yamazaki im Auftrag Hijikatas bei ihr aufgetaucht war, konnte sie nicht mehr an Schlaf denken. Wahrscheinlich waren die Männer der Shinsengumi bereits aufgebrochen und auch sie würde bald dort sein, wohin man sie bestellt hatte.

'Ich werde mich um Sannan kümmern... Nach dem der Idiot es Monate lang nicht für notwendig hielt, mit mir zu reden. Der kann was erleben.'

Sie war fest entschlossen, Sannan nach all den Monaten ordentlich die Meinung zu sagen. Selbst wenn er nichts tat, sie nicht trainierte oder mit seiner Aufmerksamkeit strafte, quälte dieser Sadist sie.

'Ob er mich dennoch vermisst?' Chia konnte nichts dagegen tun, dass dieser Gedanke plötzlich aufkeimte. Murrend blieb sie stehen und schüttelte ihn sofort wieder ab.

'So ein Schwachsinn. Ich klinge schon wie diese albernen Hühner von der Arbeit. Ich bin sicherlich das Letzte woran er denkt. Für ihn gibt es gerade jetzt sicher nur seine Rasetsu und das Ochimizu. Ich kann seinen Arm schließlich nicht heilen.'

Mit jedem weiteren Gedanken den sie dachte, wurde ihr nur klarer, dass sie mit Sannen reden musste. Sie hasste den Gedanken, dass er sich vielleicht doch von Kodos Wundermittel verführen lassen könnte. Er wäre verloren, zumindest wenn es keine Verbesserung gab. Er wäre dann zwar immer noch der Sannan, den sie kannte, doch irgendwie auch nicht. Und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, wollte sie ihn nicht verlieren. Nicht an dieses verfluchte Mittel, das niemals hätte existieren dürfen.



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