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Schattenherz

von

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Es war einmal im Winterwald

Es vergingen einige Tage, voller Schnee und Eis. Wir waren an unser Motel gefesselt und verfolgten die Ereignisse in der Stadt, aus der wir geflohen hatten, auf dem Fernseher.

Zwar waren die Randalierer aus den Straßen verschwunden, was jedoch nichts zu bedeuten hatte. Ich sorgte mich, sagte aber nichts.

Hätte ich gewusst, was gerade vor sich ging, wäre ich vermutlich sofort zurück gereist.
 

Lloyd lag auf einem Dach, im Schneeregen und kniff ein Auge zusammen, während das andere durch das Zielfernrohr einer Waffe schaute. Er war zugegebener Maßen ein mittelmäßiger Heckenschütze. Aber es ging hier nicht um einen Kopfschuss. Es ging lediglich um einen Peilsender.

Mit viel Glück, wenn man es so nennen wollte, hatten sie heute Nacht die Chance ein ganzes Nest voller Vampire auszuräuchern. Er verharrte jetzt seit gut zwei Stunden auf seinem Aussichtspunkt. Langsam kroch die Kälte unter die Plane, unter der er lag, und unter die vier Kleidungsschichten.

Der Vampirjäger hatte in den letzten Tagen so viele Leben ausgelöscht, wie lange nicht mehr. Er hatte Familien ausgelöscht, auseinander gerissen und Paare entzweit.

Trotz aller Mühe nichts davon nahe an sich heran zu lassen, verfolgten ihn seine Taten immer weiter und immer heftiger.

Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als es in seinem Headset zu rumoren und rascheln begann.

„Lloyd... Er ist auf 1 Uhr...“

„Alles klar, over and out...“, nuschelte Lloyd, visierte sein Opfer an und schoss den Sender in seine Kleidung, auf dass er ihn und seine Kollegen zu seinesgleichen führen würde. Lloyd fühlte sich taub. Er war sich der Grausamkeit seines Tuns durchaus bewusst. Aber was nützte es ihm und dem kleinen Vampir, den er beschützen wollte, wenn er gezwungen war um sein Leben zu rennen.

Mit steifen Gliedern begann er seine Sachen zusammen zu packen und fummelte seinen Tablet-Pc aus dem Rucksack, den er neben sich unter gebracht hatte.

Ein kleiner, roter Punkt kroch langsam über eine Karte von Google Maps.

Der Sender funktionierte.

Er schaltete sein Headset auf „Senden“.

„Habt ihr ihn? … Ja, ich mache mich auf den Weg.“

Er schnallte sich sein Equipment, sicher verstaut auf den Rücken und machte sich auf den Weg, herunter von dem Gebäude. Er patschte durchs Treppenhaus und fühlte sich seltsam ungelenk.

Er war steif gefroren, ob der stetig fallenden Temperaturen. Er verbrachte den Großteil seiner Zeit auf der Straße, in diesem Mistwetter und langsam kam es ihm so vor, als wollte man ihn davon abhalten nach zu denken. Er verließ das Gebäude und zog sich seine Kapuze tief ins Gesicht. Er war so müde. Zwanzig Stunden hielt ihn seine Arbeit nun bereits auf den Beinen. Gerade kämpfte er mit seinem toten Punkt. Um keine unangenehme Aufmerksamkeit auf uns zu lenken, hatte Lloyd keinen weiteren Versuch unternommen Kontakt mit mir aufzunehmen, wenngleich es ihm wohl keinerlei Probleme breitet hätte mich aufzustöbern. Immerhin war das sein Job und er machte ihn gut.

Hinter dem Haus stand ein Dienstwagen. Lloyd warf seine Tasche in den Kofferraum und klemmte sich hinters Lenkrad um nur kurz darauf loszufahren.

An einer roten Ampel rieb er sich die Augen. Er musste dringend schlafen, aber davon schien sein Vorgesetzter nicht viel zu halten. Kurz kam ihm der Gedanke,was wäre, wenn man ihn auf diese Weise aus dem Weg schaffen wollte. Übermüdeter Angestellter, fährt mit Firmenwagen in eine Mauer. Kein Einzelfall. Aber diese Idee kam Ihm schnell reichlich paranoid und lächerlich vor.

So nahm er sich vor, sich lieber auf den Straßenverkehr zu konzentrieren.

Sie sammelten sich an der Downstream Terrace. Ein großer Parkplatz vor einer lehrstehenden Shoppingmall. Als Lloyd ankam, waren seine Kollegen bereits versammelt. Er stieg aus und konnte gerade noch verhindern über seine eigenen Füße zu stolpern. Seine Konzentration litt über alle Maßen. Er straffte seine verspannten Schultern und schritt mit erhobenem Kopf zu seinen Kumpanen.

„Hey, Jack!“, begrüßte man Lloyd, der nur ein mattes Lächeln erwiderte.

„Können wir einfach loslegen? Ich würde mich gern endlich hinhauen“, sagte er schließlich.

Laut den Informationen, die dieser Operation zugrunde lagen, lebte ihr Zielobjekt in einer Wohngemeinschaft mit vier anderen Vampiren. Lloyd sträubte sich mit jeder Faser seines Körpers noch jemanden umzubringen. Aber es war unabwendbar, auch wenn ihm der schreckliche Gedanke kam, niemals einen Weg zu finden, aus diesem Teufelskreis auszubrechen, und vielleicht auch mich, Dante, niemals wieder zu sehen.

„Es ist zuhause“, sagte ein kleiner Mann, der einer Bulldogge nicht unähnlich war.

„Es?“, erwiderte Lloyd und konnte sich nicht dagegen wehren, die Oberlippe angewidert hochzuziehen.

„Ja... dieses Pack! Los, Jungs wir mischen diese Scheißhausratten auf!“, blubberte die Bulldogge und buffte Lloyd in die Seite.

Lloyd schnaufte ungehalten und ging zu seinem Wagen.

„Grant. Du fährst mit mir“, rief er zu einem anderen Kollegen, der gleich herüber geeilt kam. Er war noch nicht sehr lang dabei, war aber sehr engagiert.

Er trug eine schwarze Wollmütze und sah noch ziemlich trocken aus. Lloyd quälte sich auf den Beifahrersitz.

„Du fährt, Kleiner“, knurrte er leise.

Grant, blinzelte verwirrt, strahlte dann aber wie ein kleiner Junge bei seinem ersten Baseballspiel.

Er schwang sich hinters Steuer und startete den Wagen. Lloyd holte sein Tablet wieder heraus, das er zwischenzeitlich im Handschuhfach verstaut hatte. Der rote Punkt stand still.

„Armer Teufel...“, entwich es ihm nachdenklich und ziemlich frustriert.

Grant wandte den Blick nicht von der Straße ab, runzelte aber die Stirn.

„Warum?“, fragte er irritiert.

Lloyd schüttelte den Kopf und schloss kurz die Augen, weil ihm davon schwindelig zu werden begann. Er hasste die Welt in der er lebte. Er hasste das System, für das er arbeitete.

„Sir? Wenn ich mir die Freiheit erlauben darf... Sie... scheinen nicht sehr... zufrieden zu sein“, schlussfolgerte Grant, der sich anscheinend zum Meisterdetektiv ernannt hatte.

Lloyd, der gerade in einen Sekundenschlaf gefallen war und den irgendwie nicht mehr recht warm werden wollte, blinzelte müde und entnervt in Grants Richtung.

„Kleiner, wir sind nichts anderes als legale Söldner für Menschen, die nichts verbrochen haben. Warum, glaubst du , sollte ich zufrieden mit mir und der Welt sein?“, zischte er und realisierte erst wenige Sekunden später, dass er vielleicht einen fatalen Fehler begangen hatte.

„Wie meinen Sie das, Sir?“, fragte Grant noch irritierter. „Die sind eine Bedrohung für uns. Das ist der Grund, warum jemand etwas unternehmen muss!“, plapperte Grant seine Stellenbeschreibung nach und Lloyd fühlte wütenden Wahnsinn in sich hochkochen.

„Vergiss es... ich hab seit über 20 Stunden nicht geschlafen... Ich will nur das hier hinter mich bringen und diesen Tag enden lassen.“

Hoffentlich hatte er die Kurve gekriegt und Grant kaufte ihm ab, was er gerade gesagt hatte. Zumindest war die Sache mit dem Schlaf nicht gelogen gewesen.

Sie hielten einige Blocks vor ihrem Ziel und schlichen allesamt sternförmig auf das Haus zu.

Es war ein Mehrfamilienhaus mit insgesamt sechs Parteien. Sie öffneten die Tür und Lloyd trat als erster ein.

Er hörte gedämpfte Stimmen in der Wohnung. Ein Mann und eine Frau, die unbefangen miteinander plauderten, nicht ahnend, dass sie und ihre Freunde gleich abgeschlachtet würden wie Schweine.

Lloyd sah zu Grant und der Bulldogge, die den Rammbock hielten. Er schluckte und atmete einige Male tief durch. Dann gab er das Zeichen.

Was nun geschah, geschah losgelöst von Zeit und Raum. Alles schien in Zeitlupe zu passieren.

Lloyd schlug die Frau nieder. Ein Becher fiel ihr aus der Hand und Blut spritzte an die Wand zu ihrer Rechten. Lloyd sah, wie Grant auf einen Jungen eindrosch, der kaum aussah wie sechzehn.

Ihm wurde übel. Er konnte das nicht mehr.

In einer Kurzschlussreaktion riss Lloyd seine Waffe hoch. Er zielte nicht auf die Vampire, sondern auf einen seiner Kollegen.

„Genug!“

Doch dann klickte etwas neben seinem Kopf. Der Älteste der Truppe stand hinter ihm und hielt ihm eine Waffe an die Schläfe.

„Wir haben erwartet, dass du einknickst“, brummte er.

„Leg die Waffe weg Lloyd.“

Lloyd warf die Pistole auf den Boden.

Er fragte sich, was ich mit ihm angestellt hatte. Ich hatte seine Moralvorstellungen umgeworfen in einer einzigen Nacht. Diese Vorstellung gefällt mir aus irgendeinem Grund ziemlich gut.

Man fesselte seine Hände und band sie ihm auf den Rücken. Er wurde hastig von seinem Kollegen nach draußen geführt und in einen Wagen geworfen.

„Glaubst du, wir sind völlig verblödet?“, knurrte der Ältere und schaute auf die Rückbank, auf der Lloyd sich gerade langsam aufsetzte. In einer ziemlich unbequemen Position, zudem.

„Was meinst du?“, fragte Lloyd und bemühte sich unwissend zu klingen.

Der Mann am Steuer lachte leise. Lloyd kannte ihn nur unter dem Namen Turner. Ob das sein richtiger Name war, konnte er, aber vermutlich auch kein anderer aus der Gruppe genau sagen.

„Deine kleine Liebelei... hat dir ganz schön den Kopf verdreht die kleine Tunte. Für so einen hab ich dich gar nich gehalten“, verkündete Turner. Lloyd schnaufte leise und sah aus dem Fenster. Für so einen hatte er ihn also nicht gehalten. Interessant.

„Ich habe keine Ahnung, was du meinst“, antwortete er kühl.

Turner jedoch war nicht so einfach von der Fährte abzubringen. Er lachte trocken.

„Hast ihn und seine Freunde gedeckt und uns ganz schön auflaufen lassen, du alter Verräter.“

Lloyd wurde eiskalt... Jedenfalls noch kälter, als er ihm eh schon war.

Turner fuhr ziemlich schnell und hektisch. Er schlängelte sich durch den dichten Feierabendverkehr und so dauerte es nicht lange, bis sie an ihrem Ziel ankamen.

Es war der Privatwohnsitz von Fletcher und Lloyd war alles andere als erfreut, vermutlich gleich das Zeitliche zu segnen. Denn es gab nichts Schlimmeres, für diese Art von Bruderschaft, als einen Verräter. Wenn er nicht gleich vor ein Erschießungskommando gestellt wurde, dass ihn bald aussehen ließ wie einen löchrigen Käselaib, dann würden sie ihn foltern, bis er unseren Aufenthaltsort verriet und ihn dann umbringen. Turner führte ihn zur Haustür und klingelte. Ein Schrank von einem Mann öffnete ihnen die Tür. Er trug einen Anzug und ein Headset. Seine Haare waren an den Seiten abrasiert und die verbliebenen auf seinem Kopf schmierig nach hinten gegelt.

Er knurrte nur leise und schob sie beide ins Innere des Hauses.

Lloyd wurde mehr oder weniger liebevoll vorne weg bugsiert. Er musste sich ziemlich zusammen nehmen um nicht in rüden Protest zu verfallen, hatte sich aber einigermaßen im Griff und gab sich mit einem leisen Fluchen zufrieden. Natürlich mussten sie sich gedulden bis ihre Eminenz sich die Ehre gab zu ihnen herab zu steigen.

Turner stand mit stolz geschweller Brust neben ihm. Da hatte er aber auch einen tollen Fang gemacht! Jemand wurde zu Fletcher geschickt. Während sie warteten wandte sich Lloyd an Turner und zog die Brauen hoch.

„Du hättest mich vorhin einfach erschießen können, ohne dass es jemanden gestört hätte. Was genau bringt es dir also mich hier vorzuführen... Oh, Moment... ich versteh schon.“

Turner lachte.

„Immerhin hast du deinen Humor nicht verloren“, sagte Turner, mit dem eindeutigen Verdacht, dass diese Worte Lloyd aufmuntern würden. Dieser rollte nur mit den Augen, nachdem er sich wieder abgewandt hatte.

Die ganze Zeit hatte er den Raum nach einem möglichen Fluchtweg abgesucht, doch keinen gefunden. Er hatte den Eindruck an jedem Weg, in der großen Empfangshalle, bis hin zu der schweren Eichenholztreppe, den er hätte nutzen können um wenigstens Haken zu schlagen, stand einer von Fletchers Schlägern. Er würde auf eine bessere Gelegenheit warten müssen, auch wenn es dann vielleicht schon zu spät war. Er wollte sich die Chance auf eine Erfolgreiche Flucht nicht verderben, wie gering diese auch ausfallen mochte.

Das Warten hatte ein Ende. Er hörte eine Tür und Stimmen. Dann sah er Fletcher, begleitet von gleich vier riesigen Kerlen, die selbst Lloyd noch um einiges überragten.

Lloyd stellte sich gerade hin und versuchte möglichst viel von seiner Würde zu bewahren. Seine Arme und Handgelenke hatten zu schmerzen begonnen und strahlten langsam in seine Schultern, zu seiner Brust. Die Fesseln saßen stramm und unangenehm. Aber Lloyd hatte schon viel schlimmere Schmerzen ertragen, besser machte es die Situation allerdings nicht.

Fletcher lächelte süffisant und breitete die Arme zu einer ausladenden Geste aus, während er auf Lloyd und Turner zuschritt.

„Jackson... Turner... was verschafft mir denn die Ehre?“, fragte er und zog die Stirn kraus, wobei das falsche Lächeln nicht aus seinem Gesicht wich.

Turner ergriff das Wort: „Er hat uns verraten. Hat einem Vampir und seinen kleinen Freunden den Rücken frei gehalten und vorhin seine Kollegen bedroht.“

Lloyd schnaufte verächtlich, war sich aber nicht sicher, was er dazu sagen sollte. Wenn er log, verstrickte er sich vielleicht in etwas, das ihn noch tiefer in sein Verderben ritt. Vielleicht konnte er aber auch Zeit gewinnen, indem er sich eine einigermaßen plausible Geschichte ausdachte. Denn wenn er die Wahrheit sagte, brachte er wieder Unschuldige Leben in Gefahr.

Und soweit er wusste war man in diesem Land immer unschuldig, bis die Schuld bewiesen werden konnte, was einem andererseits aber auch nichts brachte wenn man sich zwischen Meuchelmördern und anderen korrupten Verbrechern bewegte.

Kurzerhand entschloss sich Lloyd also, Fletcher eine spontane Geschichte aufzutischen.

„Jackson, was sagen Sie zu diesen Anschuldigungen?“, fragte Fletcher nun kühl und musterte seinen Mitarbeiter von oben bis unten.

Zu dumm nur, dass Lloyd es unter diesen Umständen nicht schaffte sich etwas auszudenken, das Fletcher ihm abgekauft hätte. So schwieg Lloyd und wurde allmählich unter den Blicken der Anwesenden reichlich nervös.

Sein Blick huschte immer weder zu den freien Ecken, zu den Security Leuten und wieder zurück.

Er musste hier raus. Er musste fort, aber er hatte einfach keine Chance und er wusste das. Es war gegen seine Natur sich in Situationen zu stürzen, die von vorn herein aussichtslos waren. Doch hatte da nicht jemand schon an seinen Moralvorstellungen geschraubt? Jemand, der ihm gezeigt hatte, dass er auf der falschen Seite stand?

Fletcher seinerseits, stand gefährlich nahe an ihm dran und so musste er nur sein Knie empor schnellen lassen um den Bürgermeister in die seinigen zu zwingen. Sogleich stürzten sich die Schläger auf ihn. Er duckte sich unter dem ersten hinweg und rammte einem, der sich ihm in den Weg stellen wollte die Schulter in den Magen. Dass seine Hände noch immer gefesselt waren machte diese Sache nicht zwangsläufig einfacher.

Er schaffte es aber sich irgendwie aus dem Knäuel von Männern zu befreien und sprintete zur Haustüre. Leider waren Türen für jemanden, der seine Hände nur sehr umständlich benutzen. So erreichte ihn einer der Kerle und riss ihn unsanft zu Boden. Er stöhnte auf, als er stürzte und sogleich waren mehrere seiner Gegner über ihm und fesselten ihn.

„Bringt ihn erst einmal in den Keller“, hörte er Fletcher sorglos sagen, als sei er nur ein Karton von Partygirlanden, die verstaut werden sollten. Genauso wurde er auch verschnürt und in den Keller des Anwesens verfrachtet. Sie warfen ihn in einer Abstellkammer, in der es modrig nach fauligen Kartoffeln. Er hatte nicht erwartet, dass Fletcher zuließ, dass jemand so fahrlässig mit seinen Vorräten umging. Immerhin musste er ja am Besten wissen, dass es im Falle einer Zombieinvasion nur zu schnell zu Bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommen konnte und was dann? Von schimmligen Kartoffeln konnte er nicht sehr lange leben.

Lloyd stöhnte und schnaufte schwer. Man hatte ihm den Mund mit Panzertape zugeklebt und damit auch seinen restlichen Leib gefesselt. Er wand sich kurz, bei dem Versuch irgendwie aus den Fesseln zu entkommen, gab aber schnell auf und beschloss sich seine Kräfte zu sparen. Man hatte abgeschlossen und ihn hier, auf dem dreckigen, kalten Boden allein gelassen.

Unweigerlich glitten seine Gedanken erneut zu der Nacht, in der er mich kennengelernt hatte. Und unweigerlich stieg tiefes Bedauern in ihm auf. Gepaart mit Zorn auf mich, war das keine gute Mischung. Aber ich war es nicht gewesen, der ihn in diese Lage gebracht hatte.

Um das zu erkennen, fehlte es ihm aber im Moment an Weitsicht. Er verfluchte die Welt, sich selbst und auch mich. Er war wütend auf alle und niemanden, begann doch wieder sich in seiner Zelle herum zu werfen und schrie gedämpft durch das Band, über seinem Mund. Nach einigen Sekunden des Wahnsinns hielt er jedoch inne und seine Wut ebbte ab, in tiefe Verzweiflung.

Er wollte fern von all diesen kleinen und größeren Katastrophen um ihn herum und in dieser Sekunde auch möglichst fern von allen Vampiren dieser Erde.

Er lag auf dem kalten Boden. Langsam wurden seine, noch immer auf den Rücken gebundenen, Arme endgültig taub und durchzogen dennoch seinen ganzen Oberkörper mit dumpfen Schmerz.

Lloyd schnaufte leise und rollte sich unter größter Anstrengung zu einem Metallregal. Es sah ziemlich wacklig aus und an den Schrauben hatte es bereits Rost angesetzt. Das einzige Licht, das in die kleine Kammer schien, kam von Gang. Wenn jemand das ausschaltete, dann saß er ganz im Dunkeln. Mühsam setzte er sich auf und lehnte sich gegen das Regal. Er versuchte in dem schalen Licht etwas zu finden, womit er das Tape aufschneiden konnte, aber er fand nichts und dann machte jemand im Gang wirklich das Licht aus. Nun saß er im Dunkeln. Hilflos und ziemlich allein.

Eine bedrückende Stille umfing ihn. Lloyd schloss seine Augen. Er hasste die Dunkelheit.

Er hasste diese Stille und er hasste jedes Geräusch, das ihn zusammenfahren ließ. Die Finsternis ließ ihn schwach werden. Und er hasste es schwach zu sein.
 

Er schreckte hoch, als ein Schlüssel sich im Schloss drehte. Seine Müdigkeit hatte gesiegt und ihn nach einer gefühlten Ewigkeit einschlafen lassen. Er sah eine breitschultrige Gestalt in der offenen Türe stehen. Sie kam auf ihn zu und warf ihn sich unsanft über die rechte Schulter.

Lloyd wusste nicht mehr welches seiner Körperteile ihm an Meisten weh tat. Aber es schmerzte alles zusammen unerträglich. Er wurde nicht aus dem Keller gebracht, sondern nur ein paar Türen weiter. Der Kerl, der ihn aus seinem Gefängnis geholt hatte, stellte ihn auf seine zusammengebundenen Füße und holte ein ziemlich unfreundlich aussehendes Teppichmesser aus seiner Gürteltasche. Er schnitt die Fesseln durch und riss anschließend unsanft das Stück Tape ab, das Lloyds Mund versiegelt hatte. Er winselte leise und bewegte schwerfällig seine Arme.

Die Tür, vor der sie standen, wurde geöffnet und Lloyd hinein gestoßen.

Fletcher, Turner und ein, ihm unbekannter Typ, der mehr Ähnlichkeit mit einem Gorilla hatte, als mit einem Menschen.

„Setzen Sie sich“, sagte Fletcher freundlicher als Lloyd es im Moment ertragen konnte. Fletcher saß auf einem Stuhl, hinter einem alten Holztisch, seine Bodyguards standen hinter ihm.

Auf der anderen Seite des Tisches, stand der Stuhl auf den Fletcher, Lloyd eingeladen hatte.

Der Rest des Raumes, war gesäumt von Aktenschränken, mit Schubfächern. Lloyd seufzte leise und setzte sich schwerfällig auf den Stuhl und fuhr sich übers Gesicht, durchs Haar.

„Sparen Sie sich ihre Bemühungen, Emerald“, sagte er leise, während er sich die Arme und Handgelenke massierte.

Turner schnaufte ungehalten, war aber so klug den Mund zu halten, während Fletcher eher amüsiert zu sein schien.

„Mein Junge... Sie wollen doch nicht ihre ganze Karriere wegwerfen, nur wegen so einer Geschichte...“, versuchte er beinahe väterlich auf den Vampirjäger einzureden. Lloyd allerdings zog die die Augenbrauen hoch.

„Karriere!“, blaffte er verächtlich und lachte auf.

So langsam vergingen ihm die guten Manieren, was aber bei der Gastfreundschaft, die hier an den Tag gelegt wurde nicht weiter verwunderlich war.

Fletcher blieb ruhig und lächelte Lloyd weiterhin freundlich an.

„Nun, es ist so: entweder, du kooperierst mit uns oder -“

Lloyd schnitt ihm das Wort ab. „Oder ihr tötet mich. Ich bin lieber ein Verrä-“.

Nun war es Fletcher, der seinen Angestellten unterbrach. Seine Stimme hatte eine Tonlage, wie die eines Vaters, der sein bockiges Kleinkind zur Raison rufen wollte.

„Oder wir drehen dich um... waschen dir dein hübsches Köpfchen und bringen dich so dazu, deine Freunde zu verraten. Warum sollten wir uns denn die Mühe machen, dich zum Sprechen zu bringen, wenn alles so einfach sein kann? Also? Sprichst du und verlässt dieses Haus als Vogelfreier? Oder müssen wir unfreundlich werden?“

Fletcher lehnte sich über den Tisch und sah ihn auf eine ekelhafte Art wohlwollend an. Lloyd verschluckte die Worte, die ihm auf der Zunge gelegen hatten. Seine Kiefer mahlten und sein Blick glitt auf seine Hände.

„Wie viel Vorsprung bekomme ich?“, fragte er schließlich heiser.

Fletcher lächelte zufrieden und lehnte sich wieder zurück. Lloyd glaubte zu wissen was er tat. Er hoffte, mit dem Vorsprung genug Zeit zu bekommen um uns einzuholen und rechtzeitig weg zu schaffen. Er kannte die Möglichkeiten, die Fletcher hatte und er wusste was es bedeutete, wenn er meinte, dass er ihn dazu bringen würde uns zu verraten. Gedankenkontrolle wurde schon seit Jahren bei der Army eingesetzt und stellte sowohl eine kostengünstige Methode den Willen einer Person zu brechen, als auch sie gegen ihren Willen für seine Zwecke zu benutzen.

Seine Chancen standen fünfzig zu fünfzig. Aber er würde es versuchen.

Fletcher, der jetzt seinen Sieg ausgekostet hatte, leckte sich über die Lippen und sah ihn zufrieden an. „Das kommt drauf an, wie nützlich deine Informationen sind.“

Das war typisch, aber Lloyd konnte damit umgehen. Er nickte und brauchte einen Augenblick, bis er mit der Sprache herausrückte. Im Grunde genommen wusste er, dass sie uns früher oder später eh gefunden hätten. Er wollte die Chance nutzen, uns eine Chance zu geben, zu fliehen.

Leider konnte er nicht wissen, wie schwierig sein Unterfangen werden würde.

So sprach er die Worte und unterschrieb damit unser vorläufiges Todesurteil.

„Sie sind in Kanada. Vermutlich nicht weit hinter der Grenze.“

Fletcher gab einen Laut von sich, der einem wohligen Schnurren glich. Turner, hinter ihm wollte gerade sein Funkgerät einschalten, als der frisch gebackene Bürgermeister die Hand hob.

„Er bekommt 5 Stunden Vorsprung, von dem Augenblick an, in dem er dieses Haus verlässt.“
 

Während all diese Dinge geschahen, war ich in unseren Wagen gestiegen und hatte mich in der Dämmerung auf den Weg gemacht um ein paar Sachen einzukaufen. George, Vittorio und Sophie hatten mir, der ich doch ziemlich ratlos war, versprochen, dass sie sich Gedanken um unsere weitere Reise machen würden. Die Straße war reichlich vereist, was mich dazu brachte sehr vorsichtig zu fahren. Ich hörte Mumford and Sons im Radio und summte zufrieden mit, auf der Suche, nach dem nächsten Supermarkt. Die Straße war nur eine dünne Narbe in einem allumfassenden Wald. Einem von der Sorte, die einem die Macht von Mutter Natur bewusst macht und Nachts Gänsehaut verschafft. Aus jenem Wald, führte ein schmaler Forstweg, an dessen Ende ich im Vorbeifahren zwei Lichter ausmachen konnte.

Ich dachte schon fast gar nicht mehr an den Weg, als ich den dumpfen Laut, der großen Tatzen hörte, und in leichten Vibrationen spürte, die das Wesen verursachte, das hinter meinem Auto über die Fahrbahn trampelte.

Ich sah in den Spiegel und wollte abbremsen, als es schon aus meinem Blickfeld verschwunden war und neben mich zog. Ich wurde gerammt. Ehe ich mich versah, verlor ich die Kontrolle über das Fahrzeug und schleuderte fluchend quer über die Fahrbahn.

Im Nachhinein bin ich mir ziemlich sicher, dass es entweder KingKong oder ein Wendigo gewesen sein musste. Leider war meine Schleuderpartie noch nicht das Ende. Das Auto rutschte von der glatten Fahrbahn, einen kleinen Abhang hinunter und krachte mit der Fahrerseite gegen einen Baum. Der Airback ging los und die Tür dellte sich unangenehm ein. Ich prellte mir die Schulter und mein Nacken knackte widerlich und sehr schmerzhaft. Dann war alles für einen Moment still. Sogar das Radio hatte versagt. Mühsam versuchte ich mich zu bewegen oder wenigstens an mein Handy zu kommen.

Ich befand mich noch in der Nähe der Straße. Der Straße, von der ich aus nun erneut Scheinwerfer sehen konnte. Sie wurden langsamer und der fremde Wagen hielt.

Kurz darauf stapfte eine dunkle Gestalt auf mich und das Wrack zu, in dem ich mich befand und dessen Scheinwerfer das Einzige war, das noch funktionierte.

Ich erschrak ziemlich heftig als er einfach meine Tür öffnete, die mit einem grässlichen knarzen widersprach, sich aber dem menschlichen Bären fügte, der sie aus den Angeln gehoben hatte.

In der Dunkelheit konnte ich den Mann nicht genau sehen. Seine Statur ließ aber auf einen Holzfäller schließen, der Grizzlibären in die Luft stemmte um nebenher in Form zu bleiben. Aber seine Atmung und die Grunzgeräusche, aus denen ich bruchstückhafte Fragmente seiner Stimme vernehmen konnte, ließen auf einen Raucher und Trinker schließen.

„Na?“, grollte er schließlich und enttäuschte mich in seiner Schroffheit nicht.

Ich schnaufte erschöpft und ließ ein paar leise Dankesworte hören, während der Mann sich über mich beugte, um mich loszuschneiden.

„Solltest in ein Krankenhaus...“, schnaufte er. Ich wäre sehr angetan gewesen von einem richtigen Arzt wieder zusammengebastelt zu werden, aber es gab einige Dinge, die mich davon abhielten.

„Ach, nich der Rede Wert“, nuschelte ich und versuchte mich aus dem Wagen zu quälen.

Mein Schädel dröhnte und alles um mich herum drehte sich ganz plötzlich.

„Ich glaub nich'!“

Der Trucker schnappte sich meinen eher zarteren und in seiner Gegenwart kaum gegenwärtigen Körper und half mir zu seinem Pick-Up zu kommen. Er lud mich auf den Beifahrersitz und startete den Motor. „Ich bin nicht Krankenversichert“, versuchte ich mich zu erklären. Der Kerl, den ich inzwischen als bärtig erkannt hatte, grunzte amüsiert.

„Is schon gut. Ich nehm dich erstmal mit. Wo kommst du her?“

„New York.“, entgegnete ich leise und versuchte mich nicht zu übergeben.

„Ich weiß nicht, ob sie die Nachrichten verfolgt haben aber-“

„Ist nicht auszuhalten dort, wie? Hast die Beine in die Hand genommen?“, unterbrach er mich.

„Ja...“, Ich überlegte mir hastig, wie ich das Thema von mir ablenken konnte und versuchte mit meinem durchgeschüttelten Hirn, irgendwie einen Haken zu schlagen.

„Ich wohne in einer nicht ganz so guten Gegend. Es gibt dort viele von diesen... naja von den Anderen.“, erklärte ich und versuchte möglichst unnahbar zu wirken.

Wir führen ein kleines Stück und schließlich kamen wir an einer kleinen verschneiten Hütte an, die ihre besten Tage gesehen und längst all ihren Scharm versprüht hatte.

Nur mühsam gelang es mir auszusteigen und erneut bekam ich Hilfe von meinem Retter.

Durch den Unfall und die Schmerzen, war ich ganz durcheinander und merkte nicht, wie ich mein Handy im Schnee verlor.

Im Inneren der kleinen Hütte war es angenehm warm und so verlangte ich zu meinem Bedauern nicht sofort danach bei meinen Freunden anzurufen.

Ärgerliche Sache.

Mein neuer Freund hieß Murrey. Er war in der Tat eine Art Holzfäller und verdiente sich seinen Lebensunterhalt wohl mit allerhand Gelegenheitsarbeiten.

Er machte mir einen heißen Punsch aus der Tüte und ich trank, ohne nachzudenken davon. Ich wollte ihm erzählen was... was wollte ich eigentlich erzählen?

Tja, ab dort setzt meine Erinnerung aus und beginnt erst wieder , als ich mich in einem muffigen Keller wiederfand. Gefesselt an ein Heizungsrohr.



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