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All The Little Things

"Every Little Thing" One-Shots
von  -Moonshine-

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The Lion's Den

Die Atmosphäre war angespannt. Mehr als nur das. Es war unmöglich. Ich hätte schreien können.
Sean schickte mir ständig zerknirschte und entschuldigende Blicke herüber, während Holly, die neben ihm saß und sich an seinem Arm festhielt, mich ebenfalls die ganze Zeit über anstarrte - und zwar so grimmig, dass ich Angst hatte, auch nur zu blinzeln. Wir hatten hier eindeutig einen schweren Fall von Eifersucht zu verzeichnen, aber sie war süß, klein und erst fünf Jahre alt, also war das verzeihlich. Und ich konnte ja sowieso nicht viel dagegen machen.
Zu allem Überfluss war auch Clara's Freund da - den hatte sie zwar schon etwas länger, aber Sean hatte mir erzählt, dass Holly einfach nicht warm mit ihm wurde, was weniger daran lag, dass er unsympathisch war - war er nämlich ganz und gar nicht -, sondern vielmehr, weil die Kleine ein wenig besitzergreifend war, was die Menschen um sie herum anging. Jetzt konnte ich klar und deutlich selber sehen, was er damit gemeint hatte.
Dunkelbraune, feine Haare hatte sie und ebenfalls dunkle, braune Augen, die mich feindlich anfunkelten, und zwar ununterbrochen, während sie sich an Sean's Arm klammerte, als wäre sie an ihm festgewachsen und somit ein Teil von ihm. Wahrscheinlich war es auch das, was sie mir damit klarmachen wollte.
Beide saßen mir gegenüber auf der Couch, einen Platz weiter Marcus, Clara's Freund, dessen Gesichtsausdruck mir irgendwie als Spiegelbild meines eigenen diente. Ja, ich sah momentan wahrscheinlich genauso angespannt und unsicher aus. Wir kamen uns wohl beide unerwünscht vor, was ganz eindeutig an Holly's Abwehrhaltung uns gegenüber lag. Clara, Sean's ältere Schwester, hingegen war eine wunderbare Person. Sie war ruhig, ausgeglichen und sehr unterhaltsam, einfach sehr nett und sympathisch. Sean hatte mir erzählt, dass eher Amanda, die Jüngste, die ich noch nicht kennen gelernt hatte, die Lebendigere aus der Familie sei, die gleich nach ihrem 18. Geburtstag Fallschirmspringen war, ohne auch nur ihren Eltern etwas davon zu erzählen. Fallschirmspringen! Mir wurde ja schon bei dem Gedanken daran ganz anders. Aber ich andererseits war ja auch ein klein wenig Hasenfuß, was das anbetraf.
Laut Sean hatte auch Clara ihre wilde Jahre gehabt, aber seitdem Holly auf der Welt war, und noch vielmehr, seitdem Evan seinen Unfall hatte, hatte sie den Fuß vom Gas genommen. Verständlich...
Mir entfuhr ein unwillkürlicher Seufzer und Sean sah das zum Anlass, mir einen weiteren entschuldigenden Blick zuzuwerfen. Ich lächelte ihm kurz zu, um ihm zu bedeuten, dass es nicht so schlimm war. Immerhin konnte er nichts dafür und mein Gott, Holly war ein Kind! Ich hatte täglich mit solchen zu tun und wusste: auch, wenn sie gemeingefährlich aussahen, waren sie doch immer ganz liebe Kinder, wenn es drauf ankam.
Ihm zuzulächeln war ein großer Fehler, denn schon richteten sich wieder Holly's Argusaugen unerbittlich auf mich und wenn Blicke töten könnten, nun ja... Wäre ich bestimmt nicht die letzte Überlebende gewesen.
Clara kam mit einigen Keksen ins Wohnzimmer und erfasste die Situation sofort.
"Holly, warum gehst du nicht raus zum Spielen? Schau doch mal, ob der Junge von nebenan draußen ist?", schlug sie vor und stellte den Teller mit dem Gebäck auf den kleinen, gläsernen Couchtisch. Ich schaute eine Weile lang auf die Schokokekse, denn Sean, den ich weitaus lieber betrachtet hätte, war momentan tabu. Also musste eben mein zweiter Favorit herhalten.
Holly schüttelte vehement den Kopf. "Nein! Ich bleib lieber hier!"
Clara ging gar nicht auf den Protest ihrer Tochter ein und wand sich erklärend an mich und Sean. "Hier ist vor ein paar Tagen nämlich eine alleinerziehende Mutter mit ihrem Sohn hingezogen. Er ist sechs, glaub ich, und ein unheimliches Plappermaul. Und Holly ist ein bisschen verknallt in ihn."
Sie grinste tückisch und die Kleine schrie empört auf. "Bin ich nicht!"
Sean grinste, genauso wie Clara, und tätschelte den Arm seiner Nichte, enthielt sich aber eines Kommentars. Ich nickte höflich, aber ein wenig verwirrt, und griff vorsichtig nach einem der Kekse. Hoffentlich durfte ich wenigstens die anfassen, denn in Sean's Nähe würde ich mich, solange wir nicht drei Kilometer Sicherheitsabstand zwischen Holly und mich gebracht hätten, nicht mehr trauen. Marcus schnappte sich auch einen und so knabberten wir geistesabwesend und absolut unentspannt an den krümeligen, aber leckeren Cookies.
Irgendwie wollte nicht so recht ein Gespräch aufkommen. Clara seufzte.
"Holly, bi-" In diesem Moment klingelte es an der Tür und da niemand von uns sich in Bewegung setzte - warum auch, es war schließlich nicht mein Zuhause -, stand Clara auf und erbarmte sich desjenigen, der sich da erdreistet hatte, die friedvolle Harmonie, die hier herrschte, zu zerstören. Zum Glück!
Wir lauschten den dumpfen Stimmen aus dem Hausflur und Clara sagte etwas, dann schloss sie die Tür. Fußgetrappel, noch mehr Fußgetrappel und plötzlich stand ein kleiner, blonder Junge im Wohnzimmer, der uns alle herzlich anstrahlte und der mir fürchterlich bekannt vorkam.
"Ben!" Entgeistert starrte ich mein kleinen Engel an. Was machte er denn hier?
Ach ja! Ben war mit seiner Mutter auch gerade umgezogen, aber ich hätte nie und nimmer die Verbindung hergestellt, dass er derjenige war, von dem Clara da eben erzählt hatte. Was für ein Zufall! Und ein schöner noch dazu. Ich kam mir plötzlich gar nicht mehr so allein vor.
"Emily!" Auch er sah überrascht aus, doch das hielt nicht lange an, und schon war er bei mir und kletterte auf meinen Schoß, ohne dabei auch nur einen Gedanken an den Grund seines Besuchs - nämlich Holly - zu verschwenden, oder ihr zumindest Hallo zu sagen.
"Cool, dass du hier bist. Weißt du, ich war gestern nicht im Kindergarten, weil meine Mama und ich in die Schule gegangen sind!" Er sah mich bedeutungsvoll an. Ich verkniff mir ein Lächeln. Clara hatte wirklich recht, er war ein Plappermaul, aber das mochte ich ja gerade so an ihm. Mit Ben wurde es nie langweilig. Ich war so froh, jemanden hier an meiner Seite zu haben - auch, wenn es nur ein sechsjähriges Kind war -, dass ich darüber hinaus sogar übersah, wie Holly sich erschrocken aufrichtete und uns beide entsetzt musterte, als Ben auf mich zugehoppst kam und sich meiner sogleich angenommen hatte.
"Nein, wirklich?", fragte ich in gespieltem Erstaunen und gab ihm somit die Anerkennung, auf die er gewartet hatte. "Was hast du denn da gemacht?"
Ich wusste es natürlich - alle diejenigen, die kommenden Herbst eingeschult wurden, waren gestern zu einem Test in die örtliche Grundschule eingeladen gewesen, um zu klären, auf welchem Wissensstand das Kind und ob es schon bereit für die Schule war oder nicht. Falls nicht, würde es in die Vorschule kommen.
"Ich musste Bilder malen und so komische Fragen beantworten." Er rümpfte die Nase. "Voll die Baaaabyfragen. Wo links und rechts ist und so."
"Na, das weißt du doch schon", ermunterte ich ihn und er nickte eifrig.
Clara betrat wieder das Zimmer und sah sich etwas erstaunt um. "Ihr kennt euch wohl?"
Ich nickte und erklärte: "Ben ist in meiner Kindergartengruppe."
"Und er wird später mal Arzt", fügte Sean hinzu und zwinkerte dem Jungen komplizenhaft zu. "Stimmt doch, Kumpel?"
Ben strahlte angesichts der Tatsache, der Kumpel von einem waschechten Polizisten zu sein. "Klar! Oder Feuerwehrmann."
Sean lachte. "Natürlich. Oder so."
Holly hingegen sah aus, als ob sie gleich aus der Haut fahren würde. Es musste irritierend und schrecklich sein, das Gefühl zu haben, die ganze Welt hätte sich gegen einen verschworen. Ich bekam ein wenig Mitleid, weil ich dieses Gefühl so gut kannte und versuchte, Ben einen dezenten Hinweis zu geben.
"Du bist doch hier, um Holly zu besuchen, oder?"
Leider verstanden Kinder dezente Hinweise nicht so gut. Ben nickte nur kurz und fuhr fort, mir von dem Einschulungstest zu erzählen.
"Sie sagten, ich komme in die erste Klasse, am ersten September. Mama sagt, das ist noch lange bis dahin, aber Henry sagt, die Schule ist doof." Erwartungsvoll blickte er mich an.
Ich hatte keine Ahnung, wer Henry war, aber anscheinend mochte er die Schule nicht.
"Die Schule ist doch nicht doof. Man lernt viele neue Freunde kennen und außerdem lesen und schreiben. Das ist doch toll, oder?" Ich versuchte es mit ein wenig Enthusiasmus, aber ich hatte die Schule gehasst und war nun froh, sie endgültig hinter mir zu haben, also war es möglich, dass ich mich nicht so optimistisch anhörte, wie ich eigentlich sollte.
Ben schien auch nicht überzeugt. "Ich glaube, das ist viel Arbeit", sagte er dann mit absolut ernstem Gesicht, wie nur Kinder es konnten. "Sagt Mama jedenfalls."
"Mama?" Holly drehte sich zu ihrer Mutter um und ließ das erste Mal Sean oder mich aus den Augen, schaute Clara nun bittend an. "Darf ich auch in die Schule gehen?"
"Erst nächstes Jahr, Schatz."
Sie schmollte. "Ich will aber auch. Warum darf ich nicht?"
Clara warf mir einen bedeutungsvollen Blick zu und wandte sich dann wieder an ihre Tochter. "So ist es festgelegt. Wenn man sechs Jahre alt ist kommt man in die Schule, und du bist erst fünf."
Ben beobachtete die Auseinandersetzung eine Weile abwesend und richtete sein Wort dann wieder an mich, ohne auf das eben Gesehene und Gehörte einzugehen. "Wozu ist Schule überhaupt gut?"
Gute Frage. Ich wurde in der Schule nur gehänselt, weil ich so tollpatschig war und mir ständig irgendwelche dämlichen Sachen passierten. Also ich würde sagen, die Schule war dazu da, um Kinder unglücklich zu machen. Aber das konnte ich dem Armen ja nicht erzählen.
Ich warf Sean einen hilfesuchenden, flehenden Blick zu. Ihm hatte ich schon von meiner Schulzeit erzählt und er hatte mir gestanden, dass seine auch nicht sonderlich toll gewesen ist, bis er etwa 15 Jahre alt geworden war. Warum es sich dann geändert hatte, hatte er mir allerdings verschwiegen, aber ich wusste es auch so, durch Mrs. Delaney's Erzählungen: er wurde dann bei den Mädchen so beliebt. Wenigsten hatte er den Anstand und schwieg darüber, anstatt sich damit zu brüsten oder mich zu ärgern. Als ob mich das nicht ohnehin schon ärgerte!
"Wer sich in der Schule Mühe gibt, der kann später mal alles werden, was er will", antwortete Sean anstatt meiner und ich fragte mich, warum MIR das nicht eingefallen war? Die beste Antwort überhaupt.
Ben jedenfalls dachte eine Weile angestrengt nach, nickte dann langsam und schien zufrieden. "Dann kann ich Arzt UND Feuerwehrmann werden!", schlussfolgerte er begeistert aus Sean's Antwort und ich musste mich wirklich zurückhalten, um nicht laut loszulachen. Auch Sean grinste vergnügt, Marcus und Clara lächelten ebenfalls, nur Holly's Gesicht blieb der wahrscheinlich finsterste Fleck auf Mutter Erde. Sie musste mich wirklich hassen. Erst nahm ich ihr Sean weg und nun auch noch Ben! So dachte sie wahrscheinlich. Ich wollte ihr jedenfalls keinen wegnehmen und am liebsten hätte ich Ben zu ihr hingeschubst und ihm eingetrichtert, er solle sich um seine neue Freundin kümmern, anstatt mit mir Lebensweisheiten auszutauschen.
"Ich muss mal Pippi", ließ er verlauten, rutschte von meinem Schoß und flitzte auch schon davon.
Holly schien eine neue Frage auf der Seele zu brennen. "Mama, ich will auch in den Kindergarten, wo Ben hingeht", verlangte sie und warf mir dabei einen grimmigen Blick zu.
Clara seufzte. "Ihr könnt euch doch jeden Nachmittag sehen. Ich kann dich doch nicht einfach aus dem Kindergarten nehmen, nur weil du gerade mal Lust dazu hast. Außerdem ist in Ben’s Kindergarten bestimmt kein Platz mehr frei. Nicht wahr, Emily?"
Erwartungsvoll blickte sie mich an und zum ersten Mal sah ich auch in Holly's Gesicht etwas anderes aufblitzen als Feindseligkeit.
Ich saß nun natürlich in der Falle. Erstens wollte ich keine leeren Versprechungen machen und damit die Autorität der Mutter in Frage stellen, die ja ganz eindeutig dagegen war, aber zweitens wollte ich auch nicht die Kleine noch mehr gegen mich aufbringen.
Sean schüttelte kaum merklich den Kopf, um mir zu bedeuten, dass ich verneinen sollte.
"Äh... ich glaube nicht... Es ist sehr schwierig, so einen Kindergartenplatz zu bekommen, weißt du...", plapperte ich nervös drauflos und meine Augen huschten unruhig hin und her, nicht wissend, auf was sie sich fixieren sollten. Doch dann fand ich schließlich etwas - einen Fels in der Brandung, der mir nickend zulächelte -, und ich entspannte mich wieder ein wenig.
Holly schien meine Antwort gar nicht persönlich zu nehmen, aber unzufrieden war sie trotzdem. Doch bevor sie etwas sagen konnte, kam Ben schon wieder und wischte sich gerade ganz selbstverständlich seine nassen Hände an der Hose ab, wo er zwei feuchte Flecken rechts und links unterhalb der Hosentaschen hinterließ.
Ich musste schmunzeln und er kam wieder auf mich zu, wahrscheinlich, um mir weiter von seinem aufregenden Tag in der Schule zu erzählen, als sich Holly überraschenderweise von Sean löste und vom Sofa aufsprang. Sie stellte sich vor mich, noch bevor Ben mich erreicht hatte, und blitzte mich mit ihren großen, braunen Augen an. Ich bekam ein wenig Angst, wie sie mich so durchdringend und ernst anstarrte.
Dann sagte sie zwei Wörter:
"Ich tausche."
Verwirrt blinzelte ich und konnte mir noch nicht so recht einen Reim darauf machen, doch schon packte sie Ben bei der Hand und zog ihn mit sich aus dem Wohnzimmer, wobei sie ihm ziemlich direkt verkündete, sie würden jetzt spielen gehen.
Der Groschen fiel langsam und ich wandte mich stirnrunzelnd zu Sean um. Er sah auch ein wenig verblüfft, aber amüsiert aus.
Clara lachte. "Na endlich. Das war ja unmöglich. Tut mir wirklich leid, Emily, mit der Zeit wird's besser... hoffe ich...", fügte sie noch hinzu.
"Ich auch", seufzte ich und grinste dann Sean an. "Du wurdest gerade ausgetauscht", neckte ich ihn.
"Unfassbar", stimmte er zu und zwinkerte. Ein Zwinkern, das nur für mich bestimmt war. "Das hab ich ja noch nie erlebt." Das glaubte ich ihm auf's Wort.
"Muss ja ein harter Schlag für dich sein", erwiderte ich trocken, konnte aber mein Vergnügen nicht verstecken.
Clara fiel in unsere Neckerei mit ein. "Gewöhn dich schon mal dran, dass du mit dem Alter austauschbar wirst. Einmal ist immer das erste Mal, Mister."
Er lachte. "Ich hab ja die Hoffnung, dass es bei diesem einen Mal bleibt."
"Denkst du", frotzelte seine Schwester ihn liebevoll und warf mir einen schelmischen Blick zu. "Emily wird sich auch noch einen Besseren suchen, wirst schon sehen. Kann ja nicht so schwierig sein."
Sean's und mein Blick begegneten sich und wir mussten beide einvernehmlich lächeln, ganz ohne Worte.


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