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Zweiter Teil: Gift in Körper und Seele

Fortsetzung von "Du kennst mich nicht und doch hasst du mich"
von

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Getrennte Wege

Zu Beginn eine kleine Bemerkung:

Da ist sie~ die Fortsetzung von 'Du kennst mich nicht und doch hasst du mich'. Darauf, diesen Teil zu schreiben, habe ich mich schon eine ganze Weile gefreut und da es jetzt eigentlich gar nicht mehr viel dazu zu sagen gibt, fange ich einfach an und wünsche euch viel Spaß bei 'Gift in Körper und Seele'!

Eure~ Mononoke
 

~
 

Langsam trödelte Joey an den Läden vorbei. Den Schaufenstern schenkte er keinerlei Beachtung. Sein Blick war auf den Boden gerichtet, die Hände hatte er in den Hosentaschen verstaut.

Kennt ihr das?

Die Schule quält euch, mit den Nerven seid ihr am Ende und dann kommen die erlösenden Ferien... und du versinkst vor Langeweile im Boden! Nicht, dass Ferien schlimmer als Schule waren, doch sie wirkten weniger angenehm, wenn man nicht wusste, wie man die Zeit totschlagen sollte.

Joey fuhr nicht in den Urlaub, ganz anders Yugi, Tea und Tristan. Also konnte er nichts mit ihnen unternehmen. Duke litt unter immensen Stress und Bakura, der lernte sogar in den Ferien. Joey hingegen langweilte sich die Beine in den Bauch. In den letzten Tagen hatte er den Fernseher in Daueranspruch genommen, Playstation gezockt und gegessen, bis die Übelkeit kam. Und jetzt hatte er sich einfach vorgenommen, etwas herumzulaufen. Es war schon gegen Abend und so hatte er seine Ruhe, obwohl er von dieser "Ruhe" allmählich genug hatte. Eine kurze Zeit über hatte er Kaiba in der Firma geholfen. Seit den letzten zwei Tagen war dieser jedoch mit Pikotto in Deutschland auf einer Geschäftsreise. Daran war nichts Schlimmes zu finden, nur die Tatsache, dass er erst übermorgen wiederkam, war etwas blöd.

Deutschland! Und Joey saß alleine hier herum und plagte sich, litt Höllenqualen. Er hätte ihn ja zumindest mitnehmen können! Dass er es nicht getan hatte, mochte vielleicht daran liegen, dass er ihn nicht darum gebeten hatte. Und Kaiba hatte nun wirklich zuviel zu tun, als dass man von ihm verlangen konnte, selbst darauf zu kommen.

Mit einem langen Gesicht bog er um eine Ecke und trat eine leere Büchse zur Seite.

"Heb sie doch zumindest auf!", fauchte eine Oma, die gebückt an ihm vorbeischlürfte. "Diese Jugend heutzutage!"

Joey sah der Büchse nach, wie sie über die Bordsteinkante und anschließend über die Straße rollte. Ein lustloses Grinsen zog an seinem Mundwinkel. Und über diese knorrige Verzogenheit den Kopf schüttelnd, führte er seinen Weg fort und erspähte nach nur kurzer Zeit eine gemütliche Kneipe auf der anderen Straßenseite. Sofort kam ihm der Gedanke, ein Bierchen zu trinken. Das Problem war nur, dass er noch minderjährig war. Auf ein "Bierchen" konnte er also lange warten. Aber sicher gab ihm ein netter Barkeeper trotz der grausamen Minderjährigkeit eine Cola. Also sah er sich nach bissigen Omis um und schlenderte dann bei Rot über die Ampel.

Die Kneipe war nicht allzu groß. Auf dem ersten Blick wirkte sie gemütlich, auch die schweren Rauchfahnen, die in der Luft hingen, störten Joey nicht. Während die Tür langsam hinter ihm zufiel, blieb er stehen und sah sich um.

Es waren nur wenige Menschen dort. Drei Männer saßen in den hintersten Ecken und tranken ihr Bier, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Denen, die an der Theke saßen, schenkte Joey keine Beachtung. Er atmete tief ein, griff erneut in seine Hosentaschen und zog sein Portmonee wie ein Handy heraus. Das hatte er von Kaiba geschenkt, beinahe schon aufgedrängt bekommen. Dieser war nicht damit einverstanden, dass er so gut wie nie erreichbar war. Immerhin kam es auch manchmal vor, dass er ihn anrief. Meistens war es der Fall, dass Joey nach dem Telefon griff, nur um ihn zu fragen, was er gerade so machte. Und immer kam die gleiche Antwort: "Ich arbeite!"

Aber wenn Kaiba anrief, um sich nach etwas wirklich Wichtigem zu erkundigen, dann erreichte er ihn so gut wie nie zu Hause.

Und deshalb? Tja, genau deshalb drückte er ihm vor wenigen Tagen ein Handy in die Hand und meinte: "Nur so."

Nur so? Dieses Handy war so modern und kompliziert, dass er sich überhaupt nicht damit auskannte. Zumindest wusste er, wie man einen Anruf entgegennahm und das war doch das Wichtigste.

Wieder kam ihm die Cola ins Gedächtnis.

"Trink mich! Trink mich!", rief sie und Joey dachte: >Klar!<

Also ließ er sich auf einem der hohen Barhocker an der Theke nieder, legte sein Gepäck ab und bestellte sich seine Cola. Der Barkeeper brummte etwas Verworrenes und er dankte dem grimmigen Mann mit einem pfiffigen Lächeln, griff nach dem kühlen Glas und setzte es an die Lippen. Er würde lange hier bleiben, eine Cola nach der anderen trinken und dann schauen, ob er den Barkeeper doch noch zu... einem kleinen Drink... überreden könnte?

Gemütlich blieb er sitzen, ließ die Beine baumeln und begann kurz darauf, mit dem Finger in seinem Getränk zu rühren. Auf sonderliche Manieren brauchte er hier nicht zu achten, denn die waren unter den restlichen Gästen ebenso wenig zu finden. Jetzt hatte er wenigstens etwas zu tun. Er konnte hier sitzen, in der Cola rühren und gelangweilt in den Spiegel starren, der ihm direkt gegenüber lag. Und wenn er nicht starrte und rührte, dann beobachtete er den Barkeeper, der seinen Laden wohl selbst in die Pleite trieb, da er derjenige war, der am meisten trank. Vielleicht war er nach zwei Stunden so betrunken, dass er nicht zu bezahlen brauchte? Hoffenswert, wie Joey meinte und die Gläser zu zählen begann, deren Inhalt flott im rauen Mund des Mannes verschwanden.

Er lauschte außerdem den Gesprächen der beiden Männer, die neben ihm saßen, diskutierten, und außerdem äußerst unangenehm rochen. Aber er musste zugeben, das Unbekannte, die im Altersheim lebten, außerhalb seines Interessenbereiches lagen.

Er versuchte, es von der positiven Seite zu sehen. Er langweilte sich jetzt hier in der Kneipe, und nicht zu Hause, wo er die letzten Tage verbracht hatte.

So vergingen fünfzehn Minuten. Und nach dieser Zeit begann Joey die Wangen aufzublähen und lustlos auf sein Spiegelbild zu starren, das ebenso dumm dreinblickte. Was jetzt? Nur so aus Langeweile drehte er das Gesicht zur Seite. Er wollte sich noch etwas in der Kneipe umsehen, erhoffte sich, etwas Interessantes zu finden, das ihn vor der Langeweile rettete. Doch stattdessen starrte er kurze Zeit später in zwei funkelnde grüne Augen, die direkt und unausweichlich auf ihn gerichtet waren. Er erwiderte den Blick überrascht und ließ das Glas sinken, das leer und doch wieder zum Mund gehoben worden war. Da saß ein Mann, zwischen zwanzig und dreißig, zwei Stühle von ihm entfernt. Und der hatte sich ihm zugewandt und schien ihn äußerst interessant zu finden. Eine zeitlang machte Joey das Beobachtungsspiel mit, dann hob er die Augenbrauen und sah sich kurz um.

War es wirklich er, der so besehenswert war?

Die beiden Typen hinter ihm konnten es wohl kaum sein. Nachdem er sich umgesehen hatte, warf er dem fleißigen Beobachter einen weiteren knappen Blick zu und drehte sich wieder zum Spiegel um. Er hatte keine Lust, den Mann weiterhin auf sich aufmerksam zu machen.

Er räusperte sich unauffällig leise und begann an seinem Glas zu reiben. Wäre es doch noch voll, dann könnte er so tun, als hätte er Durst und würde deshalb nicht gern gestört werden.

Aber, er hatte es geahnt, wenige Minuten später, stand der Mann auf, kam näher und ließ sich direkt auf dem Hocker neben ihm nieder. Joey gab dem Barkeeper ein Zeichen, worauf dieser ein neues Glas füllte. Als sich der Mann auf die Theke stützte, erfasste Joey eine kühle Brise.

>Was soll denn das?< Er rollte mit den Augen und bekam von dem murrenden Mann eine neue Cola vorgestellt. >Kenne ich den? Nö.<

Der Mann räusperte sich ebenso, beinahe klang es so, als würde er Joey nachahmen. Dieser lugte kurz zu ihm und griff nach dem Glas.

>Sprich mich ja nicht an!<, dachte er verbissen.

"Das geht auf mich", meldete sich da der Mann prompt zu Wort.

Joey atmete er tief ein, drehte das Gesicht zur Seite und grinste.

"Danke, ich zahle selbst."

Auch der Mann grinste, seine smaragdgrünen Augen schweiften über sein Gesicht. Ja, er schien um die fünfundzwanzig Jahren alt zu sein, war von schlanker Statur und wirkte sonst gepflegt und ansehnlich. Dennoch hatte Joey keine Lust, lange Gespräche mit ihm zu führen, obwohl es eine Abwechslung in seinem zurzeit sehr trostlosen Leben wäre. Da nahm er einen vertrauten Geruch wahr und lugte erneut zu dem Mann, traf auf seinen musternden Blick. Dieses Aftershave... es war merkwürdig, doch er brauchte nicht lange zu überlegen, um sich zu erinnern. Ja, Kaiba benutzte dasselbe. Vermutlich legte auch dieser Mann großen Wert auf sein Aussehen und ließ nur das Teuerste an sich heran. Davon zeugte auch seine Kleidung. Markenkleider, wie Joey feststellte, ohne nach irgendwelchen Schildchen oder Aufschriften suchen zu müssen. Seit er bei Kaiba war, wusste er genau, wie Markenkleider aussahen.

>Respekt<, dachte er sich, ohne sich ein Grinsen verkneifen zu können. >Wenigstens hast du einen verdammt guten Geschmack, was das Aftershave angeht.<

"Warum grinst du?" Der Mann schloss sich seinem Grinsen an, doch Joey war schon längst mit den Gedanken bei Kaiba. Er atmete tief durch und legte den Kopf schief. Sein aufgezwungener Gesprächspartner schwieg für geraume Zeit, ließ jedoch nicht von ihm ab.

"Mein Name lautet Chester McConey", meldete er sich dann wieder zu Wort und erweckte Joeys Aufmerksamkeit. Der junge Mann wandte sich ihm zu, schien sich endlich auf ein Gespräch einlassen zu wollen.

"Schön für Sie."

Chester lachte nur und griff in die Tasche seines langen Mantels.

"Darf ich auch deinen Namen erfahren, um uns einen Gleichstand zu verschaffen?"

"Na gut." Joey meinte, dass er sein größtes Geheimnis ruhig preisgeben konnte. "Bin Joey."

"Joey also." Chester schnippte eine Zigarettenschachtel auf die Theke und reichte ihm die Hand. "Freut mich, dich kennen zu lernen."

"Glaube ich Ihnen", erwiderte Joey mit mangelnder Begeisterung und griff zu.

>Bin ja auch ne richtig tolle Persönlichkeit.<

"Nenn mich Chester."

"Okay." Joey wandte sich wieder seiner Cola zu und hoffte, dass das Gespräch somit beendet war. Er kannte den Namen des Fremden und dieser kannte den seinen. Toll, somit dürfte alles geregelt sein. Doch dem war nicht so. Nach einer viel zu kurzen Zeit rutschte er näher heran, schnippte den Deckel der Zigarettenschachtel zurück und reichte sie ihm. Joey rümpfte die Nase, nickte und zog sich eine Zigarette.

"Wie alt bist du?", fragte Chester daraufhin.

"Zu jung, um zu rauchen", antwortete Joey und ließ sich Feuer geben. "Aber das dürfte Ihnen egal sein."

"Ich denke", Chester klemmte sich ebenfalls eine Zigarette zwischen die Lippen, "ich denke... nun... ich würde dich auf zwanzig schätzen."

"Zwanzig." Joey nahm einen leichten Zug und begann zu lachen. "Ich muss zugeben... das entspricht leider nicht ganz der Wahrheit."

"Ach nein?" Überrascht hob Chester die Augenbrauen. "Verrätst du es mir?"

Die Art, wie er dies sagte, verursachte eine leichte Verunsicherung in Joey, so dass er mit der Antwort zögerte. Auch wie er ihn ansah, hatte etwas Merkwürdiges an sich.

"Ich bin...", Joey erwiderte seinen Blick nachdenklich, "... siebzehn."

"Siebzehn, ja?" Chester neigte sich nach vorn, Joey lehnte sich zurück, die Zigarette hebend. Es schien dem Mann zu gefallen, dass er sich geirrt hatte. Und es sah so aus, als gefiele ihm die Zahl Siebzehn auch besser, als die Zwanzig.

"Und Sie sind... fünfundzwanzig", murmelte Joey schnell, damit Chester abgelenkt wurde.

"Richtig", antwortete dieser und neigte sich noch weiter nach vorn. "Du besitzt eine sehr gute Beobachtungsgabe... Joey."

>Langsam reicht es mir aber!< Joey zog ein langes Gesicht.

"Ist das ne Anmache?"

Als sich ein Grinsen auf Chesters Lippen abzeichnete, erschrak er.

"Wenn du... willst?"

"Na ja." Joey erwiderte das Grinsen ebenso verführerisch, richtete sich auf und drängte ihn somit zurück. "Nein, das will ich überhaupt nicht."

Somit murmelte er etwas Verworrenes und nahm einen Zug. Er wandte sich auch von Chester ab und betete, dass dieser endlich von ihm ablassen würde! Allmählich wurde es ihm wirklich zu bunt und er hatte keine Lust, sich auf irgendetwas einzulassen. Warum auch?

Chester vermittelte den Eindruck, nicht oft Absagen zu erhalten, beinahe konnte man ihn schon überrascht nennen. Er rollte mit den Augen, blähte die Wangen auf und hob die Zigarette zum Mund, so, als hätte er jetzt einen Schub Nikotin dringend nötig. Er starrte auch eine ganze Zeit vor sich hin und dachte nach und dabei verfinsterte sich sein Gesicht. Eine wilde Entschlossenheit entflammte in seinen Augen und doch grinste er bald wieder, drückte die Zigarette aus und lehnte sich zur Seite. Er übersprang die nächsten Stufen der Annäherung einfach und legte seinen Arm um Joeys Hals.

"Komm schon... ich könnte dir auch was zustecken."

Ein Beben zog durch Joeys Körper, seine Augen weiteten sich und seine Finger gaben die Zigarette frei, ließen sie auf den Boden fallen. Der Druck der Umarmung verstärkte sich und mit einem Mal erwachte ein Gefühl des Ekels in Joey.

"Wa..." Er schnappte nach Luft, richtete sich langsam auf. "Was?!"

Mit einer schnellen Bewegung zog er den Arm des Mannes von seiner Schulter und sprang von dem Hocker. Er trat einen Schritt zurück und starrte den Mann mit einer Mischung aus Ekel und Entsetzen an. Chester jedoch, grinste noch immer und machte Joey somit rasend vor Wut.

"Was...", er suchte nach Worten, "… was fällt Ihnen ein!!", schrie er und die Augen der Anwesenden richteten sich auf ihn. "Sehe ich vielleicht wie einer aus, der den ganzen Tag an der Straße steht und wartet?? Bilden Sie sich nur nicht zuviel auf sich ein und lassen Sie mich in Frieden!!"

Mit diesen Worten grabschte er nach seinem Portmonee und seinem Handy, knallte dem Barkeeper einen Schein auf den Tresen und stampfte auf den Ausgang zu. Und als er nach der Klinke griff, hörte er Chester doch wirklich lachen! Am liebsten hätte er ihm irgendetwas gegen den Kopf geschmissen, doch er riss sich zusammen, trat auf die Straße hinaus und schleuderte die Tür so sehr hinter sich zu, dass es schepperte.

>Bleib ruhig!<, dachte er sich verbissen, als er über die Straße stampfte. >Solche Leute gibt es nun einmal!<
 

Noch nie zuvor hatte Joey so etwas erlebt. Und er war bisher auch nicht darauf angewiesen gewesen. Obgleich es ein einmaliges Erlebnis gewesen war, war er doch sehr erzürnt und grübelte über diesen Chester. Er zog alle Möglichkeiten in Erwägung, was jedoch fest stand, war: Wenn er mit diesem Chester mitgegangen wäre, wäre er schnell mit ihm im Bett gelandet. Bei diesem Gedanken wurde Joey übel! Was würde Kaiba dazu sagen...?

Stopp! Joey wollte nicht weiter darüber nachdenken. Das würde nie passieren, denn Chester würde er nicht wieder sehen.

Er ging sehr früh schlafen, kam ebenso schnell in den Schlaf und genoss einen wundervollen Traum. Wer spielte wohl die Hauptrolle in diesem Traum? Aber natürlich, Chester. Und deshalb konnte man es wohl auch Alptraum nennen, was Joey in dieser Nacht durchmachte. Er träumte doch wirklich, dass er mit diesem Mann mitging, alles mit sich machen ließ, auf was dieser Chester Lust hatte. Es war grauenhaft und Joey erwachte schweißüberströmt. Verzweifelt hatte er sich umgesehen, nachdem er sich beruhigt hatte.

Warum war Kaiba nicht da?

Wäre er hier bei Joey, dann würde sich dieser keinerlei Gedanken mehr über Chester machen. Dann wäre er da und Zweifel wären unangebracht. Bald sah Joey dem nächsten langweiligen Tag entgegen. Nachdem er diesen Traum psychisch und körperlich halbwegs hinter sich gelassen hatte, aß er eine Kleinigkeit und legte sich dann wieder hin. Was sollte er denn sonst machen?

Er schlief bis in die späten Mittagsstunden, dann aß er noch eine Kleinigkeit und ging wieder hinaus, um nicht wieder in seinem Bett zu landen, wozu er durchaus fähig war.

Er nahm sich vor, wieder herumzulungern, sich Domino anzuschauen, so als ob er das nicht jeden Tag täte. Er sehnte sich nach Kaiba, sehnte ihn sich herbei. Und als er dann im Park im Gras hockte und vereinzelte Grasbüschel herausrupfte, da fiel ihm doch wirklich seine Abhängigkeit auf. Ja, er war von Kaiba abhängig. Er war der Sauerstoff - Joey brauchte ihn zum leben. Nach weiteren Minuten des Grübelns verglich er ihn sogar mit einer Droge. Wie gern wäre er jetzt mit ihm in Deutschland. Es wäre ihm gleichgültig, ob Kaiba keine Zeit für ihn hätte. Es würde ihm genügen, ihn zu sehen, seine Anwesenheit zu spüren. Aber jetzt? Yugi war weg, Tea war weg und Tristan auch. Und sein Vater hatte sich ihnen angeschlossen. Seit zwei Tagen war auch er weg. Alle waren weg! Und Joey wusste nicht, was er machen sollte.

Obgleich die Sonne schien und die Vögel heiter miteinander zwitscherten, zog er ein langes Gesicht und schien einen plötzlichen Hass gegen das Gras zu entwickeln. Er rupfte es aus, sprach ihm die Schuld dafür zu, das Kaiba nicht hier war. Und nachdem er Ärger von einem älteren Ehepaar bekommen hatte, die ihn dreist als Flegel beschimpften, begann er wieder zu grübeln. Er widmete seinen Gedanken Katagori, und dies wohl eher gezwungen, denn die Sache kam ihm ins Gedächtnis zurück und wollte nicht den Heimweg antreten. Zurück ins Nirgendwo, an das niemand dachte.

Katagori war geflohen, raus aus Domino, raus aus Japan. Das glaubte man zumindest. Und wenn man bedachte, dass eine lebenslängliche Freiheitsstrafe auf ihn wartete, ihn mit offenen Armen empfangen und auslachen wollte, dann war es verständlich. Auf jeden Fall hingen hübsche Portraits von ihm in jeder Polizeibehörde. Er wurde gesucht, hielt sich jedoch versteckt. Joey vertrat die Meinung, dass er es endlich aufgegeben hatte, seine Rache ruhen ließ und sich erst einmal auf seine Freiheit konzentrierte, die in großer Gefahr schwebte. Deshalb war Joey erleichtert. Natürlich hoffte er, dass dieser Mann in den Genuss kam, ein Gefängnis von innen zu bewundern, doch vorerst war es ihm wichtiger, dass Kaiba in Sicherheit war. Auch Mokuba und Pikotto mussten sich keinerlei Sorgen machen.

Verrückte gab es überall auf dieser Welt. Sie liefen hier herum und ergaben sich freiwillig der Extravaganz, die sich fest in ihren Köpfen eingenistet hatte und sich dort sehr wohl fühlte. Manchmal, wenn man diesen Menschen begegnete, könnte man auch meinen, es müsste ein Nest von ihnen geben. Ein Nest und eine Königin, die sie aus reiner Boshaftigkeit aussandte, um die Menschen in ihrem Umfeld in Mitleidenschaft zu ziehen.

Überall auf der Welt tummelten sich Fragen. Doch auf viele dieser Fragen gab es keine Antwort. Es gab sie nie, gibt sie nicht und es wird sie auch nie geben.

Als sich das Handy meldete, wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Er richtete sich auf, lehnte sich zurück und tastete in seiner Hosentasche. Es gab viele, die versuchten, ihn über das Handy zu erreichen. Und trotzdem spürte Joey genau, wenn eine gewisse Persönlichkeit nach ihm verlangte. Eine gewisse Persönlichkeit, der er mit größter Freiwilligkeit ein Ohr lieh. Eine gewisse Persönlichkeit... die gerade nicht hier in Domino war. Schnell nahm er ab und meldete sich.

"Japp!", sagte er heiter und grinste, doch niemand meldete sich. Joey grinste weiterhin, grinste den Himmel an und wartete. Nach einer Zeit jedoch, verlor das Grinsen an Kraft. "Hallo?"

Stille.

"Hey! Wenn das ein Scherz sein soll, dann lache ich nicht darüber!"

Und da ertönten leise Geräusche, ein Rumpeln, dann ein langsamer Atemzug.

"Niemand hat verlangt, dass du lachst."

Diese genervte, angestrengte und ernste Stimme. Dieser erschöpfte und doch harte Ton, der in ihr lag. Wer außer Kaiba könnte das sein? Sofort erhellte sich Joeys Miene. Er sog die frische Luft in sich ein, ließ sich zurückfallen und blieb im Gras liegen.

"Du kannst von Glück reden, dass du mich erreicht hast. Ich habe gerade so viel um die Ohren... das glaubst du nicht. Es gibt gerade sehr viele, die was von mir wollen und ich leide unter Zeitdruck." Joey grinste traurig. "Was ist? Willst du mir sagen, dass du länger in Deutschland bleiben willst, als geplant?"

"Nein, nein." Der Einzige, der unter Zeitdruck litt, war Kaiba. Joey hörte, wie er in irgendetwas wühlte, dann klickte ein Feuerzeug. "Ich habe gleich eine Besprechung und wollte dich noch einmal kurz anrufen."

"Das ist ja schön." Joey streckte sich gemütlich aus und gähnte.

"Und länger als nötig werde ich sowieso nicht hier bleiben. Ich werde das Nötigste erledigen und dann wieder nach Domino kommen. Vielleicht auch einen Tag früher, das weiß ich noch nicht."

"Aha." Joey starrte den wolkenlosen Himmel an, genoss die Sonnenstrahlen, die sein Gesicht kitzelten. "Und wie geht es dir so?"

"Seit ich hier bin", Kaiba machte eine kurze Pause, wieder ertönte leises Gerumpel, "habe ich nicht geschlafen. Glücklicherweise habe ich Pikotto, der den überflüssigen Schreibkram erledigt. Ich bin etwas müde, und selbst?"

"Du bist also etwas müde, ja?" Joey schnitt eine Grimasse. "Seit drei Tagen hast du keinen Schlaf gefunden und bist "etwas" müde? Ich habe den halben Tag verschlafen und bin jetzt kurz davor, dasselbe mit dem Rest des Tages zu machen!"

"Überarbeite dich nur nicht." Kaiba brummte. "Ich muss Schluss machen. Sobald ich wieder in Domino bin, schaue ich vorbei."

Von diesem schnellen Abschied enttäuscht, seufzte Joey. Doch dann nickte er und zwang sich ein Lächeln auf.

"Ist gut, ich freue mich auf dich."

"Ja... ähm... bis bald." Dann wurde aufgelegt.

Überrascht lauschte Joey dem Tuten. Hatte er wirklich aufgelegt? Ja, es sah ganz danach aus. Nicht einmal ein nettes Wort? Joey ließ das Handy in das Gras fallen und verschränkte die Arme auf dem Bauch.

Hatte das etwas zu bedeuten? Sollte er sich Sorgen machen?

Nach weiteren Minuten richtete er sich lahm auf und streckte beide Beine von sich. Das war es, das er in diesem Augenblick am aller wenigsten gebraucht hätte. Er hätte gern darauf verzichtet, jetzt auch noch über Kaiba grübeln zu müssen. Es musste der Stress sein, der ihn so wortkarg und knapp werden ließ.

Murrend rappelte er sich auf, stopfte das Handy in seine Hosentasche zurück und trödelte durch das Gras. Könnten jetzt nicht Duke oder Bakura vorbeikommen? Einfach mal so. Vielleicht langweilten sie sich ja auch? Vielleicht hatten sie auch nichts zu tun? Und wenn sie etwas zu tun hatten, dann hatten sie vielleicht auch keine Lust darauf, es zu tun. Eben genau das, wenn ihr wisst, was ich damit meine.

Nachdem Joey die große Wiese hinter sich gelassen hatte, zog er sich mit dem Mund einen Haargummi vom Handgelenk und band sich einen schnellen Zopf. Und als er dann den Schotterweg betrat und an den Bäumen vorbeischlenderte, da kam ihm eine Idee. Er könnte ja in die Kaiba-Corporation fahren und etwas aushelfen? Ja genau!

Nein...

Der Mann, der dort soeben das Sagen hatte, den konnte er nicht leiden. Und diese Abneigung dem anderen gegenüber bestand auf beiden Seiten.

Dann ging er eben zu Bakura... und... lernte etwas mit ihm. Ohne darüber nachzudenken, hakte Joey auch diese Idee ab. Es waren Ferien. Warum zur Hölle sollte er sich da mit Lernstoff quälen?

Ja, dann ging er eben zu Duke. Genau, warum eigentlich nicht? Wenn er ihn besuchen würde, würde Duke sicher von seiner Arbeit ablassen und sich zu einem Tag vor der Playstation hinreißen lassen. Dafür war Duke doch jederzeit offen.

Es bestand also doch noch Hoffnung, dass aus diesem Tag etwas wurde.

Oh ja.

Heiter begann er vor sich hinzuträllern.

>Duke mein Held, rette mich vor der Langeweile.<

Genießerisch atmete er die frische Luft ein, schloss die Augen und trödelte weiter. Er nahm sich vor, einen kleinen Spaziergang durch den Wald zu machen. Und da Dukes Haus gleich auf dem Weg lag, erschien es ihm als äußerst praktisch. Er benutzte einen breiten Steinweg und besah sich die vielen Bäume. Die Vögel zwitscherten, die Blätter rauschten und was noch alles. In gemächlichen Schritten näherte er sich einer kleinen Wegkreuzung. >Wo lang muss ich noch einmal?< Joey besah sich die Wege, die ihm zur Verfügung standen. >Welcher war es noch...<

Seine Gedanken stoppten abrupt, als er einen weiteren Spaziergänger erkannte, der ihm auf einem dieser Wege entgegen kam. Joeys Herz machte einen entsetzen Sprung und er blieb stehen. >Chester?!< Er öffnete den Mund, starrte den Mann überrascht an. Dieser hatte ihn bereits entdeckt und hob zum Gruße die Hand. >Dieser...!!< Auf den Ballen drehte sich Joey um und ging in die entgegengesetzte Richtung. >Hau bloß ab!<

"Joey!", ertönte da prompt diese freundliche Stimme und das Gesicht des Gemeinten verfinsterte sich. Im Gehen drehte er sich um und streckte dem aufdringlichen Mann die Faust entgegen.

"Mann, verschwinde!"

Doch Chester verschnellerte die Schritte und folgte ihm, ließ sich nicht abschütteln.

"Warte Joey, lass mich erklären", bat er flehend und streckte ihm die Hand entgegen. "Warte doch mal auf mich."

"Verzieh dich und lass dir helfen!", fauchte Joey am Ende seiner Nerven. Den Satz, den er am gestrigen Tage aus Chesters Mund gehört hatte, konnte er nicht vergessen.

Was wollte wieder Typ eigentlich von ihm?

Er hatte nichts mit ihm am Hut und wollte daran auch nichts ändern!

Die Schritte hinter ihm wurden lauter und dann zog Chester an ihm vorbei und stellte sich ihm in den Weg. Widerwillig hielt Joey inne.

"Was willst du!"

Chester verblieb kurz wortlos, dann lachte er aufgesetzt und legte beide Hände auf Joeys Schultern, dieser schüttelte sie jedoch ab und trat zurück.

"Fass mich nicht an, ja?!" Joey ließ die Arme sinken und ballte die Hände zu Fäusten. "Was bildest du dir eigentlich ein?! Mich einfach anzuquatschen! Und dann noch mit so etwas!!"

Er brüllte den halben Wald zusammen, doch das konnte er, denn niemand war hier. Chester reagierte gelassen und lachte erneut auf die Art und Weise, die Joey so sehr missfiel.

"Das ist mir nur herausgerutscht", entschuldigte er sich.

"Pah!" Verbittert wandte Joey das Gesicht ab.

Da trat Chester näher und hob erneut die Hände. Bevor er ihn jedoch erneut berühren konnte, trat Joey zur Seite, wich ihm aus und fixierte ihn mit brennenden Augen.

"Lass mich ja in Frieden!"

"Komm schon." Chester brachte das süßeste Lächeln aus seinem Sortiment zu Stande und legte den Kopf schief. "Gib mir noch eine Chance, ja?"

"Noch eine Chance?" Joey hob die Augenbrauen. "Hattest du je eine? Mach, dass du wegkommst! Ich habe keine Lust auf dich!"

"Warum nicht?" Das Grinsen hielt an und Chester näherte sich ihm weiterhin. "Was gefällt dir nicht an mir?"

"Alles!", zischte Joey und trat zurück. "Am Park ist ein Host-Club! Da kannst du hingehen, wenn du zuviel Geld hast!"

"Gibt es dort auch solche hübschen Typen wie dich?" Lauernd wurde er taxiert. "Komm schon." Seufzend hob er Hände, winkte ihn zu sich. "Ich weiß doch, dass du auch scharf auf mich bist. Versuch es nicht zu verbergen, ich sehe es in deinen Augen."

"Meine..." Verwirrt betastete Joey sein Gesicht, dann wurde er wieder wütend. "Wa... was?!"

"Lass dir diese Chance doch nicht entgehen." Chesters Grinsen vertiefte sich. "Ich kann dich verwöhnen, wie kein Anderer."

"Jetzt...", Joey starrte ihn entsetzt an, "… jetzt komm mal auf den Boden zurück!! Verstehst du kein Japanisch? Ich sagte NEIN! Versteh das endlich und mach dich an andere ran!" Joey machte eine kurze Pause, nun trat er von dem Weg in das Gras und näherte sich den Bäumen. "Und... und hör verdammt noch mal auf, so Ekelerregend zu grinsen!!"

"Du willst nicht?"

Joey nickte übertrieben und sah sich kurz nach Hilfe um. Allmählich wurde es ihm etwas zu gefährlich. Chester machte doch wirklich den Eindruck, als wäre es ihm egal, ob er einverstanden war oder nicht.

"So etwas wie dich habe ich nicht nötig!" Joey sammelte Mut und blieb stehen, bevor ein Baum seine langsame Flucht beendete. Er atmete tief ein und sah Chester näher kommen.

"Wie kannst du das wissen?" Beinahe hatte er ihn erreicht. "Du weißt doch nicht, wie ich so bin... im Bett."

"Du, du, du...!" Joey fehlten die Worte. Also hob er die Hand und streckte sie ihm entgegen. "Komm nicht näher!!"

Plötzlich griff Chester nach seinem Handgelenk und zog es zu sich. Sofort stolperte Joey nach vorne, und kurze Zeit später, stieß er gegen Chester und steckte sofort in einer festen Umarmung; sein Handgelenk wurde weiterhin festgehalten.

"Gefällt dir das?" Chester lachte leise.

Nur kurz erstarrte Joey in dieser Umarmung, dann begann er sich zu bewegen, versuchte sich zu befreien. Als er es jedoch nicht schaffte, holte er aus und rammte seine noch freie Faust in Chesters Rippen.

"Lass mich...!!" Weiter kam er nicht, denn mit einem Ruck wurde er nach vorn gezogen. Der Schlag schien dem Mann nicht viel auszumachen. Wieder begann Joey zu stolpern und dann landete eine Faust in seinem Magen, die fester und vor allen Dingen härter zuschlug. Sofort schnürte sich seine Lunge zu und er rang um Atem, neigte sich nach vorn und röchelte. Doch Chester vergeudete keine Zeit, umgriff sein Handgelenk fester und zog ihn zur Seite. Etwas unsicher auf den Beinen, strauchelte Joey hinter ihm her, wurde bald herumgerissen und hinterrücks gegen einen kräftigen Baumstamm gestoßen. Und bevor er Befreiungsversuche starten konnte, presste sich Chester gegen ihn und schnappte auch nach seinem anderen Handgelenk. Leicht benommen wand sich Joey in dieser verdrießlichen Lage. Das Chester so weit gehen würde, hätte er nicht gedacht.

"Du verfluchter Mistkerl…!" Joey schnappte nach Luft, versuchte ihn zurückzudrängen, doch Chester war sehr stark, was man bei seinem Anblick kaum glauben konnte. Nicht einmal zutreten konnte er, denn seine Beine hatten keinerlei Freiraum. Bedauerlicherweise ging Chester sehr gekonnt vor, man könnte beinahe vermuten, er hätte Übung in solchen Sachen! Chester antwortete nicht, stemmte sich noch fester gegen ihn, schob das Gesicht zwischen seinen Kopf und die Schulter und begann ihn hastig am Hals zu küssen. Verbissen verzog Joey das Gesicht und versuchte, die Hände freizubekommen. Doch dieser Griff, in dem er steckte, war eisern. Er spürte, wie Chester ihn grob biss und sich anschließend höher arbeitete.

"Lass mich…!!" Joey legte den Kopf zur Seite, versuchte den von Chester fortzudrücken. Doch dieser wurde daraufhin nur noch brutaler. Er riss das eine Knie nach oben und rammte es zwischen seine Beine. Joey schrie leise auf, ächzte und biss die Zähne zusammen.

"Ja, stöhn für mich", wisperte Chester in sein Ohr und biss sogleich danach.

Keuchend ließ Joey den Kopf hängen, seine Stirn lehnte prompt an der Schulter des Mannes. Sein Rücken schmerzte, als er gegen die raue Rinde gepresst wurde. Die Wunde war beinahe verheilt, und nun machte sie wieder auf sich aufmerksam. Nun, da er so gut wie wehrlos war, ließ sich Chester durch nichts mehr stören. Doch wenn er seine Hände losließ, dann könnte er aber etwas erleben! Ein ungeheurer Ekel stieg in ihm auf, als er Lippen des Mannes auf seiner Haut spürte. Wann würde Chester ihn endlich loslassen?! Wenn er seine Hände weiterhin festhielt, würde er nicht weiterkommen! Joey biss die Zähne zusammen und sah sich erneut um. Lange hielt er nicht mehr aus! Hektisch suchten seine Augen die Gegend ab, dann drehte er das Gesicht zur Seite und schnappte nach Luft, um laut genug schreien zu können.

"Duke!!", rief er plötzlich so laut er konnte. "Duke!!!"

Ohne irgendetwas zu bemerken, kam dieser über die Kreuzung geschlendert.

Was zur Hölle machte er hier?!

Hatte er nicht gesagt, dass er viel Arbeit vor sich hätte?!

Joey war es egal, Hauptsache war, dass er ihn von diesem widerlichen Mann befreite. Duke blieb stehen, lauschte auf und sah sich um. Joey wand sich erneut, starrte ihn hilfesuchend an und sah ihn dann schnell näher kommen. Duke hatte keine Sekunde gezögert, nachdem er ihn entdeckt hatte. Doch Chester schien ihn nicht zu bemerken. Endlich ließ er einen seiner Arme freikommen, schob die Hand sofort unter sein Shirt und begann ihn zu berühren. Währenddessen krallte sich Joey in seinen Mantel und versuchte ihn von sich zu ziehen. Natürlich gelang es ihm nicht, doch genau in dieser Sekunde hatte Duke sie erreicht. Ohne nachzudenken, bückte er sich hinab und griff nach einem dicken Stock. Er umfasste ihn sicher, kam wieder auf die Beine und schlug ihn ohne mit der Wimper zu zucken, gegen Chesters Rücken. Und diesen Schlag müsstet ihr gesehen haben! Sofort zischte Chester schmerzerfüllt auf, ließ von Joey ab und drehte sich verwirrt zur Seite. Nur kurz erkannte er Duke, bevor der Stock mit großer Wucht in seinem Magen landete. Chester krümmte sich, schlang die Arme um den Bauch und neigte sich röchelnd nach vorn. Mit einer schnellen Bewegung, hob Duke den Stock über den Kopf und ließ ihn erneut auf Chesters Rücken niedergehen. Und da keuchte dieser laut auf, kippte nach vorn und stürzte zu Boden. Noch während er sich räkelte, schmiss Duke den Stock zur Seite, stieg über ihn hinweg und packte Joey am Arm. Dieser war durch sein plötzliches Handeln noch etwas durcheinander, wusste nicht so recht, was er denken oder tun sollte.

"Komm." Duke zog ihn erst einmal von dem Baum weg, zog ihn auch an dem keuchenden Chester vorbei. Und ohne weiter auf diesen zu achten, wandte er sich an ihn und starrte ihn mit großen Augen an.

"Was zur Hölle ist passiert?!", stieß er aus und warf einen knappen Blick zur Seite, wo sich der Mann benommen auf dem Boden räkelte.

"Na ja..." Joey sammelte seine Gedanken. "Der Typ ist völlig verrückt!"

"Was ist passiert!", wiederholte Duke die Frage und begann in seinen Hosentaschen zu wühlen.

"Der...", Joey schnaubte, "… der hat mich betatscht!"

In dieser Sekunde zückte Duke sein Handy und klappte es auf. Kurz besah sich Joey das ächzende Häuflein Elend, das dort lag, dann wurde er darauf aufmerksam.

"Was machst du?", erkundigte er sich verwundert.

"Was wohl!" Duke tippte eine Nummer. "Ich rufe die Polizei!"

Joey öffnete etwas unentschlossen den Mund, bekam jedoch vorerst nur ein ungewisses Murmeln hervor. Duke legte währenddessen das Handy an das Ohr und wartete.

"Nein!", entschied sich Joey schnell und hob die Hände. "Steck es weg!"

"Wie bitte?!" Duke ließ es sinken und rümpfte die Nase. "Aber dieser Typ wollte dich..."

"Ja, weiß ich!" Joey nahm ihm das Handy aus der Hand und brach den Anruf ab. "Aber ich denke, dass er seine Lektion gelernt hat, okay?"

"Der?" Murrend wandte sich Duke zur Seite und bedachte Chester mit einem verächtlichen Blick. "Das glaubst du doch wohl selbst nicht! Diese Typen müsste man alle..."

"Hey." Joey zwang sich ein Grinsen auf und schluckte. "Ist schon in Ordnung."

"Aber..." Duke verstand die ganze Sache nicht, bekam das Handy in die Hand gedrückt.

"Lass uns gehen, ja?" Joey sah sich kurz um, zog sich das Shirt zu Recht und packte Duke an der Kapuze seines Pullovers. "Wenn der wieder zu sich kommt, wird er sich seines Fehlers bewusst."

"Das... das meinst du doch nicht ernst, oder?" Etwas unwillig ließ sich Duke mitziehen. "Der Typ ist doch..."

"Komm schon!" Joey verschnellerte seinen Gang, blickte nicht zurück. "Ich erzähle dir alles später."
 

Gemütlich ließ sich Joey in dem Würfelsessel nieder und nahm von Duke eine Büchse entgegen. Das, was soeben im Wald passiert war, schien er bereits hinter sich gelassen zu haben. Es bedeutete ihm nichts und er grinste, als sich Duke ihm gegenüber niederließ und sich zurücklehnte.

"Passiert dir so was öfter?", fragte er, nachdem er kurz seine Frisur überprüft hatte und die Dose zum Mund hob.

"Hm?" Joey machte es sich gemütlich, zog die Füße zu sich. "Du meinst, dass ich im Wald überfallen werde?"

Duke nickte und Joey schüttelte sofort den Kopf.

"Nein, das liegt nicht gerade an der Tagesordnung."

"Kanntest du den Typ?"

Joey legte den Hinterkopf auf die weiche Lehne und starrte an die Decke.

"Nö."

"Der ist also einfach gekommen und über dich hergefallen." Man musste kein Hellseher sein, um zu bemerken, dass Duke ihm diese Sache nicht abkaufte.

"Ich bin dir dankbar, dass du mir geholfen hast", fuhr Joey nach einer kurzen Bedenkzeit fort. "Aber diese Sache ist jetzt geregelt."

>Ich glaube, diesmal habe ich ihm deutlich gezeigt, wie ich zu ihm stehe.<

Duke schwieg und nippte an der Dose. Joey dachte in der Zwischenzeit nach, grübelte über das Erlebnis, in dessen Genuss er soeben gekommen war. Und da musste er einfach noch etwas hinzufügen. Seine Gesichtszüge verzogen sich säuerlich, dann richtete er sich wieder auf.

"Ich meine, ich kannte diesen Typ überhaupt nicht", murmelte er und traf auf Dukes Blick. "Wie kann er es nur wagen..."

"Ist das das Einzige, was dich daran stört?", fragte Duke verwundert.

"Wie meinst du das?" Joey verstand ihn nicht und Duke lehnte sich langsam nach vorn.

"Dass es ein Mann war, ist dir egal?"

"Ehm..." Darauf wusste Joey vorerst keine Antwort.

>Sag nichts Unüberlegtes!<, dachte er sich verbissen.

"Doch... klar stört mich das." Er grübelte, bevor er hinzufügte: "Igitt!"

Dieses "Igitt" klang wohl etwas lasch und so wurde Duke neugierig. Er besah sich Joey über eine lange Zeitspanne hinweg, nachdenklich, bevor er fortfuhr.

"Merkwürdig, wenn Männer Männer lieben, oder?"

"Ja... ja." Sofort nickte Joey beipflichtend. "Das ist ziemlich merkwürdig."

"Hm." Duke grinste und zog sein Handy hervor. "Wirst du den anderen von deinem tollen Erlebnis erzählen?"

"Nein, warum sollte ich?" Joey zuckte mit den Schultern. "Ist doch nichts Weltbewegendes."

"Und", Duke wendete das Handy in der Hand, Joey aufmerksam musternd, "… wirst du Kaiba davon erzählen?"

"Nein, natürlich nicht." Es sprudelte nur so aus Joey heraus. "Er würde völlig ausrasten...", Joey hielt kurz inne, kratzte an der Lehne und suchte nach Worten, "… außerdem... ist es ja nichts Weltbewegendes."

Ein unscheinbares Grinsen zeichnete sich auf Dukes Gesicht ab.

"Und Kaiba ist jetzt in Deutschland?", fragte er ihn in einem leiseren Ton weiter aus. Joey nickte.

"Er kommt morgen zurück", begann er zu erzählen. "Wir haben telefoniert. Scheinbar hat er viel Arbeit und ist etwas gestresst."

"Woran merkst du das?", erkundigte sich Duke sofort. "Ihr habt doch nur telefoniert."

"Ich merke das eben", verriet Joey nichtsahnend.

"Aha?" Dukes Grinsen vertiefte sich. "Scheinst ihn ja gut zu kennen."

"Natürlich." Joey weitete die Augen. "Das gehört zu einer Freundschaft. Du merkst doch auch, wie es mir geht, wenn ich mit dir spreche."

"Oh ja." Duke nickte langsam. "Und weißt du, was ich soeben feststelle?"

"Nö, was?"

"Wenn du von Kaiba sprichst, dann nehme ich etwas in deiner Stimme wahr, das ich an dir nicht gar nicht kenne."

"Ach ja?"

"Mm." Duke lachte leise. "Ein Ton schleicht sich da ein, der ein bisschen mit Schwärmen zu vergleichen ist."

"Quatsch!" Joey erschrak. "Gar nicht wahr!"

"Doch." Duke war sich seiner sicher. "Ich merke es an deiner Stimme. Tja, das gehört zu einer Freundschaft."

Joey ließ den Blick hektisch durch den Raum schweifen, biss sich auf die Unterlippe und hob dann schnell die Büchse, um einen Schluck zu trinken. Als er sie sinken ließ, verzog sich sein Gesicht grimmig.

"Gar nicht wahr!"

"Ach Joey!" Kopfschüttelnd erhob sich Duke vom Sofa und stellte die Büsche auf dem Tisch ab. "Du bist so leicht zu durchschauen."

"Ach... echt?"

Duke schlenderte langsam näher, blieb vor ihm stehen und verschränkte die Arme vor der Brust.

"Glaubst du wirklich, ich weiß nicht, was zwischen dir und Kaiba ist?"

Jetzt wurde Joey wirklich mulmig zu mute. Er rutschte hin und her und sah Duke nach langem zögern direkt in die Augen.

"Und... was ist deiner Meinung nach, zwischen Kaiba und mir?"

"Lieeebe." Duke weitete die Augen und Joey hob die Büchse erneut zum Mund, brauchte unbedingt noch einen Schluck. "Ich meine, du bist fast die ganze Zeit über bei ihm, hilfst ihm in der Firma und bist auch bei ihm zu Hause. Und wenn du ihn sogar dazu überreden kannst, ein Picknick mit uns zu veranstalten, dann soll das schon etwas heißen!"

"Was willst du eigentlich von mir", brummte Joey.

"Ein Geständnis." Duke neigte sich nach vorn, grinste ihn an. "Ich will endlich wissen, ob die Gedanken, die ich mir in letzter Zeit gemacht habe, unbegründet waren."

"Du hast dir Gedanken gemacht?"

"Lenk nicht ab", zischte Duke. "Ja oder nein!"

Joey zog ein langes Gesicht und wandte den Blick ab. Er könnte ja aufstehen und einfach wegrennen. Er musste nichts sagen, konnte zu nichts gezwungen werden. Auf der anderen Seite ging ihm dieses ewige Versteckspiel und die Lügnerei allmählich auf die Nerven. Also zuckte er mit den Schultern und murmelte etwas Verworrenes.

"Also gut... ja! Ja verdammt, du hattest Recht!"

"Wirklich…?" Dukes Gesicht erstarrte. "Das hätte ich mir ja nie träumen lassen!"

"Was...?" Langsam blickte Joey auf. "Aber du hast doch gesagt, dass du es..."

"Sagen kann man viel." Duke lachte auf und wandte sich ab, um etwas durch das Zimmer zu schlendern, Joey sah ihm erschüttert nach. "Um ehrlich zu sein, hatte ich keine Ahnung! Puh, das ist ja interessant!"

"Du hast mich reingelegt", jammerte Joey.

"Bingo!" Wieder lachte Duke. "Du und Kaiba! Das gibt es ja nicht! Und du bist reingefallen, hast alles ausgeplaudert!"

"Ja, toll!" Joey stöhnte. "Brat dir ein Ei drauf! Jetzt, wo ich es sowieso nicht mehr rückgängig machen kann, was sagst du dazu?"

"Hm." Duke blieb stehen und lehnte sich mit den Ellbogen hinter Joey auf die Lehne. "Na ja... ich meine, es ist nicht mein Problem..."

"Jetzt fang du nicht auch noch wie Bakura an!", unterbrach Joey ihn und drehte sich zu ihm um. "Ist ja schlimm!"

"Wie?" Duke hob die Augenbrauen. "Weiß Bakura etwa Bescheid?"

>Oh verdammt!< Joey schnitt eine Grimasse. "Klar weiß er!"

"Du hast es ihm verraten?"

"Nein, er hat es selbst herausgefunden!" Ruppig drehte sich Joey wieder um und brummte. "Jetzt hör auf, Fragen zu stellen! Noch einmal falle ich nicht darauf herein!"

"Na gut." Duke zuckte mit den Schultern. "Was mich angeht, ist das in Ordnung. Ich habe nichts gegen so etwas und wenn's Spaß macht, warum nicht? Natürlich bin ich überrascht, habe das was zwischen dir und Kaiba ist, bisher wirklich nur für eine Freundschaft gehalten. Aber wenn es dir mit Kaiba gut geht... dann freue ich mich für dich."

"Wirklich?" Joeys Gesicht erhellte sich.

"Ja, wirklich." Duke tätschelte seine Schulter, richtete sich wieder auf und trödelte zum Sofa zurück. "Also, wer hat angefangen? Wie kam es überhaupt dazu?"

"Wird das jetzt ein Ratespiel?" Joey schnitt eine Grimasse. "Muss ich dir das alles erzählen?"

"Japp." Duke nickte und schlug die Beine übereinander.

"Na, meinetwegen. Aber", Joey hob den Zeigefinger, "du weißt von nichts, ja? Kaiba bringt mich um, wenn er das herausfindet."

"Ich weiß von nichts", versicherte Duke. "Jetzt fang schon an!"
 

Tiefer konnte Joey nicht mehr sinken. Also erzählte er einfach alles, ausgenommen von einigen wenigen Kleinigkeiten. Er quatschte und quatschte, erzählte von gehässigen Ärzten und großen Häusern. Duke lauschte gespannt und als Joey seine Erzählungen am Abend abschloss, da staunte er nicht schlecht und erkundigte sich noch mehrmals, ob es noch etwas zu erzählen gäbe.

"Nö", war stets die Antwort.
 

Müde und erschöpft machte sich Joey dann auf den Nachhauseweg, aß eine Kleinigkeit und legte sich anschließend schlafen.

Es war ein merkwürdiges Gefühl, zu wissen, dass nun auch Duke in das große Geheimnis, das ihn umgab, einbezogen war. Wie lässig er reagiert hatte. Nun wunderte sich Joey. Würden die anderen auch so reagieren, wenn er es ihnen beichtete? Und wenn, warum sollte er es nicht tun? Sicher würde er sich besser fühlen, wenn er keine Geheimnisse mehr vor ihnen hätte. Wie es sich wohl anfühlte? Nur Kaiba, herrje, der könnte Ärger machen, wenn er dahinter käme. Schon oft hatte er ihn gewarnt.

"Behalte es ja für dich!", hatte er gefaucht.

Schön, dachte sich Joey, wenn du mit dem Geheimnis leben kannst… ich kann es nicht.
 

Dann kam endlich der Tag, an dem Kaiba nach Domino zurückkehren würde. Der Tag, auf den sich Joey schon so lange gefreut hatte. Oh, sicher würde er diesen Tag genießen, wie keinen Anderen. Er wachte sehr früh auf und kam sofort auf die Beine, in der Hoffnung, so würde Kaiba schneller kommen. Dann hockte er sich mit einem schönen Kaffee in die Küche, legte die Beine auf den Tisch und hörte etwas Musik.

Wenn Kaiba so viel Arbeit aus Deutschland mitbringen würde, könnte er ihm ja etwas helfen, unter die Arme greifen.

Er saß zwei Stunden dort, sang und grinste. Er freute sich über alles, war guter Dinge und zählte die Minuten, die jetzt besonders langsam vergingen. Nach diesen zwei Stunden bekam er Hunger und nahm sich vor, etwas zu kochen! Kochen konnte er gut und meistens nur zu seinem eigenen Nutzen. Er durchstöberte die Schränke, musste dann jedoch bemerken, dass er kaum noch Zutaten für ein leckeres Gericht hatte. Also machte er sich kurzerhand auf den Weg, um eine Kleinigkeit einzukaufen. Die Sonne schien und alle waren so froh, wie er. Nur die Tante an der Kasse nicht, die ziemlich unhöflich auf ihn wirkte. Aber dadurch ließ er sich nicht stören. Nach nicht allzu langer Zeit machte er sich auf den Nachhauseweg. Er pfiff vor sich hin, grüßte fremde Menschen auf der Straße und war in diesen Minuten der glücklichste Mensch der Welt.

Träge schloss er die Haustür auf, trat in den Hausflur und stieg die Treppen hinauf. Dabei ließ er sich alle Zeit der Welt. Als er eine Treppe hinter sich hatte, hörte er Schritte unter sich im Treppenhaus. Da schien wohl einer seiner Nachbarn zu kommen. Er schenkte den Geräuschen keine Beachtung und stieg höher. Als er dann die zweite Etage erreichte, kramte er kurz nach dem richtigen Schlüssel und öffnete dann seine Wohnungstür. Er stöhnte leise, trat über die Türschwelle und warf den Schlüssel auf den kleinen Schuhschrank. Wieder ertönte ein leises Geräusch hinter ihm und er drehte sich um. Nun, wo er so gute Laune hatte, konnte er denjenigen, der da vorbeikam, auch gleich grüßen.

Während er sich drehte, stellte er die Tasche ab und tastete bereits nach der Türklinke. Doch statt des Grußes kam nur ein erschrockenes Keuchen über seine Lippen. Kurz darauf traf ihn ein Schlag an der Schulter und er wurde in die Wohnung gestoßen. Als er zurückstolperte und an der Wand lehnte, waren seine Augen entsetzt auf den Mann gerichtet, der nun zu ihm in den Flur trat und die Tür hinter sich schloss. Chester hatte keine auffälligen Spuren von dem gestrigen Erlebnis davongetragen. Er besaß sogar noch die Kraft, zu grinsen. Mit stockendem Atem sah Joey ihn näher kommen, hektisch tasteten seine Hände über die raue Wand, als er sich langsam aufrichtete.

"Was machst du hier...?"

"Ich habe etwas nachzuholen." Das Grinsen schwand, wich einer bösartigen Grimasse. Dann hatte er Joey erreicht, packte ihn grob am Arm und zog ihn zur Seite. Doch Joey wehrte sich, stemmte sich in die andere Richtung und riss sich los. Sofort fuhr Chester zu ihm herum und er wich zurück.

"Komm nicht näher!!", warnte er ihn mit zittriger Stimme und stieß hinterrücks gegen einen Schrank. "Ich schreie!!"

"Schrei doch!" Wieder wollte Chester ihn packen, doch Joey schlug seine Hand zur Seite. Es entstand ein kurzes Gerangel, das endete, als ein Schlag zufällig Joeys Rippen traf. Da geriet dieser in einen unachtsamen Moment und eine Hand schlug sich in seinen Schopf.

"Komm mit!!" Chester zerrte ihn mit sich, zerrte ihn zum Wohnzimmer und zog ihn hinein. Joey konnte sich nicht wehren, zu große Schmerzen verursachte der Griff. Er stolperte bis zu dem Sofa, dann riss Chester ihn herum und stieß ihn auf das weiche Polster, von dem sich Joey sofort wieder erhob. Er sprang auf, warf sich gegen Chester und stieß ihn zurück. Der Mann geriet ins Stolpern und doch krallte sich seine Hand in Joeys Hemd. Er zog ihn mit sich und wieder traf seine Faust seinen Magen. Der Schlag, den Joey gestern eingesteckt hatte, war nichts im Vergleich zu diesem. Wieder bekam er keine Luft und ein Gefühl verbreitete sich in ihm, als hätte man seinen Magen zerfetzt. Er kämpfte um Sauerstoff und strauchelte zur Seite. Doch Chester ließ nicht zu, dass er stürzte. Er nutzte die Hilflosigkeit des jungen Mannes, packte ihn wieder an den Haaren und riss ihn erneut zum Sofa. Anschließend packte er ihn an den Schultern, drückte ihn hinab und ließ sich sofort auf seinen Oberschenkeln nieder. Trotz der Atemnot versuchte sich Joey wieder aufzurichten, doch da klammerte sich eine raue Hand um seinen Hals, stieß ihn hinab und hielt ihn dort. Sofort begann sich Joey zu regen, versuchte verzweifelt, die Hand von seinem Hals zu reißen. Sie drückte so sehr zu, dass es schmerzte.

"Du verfluchter...!!"

"Scht!" Chester beugte sich zu ihm hinab und drückte ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen, seine andere Hand griff währenddessen nach dem Hemd und riss es auf. Joey zuckte zusammen, biss die Zähne aufeinander und starrte in die grünen Augen seines Peinigers.

>Das darf doch nicht wahr sein!!<, ging es ihm rasend schnell durch den Kopf. >Das kann ich doch nicht mit mir machen lassen!! <

Aber was sollte er tun?

Die Beine konnte er nicht bewegen, aufrichten konnte er sich ebenfalls nicht und die Hand an seinem Hals nahm ihm den Rest der Hoffnung. Sobald er sich zu räkeln begann, verstärkte sich deren Griff und machte ihn vollends wehrlos. Das musste ein Alptraum sein; der Tag hatte so wundervoll begonnen! Nur kurz spürte Joey, wie die freie Hand des Mannes grob und gefühllos über seinen Bauch und seine Brust fuhr, dann glitt sie hinab und öffnete seine Hose. Und da gebrauchte Joey seine Hände! Sie waren frei, weshalb sollte er also vorschnell aufgeben? Kampflos bekam er ihn nicht! Hastig tastete er nach der Hand, packte sie und zog sie von der Hose weg. Und obgleich die Hand an seinem Hals ihm sofort die Luft abdrückte, versuchte er, Chester von sich zu stoßen. Doch es misslang und als er sich zur Seite rollen wollte, schlug Chester ihm mit der Faust ins Gesicht. Für wenige Sekunden drehte sich um Joey alles und er schloss verkrampft die Augen. Seine Wange brannte wie Feuer und seine Lippe schien zu bluten. Da neigte sich Chester erneut zu ihm hinab.

"Hör auf damit, ja?", flüsterte er in sein Ohr. "Wenn du artig bist, werde ich zärtlich sein."

Langsam öffnete Joey den Mund und atmete tief ein. Die Hand lockerte sich und er konnte problemlos Luft holen. Viele Gedanken zogen ihm in diesen Sekunden durch den Kopf. Er steckte in einer ausweglosen Lage und doch fiel es ihm nicht ein, es einfach zuzulassen. Etwas benommen öffnete er die Augen, die Hände ließ er sinken.

"Lieber Junge." Chester tätschelte seinen Schopf. "Ich wusste doch, dass es dir gefallen würde."

"Gefallen...?", presste Joey hervor und sah ihn aus den Augenwinkeln an. "Du kannst mich mal!"

Chester schien überrascht, jedoch nicht abgeneigt zu sein. Er zögerte kurz, doch dann zuckte er nur mit den Schultern.

"Es ist mir egal, welchen Weg zu wählst." Wieder spürte Joey die Hand an seiner bereits offenen Hose. "Ich bekomme dich, egal wie."

Wieder drückte die Hand an seinem Hals zu und gleichzeitig schob sich die andere unter seine Shorts. Doch auch Joey erwachte zum Leben. Er ächzte leise auf, warf den Kopf zur Seite und streckte den Arm nach der Fernbedienung aus, die direkt neben ihm auf dem Tisch lag. Während Chester ihn mit aller Seelenruhe und größtem Entzücken berührte, spreizte er die Finger, zog die Fernbedienung mit den Fingerkuppen zu sich und griff hastig nach ihr. Ohne zu zögern riss er sie in die Höhe und rammte sie mit aller Kraft gegen Chesters Schläfe. Und dieses Mittel wirkte. Der Mann schrie laut auf, ließ ihn los und richtete sich auf. Mit einer schnellen Bewegung stieß Joey ihn dann zur Seite und ließ ihn vom Sofa stürzen. Schnell kauerte Chester vor Schmerz jammernd auf dem Boden und hielt sich den Kopf. Joey rappelte sich in der Zwischenzeit auf, sprang über ihn hinweg und rannte strauchelnd aus dem Wohnzimmer. Mit unsicheren Schritten stürzte er in den Flur, stützte sich kurz an der Wand ab und steuerte auf die Küche zu. Das Jammern drang bis zu ihm, als er sie erreichte, ein Schubfach herauszog und nach dem längsten und schärfsten Messer grabschte.

Mit diesem kehrte er dann in das Wohnzimmer zurück, wo sich Chester allmählich wieder aufrappelte. Er stürzte ihm entgegen, raffte seine Hose höher und packte ihn am Ärmel.

"Steh auf!!" Er zerrte ihn auf die Beine und hielt ihm das Messer direkt vor das Gesicht, bevor er auf falsche Gedanken kam. Sein Atem fiel rasend, die Hand die das Messer hielt, zitterte. Die Wut brodelte in ihm und Chester konnte dankbar für seine Selbstbeherrschung sein. Dieser starrte die scharfe Klinge mit großen Augen an.

"Komm jetzt!!" Stets das Messer auf ihn gerichtet, zog Joey ihn zur Tür. Die Nervosität stieg in ihm, je näher er der Tür kam. Er wollte ihn einfach nur raus haben, nicht die Polizei anrufen oder sonstiges unternehmen. Er wollte diesen Mistkerl endlich loswerden.

Es war doch erschreckend, zu was sich dieser nette Mann aus der Kneipe entpuppt hatte. Joey zog die Nase hoch, ließ Chesters Ärmel los und tastete hektisch nach der Türklinke.

"Hey." Langsam hob der Mann die Hände, versuchte, ihn zu beschwichtigen, doch Joey war außer sich. Er unterbrach ihn, indem er mit dem Messer fuchtelte.

"Ein weiteres Wort und ich steche dich ab!!", warnte er und trat einen Schritt zurück, die Hand immer nahe an der Klinke haltend.

"Warum so aufgeregt?" Chester sprach doch wirklich weiter, schien sich von dem Schock erholt zu haben. "Hat es dir nicht gefa..."

"Halts Maul!!" Joey riss die Tür auf, schob sich hastig an Chester vorbei. "Verschwinde! Und komm nie wieder!!"

"Hey... Joey." Als dieser dieses abscheuliche Grinsen sah, begannen seine Finger zu jucken. "Ich liebe dich doch."

"Hau ab!!" Joey trat vor, die Spitze der Klinge berührte den Mantel, doch Chester bewegte sich nicht von der Stelle. Er blieb einfach stehen und grinste, obgleich das Blut über seine Wange lief. Joey starrte ihn aufgebracht an, griff nebenbei nach seiner Hose und zog sie höher. Das Messer in seiner Hand begann immer stärker zu zittern. Wenn er nicht bald ging, könnte es schlimm enden. "Verschwinde...", zischte er am Ende seiner Kräfte.

"Und was ist, wenn ich es... nicht tue?"

"Was dann ist...?", wiederholte Joey mit zittriger Stimme. "Was dann ist?!"

"Du wirst mich doch nicht erstechen, oder?"

Joey biss die Zähne zusammen, seine Finger legten sich fester um den Griff. Chester hatte Recht, das konnte er nicht. Er war wehrlos, obgleich er ein Messer in der Hand hielt. Diese Meinung vertrat Chester zumindest. Er besah sich die Klinge unbeeindruckt, hob dann sogar die Hand und kam ihr entgegen.

"Was ist?" Gemächlich umfasste er die Klinge mit zwei Fingern, Joey schnappte nach Luft. "So viel Mumm hast du doch gar..."

Plötzlich verstärkte sich der Druck der Klinge. Mit einer schnellen Bewegung riss Joey sie nach unten, ließ sie sich geradewegs durch seine Hand fressen. Sofort schrie Chester auf und umklammerte die blutende Hand, Joey schleuderte das Messer in der Zwischenzeit von sich; es blieb nicht weit entfernt im Boden stecken und federte nach. Dann grabschte er nach der Tür, schlug sie zu und beförderte Chester somit endgültig in das Treppenhaus. Noch während draußen seine Schreie zu hören waren, tastete er mit zitternden Händen nach dem Schlüsselbund. Doch er entglitt seinen Fingern und landete auf dem Boden.

"Scheiße!!" Sofort ließ sich Joey auf die Knie sinken, grabschte nach ihm und suchte hektisch nach dem richtigen Schlüssel.

"Joey!" Die Tür erbebte unter einem Tritt. "Ich komme wieder! Ich bringe dich um!!"

Endlich wurde Joey fündig. Hastig schloss er die Tür ab, warf den Schlüssel fort und schob sich zurück. Er kroch bis zur nächsten Wand, vor diese kauerte er sich und presste beide Hände auf das Gesicht. Erneut erzitterte die Tür, dann kehrte Ruhe ein. Joey verblieb reglos, atmete schnell und röchelnd und wartete auf die Schritte. Diese ertönten bald. Chester schien es eilig zu haben, als er die Treppen hinab sprang. Auch die Haustür hörte Joey donnern.

Dennoch blieb er sitzen. Er rührte sich nicht von der Stelle, versuchte seinen Atem zu unterdrücken und lauschte dem langsamen Ticken der Wanduhr. Was war gerade passiert? Joey wollte es nicht wahrhaben. Dieser Chester, der anfangs nur lästig auf ihn gewirkt hatte, war zu einem Monstrum geworden! Auf was hatte er sich nur eingelassen?! Warum war er sich dessen nicht bewusst gewesen, als er die Zigarette angenommen und sich an dem Gespräch beteiligt hatte!

Was sollte er jetzt tun?

Stockend ließ er die Hände sinken und blickte auf. Sein Gesicht war etwas blass, das Blut an seiner Unterlippe wirkte durch diese Helligkeit noch röter. Auch die Prellung auf seiner Wange stach auffällig hervor. Er öffnete den Mund, atmete tief ein und sah sich um.

Die Polizei…?

In diesen Sekunden konnte er keinen klaren Gedanken fassen. Bald richtete sich sein Blick auf das Messer, das knapp einen Meter von ihm entfernt, im Boden steckte. Das Blut war schnell von der sauberen Klinge geperlt, hinterließ nur einen Fleck auf dem Parkett.

Und wo zur Hölle war sein Vater?!

Wäre er da gewesen, hätte es nie so weit kommen müssen!!

Joey wandte den Blick von dem Messer ab und blinzelte müde. Noch nie hatte er so eine Brutalität erfahren. Kleinere Raufereien, natürlich. Doch so etwas war ihm neu. Was für Überraschungen und Neuigkeiten hielt das Leben noch für ihn bereit? Joey wollte es nicht wissen, wenn sie in dieselbe Richtung gingen. Erneut atmete er tief ein, ließ den Kopf hängen und setzte sich gemütlicher hin.

Jetzt hatte er keinen Hunger mehr.

Lahm streckte er beide Beine von sich, lehnte den Hinterkopf gegen die Wand und schloss die Augen.

>Mein Kopf fühlt sich an, als tobe soeben ein Unwetter in ihm. Und mein Bauch... ich kann nicht mehr, will in mein Bett.< Er hustete leise, räkelte sich kurz und fuhr sich mit dem Ärmel über den Mund. >Ich gehe zur Polizei, habe keine Lust in Angst zu leben!<

Ja, er traute Chester die Rückkehr zu. Wenn man es so sah, hatte er nun auch einen Katagori am Hals. Toll, eine weitere Gemeinsamkeit mit Kaiba. Als er die Hände erneut hob, um sein Hemd zuzuziehen, meldete sich plötzlich das Handy. Und obgleich es nur ein leiser und eigentlich angenehm klingender Ton war, zuckte Joey zusammen und musste erst nach Luft schnappen, bevor er sich langsam aufrappelte, sich auf Knien zu einer kleinen Kommode schob und nach dem Handy griff.

"Seto…!", stieß er erleichtert aus, als er einen kurzen Blick auf den Display warf. "Oh Gott…!" Er ließ sich wieder auf den Boden sinken. Hastig drückte er eine Taste und hob das Handy zum Ohr. "Seto!", ächzte er sofort. "Wo bist du?!"

"Soeben in Domino angekommen", erhielt er zur Antwort.

Ein schwaches Lächeln zeichnete sich auf Joeys blassem Gesicht ab und er seufzte erleichtert.

"Hast du etwas dagegen, dass ich noch einmal kurz zur Firma fahre?", fragte Kaiba mit einem leisen Sarkasmus in der Stimme. "Es liegt auf dem Weg und..."

"Nein!", rief Joey sofort. "Bitte! Kannst du nicht gleich zu mir kommen?!"

Eine kurze Stille folgte daraufhin.

"Ist bei dir alles in Ordnung?"

"In Ordnung?? Nichts ist in Ordnung!" Es sprudelte nur so aus Joey heraus. "Ich... bitte komm schnell, ja?! Ich will jetzt nicht länger allein sein!"

"Was zur Hölle ist passiert?!"

"Ich..." Joey seufzte erschöpft und ließ den Kopf sinken. "Ich erzähle es dir, wenn du hier bist. Komm schnell, ja?"

"In Ordnung. Ich bin in fünf Minuten da."

"Danke." Joey atmete tief ein, ließ das Handy sinken und legte auf.

>Was soll ich ihm sagen?<, dachte er sich daraufhin. >Er wird ausrasten!<

Das Handy ließ er liegen, als er sich langsam auf die Beine kämpfte. Seine Knie waren etwas weich, in seinem Kopf brach ein Gefühl des Schwindels aus. Mit unsicheren Schritten trottete er auf das Messer zu, bückte sich und zog es aus dem Boden. So einen Anblick durfte er Kaiba nicht zumuten. Er würde sich viel zu große Sorgen machen, das Schlimmste vermuten. In der Küche wusch er kurz das restliche Blut von der Klinge. Anschließend wischte er das Blut im Flur fort und schlüpfte aus dem Hemd, das völlig zerrissen war. Die Hose knöpfte er wieder zu, und bevor es klingelte, schaffte er es gerade noch, sich ein frisches Hemd überzustülpen. Die beiden Schläge, die seinen Bauch getroffen hatten, hatten ihre Spuren hinterlassen. Nur eine rötliche, leicht bläuliche Verfärbung der Haut, mehr nicht. Und er hatte den Schock noch immer nicht überwunden, als er auf die Tür zutrottete. Seine Hände zitterten und ihm war nach Heulen zumute. Ganz plötzlich, ohne dass er es erklären konnte. Während es erneut klingelte und er nach dem Schlüssel suchte, überlegte er verbissen, was er Kaiba sagen sollte. In der Wohnung hatte er hoffentlich alle Spuren des Kampfes beseitigt. Also könnte er doch einfach sagen, dass er auf der Straße überfallen worden war? Ja, genau das würde er tun. Endlich wurde er fündig, schloss auf und öffnete die Tür. Und als er Kaiba sah, wuchs die Lust in ihm, einfach in Tränen auszubrechen. Er sah ihn nur kurz an, ließ die Hand von der Klinke rutschen und wandte sich ab. Hinter ihm betrat Kaiba den Flur und schloss die Tür hinter sich.

"Hey." Etwas zögerlich wandte sich Joey ihm zu und grinste matt. "Schön, dass du so schnell kommen konntest."

Kaiba trat langsam näher, hob die Hand und legte zwei Finger unter Joeys Kinn. Er drängte sein Gesicht höher und besah es sich gründlich. Joey blinzelte und wandte den Blick ab.

"Ich habe mir verdammte Sorgen um dich gemacht!" Kaiba ließ die Hand sinken und brummte leise. An seinem Ton konnte man deutlich erkennen, dass er gestresst und müde war. "Was hast du gemacht? Dich geprügelt?"

Verdattert sah Joey ihn an, nebenbei zog er das Hemd enger um sich und verschränkte die Arme vor dem noch immer schmerzenden Bauch.

"Nein... ähm..."

Am Ende der Nerven schüttelte Kaiba den Kopf und rieb sich die Stirn.

"Was hast du sonst gemacht", fragte er entnervt.

>Ich habe mir wohl einen ungünstigen Zeitpunkt ausgesucht, um mich gegen einen Irren zu wehren!< Joey schluckte schwer. >Ich kenne ihn, wenn er so ist...<

Schweigend starrte er ihn an, es fielen ihm einfach keine Worte ein. Sein Vater war nicht da, um ihm zu helfen, Chester hatte ihm übel mitgespielt und nun maulte auch noch Kaiba, fühlte sich vermutlich mit allem überfordert. Unentschlossen öffnete er den Mund und wandte den Blick ab. Auch Kaiba fuhr nicht fort. Nachdem er leise gestöhnt hatte, richtete er sich auch wieder auf und musterte ihn scharf.

>Das kann doch nicht wahr sein!< Joey schluckte erneut.

"Joseph!", ermahnte Kaiba ihn. "Sagst du mir jetzt, mit wem du dich geprügelt hast, oder nicht!"

>Mit wem ich mich geprügelt habe??< Joey biss die Zähne zusammen und erwiderte seinen Blick ebenso scharf.

"Geprügelt??", stieß er dann aus und ließ die Arme sinken. "Ich habe mich nicht geprügelt!! Verdammt noch mal, was denkst du eigentlich von mir?! Ich...", er stoppte und schnappte nach Luft, "ich... habe nichts getan!!"

Diese Reaktion schien Kaiba zu überraschen. Sein Blick verlor einen Teil der Härte, als er Joey anstarrte. Dieser war plötzlich außer sich, fuchtelte mit den Händen und begann zu schreien.

"Da... da ist dieser Typ!! Ich habe ihm gesagt, dass ich nichts von ihm will aber er hat mich trotzdem nicht in Frieden gelassen!!"

"Wovon redest du?", erkundigte sich Kaiba verwirrt.

"Ich habe ihn gestern getroffen!!" Nun stiegen Joey doch die Tränen in die Augen. "Er hat mich... wollte mich..." Beinahe verschluckte er sich am eigenen Atem, wich unbewusst vor Kaiba zurück, als dieser auf ihn zutrat. "Er war auch hier!" Joey starrte ihn flehend an. "Plötzlich stand er hinter mir!! Ich habe mich gewehrt, aber er war zu stark!! Und... und..." Ein Schluchzen unterbrach ihn.

"Hey." Kaiba legte eine Hand auf seine Schulter, zog ihn zu sich und nahm ihn in die Arme. Sofort krallte sich Joey an ihn und brach in Tränen aus. Kaibas Miene wirkte verbissen, als er ihn festhielt. "Beruhig dich erst einmal."

"Ich konnte mich nicht wehren!" Verkrampft krallte sich Joey in seinen Mantel, presste das Gesicht gegen seine Brust. "Er hat mich festgehalten... und... ich habe ihm gesagt, dass ich das nicht will!"

"Was...", Kaiba verzog das Gesicht, lockerte die Umarmung und versuchte einen Blick auf Joeys Gesicht zu werfen, "… was hat er mit dir gemacht!"

"Ich habe alles versucht!", schluchzte Joey. "Aber er war zu stark!!"

In dieser Sekunde ergriff Kaiba ihn an den Armen und drückte ihn von sich, so, dass er ihn ansehen konnte.

"Hat er dich…?!"

"Nein!", rief Joey sofort und schüttelte hastig den Kopf. "Nein, ich... ich habe das nicht zugelassen!"

Noch kurz starrte Kaiba ihn an, dann atmete er tief ein, zog ihn zu sich und umarmte ihn erneut.

"Gott sei Dank!", stöhnte er, als er ihn an sich presste.

Joey schluckte die Tränen hinunter und erwiderte die Umarmung. "Ich hätte es nie zugelassen…!", keuchte er leise.

"Verzeih mir." Langsam ließ sich Kaiba auf die Knie sinken und Joey folgte ihm. Gemeinsam hockten sie sich auf den Boden, rückten näher aneinander und verblieben so. Joey streckte die Beine von sich, bevor er sich an Kaiba lehnte, sich an ihn kuschelte und die Augen schloss. "Es tut mir leid."

"Hm." Joey nickte langsam, spürte, wie eine Hand zärtlich durch seinen Schopf fuhr, ihn beruhigend streichelte. Nun, da er endlich wieder in Kaibas Armen lag, fühlte er sich sicherer. Einige Minuten schwiegen sie, dann spürte Joey, wie Kaiba tief einatmete.

"Was hat er getan", fragte er leise und doch war eine ungeheuerliche Wut in seiner Stimme auszumachen. "Hat er dir... sehr weh getan?"

"Es geht schon", murmelte Joey müde und öffnete die Augen einen Spalt weit. "Aber... mein Rücken schmerzt."

"Dein Rücken?" Kaiba begann sich zu bewegen.

"Ja." Joey löste sich von ihm und richtete sich etwas auf. "Schaust du mal, ob alles in Ordnung ist?"

Sofort nickte Kaiba und erhob sich auf die Knie, Joey neigte sich etwas nach vorn, stützte sich auf dem Boden ab und ließ den Kopf hängen. Kurz darauf schob Kaiba die Hände unter sein Hemd, zog es auf dem Rücken höher und ließ seine Fingerkuppen über seine Haut gleiten. Joey schloss die Augen. Kaiba betastete auch die ehemalige Wunde, was er äußerst feinfühlig und vorsichtig tat. Wieder herrschte Stille und Kaiba untersuchte seinen Rücken nach Verletzungen, dann beugte er sich über ihn und küsste die längliche Narbe; an Joeys Lippen zog ein knappes, müdes Lächeln.

"Es ist alles in Ordnung." Er streifte das Hemd wieder hinab, richtete sich auf und zog Joey gleich mit sich. Er ließ jedoch nicht zu, dass er ihn wieder umarmte, legte die Hände auf seinen Nacken und blickte ernst in die glänzenden braunen Augen, die sich auf ihn richteten.

"Joseph", sagte er tief Luft holend. "Es tut mir leid, dass ich nicht da war, als du Hilfe brauchtest."

Joey ließ den Blick sinken, nickte knapp. Auch Kaiba starrte auf den Boden.

"Wir führen eine schwere Beziehung", meinte er nach langem Überlegen, seine Finger begannen seinen Nacken zu kraulen. "Es ist nicht leicht für mich, mich auf so viele Dinge konzentrieren zu müssen."

Sofort nickte Joey.

"So ist es nun einmal. Ich würde mich wundern, wenn uns nichts im Wege stünde." Er seufzte leise, hob die Hände und legte sie um Kaibas Rücken. "Es gibt immer Hürden, die man überwinden muss aber diese Erfahrungen werden uns immer mehr zusammenschweißen. Sicher gibt es noch viel, das wir durchzustehen haben, bevor wir unsere Ruhe haben."

Kaiba sah ihn ausdruckslos an.

"Mach dir nur keine Sorgen", versuchte Joey ihn verzweifelt aufzuheitern. Er erwiderte seinen Blick sicher und zwang sich ein Lächeln auf. "Du holst mich aus dem grauen Alltag, garantierst mir ein spannendes Leben."

"Diese Art von Leben ist nicht spannend", widersprach Kaiba kopfschüttelnd, seine Hände hielten in den Bewegungen inne. "Es ist gefährlich, mehr nicht."

"Aber wir leben." Joey ließ den Kopf hängen. "Und was soll uns denn passieren, wenn wir zusammen sind?"

"Das hast du ja schon gesehen", murmelte Kaiba.

"Ich habe meine Lektion gelernt." Endlich richtete sich Joey vollends auf. Auf den Knien rutschte er näher an Kaiba heran. "Ich habe das Schlimmste wohl schon hinter mir. Und", er legte die Arme um seinen Hals und lächelte wieder, diesmal jedoch kraftvoller, "wenn dir etwas passieren sollte, werde ich dich beschützen und auf dich aufpassen. Ich werde dich umsorgen, so wie du es auch für mich getan hast."

Kaiba verzog das Gesicht und öffnete den Mund, unsicher, was er daraufhin erwidern sollte. Doch Joey lehnte sich nach vorn und legte die Stirn gegen die seine. Auch ihre Nasenspitzen berührten sich kurz und kitzelnd, als er sich höher schob, seine rechte Augenbraue küsste.
 

~*to be continued*~

Neben dem Pfad

Als Joey die Augen öffnete, fand er sich in einem großen Bett wieder. Schläfrig blinzelte er, bevor er sich langsam aufrappelte und die Kissen zur Seite kämpfte. Müde setzte er sich auf, zog die Decke über die Schultern und sah sich um. Ohne Umschweife fiel sein Blick auf die Stelle neben ihm. Dort war das Bettlaken etwas zerknittert, die Kissen ebenfalls zerwühlt.

Er runzelte die Stirn und drehte das Gesicht zur anderen Seite.

Wo war Kaiba?

War er nicht neben ihm eingeschlafen?

Er grübelte über sein plötzliches Verschwinden und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Hatte er nicht gesagt, dass er früh in die Firma müsste?!

"Verflucht!" Joey warf sich auf die Seite, schob sich bis zu dem Nachtschrank und grabschte nach dem Wecker. Er zog ihn zu sich und warf einen kurzen Blick darauf. Es war erst neun Uhr, vielleicht war Kaiba ja noch hier? Ohne zu zögern befreite er sich aus der Decke, sprang aus dem Bett und eilte zu seinen Kleidern. Hastig grabschte er nach seinen Shorts, da öffnete sich die Tür und er hielt in der Bewegung inne. Glücklicherweise war diese Störung keinem Angestellten zu verdanken. Immerhin stand er splitternackt dort und ließ nun die Shorts sinken. Nein, Kaiba war es, der den Kopf in das Zimmer streckte.

"Seto?" Verwundert richtete sich Joey auf. "Du bist ja noch hier? Gott sei Dank!"

Kaiba ließ flüchtig den Blick über seinen Körper schweifen, dann trat er ein.

"Sieht ganz so aus, nicht wahr?"

"Ja." Joey lachte selbstverspottend und blickte an sich hinab.

"Ich bin seit zwei Stunden auf den Beinen." Mit dem Fuß schloss Kaiba die Tür hinter sich, verschränkte die Arme und lehnte sich mit dem Rücken gegen das massive Holz. Er besah sich Joey erneut und das mit aller Seelenruhe, nicht einmal darauf bedacht, es unauffällig zu tun.

"Kann ich...", Joey fuchtelte mit den Shorts, "... mich jetzt anziehen?"

Kaiba ließ ihn lange auf eine Antwort warten. Er legte den Kopf zur Seite, verzog einschätzend die Augenbrauen und schnalzte mit der Zunge. Joey erwiderte seinen Blick lange, dann hielt er sich die Shorts vor die Hüfte und streckte den Kopf vor.

"Was guckst du so?"

"Macht dich das nervös?" Stellte Kaiba eine Gegenfrage. Ein leichtes Grinsen zog an seinem Mundwinkel.

"Nein... nein natürlich nicht." Joey schüttelte den Kopf. "Aber gibt’s da noch was Neues zu sehen?"

"Darf ich dich trotzdem anschauen?", stocherte Kaiba weiter. Es hatte doch wirklich den Anschein, als wolle er Joey mit voller Absicht nervös machen.

"Klar darfst du." Joey gab auf, ließ die Shorts fallen und verschränkte resigniert die Arme vor der Brust. "Schau dich satt!"

"Na gut." Grinsend schüttelte Kaiba den Kopf, griff wieder nach der Türklinke. "Dann will ich dich nicht weiter quälen." Er öffnete die Tür. "Zieh dir etwas an und komm dann runter."

"Natürlich ziehe ich mir etwas an!" Joey lachte und streckte ihm die Faust nach. "Das musst du mir nicht sagen!"

Sobald sich die Tür schloss, schlüpfte er in die Shorts und zog sich auch den Rest seiner Kleider über. Letzten Endes schlüpfte er in seine Schuhe und trödelte in den Gang hinaus. Mokuba war einmal mehr bei Bikky. Was könnte schöner sein? Kaiba und er hatten das ganze Haus für sich allein, mussten sich nicht einmal vor kleinen Jungen fürchten, die zu den unpassensten Zeiten hereingestürmt kamen, um die, die sich soeben etwas Tolles vorgenommen hatten, zu erschrecken. Nein, sie hatten ihre Ruhe. Und das hatte sie in der vergangenen Nacht ausgenutzt. Während er die vielen Türen hinter sich ließ, fuhr er sich durch den Schopf und wunderte sich, wie lang seine Haare wieder geworden waren. Er müsste bald zum Friseur, oder... er ließ sie sich einfach wachsen? Er beschloss, diese wichtige Entscheidung ein anderes Mal zu treffen. Während er die Treppe hinab stieg, band er sich einen lockeren Zopf und erspähte kurz darauf Kaiba, der bereits im Foyer stand und auf ihn wartete. Sobald er ihn auch bemerkte, fuchtelte er mit der Hand.

"Komm, wir haben keine Zeit."

"Kein Frühstück?" Joey schlenderte näher, blieb vor ihm stehen und zupfte an dem Kragen seines Mantels, der etwas schief saß. Kaiba brummte und schüttelte seine Hand ab.

"Heute musst du zu Hause frühstücken", erklärte er und wandte sich ab. "Ich hatte auch keine Zeit, konnte nicht einmal einen Kaffee trinken. Jetzt muss ich zu einem Termin. Komm jetzt." Er ging los. "Ich bringe dich nach Hause. Dort kannst du ja ein paar Sachen packen und wieder herkommen. Aber jetzt..."

"... bleibt uns wirklich keine Zeit", beendete Joey für ihn und trat hinter ihm aus der Tür.

"Genau." Im Gehen drehte sich Kaiba zu ihm um. "Schlimm?"

"Ach wo." Joey fuchtelte mit den Händen und folgte ihm weiterhin. "Kein Problem."

Nachdem der Chauffeur die Tür geöffnet hatte, stiegen die beiden ein. Kaiba zückte sogleich sein Handy, doch Joey schien den Chauffeur plötzlich sehr interessant zu finden. Bevor Kaiba jemanden anrufen konnte, zupfte er an seinem Ärmel und rückte näher zu ihm.

"Das frage ich mich schon seit gestern", fing er an und Kaiba ließ kurz das Handy sinken, lugte zu ihm.

"Was?"

"Na ja." Joey juckte sich die Stirn. "Wo ist Jeffrey?"

"Wer?"

"Dein Chauffeur", antwortete Joey. "Mit deinen Angestellten kennst du dich ja nicht aus, oder?"

"Warum sollte ich?" Kaiba wandte sich ab und begann wieder zu tippen. Da setzte sich die Limousine in Bewegung und Joey beobachtete den fremden Fahrer nachdenklich. "Ich habe Besseres zu tun."

"Natürlich, versteh ich. Aber wo ist Jeffrey denn nun?"

"Ich glaube, der ist krank. Bis er wieder hier ist, habe ich einen Ersatz."

"Ach so." Joey atmete tief ein und schloss die Augen.

Nachdem Kaiba mit irgendjemandem telefoniert und diskutiert hatte, wandte er sich an den neuen Chauffeur.

"Bei der nächsten Tankstelle halten Sie an", befahl er, der Mann nickte. "Ich brauche einen Kaffee."

Joey schmatzte und gab sich einem tiefen Gähnen hin.

"Du brauchst anscheinend auch einen."

"Hm." Joey nickte.
 

Nach wenigen Minuten fuhr die Limousine auf eine kleine Tankstelle ein und blieb stehen. Kaiba saß soeben gemütlich dort, außerdem könnte er nicht aufstehen ohne Joey zur Seite zu schubsen. Also befahl er dem Fahrer, zwei Kaffee zu holen. Der Mann drehte sich zu ihm um, erwiderte seinen Blick kurz und nickte bereitwillig. Dann stieg er aus und Joey sah ihm nach.

"Der scheint sich ja richtig gefreut zu haben, Kaffee holen zu dürfen", bemerkte er.

"Was interessiert's mich."

"Hm." Joey schloss wieder die Augen, machte es sich an den Rückenpolstern bequem und war wirklich dazu fähig, wieder einzuschlafen. Er blieb dort liegen und lauschte Kaibas gleichmäßigen Atemzügen. Dann, nach kurzer Zeit, öffnete sich die Tür und Kaiba wurden zwei Becher gereicht. Doch als sich die Tür schloss, bekam Joey die Becher in die Hand gedrückt, da Kaiba noch einmal kurz in seinem Koffer wühlen musste.

Beide Kaffee waren schwarz, woran sich Joey nicht wirklich störte. Seit er bei Kaiba frühstückte, hatte er sich daran gewöhnt. Dieser zog einige Unterlagen hervor, warf sie erst einmal neben Joey auf den Sitz und lehnte sich zurück; die Limousine fuhr wieder ab. Joey besah sich die beiden Becher.

"Welchen willst du?" Er lugte verspielt zu Kaiba.

"Egal, gib her."

"Okay." Joey grübelte kurz. "Du bekommst den."

"Hm." Kaiba griff danach und trank sofort einen großen Schluck.

Joey befasste sich mit seinem Becher und als sie sein Haus erreichten, hatte er gerade erst wenige Schlucke getrunken. Kaiba hingegen, hatte seinen Becher in einer Rekordzeit geleert und machte sogar den Anschein, als wolle er auch noch Joeys Becher für sich beanspruchen. Bevor er dies jedoch schaffen konnte, öffnete Joey die Tür und schob sich hinaus.

"Wann kann ich zu dir kommen?", erkundigte er sich noch schnell, während er nach dem Schlüssel suchte.

"In zwei Stunden", antwortete Kaiba. "Schließ ab und pass auf dich auf."

"Ja, natürlich." Joey schenkte ihm ein knappes Grinsen, richtete sich auf und schlug die Tür zu. Ohne auf irgendetwas zu warten, schob er dann die Haustür auf und trat in das Treppenhaus. Auch dort sah er sich um, bevor er die Treppen hinaufstieg. Doch niemand war hier, also konnte er sich getrost Zeit lassen.

Als er dann seine Wohnung betrat, bemerkte er jedoch mit größtem Missfallen, dass er noch etwas äußerst Unangenehmes zu tun hatte. Auf dem Sofa hafteten noch einige Blutspritzer und insgesamt sah es etwas unordentlich aus. Also putzte er ein bisschen und erhielt anschließend einen Anruf von Yugi. Mit diesem tratschte er etwas, sagte, wie gut es ihm ginge und wie sehr er sich auf das Wiedersehen freute und so. Und als er auflegte, blieb ihm nur noch eine Stunde, bis er sich wieder auf den Weg machen konnte. Zum Frühstücken kam er nicht mehr, denn er schlüpfte in neue Sachen, stopfte andere schnell in eine Tasche und brach dann schon zu früh auf. Bei Kaiba gab es immer jemanden, der ihn hinein ließ.

Als er auf die Straße hinaustrat, wurde er wieder vorsichtiger, sah sich um und hielt sich nahe bei großen Menschenmengen. Und es fiel ihm etwas schwer, den Weg zurück zu Kaiba zu finden, obgleich er bei diesem mehr Zeit verbrachte, als bei sich zu Hause. Aber bisher war er immer abgeholt worden. Doch es bestand keine Gefahr, dass Joey zu einem verzogenen verwöhnten Bengel mutierte. Er genoss den Weg und freute sich auf Kaiba. Wieder fragte er nach dem Weg, wieder hörte er so etwas wie:

"Du weißt nicht, wo Seto Kaiba wohnt??"

Bla, bla, bla - furchtbar! Letzten Endes erreichte er das riesige Tor doch nur eine viertel Stunde zu früh. Aber Kaiba schien noch nicht da zu sein. Er sah sich kurz um, da öffnete sich das Tor auch schon und er konnte eintreten. Gemächlich schlenderte er über den breiten Schotter, hinauf zu der riesigen Villa. Er grüßte einen Gärtner, der die Büsche stutzte und wurde freundlich zurück gegrüßt. Es kam nicht oft vor, dass sich Kaibas Gäste für die Angestellten interessierten. Nun, eigentlich kam es auch nicht oft vor, das Kaiba Gäste hatte. Dann erreichte er das Haus und erspähte den Pinguin, der dort vor der Tür stand und sich sicher einmal mehr vor Augen führte, was für einen spannenden Job er doch hatte. Sein Gesicht ließ jedoch meinen, dass er mit sich und der Welt zufrieden war. Joey schulterte seine Tasche neu und stieg die Treppen hinauf. Da machte der Mann einen kleinen Knicks und griff nach der großen Türklinke.

"Guten Tag, Herr Wheeler."

"Joey." Hinter ihm trat Joey in das große Foyer. "Wie oft habe ich Ihnen denn schon gesagt, dass Sie mich Joey nennen sollen?"

"Dreizehn mal, Herr Wheeler", antwortete der Pinguin höflich und machte sich daran, die Tür zu schließen. Verdattert sah Joey ihm nach, dann zuckte er mit den Schultern und trödelte auf die Treppe zu. Als er die erste Stufe hinter sich hatte, hörte er weiter oben schnelle Schritte. Kurz blieb er stehen und lauschte. Kurze Zeit später, erschien Mokuba, der ihm eilig entgegen kam.

"Joey!", rief er heiter, blieb stehen und wedelte mit den Armen.

"Mokuba?" Joey hob die Augenbrauen. "Was machst du denn schon hier?"

"Na, ich wohne hier, und du?", fragte der Junge zurück.

"Na, ich besuche euch."

"Toll!" Mokuba lachte, beugte sich nach vorn und schnappte nach seinem Ärmel, um ihn höher zu ziehen. "Kommst du mit? Bikky und ich spielen Playstation!!"

"Oh, natürlich!"
 

Kurze Zeit später, saß Joey mit den beiden Jungs in Mokubas Zimmer und versuchte verzweifelt, Mokuba zu schlagen. Bikky war der, der immer zuerst verlor. Es machte Joey keine großen Probleme, dafür zu sorgen. Nur an Mokuba biss er sich die Zähne aus.

>Könnend und gerissen, wie Seto!!<, dachte er sich verbissen, als er den kleinen Joystick herumriss und auf die Tasten schlug. Er wusste nicht, wie lange er dort saß, wie oft er gegen Mokuba verlor und sich ärgerte. Auf jeden Fall wurde er immer wieder zu einem neuen Spiel überredet. Und als sich dann die Tür öffnete, bemerkte er es nicht.

"Verdammt!" Unverdrossen beugte er sich nach vorn und starrte auf den großen Bildschirm. "Das kann doch nicht... hey, das ist gemein!"

Er leckte sich die Lippen, konnte nicht glauben, dass er gegen Mokuba verlor.

Das war doch sein Lieblingsspiel!

"Hast du noch einen Klassenkameraden mitgebracht, Mokuba?", ertönte hinter ihm plötzlich eine Stimme und er fuhr herum. Da stand Kaiba und blickte durchaus kritisch auf ihn herab. "Seto!" Mokuba warf den Joystick fort.

"Seto…!" Joey musste sich erst von diesem Schrecken erholen. Er tat es Mokuba gleich und rappelte sich auf. "Musst du mich so erschrecken?"

Bikky zog ein langes Gesicht und rutschte weiter weg. Wenn er stets als erstes verlor, fand er keinen Spaß an diesem Spiel!

"Habe ich?" Kaiba ließ die Hände in die Taschen seines Mantels rutschen und schüttelte amüsiert den Kopf. "Du scheinst etwas schreckhaft zu sein."

"Die Köche wollten schon das Mittagessen machen", meldete sich Mokuba wieder zu Wort und sprang auf die Beine. "Aber ich habe ihnen gesagt, dass sie warten sollen, bis du da bist. Sicher hast du doch Hunger." Er zupfte am Mantel seines Bruders. "Oder?"

"Ja", antwortete Kaiba. "Könnte man sagen."

Joey tätschelte Bikkys Schopf, dann richtete er sich auf und grübelte kurz. Währenddessen stand Bikky auf und rannte weg, Mokuba zupfte weiterhin an Kaibas Mantel.

"Was haltet ihr davon", Joey hob den Zeigefinger und zwei Augenpaare richteten sich auf ihn, sogar Bikky lehnte sich wieder in das Zimmer und hob die Augenbrauen, "… wenn ich koche?"

"Du kannst kochen?" Joey konnte kochen und Mokuba konnte es nicht glauben.

"Japp!", erwiderte Joey stolz und stützte die Hände in die Hüften.

Kaiba hatte keine Einwände.
 

Die Köche wurden erst einmal nach Hause geschickt und die Küche geräumt, bis nur noch Mokuba, Bikky und Kaiba dort herumstanden. Kaiba setzte sich jedoch nach wenigen Sekunden hin und beobachtete Joey, wie dieser die Schränke durchwühlte. Die Küche war riesig. Alles war schön zu betrachten. Sicher machte es großen Spaß, hier zu kochen.

Während Joey noch verzweifelt um eine gewissen Übersicht kämpfte, begannen die beiden Jungen Fange zu spielen, bis Kaiba sie nach draußen schickte, damit sie dort weiterspielen konnten. Er selbst blieb sitzen, schlüpfte aus seinem Mantel und machte es sich auf seinem Stuhl gemütlich.

Endlich entdeckte Joey den Kühlschrank. Er öffnete ihn und warf einen kurzen Blick hinein. Und dieser kurze Blick genügte, dann wandte er sich Stirnrunzelnd an Kaiba.

"Ist das nicht ein bisschen zuviel für dich und Mokuba?"

"Für die Küche und die Einkäufe bin ich nicht zuständig", antwortete Kaiba ihm etwas gelangweilt.

"Aha." Joey wandte sich ab, schloss den Kühlschrank und begann etwas herumzuwandern. Nach wenigen Momenten blieb er wieder stehen, lehnte sich gegen den Herd und besah sich ihn mit kecker Miene.

"Kannst du kochen?"

"Kochen", wiederholte Kaiba etwas angewidert. "Warum sollte ich."

Joey hob abwehrend die Hände. "War nur eine Frage."

Dann machte er sich an die Arbeit. Er fand alles, was er brauchte, musste nicht einmal einkaufen zu gehen, um alle Zutaten zu haben, die er für ein tolles Gericht benötigte. Kaiba saß nur da, starrte vor sich hin und ließ ihn arbeiten. Natürlich, er hatte für das alles bezahlt, bezahlte auch seine Angestellten. Es war sein Geld, das er mit harter Arbeit verdient hatte. Trotz alledem war Joey der Meinung, dass er ihm ruhig etwas helfen könnte. Also zog er ihn am Ärmel auf die Beine und drückte ihm prompt ein Messer in die Hand.

"Was soll das werden", erkundigte sich Kaiba weniger begeistert.

"Na, was wohl." Joey drängte ihn zu einer der Arbeitsflächen. "Du kannst die Paprika schneiden, anstatt herumzusitzen."

"Ich soll was machen…?" Kaiba hörte sich ungläubig an, benahm sich, als hätte man versucht, ihm einen Bären aufzubinden. Er starrte das Messer an und bekam bald alles Nötige vorgelegt.

"Schneiden", sagte Joey wieder und lachte leise. "Du weißt doch wie das funktioniert, oder?"

"Ich soll Paprika schneiden." Kaiba stand wie eine Salzsäule dort, starr vor Schreck.

"Genau." Joey tätschelte seine Schulter und gluckste leise, doch Kaiba sah nicht so aus, als wolle er bald anfangen. Joey werkelte etwas und hielt inne, als er ihn immer noch dort stehen, und auf die Paprika starren sah.

"Was ist?", fragte er und schob sich eine Gurke in den Mund.

Langsam drehte Kaiba das Gesicht zu ihm, starrte jetzt ihn an.

"Wo ist das Problem?" Joey kaute weiter. "Sag bloß, du kannst es nicht."

"Natürlich kann ich es." Kaiba brummte unzufrieden und warf der Paprika einen missmutigen Blick zu. "Warum holst du dir nicht einen der Köche zur Hilfe!"

"Weil ich sehen will, wie du aussiehst, wenn du Paprika schneidest", verriet Joey lachend.

"Das ist Blödsinn."

"Jetzt stell dich nicht so an." Seufzend machte sich Joey wieder an die Arbeit. "Du wirst stehen, dass es eigentlich Spaß macht."

"Paprika schneiden macht Spaß?" Kaiba runzelte die Stirn, gab Joey deutlich zu verstehen, was er von dieser ganzen Sache hielt.

"Kochen macht Spaß, ja." Joey war fest entschlossen, Kaiba zu überreden.

Dieser wendete das Messer kurz in der Hand, brummte etwas Verworrenes und griff nach dem armen Gemüse. Man freute sich wie ein Kind über diesen seltenen Anblick.

"Blödsinn", murrte Kaiba erneut und doch begann er dann zu schneiden. Joey warf ihm versteckte Blicke zu und irgendwie sah Kaiba einfach gut aus, wie er dort stand und die Paprika auseinandernahm. Selbst so eine Kleinigkeit ließ in Joey die Freude empor sprudeln. Kaiba stellte sich auch richtig geschickt an. Nachdem er diese Arbeit verrichtet hatte, wandte er sich jedoch ab und wollte sich wieder auf den Stuhl setzen. Doch Joey zog den stöhnenden jungen Mann zurück und legte ihm das Nächste vor, das auseinandergenommen werden wollte. Nur ein leises Knurren war aus seiner Richtung zu hören, dann nahm er die Sache wie ein Mann auf sich und bescherte Joey so manchen wundervollen Anblick. Nach wenigen Minuten legte er das Messer zur Seite, richtete sich auf und ließ einem herzhaften Gähnen freien Lauf.

"Was ist?" Joey verschlang die nächste Gurke und lugte zu ihm. "Schon müde?"

"Hm." Kaiba nickte und rieb sich die Augen. "Schon lange."

"Du warst heute aber auch früh auf den Beinen." Joey neigte sich wieder über sein Brettchen und zückte ein noch schärferes Messer - die Kartoffeln leisteten verzweifelten Widerstand. "Dann gehen wir heute eben etwas früher schlafen, hm?"

"Ist nicht ungewöhnlich, dass ich früh aufstehe." Kaiba griff nach hinten, nahm sich ein Paprikastück und hob es zum Mund.

"Eigentlich ist es aber doch verständlich. Ich meine, in Deutschland warst du auch die ganze Zeit auf den Beinen."

"Daran kann es liegen."
 

Der Tag wurde zu einem vollen Erfolg. Nachdem sich Kaiba Joeys Kreation schmecken gelassen hatte, grübelte er, ob er ihn nicht als Koch einstellen sollte. Auch Mokuba und Bikky waren begeistert. Aber die beiden waren nicht sehr anspruchsvoll, wenn es um das Essen ging. Also war es kein allzu großes Lob für Joey.

Dennoch war er guter Dinge, ließ sich sogar zu einem weiteren Spiel an der Playstation überreden. Währenddessen zog sich Kaiba noch kurz in sein Büro zurück. Es war am späten Mittag, als er zurückkam und die fleißigen Spieler unterbrach. Aber er wollte nur Joey entführen, mehr nicht.

"Wo gehen wir hin?", erkundigte sich dieser, als er neben Kaiba einher trödelte. Wenn man ihn von der Playstation holte, dann musste es schon einen triftigen Grund dafür geben.

"Frag nicht, warte." Kaiba stöhnte leise, zog ihn zu sich und legte den Arm um seinen Hals. "Und hör auf, so zu zappeln."

"Okay." Sofort war Joey still. Er versuchte, mit Kaiba Schritt zu halten, dann ließ er den Blick sinken und besah sich die Hand, die ruhig und sanft auf dieser wundervoll angenehmen Stelle lag. Er grinste, fasste nach ihr und hielt sie fest. Da blieb Kaiba aber schon stehen, wandte sich zur Seite und öffnete eine Tür. Neugierig streckte Joey den Kopf vor, sein Zeigefinger hakte sich hinterrücks in Kaibas Hosengurt.

"Was ist in diesem Raum?"

"Sieh nach." Kaiba zog die Hand zurück und schob ihn hinein.

Joey betrat einen Raum, der nicht allzu groß und ausnahmsweise nicht mit Marmor, sondern mit dunkelblauen und weißen Fliesen geschmückt war. Joey blieb stehen und sah sich um. Auch die Wände waren mit diesen Fliesen bedeckt. An der hintersten, linken Ecke befand sich ein säuberliches Wasserbecken, hier und dort waren kleine Vertiefungen im Boden zu erkennen. Joey erspähte auch eine schmale Wendeltreppe, die auf der anderen Seite des Raumes empor führte, doch was dieser Raum zu bedeuten hatte, das konnte er sich nicht vorstellen. Er drehte sich zu Kaiba um, wollte eine Frage stellen, doch da schnappte dieser nach seinem Ärmel und zog ihn weiter.

Er zog ihn bis zur Treppe, ließ ihn dort los und drängelte ihn die Stufen hinauf. Nun, drängeln musste er ihn eigentlich nicht, denn Joey ging freiwillig, war neugierig, was es dort oben zu sehen gab. Dieses Haus steckte doch voller Überraschungen.

Er stieg schneller, hörte Kaiba hinter sich gähnen. Bald endete die Treppe und er stieg langsamer. Seine Augen weiteten, und sein Mund öffnete sich. Zögernd trat er über die letzte Stufe. Plötzlich fand er sich in einem riesigen Raum wieder. Dieser bestand wieder aus Marmor, in seiner Mitte befand sich ein quadratisches Schwimmbecken. Es war riesig, das saubere Wasser warf unbeständige Muster an die hellen Wände. Joey blickte auf. Über ihm befand sich ein großes Glasdach, von dem man die Schönheit des blauen Himmels genießen konnte. Noch nie hatte Joey so etwas Herrliches gesehen.

Leise gluckste das Wasser gegen den Marmor, auf der einen Seite des Raumes befanden sich gemütliche Sitzbänke, die wie breite Stufen angebaut waren. Auf der anderen Seite erspähte Joey eine Sauna. Himmelherrgott… wenn er so ein Haus hätte, würde er in diesen Raum ziehen, den ganzen Tag herumliegen und schwimmen, bis seine Haut verschrumpelt war. Warum zur Hölle hatte Kaiba ihm diesen Raum noch nicht eher gezeigt?

Mit viel Überwindung schloss er seinen Mund und atmete tief ein. Hinter ihm war Kaiba stehen geblieben. Joey grübelte, besah sich das wundervolle Wasser erneut. Und da kam ihm ein Gedanke. Ein Grinsen zog an seinen Lippen, als er sich langsam umdrehte, die Arme vor dem Bauch verschränkte und näher schlenderte. Sobald er Kaiba erreicht hatte, umarmte er ihn und lehnte sich gegen seinen Bauch.

"Wolltest du mir das nur zeigen?" Er blickte auf und grinste ihn keck an. "Oder hast du Lust, etwas zu plantschen?"

"Plantschen", wiederholte Kaiba resigniert. "Ja, lass uns plantschen."

"Schön." Sofort griff Joey nach dem Saum seines Pullovers und zog ihn höher. Bereitwillig hob Kaiba die Arme, ließ zu, dass er ihm den Stoff über den Kopf streifte.

"Wie oft bist du hier?" Lässig warf Joey das Kleidungsstück zur Seite und wandte sich wieder Kaiba zu. Dieser ließ die Arme sinken und sah sich um.

"Nicht oft", antwortete er. "Gar nicht."

"Warum denn das?" Joey machte sich an seiner Hose zu schaffen. "Dieser Ort ist wundervoll! Genau richtig, um sich zu entspannen! Warum nimmst du deinen Laptop nicht einfach mal mit hier hinauf? Du könntest dich auf die Bänke da setzen...", er drehte die Knöpfe aus den Löchern, sah sich nach beiden Seiten um, "… und schon wirst du viel entspannter sein."

Daraufhin sagte Kaiba nichts. Er spürte, wie sich seine Hose lockerte und dann samt Shorts seine Beine hinab glitt. Joey kauerte sich vor ihn, zog die Hose bis zu seinen Knöcheln und zwickte ihm in die Wade, damit er seine Füße befreite. Lustlos stieg Kaiba aus der Hose und kurze Zeit später, flog auch sie zur Seite und blieb irgendwo liegen.

"Weißt du was?" Joey seufzte leise, setzte sich zurück und legte die Hände um seine Kniekehlen. Kaiba blickte erwartend auf ihn herab. "Wir setzen uns jetzt gemütlich in das Wasser und entspannen uns."

Kaiba legte den Kopf schief, hob eine Augenbraue.

"Also? Was ist?" Joey grinste, legte die Hände um seine Kniekehlen und ließ sie die festen Waden hinab gleiten.

"In Ordnung."
 

Nach wenigen Minuten saßen sie gemütlich auf einer Bank. Diese Bank befand sich am Rand des Pools, lag ungefähr einen halben Meter unter der Wasseroberfläche. Kaiba hatte sich gemütlich zurückgelehnt, hielt Joey in einer bequemen Umarmung; dieser saß schräg auf seinem Schoß, hatte die Arme um seinen Hals gelegt und bewegte die Beine in dem Wasser, das außerdem eine wundervolle Temperatur hatte. Die gesamte Atmosphäre hatte etwas Bezauberndes an sich. Bald legte Joey den Hinterkopf in den Nacken und betrachtete sich den Himmel, der noch immer so wunderschön blau war.

Er besah sich die Wolken, die langsam über ihnen vorbeizogen, er starrte so lange nach oben, bis Kaiba einen Arm löste und nach einer seiner langen Strähnen griff. Er besah sie sich nachdenklich, besah sich dann den Rest seiner Haarpracht.

"Was ist?" Joey lugte zu ihm.

Langsam ließ Kaiba seine Strähne los, der Arm verschwand wieder unter Wasser, legte sich um seinen Leib. Verwundert hob Joey die Augenbrauen.

"Sie sind lang geworden, nicht wahr?"

"Mm." Kaiba nickte.

"Was ist? Gefällt es dir nicht?" Joey strich einige Strähnen zurück, die ihm störend im Gesicht hingen.

"Weiß nicht."

"Du musst doch wissen, ob es dir gefällt." Joey runzelte die Stirn.

"Ich bin es nur nicht gewohnt", erklärte Kaiba endlich und wurde wieder auf die Haare aufmerksam.

"Verstehe ich das richtig?" Joey zog eine Grimasse, richtete sich auf und wandte sich Kaiba zu. Dann ließ er sich wieder auf seinen Schoß sinken und bewegte die Hände im Wasser. "Unterhalten wir uns jetzt über Haare und Frisuren?"

"Über was sollen wir uns sonst unterhalten." Kaiba wirkte etwas gelangweilt

"Öhm..." Joey legte den Kopf schief und grübelte etwas. Er dachte nach... dachte nach... dachte nach... und nahm Kaibas Haar unter die Lupe. Er nahm es ins Visier. "Also ich rede gern über Haare und Frisuren", erklärte er plötzlich, nahm die Hände aus dem Wasser und schob sie durch sein Haar. Er befeuchtete es, verwuschelte es und stellte noch andere Sachen damit an. Kaiba ließ sich alles gefallen und regte sich nicht einmal, als seine Haare vor Nässe trieften. Nach einigen Minuten richtete sich Joey wieder auf, drehte sein Gesicht nach links, nach rechts und betrachtete es sich.

"Sieht gut aus", grinste er. "Das ist fabelhaft... und zieh nicht so ein langes Gesicht."

"Daran liegt es nicht." Kaiba blähte die Wangen auf. "Mir ist übel."

"Dir ist übel?" Das wunderte Joey sehr.

Kaiba nickte.

"Seit wann denn das?", erkundigte er sich mitfühlend. "Gerade ging es dir doch noch gut?"

"Nein", verriet Kaiba.

Joey öffnete sprachlos den Mund. "Es liegt doch nicht etwa an meinem Essen, oder…?"

"Unsinn." Kaiba presste die Lippen aufeinander. "Deine... Kreation war exquisit."

"Da bin ich ja erleichtert." Seufzend umarmte Joey ihn. "Du Armer, kann ich irgendetwas für dich tun?"

"Ja." Kaiba atmete tief ein und schloss die Augen. "Bleib so."
 

Gemächlich ließ sich Joey auf Kaibas Steiß nieder, neigte sich nach vorn und begann ihn zu massieren. Behaglich und etwas schläfrig lag dieser dort, hatte das Gesicht im Kissen vergraben und ließ die angenehme Behandlung über sich ergehen.

"Gott, bist du verspannt!"

Ein leises Brummen drang durch das Kissen.

"Was ist denn mit dir los?" Joey tat sein Bestes, versuchte verzweifelt, die Verspannungen zu bekämpfen. Und solche Argen hatte er noch nie erlebt. "Wir sollten dann schlafen, damit du dich erholen kannst."

Wieder ertönte das Brummen, doch auch ein anderes Geräusch nahm Joey wahr. Seine Hände hielten in den Bewegungen inne, er blickte auf. Herrje, da meldete sich sein Handy.

"Warte kurz." Er tätschelte Kaibas Schulter und rappelte sich auf.

"Mm..."

In Shorts kämpfte er sich aus dem Bett, stolperte zu seinen Kleidern und kramte kurz.

"Ja?" Schnell nahm er ab.

Langsam begann sich Kaiba zu regen. Sein Leib hob und senkte sich unter einem tiefen Atemzug. Während Joey lauschte und tratschte, vergrub er sein Gesicht tiefer in den flauschigen Federn und brummte erneut. Wer auch immer da anrief, er schien viel auf dem Herzen zu haben, das er unbedingt loswerden wollte. Er blieb unterdessen reglos liegen und wartete, dass Joey endlich zurückkehrte. Er konnte verdammt gut massieren.

Aber Joey ließ sich alle Zeit der Welt und nach wenigen Minuten hob Kaiba das Gesicht und beobachtete ihn. Joey schwieg, lauschte nur und nickte vereinzelte Male. An seiner Miene war deutlich zu erkennen, dass es um etwas Ernstes ging. Kaiba wartete kurz, musterte seine Miene und ließ sich dann wieder auf das Kissen fallen.

Er schloss die Augen und entspannte sich so gut er konnte.

"Ja..." In schlendernden Schritten näherte sich Joey wieder dem Bett. "Ja, das finde ich auch. Hm? In Ordnung... ja..."

Langsam ließ er sich auf der Bettkante nieder, zog die Beine hoch und setzte sich in den Schneidersitz. Wieder nickte er und warf Kaiba einen knappen Blick zu. Dieser bewegte sich nicht.

"Ja, ich kann nach Hause kommen. Wann bist du da?" Er wandte sich ab und begann an seinen Zehen zu kratzen. "Aha, ja, natürlich. Wenn du willst? Um zwölf." Wieder begann er zu schweigen und lauschte. Wieder vergingen einige Minuten. Und während dieser Zeit zeichnete sich auf Joeys Gesicht eine leichte Nachdenklichkeit ab. Er nickte. "Okay Paps, bis dann." Mit diesen Worten legte er auf und ließ das Handy sinken. Er seufzte, warf es neben sich auf das Bett und rieb sich das Gesicht. Er schien kurz zu grübeln, dann drehte er das Gesicht zur Seite und beobachtete Kaiba. Dieser bewegte sich noch immer nicht.

"Hey." Joey streckte den Arm aus, berührte seinen Fuß. "Hey, Seto."

Keine Reaktion. Matt ließ Joey den Arm sinken und seufzte erneut.

"Hey. Hey, Seto." Langsam ließ er sich zur Seite fallen. "Ach man."

Er landete neben Kaiba in den Kissen, kuschelte sich an ihn und legte den Arm über seinen Rücken.

>Das gibt's doch nicht. Jetzt schläft er einfach ein...<

Er räkelte sich kurz, sog den angenehmen Geruch in sich ein und schloss müde die Augen.
 

"Du... Joey?"

Joey spürte, wie jemand an seinen Haaren zupfte. Doch er blieb liegen, brummte und drehte das Gesicht zur anderen Seite.

"Jooooey."

Da war aber einer hartnäckig. Als er auch noch gezwickt wurde, rutschte er weiter weg und zog sich das Kissen über den Kopf.

"Geh weg..." Mit letzter Kraft fuchtelte er mit der Hand und verblieb wieder reglos.

"Aber Joey...", hörte er eine Stimme jammern.

>Joey? Seit wann nennt er mich Joey, rupft an meinen Haaren und zwickt mich?< Wieder begann er sich zu bewegen. Er wühlte das Gesicht aus dem Kissen, drehte es zur Seite und rieb sich die Augen. Dann öffnete er sie.

"Joey!" Mokuba gluckste und neigte sich nach vorn, um ihn anzustarren. "Na endlich! Ich versuche schon seit zehn Minuten, dich wach zu kriegen!"

"Was'n los?" Schläfrig rappelte sich Joey auf und sah sich um: Das Bett war leer. Verwundert hob er die Augenbrauen. "Wo ist Seto?"

"Vorhin hat er sich übergeben, jetzt liegt er drüben und stänkert, weil der Arzt ihn nicht zufrieden lassen will."

"Er hat sich übergeben?" Joey kämpfte die Decke zur Seite und setzte sich auf. "Warum denn das?"

"Ja, keine Ahnung." Mokuba zuckte mit den Schultern. "Ihm war wohl schlecht."

"Herrje, gestern auch schon." Joey schüttelte den Kopf und wandte sich ab, um aus dem Bett zu rutschen. Sofort war auch Mokuba auf den Beinen und sprang neben ihm auf den Boden. "Ich werde mal nach ihm schauen."

"Er sieht nicht gut aus." Als Joey auf die Tür zutrottete, eilte Mokuba neben ihm einher. "Ich bin auch der Meinung, dass er sich etwas ausruhen sollte aber du kennst ihn ja."

"Oh ja." Joey öffnete die Tür und trat in Flur hinaus, noch immer war er müde, obwohl es schon in den frühen Mittagsstunden war. Er gähnte, zog seine Shorts zurecht und nahm direkten Kurs auf Kaibas Zimmer. Er erreichte die Treppe, schlenderte an ihr vorbei und bog in den nächsten Gang ein. Da öffnete sich eine der Türen.

"Niemand hat mir vorzuschreiben, was ich zu tun habe!", ertönte da eine nur allzu bekannte Stimme und Kaiba trat in den Gang hinaus, dicht gefolgt von dem Arzt, der aufgeregt mit den Händen fuchtelte. "Ich entscheide selbst, was ich mir zutrauen kann und was nicht!"

"So nehmen Sie doch Vernunft an!" Bettelnd stolperte der Mann hinter ihm her. "Sie können doch nicht..."

Er verstummte, als er Joey erspähte. Auch Kaiba bemerkte ihn und kam auf ihn zu.

"Joseph!" Der Arzt erreichte ihn als erstes, packte ihn an den Armen und rüttelte kräftig an ihm. "Bitte bringen Sie ihm Vernunft bei! In diesem Zustand kann er unmöglich arbeiten! Ich habe ihn gebeten, wenigstens eine Stunde..."

"Ich habe mich ausgeruht!", warf Kaiba grimmig ein und blieb neben ihnen stehen. "Ihre Reaktion ist ein weiteres Mal völlig übertrieben!"

"Sagen Sie doch etwas!" Wieder rüttelte der Arzt an Joey, dieser besah sich in der Zwischenzeit Kaibas Gesicht. Und dem Gesicht, oder besser gesagt, der Gesichtsfarbe nach zu urteilen, war die Reaktion des Arztes überhaupt nicht übertrieben. Diese Farbe... nun... sie war nicht vorhanden. Kaiba war furchtbar blass, seine Augen glasig und leicht gerötet. Endlich wurde Joey losgelassen.

"Du...", er traf auf Kaibas Blick, "... siehst wirklich nicht gut aus."

"Ganz reizend." Kaiba wandte sich zum Gehen ab. "Jetzt stellst du dich auch noch gegen mich."

Mokuba, Joey und der Arzt blieben stehen und sahen ihm nach. Kaiba fluchte leise, dann plötzlich verlangsamte er seine Schritte, bis er stehen blieb. Joey hob die Augenbrauen, Mokuba ließ verzweifelt den Kopf hängen und der Arzt schüttelte ihn vorwurfsvoll. Kaiba blieb nur kurz stehen, dann eilte er zu einer der Türen, riss sie auf und verschwand im dahinter liegenden Badezimmer.

"Nummer drei", seufzte Mokuba.

"Er ist so unvernünftig", knurrte der Arzt.

"Was ist denn mit ihm los?", wandte sich Joey an ihn. "Ist er krank? Oder hat er vielleicht nur etwas Falsches gegessen?"

"Nein." Da war sich der Arzt sicher. "Herr Kaiba kann essen was er will, Magenverstimmungen hatte er noch nie."

"Ja, und woran liegt es sonst?"

"Ich habe keine Ahnung." Der Arzt seufzte. "Vielleicht ist es nur die Überanstrengung?"

"Aber er hat sich in den letzten Tagen doch nicht überanstrengt", bemerkte Joey. "Daran kann es nicht liegen."

"Wie auch immer, daran wird er nicht sterben. Soll er doch machen, was er will. Ich werde ihn im Auge behalten." Mit diesen Worten fluchte der Arzt leise, wandte sich ab und schlürfte davon. "Auf mich hört ja niemand", hörten Joey und Mokuba ihn noch flüstern.

Da standen sie nun, zogen lange Gesichter und starrten auf die Tür, hinter der Kaiba soeben verschwunden war.

"Kam so etwas früher schon einmal vor?", wandte sich Joey nach kurzen Überlegungen an Mokuba. Dieser schüttelte den Kopf.

"Nein, ich glaube sogar, dass er nicht einmal eine Influenza hatte. Ich dachte schon, er wäre ein Mensch, der gegen alles immun ist."

"Kein Mensch ist gegen alles immun", murmelte Joey.

Da öffnete sich die Tür erneut und Kaiba trat in den Gang hinaus. Er fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund, atmete tief ein und sah sich um. Als er den Arzt nicht erspähte, wandte er sich an Joey, der dort stand und ihn anstarrte.

"Ich fahre in die Firma", erklärte er entschlossen. "Was machst du?"

"Ich fahre erst einmal nach Hause." Joey kratzte sich am Kopf. "Mein Vater war es, der gestern angerufen hat."

Erneut sah sich Kaiba um, suchte vermutlich nach dem Arzt.

"Ich kann dich mitnehmen wenn du willst."

"Ja, das wäre nett."

Kaiba nickte und wandte sich ab. "Ich warte unten."
 

Kurze Zeit später kam Joey nach Hause. Nicht ganz unbesorgt öffnete er die Wohnungstür und trat ein. Kaiba war also krank. Joey hoffte, dass es nur eine kleine Infektion war.

"Da bist du ja endlich." Sein Vater neigte sich aus der Küche, hob zum Gruß die Hand. "Wo warst du eigentlich?"

"Bei Seto." Joey schmiss seinen Rucksack in die nächste Ecke und schlüpfte aus dem Pullover. "Da bist ich meistens."
 

Kurz darauf saßen sie gemütlich in der Küche und nippten an einem Kaffee. Joeys Vater wirkte etwas nachdenklich, unentschlossen, was er sagen, wie er anfangen sollte. Auch sein Sohn war schweigsam, dachte an Kaiba und hoffte, dass es wirklich nicht an seinem Essen lag. Mokuba und Bikky ging es danach doch auch gut?

"Es ist so." Endlich erhob Herr Wheeler das Wort und Joey blickte auf. "Ich weiß, dass ich viel zu selten zu Hause bin. Es tut mir leid, dass wir kaum Zeit miteinander verbringen können."

"Schon in Ordnung." Joey zuckte mit den Schultern. "Es geht nun einmal nicht anders."

"Ja, aber ich bekomme überhaupt nicht mit, was du alles erlebst."

Langsam ließ Joey die Tasse sinken, sein Blick richtete sich nachdenklich auf seinen Vater.

"Und du sagst auch, dass du zurecht kommst. Aber ich merke doch, wie du darunter leidest, dass du immer allein bist."

"Das ist nicht das Problem. Ich habe viele Freunde, mit denen ich die Zeit verbringen kann."

"Das vielleicht schon." Sein Vater seufzte. "Aber wir tauschen uns nicht aus. Ich erzähle dir nie, wie mein Tag gelaufen ist, weil ich einfach zu müde bin und du erzählst mir auch nicht, was du alles erlebst."

>Was ich alles erlebe?< Joey biss sich auf die Unterlippe und wandte den Blick ab. >Das ist schon eine ganze Menge, wenn man es so bedenkt. Angeschossen, verprügelt... dies und das. Warum sollte ich es ihm eigentlich nicht sagen? Immerhin ist er Teil meines Lebens, trägt die Verantwortung und so weiter. Doch was ist, wenn er Seto Vorwürfe macht? Ich weiß nicht. Aber ich kann ihn ja verteidigen, sagen, das er keine Schuld daran trägt, so, wie es wirklich ist.<

"Also gut." Joey nickte entschlossen und baute den Blickkontakt wieder auf. "Willst du wissen, was ich alles erlebt habe?"

"Natürlich." Sofort nickte sein Vater und er begann die Geschichte.

Die Geschichte über die schlimmsten Dinge, denen er je ausgeliefert gewesen war. Das, was sein Vater nicht wusste. Er erzählte einfach alles, begann am Anfang und ließ kaum Details aus. Kaiba spielte in der Erzählung natürlich nur einen seiner Freunde. Er erzählte von Katagori, Kaibas Sorgen, ihrem Streit und erwähnte im gewissem Sinne dann auch das Drama, das sich auf den nächtlichen Straßen Dominos abgespielt, an dem er unfreiwillig teilgenommen hatte. Sein Vater schwieg die gesamte Zeit über. Sein Gesicht verlor an Farbe und seine Augen weiteten sich mit jedem Wort mehr, das Joey aussprach. Er berichtete vom Krankenhaus, der unbeschwerten Zeit mit Kaiba. Und am Ende stellte er seinem Vater auch Chester vor, was ihm am schwersten fiel. Während er sprach, wagte er es nicht, aufzublicken. Er sprach sich aus, wollte, dass sein Vater ihn verstand, dass er keine Geheimnisse mehr vor ihm haben musste.

"Nach diesem Erlebnis hat mich Seto wieder bei sich aufgenommen." Joey rieb seine Tasse mit beiden Händen. "Bei ihm erholte ich mich schnell von dem Schrecken. Jetzt geht es mir besser." Er zögerte kurz. "Das alles geschah im letzten halben Jahr."

Sein Vater brauchte eine lange Zeit, bis er zur Sprache zurückfand. Und er war von dieser Geschichte zu entsetzt, als dass er laut werden konnte. Er stotterte etwas und konnte es scheinbar noch immer nicht fassen, was Joey in seiner Freizeit so tat. Es vergingen wohl insgesamt drei Stunden. Joey musste viele Fragen beantworten, Kaiba immer und immer wieder verteidigen und ihm die Unschuld zusprechen. Und was war er erleichtert, als sein Vater Kaiba nicht beschuldigte. Letzten Endes kam es zu folgendem Entschluss:

Herr Wheeler meinte, dass er sich mehr um Joey kümmern müsste, weniger Reisen ins Ausland unternehmen durfte, obwohl diese Reisen nötig waren, um Geld zu verdienen. Das sagte Joey auch und doch entschied sich sein Vater dazu, öfter zu Hause zu sein. Sie würden es schon irgendwie schaffen, meinte er. Im Inneren spürte er wohl ein tief verankertes Entsetzen über das, was sein Sohn alles durchmachen musste. Stets war er der Meinung gewesen, Joey würde ein normales Leben führen, würde unter keinerlei Gefahren leiden und zufrieden sein. Jetzt erfuhr er, dass er im Krankenhaus gelegen und unter Schmerzen gelitten hatte, dass er von einem Wahnsinnigen verfolgt, verprügelt und beinahe vergewaltigt worden wäre. Er hatte sich mit einem Messer verteidigen müssen, um sich zu retten!

"Diesen Kaiba", sagte er nach einem bedrückten Schweigen, "lade ihn doch mal ein."

"Warum?", fragte Joey.

"Du scheinst sehr viel mit ihm durchgemacht zu haben", erhielt er zur Antwort. "Ist es nicht verständlich, dass ich ihn gern näher kennenlernen möchte?"

"Doch, klar." Joey betrachtete sich die leere Tasse, die seit langem vor ihm stand. Kennenlernen war in Ordnung. "Ich rufe ihn an. Vielleicht könnte er schon morgen vorbeikommen?"

Herr Wheeler wollte sich also mehr um Joey kümmern. Und doch verbrachten die beiden den Rest des Tages damit, in ihren Zimmern zu sitzen und nachzudenken. Sie liefen sich kaum über den Weg und wenn sie es taten, dann schwiegen sie. Beide kämpften mit vielen Gedanken. Ich muss wohl nicht erklären, wie diese Gedanken bei Joeys Vater aussahen. Joey selbst, machte sich mehr Sorgen um Kaibas Zustand, seine Gesundheit. Er war der Meinung, dass es sein Vater richtig aufgefasst hatte und damit klarkam. Bald hockte er sich vor seine Konsole, hörte Musik und faulenzte. Wie versprochen, rief er Kaiba an und lud ihn ein. Dieser hatte viel Arbeit vor sich, und doch meinte er, sich eine Stunde Zeit nehmen zu können. Bei dem Telefonat hatte Joey das Gespräch mit seinem Vater nicht erwähnt.

Und so nahm das Schicksal seinen Lauf.
 

Was man nicht weiß, kann man auch nicht befürchten...

Joey verspürte sogar eine große Erleichterung, als er den Abend kommen sah. Nun wusste sein Vater bescheid. Was konnte jetzt noch dafür sorgen, das er sich schlecht fühlte? Aber natürlich! Warum zur Hölle war er nicht bei Kaiba? Nun, da es diesem nicht so gut ging, wäre es ihm doch lieber, zu ihm zu fahren. Er wollte sich um ihn kümmern, ihn massieren und verpflegen. Kaiba hatte es schon so oft für ihn getan. Es war nur natürlich, dass er sich revanchieren wollte.

Doch ebenso wichtig war es ihm auch, hier zu sein, zu Hause zu sein. Vielleicht würde sein Vater ihm verbieten, zu Kaiba, oder spät abends auf die Straße hinunter zu gehen? Dieser Gedanke brachte solch ein Schrecken mit sich, dass Joey nicht weiterhin darüber nachdenken wollte. Wenn Kaiba auch nur die geringste Schuld zugewiesen wurde, und wenn er sich deshalb wieder Vorwürfe machte, dann würde er ausrasten! Er würde dafür sorgen, dass es nicht so weit kam.

>Hoffentlich benimmt sich Seto morgen ordentlich<, dachte er sich, als er sich in sein Bett warf und sich vornahm, erneut unter dieser Einsamkeit zu leiden. Er war es gewohnt, sich an weiche Haut zu kuscheln, an einen wärmenden Körper. Er wollte die Nähe des anderen spüren, wenn er sich auf den Weg in das heißbegehrte Traumland machte. >Mein Vater hat ihn nur wenige Male, und dann nur sehr kurz gesehen. Nun ja, ich denke schon, dass sich Kaiba Mühe geben wird, nicht wie ein ungehobelter Klotz zu wirken. Das kann er... wenn er sich bemüht.<

Joey zog sich die Decke über den Kopf und biss sich auf den Zeigefinger. Plötzlich war er nicht mehr müde. Viel mehr Lust hatte er auf etwas anderes. Wenn er Kaiba schon nicht sah, dann wollte er doch zumindest seine Stimme hören. Einmal nur, bevor er einschlief. Nach einer kurzen Überlegung wirschte er einen Arm aus der Decke frei, griff nach seinem Handy und zog es unter die Decke. Nur wenige Worte, das würde ihm genügen.

Diese völlig blödsinnige Denkweise, die Kaiba mit einer Droge verglich... einer Droge, die man zum leben benötigte, um glücklich und sorglos zu sein. Diese völlig abstrakte Meinung... sie bewahrheitete sich immer wieder. Hastig wählte Joey die Nummer, legte das Handy an das Ohr und machte es sich gemütlich. Es klingelte... er gluckste leise und schloss die Augen, ungeduldig auf diese wundervolle Stimme. Es klingelte dreimal, viermal, fünfmal... dann endlich wurde abgenommen.

"Öhm...", ertönte eine Stimme in der Leitung, "… wir... ähm nein, Seto ist gerade nicht zu erreichen. Also wenn du was willst, dann musst du schon..."

"Mokuba?", unterbrach Joey den fleißigen Anrufbeantworter. "Seid wann gehst du an Setos Handy?"

"Ach, Joey?" Der Junge lachte leise, Gerumpel war im Hintergrund zu hören. "Seid wann ich an sein Handy gehe? Na ja, ich glaube, er kann gerade nicht."

"Warum? Was ist denn?" Joey erschrak.

"Na ja." Ein leises Seufzen. "Seto hockt seit zwei Stunden im Bad und ist bemüht, das Essen loszuwerden, das er heute zu sich genommen hat."

"Er übergibt sich schon wieder?" Joey kämpfte die Decke zur Seite und richtete sich auf.

"Ja, so kann man es auch ausdrücken."

"Was zur Hölle ist denn nur mit ihm los?" Joey seufzte ebenfalls, starrte traurig auf die gegenüberliegende Wand. "Da kann doch etwas nicht stimmen!"

"Er hat gesagt, dass er in einem normalen Imbiss gegessen hat, nur so aus Verzweiflung. Und das Essen dort war vermutlich nicht so gut."

"Der lügt doch wie gedruckt!" Joey rümpfte die Nase. "Ihm war schon lange übel und es... zum Teufel damit! Er sollte sich mal richtig untersuchen lassen! Das kann doch nicht normal sein!"

"Ja, wenn der Arzt gerade nicht jammert, sagt er das auch." Mokuba machte eine kurze Pause, Geräusche ertönten. "Ah, da kommt er gerade!"

"Wirklich?" Joeys Gesicht erhellte sich. "Kannst du ihn mir mal..."

"Und schon ist er wieder weg", unterbrach Mokuba ihn. "Das ist schon das vierte Mal, dass er kommt und schnell wieder in das Bad zurückkehrt."

"Na gut." Joey ließ sich in die Kissen zurückfallen und streckte sich aus. "Kannst du ihm etwas ausrichten?"

"Klar", erklärte sich Mokuba bereit.

"Richte ihm viele Besserungswünsche von mir aus und sag ihm, dass er morgen nicht zu mir kommen muss, wenn es ihm nicht gut geht." Joey starrte auf die Zimmerdecke. "Ich will nicht, dass er sich wegen mir veraus..."

"Papallapapp!", knurrte Mokuba. "Er fährt in die Firma und schuftet! Da kann er auch zu dir kommen!"

"Na ja..."

"Okay, wenn er das nächste Mal kommt, richte ich es ihm aus, bevor er wieder verschwinden kann." Mokuba lachte, im Hintergrund jammerte der Arzt. "Ach, was war das erste noch mal? Ich hab's vergessen... ups?"

"Besserungswünsche", wiederholte Joey. "Es tut mir auch leid, dass ich nicht da sein kann. Ich würde gern bei ihm sein und mich um ihn kümmern. Sag ihm das. Und ja! Sag ihm auch, dass ich morgen wieder da bin."

"Herrjemine, das kann ich mir doch alles gar nicht merken."

"Es ist aber wichtig", warf Joey ein. "Ich kann es ihm ja wohl nicht selbst sagen, oder?"

"Öhm... ja, das glaube ich auch."

"Na gut, also bis dann."

"Ja, ich warte jetzt, bis er wiederkommt, dann sag ich ihm gute Nacht und bin im Bett."

"Ja, das ist schön. Tschau."

"Tschüssi!"

Joey legte auf, ließ das Handy auf seinen Bauch sinken und atmete tief ein.

>Es muss doch jemanden geben, der dazu imstande ist, Seto zur Vernunft zu bringen! Warum zur Hölle kann er sich nicht frei nehmen, wenn es ihm nicht gut geht! Er arbeitet doch genug, und pleite gehen wird er sicher nicht, wenn er etwas faulenzt. Bis jetzt konnte ich ihn nur selten dazu überreden. Und siehe da! Er lebt noch. Und so schwer ist das faulenzen doch auch wieder nicht. Ich bin gespannt, ob er morgen hier auftaucht.<
 

Ja, er tauchte auf.

Es war in den Mittagsstunden, als Joey im Wohnzimmer auf dem Sofa hockte, Däumchen drehte und grübelte. Sein Vater benahm sich heute halbwegs normal. Auch er schien wieder zu grübeln, aber das war noch nichts, worüber man sich Gedanken machen musste. Joey lächelte, um ihn zu beruhigen, tat alles, damit es seinem Vater besser ging und damit er sich keine Sorgen mehr machte.

Vor Joey lief der Fernseher, in der Küche die Kaffeemaschine. Die Atmosphäre war still und angenehm... bis es klingelte. Sofort richtete sich Joey auf, schaltete den Fernseher aus und eilte in den Flur. Hastig griff er nach der Klinke, riss die Tür auf und trat durch den Türrahmen. Kaiba lehnte dort an der Wand, hatte die Arme vor dem Bauch verschränkt und starrte ihn phlegmatisch an.

"Da bin ich."

"Ich wusste, dass du kommst." Joey trat an ihn heran und umarmte ihn. "Aber ich dachte... du glühst ja!"

Er ließ ihn los und trat einen Schritt zurück, ihn musternd.

"Du bist verdammt blass! Und... mein Gott, hast du Fieber?" Er hob die Hand, betastete Kaibas Stirn, worauf dieser brummte und das Gesicht abwandte. Und in dieser Sekunde erschien Joeys Vater im Flur. Er stützte die Hände in die Hüften und verfolgte die Szene.

"Jetzt sei nicht so." Joey erwiderte das Brummen, grinste jedoch sofort wieder. "Komm rein."

Kaiba blickte auf und erspähte Joeys Vater. Der Blickkontakt war nur von kurzer Dauer, dann nickte Herr Wheeler begrüßend.

"Na komm." Joey zupfte an seinem Mantel.

Kaiba trat in den Flur, schloss die Tür hinter sich und sah sich kurz um, unterdessen wurde er wieder von Joeys Vater beobachtet.

"Schön." Joey grinste. "Und jetzt?"

"Schön, dass Sie kommen konnten." Herr Wheeler reichte Kaiba die Hand, dieser ergriff sie.

"Ich habe leider nicht allzu viel Zeit", erwiderte er.

"Kein Problem." Herr Wheeler wandte sich ab und verschwand in der Küche, Joey und Kaiba folgten ihm.

"Ach Joey." Als sie die Küche betraten, wandte sich sein Vater von einem Regal ab. "Könntest du mir einen Gefallen tun?"

"Klar." Der Angesprochene blieb stehen.

"Könntest du wenigen Einkäufe übernehmen? Ich komme später bestimmt nicht mehr dazu."

"Die Einkäufe?" Joey wunderte sich, doch sein Vater nickte nur.

"Öhm..." Joey warf Kaiba einen knappen Blick zu. "Klar…"

"Danke." Herr Wheeler bat Kaiba mit einer lässigen Handbewegung, Platz zu nehmen. Dieser nickte mit ernster Miene und ließ sich am Tisch nieder. Während er aus seinem Mantel schlüpfte und sich zurücklehnte, wandte sich Joey zum Gehen ab.

"Ich bin bald zurück."

Er grinste, grabschte nach seinem Schlüssel und verließ die Wohnung. Er wusste, dass er genau deshalb losgeschickt worden war. Eben darum. Damit sich die beiden unterhalten konnten. Und er fügte sich gern, denn Kaiba und sein Paps sollten sich mal richtig aussprechen.

>Worüber will er mit mir sprechen?< Kaiba atmete tief ein und begann über den Tisch zu kratzen. Er hatte es gewusst, schon als er hier angekommen war und das Gesicht des Mannes gesehen hatte. Herr Wheeler füllte Kaffee in zwei Tassen und wandte sich ihm zu.

"Zucker? Milch?"

"Schwarz."

Herr Wheeler ließ sich ihm gegenüber nieder und schob ihm eine Tasse zu. Kaiba griff nach ihr, blickte auf und lugte zu den zwei Zuckerwürfeln, die im Kaffee des anderen versanken.

"Also." Ohne zu zögern begann Herr Wheeler zu sprechen. "Ich habe schon so einiges von Ihnen gehört. Sie scheinen mir ein fleißiger Mann zu sein."

Kaiba hob die Tasse zum Mund.

"Nehmen Sie es mir nicht übel, dass ich Ihre Zeit in Anspruch nehme, doch ich möchte mir ein Bild von den Menschen machen, mit denen mein Sohn die meiste Zeit verbringt."

Ein verständnisvolles Nicken genügte ihm als Antwort.

"Und deshalb dachte ich mir, ich lade Sie einfach ein."

"Worauf wollen Sie hinaus?" Kaiba stellte die Tasse auf den Tisch zurück und neigte sich nach vorn, Herrn Wheeler ernst musternd. "Sie schicken Joseph weg, nur weil Sie sich ein Bild von mir machen wollen? Dazu wären Sie auch in der Lage gewesen, wäre er hier geblieben. Ich ziehe daraus den Schluss, dass es sich um etwas Ernstes handelt."

"Etwas ernstes, ja." Herr Wheeler nickte. "Sie sind ein kluger Mann."

Kaiba schwieg und auch Herr Wheeler zögerte, bevor er fortfuhr. Er trank noch einen Schluck, murmelte etwas Verworrenes und begann ungeduldig auf seinem Stuhl hin und her zu rutschen.

"Es ist so", begann er endlich. "Joey hat mir gestern so einiges erzählt... das mich sehr irritiert hat. Es hat mir Angst gemacht, könnte man sagen. Er hat mir von einigen Erlebnissen berichtet, die in keinen Alltag gehören. Erst gestern wurde ich mir darüber bewusst, was für ein gefährliches Leben mein Sohn führt. Und Sie verstehen doch, dass ich mir große Sorgen mache, nicht wahr?"

Kaiba schwieg, behielt den Blick eisern auf ihn gerichtet.

"Ich erfuhr von ihrem ehemaligen Mitarbeiter. Wie hieß er noch? Katagori? Er hat mir alles erzählt. Er erzählte mir, wie dieser kranke Mann Anschläge auf Sie verübte. Nur... meistens hatten andere darunter zu leiden."

>Worauf ist er aus!< Nun wandte Kaiba den Blick ab, starrte wieder auf den Tisch. >Will er mich quälen?!< Sein Gesicht verzog sich verbissen.

"Ich will Ihnen nicht zu nahe treten." Herr Wheeler bemerkte diese Reaktion und neigte sich ebenfalls nach vorn. "Ich will mich auch nicht in Ihr Leben einmischen. Aber sind Sie der Meinung, dass diese Gefahren gut für einen Sechzehnjährigen sind?"

"Ihr Sohn... ist siebzehn." Kaiba räusperte sich leise und Herr Wheeler rieb sich in einer leisen Verzweiflung die Stirn.

"Sehen Sie? Soweit ist es schon gekommen. Aber ich habe mich nur versprochen."

Kaiba zuckte mit den Schultern und ließ den Blick erneut sinken.

"Ich möchte Ihnen damit nur sagen, dass Joey so etwas nicht erleben darf. Er muss sich auf die Zukunft konzentrieren, auf die Schule und auf andere Dinge, die wichtig sind. Aber, verdammt noch mal, es kann doch nicht sein, dass er angeschossen wird! Und ich erfahre nichts davon, denn er erzählt es mir nicht. Ich habe keine Ahnung, warum dem so ist. Warum ich erst im Krankenhaus anrufen musste, um die Wahrheit zu erfahren und er mir etwas von Treppenstürzen erzählt! Sicher ist aber, dass ich instinktiv etwas dagegen habe. Bitte nehmen Sie es mir nicht übel", bat er beschwichtigend. "Aber ich bitte Sie, auch auf meinen Sohn aufzupassen, wenn er bei Ihnen ist. Ich meine, früher... da hatte er nie..." Er wagte es nicht, diesen Satz zu beenden. "Sie scheinen ein aufregendes Leben zu führen, Herr Kaiba. Aber dieses Leben, nun, es ist nicht das Richtige für Joey. Ich möchte mir sicher sein, das es ihm gut geht, wenn er bei Ihnen ist. Ich will nicht befürchten müssen, dass er mit einer Schussverletzung im Krankenhaus liegt. Und wenn Sie der Meinung sind, dass Sie das nicht schaffen... Ich meine, wenn Sie glauben, dass Sie ihn nicht beschützen können, dass so etwas noch einmal vorkommen könnte... dann..."

"Sprechen Sie deutlicher", unterbrach Kaiba ihn endlich. "Was erwarten Sie von mir! Ich weiß, dass ich die Schuld an alledem trage, auch, wenn Joseph das Gegenteil behauptet! Was denken Sie! Natürlich habe ich mich um ihn gekümmert, habe versucht, ihn zu schützen! Wollen Sie, dass ich Joseph von mir stoße, um ihn nicht weiterhin zu gefährden?!"

"Nein, dazu bedeuten Sie meinem Sohn zuviel." Herr Wheeler seufzte. "Sie müssen mich falsch verstanden haben..."

"Und was soll ich tun, wenn ich der Meinung bin, dass ich ihn nicht schützen kann?" Wieder trafen sich ihre Blicke. Kaibas Augen funkelten verbissen, Herr Wheeler erwiderte seinen Blick nachdenklich.

"Ich werde mich wohl darauf verlassen müssen, dass Sie es schaffen", sagte er dann. "Glauben Sie mir, Joey würde an Ihrem Verlust zerbrechen. Sie sind ihm sehr wichtig, das merke ich."

"Joseph wurde angeschossen!" Kaiba biss die Zähne zusammen, lehnte sich stockend zurück. "So, wie es aussieht, bin ich wohl doch nicht imstande dazu."

"Sie haben so viel vollbracht, Kaiba." Herr Wheelers Ton änderte sich, wirkte beinahe schon flehend. "Sie haben sich hochgearbeitet, haben viele Dinge gemeistert. Ich habe Ihnen nie die Schuld gegeben, weiß nun, wie es dazu kam. Sie konnten nichts tun. Ich bitte Sie, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Wenn Ihnen mein Sohn etwas bedeutet, dann passen Sie auf ihn auf, achten Sie darauf, nein, sorgen Sie dafür, dass er nicht wieder verletzt wird. Dann werde ich mir keine Sorgen machen und..."

"Da bin ich." Mit einem Schritt stand Joey in der Küche. Augenblicklich verstummte sein Vater und auch Kaiba schwieg, verbissen auf den Boden starrend. Unterdessen schlenderte Joey näher und blieb neben ihnen stehen. "Habt ihr euch nett unterhalten?"

Sein Vater erhob sich, nahm ihm den kleinen Beutel aus der Hand und nickte.

"Ja."

In dieser Sekunde erhob sich Kaiba vom Stuhl, griff nach seinem Mantel und ging hinaus in den Flur. Verwundert drehte sich Joey um, um ihn nachsehen zu können. Dann wandte er sich an seinen Vater, kratzte sich an der Stirn.

"Was ist denn mit ihm los?"

"Du hast einen sympathischen Freund", erwiderte sein Vater daraufhin. "Du musst nichts bereuen."

"Weiß ich doch." Joey runzelte die Stirn. "Worüber habt ihr denn gesprochen?"

"Über dies und das." Herr Wheeler öffnete den Kühlschrank, lugte zu ihm. "Na komm, geh zu ihm."

Das ließ sich Joey nicht zweimal sagen. Dennoch zögerte er, bevor er mit den Schultern zuckte und die Küche verließ. Er schlenderte in den Flur, hielt dann jedoch inne und neigte sich noch einmal in die Küche zurück. Ernst richtete sich sein Blick auf seinen Vater.

"Ich weiß schon, worüber ihr gesprochen habt", verriet er; sein Vater wandte sich ihm zu und er brummte. "Bin ja nicht von gestern. Du hast ihm aber nicht die Schuld zugewiesen, oder?"

"Nein", kam prompt die Antwort.

"Wirklich nicht?", hakte Joey nach.

"Wirklich nicht", versicherte ihm sein Vater.

"Ooookay." Joey runzelte skeptisch die Stirn, brummte und verschwand dann endgültig.
 

Als er sein Zimmer betrat, warf Kaiba seinen Mantel auf einen Stuhl und ließ sich auf dem Bett nieder.

"Hey." Joey setzte sich neben ihn, legte die Arme um seinen Hals und lehnte sich gegen ihn. Kaiba neigte sich leicht zur Seite und starrte auf die gegenüberliegende Wand. "Geht es dir gut?"

"Warum sollte es mir nicht gut gehen", antwortete Kaiba leise. An seiner Stimme konnte man jedoch erkennen, dass er nicht wirklich anwesend war.

"Vielleicht, weil du Fieber hast?", murmelte Joey besorgt und schmiegte sich fester an ihn. "Dein Körper glüht."

"Das ist kein Fieber." Kaiba blinzelte und schloss die Augen. Er legte den Kopf zur Seite, stützte die Wange auf Joeys Schopf.

"Was ist es denn dann?", murmelte dieser kritisch.

"Weiß nicht."

"Hey, was hältst du davon, wenn wir heute Abend ausgehen?" Joey atmete tief durch und genoss die Wärme, die ihm entgegenströmte.

"Ausgehen?" Kaiba begann sich zu regen.

"Genau, lass die Arbeit mal ruhen. Ich kenne eine tolle Kneipe. Ich gehe oft mit den anderen dorthin. Wir können Billard spielen oder einfach nur herumsitzen. Wir könnten etwas trinken und so. Es wird dir sicher gefallen."

"In einer Kneipe?"

"Ja, so etwas machst du nicht oft, hm?"

"Überhaupt nicht."

"Dann wird es ja mal Zeit." Joey richtete sich auf, ließ die Arme sinken und besah sich sein Gesicht von der Seite.

"In Ordnung." Kaiba nickte.

"Wundervoll."
 

Als es dunkel wurde, trafen sich die beiden vor dem Lawell. Da die gewisse Kneipe ganz in der Nähe lag, konnten sie sie in wenigen Minuten zu Fuß erreichen. Auf den Straßen war es angenehm ruhig, nur wenige Menschen waren noch unterwegs. Da es zu solch später Stunde etwas kühl war, trug Kaiba einen schwarzen Mantel, Joey war nur in einen weiten Kapuzenpullover geschlüpft und fand es dabei etwas übertrieben, dass sich Kaiba einen Schal um den Hals geschlungen hatte. Hinzukommend missfiel ihm das blasse Gesicht des jungen Mannes. Das Fieber jedoch, schien zurückgegangen zu sein. Und nachdem er fürsorglich seine Stirn betastet und anschließend mit ihm gekämpft hatte, war er sich dessen sicher. Diese Blässe musste wohl nur eine Nachwirkung sein. Joey hakte sich bei ihm ein und schlenderte los. Er genoss die frische Luft, genoss Kaibas Anwesenheit und doch bemerkte er nicht, wie dieser grübelte. Abwesend starrte er vor sich auf den Weg und schwieg. Bald begann Joey etwas zu quatschen, erzählte von dies und jenem. Und Kaiba hörte nicht zu. Nach kurzer Zeit blieb der fleißige Erzähler stehen und hielt Kaiba fest, da dieser gedankenverloren weiterschlendern wollte.

"Da ist es." Er rüttelte an ihm und zeigte in eine schmale Gasse. Kaiba brummte und warf einen kurzen Blick in diese ‚Kneipe’. Er sah jedoch nichts, nur Dunkelheit und Dreck. Angestrengt versuchte er etwas zu erkennen, neigte sich nach vorn. Dann wandte er sich an Joey, sah ihn skeptisch an.

"Wirklich eine tolle Kneipe", brummte er. "Würde ich gern sagen, wenn ich sie sehen könnte."

"Wirst du gleich." Joey zog ihn weiter.

Sie durchquerten die Gasse und erreichten kurz darauf eine breite Blechtür. Das alles kam Kaiba äußerst merkwürdig vor. Als Joey nach der alten Klinge griff und die Tür öffnete, runzelte er die Stirn.

"In was für Kneipen treibst du dich denn herum."

"Och." Wieder griff Joey nach seinem Ärmel und zog ihn herein. "Das ist eine ganz normale Kneipe. Da findet nichts Illegales statt."

"Woher willst du das wissen?"

"Jetzt sei mal nicht so."

Nach wenigen Schritten durch einen kahlen Gang, erreichten sie eine nackte Stahltreppe. Sie stiegen sie hinab und nach wenigen Stufen drang leise Musik an ihre Ohren. Dann erreichten sie das Ende der Treppe und Kaiba erblickte einen riesigen geteilten Raum. Leichte Nebelschwaden hingen in der Luft. Im hinteren Teil des Raumes waren Billardtische aufgestellt und Dartscheiben aufgehängt. Auch runde Tische zum Kartenspielen erspähte Kaiba. An den Decken hingen rechteckige Lampen, die den Raum in ein angenehmes Licht hüllten. Hier und dort tummelten sich Menschen. Sie lachten, rauchten und spielten. Es sah nicht so aus, als würden hier schräge Dinge ablaufen. Auf der anderen, der vorderen Seite des Raumes befand sich eine riesige Bar und so einige Tische, an denen ebenfalls Menschen saßen, tranken und aßen. Eine schöne Kneipe, die jedoch aus unerfindlichen Gründen versteckt lag. Joey ließ Kaiba kurz Zeit um sich umzuschauen, dann zog er ihn weiter, auf die Bar zu. Ein Bier - ja, das wäre nun das Richtige. Bedauerlicherweise... war er immer noch minderjährig und hier war man mit den Gesetzen sehr streng. ‚Minderjährigkeit’, wie er dieses Wort hasste.

Sie ließen sich auf den hohen Barhockern nieder, stützten sich auf die Theke und machten es sich gemütlich. Und Kaiba schlüpfte erst aus seinem dicken Mantel, als Joey ihn darauf aufmerksam machte, dass er wie ein Eskimo aussah. Hinzukommend war es hier warm genug.

Auch Joey befreite sich aus dem Pullover, warf ihn auf den nächststehenden Hocker und sah den Barkeeper, der sie entdeckt hatte und auf sie zukam. Joey kannte ihn schon und noch nie hatte er von ihm ein Bier bekommen, obwohl er jedes Mal danach fragte. Er runzelte die Stirn und bereitete sich auf eine Cola vor. Als der Keeper sie erreichte, wandte sich Kaiba an ihn.

"Bier?"

"Ja." Sofort erstrahlte Joeys Gesicht. Dieses Strahlen hielt jedoch nicht allzu lange an. Er sollte sich nicht zu früh freuen. Immerhin war auch Kaiba noch minderjährig, so merkwürdig dies auch klang.

"Geben Sie uns ein Bier und einen Spätburgunder."

Der Mann trocknete ein Glas ab und besah sich die beiden Gesichter nachdenklich. Joey war ihm bekannt und so bemerkte er schnell dessen verzweifelten Versuch, doch noch an ein Bier heranzukommen. Und der Andere… dieses Gesicht gab es nur einmal. Doch er runzelte die Stirn.

"Wie alt seid ihr?"

"Bringen Sie es uns einfach, ja?" Kaiba rümpfte die Nase und warf dem Mann einen vielsagenden Blick zu.

"Hm." Der Mann grübelte kurz, dann nickte er jedoch und wandte sich ab.

In Joey entflammte die Freude. Er hatte keine Hoffnung mehr gehabt, hatte sich jedes Mal nach einem kühlen Bier gesehnt, wenn er mit Yugi und Co hier gewesen war. Er hatte sich Sorgen gemacht, sich gequält. Und trotzdem hatte er kein Bier bekommen! Doch nun? Nur wenige Worte von Kaiba genügten und schon vergaß der nette Barkeeper die Gesetze für kurze Zeit. Er war ja so praktisch! Er beobachtete den Mann, wie er davon wackelte, dann wandte er sich an Kaiba.

"Wie hast du das geschafft?", erkundigte er sich und stieß ihm vorsichtig in die Seite. Kaiba warf eine Zigarettenschachtel auf den Tresen, drehte sich kurz auf dem Hocker und sah sich um.

"Was ich will, das bekomme ich", antwortete er nebenbei.

Kurze Zeit später, bekam Joey das Bier und Kaiba seinen Rotwein vorgestellt. Hinter ihnen klimperte die Musik, die Menschen lachten. Und der Barkeeper gönnte sich auch ein Gläschen Whisky.

Während Kaiba den Rotwein im Glas schwenkte, mal und mal einen Schluck nahm und sich das Glas besah, ließ Joey die Beine baumeln und blähte die Wangen auf. Er hatte befürchtet, dass sich Kaiba langweilen und meckern würde, doch nun war er der Einzige, der nicht wusste, was er tun sollte. Kaiba schien sowieso in seiner eigenen Welt zu sein, sah so aus, als würde er wieder nachdenken. Joey beobachtete ihn von der Seite, nuckelte an seinem Bier und verfiel ebenfalls in tiefste Grübelei.

Er dachte über alles Mögliche nach, machte sich Gedanken über das Gespräch, das Kaiba mit seinem Vater geführt hatte. Er konnte sich denken, worum es sich gehandelt hatte. Bevor er sich jedoch den Kopf zermartern konnte, wurde ihm die Zigarettenschachtel unter die Nase gehalten. Er hob die Augenbrauen und lugte zur Seite. Kaiba hatte schon eine Zigarette im Mund und schickte dem Barkeeper, der unzufrieden brummte, einen knappen Blick.

"Danke." Joey lächelte und zog sich ebenfalls einen Glimmstängel.

"Könntest du mir übermorgen in der Firma helfen?" Kaiba entzündete das Feuerzeug und reichte es Joey. Dieser hielt die Zigarette kurz in die kleine Flamme, nahm einen langen Zug und blies den Rauch aus.

"Aber natürlich." Er schien über dieses Angebot sehr erfreut zu sein. "Ich habe mich schon gefragt, wann du mich endlich mal wieder einlädst."

Kaiba nicke, bewegte die Zigaretten zwischen den Lippen und griff dann nach ihr. Er legte sie auf den Tresen und erhob sich vom Hocker.

"Bin gleich wieder da", sagte er nur, als er an ihm vorbeizog und sich in eine der hinteren Ecken zurückzog. Schmunzelnd sah Joey ihm nach.
 

Gemächlich öffnete Kaiba die Tür und trat in den Vorraum der Toilette. Und sobald die Tür hinter ihm zuschlug, geriet er ins Straucheln, verlor das Gleichgewicht und stolperte zur Seite. Bevor er zu Boden gehen konnte, stützte er sich an der Wand ab. Kurz drückte er die Arme durch, dann ließ er sich keuchend nach vorn sinken. In dieser Haltung verweilte er kurz, schloss die Augen und ließ den Kopf hängen. Von einer auf die andere Sekunde war ihm schwindelig geworden. Er öffnete den Mund, um genügend Luft zu bekommen, achtete auf seine Knie, damit sie nicht weich wurden und er zusammenbrach.

Joey hatte Recht - es ging ihm nicht gut. Anfangs hatte ihn nur die Übelkeit gequält, nun wurde es schlimmer. Es schien eine leichte jedoch stetige Steigerung vonstatten zu gehen.

Langsam ließ er die Hände über die Fliesen gleiten. Schnaufend schloss er die Augen und legte die Stirn gegen die Wand. Er fühlte sich, als würde er in einer Achterbahn sitzen und einen Looping nach dem anderen fahren. Es fiel ihm schwer, sich aufrecht zu halten. Er presste die Lippen aufeinander, sein Gesicht verzerrte sich. Nach einer kurzen Zeit, richtete er sich langsam auf, drehte der Wand den Rücken zu lehnte sich wieder gegen sie. Er legte den Hinterkopf gegen die Fliesen, schloss die Augen erneut und atmete tief durch.

>Was ist mit mir los?!<, zog es ihm rasend schnell durch den Kopf. >Ich kann keinen Schritt mehr gehen!<

Hilflos sah er sich um und schluckte schwer, sein Atem fiel schnell und zitternd. Langsam ließ er sich an der Wand hinabrutschen, kauerte sich auf den Boden und streckte die Beine von sich. Die Hände legte er auf die Oberschenkel. In dieser Haltung versuchte er sich zu entspannen und neue Kraft zu schöpfen.

Vielleicht war es nur eine Erkältung?

Er würde Dr. Araki aufsuchen müssen, sobald er zu Hause war.

Hoffentlich konnte dieser das Problem schnell beheben.

Er blieb eine lange Zeit dort sitzen, starrte auf die gegenüberliegende Wand und spürte, wie es ihm allmählich besser ging. Diese Ruhe schien ihm gut zu tun, bedauerlicher Weise konnte er diese Ruhe nur zu selten genießen. Und was hoffte er, das es somit vorbei war. Matt ließ er den Kopf hängen, war kurz davor, einzuschlafen. Doch plötzlich öffnete sich die Tür neben ihm. Sofort blickte Kaiba auf und erkannte einen Mann, der nun vor ihm stehen blieb und ihn anstarrte. Kaiba besah sich die smaragdgrünen Augen nur kurz, dann stöhnte er leise und begann sich zu regen. Fabelhaft! Jetzt hockte Seto Kaiba auf dem Boden eines Toilettenvorraumes! Er versuchte sich aufzurappeln, doch es fehlte ihm die Kraft dazu. Da grinste der Mann hilfsbereit und reichte ihm die Hand.

"Kommen Sie, Herr Kaiba. Ich helfe Ihnen."

"Das schaffe ich schon selbst!" Kaiba schnaubte, stützte sich ab und richtete sich langsam auf.

"Wie Sie meinen." Der Mann grinste, verschränkte die Arme vor dem Bauch und beobachtete Kaiba amüsiert, wie er sich unter großen Umständen auf die Beine kämpfte. Er schnaufte und keuchte und als er letzten Endes wieder aufrecht stand, lachte der Mann sogar.

"Der große Seto Kaiba in so einer Kneipe?", fragte er und besah sich den jungen Mann interessiert von Kopf bis Fuß. "Ich habe schon viel von Ihnen gehört. Und ich muss sagen, Sie sehen viel besser aus, als im Fernsehen."

Sein Grinsen vertiefte sich und Kaiba richtete sich auf. Nicht auf den Mann achtend, zog er sich das Hemd zu Recht, fuhr sich durch den Schopf und stieß einen langen Atemzug aus. Noch immer waren die grünen Augen interessiert auf ihn gerichtet. Kaiba erwiderte seinen Blick nicht, wandte sich wortlos ab und griff langsam nach der Klinke. Er drückte sie hinab, ohne ihn zu beachten.

"Warten Sie doch." Plötzlich erschien der Mann vor ihm, legte die Hand auf die Tür und drückte sie zu. "Ich habe Sie schon immer verehrt, Herr Kaiba. Nun, da wir uns endlich kennen lernen, sollte ich es doch ausnutzen, oder?"

Kaiba betrachtete sich die Hand des Mannes, die in einem ledernen Handschuh steckte. Die Eigene ließ er von der Klinke rutschten und stützte sie in die Hüfte.

"Hm." Er biss sich auf die Unterlippe und wandte sich grübelnd an den Mann, der sich ihm langsam jedoch stetig näherte. Kaiba blickte auf, besah sich die außergewöhnlichen Augen des Mannes, dessen charmantes Grinsen. Er erwiderte nichts dergleichen, seine Augen blieben ausdruckslos, verengten sich nach einer kurzen Zeit der Beobachtung.

"Wissen Sie was?“, hob er ebenso charmant an. „Wenn Sie Ihre Hand nicht augenblicklich von der Tür nehmen, werden Sie sich wünschen, nie geboren worden zu sein und wenn Sie sich mir auch nur einen weiteren Zentimeter nähern, dann werden Sie sich wünschen, das Leben bereits hinter sich zu haben."

"Och..." Das Grinsen des Mannes verlor an Kraft. Auch die Hand ließ er sinken und trat zurück. Kaiba gegenüber, schien er Respekt zu haben. Und das mochte auch an dessen Augen liegen, die ihm etwas Grausames versprachen, sollte er sich nicht augenblicklich benehmen! Obgleich Kaiba nun die Gelegenheit dazu hatte, den Raum zu verlassen, tat er es nicht. Stattdessen wurde er auf die Handschuhe aufmerksam. Er besah sie sich kurz, kehrte der Tür den Rücken und verschränkte die Arme vor dem Bauch.

"Ist es hier nicht etwas zu warm, um Handschuhe zu tragen?"

"Was...?" Der Mann hob die Hände, betrachtete sie sich und grinste sofort wieder. "Nein, die Handschuhe sind zum Schutz der anderen Menschen. Ich habe einen leichten Ausschlag und..."

"Oh." Kaiba weitete verständnisvoll die Augen. "Einen Ausschlag."

"Genau." Der Mann lachte heiter, hielt sich jedoch von ihm fern. "Er ist ansteckend, wissen Sie?"

"Nun, da Sie meinen Namen kennen, wäre es nur fair, wenn ich auch Ihren erfahren würde", fuhr Kaiba fort.

"Meinen Namen?" Der Mann reagierte überrascht, vermutlich schlich sich ein Gedanke in seinem Hinterstübchen ein, der ihm Hoffnung versprach. Vielleicht würde sich Kaiba doch auf etwas einlassen? Schon bei dem bloßen Gedanken... mit Seto Kaiba! Dieser nickte nur und wartete geduldig, obgleich er wieder einen leichten Schwindel in seinem Kopf verspürte.

"Aber natürlich." Der Mann riss sich zusammen, lachte überfreundlich und präsentierte ein charmantes Lächeln. "Mein Name lautet Even Shawn."

"Even Shawn, ja?" Ein freundliches Schmunzeln umspielte Kaibas Lippen und schon reichte er ihm die Hand. Wie aus Reflex griff sein Gegenüber zu und sobald Kaiba seine Hand umfasste, drückte er zu. Sofort schrie der Mann laut auf und wollte die Hand zurückziehen, doch Kaiba packte ihn am Kragen, riss ihn herum und stieß ihn mit aller Kraft gegen die Wand.

"Schön, dass wir uns auch mal kennen lernen, Chester!" Wutentbrannt presste Kaiba ihn gegen die Fliesen, griff auch mit der zweiten Hand zu und zerrte ihm den Kragen um die Gurgel.

"Was... was wollen Sie von mir?!" In Chesters Augen flimmerte die Angst, als er sich verzweifelt wehrte. "Ich habe Ihnen doch nichts..."

"Aber mit Joseph hat es dir gefallen, ja?!" Kaiba biss die Zähne zusammen, starrte ihn hasserfüllt an.

"Joseph?!", schrie der Mann verwirrt.

"Joey!" Kaiba zog ihn zu sich und stieß ihn erneut gegen die Wand. "Du verfluchter...!!"

"Ich kenne keinen Joey!!"

"Und ob du den kennst!!" Kaiba trat zur Seite, zerrte ihn nach vorn und schlug ihn gegen die gegenüberliegende Wand. Chester ächzte laut auf, doch bevor er auf die Knie sinken konnte, erschien Kaiba vor ihm und packte ihn am Ärmel.

"Nein, bitte!!" Chester begann zu winseln, riss die Arme vor das Gesicht. Kaiba zerrte ihn zu sich und schleuderte ihn zu Boden.

"Niemand fasst Joseph an!" Keuchend stieg Kaiba über ihn hinweg, ließ seinen Stiefel auf seinen Hals niedergehen und verlagerte mehr Gewicht auf das Bein. "Und wer es wagt... der hat keine Zukunft vor sich!"

"Sie sind ja völlig verrü..." Chester begann zu röcheln, riss den Mund und die Augen auf. Kaiba beugte sich weiter nach vorn, in seinen Augen loderte die Wut.

"Was soll ich jetzt mit dir machen, hm? Dreimal hast du Joseph belästigt, zweimal hast du ihm aufgelauert! Und bei dem dritten Mal...", Kaiba schnaubte, "... ich bringe dich um!"

Er drückte dem Mann die Luft ab, schien nicht vorzuhaben, den Fuß von seinem Hals zu nehmen. Chester röchelte und versuchte sich zu befreien, doch dies ließ Kaiba nicht zu. Er starrte verächtlich auf ihn herab, verlagerte noch mehr Gewicht auf das Bein und...

"Aahhh!!"

Kaiba blickte auf, Chester riss das Gesicht zur Seite. Dort im Türrahmen stand Joey mit offenem Mund und starrte sie entsetzt an. Kaiba runzelte die Stirn, ließ jedoch nicht von Chester ab.

"Ohhhhh... Gott!!" Joey schnappte nach Luft, raufte sich die Haare. "Oh Gott!! Oh Gott!! Ohhhhh... mein Gott!!"

Chester erschrak grässlich, wieder begann er sich regen, doch der Stiefel lockerte sich nicht.

"K-K... Seto?!" Etwas wackelig trat Joey näher, starrte auf das verschrammte Gesicht des am Boden liegenden Mannes. "Was... was machst du?!"

"Was ich mache?" Kaiba lachte bitter, warf Chester einen verächtlichen Blick zu und bewegte den Fuß auf seinem Hals. "Das siehst du doch!"

Vor Chester blieb Joey stehen. Sein Gesicht war nun ebenso blass wie das von Kaiba.

"Warum zur Hölle regst du dich auf!" Kaiba musterte ihn scharf. "Das ist er doch! Der Typ der dich..."

"Ich... ja, das ist er!" Joey begann mit den Händen zu gestikulieren. "Aber... aber... ich will das nicht! Nimm deinen Fuß da runter!!"

"Was?!" Kaiba konnte es nicht glauben. "Dieser Typ hat dich verprügelt, hat sich an dir vergriffen und wollte dich vergewaltigen und jetzt nimmst du ihn in Schutz?! Du bist zu weich, Joseph!! Wenn du so etwas mit dir machen lässt, dann wirst du nie deine Ruhe haben!!"

Joey warf Chester einen kurzen Blick zu.

"Du bringst ihn ja um!!"

"Und wenn schon! Der Kerl hat es verdient!"

"Jetzt reicht es!!" Auch Joey stieg über Chester hinweg, packte Kaiba am Arm und zog ihn zurück. Kaiba wehrte sich kurz, doch die Kraft, um standzuhalten, besaß er nicht. Endlich bekam Chester wieder Luft und noch während Kaiba zurückstolperte und Joey ihn anschrie, richtete er sich hastig auf und rieb sich den Hals.

"Wie kannst du nur..."

"Geh weg!" Kaiba stieß ihn zur Seite und trat auf Chester zu, der sich hektisch zurückschob.

"Seto!" Joey eilte ihm nach, wieder packte er ihn an Arm. "Hör auf!!"

"Joseph...!" Kaiba fuhr zu ihm herum, doch genau in dieser Sekunde ließen seine Knie nach. Er verlor das Gleichgewicht, rutschte durch Joeys Arme und schlug hart auf dem Boden auf.

"Se..." Entsetzt rang Joey nach Atem. Und noch während sich Kaiba benommen auf dem Boden räkelte, sprang Chester auf und eilte auf die Tür zu. Er strauchelte, riss sie auf und stolperte in den Flur hinaus. Joey hatte ihm nur kurz nachgesehen, konnte sich jedoch nicht um ihn kümmern.

"Verdammt." Keuchend rollte sich Kaiba auf den Rücken. "Das kann doch nicht wahr sein!"

"Was hast du?!" Hektisch hockte sich Joey neben ihn, starrte ihn mit großen Augen an.

"Das siehst du doch." Kaiba streckte sich aus und rieb sich das Gesicht. "Ich bin umgekippt."

"Ja, aber warum?!" Joey geriet in Hektik. "Was ist denn mit dir?!"

"Es geht schon." Kaiba hob abwehrend die Hand, blinzelte matt. "Lass mich noch kurz hier liegen. Es wird gleich besser."
 

"Legen Sie die Füße nach oben!" Aufgeregt rannte der Arzt von einer Seite zu anderen. "Und... zieh ihm die Stiefel aus, Joseph!"

"Ja, schon in Arbeit!" Joey rollte mit den Augen, hockte sich vor Kaibas Knie und tastete nach dem Reißverschluss. Kaiba lag zur Hälfte auf dem Bett, nur seine Füße standen noch auf dem Boden. Er hatte beide Arme von sich gestreckt und starrte müde auf die Deckenlampen. Sein Zustand hatte sich nicht gebessert und so hatten die beiden ihren Ausflug abgebrochen und waren zu Kaiba gefahren. Und der Arzt wurde Teil von etwas noch nie da Gewesenen. Das mochte auch erklären, weshalb er plötzlich aufgeregt und hektisch war. Während er Mokuba zur Seite drängelte und in seinem Koffer wühlte, zog Joey Kaibas Hosebeine höher, ertastete den weit oben liegenden Reißverschluss und zog ihn hinunter. Mit wenigen Rucken streifte er den Stiefel dann ab, Kaiba brummte und drehte das Gesicht zur Seite. Währenddessen machte sich Joey auch an seinem anderen Stiefel zu schaffen.

"Was hat er denn?" Mokuba kauerte sich auf die Bettkante und starrte Kaiba an.

"So." Joey warf den zweiten Stiefel zur Seite, schob die Hände unter Kaibas Waden und hob dessen Beine auf das Bett. Er legte sie fürsorglich zurück und machte dann dem Arzt Platz, der händeringend näher trat.

"Wozu der Aufstand." Kaiba blinzelte matt, seine Pupillen wanderten flimmernd durch den Raum. "Ich bin nur müde und will schlafen."

Joey ging um das Bett herum, stieg auf die Decke und ließ sich neben Kaiba nieder. Er hockte sich hin, beugte sich nach vorn und betastete das Gesicht des jungen Mannes. Er betastete seine Stirn, seine Wangen und besah sich auch seine Augen. Diese wirkten glasig und abwesend.

"Er glüht vor Fieber", bemerkte er besorgt.

Dr. Araki reicht ihm einen kalten Umschlag. "Legen Sie ihn auf seine Stirn."

Joey nickte, nahm ihn entgegen und tat es. Kaiba begann stoßweise zu atmen und schloss die Augen. Joey seufzte. In diesem Fall konnte er unmöglich nach Hause gehen. Er musste auf Kaiba aufpassen, sich um ihn sorgen. Als er Arzt eine Spritze und eine Ampulle zückte, blickte er auf, Mokuba krabbelte näher.

"Wissen Sie, was mit ihm nicht stimmt?", wiederholte er Mokubas Frage und der Junge nickte sofort beipflichtend.

"Es sieht so aus", der Arzt stach die Nadel in die Ampulle und zog die Spritze auf, "als würde er unter einer schweren Influenza leiden“, erklärte er und legte die Ampulle zur Seite. "Entblößen Sie bitte seinen Arm."

"Ja." Joey beugte sich über Kaiba, griff nach seinem Handgelenk und knöpfte den Ärmel auf. "Was spritzen Sie ihm?"

"Nur etwas, um das Fieber zu senken. Schlafen wird er schon von selbst."
 

Es verging keine halbe Stunde, da war Joey der Einzige, der neben Kaiba hockte und ihn beobachtete. Man musste kein Mediziner sein, um zu wissen, dass diese Gesichtsfarbe und die kurzen Atemzüge nichts Gutes zu bedeuten hatte. Und eine Grippe? Die hatte Joey schon oft gehabt und so widersprach er der Aussage des Arztes. Kaiba war schwach, hatte Fieber und war, kurz bevor er eingeschlafen war, kaum noch ansprechbar gewesen. Da konnte etwas nicht stimmen. Wenn Joey sich sein Gesicht so besah, wäre es ihm am liebsten, sofort und augenblicklich mit ihm ins Krankenhaus zu fahren.

Lange saß er noch da und wachte über Kaibas Schlaf, dann legte er sich hin und schmiegte sich an ihn. Er zog die Decke über ihn, rutschte ebenfalls unter sie und versuchte ebenfalls etwas Schlaf zu finden.
 

~*to be continued*~

Ausnahmezustand

Am nächsten Morgen wachte er sehr früh auf. Draußen begann es zum Tag zu dämmern und es war sehr selten, dass er in den Ferien vor dem Mittag aufwachte. Er erwachte mit einem herzhaften Gähnen, reckte und streckte sich und rollte sich zur anderen Seite. Er streckte sich und öffnete die Augen. Das fahle Licht wirkte beruhigend auf ihn, und er war gern dazu bereit, tiefer unter die Decke zu rutschen und den Rest der Nacht auszukosten. Aber nun da er einmal wach war... konnte er auch gleich aufstehen. Müde drehte er das Gesicht zur anderen Seite und erspähte Kaiba, der reglos und tief schlafend, neben ihm lag.

Die Vorkommnisse der letzten Tage wirkten zugegeben verwirrend auf ihn. Zuerst leistete Kaiba der Toilette über längere Zeit Gesellschaft, dann bekam er Fieber. Und letzten Endes brach er zusammen. Und das alles nur, weil er müde war? Einen so schlechten Witz hatte Joey noch nie gehört. Er rutschte näher an ihn heran, zog die Decke um sich und lag Gesicht zu Gesicht vor ihm.

Während einer kurzen Pause, als der Arzt nicht gejammert und sich die vorschnelle Ausweglosigkeit dieser Situation vor Augen geführt hatte, hatte er ihm verraten, das Kaiba gesund war... gesünder ging es nicht! Er hatte nicht einmal Bauchschmerzen gehabt. Und Kopfschmerzen kamen so selten, dass man diese unglaublichen Ereignisse auf Kamera festhalten sollte. Die Müdigkeit war stets das einzige gewesen, das Kaiba nach einigen arbeitsvollen Tagen gequält hatte. Joey war der Meinung, das dies ein weiterer Grund war, Kaiba unbedingt im Krankenhaus vorbeizuschicken. Er würde sich mit dieser Bitte, oder vielmehr diesem Befehl, sofort an ihn wenden, sobald er erwachte. Wie Kaiba wohl reagieren würde? Auf jeden Fall kaufte Joey dem Arzt die Grippe nicht ab. Und die Müdigkeit, wie Kaiba seinen Zustand begründete... die konnte ihm gleich gestohlen bleiben! Langsam hob er die Hand, schob eine braune Strähne aus Kaibas Gesicht, strich sie zurück und ließ die Hand sogleich auf seinem Schopf liegen.

Joey lächelte. Kaiba war ja so ein fleißiges Arbeitstier.

Joeys Miene verfinsterte sich. Er war ja so ein Idiot!

Die Gesundheit auf den letzten Platz der Wichtigkeitsskala zu verbannen! Warum wusste er nicht, was das Beste für ihn war? Er wusste doch sonst immer alles! Vorsichtig begann er ihn zu kraulen, den Blick hielt er stets auf das blasse Gesicht gerichtet. Dieses glühte nun nicht mehr - das Fieber war gesunken, aber darüber hatte er sich am gestrigen Tag in der Kneipe auch schon gefreut... und man hatte ja gesehen, was dabei herausgekommen war.

Er blinzelte, ließ die Hand wieder nach vorne rutschen und berührte kurz seine Wange. Ein weiteres Mal fiel ihm auf, das Kaiba ein anmutiges Zierbild seines Lebens war. Man konnte mit Fug und Recht behaupten, das nur wenigen Menschen die Ehre zuteil wurde, so schön zu sein. Er besah sich die ebenmäßigen Gesichtszüge, die hellen schmalen Lippen, die dünnen Augenbrauen, spielte mit einer Strähne seiner weichen Haare und ließ die Hand letzten Endes plump auf die Decke zurückfallen. Er könnte noch stundenlang hier liegen, ihn anstarren und betatschen. Aber eine dampfende heiße Tasse Kaffee vertrieb Kaibas Bild aus seinem Kopf und nahm seine Stelle ein. Unten in der Küche... ja, da wartete sie auf ihn.

Kaiba konnte er immer wieder anfassen und betrachten, aber die Tasse nicht. Nach einem weiteren Gähnen schlug er die Decke zur Seite, richtete sich auf und schob sich langsam über das Bett, bis er dessen Kante erreichte. Müde stellte er die Füße auf den Boden, kratzte sich am Kopf und erhob sich. Bevor er in seine Hose schlüpfte und sich das Hemd überstülpte, warf er Kaiba einen weiteren Blick zu. Dieser schlief tief und fest, regte sich nicht einmal. Würde sich sein Leib nicht unter regelmäßigen und sanften Atemzügen heben und senken, könnte man ihn mit einer Leiche verwechseln. Die passende Gesichtsfarbe hatte er ja. Nachdem sich Joey einigermaßen angekleidet hatte, schlich er sich zur Tür. Er wollte Kaiba nicht wecken, denn dieser hatte den erholsamen Schlaf dringend nötig. Außerdem brauchte er Kraft, um mit ihm streiten zu können, nachdem er auf das Krankenhaus angesprochen worden war. Joey kannte seine Vorliebe für Kliniken und die kahlen weißen Räume ganz genau.

Barfuss trottete er durch den Flur, gähnte erneut und sah sich kurz um. Er fühlte sich hier schon wie zu Hause und doch konnte er von dem gesamten Haus gerade mal neun Räume! Das war sein Gästezimmer, sein Gästebad, Kaibas Arbeitszimmer, sein Schlafzimmer, sein Bad, Mokubas Zimmer, die Küche, den Essraum und den Raum mit dem riesigen Pool. Ach, und die Dachterrasse gab es auch noch. Neun Räume! Joey schätzte, dass es in diesem Haus zwanzig oder mehr Zimmer gab. Und mindestens fünf von denen wurden sicher gar nicht gebraucht. Und wenn dem nicht so war, dann konnte sich Joey nicht vorstellen, was sich in ihnen befand. Wie auch immer, nachschauen würde er sicher nicht. Bald erreichte er die Treppe und auf dieser begegnete er zwei Bediensteten. Hier im Haus gab es nur drei von ihnen. Das hatte Joey mit viel Mühe herausbekommen... indem er Mokuba gefragt hatte. Drei Bedienstete genügten. Außerdem gab es noch drei Köche... was Joey etwas übertrieben fand, denn ihre einzige Aufgabe bestand darin, für Mokuba zu kochen. Nur selten nahm auch Kaiba an dem Essen teil, oder er oder Bikky. Wirklich viel zu tun hatten die also nicht. Ein guter Job, meinte Joey. Die Köche konnten fast den ganzen Tag herumsitzen und bekamen dafür einen hohen Lohn.

Als er das Foyer erreichte, blieb er stehen und sah sich kurz um. Nach kurzen Überlegungen, steuerte er auf die große Eingangstür zu, öffnete sie zu und trat hinaus. Die Sonne schickte soeben ihre ersten Strahlen zu ihm und in dem Garten war noch nicht viel los. Die Gärtner waren nicht da, kein Pinguin stand neben der Tür und sprach ihn frech mit "Herr Wheeler" an, nachdem er sich verbeugt hatte. Vor den Stufen blieb Joey stehen und verschränkte die Arme vor dem Bauch. Nur der Chauffeur lehnte an der Fahrertür der Limousine, hatte das Handy am Ohr und telefonierte. Joey warf ihm einen kurzen Blick zu. Er wusste nicht, woran es lag - er mochte diesen Typen nicht. Jeffrey war ihm lieber und er fand es gemein, dass er krank war, obwohl man dem überarbeiteten Mann einfach mal gönnen musste, krank zu sein. Joey beobachtete ihn im geheimen, wurde selbst jedoch nicht erspäht. Der Mann sprach ruhig und leise, telefonierte vermutlich mit seiner Frau oder irgendjemandem anders. Joey interessierte sich nicht dafür, wandte sich nach einer kurzen Zeit ab und verschwand wieder im Haus.

Und dieses Haus war einfach riesig! Immer, wenn er es durchwanderte, wurde er darauf aufmerksam. Es war groß, kaum überschaubar und das war einer der Gründe, weshalb sich Joey nicht vorstellen könnte, so ein Anwesen auf Dauer zu bewohnen. Reichtum stand ihm einfach nicht.

In der Küche war zu solch früher Stunde noch niemand beschäftigt. Mokuba hatte gesagt, dass die Bediensteten, die für die Sauberkeit des Hauses zu sorgen hatten, um acht Uhr hier zu sein hatten. Und die Köche? Natürlich! Die Köche konnten sich wieder mehr Zeit lassen und mussten erst um zehn hier aufkreuzen. In der Schulzeit aber schon um fünf Uhr... herrje.

Joey machte sich mit aller Ruhe einen Kaffee und hockte sich dann an einen der kleinen Arbeitstische, die dort standen. Er zog die Füße zu sich auf den Stuhl, griff nach der Tasse und nippte an ihr.

Und während er den schwarzen Kaffee genoss und sich darüber ärgerte, keine Milch gesucht zu haben, da kam ihm wieder Katagori ins Gedächtnis zurück. Er kämpfte gegen diese Art von Grübelei an und doch setzte sie sich letzten Endes durch.

Katagori hegte solch einen Hass, hegte solch einen Gräuel gegen Kaiba, dass er nicht so schnell aufgeben würde. Vorerst musste er sich also vor der Polizei verstecken, doch das wäre sicher nicht von Dauer. Wenn er sich solche Mühe gegeben, sich so viel Arbeit gemacht hatte, um ihm oder seinen Bekannten Schaden zuzufügen, dann würde er sich sicher nicht geschlagen geben, nur, weil die gesamte Stadt sein Gesicht kannte und die Augen nach ihm offen hielt. Eines Tages würde er zurückkehren, befürchtete Joey, und dann würde dieses ganze Dilemma von vorne beginnen. Sicher hätte er bis dahin auch einen neuen Plan verfasst, einen Klügeren und Korrupteren, als den Vorherigen. Einen Plan, der nur gelingen konnte. Sie sollten sich auf das Wiedersehen vorbereiten, sollten Vorsichtsmaßnahmen ergreifen und gut auf sich aufpassen. Undenkbar, zu was dieser Katagori noch im Stande war. Und das alles nur, weil Kaiba ihn gefeuert hatte? Dieser Mann schien nicht nur sehr traurig über den Verlust seines Berufes, sondern auch ein völlig durchgedrehter Psychopath zu sein! Joey graute es vor der Zeit, wenn sie sich wieder sehen würden.

Er rollte mit den Augen und begann am Rand der Tasse zu kratzen.

"Du bist so ein Idiot, Joey Wheeler!", ohrfeigte er sich selbst und schnitt eine arge Grimasse. "Jetzt machst du dich wegen Katagori verrückt und dabei solltest du dir mehr Sorgen um Seto machen!" Er ergriff die Tasse und hob sie zum Mund. "Und du bist auch ein Idiot, Seto! Warum hast du ihn nur gefeuert? Du hättest ein schwarzes Schaf unter deinen Mitarbeitern. Einen faulen, zynischen und arroganten miesen Hund. Das müsstest du ertragen! Aber dafür würdest du nicht Tag für Tag in Lebensgefahr schweben! Und Mokuba nicht! Und Pikotto auch nicht! Ebenso nicht die anderen Menschen, die dich kennen! Pah!" Joey trank einen Schluck und seufzte.

>Hoffentlich geht es diesem Idioten bald besser...<
 

Für diesen Tag schien es jedenfalls der Fall zu sein. Kaiba wachte erst auf, als die Köche das Mittagessen zubereiteten und Joey mit Mokuba drei Stunden Playstation gespielt hatte. Er sah wie eine Leiche aus, als er durch den Flur schlürfte. Doch immerhin hatte er kaum noch Fieber, übel war ihm nicht und schwindelig schon gar nicht. Er nuschelte etwas von "Arbeit", bevor Joey ihn am Kragen packte und in die Küche zerrte, damit er dort ein paar Vitamine zu sich nehmen konnte. Außerdem führte er ihn wohlbedacht in eine Falle, denn sobald Kaiba am Tisch saß, kam der Arzt angelaufen und bemutterte ihn im übertriebenen Maße.

Um sich vor weiteren Medikamenten zu retten, sagte er, dass es ihm besser ginge aber in der Zwischenzeit klang er etwas unglaubwürdig. Er kam nicht drum herum, musste sich zwei Tabletten schmecken lassen, bevor er zum Hauptmenü kam, auf das er nun gar keine Lust hatte. Aber er aß trotzdem und wurde dabei von Joey beobachtet.

Dieser erinnerte sich soeben an den gestrigen Tag, an die Begegnung mit Chester. Nie hätte er gedacht, dass Kaiba derart ausrasten würde. Nur selten zuvor hatte er ihn so erlebt und er musste zugeben, dass er für kurze Zeit eine laue Angst ihm gegenüber empfunden hatte. Er hatte auf Chester eingeschlagen, obwohl dieser nach wenigen Schlägen wehrlos war. Auf der anderen Seite hatte er es verdient. Und das brachte ein gewisses Gefühl der Sicherheit mit sich. Kaiba würde ihn verteidigen. Gegen alle Perversen, die ihm an die Wäsche wollten!

Wie auch immer, Joey würde ihn nicht darauf ansprechen und nur darauf eingehen, wenn Kaiba es tat. Aber das geschah an diesem Tag nicht mehr. Joey wusste nicht, ob es Kaiba gleichgültig oder unangenehm war. Das traf wohl beides nicht zu. Um ehrlich zu sein, Joey wusste überhaupt nicht, wie Kaiba darüber dachte. Und er würde es vorerst auch nicht herausfinden.
 

An diesem Tag unternahmen die Familie Kaiba und ihr Gast, den man beinahe schon als Mitbewohner bezeichnen konnte, nicht mehr viel. Joey und Mokuba zwangen Kaiba, zu Hause zu bleiben und dieser schien sich zu erholen.

Während Mokuba mit Bikky über die Dachterrasse tobte, fläzten Joey und Seto auf den Liegestühlen. Joey hatte es sich auf dem Liegestuhl gemütlich gemacht, der direkt neben Kaibas stand. Dieser trug lediglich ein dünnes Hemd und eine leichte Stoffhose. Auf seiner Nase saß eine Sonnenbrille, die ihn vor den hellen Strahlen schützte. Er genoss das Wetter und bewegte sich nicht, bis sich Joey blitzartig aufrichtete und sich zu ihm lehnte.

"Hey." Er grinste und Kaiba brummte. "Ich habe eine Idee. Wollen wir ein Spielchen spielen?"

"Wollen wir nicht weiterhin schweigen und die Sonne genießen?", nuschelte Kaiba träge.

"Das ist doch langweilig", widersprach Joey und zupfte an seinem Ärmel. "Das geht ganz einfach und ist spaßig."

"Frag Mokuba." Kaiba verschob die Sonnenbrille und rollte sich zur Seite, so, dass Joey ihn nicht weiterhin belästigen konnte. Doch dieser gab nicht auf.

"Also, ich sage, ich sehe was, was du nicht siehst. Und dann musst du raten, was es..."

Kaiba murmelte etwas verworrenes, machte es sich gemütlich und schien schlafen zu wollen. "Wie alt bist du?"

"Was?" Joey hob die Augenbrauen. "Siebzehn, warum?"

"Weiß ich doch." Kaiba murrte, fühlte sich wahrscheinlich überfordert. "Lass mich in Ruhe und belästige Mokuba mit dem Blödsinn."

"Blödsinn?" Joey zog eine säuerliche Grimasse und ließ sich in seine Liege zurückfallen. „Was ist dir denn für eine Laus über die Leber gelaufen?"

"Keine Laus", antwortete Kaiba brummig. "Ich bin nur hundemüde."

"Müde?" Joey ließ nicht locker. "Du hast doch den halben Tag verschlafen?"

"Mmm..."

Joey runzelte die Stirn, verschränkte die Arme vor dem Bauch und beobachtete die beiden Jungs, die tollten und tobten. Er grübelte. Da wollte man mal gute Laune verbreiten und dann bekam man noch Ärger. Er musste bald wieder nach Hause, hatte nicht allzu viel Zeit. Er saugte an seinen Zähnen und warf Kaiba einen kurzen Blick zu. Dann sprang er auf.

"Hey! Mokuba, Bikky! Wollen wir ein Spielchen spielen?"

Als die beiden Jungen juchzten und winkten und Joey zu ihnen lief, drehte Kaiba das Gesicht etwas zur Seite, schob die Sonnenbrille tiefer und sah ihm nach. Er beobachtete Joey, wie er mit den beiden Jungen im Geheimen tuschelte und rümpfte die Nase, als er sich wieder gemütlich machte.

"Jetzt habe ich schon drei Kleinkinder im Haus."
 

Nach weiteren zwei Stunden, als bereits der Abend anbrach, verabschiedete sich Joey von Kaiba. Bikky und Mokuba tobten in dessen Zimmer weiter und die beiden standen im Foyer.

"Also." Joey lächelte, trat näher an ihn heran und legte die Hände um seine Oberarme. "Kommst du ohne mich klar?"

An Kaibas Lippen zog ein flüchtiges Schmunzeln, dann rollte er einschätzend mit den Augen, hob die Hände und legte sie auf Joeys Hüften. "Ich denke... ja, ich glaube ich werde es irgendwie bewerkstelligen."

"Okay." Joey gluckste, stellte sich auf die Fußballen und küsste ihn. Kaiba erwiderte den Kuss nur kurz, seine Hände verblieben an der gewissen Stelle und Joey hatte nichts dagegen einzuwenden. Als er sich zurücklehnte, lächelte er noch immer, besah sich Kaibas Augen und führte die Hand an seinem Gesicht vorbei. Dabei strich er eine große Strähne zur Seite, ließ die Hand auf seiner Wange liegen und zwinkerte. "Hey, du bedeutest mir sehr viel. Versprich mir, das wir alles gemeinsam durchstehen, ja?"

Kaiba erwiderte seinen Blick nachdenklich, dann nickte er.

"So wie immer?", hakte Joey nach.

"So wie immer", versicherte Kaiba.

"Gut." Joey ließ die Hand sinken, löste sich von ihm und trat zurück. "Ich komme morgen in die Firma, okay? Meinem kleinen kranken Freund bei der Arbeit helfen."

Kaiba rollte mit den Augen. "Was ist eigentlich mit deinen Jobs?"

"Den Job bei der Tankstelle habe ich aufgegeben", gab Joey zu. "Und das Lawell... tja, das hat zur Zeit wegen Renovierungsarbeiten geschlossen."

"Ach, stimmt ja."

"Genau." Joey nickte.

"Gut."

"Okay."

"Also..." Kaiba grübelte. "Was jetzt?"

"Jetzt muss ich dich noch mal umarmen." Joey fiel ihm um den Hals, schob die Hände über seinen Rücken und schmiegte sich an ihn. Dabei seufzte er. "Du bist der hübscheste Mensch, den ich kenne, weißt du das?"

"Ach." Solche Komplimente war Kaiba nicht gewohnt. Doch Joey nickte, schien nicht vorzuhaben, ihn in geraumer Zeit loszulassen.

"Du siehst so unglaublich gut aus, dass man dich einfach umarmen muss."

"Jetzt reicht es aber." Kaiba stöhnte und Joey entließ ihn aus der Umarmung. Er grinste, schlenkerte mit den Armen und schulterte seinen Rucksack neu. "Also, ich bin dann mal weg."

"Ja." Automatisch hob Kaiba die Hand. "Du bist weg."

"Jaaa." Joey gluckste. "Ich bin weheeeg!"

"Dann sei endlich weg!"

"Ist ja gut!" Joey zog ein langes Gesicht, grinste jedoch sofort wieder. "Tschüss!"

"Tschüss!"

Endlich schloss sich die Tür hinter dem anstrengenden Jungen und Kaiba ließ matt die Schultern sinken, erschöpft stöhnend.

Jetzt konnte er seine Ruhe haben und sich etwas entspannen. Niemand würde ihn mehr stören. Langsam wandte er sich ab. Er würde sich gleich wieder hinlegen und etwas schlafen.

Plötzlich ertönten schnelle Schritte auf der Treppe und er hielt in der Bewegung inne.

Er ahnte Schlimmes!

"Seto!" Kurze Zeit später rannten Mokuba und Bikky auf ihn zu, Mokuba packte ihn am Ärmel und zog ihn auf die Treppe zu. "Komm! Wir müssen dir etwas zeigen!!"

"Nein..." Kaiba ächzte am Ende seiner seelischen und körperlichen Kräfte. "Ich will schlafen."

"Das kannst du auch später noch!" Mokuba lachte und Bikky gluckste. "Da läuft gerade etwas unglaublich Tolles im Fernsehen!!"

"Dann nehmt es auf und zeigt es mir später", bat Kaiba.

>Und hoffentlich vergesst ihr es<, fügte er gedanklich hinzu.

Müde und matt stieg er die Treppen hinauf, sah seinem Ende entgegen, da wurde er wieder gerufen.

"Was ist!" Genervt drehte er sich um und erspähte einen der Bediensteten, der am Anfang der Treppe stand und ihm hektisch zuwinkte.

"Ein Herr von der Polizei ist in der Leitung", sagte er. "Er wünscht, Sie zu sprechen."

"Polizei?", wunderte sich Mokuba.

"Polizei!", rief Bikky ehrfürchtig.

"Was zur Hölle wollen die von mir!", fluchte Kaiba. Dein Bett konnte er vergessen. Auf der anderen Seite war es eine gute Gelegenheit, sich vor Mokuba und Bikky zu retten. "Stellen Sie ihn in mein Büro."

"In Ordnung." Der Mann nickte und eilte davon.

Kaiba befreite seinen Ärmel und wandte sich an die beiden Jungen.

"Ihr entschuldigt mich?" Er unterdrückte seine Erleichterung und wandte sich ab. "Es gibt wichtigere Dinge."

Die beiden Jungen stöhnten und Kaiba stieg höher.

Wenn der Chauffeur irgendwo im Halteverbot geparkt hatte, dann würde es Ärger geben! Er konnte es nicht ausstehen, wenn er wegen einer solchen Banalität von den wichtigen Dingen abgehalten wurde, wie zum Beispiel, mit zwei kleinen Jungen Fernsehen zu schauen. Und hinzukommend sicher eine blödsinnige Serie! Er ließ sich alle Zeit der Welt und gähnte des Öfteren. Hoffentlich war es etwas Wichtiges. Hinter ihm verschwanden Mokuba in Bikky in einem der Zimmer und er öffnete die Tür zu seinem Büro. Er knöpfte den Kragen seines Hemdes auf, rieb sich das Gesicht und ließ sich müde in den Sessel hinter seinem Schreibtisch fallen. Er legte die Füße nach oben, lehnte sich zurück und tastete nach dem Telefon. Dort drückte er eine Taste und drehte das Gesicht schläfrig zum Fenster.

"Hier Kaiba."

"Herr Kaiba", meldete sich die Stimme eines jungen Mannes über Lautsprecher. "Ich bin froh, dass ich Sie erreicht habe!"

Der Mann klang aufgeregt, im Hintergrund ertönten die Stimmen von umher rennenden Polizisten. "Es ist sehr wichtig."

"Was haben Sie auf dem Herzen." Kaiba setzte erneut zum Gähnen an. "Ich bin verdammt müde, also beeilen Sie sich."

"Nun ja." Ein leises Seufzen. "Heute Morgen ging eine Nachricht in unserem Präsidium ein. Wir wissen nicht, ob die Angaben des Passanten stimmen oder ob er sich nur irrte. Wir sind uns in der gesamten Sache nicht sicher, haben sie aber trotzdem verfolgt. Nun ja, es ist merkwürdig und wir hätten nie damit gerechnet, dass es schon so schnell passieren würde. Aber wie schon erwähnt, werden wir die Angaben überprüfen. Und wenn es stimmt, dann werden wir uns sofort darum kümmern, das verspreche ich Ihnen, Herr Kaiba."

"Schön." Kaiba schloss die Augen. "Ich habe keine Ahnung, worum es geht aber fahren Sie ruhig fort."

"Verzeihung. Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll." Zettel raschelten. "Ich will auch nicht, dass Sie sich Sorgen machen. Bitte bleiben Sie ruhig und geraten Sie nicht in Panik. Wir werden uns der Sache annehmen und dafür sorgen, dass Ihnen nichts geschieht!"

"Sind Sie sicher, dass Sie richtig verbunden sind?" Langsam wurde es Kaiba zu bunt. "Sagen Sie mir endlich, worum es geht oder lassen Sie es sein und belästigen Sie mich nicht weiterhin!"

"Nun gut, ich komme zum springenden Punkt. Aber glauben Sie mir, wir haben alles versucht, um das zu verhindern. Wir können uns auch nicht erklären, wie es nun passiert ist, waren der Meinung, alles unter Kontrolle zu haben. Wir haben strenge Kontrollen durchgeführt aber wir..."

"Ich lege auf!"

"Katagori wurde in Domino gesichtet!"

Kaiba verstummte, schloss den Mund und hob überrascht die Augenbrauen. Nur ein kurzes erschrockenes Stechen hatte er gespürt und doch blieb er ruhig. Von einer auf die andere Sekunde war er hellwach, rieb sich das Kinn und warf einen flüchtigen Blick aus dem Fenster. Seine Augenbrauen verzogen sich.

"Wir sind uns jedoch nicht sicher!", begann der Polizist sofort wieder zu schnattern, bevor sich Kaiba in diese Neuigkeit vertiefen konnte. "Ein Passant rief an und meinte, er hätte ihn wieder erkannt, im Westviertel! Wir werden die Sache überprüfen und melden uns noch einmal, wenn wir Klarheit haben. Bitte machen Sie sich keine Sorgen aber vielleicht sollten Sie sich einen Bodyquard besorgen, Herr Kaiba! Und passen Sie auf sich auf! Wenn er es wirklich ist, dann ist es möglich, dass Sie wieder sein Ziel darstellen."

Kaiba schwieg.

Sein Blick war nachdenklich auf die gegenüberliegende Wand gerichtet. Er blieb ruhig, äußerlich zumindest.

"Natürlich", sagte er dann kühl, beinahe unbeteiligt. "Weshalb sollte er sonst zurückgekehrt sein?"

"Ich wollte nur, das Sie bescheid wissen und vorsichtig sind", bettelte der junge Polizist. "Ich möchte mir nur sicher sein, dass Ihnen nicht zustößt."

"Danke für Ihre Anteilnahme." Kaiba atmete tief ein, rieb sich das Gesicht erneut und sah sich wieder um. "Auf Wiederhören."

"Was? Ich dachte, ich..."

Doch Kaiba griff wieder nach dem Telefon und legte auf. Nur langsam zog er dann die Hand zurück, hakte den Zeigefinger in sein Hemd, zog es lockerer und schnappte nach Luft.

Gerade mal zwei Monate hatten sie Zeit gehabt, sich von Katagori zu erholen. Und nun war er wieder da. Kaiba war gespannt, was er sich dieses Mal ausgedacht hatte.

Katagori, wir alle waren der Meinung, die Vernunft hätte nach Ihnen gegriffen! Kaiba blieb sitzen, klackerte mit den Fingernägeln über den Tisch. Seine Augen waren nachdenklich auf die gegenüberliegende Wand gerichtet, seine Gesichtszüge wirkten verbissen. Auf der einen Seite hoffte er, dass Katagori von der Polizei geschnappt und auf Immer und Ewig aus dem Verkehr gezogen würde. Auf der anderen Seite reizte ihn auch der Gedanke, sich persönlich an ihm zu rächen. Während sich sein ehemaliger fauler Mitarbeiter versteckt hielt, hatte er seine Wut in Grenzen gehalten, doch nun? Nun erwachte die Lust in ihm, Katagori für all die Dummheiten, die er begangen hatte, bezahlen zu lassen.

Nach wenigen Minuten steckte er sich eine Zigarette an, machte es sich gemütlich und schloss die Augen. In dieser Haltung verweilte er und grübelte.
 

"Seto?!"

Kaiba blickte auf, erhob sich aus dem Sessel und ging um den Schreibtisch herum. Er befand sich in seinem Büro und wie versprochen, war Joey hier, um ihm zu helfen. Nun stand er vor seiner Tür und jammerte.

"Seto?! Hilfst du mir mal?"

In gemächlichen Schritten steuerte Kaiba auf die Tür zu, griff nach der Klinke und öffnete sie. Einen Aktenberg balancierend, stolperte der junge Mann an ihm vorbei, strauchelte zu einer kleinen Ablage und legte das schwere Gepäck auf ihr ab. Kaiba schloss die Tür, lehnte sich dagegen und beobachtete ihn nachdenklich, beinahe schon etwas trübsinnig. Joey schnaufte, schlug die Hände auf der Hose sauber und wandte sich ihm zu. Er grinste, nahm jedoch schnell Ernsthaftigkeit an.

"Was ist?", fragte er verwundert, als er Kaibas merkwürdigen Blick bemerkte. "Ist alles in Ordnung?"

"In Ordnung?" Kaiba runzelte die Stirn. "Ich weiß es nicht."

"Verstehe ich nicht." Verwundert trat Joey näher. "Da ist doch etwas. Ich weiß, dass dich etwas bedrückt. Komm, sag es mir."

Kaiba seufzte leise, ließ die Hand von der Klinke rutschen und kehrte zu seinem Schreibtisch zurück. Joey folgte ihm und blieb vor dem Schreibtisch stehen, als sich Kaiba hinter ihm niederließ. Unter einem leisen Seufzen lehnte er sich zurück, rieb sich das Kinn und begann zu sinnieren. Wieder dachte er an Katagori und an die Folgen, die seine Rückkehr mit sich brachte. Joey blieb stehen, schien bei seinem Anblick ebenfalls zu grübeln. Nach einer langen Zeit des Schweigens sah Kaiba auf und traf auf seinen Blick. Langsam richtete er sich im Sessel auf.

"Joseph, deine Nase…“

„Hm?“

„Sie blutet."

"Was?" Sofort hob Joey die Hand und betastete seine Lippen. Er spürte eine schmierige Flüssigkeit auf seinen Fingerkuppen, ließ die Hand sinken und starrte das Blut an, das an seinen Fingern haftete. "Seid wann habe ich denn Nasenbluten?"

"Warte." Kaiba erhob sich. "Ich hole dir ein Tuch."

"Ja." Joey zog die Nase hoch, schmeckte das Blut in seinem Mund. "Danke."

Während Kaiba hinausging, begann das Blut über sein Kinn zu laufen und er hielt die Hand darunter, damit es nicht zu Boden tropfte. Es blutete sehr stark, in seiner Handfläche sammelte sich das herabtropfende Blut schnell.

Langsam trat Joey zurück, tastete mit der anderen Hand nach einem Stuhl und ließ sich auf ihm nieder. Und es wollte nicht aufhören. Glücklicherweise kehrte Kaiba schnell zurück, drückte ihm das versprochene Tuch in die Hand und hockte sich vor ihn. Joey nickte ihm kurz zu, legte das Tuch auf die nasse Hand und drückte es dann auf seinen Mund. Er spuckte das Blut aus, wischte sich die Lippen sauber und legte den Kopf in den Nacken.

"Oh... man!", stöhnte er hinter dem Tuch und schloss die Augen.

"Kommt so etwas öfter vor?", erkundigte sich Kaiba. "Das kann doch nicht..."

"Ja, schau mal. Das läuft und läuft." Kurz hob Joey das Tuch und besah es sich. "Das kann wirklich nicht normal sein."

Kaiba nickte, blieb hocken und stemmte die Hände auf die Knie. Joey stöhnte wieder, begann sich zu regen und verblieb dann bewegungslos.

"Du solltest zum Arzt gehen", schlug Kaiba vor, doch da begann Joey zu lachen.

"Das sagt der Richtige! Ich gehe nicht, bevor du dich nicht untersuchen lässt!"

"Mir fehlt nichts“, warf Kaiba ein.

"Siehst du?" Schwungvoll richtete sich Joey auf. "Mir fehlt auch nichts."

"Soll ich...", Kaiba zögerte kurz, "… dir ein neues Tuch holen? Das beginnt schon zu tropfen."

"Nein, sicher ist es sowieso bald vorbei."

"Okay." Kaiba wirkte nun etwas nervös. Er nickte, presste die Lippen aufeinander und beobachtete Joey, wie er das Tuch in der Hand wendete. Wieder brach ein langes Schweigen über sie herein. Joey entspannte sich, wartete, bis das Bluten endlich aufhörte. Kaiba beobachtete ihn aufmerksam, seine Hände begannen sich zappelig auf den Knien zu bewegen. Dieser atmete tief ein, rollte mit den Augen und schluckte hinter. Kaiba wartete nur darauf, dass er ihn um ein neues Tuch bat, doch das tat er nicht. Es vergingen mehrere Minuten und das Bluten nahm nicht ab. Das Tuch war vollständig rot gefärbt, als sich Joeys Augen langsam auf Kaiba richteten.

"Was ist?", erkundigte sich dieser sofort.

"Seto." Joeys Hand tastete nach der Seinen seine Stimme begann leicht zu zittern. "Irgendetwas stimmt nicht…"

Sofort erhob sich Kaiba.

"Wie meinst du das?"

"Ich... ich weiß nicht!" Joey hustete, in seinen Augen erschien eine gewisse Panik.

"Was ist mit dir!" Kaiba beugte sich über ihn. "Sag etwas!"

Joey zog die Nase hinter und richtete sich im Stuhl auf, Kaiba wich vor ihm zurück. Als er aufrecht saß, keuchte er, seine Augen wechselten von einer Seite zur anderen. Kaiba fühlte sich hilflos, als er dort stand und Joey anstarrte. Wieder hustete dieser und kurz darauf erspähte Kaiba einen breiten Blutfaden, der über sein Kinn floss.

"Oh Gott!" Hektisch fuhr er herum, grabschte nach einem Hemd, das dort herumlag und reichte es Joey. Dieser nickte hastig, ließ das Tuch sinken und... Kaiba erstarrte!

Reflexartig zog er das Hemd zurück und starrte ihn an. Das Blut lief nicht aus seiner Nase... sondern aus seinem Mund!

Joey öffnete ihn und atmete stockend aus, Kaibas Augen weiteten sich entsetzt. Auch Joey machte den Eindruck, als würde sein Herz stehen bleiben, als er langsam die Hand zum Mund hob. Sofort färbte sie sich rot, selbst von ihr tropfte das Blut in schnellem Takt. Immer mehr quoll aus seinem Mund. Er atmete schnell ein, verschluckte sich jedoch an dem Blut. Hustend und würgend neigte er sich nach vorn, sank in Kaibas Arme, der sich schnell vor ihn hockte.

"Joseph!" Bebend hielt Kaiba den jungen Körper fest, spürte schnell, wie eine warme Flüssigkeit sein Hemd durchnässte. Von einer auf die andere Sekunde erlitt Joey Atemnot, er keuchte und grauenhafte Töne drangen aus seiner Lunge. "Joseph!! Was ist mit dir?!"

Kaiba schnappte fassungslos nach Luft, Joeys Körper erbebte in seinen Armen. Kurz darauf spürte er, wie sich seine Finger in seine Seiten schlugen, wie sich seine Nägel verkrampft in seine Haut bohrten. Schnell sog sich das Blut in den Stoff des Hemdes, seine ganze Schulter hatte sich rot gefärbt, der Stoff klebte nass auf seiner Haut. Kaibas Herz begann zu rasen, als er aufblickte und das Gesicht zur Tür drehte.

"Pikotto!!", schrie er aus vollem Halse. "Hilfe!! Hört mich jemand?!"

"Set..." Joey rang nach Atem, es klang, als hätte sich seine Lunge zugeschnürt - er bekam keine Luft! "Hilf... m…!!"

"Halt durch!" Kaiba begann am gesamten Leib zu zittern, sein Herz schlug wild in seiner Brust, als er Joey an sich presste. Er musste etwas tun! Was zur Hölle war nur mit ihm?!

Schnell hob sich der Leib unter wenigen schnellen Atemzügen, Joey regte sich benommen in seinen Armen, seine Finger lockerten sich.

"Set..." Joeys Stimme klang gedrungen, war kaum noch wahrzunehmen. Wieder spuckte er Blut, es tropfte aus seinem Mundwinkel, begann wieder aus seiner Nase zu quellen.

Nach einem kurzen Zögern schob sich Kaiba zurück und zog Joey aus dem Stuhl. Dieser sank nach vorn, lehnte an ihm und wurde kurz darauf niedergelegt. Kaiba ließ ihn sinken, legte ihn auf den Boden. Joeys Gesicht war blutverschmiert, die wenigen freien Stellen waren leichenblass. Die Augen waren weit aufgerissen. Auch sein Mund stand weit offen... doch kein Atem kam über die blutigen Lippen. Er zitterte, doch atmen tat er nicht.

Kaiba konnte sich kaum bewegen, als er dies sah. Nur stockend neigte er sich nach vorn und hob die Hände, wagte es jedoch nicht, ihn zu berühren. Verschwitzt klebten die blonden Strähnen auf der bleichen Haut... von einer auf die andere Sekunde war es passiert, ohne das man es sich erklären konnte.

"Joseph..." Kaiba rieb sich die Wangen. "Oh Gott... Joseph!" Wieder wandte er sich zur Tür und schrie, doch niemand kam. "Joseph!!"

Joey gab kaum noch Lebenszeichen von sich, sein Bauch hob sich nicht, senkte sich nicht, kein Puls schlug. Blut sammelte sich auch in den Augen, rann als Tränen über seine Wangen.

Endlich riss sich Kaiba zusammen, beugte sich hinab und schob die Arme unter den starren Körper. Er hob ihn an, zog ihn zu sich, presste den jungen Mann an sich und starrte in sein Gesicht, dem es an jeglicher Regung fehlte. Die Augen... die braunen Pupillen, die ins Leere starrten... sie erweckten eine abscheuliche Angst in ihm. Es war ein grauenhafter Anblick!

"Joseph...?" Kaiba schluckte schwer, als er ihn angstgelähmt anstarrte. "Joseph." Er rüttelte an ihm. "Sag etwas!"

Doch Joey bewegte sich nicht, wirkte wie eine leblose Hülle. Kaiba flüsterte den Namen erneut, seine Stimme zitterte und klang heiser. Er konnte, er wollte nicht glauben, dass er einen Toten in den Armen hielt. Tränen sammelten sich in seinen Augen, als er die Hand hob und sie auf die blutige Wange legte. Sie fühlte sich kalt an. Kaiba sank kraftlos in sich zusammen, seine Finger krallten sich in das T-Shirt. Verkrampft schloss er die Augen, biss die Zähne zusammen und unterdrückte ein lautes Schluchzen. Eine Träne tropfte von seiner Nasenspitze, verlor sich in den blonden Schopf des jungen Mannes, der leblos in seinen Armen lag. Zitternd atmete er ein, ein kaltes Schaudern zog durch seinen gesamten Körper. Kurz zog er die Nase hoch, hielt die Luft an; ein leises Wimmern drang über seine Lippen. Joey...

Was war geschehen?!

Unter einem lauten Aufschrei fuhr er in die Höhe und schnappte nach Luft, um erneut zu schreien... da kippte sein Stuhl zur Seite. Zusammen mit ihm ging er zu Boden. Hart schlug er auf, stöhnte leise und rollte sich auf den Rücken. Dann starrte er auf die Zimmerdecke. Dicker Schweiß haftete auf seiner Stirn, als er kurz darauf blinzelte, seine Pupillen wechselten hektisch von einer Seite zur anderen. Sein Atem fiel schnell und stoßweise, der Schweiß perlte von seiner Stirn. Er lag nicht lange dort, kehrte schnell in die Realität zurück und schloss die Augen.

Herrgottsakrament!

Er war während der Grübeleien eingeschlafen!!

Erschöpft hob er die Hände und rieb sich die Stirn.

Oh... Gott!

Er ließ die Hände auf den Boden zurücksinken, schloss die Augen und versuchte seinen Atem zu beruhigen.

Vor den Fenstern seines Zimmers lag die Dunkelheit, die tiefe Nacht. Er hatte nicht allzu lang geschlafen. Für wenige Minuten blieb er reglos liegen, dann erwachte er wieder zum Leben, trat den Stuhl zur Seite und richtete sich auf. Unsicher kam er auf die Beine, strauchelte auf den Schreibtisch zu und stützte sich auf ihn.

"Verdammt!", ächzte er und fuhr sich mit dem Ärmel über die Stirn.

Dieser Traum!

Er war körperlich und seelisch am Ende!!

Das war zuviel!

Auf jeden Fall! Zuviel!!

Seine Hände zitterten noch immer, sein Herz raste.

"Joseph..."

Was hatte dieser Traum zu bedeuten?

Was zur Hölle wollte man ihm damit sagen?

Und wieso zum Teufel quälte man ihn mit so etwas!!

Ermattet trat er einen Schritt zurück, legte die Hände auf die Tischkante und ließ den Kopf hängen.

>Katagori! Joseph!<, ging es ihm durch den Kopf. >Joseph...<

"Oh Gott!" Kaiba blickte auf, grabschte nach dem Telefon und zog es zu sich. Schnell tippte er eine Kurzwahltaste und richtete sich auf. Noch immer ließ der Traum ihn zittern, als er sich abwandte, nach dem Stuhl griff und ihn aufstellte. Während ein Klingeln über den Lautsprecher ertönte, ließ er sich in das weiche Polster fallen und ließ die Arme baumeln. Wieder stöhnte er... nebenbei lauschte er dem Klingeln. Und dieses Klingeln hielt lange, ja, sehr lange an. Nach ungefähr zwanzig Sekunden wurden Kaiba ungeduldig, richtete sich auf und starrte das Telefon an. Wieder klingelte es... und immer und immer wieder.

Denn endlich wurde abgenommen und sofort neigte sich Kaiba nach vorn und rieb sich die Hände. Leises Geraschel, dann ein lautes Gähnen.

"Uhhh... ja...?", ertönte eine verschlafene und müde Stimme. Ein bebendes, brüchiges Grinsen zeichnete sich auf Kaibas Lippen ab.

"Ja... ich bin es", meldete er sich nach einem kurzen Zögern heiser.

Stille... wieder leise Regungen.

"Seto? Ja, weißt du denn wie spät es ist?" Eine kurze Pause. "Halb zwei!"

"Hm... ja... was?" Überrascht lugte Kaiba zu den dunklen Fenstern, dann wandte er sich zur anderen Seite und schickte der Uhr einen knappen Blick. "Oh."

"Ja, oh." Joey gähnte erneut. "Warum bist du denn noch nicht im Bett?"

"Na ja..." Kaiba seufzte und lehnte sich wieder zurück, legte den Hinterkopf auf die Lehne und schloss die Augen. Joeys Stimme beruhigte ihn, ließ ihn meinen, alles sei in Ordnung. Und doch quälte ihn der Traum.

"Na ja? Was ist denn? Warum rufst du mich an? Ist etwas passiert? Geht es dir nicht gut?"

"Doch... doch es geht mir gut. Ich wollte nur... ähm... ich wollte nur anrufen... weil ich..."

"Weil du was?", fragte Joey.

Kaiba hatte keine Ahnung, warum er angerufen und Joey aus dem Schlaf geholt hatte. Vielleicht nur, um sich zu vergewissern, dass es ihm gut ging? So musste es sein. Und Kaiba ging es nun, da er seine Stimme hörte, wirklich besser. Sein Herz beruhigte sich... seine Hände ebenso.

"Weißt du was?" Joey lachte leise, scheinbar war er nun richtig wach. "Es tut richtig gut, aufzuwachen und deine Stimme zu hören. Außer dem aufwachen... geht es dir auch so?"

"Ja", antwortete Kaiba sofort. "Ja, natürlich. Es tut gut."

"Ist... wirklich alles in Ordnung?"

Kaiba schwieg, wieder begann er die Hände zu reiben. Wieder bejahte er es, doch mit jeder Sekunde, die er daraufhin schwieg, wurde sein Gesicht von einer gewissen Niedergeschlagenheit befallen. Doch Joey ließ ihm nicht die Zeit, in Depressionen zu versinken.

"So, du solltest dich jetzt wirklich hinlegen", predigte er. "Dir ging es in den letzten Tagen überhaupt nicht gut und du brauchst den Schlaf mehr, als jeder andere. Ich bin auch auf meinen Schönheitsschlaf angewiesen."

"Ja." Kaiba nickte langsam und richtete sich auf, die Hand zum Telefon hebend. "Bis dann."

"Geh aber wirklich ins Bett, ja?"

"Gut." Kaiba legte auf.
 

Nein, er ging nichts ins Bett.

Er ließ Joeys deutlichen Befehl außer Acht, blieb sitzen und grübelte. Er rauchte eine Zigarette, trank ein Glas Whisky und entschloss sich nach einer Stunde dazu, sich an eine der wenigen Personen zu wenden, denen er vertraute, sich bei dieser Person Rat zu holen. Ohne zu zögern machte er sich auf den Weg, fuhr in die Firma.

Zu dieser Uhrzeit war keine einzige Menschenseele auf den Straßen. In der Zwischenzeit war es um drei. Kaiba war nicht mehr müde - der Schlaf war ihm vergangen. Er stand unter einer großen Anspannung, als er aus dem Wagen stieg und in schnellen Schritten über den großen Parkplatz auf das riesige Gebäude zueilte. In den oberen Stöcken brannten nur wenige Lichter, nicht viele waren immer noch oder schon wieder bei der Arbeit. Flüchtig und durchaus etwas nervös, sah sich Kaiba um, rieb sich den Hals und sprang die wenigen Stufen hinauf. Mit einem sechsstelligen Zahlencode öffnete er die Tür und trat in das riesige Foyer.

Viele Gedanken tobten in seinem Kopf, viele Ängste und Befürchtungen. Sorgen um Joey plagten ihn, denn mit Katagori würde er höchstwahrscheinlich kein leichtes Spiel haben. Mit dem Fahrstuhl fuhr er in die 32. Etage. Und dort herrschte trotz der Nachtruhe eine große Tätigkeit. Ungefähr zwanzig Mitarbeiter kamen ihm entgegen, grüßten und führten ihren Weg fort. Kaiba schenkte ihnen keinerlei Beachtung, bog vor seinem Büro links ein und eilte durch den breiten Gang. Vor der zweiten rechten Tür blieb er stehen, atmete tief ein und klopfte an. Anschließend griff er nach der Klinke, drückte sie hinab und öffnete die Tür.

Umringt von vielen leeren Kaffeetassen, saß Pikotto an seinem großen Schreibtisch. Nun erkannte er seinen Gast, wandte sich von seinem Computer ab und lehnte sich zurück. Kaiba nickte ihm kurz zu, trat ein und schloss die Tür hinter sich. Unterdessen faltete Pikotto die Hände auf dem Bauch und sah ihn näher kommen. Ohne ein Wort zu verlieren, zog Kaiba den Stuhl zurück, ließ sich kraftlos auf ihm nieder und stöhnte erschöpft. Pikotto beobachtete ihn kurz, dann zog er sich eine Zigarette und bot auch ihm eine an, Kaiba jedoch, dankte ab.

"Mir ist es schon zu Ohren gekommen", verriet Pikotto dann und entzündete den Tabak, Kaiba blickte auf. "Ich habe nur darauf gewartet, dass du zu mir kommst."

Kaiba grinste bitter, wurde wieder ernst und rieb sich die Stirn.

"Es ist noch nicht lange her, da verletzte er Mokuba und dich, schoss Joseph an und war kurz davor, mich umzubringen", hauchte er müde blinzelnd. "Fängt das jetzt alles wieder von vorne an?"

"Da bin ich mir sicher." Pikotto machte es sich gemütlich. "Weshalb sollte er sonst zurückgekehrt sein?"

"Hm." Kaiba streckte die Beine aus, legte den Kopf in den Nacken und starrte auf die Zimmerdecke. "Ich mache mir keine Sorgen um mein Leben. Auch Mokuba werde ich beschützen können. Ich werde alles in die Wege leiten, um dafür zu sorgen, dass ihm nichts zustößt. Du bist dazu im Stande, dich selbst zu beschützen. Sicher wirst du es, wenn du nicht auf einen kleinen Jungen aufpassen musst. Auch die anderen Mitarbeiter müssen keine Angst haben."

Pikotto nahm einen starken Zug, blies den Rauch in die Luft und richtete den Blick grübelnd, beinahe schon etwas verbissen auf Kaiba.

"Joseph trägt all deine Sorgen."

"Ja", ächzte Kaiba. "Um ein Haar wäre er durch meine Schuld gestorben. Hätte ihn die Kugel ihn nur wenige Zentimeter tiefer getroffen, hätte er es nicht überlebt. Glaubst du das?" Wieder grinste Kaiba so verzweifelt. "Er streitet natürlich alles ab, sagt, er habe selbst entschieden, doch selbst sein Vater hat mir die Schuld zugewiesen. Indirekt, aber er hat es getan. Und jetzt weiß ich nicht, was ich tun soll. Ich möchte ihm nicht zwei Bodyquards auf den Hals hetzen, ihn beschatten und verfolgen lassen. Katagori kennt ihn, hat es vielleicht auch auf ihn abgesehen, um mir Schaden zuzufügen. Das Problem ist, dass ich Joseph nicht die ganze Zeit über bei mir haben kann. Das wäre noch gefährlicher für ihn, als wenn er zu Hause oder auf der Straße ist. Außerdem weiß ich nicht, ob Katagori weiß, wo er wohnt. Herrgott, ich hoffe nicht. Joseph ist sich der Gefahr nicht bewusst und sicher hat er keine Lust darauf, von zwei Männern auf Schritt und Tritt verfolgt zu werden. Außerdem...", Kaiba stoppte, "... außerdem will ich nicht, das er von Katagoris Rückkehr erfährt. Er würde sich wieder Sorgen um mich machen, mir an der Ferse hängen und sich somit in Gefahr begeben. Ich stecke in einem Teufelkreis fest, Pikotto."

Auch wenn es ihm missfiel, er musste zustimmend nicken. Kaiba fuhr fort.

"Wie soll ich ihn schützen, ohne, dass er es weiß? Wie soll ich meine Nervosität so verstecken, dass er sie nicht bemerkt? Er kennt mich zu gut und das ist mein Problem. Ich habe ihn in all das hineingezogen ohne, dass ich es wollte. Ich habe ihn in große Gefahr gebracht, ohne, dass ich es beabsichtigte. Und auch wenn er mich unschuldig spricht, mache ich mir Vorwürfe."

Pikotto schwieg und Kaiba schüttelte in einer leisen Verzweiflung den Kopf.

"Joseph hat mein Leben völlig umgekrempelt. Ich habe neue Seiten an mir kennen gelernt. Ich mache mir Sorgen um dies und das, so wie ich es mir früher nie hätte träumen lassen. Ich werde schneller nervös und grüble mehr, als früher. Ich nehme manche Sachen stärker wahr, lernte Orte kennen, an die ich mich früher nie begeben hätte. Man könnte sagen, er hat meinem Leben eine gewisse Vielfältigkeit geschenkt. Aber in diesem Fall lässt er mich unbewusst verzweifeln. Er nimmt immer alles so unglaublich locker!" Kaiba hob die Hände und stöhnte, noch immer starrte er auf die Decke. "Er meint, dass wir alles zusammen schaffen könnten. Aber das funktioniert einfach nicht. Manche Dinge muss man anders regeln."

"Joseph schwebt in Gefahr, nur weil er dich kennt und oft bei dir ist", murmelte Pikotto.

"Du sagst es." Schwungvoll richtete sich Kaiba auf und starrte ihn trübe an. "Und hast du auch einen Rat für mich? Was soll ich jetzt machen? Wie soll ich dafür sorgen, dass ihm nichts passiert? Wie soll ich das schaffen, ohne ihm den Grund zu nennen, ohne ihm von Katagori zu erzählen? Als er noch nicht bei mir war, musste ich nie über so etwas nachdenken. Und jetzt bin ich mit meinem Latein am Ende."

"Du könntest dafür sorgen, dass er dich nicht mehr besucht. Nicht mehr zu Hause, nicht mehr in der Firma. Und treffen dürftest du dich nur an versteckten Orten mit ihm."

"Wie soll das funktionieren." Kaiba schnitt eine Grimasse. "Mit der Zeit wird es zu auffällig und er wird Fragen stellen. Außerdem... was soll ich ihm für Gründe nennen?"

"Sag ihm, dass du verreist? Sag es ihm und bleib in Domino."

"Das wird irgendwann auffliegen." Kaiba ließ den Kopf hängen, unterdrückte ein Gähnen. "Andere Gründen werden nicht das gewünschte Resultat erzielen. Er hängt wie eine Klette an mir, ich kann ihn nicht abschütteln. Und wenn er mich einen Tag lang nicht sieht, dann ruft er zweimal an, nur so, um zu wissen, dass ich noch da bin."

Ein erdrückendes Schweigen brach über die beiden herein. Sie starrten vor sich hin und Kaiba war es, der nach einigen Momenten die Stille brach.

"Ich habe geträumt, dass Joseph stirbt", flüsterte er leise, ein unscheinbares Zittern verbarg sich in seiner Stimme. "Es war in meinem Büro. Er war hier, um mir zu helfen, so, wie wir es für heute ausgemacht haben. Zuerst...", Kaiba atmete tief ein, "… zuerst blutete seine Nase... dann sein Mund. Es ging alles so verdammt schnell und bevor ich mich versah, lag er tot in meinen Armen. Dieser Traum muss doch etwas bedeuten. Vielleicht warnt er mich vor etwas?" Kaiba blickte auf, sah Pikotto ernst an. "Ich muss etwas tun, Pikotto! Ich kann es nicht verantworten, dass sich Joseph erneut in Gefahr begibt! Glaub mir, ich würde alles tun, um ihn zu beschützen! Aber sag mir, was ich tun soll!"

Pikotto wandte den Blick ab, ließ die Zigarette sinken und sah aus dem Fenster. Er dachte nach, die Zigarette rollte er zwischen zwei Fingern. Wieder schwiegen sie, wieder suchten sie verzweifelt nach einem Ausweg. Kaibas Augen schweiften unruhig durch den Raum, er kratzte an den Lehnen des Sessels, leckte sich die Lippen und sog an seinen Zähnen. Der Traum... er wollte nicht an ihn denken, es machte ihm Angst! Schon bei diesem Gedanken begann sein Herz zu rasen. Es verging eine lange Zeit, bis sich Pikotto wieder ihm zuwandte. Sein Gesicht wirkte verbittert ernst. Ihre Blicke trafen sich nur kurz, dann richtete er sich auf und drückte die Zigarette im Aschenbecher aus.

"Ich weiß, was du tun kannst", sagte er, als er sich wieder zurücklehnte. "Und ich versichere dir, es wird funktionieren, wenn du es hart und stramm durchziehst."

"Was meinst du." Skeptisch legte Kaiba den Kopf schief. "Was soll ich tun."

"Es ist ganz einfach", erklärte Pikotto. "Wenn du ihn nicht mit netten Worten von dir fernhalten und ihn somit schützen kannst, dann musst du es auf dem anderen Weg tun."

"Wie sieht dieser andere Weg aus?", erkundigte sich Kaiba bitter.

Pikotto zögerte mit der Antwort, dann richtete er sich auf, stützte sich auf den Schreibtisch und fixierte Kaiba mit seiner harten Strenge.

"Bring ihn dazu, dich zu hassen und rette somit sein Leben."

"Was...?" Auch Kaiba richtete sich auf, entsetzt, ungläubig. "Ich soll... meinst du das ernst…?"

Pikotto sah genau so aus. Ja, er meinte es ernst.

"Das ist der einzige Weg, der mir einfällt. Aber es ist ein Plan, der glücken kann, wenn du es kühl und gnadenlos tust."

"Ich weiß worauf du aus bist." Kaiba stützte die Ellbogen auf den Tisch, seine Gesichtszüge zuckten vergrämt. "Aber... nein, ich glaube nicht, dass ich das..."

"Und ob du es kannst", unterbrach Pikotto ihn. "Nun, Joseph ist mir auch sympathisch. Und ich weiß auch, wie er an dir hängt. Du müsstest abscheulich grausam und schamlos sein. Nur wenn du Joseph bis ins Innerste verletzt, wird er sich von dir lösen. Nimm keine Rücksicht auf ihn. Das Beste was du erreichen könntest, wäre wirklich, seinen Hass auf dich zu laden."

"Wundervoll!" Kaiba war augenscheinlich nicht allzu fasziniert von diesem perfiden Vorschlag. "Und was soll ich tun, nachdem die Sache mit Katagori ein für allemal aus der Welt geräumt ist? Ich werde für ihn gestorben sein!"

Pikotto seufzte leise.

"Eure Freundschaft wäre verloren, sein Leben aber gerettet."

"Unsere Freundschaft bedeutet mir zuviel, als dass ich sie mit Mutwillen zerstörten könnte." Kaiba sank in sich zusammen. "Es ist eine Möglichkeit aber ich schaffe es nicht. Ich weiß, dass ich es nicht schaffen würde, selbst wenn ich..."

"Und ich weiß, dass du es kannst." Auch Pikotto fiel es nicht leicht, doch er sah der Realität ins Gesicht - der harten Realität. "Kaiba, wir wissen nicht, wann er zuschlägt und was er plant. Möglicherweise nehmen wir unbewusst an einem Wettlauf mit der Zeit teil. Das ist das einzige, was ich dir raten kann. Ich hoffe, dass dir etwas Besseres einfällt. Wenn nicht, dann hast du keine andere Wahl."

"Ich kann Joseph nicht verletzen." Kaiba schüttelte entschlossen den Kopf. "Das bringe ich nicht über mich."

"Tu es für ihn", warf Pikotto ein. "Du musst immer an den Vorteil denken, den er daraus zieht."

"Ach!" Kaiba erhob sich, wandte sich ab und ballte die Hände zu Fäusten. "Das wird nicht funktionieren. Ich kann es nicht! Und selbst wenn ich es könnte, Joseph würde mich nicht aufgeben!"

Pikotto lehnte sich langsam zurück, stützte sich auf die Lehnen des Sessels und beobachtete Kaiba. Dieser rieb sich die Stirn, ließ stöhnend die Hände sinken und taumelte leicht zur Seite.

"Du solltest dich hinlegen und dich ausruhen." Auch Pikotto stand auf, ging um den Schreibtisch herum und blieb neben ihm stehen. "Versuch zu schlafen."

"Wie soll ich Schlaf finden!" Kaiba lugte bissig zu ihm. "Ich kann nicht einmal ruhig sitzen!"

"Dann überdenke die Sache", erwiderte Pikotto. "Du kannst auch über andere Möglichkeiten grübeln aber ich bezweifle, dass dir etwas Effektiveres einfallen wird. Und wenn du dich entschließt, es zu tun, dann bin ich mir sicher, dass du es schaffst. Deine schauspielerischen Künste sind unübertroffen. Sicher, auch du wirst darunter leiden aber dann musst du dir keine Sorgen machen und kannst dich um Katagori kümmern, ohne Joseph bedenken zu müssen."

Wieder lugte Kaiba zu ihm.

"Ich kann es nicht!", fauchte er erneut, wandte sich ab und ging los. "Ich kann es nicht und ich mache es nicht!"

Mit diesen Worten erreichte er die Tür, riss sie auf und trat in den Flur hinaus. Pikotto blieb in seinem Büro zurück.

"Joseph verletzen, um ihn zu retten!" Am Ende seiner seelischen und körperlichen Kräfte eilte Kaiba auf sein Büro zu. "Ja, es würde vielleicht funktionieren, aber ich kann es nicht! Gott, was bin ich weich geworden! Früher hätte ich es getan, ohne mit der Wimper zu zucken!" Er schüttelte den Kopf. "Schauspielerische Künste... so ein Blödsinn! Ich schaffe das nicht!"

Endlich erreichte er sein Büro, blieb vor der Tür stehen und stützte die Hände in die Hüfte. Wieder schüttelte er den Kopf, diesmal wirkte die Geste noch verzweifelter. Er konnte Joey nicht verletzen! Dafür liebte er ihn zu sehr! Er war auf ihn angewiesen, brauchte ihn, um sich des Lebens zu erfreuen. Brauchte ihn, um sich seiner zu erfreuen! Was würde wohl passieren, wenn er Joey von sich stieß, ihm das Herz brach... und Katagori auf sich warten ließe? Was war, wenn dieser seine Rachsucht überwunden hatte und sich nur einen neuen Job suchen wollte? Er müsste sich sicher sein, das es etwas brächte. Doch er war es nicht. Er war so unsicher, wie man es nur sein konnte. So unsicher, wie noch nie zuvor. Leidend schloss er die Augen, atmete tief ein und drehte das Gesicht zur Seite. Er blickte in den großen Arbeitsraum, der sich direkt vor seinem Büro erstreckte, besah sich seine Mitarbeiter. Nach kurzen Beobachtungen, fiel sein Blick auf eine Mitarbeiterin. Sie war jung, von schlanker Gestalt und außerordentlicher Schönheit - noch nie war sie ihm aufgefallen. Warum auch? Sie trug einen kurzen, ja, sehr kurzen Rock und eine luftig leichte Bluse; ihre langen schwarzen Haare waren zu einem säuberlichen Knäuel gebunden. Kaiba blieb stehen und beobachtete sie.

>Joseph verletzen und ihn dadurch retten<, ging es ihm wieder durch den Kopf.

In dieser Sekunde blickte die junge Frau, die sich Fukuyoka nannte, von dem Drucker auf und drehte sich zu ihm um. Sogleich als sie ihn sah, lächelte sie freundlich und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Kaiba hatte den Blick nicht von ihr abgewandt, starrte sie noch immer gedankenverloren an und griff dann langsam nach der Türklinke.

Er betrat sein Büro, schloss die Tür ab und warf sich auf das Sofa, das direkt vor dem Fenster stand. Er legte die Beine nach oben, atmete tief durch und drehte matt das Gesicht zur Seite, um sich das schlafende Domino zu betrachten.

Seine Augen flimmerten, wirkten glasig und müde. Ja, nun war er müde, jedoch nicht bereit, zu schlafen. Wie schon erwähnt, wie sollte er Schlaf finden in dieser Zeit, die voller Sorge war? Langsam öffnete er den Mund und blinzelte. Hell leuchteten die wenigen Lichter der Läden, der Straßenlaternen. Die meisten Häuser lagen in völliger Dunkelheit, die Straßen wirkten leer und trostlos. Niemand war mehr unterwegs...

In diesen Sekunden erschien Kaiba die Stadt wie eine Stätte des Todes...

Woran sollte er sich nun erfreuen? Er hatte nur zwei Möglichkeiten.

Sollte er Joey in das Geschehen einweihen, sich von ihm betüddeln und betun lassen? Sollte er sich seiner Hilfe und übertriebenen Besorgnis ergeben? Sollte er ihn bei sich wohnen lassen und Bodyquards engagieren, die stets um sie herum waren? Obgleich diese Möglichkeit nach großer Sicherheit klang, war Kaiba nicht wohl bei diesem Gedanken. Nein, überhaupt nicht. Er wusste nicht, woran es lag. Vielleicht war es nur eine dunkle Vorahnung.

Oder sollte er Joey soweit treiben, dass er ihn hasste??

Das war sicherer, jedoch schmerzhafter... für beide. Joey würde es nicht verstehen, würde den Grund nicht kennen und Kaibas kühlen Worten Glauben schenken, obwohl daran Zweifel zu setzen waren.

Wieder rieb sich Kaiba die Stirn. Lange blieb er dort liegen, blickte auf Domino herab und dachte nach... über alles und nichts. Kaum einen klaren Gedanken bekam er zu Stande.

Und so schlief er nach fast zwei Stunden ein...
 

Er erwachte, als sich das Telefon auf seinem Schreibtisch meldete. Es klingelte laut und unaufhörlich, riss Kaiba aus dem Schlaf. Er fuhr in die Höhe, erschrocken und aufgeregt. Er hatte nicht gemerkt, dass er eingeschlafen war und nun war es schon helllichter Tag. Erschöpft ließ er den Kopf hängen, rieb sich den Nacken und zog die Füße von der Sofalehne.

Nur langsam kam er dann auf die Beine. Er hatte keine Lust, lange Telefongespräche zu führen, und doch taumelte er auf seinen Schreibtisch zu, stolperte beinahe über ein paar Akten, stieß sich an der Tischkante und grabschte dann nach dem Hörer. Wieder ließ er sich nieder, schloss müde die Augen und legte den Hörer an das Ohr.

"Ja...?", meldete er sich matt und leise.

Daraufhin gähnte er, ließ sich zurückfallen und streckte die Beine von sich. Doch niemand meldete sich in der Leitung. Er besaß soeben nicht viel Geduld, war fahrig und aufgewühlt. Also wartete er nicht lange.

"Ja! Hallo?"

Nichts.

Kaiba stöhnte und richtete sich stockend auf.

"Idiot!", zischte er in den Hörer und ließ ihn sinken. "Man ist mir schwindelig..."

Somit legte er auf, stöhnte erneut und lehnte sich wieder zurück. Als er bequem saß, setzte er zum Gähnen an... ließ es jedoch bleiben. Er schien zu erschrecken, über eine plötzliche gekommene Einsicht. Langsam schloss er den Mund und lugte mit geweiteten Augen zum Telefon. So einen Anruf hatte er noch nie erhalten. Wieder richtete er sich auf, wieder griff er nach dem Telefon und hob den Hörer ab. Anschließend tippte er schnell einige Tasten und starrten auf den Display. Die Nummer des Anrufers war nicht in seinem Telefonbuch gespeichert. Eine böse Befürchtung breitete sich in ihm aus, als er den Hörer zurücklegte, sich erhob und sich auf den Schreibtisch stützte.

Noch nie... also warum gerade heute?

Er schluckte... wieder driftete sein Blick zu dem Telefon ab. Konnte das sein?

Nein, ganz sicher hatte Katagori seine Rachsucht nicht überwunden! Er hatte angerufen, Kaiba spürte es! Nervös schnappte er nach Luft, ballte die freie Hand zur Faust und hob sie zum Mund.

Es war also doch Ernst, es würde von neuem beginnen! Solche Zeiten forderten schnelle und effektive Handlungen! Was blieb Kaiba übrig? Was sollte er nun tun, wenn Joey in einer Stunde hier aufkreuzte, keck grinste und ihm hilfreich zur Hand ging? Einweihen?

Warum nicht? Kaiba ging Kreise. Wegen der Gefahr! Und wenn er aufpasste!

Letztes Mal wollte er auch aufpassen! Und alles war schief gegangen!

Und wenn er diesmal besser aufpasste?

Das funktionierte nicht!

Er wollte Joey nicht durch Katagori verlieren! Er war ihm wichtig! Auch wenn er es seltener zeigte...

Er musste sich schnell entscheiden... und schnell hieß diesmal binnen einer Stunde. Denn dann würde er Besuch bekommen.

In langsamen Schritten steuerte er auf die Tür zu, schloss auf und öffnete sie. Mit einem weiteren Schritt stand er dann vor dem großen Arbeitsraum, in dem sich nun wieder die Mitarbeiter tummelten, tratschend und werkelnd, arbeitend und schuftend. Alle vertieft in mühsamer und wichtiger Arbeit. Und ihr Chef, der berühmte Inhaber der Kaiba-Corporation stand dort, mit hängenden Schultern und einem Gesicht, wie es bleicher und zermürbter nicht sein konnte. Mit flimmernden Augen und abwesendem Blick.

Natürlich. Er war manchmal etwas grantig und gemein gewesen, doch musste man ihn deshalb mit so einer Strafe beladen? Tat es Not, ihn so leiden zu lassen? Trübe sah er sich um, fuhr sich lahm durch den Schopf und wandte sich zur Seite, da fiel sein Blick wieder auf die junge Frau, die während seines Schlafes geschuftet hatte und nun kurz davor war, nach Hause zu gehen, ihren Feierabend zu genießen und sich auszuruhen. Als Kaiba sie verschwinden sah, erwachte er zum Leben. Er blinzelte, richtete sich aus seiner zusammengesunkenen Haltung auf und neigte sich zur Seite. Hektisch suchten seine Augen nach ihr... doch er fand sie nicht.

"Fukuyoka!", rief er ohne zu zögern in die Menge und augenblicklich blieben die Mitarbeiter stehen, sahen sich um, schwiegen kurz und gingen weiter. Kaiba hielt weiterhin Ausschau nach der Frau. Mit diesem Ruf hatte er den ersten Schritt getan. Sein Herz begann zu rasen...

Und dann schlängelte sich die junge Frau durch die Anderen, kam auf ihn zu und blieb stehen. Trotz der langen Arbeit sah sie frisch und fröhlich aus, als sie auf ihre höfliche Art und Weise lächelte.

"Sie wünschen, Herr Kaiba?" Sie trug bereits ihren Mantel und hielt eine Tasche in der Hand. Er erwiderte ihren Blick nur kurz, stützte die Hände in die Hüften und räusperte sich.

"Ich habe eine Aufgabe für Sie", rang er sich endlich durch und blickte auf. Die junge Frau hob die Augenbrauen. "Würde es Ihnen etwas ausmachen, in einer Stunde wiederzukommen?"

"Ähm... nein, eigentlich nicht", erwiderte sie schnell, jedoch verwundert. "Darf ich denn erfahren, um was es sich handelt?"

Kaiba zögerte kurz, atmete tief durch und bat sie dann mit einer leichten Kopfbewegung, in sein Büro zu kommen. Frau Fukuyoka trat ohne zu zögern ein und drehte sich zu ihm um, als er die Tür schloss.

"Es ist mir sehr wichtig und ich bezahle Sie auch dafür", sagte er, als er sich gegen die Tür lehnte und die Beine kreuzte. Die junge Frau wunderte sich doch sehr.

"Was haben Sie vor?", erkundigte sie sich.

Kaiba presste die Lippen aufeinander und senkte den Blick.
 

~*to be continued*~

Terminus

Hinter sich schloss Kaiba die Tür und wandte sich ab. Frau Fukuyoka, die nun schnell nach Hause ging, um sich frisch zu machen, schenkte er keine Beachtung. Händeringend näherte er sich Pikottos Büro, rollte mit den Augen und öffnete die Tür. Nun, vielmehr riss er sie auf und lehnte sich in den dahinterliegenden Raum. Pikotto ließ die Kaffeetasse sinken und wandte sich ihm zu.

"Ich tu es!", verkündete Kaiba entschlossen und sah sich um. "Und ich schaffe es! So, jetzt weißt du es!"

Mit diesen Worten schloss er die Tür auf seine Art und Weise und wandte sich zum Gehen ab. Jetzt brauchte er einen Kaffee!

Die Minuten vergingen... sie vergingen schneller, als es Kaiba lieb war. Er saß hinter seinem Schreibtisch, vor ihm zwei gefüllte Tassen mit dem stärksten Kaffee, den es hier gab. Trübsinnig starrte er auf einen nicht existierenden Punkt und bewegte sich nur, um nach einer der Tassen zu greifen, wobei er mal die und mal die erwischte.

Wie würde es weitergehen?

Wie würde es weitergehen... ohne Joey?

Dessen Leben war ihm wichtiger als dessen Liebe. Würde er ohne ihn auskommen? Er würde ihn vermissen - jede Sekunde, jede Minute, jede Stunde... jeden Tag seines Lebens. Und im Geheimen malte er sich Chancen aus.

Vielleicht würde Joey doch zu ihm zurückkehren, nachdem er die Sache hinter sich gebracht hatte?

Vielleicht würde er ihm verzeihen?

Zweifelhaft…

Es würde ihm wehtun, vielleicht mehr, als Joey, wenn dieser seine Worte hörte. Sie würden kühl sein. Sie würden ihn zwingen, an all das Gesagte zu glauben.

Ja, er würde herzlos sein, würde all die Veränderungen abwerfen, die er Joey zu verdanken hatte. Er würde wieder am Anfang stehen.

Joey würde ihn hassen.

Doch er?

Könnte er sich belügen und den alten Hass zurückerlangen, den er Joey gegenüber vor langer Zeit verspürte? Würde er zu seiner Boshaftigkeit zurückfinden, all die Weiche ablegen, zu der Joey ihn gebracht hatte? Er würde die Beziehung zerstören, die Joey mit viel Mühe aufgebaut hatte. Er würde sie zerstören... mit nur wenigen Worten...

Als er aufblickte und zur Uhr sah, erschrak er. Wenn Joey pünktlich war, dann dürfte es nun soweit sein. Er musste sich zusammenreißen. Er musste es schaffen, sonst wüsste er nicht weiter. Ohne zu zögern erhob er sich, ging zur Tür und trat in den großen Vorraum hinaus, in dem das alltägliche Gedränge herrschte. Er schenkte den Menschen wenig Beachtung, wandte sich nach links und öffnete dort die erste Tür. Er betrat ein säuberliches Bad, blieb vor einem der Waschbecken stehen und beugte sich hinab. Er wusch sich kurz das Gesicht, um die Müdigkeit, ebenso die Niedergeschlagenheit aus seinem Gesicht zu verbannen. Er befeuchtete auch seine Haare und als er nach einem der Handtücher tastete, fiel ihm etwas ein, das ihn wiederum unsicher werden ließ.

Vor wenigen Stunden hatte er Joey noch angerufen…

Er hatte es getan, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war. Und der junge Mann hatte es gemerkt und war darüber sehr erfreut gewesen. Hoffentlich gelang ihm sein Auftritt glaubwürdig genug. Er wollte nicht weiterhin darüber nachdenken, verbannte all die Gedanken, mit denen er in den letzten Stunden gekämpft hatte, aus seinem Kopf und trocknete sein Gesicht ab. Anschließend richtete er sich auf und besah sich den jungen Mann, der ihn anstarrte, im Spiegel. Er starrte zurück, atmete tief ein und setzte eine Miene auf, die man von ihm gewohnt war. Seine trüben und erschöpften Augen nahmen eine schneidige Kühle an, seine Gesichtszüge verspannten sich.

Kurz brachte er eine gewisse Ordnung in seine Haare, dann verließ er das Bad.

Nun konnte es beginnen. Er wollte es vor sich herschieben, so lange wie nur irgend möglich. Doch niemand wusste besser als er, dass es dazu nun zu spät war. Er hatte sich etwas in den Kopf gesetzt. Und was er sich vornahm, das tat er auch! Ohne sich einmal umzuschauen, kehrte er in sein Büro zurück, setzte sich und räumte seinen Schreibtisch auf. Er tat es nur so, um sich abzulenken oder weshalb auch immer. Er wollte den Anschein erwecken, dass alles beim Alten war. Joey sollte keinen Verdacht schöpfen, bis er sich direkt an ihn wandte. Die leere Tasse schob er zur Seite, nach der anderen griff er und lehnte sich zurück. Er schlug die Beine übereinander und trank einen kleinen Schluck; sein Blick schweifte über den Schreibtisch. Dann richtete er sich auf, griff nach einem Füller und schob ihn zwei Zentimeter zur Seite, dann einen Zentimeter zurück. Er war nervös. Doch diese Nervosität wurde schnell von der wilden Entschlossenheit, die er in sich trug, zu Nichte gemacht. Alles musste stimmen, jede Geste, jedes Wort. Er konnte sich keine Unglaubwürdigkeit leisten, keine Blamage. Nein, nicht in diesem Fall.

Als sich die Tür öffnete, hielt er in der Bewegung inne, ließ die Tasse sinken und blickte auf. Sonst hatte er sich stets über diesen Anblick gefreut, nun war es jedoch nichts dergleichen. Er spürte etwas, das man mit Angst und Unwillen vergleichen konnte.

Joey trug eine lässige Jeans und einen Kapuzenpullover. Außerdem ein Basekap. Seine Haare trug er diesmal offen. Kaiba schenkte ihm nicht zu viel Beachtung, ließ ihm lediglich ein stummes, grüßendes Nicken zukommen, als er sich zu ihm umdrehte und näher schlenderte. Dann starrte er auf seinen Computer und hob die Tasse wieder zum Mund. Joey kam bis zu seinem Schreibtisch, stützte sich auf ihm ab und neigte sich nach vorn, ihn musternd.

"Was hast du gemacht?", fragte er verwundert, Kaiba erwiderte seinen Blick. "Du siehst jedenfalls nicht so aus, als hättest du viel Schlaf gehabt."

"Stimmt", murmelte Kaiba knapp und schaltete seine Computer ein. In dieser Sekunde bemerkte er, dass er noch etwas Zeit benötigte. Er war noch nicht so weit. Also beschloss er, Joey ganz schnell loszuwerden. Wenn auch nur für kurze Zeit. "Ich habe gerade keine Arbeiten, die du erledigen könntest", meinte er in den Computer vertieft, die Tasse stellte er ab. "Geh hinaus und frag die Anderen, ob sie etwas für dich zu tun haben."

Joey hob die Augenbrauen, richtete sich langsam auf und beobachtete Kaiba äußerst kritisch.

"Hey, ich kann nichts dafür, dass du nicht ins Bett gekommen bist. Also sprich nicht in diesem Ton mit mir."

"In Ordnung." Kaiba hob die Hand und winkte ihn nach draußen. Noch nahm es Joey mit der alltäglichen Zickigkeit. Er blähte die Wangen auf, rollte mit den Augen und wandte sich zum Gehen ab.

"Toll, echt toll", hörte Kaiba ihn noch seufzen, bevor er draußen verschwand. Und sobald das geschehen war, schenkte Kaiba dem Computer keinerlei Beachtung, lehnte sich zurück und starrte auf die Tür. Noch immer verweilten seine Augen in dem kühlen Ausdruck, der Joey noch nicht aufgefallen war. In ihnen fand jedoch ein grauenhafter Kampf statt. Mal und mal veränderte sich der Ausdruck, kehrte jedoch stets zu der gewohnten Härte zurück. Ungefähr eine halbe Stunde hörte er Joeys Stimme draußen unter den anderen. Scheinbar hatte er eine Arbeit gefunden. Klar, von ihr gab es hier reichlich. Und eine kostenlose Hilfe wollten sich die armen Mitarbeiter nicht entgehen lassen.

Kaiba machte keinen Finger krumm, saß einfach da und dachte an überhaupt nichts. In den letzten Stunden hatte er so viel gegrübelt, dass es für ein ganzes Leben reichte. Er wollte es nur hinter sich bringen und deshalb war er froh, als sich Joey bald wieder zu ihm gesellte.

Er würde sein Bestes tun, sein Bestes, um ihn zu verletzen...

Diesmal ließ sich Joey in den Sessel auf der anderen Seite des Schreibtisches fallen, streckte beide Beine von sich und ließ die Arme baumeln. Dabei beobachtete er ihn heiter. Die Mitarbeiter hatten gute Laune, und er hatte viel mit ihnen gelacht.

"Hast du dich beruhigt?", fragte er guter Laune. "Kann man jetzt normal mit dir reden? Muss ich keine Angst haben, angemacht zu werden?"

"Das kannst du sehen, wie du willst", erwiderte Kaiba kurz angebunden und beschäftigt, auch stets auf den Ton achtend. "Habe ich deiner Meinung nach, keinen Grund, dich anzumachen, wie du so schön zu sagen pflegst?"

"Huh?" Joey wunderte sich. "Warum? Habe ich irgendetwas verbrochen?"

Kaiba schwieg, blickte jedoch auf und erwiderte seinen Blick mit der größten Härte, die er aufbringen konnte. Augenblicklich erkannte Joey den ungewohnten Ausdruck in seinen Augen und richtete sich langsam auf.

"Was... was ist denn los? Natürlich hast du keinen Grund. Jedenfalls nicht, dass ich wüsste. Was ist? Habe ich irgendetwas falsch gemacht?"

"Falsch gemacht... hm." Kaiba legte den Kopf schief, besah sich seine Tasse mit gespielter Gelassenheit. "Falsch gemacht könnte man nicht dazu sagen. Es gibt andere Worte dafür."

"Was ist denn mit dir los?" Joey schnitt eine Grimasse. "Du weckst mich halb zwei, jetzt komme ich zu dir um zu helfen und du... was soll denn das?"

Kaiba zwinkerte, schluckte unauffällig und richtete sich wieder auf. Er ließ Joey lange warten, warf ihm vereinzelte Blicke zu und spannte ihn auf die Folter. Er sah ihn so lange an, hielt das Schweigen so lange, bis Joey zappelig wurde. Und dann schnitt er ihm gekonnt das Wort ab und grinste auf eine schändliche Art und Weise, wie sie nur ihm gelingen konnte.

"Wie lange willst du dieses Spiel eigentlich noch weiterführen? Was erhoffst du dir von alledem?"

"Häh?" Joey verstand nicht.

"Ich wollte mich schon eher mit einem Anliegen an dich wenden." Kaiba faltete gemächlich die Hände ineinander. "Ich wollte dir schon lange sagen, was ich fühle aber zu deinem Glück oder zu meinem Bedauern fand ich Freude an dir... wenn auch nur für kurze Zeit."

"Ah ja." Joey nahm ihn nicht ernst und Kaiba musste zu härteren Mitteln greifen, um die Sache überhaupt erst einmal ins Rollen zu bringen.

"Lass es mich so ausdrücken." Ihre Blicke trafen sich. "Freizeitbeschäftigung, Langeweile, unbedeutende Abwechslung." Kaiba senkte die Stimme, bis sich ein verächtlicher Ton in ihr einfand. "Zeitverschwendung."

Joey verzog die Augenbrauen, öffnete langsam den Mund und lehnte sich stockend zurück. Aber Kaiba ließ ihm nicht die Zeit, all das Gesagte zu verstehen und zu überdenken. Er setzte zum vernichtenden Schlag an, oder zumindest einem von ihnen.

"Was ist es? Mein Geld? Mein Aussehen? Meine Arbeit? Oder mein Erfolg? Erhoffst du dir einen Vorteil, indem du mir Liebe vorheuchelst und die ganze Zeit über wie eine Klette an mir hängst?"

Joey öffnete den Mund weiter, nun war er sprachlos und Kaiba fuhr ungerührt fort, den Blick bohrend auf ihn gerichtet.

"Du warst nur einer unter vielen, ein unwichtiges Sandkorn in der Wüste. Vor dir hatte ich viele, also bilde dir nichts darauf ein, nur weil ich mit dir geschlafen habe. Es hat mir nichts bedeutet, lediglich eine Abwechslung, wie ich bereits sagte. Du scheinst alles etwas falsch verstanden zu haben! All das Techtelmechtel, das sinnlose Geschwafel von Liebe und Zukunft. Meinst du wirklich, darauf kommt es mir an? Ich kann alles haben, was ich will. Worauf ich Lust habe, das hole ich mir. Bedauerlicherweise verliere ich schnell das Interesse an solchen Dingen. Fühl dich angesprochen, denn auch du bist damit gemeint. Und wenn ich die Lust verliere... dann werfe ich es weg."

Joeys Gesicht hatte binnen wenigen Sekunden an Farbe verloren. Er starrte ihn mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Entsetzten an, und doch schüttelte er nach einem langen Schweigen den Kopf. Kaibas Blick hielt er stand.

"Was... redest du denn da?" Krächzte er heiser und stockend.

"Da kommt er wieder zum Vorschein." Kaiba lachte spöttisch. "Der dumme und ungebildete Junge, der in seinen Tagträumereien fest hängt. Ich wiederhole es gern noch einmal, damit es auch die verstehen, die vielleicht nicht all zu viel im Kopf haben. Ich wollte etwas Neues versuchen, nur für kurze Zeit um meinen Spaß zu haben. Du hast dich mir genähert und ich erkannte meine Chance. Es hat Spaß gemacht, das muss ich zugeben. Doch das Wahre ist es nicht. Nein, das war es noch nie. Nach der ersten Nacht hättest du verschwinden können, bedauerlicherweise hast du es nicht getan. Und ich habe mich darauf eingelassen, weshalb ich mich selbst nicht verstehe. Sieh mal, du bist nicht der für eine lange Beziehung. Für eine Nacht bist du gut, doch für mehr nicht. Ich habe darauf gehofft, dass du es selbst bemerkst. Da dies jedoch nicht der Fall ist, verschwende ich nun meine Zeit, um dir etwas bewusst zu machen, das jeder Blinde hätte bemerken können!"

"Das...", Joey schluckte, das Sprechen fiel ihm schwer, "… das meinst du nicht ernst. Was soll…"

"Vieles habe ich nicht ernst gemeint, doch das, glaub mir, das kommt aus tiefstem Herzen." Kaiba zwang sich ein Grinsen auf, klammerte sich an der Erbarmungslosigkeit fest und fuhr fort. "Du warst immer sehr anstrengend, hast meine kostbare Zeit in Anspruch genommen und mich von der Arbeit abgehalten. Du hast andauernd auf mich eingeredet. Doch ich, ich höre nur auf mich selbst! Und sicher bin ich nicht dazu bereit, mir von einer unbeholfenen Göre wie dir Vorschriften machen zu lassen! Du nervst mich, zwingst mich zu Dingen, die mich nicht interessieren, wie zum Beispiel, deinen Vater kennen zu lernen! Was interessiert mich ein armer Mann, der schuften muss, um sich und seinen ärmlichen Sohn über Wasser halten zu können! Ich stehe über diesen Dingen, habe so etwas wirklich nicht nötig! Mein Ruf könnte Schaden nehmen, würde man uns in der Öffentlichkeit sehen. Was denkst du! Weshalb bin ich nur abends mit dir losgegangen? Du bist wie eine verliebte Zehnjährige, nervtötend und dämlich! Und zur Hölle! Du musst dich nicht wundern, wenn du eine Kugel abbekommst, wenn du dich in meine Angelegenheit einmischst! Wegen dir hänge ich zurück, habe viel nachzuholen! Und dann muss ich mir auch noch Vorwürfe anhören! Von wegen, alles sei meine Schuld! Ist es aber nicht! Du trägst die Schuld! Und nur Du!"

"Mein Vater hat dir Vorwürfe gemacht?!" Endlich erwachte Joey zum Leben. Er schnappte nach Luft und sprang auf. "Aber ich habe ihm doch gesagt, wie es dazu gekommen..."

"Wie es dazu gekommen ist, ist völlig belanglos!", unterbrach Kaiba ihn ungerührt. "Ebenso belanglos wie alles, was du von dir gibst."

"Aber...", Joey ließ die Arme sinken, sein Atem raste, "... warte mal… ich…“

Kaiba stöhnte am Ende seiner Nerven, stützte die Stirn in die Handfläche und rollte mit den Augen. "Wenn du etwas zu sagen hast, dann behalte es für dich! Es interessiert mich nicht."

"Das... das ist doch Blödsinn!!" Joey wurde laut, seine Stimme zitterte vor Wut. "Ich weiß, dass du... das ist hirnrissig! Das glaube ich dir nicht… nichts von alledem!! Was soll dieser Mist?! Dass bist doch nicht du…"

"Du! Du kennst mich überhaupt gar nicht!" Kaibas Augenwinkel zuckten, als er sich etwas aufrichtete. "Das bin ich! Nicht der, der sich zu jedem Mist hinreißen lässt! Nicht der, den du kennst! Es kotzt mich an, mich zu verstellen um noch etwas Spaß mit dir haben zu können! Alles was du bist, kotzt mich an! Du bist wie eine Pest, ein lästiges Geschwür, das man nicht loswerden kann! Du behinderst mich in all meinen Tätigkeiten, bist mir ein Klotz am Bein! Ich will dich endlich loswerden, will mein gewohntes Leben weiterführen! Und das schaffe ich nicht, solange du hier bist!"

"Du..." Joey verstummte, bekam kein weiteres Wort hervor. Er stand nur da und starrte Kaiba erschüttert an. Er hatte ihn schneller soweit gebracht, als er gedacht hatte.

"Fake!", rief er. "Alles Fake! Kann ich etwas dafür, wenn du zu dumm bist, um es selbst herauszufinden?! Ich will nur, dass du mich endlich zufrieden lässt, mich nicht mehr nervst und mich an den Rand der Verzweiflung drängst! Ist das zu viel verlangt?! Niemand hat das verdient, so eine Katastrophe um sich zu haben! Und genau das bist du, eine Katastrophe!!"

Joey öffnete den Mund und schloss ihn wieder, sprachlos. Noch immer regte er sich kaum, starrte ihn nur an und fand nicht zur Sprache zurück.

"Und es ist mir egal, ob du es glaubst! Es ist so! Und mir fehlen die Zeit und die Lust, Überzeugungsarbeit zu leisten! Komm selbst darauf... und zur Hölle, fang nicht an zu heulen! Das ist jämmerlich!"

„Ich heule nicht!!“ Unerwartet massiv erhob sich die Stimme des Blonden und wirklich war ihm nichts Derartiges anzusehen. Verbittert schüttelte er den Kopf.

Was er hier hörte, konnte er nicht verarbeiten.

Es war zuviel!

Er wusste nicht, an was er glauben, von Kaiba denken sollte. Hatte er ihn wirklich nur ausgenutzt...? Eine funkelnde Trotzigkeit entflammte in seinen Augen.

"Warum auch immer...!", stieß er aus, "… wieso auch immer du das tust... hör auf!"

"Ich sage es dir nicht, weil es mir Spaß macht." Kaiba wurde ruhiger, schlug wieder auf den verächtlichen Ton um. "Ich sage es dir, weil es so ist. Finde dich damit ab oder lass es bleiben. Ich habe keine Lust mehr, habe eine Firma zu leiten und kann so welche wie dich nicht gebrauchen. Wie soll ich es ausdrücken? Du taugst zu nichts... Wheeler!"

Ein Zucken durchfuhr die Mimik des Blonden und zu keinem Blinzeln war er fähig, als er aufblickte. Wie weggewischt war der Zorn, zerstört die Aufmüpfigkeit.

Mit nur diesem einen Wort hatte Kaiba sein Ziel erreicht. Mit einem triumphierenden Lächeln lehnte er sich zurück, seufzte gelangweilt und warf einen lässigen Blick aus dem Fenster.

Immer noch starr und reglos waren Joeys Augen auf ihn gerichtet und nun sagte er nichts mehr.

Auch Kaiba schwieg.

Es war grausam, das man Joey nur mit solchen harten Worten loswerden konnte.

Wenn man Joey sah, wusste man nicht, was in ihm vorging. Auch Kaiba verbarg sein wahres Befinden hinter einer eisernen Maske. Hinter dieser Maske tobte die Nervosität in ihm. Weshalb drehte sich Joey nicht endlich um und ging?!

Warum stand er dort?!

Auf was wartete er?!

Hatte er sich nicht klar genug ausgedrückt?!

Musste er wirklich fortfahren?!

Wie eine Rettung erschien es ihm, als sich die Tür hinter Joey öffnete. Einen besseren Zeitpunkt hätte man nicht finden können. Joey schenkte der jungen Frau, die mit einem Kaffeeservice eintrat, keine Beachtung. Seine Augen konnten sich nicht von Kaiba lösen, während sein gesamter Körper wie erstarrt schien. Dieser sah die Frau näher kommen und ein Grinsen zeichnete sich auf seinen Lippen ab.

In Wirklichkeit schrie er.

Er wollte es nicht.

Er wollte nicht fortfahren, am liebsten alles rückgängig machen.

Frau Fukuyoka warf Joey nur einen knappen Blick zu, räusperte sich leise und blieb neben Kaiba stehen, um das Tablett abzustellen.

Der letzte Schritt also…

Kaiba griff nach ihm, tat es jedoch erst nach einem kurzen Zögern. Zielstrebig hob er den Arm, schob die Hand über den Rücken der jungen Frau, über den schlanken Bauch… und mit einem Ruck zog er sie zu sich und auf den Schoß, schlang auch den anderen Arm um ihren Leib und schmiegte sich behaglich an sie. Frau Fukuyoka reagierte geistesgegenwärtig, erinnerte sich gut an Kaibas Worte und bot den starren Augen des Blonden ein entzücktes Schmunzeln. Behaglich drehte sie auch das Gesicht zur Seite und schenkte Kaiba ein Lächeln, das an Zärtlichkeit nicht zu übertreffen war. Kaiba hatte längst den Blick von Joey abgewandt, wandte sich nun ihr zu, als wäre dieser nicht mehr gegenwärtig. Er erwiderte das Lächeln perfekt, löste einen Arm und begann mit ihrem Haar zu spielen, das nun offen über ihren schmalen Schultern lag. Kaiba beschäftigte sich noch etwas mit ihren Haaren, lehnte sich an sie... und blickte dann auf. Wieder traf sein Blick auf Joey, den das Entsetzen nun vollständig gepackt hatte. Mit letzter Kraft stöhnte er und rollte mit den Augen.

"Was machst du noch hier…!", ächzte er. "Ich habe zu tun!"

Augenblicklich trat Joey einen Schritt zurück, näherte sich hinterrücks der Tür, den Blick noch immer auf Kaiba gerichtet. Noch einen Schritt tat er, dann fuhr er herum, grabschte nach der Klinke und riss die Tür auf. Nur wenige Augenblicke, bis sie scheppernd und donnernd in das Schloss krachte und sobald er verschwunden war, veränderte sich Kaibas Mimik schlagartig. Er starrte auf die Tür, löste die Umarmung, in der er die junge Frau hielt.

"Danke", flüsterte er leise, kaum hörbar. "Sie können gehen."

Frau Fukuyoka nickte hastig, erhob sich von seinem Schoß und ging zur Tür. Als sie sie öffnete, wandte sie sich kurz zu ihm um. Nur kurz spähte sie zu ihrem Chef zurück, bevor sie sich räusperte und ebenfalls das Büro verließ.

Kaiba blieb zurück.

Er saß dort an seinem Schreibtisch, schnappte nach Luft und begann am gesamten Leib zu zittern. Er blinzelte, seine Augen drifteten hektisch und ziellos nach beiden Seiten.

Ein unglaubliches Leiden brach über ihn herein und spiegelte sich in seinem Gesicht wieder. Er öffnete den Mund, schloss ihn und wandte den Blick von der Tür ab. Hilfesuchend schweifte er durch den Raum, nervös, zittrig, unkontrolliert.

Nun hatte er es getan.

Und mit jedem Wort, war auch er zu Grunde gegangen.

Doch ob es ihm schlimmer ging, als Joey?

War dieser nun wirklich in Sicherheit...?

Kaiba schluckte die vollendete Verzweiflung hinter, begann stoßweise zu atmen.

Seine Hände falteten sich zittrig ineinander.

Was hatte er getan...?

Er konnte es nicht fassen!

Er hatte den Menschen verletzt, den er liebte! Einen der wenigen, die einen festen Platz in seinem Leben gefunden hatten! Ihm hatte er vertraut! Ihm hätte er alles gegeben! Ihm hätte er sein Leben geschenkt!

"Verdammt…!" Ein heiserer Schrei entrann ihm, sein Körper erbebte unter heftigen Atemzügen und mit einem Mal ließ er sich nach vorn sinken und das Gesicht auf die Arbeitsfläche niedergehen. Verkrampft presste er sich auf die Platte, räkelte sich erschöpft und ließ alles aus sich heraus, was sich während des Gespräches in ihm angesammelt hatte.

"Joseph...!"
 

"Sushi schmeckt am Besten, wenn man es in diese Soße tunkt." Mokuba gluckste heiter, fischte mit den Stäbchen nach einer der kleinen Rollen und zog die Soße zu sich. Bikky verfolgte das Geschehen mit unglaublichem Interesse. Er hockte mit Mokuba in der Küche und bekämpfte die frischen Sushi, die die Köche spontan für sie zubereitet hatten. "Meerrettich... das ist auch gut." Mokuba lehnte sich zurück und schob sich das Röllchen in den Mund. Auch Bikky griff nach ein paar Stäbchen.

"Wollen wir mal schauen, was noch alles dazu schmeckt?"

Somit genoss auch er das leckere Essen, Mokuba sah kauend auf, beobachtete ihn kurz und sah sich dann um.

"Mit... Kepfupp?"

"Kepfupp." Bikky nickte. "Ja, und... öhm... Worcester Sauce, Oliven, Käse...?"

"Mm... lecker!" Mokuba lief das Wasser im Mund zusammen.

Bikky schnappte sich das nächste Sushi.

"Wollen wir uns nachher einen Hot Dog machen?"

"Oh... na klar!" Mokuba weitete die Augen, tunkte den Finger in die leckere Soße und leckte ihn ab. "Ich habe heute so gute Laune! Und ich weiß nicht einmal, woran es liegt!"

"Und ich lache schon den ganzen Tag!", rief Bikky.

"Und ich habe den Gärtner dreimal umarmt!", warf Mokuba ein. "Nicht zweimal, so, wie sonst immer."

"Und ich... ich...", Bikky grübelte hektisch, "... ich hab heut fünf Muffins verputzt und wäre beinahe geplatzt!"

"Oh, warte!" Mokuba erschrak, ließ die Stäbchen fallen und schluckte hinter. "Ich geh mal hoch und frag Seto, ob er auch einen Hot Dog mag!"

"Na klar, dann lachen wir zusammen und feiern ein bisschen!" Bikky fuchtelte erregt mit den Armen. "Wir können essen und essen und dann beschmeißen wir uns mit Oliven!"

"Okay!" Da sprang Mokuba schon auf und rannte aus der Küche. Er rannte durch den Speiseraum, rannte durch das Foyer, die Treppe hinauf und durch den Gang. Dann endlich erreichte er das Arbeitszimmer seines großen Bruder. Schnaufend blieb er stehen, klopfte an und öffnete die Tür.

"Seto! Wir wollen..." Er lehnte sich hinein und sah sich um. Aber das Arbeitszimmer war leer. Verwundert hob er die Augenbrauen, zuckte mit den Schultern und trat in den Gang zurück. Anschließend durchsuchte er sein Schlafzimmer. Doch auch dort war er nicht. Er war jedoch nach Hause gekommen. Er hatte seine Stimme gehört und dann war er verschwunden. Grübelnd blieb er stehen, rieb sich das Kinn und sah sich um. Wo konnte er nur sein? Auch, als er nach langer Suche einen Bediensteten fragte, kam er nicht voran. Herrje, er befürchtete, dass Bikky in der Zwischenzeit die Küche leerte. Vielleicht war Kaiba nur kurz hier gewesen und in der Zwischenzeit schon längst wieder in die Firma zurückgekehrt? Gemächlich machte er sich auf den Rückweg. Seit gestern hatte er ihn nicht mehr gesehen. Schlenkernd trödelte er weiter, blieb nach wenigen Minuten jedoch stehen und drehte das Gesicht zur Seite. Nachdenklich besah er sich eine Tür, dann trat er an sie heran und klopfte an.

"Seto? Seto, bist du im Bad?"

Keine Antwort.

Mokuba klopfte erneut, dann zuckte er wieder mit den Schultern, wandte sich ab und kehrte in die Küche zurück, um Bikky den ganzen Spaß nicht allein zu überlassen.
 

Das trübe Wasser des großen Beckens begann sich zu bewegen. Dann tauchte Kaiba auf, schob sich zurück und lehnte sich gegen den warmen Marmor. Kurz wischte er sich das Wasser aus dem Gesicht, fuhr sich über die nassen Haare und spuckte etwas Wasser zur Seite. Dann legte er einen Arm über den Beckenrand und verblieb reglos. Die Augen behielt er geschlossen. Im Gang hörte er noch Schritte. Er schenkte den Geräuschen keine Beachtung, blieb liegen und atmete tief durch. Viel Zeit zur Entspannung blieb ihm jedoch nicht, denn sein Handy meldete sich. Langsam öffnete er den Mund, stöhnte und tastete nach dem Störenfried. Endlich hatte er es. Die Augen hielt er geschlossen, als er sich tiefer sinken ließ, abnahm und das Handy an sein Ohr legte.

"Ja."

Es war Pikotto.

"Du hast mir nicht gesagt, dass du nach Hause fährst", meldete er sich, jedoch keinesfalls vorwurfsvoll. Kaiba blinzelte müde, zog den Arm vom Beckenrand und rieb sich die Stirn.

"Wer bist du. Mein Babysitter? Mir geht’s nicht gut, sonst nichts."

"Was plagt dich?", erkundigte sich Pikotto.

"Meine Knie fühlen sich an, als hätte ich an einem Marathon teilgenommen."

"Kreislaufprobleme?"

"Was weiß ich." Kaiba räusperte sich leise. "Nimm es mir nicht übel, aber ich will nur meine Ruhe haben. Ich muss morgen auch wieder in die Schule."

"Ja, natürlich." Eine kurze Stille folgte in der Leitung. Pikotto schien zu grübeln und Kaiba ahnte Schlimmes. "Wegen... ich wollte nur fragen..."

"Nein, du willst gar nichts fragen!", enterbrach Kaiba ihn genervt. "Ich will nicht darüber sprechen!"

Mit diesen Worten legte er auf, warf das Handy zur Seite und schloss die Augen. Er wollte nicht darauf angesprochen werden! Er wollte nichts damit zu tun haben und erst recht nicht darüber nachdenken!

Er wollte nichts von alledem, um sich nicht noch ein größeres Leiden aufzubürden. Der morgige Tag würde schon schlimm genug werden. In der Schule, wenn er Joey sah.

Lange blieb er noch liegen und war kurz davor, einzuschlafen. Nur würde diesmal niemand hereinkommen, in die Badewanne springen und ihn aus dem Wasser ziehen. Erst nach knapp einer halben Stunde, als ihm die Augen schwer wurden, richtete er sich langsam auf, kämpfte sich aus dem Wasser, tastete matt nach seinem Bademantel und zog ihn sich über. Seine Stärke war nicht zurückgekehrt. Er fühlte sich matt und sehnte sich nach seinem Bett, obgleich es noch nicht sehr spät war. Er ließ alles liegen, zog sich den dünnen Stoff straff um den Leib, schloss die Tür auf und trat in den Flur hinaus. Er ging langsam und vorsichtig, verschränkte die Arme vor dem Bauch und sah sich kurz um. Er erspähte den Arzt, der soeben auf der Treppe verschwand. Er beobachtete ihn, doch rufen tat er ihn nicht. Es war nicht nötig. Ein heißer Tee und eine Mütze voll Schlaf wirkten immer wieder bei einem kleinen Unwohlsein. Als er die Treppe erreichte, blieb er stehen und grübelte, den Blick nachdenklich auf die Stufen gerichtet. Er könnte sich Tee hinaufbringen lassen. Auf der anderen Seite... nein, wenn er sich selbst einen Tee machen würde, würde es schneller gehen. Er müsste nicht herumtelefonieren und eine direkte Beschreibung des Tees abgeben, den er wünschte. Und diesen kleinen Umweg würde er schon überleben. Dennoch zögerte er kurz, bevor er die Treppe hinab stieg. Es war ein merkwürdiges Gefühl. Beinahe grundlos war sein Körper geschwächt, seine Knie weich und zittrig. Seine Schritte wirkten etwas unbeholfen, seine Hand tastete sich das Geländer hinab.

Zu Beginn hatte es die Übelkeit gegeben und Kaiba hatte noch nie zuvor so etwas Grausames erlebt. Es war ihm sehr, ja, sehr schlecht gegangen in dieser Zeit und er hatte es verharmlost... eben um Joey keine Sorgen zu bereiten, die sich dieser so wie so gemacht hatte. Der Schwindel war dicht gefolgt. Erst schwach und unauffällig, doch dann, in der Kneipe, in die Joey ihn geführt hatte, da war er einfach umgekippt. An mehr konnte er sich an diesem Abend nicht erinnern. In der Nacht war er schweißgebadet aufgewacht.

Und nun?

Nun litt er unter Schwäche.

Übelkeit, Schwindel, Schwäche…
 

Nach grauenhafter Anstrengung erreichte er das Foyer, bog nach rechts und näherte sich dem Speiseraum. Als er das große Zimmer durchquerte, drangen heitere Stimmen an seine Ohren. Die Olivenschlacht schien im vollen Gange zu sein. Er runzelte die Stirn, rieb sich den Nacken und trödelte weiter. Als er die Küche betrat, wühlte Bikky im Kühlschrank und Mokuba bearbeitete einen Brothumpen mit einem stumpfen Messer. Als Kaiba stehen blieb, wurden die beiden Jungs auf ihn aufmerksam. Mit vollem Mund krabbelte Bikky zurück, Mokuba wirkte überrascht.

"Seto? Ich dachte, du bist in der Firma?"

Kaiba besah sich die Unordnung. Es sah in etwa so aus, als er Joeys Küche ausgeräumt hatte... auf der Suche nach Kaffee. Bikky schien bei der Suche leer ausgegangen zu sein und hatte dennoch etwas gefunden, womit er sich den Mund voll stopfen konnte. Kaiba runzelte die Stirn, doch wirklich für das Schlamassel schien er sich nicht zu interessieren.

"Was macht ihr denn", nuschelte er nur.

"Hot Dog's!", rief Bikky heiter. "Wollen Sie auch einen?!"

"Nicht so laut." Kaiba zog eine Grimasse. "Meine Ohren sind zurzeit etwas empfindlich."

Mit diesen Worten stieg er über die am Boden liegenden Zutaten, nahm sich eine Tasse aus einem der großen Regale und öffnete ein Schubfach. Somit war das Gespräch für ihn beendet. Er achtete nicht mehr auf die beiden Jungs und wühlte wie abwesend in den kleinen Schachteln. Mokuba ließ das Messer sinken, schob das, was nicht mehr als Brot zu erkennen war, von sich und wandte sich ihm mit einem dicken Grinsen zu.

"Kommt Joey morgen wieder?", fragte er, Bikky nickte hastig und wandte sich wieder dem Kühlschrank zu. Kaiba hielt kurz in der Bewegung inne, zwinkerte und suchte weiter. "Warum war er heute eigentlich nicht hier? Weißt du, Bikky hat ein neues Spiel für die Playstation mitgebracht. Da wird er sich sicher freuen!"

Kaiba antwortete nicht. Nun hatte er versucht, all das zu verdrängen, sich selbst zu belügen und seine Gefühle lahm zu legen... und nun so etwas! Schweigend warf er einen kleinen Beutel in die Tasse, griff nach dem Wasserkocher und drückte eine kleine Taste.

"Weiß nicht", murmelte er dann.

"Warum weißt du das nicht?", fragte Mokuba verwundert.

"Ich weiß es nun einmal nicht!" Kaiba vergriff sich im Ton. "Ich habe keine Ahnung, also hör auf zu fragen!!"

Mit geblähten Wangen richtete sich Bikky auf, Mokuba starrte seinen Bruder an, wusste nicht so recht, was er jetzt sagen sollte. Kaiba stützte sich auf die Ablage, flüsterte etwas Verworrenes und wandte sich letzten Endes ab, ohne den Jungs einen Blick zu schicken. Langsam ging er aus der Küche und die Beiden sahen ihm nach.

"Und... dein Tee?", hob Mokuba an, bevor sein großer Bruder den Raum verlassen konnte. Dieser blieb sofort stehen und wandte sich zu ihnen um.

"Welcher Tee!"

"Der Tee?" Mokuba warf dem dampfenden Wasserkocher einen flüchtigen Blick zu und grinste verunsichert. Kaiba schloss sich seiner Beobachtung an und runzelte die Stirn. Er brummte leise. Dann kehrte er zurück, stieg wieder durch den ganzen Kram und grabschte nach der kleinen Kanne. Ohne den Blick von der Tasse abzuwenden, füllte er sie mit dem heißen Wasser, nahm sie und verließ die Küche endgültig. Wieder sah Mokuba ihm irritiert nach. Auch Bikky wandte sich um, starrte auf den Ausgang und schluckte hinter.

"Du, der will ganz sicher keinen Hot Dog."

"Hm." Mokuba nickte langsam.
 

Wieder kämpfte sich Kaiba die Stufen hinauf, sein Gesicht wirkte verbissen.

Fragen dieser Art konnte Mokuba unterlassen!

Er stöhnte leise, ließ die letzte Stufe hinter sich und trödelte durch den Gang. Sein Blick richtete sich unterdessen auf den kühlen Marmorboden.

Nein, Joey kam morgen sicherlich nicht!

Und er würde auch übermorgen nicht kommen!

Er würde vermutlich nie wieder hier sein!

Kaibas Schritte verlangsamten sich, bis er stehen blieb. Seine Miene veränderte sich allmählich, verlor diese verkrampfte Härte. Er seufzte leise, blickte auf und wandte sich zur Seite, um zur Treppe zurückzuschauen.

"Oh Gott." Stockend wandte er sich ab und schüttelte von sich selbst enttäuscht den Kopf. "Jetzt schreie ich schon Mokuba an."

Er ging weiter, öffnete die Tür seines Schlafzimmers und trat ein. Vor seinen Fenstern rauschte ein furchtbarer Regen. Er prasselte gegen das Glas, ließ die Gegend noch düstrer erscheinen. Kaiba wollte sich keinen Regen betrachten, also stellte er die Tasse ab und zog die langen Vorhänge zu.

Anschließend ließ er sich mit der Tasse in einen weichen Sessel fallen, legte die Füße nach oben und lauschte in die Stille. Auch Blitze und lautes Donnergrollen konnte er nach kurzer Zeit vernehmen. Geistesabwesend starrte er vor sich hin, blieb sitzen und rieb die Hände an der warmen Tasse. Nur kurz kam ihm der Gedanke, nun mit Joey hier zu sitzen. Er bekämpfte ihn schnell, verbannte ihn aus seinem Kopf. In das Bett, so wie er es sich vorgenommen hatte, ging er nicht.
 

Eingemummelt in einer Decke, lag Duke auf dem Sofa und starrte gelangweilt vor sich hin. Das tat er schon seit zwei Stunden. Nachdem er herzhaft gegähnt hatte, kämpfte er die Decke zur Seite und kam auf die Beine. Und nachdem er über einen Zipfel der Decke gestolpert war, der sich an seinen Fuß verfangen hatte, trottete er in Shorts in die Küche. Müde rieb er sich den Hinterkopf, griff auf dem Weg nach einem Haargummi und band sich einen Zopf, als er die Küche betrat. Er war zwar hundemüde, hatte aber trotzdem keine Lust, seinem Bett einen kurzen Besuch abzustatten. Stattdessen begann er in seinen Schränken nach etwas Essbarem zu suchen. Während in der Flimmerkiste im Nebenraum aller mögliche Blödsinn lief, begann er zu wühlen und hatte letzte Endes doch nur ein paar Toasts und eine Büchse Cola in der Hand. So kehrte er wieder zum Sofa zurück, warf sich nieder und mummelte sich erneut ein. Dann begann er lustlos zu knabbern und öffnete die Büchse. Eine ganze Zeit verfolgte er dann einen Trickfilm, in dem so eine blöde Katze eine noch blödere Maus jagte und sie doch nicht zu fassen bekam. Und das sollte lustig sein? Duke kratzte sich am Bauch. Wahrscheinlich hatte er einen Witz verpasst. Es kam ihm nicht der Gedanke, einfach wegzuschalten. Er blieb dort sitzen, schob den Toast über den Tisch und warf dem Fernseher nebenbei gelangweilte Blicke zu. Doch dann, nach wenigen Minuten, war die dümmliche Serie vorbei und die Nachrichten kamen. Hoffentlich erzählten die wenigstens etwas Spannendes.

In den ersten Minuten liefen nur unwichtige Dinge. Die Probleme anderer Menschen konnten ihm gestohlen bleiben und auch auf eine Katze, die in einem Abwasserrohr stecken geblieben war, war er nicht neugierig.

Während Reporter quakten, Augenzeugen jammerten, Polizisten schrien und Politiker debattierten, tat Duke das Seine dazu und krümelte die Decke voll. Morgen war Schule. Eigentlich sollte er schon längst... sein Blick wanderte zur Uhr. Blödsinn, es war doch erst halb zehn. Er drehte sich zur anderen Seite, griff nebenbei nach der Büchse. Gemütlich trank er ein paar Schlucke und suchte anschließend nach dem Toast, das ihm wohl vom Sofa gerutscht sein musste. Er beugte sich zur Seite, tastete auf dem Boden... da klingelte es und er erschrak so sehr, dass er kippte und sich kurze Zeit später auf dem Boden wieder fand. Eine junge Frau im Fernsehen brach in lautes Gelächter aus und schlug sich auf die Oberschenkel.

"Autsch! Verflucht!" Duke wälzte sich zur Seite, rappelte sich auf und kam auf die Beine. Dann wurde er wieder auf die Tür aufmerksam. Es klingelte kein zweites Mal. Duke hob die Augenbrauen, dann grabschte er jedoch nach einem Shirt, stülpte es sich schnell über und stolperte auf die Tür zu. Nachdem er sich an seinem Würfelsessel gestoßen hatte, erreichte er sie auch, riss sie auf und verließ seine Wohnung.

"Ach... Mist!" Endlich saß das Shirt richtig. Barfuss patschte er durch die obere Etage seines Ladens und stieg dann eilig die Treppe zum Erdgeschoss hinab. Dabei rieb er sich fröstelnd die Oberarme und führte ein kleines Tänzchen auf, denn auch der Boden hatte keine angenehme Temperatur. Nachdem er sich durch die Regale geschlängelt hatte, erreichte er endlich die große Tür. Er grabschte nach der Klinke und drückte sie hinab... da bemerkte er, das sie wie jede Nacht auch, abgeschlossen war.

Und der Schlüssel?

Der lag natürlich oben, wo denn sonst?

"Verdammich noch mal!", fluchte er genervt. "Einen Moment!!"

Somit wandte er sich wieder ab, lief den ganzen Weg zurück und stürmte seine Wohnung. Auf dem Wohnzimmertisch lag kein Schlüssel, auch im Flur und in der Küche war keine Spur von ihm zu sehen. Und was fluchte Duke. Die dumme Frau im Fernsehen lachte immer noch so blöde, so als wolle sie sich über Duke lustig machen! Im Bad wurde dieser endlich fündig. Hastig grabschte er nach dem Bund und ging den ganzen Weg erneut. Wieder hatte er sich keine Hose drüber gezogen... und wieder patschte er über den kalten Boden. Dann endlich, erreichte er die Tür und suchte nach dem richtigen Schlüssel. Hoffentlich war es etwas wichtiges, sonst würde er ausrasten! Endlich fand er ihn und schloss auf. Sofort öffnete er die Tür, und sobald sie einen Spalt weit offen stand, schlugen ihm eisiger Regen und ein schneidiger Wind entgegen. Er blinzelte, hob den Arm vor das Gesicht und öffnete die Tür ganz. Sofort überzog eine Gänsehaut seinen gesamten Körper und seine Zähne begannen zu klappern. Der Sommer war doch gerade erst vorbeigegangen? Fröstelnd schlang er die Arme um den Leib und erspähte seinen Gast. Überrascht ließ er die Arme sinken und öffnete den Mund.

"Joey?!"

Kein geringerer als Joey stand vor ihm. Er war bis auf die Haut durchnässt und scheinbar nicht einmal darauf bedacht, sich vor dem Unwetter zu schützen. Er trug nicht einmal seinen Pullover, hatte ihn nur um seine Hüfte gebunden. Das weiße Shirt klebte pitschnass auf seiner Haut, seine Haare trieften vor Nässe, kleine Rinnsäle liefen über sein Gesicht.

Duke wusste nicht, was er sagen sollte, was er jedoch wusste, war, dass das auf keinen Fall gesund sein konnte.

"Ja, bist du denn des Wahnsinns?!", rief er erschrocken, trat in den Regen hinaus und zog ihn zu sich hinein. Joey wehrte sich nicht dagegen, stolperte nach vorn und stand endlich im Trockenen, obgleich sich zu seinen Füßen sofort eine Pfütze ausbreitete. Hektisch schloss Duke die Tür hinter ihm, schloss ab und wandte sich ihm zu. Er starrte ihn an, musterte ihn von Kopf bis Fuß und öffnete fassungslos den Mund.

"Warum rennst du bei diesem Unwetter draußen herum?" Er raufte sich die Haare. "Du holst dir doch den Tod! Was soll denn das!" Er verstummte und versuchte einen Blick auf sein gesenktes Gesicht zu werfen. "Das ist doch Blödsinn! Komm mit! Komm rauf! Du bist ja völlig unterkühlt und durchnässt!"

Wieder packte er Joey am Oberarm und zog ihn mit sich. Er folgte ihm schweigend.

"Seit wann stehst du denn da?! Warum nur?! Warum bist du nicht zu Hause?! Warum bist du nicht im Bett?!" Duke regte sich auf, als er die Treppe erreichte und den jungen Mann vor sich her schob. "Warum machst du denn so einen Unfug?! Warum rennst du zu dieser späten Stunde noch draußen herum?! Ganz alleine! Da hätte sonst etwas passieren können! Oh Gott! Wurdest du überfallen?! Nein, sag nichts! Komm, beeil dich! Du musst dich erst einmal wärmen!"

Schnell erreichten sie das Ende der Treppe und Duke drängelte ihn weiter. Er drängelte ihn in seine Wohnung, schloss die Tür hinter sich und zog ihn in das Wohnzimmer. Und da lachte diese blöde Ziege ja schon wieder!! Hastig schaltete er den Fernseher aus und rannte in das Bad. Joey blieb stehen, behielt den Blick noch immer auf den Boden gerichtet und regte sich nicht.

"Du kannst froh sein, wenn du nur mit einer Erkältung davonkommst!" Duke kehrte schnell mit einem Handtuch zurück, warf es sich über die Schulter und blieb vor ihm stehen. Ohne zu zögern, griff er nach dem tropfenden Pullover und band ihn los. Unachtsam warf er ihn zur Seite, griff auch nach dem Shirt und zog es höher.

"Arme heben! Weg damit!"

Joey befolgte seinen Befehl und Duke streifte ihm den nassen Stoff über den Kopf, schmiss ihn ebenfalls in die nächste Ecke und drückte ihm das Handtuch auf den Kopf. Kurz rubbelte er seine Haare, dann betastete er seine Oberarme.

"Du bist ja schrecklich kalt!", erschrak er, wandte sich ab und grabschte nach der Decke, die noch zerknautscht auf dem Sofa lag. Fürsorglich legte er sie über seine Schultern, zog sie fester und begann wieder seine Haare zu rubbeln. Der junge Mann bewegte sich noch immer nicht, blieb nur stehen und ließ Duke machen. Nach kurzer Zeit zog dieser das Handtuch weg, schmiss es zu den Sachen und zog Joey zum Sofa. Auf dieses drückte er ihn nieder, hockte sich vor ihn und begann auch seine Arme zu reiben. Da blickte Joey langsam auf und traf auf seinen Blick. Duke rieb ihn weiter, doch schnell verlangsamten sich die Bewegungen und er starrte in die geröteten Augen seines Freundes. Langsam öffnete er den Mund, seine Hände lösten sich und sanken hinab. Wenn Joey ihn so ansah, dann musste etwas Grausames geschehen sein. Für kurze Zeit fand er keine Worte, brummte nur vor sich hin und Joey wandte den Blick ab.

"Warte." Duke räusperte sich leise und kam auf die Beine. "Ich mache dir einen heißen Tee. Der wird dir gut tun."

Wieder starrte Joey auf den Boden, doch unter der Decke begann sich etwas zu bewegen. Er hob die Hände und zog sie fester um sich. Wieder begannen seine Haare zu tropfen, wieder liefen kleine Rinnsäle über sein Gesicht. Aus der Küche ertönten laute Geräusche, die von hektischen Bewegungen zeugen konnten. Joey blieb dort sitzen und bewegte sich kaum, bis Duke nach ungefähr fünf Minuten zurückkehrte, sich wieder vor ihn hockte und ihm eine Tasse in die Hand drückte. Joey nahm sie mit bleichen Händen entgegen und Duke zog wieder das Handtuch zu sich und begann seine Haare von neuem zu bearbeiten. Währenddessen wärmte Joey seine Hände an dem heißen Tee, starrte gedankenverloren vor sich.

"Also Joey." Duke schien sich endlich beruhigt zu haben. "Willst du es mir sagen?"

Joey regte sich nicht, nur seine Hände schlossen sich fester um die Tasse. Sein müder Blick richtete sich auf einen nicht existierenden Punkt, dann schüttelte er langsam den Kopf.

Duke brachte ihm Verständnis entgegen, warf das nasse Handtuch nun endgültig zur Seite und stützte die Hände auf die Oberschenkel.

>Kaiba!<, ging es ihm sofort durch den Kopf. >Kaiba muss etwas damit zu tun haben! Wehe ihm, wenn er ihn verletzt hat!<

"Jetzt entspann dich erst einmal und trink deinen Tee." Er nickte verständnisvoll und kam auf die Beine. Da erspähte er den Toast, der auf dem Boden lag und schnappte nach ihm. Joey nickte langsam, hob die Tasse zum Mund und trank einen Schluck. Als Duke ihm kurz auf die Schulter klopfte und im Bad verschwand, blickte er auf und blinzelte müde.

Als Duke sich selbst einen Tee machte, fluchte er leise bei sich, und bedacht so, das Joey nichts von alledem mitbekam. Er fluchte über sich selbst, über Kaiba und den Toast, den er nun in den Mülleimer werfen konnte. Dann kehrte er mit einer eigenen Tasse in das Wohnzimmer zurück. Noch immer hockte Joey an derselben Stelle und starrte niedergeschlagen auf den Boden. Leise seufzend, ließ sich Duke neben ihm nieder, setzte sich in den Schneidersitz und stellte die Tasse erst einmal auf dem Tisch ab. Dann lugte er zur Seite und beobachtete Joey. Dieser presste die Lippen aufeinander, blinzelte und ließ den Kopf sinken. Was sollte Duke denn sagen?

"Hey, alles wird wieder gut. Bald wird es dir wieder besser gehen, okay? Und jetzt sag mir, worum es geht."

Und zwingen, mit der Sprache rauszurücken, wollte er ihn erst recht nicht. Also schwieg er, auch wenn es ihm missfiel. Er sagte kein Wort, starrte vor sich hin und hörte alsbald, wie Joey die Nase hochzog und tief seufzte. Da wurde ihm schwer ums Herz und er blickte auf.

"Hey... Joey."

Der Junge reagierte nicht, löste eine Hand von der Tasse und fuhr sich über die Stirn. Kurz darauf atmete er tief ein, schloss die Augen und blickte auf, ohne Duke anzusehen.

"Er hat gesagt... dass ich ihm lästig bin", murmelte er leise. Nun sprach er es doch aus und Duke lauschte aufmerksam. "Er hat gesagt...", Joey stoppte und ließ den Blick sinken, sein Atem und seine Stimme zitterten, "… dass ich ihm die Liebe nur vorgeheuchelt hätte."

"Was?" Duke richtete sich auf.

"Er hat gesagt, dass ich ihm nichts bedeute." Joeys Stimme senkte sich, bis er leise schluchzte, das Gesicht verzog und es wieder sinken ließ. "Er hat es mir einfach so ins Gesicht gesagt, hat nicht mit der Wimper gezuckt. Er hat sich nie etwas aus uns gemacht." Joey schnappte nach Luft und beugte sich noch weiter nach vorn. "Er meinte, er könnte Jede haben. Ich wäre unbedeutend, eine nervige Göre, die dumm und lästig ist!" Ein Schluchzen unterbrach ihn. "Ich weiß nicht, was ich machen soll! So ist er nicht! Aber er... er... hat es mir direkt ins Gesicht gesagt!"

Mit diesen Worten brach er in Tränen aus.

Natürlich, Kaiba!

Sofort rutschte Duke näher heran, nahm die Tasse aus den zitternden Händen und stellte sie auf den Tisch. Seine Miene wirkte verbissen, als er Joey nach oben zog und ihn umarmte. Wieder musste er ihn trösten. Und wieder war der Grund Kaiba! Sogleich klammerte sich Joey an ihn, und er heulte, wie er es noch nie zuvor getan hatte. Duke seufzte anteilnehmend, als er seinen Rücken rieb. Herrje, nun verstand er überhaupt nichts mehr. Joey und Kaiba waren ein Paar gewesen und Joey der glücklichste Mensch der Welt. Und nun hatte Kaiba ihm eine eiskalte Abfuhr verpasst? Hatte er richtig gehört? Wütend biss er die Zähne zusammen und spürte immer wieder, wie Joeys Körper in seinen Armen und heftigen Atemzügen erbebte, wie sich seine Finger in seine Haut krallten.

"Und", Joey schnappte nach Luft, die Umarmung verstärkte sich verkrampft, "… und er hat nur mit mir geschlafen, weil er sich nach einer Abwechslung gesehnt hat!"

"Gesch..." Duke räusperte sich, verzog das Gesicht und rieb sich kurz die Nase.

Er brauchte etwas, um sich zu beruhigen, hielt Joey weiterhin fest und sah sich flüchtig um.

>Bei Jehosaphat!<, fluchte er bei sich. >Das kann doch nicht wahr sein!<

"Für eine Nacht bin ich gut, sagte er!", fuhr Joey fort. "Aber... aber... aus einer Nacht sind viele geworden!"

>Mutter Maria und Josef!< Duke rollte mit den Augen.

"Er hat mich ausgenutzt, hat sich verstellt, um sich noch etwas mit mir amüsieren zu können! Das hat er selbst gesagt!" Joey zog die Nase hoch. "Er hat mich als lästiges Geschwür beschimpft, das man nicht loswird! Er sagt, ich sei ihm ein Klotz am Bein! Ich sei eine Katastrophe!!"

Duke schloss die Augen, er musste all das erst verarbeiten.

"Aber das ist nicht wahr! Er hat gelogen, das weiß ich!"

"Was für einen Grund hätte er denn sonst, dir so etwas zu sagen?" Duke stöhnte leise. "Sicher nicht, weil ihn die Langeweile plagte und du gerade griffbereit warst."

"Wie kannst du so etwas nur sagen?!" Augenblicklich begann Joey wieder zu schluchzen. Er krallte sich an Duke und dieser schnitt eine Grimasse.

"Verzeihung, aber im Trösten war ich noch nie der Beste", ächzte er schnell und schunkelte etwas. "Jetzt beruhige dich erst einmal."

"Er war so unglaublich gemein!" Joey richtete sich hektisch auf, rieb sich die Augen und starrte ihn an. "So gemein, das kannst du dir nicht vorstellen! Und dabei haben wir bisher immer alles gemeinsam durchgestanden! Ich weiß, dass er mich liebt! Aber warum sagt er mir dann so etwas?!" Joey zog die Nase erneut hoch. "Und er hat es mir direkt ins Gesicht gesagt!!" Wieder warf er sich um Dukes Hals. "Ich fühle mich so grausam! Das kann er nicht so gemeint haben! Das darf nicht wahr sein!! Es ist unmöglich, dass er mich nur ausgenutzt hat! Sag doch etwas!"

>Was soll ich denn jetzt so schnell sagen?!< Duke fühlte sich zurzeit etwas überfordert, und deshalb schwieg er, bevor er Joey noch mehr Schmerzen zufügte, mit schlecht gewählten Worten. >Ich meinerseits, traue es ihm zu.<

"Anfangs hatten wir unsere Schwierigkeiten!", fuhr Joey jammernd fort. "Aber dann war er so unglaublich nett zu mir! Und... und er kann E-Gitarre spielen und... und... ich kann es nicht glauben, dass er nur mit mir gespielt hat!"

>Er scheint auch etwas durcheinander zu sein.<, dachte sich Duke.

"Er ist so ein Mistkerl!" Wieder richtete sich Joey auf, doch diesmal kam er auch auf die Beine und ballte die Hände zu Fäusten. "Was habe ich denn getan?! Ich habe nie einen Fehler gemacht! Zumindest nicht, dass ich wüsste!"

"Okay." Duke nickte und hob die Hände, worauf Joey sofort verstummte. "Habe ich Recht verstanden? Kaiba hat dir eine Abfuhr erteilt?"

"Eine Abfuhr?", wiederholte Joey ungläubig. "Eine Abfuhr??", schrie er dann. "Das war nicht nur eine Abfuhr, Duke!! Man hätte meinen können, er wollte mir das Herz zerfetzen und auf den Kompost schmeißen!! Das kannst du dir nicht vorstellen!!"

"Doch, kann ich", seufzte Duke.

"Und..." Hastig öffnete Joey den Mund, doch dann verstummte er, wischte sich die Tränen aus den Augen und starrte auf den Boden. "Ich weiß wirklich nicht, was ich getan habe, um so etwas über mich ergehen lassen zu müssen." Mit diesen Worten seufzte er erschöpft und ließ sich auf die Knie sinken. Dort hockte er, legte die Hände auf seinen Oberschenkeln ab und starrte vor sich hin. Die Wut schien vorerst vorbei zu sein, nun kehrte die grausame Niedergeschlagenheit zurück. "Habe ich wirklich den falschen Kaiba kennen gelernt? Ich kann nicht glauben, dass er sich die gesamte Zeit über verstellt hat."

"Was meinst du." Duke richtete sich auf und schob sich nach vorn, bis er vor Joey auf dem Sofa hockte. Der Junge Mann blickte matt auf. "Traust du es ihm zu? Meinst du, er hat sich lange verstellt oder nur heute, als er mit dir sprach?"

"Ich weiß es nicht." Joey sank wieder in sich zusammen. "Ich weiß überhaupt nicht, was ich denken soll! Ich bin völlig irritiert, kann keinen klaren Gedanken mehr fassen!" Joey stöhnte am Ende seiner Nerven. "Ich bin völlig fertig!"

Duke nickte mitfühlend.

"Ich kann dir auch nicht sagen, was ich von alledem denke, denn dazu kenne ich Kaiba zu wenig. Du selbst musst wissen, was du über diese Sache denkst. Lass dir ruhig etwas Zeit und überlege, bevor du eine Entscheidung triffst." Duke zögerte kurz, und sein Gesicht verdunkelte sich unauffällig. "Auf der anderen Seite nehme ich es Kaiba wirklich übel, dass er dir so etwas gegen den Kopf wirft! So etwas Rücksichtsloses und Verletzendes."

"Und es ist ungefähr fünf Stunden her", murmelte Joey bekümmert. "Seitdem saß ich im Park oder bin sinnlos herumgelaufen."

"Ja bist du denn von allen guten Geistern verlassen?" Duke erschrak. "Du hättest dir sonst etwas holen können! Und was wäre, wenn dir etwas passiert wäre?!"

"Ich will nicht nach Hause!", antwortete Joey verbittert.

"Na gut, dann bleibst du eben über Nacht." Fasste Duke einen netten Entschluss. "Es wäre unverantwortlich von mir, dich wieder auf die Straße zu setzen."

"Ich würde mir etwas antun!", zischte Joey.

"Jetzt red nicht so einen Blödsinn!" Auch Duke erhob sich und blieb neben ihm stehen. "Ich verstehe dich ja, aber das ist noch lange kein Grund, um..."

"Ach ja?", unterbrach Joey ihn grantig. "Du hast doch keine Ahnung, wie sehr ich an ihm hänge! Ich kann ohne ihn nich leben..."

"Oh doch, du wirst staunen, wie einfach das geht." Duke rollte unauffällig mit den Augen und hockte sich neben ihn. "Wenn Kaiba wirklich so ein Schweinehund ist, dann hat er dich doch gar nicht verdient!"

Verdutzt drehte Joey das Gesicht zu ihm.

"Ah ja...?"

"Natürlich." Duke puffte ihn an. "Wenn er nicht zu schätzen weiß, was er an dir hat und dir so etwas gegen den Kopf schleudert, dann ist er dir nicht würdig! Und wenn er es auch nicht zu schätzen weiß, was du schon alles für ihn getan hast, dann kannst du ihn gleich vergessen!"

"Was habe ich denn schon für ihn getan?" Joey wandte sich trübe ab. "Er war es doch, der ständig zu mir kam und sich gesorgt hat. Er hat mich zu sich geholt, als es mir schlecht ging. Und fast wäre ich in der Badewanne ertrunken, wenn er mich nicht hinausgezogen..."

"Was?" Allmählich verstand Duke überhaupt nichts mehr. Er wirkte geschockt, als er Joey unterbrach. "Du wärst fast ertrunken? Warum weiß ich davon nichts?!"

Joey zuckte nur mit den Schultern, auf diese Sache wollte er sich jetzt nicht festlegen.

"Er hat mich ständig bemuttert und auf mich aufgepasst und ich habe mich in seinen Armen so geborgen gefühlt." Joey stoppte, um zu schlucken. "Und er hat sich auch die gesamte Schuld zugewiesen, als ich angeschossen wurde..."

Unter einem heiseren Keuchen ließ sich Duke nach hinten fallen und lag ausgestreckt auf dem Boden.

"Angeschossen...?", japste er. "Der Arzt sagte, du hättest dich beim Sport verletzt..."

"Nein, da gibt es einen Typen, einen ehemaligen Angestellten, der seit seiner Entlassung nicht gut auf Kaiba zu sprechen ist. Er hat versucht, ihn umzubringen, hat aber mich erwischt. Na ja, eigentlich habe ich mich ja vor ihn geworfen. Aber zuvor hatte er versucht, Mokuba umzufahren und Pikotto erwischt."

"Oh Gott." Duke rieb sich das Gesicht. "Gibt es noch etwas, das ich vielleicht wissen sollte?"

"Als ich zufällig an eurem Picknick erschien bin und geheult habe, da ging es auch um etwas völlig anderes. Kaiba war sehr sauer auf diesen ehemaligen Angestellten und wollte ihn umbringen. Aber ich wollte ihn abhalten und so bekamen wir uns in die Haare."

"Umbringen, ja?" Langsam wunderte sich Duke über gar nichts mehr. "Und noch etwas?"

"Aber es hat sich alles gebessert. Er war immer für mich da. Nun ja, fast immer. Als mich Chester in der Wohnung fast vergewaltigt hat, war er nicht da, aber er kam schnell, als ich ihn darum bat."

"Hör auf...!" Leidend rollte sich Duke auf dem Boden. "Das kann doch nicht wahr sein! Warum erfahre ich all das erst jetzt?!"

Joey grübelte, seine Finger fuhren über den Boden.

"Hm... er hat nichts gegen dich", murmelte er dann. "Er hat auch nichts gegen Tea, Bakura und Tristan. Er kennt sie nur nicht und meint, er hätte Besseres zu tun, als sich mit ihnen anzufreunden."

"Wow." Duke schnappte nach Luft, musste sich erst von den ganzen Schocks erholen. "Und was ist mit Yugi?"

"Herrje." Joey schnitt eine Grimasse. "Frag mich nicht."

"Okay." Duke nickte, wusste ganz genau, weshalb Joey die Antwort verschmähte. Tea, Tristan oder Duke hatte Kaiba nie konkret angefallen. Nur Yugi war durch was auch immer, in seine Ungnade gefallen. Und Joey hatte es natürlich auch gegeben, an dem er sich gern ausgelassen hatte.

"Aber das ist doch jetzt egal!" Joey schüttelte hastig den Kopf und stellte sich auf die Knie. "Wenn dieser Mistkerl meint, mit mir spielen zu können, dann hat er sich geschnitten!!"

Duke hob die Augenbrauen und Joey sank wieder in sich zusammen, wurde kleiner und kleiner.

"Aber ich vermisse ihn so und will nicht, dass es so endet. Zumindest den Grund möchte ich erfahren, bevor ich mich zufrieden gebe", ächzte er. "Es kann doch nicht sein, dass er so ohne weiteres die Nase von mir voll hat, oder?"

Duke öffnete den Mund.

"Sag nichts!" Joey streckte ihm die Hand entgegen. "Ich gebe ihm keine Chance mehr, werde ihm nicht nachlaufen! Wenn er etwas will, soll er zu mir kommen!! Und ich erwarte eine richtige Entschuldigung!! Immerhin... immerhin habe auch ich Gefühle!" Er stöhnte und

mit diesen Worten ließ er sich zur Seite fallen und blieb liegen.

"Die Welt ist nicht fair", fluchte er. "Ich habe alles getan, damit er mich mag. Und schnell hat es mir auch Spaß gemacht. Ich habe mich immer um ihn gesorgt und musste auch so einiges einstecken und dann habe ich die Zeit bei ihm genossen. Weißt du?" Joey atmete tief durch. "Ich habe mich freiwillig verletzen lassen, damit er nicht leiden musste. Ich habe ihm Aufmerksamkeit geschenkt, Liebe... sogar meine Unschuld."

>So genau will es nicht wissen.< Duke verdeckte das Gesicht mit dem Arm und stöhnte.

"Und da sagst du, du hättest nichts für ihn getan? Du hast ebenso viel für ihn getan, wie er für dich, wenn nicht vielleicht sogar mehr?"

"Meinst du wirklich...?"

"Natürlich." Duke kam schwungvoll nach oben und verschränkte die Arme vor dem Bauch. "Denk über alles nach, Joey. Und jetzt lass uns erst einmal schlafen. Ich glaube, das hast du dringend nötig."
 

~*to be continued*~

Verschiedene Welten

Es war grausam, nach vielen Wochen, in denen man ständig den halben Tag verschlafen konnte, zu dieser frühen Stunde aufzustehen. Mit viel Überwindung kämpfte sich Duke aus dem Bett, warf ein Kissen nach dem Wecker und versuchte eine gewisse Ordnung in seine Haare zu bringen, als er auf die Tür zustrauchelte. Er hatte nicht allzu gut geschlafen, fühlte sich müde und gebrechlich. Nachdem er, wie jeden Morgen auch, gegen seinen Würfelsessel gestoßen war, öffnete er die Tür und trat in das Wohnzimmer hinaus. Dort genoss Joey den Tiefschlaf. In viele Decken gehüllt, lag er dort, ließ die Hand über dem Boden baumeln und atmete ruhig.

Neben seinem Kopf ließ sich Duke nieder, streckte die Beine von sich und ließ einem herzhaften Gähnen freien Lauf. Dann griff er nach der Tasse, die noch auf dem Tisch stand, trank einen Schluck und zupfte nebenbei an Joeys Haaren.

"Aufstehen", murmelte er, obwohl er sich selbst noch nicht als richtig wach bezeichnen konnte. Joey regte sich nicht und Duke musste zu härteren Maßnahmen greifen. Wieder zupfte er an seinen Haaren, dann rüttelte er an ihm und endlich erwachte Joey zum Leben. Er brummte leise, zog sich die Decke über das Gesicht und rollte sich zur anderen Seite.

"Lass mich schlafen...", murmelte er leise, kaum hörbar, "…. nur noch’n bisschen..."

Duke fuhr sich über die Stirn, lehnte sich zurück und ließ Joey noch ein "bisschen". Dieser brummte noch etwas Verworrenes, bevor er wieder still lag. Dukes Augen waren nachdenklich auf die gegenüberliegende Wand gerichtet.

Ach ja, das Gespräch. Er erinnerte sich. Joey hatte ihm alles erzählt und war zwischendurch noch zweimal in Tränen ausgebrochen. Duke hatte das Gefühl, dass Joey ihm nur einen kleinen Teil seiner Qualen gezeigt hatte. Sicher litt er noch mehr darunter, wollte oder konnte es vor ihm jedoch nicht zeigen, weshalb auch immer. Duke saugte an seinen Zähnen, sein Blick fiel wieder auf Joey.

Er kannte Kaiba so gut wie gar nicht und doch war er sich sicher, dass er sich nicht durch seine Firma schlief, Jede haben wollte und Joey benutzt hatte. Beinahe war er sich schon sicher. Wenn Kaiba eine Beziehung begann, und das hatte er, dann zog er es sicher durch und stand dazu. Duke hatte sie gemeinsam gesehen, früher, als sie nur Freunde gewesen waren. Und dann, als Joey ihn zum Picknick mitgebracht hatte. Natürlich! Ein flüchtiges Grinsen huschte über sein Gesicht. Es bedeutete etwas, dass Kaiba das getan hatte. Wer hätte ihn dazu überreden können, wenn nicht Joey? Die beiden waren glücklich gewesen, Joey zumindest. Kaiba hatte nichts Auffälliges gezeigt und das war nur zu verständlich. Doch Joey, mein Gott, er hatte gestrahlt und gelacht, war heiter und munter gewesen. Kaiba bedeutete ihm unglaublich viel, das wusste er, ohne ihn fragen zu müssen. Und diese gesamte Sache kam ihm spanisch vor, sie stank nach versteckten Hintergründen und eigentlich war es nur zu offensichtlich. Weshalb kam Joey nicht darauf? War er von seiner Trauer so übermannt gewesen, das er sich darüber keine Gedanken gemacht hatte?

Duke würde nachforschen, Joey zuliebe. Er würde schon noch herausfinden, was hinter dieser ganzen Sache steckte. Und erst, wenn er sich sicher war, würde er sich an Joey wenden.

Jetzt musste dieser aber endlich aufstehen! Sonst wurde aus dem heutigen Schultag nichts. Wieder rüttelte Duke an ihm und als sich Joey wehrte, zog er ihm die Decke weg. Und auch die Kissen, bis dieser reichlich unbequem lag. Und erst, als er dann erneut an ihm rüttelte und drohte, ihm vom Sofa zu schubsen, da schlug dieser die Augen auf und richtete sich auf. Verschlafen rieb er sich die Augen, dann den Bauch. Und anschließend sah er sich um.

"Hm? Was? Wo? Was'n los?"

"Was los ist?" Duke stützte die Hände in die Hüfte. "Schule ist los."

"Schule?" Überrascht ließ Joey die Arme sinken und starrte ihn an. "Warum denn schon heute? Ich dachte, wir hätten erst in der nächsten Woche..."

"Wo bist du denn mit deinen Gedanken?" Duke schnitt eine Grimasse. "Los komm, wir frühstücken und dann holen wir dein Zeug."

"Mein... ach ja." Joey ließ den Blick sinken und Duke wandte sich ab, um irgendetwas Essbares zu kreieren. Währenddessen blähte der junge Mann die Wangen auf und als er sich an die Geschehnisse des letzten Tages erinnerte, überfiel ihn die Niedergeschlagenheit erneut. Er grübelte kurz, rutschte vom Sofa und zog seine Shorts zu Recht. Dann wandte er sich zum Fenster und verschränkte die Arme vor dem Bauch.

"Ich geh nicht", entschloss er sich, die Geräusche in der Küche verstummten.

"Was?" Mit einem Toast im Mund, lehnte sich Duke aus der Küche.

"Ich geh nicht in die Schule." Joey warf ihm einen entschlossenen Schulterblick zu.

"Du willst schwänzen?" Duke nahm sich den Toast aus dem Mund und trat in das Wohnzimmer. "Ja bist du denn... am ersten Tag? Ist das nicht etwas dreist?"

"Mir egal." Joey zuckte desinteressiert mit den Schultern und sah wieder nach draußen. "Ich will ihn nicht sehen. Mir egal, ob ich Ärger bekomme."

"Ja, mir ist es aber nicht egal", warf Duke ein und trödelte näher. "Wie lange willst du dich denn vor ihm verstecken? Heute? Morgen und übermorgen auch noch? Hey, warum nicht gleich die ganze Woche?"

"Klingt gut."

"Jetzt reicht es aber." Duke packte ihn an der Schulter und drehte ihn zu sich um. "Sei stark und zeig keine Schwäche! Du wirst sehen, wie es heute läuft. Und vielleicht ist es gar nicht so schlimm? Ich glaube nicht, dass Kaiba eklig zu dir sein wird oder weiterhin auf dir herumhackt."

"Ach, meinst du?"

"Natürlich! Hey Joey, schau mich an." Duke beugte sich nach vorn und Joey blickte zögerlich auf. "Ich glaube das wirklich nicht. Und wenn er etwas tut, dann sag es mir, okay? Ich werde die Sache für dich regeln."

"Willst du dich mit ihm prügeln?" Joey schraubte eine Augenbraue hoch und Duke ließ ihn los, um wild mit den Händen zu fuchteln.

"Wer sagt denn etwas von prügeln? Pappalapapp!" Er grübelte kurz, um ablenken zu können. Und schnell fiel ihm etwas ein und er grinste. "Oder hast du nur Schiss vor den mündlichen Kontrollen, die jetzt nach den Ferien anstehen?"

"Mündlich... was?" Joey erschrak. "Herrje, das habe ich ja völlig vergessen!"

"Oh man!" Duke ließ den Kopf hängen. "Du bist ja völlig zerstreut."

"Verübelst du es mir?"

"Los jetzt, zieh dich an. Du müsstest schon großes Pech haben, wenn man dich drannimmt. Deine Chancen stehen 1 zu 28. Also, was kann schiefgehen?"

"Viel", stöhnte Joey. "Das Glück ist mir zurzeit nicht gerade hold."
 

Wenn auch meckernd, Joey beugte sich Dukes Wünschen, frühstückte schnell und machte sich dann mit ihm auf den Weg nach Hause. Glücklicherweise war sein Vater nicht dort, denn sonst hätte es großen Ärger gegeben. Während des Weges war Joey sehr still und starrte permanent auf den Boden. Duke sprach ihn nicht an, denn er wüsste nicht, was er sagen sollte.

Die Dinge waren nun einmal so, wie sie eben waren. Und weiteren Trost wollte Joey nicht, das sah man ihm deutlich an.

Rechtzeitig suchte er seine Sachen zusammen und trödelte mit Duke zur Schule. Nun wirkte er wieder so deprimiert, dass es einem schwer ums Herz wurde. Verständlich, wenn man bedachte, was ihn in der Schule erwartete.

Bevor die Beiden die Anderen erreichten, blieb Joey stehen und zog Duke am Ärmel zurück.

"Sag ihnen nichts, okay?"

Duke lächelte beruhigend.

"Keine Angst. Wenn du es nicht willst, dann tu ich es nicht."

Joey erwiderte seinen Blick knapp, nickte und ließ den Kopf sinken. Er wandte sich langsam ab und atmete tief ein.

>Der Ärmste<, dachte sich Duke wieder und amte sein Seufzen anteilnehmend nach. Doch plötzlich riss Joey die Arme nach oben und wedelte mit ihnen.

"Hey! Hallo, Leute!", rief er heiter und sogleich wurden Yugi, Tristan, Bakura und Tea auf sie aufmerksam. Seit zwei Monaten hatten sie sich nicht mehr gesehen. Tea sprang in die Luft und winkte mit den Armen, laut juchzend, Tristan lachte heiter und stützte die Hände in die Hüfte, Yugi kam ihnen entgegen gerannt und Bakura legte lächelnd den Kopf schief. Nun konnte selbst er nicht mehr verträumt und abwesend sein - zu groß war die Freude. Yugi erreichte Joey schnell und fiel ihm regelrecht um den Hals.

"Ah! Vorsichtig!" Joey stolperte zurück.

Duke lachte etwas verwirrt, wusste nicht wirklich, ob er jetzt Angst vor Joey haben sollte. Doch da stand plötzlich Tristan neben ihm und bevor er sich versah, steckte er in einem Schwitzkasten und die Frisur wurde ihm ruiniert. Nachdem Yugi Joey endlich losgelassen hatte, war Tea an der Reihe. Sie drückte ihm ein Küsschen auf die Wange und umarmte ihn ebenfalls.

"Ach", seufzte sie. "Wie habe ich euch alle vermisst!"

"Oh ja!" Joey nickte übertrieben und Duke befreite sich von Tristan, worauf dieser sofort über Joey herfiel. Duke selbst, machte sich auf den Weg zu Bakura, der noch immer dort neben der Bank stand. Als der junge Mann sah, wie Duke zur Begrüßung die Arme hob, wich er zurück.

"Ähm... ich mag keine Umarm..."

"Och, komm her!" Schon fischte Duke nach ihm und fiel ihm um den Hals. "Ich muss dich einfach mal drücken!"

"Äh... Hilfe…"

Nach dieser heftigen emotionalen Begrüßung musste viel besprochen werden. Tea, Yugi und Tristan tratschten wie wild durcheinander, erzählten von ihren Erlebnissen oder dem Urlaub. Joey nickte immer und verfolgte das Geschehen mit großem Interesse. Er grinste und ließ es dann sogar zu, dass Yugi ihn noch einmal drückte. Erst, als die Schulglocke ertönte, verstummten sie, wandten sich zur Schule und rannten nach ihren Taschen.

"Kommt schon!", rief Tea glücklich. "Am ersten Schultag sollten wir nicht zu spät kommen!"

Joey nickte hastig und folgte seinen Freunden zur Schule. Yugi schlenderte neben ihm einher und tratschte und quasselte. Und Joey grinste und lachte. Dann, als sich Yugi zu Tristan gesellte, verlor sich ein Teil der Freude aus Joeys Gesicht und er wandte sich mit einer bitteren Miene an Duke.

"Ich will sterben", stöhnte er.

"Kopf hoch", versuchte Duke ihn zu ermuntern und verwuschelte seine Haare, die ihm ohnehin schon wüst zu Berge standen.
 

Nur zögerlich betrat Joey das Schulgebäude, lustlos und langsam näherte er sich seinem Klassenzimmer. Bakura verschwand schnell im gegenüberliegenden Raum, dem, in den auch Duke musste. Dennoch hielt sich dieser mit Joey weiter hinten auf und ließ Yugi, Tea und Tristan vorlaufen. Je näher Joey dem Zimmer kam, desto langsamer wurden seine Schritte. Unsicher, beinahe schon paranoid, wechselten seine Pupillen von einer Seite zur anderen und dann blieb er stehen, wandte sich an Duke und krallte sich in seine Jacke.

"Ich kann es nicht…!", keuchte er zappelig und ließ seine Stirn auf Dukes Schulter sinken. Dieser hob die Hände und legte sie auf seinen Rücken. "Er sitzt jetzt dort drinnen." Joey warf der offenen Tür einen knappen Blick zu, wandte sich jedoch sofort wieder ab. "Ich will ihn nicht sehen."

"Dann achte nicht auf ihn", flüsterte Duke schnell zurück. "Schau ihn nicht an und tu so, als wäre er überhaupt nicht da."

"Herrgott! Das sagst du so einfach."

"Komm schon." Duke warf der Uhr einen flüchtigen Blick zu. Ihnen blieb keine lange Zeit. "Geh hinein... und... ähm... öhm... hoffe, dass du nicht zur mündlichen Kontrolle vor musst!"

"Die Kontrolle!" Sofort war Joey abgelenkt. Angsterfüllt blickte er auf und starrte ihn an. "Ich werde mich blamieren!"

"Nicht, wenn sich ein anderer für dich blamiert", erwiderte Duke feixend, trat zurück und schubste ihn nach vorn. "Los, geh! Sonst kommst du zu spät und blamierst dich doch!"

"Herrje! Oh Gott! Oh Gott!" Joey raufte sich die Haare, drehte sich um und eilte davon. Duke sah ihm kurz nach, dann grinste er und trödelte auf das eigene Zimmer zu.

Joey brach alle Gedanken ab, sprang in das Zimmer und eilte, auf den Boden starrend, zu seinem Platz. Er blickte nicht auf und als er endlich auf seinem Stuhl saß, rupfte er verzweifelt ein Buch aus seiner Tasche, schlug es auf und stellte es vor sich. Anschließend kauerte er sich dahinter und atmete tief durch. Ja, er hatte Kaiba keine Aufmerksamkeit geschenkt. Aber er war hier, das spürte er. Er zog eine Grimasse, ließ sich tiefer sinken und schloss die Augen. Sollte er das jetzt ganze sieben Stunden durchhalten?

"Hey, Joey. Was soll denn das?" Verwundert blieb Yugi neben ihm stehen und der Angesprochene drehte hastig das Gesicht zu ihm und funkelte ihn an.

"Tsch! Sei leise, Mensch!"

"Was ist denn los?" Yugi verstand nicht und Joey wurde mulmig zu Mute. Er rollte mit den Augen, biss sich auf die Unterlippe und grabschte kurz darauf nach Yugis Uniform. Er zog den Jungen zu sich und lehnte sich zur Seite.

"Kaiba", flüsterte er verbissen. "Hat er zu mir geschaut?"

"Hm?" Yugi richtete sich etwas auf und spähte nach vorn. Kurz darauf neigte er sich wieder zu ihm. "Nein, er liegt auf seinem Tisch. Ich glaube, er schläft."

"Er schläft?" Joey musste aufpassen, dass er nicht laut wurde.

Seit wann schlief Kaiba im Unterricht?!

"Sag mal." Yugi lächelte auf seine unschuldige Art und Weise und Joey befürchtete Schlimmes. "Habt ihr euch gestritten?"

"Nein", fauchte Joey leise zurück und hielt das Buch fest, damit es ja nicht umfiel.

"Und warum gehst du dann nicht zu ihm?", erkundigte sich Yugi verwundert.

"Weil ich nicht will", antwortete Joey hastig.

"Aber warum willst du denn ni...?" Yugi verstummte, als die Chemielehrerin den Raum betrat. Joey hörte ihre schweren Schritte und atmete erleichtert durch. Und Yugi verabschiedete sich schnell von ihm und kehrte auf seinen Platz zurück, so, wie jeder Schüler auch, denn vor dieser dicken Frau musste man Respekt haben. Das gebot schon ihr grässliches Aussehen.

Joey versteckte sich weiterhin hinter dem Buch und die Frau begann nach dem Stundenklingeln zu tratschten. Anfangs gab sie nur Informationen an die Schüler weiter, dann murmelte sie, wie sehr sie sich über dieses Widersehen freute und anschließend begann sie von ihrem tollen Urlaub zu erzählen. Joey blähte die Wangen auf und die anderen Schüler benahmen sich nicht anders. Sie begannen leise zu flüstern und beschäftigten sich anderweitig. Und als die Frau das Desinteresse ihrer Schüler bemerkte, da wurde sie wütend und knallte das dicke Lehrerbuch auf ihr Pult.

"Wenn ihr mich nicht zuhören wollt, dann fange ich jetzt eben mit den mündlichen Leistungskontrollen an!", schnaubte sie.

"Erzählen Sie doch weiter...", drang ein leises Jammern aus der hintersten Ecke des Zimmers. Joey drehte sich flüchtig nach hinten, nickte seinem Leidensgenossen beipflichtend zu und verkroch sich sofort wieder. Kurz darauf begann die Frau mit ihren Wurstfingern über die Namenslisten zu fahren, eine Gänsehaut befiel Joey und das kalte Grauen packte ihn. Er betete, würde alles tun, nur, damit er nicht da vor musste! Eine gespenstische Stille war im Klassenzimmer ausgebrochen.

"Wenn der erste Schüler mir keine guten Antworten bietet, dann muss noch einer vor", murmelte die dicke Frau gehässig und Joey biss die Zähne zusammen. Im Hinterstübchen grübelte er schon, ob eine wirklich schlechte Note eine Auswirkung auf seinen gesamten Notenspiegel hatte.

"Wheeler", hörte er da seinen Namen.

"Nein!" Schmerzvoll ächzte er auf und klammerte sich an seinen Tisch. Kampflos bekam sie ihn nicht! Doch die Lehrerin fuhr grübelnd fort.

"Taylor, Susaku... nein."

Machte sie das mit Mutwillen?!

Jeder Schüler, der seinen Namen hörte, unterdrückte die Tränen der Verzweiflung und die Frau ließ sich alle Zeit der Welt. Die Nervosität wuchs, es knisterte geradezu vor Anspannung.

"Ah." Endlich nickte die Frau und richtete sich auf, verängstigte Blicke trafen sie von allen Seiten. Sie sonnte sich kurz in dieser Atmosphäre, dann atmete sie tief ein, um das Urteil zu verkünden. "Herr Kaiba? Dürfte ich Sie nach vorne bitten?"

"Uh..." Ein erleichtertes Stöhnen zog durch die Klasse. Kaiba würde natürlich alles wissen und eine zweite Kontrolle wäre nicht nötig. Die Schüler wiegten sich in Sicherheit. Joey jedoch, war so sehr erschrocken, als hätte es ihn selbst getroffen. Er richtet sich schlagartig auf.

"Hah...?" Kaiba hob müde den Kopf und starrte die Frau trübe an, doch diese nickte entschlossen und bat ihn mit einer knappen Kopfbewegung, nach vorn zu kommen. "Wählen Sie jemand anderen." Kaiba stöhnte leise und ließ den Kopf hängen, bereit, erneut in der geistigen Abwesenheit zu versinken. Doch die Frau, die sich sonst von ihm hatte unterbuttern lassen, gab nun nicht nach. In den Ferien hatte sie wohl viel nachgedacht.

"Kaiba!", schimpfte sie. "Nach vorn!"

Joey blinzelte, wagte es noch immer nicht, einen kurzen Blick zu Kaiba zu werfen. Stille. Leise hockte er sich wieder hinter sein Buch und biss die Zähne zusammen. Er litt nicht mit Kaiba, doch eine Schadenfreude spürte er auch nicht. Nach einer kurzen Zeit quietschte ein Stuhl. Und nach einem langen Zögern, rutschte Joey zur Seite und linste hinter dem Buch vor. Unsicher betrachtete er sich Kaiba. Dieser blieb nun neben der Lehrerin stehen, wandte sich um und blickte etwas schläfrig, etwas gelangweilt in die Runde. Joeys Blick erwiderte er jedoch nicht. Und was war dieser darüber froh. Er postierte das Buch so, dass nur noch eines seiner Augen hervorblinzelte. Kaiba war kreidebleich, seine Augen waren gerötet vor Schlaflosigkeit und Joeys Miene verfinsterte sich.

Der hatte nichts anderes verdient.

Verbittert funkelte er ihn an und wartete nur darauf, dass er auf seine oberschlaue und gelassene Art alle Fragen beantwortete.

"Also." Die dicke Frau ließ sich hinter ihrem Pult nieder und öffnete ein kleines Heftchen. "Erläutern Sie die einfache, die polare Atom- und Ionenbindung."

Kaibas Miene verlieb ausdruckslos, dann lugte er kurz zur Lehrerin und wandte sich wieder zur Klasse. Seine Augen waren abwesend auf die gegenüberliegende Wand gerichtet, dann öffnete er den Mund und blähte die Wangen unter einem starken Atemzug.

"Atombindung", murmelte er leise. "Ja, Bindung... das Merkmal... ähm..." Er brach ab, ließ den Kopf hängen und fuhr sich müde über den Nacken. "Bei einer einfachen Atombindung werden... äh... gemeinsame Elektronenpaare...? Ja, öhm... sie werden zu einem Partner verschoben."

Stille.

Entsetzt starrten die Schüler auf den jungen Mann, der dort vorn stand.

Seit wann wusste Kaiba etwas nicht?!

Nicht, dass es den Schülern nicht gleichgültig war. Nein, sie wollten nur nicht seinen Platz einnehmen. Da vorne, neben dem dicken Ungetüm.

"Bei einer einfachen Atombindung werden gemeinsame Elektronenpaare gebildet", seufzte dieses nun und unterdrückte ein Grinsen. Kaiba brummte und richtete sich langsam auf. "Sie haben es mit der polaren Atombindung verwechselt!"

"Ja, schon gut!" Ein scharfer Unterton schlich sich in Kaibas Stimme ein.

"Jetzt die Ionenbindung." Die Lehrerin gab sich unbeeindruckt. Oh, sie hatte sich auf diesen Tag vorbereitet und sicher hatte sie nie vorgehabt, einen anderen Schüler als Kaiba vorzuholen. Dieser hatte stets alles besser als sie gewusst, sie gedemütigt.

"Ionenbindung", wiederholte Kaiba leise und hob die Hand vor den Mund. Er hustete kurz. "Anziehungskräfte...", er suchte nach Worten, "… zwischen positiv und negativ geladenen Protonen."

"Ionen", verbesserte ihn die Lehrerin vergnügt.

"Sag ich doch!", fauchte Kaiba leise in ihre Richtung.

"Jetzt die Merkmale einer Metallbindung."

"Atome, Ionen, freibewegliche Elektronen", begann Kaiba aufzuzählen. "Anziehungskräfte zwischen positiv geladenen Metall-Ionen und negativ geladenen Elektronen."

"Angaben aus dem Periodensystem", fuhr die ältere Frau automatisch fort. Sie wollte Kaiba blamieren und es schien ihr zu gelingen. Von Kaiba lugte Joey zu ihr. Sie pulte in ihren Fingernägeln und wartete hochnäsig auf eine Antwort.

War das fair?

Joey runzelte die Stirn.

"Name, Symbol, Ordnungszahl, Anzahl der Protonen, Anzahl der Elektronen." Kaiba machte eine kurze Pause, um nach Luft zu schnappen, seine Hand tastete inzwischen zittrig nach der Tischkante und stützte sich darauf. "Und Elektronennegativitätswert, relative Atommasse, Farbe, Hauptgruppe, Außenelektronen." Wieder stoppte Kaiba, Joey richtete sich langsam auf, drückte das Buch auf den Tisch hinab und starrte ihn an. Unauffällig schwankte er von einer Seite zur anderen, sein Atem fiel schneller, als sonst.

War er der Einzige, der das bemerkte?

"Periode... Anzahl der Schalen", ächzte er und ließ leicht den Kopf hängen.

"Wann und von wem wurde das Periodensystem entdeckt?", hakte die Lehrerin fies nach.

"1869." Wieder richtete sich Kaiba auf, nahm Haltung an. "Mendeljew Meyer."

"Die beiden Merksätze der chemischen Reaktion", murmelte die Frau.

"Das...", Joey brummte leise, "… das ist doch etwas völlig anderes. Wie unfair!"

"Sagtest du etwas, Wheeler?" Die Lehrerin blickte auf. Doch sofort wurde das Buch wieder in eine aufrechte Haltung gezogen und von Joey war keine Spur mehr zu sehen. Kaiba würdigte ihm nicht eines Blickes, obgleich er sein Gemurmel verstanden hatte. Er schluckte, löste die Hand von dem Tisch und umfasste das Handgelenk auf dem Rücken. Er atmete tief ein, wollte beginnen, doch die Worte blieben ihm weg. Stumm bewegte er den Mund, dann räusperte er sich leise und schloss kurz die Augen. Ihm war schwindelig und er konnte schlecht atmen. Weshalb zur Hölle war er in die Schule gekommen? Die Lehrerin und die Schüler warteten und er grübelte. Vor den Ferien hätte er es nur so herunterrasseln können, doch nun? Zu viel hatte er in den letzten Tagen erlebt, als dass er sich nun konzentrieren könnte. Wieder brach eine unangenehme Stille aus, Joey hatte das Gesicht zur Seite gedreht und starrte nun aus dem Fenster. Diese Folter wollte und konnte er sich nicht ansehen. Und so etwas sollte der erste heitere Schultag nach den Ferien sein.

"Ich warte", drang es provozierend an Kaibas Ohren. "Merksätze, los, los."

"Ich weiß es nicht."

"Was?" Die Lehrerin blickte strahlend auf, die Schüler begannen leise zu murmeln. "Was sagten Sie? Verzeihung, ich konnte Sie nicht verstehen."

Kaiba schloss finster die Augen und biss die Zähne zusammen, die Hand klammerte er um sein Handgelenk.

"Ich weiß es nicht", brummte er dann mit vor Wut bebender Stimme. "Ich habe keine Ahnung!"

"Dann stelle ich Ihnen andere Fragen", entschied sich die Lehrerin schnell. "Wie viel Gramm Sauerstoff benötigt man, um 4 Gramm Schwefel zu Schwefeldioxid zu verbrennen?"

"Soll er das jetzt aus dem Kopf wissen?" Nun reichte es Joey. Er schlug das Buch endgültig auf den Tisch und richtete sich auf. Verwirrt drehten sich die Schüler zu ihm um und die Lehrerin nahm sich die Brille von der Nase. Joey schnaubte und kurz traf er auf Kaibas Blick. "Das ist doch wohl etwas zu viel verlangt, oder?"

"Entweder Sie setzen sich hin oder Sie nehmen seinen Platz ein!", fauchte die Lehrerin.

"Es ist ungerecht, was Sie tun!", widersprach Joey entschlossen und schüttelte ergrimmt die Fäuste. "Stellen Sie faire Fragen! Nicht so etwas, das niemand mit dem Kopf ausrechnen ka..."

"4 Gramm", meldete sich da Kaiba zu Wort und wieder trat diese gespenstische Stille ein.

"Was…?" Joey schnappte gehetzt nach Luft und nun trafen ihre Blicke wirklich aufeinander. Kaiba verengte die Augen, es schien ihm zu gefallen, Joey in den Rücken zu fallen.

"Man benötigt 4 Gramm Sauerstoff, um 4 Gramm Schwefel zu Schwefeldioxid zu verarbeiten", wiederholte er dann nachdrücklich und süffisant.

Niemand bewegte sich. Joey stand dort, auf den Tisch gestützt, Kaiba neben dem Pult, aufgerichtet und stolz, seinen Blick kühl und emotionslos erwidernd. Joeys Gesichtszüge begannen zu zucken, als er sich langsam in eine aufrechte Haltung kämpfte. Er presste die Lippen aufeinander, seine Hände ballten sich zu Fäusten.

"Du verdammter Mistkerl", flüsterte dann nur, bevor er sich auf seinen Stuhl warf, sich zurücklehnte und Kaiba feindselig fixierte. "Geh doch zu Grunde."

"Siehst du?", wandte sich Yugi tuschelnd an Tristan. "Ich habe doch gewusst, dass sie sich gestritten haben."

"Wie bitte?" Tristan ließ den Stift sinken, mit dem er soeben auf den Tisch gekritzelt hatte.

"Wheeler!" Die Lehrerin schäumte vor Wut, während sich Kaiba ungerührt am Hals kratzte. "Sie kommen nach der Stunde zu mir!"

"Darauf können Sie warten, bis Sie noch fetter werden", fauchte Joey kaum hörbar und steckte die Hände ruppig in die Hosentaschen.

Nachdem sich die Lehrerin und die Schüler beruhigt hatten, wurde die nächste Frage an Kaiba gestellt.

"Wie kann man Gase nachweisen?"

Nun hegte Joey kein Mitgefühl mehr für ihn. Er betete, dass er sich vor der ganzen Klasse blamierte und vor Scham im Boden versank! Doch bedauerlicherweise antwortete Kaiba schnell.

"Sauerstoff mit Kaliumpermanganat oder Braunstein mit Wasserstoffperoxid", sagte er, doch auch seine Miene begann zu zucken. "Oder die... Spanprobe."

"Gut." Endlich schien die Lehrerin zufrieden zu sein, mehr oder weniger. Denn Kaiba wusste ihrer Meinung nach, zuviel, als dass er sich blamieren könnte. Aber einen Versuch war es wert gewesen. Sie begann in ihrem Heft zu blättern und Kaiba blieb stehen. Nach wenigen Sekunden öffnete er den Mund und stieß einen schweren Atem aus. Nicht schon wieder… er spürte, wie sich seine Lunge zuschnürte. Schon zum zweiten Mal am heutigen Tag.

Bevor es jemand bemerken konnte, schloss er den Mund, hielt den Atem an und sah sich flüchtig um. Er wusste nicht, woran es lag. Es kam einfach, ohne, dass er etwas dagegen tun konnte. Er trat von einem Bein auf das andere.

Er durfte es sich nicht leisten, hier vor der Klasse umzukippen!

Er musste hier raus.

Als er nach Sauerstoff kämpfte, drang ein leises Fiepen aus seiner Lunge und er unterdrückte ein ersticktes Husten.

>Er und seine Beschwerden!<, dachte sich Joey gnadenlos. >Ja, versuch es nur zu verbergen. Ich bemerke es trotzdem!<

Kaiba blinzelte, hob die Hand und schob sie über den Hals. Dann, bevor sich die Lage noch dramatisch zuspitzte, wandte er sich zur Seite.

"Ich müsste kurz... auf die Toilette", presste er mit letzter Kraft hervor. Und zu seinem Glück hob die Lehrerin die Hand und winkte ihn nach draußen.

"B."

Vor wenigen Wochen wäre Kaiba in lauten Protest ausgebrochen, doch nun wandte er sich nur ab, erreichte die Tür und riss sie auf. Mit einem sicheren Schritt stand er im Flur und schloss sie hinter sich. Augenblicklich krallten sich die Finger in den Stoff seiner Uniform, seine Augen weiteten sich und er neigte sich röchelnd nach vorn. Er stützte sich auf die Knie und kämpfte verzweifelt nach Sauerstoff. Er musste mit viel Kraft atmen, damit er an ihn herankam, sein Hals streikte, seine Lunge - einfach alles!

Kurz darauf brach er in lautes Husten aus, umklammerte seinen Hals und ließ sich auf die Knie sinken.

"Was...", er öffnete den Mund so weit es ging, atmete hektisch und stoßweise und neigte sich nach vorn, "… ist das nur..?!"

Zitternd schob sich seine Hand über den sauberen Boden, dann ließ er den Kopf sinken und schloss verkrampft die Augen.

Heute Morgen wäre er beinahe erstickt! Was passierte wohl diesmal?

Die langen Strähnen fielen in seine Stirn, die Hand auf dem Boden ballte sich wieder zu einer Faust. Er begann zu hecheln, dann plötzlich blieb ihm die Luft völlig weg und er würgte. Sein Gesicht verkrampfte sich, merkwürdige Geräusche drangen aus seiner Lunge.

Er konnte nicht mehr atmen…!

Langsam ließ er sich tiefer sinken, sein Mund bewegte sich geräuschlos. Kurz darauf berührte seine Stirn den Boden und die Hand löste sich vom Hals.
 

"Ich!" Duke hob die Hand. "Hier! Ich!"

"Ach, du bist der Einzige, der freiwillig kopieren geht." Die Lehrerin mit dem gebrochenen Bein seufzte erleichtert und Duke sprang auf. Kurz darauf bekam er einige Zettel in die Hand gedrückt und machte sich auf de Weg.

"Schleimer", murmelte ein Schüler und bekam prompt die Zettel über den Kopf gezogen. "Au!"

Duke grinste.

Dieser erste Schultag war herrlich! Die Lehrerin war nett und die mündliche Leistungskontrolle hatten sie einfach ausfallen lassen. Er war guter Dinge, als er nach der Klinke grabschte, die Tür öffnete und einen Schritt tat. Als er im Gang stand, hielt er jedoch inne. Kurz blieb er stehen, dann ließ er die Hand von der Klinke rutschen und beugte sich wieder in das Zimmer.

"Kaiba liegt draußen im Flur", sagte er ernst.
 

"Oh mein Gott!" Hastig riss Dr. Araki die Tür des Taxis auf, schmiss dem genervten Fahrer einen Schein zu und rannte Richtung Schule. Während er schnaufte und seinen Koffer an sich presste, raufte er sich die Haare. Immer und immer wieder fluchte er laut, stolperte und hetzte weiter. "Oh nein... nicht schon wieder!"

Endlich erreichte er das Gebäude, sprang die Stufen hinauf und grabschte nach der Klinke. Als er in den Flur stolperte, herrschte um ihn herum Stille - die Schüler hatten Unterricht. Ohne zu zögern rannte er weiter. Vor wenigen Minuten hatte er noch gemütlich in seinem Sessel gefläzt und Kaffee getrunken.

Doch dann…!

Dann hatte er einen Anruf bekommen, von der Schulärztin!

Diese hatte ihm erzählt, dass Kaiba seit knapp einer halben Stunde bewusstlos im Arztzimmer lag! Und bevor er in das Krankenhaus gebracht wurde, würde er nach ihm sehen. Er kannte Kaibas Abneigung gegen diese Krankenhäuser und er wäre ein toter Mann, wenn er zuließe, dass er eingeliefert wurde.

Bewusstlos - seid einer halben Stunde!

Schon heute Morgen hatte Kaiba schwere Atemprobleme gehabt und er hatte eine schnelle erste Hilfe durchführen müssen! Anschließend hatte er ihn gebeten, zu Hause zu bleiben. Bisher hatte er auf eine Bronchitis tendiert, doch das bezweifelte er in der Zwischenzeit. Die Anzeichen stimmten in verschiedenen Dingen nicht überein. Sobald Kaiba wieder die Augen aufschlug, würde er sein Blut und einfach alles an ihm untersuchen lassen!

Etwas konnte mit ihm nicht stimmen!

Nach einer nicht allzu langen Zeit, erreichte er endlich das Krankenzimmer und riss die Tür auf. Völlig aus der Puste trat er ein und sah sich sofort um. Eine junge Ärztin trat hinter der Ecke hervor und winkte ihn schnell näher.

"Kommen Sie, er ist gerade aufgewacht."

Sofort trat Araki näher und lugte um die Ecke. Mit aufgeknöpftem Hemd lag Kaiba auf der Liege, seine Stiefel standen neben ihm auf dem Boden. Die Hände hatte er auf dem Bauch gefaltet, auf seiner Nase und dem Mund lag eine Sauerstoffmaske. Sobald er Dr. Araki wahrnahm, schlug er die Augen auf, zog sich die Maske aus dem Gesicht und richtete sich schwungvoll auf. Es schien ihm besser zu gehen. Nur die Blässe und die glasigen Augen waren zurückgeblieben. Doch diese Merkmale zierten ihn schon seit einigen Tagen.

"Herr Kaiba!" Araki stellte die Tasche ab und trat händeringend näher. "Ich habe Sie doch gebeten, zu Hause zu bleiben. Warum hören Sie nie auf mich?"

Kaiba warf die Sauerstoffmaske zur Seite, schob sich von der Liege und schlüpfte in seine Stiefel, ohne auf ihn zu achten. Dr. Araki und die Schulärztin wechselten verwunderte Blicke, als er sich auch das Hemd zuknöpfte und nach der dünnen Jacke griff.

"Mein Doktor übernimmt die Verantwortung", murmelte er, grabschte nach seiner Tasche und packte den Mann am Ärmel. Er schien es eilig zu haben, als er ihn zur Tür zog.

"Sie kümmern sich um ihn?" Die Ärztin eilte den beiden nach.

"Ja, das macht er schon!", erwiderte Kaiba und verschwand mit seinem Arzt auf dem Flur. Dieser wusste nicht, wie ihm geschah, als Kaiba ihm zu seinem Koffer auch noch die eigene Tasche in die Arme drückte und nach wenigen Minuten stehen blieb.

Er war fuchsteufelswild!

"Sie haben mich untersucht! Dreimal in den letzten Tagen…!", fauchte er und stieß mit dem Finger auf den Arzt ein, worauf dieser zurückwich. "Irgendetwas müssen Sie herausgefunden haben! Irgendetwas kann mit mir nicht stimmen! Mir ist schlecht, mir ist schwindelig! Ich fühle mich schwach und wäre zweimal infolge beinahe erstickt!" Plötzlich packte er ihn am Kragen. "Ich nehme an jeder Untersuchung teil, zu der Sie mich schicken! Ich gehe sogar ins Krankenhaus, wenn es nötig ist!" Nun wirkte er verzweifelt. "Nur sorgen Sie dafür, dass es mir besser geht! Ich kann es mir nicht leisten, krank zu sein! Ich muss zur Schule, ich muss in die Firma und ich muss..."

Er stoppte, ließ den Kopf hängen und lockerte seinen Griff. Araki ließ die Taschen sinken, öffnete den Mund.

Litt Kaiba etwa unter Stimmungsschwankungen?

Er hörte, wie er tief durchatmete, dann blickte er auf, starrte jedoch an ihm vorbei.

"Wenn ich einschlafe, spüre ich einen stechenden Schmerz in der Brust. Hinzukommend kann ich mich kaum konzentrieren, bin durcheinander. Ich weiß nicht, was mit mir los ist! Ich fühle mich ätzend!" Kaiba biss die Zähne zusammen. "Mein Zustand verschlechterte sich binnen weniger Tage! " Endlich sah er ihn wieder an. "Helfen Sie mir... wofür bezahle ich Sie denn?!"

Araki räusperte sich leise, dann antwortete er ernst.

"Es kann keine Infektion sein, unter der Sie leiden", sagte er. "Auch eine Allergie schließe ich aus. Es wäre ratsam, dass Sie sich ins Krankenhaus begeben und sich einigen Tests unterziehen. Sicher werden wir dadurch mehr erfahren."

"Gut, gut." Ohne zu zögern stimmte Kaiba zu und trat zurück. "Wir fahren sofort. Heute Abend habe ich eine große Besprechung. Ich muss anwesend sein und sie leiten."
 

Gesagt, getan. Ohne zu murren verschwand Kaiba mit Araki im Krankenhaus und unterzog sich einem umfangreichen Check. Alles war dabei, jeder Zentimeter seines Körpers wurde untersucht.

Er wurde geröntgt, angezapft und von einem Raum in den anderen geschickt. Schon nach einer halben Stunde fühlte er sich erschöpft und hatte die Nase voll. Man piekste ihn und trieb noch anderen Unfug auf seine Kosten. Hoffentlich lohnte sich diese Zeit, hoffentlich teilte man ihm zufriedenstellende Ergebnisse mit.

Nach ungefähr drei Stunden hockte er im Wartezimmer, streckte müde die Beine von sich und lehnte den Hinterkopf gegen die Wand. In vier Stunden begann die Besprechung und er war genervt! Er wollte nicht mehr lange hier sitzen, wollte in die Firma und Vorbereitungen treffen. Seine Augen schmerzten, als er sie schloss, auch die vielen Einstiche der kleinen Nadeln in seinen Armen taten weh.

Er wollte Ergebnisse! Auch, wenn es etwas Schlimmes war, worunter er litt. Er würde damit fertig werden, egal, was es war. Medikamente, Bettruhe... und schon wäre alles wieder in Ordnung. Doch dann passierte etwas, das den Topf beinahe zum Überkochen brachte. Endlich, nach fast zwei weiteren Stunden kamen die Untersuchungsergebnisse.

Vermehrte weiße Blutkörperchen... sein Körper schien gegen etwas zu kämpfen, doch Allergie? Infektion? Nichts da. Die Ärzte hatten nichts gefunden! Trotz vieler Tests konnte keine direkte Ursache für Kaibas Zustand festgestellt werden. Keine sichere Diagnose.

Der Arzt quasselte scheinbar irgendetwas zusammen. Die Übelkeit erklärte er schnell mit einer Magenverstimmung. Diese konnte jedoch nicht mehrere Tage anhalten, widersprach Araki. Schwindel, dafür wusste der Arzt nur eine Erklärung: Überanstrengung, Kreislaufprobleme.

"Blödsinn", fiel Araki ihm wieder ins Wort.

Und der Rest?

Für den musste es auch irgendeine Erklärung geben. Doch alles stritt Dr. Araki ab. Es dauerte nicht allzu lang, da entflammte zwischen den beiden erfahrenen Ärzten ein gnadenloser Kampf. Und der, um den es ging, stand bald auf und verließ den Raum.

Er überließ die beiden Streithähne dem Schicksal, schlüpfte in seinen Mantel und verließ das Krankenhaus. Vor den Stufen blieb er stehen, verschränkte die Arme vor dem Bauch und sah sich um.

Es herrschte ein angenehm kühles Klima. Der Sommer ging langsam vorbei, er freute sich jedoch auf die kühleren Tage. Vielleicht trug die Hitze ja auch zu seinen Beschwerden bei?

Er biss sich auf die Unterlippe und stieg langsam hinab. Beruhigt konnte er sich durch die Untersuchungsergebnisse nicht nennen. Nein, das erste Mal sorgte er sich um sein Befinden. Es ging ihm dreckig, zu dreckig, als dass er an andere Dinge denken könnte.

Er vergaß Katagori. Er vergaß... Joey, wollte nicht über all das sinnieren. Wenn er schon einen klaren Gedanken zu Stande bekam, musste er ihn für etwas anderes verwenden. Er war so durcheinander, wie noch nie zuvor. Stets hatte er sich unter Kontrolle gehabt, war hart und kühl gewesen. Doch nun schien alles aus dem Gleichgewicht zu geraten, seine Welt, die er sich mit viel Mühe aufgebaut hatte, zu Grunde zu gehen.

Was sollte er dagegen tun?

Könnte er es?
 

Nach einer Unendlichkeit endete der erste Schultag und die Schüler machten, dass sie ins Freie kamen. Sie wollten das warme Wetter genießen, so lange es noch anhielt. Sogleich als Yugi aus dem Gebäude trat, streckte er beide Arme von sich und schloss genießerisch die Augen.

"Ist es nicht wunderbar?"

"Oh ja!" Tea lachte heiter und begann in ihrer Tasche zu wühlen. "Fahren wir heute an den See?"

"Natürlich!", stimmte Tristan zu.

Duke stand mit Joey etwas außerhalb. Er sah sich um, runzelte die Stirn und wandte sich an ihn.

"Kaiba ist bewusstlos zusammengebrochen", wiederholte er, wie in der letzten Zeit auch so oft, doch Joey zuckte nur mit den Schultern und verschränkte die Arme vor dem Bauch.

"Ja und? Ist doch sein Problem, oder?"

"Hm." Duke rollte mit den Augen und wandte sich ab.

"Und?" Schlendernd trat Yugi näher. "Kommt ihr auch mit?"

"Klar", erwiderte Joey sofort. "Ich habe nichts zu tun. Außerdem habe ich etwas Entspannung nötig."

"Warum?", wunderte sich Yugi. "Du hattest in den Ferien doch genug Entspannung, oder?"

"Aber natürlich", antwortete Joey mit einem scharfen Sarkasmus in der Stimme. "Ich habe mich nur gelangweilt und wusste nicht, was ich machen soll. Pure Langeweile und reine Entspannung." Er warf Duke einen unauffälligen Blick zu und schlenderte davon. "Wann treffen wir uns?"

"Um drei vor der großen Einkaufshalle", kam die Antwort.

Joey winkte und führte seinen Weg fort. Die Freunde begannen heitere Gespräche, nur Duke sah ihm mit gemischten Gefühlen nach.
 

Joey ließ sich auf seinem Weg alle Zeit der Welt. Er trödelte und schien das angenehme Wetter zu genießen.

Kaiba war also zusammengebrochen, ja?

Er hob die Hand und rieb sich den Nacken. Er wusste von seinen Beschwerden, dem schlimmen Zustand. Natürlich stellte er sich die Frage, was es war. Doch zurzeit war es nur die Wut, die ihn beherrschte. So wollte er sich über diese Fragen keine Gedanken machen, nicht darüber sinnieren und so vielleicht dazu gezwungen sein, sich erneut für ihn einzusetzen. Aus Mitgefühl oder weshalb auch immer. Kaiba war ihm im den Rücken gefallen, hatte ihn vor der gesamten Klasse blamiert, obwohl er sich für ihn eingesetzt hatte. Nun hatte sich Joey endgültig entschlossen. Wie schon gesagt, er würde ihm nicht nachlaufen. Und da Kaiba sich sicher auch nicht an ihn wenden würde, war es wohl aus und vorbei. Zurzeit war es Joey gleichgültig, was geschah. Kaiba war ein verdammter Mistkerl und wie Duke so schon gesagt, er war ihm nicht würdig!

Er freute sich auf den Tag mit seinen Freunden. Sie würden ihn ablenken und auf andere Gedanken bringen. Und Duke sollte ihn nur nicht so vorwurfsvoll anschauen! Es war ihm egal! Es war ihm gleichgültig, was mit Kaiba war!
 

Dieser betrat kurze Zeit später sein Büro. Dr. Araki hatte er im Krankenhaus gelassen. Sicher zerfleischten sich die beiden Ärzte soeben.

Ohne auf seinen Zustand zu achten, drängelte er sich durch die Massen der Mitarbeiter und steuerte auf sein Büro zu. Den Koffer, den er schnell von zu Hause geholt hatte, stellte er ab, als er vor dem Kaffeeautomaten stehen blieb. Nachdem er schnell eine Taste gedrückt hatte, schlüpfte er aus seiner Jacke, warf sie über seinen Arm und griff nach der Tasse. Als er sich beugte und nach dem Koffer griff, stand plötzlich Pikotto vor ihm. Er blickte auf und nahm den Koffer. Glücklicherweise wusste Pikotto nichts von dem Zwischenfall in der Schule. So blieb Kaiba eine ausführliche Fragerei erspart.

"Die ersten Gäste werden in knapp einer Stunde eintreffen", meinte der Sekretär und drehte sich mit Kaiba, als dieser auf sein Büro zusteuerte.

"Mr. Graham", grübelte Kaiba, als er die Tür aufdrückte und eintrat. "Hat er zugesagt?"

"Spät, ja." Pikotto trat nach ihm ein und schloss die Tür hinter sich. Dann blieb er stehen und ließ die Hände in den Taschen seines Jacketts versinken. Kaiba stöhnte leise, warf den Koffer auf den Tisch und ließ sich hinter ihm nieder.

"Hast du Vorbereitungen getroffen?", erkundigte er sich dann und lehnte sich zurück. "Es darf nichts schiefgehen. Alles muss übereinstimmen. Ebenso wichtig ist es, dass wir einen zufriedenstellenden Entschluss treffen.

"Das dürfte nicht allzu schwer werden", erwiderte Pikotto leichthin. "Die Gäste versicherten uns schon ihre Teilnahme an dem Projekt."

"Gut." Kaiba griff nach der Tasse und setzte sie an die Lippen. Dann hob er die Hand und fuchtelte mit ihr. "Lass mir noch etwas Zeit, ja?"

"In Ordnung." Pikotto wandte sich ab und griff nach der Klinke. "Wir sehen uns." Mit diesen Worten verließ er den Raum. Kaiba sah ihm kurz nach, dann stellte er die Tasse ab, schloss die Augen und machte es sich gemütlich. Er durfte nicht versagen. Auf diese Gelegenheit wartete er schon lange, er durfte sich diese außerordentliche Gelegenheit nicht durch die Finger rinnen lassen. Er musste sich zusammenreißen. Falls es ihm während der Besprechung nicht gut ging, so durfte er es sich auf keinen Fall anmerken lassen. Er versuchte sich zu entspannen, streckte die Beine von sich und machte keinen Finger krumm. Die Besprechung würde ihm schon genug Kraft nehmen und Pikotto kümmerte sich um alles.

Es vergingen wohl so einige Minuten, in denen sich Kaiba etwas von all den Strapazen erholen konnte. Dann flog die Tür auf und Kaiba hob den Kopf, wurde mit einem Mal einen großen Teil seiner trägen Benommenheit los, doch es war nur ein strahlender Mokuba, der plötzlich mit einem breiten Grinsen vor ihm stand und die Arme von sich streckte.

"Tadaaa!", rief er. "Hier bin ich!"

Kaiba verzog die Brauen ließ sich zurückfallen.

"Ja, ist mir nicht entgangen."

"Und?" Mokuba lachte glücklich, fuchtelte mit den Händen und stützte sich auf den Schreibtisch. "Na? Sag was!"

"Was...", Kaiba grübelte, "... soll ich denn sagen?"

Mokuba öffnete den Mund, hob die Augenbrauen.

"10. August", sagte er.

Nun verstand Kaiba überhaupt nichts mehr. Wieder grübelte er, kam jedoch auf kein Ergebnis.

"Und?"

Mokuba atmete tief ein, dann sprang er wieder auf und streckte die Hände in die Höhe.

"Endlich bin ich neun Jahre alt!"

Kaiba musste sich zusammenreißen, um nicht in die Höhe zu fahren. Starr vor Schreck starrte seinen kleinen Bruder, der heut Geburtstag hatte, an, stellte dann jedoch seine schauspielerischen Fähigkeiten unter Beweis. Schnell gelang ihm ein Grinsen, ebenso ein zustimmendes Nicken.

"Ja." Er erhob sich und sogleich kam der Junge angerannt und klammerte sich fest um seinen Bauch. "Alles gute, Mokuba."

"Danke!" Er schien Kaibas Missgeschick nicht bemerkt zu haben und dieser war sehr erleichtert darüber.

"Neun Jahre", staunte Kaiba und klopfte hastig seine Schultern. "Wie schnell die Zeit doch vergeht."

Wie konnte er nur den Geburtstag seines Bruders vergessen?!

Er fühlte sich schrecklich und als Mokuba nicht zu ihm sah, verlor sein Grinsen an Kraft.

Was sollte er jetzt tun?

Er hatte nichts für ihn gekauft, nichts vorbereitet!

Bitter sah er sich um, sein Blick fiel auf die Tür. Er musste etwas unternehmen, sonst wäre Mokuba sehr, ja sehr lange wütend auf ihn. So viel Stress, so viel Übel und Leid in den letzten Tagen. Und dann noch so etwas!

"Ähm... warte kurz, ja?" Mit diesen Worten ließ er Mokuba los, wankte zur Tür und trat in den Flur hinaus. Fluchend raufte er sich die Haare, stöhnte und sah sich um. "Oh... verdammt!" Somit drehte er sich einmal um die eigene Achse und bog nach einem weiteren Fluch nach rechts. In zielstrebigen Schritten lief er zu Pikottos Büro, zog die Türe auf und trat ein. Der Sekretär blickte von seinem Computer auf und erspähte einen blassen Kaiba, der sich etwas träge im Türrahmen hängen ließ und ihn resigniert anstarrte. Doch Pikotto nickte nur und lehnte sich zurück.

"Du hast es vergessen."

"Mm", stöhnte Kaiba zurück. "Und wie ich das habe! Oh verflucht! Wie konnte ich nur..."

"Jetzt beruhige dich." Pikotto lächelte besänftigend. "So zerstreut wie du in der letzten Zeit bist, habe ich das irgendwie erwartet."

"Ah ja?" Kaiba verzog das Gesicht. „Wie reizend.“

"Hey!" Als sich hinter ihm die bekannte Stimme erhob, erschlafften seine Gesichtsmuskeln zusehends und träge blieb er stehen, als sich Mokuba in das Zimmer neigte. "Was ist denn los?"

"Äh..." zermürbt rieb sich Kaiba das Gesicht.

Er war ein toter Mann.

"Mokuba!" Pikotto erhob sich. "Komm her! Ich habe etwas für dich."

"Ein Geschenk?!" Sofort zog der Junge an Kaiba vorbei, dieser sah ihm verwirrt nach.

"Ja, wir haben es gemeinsam ausgesucht, Kaiba und ich." Mit diesen Worten holte er ein großes Paket unter dem Schreibtisch hervor und stellte es auf den Tisch. Mokuba quiekte vor Freude und Kaiba stöhnte erleichtert auf, ließ den Kopf sinken und fuhr sich über die Stirn.

"Herr Kaiba! Herr Kaiba!", ertönte da eine Stimme von draußen. Kurze Zeit später, lehnte sich ein junger Mann in das Zimmer und fuchtelte mit einigen Unterlagen. "Wir müssten noch über die Sitzverteilung und die..."

Kaiba winkte ihn nach draußen. "Später."

"Herr Kaiba, bitte." Der junge Mann seufzte verzweifelt. "Wir brauchen Sie, um diese Dinge zu bewerkstelligen. Und wir wissen nicht, ob es Ihnen gefällt, wenn wir jetzt einfach..."

"Dann machen Sie es später!", unterbrach Kaiba ihn scharf.

"Aber die Gäste treffen in einer halben Stunde ein", protestierte der junge Mann verzagt und endlich wandte sich Kaiba ihm zu.

"Gut, gut." Er warf Pikotto einen knappen Blick zu, doch dieser nickte, gab ihm zu verstehen, dass er sich gern um Mokuba kümmerte. Dieser hatte mit dem Auspacken zu tun und achtete nicht auf seine Abwesenheit. Als Kaiba seinem Mitarbeiter folgte, verspürte er wieder ein merkwürdiges Gefühl in sich. Er unterdrückte es verbissen, konzentrierte sich auf die wirklich wichtigen Dinge und überprüfte das Treiben seiner unfähigen Mitarbeiter!

Mokuba sah er vor der Besprechung nur noch kurz. Er hatte keine Ahnung, was Pikotto ihm geschenkt hatte, doch Mokuba strahlte. Also musste es etwas Schönes gewesen sein. Nachdem Kaiba ihm die Erlaubnis erteilt hatte, am Wochenende eine große Fete zu Hause zu feiern, ließ er den Jungen nach Hause fahren und machte sich kurz frisch. Er trank einen Kaffee, schlüpfte in ein neues Hemd und suchte kurz Unterlagen zusammen, die er unbedingt benötigte. Und nur wenige Minuten, bevor es begann, bemerkte er, dass er keine Lust auf all das Gerede hatte. Er war müde... so wie immer. Als er letzten Endes nach den Unterlagen griff und sich auf den Weg zum großen Besprechungsraum machte, bemerkte er mit großer Verunsicherung, dass er kaum einen klaren Gedanken fassen konnte.

Er schüttelte den Kopf, rieb sich die Stirn und ging weiter. Wenn es darauf ankam, würde er sich schon konzentrieren können.
 

"Ich freue mich, Sie hier begrüßen zu dürfen, Ladys and Gentleman." Mit professioneller Miene trat er ein, ging direkt zur Spitze des langen Tisches und warf seinen Gästen ein grüßendes Nicken zu. Diese erwiderten die Geste freundlich. Es waren ungefähr zwanzig an der Zahl, sieben Frauen, dreizehn Männer im Alter von zwanzig bis fünfzig. Sie alle waren aus anderen Ländern angereist. Die meisten aus Amerika.

Kaiba legte die Unterlagen ab und ließ sich an der Spitze nieder, direkt zu seiner Seite saß Pikotto. Kaiba räusperte sich leise, schob die Unterlagen zur Seite und richtete sich auf. Augen zu und durch und ja nichts anmerken lassen.

"Ich danke Ihnen, für Ihr Kommen", begann er und ließ den Blick durch die Reihe schweifen. Die Gäste nickten anerkennend und höflich. "Wie Sie wissen, handelt es sich um die Erweiterung von Kaiba-Land."

"Wir haben vor einer Woche telefoniert, Herr Kaiba", ergriff ein älterer Mann das Wort. "Ich habe Ihnen versprochen, die Sache in die Hand zu nehmen und ich habe mein Versprechen gehalten. Nun sieht es so aus: Wir sind von Ihrer Idee begeistert und würden uns gern beteiligen."

"Wir sind der festen Meinung, dass Sie den Erfolg, den Sie hier in Japan genießen, auch in anderen Ländern fortsetzen könnten", meinte eine Frau. "Die Chancen stehen so gut, dass es möglich wäre, dass Sie in anderen Ländern noch erfolgreicher werden könnten."

Ein anderer Mann mischte sich ein und nach kurzer Zeit, wandte sich ein jeder der Gäste mit mehr oder weniger Worte an ihn und teilte ihm die Meinung mit, die stets sehr positiv war. Pikotto machte sich Notizen und Kaiba warf einen langen Blick auf die Zettel. Die Gäste begannen sich selbstständig zu machen, unterhielten sich auch untereinander. Da blickte Pikotto auf und mischte sich ein. Die Erweiterung von Kaiba-Land war also beschlossen, besaß die Erlaubnis all derer, die dafür zu sorgen hatten und eine gewisse Verantwortung trugen. Nun stand nur noch offen, wie, wann und wo man es tat. Ein jeder hatte seine Vorschläge. Die Gespräche fanden geregelt und ruhig statt und doch litt Kaiba nach wenigen Minuten unter Kopfschmerzen. Bald lehnte er sich zurück.

"Sie sagten, Sie bräuchten keine Unterstützung, was die Kosten anbelangt." Als sich eine junge Frau an ihn wandte, wurde er wieder aufmerksam und nickte. "Es ist ein großes Vorhaben, das wir... sagen wir, binnen einem halben Jahr planen und beginnen können."

"Wir werden große Vorbereitungen treffen müssen", warf ein Anderer ein. "Propaganda, all die Materialien, die nötig sein werden."

"Auch darum werden wir uns kümmern", erklärte Pikotto. "Es geht lediglich darum, dass wir eine Absicherung benötigen, die uns..."

Kaiba starrte noch immer auf seine Unterlagen, begann an ihren Ecken und Kanten zu zupfen und brachte dem eigentlichen Gespräch nur wenig Aufmerksamkeit entgegen.

Er bemerkte es nicht, doch in nur wenigen Sekunden driftete er völlig ab. Jede Konzentration wurde von nur wenigen Worten zerstört: Mokuba, Geburtstag, Joey, Gesundheit.

Als er zwinkerte, sah er sich in einem dunklen, unendlich erscheinenden Raum wieder. Noch immer saß er in seinem Stuhl, um ihn herum herrschte gähnende Leere. Langsam richtete er sich auf, seine Hände fuhren langsam über die breiten Lehnen. Verwirrt sah er sich um. Kein Ende war in Sicht, Leere umgab ihn zu allen Seiten. Hastig sah er sich um.

War er soeben nicht noch im Besprechungsraum gewesen…?

Er verstand es nicht, war völlig außer sich. Tausende von Gedanken drängten sich in seinem Kopf, rasten schmerzhaft umher und brachten ihn beinahe um den Verstand.

"Geh doch zu Grunde!", vernahm er plötzlich eine leise Stimme. "Geh doch zu Grunde!" Hektisch drehte er sich zur anderen Seite.

Joseph…?

Von einer Sekunde auf die andere trat wieder Stille ein, nur seine schnellen Atemzüge waren zu vernehmen.

"Geh zu Grunde!", erschallte es wieder, diesmal jedoch ohrenbetäubend laut. "Geh zu Grunde, verdammter Mistkerl!!"

Hastig presste sich Kaiba beide Hände auf die Ohren und sank in sich zusammen.

"Was glaubst du zu erreichen, indem du mir Liebe vorheuchelst?", hörte er plötzlich die eigene Stimme in seinem Kopf. "Du bist ein lästiges Geschwür! Merkst du es nicht... Wheeler?!"

Ein zitternder Atem strich über seine Lippen, als er den Mund öffnete und die Augen schloss.

"Egal warum du es sagst...", ein lautes Keuchen ertönte, "... hör auf. Hör auf! Ich will das nicht hören! Das bist nicht du!!"

Langsam beugte er sich nach vorn.

"Du hast meinen Geburtstag vergessen?!" Die junge Stimme ließ Kaiba erschaudern. "Wie kannst du nur?! Ich dachte, ich bedeute dir etwas, Seto!"

Zögernd öffnete er die Augen und starrte um sich. Das kalte Blau seiner Pupillen schimmerte.

"Niemand ist da, wenn ich Hilfe brauche!", hörte er Joey rufen.

"Verletzte ihn um ihn zu retten!", sprach Pikotto auf ihn ein.

"Du bist nicht mehr mein Bruder!", zischte Mokuba.

"Wenn du glaubst, dass du ihn nicht beschützen kannst...", murmelte Herr Wheeler.

"Wenn du Joey in Gefahr bringst, dann bekommst du es mit mir zu tun!", warnte Duke. "Er ist verletzlicher, als es den Anschein hat."

"Du hast mir das Wichtigste genommen, jetzt nehme ich dir das Liebste!", fauchte Katagori. "Ich bringe dich um!"

Kaiba neigte sich hinab, die Finger versenkten sich im brünetten Schopf, krallten sich darin fest. Sein Atem fiel schnell und schwer...

"Kaiba." Nun sprach Joey ruhig und leise. "Wie willst du mich beschützen, wenn du dich nicht einmal selbst schützen kannst?"

Mit einer schnellen Bewegung richtete sich Kaiba auf, schnappte erschrocken nach Luft und zerknüllte die Blätter in der Hand. Seine Augen starrten ins Leere, während er hastig und geräuschvoll atmete. Die Hand, die die Zettel hielt, ballte sich verkrampft zu einer Faust.

Augenblicklich waren alle Anwesenden verstummt und hatten sich ihm zugewandt. Nun trafen Kaiba verwirrte Blicke von allen Seiten, auch Pikotto ließ den Stift sinken und besah sich seinen Chef ganz genau.

Einige Momente benötigte Kaiba, um in die Realität zurückzukehren. Obgleich das Herz in seiner Brust schon beinahe schmerzhaft raste und er das Gefühl hatte, am gesamten Leib zu zittern, riss er sich zusammen. Mit viel Überwindung, löste er die Hand von den Blättern, lehnte sich langsam zurück und sah sich um.

Pikotto bemerkte den Schweiß, der dick auf seiner Stirn haftete, die leichte Röte in seinen Augen und die zitternden Hände, die sich schnell unter dem Tisch verbargen. Nachdenklich wandte er den Blick ab und begann sich zu regen, um diese seltsame Atmosphäre, die durch Kaibas merkwürdiges Benehmen entstanden war, zu brechen. Er hustete aufgesetzt und sogleich blinzelte Kaiba. Langsam, so als wäre er noch nicht anwesend, besah er sich die Gäste an seinem Tisch, dann öffnete er den Mund, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und nickte. Er nickte unauffällig, dann schnell.

"Fahr... fahren Sie fort", murmelte er hektisch, räusperte sich und starrte zur Seite. Er legte den Zeigefinger gegen den Mund, rutschte sich im Stuhl zu Recht und verblieb reglos.

Er wollte hier raus!

Er konnte nicht denken!

Er war durcheinander, zerstreut!

All seine Glieder zuckten, zitterten…!

Was sollte er tun?!

Diese Besprechung war zu wichtig, als dass er sie verlassen durfte!!

Wichtig?

Zögerlich lugte er zur Seite.

"Mr. Cartney." Pikotto wandte sich zur Runde. "Sie waren soeben dabei, uns Vorschläge zur Verbesserung zu unterbreiten."

"Ähm...", der Angesprochene räusperte sich, warf Kaiba einen kurzen Blick zu und begann dann doch wieder zu erzählen. Und sofort beteiligten sich auch die anderen wieder an dem Gespräch. Alle, außer Kaiba, "… ja, ich bin der Meinung, dass..."

Pikotto sah sich nun dazu gezwungen, die Besprechung zu leiten. Es war nicht schwer zu übersehen, dass Kaiba zurzeit nicht dazu im Stande war. Während Mister Cartney seine Vorstellungen aufzählte, lugte Pikotto zu Kaiba, doch dieser starrte noch immer auf einen nicht existenten Punkt. Das Gespräch begann nun wieder seine ehemalige Schnelligkeit anzunehmen. Jeder sagte seine Meinung, alle diskutierten und die Besprechung wurde zu einem vollen Erfolg. So schien es zumindest, denn alle Anwesenden waren vom Kaiba-Land und den damit verbundenen Ideen sehr angetan.

Nach knapp einer ganzen Weile verstummten die Anwesenden, nickten sich entschlossen zu und griffen nach ihren Gläsern, um ihren trocken gequasselten Mund zu befeuchten. Pikotto legte den Stift endgültig nieder und schob die Notizen von sich. Eine junge Frau rollte den Füller zwischen den Fingern und wandte sich direkt an Kaiba.

"Herr Kaiba. Nun haben wir uns entschieden."

Der Angesprochene blickte auf und erwiderte ihren Blick trübe.

"Ich muss sagen, dass ich von Ihrer Arbeit begeistert bin. Es ist unglaublich, was Sie vollbracht haben. Hinzukommend ist es eine wirklich beeindruckende Leistung, wenn man Ihr junges Alter beachtet. Bitte sehen Sie mich nicht als unverschämt an. So ist es nicht gemeint. Ich möchte Ihnen lediglich sagen, dass Sie meinen vollen Respekt und Mitwirkung in Ihrem Vorhaben auf Ihrer Seite haben." Mit diesen Worten lächelte sie und ein Herr ergriff das Wort. Kaibas Blick richtete sich auf ihn.

"Dem kann ich nur beipflichten", meinte er. "Es wird harte Arbeit erfordern, hohe Kosten und viele Umstände. Doch ich bin mir sicher, dass wir es gemeinsam meistern werden."

"Kaiba-Land wird es bald in Amerika geben!", verkündete ein anderer mit Nachdruck. "Davon bin ich überzeugt."

Mit gemischten Gefühlen wandte Pikotto das Gesicht zur Seite und musterte Kaiba erwartend. Dieser rieb sich den Mund, lehnte sich langsam zurück und ließ den Blick zum erneuten Mal durch die Runde schweifen.

"In Ordnung", nuschelte er alles andere, als entschlossen. "Ich... ich verstehe nur nicht, was genau Sie von mir wollen. Worum geht es eigentli..."

"Herr Kaiba", unterbrach Pikotto ihn scharf, "… will Ihnen damit nur sagen, dass die Freude ganz auf seiner Seite ist!"

Die Anwesenden wussten allmählich nicht mehr, was sie denken sollten. Sie tuschelten leise miteinander, doch Kaiba richtete sich auf, Pikotto ebenso scharf musternd.

"Du hast mir nicht vorzuschreiben, was ich zu tun habe!", zischte er plötzlich mit einem seltsamen Anflug von Aggression. Verbittert legte er den Kopf schief und starrte ihn auf eine erschreckende Art und Weise an. "Wer zur Hölle bist du eigentlich!"

Pikotto griff hastig nach seinem Stift, presste ihn in der Hand und lauschte dem verwirrten Flüstern. Ganz gleich, was mit Kaiba nicht stimmte! Es war höchste Zeit, etwas dagegen zu unternehmen! Bevor Kaiba fortfahren konnte, legte er den Stift nieder, erhob sich und trat an ihn heran. Kaiba blickte auf.

"Begleiten Sie mich bitte?" Pikotto lächelte mit verzweifelter Freundlichkeit, umfasste Kaibas Oberarm und zog ihn auf die Beine. Dieser wehrte sich nicht, stand auf und ließ sich sogar nach draußen führen. Er stemmte sich etwas gegen ihn, spuckte leise Flüche, doch das fiel nicht auf. Hastig öffnete Pikotto die Tür, zog ihn in den Gang hinaus und entfernte sich sicherheitshalber noch einige Schritte von dem Raum. Dann blieb er stehen, zog Kaiba zu sich und sah ihm direkt in die Augen.

"Was zur Hölle ist mit dir!" Er rüttelte an ihm. "So lange hast du dich darauf vorbereitet! Und nun?!"

"Pikotto?" Kaiba verstand es nicht. "Was habe ich denn..."

"Was du gemacht hast?" Pikotto ließ die Hände sinken und stöhnte am Ende der Nerven. "Es kommt mir vor, als wärst du nicht mehr du selbst!"

"Was redest du denn da?!" Auch Kaiba wurde laut. "Ich habe keinen Fehler begangen und führe die Besprechung jetzt weiter!"

"Nein, glaub mir, das wirst du nicht!" Ohne zu zögern packte Pikotto ihn wieder am Oberarm und zog ihn weiter. Doch nun wehrte sich Kaiba.

"Lass mich los! Verdammt noch mal, rastest du jetzt völlig aus?!"

Pikotto antwortete nicht, zog ihn weiter. Er zog ihn zum Büro und davon war er überzeugt! Auch Gewalt hätte er angewandt, um Kaiba auf den rechten Weg zurückzubringen, obgleich es diesem aus heiterem Himmel wieder besser zu gehen schien.

"Lass mich los!!"

Die Mitarbeiter blieben stehen und öffneten die Münder über diesen seltenen und erschreckenden Anblick. Pikotto zerrte Kaiba herum, sonst war es immer umgekehrt. Endlich, nach einem langen Kampf, erreichte Pikotto Kaibas Büro.

"Du bist gefeuert!", fauchte dieser, bevor er hineingedrängt wurde.

"Schon gut!" Pikotto schob ihn vor sich her zu dem großen Sofa. "Tu mir einen Gefallen, leg dich hin und ruh dich aus."

"Warum soll ich das tun!" Schon wurde Kaiba an den Schultern gepackt und hinabgedrückt. Er fluchte und wies auf die Tür. "Da draußen sitzen meine Geschäftspartner und ich muss mich um sie kümmern!"

"Das werde ich übernehmen", antwortete Pikotto nun etwas ruhiger. "Versuch zu schlafen. Ich werde nachher nach dir schauen."

"Du behandelst mich wie einen Geisteskranken!", bemerkte Kaiba wütend. "Hältst du mich für einen Geisteskranken?!"

"Nein, das tu ich nicht." Pikotto drückte Kaiba in die Kissen, legte auch seine Beine nach oben. Kaiba jedoch, richtete sich sofort auf. Pikotto gelang es gerade noch, seine Beine festzuhalten.

"Was soll das!" Kaiba funkelte ihn feindselig an. "Wie kannst du es wagen, mich so zu behandeln!"

"Auch ich trage einen Teil der Verantwortung für die Kaiba-Corporation. Und ich besitze das Recht, dich zu ersetzen, sollte etwas schief gehen."

"Es ist aber nichts schief gegangen!", widersprach Kaiba zornig, als Antwort wurde er mit einem Ruck hinabgedrückt. "Du tust mir weh!"

"Bleib liegen!"

Kaiba war zwar kräftig, was Menschen in seinem Alter anbelangte, doch Pikotto war er nicht gewachsen. Immerhin war der Mann knapp fünfzehn Jahre älter, als er. Da konnte er fluchen, so lang und so laut er wollte. Letzten Endes war es doch Pikotto, der die Oberhand behielt und Kaiba derjenige, der liegen blieb, wenn auch griesgrämig.

"Versuch zu schlafen", sagte Pikotto nur noch, bevor er sich abwandte und das Büro verließ. Kaiba bewegte sich nicht, bis die Tür zufiel. Dann schnellte seine Hand nach oben, krallte sich in die Lehne. Schwungvoll richtete er sich auf und starrte auf die Tür. Seine Augen funkelten wütend, seine Finger klammerten sich in das weiche Leder. Seine Lippen formten stumme, verachtende Worte. Dann zischte er leise und ließ sich in die Kissen zurückfallen.
 

Als Pikotto eilig zum Besprechungsraum zurückkehrte, traf er zufällig auf Dr. Araki, der vermutlich endlich von dem armen Arzt abgelassen hatte und nun hier war. Und Pikotto nutzte die Gelegenheit, durfte jedoch nicht allzu viel Zeit verschwenden. Die Gäste mussten schon viel über sich ergehen lassen. Sicher würde es ihnen nicht besser gehen, wenn sie nun herumsaßen und warten mussten. "Herr Araki." Er hielt ihn fest, bevor er fortlaufen konnte. "Kaiba liegt in seinem Büro. Geben Sie ihm etwas zur Beruhigung und sorgen Sie dafür, dass er schläft. Wenn er sich sträubt, dann suchen Sie mich auf, wenn die Besprechung vorbei ist."

"Was?" Der Arzt verstand nicht, doch Pikotto setzte seinen Weg fort.

"Morgen untersuchen Sie ihn erneut", befahl er. "Etwas kann mit ihm nicht stimmen. Er benahm sich ungeheuerlich! Ich musste ihn von der Besprechung entfernen."

"Was?" Verwirrt sah er ihm nach.

"Tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe!" Pikotto erreichte die Tür, öffnete sie und verschwand im dahinterliegenden Raum. Langsam wandte sich Araki ab, hakte den Zeigefinger in die Krawatte und zog sie locker, damit er richtig schlucken konnte.
 

Am nächsten Tag hatte Joey eine gute Laune, was vielleicht daran liegen mochte, dass Kaiba nicht in der Schule gewesen war. Ruhe und Entspannung, kein Anflug von Nervosität oder anderem, das einem den Tag vermiesen konnte.

"Bis Morgen dann." Joey winkte und ging seiner Wege.

"Tschüss!", verabschiedeten sich seine Freunde heiter von ihm.

Joey begann zu pfeifen, schulterte seine Tasche und schlenderte zur Stadt. Bevor er nach Hause ging, musste er noch ein paar Besorgungen machen. Heute kam sein Vater wieder nach Hause. Sein Vater, der eine kleine Teilschuld an den Geschehnissen trug. Joey würde mit ihm reden, sobald er kam. Nun machte er sich deshalb jedoch noch keine Gedanken. Er war guter Laune.

Gemächlich ging er einkaufen, gemütlich schlenderte er durch die Läden und machte sich eine Stunde später, auf den Nachhauseweg. Er trödelte am Park vorbei, durch die schmale Einkaufsstraße und über den großen Platz. Dort standen sehr viele Gebäude, mitunter das Krankenhaus. Ohne darauf zu achten, ließ Joey es hinter sich. Doch da ertönte eine nur allzu bekannte Stimme.

"Joey! Joey, warte auf mich!"

Sogleich blieb der Angesprochene stehen und drehte sich um. Wie aus dem Nichts war Mokuba erschienen. Mit bebendem Atem rannte er zu ihm, klammerte sich an seine Hand und starrte ihn an. Seine Augen waren gerötet, er hatte geweint.

"Mokuba...?" Joey erschrak.

"Joey!" Der Junge zog die Nase hoch, wieder sammelten sich Tränen in seinen Augen. Er atmete hastig, seine Hände krallten sich nun um Joeys Arm. "Es ist so furchtbar!"

"Was... was ist furchtbar?" Zögernd hockte er sich vor den Jungen und fasste ihn an den Schultern. "Was ist passiert?"

"Es ist sooo schlimm!" Mokuba begann wieder zu weinen und rieb sich hastig das Gesicht. "Seto ist sehr krank! Er benimmt sich ganz schrecklich... und... und..."

"Jetzt beruhige dich erst einmal", unterbrach Joey ihn, da er ins Haspeln kam. "Atme tief durch und erzähl es mir."

"Hm!" Hastig nickte der Kleine, schnappte nach Luft und hielt sie an. Dann begann er wieder zu schreien. "Heute Morgen hatte er Schmerzen! Ein Stechen, sagt er! Ein Stechen im Bauch! Der Arzt weiß nicht, was er tun soll! Seto ist jetzt im Krankenhaus!" Hektisch wies er auf das Gebäude. "Es geht ihm total schlecht aber die Ärzte wissen nicht, was sie tun sollen!!" Mokuba biss die Zähne zusammen. "Ich habe solche Angst, dass er stirbt!!"

Mit diesen Worten fiel er Joey um den Hals. Zögerlich hob Joey die Arme und hielt ihn fest. Ein flüchtiges, verunsichertes Grinsen zerrte an seinem Mundwinkel, verschwand jedoch so schnell, wie es gekommen war. Was sollte er denken…?

"Schau nach ihm, Joey!" Mokuba richtete sich auf. "Bitte! Seit du nicht mehr da bist, geht es ihm schlecht!"

"Ach ja?" Joey runzelte die Stirn.

"Ja!" Der Junge krallte sich an ihn. "Außer uns hat er doch niemanden, der nach ihm sehen würden!"

>Natürlich!<, zog es Joey sofort durch den Kopf. >Aber daran trägt er selbst die Schuld!<

Er räusperte sich leise, dann richtete sich Mokuba wieder auf und suchte nach einem Taschentuch, mit dem er die Tränen fortwischen konnte.

"Warum wissen die Ärzte nicht, worunter er leidet?" Joey kam wieder auf die Beine und besah ihn sich nachdenklich.

Vor wenigen Tagen hätte er sich nun den Kopf zerbrochen und genau wie Mokuba geheult. Doch jetzt? Jetzt verspürte er eine leise Wut in sich.

"Sie finden keine Erklärung für die Schmerzen", antwortete ihm der Junge, nachdem er sich das Gesicht abgetrocknet hatte. "Und Seto... er... er sagt andauernd irgendwelche Dinge, die ich nicht verstehe. Er redet wirr und als ich ihn das erste Mal besuchte...", plötzlich brach Mokuba wieder in Tränen aus und presste beide Hände auf das Gesicht, "da erkannte er mich irgendwie nicht!"

"Hm?" Joey hob die Augenbrauen. "Er hat dich nicht erkannt?"

"Nein!", jammerte der Junge. "Er macht mir Angst, verstehst du? Ich weiß nicht, was mit ihm los ist! Ich will ihm helfen, aber ich... ich verstehe es einfach nicht. Alles was er sagt, ist so unsinnig!"

"Aha." Joey räusperte sich erneut, dann warf er dem Krankenhaus einen knappen Blick zu. Er grübelte kurz, bevor er sich wieder an Mokuba wandte. "Du, ich habe leider gerade keine Zeit. Ich werde nach ihm schauen, sobald ich kann."

Mokuba wunderte sich doch sehr. Verdutzt starrte er ihn an.

"Du willst nicht zu ihm...?"

"Doch, doch." Joey grinste und verwuschelte seinen schwarzen Schopf. "Später, versprochen. Kümmere dich um ihn, ja? Auch wenn er vielleicht etwas merkwürdig ist."

"Ja, natürlich mache ich das. Aber..."

"Wir sehen uns." Joey wandte sich ab. "Richte ihm viele Grüße von mir aus."

Das Letzte sagte er mit einem unüberhörbaren Sarkasmus. Er ging weiter, spürte den verwirrten Blick des Jungen in seinem Rücken.

>Ich werde nicht nach ihm schauen! Wenn er etwas will, dann soll er zu mir kommen!<
 

~*to be continued*~

Gradwanderung

Nach einer kurzen Zeit, trat er in seine Wohnung, schloss die Tür mit dem Fuß und trödelte in die Küche. Dort stellte er die schweren Taschen auf dem Tisch ab und öffnete den Kühlschrank, um sich etwas umzusehen. Währenddessen kratzte er sich am Steiß und pfiff leise vor sich. Als sich jedoch die Küchentür erneut öffnete, verstummte er. Mit einem Koffer trat sein Vater ein, nickte ihm grüßend zu und ließ sich sogleich am Tisch nieder, nachdem er die Taschen zur Seite geschoben hatte. Er schien bester Laune zu sein, sein Sohn jedoch, setzte plötzlich eine wirklich finstere Miene auf, verschränkte langsam die Arme vor dem Bauch und lehnte sich an. Er musterte seinen Vater scharf und dieser wurde erst darauf aufmerksam, nachdem er in seinem Koffer gewühlt hatte und sich dann nach seinem Tag erkundigen wollte. Als er jedoch auf Joeys Blick traf, sagte er vorerst nichts. Überrascht öffnete er den Mund.

"Was ist?" Er drehte sich auf dem Stuhl, stellte den Koffer nach unten. "Warum siehst du mich so an?"

"Hm." Joey wandte sich leichthin ab und begann mit dem Fuß Kreise auf dem Boden zu ziehen. "Och... nichts Besonderes."

"Ach ja? Bist du einfach mal so wütend?"

Joey saugte an seinen Zähnen und ließ ihn lange warten, bevor er das loswurde, was ihm auf der Seele brannte. Dann trat er einen Schritt vor und blieb direkt vor dem älteren Mann stehen.

"Habe ich dir nicht gesagt…", Joey legte den Zeigefinger gegen das Kinn, "… dass Kaiba keine Schuld an den Vorfällen trägt?"

"Hast du", wunderte sich sein Vater.

"Aha." Joey nickte übertrieben. "Und habe ich dich nicht darum gebeten, ihm keine Vorwürfe zu machen?"

Nun verstand er es. Er räusperte sich, grübelte, um irgendetwas Beschwichtigendes zu sagen, doch Joey kam ihm in einem scharfen Ton zuvor.

"Warum hast du es trotzdem getan?"

"Joey, ich..."

"Du warst nicht dabei!" Joey schnitt eine Grimasse und wandte sich ruppig ab. "Es kommt mir fast so vor, als würdest du mir Kaibas Unschuld an alledem nicht glauben. Meinst du, ich habe das alles gesagt, um ihn zu schützen? Denkst du, ich habe dich angelogen?"

"Nein, so ist es nicht", versuchte sich Herr Wheeler rauszureden. "Ich habe nur gewollt, dass du..."

"Dass ich keinen Gefahren mehr ausgesetzt bin, ja natürlich. Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen? Aber du musst jetzt nicht traurig sein, kannst dich sogar freuen, denn dieser Typ, der nur so mit Gefahren um sich wirft und mich unglaublich oft beinahe in den Tod gestürzt hätte, der kein Gewissen besitzt und ein kriminelles Leben führt... hat mir die Freundschaft gekündigt."

"Was?" Sein Vater erschrak.

"Tu nicht so, als wärst du entsetzt!", fauchte Joey zurück. "Du freust dich doch darüber!"

"Das stimmt nicht!" Sein Vater stand eilig auf. "Ich habe ihn nicht darum gebeten!"

"Am Ende läuft es aber auf dasselbe hinaus, nicht? Indirekt... und trotzdem unmissverständlich. Ich ärgere mich, weil ich diese Geschicklichkeit scheinbar nicht von dir geerbt habe!"

"Joey!" Herr Wheeler trat an ihn heran. "Bitte, du musst mich verstehen..."

"Aber ich verstehe dich doch, Paps." Joey warf ihm einen niedlichen Schulterblick zu. "Jetzt musst du keine Angst mehr haben. Diesen Missetäter bin ich ein für allemal los!"

Mit diesen Worten verließ er die Küche, stampfte durch den Flur und schloss sich in seinem Zimmer ein, um seinem Vater deutlich die kalte Schulter zu zeigen.
 

Wieder endete ein Schultag.

Binnen kurzer Zeit hatte sich das Wetter verschlechtert. Nun war es kühler und es wehte ein unangenehmer Wind. Davon ließ sich Joey jedoch nicht die Laune verderben, falls es an der noch etwas zu verderben gab. Am gestrigen Tag hatte er getobt und sich ausgelassen. Wieder steckte er in einer verzwickten Lage und er wusste seine Sorgen, Kaiba gegenüber, nicht zu verleugnen. Vielleicht lag es aber auch nur an Mokuba? Es war möglich, dass er sich nur wegen ihm Vorwürfe machte. Der Junge hatte ihm einen merkwürdigen Blick zugeworfen, der beinahe schon an Enttäuschung grenzte. Wie sollte er ihn verstehen, wenn er nicht wusste, um was es ging? Er hatte doch keine Ahnung von den Vorfällen, die Joey dazu trieben, kühl und unbeteiligt zu bleiben.

Arbeit im Lawell stand nicht an, denn die Restauration galt noch immer nicht als abgeschlossen. Also hatte er Duke dazu überredet, nach der Schule mit ihm essen zu gehen. Essen… egal was, er wollte sich nur ablenken und wie in den letzten Tagen auch, tat er alles, damit es gelang. Duke hatte ihn nicht mehr auf Kaiba angesprochen, hatte auch diese vorwurfsvollen Blicke eingestellt und benahm sich ihm gegenüber nun normal.

Kurz verabschiedeten sich die beiden von Yugi und Co und gingen dann ihrer Wege. Nach Hause wollte Joey nicht, denn sein Vater würde sofort angerannt kommen.

Auf all das, verbunden mit wilden Entschuldigungen hatte er keine Lust und da Duke über alles informiert war, verbrachte er seine Zeit nun am liebsten mit ihm. Guter Dinge trödelten sie durch schmale Einkaufsstraßen und ließen sich bald in einem kleinen Cafe nieder. Dort aßen sie eine Kleinigkeit und unterhielten sich. Morgen, nur drei Tage nach den Ferien, stand die erste Arbeit an. Das Wort "Fairness" schien den Lehrern nicht bekannt zu sein.

Während er in seinem Salat stocherte, nippte Duke gemütlich an seiner Cola.

"Wenn es Hitzefrei gibt…", Joey ließ nachdenklich die Gabel sinken, "… gibt es dann nicht auch Kältefrei?"

"Was redest du für einen Blödsinn?" Duke runzelte die Stirn. "Du hattest doch wohl lang genug Ferien. Willst du dich jetzt wieder vor der Schule drücken? Nach drei Tagen?"

"Quatsch!" Joey begann wieder zu essen. "Ich habe nur gefragt. Warum gehst du mich gleich so an?"

"Tu ich gar nicht", seufzte Duke und schwenkte das Getränk im schmalen Glas. Joey wackelte mit dem Kopf und versuchte eine Olive mit der Gabel zu erwischen. Doch sie rollte davon, kämpfte verzweifelt um ihr Leben. So vergingen einige Minuten, Joey schlüpfte bald in seinen Pullover und Duke bestellte sich noch eine Cola. Dann, nachdem Joey nur noch einen leeren Teller vor sich hatte, richtete er sich auf, stützte die Ellbogen auf den Tisch und begann mit einer kleinen Pappkarte zu spielen.

"Duke?"

Der Angesprochene wendete den Eiswürfel im Mund.

"Hm?"

"Hattest du…", Joey zögerte, "… schon einmal Todesangst?"

"Hm?" Duke hob die Augenbrauen und schob den Eiswürfel zur Seite, damit er etwas sagen konnte. Das tat er jedoch nicht. Er grübelte und grübelte, doch letzten Endes schüttelte er den Kopf.

"Etwas mulmig zu Mute war mir schon des Öfteren. Aber Todesangst? Nein, das glaube ich nicht. Und du?"

Mit dieser Frage hatte Joey nicht gerechnet. Er selbst hatte die Frage nur aus reiner Neugierde an Duke gestellt. Nun jedoch, musste er nachdenken, sich an Dinge erinnern, die er eigentlich verdrängen wollte. Dinge, die mit Kaiba zu tun hatten. Sollte er darüber sprechen?

>Als ich noch mit Kaiba zusammen war, hatte ich oft Todesangst. Als Katagori auf mich schoss, dachte ich, das wäre es jetzt. Dann, als mich Chester besuchte, dachte ich dasselbe. Neue Erfahrungen. Nicht, dass Kaiba die Schuld an dem Vorfall mit Chester trug... aber er brachte mich öfter in Gefahr, als nötig! Jetzt, da ich nichts mehr mit ihm zu tun habe, muss ich also nicht mehr um mein Leben fürchten.<

Er verzog kurz das Gesicht, eine flüchtige Wut durchzuckte ihn. Dann jedoch schüttelte er den Kopf. Nein, aussprechen wollte er es nicht. Nun, da er soeben dabei war, sich vollständig zu belügen und Kaiba hinter sich zu lassen.

Er könnte schreien, er könnte heulen, er könnte gegen Wände schlagen!

Wie sehr litt er nur unter alldem!

Da er aber ein realistischer Mensch war, wusste er, was das Beste für ihn war.

"Ich hatte noch nie Todesangst", murmelte er und starrte auf seinen Teller. "Mein Leben geht seinen gewohnten Gang."

"Hm." Duke nickte in einer ernsten Nachdenklichkeit. Er musste sich nicht anstrengen, um Joey zu durchschauen.

Nachdem sie bezahlt hatten, rauften sie ihre Sachen zusammen und schlenderten weiter. Ohne auf die Zeit zu achten, trödelten sie durch halb Domino. Es vergingen knapp zwei Stunden, dann blieben sie vor einem Laden stehen und sahen sich um.

"Wie lange wollen wir noch ziellos herumlaufen?" Duke stöhnte. "Meine Beine tun weh."

"Du jammerst wie ein altes Weib." Joey äffte sein Stöhnen nach. "Wir können ja wieder umkehren... aber zuerst brauche ich ein Eis."

"Und dann kehren wir um."

"Ja." Joey grinste vergnügt und verschwand im Laden. Kurz darauf kehrte er mit einem leckeren Softeis zurück. Und wie versprochen, machten sie sich auf den Heimweg.

"Ich hoffe nur, dass es morgen nicht noch kälter wird." Joey schulterte seine Tasche neu und balancierte das Eis aus, damit es nicht zu Boden ging. "Merkwürdig dieses Wetter. Von einem Tag auf den anderen... unglaublich."

"Der Sommer war doch lang genug", meinte Duke.

"Der Sommer kann für mich nicht lang genug sein." Joey knabberte an der Waffel. "Ich hasse Kälte. Da holt man sich schnell einen Schnupfen und bevor man sich versieht, ist man richtig krank. Scheußlich!"

"Im Sommer kann man sich eben so schnell eine Grippe holen." Duke trat näher an Joey heran, um sich mit ihm durch eine Menschenmenge zu drängeln, die aus einem der U-Bahnschächte strömte. Geschäftsmänner, arbeitstätige Frauen, die sich nun auf ihren Feierabend freuten. Während Duke andauernd angerempelt wurde und ständig ausweichen musste, verlor Joey beinahe sein Eis und kämpfte ums nackte Überleben. Endlich hatten sie es überstanden und das Laufen fiel ihnen leichter. Ohne ein Wort zu verlieren, bogen sie in eine schmale Seitenstraße ein. Duke freute sich auf Zuhause. Kurz essen gehen, hatte Joey gesagt. Nun waren sie schon so lange unterwegs, dass er diesen Ausflug mit einer Tageswanderung verglich. Er hatte noch viel zu tun. Für die morgige Arbeit - für seinen Laden. Bald zückte er einen Kaugummi. Bedächtig packte er ihn aus und hob ihn zum Mund. Da bemerkte er plötzlich, dass Joey nicht mehr neben ihm war. Verwundert ließ er den Kaugummi sinken, blieb stehen und sah sich um. Joey war plötzlich wie erstarrt, er stand weiter hinten und hatte sich zur entgegengesetzten Richtung gedreht. Duke folgte seinem Blick, als er jedoch nichts Außergewöhnliches fand, kehrte er zu ihm zurück und zupfte an seinem Ärmel.

"Hey… was'n los?"

"Tsch!" Abrupt hob Joey die Hand. Noch immer starrte er die Straße hinab und Duke konnte nichts erkennen.

"Was ist da?"

Er erschrak, als Joey ihn plötzlich verkrampft am Handgelenk packte. Doch er drückte es nur kurz, dann flüsterte er etwas Unverständliches, ließ das Eis fallen und eilte los, beinahe rannte er schon.

"Was ist denn los?" Verwirrt sah Duke ihm nach, dann folgte er ihm. "Wenn das ein Spaß ist, dann finde ich ihn nicht komisch! Meine Beine tun weh und ich habe keine Lust auf einen Marathon durch Domino!"

Joey schenkte ihm keine Beachtung. Hastig drängelte er sich durch einige Menschen und verschwand wieder auf der Hauptstraße. Duke hatte seine Probleme damit, ihn im Auge zu behalten.

"Verdammt!" Er kämpfte sich aus der Menge und erspähte ihn, wie er vor einer Ecke stehen blieb und kurz dahinter lugte. Endlich hatte er ihn. Erschöpft blieb er neben ihm stehen, krallte sich in seine Schulter und ließ den Kopf hängen.

"Was rennst du denn so?", keuchte er. "Kannst du mir mal sagen, was..."

"Nicht so laut…!" Hektisch fuhr Joey zu ihm herum und fuchtelte mit den Händen. Er war sehr aufgeregt, als er sich über den Hals fuhr und erneut in die Gasse lugte. Doch plötzlich machte er einen Satz und verschwand hinter der Ecke. Duke ächzte, rollte mit den Augen und folgte ihm.

Leise trat Joey auf, als er durch die Gasse schlich. Die Tasche hielt er fest, seine Pupillen wechselten angespannt von einer Seite zur anderen. Er versuchte, keinerlei Geräusche zu erzeugen. Bedacht setzte er einen Fuß vor den Anderen und ging sehr langsam.

"Joey!" Duke stampfte hinter ihm her. "Kannst du mir mal sagen..."

Mit einer schnellen Bewegung fuhr Joey wieder zu ihm herum, starrte ihn mit entsetzten Augen an und zog etliche Grimassen. Dann fuchtelte er hektisch mit den Armen, rieb sich die Stirn und presste die Lippen aufeinander. Ebenso leise schlich er dann zu ihm zurück und packte ihn am Kragen, als er ihn erreichte.

"Sei leise! Verdammt noch mal…!", flüsterte er scharf und drehte sich schnell zur anderen Seite, um einen prüfenden Blick zu der engen Gasse zu werfen, die diese schnitt. "Du bringst uns in Gefahr!"

"Was ist denn..."

"Nicht so laut!" Joey schnappte gehetzt nach Luft. In letzter Zeit benahm er sich wirklich merkwürdig. "Ich habe ihn gesehen!"

"Wen hast du gesehen?", flüsterte Duke zurück.

"Katagori!", fauchte Joey nervös. "Er ist hier, kam gerade an mir vorbei! Er hat mich nicht erkannt!"

"Katagori?" Duke erschrak. "Ist das nicht der Mann, der..."

Joey nickte hastig.

"Aber warum hast du es mir nicht eher gesagt?"

"Oh natürlich!" Er weitete die Augen. "Ich bleibe auf der Straße stehen und schreie aus vollem Hals: "Schau mal, Duke! Da ist der Mann, der auf mich geschossen hat! Komm, wir folgen ihm leise, so, dass er uns nicht bemerkt!" Oh ja, das wäre sicher sehr ratsam!"

"Was machen wir denn jetzt?" Auch Duke wurde nervös.

"Ich sage dir, was ich mache!" Joey ließ ihn los und wandte sich ab, um weiter zu schleichen. "Ich folge ihm."

Duke blieb stehen und sah ihm nach. Er verschnellerte seine Schritte, als er der Gasse näher kam.

Was sollte Duke denn machen?

Sollte er nach Hause gehen und sich darauf verlassen, das Joey all das allein auf sich nahm?

Er biss sich auf die Unterlippe, dann stöhnte er leise und folgte seinem Freund. Dieser lugte um die nächste Ecke.

"Ich bin dabei." Duke schob sich etwas an ihm vorbei und folgte seinem Blick. Er sah gerade noch eine Gestalt hinter der nächsten Ecke verschwinden.

Katagori?

War das denn die Möglichkeit?!

Was jedoch sicher war, war, dass sich Joey deshalb mehr Gedanken machte, als er.

Er nickte ihm kurz zu, dann bog er ab und eilte vorsichtig durch die nächste Gasse. Auf Dukes Armen bildete sich eine Gänsehaut, als er an diesem gefährlichen Vorhaben teilnahm. Und Joey sah so aus, als würde er am gesamten Leib zittern. Nach langsamem Anschleichen, erreichten sie die nächste Gasse. Diese war höchstens zwei Meter breit, dreckig und dunkel. Achtsam beugte sich Joey nach vorn, bis er mit einem Auge nach rechts blicken konnte. Er richtete sich jedoch nach einer Sekunde wieder auf, schob sich zurück und drängelte Duke mit sich.

"Er steht dort mit einem anderen Mann", flüsterte er ihm beinahe lautlos zu.

"Was machen wir jetzt?", erwiderte Duke ebenso leise. "Soll ich die Polizei rufen?"

"Bevor die hier sind, ist der schon wieder weg." Wieder trat Joey näher an die Ecke heran. "Ich will sehen, wer der andere Mann ist. Vielleicht kann ich mich auch nahe genug heranschleichen, um zu hören, was sie..."

Duke zog ihn zurück.

"Bist du verrückt? Du bringst dich in Lebensgefahr."

"Ich kann ihn nicht ungeschoren davonkommen lassen." Joey wirkte verzweifelt. "Sicher führt er wieder Böses im Schilde. Was macht der eigentlich hier in Domino? Ich dachte, er... verdammt, ich weiß nicht mehr, was ich denken soll."

"Du kannst es nicht selbst in die Hand nehmen." Duke biss die Zähne zusammen. "Er hätte dich beinahe umgebracht, als du ihm..."

"Du verstehst es nicht!" Joey hielt inne, presste sich beide Hände auf den Mund und starrte nervös um sich. Ohne, dass er es bemerkt hatte, war er laut geworden. Auch Duke hielt den Atem an, doch die Stimmen drangen noch immer zu ihnen. Mann hatte sie nicht bemerkt. Kurze Zeit schwiegen sie noch, dann trat Joey zurück und näherte sich der Kante. Zittrig fuhren seine Hände über das Gestein, sein Atem raste, ebenso sein Herz. Duke sah ihm nervös nach, schloss die Augen und atmete tief durch. Wenn das mal gut ging!

Joey spitzte unterdessen die Ohren und versuchte, zu verstehen, was die beiden sprachen. Es war verdammt gefährlich, einen weiteren Blick zu ihnen zu werfen. Ihr Fluchtweg war zu lang und möglich war, dass Katagori bewaffnet war. In Joeys Kopf tobten die Gedanken. Es fiel ihm schwer, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren.

Warum hatte Kaiba ihm nichts von Katagoris Rückkehr erzählt?!

Vielleicht wusste er überhaupt nichts davon?

Joey verstand nur wenige Worte, ein Gemisch aus leisen Lauten. Er konnte keinen Zusammenhang bilden, nicht herausfinden, worum es ging. Er achtete nicht mehr auf Duke, spürte nur langsame Bewegungen in seinem Rücken.

Aufgeregt starrte er auf die gegenüberliegende Wand, sein Mund fühlte sich trocken an, ein Schaudern nach dem anderen durchzuckte seinen Körper.

Langsam blähte er die Wangen auf, streckte die Hand nach hinten und tastete nach Duke. Bevor er sich jedoch zu ihm umdrehte, ertönte ein leises "Klong", ein hohler, dumpfer Ton. Und als er herumfuhr, kippte Duke einfach um!

Er rutschte hinab, seine Hände versuchten nach seinem Pullover zu fassen, doch er glitt ab und ging zu Boden. Entsetzt schnappte Joey nach Luft und trat unbedacht einen Schritt zurück. Plötzlich stand vor ihm eine dunkle Gestalt. Er versuchte ihn zu erkennen, doch das Einzige, das er sah, war eine große Faust, die auf sein Gesicht zuschoss. Er spürte nur einen schmerzhaften Schlag, der genügte, um ihm das Bewusstsein zu nehmen. Vor seinen Augen wurde alles schwarz, dann stolperte er zur Seite, schlug gegen die Wand und stürzte.
 

Zusammengesunken hockte Mokuba im Wartezimmer des Krankenhauses. In den Händen hielt er eine kühle Dose Apfelsaft. Seine Miene wirkte niedergeschlagen und müde.

Jetzt hatte er keine Lust mehr auf eine Geburtstagsparty.

War es nicht unfair?

Gerade an seinem Geburtstag passierte so etwas. Und nun war plötzlich auch Joey der Meinung, Besseres zu tun zu haben, als sich um Kaiba zu kümmern. Die beiden mussten sich gestritten haben. Dessen war er sich nun sicher.

Als Pikotto den Warteraum betrat, blickte er auf, sah ihn erwartungsvoll an. Auch der Mann blickte irgendwie düster drein und machte ihm nicht gerade Hoffnung. Soeben hatte er mit dem Arzt gesprochen. Mokuba bekam Angst, seine Hände klammerten sich um die Dose. Neben ihm ließ sich Pikotto nieder, streckte die Beine von sich und stöhnte.

"Und?" Zögerlich lugte Mokuba zu ihm.

Pikotto erwiderte seinen Blick nur kurz, wandte sich ab und schüttelte den Kopf. "Er braucht nicht nur einen Psychiater, sondern auch ein Wunder", murmelte er dann. "Das Einzige, was die Ärzte feststellen können, ist, dass die Leber nicht korrekt arbeitet."

"Die Leber?", fragte Mokuba leise.

"Die Leber filtert Giftstoffe aus der Nahrung, die der Mensch zu sich nimmt", lieferte Pikotto ihm eine schnelle Antwort. "Ihre Funktion lässt nach. Doch das erklärt nicht seine Schwäche und die Schmerzen, unter denen er leidet. Ein starkes Sedativum war von Nöten, um ihn ruhig zu stellen und ihm etwas Entspannung zukommen zu lassen. Zurzeit ist sein Zustand stabil. Aber...", Pikotto verstummte und ließ den Kopf sinken.

"Aber was?!" Mokuba sprang auf die Beine.

"Er wird mit jedem Tag schwächer, hat Fieber und fantasiert. Alles, was er sagt, ist wirr und unverständlich. Die Ärzte wissen nicht, was sie tun sollen. Sie wissen nicht, was die genaue Ursache seines Zustandes ist." Pikotto schluckte, man sah ihm deutlich an, dass ihm das Reden schwer fiel.

"Und... was heißt das jetzt?!" Mokuba war den Tränen nahe. "Stirbt Seto?!"

Pikotto hielt den Atem an, starrte auf den Boden. Einige Sekunden vergingen, bevor er aufblickte und den Jungen direkt ansah. Mokuba schluckte, seine Augen begannen zu schimmern.

"Stirbt Seto...?"

Er erhielt keine Antwort, stattdessen erhob sich Pikotto und berührte seine Schulter.

"Komm, ich bringe dich nach Hause."
 

Als Joey langsam zu sich kam, spürte er eine kühle Frische, atmete muffige, feuchte Luft. Sein Gesicht schmerzte, sein gesamter Kopf pochte wie ein Uhrwerk und seine Nase fühlte sich an, als wäre sie gebrochen.

Er stieß einen erschöpften Atem aus, öffnete die Augen und blickte auf. Direkt vor ihm, nur zwei Meter entfernt, stand ein Tisch, an dem zwei Gestalten Platz genommen hatten. Er blinzelte, gewann jedoch schnell ein schärferes Bild. Keinen der beiden Männer kannte er. Der eine war groß und breit, hatte einen Körper wie ein Stier. Der andere hingegen war kleiner und sah etwas mager aus. Er war blond und auf dem ersten Blick nicht als Ganove auszumachen. Gemeinsam mit ihnen saß Joey in einem kleinen stickigen Kellergewölbe. Die Beiden weiterhin beobachtend, begann er die Hände zu bewegen, doch sie waren straff gefesselt. Auch seine Füße.

"Guten Morgen." Als eine nur allzu bekannte Stimme ertönte, hielt er in der Bewegung inne. Von einer auf die andere Sekunde stand ein Mann vor ihm, den er am letzten in seinem Leben sehen wollte. Joey blickte erschrocken zu ihm auf, starrte ihn an. "Es ist lange her und dabei dachte ich, du wärst tot."

Gelassen rollte der ältere Mann die Zigarette zwischen zwei Fingern und grinste. Joey stockte der Atem, er wandte den Blick ab und schluckte. Die beiden Männer am Tisch begannen sich leise zu unterhalten, schenkten ihm keine Beachtung. Der Magere zündete sich ebenfalls eine Zigarette an. Doch Joey erschrak und fuhr wieder in die Höhe.

"Wo ist Duke?!"

"Wer?" Katagori hob die Augenbrauen.

"Der, der bei mir war!!", schrie Joey aufgeregt. "Wenn ihr ihm etwas angetan..."

"Duke heißt er also." Katagori trat zur Seite und wies mit einem leichten Nicken nach hinten. Sofort sah sich Joey um und erspähte seinen Freund. Er kauerte auf der anderen Seite des Raumes, hinter dem Tisch. Auch seine Hände und Beine waren gefesselt. Der einzige Unterschied war, dass man auch seinen Mund geknebelt hatte. Außerdem sah er etwas verschrammt aus, schien in die Ungnade der Gastgeber gefallen zu sein. Sein Blick war düster und verbissen auf den Boden gerichtet.

"Was habt ihr mit ihm gemacht!" Verbissen versuchte sich Joey aufzurichten.

"Wenn du artig bist, passiert dir nichts." Gemächlich setzte Katagori den Fuß auf seine Schulter, stieß ihn zurück an die Wand. "Dein Kumpel war nicht so klug."

Joey blieb widerwillig sitzen und tat es Duke gleich. Er starrte auf den Boden und zog eine finstere Miene. Katagori rauchte seine Zigarette weiter, die beiden Anderen unterhielten sich und kurze Zeit später kauerte er sich vor ihn. Joey wurde von einem so unglaublich scharfen Blick getroffen, dass es ihm bange wurde. Dennoch erwiderte er ihn ebenso bissig.

"Du hast also überlebt. Schön."

"Hm", brummte Joey. "Find ich auch."

"Und wie geht es dem ehrenwerten Herr Kaiba?" Katagori grinste.

"Frag ihn selbst! Seit einiger Zeit habe ich nichts mehr mit ihm zu tun!"

"Ach." Das wunderte Katagori nicht. "Hast du endlich genug von seinem abscheulichem Charakter? Seinem Größenwahn? Seiner Gewissenlosigkeit?"

Joey brummte erneut. Seinem Gesicht waren flüchtige Gedankengänge anzusehen aber letztendlich presste er nur die Lippen aufeinander und blieb stumm.

"Weißt du, ich habe nichts gegen dich, Joey. Du warst bedauerlicherweise nur im Weg und irgendwie bist du es immer noch. So wie es aussieht, bist du ein Mensch, der sich gerne in die Angelegenheiten Anderer einmischt." Ein Ausdruck erschien in Katagoris Augen, der Joey nicht gefiel. Reglos blieb er sitzen und wartete angespannt darauf, dass er fortfuhr. "Nimm es nicht persönlich aber jetzt hast du genug gesehen, zu viel. Und dein Freund auch." Katagori wies mit der Hand nach hinten und Joeys Blick flüchtete zu den beiden Männern, die sie noch immer nicht beachteten.

"Du und dein Kumpel werden hier nicht lebend rauskommen, dafür werden wir sorgen."

"Wa..." Joey öffnete sprachlos den Mund. Ein zitternder Atem kam über seine Lippen und angsterfüllt lugte er zu seinem Freund aber dem war die angenehme Neuigkeit scheinbar schon eher auf die Nase gebunden worden. Er starrte wieder auf den Boden und regte sich nicht.

"Du brauchst aber keine Angst zu haben. Es wird schnell gehen." Katagori hob die Hand und langte nach einer der langen blonden Strähnen. Nur eine kurze Berührung, bevor der junge Mann den Kopf zur Seite riss und in die Höhe fuhr.

"Sie wollen uns umbringen?!"

"Es ist so." Katagori ließ die Hand sinken und kam wieder auf die Beine. "Ihr könnt mir so oft versprechen, nicht die Polizei aufzusuchen, wie ihr wollt. Irgendwie wissen wir doch alle, dass so etwas nicht funktioniert."

"Warum sollte ich Ihnen das Versprechen geben, wenn ich sowieso sterbe!", zischte Joey. "Aber finden Sie die Sache nicht etwas übertrieben? Nur, weil Kaiba Sie gefeuert hat?!"

"Weil..." Katagori riss die Augen auf und schnappte nach Luft. Joey schien eine wunde Stelle getroffen zu haben. Joey schluckte, als sich der Mann wieder vor ihn hockte. Dann plötzlich, schnellte seine Hand hervor, packte ihn am Hals und presste ihn brutal gegen das raue Gestein. Er stöhnte leise auf, biss die Zähne zusammen und blinzelte; Duke blickte auf.

"Weil er mich gefeuert hat??" Katagori kochte vor Wut, riss sich die Zigarette aus dem Mund und hielt sie direkt vor Joeys Gesicht. "Er hat mein Leben zerstört!!"

Verkrampft schloss Joey die Augen und begann sich zu regen. Er spürte die Hitze, direkt an seinem rechten Auge. Schmerzhaft strömte sie seiner Haut entgegen und Katagoris Hand begann zu zittern. "Wie kannst du so etwas sagen, wenn du keine Ahnung hast, worum es geht!!"

"Es tut mir leid!"

Der Mann stieß einen schlimmen Fluch aus, ließ seinen Hals los und stand ruppig auf.

"Du verdammtes kleines Miststück!" Er spuckte zur Seite und wandte sich ab. Und während er das tat, schnippte er die Zigarette in Joeys Richtung. Sie landete auf seiner Schulter und Joey bewegte sich schnell, um sie loszuwerden. Er richtete sich auf, schüttelte sie von seinem Bein und kroch zur Seite.

Katagori ließ sich währenddessen auf dem Tisch nieder. Zu seinen Seiten, die beiden Kumpanen. Er verschränkte die Arme und blickte finster drein.

"In nur wenigen Stunden werdet ihr das Zeitliche segnen! Und wenn ich euch so sehe, habe ich irgendwie Lust, euren Tod langsam und schmerzhaft zu gestalten!"

Der große Mann am Tisch lachte gehässig, der andere schwieg weiterhin, regte sich nicht einmal großartig. Nachdem sich Joey wieder an die Wand gekauert hatte, lugte er erneut zu Duke. Doch dieser regte sich nicht, schien sehr erschöpft zu sein.

"Ich werde euch einen letzten Gefallen tun!" Katagori atmete tief ein und lachte leise, schien sich schnell von seinem Wutanfall zu erholen. "Ihr sollt nicht dumm sterben, also erzähle ich euch jetzt eine Geschichte."

Angespannt versuchte Joey den Atem zu kontrollieren. Er fiel so schnell, alles an ihm bebte bei dem Gedanken, was auf ihn zukam. So presste er die Lippen aufeinander und starrte auf den Boden.

Er wollte nicht, dass es so endete!

Er war noch zu jung, wollte noch viel erleben!!

Er wagte es nicht, Duke einen weiteren Blick zuzuwerfen, denn es war seine Schuld, dass auch er sterben würde! Bei Gott, er war kurz davor, den Verstand zu verlieren!

Und Katagori begann seine Geschichte, schnalzte mit der Zunge, rutschte sich zu Recht und erhob dann die Stimme, in der sich ein so verächtlicher und verhasster Ton verbarg, dass eine Gänsehaut Joeys gesamten Körper überzog.

Wäre er ihm doch nicht gefolgt!

Hätte er doch nur zugelassen, dass Duke die Polizei rief!

Hätte er dieser nur etwas mehr Vertrauen geschenkt, dann säße er nicht in dieser Lage!

Und Duke auch nicht! Duke, der richtig gehandelt hätte!

"Es war einmal ein verwöhnter, rücksichtsloser, gottverdammter Mistkerl, der eines Tages einen großen Fehler beging. Nur aus Lust und Laune trieb er einen Menschen in den Ruin, wozu er gar keinen Grund hatte! Wie es aussieht, war er sich über die Konsequenzen nicht im Klaren und leider Weise war es dem armen Mann auch vergönnt, seine Rache an ihm zu üben. Er musste sich also zurückziehen, um einen Plan zu schmieden. Einen Plan, der in seiner Vollkommenheit und Klugheit nicht scheitern konnte. Und dann kam der Tag der Entscheidung. Der Tag der Rache." Katagori schien die nächsten Sätze zu genießen. "Und... der Plan gelang. Der Rachefeldzug ist im vollen Gange." Er wandte sich an den Hageren. "Und wann wird er enden?"

"In ungefähr... vier Tagen", erwiderte dieser nach kurzen Überlegungen.

"In vier Tagen", wiederholte Katagori genüsslich. "In vier Tagen werde ich meine Rache haben."

"Was zur Hölle meinen Sie damit?!" Joey war mit den Nerven am Ende. "Drücken Sie sich deutlicher aus! Was für ein Rachefeldzug?!"

"In vier Tagen... wie soll ich es ausdrücken?" Katagori rutschte vom Tisch und begann langsam zu spazieren. Joeys entsetzter Blick folgte ihm. "Na ja... in vier Tagen wird der werte Herr Kaiba das Zeitliche segnen, in die ewigen Jagdgründe eingehen und den Löffel abgeben. Er wird verenden, verrecken... sterben! Das kannst du sehen, wie du willst."

Mit einem lauten Aufschrei fuhr Joey in die Höhe. Er stützte sich auf die Knie, schnappte nach Luft und schrie erneut.

"Was?!"

Augenblicklich vereiste Katagoris Miene.

"Setzen!"

"Was haben Sie gemacht?!" Joey kam es nicht in den Sinn, das zu tun. Die gesamte Wut, die seinen Körper lähmte, schien sich verflüchtigt zu haben und haltlos schrie er ihn an. "Warum wird er sterben?!"

"Ich sagte, du sollst dich setzen!!"

"Warum?!" Joey schrie aus vollem Hals, konnte nicht glauben, was er hörte. Auch, als der riesige Mann aufsprang und auf ihn zutrat, gehorchte er nicht. Er wollte wieder schreien, da rammte sich ein mächtiger Fuß in seinem Magen und er kippte vorn über.

"Lass ihn, Terence! Du kannst ihn dir nachher vornehmen!" Katagori schob den Riesen zur Seite, beugte sich hinab und packte Joey an den Haaren, zog ihn in die aufrechte Haltung zurück. Der Blonde bekam kaum Luft, rang nach Sauerstoff. "Wir werden dir noch Benehmen beibringen!" Katagori stieß ihn zurück an die Wand, an der er keuchend lehnen blieb. "Und wenn wir schon einmal dabei sind, werden wir uns gleich noch ein bisschen um deinen Freund kümmern!"

"Du mieser Drecksack!" Joey hustete erstickt und erntete einen weiteren, äußerst schmerzhaften Tritt. Katagori machte eine abfällige Handgeste und wandte sich ab, der Hüne namens Terence trat näher. Er knackte mit seinen Fingern und freute sich auf das Kommende.

"Da du und dein Freund ab Morgen auf ewig verschwunden sein werdet, könnt ihr ruhig die volle Wahrheit erfahren." Katagori erreichte eine kahle, alte Stahltür und nickte dem Mageren zu, der sich daraufhin vom Tisch erhob und das Wort ergriff.

"Ich entwickelte ein noch nie da gewesenes Gift."

Joey stockte der Atem. Unter den wirren Strähnen seines Haares starrte er ihn an.

"Wir sorgten dafür, dass Herr Kaiba von einem anderen Chauffeur gefahren wurde und dieser flößte es ihm vermischt mit einem Kaffee ein. Es ist perfekt.“ Eine schiere Begeisterung entflammte in den Augen des Mannes. „Unscheinbar beginnt es zu wirken und das Beste ist, dass es nicht nachzuweisen ist. Durch keinen Test, den die Medizin bisher entwickelt hat. Die Steigerung findet schnell statt, der Zustand verschlechtert sich zusehend. Und dann, kurz bevor das Ende eintritt, greift es auch das Gehirn an. Verwirrung, Orientierungslosigkeit, Unzurechungsfähigkeit. Diese Symptome sind der Anfang vom Ende. In dieser Sekunde dürfte Herr Kaiba mit großen Schmerzen zu kämpfen haben. Die Leber ist überlastet, ihre Funktion verringert sich, bis es zum Exitus kommt. Ein schmerzhafter und leidensvoller Tod. Und in vier Tagen wird es so weit sein. Dann können wir unseren Gewinn einheimsen."

Mit diesen Worten nickte er verabschiedend und folgte Katagori nach draußen.

Nun stand nur Terence vor Joey, der wie eine Leiche wirkte. Er war totenbleich, lehnte reglos dort und starrte Duke an, der nicht viel besser aussah.

Er verstand es!

Er verstand alles!

Die Einsicht schlug ihm schmerzhaft entgegen… das Verständnis.

Alles war geplant gewesen, nichts war zufällig passiert!!

Und Kaiba…

Was hatte er getan…?

Joey blinzelte und blickte auf.

Bedrohlich beugte sich der riesige Mann zu ihm hinab und grinste.

"Bis morgen könnt ihr noch das Leben genießen", grinste er. "Ich werde dafür sorgen, dass ihr Gehorsamkeit und Disziplin mit ins Grab nehmt!"
 

"Duke...?" Langsam und benommen rappelte sich Joey auf. Alles tat ihm weh, das Atmen fiel ihm schwer. Glücklicherweise hatte dieser Hüne nicht so oft zugeschlagen.

Kurz hatte er sich noch um Duke gekümmert und dann war er gegangen. Dieser lag nun ebenso entkräftet, wie er, auf dem Boden und atmete schwer durch die Nase, da das Tuch noch immer straff vor seinem Mund lag.

"Duke? Sag doch etwas!" Erschöpft richtete sich Joey auf, schaffte es in eine aufrechte Haltung und lehnte sich gegen die Wand. Sein Blick fiel trübe auf den Anderen und auch dieser begann sich nun zu bewegen. Doch aufrichten konnte er sich scheinbar nicht. Am ihm hatte dieser verdammte Mistkerl wieder einmal mehr Spaß gefunden. "Hey... Duke?"

"Mmm...", stöhnte dieser erschöpft.

"Warte, ich komme zu dir." Mit einem Schwung neigte sich Joey nach vorn und begann sofort zu husten. Dennoch kämpfte er sich auf die Beine und als er endlich wieder aufrecht stand, atmete er tief durch. Dann hüpfte er vorsichtig durch den schmalen Raum und erreichte ihn. Unter einem erschöpften Ächzen ließ er sich vor ihm auf die Knie sinken und beugte sich nach vorn.

"Komm, versuch den Kopf zu heben."

Das schaffte Duke und Joey beugte sich tiefer, biss in das Tuch. Er biss fest zu, schnaufte und zog es mit einem Ruck aus seinem Mund, hinab zum Kinn. Sogleich spuckte Duke ein weiteres Tuch aus und schnappte nach Luft.

"Alles klar...?", erkundigte sich Joey leise und richtete sich auf. Duke blieb mit offenem Mund liegen und schloss die Augen.

"Ob alles klar ist…?", antwortete er dann schnaufend. "Was meinst du?"

Joey ließ sich zur Seite sinken und hockte vor ihm. Anschließend betrachtete er sich seinen Freund besorgt und ließ beschämt den Blick sinken.

"Es tut mir leid", murmelte er bald. "Es ist wieder alles meine Schuld, Duke."

"Du lernst auch nicht dazu", meinte dieser. "Zuerst beschwerst du dich, weil sich Kaiba unbegründet Vorwürfe macht und jetzt fängst du selbst damit an! Ich trage selbst die Schuld an diesem ganzen gottverdammten… verfluchten Mist!"

Joey antwortete nicht und Duke öffnete die Augen einen Spalt weit, um ihn anzusehen. Seine Miene wirkte ernst, verbittert, obgleich sich sein Ton, in dem er sprach, ganz anders anhörte.

"Hast du jetzt die Antworten auf deine Fragen?"

Joey nickte stumm.

"Und Kaiba wird in vier Tagen sterben. Warum verstehe ich die Dinge erst, wenn es zu spät ist?"

"Hm?"

Selbstquälerisch wandte er den Blick ab und biss sich auf die Unterlippe.

"Er wusste von Katagoris Rückkehr und er hat mich von sich gestoßen, um mich zu schützen. Er hat geschauspielert und das kann er bedauerlicher Weise sehr gut. Und ich habe ihm alles geglaubt und war so verdammt sauer auf ihn!" Joey schluckte, presste das Kinn auf die Brust und schloss die Augen. "Ich habe ihn verflucht... und dabei ist er dem Tod so nahe!"

Duke schwieg.

"Ich hätte es doch wissen müssen! Ich habe das für eine normale Krankheit gehalten! Und jetzt... jetzt... nun erfahre ich so etwas!!" Joeys Miene zuckte, fahrig blickte auf und starrte aufgelöst auf das kantige Gestein über sich. "Ich glaube nicht, dass er etwas von dem Gift in seinem Körper weiß. Und die Ärzte werden nichts finden, gegen das sie vorgehen könnten… sie werden hilflos dastehen und Kaiba wird qualvoll sterben."

"Joey." Duke räusperte sich. "Hör auf zu heulen, ja?"

"Duke, die werden uns umbringen!" Hastig wischte sich Joey die Tränen an der Schulter ab und zog die Nase hoch. Duke hob den Kopf und starrte ihn an.

"Nicht, wenn uns heute die Flucht gelingt! Wir wissen von dem Gift, Joey, und sie begehen einen großen Fehler, indem sie bis morgen warten! Wir können etwas tun, Kaiba vielleicht das Leben retten! Wir müssen ins Krankenhaus und den Ärzten davon berichten! Sie müssen etwas dagegen unternehmen können!"

"Wie sollen sie denn ein Gegenmittel finden, wenn das Gift noch unbekannt ist!", erwiderte Joey ächzend. "Er wird so leiden! Was habe ich getan?!"

"Reiß dich zusammen!" Duke warf der Tür einen knappen Blick zu, ließ den Kopf auf den Boden zurücksinken. "Wir werden es schon irgendwie schaffen! Den Anfang musst du aber machen! Ich kann mich kaum bewegen! Also steh auf und werde deine Fesseln los!"

"Wie soll ich das denn machen...?"

"An einem spitzen Stein?", schlug Duke geschwächt vor. "Lass dir etwas einfallen! Zur Flucht kann ich nicht viel beitragen!"

Joey ließ den Kopf sinken. Er war völlig durcheinander, übermannt von den vielen Neuigkeiten und Einsichten. Hinzukommend ließen es sich die Schuldgefühle nicht nehmen, mächtig auf ihn einzuprügeln.

"Joey… bitte!" Duke biss die Zähne zusammen. "Genau wie du habe ich es nicht eilig, meinem Schöpfer zu begegnen!"

"Bei Gott, nein." Joey seufzte leise.

"Wir haben noch etwas zu tun", trieb Duke ihn an. "Jetzt steh endlich auf! Schau, die Flasche da hinten!"

Joey hielt nach ihr Ausschau.

"Der Rest wird kein Problem sein!" Duke meinte das kleine Kellerfenster in der gegenüberliegenden Wand. "Mit professionellen Ganoven haben wir es hier nicht zu tun!"

"Okay." Endlich riss sich Joey zusammen. "Ich versuche es."

Duke nickte eilig. "Jetzt können wir nur beten, dass keiner von denen vor der Tür steht."

Da auch Joey etwas angeschlagen war, fiel es ihm schwer, erneut auf die Beine zu kommen und noch einmal durch den gesamten Raum zu hüpfen.

Große Vorbereitungen schien Katagori nicht getroffen zu haben. Seit wann ließ man eine Flasche liegen, wenn es gewisse Menschen gab, die mit Stricken gefesselt waren? Joey dankte Gott für die Dummheit, die er Katagori verliehen hatte.

Das Herz raste in seiner Brust und der Nervenkitzel ließ ihn oft zögern. Und erst, nachdem er zweimal gestolpert war, erreichte er die Flasche. Und um nach ihr greifen zu können, musste er sich längs legen. Anschließend hieß es, wieder auf die Beine zu kommen und die Flasche zu zerstören.

"Wirf sie gegen das Gestein!", zischte Duke angespannt.

"Was ist, wenn sie wirklich vor der Tür stehen?", flüsterte Joey nervös zurück.

"Dann wären sie schon längst hier!"

Nach einem langen Zögern, warf Joey die Flasche über den seinen Kopf. An der Wand prallte sie nur ab. Auf dem Boden jedoch, ging sie zu Bruch. Bevor sich Joey nach den Scherben hockte, blieb er reglos stehen und lauschte. Auch Duke hielt die Luft an. Doch sie hörten nichts.

Vielleicht hatten sie nur noch wenige Minuten Zeit, bis sich die Tür öffnete?

Vielleicht geschah es aber auch schon in den nächsten Sekunden?

Joey geriet in Hektik, als er sich wieder hinlegte, sich in die Scherben rollte und nach einer von ihnen griff.

"Au!"

"Was ist?" Duke drehte erschrocken das Gesicht nach oben.

"Was wohl!" Joey tastete und tastete. "Geschnitten."

"Pass besser auf", gab Duke ihm einen wohlgemeinten Rat und er stöhnte.

Dann endlich bekam er eine Scherbe in die Finger und begann mit ihr zu hantieren. Er bewegte die Arme, streckte und reckte sich. Und dann, nach knapp einer Minute, seufzte er erleichtert, befreite die Hände aus den Stricken und richtete sich langsam auf.

"Hast du's?"

Joey hob die Hände und betrachtete sie sich. Sogleich hob er die Augenbrauen und murmelte etwas Leises.

"Was ist?"

"Das blutet verdammt stark." Der Blonde schüttelte die Hand und zog den Ärmel zurück.

"Du hast dir aber nicht die Pulsadern zerschnitten, oder?" Duke erschrak, doch Joey konnte ihn beruhigen. Er schüttelte den Kopf, zog den Ärmel wieder über die Wunde und neigte sich nach vorn, um auch noch seine Beine zu befreien. Und als er dann in seinen Bewegungen nicht mehr eingeschränkt war, schöpfte er neue Hoffnung. Mit wenigen Handgriffen befreite er auch Duke. Dieser schnaufte und stöhnte, als er seine Handfesseln bearbeitete.

"Hast du starke Schmerzen?", erkundigte sich Joey besorgt.

"Nein... lass nur, geht schon."

Letzten Endes löste Joey die Stricke an seinen Füßen und warf die Scherbe fort, um sich Duke zuzuwenden.

"Komm." Er stützte ihn und half ihm in eine aufrechte Haltung. "Vorsichtig."

Die kleinsten Bewegungen schienen ihm unangenehm zu sein und als er sich endlich an die Wand lehnen konnte, wirkte er sofort viel entspannter. Er schloss die Augen, ließ die Hände sinken und lehnte den Hinterkopf gegen das Gestein. Joey betastete kurz die Kratzer und Prellungen in seinem Gesicht, dann rutschte er näher an seinen Leidensgenossen heran und griff nach dem Saum des Shirts.

"Lass mich mal sehen." Er zog es höher, zog es bis zu seiner Brust und erblickte große grünblaue Prellungen, die sich über seine gesamte rechte Rippenseite zogen.

"Wie sieht's aus?", erkundigte sich Duke, ohne die Augen zu öffnen.

"Nicht gut." Joey zog das Shirt wieder hinab und richtete sich auf.

"Um das können wir uns später kümmern. Jetzt müssen wir hier unbedingt raus. Wir wissen nicht, wie viel Zeit uns bleibt, also sollten wir uns beeilen."

"Ja", pflichtete Joey ihm ernst bei und tätschelte seine Schulter. "Keine Angst... ich ähm... schaffe das schon… ja."

>Ganz ruhig bleiben<, dachte er sich verbissen, als er wieder aufstand und der Tür einen nervösen Blick zuwarf. >Hör auf, über alles nachzudenken und konzentriere dich auf das Hier und Jetzt! Vielleicht hängt unser Leben nun von meiner Geistesgegenwärtigkeit ab!<

Er rieb sich die Hände und drehte sich im Kreis, etwas unentschlossen, wie er zur Flucht ansetzen sollte.

>Denk nicht mehr an Kaiba... du kannst nichts dafür, alles wird gut. Ja, sicher! Und er wird nicht sterben! Und Mokuba... er wird sich keine Sorgen mehr machen müssen! Die Flucht wird glücken! Wir werden nicht sterben! Und Kaiba...<

"Konzentrier dich", flüsterte er leise und versuchte seinen Atem zu beruhigen. "Eins zwei drei. Gut."

Ohne lange zu überlegen, trat er an den Tisch heran, packte ihn an der Kante und schob ihn mit viel Mühe zur Wand, in der das Fenster eingebaut war. Hinter dem dreckigen Glas lag die Dunkelheit der Nacht. Der Tisch machte einen Mordsradau und so hielt Joey nach jedem Schritt inne. Doch niemand schien Wache zu halten.

Glücklicherweise war vor dem Fenster kein Gitter und so quälte sich Joey auf den Tisch und schlüpfte hastig aus der blauen Schuljacke. Eilig wickelte er sie um seinen Ellbogen, trat an das Fenster heran und schlug es ein. Die Scherben prasselten splitternd zu Boden und er trat zurück.

"In Ordnung." Schnell zog er sich die Jacke vom Arm, brach mit ihr die letzten scharfen Überreste des Glases aus dem Rahmen und warf sie auf das Fensterbrett. Nun waren sie der Freiheit ganz nah.

Als sich Joey umdrehte und von dem Tisch stand, war Duke schon dabei, sich auf die Beine zu kämpfen. Schnell eilte er ihm zur Hilfe und stützte ihn.

"Schnell! Wir müssen uns beeilen!"

"Das sagst du so einfach!" Duke legte die Hand auf seinen Bauch, als er endlich aufrecht stand. "Ich kann kaum atmen!"

"Duke, unser Leben steht auf dem Spiel!"

"Man, bist du kühl! Ist dieser Kaiba-Virus vielleicht ansteckend?"

"Keine Kaibawitze!" Joey zog ihn die letzten Schritte und sprang auf den Tisch. "Mir geht es viel zu schlecht, als dass ich über so etwas lachen könnte!"

"Hm... schon klar, sorry."

"Komm." Eilig streckte Joey ihm die Hand entgegen und mit einigen Schwierigkeiten gelang es auch Duke, hinaufzusteigen. Und dann fielen ihre Blicke auf das äußerst kleine Fenster. Ihnen kam wohl derselbe Gedanke, als sie sich anschließend ansahen.

"Geh du zuerst", entschied sich Joey. "Wenn du es schaffst, schaffe ich es auch."

Doch Duke schüttelte hektisch den Kopf.

"Ich schaffe das nicht ohne Hilfe."

"Ver..." Joey warf der erschreckenden Tür einen nervösen Blick zu.

"Komm schon." Duke drängte ihn an die Wand. "Geh vor!"

"Okay." Joey atmete tief durch, legte die Hände auf die Kanten und zog sich in einem Zug hinauf. Auch er stöhnte und schnaufte, als er dann hastig nach draußen griff und nach irgendetwas tastete, an dem er sich festhalten konnte. Glücklicherweise schien er etwas zu finden, denn mit einem weiteren Zug schob er sich vorwärts. Er musste sich strecken, um es leichter zu haben. Vor dem Fenster war nicht viel Platz. Höchstwahrscheinlich war dort wieder ein schmaler Durchgang. Während Joeys Beine im Freien verschwanden, sah sich Duke gehetzt um. Wenn nun jemand hereinkam, dann war er verloren. An diesem Tag verspürte er also zum ersten Mal Todesangst und eine Erleichterung war es für ihn, als Joey über ihm erschien und sich auch ein Arm durch den engen Spalt schob.

Ohne zu zögern, griff er nach der Hand, biss die Zähne zusammen und schlug die Andere in das Gestein. Joey zog ihn schnell nach oben und was für eine Wohltat war es, als sein schmerzender Bauch auf der Kante landete. Er fluchte, doch Joey packte ihn an den Schultern und zog ihn aus dem stickigen Kellergewölbe. Sobald Duke sich wieder aufrichtete, nahm er die frische kühle Luft in sich auf und schloss die Augen.

Am liebsten würde er hier sitzen bleiben und...

"Schnell, schnell." Wieder grabschte Joey nach ihm und zog ihn auf die Beine. "Wir sollten nicht hier herumhocken und warten, bis sie uns doch noch finden."

Duke stöhnte und rieb seine Rippen, die unangenehm auf sich aufmerksam machten.

"Sicher laufen die hier irgendwo herum." Joey griff nach seinem Handgelenk, zog seinen Arm über seine Schulter und ging los. Sie befanden sich wirklich in einem schmalen Durchgang und mussten sich durch voll gepackte Mülltonnen kämpfen, bis sie eine Straße erreichten. Wieder gingen sie sehr langsam und achteten auf ihre Umgebung. Obgleich sie wieder die Freiheit genießen konnten, schlugen die Herzen wild in ihrer Brust. Während Duke müde den Kopf hängen ließ und verzweifelt versuchte, die Schmerzen zu unterdrücken, neigte sich Joey nach vorn und warf einen prüfenden Blick hinaus.

"Wo zur Hölle sind wir hier?", murmelte er, als er wieder in die schützende Dunkelheit zurücktrat und Duke mit sich zog.

"Hm?", brummte dieser.

"Hey, du wirst doch nicht einschlafen, oder?" Joey rüttelte hektisch an ihm und er stöhnte.

"Irgendwie fühle ich mich gerade nicht nach einschlafen!"

"Gut." Joey leckte sich die Lippen und warf Blicke in alle Richtungen. "Also, was machen wir jetzt?"

"Auf jeden Fall sollten wir nicht auf der Straße bleiben." Duke nahm an den Überlegungen teil. "Eher die nächste Gasse suchen."

"Okay." Damit war Joey einverstanden.

Nachdem er sich ein weiteres Mal umgesehen hatte, traten sie auf den Gehweg hinaus und sofort über die Straße.

Es war finster und Joey wunderte sich. Wie lange war er bewusstlos gewesen?

Ohne einen weiteren Blick zur Seite zu werfen, eilte er durch die Reihen von parkenden Autos und betrat den Gehweg der anderen Straßenseite. Duke stolperte neben ihm einher und während er diese kurze Pause genoss, war Joey bereits auf der Suche nach einem weiteren Fluchtweg. Und dieser war schnell gefunden. Erbarmungslos zerrte er seinen Freund weiter. Nach wenigen Schritten verschwanden sie wieder in einer düstren Gasse.

"Alles klar?" Joey bettete die Hand auf Dukes Hüfte und hielt kurz inne, denn der junge Mann schnaufte wieder und vermittelte den Eindruck, jede Sekunde umzufallen.

"Ich fühle mich, als wären meine Rippen gebrochen", keuchte er gedämpft und blickte auf, die Umgebung musternd. "Weißt du, wo wir sind?"

"Ich habe keine Ahnung", gab Joey zu. "Aber irgendwie ist es doch besser, sich verlaufen zu haben, als in einem Keller zu sitzen und auf die Hinrichtung zu warten, nicht?"

"Huhhh... wie Recht du hast."

"Wir gehen erst einmal weiter. Vielleicht kennen wir uns bald wieder aus."

"Keine Einwände." Duke hob die Hand.

Also führten sie ihren Weg fort. Die Gasse reichte sehr weit, wurde nur selten von Kleineren geschnitten. Joey war erschöpft und hatte Schmerzen. Er zerbrach sich vor Sorge um Kaiba den Kopf und machte sich auch Vorwürfe. Natürlich, obwohl Duke ihm in diesem Fall die Meinung gesagt hatte. Er machte sich Vorwürfe wegen Mokuba. Er machte sich Vorwürfe, weil er es nicht eher verstanden und sich in eine ziemliche dumme Sache verrannt hatte. Wie gern wäre er jetzt bei Kaiba. Es ging ihm dreckig, doch sicher war sein Zustand nichts im Vergleich zu dem, unter dem Duke litt. Dessen Schmerzen schienen die seinen zu übertreffen. Er schnaufte bei jedem Schritt und bald musste Joey ihn so sehr stützen, dass auch seine Kraft schnell nachließ.

"Hey", flüsterte er, als sie sich an einer engeren Gasse vorbeischleppten. Er besah sich seinen Freund besorgt. "Kipp mir ja nicht um, ja?"

"Keine Sorge", stöhnte Duke.

"Da bin ich ja..." als ein leises Geräusch aus der Dunkelheit zu ihnen drang, blieb Joey wie angewurzelt stehen. Sein Atem stockte und sein Herz machte einen entsetzten Sprung. Duke schien nichts mitbekommen zu haben, doch Joey wandte sich schnell zur Seite und starrte in die Finsternis. In dieser waren nun auch Bewegung auszumachen, Schritte... die sich hastig verschnellerten. Joey riss den riss den Mund auf und stieß ein erschrockenes Keuchen aus. Dann ließ er Duke los, packte ihn am Handgelenk und rannte los. Der junge Mann stolperte nach vorn.

"Lauf!" Joey sah sich nicht um, begann nach wenigen Schritten zu sprinten. Duke konnte dieses Tempo kaum durchhalten. Er keuchte und röchelte und drohte des Öfteren zu stürzen. Doch er ließ sich ziehen und tat sein Bestes. Und bald hörte er es auch - die schnellen Schritte hinter ihnen. Da nahm er seine letzte Kraft zusammen und rannte um sein Leben. Schnaufend erreichte Joey wieder die Straße, sprang um die Ecke und zerrte ihn weiter. Duke hustete und strauchelte.

"Komm!!" Joey drehte sich kurz zu ihm um. "Bitte! Halt durch!!"

Mit diesen Worten schlängelte er sich durch die Autos, rannte über die Straße und sprang auf den gegenüberliegenden Gehweg. Da ertönte ein gedämpfter Schuss und die Motorhaube neben Duke knackte unter einer plötzlichen Delle. Erschrocken zuckte der junge Mann zusammen und sofort schaltete sich die Alarmanlage ein. Der tosende, penetrante Lärm der Sirene brach aus. Joey rannte noch immer, begann ebenfalls schwer zu atmen. Als Duke kurz das Gesicht nach hinten drehte, erspähte er eine dunkle Gestalt, die ihnen eilig folgte. Er wusste nicht, welcher von den drei Männern es war. Doch das war in diesen Sekunden auch egal.

Joey ging äußerst klug vor, ließ es nicht zu, dass sich ihrem Verfolger eine freie Schussbahn bot. Sobald dieser den Gehweg betreten hatte, bog er wieder zur Seite und zog Duke erneut durch die Autos. Hinter ihnen ertönte ein aufgebrachter Schrei. Joey zwang sich, nicht darauf zu achten und steuerte auf die andere Straßenseite zu, von der ihnen eine enge Gasse entgegenwinkte. Fahrig sah er sie näherkommen, bevor Duke schwankte, zur Seite stolperte und zusammen brach. Er entglitt Joeys Hand, sank hinab und beugte sich röchelnd nach vorn, den Bauch umklammernd. Joey rannte noch wenige Schritte, dann blieb er stehen und fuhr herum.

"Duke!!"

Ohne zu zögern wollte er zu ihm zurückkehren, doch da sprang die dunkle Gestalt auf die Straße, hatte Duke binnen einer Sekunde erreicht und stieß ihn mit einem saftigen Tritt zur Seite, wo dieser benommen liegen blieb.

Joey stoppte in der Bewegung und rang nach Atem. Und als er das Blitzen der Pistole erspähte, die sich auf seinen Freund richtete, hatte er das Gefühl, vor Angst das Bewusstsein zu verlieren.

"Komm her!"

Diese Stimme!

Nie würde er sie vergessen - Katagori!

Noch blieb er stehen und starrte auf Duke, doch dann trat er zögerlich vor und näherte sich den Beiden. Er hörte Dukes schweren und schnellen Atem, dann das Klicken, als der Hahn gespannt wurde. Sofort riss er die Hände hoch.

"Bitte nicht!" Seine Stimme war nicht mehr, als ein heiseres Stammeln. "Er hat nichts damit zu tun!"

"Genau wie du!", zischte Katagori. "Und trotzdem wirst du sterben! Hier und Jetzt und dein Freund wird zuerst daran glauben!"

"Nein! Nein! Nein!!" Joey suchte hektisch nach Worten. "Ich... verschone ihn! Reicht es dir nicht, wenn du mich..."

"Schnauze!!" Die Pistole richtete sich auf ihn. Der Zeigefinger lag bereits auf dem Abzug. Katagori war dazu bereit gewesen, Kaiba zu erschießen! Warum also, sollte er nun zögern?

"Dachtest du wirklich, du könntest mir entkommen?!" Katagori zitterte vor Wut und Aufregung. Als sich Duke langsam zu räkeln begann, trat er einen Schritt zurück und richtete die Waffe wiederum auf ihn. Und sowie Duke die Augen öffnete, starrte er direkt in einen blanken Lauf und an seinem Gesichtsausdruck konnte man deutlich erkennen, was er von dieser Sache hielt. Er kauerte auf dem Boden, eine Waffe war auf ihn gerichtet, wie bei einer gnadenlosen Hinrichtung. Seine bleiche Miene begann zu zucken.

Joey sah unterdessen von ihm zu Katagori. In ihm tobte ein Kampf. Er musste die Ängste überwinden und überlegt handeln. Er durfte sich keinen Fehler leisten, sonst würden Duke und er das Zeitliche segnen!

Wenn er jetzt starb, würde er Duke mit sich reißen und auch Kaiba würde qualvoll an dem Gift zu Grunde gehen. Er biss die Zähne zusammen und ballte die Hände zu Fäusten.

"Was tust du, nachdem du uns umgebracht hast?", erkundigte er sich dann nach einem langen Zögern. Er kämpfte gegen das Zittern in seiner Stimme an, wollte beherrscht und konzentriert klingen, was vorerst misslang. Was er jedoch erweckte, war die Aufmerksamkeit des Mannes. Dieser starrte ihn sofort an. "Du wirst dich verstecken müssen, dein ganzes Leben lang wirst du in Unruhe verbringen und dich quälen!" Er trat einen Schritt nach vorn und Katagori hob die Pistole, um nun auf ihn zu zielen. Wenigstens war die Gefahr für Duke nun etwas gebannt. Wenn Katagori der Finger ausrutschte, dann wäre er der Einzige, der darunter zu leiden hatte. Ihm, dem die ganze Sache zu verdanken war. "Du steigerst dich da in eine Sache hinein, der du nicht entfliehen kannst! Du bist verrückt, weißt du das?! Und du beneidest Kaiba, weil er vollbracht hast, wozu du nie im Stande wärst!"

"Halts Maul!!" Augenblicklich stieg Katagori über Duke hinweg und eilte auf ihn zu.

"Kannst du die Wahrheit nicht verkraften?!" Joey wich vor ihm zurück. "Schau, du musstest dir sogar Hilfe holen, um deinen Plan in die Tat umzusetzen!!"

In dieser Sekunde holte Katagori ihn ein, griff nach ihm und packte ihn am Hals. Er zog ihn zu sich und presste den kalten Lauf der Pistole auf seine Stirn. Sogleich klammerte sich Joey um sein Handgelenk und starrte ihn brennend an.

"Ich hasse dich! Ich verachte dich…!", presste er mit letzter Kraft hervor, der Druck auf seiner Stirn verstärkte sich schmerzhaft. Hinter Katagori kämpfte sich Duke in eine aufrechte Haltung und verfolgte das Geschehen mit entsetztem Blick. "Du wirst deine Strafe noch kriegen! Das wirst du sehen…!!"

"Ich bring dich um!!", zischte Katagori mit zusammengebissenen Zähnen. Seine Augen weiteten sich gespenstisch.

"Dann tu es doch!!", schrie Joey zurück. "Was ist?! Du hast doch schon einmal auf mich geschossen!!"

Katagori schob ihn mit einem Ruck nach hinten, hielt seinen Hals jedoch weiterhin fest umklammert. Er stieß ihn brutal gegen das Seitenfenster eines parkendes Autos und Joey zischte schmerzvoll auf.

"Joey!" Unsicher kam Duke auf die Beine. Er richtete sich entkräftet auf, ging einen Schritt und sank wieder auf die Knie. "Hör auf!!"

In Joeys Augen sammelten sich die Tränen der Verzweiflung. Wieder war er dem Tod nahe, nur diesmal schien er ihm noch sicherer zu sein. Er hatte abscheuliche Angst vor dem, was in den nächsten Sekunden passieren könnte. Katagori hatte sich nicht mehr unter Kontrolle. Er drückte immer fester zu und bald konnte Joey nicht mehr atmen. Er würgte und bewegte stumm die Lippen.

"Joey!!", ertönte wieder Dukes Stimme. Sie schallte auf der dunklen Straße wider. "Bitte! Bitte nicht!!"

Plötzlich wurden sie in gleißendes Licht getaucht. Augenblicklich riss Duke die Arme vor das Gesicht und warf sich zur Seite, auch Joey blinzelte unter der unerträglichen Helligkeit. Er spürte, wie sich der Griff um seinen Hals lockerte. Katagori ließ von ihm ab, fuhr herum und drehte sich zu dem blendenden Licht. Dieses stammte von einem Auto, das plötzlich auf der verlassenen Straße erschien und sich ihnen schnell näherte.

Joey ließ sich auf den Boden sinken und der Mann, der noch immer vor ihm stand, stieß einen entsetzten Schrei aus, als plötzlich grelle blaue Lichter aufblitzten. Die Polizei! Bevor das Auto sie erreichen konnte, rannte er los. Er ließ die beiden Jungs zurück, rutschte über eine Motorhaube und stolperte in eine Gasse.

Joey hörte seine schnellen Schritte, dann ein lautes Quietschen und sofort war er wach und blickte erschrocken auf. Direkt vor ihm kam ein Auto zum stehen und sofort wurden beide Vordertüren aufgerissen. Joey blinzelte und lehnte sich erschöpft gegen den Lack. Er konnte nicht glauben, dass er dem Tod ein weiteres Mal von Schaufel gesprungen war. In letzter Sekunde war die Rettung gekommen. Er atmete tief durch, spürte noch das Kribbeln in seinen Fingerkuppen und stieß die Luft mit einem schweren Stöhnen aus. Während einer der beiden Polizisten hinter dem Auto verschwand, hockte sich der Andere hastig vor ihn, griff ihn an den Schultern und zog ihn vor.

"Was ist passiert?!" Der Mann starrte ihn an und er blinzelte benommen zurück. "Los, sag schon!"

"Wir… wir wurden überfallen." Joey versuchte sich aus dem Griff zu befreien. "Sie tun mir weh, verdammt noch mal!"

"Überfallen?" Der Mann ließ ihn nicht los. "Von wem?!"

"Nehmen Sie Ihre Hände weg!", zischte Joey am Ende seiner Kräfte. "Wir sind die Opfer! Wollen Sie uns jetzt einsperren?!"

"Der hier lebt noch!", ertönte die Stimme des anderen Polizisten und nun reichte es Joey. Er schlug die groben Hände weg und richtete sich ungeschickt auf.

"Natürlich lebt er!" Mit viel Kraft gelang es ihm, auf die Beine zu kommen, einen Schritt zu gehen und sich auf die Motorhaube des Polizeiwagens zu stützen. "Duke?!"

"Hier", erhielt er eine leise Antwort. Kurz darauf erspähte Joey ihn, wie er mit Hilfe des Polizisten auf die Beine kam und ermattet den Kopf hängen ließ. "Verdammt... ich kann nicht mehr."

"Sie müssen umgehend Anzeige erstatten", wurde Joey wieder vom dem brutalen Mann abgelenkt. "Wurden Sie bestohlen? Wurden Sie verletzt?"

"Wonach sieht es aus?!" Joey zeigte auf die etlichen Feilchen, die sein Gesicht zierten. "Ausgeraubt wurden wir nicht, nur beinahe umgebracht!!"

"Nun beruhigen Sie sich doch..."

"Ich will mich nicht beruhigen!!" Joey schnaufte.

"So wie es aussieht, haben Sie einen Schock davongetragen." Der Mann hob beschwichtigend die Hände, war plötzlich nett und besorgt. "Wir werden euch in ein Krankenhaus bringen, okay? Alles andere können wir ja später..."

"In ein Krankenhaus?" Plötzlich fand Joey zu einem etwas ruhigeren Ton zurück, hinter ihm stöhnte Duke. Er jedoch beherrschte sich und sah sich grübelnd um, bevor er langsam, dann schnell nickte. "Ja, ein Krankenhaus." Es fiel ihm ein - er musste zu Kaiba! "Bringen Sie uns in ein Krankenhaus! In das Hospital am Nusashi-Platz!"

Duke hatte eine Behandlung dringend nötig, doch er?

Er hatte sich um eine andere Sache zu kümmern.
 

Kurze Zeit später saßen sie im Polizeiwagen. Beide waren müde und erschöpft, litten unter Schmerzen und dem Schock, den sie noch nicht hinter sich gebracht hatten. Duke hatte sich in eine Decke eingemummelt und ruhte an Joeys Schulter. Dieser hatte ebenfalls die Augen geschlossen und atmete kraftlos durch den Mund.

Erleichtert konnte er sich nicht nennen. Noch immer existierte diese grausame Anspannung in ihm.

Vier Tage?

Nein, nun waren es nur noch drei!

Wie sollte er denn ruhig bleiben, wenn Kaiba, der, der immer für ihn gesorgt hatte und keine Mittel scheute, um ihn zu retten, im Sterben lag?!

Nach wenigen Minuten öffnete er die Augen einen Spalt weit und blinzelte schläfrig. Er durfte nicht schlafen. Die Sitze waren weich, es war warm und ruhig. Um sicherzustellen, dass er nicht doch noch wegsackte, behielt er die Augen geöffnet und begann die Straßenlaternen zu zählen, obwohl diese fast zu schnell waren, als dass es ihm gelingen könnte. Nach ungefähr fünf Minuten wirkte die Umgebung vertrauter auf ihn und er drehte das Gesicht zur Seite, um Duke anzusprechen. Doch dieser schlief tief und fest. Sein Gesicht wirkte blass, war verschrammt und doch entspannt. Er hatte unglaublich viel durchmachen müssen und hatte sich diese Ruhe nun redlich verdient. Joey belächelte diesen Anblick, griff vorsichtig nach der Decke und zog sie höher, bis sie auch Dukes Schulter bedeckte.

Dann, nach einer unendlich erscheinenden Zeit, bog der Polizeiwagen auf einen großen Parkplatz ein und hielt vor dem größten Krankenhaus Dominos. Sofort sah sich Joey um. Nur wenige Lichter brannten noch in den oberen Geschossen. Nur unten, bei der Notaufnahme existierte noch Leben.

Joey schluckte, sein Blick schweifte nachdenklich über das dunkle Gebäude.

Dort lag Kaiba…?

Er biss sich auf die Unterlippe und seufzte leise.

Kurz darauf wurden beide Türen geöffnet und frische, kühle Luft zog ihm entgegen. Vorsichtig wurde Duke von seiner Schulter gelöst und samt Decke hinausgezogen, wo er von einem der Polizisten gestützt wurde. Er wachte auf, brummte jedoch nur und sah sich teilnahmslos um. Er war mit der Kraft am Ende. Joey jedoch, lehnte jede Art von Hilfe ab, klammerte sich um Dukes Arm und schlürfte neben ihm einher.

Sogleich, als die Vier die Eingangshalle betraten, suchten Joeys Augen nach einem gewissen Arzt. Doch er erspähte ihn nicht. Gemeinsam mit Duke und den beiden Männern des Gesetzes, ließ er sich von der ersten Ärztin, die ihnen über den Weg lief, in eines der Behandlungszimmer führen. Dort wurde Duke sogleich auch eine der Liegen gehievt und die Ärztin lief, um sich einen Gehilfen zu holen. Joey weigerte sich, es Duke gleichzutun. Er blieb stehen, obgleich seine Knie weich waren und trat an Duke heran. Dieser schien schon wieder zu schlafen, brummte jedoch, als er leise seinen Namen nannte.

"Wie geht es dir?"

"Wundervoll", nuschelte Duke leise und blinzelte.

"Die Ärzte werden sich um dich kümmern." Joey neigte sich zu ihm hinab und flüsterte ihm ins Ohr. "Ich werde sofort den Arzt aufsuchen, der Kaiba behandelt und ihn informieren."

"Du solltest... dich auch untersuchen lassen", antwortete Duke müde und schloss die Augen.

"Werde ich", versprach Joey und tätschelte vorsichtig seine Schulter. "Aber es gibt Dinge, die mir zur Zeit wichtiger sind."

Duke verstand es, denn er nickte.

Sofort als die Ärztin mit einem jungen Doktor zurückkehrte, wandte sich Joey an sie. Er fragte nach Dr. Johnson, dem Mann, der für Kaiba verantwortlich war und die "Behandlung" führte. Die Polizisten staunten nicht schlecht über die Sturheit des Verletzten und auch die Ärztin meinte, es sei zu spät für irgendwelche Termine. Joey protestierte, war fest davon überzeugt, sich durchzusetzen. Und als er kurz davor war, nach einem Skalpell zu greifen, ließ die Ärztin nach. Sie seufzte, meinte dann jedoch, dass sie sich kurz alleine um Duke kümmern könnte. So kam es, dass Joey dem anderen Doktor folgte.

Wieder begann das Herz in seiner Brust zu rasen.

Würde er Kaiba wiedersehen?

Wie lange war es her? Zwei Tage?

Oder sogar drei?

Es erschien ihm wie eine Ewigkeit.

Und er vermisste ihn.

Wie er wohl aussah? Wie es ihm ging?

Nachdem, was Joey bei Katagori gehört hatte, richtete er sich auf das Schlimmste ein.

Und wie würde Kaiba reagieren?

Was würde er sagen, wenn Joey ihn aufklärte? Über sein Wissen an der ganzen Sache? Über das Gift, das sich seit langem in seinem Körper ausbreitete?

Als er zusammen mit dem Arzt im Fahrstuhl stand, lehnte er sich gegen die Wand und verschränkte die Arme vor dem Bauch. Er war so schrecklich müde! Der Schlag auf den Kopf, das Sitzen in diesem grausamen Raum, die Schläge, die folgten. Die Aufregung. Die Flucht! Anschließend die Todesangst und die Rettung. Diese war erst vor knapp fünfzehn Minuten erfolgt. Joey jedoch, kam es so vor, als wäre es bereits vor langer Zeit passiert. Nur die Folgen und Nachwirkungen spürte er noch immer am eigenen Leib und durchaus intensiv.

Als sich die Türen unter einem leisen Klingeln öffneten, schreckte er auf.

"Kommen Sie." Der Arzt ging voran, winkte ihn mit sich.

Joey folgte ihm nach einem kurzen Zögern und warf nervöse Blicke nach allen Seiten, als er langsam durch die kahlen Gänge ging. Und bei jeder Tür, die er hinter sich ließ, stellte er sich dieselbe Frage: Lag Kaiba in diesem Raum?

Dann endlich erreichten sie das Büro des Arztes und klopften an. Hinter dem jungen Doktor betrat Joey den Raum und blieb stehen.

Der Arzt kannte ihn, hatte auch ihn behandelt, als er wegen der Schussverletzung hier gewesen war. Er wirkte überrascht und erklärte sich gern dazu bereit, ihm zuzuhören. Der Andere kehrte schnell zur Notaufnahme zurück und dann stand nur noch Joey vor dem Schreibtisch. Er ließ den Blick sinken, rieb sich den Oberarm und lahmte dann auf einen Stuhl zu, um sich hineinfallen zu lassen. Und bevor der Arzt auch nur eine Frage stellen konnte, begann er ohne Umschweife zu erzählen. Bereits im ersten Satz erwähnte er das Wort "Gift". Und mit jedem weiteren Satz, verlor das Gesicht des Arztes an Farbe. Er schien ebenso entsetzt über diese Tatsache zu sein, wie Joey kurz zuvor.

Knapp eine halbe Stunde saßen sie dort und Joey hatte sich schnell ausgesprochen und überließ dem Arzt das Wort. Dieser grübelte verbittert über eine Möglichkeit, seinem Patienten das Leben zu retten, welches auf der Kippe stand.

Wie sollte man ein Gift bekämpfen, das man nicht kannte?

Wie sollte man das Gift überhaupt feststellen, wenn es nicht nachweisbar war?

Joey teilte seine Verzweiflung gern mit dem älteren Mann. Nachdem sie sich ausgesprochen hatten, saßen sie lange schweigend voreinander und kämpften mit ihren eigenen Gedanken und Ängsten.

Und als der Arzt wieder die Stimme erhob, erklärte er, dass er Kaiba noch einmal untersuchen würde. Jeden Zentimeter seines Körpers würde er durchforsten. Und bei Gott! Er würde etwas finden, das man bekämpfen konnte. Joey betete, dass dem so war.

Nach diesem umfassenden Gespräch, war Joey so müde, dass er beinahe aus dem Stuhl kippte. Und doch blickte er auf und stellte eine letzte Frage.

"Kann ich... ihn sehen?"

Der Arzt nickte ohne lange zu überlegen und erhob sich.

"Wir haben ihm ein Mittel verabreicht, damit er schläft. Sie müssen sich keine Sorgen machen, dass er aufwacht."
 

Wieder schlürfte Joey durch die kahlen Gänge. Seine Augen waren bekümmert und trübe auf den Boden gerichtet, die Arme ließ er schwach hängen, ebenso die Schultern.

Jetzt würde er ihn sehen! Er konnte es kaum erwarten.

"Wenn Sie im selben Raum übernachten wollen, dann können Sie sich in das Nebenbett legen." Kurz drehte sich der Mann zu ihm um und er nickte lahm. "Vorausgesetzt Sie wollen, dass Ihre Verletzungen noch heute behandelt werden. Dann müssten Sie sich noch einmal in der Notaufnahme mel..."

"Das kann bis morgen warten", unterbrach Joey ihn.

"Gut." Als der Arzt vor einer Tür stehen blieb, wünschte sich Joey plötzlich, noch ein paar Gänge weiterzugehen. Er war völlig durcheinander, wusste nicht, was er denken sollte. Wortlos griff der Mann nach der Klinke, drückte sie leise hinab und öffnete die Tür. Somit blieb er auch schon stehen und wartete. Joey warf ihm einen nervösen Blick zu und als er nickte, trat er zögerlich vor und betrat das Zimmer. Das Erste, was ihm auffiel, war ein gleichmäßiges, leises Piepen. Nach wenigen Schritten hielt er inne und sah sich um. Hinter ihm betrat der Arzt den Raum und schloss die Tür.

Das Zimmer strahlte hell durch das Licht des Mondes, der in dieser Nacht in seiner vollen Pracht am Himmel zu bestaunen war. Schmale bläuliche Lichtstrahlen fielen durch die Schallosie auf das Bett, das nur wenige Meter vom Fenster stand. Langsam öffnete Joey den Mund.

Dort lag jemand mit dem Rücken zu ihm. Er erkannte nur ein weißes Hemd und den brünetten Schopf. Dünne Kabel verschwanden unter der Decke, die Überwachungsgeräte blinkten in unterschiedlichen Farben. Auf dem kleinen Bildschirm des EKGs zog sich ein grünlicher Strich von der linken zur rechten Seite, der mal kleinere mal größere Hügel schlug.

Stockend setzte Joey ein Bein vor das andere und bewegte sich auf das Bett zu. Er ging sehr langsam und als er um die Bettkante bog, suchten seine Augen sofort nach dem Gesicht. Und als er es sah, wünschte er sich, es nicht getan zu haben. Seine Miene verzog sich, als er die letzten Schritte tat und letzten Endes stehen blieb. Er warf einen dunklen Schatten auf die weiße Decke, seine Augen erstarrten zu Eis.

Er meinte, eine Leiche vor sich zu sehen. Ein totenbleiches Gesicht, das vor Schweiß glänzte. Weiße Lippen, rau und trocken. Die Strähnen des einst so prächtigen Haars hafteten feucht im Schweiß seines Gesichtes. Der Rest von ihm war zerzaust. Ohne es zu bemerken, hielt Joey den Atem an, als er sich Kaiba betrachtete. Er schien zu einer Salzsäule erstarrt zu sein. Nur seine Pupillen bewegten sich nach einer langen Reglosigkeit zur Seite.

Die oberen zwei Knöpfe des Hemdes waren aus den Löchern gelöst, die vor Nässe glänzende Brust hob und senkte sich unter langsamen und schweren Atemzügen. Überall auf ihr hafteten kleine Saugnäpfe, die durch dünne Kabel mit den Maschinen verbunden waren. Nur eine der beiden Hände lugte unter der Decke hervor. Sie wirkte mager, ebenso bleich, wie der Rest des Körpers. In der Handoberfläche steckte eine kleine Nadel, die ihn mit Medikamenten versorgte.

Zittrig begann Joey wieder zu atmen und ließ sich langsam auf die Knie sinken. Er kauerte sich direkt vor die Hand, hob zaudernd die Eigenen und umschloss sie. Sogleich spürte er die Hitze, die von ihr ausging. So blieb er hocken und der Arzt trat leise zu ihm. Auch er musterte seinen Patienten kurz, dann ließ er den Kopf sinken und rieb sich den Nacken.

"Er kam hierher, weil er Schmerzen im Bauch spürte", begann er zu erzählen. "Es ist erschreckend, dass sich sein Zustand binnen zweier Tage so rapide verschlechtert hat. Ich würde es nicht glauben, hätte ich es nicht selbst erlebt."

"Von nun an geht alles ganz schnell", flüsterte Joey in die Hand vertieft. "Ihm bleiben nur noch drei Tage."

Der Arzt wurde nicht gern daran erinnert. Er schluckte und ließ sich auf einem Stuhl nieder.

"Keine lange Zeit." Er rieb sich nervös das Kinn. "Es wäre mir am angenehmsten, wenn wir gleich mit den Tests beginnen, damit uns noch die Nacht bleibt. Aber es wäre unverantwortlich, ihn nun zu wecken. Wir würden die Sache nur verschlimmern. Morgen werde ich alles in Bewegung setzen." Sein Blick fiel auf Joey, der die Hand noch immer hielt und sie abwesend anstarrte. "Ich...", sein Gesicht verfinsterte sich bitter, "… Joey? Kann ich offen... mit dir sprechen?"

"Ich weiß, was Sie sagen wollen." Joey regte sich nicht. "Das Gift ist nicht nachzuweisen. Sie können nichts tun, auch, wenn Sie die ganzen Tests noch einmal durchführen. Sie werden nichts finden... so, wie er es gesagt hat."

Stille.

Der Arzt schwieg und auch Joey fuhr nicht fort.

Nun wusste der Arzt Bescheid. Und? Konnte er etwas tun?

Nun wusste Joey, was vor sich ging. Und? Konnte er etwas tun?

Nun wusste man, dass Gift für all dies verantwortlich war.

Und...?

Konnte man etwas tun, außer auf das Ende zu warten?
 

Nach einer langen Nacht wachte Joey wieder auf.

Um sich zu erinnern, was geschehen war, musste er sich nicht umschauen. Reichlich müde fühlte er sich, als er sich zu regen begann und auf der weichen Decke hin und herrutschte. Sein Kopf tat immer noch weh.

Als er die Augen öffnete, erkannte er die Helligkeit, die nun vor den Fenstern lag.

Ja, der Tag hatte längst begonnen.

"Joey?"

Wer fragte da nach ihm?

Langsam richtete er sich auf und drehte das Gesicht zur anderen Seite. Dort saß sein Vater, direkt neben seinem Bett. Joey hob überrascht die Augenbrauen und kämpfte sich in die Hocke.

"Was machst du denn hier?"

"Was ich hier mache?" Sein Vater erhob sich, starrte ihn noch immer besorgt an. "Meinst du, ich würde nicht kommen, wenn du im Krankenhaus liegst?"

Irritiert öffnete Joey den Mund. Anschließend wandte er sich jedoch ab, drehte sich zum anderen Bett, dem Nebenbett um.

Es war leer…!

Die dünnen Kabel lagen wirsch auf der Matratze, die Decke war zurückgeschlagen.

Joey erschrak und richtete sich hastig auf.

"Wo ist er?!"

"Die Ärzte haben ihn früh hinausgebracht", antwortete sein Vater. "Ein gewisser Dr. Johnson sagte, sie müssten Tests durchführen."

"Tests?" Joey schnappte erleichtert nach Luft und setzte sich wieder. "Ach ja, die Tests..."

"Dr. Johnson hat mir alles erzählt." Eine Hand legte sich auf Joeys Schulter und dieser blickte auf. "Ich weiß, was passiert ist und auch, wie es um deinen Freund steht."

"Und?" Joey lugte zu ihm. "Was sagst du dazu?"

"Es... es tut mir so leid, Joey. Wenn ich gewusst hätte, was..."

Er verstummte, als sich hinter ihm die Tür öffnete. Vater und Sohn drehten sich um und erblickten eine Ärztin, die eintrat. Sie musterte kurz die Lage und nickte Joey dann zu.

"Ich würde gerne Ihre Verletzungen behandeln."

"Ich brauche nur ein Pflaster." Joey tätschelte die Hand seines Vaters und schob sich eilig vom Bett. "Wie geht es Duke? Wo ist er?"

"Mr. Devlin geht es gut", beruhigte ihn die junge Frau. "Er ist wieder auf den Beinen und sitzt in der Kantine."
 

Joey und sein Vater folgten der Ärztin in einen Behandlungsraum. Dort wurde er kurz verarztet und geröntgt. Da außer einigen Kratzern, einer tiefen Schnittwunde an der Hand und einer kleinen Prellung jedoch nichts zu finden war, wurde er sofort nach der Behandlung entlassen. Genau wie Duke, obgleich sich dieser unbedingt noch schonen sollte.

Kaiba durfte Joey nun nicht sehen, worüber er sehr traurig, fast schon etwas erzürnt war. Also trat er mit seinem Vater auf den Gang hinaus und blieb stehen.

"Wenn du willst, kannst du ja schon mal nach Hause fahren", sagte Joey. "Ich komme dann in einer Stunde nach und dann können wir über alles reden, in Ordnung?"

Ja, damit war sein Vater einverstanden. Wenn auch etwas skeptisch, er nickte.

"Und du wirst mit alledem fertig?"

"Natürlich." Joey zwang sich ein Grinsen auf und erwiderte das Nicken. Er fühlte sich vom Besuch seines Vaters geehrt, doch zurzeit gab es andere Dinge, denen er sich zuwenden wollte. Und wohl oder übel brauchte er ihn zu diesen Dingen nicht.

Er sah ihm kurz nach, wie er ging, dann benutzte er die Treppe und stieg in die erste Etage hinab, in der sich die Kantine befand. Nicht viele Menschen waren zu dieser Uhrzeit dort, und Joey erspähte seinen Freund schnell.

Auch Duke trug seine normale Kleidung und seine Haare waren ebenso zerzaust. Aber er sah besser aus, als am gestrigen Tag, wie er dort hockte und lustlos in einer Suppe rührte. Joey hatte keinen Hunger. Er sah sich kurz um, seufzte und gesellte sich zu ihm.

"Joey." Duke ließ den Löffel in die Brühe fallen und neigte sich nach vorn. Ja, er sah wirklich besser aus. Nicht mehr so trübe und blass. "Man hat mir gesagt, wo du übernachtest hast."

"Hm." Joey lehnte sich zurück und streckte die Beine von sich.

"Und?" Duke biss sich auf die Unterlippe. "Wie sieht er aus?"

"Nicht wiederzuerkennen", antwortete Joey traurig. "Er sieht furchtbar aus."

"Und die Ärzte?" An Dukes Stimme konnte man deutlich erkennen, dass auch er unter dieser Sache litt. "Was haben sie gesagt? Was machen sie? Können sie ihm helfen?"

Unter einem erdrückten Stöhnen ließ sich Joey nach vorn auf den Tisch sinken und vergrub das Gesicht zwischen beiden Armen.

"Was sollen sie denn machen...?", ertönte seine gedämpfte Stimme. "Sie führen jetzt die Tests alle noch einmal durch und erhoffen sich Ergebnisse."

"Und?", fragte Duke zögerlich und leise. "Denkst du, das bringt etwas...?"

Ein stummes Kopfschüttelnd brachte die Antwort mit sich. Er schwieg kurz, schob die Schale von sich und sah sich nervös um. Nach wenigen Momenten richtete er sich wieder auf.

"Aber irgend etwas müssen wir doch tun. Wir können doch nicht zulassen, dass er stirbt!"

"Erwähne dieses Wort nie wieder", bat Joey und richtete sich langsam auf, um ihn mit trüben Augen anzustarren. "Natürlich wird es passieren, wenn wir nichts dagegen tun. Aber ich will es mir nicht eingestehen. Es gibt eine Möglichkeit, sein Leben zu retten. Er wird gesund und alles wird wieder gut, basta."

"Der Einzige, der uns nun weiterhelfen könnte, ist der Mann, der das Gift erfunden hat."

"Mach dich nicht lächerlich, Duke." Joey schnitt eine Grimasse. "Ich denke kaum, dass er uns eben mal so schnell das Gegengift mixt."

"Wenn wir ihn zwingen?"

"Oh, dafür würde ich sorgen! Wir müssten ihn jedoch erst einmal finden. Sicher rennt er nicht durchs Krankenhaus und tut, als wäre nichts gewesen!"

"Wie meinst du das?" Duke wurde hellhörig und neigte sich erneut nach vorn. "Denkst du, dass dieser Mann ein Arzt ist?"

"Arzt, Chemiker." Joey fuchtelte mit der Hand und schlug sie auf den Tisch. "Frag mich nicht, er könnte alles sein."

"Dann müssen wir ihn suchen", machte Duke einen verzweifelten Vorschlag. "Wir wissen, wie er aussieht, gehen einfach in jede Schule und jedes Krankenhaus und fragen nach ihm."

"Blödsinn. Uns bleiben noch drei Tage, wenn es überhaupt noch so lange dauert. Weißt du, wie viele Schulen und Krankenhäuser, Kliniken und Laboratorien es in Domino gibt? Drei Tage reichen nicht."

"Dann holen wir noch Yugi, Bakura, Tea und Tristan dazu. Sie werden sich sicher beteiligen."

"Hör auf." Joey ließ sich erneut auf den Tisch fallen. "Das bringt doch nichts..."

"Willst du aufgeben?"

"Aufgeben?" Plötzlich fuhr Joey in die Höhe und starrte ihn wütend an. Duke erschrak. "Denkst du, das es mir egal ist, ob Kaiba stirbt?!"

"Nein, nein, nein!" Hastig hob Duke die Hände. "Das habe ich überhaupt nicht..."

"So hörte es sich aber an!", unterbrach Joey ihn, ergrimmt die Fäuste schüttelnd. "Natürlich würde ich jede Klinik, jedes Krankenhaus und was noch alles durchsuchen! Selbst, wenn ich drei Tage keinen Schlaf fände, würde ich es tun!"

"Das weiß ich doch, Joey. Aber..."

"Ich würde alles auf den Kopf stellen! Und wenn ich ihn endlich finden würde, könnte er etwas erleben! Das Gegengift hätten wir im Handumdrehen! Da uns aber nur drei Tage bleiben, will ich das tun, das am sinnvollsten ist! Das ist ein Wettlauf mit der Zeit, Duke!"

"Jetzt beruhige dich erst einmal und setz dich." Duke seufzte. "Ich will doch auch nicht, dass er stirbt. Bei Gott, nein, das wäre grausam." Joey setzte sich wieder hin und brummte. "Hör zu. Wir sollten erst einmal die Ergebnisse der Tests abwarten. Vielleicht finden sie doch etwas? Es würde auch genügen, wenn sie es etwas hinauszögern und uns etwas mehr Zeit geben könnten. Ich werde Dr. Johnson unsere Nummern geben, damit er uns sofort anruft, wenn er Klarheit hat. Und dann werden wir sehen, was wir machen können. Wir können uns noch einmal mit ihm zusammensetzen und alle Möglichkeiten in Erwägung ziehen. Irgendetwas müssen wir tun können, Joey. Und wenn uns nur übrig bleibt, nach dem Mann zu suchen, dann werden wir die Anderen informieren und sofort mit der Suche beginnen." Er musterte Joey mitfühlend und dieser nickte langsam. "Jetzt geh erst einmal nach Hause und beruhige deinen Vater. Er wirkte sehr aufgebracht und besorgt. Ich muss auch kurz noch einmal nach Hause. Und sobald die Ergebnisse da sind, können wir uns wieder treffen." Duke rieb sich die Stirn. "Die Schule wird wohl für einige Tage ausfallen müssen."

"Für dich, mich, Yugi, Tea, Tristan und Bakura?" Joey legte den Kopf schief. "Das wird Ärger geben. Aber weißt du was? Ich glaube, ich werde Pikotto für die Suche gewinnen können. Und meinen Vater vielleicht auch?"

"Wer ist Pikotto?"

"Der stellvertretende Leiter der Kaiba-Corporation und ein guter Freund."

"Okay. Und die Polizei muss sich auch beteiligen. Das ist immerhin ihr Job."

"Hoffen wir es." Joey erhob sich. "Gut, ich will jetzt nicht länger hier bleiben. Kümmere dich um Dr. Johnson, ja? Und du kannst ja auch überlegen, ob wir vielleicht doch noch eine andere Möglichkeit haben."

"Was denkst du, was ich getan habe, seit ich aufgewacht bin." Auch Duke stand auf. "Wir werden eine Lösung finden, okay? Wir werden das nicht zulassen."

"Okay." Joey trat an ihn heran und umarmte ihn. "Wir schaffen das schon..."

"Natürlich." Duke klopfte ihm auf den Rücken und wurde aus der Umarmung entlassen. Er schenkte ihm ein letztes, ermutigendes Lächeln. Der Blonde erwiderte nichts dergleichen, wandte sich ab und ging.
 

Allmählich wusste Herr Wheeler nicht mehr, was er denken sollte. Er schwieg, während Joey erzählte. Er sagte kein Wort und als Joey endlich verstummte, meinte er, er würde alles in seiner Macht stehende tun, um diesen Katagori zu erwischen. Und Kaiba würde er auch nicht sterben lassen. Das sagte er zumindest, doch mehr als Joey konnte er ohnehin nicht tun.

Dieser machte, dass er in sein Zimmer kam. Er wollte sich vor weiteren Fragen schützen und tiefgründig sinnieren. Doch sobald er seinen Raum betrat, meldete sich sein Handy. Etwas lustlos griff danach und nahm den Anruf entgegen. Nein Yugi, er wollte nicht in den Park gehen. Und ebenso wenig wollte er erklären, warum er nicht in der Schule war. Wenn Yugi und Co nicht für die Suche gebraucht wurden, sollten sie nicht unbedingt von alledem erfahren. Doch zur Überraschung war es Duke. Und er klang sehr aufgeregt, als er sich meldete.

"Was ist denn los?", fragte Joey schnell. In ihm wuchs die Hoffnung.

Hatte der Arzt ihn angerufen?

Waren die Tests erfolgreich verlaufen?

Hatten sie das Gegengift?!

Nein, Duke sprach von etwas anderem.

"Joey!", rief er. "Ich habe eine Idee, wie wir noch heute mit der Suche beginnen und sie vielleicht noch heute abschließen könnten. Warum ist mir das nicht eher eingefallen! Es gibt da einen Weg, viel in nur kurzer Zeit zu erfahren! Und es ist gut möglich, dass wir bald wissen, wie dieser Mann heißt und wo er sich aufhält!"

"Wie soll das funktionieren?!" Joey war außer sich. "Los, sag schon!"

"Später, später! Du... ähm... kennst du diese große Wohnsiedlung in der Nähe des Parks?!"

"Ja, natürlich!" Joey lauschte gespannt.

"Gut, in einer halben Stunde auf dem kleinen Spielplatz, der sich zwischen den vielen Häusern befindet! Schaffst du das?"

"Muss ich!" Joey nickte entschlossen. "Aber bist du sicher, dass sich dieser Aufstand lohnt?"

"Sicher bin ich nicht aber es ist gut möglich!" Er hörte Duke schnaufen. Dieser setzte viel auf die Rettung Kaibas. "Mach dich sofort auf den Weg, ja? Ich gehe auch gleich los! Je eher, desto besser!"

"Ja, gut." Mit diesen Worten legte Joey auf.

Es gab Hoffnung?

So etwas hörte er gern!

Nur war er sehr gespannt auf Dukes unheimlich gute Idee. Ohne auch nur eine Minute zu verplempern, schlüpfte er in einen Pulli und verließ die Wohnung.
 

~*to be continued*~

Zurück auf die Beine!

Joey beeilte sich und erreichte den kleinen Spielplatz in nur zwanzig Minuten. Dafür keuchte und japste er aber ziemlich, als er sich auf die Schaukel sinken ließ und die Beine von sich streckte.

Jetzt war er gehetzt!

Hoffentlich hatte Duke das mit der halben Stunde nicht ernst gemeint und kam nicht erst in zehn Minuten. Joey musste unbedingt wissen, was er im Schilde führte.

Erschöpft fuhr er sich durch den Schopf und blähte die Wangen auf. Da fiel sein Blick auf ein kleines, blondes Mädel, das neben ihm im Sandkasten hockte und nun die Schaufel sinken ließ, um ihn neugierig zu beäugen. Joey starrte zurück und nach wenigen Sekunden lachte das kleine Mädchen und reichte ihm tollpatschig ihr Eimerchen.

"Du bist lieb, Onkel!", rief sie. "Kommst du spielen?"

"Onkel?" Joey hob die Augenbrauen. "Ich bin erst siebzehn."

"Spielst du trotzdem?" Der Eimer baumelte noch immer unter ihrer ausgestreckten Hand. Sie sah ihn erwartungsvoll an und Joey schöpfte tiefen Atem. Wieso nicht? Also nickte er, erhob sich und ließ das Handy in seine Hosentasche rutschen. Etwas Abwechslung tat ihm sicher gut. Er hockte sich neben das Mädchen an den Rand des Sandkastens und nahm das Eimerchen entgegen.

"Backst du einen Kuchen für mich?" Sie lachte und klatschte in ihre kleinen Hände.

"Klar bekommst du einen Kuchen." Joey legte den Kopf schief, atmete tief durch und griff auch nach der kleinen Plastikschaufel, die ihm das Mädchen sofort reichte. Während er dann gemächlich Sand in das Eimerchen füllte, sah er sich nervös um. Wann kam Duke endlich? Sein Weg war doch nicht viel länger! Seine Miene verzog sich.

"Wehe dir, wenn du zu spät kommst", zischte er leise bei sich und stach das Schaufelchen wieder in den feuchten Sand. "Und wehe, wenn ich diesen Weg umsonst zurückgelegt und die Zeit verschwendet habe."

"Du musst das anders machen." Das Mädchen rutschte näher und nahm ihm die Schaufel aus der Hand. Joey wurde abgelenkt und beobachtete sie, wie sie ihm auch den Eimer klaute. Dann atmete sie tief ein und sang: "Backe Backe Kuchen..."

Ach ja, die alten Zeiten.

Nur ungern erinnerte sich Joey an sie. Er schlang die Arme um die Knie und beobachtete, wie die Kleine ihren Eimer nun selbst füllte. Und dies mit der größten Hingabe, die existierte, die er sicher nie zu Stande gebracht hätte. Und dabei sang und sie lachte sie so heiter, dass Joey schwer ums Herz wurde. Wann war er zuletzt so glücklich gewesen?

Lieber würde er in die Schule gehen und seinen gewohnten Tagesplan durchmachen. Wie gern würde er nun faulenzen. All die Sorgen drückten ihn nieder, zwangen ihn in die Knie und zehrten an seinen Kräften.

Er wollte sich keine Sorgen mehr machen, nicht mehr in Todesangst leben und um das Leben derer kämpfen, die ihm sehr, ja, sehr wichtig waren. Nun schmerzte es ihm, das Mädel zu beobachten. Und er war erleichtert, als er Dukes Stimme hörte.

"Joey!"

Sofort drehte er sich um und da kam er angelaufen, völlig aus der Puste und verschwitzt.

"Wo warst du denn!" Joey sprang auf und das Mädchen backte weiter an dem Kuchen.

"Jetzt beruhige dich." Duke legte die Hand auf seinen Rücken und drängte ihn nach vorn. "Die wenigen Minuten werden uns nicht umbringen."

Joey drehte sich kurz um und winkte dem Mädchen.

"Und erklärst du mir jetzt, worum es geht?"

"Klar." Duke ließ von ihm ab und ging eilig los. "Ich habe einen Kumpel, der hier wohnt. Er ist mir noch was schuldig und kann uns sicher helfen."

"Wie denn das?"

"Wirst du schon sehen." Er ging auf die Haustür eines kahlen Blocks zu und drückte sie einfach auf. "Komm, beeil dich."

Hinter ihm betrat Joey das kühle Treppenhaus und nahm die Treppen in Anschlag. Hier wirkte alles etwas dreckig und heruntergekommen. Hatte Duke wirklich einen Kumpel, der hier wohnte? Joey wusste nicht, was er denken sollte. Hinter Duke stieg er bis in die letzte Etage hinauf. Und bevor Duke an eine der Türen klopfte, wandte er sich mit einem mahnenden Blick an ihn.

"Bild dir kein vorschnelles Urteil. Der Typ mag völlig verrückt sein aber er ist ein gottverdammtes Genie."

"Okay…?"

"Gut." Duke wandte sich ab und klopfte laut und deutlich. Dann standen sie dort und warteten. Sie warteten fast eine halbe Minute und als Duke dann wieder klopfte, seufzte Joey.

"Du, ich glaube, das Genie ist nicht zu Hause."

"Er verlässt nie seine Wohnung." Duke stützte die Hände in die Hüfte und leckte sich die Lippen. "Er... ähm... braucht nur immer etwas."

Und wirklich! Nach kurzer Zeit ertönten hinter der Tür schlürfende Schritte. Nun war Joey gespannt. Duke warf ihm einen triumphierenden Blick zu. Nun hörten sie auch ein heiseres Husten und dann öffnete sich die Tür. Das Erste, was Joey auffiel, war eine weiße Wolke, die zu ihnen ins Treppenhaus zog. Und sie roch verräterisch nach Hanf. Joey runzelte die Stirn und neigte sich etwas nach vorn, als er eine Gestalt in all dem Qualm ausmachte.

Ein junger Mann, etwa in seinem Alter, trat lahm in den Türrahmen und musterte seine Gäste mit unendlicher Teilnahmslosigkeit. Sein Gesicht war zierlich, jedoch nicht im Besitz eines besonderen Ausdruckes. Die blaugrauen Augen standen auf Halbmast und zwischen den schmalen Lippen klemmte eine weiße Kippe. Die kurzen Haare waren schwarz und standen zerzaust zu Berge, verdeckten die Ohren, die von so einigen Ringen durchstochen waren. Gekleidet war er nur in Shorts und ein schlabberiges Shirt.

Von Duke sah er zu Joey und dann wieder zurück. Erst dann bewegten sich seine Lippen und die Kippe sank auf und ab.

"Hä...? Was'n los?" Sein müdes Nuscheln war kaum als Sprache anzuerkennen und Joey stand der Mund offen.

Das sollte ein Genie sein?

Eher wirkte dieser Typ wie ein durchgedrehter Junkie!

Doch Duke schien sich leicht beherrschen zu können. Er grinste, trat vor und schlug dem jungen Mann heftig auf die Schulter.

"Hey, du Frosch. Ich bin's!"

"Hä?" Der Angesprochene rümpfte die Nase und musterte Duke von Kopf bis Fuß, Joey schenkte er nun keine Beachtung mehr. Erst, nachdem eine gewisse Zeit vergangen war, hob er langsam die Hand und zog sich die Kippe aus dem Mund.

"Hamster...?", murmelte er überrascht.

Duke lachte knapp, legte den Arm um seinen Hals und tätschelte seinen Bauch.

"Ja, Hamster", lachte er. "Ich dachte, ich komm dich mal besuchen, alter Kumpel. Darf ich vorstellen?" Er wies auf Joey. "Das ist ein Freund von mir."

"Hä..." Der junge Mann grinste abwesend. "Hi Freund, läuft noch alles?"

"Häh?"

"Na, kommt, kommt." Der junge Mann fuchtelte mit der Lunte und wandte sich ab, Duke ließ ihn los. "Kommt rein und begrüßt meine Mitbewohner."

Dann schlürfte er davon und kratzte sich am aller Wertesten. Joey starrte ihm nach und Duke neigte sich zu ihm, hatte diese Reaktion erwartet.

"Sein Name ist Alfons aber nenne ihn nicht so, sonst rastet er aus."

"Du schleppst mich zu diesem Irren?", zischte Joey leise zurück. "Meinst du wirklich, dass wir für so etwas Zeit haben?"

"Du wirst schon sehen." Duke drängelte auch ihn in die Wohnung.

Der Flur war düster und schmal. Leere Bierflaschen und andere Dinge lagen in großen Mengen auf dem Boden und Joey musste über all das hinwegsteigen, bevor er den nächsten Raum betreten konnte. Hinter ihm schloss Duke die Tür und trat alles, was ihm im Weg war, einfach zur Seite. Er schien damit keine großen Probleme zu haben. Zögerlich und unzufrieden betrat Joey ein kleines Wohnzimmer, wo der Gastgeber auf sie wartete. Möbel, alles war da. Und doch herrschte eine grauenhafte Unordnung. Schimmel oder ähnliches konnte Joey glücklicherweise nicht entdecken. Nur leere Chipstüten und Aschenbecher, auf denen sich hohe Berge türmten. Hinzukommend roch es nicht allzu angenehm. Sobald Joey einen Platz zum Stehen fand, hielt er inne und sah sich weiterhin um. Der junge Mann warf ihm keinen einzigen Blick zu und erhob erst das Wort, als auch Duke eintrat.

"Hamster", nuschelte er dann wieder und Duke stieß einen leisen Fluch aus.

"Hör auf damit. Ich mag das nicht."

"Hamster." Alfons gluckste leise und hob die Hand, um auf einige merkwürdig aussehende Pflanzen zu zeigen, die auf dem Fensterbrett standen. "Also... das ist Henry der I, Olga die II und Puppi, meine Lieblingspflanze."

Joey streckte den Kopf vor.

Waren das Hanfpflanzen?

"Hallo Henry, Hallo Olga, Hallo Puppi." Duke nickte ihnen eilig zu und trat dann vor. Er kämpfte sich durch den Unrat. "Also Fröschchen, wir brauchen deine Hilfe."

"Ah ja...?" Alfons nahm einen letzten Zug, blies den Rauch aus und schnippte die Kippe zur Seite, wo sie in einem breiten Blech landete. Joey sah ihr entgeistert nach.

"Es ist so." Duke blieb neben ihm stehen und verschränkte die Arme. "Wir hätten zu jedem gehen können, hatten eine große Auswahl. Aber... nun ja... Tatsache ist nun einmal, dass du der Beste bist. Du kannst uns sicher helfen und uns aus der Krise helfen, hm? Nur du kannst es, Fröschchen."

"Nur ich..." Alfons verzog sein Gesicht ganz merkwürdig, wandte sich ab und schlürfte davon. Joey hob die Hand, doch Duke bat ihn mit einer kurzen Geste, ruhig zu sein. Also schwieg er und sah sich erneut um. Und kurze Zeit später, ertönte die lallende Stimme ihres Retters.

"N'Bier?!"

"Nein, danke", antwortete Duke sogleich.

"N'Johnny?!"

Wieder dankte er ab und linste zu Joey, der nicht mehr wusste, was er denken sollte.

"Also, was wollta?" Mit einem Bier, kehrte Alfons zu ihnen zurück, zog an ihnen vorbei und warf sich auf das Sofa. "Crack, Marihuana." Er zog die Nase hoch. "Kokain is zurzeit etwas schwer zu beschaff..."

"Nein, nein." Duke lachte eilig, während Joeys Unterkiefer haltlos hinabsackte. "Es geht um etwas ganz anderes."

Alfons rülpste, zog einen Schlüssel hervor und riss den Deckel von der Bierflasche. Duke rieb sich unterdessen die Hände, trat näher und ließ sich neben seinem Kumpel nieder. Dieser setzte die Flasche an die Lippen und begann in großen Schlücken zu trinken.

"Du musst einen Mann für uns ausfindig machen."

Alfons trank.

"Wir wissen nur, wie er aussieht, brauchen aber seinen Namen und seine Adresse. Es ist wirklich sehr wichtig." Er lugte zur Seite... und Alfons trank.

"Jetzt leg das Bier weg!" Duke nahm es ihm aus der Hand und stellte es auf den Tisch. "Die Sache ist wirklich ernst! Also hör auf zu trinken und konzentrier dich!"

"Ich kann mich auch mit Bier konzentrier..." Alfons wollte wieder nach der Flasche greifen, aber Duke wischte seine Hand weg und richtete sich auf, um ihn anstarren zu können.

"Du bist mir noch einen Gefallen schuldig! Also streng dich an und recherchiere etwas für uns! Uns bleiben noch drei Tage, bis eine schlimme Sache passiert und du bist vielleicht unsere einzige Hoffnung!"

"Is ja gut", stöhnte Alfons und hob die Hände. "Wenn's weiter nichts is...?"

"Du tust es?"

"Klar..." Der junge Mann erhob sich schwerfällig vom Sofa, schlürfte um den Tisch herum und griff nebenbei nach der Bierflasche. Dann winkte er ihnen zu und verschwand in einem anderen Raum. Wortlos erhob sich Duke und folgte ihm, Joey mit sich ziehend.

Sie betraten einen Raum, der mit Computern, Monitoren und anderem Krimskrams nur so voll gepackt war. Überall schlängelten sich Kabel, Steckdosen türmten sich zu Bergen und kleine Einzelteile nahmen den Rest des Raumes ein. Alfons ließ sich auf einen alten Drehstuhl fallen, als die beiden eintraten. Einer der Bildschirme flimmerte noch und er wandte sich ihm nach einem weiteren Schluck zu. Während sich Duke gleich zu ihm gesellte, blieb Joey noch stehen.

"Wenn's weiter nichts is", wiederholte Alfons wieder, stellte das Bier ab und drehte sich zum Monitor. "Weiß nich, wie lang's dauern könnte..."

"Du hast zwei Tage", sagte Duke.

"Ich weiß nich, wie lange es dauern könnte!", wiederholte Alfons nachdrücklich und wirkte plötzlich wieder nüchtern. "Und auch wenn ich es nich schaffe... wir sin quitt."

"Ja, ja." Duke drehte sich um und winkte Joey zu sich, der sich nur zögerlich näherte. Dann wandte er sich wieder an Alfons und räusperte sich. "Also, die Adresse und den Namen. Wie könntest du das herausfinden?"

"Nur mit einer Beschreibung...?" Alfons zuckte einschätzend mit den Schultern. "Ich müsste mit der Suche nach seiner Arbeitsstelle anfang. Habt ihr denn ne leise Ahnung, was er so macht... beruflich?"

"Wir denken, dass er Arzt ist", meldete sich Joey zu Wort und blieb hinter ihm stehen. Alfons legte den Kopf in den Nacken und sah ihn an. "Oder er arbeitet in einem Labor. Auf jeden Fall muss er sich mit Chemikalien und Medizin auskennen."

Alfons brummte, richtete sich auf und wandte sich dem Bildschirm zu. Er begann flink zu tippen und die Bilder auf dem Monitor begannen sich schnell zu ändern. So schnell, dass Joey es mit dem bloßen Auge kaum verfolgen konnte. Und dabei saß Alfons sehr entspannt und schief auf dem Stuhl. Nur seine Finger blieben in ständiger Bewegung. Davon musste Duke gesprochen haben, als er Alfons ein Genie genannt hatte. Während sich Alfons ohne Probleme und binnen weniger Minuten in die Angestelltenlisten des ersten Krankenhauses hackte, wurde Joey zuversichtlich. Duke starrte auf den Bildschirm, Alfons schwieg beschäftigt und Joey grübelte.

Für das kleine Genie war es sicher etwas völlig alltägliches, sich irgendwo einzuhacken, für ihn jedoch, war es sehr spannend und aufregend. Gleichzeitig schenkte es ihm Hoffnung. Als eine lange Liste auf dem Bildschirm erschien, wandte sich Joey zögerlich an den Hacker.

"Wurdest du bei so etwas noch nie erwischt?", erkundigte er sich.

Alfons klickte die erste Zeile an und ein Foto erschien, ebenso die Daten des Mitarbeiters. Müde wies er darauf.

"Sagt, wenn ihr'n wieder erkennt. Und, ja. Man... so'n Scheiß. Einma wurde ich erwischt. Aber nur einma." Er ließ die Liste hinunterlaufen und die Beiden betrachteten sich jedes Foto genau. Alfons gähnte. "Wollte mich ma ind'n Hauptrechner der Kaiba-Corp. hacken. Kacke, man!" Das Erlebnis schien ihn bis in seine Träume zu verfolgen. Er kam nicht darüber hinweg. "Grad war ich dabei, mich nen bissl umzuschauen, da hatt'n se mich. Da bin ich zum ersten un letzten Mal umgezogen." Joey schluckte. "Man, diese Schweinehunde... ham mich fast ind'n Ruin getriebm, ind'n Knast gebracht un was noch alles. Die würdsch fertig machen, ham nur leider zu gute Geräte, die Jungs."

Das Ende der Liste war erreicht und Alfons richtete sich auf, um nach der nächsten Liste zu suchen. Da meldete sich Joeys Handy. Der Bildschirm flimmerte kurz auf und Alfons brummte. Da entfernte sich Joey lieber etwas von den Geräten. Er ging fast bis zum Türrahmen, zog das Handy hervor und nahm ab.

"Ja?"

Wieder klackerten die Tasten unglaublich schnell, wieder änderten sich die Bilder und das nächste Krankenhaus wurde herausgepickt. Nach wenigen Handgriffen und einer kurzen Wartezeit erschien die nächste Liste und Alfons ließ sie wieder hinunterlaufen. Duke musste aufpassen, konnte nicht auf Joey achten, der lauschte und trübe nickte.

Knapp einhundert Fotos sah sich Duke durch, doch keines war das Richtige. Als er den Kopf schüttelte, stöhnte Alfons und fuhr sich durch den Schopf.

"Man, so komm wir nich weiter. Ich mach's anders, schneller. Kann aber nen bissl dauern." Mit diesen Worten begann er wieder zu tippen und zu klicken und was noch alles. Duke wandte sich in der Zwischenzeit ab und schickte Joey einen fragenden Blick, doch dieser wandte sich ab und nickte erneut.

"Ja, in Ordnung. Ich tue, was ich kann." Mit diesen Worten legte er auf, ließ das Handy in die Hosentaschen zurückfallen und lehnte sich seufzend gegen den Türrahmen.

"War es der Arzt?" Duke trat näher und er nickte. "Was hat er gesagt?"

"Sie müssen die Krankheitszeichen noch untersuchen, und Medikamente oder Chemikalien zusammentragen, die diese Symptome verursachen könnten. Er hat gemeint, dass es vielleicht eine Möglichkeit gäbe, ein eigenes Gegenmittel zu entwerfen. Aber für dieses Projekt gibt es nur eine vage Hoffnung." Wieder seufzte er. "Es hörte sich eher nach einer Verzweiflungstat an."

"Mach dir keine Sorgen, ja?" Duke schlug ihm auf die Schulter und ließ die Hand auf ihr liegen. "Irgendwie schaffen wir das schon. Schau, wir sind nahe dran."

"Hm."

In dieser Sekunde hob Alfons die Hand und fuchtelte mit ihr.

"Beschreibung", rief er.

Duke und Joey tauschten kurze Blicke und gesellten sich dann wieder zu ihm.

"Cirka 1,80 groß", begann Joey dann zu erzählen und Alfons tippte. "Gewicht... tja, sagen wir mal..."

"Fünfundsechzig", grübelte Duke laut und er nickte.

"Blond, blauäugig."

"Das reicht." Alfons schloss ab, schlug auf eine Taste und lehnte sich zurück. Der Bildschirm verdunkelte sich, kurz war eine Sanduhr zu sehen, dann hoppelte ein hässliches Kaninchen von links nach rechts, stolperte und stürzte. Dann verschwand es wieder und die Beiden tauschten erneute Blicke. Als es zum zweiten Mal herumhoppelte, wurde es plötzlich von einem herumfliegenden Granitblock zermalmt, dann von einer riesigen Bärenfalle zerquetscht und von Godzilla gefressen. Und dann erschoss es sich selbst. Vermutlich hatte es vom Sterben die Nase voll und vom Rest der Welt ebenfalls. Ein wirklich lustiges Pausenprogramm, wie Joey fand. Es erschoss sich noch dreimal, dann erschien wieder die Sanduhr, fiel hinunter und zerbrach auf dem Boden. Und sogleich nahm der Bildschirm wieder Farbe an und eine weitere Liste erschien. Alfons übersah sie kurz und runzelte die Stirn.

"Laboratorien, Schulen, Versuchszentren, Kliniken, Krankenhäuser", murmelte er. "Voilá, zweihundertachtundsiebzig Leute passen auf diese Beschreibung."

"Wie hast du das geschafft?" Joey staunte.

"Ganz einfach." Alfons lugte zu ihm, seine Hand tastete nach der Bierflasche. "Bin halt gut."

"Wow!"

"Lasst uns anfangen", drängte Duke. "Je eher wir ihn haben, desto besser."

Alfons tippte kurz und schon konnten sie sich ganz viele Männer betrachten, die ihrem geliebten Bekannten glichen. Während sie schauten und guckten, verkrümelte sich ihr Genie kurz nach draußen und kehrte wenige Minuten mit einem neuen Joint zurück. In Joey sprudelte währenddessen die Freude, gleichermaßen die Hoffnung. Nun mussten sie ihn finden. Manchmal grübelten sie und besahen sich einen Mann genauer. Doch sie entschieden sich stets für das stumme Kopfschütteln. Und die Liste wurde kürzer und kürzer.

Wer weiß? Vielleicht war dieser Mann derzeit arbeitslos oder selbstständig?

Daran wollte Joey überhaupt nicht denken. Nach jedem Foto wurde er zappeliger und Alfons fläzte neben ihnen, qualmte und konnte es sich nicht nehmen lassen, zu dem einen oder anderen einen Kommentar abzulassen. Doch keiner der Beiden achtete darauf - sie hatten Besseres zu tun, als über Frisuren, Nasen und Bärte zu quatschen. Ihre Augen waren gespannt auf den Bildschirm gerichtet. Und dann, nach mehreren Minuten der erfolglosen Suche sprangen sie auf.

"Das ist er!!", riefen sie wie aus einem Munde und zeigten auf das Foto. Alfons erschrak so sehr, dass er den Joint fallen ließ und beinahe aus dem Stuhl kippte.

"Man!" Während er sich aufrichtete und die Kippe auf dem Boden zertrat, raufte sich Joey aufgeregt die Haare.

"Wir haben ihn! Duke, es hat geklappt!!" Jubelnd fiel er ihm um den Hals und lachte.

"Ja! Man, bin ich fertig!"

"Bleibt auf'm Boden." Das Genie gähnte, rutschte zum Computer und schob die Beiden zur Seite, um einen Blick auf die Daten zu werfen. "Yasojiro Hirayama... arbeitet im Krankenhaus am Nusashi-Platz."

"Was…?" Joey ließ Duke los und fuhr herum. Auch Duke sah aus, als hätte er ein Gespenst gesehen. "In diesem Krankenhaus?!"

"Hm." Alfons kratzte sich an der Stirn. "Adresse und so... alles da. Ich drucks aus."

"Das kann doch nicht wahr sein!" Joey wandte sich hektisch an Duke. "Er arbeitet im selben Krankenhaus, in dem Kaiba liegt?!"

"Wer liegt...?" Alfons lugte zu ihnen.

"Niemand", sagte Duke schnell und er wandte sich desinteressiert ab. "Warum haben wir ihn dort nie gesehen?! Mein Gott, wir suchen nach ihm und machen uns verrückt und dabei ist es möglich, dass er im selben Gebäude war, wie wir?!"

Nach wenigen Sekunden stieß sich Alfons samt Stuhl ab, rollte zur Seite und neigte sich zum Drucker. Er zog das Blatt heraus, rollte zurück und reichte es Joey, der es ihm sofort aus der Hand riss.

"Man... ihr seid krass!"

"Danke!" Während Joey den Zettel prüfend überflog, wandte sich Duke an seinen Kumpel. "Du hast vielleicht ein Menschenleben gerettet!"

"Cool..."

"Wir müssen zum Krankenhaus zurück." Joey zupfte hektisch an seinem Ärmel. "Mensch, vielleicht können wir die Sache noch heute hinter uns bringen?"

"Das ist zu schön, um wahr zu sein." Duke rollte schwärmerisch mit den Augen und nickte seinem Kumpel ein letztes Mal zu. "Gute Arbeit! Wir müssen jetzt weg. Aber ich komme dich bald noch einmal besuchen, okay?"

"Is gebongt."
 

Nein, sie gingen nicht gemeinsam ins Krankenhaus. Nur Joey machte sich auf den Weg dorthin. Er nahm den Zettel mit und schickte Duke zur Polizei. Er sollte dort einige Dinge regeln, die Geschichte erzählen und dafür sorgen, dass auch nach diesem Yasojiro gesucht wurde - obgleich es keine Beweise gab. Einen Versuch war es jedoch wert.

Sie trennten sich und beschlossen, sich zwei Stunden später, im Krankenhaus zu treffen. Duke war es also, der die ganze Arbeit übernehmen musste. Joey hätte nicht zugelassen, das er seinen Platz einnahm.
 

Er erreichte den Nusashi-Platz schnell, stürmte das Krankenhaus und begab sich auf die Suche nach Dr. Johnson. Hoffnung war in Sicht, ja, zum greifen nahe! Er fuhr in die zweite Etage, dort, wo Kaiba lag und der Gesuchte möglicherweise seiner Wege ging. Zuerst klopfte Joey an seinem Büro und als sich niemand meldete, ging er einfach drauf los und fragte jeden Arzt, der ihm entgegen kam. Doch niemand wusste, wo Dr. Johnson war.

Joey fand ihn erst einige Minuten später, wie er aus einem gewissen Zimmer trat, sich die Stirn rieb und sich mit einigen Unterlagen Luft zufächelte. Kein sehr zuversichtlicher Anblick.

"Doktor!", sofort rief Joey ihn und eilte zu ihm. Das Blatt vergaß er für kurze Zeit, als er ihn erreichte.

"Joey." Der ältere Mann runzelte die Stirn. "Was ist? Hast du etwas gefunden?"

"Ist er wach?", stellte Joey eine aufgeregte Gegenfrage.

Das Gesicht des Arztes verfinsterte sich.

"Ja, aber geh besser nicht rein."

"Warum?" Joey verstand es nicht. "Meinen Sie, ich würde den Anblick nicht aushalten? Blödsinn, ich gehe gleich zu ihm! Aber... warten Sie!" Er hob das Blatt und drückte es dem Mann in die Hände. "Schauen Sie! Das ist der Mann, der eine große Teilschuld trägt! Das ist er, da bin ich mir sicher! Yasojiro Hirayama! Er arbeitet hier im Krankenhaus auf Station 4! Kennen Sie ihn? Ist er hier? Sagen Sie doch etwas!"

"Hirayama?" Dr. Johnson starrte das Blatt entsetzt an. "Ich... kenne ihn."

"Von ihm bekommen wir das Gegengift!" Joey schlug sich ins Fäustchen. "Sie müssen die Polizei rufen und ihn verhaften lassen! Wir haben keine Zeit! Alles muss jetzt schnell gehen, sonst..."

"Hirayama ist... nein, er ist nicht hier." Noch immer unter Schock stehend, schüttelte Johnson den Kopf. "Er hat seit mehrere Tagen Urlaub... und ich kann es nicht... kann es nicht fassen, dass er es..."

"Er ist nicht hier…?" Joey erschrak.

"Mein Gott, hätte ich das gewusst!"

"Jetzt hören Sie auf damit!" Dadurch war Joey auch nicht geholfen. "Wir... ähm... wir veranlassen einfach, dass die Polizei ihn sucht, okay?! Er ist noch hier in Domino! Gestern habe ich ihn gesehen! Und... stehen Sie hier nicht herum, sondern tun Sie etwas!"

"Jetzt beruhige dich erst einmal." Der Arzt hob abwehrend die Hände. Auch er war mit den Nerven am Ende. Ihm ging es nicht besser, als Joey und wollte nun nicht auch noch angeschrien werden, wo er doch um das Leben einer seiner Patienten kämpfte. "Mein Junge, diese ganze Sache ist nicht so einfach, wie du vielleicht denkst."

"Warum nicht...?" Joey ahnte Schlimmes. Von einer Sekunde auf die andere beruhigte er sich und ließ die Hände sinken, mit denen er soeben noch wild gefuchtelt hatte.

"Komm." Dr. Johnson hob den Arm und führte ihn fort. Verdattert drehte sich Joey noch einmal zu dem Zimmer um.

"Aber ich... will ihn sehen."

"Das kannst du nachher." Nach wenigen Metern blieb der Arzt stehen, öffnete eine Tür und schob Joey in einen kleinen, unbenutzten Behandlungsraum. Er sah sich irritiert um und beobachtete dann den Doktor, wie er die Tür schloss und sich händeringend an ihn wandte. Er wollte nicht hören, dass es für die Rettung bereits zu spät war! Er wollte, dass es noch Hoffnung gab, eine Lösung! Eine unbeschreibliche Angst brach in ihm aus, als Dr. Johnson aufblickte.

"In drei Tagen wird das Gift seine vollendete Wirkung entfalten und dann können wir nichts mehr tun. Wir können zwar veranlassen, dass die Polizei nach ihm sucht aber ein Wunder müsste geschehen, dass die Suche in nur zwei Tagen einen Erfolg erzielt. Hinzukommend ist es nicht sicher, das Hirayama das Gegengift bereits parat hat. Vielleicht muss er es erst noch herstellen, vielleicht ist es sogar gar nicht möglich, ein Antiserum zu entwickeln? Ein Wunder ist es, was wir brauchen. Sonst ist alles verloren.

"Dann...", Joey wandte verbissen den Blick ab, "… dann hoffen wir eben auf das Wunder! So einfach ist das! Es ist doch gut möglich, dass Hirayama der Polizei ins Netz geht? Er wirkte zumindest nicht wie ein erfahrener Ganove. Eher wie ein unterwürfiger Mitläufer, der es aus Verzweiflung tut." Er musterte den Arzt scharf. "Sagen Sie nicht, dass Sie aufgeben wollen!"

"Aufgeben will ich nicht aber..."

"Hören Sie!" Joey trat an ihn heran und stemmte die Hände in die Hüften. "Hoffen Sie auf dieses Wunder! Ein anderer Weg bleibt uns nicht. Und es wird Ihnen nicht gelingen, ein eigenes Gegengift zu erfinden! Das habe ich im Gefühl und das trügt mich nur selten. Noch schlimmer wäre es ja, wenn uns gar keine Möglichkeit bliebe und wir tatenlos auf das Ende warten müssten. Tun Sie alles, damit er unter keinen großen Schmerzen leiden muss und bitte erlauben Sie mir, bei ihm zu bleiben. Ich möchte ihn nicht allein lassen und meine Anwesenheit wird ihm vielleicht gut tun."

Der Arzt schwieg.

"Auch wenn er mich nicht mehr erkennen oder gar nicht bemerken sollte, will ich das." Joey las aus ihm wie aus einem offenen Buch, sprach aus, was er dachte. "Und sollte es nicht funktionieren, sollte alles verloren sein, dann müssen Sie sich keine Vorwürfe machen! Ich meinerseits, werde kämpfen, solange auch nur noch ein Fünkchen Hoffnung besteht! Wie steht es mit Ihnen?"

Dr. Johnson räusperte sich leise, starrte auf den Boden und rieb das Blatt zwischen den Händen. Er grübelte verbissen, überdachte das Gesagte. Und Joey bangte in jeder Sekunde des Zögerns. Doch dann nickte Dr. Johnson, richtete sich aus der zusammengesunkenen Haltung auf und sah ihn ernst an.

"Gut, hoffen wir auf das Wunder."

Sofort erhellte sich Joey Gesicht.

"So mag ich Sie, Doktor. Tun Sie alles was in Ihrer Macht steht und seien sie zuversichtlich, auch wenn Sie unrealistisch sein müssen. Sie sind nicht der Einzige, der Angst vor den Vorwürfen, vor dem Gift hat. Ich habe auch meine Probleme damit... das können Sie sich nicht vorstellen. Aber ich bin nun einmal ein Kämpfer-Typ. Werden Sie auch zu einem." Joey zwinkerte ihm zu.

Unglaublich…!

Jetzt musste er schon den Arzt aufheitern, obwohl es ihm selbst hundeelend ging!

"Sagen Sie mir jetzt, wie es ihm geht?"

"Natürlich." Dr. Johnson erwachte zum Leben. Noch immer niedergeschlagen hob er die Unterlagen und blätterte in ihnen. Joey wartete gespannt.

"Redet er wieder wirres Zeug...?"

"Er ist seit heute Morgen wach und hat noch kein einziges Wort gesprochen."

"Wie ist sein Blick?", erkundigte sich Joey, um sich auf das Kommende vorzubereiten. „Wie sehen seine Augen aus?“

"Das weiß ich nicht", erhielt er zur Antwort. "Du kennst ihn besser als ich. Finde es heraus."

"Und körperlich?"

"Sehr schwach. Schmerzmittel verhindern aber das Schlimmste."

"In Ordnung", schloss Joey ab. "Ich gehe jetzt zu ihm. Und Sie lassen den Kopf nicht hängen, ja?"

Mit diesen Worten zog er an ihm vorbei und trat in den Gang hinaus. Der Arzt folgte ihm und sofort trennten sich ihre Wege. Joey kehrte zu dem gewissen Zimmer zurück und der Arzt steuerte auf sein Büro zu.

>Reiß dich zusammen, Joey Wheeler!< Joey ballte die Hände zu Fäusten, als er die Tür näher kommen sah. >Fang nicht an zu heulen und bleib stark, egal, was er sagt!<

Er kam immer und immer näher, wurde mit jedem Schritt nervöser und hielt inne, bevor er nach der Klinke griff. Er grübelte, ließ dann die Hand sinken und trat zurück.

Natürlich…!

Es gab ja noch etwas, das er erledigen musste!

Er freute sich, einen Vorwand zu haben, den Besuch noch etwas zu verschieben.

Er warf der Tür einen letzten Blick zu, suchte dann hastig nach seinem Handy und wählte eine Nummer. Er musste Duke Bescheid geben und als er ihn endlich erreichte, wurde ihm eine gute Nachricht mitgeteilt. Die Polizei hatte sich dazu bereit erklärt, nach ihm zu suchen. Hirayama war schon oft vor dem Gericht gelandet, jedoch immer wieder freigesprochen wurden. Keiner der Polizisten konnte ihn leiden und noch weniger sehnten sie sich nach dem Tod des großen Seto Kaiba, der sozusagen und in gewissem Sinn über das Geschäftswesen Dominos herrschte.

Noch heute würde die Suche beginnen und Joey dankte Duke, den Polizisten, war so glücklich, zuversichtlich... dass er nun mit einem derben Schlag ins Gesicht rechnete, einem neuen Grund, den Depressionen zu verfallen. So war es immer, große Freude wollte man ihm nicht gönnen.

Aber jetzt konnte er zumindest mehr oder weniger beruhigt sein und sich Kaiba widmen. Er hatte getan, was in seiner Macht stand und es würde wohl nichts bringen, mit den Polizisten herumzufahren, Passanten auszuquetschen und jede Kneipe abzusuchen. Dadurch würde es ihm nur noch schlechter gehen.

Jetzt schaltete er sein Handy aber erst einmal aus, damit er keinen Ärger bekam. Und dann näherte er sich wieder der Tür, atmete tief ein und öffnete sie, bevor er wieder einen Grund fand, um sich davor zu drücken. Nur zögerlich streckte er den Kopf in das Zimmer und richtete seinen Blick auf das hintere Bett. Nach den Tests lag Kaiba wieder auf dem Rücken. Weich war sein Kopf auf dem Kissen gebettet, die Hände hielt er unter der Decke verborgen, die ihn erst ab der Hüfte wärmte. Das Hemd war nun geschlossen, das Gesicht hatte er zum Fenster gewandt, so, dass Joey es nicht sehen konnte.

Das gleichmäßige Piepen...

All die Kabel, die sich auf der Matratze schlängelten...

Leise trat Joey ein und schloss die Tür hinter sich, den Blick stets auf Kaiba fixierend. Dieser schenkte ihm keine Aufmerksamkeit, regte sich nicht einmal. Aber er war wach, dessen war sich Joey sicher. Vorerst blieb er vor der Tür stehen und schlüpfte vorsichtig aus dem Pullover. Anschließend atmete er erneut tief durch und näherte sich in sicheren Schritten dem Bett. Als er an dessen Fußende gelangt war, erblickte er wieder dieses bleiche Gesicht, den Schweiß, der auf der hellen Haut glänzte. Es hatte sich nichts geändert. Er ging noch zwei Schritte, dann blieb er stehen, so, dass Kaiba ihn ohne Schwierigkeiten sehen könnte. Doch dessen gerötete und glasige Augen blieben weiterhin nur auf das Fenster gerichtet, blickten ausdruckslos hinaus.

Joey gab keinen Laut von sich, besah sich ihn gemächlich und legte den Kopf schief. Nun, da er ihn wieder sah, konnte er es sich nicht vorstellen, dass er sterben könnte. Er würde daran zerbrechen, daran war kein Zweifel erlaubt.

Seine Gedanken endeten abrupt, als Kaiba plötzlich zwinkerte, als sich seine Pupillen bewegten und sich auf ihn richteten.

Ein kaltes Schaudern durchfuhr seinen Körper, als er den Blick erwiderte. Er durfte seine Angst nicht zeigen, durfte ihn auf keinen Fall weiterhin beunruhigen. Er musste stark sein. Stark für sich und Kaiba. Sofort, als ihn dessen Blick traf, verschnellerte sich das Piepen und die geröteten Augen weiteten sich.

Nein, er war bei Sinnen.

Er hatte ihn erkannt und dementsprechend reagiert. Kein Schlag ins Gesicht? Joey fühlte sich ängstlich, bedrückt und zugleich erleichtert, als er diese Augen das erste Mal seit langer Zeit wieder sah.

Ohne, dass er es bemerkte, zeichnete sich ein weiches Lächeln auf seinen Lippen ab und er trat näher, bis er direkt vor ihm stand. Kaibas Augen folgten ihm, das Piepen behielt den raschen Takt bei. Seine rauen Lippen öffneten sich einen Spalt weit und doch blieb er stumm. Nun verstärkte Joey das Lächeln, griff hinterrücks nach dem Stuhl und ließ sich auf ihm nieder. Er hielt dem Blick stand, fühlte sich in keiner Weise verunsichert. Nein, er genoss diesen Blickkontakt und ergriff nach einer kurzen Zeit des Schweigens, das Wort.

"Ist lange her, hm?" Er sprach langsam und ruhig aber die Schnelligkeit des Piepens nahm nicht ab. Es belustigte Joey. Nach außen hin konnte Kaiba seine Gefühle verbergen aber eine Maschine, die sein Herz überwachte, konnte er nicht belügen. Kaiba wandte nicht den Blick ab, schien unglaublich überrascht und gleichzeitig entsetzt über diesen unverhofften Besuch zu sein. Wieder bewegten sich seine Lippen und unter der Decke begannen sich die Hände langsam und stockend zu regen. Dann hörte Joey den schnellen und schweren Atem, der bis jetzt zurückgehalten worden war.

"Was... machst du hier?" Kaibas Stimme war nur ein heiseres Flüstern und doch trotzdem Joey jedes Wort. Das Lächeln verlor für wenige Sekunden an Kraft, kehrte dann jedoch umso gekräftigter zurück.

"Ich wache über dich", sagte er.

Wieder zwinkerte Kaiba, die Decke verblieb reglos. Nun schien er keine Worte mehr zu finden, wusste nicht, wie ihm geschah. Während er verzweifelt versuchte, einen Satz zu Stande zu kriegen, genoss Joey seinen Anblick, so erschreckend er auch war. Er sah ihn, er hörte seine Stimme. Was wollte er mehr?

"Sagte ich nicht...", Kaiba blieb der Atem weg, er blieb hängen und haspelte, "… sagte ich nicht, dass ich dich..."

"Du hast viel gesagt", antwortete Joey sanft und richtete sich auf. "Aber jetzt kenne ich den Grund dafür und es ist in Ordnung. Ich bin jetzt hier."

"Grund?" Kaibas Gesicht begann zu zucken. "Was... für... einen..."

"Tsch", beruhigte Joey ihn. Er rutschte noch weiter nach vorn, griff unter die Decke und umfasste Kaibas Hand. Sie fühlte sich warm und rau an, begann sich wieder zu bewegen, sobald sie die Berührung spürte. Joey drückte sie vorsichtig, stützte sich auf die Matratze und hob die andere Hand. Kaibas Pupillen folgten ihr verstört. Und als er sie auf seiner heißen Stirn spürte, zuckte er zusammen und starrte den blonden Jungen, der noch immer dieses warme Lächeln auf den Lippen trug, irritiert an.

"Rede nicht so viel." Joey strich die verschwitzten Strähnen zurück, versenkte die Finger in seinem Schopf. "Zurzeit ist es nur wichtig, dass du wieder gesund wirst."

Nun sagte Kaiba nichts mehr. Er blieb reglos liegen, erwiderte seinen Blick verunsichert, bald ausdruckslos. Er sah ihn lange an, wandte erst nach einigen Minuten den Blick ab und starrte an ihm vorbei.

Und ungeachtet all der Sorgen, war Joey in genau diesen Sekunden glücklich. Er kraulte Kaibas Hand, streichelte sein Haar und besah sich dieses bleiche Gesicht, das an jeglicher Regung verloren hatte. Was für ein Glück war ihm nur zuteil geworden, Kaiba normal zu erleben. Er hatte ihn erkannt, mit ihm gesprochen, sich erinnert. Joey konnte und wollte sich nicht vorstellen, wie unberechenbar und verstört er nach der Aussage Dr. Johnsons vor kurzer Zeit erst gewesen sein sollte.

Vollkommenheit, Präzision, Exaktheit, Professionalität, Können, Wissen... das war die Welt, in der Kaiba gern lebte.

Wie musste er sich nur fühlen, wo er all diese Dinge verlernt hatte und nicht wusste, woran es lag?
 

Wie geplant, blieb Joey bei ihm.

Er lauschte den schwachen Atemzügen des Kranken, hielt seine Hand und wartete, bis er einschlief. Dann öffnete er ihm sein Herz, sprach sich über alles aus. Kaiba hörte ihn, das wusste er. Nur wenige Ärzte störten ihn bei seinen Erzählungen. Sie kamen nur kurz, schauten hier, schauten dort und verschwanden. Joey erzählte ihm von der Entführung, der Begegnung mit Katagori, dem Hünen... und dem Arzt. Er hatte es nicht gewagt, es früher auszusprechen. Als Kaiba noch wach gewesen war. Er wusste noch nichts von dem Gift. Er wusste nicht, was mit ihm los war. Nun sagte Joey es ihm. Er erzählte von dem Kaffee, erzählte alles, was er wusste. Von seiner Verzweiflung gegenüber all den Geschehnissen, seinem Leiden, während sie getrennte Wege gegangen waren, seiner Sehnsucht nach ihm.

Für kurze Zeit verschärfte sich der Ton, indem er sprach. Er machte ihm keine Vorwürfe, meinte jedoch, es hätte einen anderen Weg gegeben, als ihn so arg zu verletzen. Er erinnerte ihn an das Versprechen, das sie sich gegeben hatten und entschuldigte sich dafür, blind gewesen zu sein.

Mit jedem Wort, das er aussprach, wuchs der Schmerz in ihm. Kaibas Anblick tat ihm weh, doch er sah ihn weiterhin an, hielt seine Hand und lächelte gezwungen, obgleich Kaiba es nicht sehen konnte.

Auch den Namen Alfons oder "Fröschchen" nannte Joey. Und als er dessen Fluchen über seine frühere Niederlage in Bezug auf die Kaiba-Corporation erwähnte, konnte er sich ein leises Lachen nicht verkneifen. Bald zog er Kaibas Hand ins Freie, hob sie an und umschloss sie mit den Eigenen. Kurz darauf begann er von Duke zu berichten, von dessen Mühen. Er hatte sich große Mühe gegeben und hatte hart einstecken müssen. Auch er war entführt worden.

"Vielleicht wirst du dein Leben ihm zu verdanken haben." Endlich wandte Joey den Blick ab, biss sich auf die Unterlippe und ließ den Kopf hängen. Er legte die bleiche Hand ab, neigte sich langsam nach vorn und verschränkte die Arme auf der Matratze. Dann sank er in sich zusammen und verbarg das Gesicht.
 

In dieser Nacht schlief er tief und lang. Er war sehr müde gewesen, hatte nicht viel Schlaf in der letzten Zeit gefunden.

Und stets spürte er Kaibas Anwesenheit. Ja, er lag unmittelbar neben ihm. Joey träumte nicht, und als er dann wieder erwachte, hatte er das Gefühl, als seien nur wenige Minuten verstrichen. Er saß noch immer auf dem Stuhl, seinen Oberkörper hatte er auf der Matratze gebettet. Direkt vor ihm lag Kaiba. Er atmete tief ein, begann sich zu räkeln und öffnete dann die Augen.

Das Erste, was ihm auffiel, war das gleichmäßige Piepen. Er hatte keine Lust, sich aufzurichten. Also blieb er liegen, schob lediglich die Hand ins Freie und begann zu tasten. Er fühlte Kaibas Rippen, schob die Hand höher und ließ sie träge auf seinem Bauch liegen. Dann bewegte er sich nicht mehr und schloss wieder die Augen. Langsam sank der flache Bauch auf und ab, Joeys Finger krallten sich langsam in den dünnen Stoff des Hemdes.

Diesen Körper durchflutete das Gift?

Joey konnte es sich kaum vorstellen.

Er brummte leise, räkelte sich und entspannte seine Hand wieder. Da ertönte eine leise Stimme.

"Hey? Joey...?"

Sofort richtete sich der Angesprochene auf und erspähte Duke, der auf dem Nachbarbett hockte und ihn besorgt ansah.

"Duke?" Verwundert hob Joey die Augenbrauen. "Seit wann sitzt du da?"

"Weiß nicht. Vielleicht seit einer Stunde."

"Wie spät ist es?" Joey rieb sich das Gesicht.

"Gleich um zehn."

Joey warf Kaiba einen flüchtigen Blick zu, dann erhob er sich vom Stuhl und zog sich das Shirt zu Recht.

"Bringst du mir eine gute Nachricht...?"

Duke seufzte leise, schob sich nach vorn und hockte sich auf die Kante des Bettes.

"Die Suche ist im vollen Gange", erklärte er. "Die Polizei hat beinahe fünfzig Mann ausgesandt. Sie tut wirklich alles, was in ihrer Macht steht. Mehr können sie nicht tun. Und wir auch nicht."

Joey nickte leicht, trat näher an ihn heran und blieb direkt vor ihm stehen. Er sah ihn müde an, machte dann noch einen Schritt und umarmte ihn. Seufzend erwiderte Duke die Umarmung und klopfte ihm tröstend auf den Rücken. Joey klammerte sich an, ließ den Kopf sinken und bettete das Kinn auf seine Schulter. In dieser Haltung verblieben sie, bis Joey das Wort ergriff.

"Ich will nicht, dass er stirbt, Duke", flüsterte er beinahe lautlos. "Ich würde kaputtgehen."

Er umarmte ihn noch fester und Duke schloss anteilnehmend die Augen.

"Dass er stirbt, das will ich auch nicht", erwiderte er ebenso leise. "Glaub mir Joey, mir würde es auch sehr wehtun."

"Aber...", Joeys Atem verschnellerte sich, "... aber was ist, wenn ihn die Polizei binnen zweier Tage nicht findet...?"

"Noch ist nichts verloren." Duke rieb seinen Rücken und atmete tief durch.

"Aber was ist, wenn es nicht klappt?"

Sogleich öffnete Duke den Mund, um etwas zu erwidern. Dann jedoch, sagte er nichts und sein Blick fiel unweigerlich auf Kaiba, der blass und reglos im Nebenbett lag.

"Das kann doch nicht sein Schicksal sein!" Joey begann zu keuchen, vergrub das Gesicht an seinem Hals. "Er hat das nicht verdient…!"

Noch immer waren die grünen Pupillen nachdenklich auf Kaiba gerichtet.

Wie würde ihr aller Leben nur weitergehen, wenn es keinen Kaiba mehr gab?

Wessen genervtes Gesicht sollten sie sich betrachten?

Mit wem sollten sie sich streiten?

Wer würde die Rolle des ewigen Rivalen einnehmen?

Wer würde die Lehrer auf Fehler aufmerksam machen und einen Krieg mit ihnen anzetteln?

Wer würde eitel den Kaffeeautomaten der Schule verfluchen?

Wem sollten die Mädchen schwärmerisch nachschauen?

Wer würde die Berühmtheit Dominos darstellen? Das Genie der Schule?

Wem sollten Klatsch Reporter auflauern?

Wer sollte sich um einen neunjährigen Jungen kümmern, der außer seinem Bruder niemanden mehr hatte?

Ohne ihn würde etwas fehlen....

"Hast du mit ihm gesprochen?", fragte Duke nach langen Überlegungen.

Er wollte Joey ablenken und es gelang ihm. Er sprang auf ein anderes Thema um, ließ ihn jedoch nicht los. Duke spürte, wie er nickte.

"Er hat mich erkannt und mit mir gesprochen. Er war überhaupt nicht verwirrt, wie die Ärzte gesagt haben, sondern..."

"Er hat mit dir gesprochen?" Duke blickte auf. "Was hat er gesagt?"

"Es war nicht viel." Joey ließ die Arme sinken und vor seinem Rücken baumeln. "Er war sehr schwach, weißt du?" Er wartete kurz, bevor er fortfuhr. "Er hat nur gefragt, was ich hier mache. Er war sehr überrascht, ist nach wenigen Minuten aber eingeschlafen." Er seufzte. "Es war so schön, seine Stimme zu hören."

"Und glaubst du, dass er es auch genossen hat?"

"Keine Ahnung", antwortete Joey nachdenklich und ließ die Augen kreisen. "Aber ich glaube... doch, es hat ihm auch gefallen, mich zu sehen."

"Na, dann ist ja gut."

"Wie man es nimmt, hm?" Jetzt ließ Joey ihn los, verschränkte die Arme und trat zurück. Vorerst ließ er den Kopf sinken, dann warf er einen flüchtigen Blick zu Kaiba und wandte sich wieder an Duke. "Ich muss kurz weg. Passt du bitte auf ihn auf, während ich fort bin? Ich geh nur etwas essen, fahr kurz nach Hause und kümmere mich dann um die Schule. Man, ich hätte jetzt wirklich keinen Nerv dazu."

Duke nickte verständnisvoll und Joey brachte ein schwaches Lächeln zu Stande. Dann erwiderte er das Nicken und schlug ihm auf die Schulter.

"Danke, dass du da bist."

"Hm." Nun lächelte auch Duke und als sich Joey abwandte und den Raum verließ, sah er ihm nach. Ohne sich umzuschauen, verschwand Joey im Gang und sobald sich die Tür hinter ihm schloss, traf Dukes Blick auf Kaiba. Er betrachtete ihn sich lange, schob sich dann von dem Bett und trat langsam auf ihn zu. Erst kurz vor ihm, blieb er stehen, warf den Maschinen einen flüchtigen Blick zu und schüttelte dann seufzend den Kopf.

"Was machst du uns nur für Sorgen, Kaiba."
 

Joey verschwendete keine Zeit. Zwei Minuten, um sich einen Hot Dog zu kaufen, eine Minute, um sich einen Zweiten zu besorgen und weitere zehn Minuten, um nach Hause zu kommen. Dort wartete sein Vater auf ihn.

Dieser war nun plötzlich in alle Vorgänge eingeweiht und gab gern seine Zustimmung für die Entschuldigung in der Schule. Er verstand, dass es zurzeit wichtigere Dinge für Joey gab, als die Bildung. Er erkundigte sich kurz nach Kaibas Zustand. Joey jedoch, erwiderte nur, dass er nicht darüber sprechen wollte, bevor er keine Klarheit hatte. Er wollte nicht heulen und jammern, zog sich nur schnell um und suchte dann nach dem Zettel, den Alfons ihm ausgedruckt hatte. Glücklicherweise fand er ihn sehr schnell und knüllte ihn in seine Hose. Er band sich die Haare zu einem lockeren Zopf, zog sich ein Basekap über, grabschte nach seinem Rucksack und verabschiedete sich. Er hatte seinem Vater eine ordentliche Antwort verwehrt, weil er nicht auf all das Grauen angesprochen werden wollte. Die Anspannung und das Unwissen über die Zukunft quälten ihn genug. Er versuchte, keinen Gedanken an die Gefahr des Giftes zu verlieren, denn sonst würde er von einer auf die andere Sekunde in Tränen ausbrechen und nicht mehr aus dem Schluchzen hinauskommen. Eine trübsinnige Miene konnte er aber nicht unterdrücken und man sah ihm bereits an, wie er sich fühlte. Fragen waren überflüssig. Wieso stellte man sie an ihn?

In eiligen Schritten machte er sich dann auf den Weg zur Schule. Er musste nur schnell die Entschuldigung für sich und Duke abgeben und würde dann sofort zurückkehren, um eine weitere Nacht bei Kaiba zu verbringen. Doch vor dieser Nacht graute es ihm, denn er befürchtete, Kaiba könnte Dinge sagen, die ihm schmerzten. Er betete, dass er nicht ausrasten, und ihm somit eine gehörige Angst einjagen würde. Einen Kaiba, der nicht wusste, was er sagte, konnte er sich nicht vorstellen. Und er wollte es auch nicht.

Als er die Schule endlich erreichte, war die letzte Stunde noch im vollen Gange. Es war ruhig und Joey betrat das Gebäude ohne Bedenken, seinen Freunden zu begegnen. Er sehnte sich wieder nach dem Krankenhaus, als er in die erste Etage stieg und das Sekretariat betrat.

Seit Kaiba die junge Sekretärin in seiner Gegenwart zur Brust genommen hatte, war diese außergewöhnlich schroff ihm gegenüber.

Ach ja, Kaiba und seine ständige Unzufriedenheit. Immer musste er murren und brummen, seine Meinung zum Besten geben und meckern. Joeys Gedanken waren bei ihm, als er an den Anmeldetisch herantrat und mit den Zetteln fuchtelte. Sofort blickte Frau auf, rückte an ihrer Brille und lehnte sich Stirnrunzelnd zurück, nachdem sie Ausschau gehalten und bemerkt hatte, dass kein bösartiger Kaiba in Sicht war.

"Das sind Zettel zur Schulbefreiung von mir und Duke Devlin", sagte er ohne Umschweife und legte sie hin. "Wir werden in der nächsten Zeit nicht kommen."

Somit wollte er sich umdrehen, doch da erhob sich die Frau und stierte ihn mürrisch an.

"Warum?", fragte sie. "Sie sehen nicht so aus, als wären Sie sehr krank."

Das sagte sie, ohne auf die Kratzer und Schrammen zu achten, die sein ganzes Gesicht zierten. Auch die Binde um sein Handgelenk sah sie nicht. Joey hielt in der Bewegung inne, stöhnte leise und wandte sich wieder zu ihr.

"Was geht Sie das an!" Er war nicht in der Stimmung, sich mit dieser Frau auseinanderzusetzen. Prinzipiell war er zurzeit leicht zu erzürnen, was wohl dieser Anspannung zu verdanken war. "Das sind Entschuldigungen! Nehmen Sie sie und stellen Sie keine Fragen!"

Griesgrämig griff die Sekretärin nach den Zetteln, überflog sie kurz und ließ sie sinken.

"Ich werde mich an den Schulleiter wenden! Es ist eine Unverschämtheit, was ihr euch erlaubt!"

Sofort wollte Joey etwas erwidern, doch bevor ihm etwas herausrutschte, das fatale Folgen hinter sich herziehen konnte, schwieg er lieber und schnitt nur eine Grimasse.

"Wenn es Ihnen danach besser geht?"

Wieder wollte er zur Tür, doch wieder wurde er angesprochen und musste unzufrieden inne halten. Die Frau fuchtelte mit den Zetteln und beobachtete ihn bitter aus den Augenwinkeln.

"Wir vermissen Seto Kaiba seit längerer Zeit. Was ist mit seiner Entschuldigung?"

"Mit...", Joey blieb die Luft weg. Er starrte die Frau entsetzt an und hob sprachlos die Hände, "Entschuldigung?", krächzte er dann. "Tut mir leid, die äußerst wichtige Entschuldigung für die Schule müssen wir in all dem Trubel vergessen haben!"

"Dann muss es ja wirklich etwas Wichtiges sein!" Die Frau rümpfte die Nase und nun grabschte Joey einfach nach der Klinke, riss die Tür auf und verließ den Ort des Schreckens. Er hörte sie nur schreien, schmiss die Tür in ihre Angeln zurück und stampfte davon. Schulbefreiung? Die war Joey scheißegal! Und Kaiba sicher auch!

Als ob es nichts Wichtigeres gäbe, als diesen gottverdammten Blödsinn! Nun aber schnell zurück ins Krankenhaus, bevor er noch länger aufgehalten wurde. Aufgeregt eilte er durch die Gänge und stieg die Treppen wieder hinab. Da ertönte das leise Läuten und sofort verschnellerte er seine Schritte, um fort zu sein, bevor Yugi und die Anderen ihn erwischen konnten. Es tat ihm ja leid, sie im Unwissen zu lassen und ihnen Sorgen auszusetzen. Doch er durfte keine Zeit verlieren, konnte sich ein tiefgründiges Gespräch mit ihnen nicht leisten. Sie würden schreien, sich nach den Schrammen erkundigen und noch andere Fragen nach ihm schmeißen. Nein, er würde ihnen alles erklären, wenn das Grauen vorbei war. Und dies würde in nur zwei Tagen passieren. Nun, er würde nur mit ihnen sprechen, wenn alles gut ging. Wenn dem nicht so war, dann würde er sowieso tagelang in seinem Zimmer hocken und für niemanden ein offenes Ohr haben.

Er schüttelte den Kopf, um diesen grausamen Gedanken loszuwerden und spurtete nach der nächsten U-Bahn.
 

Nach wenigen Minuten stieg er aus, sprang die wenigen Stufen hinauf und hatte schon das riesige Krankenhaus vor sich.

Nun war er knapp eine dreiviertel Stunde fort gewesen. Und in dieser Zeit konnte sich unmöglich etwas geändert haben. Er richtete sich wieder darauf ein, neben dem Bett zu sitzen und zu warten. Untätig zu sein und darunter zu leiden. In der Stadt tummelten sich mehr Polizisten, als sonst, das war ihm aufgefallen. Und es hatte ihm Beruhigung gebracht, zu wissen, dass sie alle nach diesem Arzt suchten. Unauffällig jedoch. Passanten hatte man nicht befragt, ebenso Zettel waren nicht ausgehängt wurden. So war dem Arzt keine Warnung zugekommen und Joey hoffte, dass er dumm genug war, um sein gewohntes Leben weiterzuführen, ohne etwas zu bemerken.

Und das sollte er möglichst in den nächsten beiden Tagen tun!

Mit wenigen Sätzen ließ er die nächsten Treppen hinter sich, erreichte die erste Etage und machte sich auf den Weg zum Zimmer. Bevor er dieses erreichen konnte, musste er jedoch erst durch einen langen Flur. Während ihm Kranke entgegenkamen, zog er sich das Basekap zu Recht, schulterte den Rucksack neu und ließ die Hände in den Hosentaschen verschwinden. Nervös sah er das besagte Zimmer näher kommen, unbewusst verschnellerte er die Schritte. Er wollte ihn so gern sehen. Als ihn nur noch wenige Schritte von der Tür trennten, wurde diese plötzlich aufgerissen und er blieb erschrocken stehen. Aufgeregt sprang Duke in den Flur, fuhr herum und schlug die Tür hinter sich zu. Und augenblicklich befiel Joey eine grausame Vorahnung. Er öffnete langsam den Mund und zog die Hände ins Freie. Da bemerkte Duke ihn… und schien irgendwie zu erschrecken.

"Joey?!", ächzte er überrascht und starrte ihn an.

"Duke...?" Zögernd trat Joey näher, der Tür einen ängstlichen Blick zuwerfend. "Was ist los?"

Der Angesprochene schnappte gehetzt nach Luft, sah sich hektisch um und presste sich mit dem Rücken gegen die Tür. Beinahe beiläufig versperrte er ihm den Weg.

"Duke." Joey wurde schnell nervös und trat näher. "Was zur Hölle ist los!"

"Ich...", wieder sah sich dieser um, seine Hände schoben sich zittrig über das helle Holz, "ich... nun ja..."

"Sag schon!" Vor ihm blieb Joey stehen. Und sein Herz machte einen entsetzten Sprung, als er aus dem Raum laute Geräusche vernahm. Etwas ging zu Bruch. Seine Augen weiteten sich und die Hand hob sich instinktiv zur Klinke. Duke jedoch, gab ihm nicht den Weg frei, schüttelte hastig den Kopf und starrte ihn mit einem verzweifelten Flehen an.

"Bitte!", keuchte er aus. "Geh nicht hin..."

Er verstummte, als ein gedämpfter Schrei durch die Tür drang. Er zuckte zusammen, doch Joey erwachte zum Leben. Ohne zu zögern packte er ihn an der Schulter, stieß ihn zur Seite und riss die Tür auf. Ein erneuter Schrei stieß ihm gellend entgegen. Ein Schrei, der einen solchen Schmerz ausdrückte, wie man es sich nur schwer vorstellen konnte. Sobald Joey ihn vernahm, erfror er in der Bewegung und blieb stehen. Seine Augen richteten sich erschüttert auf vier Ärzte, die um das hintere Bett herumstanden, sich nach vorn beugten und den bebenden Körper, der sich zwischen ihnen räkelte, auf die Matratze hinabpressten. Langsam öffnete Joey den Mund, seine Hand verharrte auf der Klinke. Kurz verstummte jeder Laut, die Beine, die zwischen zwei Ärzten zu erkennen waren, verblieben ruhig und sanken hinab. Joeys Atemzüge begannen zu rasen, seine Gesichtszüge zu zucken.

Kaiba...?!

Die Ruhe hielt nur wenige Sekunden an, dann schrie er wieder, schrie so laut er konnte und begann sich erneut gegen die Ärzte zu wehren. Er kämpfte regelrecht gegen sie, warf sich hin und her und versuchte sich loszureißen. Und er schrie, bis er keine Luft mehr bekam, dann hörte Joey nur noch ein leises Röcheln und anschließend einen Laut, der nach einem qualvollen Schluchzen klang. Zitternd atmete Joey aus, seine Augen begannen vor Nässe zu glänzen.

Er wollte das nicht sehen…!!

War aber nicht im Stande dazu, sich zu bewegen… war wie zu Eis erstarrt und verfolgte das Geschehen mit weichen Knien.

"Haltet ihn fest!" Einer der Ärzte richtete sich auf und Joey erkannte Dr. Johnson, der sich hastig umwandte und nach einer Spritze grabschte, die er dann zitternd hob. Doch bevor er sich wieder zum Bett wenden konnte, erkannte er Joey. Und auch er vereiste in der Bewegungen und starrte ihn an. Joey jedoch, wurde plötzlich zur Seite gestoßen, denn zwei weitere Ärzte stürmten den Raum und stürzten zu dem Bett. Sie drängelten sich vor, packten seine Beine und sahen sich hektisch um.

"Joey!" Dr. Johnson traute seinen Augen nicht, der Schreck saß tief in seinen Gliedern. Er hatte gebetet, dass er nicht kommen und diesen Anblick ertragen musste. Als Kaiba leise zu stöhnen und zu flehen begann, wurde Joey von hinten gepackt und aus dem Raum gezogen. Er war zu konfus, um sich dagegen zu wehren. Zu irritiert, um das alles zu verstehen. Zu entsetzt, um sich zu bewegen. Nun stolperte er nach hinten und bevor er sich versah, stand er wieder im Flur und Duke riss die Tür zu.

"Joey!" Auch in seinen Augen glänzten Tränen, als er herumfuhr, näher trat und ihn krampfhaft umarmte. Er krallte sich an ihn und Joey kam wieder zu sich. Unentschlossen hob er die Hände, öffnete den Mund und starrte an Duke vorbei… auf die Tür, hinter der der Kampf nun weiterging. Und ein weiterer Schrei brachte ihn vollends in die harte Realität zurück. Sofort begann er sich zu bewegen, sich gegen die Umarmung zu wehren.

"Lass mich los, Duke…!" keuchte er benommen und versuchte die Tür zu erreichen. Doch Duke hielt ihn mit aller Kraft zurück. "Ich will da rein…! Ich will zu ihm!!"

"Bitte, bleib hier!" Duke krallte sich umso fester an ihn.

"Lass mich los…!" Joey geriet in Panik und wehrte sich mit allen Mitteln, doch Duke drängte ihn schnell zurück, rammte ihn gegen die Wand und hielt ihn dort. Er löste die Hände von seinem Rücken, stemmte sie auf seine Schultern und drückte ihn zurück.

"Was ist mit ihm?!" Joey streckte der Tür die Hand entgegen, wand sich in dieser Lage. "Was hat er?! Warum schreit er?!"

"Er hat Krämpfe, Joey!", erwiderte Duke schnell und starrte ihn verzweifelt an. "Bitte, du kannst ihm nicht helfen!"

"Ich will zu ihm!" Joey ließ die Hand sinken, zog die Nase hoch und erwiderte leidig Dukes Blick, an dem man deutlich erkennen konnte, dass es ihm nicht besser ging.

"Mein Gott...", seine Stimme bebte unter einem trockenen Schluchzen, "… ich will doch nur zu ihm."

Duke presste die Lippen aufeinander und blinzelte, worauf sich eine Träne den Weg über seine Wange suchte. Verbittert wandte er den Blick ab und Joey ließ den Kopf sinken.

Er starrte auf den Boden und hörte Dukes schnellen Atem.

Wie konnte er nur untätig herumsitzen und Hot Dogs essen, wenn Kaiba derartig litt?!

Er fühlte sich widerlich, verabscheuungswürdig!

Nun hatte er erkannt, zu was dieses Gift im Stande war.

Und er befürchtete, dass es nicht das Letzte mal gewesen war.

Im Flur, wie auch in jenem Zimmer, herrschte nun eine Totenstille. Die Ärzte und Patienten waren stehen geblieben und starrten die Beiden mit entsetzten Mienen an.

Joey atmete tief ein, schloss verkrampft die Augen und stieß ein leises Schluchzen aus. Ermattet ließ er sich nach vorn sinken, hob die Arme und fiel Duke um den Hals. Dieser klammerte sich ebenfalls um ihn, presste das Gesicht auf seine Schulter und ließ all dem, was er bis jetzt zurückgehalten hatte, freien Lauf.
 

~*
 

"Duke." Langsam ließ Joey die Arme sinken und richtete sich auf. Auch Duke ließ ihn los, trat einen Schritt zurück und starrte zu Boden. Er war völlig am Ende mit seinen Nerven und machte den Anschein, sich umzudrehen und einfach fortzulaufen, all dem entfliehen zu wollen. Doch er blieb, würde die Sache gemeinsam mit Joey durchstehen. Dieser fuhr sich kurz über die geröteten Augen, räusperte sich leise und sah ihn dann entschlossen an.

"Duke, es reicht mir nicht, auf die Polizei zu hoffen. Ich weiß, dass sie ihn in nicht finden werden. Und morgen ist der letzte Tag, der uns zur Verfügung steht. Danach ist alles verloren."

" Worauf bist du aus?"

Ihre Blicke trafen sich und Duke schien eine böse Vorahnung zu haben. Joey bestätigte sie.

"Ich werde etwas unternehmen, Duke! Ich komme um, wenn ich hier herumsitze!" Er warf der Tür einen vorsichtigen Blick zu. "Ich werde Hirayama suchen und ein ernstes Wort mit ihm sprechen, wenn ich ihn gefunden habe!"

"Joey." Duke schüttelte den Kopf. "Das bringt doch nichts. Wo willst du ihn denn suchen?"

"Überlass das mir." Joey schluckte und wandte sich langsam ab, dabei schlug er Duke auf die Schulter und dieser seufzte leise, hielt das alles für eine sinnlose Verzweiflungstat. Doch Joey war fest entschlossen und das sagte er ihm, bevor er ging.

"Bei Gott!", zischte er und ballte beide Hände zu Fäusten. "Ich schwöre dir, dass ich ihn finden werde! Morgen werde ich wiederkommen! Mit oder ohne Gegengift!" Er warf Duke einen letzten Schulterblick zu. "Ich werde nicht weglaufen."

Duke nickte mutlos, nickte weiterhin und wandte sich lahm ab, um sich gegen die Wand zu lehnen und trübe auf den Boden zu starren.

Die Zeit rann ihnen durch die Finger, ohne, dass sie etwas dagegen tun konnten. Morgen würde sich entscheiden, was aus Kaiba wurde. Er sah Joey nicht nach, blieb dort stehen und rieb sich die letzten Tränen aus den Augen.

Verlor Joey nun ebenfalls jetzt Angst und Hoffnungslosigkeit den Verstand?

Er musste doch wissen, dass es ausgeschlossen war, Hirayama bis morgen zu finden! Und noch unmöglicher war es, das Gegengift in so kurzer Zeit zu besorgen! Hirayama hatte es noch nicht entwickelt, dessen war sich Duke sicher.

Während sich die Tür des Zimmers langsam öffnete und der Arzt in den Flur hinaustrat, ließ er sich an der Wand hinabrutschen und blieb auf dem Boden sitzen. Mutlosigkeit verlieh seinem Gesicht Ausdruck und auch Dr. Johnson blieb nur stehen und schüttelte in wortloser Entmutigung den Kopf.
 

Als Joey das Krankenhaus verließ und vor den Treppen stehen blieb, atmete er tief durch und zog den zerknitterten Zettel aus der Hosentasche. Dem Foto schenkte er keine Beachtung, vielmehr interessierte er sich für die Adresse. Er überflog das Angegebene kurz und sah sich dann sinnierend um. Der Name der Straße, in der dieser Hirayama wohnte, war ihm völlig unbekannt.

Er machte sich nicht allzu viele Hoffnungen, erfolgreich zu sein aber wenn er etwas tat, dann hatte er keine Zeit mehr, sich Sorgen zu machen. Er wollte sich nicht quälen und alles in seiner Macht stehende tun. Kaibas Anblick hatte ihn wachgerüttelt.

Wieder nahm er die frische Luft in sich auf, warf einen kurzen Blick auf seine Uhr und knüllte den Zettel dann in die Hosentasche zurück. Anschließend nickte er entschlossen, schulterte seinen Rucksack neu und ging los. Er ging zügig und machte keine Pausen, bis er an einer U-Bahnhaltestelle einen Stadtplan fand. Vor diesem blieb er stehen, um ihn zu studieren. Hirayama müsste im Besitz einer erstaunlichen Dummheit sein, wenn er nun zu Hause herumsaß und in aller Ruhe Fernsehen schaute. Also würde er ihn dort nicht vorfinden. Und dennoch nahm sich Joey fest vor, zu seiner Wohnung zu fahren. Nicht gerade Erleichterung war es, die ihn durchflutete, als er erkannte, dass Hirayama auf der anderen Seite Dominos wohnte, etwa zwanzig Kilometer entfernt!

"Himmelherrgott." Verbissen wandte er sich ab, stützte die Hände in die Hüften und biss sich auf die Unterlippe. Dieser kurze Besuch würde in einer Reise enden! Auf der anderen Seite war es aber genau das Richtige für eine bekümmerte Seele, wie ihn.

In die nächste U-Bahn, die vorbeikam, stieg er ein. Sie würde ihn nicht direkt vor Hirayamas Haustür bringen und so beschloss Joey, sich nachher einen Plan zu besorgen. Von der Stadt, in der er wohnte.

Während er dann erschöpft und müde an einer Stange lehnte, sich an einem Lederriemen festhielt und trübe vor sich herstarrte, beflügelten ihn die grausamsten Fantasien. Bevor er sich versah, erblickte er ein düsteres Begräbnis vor seinem geistigen Auge. Menschen in langen schwarzen Regenmänteln standen inmitten vieler Grabsteine und starrten auf einen glänzenden, weißen Sarg, der vor ihnen aufgebahrt worden war. Joey driftete ab und verblieb reglos. Es regnete und stürmte, genau das richtige Wetter für eine Beerdigung.

Keine der Gestalten konnte Joey direkt erkennen und trotzdem wusste er, wer sich eingefunden hatte. Rechts neben dem Sarg stand Pikotto, seine Hand lag auf Mokubas Schulter, dem Tränen über das Gesicht liefen.

Yugi, Tea, Tristan, Bakura und Duke standen auf der anderen Seite, hatten die Köpfe gesenkt und schwiegen. Doch sich selbst konnte er nicht ausmachen. Nur andere Gestalten, die er nicht kannte.

Der Pfarrer murmelte leise Gebete, der Regen nahm zu und das Firmengebäude der Kaiba-Corporation ragte nun über Dominos Häuser gleich eines schwarzen Schattens.

Joey riss sich von diesen Vorstellungen los, blickte auf und sah sich flüchtig um. Würde der Zeitpunkt kommen, an dem diese Beerdigung wirklich statt fand? Er wusste, warum er sich nicht gesehen hatte. Er würde nicht kommen. Nicht zum Begräbnis, nicht zum Grab. Auf jeden Fall nicht sofort.

Er blickte aus den Fenstern, starrte in die Dunkelheit des Tunnels.

Hatte er sich jemals träumen lassen, in so ein Geschehnis verwickelt zu werden?

Hätte er jemals gedacht, um das Leben der wichtigsten Person in seinem Leben kämpfen zu müssen? Solchen Sorgen ausgesetzt zu sein? Warum konnte alles nicht einfach so bleiben, wie es war? Hatte er mit Kaiba ein schweres Los gezogen oder war es nur eine der vielen Lehren des Lebens? Wurde er auf die Probe gestellt?

Auf die Probe, wie viel er aushielt??

Lahm richtete er sich auf, schlürfte zu einem der freien Plätze und ließ sich kraftlos auf ihm nieder. Er streckte die Beine von sich, klammerte sich an seinen Rucksack und lehnte sich zurück. So blieb er sitzen und starrte gedankenverloren vor sich hin. Neben ihm saß ein alter Mann, der sich auf einen Krückstock stützte und nun langsam das Gesicht zu ihm wandte. Er musterte ihn jedoch nur kurz, wandte sich dann jedoch wieder ab und zwinkerte.

Schnell zogen die hellen Lampen des Tunnels an Joey vorbei. Ihre Lichter ließen sein Gesicht oft aufleuchten, überließen es aber schnell wieder der Dunkelheit. Ausdruckslos waren die braunen Augen auf einen nicht existierenden Punkt gerichtet. Er bewegte sich nicht, saß nur dort und schwieg. Zwei weitere Haltestellen ließ die U-Bahn hinter sich, dann verschwand sie wieder im engen Tunnel und die Düsternis kehrte zurück.

Der alte Mann blieb neben Joey sitzen, lehnte sich dann ebenfalls zurück und zog den Stock zu sich auf den Schoß.

"Ich habe vieles in meinem langen Leben gesehen", erhob er dann plötzlich leise die Stimme. "Traurige Menschen habe ich auch oft getroffen."

Endlich blinzelte Joey und lugte zur Seite. Dort saß der Alte. Er warf ihm nur einen flüchtigen Blick zu und starrte dann wieder vor sich hin.

"Das Glück macht das Leben lebenswert", vernahm er weitere Worte. "Aber es hat zwei Seiten. An der einen kann man sich erfreuen und neuen Mut schöpfen. Aber die andere, die ist grausam und drängt die Menschen an den Abgrund, vorausgesetzt, sie wissen sich nicht zu helfen."

"Ich habe immer gedacht, dass das Leben eines Menschen etwas Wichtiges und Wertvolles ist. Aber es kann so schnell enden." Joey zog den Rucksack fester zu sich und seufzte leise. "Gerade bin ich es, den es an den Abgrund drängt und natürlich weiß ich mir nicht zu helfen."

"Du klingst wie jemand, der einen Menschen durch den Tod verlieren wird, den er liebt." Der Alte wandte sich nun direkt an ihn und musterte ihn erneut. Joey erwiderte seinen Blick nicht, nickte jedoch.

"Er lebt noch, wird aber sterben, wenn ich nichts dagegen tun kann."

"Und kannst du etwas dagegen tun?", erkundigte sich der Mann.

"Weiß nicht." Joey zuckte mit den Schultern und begann nervös seine Füße zu bewegen. "Es... es sieht alles so hoffnungslos aus. Ich kann nicht tatenlos warten und sitze jetzt hier, um irgendetwas zu unternehmen. Aber man will mir die Hoffnung und das Glück einfach nicht gönnen und wenn es Schicksal ist, kann ich sowieso nichts daran ändern."

"Da hast du Recht."

"Aber wenn es Schicksal ist, dann ist es ungerecht. Er ist noch so jung, hat sein ganzes Leben noch vor sich und große Pläne, die er verwirklichen will. Sein Leben hätte einen großen Sinn und würde viele Menschen glücklich machen." Endlich drehte Joey wieder das Gesicht zu ihm und erwiderten seinen Blick verzweifelt. "Der Tod kann jetzt nicht sein Schicksal sein."

"Ein Mensch stirbt nicht umsonst." Der Alte runzelte die Stirn. Er sprach leise. "Der Tod passiert nicht umsonst. Weißt du, warum man lebt, mein Junge?"

"Nein, und zurzeit schon gar nicht", ächzte Joey und der Alte hob den Zeigefinger.

"Man lebt, um zu lernen", predigte er. "Das ist der eigentliche Sinn des Lebens, den die Menschen in dieser Zeit nicht mehr erkennen. Aber was ist das Leben schon? Nur eine weitere Stufe, die man erfolgreich hinter sich lassen muss, um dem Leben endgültig entsagen zu dürfen. Und solange man nicht den Sinn des Lebens erfüllt, entkommt man der Endlosschleife nicht mehr, lebt immer und immer wieder, ohne sich fortzubilden."

"Was wollen Sie mir damit sagen?" Joey verstand es nicht. "Sprechen Sie immer noch von derselben Sache? Wollen Sie mir sagen, dass Kaiba die Vorraussetzungen des Lebens nicht erfüllt hat und deshalb sterben muss?"

"Nein, nein, nein." Der Alte schütte gemächlich den Kopf. "So ist es nicht. Ich meinte damit, dass es deinem Freund, diesem Kaiba, vielleicht nie vorbestimmt war, ein langes Leben zu führen. Möglich ist, dass er in seinem vorherigen Leben viel gelernt und sich weitergebildet hat, jedoch nicht alt genug wurde, um sein Wissen bis zu einem bestimmten Punkt weiterzuentwickeln. So wurde ihm ein weiteres Leben geschenkt, um diese Sache zu beenden. Nun hat er es vielleicht geschafft und kann dem Leben getrost Ade sagen."

"Wollen Sie damit sagen, dass es mehrere Leben gibt, die ein Mensch zu durchlaufen hat?" Joey erschrak, doch der Mann lachte laut.

"Mein Junge! Ein einziges Leben, was ist das schon? Natürlich genügt ein Leben nicht, um alle Aufgaben zu erfüllen, tugendhaft und aufrecht zu werden. Ein Leben ist nur der Anfang, und bis man das Ziel erreicht hat, wird man immer und immer wieder in diese Welt hineingeboren."

War dieser Mann ein Verrückter oder war er ein Eingeweihter? Joey wusste nicht, was er denken sollte. Kurz schwieg er, um all das zu verarbeiten, doch der Mann fuhr fort.

"Auf der anderen Seite ist es auch möglich, dass andere Menschen aus seinem Tod eine Lehre ziehen sollen, dass er nur ein Mittel zum Zweck war, verzeih mir, dass ich es so ausdrücke."

"Was für eine Lehre sollte ich denn aus seinem Tod ziehen?" Joey stöhnte und rieb sich die Nase. "Ich würde daran kaputtgehen aber sicher nicht klüger werden."

"Das musst du selbst herausfinden", murmelte der Mann mit seiner einmaligen Ruhe.

"Das hilft mir aber nicht weiter!" Joey starrte ihn verzweifelt an. "Sagen Sie mir doch, was ich tun soll!"

"Finde es selbst heraus." Der Alte wandte sich hartnäckig ab. "Drei Wege stehen dir zur Verfügung. Drei Tore, die du wählen kannst, ob nun freiwillig oder nicht." Wieder hob er den Zeigefinger und Joey lauschte aufmerksam. "Das erste Tor: Das Leben deines Freundes endet an dieser Stelle, wie es ihm vorausbestimmt war. Das zweite Tor: Er wird sterben, damit andere eine Lehre daraus ziehen können. Damit sich durch sein Ableben irgendetwas ändert, ob nun im positiven oder negativem Sinn. Und das dritte Tor?" Er linste zu ihm. "Rette ihm das Leben und ziehe somit deine Lehre aus dieser ganzen Sache."

"Er beschäftigt sich nicht mit solchen Sachen." Joey schüttelte den Kopf. "Er glaubt nicht einmal an das Schicksal. Ich bezweifle also, dass er seine Lehre in diesem Zeitpunkt beendet hat. Und wenn ich ihn retten würde, würde ich eine größere Lehre daraus ziehen, als wenn er sterben würde."

Plötzlich lächelte der alte Mann und nickte ihm zufrieden zu.

"Dann ist es dein Schicksal, ihn zu retten."

Joey starrte ihn an und öffnete den Mund. Ihre Blicke blieben aneinander hängen und wenige Sekunden später, erstrahlte Joeys Gesicht und an seinen Lippen zog ein mattes Lächeln.

"Ja." Er nickte, noch immer ganz überwältigt. "Ja, ich werde ihn retten!"

"Und ich hoffe, dass du es schaffen wirst." Der Alte erwiderte das Lächeln und lehnte sich gemütlich zurück. Joey jedoch, griff nach seinem Rucksack und erhob sich. Bei der nächsten Haltestelle würde er aussteigen aber davor musste er unbedingt eine Frage stellen.

"Wer sind Sie, dass Sie soviel wissen?"

Der Mann rollte mit dem Kopf, sein Lächeln schien stetig.

"Nur ein alter Mann, der das Leben liebt."

"Na gut." Joey lachte heiter und reichte ihm die Hand. "Ich danke Ihnen! Sie haben mir neuen Mut gemacht!"

"Ich freue mich, deine Bekanntschaft gemacht zu haben." Der Alte griff zu und drückte seine Hand.

"Die Freude ist ganz und gar auf meiner Seite!", erwiderte Joey keuchend. "Mein Gott! Ich werde ihn retten und alles wird so, wie es vorher war!"

Mit diesen Worten schenkte er dem Mann ein glückliches Lächeln, ließ seine Hand los und wandte sich ab. Während er zur Tür ging, drehte er sich noch einmal um und beobachtete ihn. Dann öffnete sich die Tür und er stieg langsam aus, den Blick weiterhin auf den Alten fixierend. Auch, als er dann draußen stand, suchten seine Augen nach dem Mann. Er musterte ihn nachdenklich und als sich die Bahn wieder in Bewegung setzte, sah er ihm nach, bis er ihn nicht mehr sehen konnte.

Neuer Mut durchströmte ihn. Die Entschlossenheit hatte die Entmutigung verdrängt.

Er seufzte schwer, schwang den Rucksack nach hinten und ging los, um Hirayama zu finden! Und mit ihm das Gegengift!
 

~*to be continued*~

Um jeden Preis

Als er die Stufen aus dem U-Bahnschacht hinaufstieg, blieb er erst einmal stehen und schaute sich um. Die Gegend wirkte fremd auf ihn aber einen Laden, indem er sich einen Stadtplan besorgen könnte, würde er sicher auch hier finden. In schnellen Schritten ging er weiter und wurde nach wenigen Minuten fündig. Zu dem Plan kam noch eine Cola hinzu und kurz darauf saß er auf einer Wiese, nippte an dem kühlen Getränk und hatte den großen Plan vor sich ausgebreitet. Zuerst suchte er nach seinem Standort und als er ihn gefunden hatte, hielt er nach der gewissen Straße Ausschau. Er war nicht mehr der traurige und verzweifelte Junge, nein, so, wie er dort saß, könnte man meinen, er erhole sich vergnügt vom Schultag, nicht etwa, dass er auf der Suche nach einem Mann war, der als einziger die Fähigkeit besaß, seinem Freund das Leben zu retten.

Nach vorn gebeugt, studierte er den Plan, sein Zeigefinger fuhr gemächlich über das weiche Papier. Und dann wurde er fündig. Sogleich richtete er sich auf, beschattete die Augen mit der Hand und sah sich um. Und als er sich dann wieder dem Plan zuwandte, bemerkte er, dass er einen langen Weg vor sich hatte. Ohne zu murren oder zu zögern, grabschte er nach dem Plan, faltete ihn zusammen und kam auf die Beine, die Dose warf er in den nächsten Papierkorb. Anschließend machte er sich auf den Weg.

Er verlief sich nur zweimal, musste fünf Blöcke hinter sich lassen, um zehn Ecken biegen und viele Straßen überqueren. Hier war alles so verdammt unübersichtlich, dass er diesen Weg bald verfluchte. Doch bevor er noch richtig wütend werden konnte, trat er aus der letzten Gasse und erblickte ein großes Wohnhaus, schräg gegenüber seines Standortes.

Langsam öffnete er den Mund, ließ den Plan sinken und besah sich das Gebäude genauer. Erst nach wenigen Momenten wandte er den Blick ab, zog sich das Basekap zu Recht und wühlte in seiner Hosentasche nach dem Zettel, um die Adresse zu überprüfen. Als er ihn jedoch erneut überflog, wusste er: Hier war er richtig. Aufgeregt konnte er sich nicht nennen und doch begann sein Herz schneller zu schlagen. Als er an die Straße heran trat, fielen ihm zwei Männer auf, die in der Nähe der Eingangstür standen, Zeitung lasen und sich dabei gemütlich unterhielten.

Oh, die Polizei roch Joey bei drei Meilen gegen den Wind. Das hatte er seiner aufrührerischen Vergangenheit zu verdanken. Sie waren zwar in Zivil und doch flogen sie auf, sobald Joey sie entdeckte. Dieser ging weiter, ohne Aufsehen zu erregen. Es wäre nicht gut, wenn die Polizisten Verdacht schöpften. Ohne ihnen weitere Blicke zuzuwerfen, schlenderte er über die Straße und näherte sich der Eingangstür. Hoffentlich war sie offen.

Die Unsicherheit ließ er sich nicht ansehen und steuerte direkt auf sie zu. Die Polizisten blickten nur kurz auf und wandten sich dann wieder einander zu. Nun griff er nach dem Knauf, drückte sich gegen die Tür... und sie öffnete sich! Sofort ging er weiter und stieg die Treppen hinauf. Das Treppenhaus sah etwas ungepflegt und dreckig aus, hier gab es wohl nur Wohnungen für Menschen, die keine volle Geldbörse hatten.

Jeder Tür, an der vorbei kam, warf er einen kurzen Blick zu und besah sich das Klingelschild. Und nach einigen Augenblicken, in denen er höher und höher stieg, wurde er doch schon etwas nervös. Und da hoffte er, Hirayama würde nicht zu Hause sein. Doch so dumm konnte selbst er nicht sein. Wer einen Menschen vergiftete, musste damit rechnen, in Schwierigkeiten zu geraten. Sicher hatte er sich irgendwo versteckt. In der achten und somit vorletzten Etage, wurde er endlich fündig. Beinahe lief er an der Tür vorbei, doch sein Blick blieb an dem Klingelschild hängen und er hielt inne.

Hirayama!

Langsam kehrte er zu der Tür zurück und blieb vor ihr stehen. Er sah sich kurz um, dann neigte er sich nach vorn, legte das Ohr gegen das alte Holz und lauschte in die Wohnung hinein. Beinahe eine Minute verharrte er so, doch als er keine Geräusche vernahm, richtete er sich wieder auf, leckte sich nervös die Lippen und näherte sich den Treppen, um hinunterzuschauen. Doch dort kam niemand. Also machte er kehrt, hockte sich eilends auf den Boden und schwang den Rucksack nach vorn, an dem mit einem dicken Draht eine kleine Münze angebracht war. Er verlor keine Zeit, drehte den Draht auf und erhob sich mit ihm. Die Münze ließ er schnell in seiner Hosentasche verschwinden und dann sah er sich erneut um. Wenn er nun erwischt wurde, könnte es böse enden. Dann, nach einem kurzen Zögern, kauerte er sich vor die besagte Tür, bog den Draht zurecht und schob ihn vorsichtig in das Schlüsselloch. Konzentriert verengte er die Augen und begann den Draht langsam zu bewegen.

Die Dinge, die er früher in der Straßengang gelernt hatte, machten sich nun bezahlt. Er drehte ihn weiter, tastete und lauschte. Dann hielt er inne, rückte ihn ein Stückchen nach rechts und hob ihn höher. Und es machte "Klick". Sofort zog er den Draht zurück, grabschte hinterrücks nach seinem Rucksack und schob die Tür auf. Schnell schob er sich in die Wohnung, schloss sie hinter sich und ließ den Rucksack unter einem erleichterten Stöhnen fallen. Und dann sah er sich um. Er stand in einem kleinen ordentlichen Flur, an dem drei Türen anknüpften. Er musterte seine Umgebung nur kurz, dann ging er los, öffnete die erste Tür und lehnte sich in den dahinter liegenden Raum. Das war die Küche. Auch sie war sehr klein und spärlich eingerichtet, erweckte aber trotz alledem seine Neugierde. In sicheren Schritten trat er ein und begann alle Schubfächer aufzuziehen, alle Schränke zu öffnen. Er durchsuchte alles genau und achtete nicht darauf, ob dies oder das zu Boden ging. Er machte einen Mordslärm, und nach wenigen Minuten vertiefte er die Suche, durchwühlte alles und machte sich nichts daraus, dass der ein oder andere Teller zu Bruch ging. Hirayama hatte Kaiba vergiftet und nun verwüstete er seine Wohnung, was noch nicht bedeuten sollte, dass sie somit quitt wären.

Irgendwann hatte er die ganze Küche im wahrsten Sinne des Wortes auf den Kopf gestellt. Und in ihm staute sich allmählich eine große Wut an. Murrend kehrte er in den Flur zurück und machte sich über das Bad her. Im Medikamentenschrank wühlte er mit besonderer Aufmerksamkeit. Tabletten schmiss er einfach in die Badewanne, Gläschen und sonstiges ebenfalls. Für das Bad benötigte er nur eine kurze Zeit, da es alles andere als groß war. Verwüstet ließ er auch diesen Raum zurück und riss die nächste und somit letzte Tür auf. Er betrat einen Raum, der als Schlafzimmer und gleichzeitig als Wohnraum benutzt zu werden schien. So sah er zumindest aus. Im Türrahmen blieb Joey erst einmal stehen, stützte die Hände in die Hüften und atmete tief durch. Da gab es einen Schreibtisch, eine Kommode, ein Bett, ein Sofa und noch anderen Kram, in dem man viel verstecken konnte. Auf geht's!

Der Schreibtisch war es, mit dem Joey begann. In den Fächern fand er viele Akten, Schreiben und Zeugnisse, Auszeichnungen, die er nur missfällig belachen konnte. Aufgebracht rupfte er die Blätter aus den Heftern, zog das ganze Gewirr aus den Fächern und warf es einfach hinter sich. Und nachdem er den Schreibtisch seiner Last entledigt hatte, hockte er sich in den Blätterhaufen und überflog jeden Zettel. Er suchte nach einem Rezept, oder einer Anleitung. Doch das wäre ja zu schön gewesen. Er wurde nicht fündig. Er stieß einen argen Fluch aus, bahnte sich einen Weg durch die Blätter und krabbelte zur Kommode. Doch dort herrschte beinahe gähnende Leere. Mit letzter Kraft stellte Joey den Rest des Zimmers auf den Kopf und wandte sich dann der Pinnwand zu, die seine letzte Hoffnung trug. Nur flüchtig besah er sich die vielen kleinen Zettel, doch keinen von ihnen konnte er gebrauchen. Er stöhnte, wurde dann jedoch auf ein Foto aufmerksam, das von einem größeren Blatt zur Hälfte verdeckt gewesen war. Dieses Blatt schob er zur Seite und was für eine Überraschung war es, als er einen jungen Mann auf dem Foto erkannte. Ein Blonder, etwa im selben Alter wie er, wenn nicht sogar älter, der breit grinste. Joey zog die Augenbrauen zusammen, runzelte die Stirn und neigte sich nach vorn, um ihn genauer unter die Lupe zu nehmen. Wer, wenn nicht der Sohn Hirayamas, war auf diesem Bild zu sehen?

"Das gibt es doch nicht!" Joey grabschte danach und zog es von der Pinnwand.

Hirayama hatte einen Sohn?

Wieder besah er es sich. Diesmal jedoch voller Nachdenklichkeit, bevor er das Foto in seiner hinteren Hosentasche verstaute. Das war interessant. Bedauerlicherweise verriet ihm diese Tatsache jedoch nicht, wo sich Hirayama versteckt hielt.

Als er sich dann nach dem großen Misserfolg auf das Sofa fallen ließ und die Beine von sich streckte, befielen ihn keine Ängste. Nein, er grübelte in aller Ruhe, wo er ihn am nächsten suchen sollte.

Die Arme ließ er müde baumeln und sein Blick schweifte gemächlich durch den Raum. Egal, wo er die Suche fortsetzen würde, er sollte es schnell tun. Immerhin war es schon in den späten Mittagsstunden Uhr. Er schloss die Augen, stöhnte und richtete sich auf. Doch da fiel sein Blick auf eine Flasche Champagner, die neben dem kleinen Fernseher stand. An der Flasche war nichts ungewöhnliches, doch ein kleines Kärtchen, das an dem Korken hing, erweckte seine Neugierde. Er erhob sich, schob sich an dem Tisch vorbei und griff nach der Flasche. Er betrachtete sich kurz das Etikett, drehte sie und klappte dann das kleine Kärtchen auf.

"Billiger Zeug", brummte er und las die vergoldete Schrift, die ebenso billig wirkte.

« Mit besten Grüßen Ihres Stammhotels – Gischou »

Gischou?

War das das Hotel oder der Besitzer?

Grübelnd ließ Joey die Flasche sinken und sah sich um. Stammhotel? Aber natürlich! Wo würde man sich am sichersten fühlen, wenn man sich für eine Zeit verstecken musste?

Ein Grinsen zog an Joeys Mundwinkel.

"Japp!" Mit einer schnellen Bewegung, riss er das Kärtchen ab, stellte die Flasche an ihren Platz zurück und verließ den Raum, der aussah, als wäre ein Tornado durchgefegt. Im Flur schwang er den Rucksack auf den Rücken und stopfte das Kärtchen ebenfalls in seine Hosentasche. Dann griff er vorsichtig nach dem Knauf, drehte ihn zur Seite und öffnete die Tür einen Spalt weit, um erst einmal in das Treppenhaus zu lugen. Doch dort schien so wie so kein Leben zu existieren und so verließ er schnell die Wohnung, schloss die Tür hinter sich und machte sich gemütlich auf den Weg zum Gischou, oder wie dieser Laden auch immer hieß. Und wenn der Gesuchte dort nicht aufzufinden war, dann würde er sich bei den Angestellten, die ihn kannten, informieren, ob Hirayama gern mal einen hob. Und wenn dem so war, würde er fragen, wo er dies am liebsten tat. Er würde überall nach ihm suchen, war sogar bereit, durch ganz Domino zu laufen. Doch finden würde er ihn, es war nur eine Frage der Zeit.
 

Durch ganz Domino laufen?

Als sich Joey nahe dem Haus auf einer Bank niederließ und den Stadtplan aufrollte, verfinsterte sich seine Miene. Das Gischou war nicht darin verzeichnet. Dabei zeigte der Plan sogar Kneipen!

"Oh... nein." Joey ließ den Plan sinken und rutschte tiefer. Das hieß ja, dass dieses Gischou nicht einmal in Domino lag. Herrje, er hätte es sich wirklich leichter vorgestellt. Seine Beine taten weh und er war müde. In den letzten Tagen hatte er viel durchmachen müssen und hatte anschließend nicht einmal viel Schlaf gefunden.

Na gut, dann ging die Reise eben weiter. Nachdem er sich wenige Minuten ausgeruht hatte, erhob er sich, stopfte die nutzlose Karte in seinen Rucksack und suchte nach einem Laden, um dort nach einem Internet-Cafe zu fragen. Irgendwie musste er das Gischou ja finden. Und so klein und hässlich es auch sein mochte, Werbung im Netz machte es bestimmt.

"Billige Absteige für arme Bettler" Joey konnte es sich lebhaft vorstellen. Glücklicherweise war schnell ein Laden gefunden, doch der Besitzer, der nicht allzu nüchtern wirkte, hatte nicht einmal die leiseste Ahnung, was ein Internet-Cafe überhaupt war. Also ging Joey weiter und brauchte fast eine halbe Stunde, um endlich eine zufrieden stellende Antwort zu erhalten.

Und Tada- das nächste Internet-Cafe könnte er nach einem zweistündigen Fußmarsch erreichen. Da er das jedoch nicht vorhatte, setzte er sich in die nächste U-Bahn und hoffte auf gut Glück, dass sie ihn an sein Ziel brachte.

Während die Bahn fuhr und fuhr, schwanden allmählich seine Nerven.

Jetzt nahm er einen verdammt langen Weg auf sich und würde verdammt viel Geld ausgeben, nur, um zu erfahren, wo sich dieses Gischou befand. Und wissen, ob sich Hirayama wirklich dort aufhielt, das tat er schon gar nicht. Wäre es nicht eine Ungerechtigkeit, wenn er wieder keinen Erfolg genießen könnte?

Das Internet-Cafe lag in einem etwas abgelegenen Viertel und Joey fürchtete um sein Leben, als er die Augen nach diesem Cafe offen hielt. Und nachdem er vier Passanten befragt hatte, konnte er endlich von der gefährlichen Straße verschwinden und hatte sein Ziel erreicht.

Zu seiner Enttäuschung, an die er sich jedoch allmählich gewöhnte, gab es da nur zwei kleine verqualmte Räume und knapp fünf Computer. Der Kassierer war grimmig und machte jedem Angst. Und die Cola, die hier verkauft wurde, würde Joey später sicher noch Alpträume bescheren. Als er sich vor einem Computer niederließ, hoffte er, dass sein Wissen über diese Maschinen genügte. Das Internet gestaltete sich als harte Mutprobe und bevor Joey endlich auf den rechten Weg fand und mit der Suche beginnen konnte, verging schon so einige Zeit. Und in dieser Zeit hatte er so viel geflucht, dass der Kassierer noch bösartiger dreinblickte.

Kurz rückte Joey an dem Basekap, dann rutschte er auf dem Stuhl hin und her und gab das Wort ein, das ihn als einziges weiterbringen konnte. "Gischou". Kurz darauf konnte er sich eine langweile Sanduhr betrachten. Nach wenigen Sekunden sehnte er sich nach dem hässlichen Kaninchen und wartete darauf, dass die noch hässlichere Sanduhr endlich zu Bruch ging. Doch das tat sie nicht. Sie verschwand einfach. Wie phantasielos, der Bildschirm jedoch, flackerte hell auf und öffnete eine Seite. Sofort neigte sich Joey nach vorn und biss sich auf die Unterlippe. Voilá! Er erblickte ein kleines Haus, das unauffällig zwischen größeren Wohnblöcken klebte. Die Fassade war grau vor Alter und die hölzernen Fensterläden windschief. Das musste das Gischou sein, das Stammhotel, in dem sich Hirayama wohl fühlte. Na herrlich! Joey wurde schon bei dem Anblick schlecht. Nach wenigen Sekunden wandte er den Blick ab, kramte in seinem Rucksack und zückte einen Kuli. Dann grabschte er auch nach einem danebenliegenden Blatt, zog es zu sich und notierte sich die Adresse. Er schrieb sich alles auf, was man darüber wissen musste, wurde dann jedoch auf einen kleinen Plan aufmerksam, der unter den Beschreibungen abgebildet war.

Seine Augen weiteten sich, gepackt vom Entsetzten.

Wo zu Hölle war denn das?!

Dass es nicht in Domino lag, wusste er ja schon... aber so etwas?

Unter einem erschöpften Stöhnen ließ er den Kopf hängen und jammerte leise vor sich hin.

"Wenn's dir hier nich gefällt, kannste woanders hingehn!", brüllte da der Kassierer, der sein Benehmen mitbekommen hatte.

"Man." Joey ließ sich nach vorn sinken und stützte die Ellbogen auf den Tisch. Die Stirn stützte er die in Handflächen und dann stöhnte er wieder und schloss die Augen. "Wissen Sie vielleicht, wo Minjoko liegt?", rief er dann zurück.

"Min was?!"

"Minjoko!", erwiderte er am Ende seiner seelischen und physischen Kräfte. "Ich muss dahin!"

"Warte!"

"Ich geh nich weg." Joey wurde kleiner und kleiner, sank in sich zusammen und ließ den Kopf hängen. Leise Geräusche ertönten aus dem Vorraum, Geraschel. Suchte der bissige Kassierer wirklich Minjoko für ihn? Müde lugte er zur Seite und schon erhielt er eine Antwort. Diese Antwort jedoch, wurde von einem schadenfrohen Lachen begleitet.

"Ungefähr neunzig Kilometer nördlich von hier!“

"Neunzig Kilometer!" Joey fuhr in die Höhe. "Meinen Sie das ernst?!"

"Nein, es sind dreiundneunzig!“

"Jubel, Trubel, Heiterkeit." Joey rollte mit den Augen, rutschte vom Stuhl und hob den Rucksack auf. Den Zettel knietschte er mit in die Hosentasche. "Ist hier in der Nähe zufällig ein Bahnhof?"

"Willst du jetzt dahin?!" Der Kassierer lehnte sich in den Raum und starrte ihn mit großen Augen an.

"Hab ich ne andere Wahl?" Joey zog sich Basekap von Kopf, fuhr sich über das Haar und setzte es wieder auf. "Also, bitte Sagen Sie mir, dass hier so etwas wie ein Bahnhof existiert."

Der Mann runzelte die Stirn, grunzte und wandte sich ab.

"Klar gibt es denn", brummte er dann, als er sich wieder hinter der Theke niederließ und eine Zigarettenschachtel zu sich zog. "Is nen langer Spaziergang bis dahin."

"Natürlich." Joey nickte lahm. "Etwas anderes habe ich nicht erwartet."

"Musst nur zur großen Hauptstraße finden, die gehste nach rechts runter und nach einigen Blöcken biste da."

"Und", Joey trat näher und stützte sich auf die Theke, "wissen Sie zufällig, ob ein Zug direkt nach Minjoko fährt?"

Der Mann klemmte sich eine Zigarette zwischen die dicken Lippen, starrte ihn skeptisch an und tastete unter der Theke nach dem Feuerzeug. Aber natürlich! Warum sollte er denn Glück haben? Er verdrehte die Augen und stützte die Stirn auf das glatte Holz.

"Direkt nach Minjoko", hörte er da die Stimme des Kassierers. "Ja, da fährt nen Zug."

"Ja??" Joey blickte auf.

"Ich fahre oft mit dem Zug. Deshalb weiß ich es." Der Mann gab die Suche auf, grunzte erneut und warf einen knappen Blick zur Uhr. "Wenn du ihn erwischen willst, solltest du flitzen. Er kommt in zehn Minuten. Und der nächste erst eine Stunde später."

"Was?!" Joey verzog das Gesicht. "Wie soll ich das denn schaffen?!"

Plötzlich wirkte der dicke Mann außerordentlich nett. Entweder hatte er Mitleid mit Joey, oder er freute sich, dass sich ein menschliches Wesen seit langem in seinen Laden verirrt hatte. Wie auch immer. Er meinte, dass er es durchaus schaffen könnte, erklärte ihm kurz den Weg und wünschte ihm viel Glück. Und Joey sprintete los. Er hatte keine Lust, eine ganze Stunde auf diesen blöden Zug zu warten, wollte die Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen. Glücklicherweise war mit der Beschreibung des Schweinchens etwas anzufangen, und so erreichte er die besagte Hauptstraße nach nur drei Minuten. Und sofort bog er nach rechts und rannte weiter. Wenn diese ganze Sucherei nichts bringen würde, wäre er noch deprimierter! Ganze fünf Minuten rannte er, schlängelte sich durch Menschenmengen und erreichte nach insgesamt acht Stunden den Bahnhof. Mit schwerem Atem und brennenden Lungen sprang er die endlos erscheinenden Stufen hinauf und als er dann das Gleis fand und zum Fahrscheinautomat sprintete, da tauchte der Zug schon in der Ferne auf.

"Verflucht!" Hektisch kramte er in der halbwegs freien Hosentasche und drückte währenddessen auf die Knöpfe. Immer wieder warf er dem Zug nervös Blicke zu... und der gottverdammte Automat arbeitete verflixt langsam! Und als der Zug neben ihm zum Stehen kam, da warf er gerade erst das Geld ein. Und nebenbei trat er von einem Bein auf das Andere, drehte sich zum Zug um und fluchte was das Zeug hielt. Letzten Endes grabschte er hastig nach dem Fahrschein, entwertete ihn und erreichte die Tür in wenigen Sätzen. Er schob sich gerade noch hindurch und dann stand er da, schnappte röchelnd nach Luft und stützte sich auf die Knie. Und nachdem er wieder Luft bekam, warf er sich auf einen Sitz und lehnte sich erschöpft zurück.

Geschafft!

Es vergingen nur wenige Minuten, bis der Kontrolleur vorbeikam und sich nach der Fahrkarte erkundigte.

"Der Zug fährt doch nach Minjoko, oder?", erkundigte er sich nebenbei.

Der Mann jedoch, runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf.

"Nein, das ist die falsche Richtung."
 

Es dauerte über eine Stunde, bis Joey endlich im richtigen Zug saß. Und da legte er sich einfach längst und döste etwas. Dieser ganze Stress war zuviel für ihn.

Er wollte doch nur Hirayama finden!

Hatte er das verdient?!

Wenn er es jedoch recht bedachte, mutierte er lieber zu einem psychischen Frack, als Kaiba sterben zu lassen. Also nahm er es auf sich und jammerte nur im Stillen über die Ungerechtigkeit dieser Welt.

Er fuhr knapp zwei Stunden und als er endlich Minjoko erreichte, war es früh am Abend. Während der Fahrt hatte er sich endlich erholen können und war nun halbwegs munter und gestärkt.
 

An die ersten Passanten, die er traf, wandte er sich mit einigen Fragen und anscheinend war das Gischou nicht allzu bekannt. Also trödelte Joey weiter und nachdem er sich an drei weitere Spaziergänger gewandt hatte, erhielt er einen Einblick. Und der Beschreibung nach, musste sich dieses tolle Hotel hier ganz in der Nähe befinden.

"Kaum zu übersehen", hatte der letzte Mann grinsend gesagt.

Kaum zu übersehen?

Als Joey nach knapp einer viertel Stunde stehen blieb und auf die Hütte starrte, bemerkte er, dass dieser Ausspruch wohl ironisch gemeint gewesen war.

Der Name ‚Gischou’ zierte ein kleines dreckiges Haus, mit nur zwei Stöcken und wenigen Fenstern. Auf dem ersten Blick sah es nicht einmal nach einem Hotel aus, sondern nach irgendeiner gottverdammten Scheune!

Eine ganze Zeit blieb Joey auf der anderen Straßenseite stehen und besah sich das Gebäude mit gemischten Gefühlen.

War Hirayama wirklich hier?

Hatte er den Weg sinnlos auf sich genommen?

Und vor allem: Was sollte er sagen, wenn er dem Mann wirklich gegenüberstand?

Er versuchte sich zu entspannen, schüttelte seine Beine und zog sich das Basekap vom Kopf. Darüber konnte er nachdenken, wenn er der Zeitpunkt gekommen war! Jetzt musste er ihn erst einmal finden.

Er war sehr nervös, als er sich dann in Bewegung setzte und sich dem kleinen schmuddeligen Eingang näherte. Dieser Eingang bestand aus einer Madenzerfressenen Tür und verschmutzten Gläsern. Zwei alte Sockel kämpften verzweifelt darum, alles etwas hübscher wirken zu lassen. Ohne auf sie zu achten, stieg Joey die eine Stufe hinauf und hielt vor der Tür erneut inne. Er atmete durch, hob die Schultern und hielt den Atem an. Dann drückte er die Tür mit einer lässigen Bewegung auf, grinste und trat ein. Der Empfangsraum war kaum als so einer zu erkennen, wurde augenscheinlich auch als Küche und Wohnzimmer benutzt. Hier und da standen alte Billardtische, Dartscheiben hingen an der Wand. Der Raum war nicht allzu groß und Joey musste die Rauchschwaden, die schwer in der Luft hingen, zur Seite fuchteln, um die kleine Empfangsecke zu entdecken, die sich direkt neben der schmalen Treppe befand, die nach oben führte.

Da gab es einen hohen langen Tisch, wie man ihn aus den Filmen kennt. Und hinter diesem Tisch kauerte ein fetter Mann... wie man ihn aus den Filmen kennt. Verbissen und argwöhnisch funkelte er Joey entgegen und dieser kämpfte mit seinen weichen Knien, während er näher trat und das Grinsen aufrecht hielt. Er gab sich locker, doch in seiner Brust raste das Herz.

Vor dem Tisch blieb er stehen, stützte sich auf ihn und lugte zu dem Mann, der ihn an den Typen aus dem Internet-Cafe erinnerte. Nur noch borstiger. So borstig wie ein Stachelschwein, fettige Haare und eine schmierige Zigarre zwischen den runzeligen Lippen. Und seine Augen... herrje, wenn Blicke töten könnten. Er wünschte Joey nach draußen, bevor dieser etwas sagte.

"Hi." Nun hob er die Hand und sah sich flüchtig um. "Wissen Sie, es ist so. Ich bin ein Kumpel von Hirayamas Sohn, kann diesen aber nicht finden."

Somit verstummte er und wartete darauf, dass der Mann etwas sagte. Doch dieser nahm nur einen langen Zug, blies dicken Rauch aus und stierte ihn weiterhin an.

"Ich weiß, dass Herr Hirayama des Öfteren hier ist." Joey ließ die Hand auf den Tisch fallen und rollte mit den Augen. "Wenn es jetzt der Fall ist, könnte ich ihn vielleicht fragen, ob..."

"Er is nich hier!" Unterbrach ihn da der schmalzige Typ mit einem seltsamen, ausländischen Akzent. "Verschwinde!"

Joey weitete mit einem gespielten Entsetzen die Augen und öffnete auch den Mund. Dann schüttelte er schnell den Kopf.

"Man!", stieß er aus. "Warum sind Sie so gemein? Ich habe Ihnen nur eine normale Frage gestellt."

Der Mann spuckte zur Seite und grunzte, wie der Kassierer im Internet-Cafe.

"Und sind Sie wirklich sicher, dass er nicht hier ist? Ich mache mir große Sorgen und nur er kann mir vielleicht weiterhelfen."

"Er - is - nich - hier!", wiederholte der Mann mit Nachdruck. "Mach dass du wegkommst, Drecksbengel!"

"Oh... man." Erschöpft ließ sich Joey auf den Tisch sinken und stöhnte laut. Er spürte, wie der scharfe Blick des Mannes an ihm haftete, schenkte dem jedoch keine Beachtung und jammerte leise. Der Mann sagte den netten Satz noch einmal und dann ertönte aus einem der Hinterräume ein schriller Schrei.

"Reeeeinhardt!?"

Joey erbebte, als er diese Stimme vernahm und der Mann grunzte erneut.

"Kommste ma kurz?!"

"Jaaa!" Entnervt erhob sich der Dicke, schmiss die Zigarre zur Seite und warf Joey einen gefährlichen Blick zu. "Halt endlich de Klappe, Edeltraut! Und du!" Er stieß mit dem Zeigefinger nach Joey. "Ich sach's dir nich noch ma!"

"Bin schon weg." Beschwichtigend hob Joey die Hände und trat einen Schritt zurück. Er machte sich auf den Weg zur Tür und der dicke Mann verschwand irgendwo in einem anderen Zimmer. Und sobald er nicht mehr zu sehen war, kehrte Joey in Windeseile zu dem hohen Tisch zurück, sprang hoch, legte sich quer auf das raue Holz, grabschte hastig nach dem Gästebuch und drehte es zu sich. Dieser Affe konnte ihm erzählen, was er wollte! Hirayama war hier, das wusste er, seit er diesen Laden betreten hatte! Immer auf die gefährliche Tür achtend, blätterte er weiter und suchte nach dem gewissen Namen. Er leckte sich nervös die Lippen, lugte wieder zur Seite und winkelte die Beine an. Und überrascht konnte er sich nicht nennen, als er fündig wurde. Hirayama! Schnell glitt sein Finger über die Zeile. Zimmer 14! Sofort drehte er das Buch wieder um, schwang sich von dem Tisch und sprang in wenigen Sätzen die schmale Treppe hinauf. Er war äußerst leise und als er die erste Etage erreicht hatte, hielt er hinter der Ecke erst einmal inne und lauschte.

Er hörte, wie sich der nette Reinhardt mit seiner lieblichen Frau unterhielt, dann zurückkehrte und sich stöhnend auf seinem Platz niederließ. Und sobald unten nur noch das gewohnte Grunzen ertönte, wandte er sich langsam ab und schlich durch den Flur. Vorbei an Zimmer 11, 12, 13...

Vor dem Nächsten blieb er stehen, rieb sich nervös den Oberarm und sah sich um.

Er konnte nicht glauben, dass er es wirklich geschafft hatte!

Ja, er hatte ihn gefunden!

Und er würde nicht gehen, bevor er das Gegengift hatte! Wie sollte er es nun anstellen? Er hatte keine Angst, dem Mann gegenüberzutreten. Er war sehr schmächtig und sicher nicht allzu stark - er würde keine Probleme mit ihm haben. Doch etwas anderes hielt ihn zurück.

Was war, wenn Dr. Johnson Recht hatte und gar kein Gegengift existierte?

Sollte er erfolglos nach Domino zurückkehren und warten, bis es mit Kaiba zu Ende ging?

Er leckte sich die Lippen, räusperte sich leise und hob langsam die Hand.

Er würde es herausfinden!

Nun wollte er es nur noch hinter sich bringen! Er hatte einen verdammt langen Weg hinter sich und war ganz schön sauer auf den Grund seiner langen Reise!

Zaudernd bewegte er die Finger vor der Tür, dann riss er sich zusammen und kratzte laut am alten Holz. Er hatte keine Lust, dass der nette Mann vom Empfang auf ihn aufmerksam wurde und ihm einen kleinen Besuch abstattete. Denn im Gegensatz zu Hirayama, schien er eine große Kraft in den Fäusten zu haben.

Nachdem er auf sich aufmerksam gemacht hatte, ließ er die Hand sinken, stützte sie in die Hüfte und wartete angespannt. Und nach wenigen Momenten ertönten hinter der Tür Schritte. Ein stechender Schmerz durchzuckte seinen Körper, obgleich er darauf gehofft hatte.

"Wer ist da!", meldete sich eine bekannte Stimme.

Die Schritte verstummten hinter der Tür. Joey jedoch, antwortete nicht, hob die Hand erneut und kratzte. Daraufhin folgte ein lautes Stöhnen und ein Schlüssel raschelte. Joey biss die Zähne zusammen und hielt den Atem an. Und kurz darauf wurde die Tür aufgerissen. Er reagierte sofort, stürzte auf den Mann zu, presste die Hand auf seinen Mund und stieß ihn in das kleine Zimmer zurück. Und noch während Hirayama stolperte, schloss er die Tür hinter sich.

Dann drehte er sich um und musterte den Mann, der an Kaibas Leiden die Schuld trug, mit messerscharfem Blick. Hirayama erschrak höllisch, schrie leise auf und wich zurück, obgleich Joey knapp zwanzig Jahre jünger war, als er. Dieser sah ihm kurz nach, dann folgte er ihm und blieb erst stehen, als der entsetzt Mann hinterrücks gegen einen Tisch stieß.

"Was... was machst du hier…?" Hirayama schnappte nach Luft, presste sich gegen die Kante und lehnte sich mit geweiteten Augen zurück. "Du lebst?"

"Aber natürlich lebe ich." Joeys Miene verfinsterte sich zusehends. Allmählich wirkte er wie eine Raubkatze, die ihre Beute fixierte. "Hat Katagori Ihnen etwas anderes erzählt?"

"Ich...", Hirayama schob sich hektisch am Tisch vorbei und trat zurück, bis ihn die Wand stoppte, "... was willst du von mir!"

"Meinen Sie das etwa ernst?", erwiderte Joey und zwang sich ein Grinsen auf. "Was werde ich wohl von Ihnen wollen."

"Wie hast du mich gefunden?!", schrie Hirayama weiter und lehnte sich verkrampft gegen die hässliche Tapete.

"Ist das wichtig?" Joey stöhnte. "Also, geben Sie es mir oder ich hole es mir mit Gewalt!"

"Was willst du denn?!" Hirayama hatte vor einem Siebzehnjährigen wirklich Angst. War er nun ein Weichei oder nicht? Joey verachtete diese Feigheit und genoss seinen Anblick, der richtig jämmerlich war. So trat er wieder vor und Hirayama duckte sich zur Seite.

"Sie sind daran schuld, dass mein Freund leidet! Ein schönes Gift haben Sie da entworfen! Es wirkt exzellent, meine Hochachtung."

"Katagori hat mir viel geboten!", warf Hirayama verstört ein. "Ich musste es tun! Ich brauche das Geld!"

Joey könnte sich sofort auf ihn stürzen und das einfordern, worauf er aus war. Doch nun wurde er neugierig und legte den Kopf schief.

"Wie viel?"

"Hä?"

"Wie viel hat er Ihnen geboten!", erklärte Joey entnervt.

"Ich weiß nicht..."

"Wie viel?!" Joey hatte keine Lust auf lange Gespräche, wollte sich nur noch über ihn lustig machen.

"O-okay!" Hirayama hob schützend die Hände über den Kopf. "Dreißigtausend! Wenn Kaiba tot ist!"

"Drei..." Joey stand der Mund offen. Er starrte ihn kurz überrascht an, brach dann jedoch in leises Lachen aus und rieb sich die Stirn. "Dreißigtausend? Das ist doch Blödsinn! Katagori ist arm wie eine Kirchenmaus! Glauben Sie wirklich, dass er so viel Geld hat?"

Er lachte weiter, belachte die Blauäugigkeit dieses Mannes. Dieser jedoch, war sich sicher, dass Katagori das Geld besaß, wollte es vielleicht auch einfach nicht wahr haben. Also nickte er zögerlich.

"Hat er Ihnen eine Anzahlung gegeben?", erkundigte sich Joey, nachdem er sich beruhigt hatte. Und als Hirayama den Kopf schüttelte, brach er erneut in schadenfrohes Gelächter aus. "Sie wurden von vorne bis hinten verarscht! Verstehen Sie, Sie werden die Bezahlung nie erhalten und Katagori wird weg sein, bevor Sie ihn aufsuchen können!"

"Was...?" Langsam richtete sich der Mann auf. "Aber..."

"Sie haben Recht, es ist blödsinnig über die Dinge zu sprechen, die Sie selbst hätten herausfinden können!" Joey verschränkte die Arme und begann ihn wieder mit seinen Blicken zu durchbohren. An seinen Lippen zerrte ein humorloses Grinsen. "Für Geld tun Sie alles, hm?"

"Nein!", erwiderte Hirayama sofort, seine Stimme zitterte. "Ich brauche es!"

"Und es ist Ihnen völlig gleichgültig, ob Sie ein unschuldiges Leben auslöschen?", stocherte Joey gnadenlos weiter. "Kennen Sie Kaiba? Hegen Sie einen privaten Gräuel gegen ihn?"

Ein scheues Kopfschütteln beantwortete seine Frage. Er fuhr vorerst nicht fort, starrte den Mann wutentbrannt an und grübelte. Und dann, nach wenigen Augenblicken, griff er hinterrücks in seine Hosentasche, zog das Foto hervor und streckte es ihm entgegen. Hirayama erschrak höllisch, als er seinen Sohn erblickte. Er schnappte nach Luft und sein Gesicht verlor binnen weniger Sekunden an Farbe.

"Wo hast du das her!", krächzte er und wollte danach schnappen, doch Joey stieß ihn zurück an die Wand.

"Das ist Ihr Sohn, nicht wahr?" Seine Miene verfinsterte sich weiterhin. "Wie würden Sie es finden, wenn ihn jemand umbringt, nur weil er etwas Geld braucht?!"

"Ist er..."

"Ja, keine Ahnung. Ich kenne ihn überhaupt nicht!" Joey ließ das Foto sinken. "Sie haben einen großen Fehler begangen, Yasojiro Hirayama! Wie wollen Sie sich da wieder rausreden?"

"Ich..." zögerlich löste sich Hirayama erneut von der Wand und trat einen Schritt vor. Er starrte Joey flehend an und begann mit den Händen zu gestikulieren. "Er hat mich gezwungen!"

"Natürlich!" Joey rollte mit den Augen.

"Bitte!!" Plötzlich ließ sich Hirayama vor ihm auf die Knie sinken. "Ich gebe dir das Gegenmittel! Aber bitte lass mich gehen!! Ich habe einen Sohn!"

"Und das fällt Ihnen erst jetzt ein?", antwortete Joey kühl, es fiel ihm schwer, die Freude über diese äußerst positive Neuigkeit zu unterdrücken!

Er hatte das Gegenmittel!

Kaiba würde leben!!

Der Mann ließ in der Zwischenzeit den Kopf sinken und jammerte leise vor sich hin. Er wankte von einer Seite zur Anderen und erntete einen verächtlichen Blick. Doch plötzlich warf er sich nach vorn und schlug sich in Joeys Bein. Er sprang ihn regelrecht an und Joey stürzte. Er versuchte, sich irgendwo festzuhalten, doch es missglückte und er schlug hart auf dem Boden auf. Dort verblieb er jedoch nicht lange. Sofort begann er sich zu räkeln und richtete sich auf.

"Du wirst mein Leben nicht zerstören!!" Bevor er aufrecht sitzen konnte, warf sich Hirayama erneut auf ihn, beförderte ihn auf den Boden zurück, hockte sich auf ihn und umklammerte seinen Hals mit beiden Händen. "Ich werde nicht zulassen, dass du das tust!!"

"Aber Sie dürfen die Leben Anderer zerstören, ja?!" Verbissen setzte sich Joey zur Wehr. Kurz versuchte er, die Hände von seinem Hals zu reißen. Als dies misslang, stieß er sich mit aller Kraft ab und rollte sich zur Seite. Hirayama stürzte, seine Hände ließen Joey los und dieser sprang sofort auf. Er war schneller als Hirayama, holte weit aus und streckte ihn mit einem saftigen Schlag ins Gesicht nieder. Unter einem lauten Stöhnen kippte Hirayama um und Joey stieg ihm nach, beugte sich hinab und packte ihn grob am Kragen.

Er zog ihn mit einem Ruck hoch und ballte die Hand erneut zu einer Faust, bereit, zuzuschlagen und das Gesicht noch mehr zu verunstalten. Doch in dieser unterwürfigen Lage begann Hirayama sofort wieder zu winseln. Verängstigt hielt er die Arme vor das Gesicht und bettelte. Rasend vor Wut neigte sich Joey über ihn, der Griff im Kragen des Mannes verhärtete sich, bis dieser noch lauter winselte.

"Bitte! Bitte tu mir nichts!!"

"Du verdammter...!" Joey biss die Zähne zusammen, sein Gesicht zuckte vor Aufgebrachtheit. "Sie wollen also, dass ich Sie gehen lasse?! Sie sind doch verrückt!!"

"Bitte!" Hirayama begann sich zu räkeln. "Ich gebe dir das Gegengift!!"

"Wo ist es?!" Joey wollte es sofort haben, um sich sicherer zu fühlen. Er wusste nicht, wann Hirayama die Vernunft packte, was noch alles passieren könnte. Zitternd hob der Mann die Hand und wies auf eine Jacke, die auf dem Bett lag.

"In der rechten Tasche!", ächzte er.

Joey warf einen vorsichtigen Blick zu dieser Jacke und wandte sich dann wieder an ihn.

"Wenn es dort nicht ist, können Sie etwas erleben!", fauchte er, bevor er Hirayama grob auf den Boden zurückstieß, sich abwandte und auf die Jacke zueilte. Hastig grabschte er nach ihr und suchte nach den Taschen. Hinter ihm richtete sich der Mann stockend auf. Endlich wurde Joey fündig, griff in die Tasche hinein und ertastete wirklich etwas! Sofort fasste er danach und zog die Hand zurück. In dieser hielt er eine kleine Ampulle, die eine durchsichtige Flüssigkeit enthielt.

Wie vom Blitz gerührt, starrte Joey sie an.

War das das Gegengift?

Er konnte sich kaum bewegen, das Glück durchflutete seinen Körper rasend schnell.

War seine Suche nun beendet?

War das das Mittel, das Kaiba retten konnte?!

Er musste nach Domino zurück!

Er musste zu ihm!

In dieser Sekunde wurde ihm ein Stuhl gegen den Rücken geschlagen. Er zersplitterte und Joey stieß ein heiseres Ächzen aus, stolperte nach vorn und fiel auf das Bett. Die Ampulle ließ er unbedacht los und so rollte sie scheppernd über den Boden. Glücklicherweise war der Stuhl sehr morsch gewesen und Joey war kaum verletzt. Nur der Schock steckte noch in all seinen Gliedern. Als sich Hirayama schnell bückte, nach der Ampulle griff und zur Tür rannte, rollte er sich mit letzter Kraft zur Seite und sprang auf. Er hatte das Gegengift bereits in der Hand gehalten! So schnell würde er nicht aufgeben, nun, da er dem Ziel so nahe war!

Zuerst strauchelnd, dann sicherer, folgte er Hirayama. Dieser riss nun die Tür auf und sprang in den Flur hinaus. Joey verfolgte ihn in großen Sätzen, und bevor er ebenfalls das Zimmer verließ, grabschte er eilig nach einer großen Vase. Dann schlitterte er aus der Tür und sah Hirayama, der die Treppe fast erreicht hatte. Ohne zu zögern, holte er weit aus und schmiss ihm die Vase nach. Sie traf ihn am Kopf, splitterte und beförderte den Mann sicher auf den Boden. Und noch während er sich räkelte und benommen stöhnte, erschien Joey neben ihm, versetzte ihm einen Tritt in die Rippen und wurde dann auf die Ampulle aufmerksam, die zwischen den Scherben lag. Sofort trat er auf sie zu, doch da krallte sich eine dürre Hand um sein Fußgelenk und er stolperte nach vorn. Er sprang mitten in die Scherben und unter seinen Schuhen knackte und knirschte es laut. Nicht auf die Hand achtend, blieb er stehen und ließ stockend den Kopf sinken.

Er war nicht auf die Ampulle getreten, oder?!

Langsam öffnete er den Mund, Hirayama lachte mit letzter Kraft. Panisch hob Joey den rechten Fuß, schüttelte die Hand ab und starrte auf die Scherben. Da war nur das Keramik. Schnell drehte er sich um und trat noch einmal zu, damit Hirayama endlich den Mund hielt. Dann hockte er sich eilig hin und begann in den Scherben zu tasten.

"Verflucht noch mal!" Seine Bewegungen wurden immer hektischer, Schweiß bildete sich auf seiner Stirn.

Das konnte doch nicht wahr sein!!

Und zu allem Überfluss nahm er auf einmal schwere Schritte auf der Treppe wahr, die sich direkt neben ihm befand! Sofort fuhr er herum und erspähte den dicken Mann, der mit einer Schrotflinte hinauf gerannt kam und laute Beschimpfungen schrie. Da er durch seine Körpermasse jedoch nicht allzu schnell war, wandte sich Joey wieder den Scherben zu.

Er ging nicht ohne die Ampulle!!

Je näher der Mann kam, desto eiliger suchte er in den Scherben. Und als er das nächste Mal zur Seite blinzelte, sah er mit Schrecken, dass der Mann die Flinte auf ihn richtete.

War das sein ernst?!

Sofort fiel sein Blick wieder auf die Scherben. Und da lag sie!!

Fahrig grabschte er nach ihr, kam auf die Beine und sprang über den am Boden liegenden Hirayama hinweg. Die Ampulle umklammernd, sprintete Joey wieder zur Tür zurück, bog in das Zimmer und steuerte direkt auf das Fenster zu. Hinter ihm ertönten die aufgebrachten Schreie des Mannes. Bevor er das Fenster erreicht hatte, bückte er sich schnell nach dem Rucksack, holte sogleich mit ihm aus und schmiss ihn gegen das alte Glas. Dieses splitterte sofort und fiel hinaus. Ohne sich umzublicken, warf Joey dann den Rucksack nach draußen, krallte sich mit der freien Hand in den Rahmen und hockte mit einem gekonnten Satz auf dem Fensterbrett.

"Ich bringe dich um!" Zur selben Zeit stolperte der Mann in den Raum, die Flinte schien er bereits geladen zu haben, denn er richtete sie direkt auf ihn. Joey drehte nur kurz das Gesicht nach hinten und als er in den langen Lauf starrte, da stieß er sich ohne zu Zögern ab und sprang. Nun kam es ihm zu Gute, dass dieses Haus winzig war! Und es waren höchstens vier Meter, die er fiel. Mit den Füßen landete er dann in den Glasscherben und streckte sofort die Hände in die Höhe, damit er sie sich nicht zerschnitt. Dann machte er eine leichte Sprungrolle und bekam wieder sicheren Boden unter den Füßen. Seine Hand hielt die Ampulle noch immer fest umschlossen. Er würde sie nicht mehr hergeben! Und bevor der Mann mit der Flinte noch am Fenster erschien, kam er wieder auf die Beine, hastete zu seinem Rucksack, grabschte nach ihm und machte, dass er wegkam.
 

Sobald sich Joey weit genug von dem gefährlichen Haus entfernt hatte, verlangsamte er seine Schritte und begann zu schlendern. Den Kopf behielt er gesenkt, die Augen halb geschlossen. Er war mit seinen Kräften am Ende und hinzukommend wurde es allmählich dunkel.

Nun war er auf dem Weg zum kleinen Bahnhof. Er wollte nur noch nach Domino und ihm graute es vor dem langen Weg, der vor ihm lag. Kraftlos rieb er sich den Nacken und hob die andere Hand, um einen Blick auf seine Uhr zu werfen. Es war halb acht. Herrje…

Sein Blick blieb an der geschlossenen Hand hängen und er ging noch langsamer, bis er stehen blieb. Dann öffnete er sie langsam und starrte auf die Ampulle. Sie war unbeschädigt.

Achtsam klemmte er sie zwischen zwei Finger und besah sie sich genau.

Diese Ampulle war die Rettung!

Aber war es wirklich das Gegengift?

Es sah aus wie Wasser.

Nein, darüber wollte er sich jetzt nicht den Kopf zermartern. Äußerst behutsam ließ er die Ampulle in seine Hosentaschen rutschen und schob sie bis nach unten, um sich ganz sicher sein zu können, sie nicht zu verlieren. Als er weiterging, blieb er dennoch aller zehn Schritte stehen und tastete nach ihr.

Nach einer halben Stunde erreichte er dann den Bahnhof, schleppte sich die Stufen hinauf und warf sich sofort auf eine der Bänke. Dort streckte er die Beine von sich, schloss die Augen... und tastete nach der Ampulle. Erst dann ließ er die Arme baumeln. Er wusste nicht, wann die Bahn kam. Er wusste nicht, ob sie überhaupt noch fuhr. Er war völlig entkräftet und wollte über nichts mehr nachdenken. Alles würde besser werden.

Die Bahn kam erst eine ganze Weile später und da war es schon richtig dunkel. Beinahe vergaß Joey, eine Fahrkarte zu kaufen. Und so verpasste er den Zug beinahe, obgleich er genug Zeit dafür gehabt hatte.

Und sobald er einen geeigneten Platz gefunden hatte, legte er sich längs, tastete nach der Ampulle und schlief ein, wurde jedoch eine halbe Stunde später vom Kontrolleur geweckt. Und diesen fragte er ganz nebenbei, ob diese Bahn direkt bis in die Innenstadt Dominos fuhr. Der Mann runzelte die Stirn und schüttelte dann den Kopf.

"Nein, um die Innenstadt macht diese Bahn einen großen Bogen."

"Cool..." Joey griff nach der Fahrkarte, tastete nach der Ampulle und ließ sich wieder zurückfallen. Und binnen weniger Minuten schlief er wieder.

Den ganzen Tag war er herumgerannt, hatte verzweifelt nach Hirayama gesucht. Er hatte diesen geheimnisvollen Mann getroffen, der, der ihm Mut gemacht hatte. Er war ihm wirklich eine große Hilfe gewesen.

Joey schlief einen halbwegs ruhigen Schlaf, träumte nicht und wurde auch kein weiteres Mal gestört. Er schlief und erholte sich, bis knapp zwei Stunden später der Kontrolleur zu ihm geeilt kam und an ihm rüttelte.

"Hm? Was?" Verschlafen öffnete er die Augen und begann sich zu regen. "Was ist denn los?"

Der Kontrolleur wies mit einem leichten Nicken nach draußen, der Zug stand still.

"Näher an die Innenstadt kommen wir nicht heran", sagte er. "Du solltest jetzt aussteigen."

"Oh!" Sofort fuhr Joey in die Höhe, als er jedoch auf die Beine kam, gähnte er so sehr, dass ihm beinahe der Unterkiefer abfiel. Der Kontrolleur begleitete den zerstreuten und müden Jungen bis zur Tür und winkte, als sich der Zug wieder in Bewegung setzte.

"Geh bald schlafen!", rief er noch, bevor sich die Türen schlossen.

Zusammengesunken und schief blieb Joey dort stehen und sah dem Zug mit flimmernden Augen nach. Schlafen? Was dachte der Kontrolleur, würde er lieber tun? Er stand noch etwas dort herum, überprüfte dann, ob die Ampulle noch anwesend war und wandte sich ab. In schlürfenden Schritten ging er los, um sich einen Überblick zu verschaffen. Die Gegend kam ihm bekannt vor, was noch lange nicht zu bedeuten hatte, dass sich das Krankenhaus direkt in der Nähe befand. Nein, das wäre ja zu schön.

Jetzt hatte Joey kein Geld mehr, um mit der U-Bahn weiter zu fahren. Also freute er sich auf einen langen Spaziergang durch halb Domino. Er ging langsam, ließ den Kopf hängen, gähnte permanent und war kurz davor, sich lang zu legen, da erspähte er ein Taxi, das vor ihm aus einer Gasse bog. Er beobachtete es nicht lange, eilte zur Straße und hob den Arm, bevor es an ihm vorbeifahren konnte. Er hatte keine Lust, sich über die Bezahlung den Kopf zu zerbrechen. Irgendjemand würde es schon bezahlen. Also stieg er ein, erwähnte sein Ziel und ließ sich fahren. Er war zu müde, der Weg zu lang... er würde einschlafen oder umfallen, bevor er es erreichte. Zuviel hatte er an diesem Tag auf sich nehmen müssen. Doch es hatte sich gelohnt! Bei Gott, das hatte es! Während der Fahrt schlief er nicht, denn er grübelte, wie es weitergehen würde, wenn Kaiba wieder gesund war. Mit Sinnieren verbrachte er auch den Rest der Fahrt. Er saß zurückgelehnt und hielt die Beine von sich gestreckt. Seine Augen blickten schläfrig aus dem Fenster, während die hellen Straßenlaternen an ihm vorbeizogen und sein Gesicht immer und immer wieder in einen beruhigenden Schein hüllten.

Die Fahrt dauerte etwa zwanzig Minuten und der Preis konnte sich sehen lassen. Und dann erreichte das Taxi endlich den Nusashi-Platz und Joey erblickte das Krankenhaus, nach dem er sich in den letzten Stunden so gesehnt hatte. Das Auto kam zum Stillstand und er richtete sich kraftlos auf.

"Warten Sie kurz." Er öffnete die Tür. "Es kommt gleich jemand, der Sie bezahlt."

Der Fahrer brummte, doch Joey war es einfach nur gleichgültig. Er stieg aus, schlug die Tür hinter sich zu und schlürfte in kleinen Schritten zum Krankenhaus. Kaiba würde das Gegengift früh genug bekommen, er musste keine Angst haben. Mit hängenden Schultern betrat er die Notaufnahme, schlenderte, ohne auf einen der Ärzte zu achten, zum Fahrstuhl und drückte die Taste. Plötzlich wirkte der Rucksack noch schwerer und seine Beine waren keinem großen Gewicht mehr auszusetzen. Er musste schlafen. Und zwar so schnell es ging.

Es erschien ihm wie eine Ewigkeit, bis sich endlich die Türen öffneten und er eintreten konnte. Sobald er dann in der Kabine stand und die nächste Taste gedrückt hatte, ließ er sich nach hinten fallen und lehnte an der Wand. Und als die Kabine dann nach einer kurzen Zeit hielt und sich die Türen unter einem leisen Läuten öffneten, da war er dem Ziel so nahe. Seine Schritte wirkten sehr unsicher und wackelig, als er auf den Flur hinaustrat, nach links bog und weiterschlürfte. Er war auf dem Weg zum Büro von Dr. Johnson.

Und dieses erreichte er schon nach kurzer Zeit. Ohne zu zögern hob er die Hand, ließ sie auf die Klinke fallen und öffnete die Tür. Im Büro brannte Licht und als er eintrat, da blickte der Mann vom Schreibtisch auf. Und auch Duke richtete sich aus einem der Stühle auf und starrte ihn an.

Erwartungsvolle und zugleich verzweifelte Blicke richteten sich auf ihn. Kaibas Zustand hatte sich weiterhin verschlechtert und dieser müde und zerzauste Junge trug nun all die Hoffnung. Joey spürte die Angst in diesem Raum, war jedoch zu schwach, um ihr Beachtung zu schenken. Mit müder Miene und trüben Augen schlürfte er bis zu dem Schreibtisch und blieb dort stehen. Der Arzt starrte ihn entsetzt an, hinter ihm erhob sich Duke in stockenden Bewegungen. Seinem Gesicht nach zu urteilen, hatte die Suche erfolglos geendet und in dem Büro des Arztes herrschte gespenstisches Schweigen. Doch Joey war nicht darauf aus, die beiden auf die Folter zu spannen, außerdem wäre ein Scherz von wegen "Ich habe ihn nicht gefunden... ha, ha, reingefallen!", sehr unangebracht. Also begann er sich zu regen, schob die Hand in seine Hosentasche und zog die Ampulle hervor. Sogleich sprang der Arzt auf und Duke starrte das kleine Gefäß an, als hätte er so etwas noch nie zuvor gesehen. Joey zwang sich ein Lächeln auf, als er dem Arzt die Ampulle reichte.

"Machen Sie das Beste draus."

Noch immer sprachlos, nickte der Arzt. Dann hob er langsam die Hand und griff nach der Ampulle, um sie vor das Gesicht zu heben und erschüttert anzustarren.

"Du... hast ihn gefunden?" Eine Hand legte sich auf Joeys Schulter und dieser drehte das Gesicht zur Seite, um Duke anzusehen. Auch dieser wirkte sehr verstört und zugleich unheimlich erleichtert.

"Hm." Joey nickte langsam. "Das hab ich doch gesagt."

"Joey!" Der Arzt ließ die Hand sinken und nickte entschlossen. "Ich werde dieses Mittel sofort untersuchen und es ihm injizieren!"

"Machen Sie das."

Der Arzt hielt jedoch noch kurz inne, suchte nach Worten und schüttelte letzten Endes doch wieder fassungslos den Kopf. Anschließend schlug er Joey auf die andere Schulter und eilte hastig hinaus. Im Gegensatz zu Joey, sah Duke dem Mann nach.

"Aber...", wandte er sich dann wieder an ihn, "… wie hast du das geschafft?"

"Du." Joey blinzelte matt und hob die Hand. "Ich erzähle es dir später, ja? Ich muss mich jetzt hinlegen und schlafen. Sonst kippe ich an Ort und Stelle um."

"Was hast du denn gemacht, dass du so erschöpft bist!" Duke war völlig außer sich, konnte diese unerwartete Rettung noch überhaupt nicht fassen. "Bist du durch ganz Domino gerannt?"

"Wenn es doch nur bei Domino geblieben wäre." Joey ließ den Kopf hängen und wandte sich langsam ab. "Morgen, Duke. Jetzt können wir endlich sorglos schlafen."

Duke nickte zustimmend und Joey schlürfte zur Tür, hielt jedoch bei ihr inne.

"Ähm...", er kratzte sich am Kopf, "… draußen steht ein Taxi. Gehst du mal und bezahlst? Mein Geld reichte ni..."

"Natürlich mache ich das!", erklärte sich Duke sofort bereit. "Jetzt geh erst einmal und schlaf eine Runde. Du kannst in das Zimmer 101. Da habe ich mich vorhin auch ausgeruht."

"Hm." Joey nickte matt, ließ den Rucksack von der Schulter rutschen und schleifte ihn hinter sich her. So kämpfte er sich durch den Gang, griff nach der Klinke der nächsten Tür, öffnete sie und verschwand taumelnd im dahinter liegenden Raum.
 

~*to be continued*~

Zurück in’s Leben

Süß war sein Schlaf in dieser Nacht. Süß und unbekümmert. Er hatte keine Träume, wälzte sich genüsslich im Bett und wurde von niemandem gestört. Wie hatte er sich in der letzten Zeit nur danach gesehnt? Er schlief ein, sobald er sich langgelegt hatte und schlief großzügig in den nächsten Tag hinein. Es war wohl später Mittag, als er langsam erwachte. Als er sich langsam räkelte und noch etwas döste, erinnerte er sich mit größter Zufriedenheit an den letzten Tag zurück.

>Hirayama, Gischou, Internet, Schrotflinte<, ging es ihm immerzu durch den Kopf. Und da grinste er, rollte sich zur Seite und krallte sich in das Kissen, woraufhin er genügsam brummte. Die Sonne schien wieder. Sie schien nur für ihn und dunkle Wolken waren nicht in Sicht. Wieder begann er sich langsam zu bewegen, streckte die Beine durch und brummte erneut. Als er jedoch eine Bewegung vor dem Bett wahrnahm, hielt er in der Bewegung inne und öffnete schläfrig die Augen. Das Erste was er erblickte, war ein kräftiges Lila... große Augen. Nicht, dass Yugi sehr erschreckend aussah, doch diesen Anblick hatte er nicht erwartet und nun erschrak er doch. Mit einem leisen Aufschrei fuhr er in die Höhe, kämpfte hektisch die Decke zur Seite und presste sich beide Hände auf den Bauch. Vor ihm standen Yugi, Tea, Tristan und Bakura. Einen jeden von ihnen bedachte er mit einem erschrockenen Blick, sein Herz raste wild in seiner Brust… Schreck lass nach.

Yugi hatte sich nach vorn und zu ihm gebeugt, um ihn ordentlich anzustarren. Nun richtete er sich wieder auf, legte den Kopf schief und führte die besorgte Beobachtung fort. Tea hatte die Hände vor der Hüfte gefaltet und starrte ihn mit einer Miene an, die Joey von ihr nicht gewohnt war. In ihren Augen glänzte ein leiser Vorwurf und doch war es mehr die Besorgnis, die ihm auffiel. Und Bakura wirkte, als hätte man ihn soeben gewaltsam von den Hausaufgaben und den Lehrbüchern weggezerrt. Wie eh und je schien er zu meinen, ein Unbeteiligter zu sein. Doch Tristan... der machte keinen guten Eindruck. Um ehrlich zu sein, sah er aus, als wäre die Wut in ihm fast am überkochen. Und bevor Joey durchatmen konnte, sprang er vor und packte ihn grob am Kragen.

"Du verdammter... oh, du verdammter Mistkerl!", schrie er wutentbrannt und Joey fühlte sich etwas überrumpelt, war sprachlos und ließ ihn schreien. Er starrte ihn erschocken an, spürte, wie sich die Fäuste in seinem Hemd verkrampften. "Hast du sie noch alle?! Wie kannst du fast zwei Wochen nicht in die Schule kommen, ohne uns zu sagen, warum?"

"Ich..." Joey öffnete den Mund, schloss ihn jedoch wieder und wandte den Blick ab. Ach herrje, wie berechtigt sich Tristan mit diesem Vorwurf an ihn wandte. Er war sich der Schuld bewusst, fand jedoch nicht die rechten Worte, um es auszudrücken. Außerdem schrie Tristan sofort weiter.

"Wir haben uns vor Sorge den Kopf zerbrochen!" Er warf den anderen einen knappen Schulterblick zu. "Ist es nicht so?!"

Yugi nickte mit zögerlicher Zustimmung. In seinen Augen war jedoch mehr Besorgnis, als Zorn zu lesen, ganz anders bei Tea.

Ihr Gesicht verfinsterte sich und ihr Nicken wirkte entschlossen.

"Tristan hat Recht, Joey! Und es ist nicht das erste Mal!"

"Was?" Bakura wurde erst jetzt auf das Geschehen aufmerksam. Doch da wandte sich Tristan schon wieder an Joey. Und dieser wusste nun überhaupt nicht mehr, was er denken, geschweige denn sagen sollte. Diese Probleme schienen ihn sehr gern zu haben. Sie klebten lästig an seinem Bein und wollten ihn einfach nicht loslassen. Auf ein soeben gelöstes Problem, folgte sogleich ein Neues, das unbedingt bereinigt werden musste.

"Und heute Morgen erkunden wir uns im Sekretariat und finden zufällig heraus, dass du im Krankenhaus liegst!" Endlich wurde Tristan leiser, lockerte den Griff und ließ den Kopf sinken.

"Weißt du, Joey? Es ist unerhört!" Auch Tea trat nun näher und Yugi nickte wieder beipflichtend. "Du kannst uns doch nicht so im Unwissen lassen."

"Wir sind doch Freunde!", ächzte Yugi.

"Okay." Joey grinste nervös und hob beschwichtigend die Hände. "Aber lasst mich doch erst einmal erklären, ja?"

"Da muss es aber einen guten Grund geben." Endlich ließ Tristan ihn los und trat zurück. "Du Idiot!"

Als Joey dann endlich nicht mehr massakriert und bedroht wurde, richtete sich er zögerlich auf, kämpfte den Rest der Decke bei Seite und schob sich zur Bettkante, von der er dann die Beine baumeln ließ. Fragende Blicke trafen ihn von allen Seiten und er erwiderte sie nachdenklich.

Warum sollte er jetzt nicht sagen, was geschehen war?

Was stand ihm noch im Weg?

Genau. Nichts.

Er setzte an, um zustimmend zu nicken. Dann hielt er jedoch inne, hob die Augenbrauen und streckte sich empor, so als wäre ihm etwas Wichtiges eingefallen.

"Hat der Arzt etwas gesagt?!"

"Was?" Tristan zog eine Grimasse. "Welcher Arzt denn? Lenk nicht ab, raus mit der Sprache! Wir wollen endlich hören, was..."

Er brach verwundert ab, als Joey plötzlich vom Bett rutschte und in Socken an ihnen vorbeihastete. Verdattert starrten sie ihm nach, doch er fuchtelte kurz mit der Hand, als er an der Tür stand.

"Bin in fünf Minuten wieder da!", rief er nur, bevor er draußen im Flur verschwand und sie weiterhin der Ungewissheit überließ. Kurz schwiegen sie, dann stöhnte Tristan erschöpft und rieb sich die Stirn.

"Der Junge macht mich fertig!"
 

Ungeduldig eilte Joey durch die Gänge, wich den Patienten aus und hielt nach einem gewissen Arzt Ausschau. Er musste wissen, wie es Kaiba ging! Er muss es wissen und es war ihm wichtiger, als die Anderen aufzuklären. Für Kaiba hatte er am gestrigen Tag sein Leben riskiert! Nun wollte er nur zu Recht wissen, ob es etwas gebracht hatte.

"Dr. Johnson?" Hastig riss er die Tür seines Büros auf und lehnte sich in den Raum. "Doktor?"

Da er ihn dort nicht fand, machte er sich wieder auf die Suche. Und nach wenigen Minuten fand er ihn, wie er mit einigen Kollegen in einem der Gänge stand und auf die fachmännische Art und Weise mit ihnen diskutierte. Von weitem sah es zumindest nicht so aus, als würde er unter großen Sorgen leiden.

"Doktor!" Sofort eilte Joey näher. Die Ärzte wurden auf ihn aufmerksam, verstummten und drehten sich zu ihm um. Und sobald Johnson ihn erkannte, erhellte sich seine Miene und er trat durch seine Kollegen auf ihn zu, begrüßend die Arme und die Mappe hebend.

"Joey!", rief er zurück. "Da bist du ja endlich. Ich dachte, du wachst gar nicht mehr auf."

"Ich bin wach! Ich bin wach!", antwortete Joey hastig. "Was ist? Wirkt es? Geht es Kaiba besser? Sagen Sie doch etwas!"

"Ist das der Held, von dem Sie uns erzählt haben?" Ein junger Arzt leistete ihnen Gesellschaft und betrachtete sich den blonden jungen Mann musternd. "Mein Gott, meinen Respekt hast du."

"Danke", erwiderte Joey schnell, ohne den Blick von Dr. Johnson zu wenden. "Und?"

"Freundschaft kann so einiges bewirken, hm?", seufzte eine Ärztin schwelgend und kuschelte mit ihren Unterlagen.

"Höh?" Irritiert nickte Joey ihr zu, dann trat er an den Doktor heran und fletschte die Zähne. "Wenn Sie mir nicht sofort sagen, wie es ihm geht, dann können Sie aber etwas er..."

"Jetzt bleib mal ganz ruhig." Johnson lachte leise, legte die Hand auf seine Schulter und führte ihn weg von den quasselnden Ärzten, wofür er ihm sehr dankbar war. "Hast du gut geschlafen?"

"Ja." Joey seufzte zufrieden. "Hab nur Hunger. Also? Was ist?"

"Nun." Der Arzt klopfte seine Schulter und umfasste die Mappe mit beiden Händen. "Das Gegengift zeigte keine sofortige Wirkung. Es wird langsam vonstatten gehen, er wird sich nur langsam erholen. Doch er wird sich erholen und das ist die Hauptsache."

"Und hat er noch Schmerzen?" Während Joey neben ihm einherging, linste er zu ihm.

"Er war bei Bewusstsein, als wir es ihm injizierten. Und es ging ihm nicht gut. Doch nur wenige Minuten, knapp eine viertel Stunde später, fiel er in einen tiefen Schlaf. Also lautet die Antwort wohl ‚nein’. Wenn er wieder aufwacht, und das wird er wohl in den nächsten Tagen, dürfte er keine Schmerzen mehr haben. Nur die Schwäche wird ihn noch quälen."

"Und wird er bleibende Schäden davontragen?", erkundigte sich Joey weiter. "Ich meine, das Gift schien eine starke Wirkung gehabt und großen Schaden angerichtet zu haben."

"Körperlich wird er wieder ganz der Alte sein." Daraufhin zögerte der Arzt mit den nächsten Worten und Joey befiel die Angst.

"Wird er psychische Probleme haben?", ächzte er erschrocken und der Arzt räusperte sich.

"Es lässt sich nicht verleugnen, dass das Gift letzten Endes mehr seine Psyche als seinen Körper angegriffen hat."

"Was…?" Wie vom Blitz gerührt, blieb Joey stehen. "Aber er hat doch vor Schmerzen geschrieen?"

"Ja, aber er erkannte nicht einmal mehr seinen eigenen Bruder." Auch der Arzt hielt inne und drehte sich zu ihm um. "Und dieser hat mir erzählt, dass er ihn sehr lieb hat. Diese brüderliche Liebe ist, wie ich deutlich bemerkt habe, beiderseitig. Es fehlte ihm an jeglicher Konzentration, er konnte nicht die simpelsten Zusammenhänge fassen, deutlich sprechen oder sinnvolle Sätze bilden. Er ist grundlos wütend geworden und war kurz davor, einen der Ärzte anzugreifen. Er war unberechenbar."

"Oh... mein Gott." Joey seufzte und ging weiter. "Und sagen Sie mir jetzt, ob er sich auch psychisch erholen wird? Es ist unglaublich wichtig für mich, wissen Sie?"

"Das verstehe ich." Johnson schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. "Ich bin mir jedoch sicher, dass sich auch dieses Problem beheben wird. Es wird nur länger dauern. Die schlimmsten Dinge werden sich schnell bessern, ich befürchte aber, dass er länger unter einer leichten Verwirrung, Orientierungslosigkeit und Konzentrationsstörung leiden wird. Nichts übermäßig Schlimmes und es wird nur den Menschen auffallen, die oft mit ihm zusammen sind. Ich würde ihm dringend raten, sobald er aus dem Krankenhaus entlassen wird, einen Psychologen aufzusuchen, oder sogar schon eher. Das wäre noch besser. Näheres muss dann dieser Psychologe feststellen. Ich bin nur Arzt, beschäftige mich lediglich mit körperlichen Krankheiten. Worauf ich jedoch nicht verzichten kann, ist, ihn ungefähr ein fünf Monate von jeglicher Arbeit zu befreien."

"Das ist verdammt schwerwiegend." Joey starrte trübe auf den Boden. "Er liebt seine Arbeit und den Stress, kann ohne sie nicht leben."

Johnson zuckte mit den Schultern.

"Wenn ihm sein psychischer Zustand wichtig ist, dann sollte er sich an das Arbeitsverbot halten."

"Sie kennen Kaiba nicht."

Dann blieben Sie vor der Tür stehen und wechselten flüchtige Blicke.

"Ich bin...", Joey wandte den Blick ab, "… Ihnen wirklich sehr dankbar, dass Sie sich so gut um ihn gekümmert haben. Sie haben Ihr Bestes getan und die Sorgen mit uns geteilt."

Dr. Johnson winkte sofort ab und klopfte ihm wieder auf die Schulter.

"Doch du warst es, der sein Leben gerettet hat. All die Mühen hätten ohne deinen Einsatz nichts gebracht."

"Aber Sie haben einen Teil zu diesem Glück beigetragen! Und Sie haben sich bereits um ihn gesorgt, als ich mich noch durch einen Streit von ihm ferngehalten habe!", warf Joey sofort ein und Johnson lächelte auf eine unbekümmerte Art und Weise, wie man sie lange nicht mehr von ihm gewohnt war.

"Jetzt geh zu ihm", sagte er sanft und öffnete die Tür. "Und wenn er aufwacht, dann schaffe diesen Streit aus der Welt, damit sich euer Verhältnis bessert. Er wird dich in der nächsten Zeit sehr brauchen."

"Oh... nein." Joey weitete die Augen und schüttelte den Kopf. "Dieser Streit war nur ein dummes Missverständnis! Der ist schon längst wieder vergessen!"

"Dann ist ja gut." Das Lächeln des Arztes vertiefte sich, dann schickte er ihn mit einem knappen Nicken hinein. Und das ließ sich Joey nicht zweimal sagen. Sofort erwiderte er das Nicken und trat ein. Während sich die Tür leise hinter ihm schloss, blieb er erst einmal stehen, verschränkte unter einem genießerischen Seufzen die Arme vor dem Bauch und beobachtete Kaiba aus der Ferne. Er schlief tief und fest, so, wie es Dr. Johnson gesagt hatte. Er lag auch nicht verkrampft im Bett, nein, er lag gemütlich auf der Seite, hatte das Gesicht zu ihm gewandt, es jedoch mit der Hand verdeckt, die direkt davor auf dem Kissen gebettet lag. Ein sanftes Lächeln zeichnete sich auf Joeys Lippen ab, als er diesen Anblick genoss, das Bein betrachtete, das vom Oberschenkel an, aus der Decke hervorlugte und entspannt ausgestreckt war. Kaiba trug ein neues, schneeweißes Hemd, es war sauber zugeknöpft, verursachte nicht mehr diese wilde und beängstigenden Anschauung. Joey blinzelte, atmete tief durch und trat in langsamen Schritten näher. Direkt vor ihm blieb er stehen. Er blickte hinunter zu ihm, besah sich das Gesicht, von dem er nun mehr bewundern konnte. Noch immer war dieses leichenblass und glänzte vor Schweiß, noch immer hafteten die nassen braunen Strähnen auf seiner Stirn, doch seine Augen... nun waren sie ruhig und entkrampft geschlossen. Hinzukommend herrschte nicht mehr dieser undefinierbare Kabelsalat auf der Matratze. Nur noch die Nadel in seiner Hand, wenige Verbindungen der Saugnäpfe, die unter der Decke verschwanden. Außerdem noch ein kleines Schläuchlein, das quer über seine Wangen führte und als Sauerstoffspender durch seine Nase von Nutzen war. Stockend ließ sich Joey auf die Knie sinken, legte die Hand zaghaft um seinen Unterarm und zog ihn vorsichtig hinab, fort von dem Gesicht, denn er wollte es sehen. Er legte die Hand auf der Matratze ab, verschränkte die Arme vor ihr und kauerte sich so hin. Kaibas raue Lippen waren einen Spalt weit geöffnet, Joey konnte die weißen Zähne sehen. Gebannt ließ er den Blick über die bleiche Haut schweifen und nach kurzer Zeit hob er die Hand, berührte zaghaft seine linke Augenbraue und folgte ihrer schmalen Form mit der Fingerkuppe. Er spürte die Hitze, die von dem noch immer fiebernden Körper ausging, spürte die Nässe des Schweißes. Er hielt die Augen so lange offen, wie er konnte, wollte so selten wie möglich blinzeln, um sich an diesem Anblick fortwährend zu erfreuen.

In diesen Sekunden dachte er nicht an die schrecklichen Dinge, die er hinter sich hatte. Er erinnerte sich nicht an die Entführung, die Duke und er erlebt hatten, die Todesangst, der er oft ausgesetzt gewesen war und nicht an die Strapazen, die er auf sich genommen hatte.

Das Einzige, das ihm durch den Kopf schoss, war: >Er wird leben, es wird ihm besser gehen. Wir werden wieder zusammen sein und all die Probleme gemeinsam aus der Welt räumen. Ich habe ihn wieder...<

Und als er weitere Minuten in dieser Haltung verbrachte, sich das schöne Gesicht betrachtete und nachgrübelte, da kamen ihm die Tränen. Sie kamen, ohne dass er es bemerkte, sammelten sich in seinen Augen und rannen über seine Wangen. Und da begann er sich wieder zu bewegen, hob die Hand und fuhr sich langsam über das Gesicht. Es war wohl die Erleichterung, die er jetzt spürte, das Glück, das er wieder genießen konnte.

Das Glück, Kaiba nicht verloren zu haben.

Nun, da Kaiba ruhig vor ihm lag und das Wissen bestand, dass er wieder gesund und ganz der Alte werden würde. Nun, da die Mutlosigkeit mit einem Mal verschwunden war, keine Sorgen mehr existierten...

Joey konnte sich nicht mehr halten. Er blieb hocken, bettete die Faust an den Lippen und wandte den Blick ab, um aus dem Fenster zu schauen. Nun wirkte der Himmel wieder blau und heiter, nicht düster und grau, so, wie er ihm in letzter Zeit erschienen war. Die Sonne strahlte... nichts besaß mehr die Fähigkeit, seine Laune zu trüben. Er war in diesen Minuten wohl der glücklichste Mensch Dominos und trotzdem weinte er, ließ das Gesicht bald auf die Matratze sinken und ergab sich den überwältigenden Gefühlen.

Und genauso hätte es aussehen können, wäre er ohne das Gegengift zurückgekehrt.

Was war das nur für eine grausame Vorstellung!

Er würde hier sitzen, weinen und auf das Ende warten, das unweigerlich bevorstand.

Joey ging nicht diese Variante seines Hiersitzens durch, dachte nicht an furchtbare Dinge und klammerte sich bald um Kaibas Arm.
 

~Was kann uns passieren, wenn wir weder Tod noch Hölle fürchten?

Was für eine Gefahr kann Verrat für uns darstellen, wenn wir ihn aufrichtig und gemeinsam bekämpfen?

Kann die Unsicherheit nach uns greifen, wenn wir stets die Gegenwart des anderen spüren?

Können Sorgen uns zermürben, wenn wir den positiven Prinzipien des Lebens entgegenblicken können?

Wie könnten wir folgenreiche Fehler begehen, wenn der eine dem anderen ein Lehrer ist?

Hat die Angst Macht über uns?

Was ist schon der Tod, wenn wir gemeinsam sterben?

Das Leben erstrahlt in seiner vollen Pracht, wenn wir es gemeinsam genießen.

Wer will uns trennen?

Wer könnte diese unbegreifliche Unwissenheit besitzen?

Wenn es der Tod nicht ist, der diese Macht besitzt, was ist es dann?

Vor was müssen wir uns fürchten?

Wenn es der Tod nicht ist... was ist es dann?~
 

Die Dinge waren nicht so einfach, wie sie schienen, dessen war sich Joey nun noch stärker bewusst. Er fürchtete den Tod. Nicht den Eigenen, nein, den, dem Kaiba beinahe unterlegen wäre.

Verrat...?

Man sollte ihn gemeinsam bekämpfen. Genau das hatte Kaiba nicht gewollt und jetzt hätte es schnell zu einem Drama kommen können.

Die Unsicherheit...

Nein, Joey spürte keine Unsicherheit. Nicht, wenn Kaiba bei ihm war. Doch ging es Kaiba ebenso, wenn er seine Anwesenheit spürte? Fühlte er sich sicher? Immer hatte Joey ihn als seinen Helden angesehen, hatte bei ihm Schutz gefunden und keine Angst gehabt. War er für Kaiba auch ein Beschützer? Immerhin war er ein Jahr jünger, kleiner und etwas schmächtiger. Sicher konnte er Anderen, Älteren, Größeren nicht das Gefühl von Sicherheit vermitteln. Doch was spürte Kaiba sonst im Bezug auf ihn?

Es gab viele Fragen, die er an ihn stellen wollte. Aber jetzt blickte er den positiven Seiten des Lebens entgegen und ließ sich von keinen Sorgen mehr zermürben.

Langsam und zögernd richtete er sich auf und wieder fiel sein Blick auf das bleiche Gesicht. Wer von ihnen war der Lehrer, wer der Schüler?

Ergänzten sie sich?

Woraus bestand ihre Beziehung eigentlich?

Was hielt sie zusammen?

Was war für diese übermächtige Liebe verantwortlich, die Joey für ihn empfand?

Nachdenklich blinzelte er, ließ den Blick sinken und starrte auf seine Hände. Er wollte nicht fort von ihm, wollte hier sitzen bleiben und nachdenken. Und trotzdem gab es Dinge, die wichtiger waren. Seine Freunde, die immer zu ihm gehalten hatten, machten sich Sorgen um ihn und warteten in diesen Minuten auf eine Antwort, eine Erklärung. Und er musste sie ihnen liefern. Wenige Sekunden verblieb er noch in dieser Haltung, dann seufzte er leise, stand auf und beugte sich zu ihm hinab. Er schloss die Augen, schob mit der Nasenspitze einige Strähnen von der Stirn und platzierte einen zärtlichen Kuss auf ihr. Er tat es langsam und behutsam und als er sich aufrichtete, lächelte er wieder, obwohl in seinen Augen immer noch die Tränen glänzten.

"Komm nur schnell wieder zu dir", flüsterte er beinahe lautlos und hob unbewusst die Hand, um Kaibas Gesicht erneut zu berühren. In der Bewegung hielt er jedoch inne. Er würde nicht mehr von ihm loskommen, wenn er jetzt keinen strikten Schlussstrich zog. Bald würde er wieder kommen und dann könnte ihn niemand mehr stören. Er ballte die Hand zu einer Faust, zog sie zurück und ließ sie entspannt sinken. Anschließend wandte er sich ab und kehrte, ohne sich auch nur einmal umzublicken, zu der Tür zurück. Als er in den Gang hinaustrat, ließ er eine Hand in die Hosentasche rutschen, ließ den Kopf sinken und zog sich mit der Anderen den Zopfgummi aus dem Haar. Nachher musste er den Arzt unbedingt fragen, ob er hier irgendwo duschen könnte. Er fühlte sich unwohl in seinem Körper, selbst seine Haare klebten vom getrockneten Schweiß. Und etwas essen musste er auch. Ja, nachher, nun durfte er seine Freunde nicht länger warten lassen. Jetzt durfte er die ganze Geschichte schon zum dritten Mal erzählen. Für ihn war es nichts Besonderes, doch Yugi und Co würden ihren Ohren keinen Glauben schenken, das konnte er sich bildhaft vorstellen. Wie ihre Münder aufklappten, ihre Augen sich weiteten und ihre Gesichter an Farbe verloren. Den Haargummi band er sich um das Handgelenk, dann ließ er auch die zweite Hand in die Hosentasche rutschen und machte sich auf den Weg zu seinen Freunden.

Als er den Raum betrat, hatten es sich diese bereits gemütlich gemacht. Tea und Yugi hockten auf dem Bett, Tristan saß auf einem Stuhl und Bakura stand am Fenster und blickte hinaus.

"Dreiundzwanzig Minuten und... zehn Sekunden", stellte Tristan murrend fest, als er einen Blick auf seine Uhr warf. "Jetzt reicht's aber!"

Joey hob beschwichtigend die Hände, grinste kurz und schlenderte auf die Stühle zu. Einen von ihnen griff er an der Lehne, schwenkte ihn zu sich herum und ließ sich auf ihm nieder. Seine Freunde schwiegen nun und sahen ihn erwartungsvoll an. Joey jedoch, wollte Hektik vermeiden. Also lehnte er sich erst einmal zurück, streckte die Beine von sich und verschränkte die Arme auf dem Bauch.

Und dann begann er zu erzählen. Er begann jedoch mit einer winzigen Unwahrheit, setzte ihnen wieder die Geschichte mit dem belanglosen Streit vor, durch den Kaiba und er erst einmal getrennte Wege gegangen waren. Da kam wieder Katagori vor, und der Unfall. Er redete und erklärte, berichtete von all dem, was er erlebt hatte. Er erwähnte das Gift, Katagori, Hirayama, Alfons - das bekiffte Genie, die Entführung, den riesigen Hünen, der ihnen während der Gefangenschaft Gesellschaft geleistet hatte, die Flucht und die Angst. Er teilte ihnen einfach alles mit und seine Freunde hatten die Antworten, bevor sie Fragen stellen mussten. Bald wussten sie, weshalb Joey die vielen Schrammen zierten, warum er so zerzaust aussah und etwas erschöpft war, warum er gelitten hatte und nicht in die Schule gekommen war. Joey gähnte, gestikulierte mit den Händen, rutschte auf dem Stuhl hin und her, richtete sich auf, lehnte sich wieder zurück und blickte musternd in die Runde. Yugi, Tea und Tristan standen wirklich die Münder offen, sie wurden von der Geschichte mitgerissen und entwickelten schnell ein großes Verständnis und Mitgefühl. Sie konnten Joey keinen Vorwurf mehr machen und wurden von Sorgen befallen, Sorgen um Joey, Sorgen um Kaiba. Auch Bakura lauschte aufmerksam und setzte sich sogar irgendwann neben Tristan. Er schien all das sehr spannend zu finden und lauschte der Geschichte mit großem Interesse.

Und worauf Joey sehr oft zu sprechen kam, war Duke. Er sagte, dass Duke viel getan und mit ihm durchgestanden, mit ihm gelitten hätte und stets da gewesen war, weshalb sie sich jedoch auf keinen Fall Vorwürfe machen sollten, nichts getan zu haben. Er versuchte sie zu beruhigen, denn er bemerkte schnell, dass diese Selbstvorwürfe kamen, obgleich er von ihnen abriet. Sie hätten nichts von alledem gewusst und er hatte keine Zeit gehabt, um sie zu informieren. Die letzten Tage waren sehr stressig gewesen...

Er sprach, bis sein Mund trocken und rau war und sein Hals kratzte. Das geschah erst nach einer ganzen Weile. Nach einer knappen Stunde hatte er seine Freunde umfassend und detailgerecht in das Geschehen eingeweiht und diese reagierten genauso, wie er es sich vorgestellt hatte.

"Und jetzt sitzen wir hier", sprach er die abschließenden Worte, nickte erschöpft und ließ sich wieder gegen die Lehne fallen, um die Arme ordentlich baumeln zu lassen.

Vier Blicke waren erschrocken auf ihn gerichtet und es trat eine lange Stille ein. Natürlich mussten die Zuhörer das Gesagte erst einmal verarbeiten. Und das fiel bei der Art der Geschichte nicht allzu leicht. Joey war nun erleichtert, dass es nun wirklich niemanden mehr gab, dem er die ganze Geschichte noch einmal erzählen musste, denn Kaiba würde er sicher nicht die Ohren voll heulen, dass Duke und er entführt worden waren und so viel hatten durchstehen müssen. Eine lange Zeit sagte niemand etwas und Tea war es, die zuerst zur Sprache zurückfand. Sie ließ die Hand sinken, die sie sich beinahe während der gesamten Geschichte erschüttert auf die Brust gedrückt hatte, schüttelte langsam den Kopf und schickte Joey einen mitfühlenden Blick.

"Mein Gott", seufzte sie anteilnehmend. "Und es geht Kaiba jetzt wirklich besser?"

Also erzählte Joey noch, was Dr. Johnson gesagt hatte und nun wirkten die Mienen der Zuhörer sogar bedrückt.

"Wenn wir irgendetwas für Kaiba tun können, dann musst du es nur sagen." Yugi brachte sein Mitempfinden deutlich zum Ausdruck und auch an seinem Gesicht konnte man deutlich erkennen, dass all das ihn sehr berührt hatte.

"Wir tun, was wir können, damit er sich erholt und sich besser fühlt. Herrje, was musste er nur alles durchstehen."

"Auch Joey musste viel durchstehen", warf Tristan ein. "Sein Leben war noch öfter in Gefahr. Die Beiden haben eine harte Zeit hinter sich."

"Kaiba hat sie sogar noch vor sich", seufzte Tea.

"Wir haben sie beide vor uns", murmelte Joey.

>Denn ich möchte noch etwas loswerden<, dachte er sich nebenbei.

Tristan, Tea und Yugi redeten noch etwas und dann richteten sie ihr Augenmerk auf Bakura, der nur geschwiegen hatte.

"Was sagst du dazu?" Tristan stieß ihn an und der junge Mann blickte auf. Seine Miene wirkte ernst, als sich seine Augen direkt auf Joey richteten. Dieser erschrak innerlich, befürchtete, er könnte ihm die Beichte abnehmen. Glücklicherweise tat er es jedoch nicht. Nein, er sagte etwas anderes. Nachdem er die Anderen etwas hatte warten lassen, räusperte er sich leise und ergriff das Wort.

"Seit du Kaiba näher gekommen bist", sagte er und sie lauschten ihm aufmerksam, "lagst du öfter im Krankenhaus, warst öfter von Sorgen geplagt als je zuvor und hast dich in Gefahr gebracht. Er zieht dich in Dinge hinein, denen du nicht gewachsen bist, die nicht deine Probleme sein würden, würdest du ihn nicht kennen. Du und Duke wurden entführt, weil du etwas mit ihm zu tun hast. Und Duke ist ja wohl mehr als unbeteiligt. Er hätte sich so einiges ersparen können, Verletzungen wie auch Ängste. Ihr Beide wurdet gefangen gehalten, gejagt und beinahe erschossen." Bakuras Augen wirkten kühl, ungewohnt, wie noch nie zuvor. Beinahe machte er Joey schon Angst und auch die Worte, die er sprach, klangen doch etwas gefühllos. "Dann wurde er in deinem Beisein vergiftet. Und er wusste von Katagori, dessen bin ich mir sicher. Deshalb jagte er dich davon, ist es nicht so?"

Verwundert und zugleich irritiert richteten sich drei Blicke auf Joey und dieser erwiderte sie ebenso verunsichert. Woher besaß Bakura nur die Fähigkeit, solche Schlüsse zu ziehen? Zuerst hatte er die Sache zwischen ihm und Kaiba aufgedeckt und nun so etwas! Bevor er sich jedoch verteidigen, oder irgendetwas sagen konnte, fuhr Bakura fort, schnitt wieder bedacht das letztere Thema an.

"Und du hast nach dem Gegengift gesucht und wärst dabei fast ums Leben gekommen. Es ist Tatsache, Joey. Kaiba bringt dich in Gefahr und du musst wissen, ob es dir das wirklich wert ist. Es ist kein Spaß, den du erlebt hast. Und es sind keine Erfahrungen, die ein siebzehnjähriger Schüler machen sollte. Kaiba ist ein Geschäftsmann, seine Liga ist es vielleicht mehr, als deine. Er wird mit diesen Dingen fertig, hat die Mittel und den nötigen Einfluss, den Bekanntheitsgrad. Er kann Vorbereitungen treffen und mit diesen Dingen besser umgehen. Aber du? Du hattest und hast mit skrupellosen Menschen zu tun und wenn du nicht aufpasst, wirst du durch Kaiba weitere Probleme bekommen."

Joey starrte ihn nachdenklich, beinahe schon etwas verbissen an, doch Bakura hob die Hände.

"Haltet mich nicht für gefühllos", stellte er klar. "Es ist schlimm was passiert ist und du hast mein Mitgefühl. Duke hat es auch... genau wie Kaiba. Aber du musst den Tatsachen ins Gesicht sehen und nachdenken, bevor du dich entscheidest. Ist dir Kaiba wichtig genug, dass du für ihn dein Leben riskieren würdest?"

"Joey...?" Tea richtete sich stockend auf. Auch Yugi und Tristan schienen noch überhaupt nicht an diese Gefahr gedacht, die Geschichte nur oberflächlich verfolgt zu haben. Nun starrten sie Joey erwartungsvoll an und dieser starrte auf den Boden, man konnte ein sehr langsames Nicken erkennen.

"Du bist nicht der Erste, der so etwas zu mir sagt, Bakura." Joey brach das Nicken ab und begann an seiner Hose zu zupfen. "Ich habe es schon oft gehört und mir blieb genügend Zeit, um darüber nachzudenken. Und ja. So lange ich nur bei Kaiba bleiben könnte, würde ich jede Gefahr auf mich nehmen und alles für ihn tun."

Doch somit war noch nicht alles gesagt und Joey zögerte kurz, bevor er fortfuhr. Und Bakura machte den Eindruck, seine nächsten Worte zu kennen und nun waren es mehr die drei Anderen, die es kaum wagten, zu atmen. Wieder brach Schweigen über sie herein und es war Joeys Aufgabe, es zu brechen. Er war nervös, als er es etwas vor sich her schob und dann einen selbststrengen Schlussstrich zog. Er wiederholte das Nicken entschlossener, richtete sich auf und besah sich seine Freunde ernst. Bakura hatte ihn indirekt dazu gezwungen, hatte vermutlich geahnt, dass er es so wie so vorgehabt hatte und ihm nun geholfen, sich zu überwinden.

"Es gibt noch eine andere Sache, von der ihr nichts wisst." Joey zwang sich, die Blickkontakte aufrecht zu halten. Er ließ sich die Nervosität nicht ansehen, doch die Schläge seines Herzens begannen sich zu verschnellern. Er würde es mit nur wenigen Worten sagen, ohne lange drum herum zu reden. Er hatte es schon lange vorgehabt und nun war der günstige Zeitpunkt gekommen. Also holte er tief Luft und sagte den alles entscheidenden Satz.

"Zwischen Kaiba und mir ist mehr, als Freundschaft."

Schweigen...

Nervös sah er Tea, dann Tristan und Yugi an. Und da ihre Blicke so nichtssagend auf ihn wirkten, ließ er den Kopf sinken, schnitt eine Grimasse und rieb sich den Nacken. Jetzt saß er hier auf dem Präsentierteller, musste sich anstarren lassen und warten, bis irgendjemand irgendetwas sagte. Wie sollte er seine Nervosität denn jetzt noch verbergen? Wieder begann er auf dem Stuhl hin und her zu rutschen, und als die Stille weitere Momente anhielt, richtete er sich schwungvoll auf.

"Was ist denn los?", ächzte er gepeinigt. "Sagt doch etwas!"

Yugi schien diese Sache nicht ganz zu kapieren und Tristan hatte nur die Augenbrauen gehoben. Tea legte nun den Kopf schief, eine gewisse Beklemmung befiel ihr Gesicht.

"Na ja… eigentlich haben wir uns das schon seit einer Weile gedacht", gab sie dann plötzlich zu. "Eigentlich waren uns sogar sicher... also", sie zuckte mit den Schultern, „… eine richtige Neuigkeit ist das nicht.“

"Wie bitte…?" Automatisch wandte sich Joey an Bakura, doch dieser schüttelte hastig den Kopf. Er hatte nichts verraten.

"Es ist so." Tristan wackelte mit dem Kopf und Joey ließ von Bakura ab. "Als du ihn zum Picknick mitgebracht hast, da haben wir uns doch wirklich sehr gewundert. Dann seine Art, wie er sich dir gegenüber verhielt. Na ja, Kaiba machte sein Handwerk gut. Natürlich, etwas anderes kann man von ihm nicht erwarten." Ein breites Grinsen zog an seinen Lippen. "Du bist derjenige, der euch verraten hat."

"Wa...?" Joey lehnte sich aus dem Stuhl. "Warum habt ihr mir nicht eher gesagt, dass ihr Bescheid wisst?!"

"Na ja..." Daraufhin wusste Tristan nichts zu antworten. Also ließ er die Hand sinken und warf Tea einen flüchtigen Blick zu. Dieser fiel jedoch etwas ein.

"Erstens: Es ist doch nichts Weltbewegendes und zweitens: Wir haben dich in der letzten Zeit ja gar nicht gesehen."

Nichts Weltbewegendes?

Joey brummte und wieder traf sein Blick auf Bakura.

"Hat Bakura wirklich nicht geschnattert?"

"Höh, warum?" Tristan, Tea und Yugi lugten zu dem jungen Mann, der sich allmählich angegriffen fühlte und dementsprechend aussah. "Wusste Bakura etwa noch eher Bescheid, als wir?"

"Er hat es gleich bemerkt." Schwungvoll stand Joey auf, verschränkte die Arme vor dem Bauch und blickte erneut ernst in die Runde. "Ich habe mir Sorgen gemacht, dass ihr irgendwie sauer werdet... oder so. Aber jetzt bin ich erleichtert. Man, und wie!" Er zog eine Grimasse und stöhnte. "Und was sagt ihr jetzt dazu? Findet ihr das in Ordnung? Wird sich in der Zukunft irgendetwas zwischen uns ändern?"

"Was redest du denn da für einen Blödsinn?" Tea wunderte sich.

"Na ja... ich meine, normal ist das nicht."

"Was ist an dir schon normal!" Tristan kam angesprungen und nahm ihn kameradschaftlich in den Schwitzkasten. "Egal, was du für einen Blödsinn machst! Wir bleiben Freunde!"

"Blödsinn…?" Joey versuchte verzweifelt, sich zu wehren. "Was soll denn das heißen!"

War das die Beichte gewesen, vor der er sich so gefürchtet hatte? Spannend und dramatisch, nicht wahr? Nicht, dass Joey nicht erleichtert darüber war, wie seine Freunde auf diese "Neuigkeit" reagierten, doch er hatte das Gefühl, dass sie es nicht so recht ernst nahmen.

Nachdem er sich aus der wilden Umarmung gelöst hatte, versicherten ihm Tea und Tristan noch öfter, dass alles in Ordnung wäre. Yugi jedoch, sagte nichts, schien diese ganze Sache nicht so recht zu verstehen. Vielleicht dachte er ja auch anders über diese Sache und wollte es nur nicht sagen? Joey hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen.
 

Nach fast einer weiteren Stunde, verabschiedeten sie sich dann voneinander. Tristan sagte, dass er froh über die Besserung Kaibas Gesundheitszustandes war, Tea wünschte diesem gute Genesung, Yugi schenkte ihm ein Lächeln, das verriet, dass doch alles in Ordnung war und Bakura nickte ihm nur wortlos zu. Dann gingen sie wieder und Joey machte sich guter Dinge auf den Weg in die Kantine, um sich den ersten seiner sehnlichsten Wünsche zu erfüllen.

Noch immer war er verblüfft über das Wissen seiner Freunde. Er spielte zwar kurz mit der Befürchtung, dass sie ihm etwas vorgemacht hatten aber diesen Gedanken wurde er schnell los, als er sich all das leckere Essen betrachtete. Nun machte er sich über fast nichts mehr Sorgen, konnte sich um Kaiba kümmern und erwartete bald eine Auszeichnung von Dr. Johnson, die da hieß: "Neuer Rekord: Du bist der Mensch, der sich am längsten freiwillig in einem Krankenhaus aufgehalten hat". Ja, er hatte sich hier richtig einquartiert und das machte ihm wirklich nicht viel aus. Denn in Zimmer 110, da lag der wichtige Grund seines Aufenthaltes.

Duke war nach Hause gegangen, um sich auszuruhen. Doch Joey rechnete damit, dass er irgendwann noch einmal vorbeikam, um sich nach Kaiba zu erkunden. Auch Mokuba und Pikotto, die Johnson sofort informiert hatte, würden bald hier sein. Und bis dahin wollte sich Joey das erste Mal seit langem, etwas um sich kümmern.

Er aß eine Kleinigkeit und fühlte sich danach sofort besser. Und nachdem sein Magen keinen Grund mehr zum meckern hatte, machte er sich auf die Suche nach Dr. Johnson. Und ja, natürlich konnte er hier duschen.

Und was sollte da jetzt noch schief gehen?

Was konnte seine Laune jetzt noch trüben?

Er klaute sich ein Handtuch, warf es sich über die Schulter und stieg in die zweite Etage, in der es einen Duschraum gab, den er benutzen durfte.

Und während er sich dann gemütlich auf die Fließen setzte und das warme Wasser auf sich prasseln ließ, grübelte er schon, was Kaiba sagen würde, wenn er aufwachte. Die erste Variante lautete: er würde um sich tasten und nach einem schwarzen Kaffee fragen. Und die Zweite? Er würde über das unbequeme Bett meckern und unzufrieden sein. Zuzutrauen wäre es ihm.
 

Sein Erwachen gestaltete sich letzten Endes so, dass sie sich eine lange Zeit wortlos anstarrten. Joey wusste nicht, was er sagen sollte und Kaiba war wahrscheinlich noch nicht im Stande zu sprechen.

Bevor er aufgewacht war, waren noch Pikotto und Mokuba zu Besuch gewesen, freudestrahlend und Joey lobend. Alles in einem vermittelten sie ihm ein Gefühl der Sorglosigkeit und der völligen Ruhe. Sie waren lange bei Kaiba gewesen und Mokuba wollte ihn überhaupt nicht mehr loslassen. Nach knapp einer Stunde gingen sie wieder und Joey saß allein mit einem Buch neben dem Bett und las. Und nachdem Kaiba wieder zu sich gekommen war, hatte er sofort Duke angerufen und beinahe eine halbe Stunde mit ihm gesprochen.

Es war die wortwörtliche Erlösung, die er genoss. Ein unbeschreibliches Gefühl der Sicherheit und des Wohlbehagens.
 

Eine Woche war nun vergangen, seit Kaiba die Augen geöffnet und begonnen hatte, das Leben zu genießen, das ihm erneut geschenkt worden war.

"Weißt du, was ich mich schon lange frage?" Konzentriert starrte Joey auf die Olive, die er auf eine Gabel gespickt hatte und nun direkt vor das Gesicht hielt.

"Ne", erwiderte sein Vater beschäftigt. Beide saßen gemütlich in der Küche und Joey ergriff endlich das Wort, nachdem er die Olive eine ganze Weile angestarrt hatte. Er runzelte die Stirn, rutschte auf dem Stuhl vor und zurück und besah sie sich noch genauer. "Warum sind Oliven rund? Warum sind sie nicht... quadratisch oder... rechteckig?"

Herr Wheeler hielt inne, ließ die Gabel sinken und sah seinen Sohn besorgt an.

"Hast du nichts anderes, über das du dir den Kopf zerbrechen kannst?"

"Nein!" Joey lachte heiter, ließ die Olive im Mund verschwinden und sprang auf. "Da gibt es nichts mehr! Ist das schlimm? Hey, was magst du lieber! Ne trübe Tasse oder... mich!" Er fuhr sich durch den blonden Schopf und wandte sich mit einem Schwung ab. "Ich hau dann ab, okay?"

"Ja." Sein Vater schmunzelte und winkte ihn nach draußen. In der letzten Zeit war sein Sohn so glücklich, wie selten zuvor. Er gönnte es ihm von ganzem Herzen. "Und zieh dir etwas Warmes an!", rief er ihm noch nach, als sein Sohn im Flur verschwand.

"Ich werde bald achtzehn!", kam sofort die Antwort. "Verdammt noch mal!"
 

Oh ja, der Sommer war fort und allmählich wurde es draußen etwas unangenehmer. Die Sonne schien keine Lust mehr zu haben, den gesamten Tag am Himmel zu stehen und ließ infolgedessen gern Herr Regen und Frau Kälte den Vortritt. Wenn es nach Joey ging, könnte sogar ein Tornado durch Domino fegen. Seit knapp sieben Tagen war Kaiba wieder wach und auf dem stetigen Weg der Besserung.

Er war bei Bewusstsein, jedoch noch längst nicht so weit, die gesamte Wahrheit zu hören und sie zu verstehen. Joey hatte ihn noch nicht auf den Streit angesprochen, nicht auf das Gift oder den Rest der vielen Abenteuer, die er mit Duke erlebt hatte.

Nein, mit diesen Anliegen würde er sich erst an ihn wenden, wenn er wieder Herr seiner vollständigen Sinne war. Zurzeit konnte sich Joey nur um ihn kümmern, für ihn da sein.
 

Seit er nicht mehr im Krankenhaus übernachtete, freute er sich jedes Mal darauf, es wieder zu sehen, von Erinnerungen beflügelt zu werden, so schlecht sie auch waren.

Gemächlich stieg er die Treppen hinauf und grüßte manche Ärzte, die er während seines Aufenthaltes kennengelernt hatte. Johnson traf er nicht, doch er hatte auch keine Lust, nach ihm zu suchen. Als er das kleine Türschildchen bereits näher kommen sah, schlüpfte er aus dem warmen Pullover und fuhr sich kurz durch den Schopf. Dann griff er nach der Klinke, drückte sie hinab und trat ein.

"Hallo", grinste er gutgelaunt und winkte. "Wie geht's?"

Kaiba saß aufrecht im Bett, lehnte sich gegen das Kissen und hielt eine Flasche Wasser zwischen den Händen. Von denen standen noch drei weitere auf dem Nachttisch. Und das musste auch so sein, denn er musste unbedingt viel trinken... und am besten konnte Wasser den Körper durchspülen. Er sah etwas ausmergelt und müde aus, war jedoch die Kabel los und ebenso einen Teil dieser krankhaften Blässe.

Nun ließ er die Flasche langsam auf seinen Schoß sinken und drehte mit düstrer Miene und aufgeblähten Wangen das Gesicht zu ihm. Joey wartete auf keine Antwort, begann sich an dieses merkwürdige Benehmen zu gewöhnen. Also schickte er Kaiba einen aufheiternden Blick, warf den Pullover auf das Nebenbett und trat schlendernd näher. Kaibas Blick folgte ihm. Dann schluckte er hinter, verzog mürrisch das Gesicht und neigte sich etwas zur Seite, um nach dem Deckel zu tasten. In der Zwischenzeit blieb Joey neben ihm stehen und verfolgte das anstrengende Vorhaben. Während Kaiba den Arm ausstreckte, warf er ihm wieder einen grimmigen Seitenblick zu. Dann erwischte er den Deckel, schraubte ihn träge auf die Flasche und drückte diese prompt Joey in die Hände.

"Weg damit!", fauchte er und fuchtelte mit der Hand, um auch auf die anderen Flaschen aufmerksam zu machen. "Alles weg!"

"O-okay...?" Joey schnappte nach den grausamen Flaschen und stellte sie neben das Bett, damit Kaiba ihren Anblick nicht mehr ertragen musste.

Zurzeit war dieser wirklich etwas schwierig und schlecht zu verstehen. Seine Stimmung war wie so oft auch, düster und schwankte nur selten. Nachdem Joey den Befehl ausgeführt hatte, ließ er sich auf dem Stuhl nieder und beobachtete Kaiba, wie er sich abwesend an der Hand kratzte, sich räusperte und anschließend mit beiden Händen durch sein Haar fuhr.

Wenn sich ihre Blicke trafen, entdeckte Joey stets eine leichte Verwirrung in seinen Augen, und dann stellte er sich die Frage, ob Kaiba eigentlich wirklich wahrnahm, dass er hier war. Bei ihm, um sich um ihn zu sorgen. Dr. Johnson hatte ihn gewarnt und Joey geglaubt, dass es schlimmer wäre. Und doch litt er nun etwas darunter und sehnte sich die Zeiten immer sehnlicher herbei, in denen Kaiba endlich wieder der Alte war. Er wollte wieder richtig mit ihm sprechen, wollte, dass Kaiba ihn verstand und ihm seine Gefühle mitteilte. Und das war zurzeit überhaupt nicht der Fall. Dieses Erlebnis hatte er wirklich nicht gebraucht. Doch es war passiert und er konnte glücklich sein, dass Kaiba lebte. Aber meckern... das konnte er so gut, wie zuvor.

"Ich ertrage das nicht mehr!" Wieder würdigte Kaiba ihm eines kurzen Blickes und ließ den Kopf auf das Kissen fallen. "Seit knapp einem Monat liege ich hier und darf nicht einmal aufstehen! Gebt mir meinen Laptop, gebt mir Akten! Gebt mir irgendetwas, mit wem ich mich beschäftigen kann!"

"Wenn du dich gut erholst, wirst du in knapp einer Woche entlassen", versuchte Joey ihn aufzuheitern. Doch dieser gute Wille brachte nur weiteren Zorn. Das geschah den Beiden in der letzten Zeit öfter.

"Und dann wird ein ganzer Monat daraus!" Kaiba biss die Zähne zusammen und während er leise zu fluchen begann, seufzte Joey leise und rückte mit dem Stuhl weiter vorn, bis er direkt neben Kaiba saß. Dieser achtete nicht auf ihn und starrte an die Decke, als wäre alles ihre Schuld. Joey betrachtete sich seine Augen genau und dann nahm er sich vor, einen kleinen Versuch zu starten. Kaiba war ihm gegenüber die ganze Zeit schroff und unaufmerksam. Nun wollte Joey wissen, wie er reagierte, wenn er etwas tat, das er gern hatte, das sie oft getan hatten.

"Ich sterbe, wenn ich weitere Tage reglos hier liegen muss!" Kaiba schnitt eine Grimasse und schloss die Augen. "Ich sterbe wirklich! Wo zur Hölle ist Pikotto! Ich brauche meinen Laptop! Und wo ist Mokuba! Wehe, wenn sich mit der Schule nichts geändert hat!" Er machte eine kurze Pause, achtete nicht auf Joey und starrte wieder an die Decke. "Mit Pikotto werde ich ein ernstes Wort reden müssen! Er hat mich behandelt... als... ach, was weiß ich..."

Plötzlich verstummte er, sagte kein einziges Wort mehr und ließ langsam den Blick sinken. Joey hatte sich zögerlich nach vorn gebeugt und nach seiner Hand gegriffen. Nun hielt er sie mit den Eigenen umschlossen und betrachtete sie sich verträumt. Seit Kaiba aufgewacht war, hatte er so etwas noch nicht getan. Doch er hielt es nicht länger aus, ohne Kaiba zu berühren, sei es auch nur die Hand. Eine leichte Irritiertheit schlich sich in Kaibas Miene ein, als er von seiner Hand zu Joey sah. Dieser erwiderte seinen Blick nicht, starrte nur auf die Hand und begann nach wenigen Sekunden mit ihr zu spielen. Er spreizte seine Finger und zupfte zärtlich an dem kleinen Pflaster auf seiner Handoberfläche. Nun spürte er eine leichte Bewegung aber es war nur ein unauffälliges Zucken und dann verblieb die Hand wieder ruhig.

Was fühlte Kaiba in diesem Moment?

Er grübelte lange, hielt die Hand lange fest und erhoffte sich, wenige Worte von ihm zu hören. Doch Kaiba schwieg und so war er dazu gezwungen, diese Aufgabe zu übernehmen. Er umschloss die Hand wieder fester, atmete tief durch und blickte auf. Er sah direkt in Kaibas stahlblaue Augen und es gelang ihm ein flüchtiges Lächeln, welches der Andere nicht erwiderte.

"Hey." Joey legte den Kopf schief, bemerkte nicht, wie seine Miene wieder eine traurige Nachdenklichkeit annahm. "Was ist mit dir los? Haben sich die Querelen zwischen uns nicht erledigt?"

Keine Regung war in Kaibas Gesicht zu erkennen. Er lag einfach dort und starrte ihn an. Und diese Tatsache machte ihn zugegeben nervös. Wenn er mit ihm schon nicht ordentliche Gespräche führen konnte, dann wollte er ihm zumindest seine eigenen Gefühle mitteilen und sich wenigstens eine winzige Reaktion erhoffen. Er fand glücklicherweise wieder zu dem Lächeln zurück und begann einfach zu sprechen.

"Kannst du den Sonnenuntergang von hier aus sehen?", fragte er leise und drehte sich kurz zu dem Fenster um, Kaiba reagierte nicht. "Weißt du es noch? Wie wir auf der Sonnenterrasse deines Hauses gesessen und ihn uns angeschaut haben? Du...", er schmunzelte bei dieser Erinnerung, "… du hast alles verflucht, weil er zu kurz angehalten hat, warst mal wieder richtig unzufrieden."

Wieder sah er ihn an, wieder rührte sich Kaiba nicht.

"Weißt du noch, als ich das erste Mal bei dir zu Hause war? Bikky und Mokuba hatten sich als Bären verkleidet und Bikky ist gegen die Tür gerannt." Wieder musste er grinsen. "Und dann... oh ja, dann hast du mir etwas auf der E-Gitarre vorgespielt. Das war wirklich toll! Du hast gesagt, dass..."

"Was hat das damit zu tun! Ich bleibe dabei, trinke keinen einzigen Schluck mehr!", fuhr Kaiba ihn plötzlich an. "Ich kann dieses scheußliche Wasser nicht mehr sehen! Gebt mir Kaffee oder Wein... aber kein gottverdammtes Wasser!"

Joey stöhnte erschöpft und ließ den Kopf hängen. Er sank auf Kaibas Arm und blieb dort liegen. Er hätte wissen müssen, dass diese Taktik nicht funktionierte. Zeit. Kaiba brauchte noch etwas Zeit.

Aber wie viel Zeit könnte er ihm geben?

Sieben Tage ein und dasselbe. Wie lange hielt er das noch aus?

Von einer Sekunde auf die andere, begann Kaiba wieder wirres Zeug zu reden. Er existierte nicht mehr und Kaiba ließ seiner Wut freien Lauf. Und das wollte sich Joey nicht antun, sonst wurde er noch depressiv. Nach wenigen Sekunden, als sich Kaibas Hand zu regen begann und versuchte, sich zu befreien, richtete er sich wieder auf und ließ sie endlich los, damit Kaiba sie zugleich zu einer Faust ballen konnte. Und während er dann weiterfluchte, schüttelte Joey in einer leisen Verzweiflung den Kopf und machte sich in langsamen Schritten auf den Weg zur Tür. Kaiba achtete nicht einmal auf ihn, als er ging! Seit einer Woche war er nun wach und sein Zustand hatte sich so gut wie nicht gebessert, außer, dass sich die Verwirrung und die Orientierungslosigkeit etwas zurückgezogen hatten. Als Joey nach der Klinke griff, versuchte er es sich nicht vorzustellen, wie es wäre, auf Kaiba aufpassen zu müssen, wenn er wieder zu Hause war. Er betete zu allen Göttern, dass er bis dahin wieder vollständig bei Sinnen war. Sobald er draußen im Flur stand und die Tür geschlossen hatte, wühlte er nach dem Handy und rief Duke an.

Er hatte sich schon genug Sorgen wegen dem Gift gemacht und sein Leben aufs Spiel gesetzt, um Kaibas Leben zu retten! Er hatte verdammt viel für ihn getan und von Kaiba kam kein einziges Wort des Dankes! Joey versuchte es zu verstehen, wusste genau, dass Kaiba nichts dafür konnte und trotzdem schmerzte es ihm sehr, so behandelt zu werden. Während er wartete und lauschte, begann er etwas spazieren zu gehen und sich das Gesicht zu reiben.

"Ja, ich bin es, Joey", meldet er sich dann zermürbt. "Duke... kannst du bitte ins Krankenhaus kommen? Ich werde mit Kaiba nicht fertig."
 

~*to be continued*~

Blind

"Ich möchte nur den alten Kaiba zurück."

Knapp eine halbe Stunde später, saß er mit Duke in einem der Aufenthaltsräume und sprach sich aus, da Kaiba ja kein offenes Ohr für ihn hatte. Duke jedoch, nickte verständnisvoll.

"Am ersten Tag hat er mich nicht einmal angesehen, hat so getan, als wäre ich überhaupt nicht da! Am zweiten Tag hat er mich angesehen, aber nicht mit mir gesprochen!" Joey beugte sich nach vorn, stützte sich auf den Tisch und rieb sich erschöpft den Nacken. "Und in den letzten fünf Tagen konnte ich nur seinen Flüchen lauschen und kam ihm um keinen Millimeter näher!"

"Aber Dr. Johnson hat dich aufgeklärt", murmelte Duke.

"Natürlich hat er das." Verzweifelt richtete sich Joey auf und lehnte sich zurück. "Aber ich konnte doch nicht wissen, dass es so schlimm wird! Ich war erst einmal nur erleichtert, dass er überleben wird und jetzt habe ich Angst, dass die Distanz zwischen uns wieder größer geworden ist. Beinahe wie zu Beginn!"

"Der Doktor sagte aber auch, dass es sich alles beheben wird", sprach Duke beruhigend auf ihn ein. "Er hat große Probleme, wird zurzeit nicht einmal mit sich selbst fertig. Und du kannst auch nicht erwarten, dass alles von einem Tag auf den Anderen wieder gut wird, Joey." Duke seufzte, beugte sich nach vorn und schob die Hände über den Tisch zu ihm. "Er wäre beinahe ums Leben gekommen und bald wird er dazu im Stande sein, dir Dankbarkeit und dieselbe Aufmerksamkeit zu geben, die er dir anfangs gegeben hat. Es wird alles wieder gut... nur eine Frage der Zeit."

"Ich weiß, ich weiß." Joey nickte überfordert und verdrehte die Augen. "Es fällt mir nur schwer, verstehst du?"

"Natürlich."

"Ich dachte, mit dem Gegengift wären alle Probleme aus der Welt geschafft! Ich dachte, ich würde wieder glücklich sein, könnte wieder seine Nähe genießen, seinen Atemzügen lauschen und mich am starken Blau seiner Augen erfreuen. Aber es wirkt so kühl und emotionslos auf mich, schlimmer, ja, viel schlimmer als früher, als wir nichts miteinander zu tun haben wollten. Er...", Joey stoppte, schloss die Augen und stöhnte am Ende seiner Kräfte, "… er... ist jetzt seit sieben Tagen wach... und ich merke nichts von seiner Aufrichtigkeit und seinem Stolz. Er hat sich so grausam verändert und raubt mir die letzte Hoffnung. Ich bin fertig, Duke!" Er schnappte nach Luft und starrte sein Gegenüber selbstquälerisch an. "Ich stecke diese ganzen Erlebnisse nicht so einfach weg! Ich leide darunter, egal, ob es nun schon vorbei ist, oder nicht! Wir haben verdammt viel durchgemacht und ich war nahe davor, aufzugeben und auf das Ende zu warten! Aber ich habe einen harten Kampf auf mich genommen, um dieses gottverdammte Gegengift zu besorgen! Und jetzt habe ich mir einen Lohn für meine Mühen erhofft. Ein Lohn für diese Anspannung und die Todesangst, die wir gemeinsam erlebt haben! Einen Lohn, für all das, was wir für ihn auf uns genommen haben! Ich weiß, dass er es noch nicht zu schätzen wissen kann und überhaupt nicht versteht, was überhaupt passiert ist! Ich konnte es ihm ja noch nicht sagen, weil er nur flucht, mir nicht zuhört und es sowieso nicht verstehen würde! Ich will es ihm aber sagen und ich will, dass er es versteht! Ich war so glücklich, als ich mit dem Gegengift herkam, konnte das erste Mal seit langem ruhig schlafen und mich auf die nächsten Tage freuen. Aber... ich habe mich geirrt. Das eigentliche Drama beginnt gerade erst."

Daraufhin antwortete Duke nicht. Auch er lehnte sich zurück, starrte auf den Tisch und begann die Kante mit den Fingern zu bearbeiten.

"Wenn du seinen Anblick und sein Verhalten nicht ertragen kannst", sagte er dann nach langen Überlegungen, "… dann solltest du ihn vielleicht vorerst nicht mehr besuchen und warten, bis es ihm besser geht."

Joey blickte auf.

"Du solltest dich auf andere Dinge konzentrieren und erst wieder zu ihm kommen, wenn er wieder bei Sinnen ist und deine Anwesenheit zu schätzen weiß. Und ich bin mir sicher, dass sie ihm sehr wichtig ist."

"Und genau deshalb muss ich bei ihm sein", erwiderte Joey leise, seine Augen waren bedrückt auf einen nicht existierenden Punkt gerichtet. "Er geht nicht auf mich ein und macht den Eindruck, als wäre ihm meine Anwesenheit egal aber das stimmt nicht. Ich glaube, irgendwie ist er doch dankbar, dass ich da bin. Und das ist immerhin der Grund, weshalb ich es tue."

"Und was willst du jetzt machen? Willst du wieder zu ihm gehen, herumsitzen und dir seine finstere Miene antun? Du wirst doch nur darunter leiden und irgendwann reißt dein Geduldsfaden, das sehe ich kommen."

"Dann reißt er eben." Joey blähte die Wangen auf. "Ich bin mir sicher, dass er dasselbe für mich tun würde."

"Hm... das könnte ich mir auch vorstellen."

"Geh doch mal zu ihm?" Plötzlich richtete sich Joey auf. "Vielleicht benimmt er sich bei dir ja anders?"

"Wa... warum sollte er das denn tun?" Duke wurde nervös, begann auf dem Stuhl hin und her zurutschen und mehrmals den Kopf zu schütteln. "Zu dir hat er doch eine viel größere Verbindung."

"Auf den Versuch kommt es aber doch an." Joey war sich seiner Sache sicher und Duke wusste überhaupt nicht mehr, was er denken sollte. "Ich bitte dich, Duke. Schau mal nach ihm und versuch ihn zum sprechen zu bringen. Ich... ich könnte auch Yugi zu ihm schicken, dann würde er sicher etwas sagen... auch, wenn es nur Flüche wären. Aber du. Er hat es mir gesagt, Duke! Er hat nichts gegen dich! Und du hast verdammt viel für ihn getan, warum solltest du die Chance also nicht nutzen und den Kontakt zu ihm suchen?"

"Ich weiß nicht einmal, ob ich das wirklich will." Duke räusperte sich. "Kaiba spielt in einer anderen Liga."

"Das ist nur eine dumme Ausrede!", bemerkte Joey. "Schau mich an! Bin ich vielleicht in seiner Liga? Da kämst du schon eher in Frage, immerhin bist auch du ein erfolgreicher Geschäftsmann. Und... und... bei dem Picknick, da warst du der Einzige, der ein passendes Gesprächsthema fand und etwas mit ihm gequatscht hat. Ihr habt euch doch damals schon gut vertragen, oder?"

"Hm..."

"Bitte geh zu ihm, ja?" Jetzt begann Joey zu betteln. "Du kannst ihn ja auf Computer oder irgendwelche Programme ansprechen, was weiß ich."

"Du bist ihm aber viel wichtiger", widersprach Duke. "Und wenn er dir schon mit Ablehnung begegnet... wie soll es denn dann bei mir sein?"

"Ver-su-huch", flüsterte Joey. "Wenn du keine Lust mehr hast, kannst du ja sofort gehen. Mich hat er auch nicht zurückgehalten."

"Okay, okay." Jetzt reichte es Duke - jetzt hatte Joey ihn überredet. Also hob er die Hände und nickte erschöpft. "Ich gehe zu ihm."

"Dann komm." Sofort war der Blonde auf den Beinen, und, woher auch immer, er schien neuen Mut geschöpft zu haben, schien doch wirklich zu glauben, Duke hätte mehr Chancen und könnte an alledem etwas ändern. Er zerrte seinen Hoffnungsträger auf die Beine und machte sich schnell auf den Rückweg zu Kaiba. Vor dem Zimmer blieben sie dann stehen und Joey ballte beide Hände zu Fäusten, mitflehend, dass es funktionierte.

"Hauptsache ist, du bringst ihn zum Sprechen. Und nachher erzählst du mir, ob es sinnvoll war, was er gesagt hat."

Duke nickte untertänig und dann schob Joey ihn zur Tür.

"Du machst das aber nicht nur für mich, oder?", flüsterte er währenddessen leise. Darauf konnte Duke ihm nicht antworten, also griff er schnell nach der Klinke und öffnete die Tür. Und sofort ließ Joey von ihm ab, ging zur Seite und ließ ihn alleine. Nach der Beschreibung, die Joey ihm geliefert hatte, erwartete er ein verwüstetes Zimmer und Kaibazilla, der auf dem Bett saß und blutgierig die Zähne fletschte. Doch stattdessen sah er nur einen jungen Mann, der sich leise fluchend aus dem Bett neigte und sich streckte. Er besah ihn sich musternd und schloss die Tür hinter sich. Und sofort wurde Kaiba auf seinen Gast aufmerksam. Er drehte das Gesicht zu ihm und kämpfte sich in eine aufrechte Haltung, um ihn bequem anstarren zu können.

Und Duke wurde zugegeben etwas nervös. In was hatte Joey ihn da nur verwickelt? Er kannte Kaiba doch so gut wie gar nicht und wusste erst recht nicht, wie er ihn ansprechen sollte. Doch das übernahm überraschenderweise Kaiba für ihn. Und das nur nach wenigen Augenblicken. Sein Blick hatte etwas Boshaftes an sich, doch so schlimm, wie Joey es ihm geschildert hatte, wirkte es nicht auf Duke. Kaiba musterte ihn nur wenige Sekunden, schien nicht über seine Anwesenheit erstaunt zu sein. Stattdessen fuchtelte er mit der Hand.

"Devlin!", murrte er. "Los, komm her! Gib mir eine Flasche!"

Oh, dieser Ton.

Er hatte wirklich nichts allzu angenehmes an sich aber Duke ließ sich nicht einschüchtern, blieb einfach stehen und befolgte den strikten Befehl nicht.

"Könnte ich", antwortete er nach einem hastigen Grübeln. "Es fällt mir nur leichter, wenn man mich freundlich darum bittet."

Kaibas Miene verdunkelte sich sofort und er knirschte mit den Zähnen. Er schien es zurzeit nicht gern zu haben, wenn man nicht auf ihn hörte. Barsch und schroff, wie Joey ihn beschrieben hatte. Doch er hatte ihn erkannt und ihm somit mehr Aufmerksamkeit geschenkt, als Joey. Und das wunderte Duke und machte ihn gleichermaßen sehr nervös. Ein Gedanke schlich sich in seinem Kopf ein, doch bevor er ihn weiter verfolgen konnte, brummte Kaiba wieder, warf sich zur Seite und startete einen neuen, hoffnungslosen Versuch, eine der Flaschen zu erreichen. Er streckte sich so gut er konnte, stöhnte und schnaufte. Er rutschte auch weiter nach vorn, doch bevor er aus dem Bett fiel, spuckte er einen kaum hörbaren Fluch und hielt in den Bewegungen inne, denn Duke war näher getreten und direkt vor ihm stehen geblieben. Er blickte zu ihm auf, brummte erneut und kämpfte sich wieder in eine aufrechte Haltung. Und als er dort saß, wandte er ruppig den Blick ab und verschränkte die Arme vor dem Bauch. So hatte Duke ihn noch nie erlebt. Bei den seltenen Treffen und in der Schule war er stets der Kühle und Unnahbare gewesen. Nun wirkte er wehrlos und erreichbar für jeden, der ihm helfen konnte. Duke warf einen kurzen Blick zu den Flaschen, betrachtete sich dann Kaiba und ließ sich auf dem Stuhl nieder, auf dem Joey zuvor gekauert hatte. Nun wusste er, dass er es nicht nur für Joey tat. Er war tief in die gesamte Sache verwickelt und der Gedanke, ihm etwas näher kommen zu können, erweckte allmählich ein angenehmes Gefühl in ihm. Einige Momente vergingen in Schweigen. Kaiba wollte scheinbar lieber verdursten, als das gewisse Wort auszusprechen und Duke würde es ihm nicht geben, wenn er sich nicht dazu überwand.

Er grübelte, meinte bei sich, dass Kaiba überhaupt nicht sehr verwirrt wirkte. Etwas schon, doch sinnlos war es nicht gewesen, was er gesagt hatte. Und nachdem er bemerkte, dass sie stundenlang so dasitzen könnten, da sah er sich dazu gezwungen, das Wort zu ergreifen.

"Dir scheint dieses Wasser ja sehr wichtig zu sein", meinte er ruhig und war gespannt auf Kaibas Reaktion. Und die bekam er. Kaiba ließ die Arme sinken und warf ihm einen scharfen Blick zu.

"Was geht dich das an! Gib mir eine Flasche!"

"Warum hast du nicht Joey darum gebeten?" Fragte Duke, ohne lange zu überlegen. "Er war doch vor kurzem bei dir und ich bin mir sicher, er hätte es sofort getan, ganz egal, wie lieb du ihn darum gebeten hättest."

"So wie es aussieht, ist er aber nicht mehr hier!", antwortete Kaiba ihm klar und deutlich. "Jetzt mach schon!"

Duke jedoch, schüttelte den Kopf und äffte seine beleidigte Haltung nach.

"Warum fällt es dir so schwer, darum zu bitten?"

"Ich bitte nicht! Ich will es haben!"

"So bekommst du es aber nicht."

Herrje, Duke befürchtete, dass sie dieses sinnvolle Gespräch bis zur Unendlichkeit weiterführen konnten. Und wenn Kaiba nicht endlich das gewisse Wörtchen sagte, würde dem so sein. Also beschloss er, das Thema vom Wasser abzulenken und Klartext zu sprechen. Und so wie sich Kaiba benahm, fiel es ihm nicht allzu schwer. Er war kurz davor, ihm die gesamte Geschichte zu erzählen, da er meinte, Kaiba wäre zurechnungsfähig genug. Doch letzten Endes tat er es nicht und wählte einen anderen Weg.

"Du scheinst deinen Aufenthalt hier sehr zu genießen, hm?", sagte er also und da Kaiba seine Anwesenheit, außer der Tatsache, dass er ihm nicht das verfluchte Wasser gab, nicht zu stören schien, wagte er sich weit aufs Glatteis hinaus. Kaiba jedoch, schien kein Interesse an einem Plausch zu haben und starrte weiterhin in die andere Richtung.

"Ich will das Wasser!", zischte er nur.

Duke bewahrte Ruhe und sehnte sich nach einem Fortschritt des Gespräches. Also fragte er einfach weiter und ging überhaupt nicht auf ihn ein. Diese Verzogenheit störte ihn an Kaiba und er hatte sicher nicht vor, sein neues Dienstmädchen zu werden, wenn Joey gerade nicht griffbereit war.

"Was tust du, wenn du entlassen wirst? Wirst du dich sofort wieder in die Arbeit stürzen?" Er kreuzte die Beine und legte den Kopf schief.

"Wasser", murmelte Kaiba resigniert.

"Nicht, bevor du nett darum gebeten hast." Allmählich war Duke genervt und da fuhr Kaiba zu ihm herum und schickte ihm einen tödlichen Blick. Nur kurz blieb er sitzen, dann plötzlich grabschte er nach der Decke und schlug sie ruppig zur Seite. Duke hob die Augenbrauen. Und ohne ihm einen weiteren Blick zu schicken, schob sich Kaiba mit viel Mühe zur Bettkante. Er keuchte, als er die Beine darüber zog und sie baumeln ließ. Er trug lediglich ein langes weißes Hemd und Shorts. Außerdem hatte er den strengen Befehl, das Bett nicht zu verlassen. Duke wusste es, griff aber nicht ein. Er blieb nur sitzen und beobachtete, wie Kaiba nach vorn rutschte, die Füße auf den Boden setzte und sich hinabsinken ließ. In den Beinen schien er nicht allzu viel Kraft zu haben und deshalb kam er überhaupt nicht in den aufrechten Stand. "Jetzt ist auch noch der Rest der Welt gegen mich." Kurz rupfte er an seinem Hemd und griff etwas ungeschickt nach einer der Flaschen.

Duke verfolgte das Geschehen weiterhin gelassen, beobachtete Kaiba, wie er die Flasche hob und mit letzter Kraft auf dem Bett ablegte. Und schon war er erschöpft, ließ die Arme sinken und sah sich flüchtig um. Da unten kauerte er jetzt und kam nicht mehr auf die Beine. Zumindest nicht ohne Hilfe. Und es vergingen keine fünf Sekunden, da giftete er Duke an.

"Hilf mir auf!"

"Wie bitte?"

"Du sollst mir auf helfen!" Jetzt wurde Kaiba laut und machte den Anschein, Duke an die Beine zu fallen, wenn er nicht spurte. Zu mehr wäre er im Augenblick nicht im Stande. Nun würde ihm aber nichts anderes mehr übrig bleiben, als Duke zu bitten. Und dieser wartete nur darauf. Nachdem er jedoch nicht auf seine Ermahnung geantwortete hatte, biss Kaiba die Zähne zusammen, hob die Arme und klammerte sich doch wirklich in die Matratze! Er versuchte sich aufzurichten, sich hinaufzuziehen, doch auch seine Arme schienen schwach zu sein und so sank er auf den Boden zurück und blieb keuchend kauern.

"Warum fällt es dir so schwer, ‚Bitte’ zu sagen?", wunderte Duke sich gelassen. "Es ist nur ein Wort, hat aber eine große Wirkung."

Kaiba reagierte nicht und er würde den ganzen Tag hier sitzen bleiben, bis ein Anderer kam, der ihm zu einem geringeren Preis half. Er würde nicht darum bitten und so musste Duke nach einer anderen Lösung suchen. Und diese Lösung war schnell gefunden. Er räusperte sich leise, rutschte sich auf dem Stuhl zu Recht und setzte eine ernste Miene auf.

"Ich helfe dir, wenn du mir ein paar Fragen beantwortest."

Kaiba starrte währenddessen auf den Boden und begann ihn mit den Fingernägeln zu bearbeiten, verbissen und ruppig, so als wäre er an allem Schuld.

"Die erste Frage lautet: Weißt du, dass Joey jeden Tag den ganzen Tag bei dir ist und sich um dich kümmert?"

Kaiba pulte weiter und das Einzige, das er als Antwort hervorbrachte, war ein ungewisses Knurren. Damit gab sich Duke jedoch nicht zufrieden.

"Entweder du bittest mich freundlich um Hilfe, oder du beantwortest meine Frage", stellte er ihm prompt ein Ultimatum.

Kaiba blickte nicht auf, pulte weiter und regte sich nicht von der Stelle. Und Duke übte sich in Geduld. Er wartete und Kaiba schien zu grübeln, denn seine Bewegungen wurden langsamer, bis sie endgültig nachließen und seine Hände still verblieben. Und dann blickte er auf und in Duke sprudelte die Neugierde auf die Antwort empor.

Was würde Kaiba ihm auf die Frage antworten?

Scheinbar hatte er sich entschieden.

Ja, seine Augen richteten sich ernst auf ihn und dann atmete er tief ein und öffnete den Mund.

"Bitte hilf mir dabei, aufzustehen", sagte er und in dem gewünschten freundlichen Ton.

"Was...?" Duke neigte sich langsam nach vorn.

"Bitte hilf mir", wiederholte Kaiba mit größter Mühe.

Duke war enttäuscht, hatte gehofft, dass er sich für die andere Möglichkeit entscheiden würde. Doch er hatte ihm eine Ausweichmöglichkeit gegeben und wenn Kaiba lieber bettelte, als ihm auf die Frage zu antworten, dann musste schon viel dahinter stecken. Er zögerte kurz, nickte dann jedoch und kam auf die Beine. Versprochen war versprochen. Kaiba klammerte sich an seinen Arm, Duke packte ihn vorsichtig und dann zog er ihn auf die Beine und war ihm dabei behilflich, sich auf das Bett zu setzen. Ein "Danke" gelang Kaiba dann aber nicht mehr. Ruppig befreite er sich aus Dukes Griff, schickte ihm einen weiteren düsteren Blick und grabschte nach der Flasche. Er hielt sie fest, während er sich mit großer Anstrengung zu den Kissen zurückschob, sich hinlegte und die Decke über sich zog. Stockend hatte sich Duke wieder auf dem Stuhl niedergelassen und verfolgte nun mit bitterer Miene, wie Kaiba den Deckel aufdrehte. Er tat es langsam und bedächtig, starrte währenddessen neben sich auf die Decke und schien abzudriften.

"Misch dich nicht ein", sagte er dann plötzlich die Worte, die das Fass zum Überlaufen brachten und die Geduld, die Duke angestrengt bewahrt hatte, wie einen Ballon platzen ließen. Während er ihn erschüttert anstarrte, setzte er nur die Flasche an die Lippen und trank.

"Ich... ich soll mich nicht einmischen?" Mit einem Mal sprang er auf die Beine und trat mit einem Schritt an das Bett heran. "Joey hat sich verdammt große Sorgen gemacht, während du krank warst, Kaiba! Er war verzweifelt und hatte Angst um dich! Du bist nicht der Einzige, dem Joey am Herzen liegt! Er ist auch mein Freund und es tut mir leid, wenn ich mich um ihn sorge, wenn es ihm schlecht geht! Du scheinst zurzeit ja keine Lust dazu zu haben! Spielst ihm einen Verrückten vor, damit du nicht auf ihn eingehen musst!! Tust so, als wäre dir seine Anwesenheit egal!!"

Kaiba gab sich ungerührt, ließ die Flasche sinken und schraubte sie mit aller Seelenruhe zu. Doch Duke war noch nicht fertig und nun hielt er sich nicht mehr zurück.

Er stürzte zum Fußende des Bettes und starrte ihn feurig an.

"Katagori hat dich vergiften lassen, Kaiba! Dir ging es so schlecht, weil du ein Gift in dir hattest!! Joey und ich bekamen es erst heraus, als wir von ihm entführt wurden!! Glaubst du, diese Schrammen haben wir nur so zum Spaß?! Nein, gottverdammt!! Katagori hatte zwei Gehilfen und nach der ersten Tracht Prügel sollten wir dem Leben endgültig Ade sagen!! In der Zwischenzeit lagst du schon im Krankenhaus und hast mit dem Tod gekämpft aber wir konnten fliehen und wurden beinahe hingerichtet!! Trotzdem haben wir überlebt, wussten endlich, was mit dir geschehen war und konnten einen Weg suchen, wie wir dich retten!! Joey war verzweifelt, mit den Nerven am Ende! Und glaubst du, mir ging es besser?! Wir waren erschöpft und haben trotzdem nach dem Mann gesucht, der das Gift entwickelt hat und somit auch im Besitz des Gegengiftes war! Wir sind durch halb Domino gerannt und unsere Suche war erfolglos! Kannst du dir vorstellen, wie sich Joey gefühlt haben muss?! Er liebt dich, verdammt noch mal! Und obwohl er kaum noch stehen konnte, machte er sich allein auf die Suche nach dem Gegengift!! Er war einen ganzen Tag unterwegs und wurde erst in Minjoko fündig! Dort wurde er verprügelt und beinahe erschossen!! Aber er hat das Gegengift geholt und sich anschließend nach Domino zurückgeschleppt, um dir das Leben zu retten!!" Duke schnappte gehetzt nach Luft und fuhr fort. "Er hat verdammt viel auf sich genommen, um dich zu retten und sein eigenes Leben schien ihm dabei wieder einmal egal zu sein!! Nun lebst du, das Gegengift wirkt und er hat sich erhofft, dich zurück zu gewinnen und eine schöne Zeit mit dir zu haben!! Und nun?! Nun spielst du ihm kaltherzig etwas vor und lässt ihn nicht an dich heran! Du blockst ihn ab und fügst ihm somit nur weitere Schmerzen zu!! Oh... du weißt nicht, was wir erlebt haben! Und nichts in der Welt gibt dir das Recht, ihn so zu behandeln. Ohne ihn... wärst du tot, Kaiba! Kein Mokuba mehr, keine Kaiba-Corporation. Viele Menschen hätten unter deinem Tod gelitten... und Joey dachte nicht nur an sich, als er sich auf den Weg machte, der ihn ins Ungewisse führte. Was auch immer dich zu diesem Irrsinn treibt, lass es sein und sprich mit ihm." Ohne auf Kaibas Gesicht zu achten, wandte er sich ab. "Zeig ihm wenigstens, dass sich sein verbitterter Kampf gelohnt hat. Und wenn du ihm weiterhin so gnadenlos weh tust... dann ist kein Gift mehr nötig, um dich ins Grab zu bringen!"

Mit diesen Worten atmete er tief durch und ging zur Tür, ohne sich einmal zu Kaiba umzudrehen. Er griff nach der Klinke, öffnete die Tür und verließ das Zimmer. Er ließ Kaiba zurück, der nun plötzlich, mit einem Schlag, die gesamte Wahrheit erfahren hatte.

In Duke brodelte noch immer die Wut, als er sich wenige Schritte von der Tür entfernte und losging. Sein Atem raste, seine Venen pulsierten, doch er bereute kein einziges Wort. Er ließ zwei Türen hinter sich, ging einfach weiter ohne ein Ziel vor Augen zu haben, doch da ertönte Joeys Stimme.

"Duke!"

Sofort blieb der Angesprochene stehen und blickte auf. Mit wenigen Schritten stand Joey direkt vor ihm und starrte ihn mit großen Augen erwartungsvoll an.

"Und??" Er sprudelte vor Neugierde. "Hat er Wirrwarr gesprochen? Hat er überhaupt gesprochen?! Sag schon!"

Duke zögerte mit der Antwort, sah ihm direkt in die Augen und entspannte sich.

"Duke, bitte sag es mir!" Joey wurde schnell ungeduldig. "War er gemein zu dir? Hat er dir gesagt, was er denk?! Habt ihr über Computer gesprochen?! Du warst ja länger bei ihm, als ich es gedacht hätte!"

Duke nickte stumm, stützte die Hände in die Hüften und biss sich auf die Unterlippen.

"Hm..."

"Hm?" Joey zog eine Grimasse. "Was soll das denn heißen?"

"Ich hätte schon viel eher mit ihm sprechen müssen." Wieder sah Duke ihn an und Joey schnappte überrascht nach Luft.

"Habt ihr euch gut verstanden? Konntest du dich mit ihm unterhalten?"

"Hör zu." Duke atmete tief durch, wackelte mit dem Kopf und legte den Arm um seinen Hals, um ihn mit sich zu führen. "Wir sollten jetzt vielleicht etwas essen gehen. Und dann, nach ungefähr zwei Stunden, gehst du noch einmal zu ihm, ja?"

"Warum?" Joey blieb wie versteinert stehen. "Hast du... hast du etwas erreicht?"

"Das musst du nachher herausfinden." Duke zuckte mit den Schultern. "Ich glaube, er braucht jetzt erst einmal seine Zeit, um alles zu durchdenken."

"Duke?" Joey zog die Augenbrauen zusammen. "Hast du... ihm die Geschichte erzählt?"

Der Angesprochene zögerte wieder. Lange standen sie sich gegenüber, bis er nickte.

"Ich hielt es nicht mehr aus, Joey. Er kennt jetzt die Wahrheit und wird erst einmal mit ihr fertig werden müssen."

"Aber...", Joey presste die Lippen aufeinander, drehte sich kurz zur Tür um, "… meinst du, dass er jetzt alleine sein sollte?"

Duke gelang ein aufmunterndes Lächeln.

"Unbedingt."
 

"Ich habe ihm alles erzählt." Duke ließ sich an einem der vielen kleinen runden Tische nieder und lehnte sich sogleich zurück, um tief durchatmen zu können, Joey setzte sich neben ihn und begann mir einer kleinen Karte zu spielen.

"Und du weißt wirklich nicht, wie er reagiert hat?", erkundigte er sich ernst. "Hast du nicht doch noch kurz zu ihm gelugt?"

Duke schüttelte den Kopf.

"Tut mir leid, ich war einfach nur verdammt wütend."

"Warum?", fragte Joey verwundert.

"Warum?" Duke gelang ein flüchtiges Grinsen. "Weil er ein verwöhnter, reicher Pinkel ist."

"Ja." Joey erwiderte das Grinsen und nickte zustimmend.

Dann bestellten sich die Beiden ein Getränk.

"Es ist so, Joey." Duke rollte das Glas zwischen beiden Händen und räusperte sich leise. Joey lauschte aufmerksam. Sie saßen in einem Cafe, das gleich gegenüber dem Krankenhaus lag. "Kaiba ist noch etwas durcheinander, das sieht man an seinen Augen, aber... so schlimm ist es nun auch wieder nicht. Jedenfalls konnte ich normal mit ihm sprechen. Er hat mich erkannt, auf mich reagiert... tja, und so bekamen wir uns in die Haare."

"Was willst du mir damit sagen?" Joey nippte an seinem Glas, die Augen behielt er stets auf ihn gerichtet.

"Na ja." Duke erwiderte seinen Blick kurz. "Ich glaube, dass er dir etwas vorgespielt hat, als du bei ihm warst."

"Hm?" Joey ließ das Glas sinken. "Meinst du, dass er mich verstanden hat? Dass er genau wusste, wovon ich sprach und einfach nicht auf mich eingehen wollte?"

"Genau das würde ich sagen. Sicher bin ich mir jedoch nicht."

Die nächsten Momente verbrachten sie in Schweigen. Joey grübelte verbissen und brachte manchmal ein stummes Nicken hervor. Ja, so sah es aus und auch Duke beschäftigte sich damit. Sie sagten lange nichts und Joey ergriff erst das Wort, als er sich eine zweite Cola bestellte.

Und dann wandte er sich wieder an ihn.

"Du hast Recht." Er versuchte, heiter und entschlossen zu wirken, doch es fiel Duke nicht schwer, sein wahres Gesicht zu erkennen, das wehleidig verzogen war. "Jetzt, da er über alles Bescheid weiß, sollte ich ihm erst einmal etwas Zeit zum Überlegen geben. Und dann schau ich noch einmal nach ihm und hoffe auf eine richtige Aussprache, ja."

"Genau das solltest du tun", pflichtete Duke ihm bei. "Es ist nur verständlich, dass er etwas Zeit braucht und..."

Er verstummte, als sich Joeys Handy meldete. Der Blonde hob die Augenbrauen, richtete sich auf und wühlte kurz in seinen Hosentaschen. Anschließend fuchtelte er kurz mit der Hand und nahm ab.

"Japp?", meldete er sich.

Duke beobachtete ihn, wie er lauschte und lauschte... und dabei schnell blass im Gesicht wurde. Was war denn jetzt wieder passiert! Duke ahnte Schlimmes und seine Befürchtung bewahrheitete sich, als Joey wieder nickte und das Handy sinken ließ. Er sah Duke lange an, wackelte mit dem Kopf und schnalzte mit der Zunge.

"Tja", murmelte er dann. "Jetzt ist die Stunde der Wahrheit gekommen."

"Warum?"

"Kaiba macht Radau und will mit mir sprechen." Mit diesen Worten erhob sich Joey und begann kurz in seinen Hosentaschen zu wühlen.

"Ich mach das schon", erklärte Duke sofort. "Geh du zu ihm und sprich dich aus. Hoffentlich wird sich alles bessern. Hm... lange zum Überlegen hat er ja nicht gebraucht."

Joey weitete die Augen. "Wünsch mir Glück, ja?"

Somit schlug er Duke auf die Schulter und kehrte in sicheren Schritten zum Krankenhaus zurück. Dieser sah ihm kurz nach, wandte sich wieder ab und rieb sich das Gesicht. Hoffentlich erinnerte sich Kaiba an seine Drohung.

Wenn Joey heulend zurückkehrte, würde er sie verwirklichen.
 

Diesen packte die Nervosität, als er das Krankenhaus betrat.

Er bereitete sich auf alles vor und Kaiba sollte seine Wortwahl gut überdenken, denn er war allmählich auch etwas gereizt und würde seine Meinung zum Besten geben.

Ein gestresster und überarbeiteter Dr. Johnson war es gewesen, der ihn angerufen hatte. Sicher wäre auch dieser heilfroh, wenn Kaiba endlich entlassen wurde. Einen so spannenden Patienten hatte er sicher nur selten erlebt. Und mit seinen Wutausbrüchen hatte Kaiba schon oft die gesamte Station auf Trab gehalten.

Johnson oder einen anderen bekannten Arzt sah Joey während seines Weges nicht mehr. Vermutlich hielten sie sich alle von jenem Zimmer fern, da auch sie mit den Nerven am Ende waren.

"Am liebsten hätte ich es schon hinter mir", brummte Joey, als er nur noch wenige Schritte vom Ziel entfernt war und sich ruppig einen Zopf band. Flink schlang er sich noch den Pullover um die Hüfte, rieb sich die Augen und sah sich kurz nach beiden Seiten um.

Wer weiß?

Vielleicht würde sich Kaiba ihm sofort um den Hals werfen und darum bitten, dass sie alles Vorgefallene vergaßen? Unrealistisch, schon klar, aber für Joey wäre das der beste Ausgang dieses Gespräches. Kaiba hatte ihn verletzt und großen Mist gebaut!

Was würde er nur dazu sagen?

Joey war zu aufgeregt, als dass er länger warten konnte, also räusperte er sich leise, griff entschlossen nach der Klinke und drückte sie dann etwas langsamer hinab.

Als er eintrat, blickte Kaiba nur kurz auf, erkannte ihn und starrte wieder auf die Decke zurück, die seinen Schoß wärmte. Die Hände hatte er vor sich gefaltet, das Gesicht wirkte müde und zermürbt. Und er schwieg, wartete darauf, dass Joey die Tür hinter sich schloss. Aber als dieser es getan hatte, schwieg er nur weiterhin und würdigte ihn keines weiteren Blickes.

Nun standen Joey zwei Möglichkeiten offen. Entweder er würde dieses Krankenhaus verlassen, sich Zuhause verkriechen und endlich erkannt haben, dass all seine Mühen umsonst gewesen waren. Er hatte Kaiba das Leben gerettet, würde jedoch nicht allzu viel davon haben.

Oder er konnte sich der restlichen Sorgen entledigen und endlich glücklich sein.

Welche dieser beiden Möglichkeiten würde nun in Erfüllung gehen?

Er beobachtete Kaiba mit ernster Miene, trat in langsamen Schritten näher und lehnte sich an die gegenüberliegende Wand, so, dass er Kaiba genau vor sich hatte. Kaiba hielt das Gesicht so gesenkt, dass er es trotzdem kaum sehen konnte. Doch seine Finger begannen sich zu bewegen. Sie spreizten sich und letzten Endes griff er neben sich auf den Nachttisch, griff nach einer Flasche und zog sie zu sich. Es vergingen einige Momente in diesem eisigen Schweigen und nachdem Kaiba wenige Schlucke zu sich genommen hatte, umfasste er die Flasche mit beiden Händen und starrte sie weiterhin an. Verspannt klammerten sich die Finger um das Glas und ließen dann wieder lockerer. Joey wartete. Diese Stille machte ihn noch nervöser, doch wenn es nötig war, würde er weitere drei Stunden hier stehen, bis Kaiba endlich ein Wort sagte.

Ihre Beziehung stand auf Messers Schneide. Dachte Kaiba an dasselbe?

Es war, als würde Joey aus einem Traum gerissen, als er sah, wie Kaiba langsam den Kopf schüttelte, wie sich seine Lippen bewegten.

"Was soll ich noch tun, um dich zu schützen", erhob sich seine Stimme leise, beinahe lautlos. "Glaubst du, mir hat es gefallen, dir so etwas zu sagen? Es war der schlimmste Weg, den es gab, aber der Effektivste. Und wenn es so nicht funktioniert... wie dann?"

Joey hob die Augenbrauen.

Plötzlich war er sich gar nicht mehr so sicher, ob Kaiba bei klarem Verstand war.

Was redete er da?

Und noch dazu, ohne ihn anzusehen.

Er antwortete nicht, wartete, dass er fortfuhr. Und das tat Kaiba erst nach erneutem langem Schweigen. Seine Schultern hoben und senkten sich unter einem tiefen Atemzug und dann schüttelte er wieder den Kopf.

"Ich tue, was ich kann und du stürzt dich in Gefahren und bist dem Tod des Öfteren nur harrscharf entkommen, vorausgesetzt, es stimmt, was Devlin erzählt hat. Das Gift ist mir scheißegal."

Mit diesen Worten senkte er das Kinn auf die Brust und Joey wusste, dass er die Augen schloss, sah, wie er die Lippen aufeinander presste. Und wieder kehrte Schweigen ein und Joey würde es ganz sicher nicht brechen, denn er überlegte. Und er blinzelte erst, als Kaiba nach einiger Zeit die Hand hob und sich die Augen rieb.

"Ohne mich würdest du Katagori nicht einmal kennen." Er wurde leiser und die letzten Worte konnte Joey kaum hören. Dieser runzelte die Stirn und mit einem Schlag kam ihm ein bestimmtes Wort in den Sinn. Und er sprach es aus, ohne zu zögern.

"Idiot."

Kaiba hielt kurz in der Bewegung inne, ließ die Hand dann plump auf die Decke zurücksinken und tastete wieder nach der Flasche, um sich an die zu klammern.

"Ich dachte, mich trifft der Schlag", murmelte er. "Du warst sieben Tage bei mir und hast es nicht für nötig gehalten, mir diese Geschichte zu erzählen."

"Idiohooot." Joey ließ den Kopf hängen und stöhnte leise. "Was glaubst du denn, warum ich nichts erzählt habe." Er blickte auf, sah ihn direkt an. "Weil ich dachte, einen Menschen vor mir zu haben, der nicht klar denken und diese Geschichte erst recht nicht verstehen kann."

Daraufhin erwiderte Kaiba nichts und Joey löste sich träge von der Wand, ließ die Hände in die Hosentaschen rutschen und trat schlendernd an das Fußende des Bettes heran.

"Ich sag dir jetzt, was unser Problem ist." Bei dem Fußende angelangt, lehnte er sich seitlich dagegen und sah aus dem Fenster. "Wir stecken in einem Teufelskreis fest, reden einander vorbei und verstehen den Anderen nicht. Du machst dir andauernd Sorgen um mich und tust die schrecklichsten Dinge, um mich vor schlimmen Erlebnissen zu bewahren. Dabei bin ich alt genug, um selbst Entscheidungen zu treffen. Wenn ich mich in Gefahr begeben will, dann tue ich es. Heißt, ich übernehme die Verantwortung für mich und wenn ich in irgendetwas hineinrutsche, dann ist es mein Problem. Und weißt du was? Es wäre bei weitem nicht so schlimm gekommen, wenn du eine andere Möglichkeit gewählt hättest. Scheinbar hattest du nicht genug Zeit, um diese Sache richtig zu durchdenken. Du...", Joey verzog die Augenbrauen und grübelte kurz, "… du meinst immer, dass du dich um alles kümmern, für alles die Verantwortung tragen müsstest. Aber so ist das nicht. Natürlich würde ich Katagori ohne dich überhaupt nicht kennen aber wäre das alles nicht passiert, dann würde uns etwas fehlen, verstehst du? Dass wir uns jetzt richtig aussprechen, zum Beispiel. Was ist dir wichtiger?" Er drehte das Gesicht zu ihm und musterte ihn nachdenklich, wie er dort zusammengesunken saß. "Ich oder die Sorgen, die du dir immer machst. Uns beide kannst du nicht haben, denn, wie du gemerkt hast, gibt es große Probleme, wenn sich diese Dinge vereinen. Ein gewisses Maß an Sorge ist in Ordnung und ich fühle mich gerührt, wenn du dich um mich sorgst aber es hätte dir doch keine Schwierigkeit gemacht, mir einfach von Katagori zu erzählen, oder? Ich weiß, dass du verhindern wolltest, dass ich Angst vor einem Widersehen habe und mich nicht mehr auf die Straße traue. Und vielleicht wäre es auch so gewesen. Wer weiß? Auf der anderen Seite jedoch...", Joey legte den Zeigefinger gegen das Kinn und wandte sich wieder dem Fenster zu, "… wenn ich es recht bedenke, ist eigentlich alles so gekommen, wie es kommen musste. Stell dir vor, ich wäre die ganze Zeit bei dir und ebenso ratlos wie Dr. Johnson gewesen. Ich wäre nicht entführt worden und hätte somit auch nie von dem Gift erfahren. Wow, dass mir das erst jetzt einfällt?"

Kaiba antwortete nicht, blickte nicht einmal auf.

"Natürlich sind so viele Gefahren nicht normal und mit dir bin ich in so einiges hineingeraten, was du aber auf keinen Fall als Vorwurf ansehen darfst. Aber es ist eben einfach so, dass deine Probleme in der Zwischenzeit auch meine Probleme sind und so groß diese Probleme auch sind, zu einer richtigen Beziehung gehört das einfach dazu." Wieder wandte sich Joey an ihn. Doch diesmal stützte er sich mit beiden Händen auf die Lehne und sah ihn direkt an. "Und wenn du meinst, dass es trotzdem zu gefährlich ist und dass unsere Beziehung dadurch gefährdet werden könnte... dann... sehe ich nur einen Ausweg."

Und nun begann sich Kaiba endlich zu regen. Er blinzelte, hob langsam den Kopf und erwiderte Joeys Blick mit müden Augen. Der Blonde atmete tief ein, zog die Hände von der Lehne und verschränkte die Arme langsam vor der Brust.

"Welcher Ausweg ist das", erkundigte sich Kaiba leise.

"Ganz einfach." Joeys Miene verfinsterte sich verbissen. "Wir müssen uns um Katagori kümmern und mit ihm alle Probleme aus der Welt schaffen, die unsere Beziehung gefährden könnten."

An Kaibas Gesicht konnte man deutlich erkennen, dass er nicht mehr wusste, was er denken sollte. Er starrte ihn nur an und Joey fuhr entschlossen fort.

"Denn unsere Beziehung ist mir verdammt wichtig. Was denkst du denn, warum ich das alles auf mich genommen habe, hm? Warum habe ich mir wohl den Kopf zerbrochen. Man, weil ich mit dir die beste Zeit meines Lebens erlebt habe und keine Lust habe, sie so früh enden zu lassen! Du bist einfach unglaublich! Und selbst, wenn du die Worte ernst gemeint hättest, wäre ich losgerannt und hätte Kopf und Kragen riskiert! Dann hätte ich dich eben nicht mehr haben können... aber wenigstens wärst du am Leben! Das hätte mir gereicht."

Und nun blinzelte Kaiba. Soeben schien ihm eine Erinnerung gekommen zu sein und Joey hob verdutzt die Augenbrauen, als er wieder den Kopf schüttelte und sich die Stirn rieb.

"Was ist?"

"Nein, es...", erhielt er zur Antwort, "… es ist nur so... dass wir denselben Konflikt durchzumachen hatten. Genau das habe ich mir auch gedacht."

"Na, das ist ja großartig." Joey weitete die Augen. "Und wir haben uns Beide für das Richtige entschieden. Auch wenn es schwer war."

Jetzt ließ Kaiba wieder die Hand sinken und starrte von neuem auf die Decke. Joey jedoch, konnte nicht darauf achten, denn nun wurde er sich einer wichtigen Tatsache bewusst.

"Und wir mussten den Konflikt mit uns allein ausmachen. Wir hatten einander nicht und haben aller Welt bewiesen, dass wir nicht den Anderen brauchen, um uns durchzuschlagen. Und das ist gut, denn man sollte es nicht übertreiben und hilflos ohne den Anderen sein."

Kaiba schwieg, seine Hände legten sich wieder um die Flasche. Und auch Joey wusste nun nicht mehr, was er sagen sollte. Er wurde auf seine Niedergeschlagenheit aufmerksam, stützte sich wieder auf die Fußlehne und beugte sich nach vorn.

"Hey", sagte er leise, beinahe schon flehend. Dieser Anblick gefiel ihm nicht und bevor große Ängste in ihm erwachten, musste er Klartext sprechen. Kaiba reagierte nicht. "Du bist einer der Wichtigsten für mich. Ohne dich kann ich nicht leben, verstehst du? Und ich flehe dich an, lass mich nicht hängen, nur, weil es da einen irren Idioten gibt, der Langweile hat und gleichzeitig bekloppt ist. Und das ist es doch, das dich beschäftigt, oder? Von so einer Gestalt können wir uns doch nicht das Leben zerstören lassen."

Doch Kaiba verharrte wieder reglos und Joey wurde bang ums Herz.

War Kaiba etwa anderer Meinung?

Angespannt starrte er ihn an und wartete sehnlich auf eine Antwort. Doch die erhielt er nicht. Er hielt es nur wenige Sekunden durch, dann schluckte er und beugte sich wieder nach vorn.

"Kaiba...?"

"Nein, nein." Plötzlich hob dieser die Hand und gestikulierte mit ihr. Die Andere verschwand kurz im braunen Schopf. "Ich... ich kann nur gerade nicht… richtig denken." Er blickte auf, sah sich flüchtig um.

"Ach so." Joey konnte sich erleichtert nennen, als er sich wieder aufrichtete und verständnisvoll nickte. "Ist es sehr schlimm?"

"Nein." Kaibas Blick richtete sich auf ihn. Seine Augen hatten sich nicht verändert und doch schien Kaiba einen unauffälligen Kampf zu führen. Nach kurzer Zeit brach er den Blickkontakt ab, ließ den Kopf sinken und stützte die Stirn in beide Hände. Ein Keuchen entrann ihm.

"Soll ich den Arzt rufen?", erkundigte sich Joey besorgt.

Und es dauerte lange, bis er eine Antwort erhielt.

"Nein." Lahm schüttelte Kaiba den Kopf, tastete nach der Flasche und richtete sich auf. "Nein... das… geht wieder vorbei."

"Okay." Zögerlich ging Joey um das Bett herum. "Habe ich dich überfordert?"

"Nein", erwiderte Kaiba und blinzelte, die Flasche zu sich ziehend. "Ich...", sein Blick richtete sich auf den Deckel, "… ich habe so etwas noch nie erlebt. Dass... dass alles plötzlich weg ist..."

"Das ist eine normale Nachwirkung des Giftes", versuchte Joey ihn zu beruhigen. "Es wird sich bessern, glaub mir."

Kaiba brachte nur ein stummes Nicken hervor und begann den Deckel mit größter Hingabe aufzudrehen. Seine Augen verfolgten das Geschehen und Joey ließ sich langsam auf dem Stuhl nieder. Er beobachtete Kaiba, als er den Deckel in der Hand hielt, ihn sich kurz betrachtete und die Flasche zum Mund hob. Doch bevor er getrunken hatte, ließ er sie wieder sinken und schraubte sie zu, um sich weiterhin an sie zu klammern.

"Ich muss dir noch etwas sagen…"

"Das musst du nicht jetzt", erwiderte Joey sofort. "Wenn es dir jetzt nicht gut geht, dann warte besser, bis es dir wieder besser geht."

"Nein." Kaiba löste eine Hand von der Flasche und gestikulierte mit ihr. "Verdammt! Lass mir... kurz Zeit."

"Natürlich."

Joey fiel es schwer, ihn leiden zu sehen. Und das tat er, wenn er kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnte und sich nicht mehr unter Kontrolle hatte. Er kämpfte um einen klaren Verstand, rieb sich das Kinn, räusperte sich und wandte sich ihm dann direkt zu. Er schien jetzt sehr lange überlegt zu haben, um einen langen Satz zu bilden.

Von neuem trafen sich ihre Blicke und Kaiba befeuchtete die Lippen kurz mit der Zunge, ihn angestrengt anstarrend.

"Nein", sagte er dann.

"Was nein?", hakte Joey nach.

"Nein, er... an Katagori soll es nicht liegen."

"Du meinst...", Joey richtete sich auf, „… dass er uns nicht im Weg stehen wird?“

Nach einem intensiven Überlegen, nickte Kaiba.

"Ja."

"Wirklich?" Joey richtete sich stockend auf, doch Kaiba hob die Hand.

"Aber lass uns ein andermal darüber sprechen, ja? Ich...", er räusperte sich.

"Du meinst es jetzt aber wirklich ernst, ja?" Joey stand auf und blieb direkt neben ihm stehen. "Ich möchte nicht wieder eine unangenehme Überraschung erleben. In der letzten Zeit konnte ich mich kaum entspannen, also lass mich jetzt unbesorgt sein, okay?"

"Wenn du das schaffst...?"

"Ich möchte aber, dass wir uns gegenseitig eine Hilfe sind. Ich will dir helfen, jetzt, da es dir nicht gut geht und ich möchte bei dir sein. Erlaub mir das."

Kaiba stellte die Flasche vorsichtig auf dem Tisch ab, griff nach der Decke und rutschte vorsichtig im Bett tiefer. Und Joey wartete. Seine Bewegungen waren stockend und es fehlte ihnen an Kraft. Und dann, als Kaiba endlich gemütlich lag, hakte Joey nach.

"Und? Was sagst du?"

"Was?" Kaiba wirkte überrascht. "Wozu?"

"Okay." Joey grinste und stützte die Hände in die Hüften. "Ich sollte dir jetzt wirklich etwas Ruhe gönnen. Versuch etwas zu schlafen und ich komme heute Abend noch einmal vorbei und dann können wir vielleicht besser reden."

"Ja." Kaiba rollte sich nur zur anderen Seite, zog sich die Decke bis zum Hals und blieb reglos liegen.

Das war es jetzt?

Joey hob die Augenbrauen.

Hatte sich Kaiba jetzt wirklich von ihm verabschiedet? Oh, es war viel schwerer, das durchzumachen, als er dachte. Er hatte lange nichts von Kaiba gehabt, hatte nun wenigstens auf eine kleine Umarmung gehofft. Doch Kaiba ließ ihn warten und er musste sich gedulden. Er seufzte, kratzte sich an der Stirn und machte sich anschließend auf den langsamen Weg zur Tür.

"Also, bis dann." Er griff nach der Klinke, doch da wurde er plötzlich gerufen.

"Joseph... warte."

Das ließ sich Joey nicht zweimal sagen... und Kaiba hatte ihn sogar beim Namen genannt. Sofort hielt er inne, ließ die Hand von der Klinke rutschen und drehte sich um. Kaiba sah ihn nur an, hob dann jedoch eine Hand und winkte ihn schwach zu sich. Ohne zu zögern kehrte Joey zu ihm zurück, blieb stehen und wartete. Kaiba erwiderte seinen Blick nicht, nein, er streckte nur den Arm aus und tastete nach seiner Hand. Sofort erleichterte er es ihm, indem er sich nach vorn beugte und sie ihm entgegenstreckte. Sofort fasste dieser nach ihr und als er sie fest umschlossen hielt und abwesend anstarrte, ging Joey in die Knie. Er hockte sich neben das Bett und beobachtete Kaiba. Dieser besah sich seine Hand von allen Seiten und schien nach nur wenigen Sekunden abzudriften.

Und für dieses Gespräch hatten sie sieben Tag gebraucht?

Wie konnte man eine chaotische Beziehung definieren, wenn nicht so?

Es ging einfach alles drunter und drüber und er zerbrach sich den Kopf, obwohl es nicht einmal halb so schlimm war. Und wenn einmal etwas schief ging, dann wurden gleich alle Probleme sichtbar, die da zwischen ihnen existierten. Nach wenigen Minuten seufzte Joey erneut. War es überhaupt möglich, dass sie noch lange zusammen waren? Kaiba tat alles, damit ihm nichts zustieß... und Joey tat alles, damit er einen Grund dazu hatte.

Chaotisch!

Das war das richtige Wort, das ihre Beziehung beschrieb!
 

Er wartete, bis Kaiba eingeschlafen war, dann erhob er sich schweren Herzens. Nun, er war zwar erleichtert aber überglücklich konnte er sich nicht nennen. Er würde wohl weiterhin an Kaibas Seite stehen, doch er wusste, dass es erst wie vorher werden würde, wenn Katagori keine Gefahr mehr für sie darstellte. Das war es auch, das Kaiba Kopfzerbrechen bereitete.

Und solange Katagori noch auf freiem Fuß war, würde es sich zwischen ihnen nicht vollends bessern.

Verdammte Situation!

Was sollte Joey denn tun?!

Wenn doch wenigstens Hirayama gefasst worden wäre! Dann könnte er sofort einen Plan aushecken und den Anfang machen, auf dass Katagori sein restliches Leben in einer zwei mal zwei Meter großen Zelle verbrachte und an den rostigen Gitterstäben kratzte!

Grübelnd und wiederum verbissen verließ er das Krankenhaus und kehrte zu dem Café zurück. Dieses Gespräch hatte ihn nicht zufrieden gestellt. Sie hatten zwar so einige Probleme aus der Welt geräumt, doch die wirklich Großen blieben nun noch übrig.

Er hatte verdammt viel durchgemacht, wurde angeschossen, entführt, zusammengeschlagen, beinahe hingerichtet und beinahe erschossen und das ganze Zweimal. Er war um sein Leben gerannt, hatte um Kaibas Leben gebangt und Todesängste durchgestanden. Sollte er sich jetzt auch noch um Katagori kümmern? Seine Miene war verbissen und düster, als er zum Café zurückkehrte und sich stöhnend in den Stuhl warf.

"Ach Duke, ich habe keine Lust me..." Er verstummte als er bemerkte, dass Duke das Handy am Ohr hatte. Na gut, dann sagte er ihm eben später, dass er mit den Nerven am Ende war und nur noch seine Ruhe haben wollte. Dass er mit Kaiba ein schönes Leben führen und mit alledem nichts mehr zu tun haben wollte. Nun schwieg er erst einmal, verdrehte die Augen und rieb sich die Stirn. Und in dieser Sekunde ließ Duke das Handy sinken und grinste.

"Weißt du, wer mich angerufen hat?"

"Ne", stöhnte Joey.

"Die Polizei." Duke legte das Handy auf den Tisch und neigte sich nach vorn. Auch Joey richtete sich auf.

"Ja, und?"

"Hirayama wurde an der Grenze geschnappt und wird noch heute im Polizeipräsidium sitzen. Hier in Domino, verstehste?"

Joey nickte grüblerisch und lehnte sich stockend zurück.

Huch?

War das gerade eine gute Nachricht gewesen?

Das war er überhaupt nicht mehr gewohnt.

"Und?", fragte Duke. "Bringt uns das etwas in Sachen Katagori?"

"Ob uns das etwas bringt?" Plötzlich schlich sich ein hinterhältiger Ton in Joeys Stimme ein und er grinste siegesgewiss. "Und ob. Ich habe einen Plan."

"Einen Plan?"

"Ja." Joey griff nach Dukes Cola. "Ich könnte die Suche nach ihm der Polizei überlassen, herumsitzen und einfach darauf warten. Aber das kann ich leider nicht."

"Warum?"

"Mm... es is so." Nach einem kräftigen Schluck, ließ Joey das Glas sinken und stöhnte. "Solange Katagori noch frei herumläuft, wird es zwischen mir und Kaiba nie mehr so sein, wie es früher einmal war. Das Gespräch war kurz und nicht sehr zufriedenstellend aber es hat mir gut getan... irgendwie... Tatsache ist", er sah sich heimlichtuerisch um, "er lässt mich nicht richtig an sich heran, sagt mir nicht die Dinge, die er eigentlich gern loswerden möchte. Er hält sich zurück, weil er sich immer noch große Sorgen macht. Und deshalb habe ich etwas ausgeheckt. Ein Plan, mit dem Katagori uns ins Netz geht. Denn wenn wir Hirayama haben... dann haben wir auch Katagori! Und schwuppdiwupp ist zwischen Kaiba und mir wieder alles in Ordnung! Das will ich und nichts anderes. Da nehme ich es auch gern auf mich, noch ein bisschen herumzurennen, Nachforschungen zu betreiben und was auch immer."

Duke nickte zögerlich.

"Und bei Gott! Ich gebe mich erst zufrieden, wenn er weg ist! Fort, verstehst du?"

"Höm..."

"Ich will diese ganze Sache nur hinter mich bringen. Und deshalb fahre ich jetzt zu Pikotto, denn ohne ihn kann ich den Plan nicht in die Tat umsetzen!"

"Ja, klar... und was hast du vor?" Duke wusste nicht, was er denken sollte und Joey erhob sich entschlossen.

"Komm, wir gehen einkaufen."

"Einkaufen?" Duke schmiss einen Schein auf den Tisch und folgte ihm verdattert, als er davon schlenderte. "Was willst du denn einkaufen?"

Im Gehen drehte sich Joey zu ihm um und grinste keck.

"Wir kaufen uns Hirayama."

"Wie meinst du das?" Nun wusste Duke überhaupt nicht mehr, was er denken sollte. "Du willst Hirayama einkaufen??"

"Was denkst du denn? Ein Scheck, ein paar Nullen und die gekaufte Freiheit und schon springt er für uns."
 

"Es ist ganz simpel", erklärte Joey zum siebten Mal, als er das große Firmengebäude der Kaiba-Corperation betrat und durch den riesigen Empfangsraum eilte. "Hirayama ist leicht zu durchschauen. Glaubst du wirklich, dass er sich noch Zeit genommen hat, Katagori aufzuklären? Nein, du, der war weg. Katagori dürfte also nichts von Kaibas Rettung wissen und auch die Flucht von seinem Partner Hirayama blieb ihm verschleiert. Ich erzähle dir alles später, Duke. Wenn du mir helfen willst, dann hast du einen langen Tag vor dir."

Während der Fahrt im Fahrstuhl wirkte Joey auf eine schlichte und ergreifende Art entschlossen und sehr zuversichtlich. Er schien seinen Plan mehrmals zu durchdenken und man konnte sich wundern, wann er soviel Zeit zum grübeln gehabt hatte.

Duke bemitleidete ihn im Stillen. Jetzt rannte Joey wieder herum, musste planen und sich um alles kümmern. Alles drehte sich nur um Kaiba und dieser wusste kaum etwas davon. Er lag die ganze Zeit im Krankenhaus und meckerte über das grauenhafte Wasser, während Joey alles tat, um Ordnung in sein Leben zu bringen.

"Es ist ein ganz schlichter Plan." Die Türen öffneten sich unter einem leisen Läuten und Joey eilte durch den großen Arbeitsraum, Duke hinter sich herziehend. "Hab ich mir selbst ausgedacht und jetzt wollen wir mal hören, was Pikotto dazu sagt. Wenn er uns hilft, dann ist es möglich, dass wir Katagori binnen zweier Wochen im Knast haben. Und wenn nicht? Tja, dann wird sich Hirayama nie bei ihm melden, Katagori wird ahnen, dass der Plan missglückt ist und bevor wir uns versehen, ist er ausgewandert. Auf Nimmer Wiedersehen, Domino. Es war schön. Verstehst du?" Joey drängelte sich durch die Angestellten und plapperte angestrengt. "Aber wenn wir meinen Plan in die Tat umsetzen, dann wird Katagori meinen, dass alles in Ordnung sei. Wir brauchen Kontakte... mit Zeitungen und ähm... weißte was? Wir lassen Kaiba für die Öffentlichkeit einfach sterben. Das dürfte doch zu machen sein. Ja, Katagori soll sich in Sicherheit wiegen und dann... boom!" Joey blieb stehen und grinste bestialisch. "Dann erlebt er eine große Überraschung und wir können endlich wieder glücklich sein!"

Duke öffnete etwas verwirrt den Mund und Joey ging weiter, durch einen schmalen Gang.

"Hirayama wird uns helfen und wenn er das getan hat, dann landet er gleich wieder bei der Polizei. Wir lassen ihn natürlich nicht gehen, aber das muss er ja nicht wissen. Es ist ganz einfach." Endlich blieb Joey wieder stehen und wandte sich einer Tür zu, um förmlich anzuklopfen. "Und?" Er linste zu Duke. "Wie findest du es?"

"Ich versteh kein Wort."

"Dann komm." Joey griff nach der Klinke und trat ein.

Pikotto stand mit einem Kaffe vor dem großen Fenster und drehte sich nun um. Er schien nicht besonders überrascht von ihrem Besuch zu sein und nickte ihnen begrüßend zu. Duke musste sich erst einmal umblicken, doch Joey trat direkt auf den Mann zu, erwiderte die Geste freundlich und blieb neben ihm stehen. Er sah auf Domino hinab und Pikotto trank einen kleinen Schluck.

"Ich telefonierte soeben mit Dr. Johnson. Über den Ausgang dieser Geschichte bin ich sehr froh."

"Und weißt du auch, dass Hirayama geschnappt wurde?" Joey lugte zu ihm.

Pikotto nickte.

"Und jetzt haben wir ein Problem."

"So sieht es aus." Joey biss sich auf die Unterlippe und stützte die Hände in die Hüften. "Und hast du schon über eine Ausweg nachgedacht?"

"Nein." Pikotto schwenkte den Kaffee in der Hand, an seinen Lippen zog plötzlich ein knappes Grinsen. "Aber du hast es getan, nicht wahr? Weih mich ein."

"Hey, ich bin nur ein normaler Jungendlicher und habe keine Ahnung, ob es überhaupt möglich ist, meinen Plan in die Tat umzusetzen. Und deshalb musst du mich beraten. Außerdem... ohne deine Mithilfe funktioniert es nicht."

"In dieser Situation muss man alle Möglichkeiten in Betracht ziehen." Pikotto seufzte leise, wandte sich ab und schlenderte zu seinem Schreibtisch. Dahinter ließ er sich nieder und lehnte sich zurück. "Setz euch."

Joey zog sofort einen der Stühle zu sich und setzte sich. Duke, der die Augen noch immer in der ganzen Weltgeschichte hatte, fand erst später zu einem der Stühle. Und währenddessen begann Joey schon zu erzählen. Er stellte noch einmal klar, dass ihm dieser Plan nach nur kurzem Grübeln eingefallen war und er nicht wusste, ob er brauchbar war. Doch nun konnten sie keine Zeit verschwenden. Duke stützte sich auf eine Lehne, rieb sich das Kinn und lauschte aufmerksam, als Joey zu erzählen begann.
 

Der Plan:

Pikotto verspricht Hirayama die Freiheit, wenn dieser Kontakt mit Katagori aufnimmt. Er soll ein Treffen arrangieren. Kaiba ist tot - die Nachricht wird sich durch die Zeitung verbreiten. Pikotto hat Kontakte und kann dafür sorgen, dass ein riesiger Artikel auf der ersten Seite erscheint: "Seto Kaiba vergiftet! Angehörige trauern". Katagori wird diesem Artikel Glauben schenken, meinen, Hirayama hätte seine Arbeit getan. Und da er ihn nicht bezahlen kann, wird er sich mit ihm treffen, um ihn aus der Welt zu schaffen. Und sobald Hirayama dieses Treffen arrangiert hat, landet er wieder bei der Polizei und wird irgendwann herausfinden, dass er an der Nase herum geführt worden ist. Zu dem Treffen wird er nicht mehr gehen können und die Polizei wird es für ihn übernehmen. Und es muss ihr gelingen, ihn zu verhaften.
 

Joey erklärte alles ausführlich und bis ins kleinste Detail. Und nicht nur Duke staunte über seinen Scharfsinn, nein, auch Pikotto wirkte überrascht.

Nach einer ganzen Weile verstummte Joey und Pikotto starrte nachdenklich vor sich auf den Schreibtisch. Joey wartete und nach wenigen Sekunden brummte Pikotto und klemmte sich eine Zigarette zwischen die Lippen.

"Möglich ist es", murmelte er. "Und dieser Plan ist dir ganz spontan eingefallen, ja?"

"Ja, ich meine, eine andere Möglichkeit sehe ich jetzt nicht. Und du meinst wirklich, dass wir diesen Plan in die Tat umsetzen und dass es funktionieren könnte?"

"Warum sollte es nicht funktionieren?" Pikotto suchte nach seinem Feuerzeug. "Katagori hat nicht vielmehr Grips als eine Taschenlampe und bevor er sich zu etwas entschließt, überlegt er nicht lange. Es ist möglich, dass er wirklich in diese Falle läuft."

"Das ist unglaublich." Duke ließ die Hand sinken. "Auf so etwas wäre ich nie gekommen."

"Die Verzweiflung treibt einen Menschen nun einmal zum überlegen. Und das habe ich getan."

"Wir werden versuchen, den Plan in die Tat umzusetzen", erklärte Pikotto plötzlich entschlossen. "Die Zeit rinnt uns durch die Finger und bevor Katagori das Land verlassen kann, müssen wir handeln."

"Du willst es wirklich versuchen?" Joey traute seinen Ohren nicht.

"Es ist kein Problem, so einen Artikel in die Zeitung zu bringen. Wenn Domino jedoch glaubt, dass Kaiba tot ist, dann müssen wir darauf achten, dass niemand ihn sieht. Wenn er entlassen wird, müssen wir ihn unauffällig nach Hause bringen und dort darf er sein Haus dann nicht verlassen. Wir werden einige Vorkehrungen treffen müssen. Ich werde mich noch heute mit einem Reporter in Verbindung setzen und dafür sorgen, dass die Bürger Dominos morgen einen gehörigen Schreck bekommen. Ich werde auch alles mit Hirayama in die Wege leiten und du Joey..." er warf ihm einen ernsten Blick zu, "du kümmerst dich um Kaiba, während ich Vorbereitungen treffe."

"Ich soll überhaupt nicht mithelfen?" Joey wunderte sich. "Ich dachte, ich könnte vielleicht..."

"Überlass es der Polizei und mir", erwiderte Pikotto nur. "Ich werde mich an deinen Plan halten und du wirst über das Treffen alles verfahren, wenn es so weit ist."

"Aber..."

"Joseph." Pikotto atmete tief ein, neigte sich nach vorn und musterte ihn ernst. "Du hast genug getan, genug auf dich genommen und genug durchgemacht. Bitte überlass den Rest mir und versuch dich zu entspannen. Ich werde für alles Sorge tragen."

"Aber etwas kann ich doch tun", entschied sich Joey. "Tatenlos kann ich nicht herumsitzen, also werde ich dafür sorgen, dass es viele Trauergäste geben wird, die an dem Begräbnis teilnehmen."

"Dann sprich alles mit Kaiba ab und weihe irgendwelche Freunde in das Vorhaben ein. Wichtig ist nur, dass sie schweigen können und mitspielen."

"Das werden sie."

"Hast du Yugi und die Anderen dafür im Sinn?", erkundigte sich Duke.

"Ja, natürlich", erwiderte Joey schnell und wandte sich wieder an Pikotto. "Das Begräbnis muss jedoch so schnell wie möglich stattfinden, damit die ganze Sache überhaupt erst ins Rollen gerät."

"Überlass es mir", sagte Pikotto wieder. "Ich werde ein Begräbnis veranstalten lassen, das Seto Kaiba würdig ist. Du kümmerst dich um die Teilnehmer und ich werde dich heute Abend anrufen und dir Bescheid geben, wann das Begräbnis stattfindet."

"Gut, dann werde ich meine Freunde gleich Morgen einweihen."

"Willst du sie alle bei Kaiba versammeln?", fragte Duke.

"Meinst du denn nicht, dass er erfahren sollte, dass er tot ist?" Joey grinste und Duke schloss sich ihm etwas unentschlossen an.

"Auch ich werde mir morgen Zeit nehmen und mit Mokuba vorbeischauen", versprach Pikotto und nahm einen langen Zug. "Er sollte ebenfalls in das Geschehen eingeweiht werden."

"Aber natürlich."

"Gut." Pikotto atmete tief durch und ging kurz das Vorhaben durch. "Ich werde die Polizei von dem Plan unterrichten und alles in die Wege leiten. Ich werde mich um die Zeitung und das Begräbnis kümmern, noch heute. Und du bereitest Kaiba auf das morgige vor."
 

Nach einer weiteren halben Stunde, in der sie alles noch einmal detailliert durchgegangen waren, verließen Joey und Duke das große Gebäude und blieben auf dem Parkplatz stehen. Joey schien über Pikottos Arrangement sehr zufrieden und glücklich zu sein. Er genoss die frische Luft, streckte die Arme gen Himmel und reckte sich. Duke jedoch, wirkte nicht allzu froh, als er die Hände in die Hosentaschen schob.

"Und kann ich vielleicht auch irgendetwas tun?"

"Hm?" Joey ließ die Hände sinken. "Ich glaube nicht. Warum?"

Duke runzelte die Stirn, stöhnte laut und wandte sich ihm direkt zu.

"Du hast nichts unversucht gelassen, hast alles getan. Und ich? Ich habe nicht viel getan und deshalb dachte ich jetzt, ich könnte vielleicht..."

"Machst du dir Vorwürfe?", unterbrach Joey ihn verwundert.

"Nein", antwortete Duke ihm sofort. "Nein, ich meine nur... doch, so ist es."

"Warum denn das?" Joey verstand nicht so recht. Naserümpfend trat er an ihn heran. "Du hast auch dein Leben riskiert, obwohl du mit Kaiba so gut wie nichts zu tun hattest. Du hast verdammt viel getan, hast genau wie ich um sein Leben gekämpft und dich gesorgt. Und du hättest einfach gehen können, dann hätte ich all das allein durchstehen müssen. Und... Mensch, natürlich! Was ist mit Alfons, hm? Wenn wir nicht zu ihm gegangen wären, wären wir erst recht nicht weitergekommen! Durch dich konnte ich Hirayama suchen und das Gegengift holen. Also hör auf, so einen Quatsch zu reden." Joey stieß ihn freundlich an und lächelte. "Und jetzt gehst du erst einmal nach Hause und ruhst dich richtig aus, ja? Sei faul oder mach irgendetwas anderes. In Gefahr sind wir nun nicht mehr, es handelt sich eigentlich nur noch darum, spätere Erlebnisse zu verhindern und die Beziehung zwischen Kaiba und mir wieder aufleben zu lassen. Und ich glaube, dass es keine weitere Gefahren oder Ängste geben wird. Der Plan wird glücken und schon ist alles wieder in Ordnung." Mit diesen Worten stieß er ihn wieder mit der Schulter an und Duke nickte.

"Ich geh jetzt nach Hause."

"Genau." Joey strahlte. "Und nachdem mich Pikotto heute Abend angerufen hat, melde ich mich bei dir und dann sprechen wir auch alles mit den Anderen ab. Na, Kaiba wird ja staunen, wenn er morgen großen Besuch bekommt."

"Er wird ausrasten", brummte Duke.

"Stimmt", seufzte Joey. "Aber er hat bis jetzt nichts von unserem Kampf mitbekommen und deshalb möchte ich nicht, dass nicht noch mehr ohne sein Wissen geschieht. Sonst kann er sich irgendwann überhaupt nicht mehr verzeihen."

Somit verabschiedeten sie sich. Duke ging und Joey nahm sich vor, noch so lange bei Kaiba zu bleiben, bis die Besuchzeit vorbei war.

Es war früh am Abend, als er sich dann auch auf dem Heimweg machte und den Anruf bekam er erst, als er spät auf seinem Bett lag und Zeitschriften durchblätterte. Und dieser Anruf machte ihn noch viel zufriedener. Auf die morgige Zeitung konnte er sich freuen und das Bestattungsunternehmen freute sich, dass es für ein Begräbnis ohne Leiche Geld bekam.
 

In dieser Nacht fand Joey nicht viel Schlaf. Er war bis um zwei Uhr auf den Beinen, hockte an seinem Bett und hatte einen Notizblock auf den Beinen. Ein Stift wippte zwischen seinen Fingern.

Plötzlich hatte ihn die Lust befallen, irgendetwas zu schreiben. Und das tat er auch, bis er sich einfach zur Seite legte und auf dem Boden einschlief. Insgesamt fand er nur drei Stunden Schlaf, denn um fünf Uhr musste er wieder auf die Beine und ins Krankenhaus. Dreiviertel sechs traf er sich fort mit Yugi, Tea, Tristan, Duke, Bakura, Pikotto und Mokuba. Eine ernste Lagebesprechung wartete auf ihn. Er war trotzdem hundemüde, als er die Wohnung verließ, schnell in eine Jacke schlüpfte und sich in eiligen Schritten auf den Weg zu einem Zeitschriftenladen machte. Er war unglaublich gespannt, als er von der Straße verschwand, die Glastür aufschob und sich sogleich umblickte. Morgens war es stets grausam kalt und wenn man ohne Jacke in den frühen Stunden einen Spaziergang wagte, kam man nicht wieder, wenn ihr wisst, was ich meine.

"Morgen", grüßte er den Verkäufer, rieb sich fröstelnd die Hände und sah sich kurz um. Er musste nicht lang suchen, dann grabschte er nach einer Zeitung und starrte sie mit großen Augen an.

"Oh mein Gott!", stieß er erschrocken aus. "Seto Kaiba ist tot?"

Ja, er hatte einen großen auffälligen Artikel vor sich, außerdem ein richtig hübsches Bild von Kaiba. Da wurde der Verkäufer aufmerksam. Er blickte auf, musterte Joey ernst und nickte dann.

"Ja, tot", sagte er leise und fuchtelte ihn zu sich. Mit der Zeitung trat Joey näher und stützte sich auf die Theke. Der Mann rümpfte die Nase und sah sich heimlichtuerisch um. "Aber weißt du was?"

"Was?" Joey lauschte interessiert.

"Ich glaube, dass er gar nicht vergiftet wurde."

"Ach ja?" Joey hob die Augenbrauen, nebenbei wühlte er in einer Hosentasche. "Nicht vergiftet?"

Der Mann schüttelte den Kopf. "Ich denke, dass er in kriminelle Geschäfte verwickelt war und sterben musste, weil er irgendeinen Mist gebaut hat."

"Gibt's nicht!" Joey weitete die Augen. "Meinen Sie wirklich?"

"Hm...", der Verkäufer kratzte sich, "… niemand hat ihn wirklich gekannt, niemand kann die Fragen beantworten. Er lebte doch so zurückgezogen und abgekapselt... ich persönlich werde ihn nicht vermissen. Aber das Geschäftswesen Dominos...? Das dürfte Probleme geben."

"Sie werden ihn nicht vermissen?" Joey nickte und legte den Mann ein paar Münzen hin, nach denen dieser sofort grabschte. "Endlich weiß ich, wie Sie darüber denken." Er klopfte auf die Theke und wandte sich zum Gehen ab. "Ich werde ihm viele nette Grüße von Ihnen ausrichten."

Mit diesen Worten verließ er den Laden und machte sich auf den Weg zum Krankenhaus. Und nebenbei las er den Artikel. Na, die schrieben ja eine Menge Blödsinn. Doch die Nachricht, dass Seto Kaiba den Tod gefunden hatte, brachten sie traurig und spektakulär rüber. Pikotto hatte gute Arbeit geleistet und Joey war etwas zuversichtlicher.

Er war der erste Gast des Tages, der zu solch früher Stunde das Krankenhaus betrat. Morgens um halb sechs herrschte im Krankenhaus noch die Nachtruhe und so musste Joey schleichen, nachdem er von einem eingeweihten Arzt hereingelassen worden war. Er hatte noch eine viertel Stunde Zeit, also nahm er sich vor, Kaiba erst einmal wachzurütteln und ihn auf die vielen Besucher vorzubereiten. Er wollte nicht mit ihm über weitere Probleme sprechen, sich nur auf den Plan konzentrieren. Für solche Sachen hatte er nun wirklich keine Nerven. In wenigen Sprüngen ließ er die Treppe hinter sich und erreichte schnell jenes Zimmer. Leise umfasste er die Klinke und drückte sie hinab. Doch als er die Tür öffnete, sah er, dass grelles Licht brannte. Verwundert trat er ein.

Kaiba saß aufrecht im Bett, hatte einen Block auf den Beinen und ließ nun einen Stift sinken. Auch er schien über den frühen Besuch erstaunt zu sein. Doch Joey staunte noch viel mehr.

"Hast du gar nicht geschlafen?", erkundigte er sich und schloss die Tür hinter sich.

"Konnte ich nicht." Kaiba musterte ihn nur flüchtig, klemmte sich den Stift in den Mund und blätterte im Block eine Seite zurück. In diesen Sekunden trat Joey schon näher.

"Und was machst du da?", fragte er, als er neben ihm stehen blieb und die Zeitung hinter dem Rücken versteckte.

"Schreiben", murmelte Kaiba abwesend.

"Aha." Joey bemerkte, dass es nicht zu einem richtigen Gespräch kommen würde. Also zückte er die Zeitung und legte sie Kaiba wortlos vor. Diesem prallte die riesige Überschrift förmlich entgegen. Er starrte sie an, überflog dann den Artikel und griff langsam nach dem Stift, um ihn aus dem Mund zu ziehen. Dann runzelte er die Stirn und blickte auf.

"Habe ich irgendetwas verpasst?"

"Kann man so sagen." Joey wackelte mit dem Kopf und hockte sich dann neben ihm auf die Bettkante. "Das gehört zu meinem Plan, Katagori zu fassen."

Kaiba zog die Augenbrauen zusammen, warf der Zeitung einen irritierten Blick zu und sah ihn dann wieder mit einer leichten Skepsis an.

"Du hast einen Plan entworfen?"

"Japp." Joey war stolz auf sich. "Und mit diesem Artikel beginnt er. Wunder dich nicht darüber, denn ich kann dich beruhigen, du bist nicht tot."

"Endlich habe ich Gewissheit." Dennoch schien Kaiba von alledem nicht allzu fasziniert zu sein. "Und erzählst du mir vielleicht mal, wie dieser Plan aussehen soll? Plötzlich steht in der Zeitung, dass ich tot bin. Was kommt in den nächsten Tagen noch auf mich zu? Wird meine Leiche gestohlen?"

"Nein." Joey beugte sich nach vorn und schnippte an die Zeitung. "Du musst dich um überhaupt nichts kümmern. Das Einzige, das wir tun müssen, ist, dich unerkannt aus dem Krankenhaus zu schmuggeln. Der Rest wird sich von allein erübrigen."

"Ich muss mich um nichts kümmern." Wieder überflog Kaiba den Artikel. "Und was ist, wenn mir das nicht gefällt?"

Joey beobachtete ihn von der Seite, dann verdrehte er die Augen und fuhr sich durch das Haar. "Dann tut es mir leid", erwiderte er etwas genervt.

"Und was kommt in den nächsten Tagen noch auf mich zu?" Kaiba vertiefte sich wieder in den Artikel und begann zu lesen.

"Erstens, diese Frage hast du mir gerade erst schon einmal gestellt und zweitens habe ich keinen Nerv, mich um jeden zu kümmern. Sieh das ein oder lass es bleiben. Jedenfalls bin ich gerade bemüht, Katagori in den Knast wandern zu lassen, damit zwischen uns wieder alles stimmt."

Kaiba blickte nur kurz auf und wandte sich dann sofort wieder der Zeitung zu. Und Joey stöhnte. Fabelhaft, warum tat er das eigentlich?

Seine gute Laune war nun auch zerstört.

"Und damit du alles bis ins kleinste Detail erfährst, werden Yugi, Tea, Tristan, Duke, Bakura, Dr. Johnson, Pikotto und Mokuba in wenigen Minuten hier auftauchen."

"Was!"

Das war die Reaktion, die Joey erwartet hatte.

Und er war kurz davor, zu fluchen.

Diese Undankbarkeit!

Er klammerte sich an den letzten Zipfel seiner Geduld und gab sich gelassen.

"Yugi und die anderen gehören zu dem Plan und müssen das Ihrige leisten. Und es wäre doch nur höflich, ihnen zu verraten, weshalb und wofür sie es tun, oder etwa nicht? Und da du die Geschichte ebenfalls gern hören möchtest, dachte ich mir, es würde am schnellsten gehen, wenn wir uns alle zusammen setzen und es gemeinsam ausdiskutieren." Er warf Kaiba einen missgelaunten Blick zu, rutschte näher und hob den Zeigefinger, bevor er etwas erwidern konnte. "Und jetzt hörst du mir mal zu. Wenn dir der Plan nicht gefällt, dann entwirf einen Neuen. Einen, der genau nach deinen Vorstellungen ist. Und das müsstest du schnell schaffen, sagen wir, binnen zweier Tage? Tut mir ja leid, es dir nicht recht machen zu können aber ich habe mich um einiges zu kümmern. Und", er schlug in einen wirklich sarkastischen Ton um, "Duke, Pikotto und ich sind zur Zeit die Einzigen, die wirklich etwas machen. Du kannst nicht, schon klar. Und es soll auch kein Vorwurf sein aber ich bin mit den Nerven am Ende und fände es nicht übel, wenn du mir wenigstens etwas Dankbarkeit entgegenbringen und mir etwas Mut machen könntest. Denn den habe ich bitter nötig!"

Kaiba starrte ihn an und er rutschte zurück. Sonst würde er nicht so schnell nach einem harten Ton greifen aber jetzt war es eben passiert und Kaiba wusste Bescheid. Wenn zurzeit so gut wie gar nichts zwischen ihnen funktionierte, dann war das doch das Mindeste!

Ruppig verschränkte Joey die Arme vor der Brust und starrte aus dem Fenster. Wie schnell man seine gute Laune doch zu Nichte machen konnte.

Aber hatte er nicht Grund, nun zu schmollen?

Er setzte alles daran, Katagori in eine Falle laufen zu lassen. Wieder strengte er sich an, plante und plagte sich. Und Kaiba? Was tat Kaiba, um den sich alles drehte?! Der meckerte! Joey befürchtete, dass seine Nerven wirklich bald am Ende waren. Und dann sollte sich Kaiba bloß nicht wundern.

Dieser schwieg in der Zwischenzeit, wandte den Blick ab und starrte wieder auf die Zeitung, ohne sich für sie zu interessieren. In dieser eisigen Atmosphäre vergingen einige Momente, und dann riss sich Kaiba zusammen, atmete tief ein und richtete sich auf, um etwas zu sagen. Aber in dieser Sekunde öffnete sich die Tür. Joey wandte sich sofort ab und auch er schwieg. Dr. Johnson war es, der nun eintrat, seinen Patienten musterte und Joey grüßend zunickte. In seiner rechten Hand hielt er die Zeitung, die er nun hob und mit ihr fuchtelte.

"Habe ich irgendetwas verpasst?" Er wirkte sehr überrascht und Joey setzte alles daran, um ihn zu beruhigen, obgleich er allmählich keine Lust mehr auf diesen Job hatte. Er sehnte sich nur noch nach Ruhe und einem geregelten Alltag. War das zuviel verlangt?

"Nicht aufregen." Er hob die Hand und ließ den Kopf hängen, Kaiba starrte wieder auf die Zeitung, verbissen und unzufrieden. "Sie haben mich gestern Abend, als ich Sie anrief und erklärte, dass es heute viele Besucher geben würde, nach dem Grund gefragt. Und der sieht folgendermaßen aus: Ich brauche die große Runde, um alles zu erklären und zu regeln. Sie werden also gleich erfahren, weshalb Ihr Patient tot ist, ohne dass Sie es wissen."

"In... Ordnung." Der Mann nickte zögerlich, warf die Zeitung neben sich auf einen Stuhl und trat an Kaiba heran. "Wie geht es Ihnen heute?"

Während sich Johnson ausführlich über den Zustand seines Patienten informierte, stand Joey auf, rieb sich den Nacken und verließ den Raum.

>Keine Unfälle mehr<, dachte er sich verbissen, als er im Gang stehen blieb und sich an die Wand lehnte. >Keine traurigen Vorfälle! Es muss alles perfekt laufen. Katagori rennt in die Falle, die Polizei schnappt ihn und ich bekomme meinen alten Seto zurück! Und wenn es nicht klappt, oder irgendwie schief geht, dann raste ich vollends aus!<

Er ließ sich auf den Boden rutschen, streckte die Beine von sich und kratzte sich an der Stirn.

>Ich will nichts mehr mit Katagori zu tun haben, ihn nie wieder sehen. Ich will alle Unklarheiten in meinem Freundeskreis regeln und faulenzen können. Ich will ruhig schlafen und mir keine Gedanken mehr machen, wenn ich aufwache. Ich will meinen Spaß mit Seto und ein ungestörtes Leben. Er versichert mir ein spannendes Leben. Pah! Das ist mir zu spannend... wie soll ich nur damit fertig werden! Ich bin kein Superheld der so etwas vor dem Frühstück erledigt!<

Nach wenigen Minuten bogen Duke und Tristan um die Ecke und er blickte auf. Tristan war munter und grinste, als er zum Gruß die Hand hob. Duke jedoch, sah sehr unausgeschlafen und lustlos aus. Und es war ihm nicht zu verübeln. Dann blieben sie vor ihm stehen und er gesellte sich sogleich zu Joey auf den Boden und rieb sich die Augen.

"Und?", fragte er nuschelnd. "Hat es funktioniert?"

"Ja", antwortete Joey gähnend. "In wenigen Stunden wird es ganz Domino wissen. Und sicher auch Katagori."

"Was wird ganz Domino wissen?", erkundigte sich Tristan verwundert. "Sind wir hier, damit du uns das erzählen kannst?"

"Genau." Joey legte den Hinterkopf gegen die Wand, winkelte die Beine an und legte die Arme darüber. "Wo sind Yugi, Tea und Bakura? Sie kommen doch noch, oder?"

"Ich denke schon." Tristan sah sich um. "Puh, zu dieser Zeit war ich noch nie im Krankenhaus."

Joey und Duke wechselten müde Blicke.

"Und? Schreibst du ein Buch über deine Abenteuer?"

"Böh." Joey schloss die Augen und gähnte erneut.

Dann, wenige Minuten später, trafen Pikotto und Mokuba ein. Der Junge war hellwach und das aus dem einfachen Grund, weil sein Bruder wieder da war. Er war unglaublich aufgeregt, begrüßte Joey nur kurz und verschwand sofort im Zimmer. Pikotto blieb jedoch bei Tristan, Duke und Joey stehen und besah sich diesen mit besorgter Miene. Ihm schien es nichts auszumachen, so früh herumzurennen. Er fand ohnehin nur äußerst selten ins Bett.

"Du siehst nicht gut aus", sagte er, als er Joey innig beäugte. "Du musst unbedingt von diesen ganzen Problemen wegkommen und dich entspannen."

"Oh, klingt gut." Joey grinste, ließ den Kopf nach vorn fallen und rieb sich den Nacken.

"Und wie läuft es mit ihm? Habt ihr euch unterhalten?"

"Frag nicht, bitte." Joey schnaufte. "Am liebsten würde ich diesen ganzen Mist einfach fallen lassen und mir Zeit für ihn nehmen. Es läuft überhaupt nicht gut."
 

Und dann, nachdem sich auch die restlichen drei Gäste eingefunden hatten, zogen sie sich in das Zimmer zurück, suchten sich Sitzplätze und eröffneten die Besprechung.

Joey erzählte lediglich von dem Plan, der bereits im vollen Gange war. Mokuba hockte bei seinem Bruder auf dem Bett und klammerte sich während der gesamten Geschichte an seinen Arm. Kaiba schwieg die ganze Zeit über und an seinem Gesicht konnte man nicht erkennen, an was er dachte oder wie er diesem Plan gesinnt war. Yugi, Tea, Tristan und Bakura lauschten aufmerksam und Pikotto und Duke blieb nichts anderes übrig, als beipflichtend zu nicken. Trotz alledem war diese Besprechung sehr wichtig. Und Joey hatte wieder alles auf sich genommen und sich den Mund fusselig geredet.

"Das Begräbnis findet...", jetzt war er völlig durcheinander und stoppte, um sich zu sammeln.

"Übermorgen", half Pikotto aus und er nickte ihm dankbar zu. Dann rutschte er zur Kante des freien Bettes und ließ die Beine baumeln. Sein Blick richtete sich kurz auf Kaiba, der gedankenverloren auf die gegenüberliegende Wand starrte. Die Anwesenheit der vielen Menschen schien ihm unangenehm zu sein und gleichermaßen schien er all das erst verarbeiten zu müssen.

"Wir sind uns sicher, dass Katagori das Begräbnis mitverfolgen wird, wie auch immer. Also ist es sehr wichtig, dass wir überzeugend schauspielern."

"Kein Problem." Yugi war von der gesamten Erzählung hingerissen und starrte Joey mit großen Augen an. "Kein Problem."

"Und wie läuft es mit Hirayama?", wandte sich Joey an Pikotto.

"Er erreichte Domino erst in der späten Nacht. Ich weiß, wo er ist und werde mich gleich heute darum kümmern. Es dürfte keine Komplikationen geben. Und es ist nun von großer Wichtigkeit, dass du dich nicht in der Öffentlichkeit zeigst, Kaiba. Halt dich auch von den Fenstern fern und bleib in diesem Raum."

Alle Blicke richteten sich auf Kaiba und dieser erwiderte sie nach einem langen Zögern finster.

"Als ob ich in letzter Zeit etwas anderes getan hätte." Mit diesen Worten befreite er seine Hand aus der eisernen Umarmung seines Bruders und rollte sich zum Fenster, so, dass ihn niemand mehr anstarren konnte.

"Och..." Yugi teilte sein Leid.

"Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht." Tea erhob sich und warf nebenbei einen Blick auf ihre Uhr. "Und ich hoffe, dass sie diesen Katagori schnappen. Wir werden übermorgen kommen. Aber jetzt müssen wir los, sonst kommen wir zu spät in die Schule."

Tristan und Yugi nickten zustimmend und Bakura kratzte sich am Kopf.

"Ich muss auch in die Schule", bemerkte Mokuba, nachdem er nach der Hand seines großen Bruders geschnappt hatte. "Kommen wir auch zu spät, Pikotto?"

"Nein."

"Schade."

"Also dann." Vor Joey blieb Tea stehen und schenkte ihm ein aufmunterndes Grinsen. "Ich bete für dich, dass du diese Probleme bald hinter dir hast." Sie hob die Hand und zupfte an seiner Jacke. "Dich scheint das alles sehr mitzunehmen."

Joey neigte sich nickend zur Seite und warf Kaibas Rücken einen knappen Blick zu.

"Natürlich", antwortete er mit Nachdruck und rutschte vom Bett. Kaiba regte sich nicht und während sich Mokuba mit allem Drum und Dran von ihm verabschiedete, drängelte sich die kleine Gruppe auf die Tür zu.

"Gute Besserung, Kaiba!", rief Yugi noch, bevor er auf den Gang hinaustrat.

Duke blieb auf seinem Stuhl sitzen und ging erst, nachdem Mokuba an ihm vorbei gerannt war. Kaiba blieb weiterhin liegen und schenkte den Gästen keine weitere Beachtung. Bevor Duke dann die Tür schloss, warf er Kaiba einen finsteren Blick zu. Für ihn machte es nicht den Anschein, als hätten sich die Beiden ausgesprochen und Kaibas Benehmen Joey gegenüber machte ihn wütend. Keine Dankbarkeit! Nichts!

Draußen im Gang verabschiedeten sich Yugi, Tea, Tristan und Bakura und gingen ihrer Wege, Johnson sprach Joey kurz seine Faszination an dem Plan aus und verschwand dann nachdenklich in Richtung seines Büros, Mokuba machte sich am Getränkeautomaten zu schaffen und Duke lehnte sich seitlich gegen die Wand. Joey sah seinen Freunden schweigend nach und sobald sie winkend hinter der Ecke verschwunden waren, wandte er sich an Pikotto, der direkt neben ihm stand.

"Ich halte es nicht mehr aus!", zischte er zwischen den zusammengebissenen Zähnen und ballte die Hände zu Fäusten. "Liegt es nun an Katagori, an dem Gift oder macht es ihm Spaß, mich leiden zu sehen!"

Duke biss sich auf die Unterlippe und ließ den Blick sinken. Pikotto jedoch, antwortete ruhig.

"Ich erkenne ihn auch kaum wieder, wüsste aber keinen Grund, weshalb er Spaß daran finden sollte."

"Ich sehe auch keinen Grund!" Joey warf der Tür einen düsteren Blick zu. "Ich habe mit der ganzen Sache nichts mehr zu schaffen und Katagori ist so gut wie geliefert! Und trotzdem kann ich mich nicht entspannen und er?" Er spuckte einen leisen Fluch, wandte sich ab und schloss am Ende seiner Kräfte die Augen. "Er ist immer noch so abweisend und tut so, als ginge ihn diese Sache einen Scheißdreck an!"

"Joseph", sagte Pikotto ernst. "In weniger als einer Woche wirst du alles hinter dir haben. Und wenn er genügend Zeit hat, wird er sich ändern und zwischen euch wird sich alles bessern."

"Er, er, er!" Joey drehte sich zu ihm um und in seinen Augen funkelte die pure Wut. "Immer geht es nur um ihn! Er muss sich ausruhen! Er braucht Zeit! Er wird sich erholen!! Ich habe keinen Bock mehr!! Ich muss ihn beruhigen, ihm Mut zusprechen! Ich muss mich um ihn kümmern und immer für ihn da sein! Und wer ist für mich da?! Wer spricht mir Mut zu und sorgt sich um mich!? Er sicher nicht!! Wie viel muss ich denn noch aufopfern, damit er endlich zufrieden ist!! Ich verstehe es aber irgendwann habe auch ich keine Kraft mehr!!" Er raufte sich die Haare, Duke sah ihn mitleidig an und Pikotto nickte ebenso verständnisvoll. "Er ist so... undankbar, kalt und alles scheint ihm egal zu sein! Alles!! Dabei geht es nur um ihn! Wir mussten sein Leben retten, wir mussten uns wegen ihm den Kopf zerbrechen, wir mussten nach einer Möglichkeit suchen und nun einen Plan entwickeln, damit er nicht mehr in Gefahr ist und sich erholen kann! Von was denn?! Von dem Gift?! Ich habe weitaus mehr durchgemacht, als er! Und er..." Joey verstummte, schnappte nach Luft und unterdrückte mit aller Kraft einen lauten Aufschrei. Seine Hände zitterten, als er sich abwandte, gegen die Wand trat und davon stampfte.

Pikotto und Duke sahen ihm nach, bis er leise fluchend und händeringend hinter der Ecke verschwand. Beide schluckten und während sich Duke die Stirn rieb, hielt Pikotto nach Mokuba Ausschau.

"Er muss diese Sache hinter sich bringen." Duke löste sich von der Wand und blickte sich traurig um. "Das ist alles so ungerecht. Und wenn er nicht bald ein unbekümmertes Leben genießen kann, dann ist er es, um den wir uns Sorgen machen sollten."

Pikotto nickte stumm, dann rief er Mokuba und wandte sich zum Gehen ab.

"Was meinst du?", sagte er zu Duke, als der Junge angelaufen kam. "Wird er bis zum Begräbnis noch einmal nach ihm schauen?"

"Das kann ich nicht sagen." Duke zuckte mit den Schultern. "Ehrlich, ich habe keine Ahnung."
 

~*to be continued*~

Seite an Seite

Nein, an diesem Tag kam Joey nicht mehr.

Duke verließ gemeinsam mit Pikotto und Mokuba das Krankenhaus und ging sofort nach Hause, um sich auszuruhen. Er verbrachte den ganzen Tag damit, Fernsehen zu schauen oder zu schlafen und als die Abendstunden näher rückten, da begann er sich Sorgen um Joey zu machen und rief ihn auf dem Handy an. Doch das war ausgeschaltet.

Duke versuchte es wohl an die zehnmal und als es dann finster in Domino wurde, verließ er seinen Laden, um ihm einen kleinen Besuch abzustatten. Joey war sehr wütend und erschöpft gewesen, bevor er gegangen war. Nun hatte er sich den gesamten Tag über nicht bei ihm gemeldet und das Handy war aus. Hatte er nun einen Grund, nervös zu sein, oder nicht?

Es ging ihm auch nicht viel besser, als er vor Joeys Wohnungstür stand, sturmklingelte und keine Antwort bekam. Joey war auch nicht zu Hause, das sah er ein, als er sich nach zehn Minuten abwandte und sich auf den Heimweg machte.

Musste er etwas befürchten?

Es war sinnlos, ganz Domino nach ihm abzusuchen. Joey konnte überall sein und sicher brauchte er nur etwas Zeit um nachzudenken, Ruhe, um sich zu entspannen. Also warf sich Duke wieder vor den Fernseher und kurz nach Mitternacht fand er endlich ein paar Stündchen Schlaf.

Es war gegen sechs Uhr, als er wieder aufwachte, sich völlig übermüdet auf die Beine kämpfte und ordentlich gegen seinen Würfelsessel stieß. Sofort waren seine Gedanken wieder bei Joey und als er ihn erneut anrief und feststellen musste, dass das Handy noch immer ausgeschalten war, da wurde er richtig nervös. Nur wenige Minuten später machte er sich wieder auf den Weg zu Joey und er betete, dass er endlich zuhause war und er sich beruhigen konnte. Aber die Wohnung war wieder leer. Herr Wheeler war auf Arbeit und von Joey fehlte jede Spur. Na herrlich!

Die letzte Hoffnung bestand nun darin, Joey im Krankenhaus zu finden.

Vielleicht war er doch noch einmal zu Kaiba gegangen, um mit ihm zu sprechen? Also machte er sich auf den Weg zum Nusashi-Platz und ging zu jenem Zimmer. Doch als er die Tür öffnete und sich in den Raum lehnte, war nur Kaiba dort. Er schlief noch tief und fest und Duke trat zögerlich ein. Sollte er ihn wecken? Vielleicht wusste er ja, was zu tun war? Heute Abend würde das Begräbnis stattfinden und doch würde er sich besser fühlen, wenn er gleich wüsste, wo Joey war. Sicher würde er kommen und trotzdem sorgte sich Duke.

In leisen Schritten trat er näher, blieb neben dem Bett stehen und räusperte sich leise. Kaiba jedoch, regte sich nicht.

"Hey..." Er neigte sich über ihn und rüttelte vorsichtig an seiner Schulter. Er wusste nicht, wie sich ein müder Kaiba benahm, also war er äußerst sorgfältig. "Hey, Kaiba. Aufwachen."

Und als er dann wieder und stärker rüttelte, da begann sich Kaiba zu bewegen. Er drehte das Gesicht, befreite die Hände aus der Decke und schob sie unter das Kissen. Dann brummte er leise, öffnete die Augen einen Spalt weit und entdeckte Duke. An diesem schien er das Interesse jedoch sehr schnell zu verlieren. Also schloss er sie wieder und wandte sich träge ab.

"Was ist", knurrte er.

Duke hatte keine Lust, lange herumzureden. Und bevor Kaiba noch die Nerven verlor und ihn verscheuchte, sprach er Klartext. Er richtete sich auf, verschränkte die Arme und räusperte sich. Kaiba schien wieder zu schlafen.

"Seit Joey gestern das Krankenhaus verlassen hat, ist er spurlos verschwunden. Ich war bei ihm zu Hause, aber da ist niemand. Und sein Handy ist auch aus. Ich mache mir große Sorgen."

"Was…?" Plötzlich wendete Kaiba den Kopf, kämpfte das Kissen zur Seite und richtete sich etwas auf. Durch die etwas wirren Strähnen seines Schopfes sah er Duke an, schien auf einmal wach zu sein. "Joseph ist weg? Warum?“ Ächzend rieb er sich das Gesicht. „Hast du ihn gesucht…?"

Duke war über das plötzliche Interesse Kaibas so überrascht, dass er einen Schritt zurücktrat.

"Gesucht? Ich weiß nicht...", er räusperte sich, "… ich wusste nicht, wo ich nach ihm suchen sollte. Ich kann nicht durch ganz Domino laufen."

"Seine Lieblingsplätze", fiel Kaiba ihm sofort ins Wort. "Hast du ihn an den Plätzen gesucht, an die er geht, wenn er Ruhe braucht?"

Duke öffnete sprachlos den Mund.

Jetzt hatte er den Beweis!

Kaiba benahm sich sehr grob Joey gegenüber, aber nun? Nun war er sofort hellhörig und vermutlich nicht weniger besorgt, als er. Es hatte den Anschein, dass, wenn er die Kraft dazu hätte, er aufstehen und selbst nach ihm suchen würde.

"Welche Plätze sind das?"

Herrje, Kaiba schien Joey besser zu kennen, als er.

"Der...", Kaiba blickte sich angespannt um und fuhr sich durch den Schopf, "… der kleine Spielplatz", meinte er dann, wobei sich sein Gesicht leicht entspannte und er in sich selbst hinein nickte. „Ja, dort ist er oft."

"Der kleine Spielplatz?"

"Im kleinen Park in der Nähe seiner Wohnung. Er ist zwischen Bäumen versteckt, von weitem nicht zu sehen. Da... da ist ein kleiner Spielplatz."

"Na gut.“ Schon wandte sich Duke ab. „Dann gehe ich dorthin."

"Warte…" Kaiba hob den Arm, streckte ihm die Hand nach und er hielt inne. "Ich wünschte, ich könnte mitkommen.“ Mit einem Anflug von Verbitterung sah er Duke an und dieser nickte stumm, folgte der Hand, die sich im Schopf versenkte, kratzte. „Bitte suche ihn. Und wenn du ihn gefunden hast, dann...", er zögerte und wandte den Blick ab, "… ich werde bald entlassen und würde mich freuen, wenn er dabei... sein könnte."

"Heute?" Duke hob überrascht die Augenbrauen. "Du wirst heute schon entlassen?"

Kaiba nickte und biss sich auf die Unterlippe.

"Gegen vier Uhr."

"Ich werde es ihm ausrichten." Duke konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Also tat er es einfach und näherte sich hinterrücks der Tür. "Ich geh sofort zu diesem Spielplatz und wenn ich ihn gefunden habe, dann richte ich es ihm aus."

"Und... und wenn er dort nicht ist, dann such ihn am See." Kaiba machte sich wirklich Sorgen und strengte sich nicht an, diese Tatsache zu verbergen.

"Ich finde ihn schon", versuchte Duke ihn zu beruhigen, während er nach der Klinke tastete. "Und sicher wird er gern kommen. Mach dir keine Sorgen."

Daraufhin antwortete Kaiba nichts und Duke wollte keine Zeit verschwenden, Joey endlich finden und beruhigt sein. Also machte er eine verabschiedende Handgeste und verließ das Zimmer.
 

Und ohne Umschweife machte er sich auf den Weg zu dem kleinen Spielplatz, den Kaiba vorgeschlagen hatte. Er brauchte keine halbe Stunde, da erblickte er die Bäume, die eng beieinander standen, sich um einen kleinen Platz drängten. Das Herz schlug aufgeregt in seiner Brust, als er sich durch sie hindurch schlängelte und die Augen offen hielt. Der Park war wirklich verdammt klein und nach wenigen Minuten der Suche betrat Duke einen breiten Kiesweg, der einen ovalen Sandkasten umschloss. Dort gab es lediglich eine altersschwache Holzrutsche und zwei Schaukeln. Und auf einer dieser Schaukeln hockte wirklich Joey. Die Beine hatte er von sich gestreckt, der Kopf war gesenkt, die Hände lagen auf seinem Schoß, eine von ihnen hielt eine Zigarette. Kurz blieb Duke stehen und beobachtete ihn, dann trat er langsam näher. Joey bemerkte ihn schnell, blickte jedoch nur kurz auf und starrte dann wieder auf den Sand. Direkt vor ihm und neben einem kleinen Zigarettenberg blieb Duke stehen, stützte die Hände in die Hüften und besah ihn sich erneut aus der Nähe. Joey sah etwas zerzaust aus, nun begannen er die Beine zu bewegen und vor und zurück zu wippen. Er schenkte ihm keine weitete Aufmerksamkeit, hob nur die Zigarette zum Mund und nahm einen langen Zug. Den Rauch blies er durch die Nase aus und dann schwieg er weiter. Duke hockte sich in der Zwischenzeit schräg neben ihn, legte die Hand auf seine Knie und hielt so die Schaukel an. Joey sah schrecklich aus und nachdem er still saß, griff Duke nach der Zigarette, zog sie ihm aus den Fingern und warf sie neben sich in den Sand.

"Seit wann rauchst du denn?"

Da Joey nun keine Zigarette mehr hatte, begann er mit seinen Händen zu spielen. Er drehte sie ineinander, knackte mit den Knöcheln und atmete tief ein.

"Woher weißt du, dass ich hier bin?", erkundigte er sich leise und mit rauer Stimme.

"Dreimal darfst du raten." Duke tätschelte seine Knie. "Ich suche dich seit gestern, war sogar bei dir zu Hause. Aber du warst nicht da. Und heute bin ich einfach zu Kaiba gegangen und der hat mich hierher geschickt."

Er erhielt keine Antwort. Stattdessen ließ Joey das Gesicht noch mehr sinken und schloss die Augen, seine Hände hielten in den Bewegungen inne und dann kehrte die alte Stille ein. Duke besah sich seinen Freund besorgt und dieser schien zu einer Statue erstarrt zu sein, nur seine Schultern hoben und senkten sich unter einem starken Atemzug. Und dann holte er noch einmal tief Luft und erhob die Stimme in einem leisen Ton.

"Was ist schon fair an meinem Leben?"

"Wie meinst du das?" Duke rutschte näher.

"Ts." Joey schüttelte langsam den Kopf, gestikulierte kurz mit den Händen. "Ich habe mal über all das nachgedacht."

"Und zu welchem Entschluss bist du gekommen?", erkundigte sich Duke. Daraufhin schwieg Joey eine lange Zeit. Er blickte nicht auf, zuckte nur mit den Schultern und besah sich seine Hände.

"Dass ich für diese Art von Leben nicht geschaffen bin."

"Wie meinst du das?"

Daraufhin löste Joey eine Hand von seiner Hose, hob sie und fuhr sich über das Gesicht. Duke hörte, wie er schwer schluckte und dann einen tiefen Atem ausstieß.

"Ich habe panische Angst vor dem Tod", hauchte er dann beinahe lautlos und begann erneut mit seinen Händen zu spielen. "Und meine Nerven ertragen nicht viel."

Das verstand Duke. Nickend wandte er den Blick von Joeys Gesicht ab, sah sich kurz um und biss sich auf die Unterlippe. Mit diesen beiden Sätzen hatte Joey sein Befinden gut zum Ausdruck gebracht.

"Joey." Er starrte auf einen Baum. "Du hast viel durchgemacht und es ist verständlich, dass du nicht mit alledem fertig wirst. Das schafft niemand, zumindest kein normaler Jugendlicher. Alles ist nicht normal, was in letzter Zeit geschehen ist. Ich kann nicht nachvollziehen, wie es dir geht, denn ich wurde wohl etwas mehr verschont, als du. Aber die Polizei wird sich jetzt um Katagori kümmern, also denke ich, dass du es nun hinter dir hast. Und..."

Er verstummte, als Joey plötzlich leise schluchzte, sich nach vorn beugte und beide Hände auf das Gesicht presste. Und binnen weniger Sekunden brach er dann in Tränen aus, schluchzte laut und sein Körper erbebte unter heftigen Atemzügen.

"Joey." Duke seufzte, richtete sich auf und nahm ihn in die Arme. Sofort klammerte sich Joey an ihn und ließ dem Leiden, das sich in ihm angestaut hatte, freien Lauf. Er ächzte und schluckte die Tränen hinunter. Duke hielt den zitternden Körper fest in den Armen, schob die eine Hand in den blonden Schopf und drückte Joey an sich.

"Ich habe alles getan und trotzdem geht er nicht auf mich ein!", ächzte dieser zwischen hastigen Atemzügen. "Ich will doch nur, dass er mich wieder an sich heran lässt und dass alles so wird wie früher…!"

Was sollte Duke daraufhin sagen?

Sollte er sagen, dass es so sein würde, wenn man Kaiba noch etwas Zeit gab?

Er wusste genau, wie Joey darauf reagieren würde, also schwieg er. Joey jedoch, fuhr schluchzend fort.

"Es ist alles unfair! Die ganze Welt ist nicht gerecht! Habe ich nicht einen Lohn für meine Mühen verdient?!"

Duke schloss die Augen. "Joey, ich..."

"Wann ist das denn endlich vorbei?! Wird hier erst wieder Frieden einkehren, wenn ich tot bin?!" Joey schrie leise auf und Duke spürte seine Fingernägel, wie sie sich in seine Haut bohrten. "Ich weiß, dass es Kaiba nicht gut geht, dass er gerade nicht immer Herr seiner Sinne ist und nicht weiß, was er sagt, was er mir mit seinen harten Worten antut! Ich muss ihn aber sehen, fühle mich gezwungen, zu ihm zu gehen, weil ich ohne ihn nicht leben kann! Aber ich ernte keine Gegenleistung!! Nicht einmal in seinem Blick ist ein Hauch von Dankbarkeit!!"

Duke verstärkte die Umarmung, öffnete die Augen und starrte wieder auf die Bäume, die sie umgaben. Er schwieg und wartete, dass Joey fortfuhr, dass er ihm alles erzählte, das ihm auf der Seele lastete. Und das tat Joey auch.

"Wir haben zwar miteinander gesprochen und ich hatte ein gutes Gefühl aber jetzt ist es, als hätte dieses Gespräch nie statt gefunden!! Er benimmt sich so unaufmerksam und abweisend, obwohl ich alles getan habe, damit er leben kann! Ich will ihm keine Vorwürfe machen aber manchmal kommt es einfach über mich und dann weiß auch ich nicht mehr, was ich sage! Ich bin völlig fertig, erschöpft, am Ende! Und ich weiß einfach nicht mehr, wie ich mit dieser Situation umgehen soll…!!"

Duke seufzte leise und Joey begann sich zu regen, ließ ihn jedoch nicht los.

"Ich habe doch alles getan, ist es nicht so…?", ächzte er wieder und Duke nickte.

"Das hast du."

"Und warum gönnt man mir jetzt keine Ruhe?? Habe ich das nicht verdient?! Kann ich nicht einfach bei ihm sitzen und mich entspannen??"

"Ich weiß es nicht."

"Ich meine, ich habe es doch jetzt hinter mir! Ich werde Katagori nie wieder sehen und muss auch bald keine Angst mehr vor ihm haben! Ich habe die ganze Sache durchgestanden aber warum bin ich dann so schrecklich traurig?! Ich fühle mich, als würde ich noch inmitten des Dilemmas stecken und dabei liegt es nur noch an Kaiba, dass ich nicht zufrieden sein kann!!"

"Hör zu." Duke löste die Umarmung, tastete nach Joeys Schultern und schob ihn vorsichtig von sich. Sofort entfloh Joey seinem Blick, presste die Hand auf das Gesicht und das Kinn auf die Brust. "Ich soll dir etwas von Kaiba ausrichten. Er war sehr besorgt und hätte dich am liebsten selbst gesucht."

"Ach... ja?" Zögerlich ließ Joey die Hand sinken und blickte auf.

"Ja, natürlich." Duke nickte und zwang sich ein Lächeln auf. "Er liebt dich, das merkt man, obwohl es ihm zurzeit etwas schwer fällt, es zu zeigen."

Joey schluckte, rieb sich die Augen und verbarg sie wieder hinter der Hand. Nun saß er wieder zusammengesunken vor Duke und dieser legte die Hände zurück auf seine Knie.

"Er wird heute sechzehn Uhr entlassen und wünscht sich, dass du dabei bist."

Joey antwortete nicht und Duke rüttelte behutsam an ihm.

"Ich glaube, dass er noch einmal in aller Ruhe mit dir sprechen und alle Unklarheiten beseitigen will. Weshalb sollte er sonst so ein Anliegen äußern? Er leidet auch darunter, glaub mir das. Und er kämpft mit sich und seinem Zustand. Du solltest heute mit ihm gehen und sobald das Begräbnis vorbei ist, kannst du sofort wieder zu ihm fahren. Ich denke, dass sich zwischen euch alles bessern wird, wenn ihr mehr Zeit füreinander habt. Gleichzeitig fühlt er sich in dem Krankenhaus alles andere, als wohl. Wer weiß? Vielleicht ist er sofort ein anderer Mensch, wenn er sein Haus betritt?"

"Wenn es nur so einfach wäre." Joey schüttelte den Kopf. "Ich kenne ihn doch. Er tut so etwas nicht nur, weil ihm sein Umfeld nicht gefällt."

"Joey, ich denke, dass..."

"Du verstehst das nicht, Duke!" Plötzlich sprang Joey auf die Beine, kämpfte die Schaukel zur Seite und trat einige Schritte zurück. "Er ist nur am mäkeln, egal, was ich tue! Und als ich mit meinem Plan ankam, wirkte er fast schon so, als würde ich lächerlich auf ihn wirken!!"

"Dein Plan ist toll, Joey!", warf Duke sofort ein und erhob sich. "Und das wird er bald einsehen. Spätestens, wenn Katagori hinter Gittern sitzt."

"Er soll es gefälligst eher einsehen!!" Joey fuchtelte mit den Fäusten, trat in den Sand und kehrte ihm den Rücken. "Ich will doch nur ein kleines Lob! ‚Gut gemacht, Joey’! Ist das zuviel verlangt?! Schafft er es nicht, diese drei Worte auszusprechen oder will er es nur nicht einsehen, weil er zurzeit nicht selbst im Stande dazu ist, sich um Katagori zu kümmern?!"

"Joey!" Duke verdrehte die Augen. "Was soll ich denn jetzt dazu sagen? Er ist dein Freund, du kennst ihn besser. Und wenn du nicht mit ihm klarkommst, dann solltest du entweder noch einmal mit ihm sprechen oder es sein lassen."

"Was?" Plötzlich schlug Joey auf einen wirklich erschütterten Ton um und wandte sich ihm mit großen Augen zu. "Es sein lassen...? Meinst du das ernst...?"

"Natürlich nicht!", erwiderte Duke erschöpft. "Ich habe dir schon oft gesagt, dass er dich wirklich liebt. Und du weißt das ebenso gut, wie ich! Ich bitte dich, zerbreche dir jetzt nicht weiterhin den Kopf darüber und geh zu ihm. Begleite ihn nach Hause, lass ihn entspannen und geh die Sache dann noch einmal mit mehr Ruhe an."

"Und wenn ich keine Lust habe, noch länger zu warten?" Joey schnitt eine Grimasse und Duke wusste allmählich nicht mehr, mit welchen Worten er ihn besänftigen sollte.

"Dann lass es sein", sagte er also nur resigniert.

Und nun trat die erwartete Reaktion ein und Joey starrte ihn wieder erschüttert an.

"Das Problem bei der Sache ist nur", Duke stöhnte und stützte eine Hand in die Hüfte, "dass du ihn liebst und er liebt dich. Pustekuchen! Was soll denn schief gehen, wenn du einen letzten Versuch startest?"

"Was schief gehen kann?" Joey kehrte langsam zu ihm zurück. "Da kann verdammt viel schief gehen und ich habe keine Lust, es herauszufinden!"

"Du musst es aber herausfinden!" Bevor sich dieses Gespräch noch bis zur Unerträglichkeit steigerte, zerrte Duke nach Joey, zog ihn zu sich und legte den Arm um seinen Hals. "Du tust dir doch nichts Gutes, wenn du der Sache aus dem Weg gehst und dich andauernd irgendwo verkriechst."

"Verkriechen?" Wieder rieb sich Joey die Augen. "Was willst du denn damit sagen!"

"Na, gestern habe ich versucht, dich anzurufen, dann war ich bei dir zu Hause und habe mir den Kopf zerbrochen! Ich habe kaum geschlafen und am nächsten Tag, also heute, die Suche fortgeführt! Und wenn es Kaiba nicht gegeben hätte, dann würde ich dich immer noch suchen. Und du würdest immer noch hier sitzen und so lange rauchen, bis du am Qualm erstickst!"

"Ach!" Joey pulte sich im Ohr.

"Ja." Duke sah das erlösende Ende schnell näher rücken. "Hör zu, du Blödmann. Du gehst jetzt nach Hause und ruhst dich aus, machst dich frisch oder was auch immer. Und dann gehst du zu Kaiba und begleitest ihn nach Hause. Warum sage ich das jetzt eigentlich noch mal?"

"Du musst es nicht wiederholen!" Joey befreite sich aus dem Klammergriff, fuchtelte mit den Händen und entfernte sich mit wenigen Schritten von ihm. Und er schnitt solche Grimassen, dass man glauben konnte, nun würde er völlig ausrasten. "Ich geh zu ihm und gebe ihm noch eine Chance!"

Duke nickte zufrieden und Joey ließ die Arme sinken.

"Und wenn er mich auch nur noch einmal angiftet, dann werde ich ihm die Leviten lesen!"

"Herrje." Duke stöhnte entkräftet.

"Okay." Joey weitete die Augen und streckte ihm die Hand entgegen. "Ich... ich geh dann mal."

"Ja." Duke winkte.

"Gut." Nach einem verunsicherten Blick zu Duke, wandte er sich langsam ab und brummte etwas Undefinierbares. Und nach wenigen Schritten drehte er wieder das Gesicht zu Duke. "Ich geh jetzt!"

"Und etwas Schlaf hättest du auch nötig", rief Duke ihm nach. "Du benimmst dich sonderlich!"

"Ach ja?!" Ruppig wandte sich Joey ab, verschnellerte seine Schritte. "Na, Danke!

Hab nicht geschlafen und jetzt noch so etwas!"

Als er dann davon stampfte und leise bei sich fluchte, zeichnete sich ein sanftes Lächeln auf Dukes Lippen ab. Und als Joey zwischen den Bäumen verschwand, schüttelte er den Kopf und hockte sich hin.

"So ein Idiot."
 

Wortlos überreichte Johnson dem Mann die Entlassungspapiere, stützte die Hände in die Hüften und besah ihn sich, während er die Unterlagen kurz überflog und dann flink in seinem Aktenkoffer verschwinden ließ.

"Haben Sie alles geplant?", fragte er dann. "Wie wollen Sie Kaiba ungesehen aus dem Krankenhaus bringen?"

"Es ist alles vorbereitet." Pikotto ließ den Aktenkoffer sinken und warf einen geschäftigen Blick auf seine Uhr. "Wir dürfen jetzt aber keine Zeit verschwenden. In nur einer Stunde beginnt das Begräbnis und ich muss anwesend sein."

"In Ordnung." Johnson öffnete die Tür und trat auf den Gang hinaus. "Dann wünsche ich Ihnen viel Glück bei Ihrem Vorhaben. Hoffentlich gelingt es."

"Das wird es." Pikotto folgte ihm aus dem Zimmer und eilte dann neben ihm durch den Flur. Und während sie sich der bestimmten Tür näherten, blickte er sich kurz um. Er schien auf jemanden zu warten, der noch nicht anwesend war. Da er jedoch nicht warten konnte, verließ er den Flur sogleich wieder und verschwand in Kaibas Zimmer.

Kaiba vergeudete keine Zeit, als er sich den schwarzen Rollkragenpullover über den Kopf stülpte, sich auf dem Stuhl langsam nach vorn beugte und die Stiefel zu sich zog. Man sah ihm deutlich an, dass er es kaum erwarten konnte, diesen Ort des Grauens zu verlassen. Als Pikotto und Johnson eintraten, blickte er nur kurz auf, suchte nach einem Dritten und wandte sich dann schweigsam seiner Arbeit zu. Er schlüpfte in die Stiefel, zog die langen Reißverschlüsse zu und richtete sich auf.

Sein Aussehen hatte sich gebessert und auch ein Teil seiner Kraft war zurückgekehrt. Sein Gesicht war nicht mehr ganz so blass und seine Augen hatten einen Teil der schneidigen Schärfe zurückerlangt. Beinahe wirkte er wie der alte Kaiba, würde jedoch eine Stütze beim Gehen benötigen. Er war noch etwas wackelig auf den Beinen und zuhause wartete ein Arzt, der ihn sofort in das Bett verbannen würde. Kaiba würde sich nicht daran halten und der Ärger war vorprogrammiert. Während Pikotto und Johnson ein weiteres kurzes Gespräch begannen, sah er aus dem Fenster. Dieser Raum hatte in der letzten Zeit ein Gefängnis für ihn dargestellt und am heutigen Tag, dem Tag seiner Entlassung, herrschte draußen ein Unwetter. Der Regen prasselte gegen die Scheiben und der Himmel wirkte düster und trostlos. Er riss sich von der Beobachtung los, kam mit einer trägen Bewegung auf die Beine und griff nach einem langen Kapuzenmantel, der für das Verlassen des Krankenhauses von großen Nöten war. Er betrachtete ihn sich kurz, atmete tief durch und schwang ihn sich über die Schultern.

"Tun Sie mir einen Gefallen." Johnson stopfte ein Stethoskop in die Tasche seines weißen Mantels und wies mit einem Stift auf Kaiba, der sich nun auf die Fußlehne des Bettes stützte und erschöpft den Kopf hängen ließ. "Wenn Sie diese Sache durchgestanden haben und alles wieder in Ordnung ist, informieren Sie mich darüber. Und Dr. Araki sollte bei allen guten Göttern nicht vergessen, mir den Verlauf der Genesung mitzuteilen."

"Das wird er nicht", beruhigte Pikotto ihn, Kaiba ernst musternd. "Ich werde mich bei Ihnen melden und..."

Plötzlich wurde die Tür hinter ihnen aufgerissen und Johnson musste zur Seite springen, um sie nicht gegen den Kopf zu bekommen. Pitschnass und keuchend trat Joey in das Zimmer und stützte sich sogleich auf die Knie. Johnson musste sich erst von dem Schreck erholen, Pikotto hob die Augenbrauen und Kaiba blickte auf. Und sobald er den schnaufenden jungen Mann erblickte, erhellte sich seine Miene. Er schien erleichtert durch seine Anwesenheit zu sein. Und noch glücklicher, dass Duke ihn gefunden und ihm die Nachricht überbracht hatte. Nun war Joey hier.

"Sorry!" Am Ende der Kräfte hob er die Hand und fuhr sich über das nasse Haar, worauf sich sofort eine kleine Pfütze unter seinem Kopf bildete. "Bin da... puh."

"Bist du gerannt?", wunderte sich Johnson, der nun das Schlimmste hinter sich hatte. "Mein Gott, du schnaufst ja wie nach einem Marathon."

"Das war ein Marathon, Doktor." Nun richtete sich der junge Mann auf, wischte sich hastig das Wasser aus dem Gesicht und stützte die Hände in die Hüften. "Puh, das war ja richtig knapp!"

"Ja." Pikotto wandte sich an Kaiba, der in der Zwischenzeit schon den Blick von Joey abgewandt hatte und sich nun mit dem Mantel beschäftigte. "Wir müssen gehen."

"Einen Moment." Mit einer flinken Bewegung zog sich Kaiba den Mantel um den Leib, zog ihn fest und schloss die Schnallen. Und da schob sich Joey zwischen Johnson und Pikotto hindurch und kam auf ihn zu. Und als er vor ihm stehen blieb, stellte er sich einfach auf die Fußballen, griff nach der Kapuze und zog sie Kaiba über den Kopf und bis tief in das Gesicht. Er streifte seine Wange unbeabsichtigt mit den Fingern und als Kaiba etwas Verworrenes nuschelte, griff er nach dem Kragen, schlug ihn hoch und knöpfte ihn noch zu, so, dass beinahe gar nichts mehr von dem Gesicht zu sehen war.

"Perfekt", erklärte er, als er einen Schritt zurücktrat und Kaiba von Kopf bis Fuß musterte.

"Ich kann nichts sehen", antwortete dieser lustlos.

"Und genau deshalb bin ich hier." Ohne zu zögern, griff Joey nach Kaibas Arm, hob ihn und schlüpfte darunter hindurch, so, dass er direkt neben ihm stand. Kaibas Hand legte er auf die eigene Schulter, den Arm um Kaibas Rücken. Und sobald er dicht neben ihm stand, stieg seine Laune und der Wunsch tat sich in ihm auf, ewig so nahe bei ihm stehen zu bleiben. Doch Pikotto öffnete die Tür, trat zur Seite und bat sie mit einem knappen Nicken, hinauszugehen. Johnson gehorchte sofort und auch Joey setzte sich in Bewegung, Kaiba mit sich führend.

"Die Umgebung wird ungewohnt auf dich wirken", flüsterte er, als er nach Kaibas Handgelenk griff. "Die Technik ist vorangeschritten und vieles hat sich geändert. Du hast vieles nachzuholen, wirst dich jedoch wieder einleben, mein lieber Steinzeitmensch."

Er spürte, wie Kaiba einen kurzen Atem ausstieß. Und dann verstärkte sich der Griff an seiner Schulter und er wurde etwas zur Seite gezogen. Kaiba drückte ihn an sich und in Joey sprudelte die Freude empor. Sofort musste er grinsen.

Im Gang angekommen, blieb Johnson kurz stehen und schüttelte Pikotto verabschiedend die Hand. Er warf auch einen kurzen Blick zu Joey und nickte diesem zu.

"Viel Glück."

Joey erwiderte die Geste heiter und als sich Pikotto abwandte und losging, folgte er ihm. Und Kaiba tat sein Handwerk außerordentlich gut und hielt den Kopf so tief gesenkt, dass er nur den Boden und die eigenen Beine sehen konnte. Den Rest musste er Joey überlassen. Dieser hielt sein Handgelenk fest umgriffen, als sie um eine Ecke bogen. Und plötzlich kam er sich sehr dumm dabei vor, geheult und sich verkrochen zu haben. Wenn man es recht bedachte, lief zwischen ihnen doch alles gut, oder? Und hätte Duke ihn nicht mit viel Geduld darauf aufmerksam gemacht, dann würde er nun nicht so glücklich sein. Nach kurzer Zeit erreichten sie den Fahrstuhl und Pikotto betätigte eine Taste, bevor er seinem Boss einen prüfenden Blick zuwarf. Viele Menschen liefen an ihnen vorbei, viele Patienten, Besucher und Ärzte. Und einige waren über den Tod des großen Seto Kaiba sehr traurig, obgleich er direkt neben ihnen gestanden hatte… für wenige Sekunden. Unter einem leisen Läuten öffneten sich dann die Fahrstuhltüren und sie traten ein. Glücklicherweise benutzte kein Anderer die Kabine und so richtete sich Kaiba auf, sobald sich die Türen geschlossen hatten. Ohne die Hand von Joeys Schulter zu nehmen, lehnte er sich mit dem Rücken gegen die Wand, hob die Hand und zog die Kapuze etwas zurück. Joey warf ihm einen flüchtigen Seitenblick zu und Pikotto sah auf seine Uhr.

"Wie geht es dir?", erkundigte sich Joey nach einer kurzen Zeit der Beobachtung. Kaiba schloss die Augen, legte den Hinterkopf gegen den Spiegel und atmete tief durch.

"Wenn du mich loslässt, falle ich."

"Ah ja?" Unauffällig begann Joey seinen Rücken zu kraulen und wieder begann sich die Hand auf seiner Schulter zu bewegen. "Na, dann sollte ich es besser nicht tun."

In dieser Sekunde hielt der Fahrstuhl und die Türen öffneten sich unter dem gewohnten Läuten. Vor ihnen lag die riesige Tiefgarage des Krankenhauses, kühle Luft zog ihnen entgegen. Sogleich trat Pikotto aus der Kabine und Kaiba ließ unter einem leisen Stöhnen den Kopf sinken. So traten auch sie hinaus und erblickten das Taxi, das schon für sie bereit stand.

Nachdem sich Pikotto einmal umgesehen hatte, öffnete er ihnen die hintere Tür und Joey war Kaiba bei dem Einsteigen behilflich. Und sobald dieser saß, ließ er sich gegen die Lehne fallen, streckte die Beine von sich und schloss die Augen.

Und so begann die Fahrt. Der Taxifahrer war von der ganz besonderen Sorte, so einer, der nie die Klappe halten konnte. Und er laberte und laberte. In einer halben Stunde erfuhr Joey alles über das Leben des Mannes. Gezwungenerweise wusste er bald, dass seine Frau Zellulitis hatte und dass der Hamster seiner Tochter unter den Rasenmäher geraten war. Ruhe er in Frieden, Joey scherte es einen feuchten Dreck. Das Einzige das ihn an der Fahrt sehr amüsierte, war, dass der Fahrer auch auf den grausamen Tod des großen Seto Kaiba zu sprechen kam. Das wusste in der Zwischenzeit ganz Domino. Er erklärte, dass er ihn einmal zu Gesicht bekommen hatte, dass er ihn verehrte und gern sein würde, wie er. Da musste Joey die ganze Zeit grinsen und versteckte Blicke zu seinem Nebenmann werfen, der sich in diesen Minuten sicher etwas komisch vorkam. Da sprach man doch wirklich über ihn, als wäre er tot - sehr belustigend. Der Fahrer begann diesen schrecklichen Verlust beinahe zu beweinen und dabei saß der Todgeglaubte direkt hinter ihm und gähnte in einem Zug.

In sicherer Entfernung zu dem großen Anwesen hielt das Taxi letzten Endes und sie stiegen aus. Es war zu gefährlich, sich direkt vor das Tor kutschieren zu lassen und so musste Kaiba einen beschwerlichen Fußmarsch auf sich nehmen. Sie kamen nur in langsamen Schritten voran und nach wenigen Minuten wünschte sich Kaiba leise sein Bett herbei. Er begann zu wanken und Joey hatte seine Schwierigkeiten, ihn zu halten. Und der Regen, der nur etwas abgenommen hatte, erleichterte es ihnen nicht gerade. Joey krallte sich an ihn und wünschte sich, sie hätten ihr Ziel schon erreicht. Das taten sie jedoch erst nach knapp zehn Minuten. Kaiba war zu schwach, um solche langen Wege hinter sich zu lassen, doch bedauerlicherweise war es von Nöten, um den Schein zu wahren. Alle drei waren glücklich, als sie endlich das Tor erreichten und den Pinguin erblickten, der sofort herbei gerannt kam. Sofort wurde das Tor geöffnet und Joey besah sich den langen Weg zum Haus unzufrieden. Doch glücklicherweise erklärte sich der Pinguin gern dazu bereit, Kaiba auf der anderen Seite zu stützen. So bewältigten sie den Weg mit weniger Kraftaufwand und öffneten letzten Endes die große Tür. Joey war wohl genauso erleichtert, das riesige Foyer wieder zu sehen, wie Kaiba.

Eine angenehme Wärme zog ihnen entgegen, als sie die Tür hinter sich ließen, ebenfalls eine behagliche Ruhe. Mokuba war noch bei einer Schulaufführung, Pikotto musste ihn gleich abholen, damit sie pünktlich zu dem Begräbnis kamen. Und so kam es auch, dass er sich gleich im Foyer verabschiedete. Der Pinguin war bei der Tür stehen geblieben und nun war es wieder an Joey, Kaiba heil nach oben zu bringen. Dieser hing ganz schön in seinen Armen und hob nun langsam die Hand, um nach der Kapuze zu tasten und sie zurückzuziehen.

"Du solltest etwas schlafen", wandte sich Joey an ihn und er nickte träge.

"Und du? Fährst du noch einmal nach Hause?"

"Ich glaube, ich habe gar keine andere Wahl", erwiderte dieser. "Ich kann schlecht in weißen Kleidern bei einem Begräbnis er..."

"Nein", meldete sich da plötzlich Kaiba zu Wort. Joey drehte das Gesicht zu ihm und er blickte auf, worauf sich ihre Blicke trafen. "Bleib hier."

"Hm?" Joey hob die Augenbrauen, hatte Schwierigkeiten, seine Rührung zu verbergen. "Aber ich muss doch..."

"Ich habe genug Kleider." Daraufhin blinzelte Kaiba und starrte müde auf den Boden zurück.

"Na dann?"

"In einer halben Stunde bin ich mit Mokuba hier und hole dich ab." Pikotto nickte ernst und sah kurz nach der Zeit. "Wir sehen uns."

"Danke." Joey lächelte und der Geschäftsmann wandte sich ab, um einen weiteren beschwerlichen Weg hinter sich zu bringen. Stress, den er gewohnt war. Ohne sich umzuschauen, trat er durch die Tür wieder nach draußen und kurz darauf standen die beiden allein im Foyer, inmitten der Ruhe und der Wärme. Es war herrlich, wieder hier zu sein. Joey sah sich kurz um, doch sein Blick blieb an der Treppe hängen, als er dort laute, schnelle Schritte vernahm. Sogleich verfinsterte sich seine Miene und auch aus Kaibas Richtung war ein leises Stöhnen zu hören.

"Oh mein Gott." Joey rieb sich die Stirn.

"Ohhh... mein Gott!" Wie befürchtet erschien Dr. Araki auf der Treppe, blieb stehen, raufte sich die Haare und rannte dann weiter. "Da sind Sie ja endlich! Ich habe mir ja solche Sorgen gemacht!"

"Hm." Kaiba lugte zu Joey. "Bring mich nur schnell weg von hier."

"Okay." Joey lachte leise und führte ihn zur Treppe. "Dr. Araki, Sie kommen wie gerufen. Helfen Sie uns bitte bei den Treppen?"

"Natürlich!" Sofort griff Araki nach Kaibas anderen Arm, zog ihn sich über die Schulter und stützte ihn. So ließen sie die Treppe schnell hinter sich und Netterweise brachte Araki die beiden bis in das Schlafzimmer. Dort ließ sich Kaiba entkräftet auf die Bettkante sinken, krallte sich in das Laken und ließ den Kopf sinken.

"Sie sollten jetzt sofort schlafen!" Während Joey die Augen verdrehte und sich vor Kaiba hockte, sprang Araki wieder herum. Vermutlich hatte er Gewissensbisse, weil er ihm nicht hatte helfen können. Trotzdem nervte er und Joey wollte ihn nun gern loswerden.

"Das tut er", sagte er also und machte sich an den Schnallen zu schaffen. "Sie müssen sich keine Sorgen machen."

"In Ordnung." Der Mann nickte, doch es kam ihm scheinbar nicht in den Sinn, sich zurückzuziehen.

"Komm, schlüpf raus." Joey richtete sich auf die Knien auf, griff nach dem Mantel und zog ihn über Kaibas Schultern. Dieser hob lediglich die Arme, um aus den Ärmeln zu schlüpfen und schob sich dann etwas zur Seite, damit Joey den Mantel ganz wegziehen und bei Seite werfen konnte.

"Doktor." Joey hockte sich wieder hin und warf dem Mann einen knappen Blick zu. "Sie können gehen, er braucht jetzt etwas Ruhe."

Endlich nickte Araki und Joey wandte sich den Stiefeln zu. Er raffte die Hosenbeine höher, tastete nach den Reisverschlüssen und zog sie hinab. Und endlich näherte sich der Arzt der Tür. Kaiba schenkte ihm keine Beachtung, nur Joey nickte ihm kurz zu, bevor er die Stiefel von den Beinen zog und bei Seite stellte. Und sobald das getan war, rutschte er zurück, ließ sich in die Kissen fallen und streckte sich unter einem leisen Stöhnen aus. Auch Joey schlüpfte aus seinen Schuhen, schlenderte um das Bett herum und hockte sich vor Kaiba auf die Decke. Dieser machte den Anschein, bereits zu schlafen aber nachdem Joey wenige Momente dort hockte, blinzelte er, räkelte sich langsam und streckte die Hand nach ihm aus.

"Komm her..."

Er erwischte sein Handgelenk und zog ihn zu sich. Und das musste sich Joey nicht zweimal sagen lassen. Er rutschte näher an ihn heran und ließ sich zur Seite fallen. Sofort legte Kaiba den Arm über seinen Rücken und zog ihn noch näher, so, dass er sich an ihn schmiegen konnte. Den einen Arm presste er an sich, den anderen legte er um Kaibas Leib. Und was war das für ein Gefühl, endlich wieder so nahe bei ihm zu liegen. Während Kaiba tief durchatmete, die Umarmung verstärkte und die Augen schloss, bettete Joey das Gesicht an seiner Schulter und tat es ihm gleich.

Nun lagen sie dicht voreinander, hielten sich fest umschlungen und genossen diese sanfte Zärtlichkeit. Nach wenigen Sekunden schob Joey die Hand noch weiter über Kaibas Rücken, klammerte sich regelrecht an ihn.

Wie lange hatte er das nur vermisst!

Er seufzte leise und presste das Gesicht an den weichen Stoff. Er spürte, wie sich Kaibas Finger auf seinen Schultern zu bewegen, ihn zu kraulen begannen.

Wohin musste er nachher noch?

Begräbnis?

Welches Begräbnis?

Er wusste von nichts!

Er wollte nur hier liegen bleiben und das den ganzen Tag.

Wie hatte er es vermisst, sich an diesen Körper zu schmiegen, den Atemzügen lauschen zu können und den Geruch einzuatmen, obgleich man an diesem deutlich bemerken konnte, dass er soeben aus dem Krankenhaus gekommen war.

Diese gesamte Situation war so wunderschön und entspannend, dass Joey wirklich drohte, einzuschlafen. Er rollte sich zusammen, lehnte sich an Kaiba und meinte, der glücklichste Mensch auf Erden zu sein. Doch nach einer Zeit kam eine wichtige Frage in ihm auf, über die er sich schon lang den Kopf zermartert und noch nie einen günstigen Zeitpunkt gefunden hatte, um sie an Kaiba zu richten. Während sich dieser nicht regte, öffnete Joey die Augen, schob die Hand zum Mund und begann an den Fingernägeln zu knaubeln.

Er hatte Hemmungen, wusste nicht, ob er schon so zeitig fragen sollte.

Vielleicht war Kaiba noch immer durcheinander und würde ihn nicht verstehen?

Vielleicht würde er wieder Worte sagen, die wehtaten?

Nachdenklich lugte er zur Seite und starrte auf die Zimmerdecke.

Verdammt, er hatte sich so lange davor gedrückt und vielleicht bekam er in der nächsten Zeit nicht mehr eine so gute Gelegenheit? Nach einem langen Zögern begann er sich etwas zu regen und räusperte sich.

"Kaiba?", fragte er dann leise und schob das Gesicht höher. Der Angesprochene behielt die Augen geschlossen, brummte jedoch leise als Zeichen, das er ihn gehört hatte. Joey ließ das Gesicht sinken, bearbeitete seine Fingernägel weiterhin. "Findest du... dass unsere jetzige Beziehung in Ordnung ist?"

Noch kurz blieb Kaiba reglos liegen, dann schob er die Hand tiefer über Joeys Rücken und atmete tief durch.

"Was macht dir Sorgen?"

"Im Krankenhaus sind wir uns nicht gerade näher gekommen", murmelte Joey ohne lange zu grübeln. "Du warst so abweisend... das hat mir Sorgen gemacht."

Daraufhin erwiderte Kaiba lange Zeit nichts. Vermutlich musste er nachdenken aber Joey wurde schnell unruhig. Was würde er wohl darauf antworten? Als das Schweigen noch länger anhielt, richtete er sich etwas auf und stützte sich auf den Ellbogen, um ihn problemlos betrachten zu können. Ihre Blicke kreuzten sich, blieben aneinander hängen.

"Warst du... oft bei mir?"

"Anfangs ja." Joey war ehrlich. "Letzten Endes... hielt ich mich aber etwas von dir fern."

"Aha." Kaiba nickte langsam, entfloh seinem Blick und räusperte sich leise. "Weil ich schlimme Dinge gesagt habe?"

"Hey, ich nehme es dir nicht übel." Er griff nach seiner Hand und brachte ein knappes Lächeln zu Stande. "Ich weiß, dass du es nicht so gemeint hast und dass sich alles bessern wird. Nur eine Frage der Zeit. Aber wird unsere Beziehung so, wie sie einmal war?"

"Wie meinst du das?" Nun konnte Kaiba nicht mehr liegen bleiben. Er kämpfte sich in eine aufrechte Lage, setzte sich und griff nach einem Kissen, das er dann mit beiden Armen gegen den Bauch drückte. Er schien die Sache sehr ernst zu nehmen und Joey freute sich darüber. Nun hockten sie voreinander und starrten sich an. "Ist es denn nicht mehr dasselbe?"

"Findest du?" Joey schnitt eine Grimasse. Kaiba benahm sich, als habe er das halbe Leben verschlafen und könnte sich an nichts erinnern. Er sah ihn irritiert an, kam dann jedoch zu dem schnellen Schluss, dass dieses Gespräch zu nichts führen würde. Oh ja, Kaiba war noch durcheinander und heute würden sie sicher keine Fortschritte machen. Also nickte er nach einem langen Grübeln und fand wieder zu dem Lächeln zurück. "Sorry, es war dumm von mir, jetzt nach so etwas zu fragen. Ich weiß, dass du nicht so recht zufrieden bist, solange Katagori noch auf freiem Fuß ist. Lass uns die Sache also ganz ruhig angehen. Und wenn er endlich hinter Gittern sitzt, können wir uns ja noch einmal unterhalten, okay?"

"Öhm..."

Bevor sich Kaiba versah, wurde schon seine Schulter geklopft.

"Jetzt schau ich mich mal in deinen Kleiderschränken um." Joey ließ ihn nachdenklich sitzen, schob sich vom Bett und grinste ihn an. "Ich muss zu deinem Begräbnis. Und danach komme ich zurück."
 

Guten Mutes fanden sich die Trauergäste ein und schritten hinter dem Pfarrer über den Friedhof. Alle trugen schwarz und hielten die Köpfe gesenkt, nur Mokuba, den Pikotto an der Hand hatte, schien den Sinn der Sache nicht so recht zu verstehen, da er sich während der Besprechung lieber mit seinem Bruder beschäftigt hatte. Der Pfarrer ging in langsamen Schritten, hinter ihm folgten Joey, Pikotto und Mokuba. Joey ging neben Pikotto. Er trug einen langen schwarzen Mantel und hatte sich die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, damit er sich unauffällig mit Pikotto unterhalten konnte. Hinter ihnen folgten Duke, Tea, Tristan, Bakura, Yugi, ebenso zehn Angestellte der Kaiba-Corperation. Pikotto meinte, dass es mehrere Trauergäste geben müsste und deshalb hatte er sie eingeweiht. Der Rest der Mitarbeiter trauerte in diesen Sekunden noch immer über den Tod ihres Chefs. Nach einem kurzen Spaziergang erreichten sie eine Wiese, wo neben einem gegrabenen Loch ein weißer Sarg aufgebahrt worden war. Sie postierten sich zu beiden Seiten, blieben stehen und starrten auf den Boden, während der Pfarrer ein langes Gebet begann. Joey war zugegeben etwas nervös, denn es war möglich, dass Katagori in der Nähe war, um das Begräbnis zu verfolgen. Es war sogar sicher, denn der Termin hatte ebenfalls in der Zeitung gestanden. Auch die anderen schauspielerten nahezu perfekt, zogen traurige Gesichter und schwiegen. Nur Mokuba hatte seine Augen überall in der Weltgeschichte und knaubelte etwas gelangweilt an seinen Fingernägeln.

"Heute Abend wird Hirayama den Kontakt zu Katagori aufnehmen", murmelte Pikotto leise und Joey lugte zu ihm. "Dann werden wir weitersehen."

"Hat er Ärger gemacht, bevor er sich dazu bereit erklärt hat?", erkundigte sich Joey ebenso leise.

"Er war sofort einverstanden und hofft nun auf seine Freiheit. Er hat uns aus der Hand gefressen wie ein magerer Esel. Er ist leicht manipulierbar."

Joey räusperte sich, ließ die Hände langsam in die Manteltaschen rutschen und warf dem Sarg einen flüchtigen Blick zu.

"Was meinst du?“, erhob sich seine Stimme nach einer langen Stille leise. „Wie wäre es, wenn er jetzt wirklich da drin liegen würde?"

"Daran möchte ich nicht im Entferntesten denken." Pikotto zog Mokuba zurück, der am liebsten über die Wiese rennen würde. "Du hast es verhindert und ich bin sehr froh darüber."

"Hm."

"Er ist nicht nur ein Chef für mich. Ich sehe ihn ebenfalls als Freund an."

"Das ist schön." Joey lächelte. "Und bereitet es dir große Schwierigkeiten, die Firma in seiner Abwesenheit zu führen?"

"Nein, das habe ich schon des Öfteren getan. Jetzt bleib endlich stehen, Mokuba."

"Wann gehen wir denn endlich nach Hause?" Der kleine Junge kratzte sich am Kopf.

"Wir sind doch gerade mal fünf Minuten hier", erwiderte Joey. "Jetzt erweise deinem Bruder doch mal die letzte Ehre und sei etwas geduldig."

"Hä?"

Joey blickte auf und besah sich seine Freunde, dir ihm direkt gegenüber standen. Bakura war in Gedanken versunken, während er auf den Sarg starrte, Yugi zog ein richtig bekümmertes Gesicht und Tea trug ihre Aufgabe ebenfalls mit größter Hingabe. Genau wie Tristan, der jedoch ebenfalls leise mit Duke tuschelte. Joey traf auf dessen Blick und beide lächelten. Nun schritt der Plan immer weiter voran und bald hätten sie es geschafft. Die Rede des Pfarrers schien gar kein Ende nehmen zu wollen und nach weiteren Minuten sah sich Joey unauffällig um. Natürlich, hier und dort standen Menschen, die das Begräbnis aus sicherer Entfernung verfolgten. Und diese Menschen boten Katagori eine große Sicherheit. Er könnte zwischen ihnen stehen und Joey würde ihn nicht sehen. Doch bevor er sich auch noch nach hinten umdrehte und somit Aufmerksamkeit erregte, starrte er wieder auf den Boden zurück und wartete geduldig, bis dem Pfarrer endlich die Luft ausging. Dann sagte er zusammen mit den anderen "Amen" und trat zurück, damit vier Helfer des Pfarrers den Sarg anheben und zu dem Loch tragen konnten. Und sie schnauften und keuchten, obwohl der Sarg leer war. Aber besser sie strengten sich grausam an, als dass sie den Sarg zu zweit anhoben und mit ihrer Kraft protzten. Melancholisch sahen sie dem Sarg nach, als er in der Finsternis der Grube verschwand.

Daraufhin folgten die gewohnten Zeremonien. Jeder durfte Erde auf den Sarg schmeißen und Tea brachte ein äußerst gekonntes Schluchzen zu Stande, als sie nach der Schaufel griff. Insgesamt war das Begräbnis ein großer Erfolg und wieder war Joey zuversichtlich. Nachdem die Helfer den Rest der Grube mit Erde ausgefüllt hatten und gegangen waren, blieben sie noch etwas stehen, ließen die Köpfe hängen und begannen unterdessen leise Gespräche. Tristan fluchte über die Arbeit, die sie morgen schreiben würden, Duke freute sich über seine Schulbefreiung und Bakura brummte, da er kaum zum lernen gekommen war. Yugi versuchte Tristan Mut zuzusprechen und Mokuba wurde mit jeder Sekunde noch unruhiger. Er rüttelte an Pikottos Hand, zog mit den Fuß Kreise im Gras und mäkelte. Und Joey war wohl der Einzige, der nun den Mund hielt und grübelte. Er sah einen Grabstein vor sich, mit der Aufschrift

« In ewiger Erinnerung - Seto Kaiba »

Und obgleich der Tote zuhause lag und selig schlief, wurde ihm schwer ums Herz.
 

~*to be continued*~

Gemeinsam ins Verderben

Bald verabschiedeten sie sich voneinander. Das Begräbnis war lang genug gewesen.

Die Angestellten verabschiedeten sich zuerst und die anderen begleiteten Pikotto, Joey und Mokuba zu der Limousine, die nicht allzu weit entfernt parkte.

"Tea." Joey legte den Kopf schief, nachdem er sie verabschiedend umarmt und ihren Rücken geklopft hatte. "Du kannst jetzt gern aufhören zu heulen."

Das Mädel lachte leise, trat zurück und rieb sich die Augen.

"Und warst du mit uns zufrieden?"

"Ich werde euch weiterempfehlen." Joey ließ den Kopf sinken, musste vorsichtig sein, falls sie noch immer beobachtet wurden. "Ein vorgetäuschter Tod? Fragt nach Tea."

"Also, bis bald." Tristan schlug ihm auf die Schulter. "Wann kommst du wieder in die Schule?"

"Auf jeden Fall erst, wenn ich diese ganze Sache hinter mir habe."

Während Mokuba bereits in den Wagen stieg und Pikotto ihm folgte, verabschiedete sich Joey noch von den Anderen und dankte ihnen für die Unterstützung. Er würde mit Mokuba zu Kaiba zurückkehren und die nächsten Tage bei ihm verbringen, um Entspannung zu finden und sich ihm gleichermaßen vorsichtig zu nähern.
 

Es war am Morgen des übernächsten Tages, als Joey hundemüde in der riesigen Küche saß und langsam in seinem schwarzen Kaffe rührte. Er hatte in der Nacht kaum geschlafen, genau wie in der vorherigen. Das mochte daran liegen, dass keine Besserung in Sicht war.

Was war das alles schlimm. Kaiba war zwar zärtlich und sie waren sich etwas näher gekommen aber wirklich viel war nicht gelaufen. Nur wenige Umarmungen, wenn die Situation es ermöglichte und hemmungslose Schmusereien. Aber das war es nicht, was Joey glücklich machte. Er wollte mehr, als das! Zu lange hatte er darauf warten müssen und jetzt, wo sie Zeit und noch mehr Zeit hatten, da geschah überhaupt nichts. Größtenteils beschäftigte sich Kaiba nur mit sinnlosem Herumrennen in seinem Haus. Dann saß er irgendwo auf dem Sofa, rauchte und starrte vor sich hin. Joey hatte die Befürchtung, dass er ihr kurzes Gespräch vor dem Begräbnis vergessen hatte. Und nun hatte er richtig Lust, einfach abzuhauen. Nachhause zu fahren und sich einen feuchten Dreck um alles zu scheren.

Langsam zog er den Löffel aus der dunklen Brühe und steckte ihn sich in den Mund. Seine Augen standen auf Halbmast, als er die Wand anstarrte. Er liebte Kaiba, Kaiba liebte ihn... und doch schien ihre Beziehung in die Brüche zu gehen. Es war nur eine Frage der Zeit und Joey konnte es sich nicht erklären.

Oh, er wusste genau, wie der heutige Tag ablaufen würde. Kaiba würde bis in den späten Mittag schlafen, was ihm nicht zu verübeln war. Dann würde er in die Küche geschlürft kommen, in seinem langen Morgenrock und fluchen, dass er sich zweimal verlaufen hatte. In seinem eigenen Haus. Anschließend würde er Joey ein flüchtiges Lächeln schenken, sofort wieder die Augen verdrehen und sich einen schwarzen Kaffe machen. Und wenn Joey Glück hatte, dann würde er irgendwann für eine halbe Stunde auf dem Sofa landen, in Kaibas Armen, die ihn ehrlich umschlungen hielten. Und doch schien nichts dahinter zu stecken. Keine von Joeys Fragen war beantwortet worden, er tappte im Dunkeln und fand allmählich wirklich keinen Spaß mehr daran. Mokuba war glücklich, seinen Bruder wieder Daheim zu haben.

Jubel, Trubel, Heiterkeit... Joey litt.

Noch wichtiger als der Sex wäre ihm ein langes und ausführliches Gespräch, bei dem sich alles erklären und regeln würde. Aber nicht einmal das gab Kaiba ihm! Was sollte er also machen, als herumzusitzen, Löcher in die Luft zu starren und zu warten, bis Kaiba endlich wieder halbwegs normal war und er mit ihm sprechen konnte?

Nichts, ganz genau, und ‚nichts’ war Joey zu wenig.

Wenn er jedoch sagen würde, dass er gehen wollte, dann würde Kaiba ihn wieder bitten, zu bleiben. Und was dann? Keine überwältigende Aufmerksamkeit. Joeys pure Anwesenheit schien ihm zu genügen, um sich wohler zu fühlen. Und wer dachte an Joey?

Das Wort ‚Fairness’ schien auf dieser Welt zu kurz zu kommen!
 

Es war in den frühen Morgenstunden, als er in der Küche fläzte. Und der einzige, der vorbeikam, war ein keuchender Mokuba, der verschlafen hatte und nun dringend in die Schule musste. Ja, Schule. Darauf hätte er jetzt auch Lust. Ihm ging es gut und wenigstens hätte er dann etwas zu tun. Doch bevor er an einer Arbeit teilnehmen musste, blieb er lieber sitzen.

Und der Tag verging, wie Joey es sich gedacht hatte. Nur, dass Kaiba nicht fluchte, dass er sich verlaufen hätte, sondern, weil er nicht arbeiten durfte. Er langweilte sich also die Beine in den Bauch. Toll, dann hatten sie ja doch eine Gemeinsamkeit.

Dann wurde es Nachmittag und Joey hockte vor der großen Haustür, um dumm in die Weltgeschichte zu starren. Auch Jeffrey, der inzwischen wieder gesunde Chauffeur, putzte soeben die Limousine und hatte keine Zeit für ihn.

Noch heute würde er abhauen, dessen war er sich sicher. Und Kaiba konnte betteln, wie er wollte, er würde erst wiederkommen, wenn er für ein langes Gespräch bereit war!

Es war eine erfrischende Abwechslung, als sich plötzlich sein Handy meldete.

Sofort streckte er beide Beine von sich, schob die Hand in seine Hosentasche und zog das Handy hervor. Ohne zu zögern nahm er ab und lehnte sich wieder nach vorn, um an der Treppenstufe zu kratzen.

"Ja?"

"Herr Wheeler?" Es war eine ernste, jedoch unbekannte Stimme, die sich da meldete.

"Ja", antwortete Joey verdutzt.

"Hier spricht Detektiv Gray. Da ich Herrn Pikotto nicht erreichen konnte, muss ich mich an Sie wenden, so, wie er es mir geraten hat."

"Ja." Joey blickte langsam auf, eine böse Befürchtung erwachte in ihm.

"Folgendes Anliegen. Soeben hat Hirayama mit Herrn Katagori ein Treffen arrangiert."

Die Befürchtung bestätigte sich und Joey nickte. Er wollte damit nichts zu tun haben!

"Und was habe ich damit zu schaffen?", fragte er also zögerlich.

"Herr Katagori erwähnte einen Treffpunkt, den wir nicht kennen. Und nun erhoffe ich mir von Ihnen Hilfe. Das Treffen findet bereits in einer halben Stunde statt, also ist Eile geboten. Rikago-Gelände. Sagt Ihnen das etwas?"

"Nein", antwortete Joey ohne lang zu überlegen. "Keine Ahnung. Aber... ja, ich könnte Kaiba fragen. Vielleicht hat er eine Ahnung. Ich rufe Sie zurück. Auf welchem Revier befinden Sie sich?"

"Das 5te."

"Gut, ich beeil mich." Mit diesen Worten legte Joey auf, kam flink auf die Beine und verschwand im Haus. Toll, bald würde Katagori nicht mehr sein Unwesen treiben und er hätte endlich Ruhe! Er wollte es hinter sich bringen, deshalb lief er besonders schnell. Er fand Kaiba sogleich im Arbeitszimmer, wie er vor seinem Schreibtisch hockte und irgendetwas in seinen Notizblock kritzelte. Und als er eintrat, blickte er auf und ließ den Stift sinken.

"In einer halben Stunde findet das Treffen statt." Joey fuchtelte mit dem Handy, als er vor dem Schreibtisch stehen blieb. "Ich wurde gerade angerufen, der Polizei ist der Treffpunkt nicht bekannt. Rikago-Gelände. Kennst du das vielleicht?"

"Rik..." Kaibas Augen weiteten sich, ja, dieser Name schien ihm etwas zu sagen. "Dort will sich Katagori mit Hirayama treffen?"

"Weißt du, wo es ist?", unterbrach Joey ihn ungeduldig. "Ich soll schnell zurückrufen! Wir dürfen keine Zeit verschwenden, sonst ist Katagori weg, bevor die Polizei ankommt!"

Kaiba jedoch, starrte ihn nur an, sagte kein einziges Wort und schien eilig zu grübeln. Joey wartete angespannt auf eine Antwort, doch nach wenigen Augenblicken schüttelte Kaiba den Kopf.

"Das ist er so oder so. Bevor die da sind, wird er die Falle längst gewittert haben."

"Was?" Joey erschrak. "Ist es so weit weg?!"

"Vom 5ten Revier aus schon. Und da befindet sich Hirayama, so weit ich weiß." Kaiba rutschte auf dem Stuhl nach vorn und rieb sich verbissen das Kinn. "Von hier aus jedoch... ist es nur ein Katzensprung."

"Was...", Joey traute seinen Ohren nicht. Stockend ließ er das Handy sinken und starrte Kaiba mit entsetzten Augen an, "… was soll das heißen...?"

Kaiba warf ihm einen knappen Blick zu, dann plötzlich neigte er sich nach vorn und öffnete das unterste Schubfach seines Schreibtisches. Joey verfolgte das Geschehen mit rasendem Herzen. Kaiba schien irgendetwas vorzuhaben, denn er schlüpfte hastig in den Mantel, der über der Stuhllehne hing, ließ etwas in der Tasche verschwinden und kam auf die Beine. Und nun verstand es Joey und als Kaiba an ihm vorbeizog, blieb sein Herz beinahe stehen.

"Was zur Hölle hast du vor?!" Er reagierte schnell, eilte ihm nach und packte ihn am Arm. "Du willst doch nicht wirklich dahin!!"

"Joseph!" Kaiba fuhr zu ihm herum und in seinen Augen konnte man eine beängstigende Entschlossenheit erkennen. "Wenn wir jetzt nicht aufpassen, ist Katagori für immer weg und wir werden in weitere Probleme hineinrutschen!"

"Du gehst nicht!!" Joey hielt ihn verbissen fest, erwiderte seinen scharfen Blick ebenso entschlossen. "Verdammt, ich habe nicht mein Leben riskiert, damit du auch irgendwann an der Reihe bist!! Du bist noch geschwächt! Glaubst du wirklich, du kannst es mit ihm aufnehmen?!"

"Ich will es nicht mit ihm aufnehmen!" Mit einer schnellen Bewegung befreite sich Kaiba aus seinem Griff und führte seinen Weg in schnellen Schritten fort. "Ich werde nur aufpassen, dass er nicht abhaut, bevor die Polizei da ist!"

"Du kannst ihnen doch den Weg beschreiben!!" Joey war weiß vor Zorn, als er ihm folgte. "Katagori wird sicher ein paar Minuten warten!"

"Ich will mir sicher sein, dass er das tut!" Mit diesen Worten verließ Kaiba den Raum und Joey blieb stehen. Mit zitternden Gliedern starrte er auf die Tür, seine Hand hielt das Handy fest umklammert.

Das konnte doch nicht wahr sein!!

Wofür hatte er ihm eigentlich das Leben gerettet, wenn er es nun wieder aufs Spiel setzte?!

War er von allen guten Geistern verlassen?!

Er knirschte mit den Zähnen, als er die eiligen Schritte im Flur vernahm.

Was jetzt?!

Was sollte er nur tun?!

Hektisch atmete er ein und wandte den Blick von der Tür ab, um auf den Boden zu starren. Er musste sich entscheiden, bevor Kaiba weg war! Nach wenigen Sekunden stieß er einen leisen Schrei aus, trat gegen das Sofa und stürzte ihm nach.

"Ich komme mit!" Eilig rannte er durch den Gang und sah Kaiba gerade noch auf der Treppe verschwinden. "Verdammt, warte auf mich!!"

Er sprintete ihm nach, sprang die Treppen hinunter und folgte ihm durch das Foyer.

"Versprich mir, dass wir uns Katagori nicht nähern!!", krächzte er, als er hinter ihm die Tür durchschritt und aufgebracht mit den Händen fuchtelte. Kaiba blieb kurz stehen und brüllte nach Jeffrey. "Ich werde mich diesem Wahnsinnigen nicht präsentieren! Wir halten uns von ihm fern, passen nur auf, dass er wartet!!"

"Das sagte ich doch!", antwortete Kaiba genervt und sah sich nach der Limousine um, die wenige Sekunden später, um die Ecke rollte. "Du musst nicht mitkommen, wenn du Angst hast!"

"Was?!" Joey klappte der Mund auf und er blieb wie erstarrt, bis die Limousine vor Kaiba hielt und dieser die Tür aufriss. "Natürlich habe ich Angst!! Du etwa nicht?!"

Doch Kaiba war schon eingestiegen und er rannte ihm nach, damit sie nicht ohne ihn fuhr. Schnaufend warf er sich neben Kaiba auf die Sitzbank, schlug die Tür zu und hob sogleich das Handy.

"Ich rufe die Polizei an!", rief er hektisch. "Komm, komm! Gib mir eine Wegbeschreibung!"

Kaiba hatte sich kurz an Jeffrey gewandt, nun ließ er sich gegen die Lehne fallen und rieb sich das Gesicht. Da wurde er von Joey an der Schulter gepackt.

"Gib mir die Wegbeschreibung!"

Während sich die Limousine schnell in Bewegung setzte, wählte Joey die Nummer des Reviers, verlangte Gray und ließ sich von Kaiba den Weg beschreiben, was er sofort an diesen weitergab. Er wusste, dass er viel eher da sein würde und doch vertraute er auf die Polizei. Und sobald Gray die Beschreibung hatte, machte er sich auf den Weg.

"Wir halten uns versteckt!", stellte er klar, als er das Handy sinken ließ und unsicher nach draußen blickte. "Ich will nicht, dass er uns sieht!"

"Er wird uns nicht sehen!", erwiderte Kaiba überfordert.

"Und wenn es doch passieren sollte, dann stürzen wir uns nicht in den Kampf, sondern hauen ab!"

"Ja, verdammt noch mal!" Kaiba stöhnte laut und rieb sich das Gesicht mit beiden Händen.

"Ich habe nur keine Lust, draufzugehen!" Auch Joey war mit den Nerven am Ende. "Meine Mühen sollen nicht umsonst gewesen sein! Wenn er uns entdeckt, dann werden wir nicht alle mit dem Leben davonkommen! Einer wird sterben! Das weiß ich ganz genau und ich habe keine Lust, das mit anzusehen!!"

Daraufhin erwiderte Kaiba nichts und Joey wandte sich ruppig ab. Er bearbeitete wieder seine Fingernägel und starrte zappelig aus dem Fenster.

Warum zur Hölle war Pikotto nicht erreichbar?!

Wenn Kaiba diesen Ort kannte, dann kannte er ihn sicher auch! Und dann hätte er erst am nächsten Tag davon erfahren. Katagori wurde geschnappt. Toll, und er hatte nichts damit zu tun! Doch nun? Nun rutschte er in die nächste Gefahr hinein und Kaiba hatte ihn nicht abgehalten, ihn zu begleiten! Aber Kaiba allein gehen lassen, das konnte Joey erst recht nicht! Wenn diese Sache mal gut ging! Schreckliche Vorahnungen befielen ihn während der kurzen Fahrt.

Kaiba erschoss Katagori, Katagori erschoss ihn, erschoss Kaiba.

Es würde in einem Blutbad enden, wie sonst…?

Die Fahrt dauerte einige Minuten, bevor Kaiba dem Chauffeur befahl, sofort anzuhalten. So kam die Limousine in einem abgelegenen, heruntergekommenen Stadtteil zum Stillstand. Irritiert sah sich Joey um, da öffnete Kaiba bereits die Tür und stieg aus.

"Oh Gott, lass mich diesen Tag heil überstehen." Joey schmiss das Handy neben sich auf die Sitzbank, riss auch seine Tür auf und folgte Kaiba. "Lass mich überlegt handeln und schütz mich vor den Gefahren, die hier auf mich lauern."

Kaiba sah sich nur kurz um, dann wandte er sich ab und ging in eiligen Schritten auf einen riesigen Schotterplatz zu. Joey sah ihm nicht lange nach. Er schnappte nach Luft, lockerte seinen Kragen und eilte ihm nach.

"Vergib mir meine Sünden... aber lass mich diesen Tag überleben! Ich weiß, ich habe viel Mist gebaut." Nervös sah er sich um, der Kies knackte und knirschte unter seinen Schuhen. "Ich habe nie so recht an dich geglaubt, denn du hast mir nie geholfen, wenn ich in Schwierigkeiten war. Aber wenn es dich wirklich gibt, dann beschütze Kaiba und mich und bringe somit einen Beweis deiner Existenz."

Kaiba näherte sich mit sicheren Schritten einem alten Maschendrahtzaun, hinter dem sich in nicht allzu weiter Entfernung alte Fabrikgebäude erstreckten. Ängstlich richteten sich Joeys Augen auf ihn.

"Wenn ich diesen Tag überleben sollte, dann werde ich so einiges an meinem Leben ändern, das verspreche ich dir." Er hob die Hand und umklammerte die Kette, die ihn auf jeder Reise begleitet hatte. "Ich werde nicht mehr rauchen, fluchen und trinken. Ich werde jedem beweisen, dass ich des Lebens würdig bin. Ich habe noch so viel vor mir."

Vor einem Stück losem Draht, hockte sich Kaiba hin, stieß ein Loch auf und schob sich gekonnt hindurch. Und sobald er das Gelände betreten hatte, kauerte er sich in das hohe Gras und sah sich um.

"Ich will noch so viele Dinge tun, habe noch Ziele, die ich erreichen will." Joey ließ sich auf die Knie sinken und schob sich ebenfalls durch das Loch im Zaun. Und sobald er ihn hinter sich gelassen hatte, warf Kaiba ihm einen flüchtigen Blick zu und schlich sich gebückt durch das Gras. Wieder folgte Joey ihm, wieder krallten sich seine Finger um die Marke.

"Ich möchte die Schule abschließen", flüsterte er, während er die Halme zur Seite strich und sich den Fabrikgebäuden näherte. "Ich möchte erwachsen werden, viel lernen und mein Glück finden. Ich kann noch nicht sterben. Und auch Kaiba darf es nicht, wo ich sein Leben doch erst vor kurzem gerettet habe."

Er sah die Gebäude immer näher kommen, sie wirkten düster und gespenstisch auf ihn, verlassen und Angst einflößend. Er hielt sich dicht hinter Kaiba, in seinen Venen pulsierte das Blut.

"Ich möchte gute Taten vollbringen", flüsterte er beinahe lautlos. "Ich möchte mit meinen Freunden zusammen sein und Neue finden. Ich will Serenity sehen und mehr Zeit mit ihr verbringen. Ich möchte meinem Vater keine Sorgen mehr bereiten."

Nach der leisen Anpirschung erreichten sie eines der großen Gebäude. Die Türen standen offen, die Fensterscheiben waren fast alle eingeschlagen. Wenige Meter vor einer dieser Türen endete das hohe Gras und Kaiba brachte die freie Stelle mit wenigen flinken Schritten hinter sich und verschwand zwischen den schweren Türflügeln. Joey jedoch, zögerte kurz, bevor er ihm folgte. Er hockte sich in das Gras, sah sich kurz um und löste die Hand von der Kette.

"Amen."

Dann sprang auch er auf, eilte auf die Tür zu und schob sich hinein. Er betrat eine riesige kahle Halle. Möglichkeiten, sich zu verstecken, gab es kaum. Kaiba hatte sich an die kühle Betonwand gelehnt und ließ den Blick aufmerksam durch die Halle schweifen. Joey trat zu ihm und folgte seinen Beobachtungen.

"Was meinst du?", flüsterte er hinter vorgehaltener Hand, stets auf die Umwelt achtend. "Wollte er sich hier mit ihm treffen?"

Nach einer kurzen Überlegung schüttelte Kaiba den Kopf.

"Ich glaube nicht."

"Wo sonst?" Joey trat näher an ihn heran. "Hier entdeckt er uns sofort. Wie sollen wir ihn denn finden, ohne dass er uns sieht?"

Kaiba biss sich auf die Unterlippe.

"Ganz einfach." Somit stieß er sich ab und eilte in leisen Schritten durch die Halle.

Ganz einfach?

Joey schluckte, ließ den Kopf hängen und schlich ebenso leise hinter ihm her. Vorsichtig, leise und unauffällig, ließen sie das erste kleine Gebäude hinter sich und gelangten über einen überdachten Durchgang in das Nächste. Dieses war noch größer und weniger übersichtlich. Joey hielt sich stets nahe bei Kaiba. Obgleich sie Katagori nicht in die Quere kommen wollten, war er schrecklich nervös, schluckte schwer und sah sich andauernd um. Sie schlichen durch einen schmalen Durchgang und betraten einen kleineren Raum, dessen Fenster teilweise noch unbeschädigt waren. Nach einem prüfenden Blick in alle Richtungen, schob sich Kaiba zu einem dieser Fensterrahmen, blieb kurz vor ihm stehen und neigte sich langsam zur Seite, sodass er vorsichtig nach draußen schauen konnte. Joey war hinter ihm stehen geblieben und vernahm nun ein leises Brummen.

"Was ist?", wollte er sofort wissen.

Kaiba richtete sich wieder auf, warf ihm einen knappen Blick zu und wies dann mit einem leichten Nicken nach draußen.

"Er kommt."

"Oh mein Gott." Joey duckte sich, kroch unter dem Fenster entlang und kam auf der anderen Seite wieder auf die Beine. Dann beugte er sich auch etwas vor und sah durch das milchige Glas nach draußen. Das Erste, was ihm auffiel, war ein dunkler Wagen, der dort parkte. Dann erst wurde er auf den Mann aufmerksam, der sich in schnellen Schritten ihrem Gebäude näherte. Er beobachtete ihn schweigsam und erst, als er sah, wie Katagori etwas in seiner Jackentasche verschwinden ließ, wandte er sich an Kaiba.

"Mein Gott, der ist bewaffnet!"

"Was hast du denn gedacht?" Kaiba löste sich von der Wand, machte einen großen Bogen um die Fenster und eilte weiter. "Er will Hirayama beseitigen."

"Wohin gehst du jetzt?" Joey sah ihm verdattert nach.

"Ich geh ihm entgegen", antwortete Kaiba, ohne sich zu ihm umzudrehen. "Ich will ihn im Auge haben und aufpassen, dass er keinen Blödsinn macht."

"Toll." Joey knurrte und folgte ihm wieder. "Vielleicht bist du es ja, der das für ihn übernimmt."
 

Je näher sie den Treppen kamen, desto weicher wurden seine Knie. Sein Atem begann zu rasen und er sich ernste Sorgen über diesen Plan zu machen. Kaiba wollte ihn im Auge behalten? Er steuerte geradewegs auf ihn zu, wollte ihm vermutlich doch gegenüberstehen. Aber das würde Joey mit allen Mitteln verhindern.

Bald erreichten sie eine breite Treppe, die geradewegs nach unten in das Erdgeschoss führte. Und dort hielt Kaiba endlich inne. Er blieb so neben der Treppe stehen, dass man ihn nicht sehen konnte, wenn man von oben hinaufblickte.

"Wir bleiben hier", stellte Joey leise klar, als er sich neben ihn an die Wand lehnte. "Wir gehen nicht da runter!"

Das Einzige, das er als Antwort erhielt, war eine leichte Handgeste. Und kurz darauf, vernahmen die Beiden laute Schritte unter ihnen in der Halle. Joey jagten diese Geräusche einen kalten Schauer über den Rücken, doch Kaiba näherte sich der Ecke und warf einen kurzen Blick hinab. Dort war Katagori jedoch nicht zu sehen und wenn man den Geräuschen trauen konnte, entfernte er sich von der Treppe.

"Wir müssen wissen, wo genau er sich mit Hirayama treffen wollte." Kaiba entfernte sich einen Schritt von der Treppe und schickte Joey einen musternden Blick, der schon seit dem ersten Wort hektisch den Kopf schüttelte.

"Ich geh da nicht runter!", fauchte er leise.

Kaiba verzog die Augenbrauen, nickte dann jedoch.

"Gut, dann bleibst du hier. Ich gehe."

"Wa..." Joey klappte der Mund auf. Er stand da wie eine Salzsäule und starrte ihn entsetzt an.

"Wenn es dir zu gefährlich ist, dann bleib", sagte Kaiba wieder und drehte sich um. "Ich folge ihm nur."

Mit diesen Worten verschwand er einfach hinter der Ecke und stieg die Treppe hinab. Und Joey konnte nicht glauben, was er hier hörte.

Kaiba trieb ihn in den Wahnsinn!

Er trieb ihn in den Tod!!

"Du verfluchter Sturkopf!" Er spuckte auf den Boden, zog eine Grimasse und nahm die Treppe dann ebenfalls in Angriff. Und nebenbei fluchte er hundsgemein, jedoch in einer Lautstärke, dass nicht einmal Kaiba es hören konnte. Dieser hatte nun die letzten Stufen erreicht und nahm die Halle vorsichtig in Augenschein. Es schien nicht gefährlich zu sein, denn er sah sich lange um und eilte weiter, bevor Joey ihn erreichte.

Wenige Sekunden später, tat sich vor ihm eine weitere, noch größere Halle auf. Er hörte Schritte in einem der schmalen dunklen Gänge. Sie führten von ihnen weg und so konnten sich die beiden ungehindert bewegen. Leichtfüßig und sachte schlichen sie auf diesen Gang zu. Es war ein langer Weg und sie mussten sich durch alte Benzintonnen schlängeln und über so einige am Boden liegende Gegenstände hinwegsteigen, ohne Lärm zu erzeugen. Joey musste auf jeden seiner Schritte achten, Kaiba jedoch, schien weniger Probleme damit zu haben. Er schob sich gekonnt zwischen den Tonnen hindurch und umging einfach größere Müllberge, den Gang stets im Auge behaltend. Sie hörten die Schritte noch lange... bis sie plötzlich verstummten.

Augenblicklich blieben die Beiden stehen und lauschten aufmerksam. Joeys Herz raste immer schneller, als sie dort standen und sich nicht bewegten. In dem Gang, auf den sie starrten, gab es kein Licht, keine Fenster. Sie sahen nur Dunkelheit… doch sie mussten nicht lange warten, bis wieder die Schritte ertönten. Diesmal wurden sie jedoch lauter und Joey erschrak, als Kaiba ihn plötzlich am Arm packte und ihn nach unten zog. Hinter einigen Tonnen fanden sie Schutz. Kaiba blieb verhältnismäßig ruhig, doch Joey würde am liebsten aufstehen und wegrennen. Mit geweiteten Augen starrte er auf das Etikett einer Tonne und er musste den Mund schließen, um sein Keuchen zu unterdrücken. Er kauerte hinter Kaiba und dieser direkt vor den Tonnen.

Nun konnten sie nicht mehr umkehren, ohne, dass Katagori sie sah! Sie saßen wie auf dem Präsentierteller und es wäre ein Wunder, wenn Katagori einfach an ihnen vorbeispazierte.

Nun trat dieser jedoch erst einmal aus dem Gang hinaus in die Halle. Wieder blieb er stehen, wieder kehrte Stille ein.

Joey hielt die Luft an und schloss die Augen. Katagori stand nicht einmal fünf Meter von ihnen entfernt! Nach wenigen Sekunden linste er mit viel Mut zu Kaiba. Dieser saß nur dort, starrte vor sich hin und atmete leise und vorsichtig. Er schien seine Angst nicht zu teilen. Und auch, als sich Katagori wieder in Bewegung setzte und weiter in ihre Richtung ging, zuckte er mit keiner Wimper. Oh, er wünschte sich in diesen Sekunden sicher, Katagori mit eigenen Händen zu erwürgen. Die Schritte wurden nun immer lauter und dann hörte Joey mit Entsetzen, wie Katagori mit dem Fuß gegen eine der Tonnen stieß. Und obgleich sie mindestens vier Tonnen zwischen sich hatten, zog er sofort und hastig die Beine ein.

Was nun?

Panisch wechselten seine Pupillen von einer Seite zur anderen.

Kaiba war geschwächt und er hatte eine solche Angst, dass er sich kaum rühren konnte!

Er wollte hier raus!

Wann zur Hölle kam diese gottverdammte Polizei?!

"Hirayama!!"

Der laute Schrei durchschnitt die ruhige Stille. Er kam so unerwartet, dass Joey erschrocken zusammenzuckte und ein Ächzen ausstieß. Seines Fehlers wurde er sich zu spät bewusst. Es war nur ein leises Geräusch gewesen - hatte Katagori ihn gehört?!

Kaiba hatte ruckartig das Gesicht zu ihm gedreht und starrte ihn nun an. Joey jedoch, wich seinem Blick aus, beugte sich nach vorn und klammerte beide Hände in das Haar.

Hatte Katagori es gehört…?

Kaiba behielt den Blick weiterhin auf Joey gerichtet, doch Katagori sagte nichts mehr. Zum erneuten Mal kehrte die Stille zurück, doch dieses Mal wirkte sie noch gespenstischer. Joey presste die Lippen aufeinander, war kurz davor, aufzuspringen und laut zu schreien!

So etwas war nichts für ihn!!

Doch dazu kam er nicht mehr, denn etwas anderes geschah, das nicht viel besser ausgehen konnte. Joey bemerkte es nicht, da er zu schwer mit seiner Angst zu kämpfen hatte. Doch Kaiba nahm es war: Eine schnelle Bewegung, dann ein nur allzu bekanntes Klicken.

Und er reagierte sofort.

Joey meinte, sein Herz würde stehen bleiben, als er sich plötzlich von den Tonnen löste und aufsprang. Und noch während der schnellen Bewegung griff er in seinen Mantel und zog eine Pistole hervor.

Joey starrte ihn nur an, als er dort stand und die Waffe erhoben hielt.

Wo zum Teufel hatte er die wieder her?!

Sobald er aufrecht gestanden hatte, hatte Joey einen entsetzten Schrei wahrgenommen. Katagori schien sehr erstaunt zu sein, den Todgeglaubten vor sich zu haben. Kaiba blieb nicht lange dort stehen und trat in sicheren Schritten zur Seite um sich mehr Freiraum zu verschaffen. Er wirkte so unglaublich entspannt, als er die Waffe auf seinen neu gewonnenen Todfeind richtete.

Es gelang ihm sogar ein Grinsen, als er den Daumen hob und den Hahn spannte!

Doch dieses Grinsen schwand so schnell aus seinem Gesicht, wie es gekommen war und eine verbissene Ernsthaftigkeit schlich sich ein. Joey kauerte noch immer mit offenem Mund dort, ihn hatte Katagori noch nicht gesichtet.

"Überrascht mich zu sehen?" Kaiba trat noch einen Schritt nach vorn und ein leises Poltern ertönte, so als wenn jemand nach hinten stolperte.

"Du... du lebst?!" Katagoris Stimme war nicht mehr, als ein heiseres Krächzen, als er ihm antwortete. "Nein! Das Begräbnis!! Hirayama hat dich... hat dich..."

"Ja, vergiftet hat er mich." Kaibas Miene verdunkelte sich. Nun wirkte er drohend und düster, so wie er mit erhobener Waffe dort stand. "Aber es gab ein Gegenmittel. Und das Begräbnis? Fake."

Daraufhin trat wieder die gewohnte Stille ein, Joey rieb sich zittrig das Gesicht und schluckte schwer. Katagori schien nun zu überlegen, was er tun sollte, zu verarbeiten, was er gehört hatte. Eine Weile stand Kaiba dort, dann half er ihm dabei.

"Hirayama hat die Seiten gewechselt und du bist engstirnig in die Falle gelaufen, wohl auch mit finsteren Hintergedanken, wie es von dir zu erwarten war."

Noch immer schien Katagori keine Worte zu finden. Auf jeden Fall hörte Joey nichts und sehen tat er erst recht nichts, da er sich noch immer versteckt hielt.

"Tse." Ein leises Lachen war von Seiten Katagoris zu hören. "Da bin ich ja froh, dass ich es nun doch noch übernehmen darf."

"Übernimm dich nur nicht", antwortete Kaiba mit einer scharfen Verachtung in der Stimme. "Wenn du abdrückst, reiße ich dich mit in den Tod und wenn du es nicht tust, dann kannst du dich auf die Polizei freuen, die in wenigen Minuten hier sein wird. Und", Kaiba ließ den Blick sinken und musterte ihn von Kopf bis Fuß, "… ich werde dich sicher nicht gehen lassen. Entweder du stirbst, oder du wirst verhaftet. Eine andere Möglichkeit steht dir nicht offen."

"Oh, willst du mich erschießen?" Wieder schien Katagori diese Sache sehr lustig zu finden. "Dazu fehlt dir doch der Mumm!"

"Du hast Recht.“ Kaiba senkte den Kopf. „Ich habe einmal gezögert, als ich die Möglichkeit hatte, abzudrücken. Aber in der Zwischenzeit hat sich einiges geändert."

"Das glaubst du wohl nicht im Ern..."

Katagori verstummte, als eine Hand hinter den Tonnen erschien und kurz tastete. Dann erhob sich Joey und musterte die Lage mit einem ängstlichen und verunsicherten Blick. Kaiba und Katagori standen nicht weit entfernt voreinander… mit erhobenen Waffen. Auf diese Entfernung war es unmöglich, nicht zu treffen. Kaiba hatte den Blick nicht von Katagori gelöst, doch dieser bedachte Joey nun mit einem abfälligen Blick, sein Gesicht verfinsterte sich.

"Ach, du schon wieder. Wie oft soll ich dich denn noch umzubringen?"

Joey sah ihm nur flüchtig in die Augen, dann starrte er zu Boden, atmete tief durch und trat in strauchelnden Schritten hinter den Tonnen hervor. Vorsichtig näherte er sich Kaiba und blieb neben ihm stehen. Noch immer starrte Katagori ihn an und wenn man seine Augen sah, dann könnte man meinen, er trüge einen größeren Teil seines Hasses, als Kaiba.

"Hast du das Gegenmittel besorgt?!" Katagoris Stimme schwoll an, bis er schrie. "Nachdem du mit deinem Freund geflohen bist?!"

Joey antwortete nicht, noch immer war sein Blick verbissen auf den Boden gerichtet. Er fühlte sich in seiner Haut nicht mehr wohl, war am falschen Ort und steckte in der völlig falschen Situation. Doch wäre er nicht mitgekommen, hätte Kaiba eine geringere Sicherheit. Sicher konnte er einiges tun, um ihn zu schützen. Und bei Gott! Er würde es tun. Er hatte sein gottverdammtes Leben riskiert! Und wenn es die Situation erforderte, würde er alles in seiner Macht stehende tun und sich kräftig in das Geschehen einmischen. Er spürte förmlich, wie Katagoris Blick ihn durchbohrte und unauffällig begann die Wut in ihm zu brodeln, der Zorn häufte sich an, obgleich er eher eingeschüchtert und ängstlich wirkte.

"Du miese Ratte! Musst du dich überall einmischen?!"

"Pass auf, was du sagst!", mischte sich nun Kaiba ein. Seine Finger schlossen sich fester um den Griff und sein Blick begann mörderisch zu funkeln.

"Ach ja, er ist ja dein Freund!" Katagori weitete die Augen, auch er begann nervös zu werden. "Schleppst ihn überall mit dir herum! Der große Seto Kaiba gibt sich mit so einem Würstchen ab?!"

"Weißt du was?" Plötzlich wirkte Kaiba wieder ruhiger. Die Hand, die die Pistole hielt, entspannte sich und ein humorloses Grinsen zerrte an seinen Lippen. "Wenn du noch ein einziges Wort sagst, reiß ich dir beide Arme ab und schlag dich mit ihnen tot."

Daraufhin erwiderte Katagori nichts und Joey blickte langsam auf. Er sah ihn an und Kaiba trat einen langsamen Schritt nach vorn.

"Also, was tust du jetzt? Wählst du den Tod oder den Knast? Beides kannst du haben."

Kurz nachdem er ausgesprochen hatte, grabschte Joey nach seinem Mantel und schickte ihm einen feurigen Blick, den Kaiba nur flüchtig erwiderte.

"Ich habe nicht diesen ganzen Mist auf mich genommen und dir das Leben gerettet, damit du es nun leichtfertig zerstören kannst!", fauchte er. "Also versuch einen Weg zu finden, der uns hier lebendig raus bringt und provozier ihn nicht noch! So findest du diesen Weg nicht!"

"Ja." Das amüsierte Katagori. "Hör auf den Burschen!"

"Schnauze!", schleuderte Joey ihm entgegen, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. "Du hast nichts damit du schaffen!"

Somit ließ er Kaibas Mantel los, trat einen Schritt zurück und verschränkte langsam die Arme vor dem Bauch.

"Wenn ich dir einen Rat geben soll", wandte er sich an Katagori. "Dann rate ich dir, geduldig zu sein und auf die Polizei zu warten. Vielleicht bekommst du für mehrfach versuchten Mordes nur siebzig Jahre anstatt lebenslänglich aufgebrummt."

"Hast du Angst, dass es zu einer Schießerei kommen könnte und du wieder eine Kugel abbekommst?" Katagori gab sich noch immer verhältnismäßig gelassen und Joey antwortete nicht. Nach wenigen Sekunden wandte er den Blick ab und sah sich um.

Wo war denn die Polizei, wenn man sie brauchte?!

Nachdem er jede Tür unter Augenschein genommen hatte, hörte er aus Kaibas Richtung ein leises Husten und wurde auf ihn aufmerksam.

Ja, Kaiba begann zu husten, ungewöhnlich oft zu blinzeln.

Nein, nicht jetzt!

Eine böse Vorahnung beflügelte Joey und er hob zögerlich die Hand. Kaiba wurde schnell auf das Vorgehen aufmerksam, schüttelte hastig den Kopf und schloss die Finger fester um den Griff.

"Es ist nichts!"

"Die Nachwirkung des Giftes?", ertönte es da spöttisch aus Katagoris Richtung und Joey fuhr zu ihm herum, brachte jedoch nur eine stumme Mundbewegung zu Stande.

"Kaiba", sagte er statt dessen, den Blick stets und entschlossen auf die Pistole des Gegners gerichtet. "Gib mir die Pistole."

"Es ist nichts!", wiederholte Kaiba leicht angespannt. Seine Finger lockerten sich kurz.

"Das sehe ich anders!" Joey reichte es. "Gib mir die Pistole, bevor du noch umkippst!"

"Mir - geht - es - gut!" Kaiba lugte verbittert zu ihm. "Lenk mich nicht ab!"

"Bevor du alles mit deiner falschen Meinung vermasselst, lenk ich dich lieber ab! Es ist nichts Neues, dass du dir zuviel zumutest! Verdammt, gib mir die..."

"Ja." Katagori grinste selbstsicher. "Gib ihm die Pistole! Sicher kann er damit besser umgehen, als du!"

Kaiba schnaubte, blinzelte erneut und öffnete den Mund, um genügend Sauerstoff zu bekommen. Nicht nur er, nein, auch Joey war nun sehr angespannt und beiden fehlte die Zeit, um die Situation und ihr Treiben gut zu durchdenken.

"Ich bring dich um!"

"Dann stirbst du auch!", fauchte Katagori bissig.

"Gib mir sofort die Pistole!"

"Ich schaffe das!"

"Gib ihm die Pistole, Kaiba! Du bist doch zu nichts mehr im Stande!"

"Halts Maul!!"

"Hör wenigstens einmal auf mich!", bettelte Joey verzweifelt.

"Ich schaffe es!", stieß Kaiba aus.

"Du bist ja ganz blass!", warf Katagori provozierend ein.

"Verdammt!" Joey raufte sich die Haare.

"Jetzt gehen die Nerven verloren, hm?!" Katagori leckte sich die Lippen.

"Noch ein Wort…!", drohte Kaiba angestrengt.

"Schieß doch!" Katagori weitete die Augen. "Dann bist du auch tot!"

"Nicht, wenn ich richtig treffe!!"

"Schieß nicht!", ächzte Joey erschrocken.

"Seid endlich still!!" Nun hielt es Kaiba nicht mehr aus. Er schnappte nach Luft und klammerte sich verbissen an die Pistole. "Ich..."

"Sprich es ruhig aus!" Katagori trat von einem Bein auf das Andere.

"Halt dein gottverdammtes Maul!!" Kaiba biss die Zähne zusammen, die Pistole in seiner Hand begann zu zittern. Er war diesem psychischen Druck nicht gewachsen. "Ich..."

Und nun erfüllte sich Joeys Alptraum.

Kaiba begann stärker zu keuchen und taumelte nach vorn. Seine Hand gab die Waffe frei, sie baumelte nur noch an einem Finger! Noch während er es tat, fuhr Joey zu Katagori herum und erkannte etwas in seinen Augen, das ihm einen großen Schrecken versetzte.

Er wollte abdrücken!!

Nun musste er etwas unternehmen - und er tat es. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, stieß er Kaiba unsachte zur Seite und brachte ihn somit aus der Gefahrenzone. Dennoch fiel ein Schuss, doch dieser verfehlte jeden der Beiden. Und noch während der ohrenbetäubende, dumpfe Laut ertönte, sprang Joey auf Katagori zu, rammte sich mit aller Kraft gegen ihn und riss ihm die Pistole aus der Hand. Da er sie jedoch nicht richtig zu fassen bekam, landete sie nur vor ihren Füßen auf dem Boden, war schnell und jederzeit griffbereit. Unter einem erschrockenen Schrei stolperte Katagori zurück, bekam Joey jedoch noch am Ärmel zu fassen, sodass er ihn mit sich reißen konnte. Diesem blieb nicht die Zeit, sich zu befreien. Das Einzige, das er noch tun konnte, war, die Pistole so weit weg zu treten, wie möglich. Sich drehend, schlitterte sie über den Boden und während sich Kaiba benommen auf dem Boden räkelte, strauchelte Joey direkt in Katagoris Arme. Dieser reagierte ebenso geistesgegenwärtig, holte weit aus und rammte die Faust in seinen Magen, als er gegen ihn stürzte und genug Schwung mitbrachte, um dem Schlag noch mehr Wirkung zu verschaffen. Sogleich beugte sich Joey nach vorn, doch bevor er zusammenbrechen konnte, riss Katagori ihn herum und schleuderte ihn auf den harten Beton. Und dort blieb er zusammengekrümmt und nach Atem ringend, liegen. Glücklicherweise war Katagori nicht weiter an ihm interessiert und machte sich auf den Weg zu Kaiba, der sich nun keuchend vom Boden abstemmte und alles daran setzte, auf die Beine zu kommen. Dies jedoch, erleichterte ihm sein Todfeind. Er sah ihn schnell näher kommen, jedoch keine Möglichkeit, an die Waffe heranzukommen, die ihm während des Sturzes aus der Hand geglitten war. Nun hatte Katagori freie Bahn. Wie ein wild gewordener Stier stürzte er sich auf Kaiba, schlug beide Hände in seinen Kragen und zog ihn auf die Beine. Kaiba konnte sich kaum wehren, schlug die Finger in seinen Arm und versuchte den schmerzhaften Griff zu lösen. Doch bevor er dies schaffen konnte, wurde er herumgerissen und hinterrücks auf die Tonnen gestoßen. Er rutschte nur kurz über sie hinweg, bis sie zur Seite kippten und er zwischen ihnen zu Boden stürzte. Ein lauter Krawall schallte durch die Halle, als das dicke Blech zu Boden ging und die Tonnen sogleich von Katagori zur Seite getreten wurden.

Er stieg zwischen ihnen hindurch, beugte sich nach dem völlig hilflosen jungen Mann und packte ihn am Handgelenk. Und als er ihn grob durch die Tonnen zerrte, richtete sich Joey benommen auf. Er konnte kaum atmen, schüttelte den Kopf, um den Schwindel loszuwerden und begann dann den Kampf, aufzustehen.

"Das ist meine Rache!!", hörte er Katagori schreien und fuhr in die Höhe. Mit Entsetzen sah er, wie der Mann Kaiba aus den Tonnen zerrte und ihn fallen ließ, sobald er freie Fläche erreichte. Und das reichte ihm als Ansporn. Verkrampft biss er die Zähne zusammen, umklammerte seinen Bauch mit einem Arm und stützte sich mit den Anderen ab. Und dann kam er auf die Beine und eilte stolpernd zu Katagori. Dieser trat nun unbarmherzig zu und Kaiba krümmte sich vor Schmerzen. Seine Kräfte hatten ihn zum schlimmsten Zeitpunkt verlassen, den man sich denken konnte. Sich zu bewegen, war ihm beinahe völlig unmöglich und so hatte er Katagori nichts entgegenzusetzen. Dieser könnte ihn tot prügeln... wenn es Joey nicht gegeben hätte. Dieser erreichte ihn, als er erneut mit dem Bein ausholte und stürzte sich auf ihn. Mit einem saftigen Tritt in die Wade des Beines, das nun das gesamte Gewicht trug, zwang er Katagori in die Knie, schlug die Hand in seinen Schopf und riss ihn zur Seite, damit er vorerst von Kaiba abließ. Katagori schlug hart auf den Beton, richtete sich jedoch sogleich wieder auf und warf sich an Joeys Beine. Er klammerte sich um sie und so stürzte auch Joey. Gleichgewicht zu finden, war ihm unmöglich und bevor er sich versah, räkelte er sich abermals auf dem harten Untergrund. Und noch während er durch den Schmerz in seinem Kopf das Gesicht verzog, warf sich Katagori plötzlich mit voller Wucht auf ihn, rammte den Ellbogen in seine Rippen und drückte ihn dann mit dem ganzen Gewicht zu Boden. Joey begann schwer zu husten und versuchte sich zur Seite zu wälzen, doch Katagoris Gewicht drückte ihm die Luft ab und er konnte sich kaum regen. Verzweifelt krallte er sich nach wenigen Momenten in seine Haare und zog ihn zur Seite. Katagori wehrte sich mit allen Mitteln, klammerte sich um seinen Hals und musste ihn dennoch loslassen, bevor er ihn richtig fassen konnte, denn Joey verstärkte den Griff und riss ihm beinahe das Haar aus. Und da schrie er auf und rollte sich von ihm. Obgleich Joey sich fühlte, als wären seine Rippen gebrochen, wälzte er sich zur anderen Seite und richtete sich dort röchelnd auf. Doch als er aufblickte, stand Katagori bereits vor ihm und das einzige, das er von ihm sah, war sein Schuh, der inmitten seines Gesichtes landete. Und das reichte, um ihn für einige Zeit auszuschalten. Mit großer Wucht wurde Joey nach hinten geschmettert und schlug hart auf dem Boden auf. Und nun blieb er liegen, streckte beide Arme von sich schloss benommen die Augen. Und als er den Mund öffnete und das Blut aus seiner Nase lief, war Katagori wieder bei Kaiba, der sich kaum geregt hatte. Für wenige Sekunden war Joey wie taub, da war nur ein leises Fiepen, das jedoch durch einen lauten Schmerzensschrei unterbrochen wurde.

Er musste etwas tun…!

Er konnte hier nicht liegen bleiben! Nicht, wenn Katagori Kaiba tot prügelte!!

Benommen begann er zu blinzeln und sich umzusehen. Dann sackte sein Gesicht zur Seite und er erblickte Katagori, wie er auf Kaiba saß und diesen würgte.

Und dieser, wehrlos und schwach, kämpfte verzweifelt nach Sauerstoff. Doch Katagori drückte immer fester zu, hielt seinen Hals wie ein Wahnsinniger umklammert. Kein einziger Gedanke beherrschte Joey, als er sich langsam aufrichtete, zur Seite kroch und mit zittrigen Händen nach Kaibas Pistole tastete, die nicht allzu weit entfernt, auf dem Boden lag. Er bekam sie zu fassen, hielt sie fest und kam stockend auf die Beine. Er taumelte und stolperte von neuem, als er aufrecht stand. Und dennoch machte er sich sofort wieder auf den Weg zu Katagori, die Pistole hielt er entschlossen in der Hand, als er sich ihm näherte. Nur seine zuckenden Gesichtszüge verrieten seinen Gemütszustand, als er unsicher neben Katagori stehen blieb, die Waffe hob und ihren blanken Lauf direkt auf dessen Kopf richtete.

"Lass ihn los", stammelte er nur.

Sofort hielt Katagori in den Bewegungen inne und lockerte den Griff, worauf Kaiba sofort ächzte und nach Luft schnappte. Die Hände noch immer an seinem Hals, blieb Katagori auf ihm sitzen, blickte nicht einmal auf.

"Lass ihn los!", wiederholte Joey mit Nachdruck. Sein Zeigefinger lag sicher auf dem Abzug, doch plötzlich riss Katagori eine Hand in die Höhe und schlug ihm die Waffe weg, bevor er abdrücken konnte. Durch diese heftige Bewegung begann Joey wieder zu stolpern, doch einen Vorteil hatte die Sache trotzdem, denn Katagori ließ von Kaiba ab. Ja, stattdessen stürzte er sich nun wieder auf ihn. Er sprang auf, warf sich gegen ihn und schmetterte ihn erneut zu Boden. Und nach diesem Aufprall war Joey beinahe völlig seiner Sinne beraubt. Sein Kopf dröhnte und all die Glieder schienen ihm gelähmt zu sein. Er keuchte und zischte durch die zusammengebissenen Zähne, als er auch Katagoris Wucht auf sich spürte.

"Du verdammte Ratte!!" Noch während Katagori auf ihm lag, bohrte er die Finger in seinen Schopf und als er sich von ihm wälzte, zog er ihn mit sich. Joey schrie laut auf, als er diesen entsetzlichen Schmerz spürte. Doch glücklicherweise löste sich die Hand schnell wieder aus seinen Haaren und klammerte sich stattdessen in seine Schulter. Dann zerrte Katagori ihn auf die Knie und holte weit mit der Faust aus.

"Ich werde dir dein Gesicht bis zur Unerkenntlichkeit verstümmeln!! Ich werde dir zeigen, was du dir erlauben darfst, und was nicht!! Du mieses kleines Mist..."

Er brach ab, als sich Joey um seine Beine klammerte, sich nach vorn stemmte und ihn somit zurückstieß. Wieder landete Katagori auf dem Boden und es entstand ein heftiges Gerangel, bei dem beide einige Blessuren davontrugen. Sie wälzten sich und taten alles, um sich den anderen vom Leib zu halten oder sich auf ihn zu stürzen. Es endete jedoch abrupt, als beide einen schmerzhaften Schlag einsteckten, zurückstolperten und auf die Knie sanken. Joey schnaufte, Katagori keuchte. Beide bluteten und konnten sich kaum noch auf den Beinen halten. Und jeder von ihnen brauchte eine Pause, also blieben sie vorerst hocken. Verbunden mit einem leisen Fluch, spuckte Joey Blut zur Seite, hob die Hand und fuhr sich mit ihr über die rot gefärbten Lippen. Aus Katagoris Nase tropfte es in schnellem Takt. Sie stöhnten und schnappten nach Sauerstoff und währenddessen rollte sich Kaiba entkräftet auf die Seite und blinzelte. Joey ließ den Kopf hängen und schloss kurz die Augen, dann sah er auf und traf direkt auf Katagoris Blick. Sie starrten sich an, als wollten sie sofort wieder über sich herfallen, ihre Augen brannten vor Hass und Wut, veränderten sich dann jedoch binnen weniger Sekunden. Gleichzeitig wandten sie den Blick ab, drehten langsam die Köpfe nach rechts... und erblickten Kaibas Pistole, die ungefähr zehn Meter von ihnen entfernt lag. Joeys Augen weiteten sich, Katagori biss sich auf die blutige Lippe und fuhr wieder zu ihm herum. Ihre Blicke kreuzten sich nur kurz, dann sprangen sie auf.

Nun musste Joey seine letzte Kraft aufwenden, nun hing alles von ihm ab.

Er musste die Pistole bekommen, sonst wären er und Kaiba tot!!

Er sprintete, so schnell er konnte, obgleich sein gesamter Körper schmerzte und vor seinen Augen alles vibrierte. Katagori rannte direkt neben ihm und sie näherten sich der Waffe schnell. Doch bereits nach wenigen Schritten begann Joey zu taumeln und Katagori in großen Sätzen zu springen.

Zwei Meter!!

Mit einem lauten Aufschrei, stieß sich Joey ab, sprang nach vorn und schlitterte auf die Pistole zu. Der einzige Vorteil, den er auf seiner Seite hatte, war, dass Katagori sich erst nach ihr zu bücken hatte. Er jedoch, rutschte direkt auf sie zu und bekam sie zu fassen. Und bevor Katagori sich auf ihn stürzen konnte, rollte er sich auf den Rücken, umfasste die Pistole mit beiden Händen, streckte sie von sich und zielte auf ihn. Sein Atem raste, als er ihn von unten anstarrte. Und Katagori hielt inne. Er stand direkt vor Joey, hob langsam die Hände und trat einen Schritt zurück.

Ein verunsichertes, verzerrtes Grinsen huschte über sein Gesicht.

"Komm nicht näher!!" Joey war völlig außer sich, als er eine Hand von der zitternden Pistole löste und sich mit ihr abstützte. Vorerst kroch er nur zurück und dann, als er meinte, in sicherer Entfernung zu sein und eine Wand erreichte, drückte er sich an ihr ab und kam so auf die Beine. Er konnte sich kaum aufrecht halten. Es fehlte ihm die Kraft, er hatte Schmerzen und sogar Schwierigkeiten, die Pistole erhoben zu halten. Während er keuchend dort lehnte und sich mutlos an die Pistole klammerte, ließ Katagori die Hände sinken und das Grinsen kehrte zurück. Diesmal war es jedoch sicherer, hielt länger an.

"Du wirst mich doch nicht erschießen, oder?"

Joey leckte sich die Lippen, seine geröteten Augen suchten verzweifelt nach der Polizei. Währenddessen schien Katagori neuen Mut zu schöpfen, selbstsicherer zu werden.

"Das bringst du doch nicht fertig, oder? Bist doch ein artiger Junge."

Und Katagori hatte Recht…!!

Panisch richteten sich seine Augen auf Kaiba, der nun aufrecht saß und seinen Blick erschüttert erwiderte.

Was sollte er tun?!

Zitternd wandte er sich wieder an Katagori, seine Hände schwitzen so sehr, dass er befürchtete, die Pistole könnte ihnen entgleiten. Doch sie verschaffte ihm ohnehin nur eine kurze Sicherheit.

Er konnte nicht auf Katagori schießen!

Er wollte keinen Menschen umbringen, ganz gleich, um welchen es sich handelte!!

Doch genau das würde Katagori tun, wenn er ihn noch einmal in die Finger bekäme!

Und dann würde Kaiba dasselbe Schicksal erleiden.

Sollte es wirklich so enden??

" Komm nicht näher." Joeys Stimme war mehr ein leises Flehen, als eine Drohung. "Ich... ich drücke ab!"

Nein, Katagori wusste, dass er es nicht tun würde.

Nur das konnte sein annähernd entspanntes Verhalten erklären. Er grinste noch immer, ließ die Arme baumeln und schüttelte langsam den Kopf. Das tat er beinahe schon amüsiert.

"Dir fehlt der Mumm."

Verkrampft presste Joey die Lippen aufeinander und blinzelte. Seine Hand begann immer stärker zu zittern und das Herz begann in seiner Brust so schnell zu rasen, dass er die Schläge im gesamten Körper spürte. Katagori stand nur dort und sprach mit ihm. Er bewegte sich nicht und vertiefte sich in diese Situation.

Er wollte weg hier!

Weg, egal wohin!!

Er wollte das nicht miterleben!

Und wenn nicht bald die Polizei kam, würden Kaiba und er sterben. Dessen war er sich sicher, denn Katagori hatte in der Zwischenzeit eine solche Wut in sich angestaut, dass ihm ein Doppelmord nichts ausmachen würde. Er würde nicht zögern! Nicht eine Sekunde!

Und nun setzte er sich plötzlich in Bewegung. Von einer Sekunde auf die andere erwachte er zum Leben und trat einen hastigen Schritt nach vorn und auf ihn zu.

Und Joey wurde in die Realität zurückgerissen, erschrak höllisch... und drückte ab!

Ein lauter Schuss ertönte und Katagori schrie gellend auf. Doch auch Joey schrie, als er sah, wie sich der Mann nach vorn beugte und seinen blutenden Oberschenkel umklammerte.

Der Finger war ihm ausgerutscht!!

Und er war über diese Sache noch entsetzter, als Katagori selbst. Dieser keuchte und biss die Zähne so sehr zusammen, dass sie knirschten. Joey meinte in der Zwischenzeit, sein Herz würde stehen bleiben! Starr vor Schreck stand er dort und hielt die Pistole fest umklammert. Doch nur wenige Sekunden später, fuhr Katagori unter einem wütenden Schrei in die Höhe und stürzte auf ihn zu. Es waren nur noch wenige Meter, die sie trennten. Und als Katagori den ersten Schritt tat, wich Joey angsterfüllt zurück und stieß gegen die Wand.

"Bleib stehen!!", schrie er am Ende seiner Kräfte. "Bleib stehen!!!"

Doch Katagori rannte weiter, streckte die Hände nach ihm aus und verzerrte das Gesicht zu einer grässlichen Maske.

"Ich bringe dich um!!"

Joeys Augen weiteten sich, er konnte sich nicht mehr konzentrieren, sein Handeln nicht mehr kontrollieren!! Und als Katagori sich ihm bis auf drei Meter genähert hatte, drückte er erneut ab.

Die zweite Kugel bohrte sich in Katagoris Arm, doch der Mann strauchelte nur kurz und rannte sofort weiter. Gleich hatte er Joey erreicht. Und dieser handelte!

Er hob die Waffe höher, biss die Zähne zusammen, schloss die Augen und presste das Kinn auf die Brust. Und dann gab er den dritten Schuss ab.

Wieder hörte man nur einen lauten Knall... doch auf diesen Knall folgte kein weiterer Schmerzensschrei. Joey spürte, wie eine warme Flüssigkeit sein Gesicht benetzte. Und nur eine Sekunde später, prallte Katagoris Körper gegen den Seinen. Panisch riss er die Augen auf... und starrte in ein blutiges Gesicht, das schräg an seiner Schulter lehnte. Zwischen den Augen des Mannes klaffte ein Loch!

Joey riss den Mund auf und schnappte panisch nach Luft. Nur langsam rutschte Katagori an ihm hinab, sein Gesicht hinterließ eine deutliche Blutspur auf seinem Pullover. Mit angsterfülltem Blick sah er ihm nach, wie er auf die Knie sank, zur Seite kippte und auf dem Beton aufschlug. Er stand nur mit offenem Mund da, mit blutverschmiertem Gesicht und fassungslos geweiteten Augen. In seiner Hand hielt er noch immer die Pistole; sie zitterte so sehr, dass man Munition klackern hörte.

Er starrte auf Katagori... und es brauchte eine Weile, bis er die Sache realisierte.

Stumm bewegten sich seine Lippen, letzten Endes verblieben sie wieder geöffnet, doch in seinen Augen sammelten sich schnelle Tränen. Konfus begann er zu blinzeln, stockend und röchelnd nach Sauerstoff zu kämpfen. Dann begannen seine Gesichtszüge zu zucken und er schrie! Er schrie so laut er konnte, schmiss die Pistole weg so weit wie nur möglich und hob die zitternden Hände zum Gesicht. Er berührte die Wangen lediglich mit den Fingerkuppen, und als er das Blut erblickte, das an ihnen haftete, da schrie er erneut. Er war völlig aufgelöst, als er die Hände zu Fäusten ballte und sich hilfesuchend umblickte. Doch da war nur Kaiba, der dort hockte und sich nicht bewegte. Er schluchzte laut, flüsterte heisere Worte und schüttelte fassungslos den Kopf. Die Tränen rannen über die rot gesprenkelten Wangen und zogen eine saubere Linie hinter sich.

"Nein..." ächzend schloss er die Augen, schüttelte immer wieder den Kopf.

Er wollte nicht wahrhaben, was er soeben getan hatte!

Er wagte es nicht, einen weiteren Blick zu Katagori zu werfen, stattdessen wurden seine Knie weich und er rutschte an der rauen Wand hinab und blieb auf dem kühlen Boden kauern. Er zog die Beine an, kroch in sich zusammen und verbarg das nasse Gesicht zwischen den Armen. Dann begann er noch lauter zu schluchzen. Kaiba hatte sich noch immer nicht geregt. Mit geweiteten Augen starrte er ins Leere und weder er noch Joey reagierten auf die lauten Sirenen, die plötzlich ertönten und die Stille wie ein Messer durchschnitten. Sie blieben auch sitzen, als drei Polizeiwagen durch die breiten Einfahrten der Halle rasten und direkt auf sie zusteuerten. Nur wenige Meter neben Kaiba ertönten quietschend die Bremsen und die Wagen kamen zum Stehen. Und währenddessen wurden bereits die Türen aufgerissen und die Polizisten sprangen aus den Autos. Sie zogen die Pistolen, doch als sie die Situation erkannten, hielten sie verwirrt inne und ließen die Waffen sinken.

Seto Kaiba hockte bewegungslos auf dem Boden, nicht allzu weit entfernt lag ein Mann in einer Blutlache und direkt neben ihm kauerte ein zitternder junger Mann. Sprachlos öffneten sie die Münder, tauschten Blicke und begannen leise miteinander zu flüstern.
 

~*to be continued*~

Kapitulation und Wiederauferstehung

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Rückkehr

Gähnend und schlaksig trat Joey in den dunklen Flur hinaus, schlenderte zum Bad und kratzte sich den Steiß. Er war hundemüde und doch freute er sich schrecklich auf diesen ersten Schultag. Auch seinen Freunden würde er alles erklären müssen aber darüber machte er sich noch keine Gedanken... denn er war hundemüde und die größte Sorge bestand nun erst einmal darin, den Lichtschalter zu finden. Nach langem Tasten und Suchen hatte er ihn, stolperte auf das Waschbecken zu und stützte sich erst einmal ab, um verschwommen in den Spiegel zu starren.

"Uhm..." er leckte sich die Lippen, rieb sich die Stirn und gähnte herzhaft. Diese Haare waren recht praktisch. Sie standen morgens nicht wild zu Berge und es bedurfte keinerlei Pflege, um sie gut aussehen zu lassen. Joey grinste, wandte sich ab und schlürfte in sein Zimmer zurück. Er hatte eigentlich keine Ahnung, weshalb er soeben in das Bad gegangen war.
 

Geraume Zeit später verließ er das Haus und machte sich auf den Weg zur Schule, zur herrlichen, wundervollen Schule! Er ging besonders schnell, um eher da zu sein. Er wollte seine Freunde wieder sehen und außerdem würde die ganze Aufklärung und das andere Drum und Dran lang genug dauern.

In der lockeren Uniform und einem schwarzen Shirt, ging er entspannt seiner Wege, die Tasche hatte er sich locker um die Schulter gehängt.

Mein Gott, wie lange war er jetzt nicht mehr in der Schule gewesen?

Er sah sich um, drehte sich einmal im Kreis und begann leise zu pfeifen. Man, er hatte wirklich keine Ahnung. Aber so machte es gleich viel mehr Spaß. Außerdem wurde er noch glücklicher, wenn er an die Ferien dachte.

Noch zwei Wochen Schule... das reichte aus, oder?

Er war aber insgesamt überglücklich. Nichts konnte ihm den Tag vermiesen. Er näherte sich dem großen Gebäude schnell, dem kleinen Platz, auf dem sich die Clique immer an der berüchtigten Bank traf. Und als er die letzte Seitenstraße betrat, verlangsamte er seinen Gang und begann etwas zu trödeln, nachdenklich auf den Boden starrend.

Was würden seine Freunde nur dazu sagen?

Er hatte einen Menschen getötet.

Grüblerisch biss er sich auf die Unterlippe. Es könnte schwerer werden, als er gedacht hatte. Am liebsten würde er Kaiba dabei haben. So würde es um einiges leichter werden und sicher könnte er ihm helfen, wenn er stecken blieb. Unbewusst verschnellerte er seine Schritte, bog um die Ecke und blickte auf. Und binnen einer Sekunde erhellte sich sein Gesicht.

Alles war wie immer.

Yugi saß auf der Bank und ließ seine kurzen Beine über dem Boden baumeln. Bakura stand schweigend daneben und hatte die Augen überall in der Weltgeschichte. Auch Duke war schon da. Er war schon eher in die Schule gegangen. Hoffentlich hatte er schon alles erzählt, soweit er eben in das Geschehen mit einbezogen war! Dann musste Joey nicht mehr soviel sprechen. Dieser trat näher. Noch keiner der drei hatte ihn bemerkt. Bakura zog mit dem Fuß Kreise auf den Pflastersteinen, Yugi lachte leise und Duke packte sich genüsslich einen Kaugummi aus, die Verpackung mit wachen Augen fixierend. Joey schüttelte lächelnd den Kopf, schulterte seine Tasche neu und sah sie näher kommen. Endlich hatte Duke es geschafft. Genießerisch hob er den Kaugummi zum Mund und blickte auf. Und er bemerkte Joey. Er erblickte ihn, hielt in der Bewegung inne und verzog langsam die Augenbrauen. Während Joey daher geschlendert kam, besah er ihn sich nur, schob den Kaugummi dann langsam in den Mund und ließ die Hand sinken, um sie in die Hüfte zu stützen. Sein Gesicht zeigte keine Regung, ganz im Gegensatz zu Yugi.

"Joey!" Sofort war der Junge auf den Beinen und lachte laut, überrascht und unglaublich glücklich durch dessen Erscheinen. Bakura wurde nun ebenfalls unweigerlich auf den seltenen Besuch aufmerksam. Doch von ihm konnte man keinen lauten Jubel erwarten. Er blieb nur stehen und tat es Duke gleich.

"Hi!" Nun erreichte Joey die kleine Gruppe, warf seine Tasche zu den Anderen auf die Bank und wurde stürmisch von Yugi umarmt. Er ging in die Knie und schlug dem Jungen heftig auf den Rücken. Ach, die Freude war beiderseitig.

"Joey!" Nach kurzer Zeit riss sich Yugi los und starrte ihn mit großen Augen an, auch sein Mund stand offen und außer diesem einen Wort schien er nichts sagen zu können.

"Yugi!", erwiderte Joey schäkernd und kam wieder auf die Beine. "Da bin ich wieder! Alles in Ordnung?"

"Joey!" Yugi verzog die Augenbrauen, biss sich auf die Unterlippe und zog die Nase hoch. "Da bist du ja wieder..."

"Ja." Joey nickte und warf Duke einen knappen Blick zu. "Da bin ich wieder."

"Joey!"

Na, das könnte noch lange dauern, bis Yugi seine Anwesenheit endlich realisierte. Der Junge blieb nur stehen, starrte ihn an und begann nach kurzer Zeit, die Hände aneinander zu reiben. Dabei murmelte er immer wieder so etwas, wie: "Wir haben uns ja solche Sorgen gemacht." Und während er dann noch andere Dinge stotterte und ihm die Tränen der Freude in die Augen stiegen, wandte sich Joey an Bakura. Dieser schien jetzt lieber Yugi nachzuahmen und starrte ihn mit großen Augen an.

"Hey." Joey schlug ihm grüßend auf die Schulter und der junge Mann nickte etwas zögerlich.

"Hey..."

So, das war nun die herzzerreißende Begrüßung gewesen und somit stand Joey vor Duke. Kauend und noch immer ausdruckslos sah dieser ihn an und Joey erwiderte seinen Blick zuerst skeptisch, dann besorgt.

"Was ist?", fragte er hastig, lehnte sich nach vorn. "Stimmt etwas nicht?"

Duke kaute weiter, begutachtete kurz seine Frisur und brummte dann etwas Undefinierbares. Plötzlich fühlte sich Joey nicht mehr so wohl. Er wurde etwas zappelig, befeuchtete die Lippen mit der Zunge und konnte nicht mehr ruhig stehen.

Was war mit Duke los?

Warum sah er ihn so merkwürdig an?

Und es vergingen weitere Momente, bis der junge Mann endlich reagierte. Ohne mit der Wimper zu zucken, wies er mit einer knappen Kopfbewegung zur Seite und wandte sich ab. Zögernd folgte ihm Joey etwas abseits.

"Joey...", hörte er Yugi wieder jammern.

Wenige Meter entfernt, blieb Duke stehen, stützte beide Hände in die Hüften und wartete auf den Blonden. Und sobald dieser vor ihm stand, räusperte er sich leise und baute den Blickkontakt wieder auf. Joey starrte ihn erwartungsvoll an und er zögerte nicht allzu lange, um ihn nicht weiterhin auf die Folter zu spannen.

"Joey", murrte er leise und wendete den Kaugummi im Mund. "Wie zur Hölle konnte so etwas passieren!"

"Hm?" Joey hob die Augenbrauen. "Aber was meinst du denn?"

"Es stand zwei Tage lang in der Zeitung! ‚Jüngster Mörder seit fünf Jahren vor Gericht!’. Versteh mich nicht falsch, ich möchte nicht weiterhin darauf herumreiten aber gab es keine andere Möglichkeit? Es muss alles schief gegangen sein, damit es zu so etwas kommen konnte!"

Das Lächeln hatte sich schon längst aus Joeys Gesicht verloren. Nun wandte er auch den Blick ab, presste die Lippen zusammen und nickte.

"Du hast Recht. Es ist wirklich alles schief gegangen. Der Plan ging in die Brüche und ich bin da einfach reingerutscht."

"Wie konnte das passieren…?!", zischte Duke leise zurück. "Du hast doch alles mit so großer Mühe ausgeheckt! Und der Plan funktionierte doch! Ich verstehe es nicht!"

"Es gab einige Komplikationen und Missverständnisse, unüberlegte Handlungen und Fehler, okay? Aber weißt du, was ich nach der Gerichtsverhandlung getan habe?"

"Hä?" Nein, Duke wusste es nicht und Joey fand zu seinem Lächeln zurück.

"Ich habe alles begraben." Er machte eine kurze Handgeste und legte den Kopf schief. "Ich bin darüber hinweg, verstehst du? Ich habe damit nichts mehr zu tun, wurde freigesprochen und bin wieder der Alte."

"Aber", Duke schüttelte den Kopf, die ganze Sache schien sich recht unglaubwürdig für ihn anzuhören, "… du hast... ich habe mir grauenhafte Sorgen um dich gemacht, konnte nicht glauben, was ich in der Zeitung gelesen habe! Ich habe dreizehn Mal versucht, dich zu erreichen, habe mir den Kopf zerbrochen! Und von deinem Vater kam immer nur derselbe Satz: ‚Er ist nicht Zuhause.’! Wo warst du? Was hast du gemacht? Ich kann nicht glauben, dass du es alles..."

"Joey!!" Mit einem Mal wurde Joey aus den Grübeleien gerissen, als ein harter Schlag seine Schulter traf. Er stolperte einen Schritt und wollte sich hastig umdrehen. Doch bevor er Tristan ebenso kameradschaftlich begrüßen konnte, stürzte sich Tea auf ihn, fiel ihm um den Hals und schluchzte laut.

"Joey!", rief sie. "Ach, Joey! Ich bin so froh, dass du wieder da bist!"

Tristan nickte in übertriebener Zustimmung und Joey rappelte sich etwas auf, irritiert vor sich hinstarrend. Mein Gott, das war jetzt etwas plötzlich gekommen! Das Mädel hing immer noch an ihm und als er endlich kurz davor war, zu den Worten zurückzufinden und zu grinsen, da löste sie sich, trat zurück und umfasste beide Hände. Sie starrte ihn mit ihren großen blauen Augen an und Joey starrte zurück.

"Eh... ja… hi!"

"Mensch, du alter Haudegen!" Nun tauchte wieder Tristan auf. Ohne Vorwarnung legte er den Arm um seinen Hals, zog ihn zu sich und schmuste übertrieben mit ihm.

"Hilfe." Joey fuchtelte mit den Armen und Tea schüttelte hastig den Kopf.

"Mein Gott, wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht, Joey! Das ist ja alles so schrecklich! Geht es dir gut? Und da dachten wir, wir hätten alles richtig gemacht...!"

"Genau!" Tristan zog ihn mit einem Ruck noch fester und verpasste ihm eine liebevolle Kopfnuss. "Was fällt dir ein, uns einen solchen Schrecken einzujagen! Das machen Freunde nicht! Du hättest uns wenigstens anrufen können!"

"Äh... ich..." Joey versuchte sich aus der eisernen Umarmung zu befreien.

"Ja!" Teas Miene veränderte sich, bis sie verärgert wirkte und ruppig die Arme vor der Brust verschränkte. "Es ist grausam, dass wir es aus der Zeitung erfahren mussten! Und wir hatten keine Ahnung, wo du warst! Und wir konnten dich nicht erreichen! Wir dachten schon...", sie stoppte und binnen einer Sekunde verlor sich die Wut aus ihrem Gesicht und eine traurige Besorgnis erschien in ihren jungen Zügen. "Wir dachten..."

"Wir dachten, dass du dir vielleicht etwas antust, oder so!", sprach Tristan es mit viel Überwindung aus und nahm ihn besorgt in den Schwitzkasten. "Einen ganzen Tag lebten wir in Angst und jetzt kommst du einfach an und grinst alle Naselang!"

"Okay... Moment!" Endlich gelang es Joey, sich zu befreien. Er tauchte unter Tristans Arm hindurch, stolperte zur Seite und hob beschwichtigend die Hände.

"Joey...", seufzte Yugi wieder und biss auf ein Taschentuch.

"Ganz ruhig, ja?" Verunsichert grinste der Blonde und musterte seine Freunde mit hastigen Blicken. "Es tut mir wirklich leid aber ich hatte keine Gelegenheit, euch zu informieren."

"Ach ja!" Tristan brummte verdrießlich und stemmte beide Hände in die Hüften. "Soweit ich weiß, war die Gerichtsverhandlung vorgestern schon vorbei! Und du warst frei! Meiner Meinung nach, hattest du genügend Zeit!"

"Gar nicht wahr", widersprach Joey sofort trotzig und blähte die Wangen auf. "Ich war vorgestern und gestern überhaupt nicht in Domino!"

"Ach!" Tristan weitete die Augen und Tea ließ die Arme sinken.

"Ja, ähm...", langsam geriet alles außer Kontrolle und Joey sah sich hastig nach allen Seiten um, schien nach etwas zu suchen, das ihn aus dieser grässlichen Situation retten konnte. Doch vermutlich wurde er nicht fündig. Also musste er da wohl alleine durch. Etwas unentschlossen wandte er sich wieder zu seinen Freunden, grinste flüchtig und kratzte sich am Kopf. "Ich... Seto hat mich... hat mich... entführt! Ja, genau! Gleich nach der Gerichtsverhandlung ist er mit mir weggefahren! Wir haben uns etwas zurückgezogen und haben gesprochen und... ähm... gesprochen."

"Ihr seid weggefahren?" Tea legte den Kopf schief und Joey nickte rasch. "Aber dir scheint es gut zu gehen, oder? Ich meine, ich hätte nicht erwartet, dass du so heiter und unbesorgt bist."

"Genau deshalb." Joey zwinkerte ihr zu. "Weil Seto mit mir weggefahren ist. Also, jetzt hört mal zu. Es tut mir wirklich leid, dass ich mich nicht gemeldet habe." Er warf auch einen knappen Blick zu Duke, der ihn noch immer mit dieser undefinierbaren Mimik musterte. "Ich hatte einfach so viele Gedanken, mit denen ich zu kämpfen hatte. Ich konnte nicht an alles denken und musste erst einmal zu mir finden. Aber nun habe ich alles hinter mir gelassen. Ich bin weder depressiv noch habe ich vor irgendetwas Angst, okay? Ich erzähle euch alles, wenn wir etwas mehr Zeit haben. Bitte seid geduldig und habt Nachsicht." Flehend neigte er sich nach vorn. "Ich werde euch über alles aufklären aber ihr müsst euch echt keine Sorgen machen. Mir geht es wirklich sehr gut."

"Ja wirklich...?" Tea verzog mitfühlend die Augenbrauen und Tristan machte endlich nicht mehr den Eindruck, sich sofort auf ihn stürzen zu wollen. Er besah sich den Blonden nachdenklich, rieb sich das Kinn und nickte. Blicke trafen sich, Gedanken wurden schweigend ausgetauscht. Auch Duke sagte kein Wort, wandte jedoch den Blick ab und spuckte den Kaugummi zur Seite. Bakura pulte an seiner Tasche und Yugi beruhigte sich allmählich. Joey machte wirklich nicht den Eindruck, als müsste man sich Sorgen um ihn machen. Während der Stille grinste er vergnügt und fuhr sich durch den Schopf. Tristans Augenmerk richtete sich daraufhin direkt auf das kurze zottelige Haar, auch Tea wurde darauf aufmerksam. Eine lange Zeit starrten sie die blonden Strähnen an, dann räusperte sich Tea leise.

"Das Thema passt zwar nicht zu der Stimmung", murmelte sie nachdenklich, "… aber... was ist mit deinen Haaren?"

"Mein Gott!" Tristan neigte sich nach vorn. "Ich wusste doch gleich, dass irgendetwas an dir anders ist!"

"Ganz der Alte scheinst du doch nicht mehr zu sein, Joey“, ertönte es aus Yugis Richtung. "Du hast dir die Haare noch nie kürzer schneiden lassen... warum jetzt?"

"Warum? Wie sieht es denn aus?"

"Gewöhnungsbedürftig", murmelte Tristan.

"Hm...", brummte Tea.

Bakura zuckte mit den Schultern und Duke suchte nach einem neuen Kaugummi.

"Na toll." Joey verdrehte die Augen, warf den Kopf nach hinten und spähte zur Schule. Und endlich schien er dort etwas zu entdecken, worauf er gewartet hatte. Seine Augen begannen zu strahlen, an seinen Lippen zog ein breites Grinsen und dann ließ er seinen Freunden eine knappe Handgeste zukommen und eilte davon.
 

Mit ernster Miene griff Kaiba nach seiner Tasche, die auf dem Beifahrersitz lag, öffnete die Fahrertür und stieg aus. Und seine Miene verdunkelte sich, sobald er auf die jüngeren Schüler aufmerksam wurde, auf deren Geschrei und Getobe. Oh, wie hatte er sie vermisst.

Kurz rollte er mit den Augen, schlug die Tür zu und verriegelte sie mit dem kleinen Schlüssel, den er kurz darauf in der Tasche des blauen Schuljacketts verschwinden ließ.

Warum hatte er sich nur darauf eingelassen, schon heute in die Schule zu gehen?

Heute Morgen war er so müde gewesen und nur kurz davor, einfach liegen zu bleiben und der Schule seiner Abwesenheit auszusetzen. Einfach liegen bleiben und noch etwas dösen.

Seit wann war er so ein Morgenmuffel?

So oder so, diese eine Woche würde er schon noch überstehen und danach konnte er wieder schlafen so lange und soviel er wollte.

Er rückte sich kurz den Kragen zurecht, stieß ein leises Ächzen aus, drehte sich um... und wurde regelrecht angesprungen. Joey war plötzlich da und fiel ihm um den Hals, juchzend und glücklich.

Kaiba stolperte einen Schritt zurück, lehnte hinterrücks an der Tür seines Wagens und verdrehte die Augen.

Ach herrje, jetzt war er hundemüde und wurde auch noch überfallen.

"Morgen."

"Morgen!" Joey löste die Umarmung nur ein bisschen, blickte auf und starrte ihn an. "Du kommst heute aber früh."

"Ähm... nein..." Kaiba griff über die eigene Schulter und zog die Schultasche näher zu sich. "Ich komme immer zu dieser Zeit."

Joey verzog die Augenbrauen, ließ ihn endlich los und trat einen Schritt zurück, ihn skeptisch musternd.

"Ah ja...?"

"Ja." Kaiba zog die Tasche vom Dach des Wagens und richtete sich den Kragen.

Joey streckte den Kopf vor.

"Echt...?"

Kaiba verdrehte die Augen.

"Ja!"

"Na, wie auch immer!" Joey lachte heiter, packte ihn am Ärmel und zog ihn los. "Ich bin so froh, dass du da bist! Ohne dich würde ich diesen Tag nicht überleben!"

Kaiba trödelte gelangweilt hinter ihm her und Joey konnte zerren und ziehen so sehr er wollte. Fliegen konnte Kaiba nicht.

"Kommst du mit? Die anderen werden sich sicher freuen, dich so frisch und gesund wieder zu sehen."

"Hab ich eine andere Wahl?" Kaiba unterdrückte ein Gähnen und sah sich flüchtig um. "Du wirst mich wohl kaum loslassen."

Nach einem kurzen Weg hatte Joey seine Gruppe erreicht, zog Kaiba nach vorn und schob ihn der Gruppe entgegen.

"Kaiba!" Der Junge keuchte erleichtert und musterte ihn prüfend von Kopf bis Fuß. "Geht es dir wieder gut? Wie fühlst du dich? Du bist nicht mehr krank, oder?"

Ach, es war so schön, in den Alltag zurückzukehren.

Wie hatte Kaiba die lange Zeit nur ohne den Jungen überlebt?

Er starrte ihn an, riss sich dann jedoch zusammen und runzelte die Stirn, den Blick resigniert abwendend.

"Mir geht's gut", brummte er nur und Yugi seufzte wieder, ganz mitgerissen von dieser tragischen Geschichte. In der Zwischenzeit waren auch Tea und Tristan näher getreten.

"Wir sind froh, dass es dir wieder gut geht", meinte Tristan versöhnend und grinste. "Wir haben uns alle ganz schöne Sorgen um dich gemacht."

"Ja." Tea nickte hastig. "Man, das war wirklich eine schlimme Zeit, hm?"

"Hm."

Entspannt hatte sich Joey neben Kaiba postiert und erfreute sich an der herzlichen Atmosphäre. Und diese wurde mit einem Schlag noch herzlicher und angenehmer, als Kaiba auf Duke aufmerksam wurde, als sich ihre Blicke trafen. Duke ketschte in der Zwischenzeit wieder und das Gesicht des Älteren entspannte sich binnen kürzester Zeit. Sie sahen sich kurz an, prüfend, abwartend. Dann nickte Kaiba dem Schwarzhaarigen zu.

"Guten Morgen."

"Morgen." Duke erwiderte das Nicken, und tat es gern.

Joey kam nicht um ein knappes Grinsen und mit einem Schritt trat er vor.

"Er war's." Sein Grinsen vertiefte sich, als er mit einer knappen Kopfbewegung zur Seite wies. "Er hat mir die Haare geschnitten. Toll, nicht?"

Die Gesichter der Anwesenden verloren in kürzester Zeit einen Teil ihrer frischen Farbe und die Augen der Freunde wirkten ungläubig, als sie sich von Kaiba auf die kurze Frisur und zurück richteten. Langsam öffneten sie die Münder, fanden es wohl sehr schwer, diesen kurzen Satz zu verstehen. Nur Duke legte den Kopf schief und Bakura grunzte leise.

"Och." Tristan war der Erste, der die Fähigkeit des Sprechens zurückerlangte. Nervös zwang er sich, den Blick abzuwenden und heiter zu lachen. "Also ich finde Joeys Frisur wirklich ganz toll!"

"Ja, ich auch!" Auch Tea lachte. "Es ist dir wirklich gelungen, Kaiba!"

Kaiba verzog skeptisch die Miene und Joey blähte die Wangen auf.

"Als du noch nicht da warst, waren sie anderer Meinung", flüsterte er ihm zu und Kaiba saugte an seinen Zähnen. In dieser angenehmen Sekunde ertönte die langsame Schulmelodie, die das Einlassen in das Gebäude ankündigte.

Und das kam allen sehr gelegen!

Sofort wandten sich alle zur Seite und beobachten die Schüler, die sich sofort in Bewegung setzten.

"Okay." Tristan grabschte nach seinem Rucksack und schwang ihn sich über die Schulter. "Auf geht's."

Auch Yugi und Tea griffen nach ihren Taschen und machten sich nun wieder spaßend und heiter auf den Weg. Joey warf einen flüchtigen Blick zu Duke und wandte sich dann an Kaiba.

"Geh schon mal vor, ja?"

"In Ordnung." Kaiba drehte sich um und folgte Tea, Yugi und Tristan in trödelnden Schritten. Als sich auch Joey seine Tasche zurück schwang, zog Bakura an ihm vorbei und Duke schnitt er den Weg ab, als er es ihm gleichtun wollte.

"Hey." Er zupfte an seinem Ärmel und starrte in die smaragdgrünen Augen des Anderen. "Was ist los? Gibt es jetzt etwa Probleme zwischen uns? Das will ich nicht."

Duke hob die Augenbrauen, schüttelte den Kopf und zog an ihm vorbei. Er wies ihn mit einem knappen Nicken ab, ihm zu folgen und Joey tat es. Nervös trottete er neben ihm und wartete. Duke schwieg noch wenige Momente, dann linste er zu ihm.

"Ich bin mir sicher, dass du nichts für all das kannst, Joey", sagte er dann die erlösenden Worte und seufzte leise. "Es ist grausam. Yugi, Tea, Tristan und Bakura können das nicht verstehen, denn sie haben nichts von alledem erlebt. Sie nehmen es zu locker, haben in diesen Sekunden sicher schon vergessen, was du durchgemacht hast und denken nur an ihre Angelegenheiten. Sie haben keine Ahnung, was das für ein Gefühl ist, wenn man die Todesangst spürt. Sie können es nicht verstehen", murmelte er erneut und starrte vor sich auf den Weg. "Joey, du bist für immer gebranntmarkt. Ich bitte dich, leiste dir nichts mehr, was dich ein weiteres mal Aktenkundig macht, denn du könntest bald nicht mehr glaubwürdig und ehrlich wirken. Du stehst auf sehr dünnem Eis."

Joey schwieg.

"Es ist mir klar, dass du nicht mehr darauf angesprochen werden willst aber es fällt mir doch sehr schwer, keine Fragen zu stellen und es einfach hinzunehmen." Duke gestikulierte kurz mit den Händen und schulterte die Tasche neu. "Das ist nicht wie Diebstahl oder Körperverletzung, das ist..."

"Mord." Joey nickte und erneut lugte Duke zu ihm. Doch nun war es der Blonde, der auf den Weg starrte. "Mit dir werde ich über alles sprechen, Duke, du wirst alles erfahren, denn du kannst es verstehen. Yugi, Tea, Tristan und Bakura müssen nur das Nötigste erfahren, ich will es ihnen nicht noch schwerer machen."

"Gut." Duke war sichtlich erleichtert. "Wir werden uns in den nächsten Tagen mal Zeit nehmen."

"Ja." Joey richtete sich auf und ihre Blicke trafen sich flüchtig. "Weißt du, mir geht es gerade so gut, dass ich der Geschichte keinen Tränen beilegen will. Also zieh bitte keine bittere Miene, wenn ich sie dir erzähle."

"Ich habe keine Ahnung, warum du so heiter und lebensmunter bist." Duke schmunzelte. "Aber es gefällt mir."
 

Noch immer über Tristans Witz lachend, schob Yugi die große Schultür auf und trat ein. Der Witzreißer, Tea und Bakura waren ihm dicht auf den Fersen. Juchzend und spaßend setzten sie ihren Weg fort und schlängelten sich durch die vielen Kinder. Überall wurde gequatscht und geschrieen, es herrschte eine große Bewegung, heitere Stimmung. Wenige Sekunden später wurde die Tür wieder geöffnet.

Duke, Joey und Kaiba schlenderten nebeneinander, ließen die Tür hinter sich und folgten den Anderen. Joey sah sich um. Es war irgendwie ein herrliches Gefühl, wieder in der Schule zu sein, im Alltag, nach dem er sich so gesehnt hatte. Er atmete die vertraute Luft ein und schloss die Augen.

Auch diese vielen Stimmen hatte er vermisst, das Schreien der jüngsten Schüler, das Kichern der von Jungs schwärmenden Mädchen. Heute war es alles besonders laut, doch obwohl seine Ohren etwas dröhnten, genoss er es mit jeder Faser seines Körpers.

Aber wenige Sekunden, nachdem er das Gebäude betreten hatte, nahm die Lautstärke plötzlich unerwartet ab. Binnen kurzer Zeit verstummten die Schüler. Auch die raufenden Kleinen hielten inne und blieben stehen. Es wurde leiser, immer leiser, bis völlige Stille eintrat. Während Kaiba und Duke bereits stehengeblieben waren, schlenderte Joey noch etwas weiter. Aber dann verlangsamte auch er seinen Gang. So einige Augenpaare waren ausdruckslos auf ihn gerichtet, die Schüler standen reglos in dem breiten Gang und starrten ihn an. Verunsichert ließ Joey den Blick durch die Reihen schweifen, dann kam auch er zum Stehen.

Was zur Hölle sollte das?

Sprachlos öffnete er den Mund.

Warum starrte ihn jeder auf diese Art und Weise an?

Er schluckte schwer und drehte sich flink zu Kaiba und Duke um. Auch diese sahen sich um. Duke wirkte überrascht und zugleich sehr verwirrt, beunruhigt. Kaibas Gesicht jedoch, zeigte puren Zorn, keine Irritierung. Joey besah sich die Beiden nur kurz, wandte sich wieder nach vorn und wartete verzweifelt darauf, dass die Schüler die alten Gespräche begannen und die Blicke abwandten. Doch das taten sie nicht. Weitere Sekunden herrschte eiskaltes Schweigen, dann war leises Geflüster zu hören. Schüler steckten die Köpfe zusammen, den Blick stets auf Joey fixierend. Dieser wurde sich nun langsam über den Grund ihrer Reaktionen bewusst.

Er schloss die Augen, atmete tief durch und verzog das Gesicht.

Was hatte er denn erwartet?

Die Nachricht über seine Leistung hatte sich rasend schnell in ganz Domino verbreitet, warum also nicht auch in der Highschool?

"Scheiße." Er biss sich auf die Unterlippe, starrte auf den Boden und räusperte sich leise. Das Flüstern nahm zu, vereinzelte Worte konnte er hören. Und als er es tat, wünschte er sich, Zuhause geblieben zu sein. Da nahm er jedoch Bewegungen neben sich wahr und lugte zur Seite. Links neben ihm erschien Duke und verschränkte die Arme vor der Brust. Zu seiner Rechten blieb Kaiba stehen und dann spürte er, wie sich ein Arm um seine Schulter legte. Binnen weniger Sekunden erstarb das heimliche und unhöfliche Getuschel und die grausame Stille kehrte zurück. Toll, jetzt stand Joey hier und wusste nicht, was er tun sollte. Am liebsten wäre es ihm, sich umzudrehen und abzuhauen.

Er presste beide Lippen aufeinander und versteckte die Hände in den Hosentaschen. Es tat weh, die vielen Blicke zu spüren. Es schmerzte, die Gedanken der Starrenden zu kennen.

Ja, er wusste, was er in ihren Augen war. Wieder atmete er tief durch, doch da handelte Kaiba. Joey bemerkte, wie sich seine Hand in seine Schulter klammerte, hörte ein Knurren, das nichts Gutes verheißen konnte.

"Wenn irgendjemand von euch ein Problem hat, dann soll er es laut und deutlich sagen!" Kaibas Stimme erhob sich wie ein Sturm im ruhigen Meer, hallte durch den langen Flur und jagte eine Gänsehaut über die Rücken der Anwesenden. "Jetzt gleich!!" Zögerlich blickte Joey auf und die Erleichterung stürzte über ihn herein, als er die Bewegung zurückkehren sah. Augenblicklich wandte der Großteil der Schüler den Blick ab, Gruppen teilten sich, die Kinder gingen wieder ihrer Wege und nur wenige warfen verstohlene, scheue Blicke zurück. Binnen weniger Sekunden war wieder alles wie vorher, doch Joey konnte nicht von sich behaupten, somit wieder glücklich zu sein. Zusammen mit Duke und Kaiba blieb er stehen und tätschelte die Hand, die noch immer auf seiner Schulter lag, sich nun jedoch von ihr löste.

"Danke", hauchte er leise und schlürfte weiter.

Kaiba und Duke blieben stehen und sahen dem Blonden nach, der sich mit hängenden Schultern und ebenso geneigtem Kopf von ihnen entfernte. Und wo er auch war, stets gaben ihm die Schüler den Weg frei, ließen sogar einen Sicherheitsabstand. Langsam ballte Kaiba die Hand zu einer Faust, bette sie an den Lippen und biss die Zähne zusammen. Sein scharfer Blick schweifte drohend und verbittert durch die Schüler. Auch Dukes Miene zuckte bissig, als er die Arme sinken ließ und sie in die Hüften stemmte.

"Was kann man dagegen machen!", zischte er und Kaiba schüttelte den Kopf.

"Die Menschheit ausrotten und eine Neue züchten, die mehr Einfühlungsvermögen und eine größere Auffassungsgabe besitzt."
 

Nachdem sich Kaiba von Duke verabschiedet hatte und das Klassenzimmer betrat, hockte Joey vorne auf seinem Tisch, ließ die Beine baumeln und saugte an seinen Zähnen. Als er ihn bemerkte, blickte er auf und zwang sich zu einem Lächeln, das aber gründlich misslang. Kaiba erwiderte seinen Blick nur kurz, warf sich hinter ihm auf den Stuhl und lehnte sich zurück. Dieselben Reaktionen, wie die der anderen Schüler, waren auch unter den Klassenkameraden zu bemerken. Es herrschte eine andere Atmosphäre, als sonst.

Sie war kalt und angespannt.

"Was hast du erwartet, Joseph?" Gemächlich zog Kaiba die Tasche auf seinen Schoß, schlug sie auf und begann in ihr zu wühlen. "Hast du gedacht, dass jeder dich versteht und Mitleid zeigt?" Er grinste bitter. "Nein, sie wollen sich nicht einmal die Zeit für einen Versuch nehmen."

Joey drehte den Kopf zu ihm und biss sich grübelnd auf die Unterlippe.

"Und Joey? Wie fühlst du dich? Es ist dein erster Tag in der Schule seit langem." Plötzlich standen Yugi, Tea und Tristan neben ihrem Tisch und grinsten bis über beide Ohren. Natürlich.

Sie hatten das Spektakel unten im Gang nicht mitbekommen und auch die eisige Kälte, die hier herrschte, entging ihnen. Sie konnten nichts dafür und doch kam Kaiba nicht drum herum, ihnen einen Blick zu schicken, der an leiser Verachtung grenzte. Joey knaubelte an dem feinen Holz, blähte die Wangen auf und rutschte vom Tisch.

"Toll. Ganz toll", murmelte er nur und schlenderte zu seinem Platz.

Verwundert sahen die Drei ihm nach und nahmen anschließend Kaiba unter die Lupe, der gemächlich ein Buch nach dem anderen herausholte.

"Was ist mit ihm?"

Kaiba zuckte mit den Schultern, gab sich beschäftigt.
 

Dann begann die Stunde.

Es war unklar, was Menschen in gewissen Situationen dachten, was in ihren Köpfen vor sich ging.

In welche Richtung drifteten ihre Gedanken?

Wie begründeten sie das Benehmen, das sie Joey an diesem ersten wundervollen Schultag deutlich spüren ließen?

Nicht nur Joey fühlte sich in dem Klassenraum unwohl, nein, auch Kaiba war leicht angespannt, als er den Worten des Lehrers lauschte und verbittert an dem Umschlag seines Buches rupfte. Es hatte den Anschein, als hätte sich hier während ihrer Abwesenheit alles geändert. Verständnis fehlte überall und ein gewisses Wort, wie hieß es noch? Ach ja, ‚Fairness’, schien direkt aus ihren Köpfen gelöscht worden zu sein.

In der ersten Stunde standen Wiederholungen auf dem Programm. Lernstoff, den die Schüler in den letzten Wochen in sich hineingeprügelt hatten, der Kaiba teilweise unbekannt war. Sonst hätte er gerade jetzt besonders aufmerksam gelauscht, um nachzuholen und zu verstehen, um sich gar nicht erst anzugewöhnen, schlechte Noten zu schreiben. Doch jetzt konnte er es nicht. Er blieb nur sitzen, starrte vor sich auf den Tisch und grübelte über diese Zustände. Und er erwachte erst zum Leben, als sich der Lehrer etwas Unverzeihliches wagte. Er stand an der Tafel, kritzelte alles Mögliche auf und stellte Fragen. Kaiba wusste so einiges, hob jedoch nicht die Hand. Joey jedoch, tat es. Kaiba sah es nicht, hörte jedoch seine Stimme.

"Hier, ich!"

Da blickte er auf und nahm den Lehrer scharf ins Visier. Der Mann ließ den Blick durch die Schüler schweifen, machte jedoch keine Anstalten, Joeys Namen auszusprechen. Er übersah den sich bewegenden Arm einfach. Langsam drehte sich Kaiba um. Joey war der Einzige, der sich meldete, Yugi tuschelte leise mit Tristan und Tea kritzelte eine verschrumpelte Zeichnung auf ihr Blatt. Wieder einmal bekamen sie nichts mit.

"Also gut, niemand?" Mit einer unglaublichen Lässigkeit wandte sich der Lehrer wieder der Tafel zu und begann erneut zu schreiben.

"Niemand?" Kaiba richtete sich etwas auf und schickte dem Mann einen scharfen Blick. "Haben Sie nicht jemanden übersehen?"
 

Die erste Stunde wurde nicht nur zu einer nervlichen Folter für Joey, sondern für Kaiba auch zu einem bitteren Kampf gegen den Lehrer. Ja, er legte sich richtig mit ihm an und gab erst Ruhe, als der Mann Joey aufrief.

Toll, aber so nicht. Der Blonde schüttelte nur den Kopf und nahm sich vor, für den Rest der Stunde gar nichts mehr zu sagen oder anderweitig auf sich aufmerksam zu machen.

Während der Unterricht weiterging und sich Kaiba an seinem kalten Schweigen und der finsteren Miene beteiligte, begannen die Schüler heiter über dieses und jenes Thema mit dem Lehrer zu diskutieren, locker, so als wäre nichts gewesen. Joey zwang sich schnell dazu, überhaupt nicht mehr zuzuhören, Kaiba jedoch, war kurz davor, aufzuspringen und laut zu schreien. Es grenzte an dem Unmöglichen, was hier geschah!

Die leise Melodie, die das Ende der Stunde ankündigte, was das Schönste, das Joey an diesem Tag erlebt hatte. Er richtete sich auf, rollte mit den Augen und grabschte nach seiner Schultasche. Mit dem Einpacken ließ er sich alle Zeit der Welt, nebenbei warf er missmutige Blicke nach beiden Seiten und knabberte auf der Unterlippe. Auch Kaiba kannte heute keine Eile. Gemächlich schob er die Bücher und den ganzen Rest in seine Tasche, lehnte sich ächzend zurück und warf einen Blick zu Joey. Dieser brauchte noch etwas, also erhob er sich, schwang sich die Tasche über die Schulter und schlenderte zu dem Lehrer, der sich an seinem Pult beschäftige. Das Klassenzimmer war in der Zwischenzeit außer Joey bereits leer. Neben dem Lehrer blieb er stehen, richtete sich den Kragen und räusperte sich auffällig. Sogleich wurde der Mann auf ihn aufmerksam und Kaiba traf ein drohender Blick.

"Werter Herr Kaiba!" Der Lehrer verzog das Gesicht und nahm sich die Brille von der Nase. Dann erhob er sich und baute sich vor Kaiba auf, den er um fast einen Kopf überragte. Mürrisch blickte Kaiba zu ihm auf. "Stellen Sie nie wieder meine Autorität vor den Schülern in Frage!" Der Mann gestikulierte mit der Brille, Kaiba runzelte die Stirn.

"Und Sie haben nicht das Recht, einen Schüler zu diskriminieren!", erwiderte er bissig. "Es gab einmal einen Lehrer an dieser Schule, der von Recht und Regeln sprach. Wo ist er? Sie sind es ganz sicher nicht mehr! In meinen Augen nicht einmal mehr eine Autoritätsperson! Nein." Er grinste bitter und schüttelte den Kopf. "Fairness kennen Sie überhaupt nicht und das Wort "Recht" müssen Sie nicht in den Mund nehmen, wenn Sie sowieso nichts damit anzufangen wissen!"

"Jetzt hören Sie mir mal zu!" Der Lehrer trat einen Schritt vor und wartete, vermutlich darauf, dass Kaiba ihn unterbrach. Doch das tat der junge Mann nicht, nein, er nickte nur und wartete. "Sie erlauben Sich zu viel, kennen wohl die Schulregeln nicht! So haben Sie nicht mit einem Lehrer zu sprechen! Ist es Ihnen vielleicht lieber, einen Verweis zu kassieren für Ihr respektloses Verhalten?!"

"Das gehört wohl dazu, wenn man eine eigene Meinung vertritt und sie auch ausspricht!", fauchte Kaiba.

"Jetzt hören Sie mir mal zu!" Der Mann hielt die Luft an und wurde ganz rot im Gesicht.

"Natürlich! Das kommt immer, wenn Sie sich behaupten wollen! Jetzt hören Sie mir mal zu... pah! Was soll ich denn hören? Ihre schäbige, jämmerliche Meinung über Dinge, von denen Sie keine Ahnung ha..."

Kaiba verstummte, als er am Arm gepackt und weggezogen wurde. Joey ging an ihm vorbei, zog ihn mit sich.

"Komm, wir hauen ab", murrte er nur, bevor er Kaiba fester packte und die Tür hinter sich ließ. Kaiba hatte sich nicht gewehrt, dem Lehrer jedoch giftige Blicke geschickt. Er sah es bereits kommen. In Biologie würde er ab jetzt der schlechteste Schüler sein.

Man ließ ihn los, sobald die Tür geschlossen war. Joey ließ ihn stehen, wandte sich an Yugi, Tea und Tristan um, die dort standen und gewartet hatten.

"Geht schon mal vor!", rief er und winkte. Seine Stimme klang heiter, unverändert, wie immer. Und ohne etwas zu ahnen, nickten die Drei und trödelten los. Kaiba sah ihnen nach, schulterte seine Tasche neu und räusperte sich leise.

Wieder einmal kotzte ihn alles an!

Die Schüler! Die Lehrer!

Wann kam Joey denn endlich wieder dazu, den Alltag zu genießen?

Auch Joey beobachtete seine Freunde, bis sie hinter der Ecke verschwanden. Dann waren sie die einzigen im Gang.

Sobald von Yugi, Tea und Tristan keine Spur mehr zu sehen war, drehte sich Joey zu Kaiba um, trat näher und ließ sich mit einem erschöpften Stöhnen gegen ihn sinken. Sofort hob Kaiba die Arme, legte sie um seine Schultern und drückte ihn an sich. Joey presste die Wange gegen seine Brust, klammerte sich mit beiden Händen in sein Jackett und schloss die Augen. Er atmete schnell, verbarg sich zwischen seinen Armen wie ein kleines Kind, das Schutz benötigte. Kaiba atmete tief durch, sah sich kurz um und rieb langsam seinen Rücken.

"Ist das fair...?" Nun zitterte seine Stimme.

Es gab keinen heiteren Jungen mehr, der alles hinter sich gelassen hatte.

Was sollte Kaiba jetzt noch tun?

Er verstärkte die Umarmung, bettete das Kinn auf dem kurzen blonden Schopf und blickte auf. In eiligen Schritten bog Duke um die Ecke, erspähte sie und kam schnell näher. Er schien nervös geworden zu sein, als er Yugi, Tea und Tristan ohne sie gesehen hatte. Kaiba erwiderte seinen besorgten Blick nur kurz, wandte sich wieder Joey zu, denn dieser begann nun leise zu schluchzen.

"Hey", hauchte er leise, löste die Umarmung und griff den jungen Mann vorsichtig an den Schultern, um ihn etwas zurückzudrücken. In diesem Augenblick blieb Duke neben ihnen stehen, blickte von Joey zu Kaiba. Er hatte mit so etwas gerechnet aber Kaiba schien alles unter Kontrolle zu haben. Dieser sah Joey nun direkt ins Gesicht, doch dieses war gesenkt, und so löste er eine Hand von seiner Schulter, legte den Zeigefinger unter sein Kinn und drängte es vorsichtig nach oben. Joey zog die Nase hoch, wich seinem Blick aus.

"Du musst jetzt stark bleiben." Kaiba neigte sich etwas nach vorn, strich ihm die Tränen von den Wangen. "Lass die anderen deine Tränen nicht sehen. Damit haben sie nur erreicht, worauf sie aus waren."

Joey presste die Lippen aufeinander, wackelte mit dem Kopf und blinzelte.

"Aber warum tun sie so etwas, obwohl sie wissen, dass ich..."

"Joseph." Kaiba sprach leise und ruhig mit ihm, schob die Hand zu seinem Nacken. "Schau mich an."

Erwartend und gleichzeitig gerührt, verfolgte Duke das Geschehen, lauschte jedem Wort, das Kaiba sprach. Sie klangen alle so unglaublich gefühlvoll. So, wie man es nie von Seto Kaiba erwartet hätte. Joey zögerte, dann jedoch atmete er zitternd ein, blickte auf und sah Kaiba an. Dessen Augen waren entschlossen und eisern auf ihn gerichtet.

Diese Festigkeit, diese Entschlossenheit.

Joey wünschte sich, sie zu besitzen. Kaiba sah ihn lange schweigend an, schien durch ihn hindurch, direkt in seine Seele blicken zu wollen. Joey hingegen, tat es weh, diesen Blickkontakt aufrecht zu halten und es kostete ihm viel Mühe, nicht in weitere Tränen auszubrechen. Kaiba war das, wovon er immer geträumt.

Kaiba besaß die Charaktereigenschaften, nach denen er sich stets gesehnt hatte.

Warum konnte nicht auch er so hart und unverletzbar sein?

Warum konnte er nicht die Kraft aufbieten, alles an sich abprallen zu lassen, gegen alles Schlimme immun zu sein?!

"Was interessieren uns die Meinungen der anderen Menschen?" Kaiba verzog die Augenbrauen und schüttelte langsam den Kopf. "Was geht es uns an, was sie denken? Sie waren nicht dabei, sie wissen nichts. Ihre Einschätzung von alledem kann also nur falsch sein. Sie können sich nicht vorstellen, was du durchgemacht hast, nicht nachempfinden, wie du dich fühlst. Sie sind dumm, Joseph, allesamt. Die Welt ist grausam." Kaiba atmete tief durch und sah sich kurz um. "Um zu überleben und nicht weiteren Qualen ausgesetzt zu sein, musst du stärker werden. Nicht körperlich. Seelisch, Joseph, mental."

"Aber wie soll ich das machen", presste Joey heiser hervor. "Ich bin nicht stark genug, um zu werden, wie du."

"Wie ich?" Zwischen Kaibas Augenbrauen bildete sich eine Falte, Duke verzog das Gesicht. Nicht nur er schien überrascht zu sein. Für wenige Sekunden herrschte Stille, dann zeichnete sich ein Grinsen auf Kaibas Lippen ab. "Nein, nein, nein, Joseph. Nicht so. Versuch nicht, mir nachzueifern. Du weißt, dass ich auch Schwächen habe und in vielen Situationen falsch reagiere und handle. Und wie du siehst, schaffe ich es auch nicht, die Meinung der anderen völlig zu übersehen, was das einzig Richtige in dieser Konstellation wäre."

"Es ist schwer." Joey ließ den Blick sinken, hob die Hand und begann an Kaibas Jackett zu zupfen. "Ich will es ja, aber..."

"Natürlich ist es schwer", erwiderte Kaiba geduldig. "Du musst deine eigene Kraft entwickeln Joseph, und nur aus solchen Erfahrungen heraus entsteht sie und verfestigt sich. Und sag nicht, dass du sie nicht schon besitzt. Nur wenige Menschen wären so gut mit der Situation umgegangen, wie du. Kaum ein Mensch hätte alles so gut verarbeitet, alles in einem so einsichtigen Licht gesehen, wie du. Vielen wären verzweifelt." Kaiba bettete beide Hände auf seine Wangen, neigte sich lächelnd nach vorn und lehnte seine Stirn an die von Joey. Auch an dessen Lippen zog ein flüchtiges Lächeln, als er die Augen schloss und Kaibas Jackett in Frieden ließ. In diesen Sekunden ertönte die leise Melodie über die Lautsprecher, die zweite Stunde begann. Joey und Kaiba reagierten überhaupt nicht darauf, nur Duke sah sich kurz um, blieb jedoch stehen.

Während der Melodie hatte Kaiba noch etwas Leises geflüstert, nun nickte Joey leicht und das Lächeln wirkte etwas gefestigter. Somit lösten sich die beiden voneinander. Joey sah ihn nachdenklich an und Kaiba legte die Hände auf seinen Schultern ab.

"Und jetzt zeig den Anderen, dass du stark bist! Lass nicht zu, dass sie Spaß daran finden, dich fertig zu machen! Es ist scheißegal, was sie denken, Joseph. Wichtig ist, dass du selbst weißt, was geschehen ist. Und wenn du dir nicht die Schuld gibst und nicht in Selbstmitleid versinkst, dann wird es dir leichter fallen."

"Okay." Joey zwinkerte, lächelte und hob die Hand, um sich schnell den Rest der Nässe von den Wangen zu wischen.

"Okay." Kaiba nickte erleichtert, streifte mit dem Handrücken sein Kinn und brachte ihn somit dazu, das Gesicht zu heben. Noch immer lächelnd kam Kaiba ihm dann näher und platzierte einen zärtlichen Kuss auf seinem Mund. Ihre Lippen berührten sich kaum. Und als sich ihre Nasenspitzen streiften, gluckste Joey leise, ließ das Gesicht sinken und umarmte Kaiba. Duke wusste nicht mehr, was er sagen sollte, als Kaiba einen Arm um Joeys Hals legte, ihn an sich drückte und leise seufzte.

"Na also."

Joey nickte, löste sich von ihm und trat zurück. Dukes Augen blieben an Kaiba hängen und bevor er sich versah, trafen sich die Blicke der beiden. Sie sahen sich kurz an, Kaiba hob die Augenbrauen, Duke schüttelte hastig den Kopf. Es war alles in Ordnung.

Teilte Joey jetzt ihre Meinung?

Der Blonde fuhr sich mit beiden Händen durch den Schopf, rieb sich die Augen und atmete tief ein. Dann schenkte er Duke ein Lächeln und schulterte die Tasche neu. Duke konnte sich denken, was in der Klasse geschehen war. Also musste er nicht diese Frage stellen.

"Geht es wieder?", erkundigte er sich stattdessen besorgt.

Kaiba begann beschäftigt in seiner Tasche zu wühlen und Joey nickte.

"Ja, es geht schon. Und Seto hat Recht. Es wird sich sicher bald ändern."

"Das glaube ich auch."

"Ja." Erneut rieb sich Joey die Augen. "Sehe ich verheult aus?"

Duke konnte ihn beruhigen. "Nicht wirklich."

"In Ordnung, dann sollten wir jetzt wohl besser gehen. Frau Kandoji ist ein netter Mensch aber sie hasst es, wenn ihre Schüler zu spät kommen."

Kaiba ließ von seiner Tasche ab und schlenderte los. Die anderen beiden folgten ihm.

"Was machst du eigentlich hier?" Kaiba lugte zu Duke und dieser zuckte mit den Schultern.
 

Ohne zu zögern klopfte Kaiba an, griff nach der Klinke und öffnete die Tür. Die Lehrerin, wie auch die Schüler blickten auf, als sie in das Klassenzimmer traten und die Tür hinter sich schlossen.

"Verzeihen Sie die Störung." Kaiba verbeugte sich kurz. "Wir wurden aufgehalten."

Frau Kandoji, die wohl die netteste Lehrerin der Schule und zugleich die Klassenleiterin der Beiden war, musterte Kaiba flüchtig und nahm Joey genauer in Augenschein. Dann jedoch lächelte sie und wies mit einer knappen Kopfbewegung auf die leeren Plätze.

"Kein Problem, jetzt setzt euch."

Die beiden nickten und während sie dann zu ihren Bänken schlenderten, rollte Joey erleichtert mit den Augen. Keine Standpauke, keine blöde Anmache und verächtliche Blicke? Puh, einen normalen Menschen schien es hier also doch noch zu geben. Während Kaiba bereits saß und in seiner Tasche wühlte, warf sich auch Joey auf seinen Platz, lehnte sich zurück und streckte die Beine von sich. Neben ihm kicherte Tea leise und Yugi und Tristan unterhielten sich über zwei Bänke hinweg. Die Lehrerin ließ einige Unterlagen sinken und wandte sich dann direkt an Joey.

"Wir werden uns heute mehr dem Organisatorischen zuwenden", erklärte sie geduldig. "Wir sprechen über das Schulfest, das Praktikum und die Klassenfahrt, die uns bald bevorsteht."

Joey nickte dankbar und die junge Frau lächelte.

Was war er froh, dass er bei ihr wie immer behandelt wurde!

Er hätte es nicht ausgehalten, wenn sie, seine Lieblingslehrerin jetzt auch noch sauer auf ihn gewesen wäre. Aus welchem blöden Grund auch immer, da musste man die anderen Lehrer fragen.

Dann begann die junge Frau eine ganze Menge zu erzählen. Sie sprach über das Praktikum, bat wieder darum, sich früh genug darum zu kümmern und erläuterte auch andere Dinge, die in dieser Hinsicht wichtig waren. Joey lieh ihr ein Ohr, mit dem anderen lauschte er in die Klasse, die leise miteinander flüsterte. Ging es um ihn?

Die Klassenfahrt fand nach den Ferien statt, es ging schnurstracks nach Deutschland, wo sie sich zwei Wochen voller Heiterkeit vergnügen konnten. Um genauer zu sein, in irgendeiner Gegend, die sich "Thüringen" nannte. Darauf war Joey schon sehr gespannt. Und er war so gespannt und begeistert, dass er das ganze Getuschel einfach überhörte und sich nur auf die Lehrerin konzentrierte. Nun ja, dass sein Blick öfter zu Kaiba abschweifte, ließ sich nicht verhindern. Aber der saß nur reglos auf dem Stuhl, saugte an den Zähnen und rieb sich manchmal den Nacken.

Natürlich… Deutschland!

Für ihn war das sicher nicht besonderes. War ja vor kurzer Zeit erst dort gewesen.

Er begann von einem richtig schönen Urlaub zu schwärmen. In Deutschland, Griechenland, Russland und sonst wo. Überall. Die Stunde war wundervoll. Was gab es Besseres, als dazusitzen, zuzuhören und nicht einmal irgendetwas aufschreiben zu müssen? Sofort fühlte er sich durch die freundliche Atmosphäre viel entspannter.

Toll, warum hatte gerade die erste Stunde so scheußlich ausgesehen?

Er hätte sich keinen Kopf gemacht und erst recht nicht geheult. Genüsslich streckte er die Beine aus, rutschte tiefer in den Stuhl und verschränkte die Arme vor dem Bauch.

>Klassenfahrt, Deutschland, Tülin... ähm... Thüringen...<, ging es ihm durch den Kopf. >Freizeit, Spaß, Wälder, Berge... Seto!<

Ach ja, er war so traurig gewesen, dass er es kaum zu schätzen gewusst hatte, wie sich Kaiba doch um ihn sorgte. In was für liebevollen Händen er doch war.

Wieder richtete sich Joeys Blick auf Kaiba, der schroff an seinem Kragen rupfte.

Wenn man es recht bedachte, hatte er doch großes Glück, oder?

Und Duke... mein Gott, vor einem halben Jahr hätte sich Joey nicht träumen lassen, sich einmal so verbunden mit ihm zu fühlen. Duke wusste Bescheid und auch er sorgte sich. Joey atmete tief ein, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah aus dem Fenster.

Er machte harte Zeiten durch, doch mit dieser Unterstützung würde er sie hinter sich bringen. Es war nur eine Frage der Zeit und des Willens...

"Wie jedes Jahr auch, veranstalten wir am letzten Schultag vor den Ferien ein Fest." Frau Kandoji blätterte in ihren Unterlagen um und blickte zufrieden in die Klasse. "Die unterste Klassenstufe hat ein Theaterstück eingeprobt, die höchste Klassenstufe eine Kunstausstellung veranlasst." Die junge Frau seufzte und lehnte sich an ihr Pult. "Jetzt bleibt nur noch die Frage, was wir zu diesem Fest beitragen."

"Wir machen frei", schlug einer der Schüler vor. Ein amüsiertes Raunen ging durch das Zimmer, doch die Lehrerin stimmte es nicht zufrieden. Sie schüttelte den Kopf.

"Das ist eine ernste Angelegenheit", predigte sie. "Und uns bleibt nur noch eine Woche."

Joey ließ den Kopf sinken und knaubelte an seinen Fingernägeln. Ihn interessierte es herzlich wenig, was sie an diesem Tag machten.

"Wir können ja auch ein Theaterstück machen."

"Eine Woche?" Frau Kandoji runzelte die Stirn. "Das schaffen wir nicht."

Die Schüler begannen wild durcheinander zu quasseln. Jeder hatte einen Einfall, jeder musste ihn loswerden, jeder Vorschlag wurde nicht angenommen.

"Wir veranstalten eine Disko", kam es von hinten.

"Zu unpersönlich", erklärte die Lehrerin. "Wir müssen mit unserer Veranstaltung unsere Klassenstufe präsentieren, versteht ihr?"

"Dann singen wir was", juchzte ein Mädel.

"Nö", stöhnten die Jungs.

"Och mensch! Was seid ihr lustlos!" Das Mädel knurrte und wandte sich zickig dem Fenster zu.

Daraufhin brach eine nachdenkliche Stille in der Klasse aus. Jeder grübelte.

"Das Bedauerliche ist, dass wir keine Schulband haben", erhob Frau Kandoji nach einem langen Grübeln die Stimme. Ein zustimmendes Jammern machte sich breit.

"Eine Schulband wäre cool", stöhnte ein Junge. "Wäre toll, wenn unsere Klassenstufe das übernehmen könnte. Aber hier spielt leider keiner ein Instrument."

Joey blickte auf.

"Obwohl ein kurzes Konzert recht beeindruckend wäre." Die Lehrerin legte den Kopf schief. "Ganz egal ob Geige oder was auch immer. Etwas Instrumentales ist wirklich eine gute Idee."

"Ich spiele Akkordeon!", meldete sich plötzlich ein korpulentes Mädel zu Wort. Mit entsetzten Mienen drehten sich alle Schüler zu ihr um. Auch Joey und er zog ein furchtbares Gesicht. Oh... mein Gott! Das würde er nicht überleben!

>Schulband... Konzert!< Angespannt biss er sich auf die Unterlippe, wieder ertönte das Jammern.

"Nee..." Da waren sich die Schüler einig. Die Dicke seufzte traurig.

Langsam drifteten Joeys Pupillen höher, richteten sich unausweichlich auf Kaiba, der noch nichts zu ahnen schien und beschäftigt an seinem Ärmel zupfte.

Aber natürlich... warum war es ihm nicht schon eher eingefallen?

Ein gehässiges Grinsen zerrte an seinem Mundwinkel, seine Augen begannen zu funkeln. Dann hob er den Arm, langsam und genüsslich.

"Ich hätte da eine Idee."

Er sprach leise, beinahe schon drohend und sofort verstummten die Schüler und starrten ihn an. Sie hatten keine Ideen und kaum hatte Joey ausgesprochen, vereiste Kaiba in der Bewegung, verblieb kurz reglos und drehte sich anschließend gemächlich zu ihm um. Ihre Blicke trafen sich, Kaiba schüttelte den Kopf, sein Blick wirkte drohend. Joey jedoch gluckste leise.

"Ja, Joey?" Frau Kandoji hob erwartend die Augenbrauen und Joey holte tief Luft.

"Na ja..."

Kaiba verengte die Augen, seine Lippen formten stumme Worte. Joey konnte nicht darauf achten, dazu freute er sich zu sehr darauf.

"Es besteht doch noch die Hoffnung, eine wirklich tolle Band zu gründen, wenn auch nur für dieses Fest."

"Ach ja?" Jeder war ganz Ohr.

"Japp." Joey zeigte seine Zähnchen, oh, er liebte es, gehässig zu sein. "Es gibt hier jemanden, der spielt E-Gitarre wie kein Zweiter. Und ich glaube auch, er hätte keinerlei Scheu davor, auf eine Bühne zu steigen."

"Ach, gibt's den?" Ein Schüler sah sich suchend um, Kaiba duckte sich wie ein Löwe im hohen Gras.

"Ich glaube, Herr Seto Kaiba wäre gern dazu bereit!"

So, jetzt hatte Joey es ausgesprochen. Siegessicher sah er sich um, alle Augenpaare richteten sich nun auf den düster dreinblickenden Mann in der ersten Reihe. Dieser verdrehte erschöpft die Augen, ließ den Kopf hängen und richtete sich auf.

"Kaiba?" Die Lehrerin wirkte überrascht, so wie jeder andere auch. "Sie spielen Gitarre?"

"Ich habe nicht zugestimmt!"

"Och..." Joey ließ sich auf den Tisch sinken und streckte die Arme von sich. "Warum denn nicht...?"

"Weil ich, Joseph...", wieder drehte sich Kaiba zu ihm um, "... vielleicht Besseres zu tun habe, als Unterhaltungsclown zu spielen?"

"Hast du nicht!", murrte Joey. "Du darfst nicht arbeiten, hast

Kaiba-Corperation-Verbot für ne ganze Weile. Warum willst du es nicht machen? Wäre doch lustig."

Interessiert und gespannt verfolgten die Anwesenden das Gespräch.

"Lustig?" Kaiba verzog schmerzvoll das Gesicht. "Das ist doch...! Ich bin aus der Übung und eine Woche genügt nie, um einen Auftritt einzuproben."

"Ne, ne, ne." Entschlossen richtete sich Joey auf. "Aus der Übung bist du sicher nicht und eine Woche reicht völlig aus."

"Du musst es ja wissen." Kaiba ließ sich nicht klein kriegen. Die Augen der Schüler wechselten von dem einen zum anderen, ihre Münder standen offen. "Außerdem glaube ich, dass zu einer Band nicht nur einer gehört! Hast du daran schon einmal gedacht?"

"Och, dann suchen wir halt noch aus der Parallelklasse welche, die irgendein Instrument beherrschen." Joey winkte lässig ab.

"Ach... natürlich!" Kaiba verdrehte die Augen. "Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen? Ah ja! Weil es eine blödsinnige Idee ist?"

"Och, sei doch nicht so."

"Joseph!" Kaiba öffnete den Mund, um fortzufahren, dann jedoch schloss er ihn, verengte die Augen und wandte sich ab. "Wir sprechen uns noch!"

Joey duckte sich hinter die Bank, die Schüler seufzten.

"Dann spiele ich doch Akkordeon!", freute sich die Dicke und nun waren alle mit den Nerven am Ende. Selbst die Lehrerin war nicht begeistert.

"Also." Die unglaubliche Gerissenheit funkelte in ihren Augen auf. "Entweder Akkordeon oder ein lautes und temperamentvolles Konzert unter der Leitung von Seto Kaiba."

Augenblicklich brach schreckliches, jedoch einstimmiges Gequassel aus, Kaiba rieb sich die Stirn. Keiner wollte das Akkordeon, jeder wollte Kaiba und die E-Gitarre. Aber der wollte es scheinbar nicht. Von allen Seiten wurde er angequatscht, nur Joey hielt sich zurück. Er hatte ihm schon genug Schmerzen zugefügt.

Erst die Pausenmelodie war im Stande dazu, die Schüler zu beruhigen. Während Kaiba starr und brummend sitzen blieb, stopften sie die Bücher in ihre Taschen und sprangen auf. Frau Kandoji näherten sich Kaibas Tisch, stützte sich darauf und sah den jungen Mann inständig an.

"Treffen Sie bis morgen bitte eine Entscheidung, ja?"

"Aber triff die Richtige", flehte ein vorbeigehender Junge, der sich vor dem Akkordeon gruselte. Kaiba sah ihm giftig nach, grabschte dann nach seiner Tasche und hob sie zu sich auf den Schoß.

"Bis Morgen", brummte er dann und die Lehrerin nickte.
 

"Seto!" Hastig zog Joey seine Tasche höher, dann rannte er weiter hinter Kaiba her, der einfach losgegangen war. "Hey, Seto! Warte doch mal!"

Endlich hatte er ihn eingeholt, klammerte sich in seine Schuler und ließ den Kopf hängen, um erst einmal nach Luft zu schnappen. "Was hast du denn dagegen? Hast du etwa Angst?"

"Angst?" Kaiba lugte zu ihm. "Bitte bleib mal realistisch!"

"Okay, okay, keine Angst." Joey ließ ihn los, hob beschwichtigend die Hände und trödelte neben ihm einher. "Aber was hast du denn sonst dagegen?"

"Joseph!" Kaiba wirkte erschöpft, als er seine Schritte verlangsamte und um eine Ecke bog. "Ich würde es überleben, ein kleines Konzert zu geben."

"Ja?" Joeys Augen begannen zu leuchten. "Dann gibt es doch keine Probleme, oder?"

"Probleme gibt es zuhauf. Eine Band muss mindestens drei Mitglieder haben." Sie stiegen die Treppen hinab und traten auf den Hof hinaus. "Und ich bezweifle, dass sich in der Parallelklasse welche finden, die ein Instrument gut genug beherrschen, um mit mir spielen zu können!"

"Wer weiß?" Joey warf einen knappen Blick zur Bank, wo schon die anderen warteten. Dann griff er nach Kaibas Ärmel und zog ihn auf die kleine Gruppe zu. "Komm mit, ja? Dann können wir gleich alles besprechen."

Kaiba brummte, ließ sich jedoch ziehen.

"Es wäre der absolute Wahnsinn, wenn du auftreten würdest!" Joey hob immer weiter ab und Kaiba nahm sich fest vor, den Wahnvorstellungen des jungen Mannes ein jähes Ende zu bereiten. "Man, die werden alle völlig ausrasten! Und wenn es dir dann vielleicht doch irgendwann Spaß macht, dann kannst du auch gleich eine feste Schulband bilden und immer wieder auftreten. Und bald wirst du in der ganzen Schule Fanclubs haben und..."

"Joseph!"

"Was ist?" Kurz drehte sich der Blonde zu ihm um. "Das wäre doch toll, oder? Also ich könnte es mir richtig gut vorstellen! Dir liegt das Gitarrespielen doch, nicht wahr? Klar, es muss so sein, sonst könntest du es nicht so gut."

Er plapperte immer weiter, doch bevor Kaiba in den Abgrund der Verzweiflung stürzte, erreichten sie die Bank, wo sich sofort ein überraschter Duke an ihn wandte.

"Habe ich das richtig verstanden?" Der Schwarzhaarige runzelte die Stirn. "Du hast dich dazu bereit erklärt, auf dem Schulfest zu spielen?"

"Ich wusste gar nicht, dass du überhaupt Gitarre spielst", bemerkte Tea nachdenklich und kratzte sich am Kinn. Yugi starrte und Bakura las in einem Buch.

"Ja, er macht es, er macht es!" Joey ließ ihn los und streckte die Fäuste gen Himmel. "Das wird toll!"

Kaiba saugte an seinen Zähnen, allmählich begann ihn der Blonde zu nerven.

"Da gibt es aber doch ein Problem, oder?" Tristan stützte die Hände in die Hüften und legte den Kopf schief. "Mit wem willst du denn eine Band gründen? Ich kann mich nicht daran erinnern..."

"Ach, das machen wir schon!" Joey gluckste und stieß Kaiba in die Seite. "Irgendjemand wird sich da schon finden lassen!"

Kaiba schloss entkräftet die Augen und Joey wandte sich zur Gruppe, um seinen Fantasien weiterhin freien Lauf zu lassen. Er prappelte und faselte, juchzte und lachte. Kaiba besah sich das Spektakel nur wenige Sekunden, dann ließ er den Blick sinken und sah sich etwas auf dem Boden um. Und während Joey einen merkwürdigen Freudentanz aufführte, ging er in die Hocke, griff nach etwas und kam wieder auf die Beine.

"Joseph", sprach er den lustigen Knaben dann mit ausdrucksloser Miene an. Und als sich dieser zu ihm umdrehte, hob er einen Stock.

"Hm?" Joey hob die Augenbrauen. Auch die anderen wirkten sehr überrascht. Kaiba jedoch, blieb völlig ruhig. Mit einer gemächlichen Bewegung holte er aus und warf den Stock zur Seite. Joeys Augen verfolgten das fliegende Objekt aufmerksam, dann wandte er sich wieder an Kaiba, der ihn noch immer so merkwürdig ansah, den Arm hob und auf den Stock wies.

"Hol das Stöckchen."

"Häh? Was?" Joey war wirklich kurz davor, hinterherzulaufen. Irritiert sah er von dem Stöckchen zu Kaiba und erst dann verstand er es. "Oh... man!" Er ballte die Hände zu Fäusten, blähte die Wangen auf und wurde kurz darauf ganz rot im Gesicht. Kaiba hob lediglich die Augenbrauen und erwiderte Joeys feurigen Blick höhnisch.

"Das gibt es doch nicht!" Bevor Joey erstickte, rang er nach Atem und fuchtelte mit den Fäusten. "Und du bist auch still!", fuhr er zu Duke herum, der sich amüsiert ins Fäustchen lachte. "Wie könnt ihr euch immer noch daran erfreuen! Das ist so..."

Yugi starrte den Blonden mit großen Augen an, Tristan und Tea schmunzelten. Joey zeterte noch etwas, dann ging er seufzend in die Hocke, schlang einen Arm um die Knie und begann deprimiert im Boden zu pulen.

Und sobald er still war, wandte Kaiba ihm den Rücken zu und sich an die Gruppe. Duke wischte sich die Tränen aus den Augen, ächzte und nahm dann wieder Ernsthaftigkeit an, soweit es möglich war.

"Man!", drang ein Fauchen an die Ohren aller. Doch nur Yugi warf Joey einen mitleidigen Blick zu.

"Also." Kaiba verschränkte die Arme vor dem Bauch. Nun klang seine Stimme wieder gelangweilt und lustlos. "Jetzt, wo wir ungestört reden können... gibt es hier vielleicht jemanden, der irgendein Instrument beherrscht?"

Yugi, Tea, Duke und Tristan wechselten Blicke, Bakura knaubelte träge an seinen Fingernägeln und stupste Joey immer wieder mit dem Fuß an, der daraufhin ächzte und in sich zusammen kroch.

"Na ja", ergriff Duke nach einem kurzen Grübeln das Wort. "Ich spiele Gitarre, hab es nicht gelernt, klimpere nur drauf herum, wenn mir langweilig ist."

"Ach." Tristan hob die Augenbrauen. "Das wusste ich ja gar nicht."

"Siehste mal", grinste Duke.

Kaiba jedoch war damit nicht zufrieden. Lustlos schweifte sein Blick durch die Runde.

"Noch jemand?"

"Nö."

"Ich glaub nicht."

"Ich kann aber singen und tanzen." Tea streckte den Arm und sofort befiel Kaiba die Freude.

"Na toll, dann gibt es ja gar keine Probleme mehr! Einer spielt Gitarre, einer klimpert nur und ein Mädel hüpft singend und tänzelnd über die Bühne!"

"Ja." Duke legte einschätzend den Kopf schief. "Besonders toll ist das nicht."

"Wie Recht du hast!" Somit wandte sich Kaiba ab, blieb neben Bakura stehen und stieß Joey ebenso mit dem Fuß an. "Da hast du deine tolle Band, Joseph. Optimismus zahlt sich nicht immer aus."

"Aber...", langsam richtete sich Joey auf und Kaiba erblickte ein flehendes Gesicht. "Vielleicht gibt es aus der Parallelklasse noch jemanden, der..."

"Oh ja." Duke rettete den Tag. "Da gibt es einen Streber, der spielt Flöte."

"Okay, jetzt entschuldigt mich." Damit war die Sache für Kaiba beendet. Er wühlte in seiner Tasche, zückte das Handy und wollte abhauen, doch da kam Joey auf die Beine.

"Seto! Ich würde wirklich alles dafür tun, damit du auftrittst!"

Überrascht starrten die Freunde auf den Blonden und Kaiba hielt wirklich inne. Er blieb einfach stehen und verharrte einige Momente in einer reglosen Haltung. Er schien zu grübeln. Angespannt und flehend trat Joey von einem Bein auf das andere. Auch die Anderen warteten auf eine Antwort und die erhielten sie. Langsam drehte sich Kaiba zu ihnen um, hinterlistige Augen kamen zum Vorschein, die sich verstohlen auf Joey richteten.

"Wirklich alles?"

Joey nickte hastig.

"Okay." Plötzlich wirkte Kaiba so entschlossen, dass es den Anwesenden Angst machte. In sicheren Schritten kehrte er zur der Clique zurück, gestikulierte mit dem Handy und sah in die Runde. Joey war Feuer und Flamme, so glücklich und begeistert.

"Wenn ihr wollt, dass aus diesem Auftritt etwas wird, dann erwarte ich euch heute sechzehn Uhr in der großen Festhalle der Schule. Und ich meine wirklich alle!"

Bakura hob die Augenbrauen, sah sich irritiert um und wies mit dem Finger auf sich.

"Was...? Ich auch?"

"Ja, du auch!" Duke stieß ihm unauffällig in die Seite.

"Höm... aber ich muss lern..."

"Den Teufel musst du!" Duke lachte, legte den Arm um die Schulter des jungen Mannes und verwuschelte sein Haar. "Baku und ich sind dabei!"

"Aber..."

"Scht!"

"Ja, ich auch." Yugi strahlte.

"Und ich erst!", juchzte Tea.

"Klar." Tristan pulte sich im Ohr und Joey nickte hastig.

"Ich auch!"

"Gut." Noch immer schmunzelte Kaiba auf diese hinterhältige Art und Weise. "Ich opfere hier meine kostbare Zeit. Also erwarte ich, dass wirklich alle kommen."
 

Überpünktlich betrat Joey das leere Schulgebäude, schulterte seine Tasche neu und schlenderte durch die Gänge. Hoffentlich hatte Kaiba alles mit der Lehrerin abgesprochen, sonst würden sie Ärger bekommen.

Geschwind sprang er die Stufen hinauf, bog um die Ecke und schob eine große Schwingtür auf, die zu der Festhalle führte. Neugierig streckte er den Kopf hinein und erspähte Yugi, der auf einem der Stühle saß und die Beine baumeln ließ, Bakura, der mit ein Schulbuch vertieft, in einer Ecke hockte und Tristan, der etwas unentschlossen umherschlenderte. Schnell wurde er bemerkt.

"Hallo Joey!" Yugi winkte und der junge Mann trat ein.

Die Halle war sehr groß, um die zweihundert Zuschauer fanden hier Platz. Am hinteren Ende der Halle befand sich eine schöne hölzerne Bühne, die mit einem langen roten Vorhang abgeschottet wurde, wenn niemand sie benutzte.

"Seto schon da?" Joey sah sich kurz um, erreichte Yugi und warf die Tasche auf einen der anderen Stühle.

"Nein." Tristan schüttelte den Kopf. "Auch Duke und Tea fehlen noch."

"Na hoffentlich kommen sie noch." Joey warf einen flüchtigen Blick auf seine Uhr, schwang sich auf einige Sportmatten, die aufgestapelt in einer Ecke lagen und streckte die Beine von sich. "Sonst stänkert er."

"Was er jetzt wohl mit uns vor hat?", fragte sich Tristan grüblerisch. "Ich meine, mit zwei Gitarristen können wir nicht viel anfangen."

"Hm, stimmt." Joey legte den Kopf schief.

"Sicher ist Kaiba doch noch etwas eingefallen, das uns alle rettet." Da war sich Yugi sicher. "Er hat doch immer solche tollen Gedankenblitze, oder?"

In dieser Sekunde schwang die Tür erneut auf und Tea tänzelte herein. In einem modischen Minirock und einem grünen Top blieb sie stehen, streckte die Arme von sich und lachte heiter.

"Na, wie sehe ich aus?"

Die drei Jungs legten den Kopf schief, Bakura versteckte sich hinter dem Buch.

"Sehr schick."

"Hoffentlich lässt mich Kaiba singen oder tanzen!" Schwärmerisch trat sie näher und da teilte Joey ihre Meinung.

"Zwei Gitarristen und eine Sängerin reichen doch", meinte er. "Dann ist die Band ja perfekt."

"Ach meinst du?" Tristan verzog skeptisch die Augenbrauen.

Kurze Zeit später traf auch Duke ein. Und alle staunten, als sie eine hübsche Westerngitarre auf seinem Rücken erspähten.

"Hallö." Während begeisterte Blicke an ihm hafteten, schwang er sich die Gitarre von der Schulter, griff sie am Hals und blieb bei den Anderen stehen.

"Wow." Tristan weitete die Augen, Tea gluckste vorfreudig und Joey wiegte sich in Sicherheit. Sicher konnte Duke ganz toll spielen, Kaiba wäre zufrieden und dann könnten sie nachhause gehen. Kaiba würde mit Duke und Tea arbeiten und sie könnten Däumchen drehen.

Das war eine Vorstellung!

Während Joey begeistert hin und herwippte, sah Duke sich um.

"Einer fehlt noch", bemerkte er, nachdem er Bakura erspäht hatte, der mit alledem scheinbar nichts zu tun haben wollte. "Vielleicht hat er uns ja alle reingelegt, um sich an uns zu rächen?"

"Wofür denn?", stöhnte Joey.

"Für die Nerven die du ihm geraubt hast?", schlug Duke vor.

Joey schnitt ihm eine Grimasse.

"Er kommt schon noch." Tea warf einen kurzen Blick auf ihre Uhr. "Es ist erst drei vor um."

"Dann wird er erst in drei Minuten eintrudeln." Joey ließ sich nach hinten fallen und streckte sich auf den Matten aus. "Er ist immer auf die Minute pünktlich."
 

Und wirklich. Punkt sechzehn Uhr öffnete sich die Tür erneut und Kaiba trat ein. Auch er hatte seine Gitarre dabei, sicher in einem Gitarrenkasten verstaut. Er nickte den Anwesenden knapp zu, bat sie mit einer Kopfbewegung, ihm zu folgen und schlenderte zur Bühne.

"Aufstehen!", machte er auch die Leseratte auf sich aufmerksam, legte den Kasten auf der Bühne ab, schwang sich hinauf und setzte sich. Er ließ die Beine baumeln, verschränkte die Arme vor dem Bauch und sah die Teilnehmer zögerlich näher treten.

Niemand wusste, was ihn erwartete.

In sicherer Entfernung hockten sich Duke, Joey und Tristan auf den Boden. Tea und Bakura blieben stehen und warteten gespannt.

"Also gut." Kaiba holte tief Luft, sah in die Runde und runzelte die Stirn. "Ich habe mir jetzt lang genug darüber Gedanken gemacht und glaube, endlich eine Lösung gefunden zu haben."

Joeys Gesicht erstrahlte.

Er hatte es gewusst! Das Schulfest war gerettet.

Kaiba machte eine kurze Pause, um die Reaktionen zu mustern, dann griff er in seinen Mantel, zog ein Blatt Papier hervor und faltete es auseinander. Dann vertiefte er sich in den Zettel, wippte mit den Beinen und ließ sie eine ganze Zeit warten. Joey wechselte triumphierende Blicke mit Tristan. Teas Finger begannen zu jucken und Yugi starrte auf Kaiba, der vor ihnen saß und sich nun das Kinn rieb.

"Bevor ich zu den Kleinigkeiten komme, sage ich euch, wer zur Band gehört."

Tea ballte beide Hände zu Fäusten und drückte sie sich voller Vorfreude gegen die Brust. Auch die anderen waren sehr gespannt, neigten sich leicht nach vorn, als Kaiba Luft holte.

"Da wäre erst einmal ich", begann er dann zu murmeln, alle nickten hastig. "Dann gibt es noch Duke, Taylor und Gardner. Mûto und Bakura werden das Technische und die Organisation übernehmen."

Damit waren alle zufrieden.

Selbst Joey war glücklich, dass sein Name nicht gefallen war. Verwunderte Blicke trafen ihn, doch er grinste heiter und streckte die Beine von sich.

"Ach, Joseph", wurde er dann jedoch von Kaiba aus den Gedanken gerissen. Gutgelaunt blickte er auf und Kaiba klappte den Zettel zu, lehnte sich nach vorn und zwinkerte ihm zu.

"Du wirst den wichtigsten Part der Band übernehmen."

"Wa... was?" Joey traute seinen Ohren nicht. "Ich soll was?"

Tristan, Tea und Duke lachten, Kaiba nickte.

"Genau, das sollst du."

"Aber ich spiele doch gar kein Instrument!" Joey versuchte alles, um sich zu drücken. Doch auch dieses Problem schien Kaiba gut durchdacht zu haben.

"Aber wir haben doch eine ganze Woche", beruhigte er ihn sarkastisch. "Das ist doch eine unglaublich lange Zeit. Hast du das nicht selbst gesagt?"

"Aber eine Woche reicht nie, um ein Instrument zu erlernen!" Joey blähte die Wangen auf. "Das funktioniert doch nie!"

"Wer sagt denn, dass du ein Instrument lernen sollst?" Kaiba verdrehte die Augen und winkte ab. "Du musst dir lediglich das Wichtigste einprägen. Außerdem habe ich dir ein nicht allzu schweres Instrument ausgesucht."

"Trommel? Triangel?" Joey verzog die Augenbrauen.

"Nein." Kaiba grinste so sehr, das seine weißen Zähne zum Vorschein kamen. Dann erhob er sich geschwind, schlenderte über die Bühne und griff gemächlich nach dem Seil, mit dem man den Vorhang bewegen konnte. Und ohne zu zögern zog er daran und der Vorhang öffnete sich. Sofort richteten sich Joey, Tristan und Duke auf. Ihre Augen suchten erwartungsvoll nach dem Instrument. Und schon, als sich der Vorhang in der Mitte öffnete, erspähten sie es. Duke hob die Augenbrauen, Tristan legte den Kopf schief und Joey hielt die Luft an. Tea quiekte leise auf und Bakura kratzte sich am Kopf.

"Du hast Recht, Kaiba." Yugi nickte in hastiger Zustimmung. "Das gehört zu jeder ordentlichen Band!""

Während Joey noch immer gaffte und Tristan und Duke die Köpfe zusammensteckten, ließ sich Kaiba auf seinem alten Platz nieder.

"Was hast du erwartet?", erkundigte er sich, als er wieder bequem saß. "Dachtest du wirklich, du kannst uns die ganze Arbeit überlassen und Däumchen drehen, obwohl du alles angezettelt hast?"

Joey brummte etwas Undefinierbares und ließ sich wieder auf dem Boden nieder.

"Das ist zwar ein cooles Instrument, aber es ist sehr schwer zu erlernen. Ich hatte mal einen Kumpel, und der hat..."

"Joseph!" Kaiba verzog schmerzvoll das Gesicht. "Du wirst nur das lernen müssen, was wir für den Song brauchen, den ich für geeignet halte."

"Okay, okay..." Joey seufzte und machte sich klein. "Ich habe wohl keine andere Wahl."

"Joey am Schlagzeug!" Tea seufzte ebenfalls. "Das kann ich mir richtig gut vorstellen."

"Wo hast du das her?", erkundigte sich Duke.

"Hat uns die Schule zur Verfügung gestellt“, antwortete Kaiba und wandte sich wieder seinem Zettel zu. "Also, gehen wir erst einmal das Wichtigste durch. Eine Woche ist schnell vorbei." Er warf Joey einen flüchtigen Blick zu und lehnte sich zurück. "Wir werden jeden Tag proben müssen, um es zu bewerkstelligen. Heute wird sofort angefangen."

Niemand widersprach.

"Ich habe mich zu Folgendem entschieden." Kaiba biss sich grüblerisch auf die Unterlippe, starrte noch immer auf das Blatt. "Joseph spielt das Schlagzeug, das wir am meisten brauchen. Duke und ich sind die Gitarristen."

"Oky Doky." Duke grinste.

"Taylor ist der dritte Gittarist, der nur Bass im Hintergrund spielt."

"Ach?" Der Angesprochene hob die Augenbrauen und Kaiba nickte beschäftigt.

"Sind nur wenige Griffe."

"Okay."

"Gardner singt Background."

"Juchhu!" Das Mädchen freute sich. "Und darf ich auch tanzen?"

"Nein."

"Auch gut." Tea verschränkte die Arme vor dem Bauch.

"Sie singt Background?" Duke runzelte die Stirn. "Heißt das, dass es auch einen Frontsänger geben wird?"

"Ja."

Das war eine Schwachstelle!

Sofort brach eisiges Schweigen aus, verunsicherte Blicke wurden gewechselt. Kaiba überflog noch seinen Zettel, während die anderen etwas zappelig wurden.

"Und...", Tristan schöpfte Mut, "… wer soll den Frontsänger machen?"

"Tja, das weiß ich noch nicht." Kaiba zuckte lässig mit den Schultern und ließ das Blatt sinken. "Jeder von uns, ich ausgeschlossen, wird nachher vorsingen. So werden wir es schnell entscheiden."

"Aber ich kann nicht singen!", riefen Joey, Tristan und Duke wie aus einem Munde und Kaiba verdrehte die Augen.

"Ich singe freiwillig!", meldete sich Tea zu Wort.

"Nein!", erhielt sie dieselbe entschlossene Antwort.

"Warum nicht?"

"Weil wir keine Frauenstimme für diesen Song brauchen." Kaiba stopfte das Blatt in seinen Mantel zurück, zog ihn aus und warf ihn zur Seite. Joey seufzte leise, kam auf die Beine und kletterte auf die Bühne, um das Schlagzeug einmal unter die Lupe zu nehmen. Musternd und schätzend trödelte er näher, verschränkte die Arme und legte den Kopf schief. Währenddessen begannen Yugi und Bakura leise zu schwatzen, Duke stimmte seine Gitarre und Tristan übte sich im Spielen einer Luftgitarre. Jetzt war also alles geregelt. Während Joey sein Instrument beschnupperte, gesellte sich Kaiba zu Duke. Kurze Zeit später konnte man sie beide auf dem Boden hocken und ihre Gitarren stimmen sehen. Noch etwas unentschlossen zog Joey zwei Schlegel aus einer kleinen Halterung.

Mein Gott, da gab es ja alle möglichen Arten. Da gab es sogar welche, die sahen wie Pinsel aus. Er besah sich alle konzentriert und grübelte. Währenddessen gesellten sich Tea und Tristan zu den beiden Gitarristen und lauschten den kurzen Klängen. Es vergingen ungefähr fünf Minuten, da erhoben sich Duke und Kaiba, tauschten kurz die Gitarren aus und unterhielten sich anschließend über alle möglichen Noten und Griffe.

"Dafür, dass du nur ‚klimperst’, weißt du erstaunlich viel", meinte Kaiba letzten Endes, nahm die eigene Gitarre wieder an sich und schlenderte zur Bühne.

"Ich bitte um Aufmerksamkeit!", rief er, als er wieder auf die Bühne stieg und sich suchend umblickte. Joey wandte sich von dem schwarzen Schlagzeug ab. "Mit den Proben und dem Lernen befassen wir uns erst, nachdem wir einen passenden Sänger gefunden haben."

"Puh." Joey saugte an seinen Zähnen, ließ die Hände in die Hosentaschen rutschen und sprang neben Kaiba von der Bühne, um den anderen Gesellschaft zu leisten. Dort hockte er sich neben Tristan auf den Boden und setzte sich in einen gemütlichen Schneidersitz. Kaiba sah sich noch immer um, brummte leise, legte die Gitarre in den Kasten zurück und klemmte sich ein Plektrum zwischen die Lippen. Dann winkte er Duke heran.

"Ich brauche deine Gitarre."

Bereitwillig reichte Duke sie ihm und somit ließ sich Kaiba nieder, baumelte mit den Beinen und bettete das Instrument auf dem Oberschenkel. Er spielte sich kurz ein, klemmte sich das Plektrum zwischen Daumen und Zeigefinger und blickte in die Runde.

"Ich bitte um Lieder, die jeder kennt", warnte er. "Alles kann ich nicht."

Bekannte Lieder gab es zwar zuhauf aber niemanden, der sie hier und jetzt singen wollte. Duke, Tristan und Joey regten sich nicht von der Stelle. Sie sahen sich unauffällig um und würden sich am liebsten unsichtbar machen. Kaiba jedoch hatte keine Geduld.

"Taylor! Abmarsch!"

"Okay." Stöhnend erhob sich der junge Mann und näherte sich zögerlich der Bühne. "Ich kann aber nicht singen..."

"Das werden wir schon früh genug herausfinden." Kaiba fuchtelte mit der Hand. "Da muss irgendwo ein Mikrophon herumliegen."

Tristan schwang sich auf die Bühne, sah sich kurz um und holte dann ein Mikrophon samt Ständer hinter einer Vorhangfalte hervor. Diesen stellte er weiter hinten auf, zog das Mikrophon aus der Halterung und sah sich nervös um. Man, er hätte sich nie träumen gelassen, eines Tages zum singen gezwungen zu werden! Aber solange er sich nur vor seiner Clique und Kaiba blamieren musste, ging es noch.

"Song?" Auch Kaiba setzte sich in einen gemütlichen Schneidersitz.

"Ähm... konnichiwa koibito mirai." Antwortete Tristan nach kurzem Grübeln und Kaiba grübelte kurz, bevor er nickte. Es wäre nicht passend gewesen, hätte er seine E-Gitarre zum Donnern gebracht. Diese Westerngitarre hingegen, war perfekt und er handhabte sie gut. Er stimmte den Song an, als Tristan jedoch einen Ton von sich gab, stoppte er sofort.

"Laut und deutlich", ermahnte er den Sänger und dieser ließ den Kopf hängen.

"Ich habe doch gesagt, dass ich nicht singen kann!"

Kaiba achtete nicht auf das Gejammer und begann erneut zu spielen. Er ließ Tristan aber nur eine Strophe singen, dann richtete er sich von der Gitarre auf und sofort verstummte Tristan.

"Du musst dir keine Sorgen mehr machen." Kaiba lugte zu ihm.

"Sag ich doch." So schnell wie nur irgend möglich, machte Tristan, dass er von der Bühne runterkam. Unten warf er sich neben Joey und grinste triumphierend.

"Hast du übertrieben oder singst du immer so schlecht?", flüsterte dieser provokant.

"Ich singe immer so schlecht", versicherte Tristan voller Stolz zu. "Wenigstens kann ich mich jetzt mit der Gitarre zurückziehen, bis mich niemand mehr auf der Bühne sehen kann."

"Pah!" Joey zog eine Grimasse und Duke erhob sich.

"Ich singe sabishii megami", erklärte er, als er neben Kaiba auf die Bühne stieg.

"Bitte was?", fragte dieser. "Kenne ich nicht."

"Na, dann versuche ich mal mein Glück." Duke ließ sich die Gitarre geben, hockte sich auf die Bühne und tat sein Bestes. Das Spielen gelang ihm recht gut, doch der geborene Star war auch er nicht. Es klang zwar nicht so schrecklich, wie bei Tristans prunkvollem Auftritt aber dennoch meinte Kaiba, es würde nicht genügen und damit war Duke mehr als zufrieden.

Triumphierend gab er das Instrument an Kaiba zurück und gesellte sich wieder nach unten auf den Boden, wo ein Blonder mit einem unglaublich langen Gesicht kauerte.

"Komm schon." Duke schlug ihm gegen die Schulter. "Wir haben unseren Teil geleistet. Jetzt darfst du."

"Und was ist, wenn ich nicht will?", flüsterte Joey drohend.

"Ich glaube nicht, dass es Kaiba interessiert." Duke konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. "Jetzt mach, dass du auf die Bühne kommst."

"Ich kann es auch gerne für dich übernehmen", flüsterte Tea, die plötzlich hinter ihm stand und breit lächelte. "Ich würde echt gern und..."

"Joseph!", ertönte da eine genervte Stimme und der Blonde zuckte zusammen. Nun gab es also kein Zurück mehr. Er ächzte leise, richtete sich schwächlich auf und wackelte auf den Ort des Grauens zu. Er ließ die Schultern hängen, schlenkerte mit den Armen und zog ein wirklich bemitleidenswertes Gesicht, was Kaiba aber keineswegs berührte. Mit einer knappen Kopfbewegung bat er ihn, hinaufzusteigen und seine Pflicht zu tun.

Und während er sich dann auf die Bühne quälte, nach dem Mikrophon griff und sich hilfesuchend umblickte, ließen sich auch Tea, Bakura und Yugi nieder, um den Auftritt genau verfolgen zu können.

Nervös schob er das Mikrophon in die Halterung zurück, legte beide Hände über den schlanken Schaft und atmete tief ein. Mann, das war jetzt so unerwartet gekommen! Er hätte sich wenigstens darauf vorbereiten können. Man musste sich nicht wundern, wenn er jetzt wundervoll versagte und die Zuhörer zum Weinen brachte!

"Sayounara koishii", sagte er dann und traf flüchtig auf Kaibas Blick, der etwas überrascht wirkte. Auch die Anderen legten den Kopf schief.

"Echt jetzt?" Tristan runzelte die Stirn.

"Ja, doch!" Joey nickte hastig. "Jetzt mach, bevor ich wegrenne!"

Kaiba zuckte mit den Schultern, wandte sich der Gitarre zu und legte das Plektrum zur Seite. Für diesen Song benötigte er es nicht. Er entsann sich kurz der Töne, griff in die Bünde und begann an den Saiten zu zupfen. Diesen Song hatte er oft gespielt, auch mit der E-Gitarre klang es gut. Es war ein melancholisches Lied, genau wie das, das er für den Auftritt geplant hatte. Es entstand eine langsame, schwermütige Melodie. Eine Melodie, die eine ungeheure Tragik zum Ausdruck brachte und die Zuhörer mit nur wenigen Klängen in ihren Bann zog. Joey hatte nun die Augen geschlossen. Zögerlich trat er näher an das Mikrophon heran, umklammerte es fester und atmete tief ein. Oh, wie er dieses Lied liebte!

Er wusste nicht, dass es somit eine weitere Eigenschaft gab, die ihn mit Kaiba verband. Er lauschte der Melodie konzentriert und wartete auf die Stelle, an der er einsetzen musste. Das kurze Vorspiel ging schnell dem Ende zu, in Joey wuchs die Nervosität. Und dann war es so weit. Ein heller Ton klang aus, eine kurze Pause setzte ein. Und mit dem nächsten Ton, der nach knapp drei Sekunden ertönte, begann er zu singen. Es war ein langsamer Text, bei dem man besonders darauf achten musste, nicht ins Leiern zu geraten. Den ersten Ton hielt er gekonnt aufrecht. Er sang ihn aus, sprang dann auf eine höhere Melodie um und begann genüsslich die Geschichte einer Familie zu erzählen, die auseinanderbrach. Kaiba begleitete ihn gut, Gesang und Melodie stimmten perfekt überein und die Zuhörer saßen mit offenem Mund da und wagten es nicht, sich zu bewegen. Während der gesamten ersten Strophe behielt Joey die Augen geschlossen, seine Hände entspannten sich allmählich und eine wohlige Ruhe durchflutete seinen Körper. Er verschmolz mit dem leisen Gesang der Gitarre, setzte dann kurz aus und wandte sich dem Refrain zu, den er wieder in einer anderen Tonlage bewerkstelligen musste. Er hätte nicht geglaubt, dass ihm das so wenig Schwierigkeit machen würde. Er senkte die Stimme automatisch, versang sich nicht und geriet auch nicht aus dem Tempo. Als er den Refrain dann beendete und dem leisen Zwischenspiel lauschte, öffnete er die Augen einen Spalt weit und lugte zu Kaiba. Dieser hatte sich tiefer über die Gitarre geneigt, beherrschte sie sicher und schien gleichermaßen wie in Trance zu sein. Mit geschlossenen Augen griff er in die Bünde, zupfte an den Saiten und ließ die Hand geschwind über den langen Hals der Gitarre gleiten. Vermutlich wollte er das Lied zu Ende spielen. Na gut? Auch Joey schloss die Augen, holte tief Luft und wandte sich der zweiten Strophe zu, die er ebenso fehlerfrei und klangreich bewältigte. Einen zweiten Refrain gab es nicht und so senkte Joey bald die Stimme, ließ den Kopf sinken und trat einen kleinen Schritt zurück, um Kaiba das Ende des traurigen Liedes zu überlassen. Dieser brachte eine wundervolle Melodie zustande, kratzte die unterste Seite lediglich mit dem Fingernagel an und ließ den hohen Ton ausklingen.

So, jetzt hatte Joey es hinter sich. Er stieß einen erleichterten Atemzug aus, ließ die Hände von dem Mikrophon rutschen und richtete sich auf. Auch Kaiba begann sich zu regen, die Anderen jedoch, saßen noch immer stocksteif auf dem Boden und starrten. Joey warf ihnen nur einen flüchtigen Blick zu und konzentrierte sich dann auf Kaiba, der mit den Fingern über den Gitarrenrücken trommelte, einatmete und sich dann ebenfalls an ihn wandte.

"Gibt es noch etwas, das du mir sagen möchtest?", fragte er und Joey hob irritiert die Augenbrauen.

"Höh?"

"Du hast uns total verarscht!" Auch Tristan fand zur Sprache zurück und Joey verstand überhaupt nichts mehr. Jetzt hatte er sich solche Mühe gegeben und wurde angemeckert? "Zuerst jammerst du herum, von wegen du kannst nicht singen, und dann so etwas!"

"Häh?"

"Warum hast du nicht gesagt, dass du dafür Talent hast?", erkundigte sich Duke. "Man, dann wäre uns diese Überraschung erspart geblieben!"

"Was?"

"Ja, genau! Da machen sich die Beiden zum Schlumpf und du sagst nichts!", warf Tea empört ein.

"Schlumpf?", ächzten Duke und Tristan empört.

"Da kannst richtig toll singen, Joey!" Yugi strahlte.

Bakura bückte sich und wischte eine Fussel von seiner Hose.

"Hey... Leute...?" Joey sah sich verzweifelt um. "Was soll denn das? Habe ich etwas falsch gemacht?"

"Nein, das ist es ja gerade." Tristan verdrehte die Augen ließ sich nach hinten fallen. "Man, so ein Schock!"

"Aber ehrlich!" Duke stöhnte und leistete Tristan Gesellschaft.

Tea schüttelte entrüstet den Kopf und Bakura kratzte sich an der Stirn.

"Jedenfalls steht fest, wer der Frontsänger ist." Kaiba legte die Gitarre zur Seite und rutschte mit einem Schwung von der Bühne.

"Bitte was?" Joey erschrak.

"Was hast du denn erwartet, Joey?" Yugi verstand das Entsetzen des Blonden nicht. "Du kannst gut singen, warum solltest du es also nicht machen?"

"Weil ich schon Schlagzeug spiele?" Joey trat hinter dem Mikrophon hervor und gestikulierte mit den Händen. "Wie soll ich das denn alles schaffen?!"

"Wer so gut singen kann, schafft das schon", murmelte Tristan. "Man, so ein Schock!"

"Aber ehrlich!" Duke schüttelte den Kopf und streckte die Beine von sich.

"Jetzt hört aber mal auf!" Joey sprang von der Bühne und sah Kaiba nach, der sich vor seine Gitarre hockte, nach ihr griff und nach irgendetwas suchte. Er war wohl beschäftigt, konnte ihn also nicht verteidigen.

Joey schnitt eine Grimasse, verschränkte die Arme vor dem Bauch und trat einen kleinen Ball zur Seite, der verloren irgendwo herumlag.

Kurze Zeit später stellte Kaiba ihnen den Song vor, den er gewählt hatte und leistete sich anschließend ein wundervolles Zusammenspiel mit Duke. Dieser hatte seine kleinen Problemchen mit den Noten, doch nach ein paar Übungen bekamen sie ein wunderschönes Stück zu Stande. Tristan, Yugi und Tea saßen auf dem Boden und schunkelten, ganz mitgerissen von der langsamen und traurigen Melodie. Bakura stand etwas verloren dahinter und Joey hatte sich wieder auf die Matten gehockt, um die Beine ordentlich baumeln zu lassen.

"Ich habe es etwas umgeändert, damit er besser passt." Als das Stück vorbei war, ließ Kaiba die Gitarre sinken und nickte Duke flüchtig zu. "Es beginnt langsam, leise und melancholisch. Hey, Joseph! Verstehst du mich von da hinten gut genug? Es ist wichtig, was ich sage, vor allen für dich, den Sänger."

"Kay." Der Blonde rollte mit dem Kopf, rutschte von den Matten und schlenderte näher.

"Also." Kaiba legte die Gitarre zur Seite, setzte sich in Schneidersitz und stützte sich auf die Knie. "Es ist bereits alles geplant, ich sage euch jetzt, wie es genau vonstatten gehen wird, damit wir morgen gleich mit Instrumenten und Gesang beginnen können."

"Oje." Tristan duckte sich.

Joey pulte sich im Ohr.

"Joseph beginnt Solo mit der ersten Strophe, Duke begleitet ihn dabei. Die Lautstärke hebt sich erst bei dem Refrain. Kurz vor diesem setzt das Schlagzeug ein. Wenn er beginnt, beginnen auch Taylor und ich zu spielen. Wir singen den Refrain außerdem alle zusammen."

"Juchu!" Tea streckte triumphierend die Arme von sich.

Tristan verzog schmerzvoll das Gesicht. "Ich kann aber nicht..."

"Wenn wir alle singen, wird man die einzelnen Stimmen nicht beachten können", unterbrach Kaiba ihn merkwürdig geduldig. "Hinzukommend werden die Instrumente genug Lärm erzeugen. Wir werden laut singen, dem langweiligen Schnulzensong etwas mehr Pep verabreichen. Na gut." Kaiba rieb sich die Stirn. "Die zweite Strophe überlassen wir wieder Joseph. Das Temperament muss sich sofort nach dem Refrain verlieren. Nach der zweiten Strophe spiele ich ein Solo, danach wieder der Refrain. Die Kleinigkeiten morgen." Mit diesen Worten lange er nach dem Koffer und zog einige Blätter hervor. Diese reichte er Duke und dieser überflog sie kurz, bevor er von der Bühne rutschte und sich zu den anderen gesellte. "Das ist der Text", kommentierte Kaiba. "Lest ihn selbst, hab keine Lust."

"Bitteschön." Duke teilte sie aus und die kleine Gruppe vertiefte sich sofort in die Blätter. Sie saßen da und lasen, ganz wie der Meister es befohlen hatte.

Joey verzog öfter die Augenbrauen, geschwind schweiften seine Pupillen über die Zeilen.

"Man, ist der Text traurig."

"Und so poetisch." Tea schniefte geschauspielert und schüttelte den Kopf. "Hoffentlich fange ich nicht an zu heulen."

"Du kannst ja so gut planen, Kaiba!" Mit leuchtenden Augen blickte Yugi auf. "Was wären wir nur ohne dich!"

"Die Planung ist das Wichtigste, wenn man eine Firma zu leiten hat", antwortete Kaiba nur und kam auf die Beine. "Hat eine halbe Stunde meiner kostbaren Zeit gefordert, um das vorzubereiten."

"Eine halbe Stunde." Duke nickte beeindruckt. "Das schreit nach einer Medaille."

"Hauptsache ist, dass wir es in einer Woche bewerkstelligen." Kaiba griff nach seiner Gitarre und verstaute sie in dem Kasten.

Die Gruppe erhob sich gemächlich und begann sich über den Text zu unterhalten. Joey las ihn ein zweites Mal, während Kaiba vor dem Koffer hocken blieb und in ihm wühlte. Theatralisch rezitierte Tea den Text des Songs, dabei schritt sie stolz durch den Saal und gestikulierte mit der Hand.

"Das klingt echt poetisch!", bemerkte Tristan nach kurzer Zeit und kratzte sich den Nacken.

"Warum hab ich keinen Zettel bekommen?", erkundigte sich Yugi gekrängt und gesellte sich zu Duke, um bei ihm zu lesen.

"Weil du nicht auf der Bühne stehst?", erwiderte dieser rätselnd.

Und während dann die Gespräche weitergingen, die sich rund um den Auftritt drehten, schwang sich Joey auf die Bühne, näherte sich Kaiba von hinten und hockte sich auf die Knie. Leise legte er das Blatt ab, ließ sich nach vorne fallen und machte es sich auf dem Rücken des jungen Mannes gemütlich. Dieser hielt in den Bewegungen kurz inne, lugte zu ihm und runzelte die Stirn.

"Könntest du das lassen?", murrte er leise und wühlte weiter.

Joey überhörte es einfach, schmiegte sich an ihn und schloss die Augen.

"Ist mit dir alles in Ordnung?", erkundigte er sich.

"Was sollte nicht in Ordnung sein." Kaiba brummte leise und wühlte weiter. "Ich fühle mich nur etwas überrumpelt, genau wie der Rest deiner Freunde."

"Warum?" Joey öffnete die Augen.

"Du jammerst doch immer, dass du kein Talent hast, dass du nichts könntest. Du machst dich selbst runter und dabei bist du... wo zur Hölle ist das Plektrum?" Er griff nach der Gitarre und hob sie an.

"Und was?", nuschelte Joey.

"Was? Ach... und dabei hast du so viele Talente. Warum hast du mir nie gesagt, dass du außerordentlich gut singen kannst?"

"Ist doch nicht wichtig." Joey zuckte mit den Schultern. "Die Stimme zeichnet einen Menschen doch nicht aus."

"Hm."

"Was hm?" Noch immer machte Joey keine Anstalten, sich von Kaiba zu lösen. Er blieb einfach da liegen und es schien ihm gleichgültig zu sein, ob noch andere dabei waren. Kaiba schien seine Meinung aber nicht zu teilen.

"Jo-seph!"

"Was ist?"

Kaiba stöhnte und gab die Suche auf.

Und endlich verstand Joey. Er hob den Kopf um ein Stück, hob überrascht die Augenbrauen und runzelte anschließend die Stirn.

"Ach, du weißt es ja noch gar nicht."

"Was bitte soll ich nicht wissen?" Kaiba schloss den Koffer hakte die Blättchen ein.

"Na ja..." Joey machte es sich wieder auf seinem Nacken bequem. "Du weißt, dass ich meine Clique über alles liebe."

"Hm." Kaiba schob den Koffer zur Seite.

Vielleicht lag das Plektrum ja darunter? Doch nichts da.

"Und als Freunde sagen wir uns auch alles."

"Ja, und?" Langsam wurde Kaiba ungeduldig. Wo war dieses verfluchte Ding?

"Kannst du es dir denn nicht denken?", hakte Joey nervös nach. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, es auszusprechen.

"Joseph!" Am Ende der Kräfte ließ Kaiba den Kopf hängen. "Wenn du mir irgendetwas zu sagen hast, dann tu es und rede nicht drum herum. Das tut dir nicht gut und meine Nerven werden nebenbei auch noch strapaziert."

"Okay, okay... ich sag's, aber du musst mir versprechen, nicht böse zu werden."

"Kommt drauf an." Kaiba kratzte seine letzten Kräfte zusammen und sah sich erneut nach dem Plektrum um.

"Na gut." Nervös biss sich Joey auf die Unterlippe, schloss die Augen und verzog das Gesicht. "Du weißt ja, dass ich meinen Freunden nichts vorenthalten will. Ich weihe sie in alles ein und so. Und mein größtes Geheimnis... das konnte ich einfach nicht mehr für mich behalten." Kaiba brummte und Joey sprach es schnell aus. "Ich habe ihnen von uns erzählt."

Sofort verlor Kaiba das Interesse an der Suche. Er blickte auf, warf einen flüchtigen Blick zu der Clique und lugte dann finster nach hinten, wo sich Joey auf seinem Rücken eingerollt hatte, furchtsam auf die Strafe wartend.

"Ach!"

"Mh." Joey nickte zögerlich und öffnete die Augen vorsichtig einen Spalt weit. "Aber es ist nicht so, dass es besonders wichtig gewesen ist. Sie haben es sowieso schon gewusst", fügte er dann schnell hinzu, um sich etwas aus der Gefahrenzone zu schleppen. Was sollte Kaiba jetzt noch sagen?

Er starrte Joey eine lange Zeit an, wandte sich dann ab und brummte etwas Undefinierbares.

"Das ist doch blödsinnig", murrte er dann verbissen. "Wie sollen sie es denn herausgefunden haben!"

"Weiß nicht." Joey fühlte sich etwas sicherer. "Wir waren wohl doch etwas auffällig. Jedenfalls waren sie überhaupt nicht überrascht und haben gesagt, dass sie es schon lange wissen und dass nichts dabei ist und so."

"Gibt es vielleicht noch etwas, das ich wissen sollte?" Kaiba hörte sich sehr verärgert an, doch Joey hätte sich eine schrecklichere Reaktion vorgestellt. "Führst du vielleicht ein Doppelleben? Hast du einen Zwillingsbruder? Oder halt." Kaiba hielt inne. "Oute dich doch gleich als Mädchen."

"Komm schon." Joey rüttelte an ihm. "Du müsstest doch am besten wissen, dass ich ein Junge bin."

"Man, du machst mich echt verrückt!"

"Wie sauer bist du jetzt auf mich?", hakte Joey nach und Kaiba begann zu grübeln.

"Wie lange wissen sie es ungefähr?"

"Weiß nicht, zwei oder drei Monate?"

Kaiba stöhnte erschöpft.

"Schlimm?"

...

"Böse?"

"Seit zwei oder drei Monaten?", wiederholte Kaiba endlich und richtete sich langsam auf.

"Japp." Joey nickte hastig. "Oder auch etwas länger."

"Na gut?" Nun saß Kaiba aufrecht und Joey lehnte sich etwas zurück.

"Na gut?" Er legte den Kopf schief, unterdrückte ein Gähnen. "Haben wir das jetzt geregelt?"

"Nein." Langsam drehte Kaiba das Gesicht zu ihm. "Nicht ganz."

"Warum?" Joey schluckte, Kaibas Gesicht wirkte so ernst. "Was hast du vor?"

"Etwas, das niemanden stören dürfte, wenn es schon seit Monaten im Umlauf ist!" Plötzlich packte Kaiba ihn an den Armen, drängte ihn zurück auf den Boden und hockte sich direkt zwischen seine Beine, als er flachlag.

"He... hey!" Joey wusste nicht, wie ihm geschah, als Kaiba seine Arme losließ, sich zu beiden Seiten seines Bauches abstützte und sich ungeniert zu ihm hinabbeugte. "Hey, hey, hey!"

"Was ist?" Ihre Gesichter waren sich sehr nah, Joeys Augen suchten nervös nach den anderen und richteten sich dann auf Kaiba.

"Diese Rache für mein Geplapper ist unmenschlich!", protestierte er, verschränkte die Arme auf dem Bauch und schob sich mit den Beinen etwas zurück, um sich vor Kaiba in Sicherheit zu bringen. Doch dieser zog ihn einfach zurück.

"Ich dachte, es stört dich nicht, wenn andere Bescheid wissen?" Kaiba amüsierte diese Folter. Er hielt Joey Beine noch immer fest und beugte sich erneut nach vorn. "Jetzt ist es doch auch egal, wenn sie uns sehen, oder?"

"Wie sieht denn das aus?!" Joey schlug die Hände in Kaibas Schopf und versuchte ihn zurückzudrücken.

"Wie sieht's denn aus?" Kaiba wehrte sich, schüttelte seine Hände geschwind ab und schnappte provozierend nach seinem Shirt, an dem er heftig zog.

"Als ob die Triebe das Wichtigste wären!", schrie Joey verzweifelt und bäumte sich auf. "Aua! Das war meine Hau..."

Plötzlich verstummte er, stützte sich ab und drehte langsam das Gesicht zur Seite. Die Songtexte schienen auf einmal nicht mehr so interessant zu sein, wie das Spektakel, das sich nun auf der Bühne abspielte. Da hockte Joey mit gespreizten Beinen, und zwischen diesen Beinen kauerte Kaiba und hatte sich fest in das Shirt verbissen. Und er hatte sich so tief gebeugt, dass nur sein brauner Schopf zwischen den Beinen hervorlugte.

Und die Clique?

Na, die stand da und starrte. Yugis Augen schienen noch größer geworden zu sein, Tea wandte den Blick ab, legte die Hand an den Mund und räusperte sich leise. Tristan hatte die Stirn gerunzelt und beide Hände in die Hüften gestützt. Bakuras zuckte mit keiner Wimper, während er sich den Bauch kratzte und Duke schüttelte tadelnd den Kopf. Er sah so etwas nicht zum ersten Mal, ihn wunderte nur, dass sie sich gerade diesen versteckten Ort ausgesucht hatten, um Zärtlichkeiten auszutauschen. Während Joey knallrot anlief, nervös grinste und sich nicht regte, löste Kaiba die Zähne aus dem Stoff und blickte fies grinsend auf. Flüchtig traf er auf Joeys Blick.

"Lass dir das mal schön peinlich sein, Plappermaul!", zischte er leise und mit größter Bosheit.

"Hä hä..." Langsam und zögerlich erwachte Joey zum Leben. Vorerst lachte er leise, dann laut. Hastig hob er die Hand, kratzte sich den Kopf und schob sich zurück, bis Kaiba keine Gefahr mehr darstellte. Dieser erhob sich seelenruhig, klopfte sich die Hose sauber und trödelte zu seinem Koffer zurück, um sich der Suche des Plektrums zu widmen. Und das tat er auch, ohne sich stören zu lassen. Mit so einer Aktion hatte Joey nicht gerechnet. Er glich noch immer einer Tomate, als er auf die Beine kam, die Arme verschränkte und sich leise pfeifend umdrehte.

>Jetzt hört auf, zu gaffen!<, dachte er sich angespannt, während er sich hektisch umsah und mit dem Fuß Kreise auf dem Boden zog.

"Aber Joey!", hörte er da plötzlich Dukes entsetzte Stimme. "Die Triebe sind doch nicht das Wichtigste!"
 

~*to be continued*~

Abschied in die Sommerferien

Es dauerte etwas, bis man Joey erlöste. Kaiba war gnädig und schickte die Clique Nachhause. Und diese war sehr glücklich darüber.

Ja, sie durfte es wirklich, jedoch nicht ohne Hausaufgaben, die sie ebenfalls gnadenlos von Kaiba auferlegt bekam.

Zufrieden und heiter trödelte sie davon und letzten Endes blieben nur noch Kaiba und Joey. Kaiba gab die Suche nach dem Plektrum endgültig auf und sprang von der Bühne, um sich seinen Mantel zu holen. Joey hockte noch etwas inmitten der Halle, streckte die Beine von sich und brummte verdrießlich.

"Das war gemein", murrte er zum dritten Mal. Kaiba schlüpfte in den Mantel und schlenderte gemächlich zu ihm. "Das war echt fies."

"Sei nicht nachtragend." Kaiba stöhnte, hockte sich vor ihn, küsste ihn flüchtig. "In der Zukunft sollten wir alle Dinge miteinander absprechen, in Ordnung?"

"Hm." Joey wackelte mit dem Kopf. "Klar."

"Geht doch." Kaiba kam auf die Beine, tätschelte seinen Kopf und kehrte zur Bühne zurück. Dort griff er nach seinem Koffer. "Kommst du mit zu mir?"

"Klar." Joey zuckte mit den Schultern. "Hab aber eigentlich noch zu tun."

Kaiba hob die Augenbrauen. "Was nun?"

"Nein." Joey schüttelte den Kopf. "Nein, ich glaube, ich bin für heute Zuhause besser aufgehoben."

"In Ordnung."
 

Auf dem Weg zog Joey wieder den Zettel hervor, klappte ihn auf und überflog den Text erneut. Und sobald er die Wohnungstür geschlossen hatte, begann er in allen möglichen Schränken zu suchen. Irgendwo musste sein Vater eine CD mit dem Song haben. Er hatte sich fest vorgenommen, alles zu tun, damit der Auftritt gelang. Er hatte den wichtigsten Part auferlegt bekommen und durfte sich deshalb nicht damit zufrieden geben, nach der Schule zu üben. Es war mal eine schöne Abwechslung, obwohl er sich nicht gerade danach sehnte, vor der gesamten Schule auf einer Bühne zu stehen, noch dazu im Mittelpunkt.

Er wühlte gnadenlos und wurde irgendwann wirklich fündig. Triumphierend und erwartungsvoll schlenderte er in das Wohnzimmer, legte die CD ein und hockte sich auf den Boden. So lauschte er dem Song und las mit. Die Strophen waren wirklich schön - kein Wunder, dass Kaiba sie nicht umgeändert hatte. Nur der Refrain, er war etwas langweilig und schnulzig. Er hörte den Song gleich noch einmal, saugte an den Zähnen und grübelte. Er konnte es sich gut vorstellen, mehr Pep in den Refrain zu bringen.

Wow, das würde sicher toll klingen.

Nur fragte er sich, wie Kaiba das genau hinbekommen wollte. Er würde sich überraschen lassen und wartete auf den nächsten Tag.

Seit Jahren hatte er nicht mehr vor sich hingeträllert, während er durch die Wohnung schlenderte. Lange hatte er sich nicht mehr mit dem Singen beschäftigt und es würde durch dieses Ereignis sicher nicht zu seinem Lieblingshobby werden. Er ging früh zu Bett, erwachte am nächsten Tag munter und heiter und machte sich nach einem ausgiebigen Frühstück auf den Weg zur Schule. Heute müsste er nur mit fünf Stunden kämpfen und anschließend konnten sie in Ruhe üben und hatten genügend Zeit dafür. Kaiba hatte darauf bestanden, dass sie heute nicht noch einmal Nachhause gingen, sondern sich gleich nach der Schule Zeit dafür nahmen.

Klar, Joey hatte sowieso nichts zu tun.

So kam es, dass Duke und Kaiba ihre Instrumente mitschleppen mussten und was wurde gestarrt, als die Gruppe das Gebäude betrat. Wenigstens achtete niemand mehr auf Joey, der sich sicherheitshalber etwas hinter Tristan versteckte.

Es hatte doch wirklich den Anschein, als hätte sich die Nachricht von der neuen Schulband wie ein Lauffeuer verbreitet. Es wurde getuschelt und teilweise spürte die Gruppe auch dankbare und freudige Blicke. Kaiba war mit von der Partie, was konnte also schiefgehen? Die einzige, die wohl nicht zufrieden war, war ein gewisses Mädel mit einem Akkordeon, das Kaiba missmutige Blicke zuwarf, während sie sich aus ihrer Jacke kämpfte.

Es war ein ganz neues Gefühl für Joey, von allen beachtet zu werden. Diesmal sogar im positiven Sinn. Beinahe wirkte es wie ein abgekartetes Spiel. Eingeläutet durch einen brünetten jungen Mann, der dadurch die Aufmerksamkeit von Joey zog und sich selbst opferte. Zu überraschend war die Einverständniserklärung gekommen. Es lag Kaiba so fern, so etwas zu tun, dass Joey dieser Sache wirklich diesen Grund zusprach. Still und im Geheimen. Und er wusste es zu würdigen. In diesem Fall war es natürlich auch seine Pflicht, dafür zu sorgen, dass der Auftritt ein Erfolg wurde.

Und so machte ihm der heutige Schultag ganz besondere Freude. Die Stunden vergingen außergewöhnlich schnell und bevor er sich versah, hockte er mit den Anderen in dem Saal und lauschte einer neuen Rede ihres Anführers. Und dann begann es. Kaiba drückte Duke ein Blatt mit Noten in die Hand und übertrug ihm Tristans kurze Ausbildung. Yugi und Bakura hatten sich ebenfalls schon um ihre Aufgabe gekümmert und Tristan eine Gitarre besorgt, ebenfalls von der Schule. Und während aus einer Ecke leises Klimpern und laute Flüche ertönten, lernte Tea den Refrain auswendig und probte ausführlich, wie sie sich während des Singens bewegen wollte. Für sie ging augenscheinlich ein Traum in Erfüllung. Joey jedoch wurde etwas bang, als Kaiba ihn auf die Bühne zog und ihn direkt zu dem Schlagzeug schob. Die erste gute Nachricht, die Kaiba ihm mitteilte: Er musste die Schlegel während des Spielens nicht wechseln. Es genügte, wenn er die hölzernen Normalen benutzte. Dann jedoch, vergaß er diese Nachricht schnell und besah sich die ganzen Trommeln und die komischen Becken, die überall herumhingen und deren richtigen Namen er nicht kannte.

Zögerlich ließ er sich auf dem kleinen Hocker nieder, griff nach den Stäben und wiegte sie in den Händen. Sie waren leicht und gut zu handhaben. Kurz darauf begann Kaiba ihm alles zu erklären. Er hatte ihm einen einfachen Plan aufgestellt. Jedes der metallenen Becken oder der Pauken hatte einen Buchstaben. Und Joey musste lediglich diese Buchstaben auswendig lernen, wissen, zu welchen Instrumenten sie gehörten und sich nebenbei auch noch auf den Takt konzentrieren!

Leicht, ja?!

Er konnte vielleicht singen aber Taktgefühl besaß er nicht wirklich und so gingen die ersten kleinen Versuche arg in die Hose. Er schlug zu hart, schlug zu weich, oder schlug gleich in die falsche Richtung. Der Saal dröhnte nur so und bald gaben Duke und Tristan sich die Ehre, eine kleine Pause einzulegen, um ihrem Genie zuzuschauen.

"Dreivierteltakt." Kaiba ließ den Kopf hängen und rieb sich die Stirn.

"Was zur Hölle ist ein Dreivierteltakt!", zischte Joey zurück.

Es war eine Qual, eine grauenhafte Folter. Joey fand es zwar ganz toll, wenn andere Schlagzeug spielten aber er konnte die eigenen Klänge nach einer halben Stunde nicht mehr vertragen. Er knallte die Stäbe auf die Pauke und verschränkte ruppig die Arme vor dem Bauch. Kaiba war nur am Meckern und Stöhnen, schien nicht zu verstehen, dass nicht alle so begabt waren.

Dann meckerte er eben!

Schön?

Joey setzte zum Streik an.

Er würde keinen Finger mehr krumm machen und wohl jeder außer Kaiba war ihm dankbar dafür. Und das Ganze musste dann noch übereinstimmen!

Drei Gitarren, ein Schlagzeug und Gesang...?

Mein Gott, jetzt schloss sich Joey Kaibas anfänglicher Meinung an. Das schafften sie nie in einer Woche. Nach einem ungewissen Brummen stieg Kaiba kopfschüttelnd von der Bühne

"Wir kommen gut voran", meinte Duke jedoch aufheiternd und Kaiba zog an ihm vorbei.

"Gut, dann übt weiter. Joseph hat scheinbar keine Lust mehr."

"Ich hab Lust!" Joey streckte ihm protestierend die Faust nach. "Ich will nur eine angenehmere Atmosphäre!"

"Was zur Hölle hast du erwartet?" Kaiba bückte sich zu seiner Tasche, holte eine Flasche Wasser hervor und schraubte sie auf. "Wir haben noch fünf Tage, wenn du es vergessen haben solltest! Wir können es uns nicht leisten, zu faulenzen und alles zehnmal zu erklären!"

"Dann erkläre es mir zumindest zweimal und lass mich dann in Ruhe!" Joey zog eine Grimasse. "Tut mir leid, wenn es hier nicht so wie in deiner Firma zugeht! Und es tut mir auch Leid, dass ich das Schlagzeug nach einer halben Stunde nicht perfekt beherrsche! Ich tu mein Bestes, aber so kann ich nicht arbeiten!"

Duke, Tristan, Tea, Yugi und Bakura schluckten. Das roch nach einem argen Streit.

Sie wollten nicht gern dabei sein, wenn Kaiba einen Wutanfall bekam. Und weniger mochten sie die Tatsache, dass sich die Beiden überhaupt wegen so einer blöden Sache in die Haare bekamen. Aber hatte man es anders erwartet? Kaiba musste sofort antworten. Er kam nicht zum Trinken, ließ die Flasche sinken und trat einen Schritt näher.

"Ich habe dich lediglich auf die Fehler aufmerksam gemacht!" Er wies mit dem Finger auf Joey und verengte die Augen. "Ich habe zwar damit gerechnet, dass es stressig wird, ist ja nicht anders zu erwarten bei dieser kurzen Frist, aber dass es schon am zweiten Tag passiert?! Verdammt, weshalb bist du so genervt?!"

"Warum?!" Wütend grabschte Joey nach den Stäben und presste sie in der Hand. "Weil du mich überschätzt!!"

"Ich über...!" Kaiba lachte aufgesetzt, verdrehte die Augen und fuchtelte mit der Flasche. "Das gibt es doch nicht! Ich habe nur verlangt, dass du ein paar saubere Takte schlägst!!"

"Und ich hätte es vielleicht geschafft, wenn du nicht andauernd nur am mäkeln wärst!! Du unterbrichst mich andauern! Kein Wunder, dass ich mich nicht konzentrieren kann!!", schrie Joey zurück und schleuderte die Schlegel zur Seite. "Ich hab hier in der Band am meisten zu tun, also erwarte ich etwas Nachsicht!!"

"Nachsicht, oh, natürlich! Was heißt das?! Zum Beispiel, dass ich dich nicht gestern sofort zum Schlagzeug geschleppt, sondern dir etwas Zeit mit dem Lied gelassen habe?! Es würde mich nicht wundern, wenn du Zuhause keinen Finger krumm gemacht hast!!"

"Was?!" Joey blähte die Wangen auf und hielt die Luft an, worauf er schnell rot wurde. Tea räusperte sich nervös, Yugi hielt sich noch immer geduckt und Duke rieb sich verzweifelt das Gesicht. Mit so etwas hatte er nicht gerechnet, so konnte es ja nicht funktionieren!

Tristan schien ebenfalls genervt zu sein, nachdem er sich solche Mühe an der Gitarre gegeben hatte und Bakura hatte das Gesicht verzogen und sah abwechselnd von Joey zu Kaiba. Eben zu dem, der gerade schrie.

"Zuerst wollte ich gar nichts machen!" Joey war immer noch an der Reihe. "Und dann bürdest du mir so etwas auf! Bakura hätte ebenso gut Schlagzeug spielen können, aber nein, du musstest ja unbedingt die Bosheit raushängen lassen!! In sieben Tagen kann man so etwas überhaupt nicht schaffen!!"

"Siehst du?!" Ruppig machte sich Kaiba daran, die Flasche wieder zuzudrehen, Bakura drehte sich zu ihm. "Da hast du's!! Ich wollte dir nur zeigen, dass Optimismus in so einer Situation am falschen Platz ist!!"

"Bitte was?!" Joey sprang auf, die anderen erschraken. "Sag bloß, du hattest nie vor, aufzutreten?! Du kannst mir nicht erzählen, dass du das nur gemacht hast, um mir eine Lehre zu erteilen!!"

"Wie bitte?! Was hast du gesagt?!" Kaiba traute seinen Ohren nicht.

Plötzlich wirkte er entsetzt, die Flasche entglitt beinahe seiner Hand und er musste lange grübeln, bevor er ungläubig antwortete. "Aber natürlich!", rief er. "Ich habe meine ganze Zeit geopfert und alles geplant, weil ich eine Rechung mit dir offen hatte!!"

"Sag ich doch!", zischte Joey zurück.

"Aha!" Kaiba weitete die Augen und Duke schüttelte verzweifelt den Kopf. "Das denkst du also, ja...?"

"Was soll ich denn sonst denken?!" Joey ballte die Hände zu Fäusten. "Wenn ich es auf Anhieb nicht hinbekomme, dann musst du eben etwas mehr Geduld haben!! Und wenn ich es nicht schaffe, dann müssen wir die Pläne eben än..."

Er verstummte, als Kaiba nach seiner Gitarre griff, sich die Tasche über die Schulter schwang und in sicheren Schritten auf die Tür zusteuerte.

Er ging einfach…!

Die Gruppe drehte sich um und verfolgte entsetzt, wie Kaiba verschwand und die Tür hinter ihm ins Schloss zurückflog. Erschüttert starrten sie weiterhin auf das dunkle Holz und regten sich nicht.

Konnte das sein?

Ließ Kaiba jetzt alles sausen?!

Joey stand noch immer hinter dem Schlagzeug und schloss sich der Beobachtung der anderen mit zuckendem Gesicht an. Nach wenigen Sekunden grabschte er nach einem dickeren Stab und schlug ihn mit aller Kraft gegen das größte Becken. Ein Nervenzerreißender Krawall schallte somit durch den Saal und die Clique fuhr erschrocken zu ihm herum.

"Verdammter Mist!" Noch immer wutentbrannt schmiss Joey auch diesen Stab weg und war kurz davor, gegen das Schlagzeug zu treten. Dann hielt er jedoch inne, schrie leise auf und raufte sich die Haare, wobei er sich taumelnd im Kreis drehte. Alle verfolgten das Geschehen mit blassen Gesichtern, nur Duke blickte außerordentlich verbissen drein, als er sich aufrappelte und auf die Bühne zutrottete.

"Joey...", brummte er leise und rieb sich das Gesicht, "… hey, hörst du zu?"

"Ja, was?!" Joey drehte sich zu ihm um und starrte ihn flammend an. Duke jedoch, blieb ruhig. Er verschränkte die Arme vor dem Bauch und runzelte die Stirn.

"Du hast nicht zufällig den sarkastischen Ton in Kaibas Stimme gehört, als er dir Recht gegeben hat, oder?"

"Was?!"

"Jetzt hör auf zu schreien und komm auf den Boden zurück!" Duke stöhnte. "Du hast also nichts gemerkt, ja?"

"Was...! Was soll ich denn gehört haben?" Joey entspannte die Fäuste und trottete zur Kante der Bühne.

"Als er meinte, er habe all das wirklich nur getan, um dir eine Lektion zu erteilen...", Duke weitete die Augen, "… huch? Ironie?"

"Ironie?" Joey rümpfte die Nase.

"Ja, Ironie!" Duke schickte ihm einen mahnenden Blick. "Du hast alles in den falschen Hals bekommen!"

"Ja, aber..." Joey legte den Kopf schief, war für kurze Zeit ruhig... aber nur für eine sehr Kurze. "Dann hat er es eben ironisch gemeint! Er muss doch einsehen, dass er zuviel von mir verlangt!! Man glaubt es kaum aber ich kann nicht zaubern und ein Allroundgenie, wie seine Wenigkeit bin ich auch nicht! Und ich komme erst recht nicht weiter, wenn er mich andauernd unterbricht und verbessert!! Er weiß einfach alles und erkennt jeden kleinsten Fehler!! Verdammt, auf diesem Weg kann ich doch nicht herausfinden, wie ich es am Besten zustande bekomme!! Ich muss da noch meinen Kniff finden aber das verweigert er mir nun einmal!"

"Und das macht er natürlich mit voller Absicht." Duke nickte sarkastisch.

"Das nicht, aber..."

"Aber du hättest es ihm auch anders sagen können!", unterbrach Duke ihn scharf. "Er tut sein Bestes, um..."

"Ach, ich bin jetzt an allem schuld?!", wurde er wiederum unterbrochen. "Das ist ja ganz toll!! Ich tu, was ich kann und dann bist du auch noch gegen mich!!"

"Verstehst du heute alles falsch?!" Jetzt reichte es Duke. "Ich will damit nur sagen, dass wir so etwas noch nie gemacht haben! Woher soll Kaiba denn wissen, wie du die Dinge in die Hand nimmst und wie du arbeitest? Er hat es nach seiner Art gemacht und wenn dir etwas daran nicht passt, dann kannst du es ihm auch anders sag..."

"Ach, leckt mich doch!" Plötzlich sprang Joey von der Bühne und zog an Duke vorbei. Auch die totenbleiche Gruppe ließ er hinter sich, grabschte nach seiner Tasche und stampfte aus dem Saal. Ein zweites Mal fiel die Tür zu und die Gruppe wusste gar nicht mehr, was sie sagen sollte. Tea, Tristan, Yugi und Bakura regten sich nicht, starrten auf die Tür und dann auf Duke. Dieser stand mit zusammengebissenen Zähnen dort, hatte die Hände zu Fäusten geballt und knurrte leise.

"D-Duke...?" Yugi war der erste, der zur Sprache zurückfand.

Der Schwarzhaarige schickte ihm einen knappen Blick, zog eine Grimasse und machte eine abwehrende Handgeste.

"Pah!" Somit schnappte er sich seine Gitarre, den Rucksack... und verschwand.

Wieder war die kleine Gruppe am Starren.

Kaiba weg, Joey weg, Duke weg.

Toll, die perfekten Vorraussetzungen, um weiter zu üben.

Warum mussten sich gerade die wichtigsten Personen in die Haare bekommen?

Es vergingen viele Minuten eisigen Schweigens, dann begann sich die Gruppe zögerlich und stockend zu bewegen. Verunsichert sahen sie sich um, suchten nach irgendetwas, das ihnen aus der Patsche helfen könnte. Doch nicht einmal der lange Vorhang war dazu imstande. Yugi biss sich auf die Unterlippe, winkelte die Beine an und schlang die Arme um die Knie. Tea räusperte sich wieder und zog ihre Krawatte lockerer. Bakura brummelte vor sich hin und Tristan ließ sich unter einem erschöpften Stöhnen nach hinten fallen.

"Na... toll!"
 

Joey ging gemächlich und je näher er seinem Ziel kam, desto langsamer wurden seine Schritte. Er trug noch immer seine blaue Uniform, hatte die Jacke jedoch ausgezogen und sie sich um die Hüfte gebunden. Seine Hände versteckten sich in den Hosentaschen, sein Blick war auf den Boden gerichtet. Keine Wut war in seinen Augen zu lesen, Trauer ebenfalls nicht. Eigentlich verweilte sein Gesicht in einer recht sturen Ausdruckslosigkeit. Er ging weiter, trat einen Stein bei Seite und blieb dann stehen. Nur wenige Meter vor ihm erhob sich das massive Tor, welches das Grundstück der Kaibas abgrenzte. Joey besah es sich lange, schien jedoch nicht vorzuhaben, es zu passieren.

Er war Zuhause gewesen, hatte es dort jedoch nicht allzu lange ausgehalten. Er hatte sich höllisch aufgeregt und dann hatte er lange nachgedacht und sich auf den Weg gemacht.

Jetzt war er hier.

Einige Minuten verbrachte er damit, auf die breiten Stäbe zu starren, ohne sich von der Stelle zu bewegen. Und als er wieder zum Leben erwachte, kauerte er sich neben das Tor in den Kies, lehnte sich gegen die Säule und schloss die Augen.

Er war noch nicht bereit, Kaiba zu sehen, wusste nicht, wie er in Worte fassen sollte, was er zu sagen hatte. Außerdem war Kaiba sicher stocksauer. So hatte es zumindest ausgesehen, als er abgehauen war.

Es vergingen weitere Minuten, in denen er dort kauerte. In der Zwischenzeit hatte er die Beine angewinkelt und die Arme um die Knie geschlungen. Er starrte vor sich hin, bettete die Stirn auf den Knien oder behielt die Augen einfach geschlossen. Er wusste nicht, wie lange er dort saß, jedenfalls blickte er auf, als er den Kies knacken hörte. Er erkannte die schwarze Limousine, die gemächlich über den Kiesweg rollte und letzten Endes vor dem Tor zum Stehen kam. Wie ein schmerzhafter Blitz hatte es Joey durchfahren, als er den Wagen erblickte hatte. Am liebsten wäre er sofort aufgesprungen, doch er konnte es nicht und blieb sitzen, nicht darauf achtend, was für einen Anblick er bieten musste.

Mit großen Augen starrte er auf die verdunkelten Fenster.

Warum stieg Kaiba nicht aus?

Wollte er nicht mit ihm sprechen?

Joey schluckte, seine Arme lösten sich von den Knien und sanken hinab. Und er wusste nicht, was er denken sollte, als sich das Tor öffnete und die Limousine weiterfuhr. Er richtete sich etwas auf, hockte sich auf die Knie und öffnete den Mund.

Verdammt noch mal!

So schlimm, dass Kaiba ihn jetzt sitzen ließ und ihn nicht beachtete, war der Streit doch auch nicht gewesen! Erschüttert ballte er die Hände zu Fäusten und brummte etwas Verworrenes. Doch genau in dieser Sekunde kam der Wagen wie auf Befehl zum Stehen und eine der verdunkelten Scheiben wurde heruntergefahren.

Joeys Gesicht verdunkelte sich, entspannte sich jedoch sofort, als sich ein zerzauster kleiner Junge aus dem Fenster lehnte, lachte und winkte.

"Mokuba...?" Joey legte den Kopf schief.

"Huhu!!" Der Junge grinste bis über beide Ohren und verschwand kurz darauf wieder im Wagen. Dann wurde die Tür aufgerissen und Mokuba sprang heraus. "Hab dich ja gar nicht gesehen, Joey!"

Joey, noch etwas verdattert, sah sich kurz um und kratzte sich im Nacken. Währenddessen fuhr die Limousine weiter und Mokuba starrte ihn etwas zertreten an.

"Was machst du denn hier? Willst du mich besuchen? Warum kommst du nicht rein? Musst doch nicht vor dem Tor hocken und so ein langes Gesicht ziehen!"

"Ähm... na ja." Joey riss sich zusammen, rieb sich den Oberarm und räusperte sich leise. "Kommst du gerade von der Schule?"

"Nö." Der schwarzhaarige Bube schüttelte hastig den Kopf. "Ich war gerade in der... ach!" Er weitete die Augen. "Wenn du Seto suchst, der ist in der Firma! Da komme ich her!"

"In... in der Firma?" Darüber musste man sich sehr wundern. Sofort vergaß Joey den Streit und eine andere Frage drängte, an Mokuba gestellt zu werden. Joey grübelte kurz und stützte die Hände in die Hüften. "Und was macht er da? Er arbeitet doch nicht etwa, oder? Das darf er noch nicht."

"Er arbeitet nicht", beruhigte Mokuba ihn heiter. "Er sitzt nur herum."

"Er... sitzt herum?"

"Ja." Der Junge zuckte mit den Schultern. "Einfach so."

"Einfach so", wiederholte Joey irritiert. "Warum ist er gerade heute in der Firma?" Er zögerte kurz, ließ unschuldig den Blick durch die Gegend schweifen. "Macht es den Anschein, dass er irgendwie... ähm..."

"Gelangweilt ist?", unterbrach Mokuba ihn. "Oh ja! Ich habe keine Ahnung, warum er nicht Nachhause gefahren ist, hat doch sowieso nichts zu tun. Na ja, das hat er eigentlich schon aber der Arzt hat ja gesagt, das er nicht arbeiten darf... wegen der Krankheit, die er hat und er hält sich auch daran, wofür ich sehr dankbar bin." Mokuba plusterte sich auf. "Ich würde es ihm nie verzeihen, wenn er jetzt schuften würde!"

"So meinte ich es eigentlich nicht." Lachend winkte Joey ab. "Wirkte er irgendwie... wütend?"

"Wütend?" Mokuba hob die Augenbrauen.

"Ja." Joey nickte hastig. "Und? Ist er?"

"Nein, wütend ist er nicht." Der Junge zuckte mit den Schultern. "Er ist wie immer."

"Also brummig", hakte Joey nach.

"Ja, brummig."

"Und... ist er vielleicht ein ganz kleines bisschen brummiger, als sonst?"

"Nein, überhaupt nicht. Ich meine...", Mokuba zögerte und verzog misstrauisch die Augenbrauen, "… also wenn du dich mit ihm gestritten hast, dann solltest du das mit ihm ausmachen und mich nicht ausfragen!"

"Ach!" Joey erschrak, fand jedoch schnell zu dem nervösen Lachen zurück. "Quatsch! Gestritten?" Er blähte die Wangen auf, fuchtelte mit den Händen. "Nicht doch!"

Mokuba pustete sich eine Strähne aus dem Gesicht und schüttelte tadelnd den Kopf. "Er war zwar nicht besonders brummig aber ich bemerke trotzdem, wenn etwas mit ihm nicht stimmt!"

"Herrje..." Joey wurde kleiner und kleiner, bis Mokuba wie ein Riese vor ihm wirkte. "Wie hast du es bemerkt?"

Mokuba streckte die Brust hervor, schloss eitel die Augen und hob den Zeigefinger.

"Männliche Intuition!", verkündete er stolz und platzte beinahe daran.

"Männ..." Joey blieb der Atem weg. Er starrte den kleinen Jungen, der vor Selbstbewusstsein nur so strahlte, verwirrt an und seufzte letzten Endes.

"Na gut, Herr Kaiba. Ich fahre dann mal in die Firma und rede mit ihm."

"Huch?" Sofort erlosch das grelle Licht und Mokuba ließ die Arme sinken, die er soeben noch von sich gestreckt hatte. "Na gut."

"Bis später." Somit verwuschelte Joey den schwarzen Schopf des Jungen, grinste und wandte sich ab. Und sobald er das getan hatte, verlor das Grinsen an Kraft. Binnen kürzester Zeit verschwand es und machte der Ausdruckslosigkeit Platz. Mokuba hüpfte und winkte, Joey ließ die Hände in die Hosentaschen zurückrutschen, seufzte leise und starrte vor sich auf den Weg.
 

Er benötigte eine ganze Weile, bis er das riesige Gebäude endlich erreichte. Kurz bevor er es betrat, blieb er stehen und blickte auf.

Oje...

Nachdenklich besah er sich das oberste Geschoss, hinter dessen Fenstern alle Lichter brannten. Wie immer schien große Geschäftigkeit zu herrschen. Er rollte schwerfällig mit den Augen, ließ die Hände in die Hosentaschen rutschen und machte sich unter einem leisen Stöhnen auf den Weg zum Eingang. Kurze Zeit später durchquerte er in langsamen Schritten den großen Vorraum, wich den eilig umher rennenden Mitarbeitern aus und steuerte auf den Fahrstuhl zu.

Was würde Seto jetzt wohl sagen?

Was würde er machen und wie würde er reagieren, wenn er ihn sah?

Sicher rechnete er überhaupt nicht damit, dass er zu ihm kam. Doch Joey hing sehr an ihm und konnte es kaum ertragen, mit ihm im Streit zu liegen. Träge betätigte er eine Taste und wartete. Und während der Fahrstuhl flink herunterkam, sammelten sich neben Joey so einige Mitarbeiter an. Keuchend und schnaufend kämpften sie damit, die riesigen schweren Akten- und Unterlagenberge nicht fallen zu lassen. Sie drängten sich ungeduldig um den Blonden und irgendwann fasste sich dieser ein Herz und nahm einer jungen Frau einen Haufen Mappen ab.

"Danke." Die Mitarbeiterin lachte und auffällig war die Nervosität, die in dieser Geste lag. Joey hievte den schweren Berg etwas höher und blickte dann auf, um die Frau etwas genauer zu mustern. Sie kam ihm bekannt vor und als sich dann die Fahrstuhltüren unter einem leisen Klingeln öffneten, erinnerte er sich. Es war niemand anderes als Frau Fukuyoka, der er soeben half.

Sie hatte auf Kaibas Schoß gesessen, als dieser ihn davongejagt hatte.

Er warf ihr einen knappen Blick zu, trat ein und wurde sofort von den Anderen gegen die Wand gedrängt. Letzten Endes stand er dort und konnte sich nicht bewegen. Frau Fukuyoka hatte sich direkt neben ihn gelehnt und verfolgte geduldig die Zahlen, die sich schnell änderten. Und es vergingen nur wenige Momente, bis Joey sie wieder aus den Augenwinkeln beobachtete. Die aufmerksame Frau bemerkte es schnell, erwiderte seinen Blick nervös und lächelte flink.

"Geht es noch?", erkundigte sie sich.

Joey nickte stumm.

"Gut." Sie erwiderte das Nicken und wandte sich wieder den Zahlen zu.

Diesmal zwang sich Joey, sie nicht zu beobachten. Er starrte auf das Jackett des Mannes, der sich fast gegen ihn lehnte.

Es wirkte wie eine Ewigkeit, bis der Fahrstuhl endlich in der richtigen Etage hielt. Stöhnend und quasselnd drängelten sich die Menschen aus dem Ausgang und gingen ihrer Wege. Auch Joey trat ins Freie, wandte sich an die junge Frau und reichte ihr die Unterlagen. Diese lachte wieder auf ihre nervöse Art und Weise. Joey jedoch, zuckte mit den Schultern und seufzte leise, als er sich der schweren Last entledigt hatte.

"Ist schon okay. Ich bin nicht sauer auf Sie."

"Ach?" Sie balancierte den Berg aus und hob die Augenbrauen.

"Wollte ich nur gesagt haben, bevor Sie einen Herzinfarkt bekommen, wenn wir uns wieder sehen." Somit hakte Joey die Daumen in den Bund seiner Hose, drehte sich um und schlenderte davon. Er drehte sich nicht um, trödelte durch die Tischreihen und näherte sich dem hinteren Teil des riesigen Raumes. Und er ging bedacht langsam, weil er sich noch immer nicht darüber im Klaren war, was er tun sollte. Und er wusste erst recht nicht, wie er reagieren würde, würde Kaiba ihn rausschmeißen. Je näher er dem gemütlichen Aufenthaltsraum kam, desto langsamer ging er. Und es war eine befreiende Freude für ihn, als er plötzlich Pikotto erspähte, der ihm in seinem typischen Arbeitsstress entgegen kam. Als er den Blonden erkannte, verlangsamte auch er seine Schritte und blieb letzten Endes stehen.

"Hi." Joey legte den Kopf schief. "Wie geht's?"

"Den Umständen entsprechend", erwiderte der Geschäftsmann flink. "Und selbst?"

"Es ist alles in Ordnung. Ich habe es wohl überstanden."

"Ja?" Darüber freute sich Pikotto. "Das ist schön, ich habe mir Sorgen gemacht." Daraufhin schwieg er kurz, trat noch näher heran und beugte sich etwas heimlichtuerisch nach vorn. "Es ist das erste Mal seit langem, dass Kaiba hier vorbeischaut. Ist mit ihm auch alles in Ordnung?"

"Höh?" Joey hob die Augenbrauen. "Na ja... ähm... denk schon, ja."

"Und er hält es ohne die Arbeit aus? Als ich ihn hier sah, habe ich mich darauf eingerichtet, ihn irgendwo fesseln zu müssen, damit er keinen Finger krumm macht aber er hat sich nur in das Büro gesetzt, trinkt Kaffee und erspart mir somit einen Haufen Arbeit."

"Ach." Joey winkte ab. "Ich bin gerade dabei, ihn etwas abzulenken."

"Wundervoll." Pikotto schlug ihm derb gegen die Schulter. "Ich kann mich leider zurzeit nicht..." Er verstummte, als sich sein Handy meldete. Er hob hastig die Hand, gab Joey ein knappes Zeichen und begann dann in den Taschen seines Jacketts zu wühlen.

Joey war es recht, etwas aufgehalten zu werden.

Während Pikotto dann sein Handy zückte und abnahm, warf er einen vorsichtigen Blick in die hintere Ecke, wo sich die Büros befanden.

"Ja, ja... ja, in Ordnung." Pikotto nickte, legte auf und grinste. "Tut mir leid, Joseph. Meine Person wird verlangt, ich muss kurz runter und..." da meldete sich ein weiteres Geräusch und Pikotto griff zielstrebig in seine Hosentaschen holte einen kleinen Pieper hervor.

"Gut... ich muss los. Mir fehlt gerade wirklich die Zeit, um..."

"Kein Problem", beruhigte Joey ihn. "Ich wollte sowieso zu Seto."

"Ach, gut, der ist in seinem Büro." Wieder schlug Pikotto zu. "Bis bald."

Somit rannte er weiter, warf mit Befehlen um sich und verschwand letzten Endes im Fahrstuhl. Joey sah ihm kurz nach, rieb sich die schmerzende Schulter und trödelte weiter.

Na toll, jetzt war es zu spät um umzukehren. Wieder seufzte er, verschränkte die Arme vor der Brust und bog um die Ecke. Und sofort fiel ihm die gewisse Tür ins Auge, die Tür, hinter der vielleicht sein Verderben lag, er schluckte. Merkwürdigerweise stand die Tür offen. Sie war immer geschlossen. Langsam trat er näher und warf einen vorsichtigen Blick durch den kleinen Spalt. Er konnte den Schreibtisch sehen aber da saß niemand. Der Stuhl stand vor der großen Arbeitsfläche, diese war ordentlich und aufgeräumt, so wie immer. Zögerlich berührte Joey die Tür und schob sie etwas weiter auf. Wachsam lehnte er sich in den Raum und sah sich um. In dem Büro war niemand. Das Sofa war leer, alles stand an seinem Platz. Verwundert runzelte er die Stirn und richtete sich etwas auf. Pikotto hatte doch gesagt, dass er...

"Du kommst spät!", hörte er da hinter sich plötzlich eine Stimme und erschrak höllisch. Einen lauten Schrei ausstoßend, fuhr er herum und erkannte Kaiba, der mit verschränkten Armen und gerümpfter Nase hinter ihm stand und ihn finster fixierte.

"S-S-Seto?!" Joey starrte ihn entsetzt an und trat unbewusst einen Schritt zurück.

"Ja, der bin ich." Kaiba warf einen flüchtigen Blick auf seine Uhr. "Was ist! Hast du so lange gebraucht, um hier herzukommen?! Ich war kurz davor, abzuhauen!"

Oje, er war wirklich wütend!

Joey schluckte schwer und kratzte sich am Kopf.

Was sollte er denn jetzt sagen?!

Hastig grübelte er und bekam letzten Endes doch nur ein undefinierbares Gewirsch zustande.

"Ähm... ich... sagen wollte... das... t-tut mir leid, dass... öhm... n-na ja..."

Bevor er zu Ende stottern konnte, rollte Kaiba stöhnend mit den Augen, zog an ihm vorbei und steuerte in schnellen Schritten auf das Sofa zu.

"Hast dich scheinbar wieder eingekriegt." Als er sich über die Lehne beugte und nach seinem Mantel griff, klang seine Stimme wieder entspannter. Joey beobachtete ihn nervös, als er in den Mantel schlüpfte und zu ihm zurückkehrte. Er starrte ihn auch an, als er wieder an ihm vorbeiging und einfach davon. Geknickt und zusammengesunken blieb er stehen und zog ein langes Gesicht. Nach wenigen Schritten blieb Kaiba jedoch stehen, drehte sich zu ihm um und stöhnte erneut.

"Willst du da Wurzeln schlagen?"

"Was?" Hastig sah sich Joey um. "Ich?"

"Nein, der Blonde, der neben dir steht!" Kaiba kam zu ihm zurück, packte ihn am Ärmel und zog ihn los. "Los, komm schon!"

"W-was?!" Joey wusste nicht, wie ihm geschah. "Wohin denn?!"

"Wir gehen etwas essen", erwiderte Kaiba nur und ließ ihn los, in der Hoffnung, dass er alleine laufen konnte. Etwas wackelig und verunsichert stolperte Joey hinter ihm her und folgte ihm durch den großen Arbeitsraum.

"B-bist du gar nicht sauer...?"

"Sauer?" Kaiba warf ihm einen überraschten Schulterblick zu. "Wo lebst du! Ich kenne doch dein Temperament! Solange du wieder ruhig bist ist alles in Ordnung... und zur Hölle, jetzt beeil dich mal ein bisschen!"

"Komme schon." Etwas kleinlaut und geduckt dackelte er hinter ihm her und blieb neben ihm am Fahrtsuhl stehen. Er wusste nicht, wie er es finden sollte, dass Kaiba ihm so schnell verzieh und sich keines seiner Worte zu Herzen nahm. Während Kaiba die Taste betätigte und seiner Uhr erneute Aufmerksamkeit schenkte, lugte er betreten zu ihm und trat von einem Bein auf das andere.

"Sorry...", murmelte er wieder.

"Das musst du Duke sagen." Kaiba schöpfte tiefen Atem. "Der dürfte jetzt seit einer halben Stunde warten."

"Duke?" Joey traute seinen Ohren nicht. "Habt ihr... hast du..."

"Wir haben uns zum Essen verabredet." Kaiba lugte prüfend zu ihm. "Was dagegen?"

"Was?!" Joey erschrak. "Nein, nein, nein, nein!! Ich finde das ganz toll... ja, wirklich! Wie...", er kratzte sich an der Nase und starrte wieder auf den Boden, "... kam es dazu?"

Kaiba zuckte mit den Schultern.

"Er hat angerufen, meinte, ich könnte dich gleich mitbringen, wenn du da wärst."

Jetzt verstand Joey überhaupt nichts mehr!

Er verzog die Augenbrauen, blähte die Wangen auf und blinzelte.

"Woher hat er denn gewusst, dass ich zu dir komme?", murmelte er.

"Ist leicht zu erraten." Endlich öffneten sich die Türen und Kaiba zog ihn in die kleine Kabine.

"Bin ich so durchschaubar?"

"Ja." Kaiba drückte auf eine Taste und lehnte sich stöhnend gegen die Wand.

"Und... du bist wirklich nicht sauer, weil ich ausgerastet bin?", fragte Joey wieder. "Ich meine, das war ganz schön fies..."

"Was soll's." Kaiba nahm die Sache furchtbar leicht. "Kannst ja nichts dafür."

"Wofür?"

"Dafür, du weißt schon." Kaiba nickte ihm zu, schickte den Zahlen einen kurzen Blick und legte dann den Arm um Joeys Schultern. "Hauptsache, du hast es eingesehen."

"Was denn eingesehen?"

"Idiot!" Kaiba zerzauste sein kurzes Haar, platzierte einen flüchtigen Kuss auf seiner Wange. "Jetzt stell dich nicht so an und vergiss es. Hauptsache ist, wir bekommen das mit dem Auftritt hin."
 

Kurze Zeit später saßen die Beiden in dem Maybach und waren auf dem Weg zu dem gewissen Treffpunkt. Joey fühlte sich immer noch nicht so recht wohl. Er rutschte hin und her, sah sich nervös um und leckte sich die Lippen.

Toll, Kaiba war vielleicht nicht sauer, aber er fühlte sich trotzdem schuldig. Vielleicht war Kaiba ja genau darauf aus? Nach einer kurzen Zeit wurde er so zappelig, dass er unbedingt ein neues Thema einschneiden musste, um nicht noch verrückt zu werden.

"Ich habe aber kein Geld mit", bemerkte er nach einem langen Grübeln, doch Kaiba zuckte nur mit den Schultern.

"Was soll's? Ich auch nicht."

"Hä?" Endlich wandte sich Joey zu ihm. "Aber..."

"Bleib ruhig." Kaiba trommelte gelassen auf das Lenkrad. "Wir werden eingeladen."

"Duke lädt uns ein?" Joey staunte nicht schlecht.

Nach einer kurzen Fahrt erreichten sie eine schmale Seitenstraße. Kaiba parkte den Wagen sauber in einer Lücke, stellte den Motor aus und zog den Schlüssel aus dem Zündschloss.

"Hoffentlich ist er nicht sauer." Mit diesen Worten öffnete er die Tür und stieg aus. Joey sah ihm verblüfft nach.

Hoffentlich ist er nicht sauer?

Duke schien ihm ja sehr ans Herz gewachsen zu sein! Man, das hätte sich Joey nicht träumen lassen. Um ehrlich zu sein, wusste er nicht, ob er sich darüber freuen, oder einfach nur verwirrt sein sollte. Er entschloss sich, diese wichtige Entscheidung ein anderes Mal zu treffen, stieg ebenfalls aus und sah sich um. Kaiba wühlte kurz in seinen Taschen, winkte ihn heran und ging los. Er ging zügig über die Straße, schob sich zwischen den Autos hindurch und betrat den Fußgängerweg. Vor einer typisch japanischen Sushibar lehnte Duke an der Hauswand und knaubelte an seinen Fingernägeln. Als er Kaiba bemerkte, ließ er die Hände sinken und hob die Augenbrauen.

"Tut mir leid." Kaiba blieb vor ihm stehen, hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. Dann drehte er sich um und wies mit einem knappen Nicken auf Joey, der sich etwas wackelig näherte. "Er kam sehr spät."

"Ah." Duke nickte verständnisvoll, schickte Joey eine grüßende Handgeste und drehte sich um. "Na, dann kommt."

Hinter Duke betraten Kaiba und Joey einen gemütlichen großen Raum. In der Mitte dieses Raumes stand eine runde Theke, auf der kleine, mit Sushi beladene Schiffchen ihre Runden drehten. Das Restaurant war nicht voll, nur wenige Tische waren besetzt. Menschen unterhielten sich, lachten und ließen sich die Speisen schmecken. Es war eine sehr angenehme Atmosphäre und Joey versuchte verzweifelt, sie zu genießen.

"Warst du in der Firma?", erkundigte sich Duke, als er neben einem freien Tisch stehen blieb und aus seinem Mantel schlüpfte.

Kaiba nickte und tat es ihm gleich.

"Noch einmal werde ich das aber nicht machen, solange ich Arbeitsverbot habe."

"Schlimm, was?" Duke nahm Kaiba den Mantel aus der Hand und hing beide an eine hübsche Garderobe. "Ich würde gern mit dir tauschen."

"Gerne, nur zu."

Während er sich dann auf eines der flachen Kissen kniete und zurechtrutschte, wandte sich Duke an Joey, der immer noch verdattert dort stand und starrte.

"Kommst du?", fragte er. "Steh nicht herum wie bestellt und nicht abgeholt. Ist doch ein herrlicher Tag." Somit schlug er die Finger in den Kragen seiner Jacke und zog sie ihm von den Schultern.

"Öhm... nya", brummte der Blonde nur.

Während dann auch seine Jacke einen Haken fand, ließ sich Joey neben Kaiba auf einem Kissen nieder. Man, an dieses Hocken musste man sich erst gewöhnen. Er rückte nach links, rückte nach rechts und setzte sich letzten Endes in einen gemütlichen Schneidersitz. Nur Duke und Kaiba folgten den japanischen Gebräuchen und beschwerten sich nicht. Sie schienen sich pudelwohl zu fühlen und wurden dabei im Geheimen beobachtet.

Irgendetwas konnte hier doch nicht stimmen!

Schneller als erlaubt, tauchte eine Bedienung im Kimono auf und legte den drei Gästen kleine Tablette mit heißen dampfenden Handtuchröllchen vor. Somit verschwand sie wieder und überließ die Gäste dem Schicksal. Leicht verunsichert, starrte Joey auf das weiße Handtuch, dann beobachtete er Kaiba und Duke. Er war fast noch nie in einem richtig japanischen Restaurant gewesen. Ganz toll… wieder einmal würde er aus dem Rahmen fallen. Als Duke etwas Leises brummte, schmunzelte Kaiba, rollte das Handtuch auseinander und drückte es vorsichtig auf das Gesicht. Duke tat es ihm ohne Umschweife gleich und auch Joey machte sich an die Arbeit. Das verdammte Tuch war ganz schön heiß. Vorsichtig rollte er es aus, drückte es auf sein Gesicht und ließ es nach einer Sekunde wieder sinken.

Reichte das?

Ja, Kaiba und Duke legten es auch wieder weg.

Während sie dann auch noch ein kleines, warmes Getränk vom Haus bekamen, musste sich Joey soviel auf Duke und Kaiba konzentrieren, auf ihr Verhalten achten, dass er keine weiteren düsteren und misstrauischen Gedanken verfolgen konnte. Er trank den Tee und blätterte dann in dem Büchlein, um die Bestellung aufnehmen zu können. Dabei vertiefte er sich in die Namen und kämpfte um eine Übersicht.

Die Auswahl war einfach zu groß. Er rieb sich das Kinn, grübelte und streckte letztendlich beide Beine von sich.

Kaiba und Duke!

Glaubte man es?

Die beiden waren so dicke, als bestünde zwischen ihnen seit Jahren eine feste Freundschaft. Sie plauderten gelassen miteinander, schmerzten sogar. Und als dann das Essen eintraf, da wurde Joey ganz mitgerissen. Und wenn er nicht mit den Stäbchen kämpfte, dann beteiligte er sich an den Gesprächen und wurde sofort mit einbezogen. Es wurde also doch noch zu einem Vergnügen für ihn. Zwei Stunden saßen sie dort, aßen und tranken. Duke war außerordentlich großzügig und doch aß Kaiba nicht allzu viel. Er trank lediglich noch einen Tee und erhob sich dann.

"Ich komme gleich wieder." Mit diesen Worten machte er sich auf den Weg zu den Toiletten. Duke leerte sein Glas, stellte es auf den Tisch zurück und schob die Stäbchen von sich. Joey ließ seinen Reis sinken, blickte kauend auf und sah Kaiba nach. Auch als sich die Tür hinter diesem schloss, starrte er sie an und stellte die Schale ab. Er musste nicht lange überlegen, bevor er handelte. Auch er legte die Stäbchen ab, nahm das Tuch von seinem Schoß und erhob sich.

"Ich... ähm..." Er wies auf die Tür.

"Schon gut." Duke grinste.
 

Natürlich schlich Joey Kaiba nach. Er stieg die wenigen Stufen hinab und öffnete die Herrentoilette. Kaiba stand vor den Waschbecken, wusch sich die Hände und warf einen kurzen Blick zum Spiegel, als er die Schritte hörte. Er erspähte Joey und wandte sich wieder seinen Händen zu. Joey trat unterdessen näher, lehnte sich neben ihm gegen die Wand und verschränkte die Arme vor dem Bauch.

"Was ist?", erkundigte sich Kaiba beschäftigt, als er sich kurz im Spiegel betrachtete und sich das Haar aus dem Gesicht zog.

"Na ja." Joey räusperte sich leise, starrte auf den Boden und zog mit dem Fuß Kreise auf den sauberen Fliesen. "Auch, wenn du es locker nimmst und mir nicht böse bist, fühle ich mich irgendwie schuldig und abscheulich."

"Hm?" Kaiba drehte das Gesicht zu ihm und sah ihn verwundert an, nebenbei griff er nach einem Handtuch. "Warum?"

"Weil ich blöde Dinge zu dir gesagt habe", murmelte Joey ohne zu zögern. Er wagte es nicht, Kaiba in die Augen zu blicken. "Ich habe gesagt, dass du es mit dem Auftritt nie ernst gemeint hast, obwohl du dich so sehr bemüht hast. Ich habe keine Ahnung, warum ich so reagiert habe, wäre zu schön, wenn das eine Entschuldigung wäre."

"Du brauchst überhaupt gar keine Entschuldigung." Kaiba trocknete seine Hände ab und warf das Tuch in den Eimer. Anschließend wandte er sich zur Seite, lehnte sich ebenfalls an und stützte die Hände in die Hüften. Joey brummte verdrießlich, doch über Kaibas Lippen huschte ein flüchtiges Schmunzeln. "Weißt du, was ich kurz vor der Gerichtsverhandlung getan habe?"

"Keine Ahnung", murmelte Joey beschämt, sein Blick war noch immer auf den Boden gerichtet.

"Ich war bei einem Psychologen." Nun grinste Kaiba fester und legte den Kopf schief.

"Was?" Joey konnte es nicht glauben. Überrascht blickte er auf und starrte ihn an. "Warum? Ich dachte, du hättest für solche Typen nichts übrig?"

"Hab ich auch nicht." Kaiba zuckte mit den Schultern. "Aber ich dachte mir, dass es nicht schaden könnte." Er holte tief Luft. "Du weißt ja, wie so etwas läuft. Man liegt auf einem Sofa, so als hätte man keine Kraft in den Knien, starrt an die langweilige Decke und neben einem sitzt so ein verkniffener kleiner Zwerg. Und dann kann man seine Geschichte erzählen. Man plaudert einfach drauf los und der Fritz hört dir zu, nickt auf seine allwissende Art und Weise und macht sich Notizen. Und dann, wenn du alles losgeworden bist, schaut er, ob du heulst. Und wenn du es nicht tust, versteckt er schnell die Taschentücher und kommt zur großen Aufklärung. Na, das meiste was der Typ gesagt hat, das konnte man vergessen aber einige Sachen hörten sich richtig gut und glaubwürdig an."

"Ach ja?" Noch immer starrte Joey ihn an, ganz gebannt von dieser Erzählung. "Und... was zum Beispiel?"

"Ich trage den ganzen Kram natürlich noch irgendwo in meinem Unterbewusstsein herum und werde eine lange Zeit benötigen, um davon loszukommen. Er meinte, ich könnte für kurze Zeit leichte Depressionen bekommen. Schwachsinn. Aber über dich hat er mir auch eine ganze Menge erzählt. Er kannte dich zwar nicht, aber es passt schon. Und deine heutige Aktion hat bewiesen, dass der verkniffene Zwerg Recht gehabt hat."

"Über mich hat er auch etwas gesagt?"

"M-hm." Kaiba nickte geheimnisvoll, jedoch auch etwas verschmitzt.

"Ja, was denn?" Joey trat einen Schritt näher. "Sag schon."

"Zum Beispiel hast du deine Aggressionen nicht so recht unter Kontrolle und deine Nerven sind auch nicht die Besten. Kann etwas dauern, bis sich das vollständig gebessert hat. Aber solange es kein Weltuntergang ist... was soll's?"

"Aggressionen? Nerven?" Joey runzelte skeptisch die Stirn. "Das ist doch Blödsinn! Davon wüsste ich doch. Ich war lange nicht mehr gereizt... nur heute... ganz kurz."

"Na gut?" Kaiba nahm es locker und sog an seinen Zähnen. "Wenn es dir gut geht, freu ich mich." Mit diesen Worten legte er den Arm um Joeys Schulter und führte ihn zur Tür zurück. Der Blonde wusste wieder nicht, was er von der ganzen Sache halten sollte, also hielt er den Mund.
 

Lange blieben die drei nicht mehr. Sie stießen auf den Auftritt an und verließen dann das hübsche Restaurant. Joey war noch immer etwas durch den Wind und grübelte über Kaibas Worte. Auch, während sich Kaiba höflich für die Einladung bedankte und sich von Duke verabschiedete, rieb er sich nachdenklich das Kinn.

Was war, wenn Kaiba Recht hatte und auch er etwas gestört war?

Herrjemine...

Als Kaiba ihm in die Seite stieß und ihn somit aus seinen Träumereien riss, bedankte auch er sich schnell und führte einen kurzen Plausch mit dem netten Gastgeber. Dann trennten sich ihre Wege. Kaiba hatte vorgeschlagen, Duke nachhause zu fahren, doch dieser wollte noch etwas schlendern, also kehrten Joey und Kaiba allein zu dem Wagen zurück.

"Was ist?" Kaiba suchte nach dem Schlüssel und öffnete die Türschlösser. "Schläfst du heute bei mir?"

"Klar…", Joey grübelte kurz. "Ich muss nur kurz Bescheid geben."
 

Während sich Joey auf das gemütliche Sofa sinken ließ, packte er Kaiba am Kragen und zog ihn mit sich. Träge ließ er sich auf das weiche Polster fallen und lehnte sich gegen die weichen Kissen, Kaiba folgte ihm bereitwillig, stieg auf seinen Schoß und schlüpfte nebenbei aus dem Mantel. Dann beugte er sich nach vorn, ließ sich umarmen und schon das Gesicht unter Joeys Kinn, um seinen Hals zu beißen. Genüsslich hob Joey den Kopf, verstärkte die Umarmung und grinste, als er die zärtlichen Bisse, die weichen Lippen auf seiner Haut spürte. Während Kaiba ihn liebevoll bearbeitete und bald auch nach seinem Ohr schnappte, schoben sich seine Hände an Joeys Steiß unter den Pullover, glitten höher zu seinen Schulterblättern und zogen ihn leicht nach vorn. Joey rutschte zur Kante und streckte sich genießerisch. Auch seine Hände begannen zu wandern, nach den Knöpfen des störenden Hemdes zu suchen. Sobald sie fündig wurden, verließen die Knöpfe die Löcher und der störende Stoff glitt flink über die schmalen Schultern des Brünetten. Kaiba musste Joey kurz aus der Umarmung entlassen, um das Hemd dorthin zu befördern, wo es hingehörte: Auf den Boden. Dann beugte er sich wieder über ihn, fand seinen Mund und begann ihn fordernd zu küssen. Joey ergab sich schnell, hatte keine Lust auf einen Kampf und gab seinen Mund zur Erkundung frei. Während sich Kaiba schnell fester an ihn presste und sich an dem Reißverschluss seines Pullovers verging, hob Joey die Hände, durchstreifte sein Haar und krallte sich letzten Endes in seinen Nacken. Bedächtig schabten seine Fingernägel über die weiche Haut. Ritsch, sein Pullover war offen. Hastig löste er eine Hand aus Kaibas Nacken, bäumte sich etwas auf und schlüpfte durch den Ärmel. Der anderen Seite nahm sich Kaiba an, indem er einfach nach dem Pullover griff, ihn über Joeys Arm zog und zur Seite warf. So lösten sich ihre Lippen voneinander. Joey schloss die Augen und atmete stoßweise, als sich Kaiba tiefer sinken ließ. Er rutschte von dem Sofa und hockte sich vor Joey auf den Boden. Mit einer schnellen Bewegung zog er alsdann sein Shirt höher und wandte sich dem Bauch zu. Mit der einen Hand hielt er den Stoff oben, die andere bettete er auf Joeys Steiß. Und somit begann er wieder beißen, zu küssen und die zarte Haut mit seinem Haar zu streicheln. Joey biss sich bebend auf die Unterlippe, legte die Beine um Kaibas Oberkörper und kreuzte sie auf seinem Rücken. Zielstrebig arbeitete sich Kaiba tiefer. Als sich seine Hand von Joeys Steiß löste und die Hose öffnete, drehte er kurz das Gesicht zur Seite, schnappte nach Luft und zog den dicken Stoff dann mit einer langsamen Bewegung hinab. Joey war ihm gern behilflich. Er ließ die Beine sinken, stützte sich mit ihnen ab und hob die Hüfte an, die kurz darauf entblößt wurde. Ein kurzer Kampf um die Entsorgung der Hose und der Shorts begann, war jedoch schnell beendet. Joey ließ sich auf das Sofa zurücksinken, spreizte die Beine und tastete mit der linken Hand nach der weichen Lehne, um sich in ihr festkrallen zu können. Die andere schob sich in Kaibas Schopf, der sich nun noch tiefer sinken ließ, die Hände auf seine Knie legte und sich vom Bauchnabel an, weiter nach unten arbeitete. Joey öffnete den Mund, schloss die Augen verkrampfter und schob das Gesicht höher, seine Finger krallten sich fester in den Stoff, sein Atem begann schneller zu fallen. So etwas tat immer am besten, wenn es ganz spontan passierte! Als Kaiba noch tiefer rutschte, bäumte sich Joey auf, streckte seinen Rücken durch und unterdrückte ein lautes Ächzen. Seine Hand rutschte von der Lehne, schlug sich jedoch schnell in eines der Kissen. Er hob den Kopf etwas, stieß einen schweren Atem aus und ließ sich wieder zurücksinken. Sein Bauch hob und senkte sich schnell, Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. All die Sorgen waren in diesen Minuten vergessen, sie waren spurlos verschwunden und würden so schnell nicht wieder auftauchen. Kaiba ließ ihm keine Pause. Wieder begann sich Joey zu räkeln, seine Zehen spreizten sich, pressten sich wieder aneinander, verblieben jedoch reglos, als ein leises Geräusch ertönte. Joey durchfuhr ein grausamer Schreck, als er hörte, wie sich die Türklinke rasch bewegte. Er schnappte nach Luft, richtete sich hastig auf und drehte das Gesicht zur Tür, die sich nun öffnete. Kaiba reagierte ruhiger. Er entfernte sich nur etwas von Joey, ließ die Hände auf seinen Knien liegen und sah sich flüchtig um. Aufstehen tat er nicht.

"Ach Joey." Mokuba streckte den Kopf in den Raum und der Blonde grinste todesnervös.

"Ähm... ja?", hechelte er und schluckte schwer.

Und nebenbei betete er, dass der Junge kein Misstrauen schöpfte.

Mein Gott, er war so angespannt, als stünde vor ihm eine tickende Zeitbombe. Mokuba sah sich nur flüchtig um, hob die Augenbrauen und zuckte mit den Schultern.

"Ich suche Seto. Weißt du, wo er ist?"

"Ähm... öhm..." Joey sah sich kurz um. "Nein… eh… keine Ahnung."

"Das ist ja blöd." Mokuba öffnete die Tür weiter und trat ein. Er hatte ja keine Ahnung, dass er Joey somit an den Rand der Verzweiflung trieb. "Na ja... ich hab schon im Büro geschaut aber da ist er auch nicht. Er ist doch vorhin mit dir Nachhause gekommen, oder?"

>Ja und jetzt verschwinde!< Joey quälte sich, um sein Grinsen aufrecht zu halten.

"Das stimmt. Aber er... ähm... er ist noch einmal kurz raus. Keine Ahnung, wo er ist."

"Na gut." Mokuba ließ die Hand auf der Klinke liegen und trat einen Schritt zurück. "Falls du ihn vor mir siehst, kannst du ihm sagen, dass Bikky gerade die Mingvase zerdeppert hat, die unten im Foyer stand? Und auf einer Fließe ist jetzt eine riesige Schramme. Ganz schön hart und scharf dieses Porzellan."

Joey spürte, wie sich Kaiba zu regen begann, hörte, wie er brummte. Hastig ballte er die Hand in seinem Schopf lag zu einer Faust und drückte ihn tiefer.

"Ich glaube nicht, dass er so sauer wird, dass er sein aktuelles Vorhaben vorschnell abbricht!", sagte er dann in einem warnenden Ton und Mokuba legte den Kopf schief.

"Was?"

"Nichts." Joey winkte. "Tschüss."

"Ja, ähm... Tschüss." Verdattert verschwand der Junge wieder im Flur, die Tür schloss sich. Und sobald sie in das Schloss zurückklackte, richtete sich Kaiba auf, ballte beide Hände zu Fäusten und kam auf die Beine.

"Meine Mingvase!", fauchte er, als er zur Tür eilte, Joey sah ihm zertreten nach. "Die hat mir ein wichtiger Geschäftspartner geschenkt!"

"Und sie sah auch ganz toll aus." Joey legte den Kopf schief. "Hören wir deshalb auf?"

"Ich konnte diese kleine Kröte noch nie leiden!"

Nein, es sah nicht so aus, als wolle Kaiba aufhören. Er riss nur die Tür auf, lehnte sich in den Flur hinaus und sah sich nach beiden Seiten um. Dann schlug er die Tür zu, drehte den Schlüssel im Schloss und kehrte zu Joey zurück. Dieser freute sich sehr darüber, sah ihn erwartungsvoll näher kommen und richtete sich etwas auf.

"Bist du sauer?"

Kaiba brummte, ging um das Sofa herum und rieb sich den Nacken.

"Könnte man so sagen! Die Vase ersetzt er mir!"

"Du bist aber trotzdem zärtlich, oder?"

"Ich bin immer zärtlich!" Kaiba knurrte, hockte sich neben Joey auf das Sofa und griff zielstrebig nach dessen Shirt, um es ihm endgültig auszuziehen. Etwas zögerlich hob Joey die Arme und ließ es zu. Dann begann Kaiba ihn wieder zu küssen und so wie es aussah, ließ er nicht seine Wut an ihm aus. Er war wirklich zärtlich und äußerst feinfühlig, als er sich nach vorn lehnte und ihn vorsichtig dazu zwang, sich hinzulegen. Joey rutschte sich kurz zu Recht, ließ sich dann nach hinten sinken und zog Kaiba mit sich.
 

So vergingen weitere schwere Übungstage. Yugi, Tea und Tristan waren sehr froh über die Versöhnung und beteiligten sich mit vollem Einsatz an den Übungen. Nur Bakura schien nicht gerade fasziniert, doch von ihm konnte man nicht erwarten, dass er umher sprang und laut juchzte. Jeden Tag trafen sie sich direkt nach der Schule, jeden Tag saßen sie mehrere Stunden zusammen und taten ihr Bestes, um einen guten Auftritt bieten zu können.

Und Joey?

Der schlich sich nachts sehr gern in die Schule, wenn niemand mehr dort war. So verschaffte er sich weitere Übungsstunden und nach drei Tagen des harten Trainings, gelang es der Gruppe wirklich, den gesamten Song ohne auffällige Fehler zu spielen. Das Lernen des Textes war das Leichteste gewesen, Tristan beherrschte seine wenigen Griffe und Joey kam mit dem Gesang so gut klar, dass er sich voll und ganz auf das Schlagzeug konzentrieren konnte. Sie machten gewaltige Fortschritte, waren mit ihrer Arbeit zufrieden und zuversichtlich. Und dann kam der Tag, an dem sie der Schule ihr Können beweisen mussten.

Es war bereits Abend, als sich die Schüler mit ihren Eltern und Freunden in der Schule tummelten. Es waren so viele Menschen gekommen, dass allseits ein großes Gedränge herrschte. Jeder wollte zu jedem Stand, jeder wollte sich alles anschauen, das zur Schau gestellt wurde. Überall wurde laut geplappert und gelacht. Und nicht wenige Gespräche drehten sich um den Bandauftritt, der dem Schulfest das krönende Ende verleihen sollte.

Seto Kaiba! Die Schüler waren sehr aufgeregt, wurden jedoch nicht über genaueres informiert. Sie wussten nicht, wer alles teilnahm, welchen Song sie spielten und wie sie spielten. So war es noch viel spannender.
 

"Du kannst nicht mit deiner Schuluniform auf die Bühne steigen!" Joey schlug die Beifahrertür des Wagens zu und wandte sich über das Dach an Kaiba, der es ihm gleichtat, die Türen verschloss und erschöpft stöhnte. "Du musst richtig gut aussehen, nicht artig und streberhaft!" Joey sah sich um, beobachtete die Schüler, die auch vor der Schule standen und tratschten. "Schau, die laufen auch nicht in ihren Uniformen herum... und jetzt hör auf zu jammern! Du siehst wirklich gut aus!"

"Warum gerade Partnerlook?" Kaiba ließ den Gitarrenkoffer sinken und musterte seine Umgebung.

"Weil wir ein Paar sind", stellte Joey klar und ging los. "Na komm schon."

Kaiba blähte die Wangen auf, rollte mit den Augen und folgte seinem Meister.

Er trug eine tief sitzende schwarze Hose und ein ebenso schwarzes, ärmelloses Top. Mit einem langen Gesicht und schlürfenden Schritten ging er so mit Joey auf das Schulgebäude zu. Was die Hose anbelangte, hatte Joey zufällig die gleiche Wahl getroffen. Der einzige Unterschied war das Top, das war genauso geschnitten, jedoch von anderer Farbe war. Es war weiß. Aus Jux hatte sich Joey auch ein ledernes Halsband um den Hals gebunden, sein blondes kurzes Haar war zu einem schmalen Irokesen frisiert.

Schon aus weiter Entfernung wurden sie entdeckt. Die Schüler juchzten voller Aufregung und winkten voller Begeisterung. Ihr Erscheinen würde sich binnen kürzester Zeit im gesamten Gebäude verbreiten, das war sicher. Joey genoss diesen Tumult, die aufheiternden Zurufe und die freundlichen Gesten. Er strahlte und winkte zurück.

"Ich fühle mich wie irgendein Rockstar", flüsterte in Kaibas Richtung, als sie die große Eingangstür aufschoben.

"Sag das nicht, bevor der Auftritt gelungen ist", murrte Kaiba nur.

"Das wird er schon."

Ein trödelnden Schritten bahnten sie sich einen Weg durch die aufgeregten Schüler und Gäste. Überall wurde getuschelt. So etwas hatte es noch nie zuvor an dieser Schule gegeben.

Endlich erreichten die beiden die Umkleidekabinen. Dort trafen sie auf Duke und die anderen. Yugi wirkte sehr aufgeregt, obgleich er kaum etwas zu tun hatte. Tea hatte sich extra schick gemacht, tänzelte von einer Seite zur anderen und sang den Song zum dritten Mal. Duke war gerade dabei, seine Gitarre zu stimmen, Tristan übte seine Griffe noch einmal und Bakura las in einem Buch.

"Da seid ihr ja." Duke grinste, legte die Gitarre zur Seite und erhob sich. "Alles in Ordnung?"

"Es könnte nicht besser sein!" Joey streckte beide Arme von sich. "Ich bin fest entschlossen, die Zuschauer zum ausrasten zu bringen!"

"Schrei nicht so laut." Kaiba ließ sich auf einer Bank nieder und öffnete den Gitarrenkoffer. "Sonst bist du dann heiser und kannst nicht singen."

"Man, jetzt mach mich doch nicht noch zusätzlich wuschig!"

"Wie lange haben wir noch?" Tristan blickte von einer Gitarre auf.

"Eine halbe Stunde", antwortete Yugi schnell.

"Sollen wir eine Generalprobe machen? Noch ist der Saal leer."

"Brauchen wir eine Generalprobe?" Kaiba sah sich fragend um, doch alle schüttelten den Kopf. "Gut, ich brauche auch keine."

Während Tea den Text zum weiteren Male durchging, ließ sich Joey neben Tristan auf die Bank fallen. Er streckte beide Beine von sich, überprüfte den Halt seiner Frisur und sah sich dann um. Kaiba begann ebenfalls seine Gitarre zu stimmen, wobei Duke ihm eine große Hilfe war. Wieder saßen die beiden nahe beieinander, verglichen die Töne der Saiten und schraubten hier und dort. Joey beobachtete sie eine lange Zeit, dann grinste er und lugte zur Seite. Tristan schien ebenfalls sehr hart geübt zu haben, er beherrschte die Griffe nahezu perfekt und den leisen Klängen konnte man mit größtem Behagen lauschen. Während er dann die Augen schloss um sich vor dem großen Auftritt etwas zu entspannen, verließen Yugi und Bakura die Umkleidekabine, um noch irgendetwas zu organisieren. Es war wirklich erstaunlich, wie ernst ein jeder der Clique seine Aufgabe nahm. Man kümmerte sich um alles, alles stimmte überein, alles war perfekt. Und das war auch der Grund, warum Joey etwas mulmig zumute wurde, als er bald die aufgeregten Stimmen der Menschen hörte, die sich in den Saal drängelten, sich ihre Stühle zurechtrückten und auf ihnen Platz nahmen. Er hatte die größte und schwerste Aufgabe auferlegt bekommen.

Niemand konnte es besser versauen, als er.

Würde seine Stimme vor Aufregung zittern?

Würde er falsch schlagen und aus dem Takt geraten?

Es gab so verdammt viel, was schiefgehen konnte.

Nun waren es nur noch wenige Minuten, bis sie auf die Bühne mussten. Kaiba hatte seine schwarze E-Gitarre auf seinem Schoß gebettet und saß Joey entspannt und durchaus etwas gelangweilt gegenüber. Tea sang noch immer und auch Tristan machte nicht den Anschein, als würde das Herz in seiner Brust rasen. Er rieb die Hände aneinander, schluckte schwer und sah sich um. Man, da hatte er sich aber etwas eingebrockt. Bedauerlicherweise gab es nun jedoch kein Zurück mehr. Während die fünf Bandmitglieder noch etwas herumsaßen und warteten, waren Yugi und Bakura bereits im Saal.

Dieser Saal des Grauens lag direkt neben der Umkleidekabine und so konnte Joey Stimmen hören, die ungeduldig nach ihnen verlangten. Kaiba warf einen knappen Blick zu der Wanduhr, dann griff er die Gitarre am Hals, erhob sich und wandte sich an seine Gruppe.

"Also." Locker blickte er in die Runde. Joey, Duke und Tristan waren sofort aufmerksam, doch da gab es jemanden, der sich lieber mit anderen Dingen beschäftigte. Kaiba runzelte die Stirn. "Gardner, würdest du vielleicht kurz den Mund halten?"

Sofort stand das Mädel stramm und Kaiba lauschte kurz zur Seite, lauschte in den Saal, indem es nun langsam leiser wurde.

"Stellt euch einfach vor, es sei eine weitere Generalprobe. Und wenn jemand irgendeinen Fehler macht, dann spielt oder singt er weiter, verstanden?"

Die Zuhörer nickten eilig.

"Fehler höre ich sofort, nehme sie aber nicht übel, solange sie nicht den ganzen Auftritt vermasseln. Ich habe so etwas noch nie gemacht und habe auch nicht vor, es irgendwann zu wiederholen. Also wäre es mir lieb, dass es funktioniert und ich keinen blamablen Artikel in der Schülerzeitung vorfände."

"Ja, natürlich." Tristan atmete tief durch, Joey rieb seine Hände aneinander, rutschte auf der Bank hin und her.

"In Ordnung." Kaiba musterte seine Bandmitglieder mit ernster Miene, wies dann mit einem knappen Nicken auf die Tür und ging los. In dieser Sekunde ertönte Bakuras Stimme in dem Saal, der mit großer Begeisterung den Auftritt ankündigte.

Duke und Tristan erhoben sich sofort und folgten Kaiba. Auch Tea tänzelte in den Gang hinaus. Nur Joey zögerte, bevor auch er aufstand und die Umkleidekabine verließ. Der Gang der Schule war leer, kein einziges menschliches Lebewesen war noch zu sehen und das missfiel Joey sehr. Also hockten sie jetzt alle in dem riesigen Saal und warteten auf die grausame Blamage. In trödelnden Schritten zog Kaiba an der großen Tür des Saales vorbei und öffnete eine kleinere, die direkt daneben lag. Mein Gott, er tat, als wäre das überhaupt nichts Außergewöhnliches. Joey würde sich am liebsten irgendwo festkrallen und nicht mehr loslassen. Und als Bakura verstummte und sich tobender Applause erhob, da explodierte beinahe sein Herz und ein kalter Schauer kroch über seinen Rücken. Er schnitt eine Grimasse, faltete die Hände vor der Hüfte und folgte der Gruppe zögernd und langsam in den engen Gang, der versteckt zur Bühne führte.

Mein Gott, konnten die Zuschauer nicht wenigstens etwas leiser sein?!

Die machten so einen Krawall, als hätten sie vor, jeden umzubringen, der die Bühne betrat. So, jetzt waren sie angekündigt und es ging los.

Locker griff Kaiba nach einem kleinen Vorhang, zog ihn zurück und trat auf die Bühne heraus. Hinter ihm folgten Duke, Tristan und Tea. Sogleich wurde noch lauter geklatscht und gegrölt. Kaiba warf nur einen flüchtigen Blick zu der Masse, die vor der Bühne hockte, saß und stand. Dann nahm er seine Position ein, hob das breite Lederband über den Kopf und bückte sich nach einem kleinen Kabel, das zu seinen Füßen auf dem Boden lag. Mit entspannter Miene schob er den kleinen Stecker in das Loch und ließ die Gitarre vor der Hüfte hängen. Dann griff er in seine Hosentasche, zog das Plektrum hervor und rieb es zwischen Daumen und Zeigefinger. Auch Tea, Duke und Tristan hatten ihre Positionen eingenommen und Tea und Tristan schienen nun ebenfalls etwas nervös zu werden. Tea blieb hinter ihrem Mikrofonständer stehen, zog das Mikrophon aus der Halterung und ließ es sinken. Auch Tristan und Duke schlangen sich die Gurte um den Hals, rückten ihre Mikrophone zurecht und bereiteten sich kurz vor.

Und dann schob sich auch Joey durch den Vorhang und betrat den Ort des Grauens. Und er wünschte sich, sofort tot umzufallen, als er die vielen Zuschauer sah. Sie winkten, jubelten und klatschten, taten ihm jedoch keinen Gefallen damit. Es waren verdammt viele! Er hatte zwar mit vielen Interessenten gerechnet, doch das so etwas zustande kam, hätte er sich nicht träumen lassen. Nervös sah er sich um, schob sich hinter Tristan vorbei und näherte sich dem Schlagzeug, das nur auf ihn wartete. Es machte den Anschein, als würde es sogar höhnisch lachen. Während er sich dann stockend auf seinem Hocker niederließ und angespannt keuchte, begann Kaiba leise zu zupfen, überprüfte die Töne ein letztes Mal.

>Okay.< Mit zittrigen Händen richtete Joey das Mikrophon, rutschte sich auf dem Hocker zu Recht und zog zwei hölzerne Schlegel aus der Haltung. >Gar nicht auf die Menschen achten! Die sind gar nicht da! Augen zu und durch!<

Er rieb und wendete die Schlegel in den Händen und besah sich die Becken und Pauken. In der letzten Zeit hatte er sich mit ihnen vertraut gemacht und trotzdem wirkten sie plötzlich schrecklich unsympathisch auf ihn. Wieder rutschte er herum, klopfte gegen das Mikrophon und räusperte sich leise. Wenn das mal gut ging.

Als Kaiba die Hände sinken ließ und aufblickte, begann der tobende Krawall abzuebben. Die Hände sanken, die Münder schlossen sich. Binnen weniger Sekunden war eine Totenstille eingetreten, die Band machte sich fertig. Duke und Tristan griffen in die Bünde, hielten sich bereit. Tea stand aufrecht und Kaiba klemmte das Plektrum locker zwischen die Finger. Joey ließ den Kopf sinken, schloss die Augen und holte tief Luft. Nun ja, jetzt hatte er so eine Angst, dass er sich kaum noch sorgen konnte. Es gab kein Zurück mehr, also musste er sein Bestes geben. Noch blieb ihm Zeit, noch musste Duke den leisen und melancholischen Einstieg spielen. Er wartete angespannt auf den ersten Ton der Gitarre, lockerte die Hände und öffnete die Augen. Er warf einen flüchtigen Blick in das Publikum und rutschte dann etwas weiter nach vorn, damit er nahe genug an das Mikrophon herankam. Duke wartete kurz, ließ die Stille lang anhaltender wirken und begann dann mit der langsamen, leisen Melodie. Gekonnt rutschte seine Hand über den schmalen Hals, seine Finger griffen sicher in die Bünde, während er mit der anderen Hand über die Saiten glitt. Joey konzentrierte sich auf jeden der Töne, wartete konzentriert und sah seinen Einstieg schnell näher kommen.

>Los geht's.< Er holte tief Luft und schloss erneut die Augen, um so viel Gefühl wie möglich in seine Stimme zu legen. >Wird schon schief gehen...<

Somit schloss Duke ab, ließ den letzten Ton ausklingen und griff schnell um, da er Joey auch während der ersten Strophe begleiten musste. Dieser zählte vier Sekunden ab und begann gleichzeitig mit Duke.
 

"Glaubte man den Weisheiten der Alten,

heilt die Zeit alle Wunden.

War Rache nur ein bittersüßer Geschmack.

Schmerzte Hass nicht ewig.

Und dann sah ich es in deinen Augen."
 

Joey traf jeden Ton, sang leise und gefühlvoll. Seine Stimme zitterte, als er in einen höheren Ton umstieg und sofort wieder tiefer sank, doch nicht etwa vor Aufregung, nein. Die zärtliche Gitarrenmusik ließ alles noch schwermütiger und ergreifender wirken. Joey achtete nicht mehr auf seine Stimme, lauschte den Klängen und führte die erste Strophe dann fort.
 

"Glaubte man den Worten der Mächtigen,

war Glück von Dauer.

Spross Reichtum aus den Böden.

Lächelte die Liebe auf uns herab.

Doch dann sah ich es in deinen Augen,

Leere und Kälte umgab dich."

Joey atmete aus, vertiefte sich in den letzten Satz, den er besonders leise singen musste.

"Und nichts schien mehr glaubwürdig."
 

Somit umfasste er die Schlegel fester, richtete sich aus der zusammengesunkenen Haltung auf und öffnete die Augen. Nur kurz herrschte völlige Stille, ihm blieb nicht viel Zeit, auf die Zuhörer zu achten. Dann hob er den rechten Schlegel, bettete die Spitze an dem Rand eines Beckens und tippte ihn an. Vorerst nur sehr leise, es war kaum hörbar. Doch binnen kurzer Zeit wurden die schellenden Geräusche lauter. Er schlug fester zu, holte dann mit dem anderen Arm aus und schlug den Schlegel gegen ein größeres Becken. Ein lauter Schall ertönte und somit stieg der Rest der Band ein. Perfekt aufeinander abgestimmt, meldeten sich die drei Gitarren. Krachend begann die E-Gitarre zu donnern, unterstützt von den anderen beiden, die vielmehr den Ton angaben. Und noch während der berauschende und zugleich taktvolle Krawall ertönte, begannen sie laut zu singen. Sie holten alles aus ihren Lungen, ließen ihre Stimmen laut und verbissen erklingen.
 

"Geh nicht, denn ich weiß, wohin du willst!

Geh nicht, denn du weißt, es ist der letzte Schritt!

Geh nicht, schreie ich, meine Stimme zerbricht!

Geh nicht, und du lässt dich fallen..."
 

Somit traten Tristan, Tea und Kaiba von den Mikrophonen zurück. Nur Duke blieb direkt stehen, wartete, bis der Sound der E-Gitarre ausgeklungen war und begann dann sogleich mit der wiederum leisen und traurigen Melodie der zweiten Strophe.

Es war ein brutaler Übergang vom lauten temperamentvollen Gesang in die bekümmerte und zugleich verzweifelte Stimmung. Kaiba hatte ganze Arbeit geleistet, es wirkte. Während es wieder leiser wurde, herrschte noch immer Totenstille in dem riesigen Saal. Mit offenen Mündern saßen die Zuschauer dort und wagten es nicht, sich zu bewegen. Und Joey war inzwischen so in dieses Element geraten, dass er sich mit großer Entspannung und Freude der zweiten Strophe zuwandte.
 

"Hatte ich je etwas gelernt, war es unbedeutsam.

Hatte ich je etwas gefühlt, war es nichtig.

Hatte ich je geweint, war es naiv.

Hatte ich je etwas verloren,

dann sah ich es in deinen Augen.

Hatte ich gedacht, dich zu kennen,

dann widerlegtest du es.

Hatte ich geglaubt, dich glücklich zu machen,

dann beweintest du es."
 

Ohne dass er es bemerkte, sank auch seine Stimmung auf den Tiefpunkt. Wieder überließ er Duke das kurze Solo, schluckte schwer und hielt den Atem an. Das alles war so traurig, das unbewusst alles Erlebte in ihm höher stieg. Und als er dann weiter sang, zitterte seine leise wehleidige Stimme so sehr, dass man glauben konnte, er würde in Tränen ausbrechen.
 

"Hatte ich geahnt, wie es dir geht,

dann verschwiegst du es.

Hatte ich gewusst, was du willst,

dann sah ich es in deinen Augen.

Leere und Kälte umgab dich

und nichts schien mehr wichtig."
 

Bevor der letzte Ton der Gitarre ausgeklungen war, setzte Kaiba ein. Er spielte ein wundervolles Solo. Schnell änderten sich die Töne, ohne, dass sich die Melodie wandelte. Er ließ sein Instrument gekonnt weinen, die Töne zitterten und seine Finger wanderten flink über die Bünde. Das wehleidige Weinen der E-Gitarre wurde nach einer langen Zeit noch Nervenzerreißender, es steigerte sich, steigerte sich weiter und endete in einem lauten Schreien.

Joey lauschte, vernahm den metallenen Klang und holte weit aus. Dann schlug er auf die Becken ein und brachte somit den Refrain ins Rollen.
 

"Geh nicht, denn ich weiß, wohin du willst!

Geh nicht, denn du weißt, es ist der letzte Schritt!

Geh nicht, schreie ich, meine Stimme zerbricht!

Geh nicht, und du lässt dich fallen..."
 

Nun ließ Joey die Stäbe sinken, richtete sich etwas auf und wartete. Die Stimmen seiner Freunde verstummten, die Instrumente klangen aus, bis sich wieder leise Dukes Gitarre meldete. Diesmal hatte dieser nur ein kurzes Stück zu spielen, Joey musste eher einsetzen und den Auftritt mit leisem Gesang beenden. Seine Hände lockerten sich weiter, beinahe entglitten ihm die Stäbe. Doch bevor dies geschehen konnte, kam sein Einsatz. Ein letztes Mal holte er tief Luft, schloss die Augen und begann.
 

"Glaubte man den Worten der Mächtigen,

war Glück von Dauer.

Spross Reichtum aus den Böden.

Lächelte die Liebe auf uns herab.

Doch dann sah ich es in deinen Augen,

Leere und Kälte umgab dich

und nichts schien mehr glaubwürdig.

Da sah ich in deine Augen,

leer aber erlöst,

kalt aber glücklich.

Und ich sah es zu spät."
 

Somit verstummte er und öffnete nach einem genießerischen Zögern die Augen. Schweigen...

Noch immer bewegte sich niemand, die Masse wirkte wie ein Bild, wie ein Stillleben. Beinahe war der Atem der Band zu vernehmen. Langsam führte Joey die Hände aneinander und legte den einen Schlegel zu dem anderen, sein Blick schweifte erwartungsvoll durch die Reihen, viele Blicke waren auf ihn gerichtet. Ungläubig, entsetzt... begeistert.

Ein leises Scheppern durchdrang die Totenstille, jemand hatte eine Büchse fallen gelassen. Ein leises Knacken folgte, die Menschen begannen sich unruhig auf ihren Stühlen zu bewegen, warfen unauffällige Blicke nach beiden Seiten. Ingesamt brach eine große Unruhe aus, doch Joey war so entspannt.

Er hatte all seine Ängste verloren, steckte die Schlegel in die Halterungen zurück und wandte den Blick von dem Publikum ab.

Es hatte funktioniert!

Seinen Triumph konnte ihm niemand streitig machen. "Klick" Er drückte die Schlegel hinab, betete die Hände auf den Oberschenkeln und lehnte sich etwas zurück. Und plötzlich, wie eine unerwartete Flutwelle, wie ein Sturm, sprang das Publikum auf. Ein lautes Geschrei, ein schallender Applause durchdrang die Stille wie ein Messer. Von einer Sekunde auf die andere, wurde es ohrenbetäubend laut in dem Saal, die Menschen jubelten, klatschten und schrien nach Zugabe. Nie hätten sie mit so etwas gerechnet, nie hatten sie gedacht, so von einer Musik gebannt zu sein.

Eine gewisse Lehrerin hatte Tränen in den Augen, während sie eifrig klatschte und immer wieder ungläubig den Kopf schüttelte. Auch ein gewisses Mädel kreischte ohrenbetäubend, während sie umher sprang und jeden umarmte, der ihr in die Quere kam.

Bewegung begann zu herrschen, das war der Abschluss gewesen, der Abschluss des Schulfestes, das wohl in die Geschichte eingehen würde.

Nachdem sich Joey von dem Schrecken erholt hatte, ließ er den Kopf sinken, grinste und lachte leise. Auch die anderen schienen erleichtert und stolz. Und dazu hatten sie auch allen Grund. Bei keiner Probe hatte es so gut funktioniert, wie jetzt. Bei keiner Probe hatte sich Joey so sehr in den Text, in den Song vertieft. Duke drehte sich zu Tristan um schlug ein, Tea hüpfte juchzend auf dem Platz und Yugi versuchte verzweifelt, Bakura um den Hals zu springen, der in einer Ecke stand und sich mit einem eifrigen Klatschen zufrieden gab. Kaiba ließ das Plektrum in die Hosentasche zurückrutschen. Sehr über die Reaktionen des Publikums schien er nicht überrascht zu sein, beinahe machte es schon den Anschein, als höre er den Krawall der Zuschauer überhaupt nicht, als er sich den Gurt über den Kopf zog, die Gitarre sinken ließ und sich zu Joey umdrehte. Dieser richtete sich auf, stützte sich auf seine Knie und traf auf seinen Blick. Kurz sahen sie sich an, dann zog ein Grinsen an Kaibas Mundwinkel und Joey zeigte bei einem heiteren Lachen seine Zähnchen.

Sie lachten gemeinsam.
 

*...*...* to be continue *...*...*
 

Plädoyer einer ganz Fleißigen:

Bitte sehr~ das war der zweite Teil des Monster-Projektes! ^o^/)

Besonderer Dank geht dabei an Moyashi. Ohne sie und ohne ihre Ideen, hätte ich diese Story nie zustande gebracht... außerdem hat sie den Songtext geschrieben, den ihr soeben gelesen habt.

Ihr habt ihr es außerdem auch zu verdanken, dass es höchstwahrscheinlich einen dritten Teil geben wird. Mit dem beginne ich, sobald ich mich von diesen Strapazen erholt habe.

Ja, ja... es geht immer und immer weiter.

Es wird noch etwas dauern, bis ihr Teil 3 "Das Licht der Welt" lesen könnt, denn ich muss noch ein bisschen planen und weiß noch nicht so recht, wo und wie ich beginnen soll. Und diesmal habe ich ganz sicher nicht vor, alles außer Kontrolle geraten zu lassen! Neeeein! Die Story wird ganz sicher nicht 462 Seiten lang sein! Man, das schlaucht gewaltig in den Griffeln! Fragt nicht, wie ich das immer wieder hinbekomme!

Ich bin durch und durch verrückt! Ò__óy

See you next stage!
 

Eure Mononoke!



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Kommentare zu dieser Fanfic (76)
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Von:  Hellsingel
2009-11-04T22:08:59+00:00 04.11.2009 23:08
So, wann hatte ich gesagt, wann ich dieses Kommi schreiben wollte
vor ca. 1 Woche, nicht?!
Warum ich es erst jetzt schreibe... frag nicht^^°

Auf jeden Fall mach ich das jetzt mal.
Ja, der zweite Teil; Meine Erwartungen waren hierbei ganz anders, als beim ersten. Natürlich hatte ich gehofft, dass der zweite Teil genau so gut ist wie der erste. Tatsächlich hatte er meiner Erwartungen weit übertroffen^^
Alles, was es im ersten Teil zu "bemängeln" (dieses Ausdruck nicht so ernst nehmen), hast du im zweiten bei weitem besser gemacht.
Das war vor allem in zwei Punkten:
Während sich der erste Teil so ein bisschen in der Mitte hingezogen hat, hasst du in "Gift in Körper und Seele" fast ständig für neue Spannung gesorgt.
Das zweite war das Ende. Ich fand das im ersten etwas sehr zügig.
Zum Schluss treffen die beiden auf Katagorie und kurz danach folgt auch schon der Schluss. (Naja, was heißt kurz, es war noch ein ganzes Kapi, aber im Vergleich zur Gesamtlänge fand ichs etwas kurz)
Auf jeden Fall haben mir die Kapis nach Katagoties Tod sehr gut gefallen, wobei ich das Adult noch nicht lesen konnte -.- Im Dezember ist es dann aber so weit, dann hole ich das nach^^
Das mit dem Auftritt zum Schluss, fand ich hier eine sehr nette Idee.

So... jetzt mal etwas zur Handlung^^
Kaum, dass es los geht, bringst du diesen Chester ins Spiel. Ich hatte echt Angst um Joey O.o wer weiß, was du ihm angetan hättest XD
Das Wiedersehen mit Kaiba war dann aber sehr rührend
Das Katagorie wieder aufteucht musste ja kommen, schließlich geht es um ihn.
Als Kaiba dann mit Pikoto sprach (fand ich übringens eine sehr gute Idee. Das zeigte mal wieder, dass Kaiba nicht auf alles eine Antwort hat. Auch er hat schwächen) und sie auf die Idee, Joey von Kaiba zu trennen, zum sprechen kam, dachte ich mir erst... schon wieder O.o Das hab ich doch mind. schon in zwei Ff gelesen (nein, das ist kein Witz)

Letztendlich fand ich es einen sehr guten Einfall, da du dadurch Duke jetzt eine größere Rolle gegeben hast. Außerdem hat Joey ja recht schnell erkannt, das Kaiba ihm das nur vorspielt, um ihn vor Katagori zu schützen.
Als Joey und Duke dann in Katagoris Händes waren, fand ich es schon witzig, als ich seinen Plan hörte. Joey hatte schließlich als einziger Bemerkt, dass Kaiba einen neuen Chauffeur hat.
Aber ich habe so das Gefühl du hast Katagorie so einen 0815-Ganoven Image gegeben XD Erst erzählt er den großten Plan, nur um ihnen dann zu sagen, er würde sie später töten... und natürlich gelingt den beiden dann die Flucht, naja wie mans nimmt.
Was als nächstes kam... Es ist ein... Alfons ^^
Ich find den echt sympathisch. Gibt Hanfpflanzen einen Namen, hat sich in die Kaiba-Coorperation gehackt (ich überleg gerade, hatte Joey ihm das eigentlich erzählt. Ich weiß noch, das er mit dem Gedanken gespielt hatte, schließlich hat Alfons ihm mehr oder weniger das Leben gerettet)
usw. XD
Ich mag ihn.

Zwei Kapis haben in dieser Ff einen ganz besonderen Stellenwert für mich.
Das sind einmal "Zurück auf die Beine!" und "Um jeden Preis"
Um genau zu sein beginnt es am Ende von "Zurück auf die Beine!", als Joey sich in der U-Bahn mit diesem Alten Herren unterhält. Ja das nennt man Weisheit XD
"Um jeden Preis" gefiel mir so gut, wegen der Atmosphäre die du geschaffen hast. Man merkt richtig Joey's Willen Kaiba zu retten.
Außerdem fand ich die Szene im Hotel sehr gut geschrieben, auch wenn Joey mal wieder nur knapp dem Tod entronnen ist. Wie kannst du ihm sowas antun O.o

Besonders gefallen hat mir dann die Stelle, wo Joey auf dem Rückweg ist. Er ist erschöpft, aber überglücklich, dass er das Gegenmittel hat. Die Stelle wo er dann im Zug schläft und dabei das Gegenmittel fest umklammert umhält; Im Gegensatz zur Szene im Hotel ist so eine angenehme Ruhe eingekehrt. Ich konnte mich richtig gut hineinversetzten, weshalb dieser Abschnitt auch meine Lieblingsstelle deiner Ff ist^^.

Die Kapis, wo es um Kaibas Genesung gingen, waren wirklich depremierend. Ich konnte mich auch hier wieder sehr gut hineinversetzten. Joey, der Kaiba förmlich mit dem Zaunphal winkt und Kaiba, der immer noch versucht die Distanz zwischen ihm und Joey aufrecht zu erhalten. Da kann man Duke schon verstehen, dass er Kaiba alles an den Kopf wirft.
Mir fällt hier gerade ein, dass an irgendeiner Stelle gesagt wurde, dass Kaibas Verhalten sich durch die Nachwirkungen des Giftes verändern hätte. Das wäre aber kaum einer, außer Joey, bemerken.
Ich bin nur gerade am überlegen, ob es das war, was Kaiba zu diesem, mehr als Verantwortungslosen, handeln trieb, als er sich Katagorie stellt. Oder war es nur der Hass gegen ihn??

Wie ich ja schon erwähnte gefiel mir das Ende sehr schön, vor allem weil es recht lang war. Es kam sehr gut rüber, wie sie alle wieder in den Alltag zurückgefunden haben und so konnte sich die Beziehung zwischen Joey und Kaiba in Ruhe wieder festigen.
Das Verhalten des Lehrers und vieler Schüler am Anfang war mehr als asozial. Vor allem als Lehrer darf man sich sowas nicht erlauben. Gleichzeitig schön und traurig war die Szene nach dem Unterricht, als Kaiba Joey in den Arm genommen und ihm Mut zu gesprochen hat *_*
Allein für diese Stelle könnte ich dich knuddeln XD
Die Idee mit der Band war auch mehr als Genial. Das hat nochmal richtig viel Platz für Humor gegeben, sei es nun die Stelle wo Joey Kaiba erzählt, die anderen wüssten von ihrer Beziehung oder das Mädchen mit dem Akkordion XD
Die Stelle wo Joey dann ausgerastet ist wegen Kaiba fand ich ein bisschen merkwürdig und gleichzeitig witzig. Irgendwie hat sich Joey ger nicht richtig bei Kaiba und Duke entschuldigt. War wohl sowas wie ein Stilles einverständniss oder so XD

Zum Schluss muss ich dich wirklich noch mal loben XD Für die super Handlung, deinen Schreibstil und vor allem dafür, dass du Duke als Joey's guten Freund und Ansprechpartner für alle Lebenssituationen eingebaut hast. (langsam fang ich an müll zu schreiben -.-)

Ich glaibe ich habe es etwas mit dem Kommi übertrieben. Habe jetzt auch mehr als eine halbe Stunde daran geschrieben^^
An dem dritten Teil muss habe ich noch etwas zu lesen. Habe erst die ersten zwei Kapis durch... was aber auch schon rund 1/3 der Ff ist XD
Und ich konnte es mir nicht verkneifen schon mal ein bisschen im vierten Teil zu lesen >.< Und natürlich musste ich das Kapi "Ebenbild 1/2" lesen >.< >.< Ich weiß allmählich nicht mehr was ich denken soll.
Also, jetzt mach ich hier aber Schluss XD
Bis zum nächsten Kommi
lg


Von: abgemeldet
2009-04-07T00:50:08+00:00 07.04.2009 02:50
das war so ein tolles ende,besser hätte ichs nicht machen können! *-*'''' ich hab mir so vorgestellt, wie die auf der bühne stehen und die Zuschauer total begeistert sind! das war so ein harmonisches ende. Happy end! ich freu mich so saumäßig auf den dritten teil!!!
Von: abgemeldet
2009-04-07T00:32:38+00:00 07.04.2009 02:32
ach ne ich liebe das!! Erst drängt joey alle das zu tun und dann muss er doch auch selber ran! ^_^ ich hab mir schon sowas gedacht dass seto das nicht auf sich sitzen lassen wird und dann noch mitten auf der bühne! ich hab so gelacht. Eigentlich ja gemein >_<'''''''
Von: abgemeldet
2009-04-07T00:21:40+00:00 07.04.2009 02:21
PUUUUUUUHHHHHH ich bin sowas von kaputt nach dem kapitel! T__T wie kannst du nur???? geil geil geil
Von: abgemeldet
2009-03-22T20:48:51+00:00 22.03.2009 21:48
find cih gut dass Joey doch noch ins Krankenhaus gekommen ist und kaiba geholfen hat. Da merkt man die beiden lieben sich echt! und dann der taxifahrer der so traurg war, weil kaiba tot ist! =)))) geil! hab so gelacht!
Von: abgemeldet
2009-03-22T20:36:55+00:00 22.03.2009 21:36
Versteh ich voll dass joey sauer ist!! der mache ja alles um Kaiba zu helfen und dann kommt der dem so blöde! da wär ich auch mal so richtig sauer! =(((
Von: abgemeldet
2009-03-22T20:26:28+00:00 22.03.2009 21:26
kaiba und arbeitsverbot *prust* =) das will ich mal sehen wie das geht! und der ist sooo fies zu joey! Wie kann der nur?!! >:(
Von: abgemeldet
2009-03-04T20:09:04+00:00 04.03.2009 21:09
Dass joey das schafft das wusste ich irgendwie! So entchlossen wie der war hätte der jeden fertig gemacht und jetzt hat er Hirayama so geil auseinandergenommen und YIPPI hat das Gegengift!!
Auf dem rückweg von ihm hatt ich so Angst,dass da noch so irgendwas kommt,das weiß man ja nie bei dir! Aber es ist gut gegangen und ich bin sooo froh! Hoffentlich wird seto ganz schnell wieder gesund!!!
Von: abgemeldet
2009-02-23T16:42:52+00:00 23.02.2009 17:42
Seto muss soviel durchmachen,dass mir richtig bange wird! ich hoffe dass Joey das alles hinkriegt und mit ihm auf den grünen zweig kommt, was ja grad total schwer ist. Immer kriegt joey alles ab,da hast du recht! ;_;
Von: abgemeldet
2009-02-23T16:29:31+00:00 23.02.2009 17:29
Oh gott! oh GOTT!! Die armen Beiden! Ich bin so froh dass sie da gut rausgekommen sind und jetzt kaiba helfen könnewn! Das können die doch?
katagori darf sich nicht so verquatschen,wenn er Joey vor sich hat. Der unterschätzt den immer!
*zum nächsten kap renn*


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