Zum Inhalt der Seite

Vampire Kiss

Vermouth x Jodie, (Curaçao x Kir)
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

wichtig vorab :

-> Die Hintergrundgeschichten der Charaktere orientieren sich zwar grob am Anime/Manga, die Story selbst weicht jedoch davon ab.

-> Sharon Vineyard und Chris Vineyard sind in dieser Story zwei unterschiedliche Personen (Mutter und Tochter)
 

Kapitel 1
 

Kalter Regen prasselte auf die Großstadt nieder und bildete bereits Pfützen zwischen dem Kopfsteinpflaster. Stumm und dunkel lagen die Straßen der Wohnsiedlung da.

Am Ende der Straße flackerte eine Straßenlaterne, welche dabei war den Geist aufzugeben. Bis auf das spärliche Licht der wenigen Straßenlaternen, spendete nur der Mond ein wenig fahles Licht.

So belebt die Hauptstraßen New Yorks selbst in der Nacht sein mochten, auf das eher abgelegene Wohnviertel traf dies nicht zu. Hier gab es keine Spur von grellen Leuchtreklamen. Die typischen gelben Taxis der Großstadt, suchte man hier um diese Uhrzeit ebenso vergeblich wie Fußgänger.

Der Straßenzug, welcher bereits eindeutig bessere Zeiten erlebt hatte, mutete fast schon ausgestorben an.

Lediglich eine unscheinbare Gasse wich von der Norm ab.

Platschend spritzte das Wasser einer Pfütze zu allen Seiten, als ein schwerer Stiefel mitten hinein trat. Unbeeindruckt rannte die Person weiter, dicht gefolgt von vier weiteren Gestalten. Sie alle waren in dunkle Mäntel gehüllt. Die Kapuzen, die die Personen sich tief ins Gesicht gezogen hatten, schirmten den Regen zumindest einigermaßen ab.

"Er ist in diese Gasse gebogen, da bin ich mir ganz sicher.", zischte eine Frauenstimme ihren Kameraden zu.

"Ja, das glaube ich auch. Irgendwo hier versteckt das Biest sich.", stimmte ihr einer ihrer Begleiter zu. Selbst unter seinem Mantel wirkte er eher massig.

"Der versteckt sich nicht, er liegt auf der Lauer.", verbesserte ein weiteres Gruppenmitglied. "Zeit, die Gasse ein wenig auszuleuchten."

Die restlichen Teammitglieder nickten stumm, ehe einer der Männer eine Art Taschenlampe aus seinem Mantel hervorzog. Kaum war diese eingeschaltet, traf der Lichtkegel bereits auf die Wand des alten Fabrikgebäudes und tanzte hin und her, als der Mann die Umgebung auszuleuchten begann.

Anders, als das eher kühle Licht herkömmlicher Taschenlampen, strahlte diese Lampe heller und wärmer. Fast schon erinnerte der Lichtschein an einen Sonnenstrahl.

Die fünf Gestalten waren näher zusammengerückt und suchten die verlassene Umgebung mit den Blicken ab. Anspannung und Konzentration stand auf ihren Gesichtern geschrieben.

Schließlich streifte der Lichtkegel der Taschenlampe einen Umriss, welcher auf der Feuerleiter des alten Fabrikgebäudes kauerte.

Kaum, dass das Licht den Körper streifte, flogen Funken und Rauch stieg auf.

Fauchend sprang die Figur von der Feuerleiter, machte einen gut vier Meter weiten Satz und landete an der Hauswand.

"Da ist das Biest!", rief die einzige Frau der Gruppe alarmiert.

"Vorsicht, es greift an!", warnte eins der anderen Gruppenmitglieder.

Und wirklich, obwohl der Schein der Taschenlampe die Kreatur ganz offensichtlich verletzt hatte, floh sie nicht.

Auf den ersten Blick hätte man das Etwas für einen ganz normalen Menschen halten können. Die Gestalt trug die Berufskleidung einer hier in der Nähe ansässigen Sicherheitsfirma. Das Haar des Mannes stand ihm in zerzausten Büscheln vom Kopf ab, während seine Haut ungesund fahl anmutete.

Fast hätte man meinen können, der Angestellte der Sicherheitsfirma hätte ganz einfach keinen besonders guten Tag gehabt... wären da nicht die blutunterlaufenen, roten Augen gewesen.

An seinem Hals klaffte eine Wunde, die Haut war noch blutverschmiert.

Erneut stieß die Figur ein Fauchen aus und bleckte dabei die spitzen Fangzähne, welche ganz eindeutig nicht menschlich waren.

Im nächsten Moment stieß die wütende Kreatur sich entschieden von der Backsteinmauer ab und sprang geradewegs auf die Gruppe der Verfolger zu.

"Vorsicht!!"

Noch ehe die Gestalt die Möglichkeit hatte, sich auf den eher kräftig gebauten Mann zu stürzen, erwartete dieser das Wesen bereits mit gezogener Pistole und drückte ab.

Das Projektil pfeilte leise und unscheinbar aus der Waffe, doch kaum, dass die Kugel sich in den Körper der Kreatur bohrte, leuchtete das Wesen hell auf, stieß ein ohrenbetäubendes Kreischen aus und zerfiel noch im Sprung zu Staub und glühender Asche.

"Das wäre geschafft.", atmete der Mann auf.

"Bist du in Ordnung, Andre?", erkundigte seine Kollegin sich bei ihm und ließ die eigene Waffe, die sie eben noch gezogen hatte, wieder sinken, nun wo die Gefahr gebannt war.

Die junge Frau rückte ihre Kapuze etwas zurecht. Blondes Haar und hellblaue Augen wurden sichtbar.

"Ja, alles bestens. Ich habe den Vampir erwischt, bevor er mich erwischen konnte.", winkte Angesprochener ab.

Das kleine Team entspannte sich wieder ein wenig. Für einen Moment standen sie schweigend im Regen und sahen sich erneut um, wollten sie doch sicher gehen, das kein Zivilist diesen Einsatz mitbekommen hatte. Dies war in dieser abgelegenen Ecke der Stadt glücklicherweise nicht der Fall.

Einer der Männer zog die Stirn kraus und durchbrach die Stille schließlich. "Diese elenden Vampire. Aber sie sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Das war doch wieder eins dieser verrückten Exemplare."

Ein anderes Gruppenmitglied verschränkte die Arme vor der Brust. "Das wie vielte Exemplar war das jetzt binnen zwei Wochen? Es ist fast so, als hätten diese Vampire ihre Intelligenz an der Garderobe abgegeben. Auch wenn sie das natürlich leichter zu jagen macht."

"Ja und nein. Diese Exemplare verhalten sich wie Tiere, was sie auch mehr als gefährlich macht. Wir sollten sie nicht unterschätzen.", mahnte Andre seinen Kollegen.

"Da kann ich ihm nur zustimmen. Aber wie auch immer, lasst uns zusehen, dass wir von hier verschwinden, Jungs. Es ist kalt und es regnet.", ergriff die einzige Frau der Gruppe das Wort.

"Gute Idee. Bald wird es eh wieder hell, dann verkriechen diese elenden Biester sich sowieso.", stimmte eins der Gruppenmitglieder, Steve, ihrem Vorschlag zu.

"Unsere Arbeitszeiten sind echt zum heulen. Mondnebel ist fast schon genau so nachtaktiv wie die Vampire selbst.", murrte einer der Männer, mit einem schweren texanischen Akzent, vor sich hin.

"Du hast dich doch für diesen Job entschieden John, also jammer nicht.", winkte einer seiner Kollegen ab.

Als die kleine Gruppe sich in Bewegung setzte, stieß besagter Kollege die junge Blondine scherzhaft an. "Hey Jodie, weißt du was?" Als die junge Frau ihn fragend ansah, redete er grinsend weiter. "Du hast Wassertropfen auf der Brille."

Nun zog Angesprochene ein Gesicht. "Na vielen Dank auch, Hayden. Jetzt kann ich das so schnell nicht mehr ausblenden."

Die Gruppe lachte und machte sich daran aus der verlassenen Gasse zu verschwinden.

Als sie die nächste Straße so gut wie erreicht hatten, hielten sie jedoch noch einmal inne, ohne sich vorher abgesprochen zu haben.

Kurz vor ihnen auf der Straße, welche sie gerade hatten betreten wollten, wurde ein Auto gestartet. Der Motor schnurrte auf, dann setzte der Wagen sich in Bewegung. Ein Oldtimer. Ein schwarzer Porsche um genau zu sein.

Schon war das Fahrzeug an der kleinen Gruppe vorbeigefahren und verschwand nach einigen Sekunden in der Dunkelheit. Die fünf Vampirjäger tauschten alarmierte Blicke aus.

"Hey, dieses Auto, das haben wir in den letzten zwei Wochen verdammt oft gesehen.", gab John zu bedenken.

"Meistens kurz bevor, oder kurz nachdem wir uns einem dieser hirnlosen Vampire gegenübergesehen haben.", stimmte Andre ihm zu.

"Das kann alles nur Zufall sein, aber das wären dann ganz schön viele Zufälle auf einmal in letzter Zeit." John.

"Gehen wir der Spur doch ganz einfach nach. Gleich morgen Nachmittag. Und ich denke ich weiß auch schon wie." Vielsagend blickte Jodie einmal in die Runde.
 

Am späten Nachmittag des folgenden Tages, hielt ein silberner Mercedes in der Nähe eines großen Gebäudes, das zwar noch gut in Schuss war, dessen Außenmauer jedoch den Schluss nahelegte, dass es unter Denkmalschutz stehen musste.

Bereits vor dem Gebäude fanden sich einige Schränke in schwarzen Anzügen. Das Sicherheitspersonal, wie es schien. Jodie war sich fast schon sicher, dass im Inneren des Gebäudes noch einige weitere Angestellte der Sicherheitsfirma, sowie Bodyguards herumschwirren würden.

Vor den Treppen des Gebäudes hatte sich zudem eine lange Schlange an Zivilisten gebildet. Einige waren ganz normal gekleidet, andere hatten sich herausgeputzt und wieder andere hatten sich in Kostüme geworfen, um Charakteren eines Filmes möglichst ähnlich zu sehen.

"Viel Spaß beim Anstehen.", neckte ihr Vorgesetzter, welcher den Wagen fuhr, die junge Blondine.

"Drück mir die Daumen, dass die Schlange sich einigermaßen schnell ins Haus verlegt, James." Während sie sprach, suchte Jodie bereits nach ihrem Regenschirm.

Am Wetterbericht hatte sich seit gestern nichts geändert. Es goss wie aus Kübeln, während heftige Windböen über die Stadt hinwegwehten. Kein besonders einladendes Wetter, was die Aussicht darauf, möglichst rasch ins Innere des Gebäudes zu gelangen, noch um einiges verlockender machte.

"Hast du dich über den Film auch ausreichend informiert?", hakte James Black sicherheitshalber noch einmal nach.

Angesprochene nickte. "Of course. Ich habe meine Hausaufgaben diesbezüglich gemacht. Immerhin soll ja nicht auffallen, dass diese Autogrammstunde nur ein Vorwand dafür ist, einer bestimmten Person ein wenig auf den Zahn zu fühlen."

"Das ist gut." James nickte ihr zu. Hinter ihnen hupte bereits ein wütender Autofahrer. "Also dann, viel Glück.", verabschiedete er die Blondine.

"Danke. Ich bin wirklich gespannt, ob wir da an einer heißen Spur dran sind."

Rasch schlüpfte Jodie aus dem Auto, spannte eiligst den Regenschirm auf und kämpfte im nächsten Moment bereits mit einer Windböe. Natürlich wurde der Regen praktisch sofort unter den Schirm gefegt, sodass die junge Frau sich fragte, ob sie nach den wenigen Metern bis zum Gebäude bereits vollkommen durchweicht sein würde.
 

Das Wetter in Gedanken verfluchend, sputete sie sich auf das Haus zuzulaufen, in welchem die heutige Autogrammstunde stattfinden sollte. Ob es nun regnete oder nicht, es nutzte alles nichts, natürlich musste auch sie sich in der Schlange vor dem Gebäude einreihen.

Bereits nach zwei Minuten des Wartens fröstelte sie und wurde das Gefühl nicht los, dass das Regenwasser ihr schon in den Schuhen stand.

In einer Winterjacke und entsprechendem Schuhwerk wäre die Kälte mit Sicherheit besser auszuhalten gewesen, doch um möglichst gut ins Bild des heutigen Abends zu passen, hatte Jodie sich ein wenig herausgeputzt. Die junge Frau trug ein weinrotes Kleid, über welches sie lediglich ein dazu passendes, dünnes Jäckchen gezogen hatte. Der Stoff wärmte leider Gottes nicht wirklich.

Ihre Schuhe, ein Paar farblich passende Pumps, hatten sich schon nach wenigen Schritten als nicht wasserdicht entpuppt.

Jodie hoffte, dass der ganze Aufwand sich auch wirklich lohnte. Nur ungern würde sie ganz umsonst hier in der Kälte stehen. Die Schlange rückte ein Stück auf und auch die Blondine tat zwei Schritte auf das Gebäude zu. Fast schon sehnsüchtig fiel ihr Blick auf die Eingangstür. Sie wollte doch nur hinaus aus dem Regen!

Während sie wartete, versuchte sie die Unterhaltung zweier Teenager, welche sich als Elfen verkleidet hatten, so gut es ging auszublenden. Sie wollte die Zeit, bevor der Plan startete, noch einmal nutzen um ihre Gedanken zu ordnen.

Sie ging die Details des Fantasyfilms durch, dessen Schauspieler heute in diesem Gebäude eine Autogrammstunde gaben. Während sie versuchte, sich an alles Wichtige zu erinnern, schweiften ihre Gedanken wieder zurück zu einem Zweifel, welcher sie die ganze Zeit über quälte.

Eine international berühmte Schauspielerin sollte etwas mit dieser Vampirbrut zu tun haben? Das klang fast schon absurd, doch manchmal hielt die Realität gewisse Überraschungen bereit.

Der schwarze Porsche, den ihr Team und sie erst gestern wieder gesehen hatten, nachdem sie einen dieser überraschend hirnlosen Vampire zur Strecke gebracht hatten... Gerüchten zu Folge war die Person, wegen der sie heute hier war, bereits mehrfach gesehen worden, wie sie in besagtes Fahrzeug eingestiegen war.

Konnte das eine mögliche Spur sein? Oder war es einfach nur Zufall? Es war ja noch nicht einmal klar, ob der Besitzer des Porsches überhaupt etwas mit dieser Vampirplage zu tun hatte, doch in den letzten zwei Wochen war ihnen dieses Fahrzeug viel zu oft begegnet, während sie sich nachts auf der Jagt befunden hatten.

Stellte sich nur die Frage, was diese weltberühmte Schauspielerin mit dem Besitzer des Fahrzeugs zu tun hatte. Vielleicht konnte Jodie von ihr etwas über ihn erfahren. Interessant war natürlich auch, ob die Frau, wegen der sie heute hier war, lediglich eine Bekannte des Fahrzeughalters war, oder ob sie mehr Dreck am Stecken hatte, als man annehmen sollte.
 

"Ihr Ticket bitte.", sprach einer der Sicherheitsmänner sie mit monotoner Stimme an und riss sie aus den Gedanken. Jodie blinzelte, begann dann jedoch in dem kleinen Handtäschchen zu kramen, welches ihr Outfit komplettierte. "Oh natürlich. Just a moment please... ah, hier ist es."

Schließlich zeigte sie dem Mann das Ticket, für welches Mondnebel gestern Nacht noch ein halbes Vermögen ausgegeben hatte, da es gar nicht so leicht gewesen war, so kurz vor dem Event noch an eine der begehrten Karten zu kommen. Sie konnte nur hoffen, dass das Ticket das Geld auch wert war.

Schließlich konnte sie das Gebäude betreten und fand sich in einer großen Eingangshalle wieder.

Die Temperaturen hier waren schon viel angenehmer.

Kurz ließ Jodie den Blick schweifen. In der Halle fanden sich einige der Personen wieder, die eben noch mit ihr in der Warteschlange gestanden hatten. Doch auch viele Leute, die es vor ihr ins Gebäude geschafft hatten, warteten hier.

Die Gäste scharten sich teils um kleine Tischchen, oder aber hatten Grüppchen gebildet, um über den Film und dessen Schauspieler zu fachsimpeln. Überall fanden sich Plakate und Werbebanner, welche sich als beliebte Fotomotive entpuppten.

Um nicht weiter aufzufallen, schoss auch Jodie einige Fotos und gab sich als Fan aus, ehe sie ihren Schirm an der Garderobe abgab und sich in die nächste Warteschlange einreihte, welche diesmal die Treppe hinauf in die erste Etage führte.

Während sie erneut wartete, lauschte sie einer Titelmelodie, welche wohl dem Fantasyfilm zuzuordnen war, um den es hier ging. Innerlich seufzte sie. Himmel, natürlich schaute auch sie gerne Filme, doch eine Veranstaltung wie diese und Autogrammstunden im Allgemeinen, waren ganz eindeutig nicht ihre Welt.
 

Der einfache Weg die Treppe nach oben und bis hin zu dem Tischchen, hinter welchem ihre Zielperson saß und fleißig Autogramme verteilte, kostete sie eine weitere halbe Stunde.

Jodies Nervenkostüm war wahrlich angefressen, als der Fan vor ihr endlich verschwand und sie der Schauspielerin gegenübertreten konnte, wegen der sie die ganze Warterei überhaupt in Kauf genommen hatte.

Ihr Gegenüber sah sie direkt an und ihre Blicke trafen sich. Kurz schluckte die junge Blondine. Sie hatte diese Frau schon so oft in Filmen gesehen und wusste daher, dass sie eine unglaublich talentierte Schauspielerin war, doch sie hier live vor sich zu sehen, war noch einmal etwas ganz anderes. Die Ausstrahlung der geringfügig Älteren war in Realität noch einmal viel faszinierender, als ein Film es je festhalten könnte.

Lange, platinblonde Haare fielen der Schauspielerin in sanften Wellen über die Schultern. Ihr Gegenüber hatte ein bildschönes Gesicht und intelligente, grüne Augen, in welchen ein gewisses Funkeln lag. Die Mimik der anderen Blondine spiegelte Selbstsicherheit und Gelassenheit wieder. Gekleidet war sie in einem schwarzen Designerkleid, über dessen Preis Jodie lieber erst gar nicht nachdenken wollte.

"Hallo. Wie schön Sie einmal in Realität zu erleben. Ein Glück, dass ich diese Warteschlange jetzt endlich überstanden habe.", begrüßte Jodie ihr Gegenüber und gab sich freundlich und begeistert.

Noch während sie sprach und die Schauspielerin vor sich ansah, ging sie gedanklich noch einmal rasch durch, was sie über sie wusste.

Chris Vineyard war 29 Jahre alt, Amerikanerin und eine weltbekannte Schauspielerin, welche schon in vielen erfolgreichen Filmen mitgespielt hatte. So weit sie sich hatte informieren können, hatte die geringfügig Ältere direkt nach ihrem Schulabschluss die Schauspiellaufbahn eingeschlagen. Sie galt als sehr eigene und schwierige Person, war aber dennoch überaus beliebt. Außerdem hieß es, dass die Schauspielerin in der Lage war mehrere Fremdsprachen sehr sicher zu sprechen.

Und sie war mehrfach gesehen worden, wie sie in den schwarzen Porsche eingestiegen war, welcher die Aufmerksamkeit von Mondnebel erregt hatte.

"Die Freude ist ganz meinerseits." Chris nickte ihr höflich zu, jedoch hatte Jodie eher den Eindruck, dass die Schauspielerin genervt von der heutigen Veranstaltung war und nur darauf wartete, dass diese Autogrammstunde bald ein Ende hatte. "Für wen darf ich das Autogramm denn ausstellen?" Vermutlich eine Frage, die die Blondine in den letzten Stunden hunderte Male gestellt hatte.

"Jodie Starling.", stellte die junge Frau sich rasch vor und beobachtete, wie ihr Gegenüber zu schreiben begann. Nicht, dass sie wirklich an einem Autogramm interessiert war, ihr lag viel mehr daran, der Schauspielerin ein wenig auf den Zahn zu fühlen.

Doch wenn sie die Schlange hinter sich betrachtete, hegte Jodie bereits so ihre Zweifel daran, dass sie wirklich in der Lage wäre, an diesem Ort einige Informationen aus der Blondine herauszukriegen.

Chris reichte ihr das unterschriebene Autogramm. "Hier, viel Spaß damit."

"Vielen Dank." Gerade als sie das Kärtchen entgegengenommen hatte und überlegte, wie sie die Schauspielerin vor sich in ein Gespräch verwickeln konnte, ohne von den wartenden Fans hinter ihr in der Luft zerrissen zu werden, erhob ihre Zielperson sich plötzlich von ihrem Platz.

"Chris?" Fragend blickte die Schauspielerin, welche am Nachbartisch saß und fleißig Autogramme verteilte, zu ihrer Kollegin. Jodie meinte zu wissen, dass es sich bei der Brünetten um Yukiko Kudo handelte.

"Entschuldigt mich kurz, ich bin ich fünf Minuten wieder da.", stellte Chris fest. Die Fans, welche immer noch auf ein Autogramm warteten, begannen zu murmeln.

"Aber die Schlange vor deinem Tisch ist noch endlos. Wo willst du denn hin?", hakte Yukiko an die Blondine gewandt nach.

"Ich gehe kurz rauchen."

"Hey! Es ist ganz schön unhöflich die Fans einfach so stehen zu lassen.", erinnerte die Brünette sie.

Jodie, die noch vor dem Tisch stand, fühlte sich derweil wie im falschen Film.

"Es wäre unhöflich die Fans unter meinen Launen leiden zu lassen, wenn ich nicht bald etwas neues Nikotin bekomme. Ich bin ja gleich wieder hier." Unbeeindruckt entfernte die Blondine sich von dem Tisch und warf lediglich Yukiko ein Lächeln zu, beachtete die wartenden Fans jedoch kaum.

"Du bist unverbesserlich, wirklich.", seufzte ihre Schauspielerkollegin, wandte sich dann jedoch wieder den Wartenden zu.
 

Jodie glaubte sich verhört zu haben. Wie selbstverständlich ließ Vineyard die wartenden Fans stehen und kümmerte sich nicht darum, was sie dachten. Da war sich jemand wohl sehr sicher, dass die kurze Flucht ihrer Beliebtheit in keinster Weise schaden würde. Wenn das keine Starallüren waren...

Kurz schüttelte Jodie den Kopf und trat zur Seite, um der nächsten Person den Weg zu dem aktuell unbesetzten Tisch freizumachen.

Schließlich schob sie sich durch die Menschenmenge, behielt die Schauspielerin dabei jedoch stets im Auge. Die Fans einfach so stehen zu lassen, mochte wahrlich unhöflich sein, doch für Jodie selbst war dies ein ziemlicher Glücksfall.

Dank der ganzen Wartenden war es nicht schwer, sich recht unauffällig durch den großen Raum zu bewegen. Gerade noch sah sie Chris in einen Flur abbiegen, welcher für die Öffentlichkeit gesperrt war.

Jodie wartete einen Moment lang und behielt den Angestellten der Securityfirma gut im Auge.

Als dieser sich für einen Augenblick abwandte, nutzte sie die Gelegenheit, um hinter ihm ebenfalls in den eigentlich gesperrten Flur zu biegen. Dabei gab sie sich so selbstverständlich wie möglich, um den Eindruck zu erwecken, zu der Veranstaltung zu gehören, sollte sie jemand gesehen haben.

Auf den ersten paar Metern glaubte Jodie noch, jeden Moment angesprochen und aufgehalten zu werden, doch sie hatte unverschämtes Glück.

Zwei Mitarbeiter einer Cateringfirma, welche sie in einem, an den Flur angrenzenden Raum entdeckte, beachteten sie nicht weiter. Bis auf die beiden älteren Frauen begegnete sie in dem abgesperrten Bereich niemandem.

Bei ihrer Verfolgung hatte sie die Schauspielerin einen Moment lang aus den Augen verloren, hatte sie den Abstand zwischen ihnen doch größer werden lassen, um zu verhindern, dass Chris sie direkt bemerkte und einen Angestellten der Sicherheitsfirma herpfiff.

Während sie nun über den unbelebten Flur lief, fragte sie sich, wohin die andere Blondine wohl gegangen sein mochte. Sie hatte etwas von rauchen gehen gesagt. Fragte sich nur wo. Gab es hier ein Raucherzimmer? Aber sie hatte nicht gehört, dass irgendwo eine Tür geöffnet worden wäre und hier auf dem Flur roch es auch nirgendwo nach Zigarettenrauch.

Aufmerksam folgte Jodie weiterhin dem geraden Flur, ehe sie an dessen Ende eine offen stehende Tür entdeckte, welche auf einen großen, überdachten Balkon führte.

Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen. Ein Balkon, das machte natürlich Sinn.

Schließlich trat die junge Frau hinaus. Es regnete weiterhin, weshalb sie froh über das Dach war, welches den Regen größtenteils abfing. Leider nur galt dies nicht für die Kälte. Kaum befand sie sich an der frischen Luft, fröstelte sie bereits.

Immerhin hatte sie die Schauspielerin wiedergefunden. Diese stand einige Meter weit entfernt und zündete gerade eine Zigarette an. Für einen Augenblick hielt Jodie inne und beobachtete sie. Falls diese Frau wirklich etwas mit den Vampiren, die sie tagtäglich jagte, zu tun haben sollte, so war die andere Blondine zumindest ganz eindeutig menschlich. Hier im langsam fahler werdenden Tageslicht wäre es einem Vampir schlecht ergangen. Die Schauspielerin jedoch stand vollkommen unbeeindruckt da und rauchte. Nun, dass ihre Zielperson menschlich war, kam nicht weiter überraschend. Eine Schauspielerin, die nur nachts arbeiten konnte, das wäre kaum möglich, zumal die Filme, in denen sie mitgespielt hatte, zu jeder Tageszeit spielten.

Doch nur, weil die Blondine selbst menschlich war, hieß das noch lange nicht, dass sie nichts mit den Vampiren zu tun hatte. Viele dieser Biester gaben sich mit menschlichen Mittelsmännern ab. Und sie schien in Kontakt mit dem Besitzer des schwarzen Porsches zu stehen, welcher den Jägern - Mondnebel - in den letzten Wochen so oft begegnet war.

Noch ehe Jodie sich bemerkbar machen konnte, sah Chris bereits auf und wandte sich ihr zu.

Kurz wirkte der Blick der Schauspielerin fragend, dann nahm er eher abweisende Züge an.

"Das hier ist ein gesperrter Bereich, der nur den Schauspielern und Veranstaltern des heutigen Abends zugänglich ist.", begrüßte Chris sie. Ihre Stimme klang nun deutlich kühler, als eben noch in der Halle.

"Das weiß ich doch. Es tut mir leid Sie hier zu belästigen, aber es gibt da etwas, das ich sie unbedingt fragen muss." Weiterhin gab Jodie sich freundlich.

Ihr Gegenüber blies unbeeindruckt etwas Rauch aus, was die junge Frau rasch bereuen ließ, sich der Schauspielerin weiter genähert zu haben. Nur mit Mühe widerstand sie dem Drang, den Zigarettenrauch wegzuwedeln.

Einem angeblichen Fan eine Ladung Rauch ins Gesicht zu pusten, war ein mehr als unhöfliches Verhalten, wie Jodie fand. Diese verzogene Schauspielerin schien zu glauben, dass sie sich alles leisten konnte, nur weil sie berühmt war. Dennoch schluckte die Blondine ihren Ärger hinunter, denn der würde sie jetzt auch nicht weiterbringen.

"Unzählige Fans wollen mich tagtäglich nur schnell irgendetwas fragen. Wenn ich mich allein bei dieser Autogrammstunde mit jeder Person auf ein kurzes Gespräch einlassen würde, könnte ich mich für Wochen in diesem Haus einquartieren." Die grünen Augen der Schauspielerin blickten Jodie kühl entgegen. Die Jüngere wurde das Gefühl nicht los, dass etwas Gefährliches im Blick ihres Gegenübers lag, dass sie nicht genau benennen konnte.

Derweil machte Chris eine verscheuchende Handbewegung. "Also, da das jetzt geklärt ist, gehen Sie bitte wieder zurück ins Gebäude und gönnen Sie mir den kurzen Augenblick der Ruhe hier draußen."

Jodie blinzelte. Einerseits konnte sie diese Frau ja verstehen. Wer wusste schon, wie oft die andere Blondine von Fans angesprochen und zugetextet wurde. Doch das war nicht der Punkt. Es gab etwas, was sie herausfinden musste, weshalb sie nicht vorhatte sich so leicht abschütteln zu lassen.

"Was ich Sie fragen wollte, hat nichts mit Ihnen direkt zu tun. Es geht viel mehr um ein Fahrzeug."

Die junge Vampirjägerin fragte sich, ob es eine gute Idee war, so mit der Tür ins Haus zu fallen, doch wenn sie lange um den heißen Brei herumreden würde, würde ihr Gegenüber ihr mit Sicherheit nicht zuhören.

"Ein Fahrzeug?", hakte Chris nach und zog kaum merklich eine der feingeschwungenen Brauen nach oben. "Also Schätzchen..., Jodie war es, richtig? Was geht schneller? Dieses Thema hier zu klären und dann bist du verschwunden, oder aber ist die Security schneller hier?"

Die Augen der Schauspielerin funkelten fast schon spöttisch, doch meinte Jodie ein kleines Fünkchen Interesse darin bemerkt zu haben. Und sie hatte bemerkt, dass Chris sie geduzt hatte, doch dazu und zu dem Spitznamen, sagte sie nun lieber nichts, wenn sie ihre Informationen bekommen wollte.

"Oh, bis jemand von der Sicherheit hier eingetroffen ist, befinde ich mich schon wieder auf dem Rückweg, versprochen." Sie zwinkerte der geringfügig Älteren zu, welche mit einem genervten Gesichtsausdruck weiterrauchte.

"Na schön.", seufzte Chris derweil. "Dann erklär mir doch mal, was ich dir zu einem Fahrzeug beantworten soll. Ich bin Schauspielerin, keine Mechanikerin." Abwartend blickte sie Jodie an.

"Paparazzi haben Sie in letzter Zeit öfter in einen schwarzen Porsche 356 A steigen sehen. Ein Oldtimer." Während sie sprach, behielt die junge Frau ihr Gegenüber genau im Blick, um keine Reaktion, kein auffälliges Blinzeln, kein verräterisches Zucken des Mundwinkels zu verpassen.

Doch Chris blickte sie einfach nur unbeeindruckt an und hörte ihr zu.

"Lassen Sie sich nicht normalerweise in einem weißen Mazda abholen?"

Erneut blies die Schauspielerin genüsslich etwas Zigarettenrauch aus. Diesmal besaß sie jedoch die Güte, den Kopf dabei etwas zur Seite zu drehen und Jodie somit nicht einzunebeln.

"Der weiße Mazda gehört meinem Bodyguard und Fahrer, aber der ist aktuell erkrankt. Solange das der Fall ist, fahre ich privat entweder mit meinem eigenen Auto, oder aber lasse mich ersatzweise von einem anderen Fahrer von A nach B bringen. Was ist so ungewöhnlich daran?"

Nun, das klang nicht einmal unlogisch. Dennoch würde Jodie ihre Zielperson so schnell nicht von der Liste der Verdächtigen streichen.

Bis hier hin war sie bezüglich des Porsches mit der Tür so ziemlich ins Haus gefallen, nun würde sie die Strategie ein wenig ändern, sonst könnte die Schauspielerin gleich fragen, ob sie die New Yorker Vampirgesellschaft kannte.

"Daran ist natürlich gar nichts ungewöhnlich. Ich habe mir schon gedacht, dass der Porsche einem Fahrer gehört. Deshalb musste ich auch unbedingt nachhaken. Wenn das Fahrzeug zu mieten ist, können Sie mir doch bestimmt sagen, an welche Firma ich mich wenden muss."

"So? Du möchtest das Auto auch einmal anmieten, Kätzchen?", hakte Chris nach.

Jodie musste sich zusammenreißen, bei dem erneuten Spitznamen nicht das Gesicht zu verziehen.

"So ist es. Ein guter Freund von mir ist Oldtimer-Fan und er hat bald Geburtstag. Er würde sich sicherlich über eine Stadtrundfahrt freuen." Weiterhin achtete die junge Frau auf die Mimik der Schauspielerin, konnte jedoch noch nicht einmal ansatzweise etwas Verräterisches darin entdecken.

"Ist das so? Nun, ich fürchte, das wäre ein nicht ganz günstiger Spaß. Aber selbst mit dem nötigen Kleingeld in der Tasche, wird daraus wohl nichts."

Chris schnippte den Zigarettenstummel achtlos vor sich auf den Boden und trat kurz darauf, um die letzte Glut zu erlöschen.

Jodie war der Meinung, dass die wenigen Meter, die es gebraucht hätte, um die Zigarette ordnungsgemäß zu entsorgen, die Schauspielerin nun auch nicht umgebracht hätten, doch sie verkniff sich einen Kommentar diesbezüglich und legte lieber leicht fragend den Kopf schief.

"Der Besitzer des Porsches ist nicht Hauptberuflich Fahrer. Er ist viel mehr eine Privatperson, die sich für einen kurzen Zeitraum vertretungsweise dazu bereit erklärt hat, mich durch die Stadt zu fahren. Gegen das entsprechende Kleingeld, versteht sich."

"Also ist er ein Bekannter von Ihnen?", hakte Jodie nach. Ihr Blick fiel auf den goldenen Halsreif, den die Schauspielerin trug. Eingelassen darin war ein großer Rubin. Ein wunderschönes Schmuckstück, über dessen Preis die junge Frau erneut lieber nicht nachdenken wollte.

Chris musste den Blick bemerkt haben. Eher unbewusst legte sie eine Hand über das Schmuckstück und verdeckte somit die Sicht auf den Rubin.

"Nein, so würde ich das nicht sagen. Ein Freund von mir hat mir den Kontakt vermittelt. Den Fahrer des Porsches kenne ich persönlich nicht und er macht mir auch nicht den Eindruck, als wenn er während der Fahrt sonderlich an Gesprächen interessiert wäre. Ein stiller, grummeliger Kerl."

Interessiert hörte Jodie ihr zu und nickte leicht. Einmal wollte sie jedoch noch nachbohren, auch wenn die andere Blondine langsam den Eindruck machte ungeduldiger zu werden.

"Er mag vielleicht eine Privatperson und nicht der netteste Typ sein, aber vielleicht besteht trotzdem die Möglichkeit ihn für eine Stadtrundfahrt anzuheuern. Wenn Sie mir die Telefonnummer geben, würde ich mein Glück gerne mal versuchen."

Chris Mundwinkel zuckten amüsiert, dann schüttelte sie jedoch den Kopf. "Tut mir leid Schätzchen, aber das werde ich nicht tun. Ich kann nicht einfach ohne vorherige Rücksprache private Nummern herausgeben."

Gerade wollte Jodie zu einem 'Aber' ansetzen, als die Schauspielerin ihr eine Hand auf die Schulter legte und sie sanft aber bestimmt in Richtung Balkontür schob. "So, genug geplaudert. Auf mich wartet in der Halle noch eine Menge Arbeit.", befand die geringfügig Ältere.

"Nun, einen Versuch war es zumindest Wert. Dann werde ich auf anderem Weg versuchen müssen jemanden aufzutreiben, der einen Oldtimer verleiht. Aber danke trotzdem für Ihre Zeit."

"Vielleicht schaust du einfach mal im Internet nach. Wenn es nicht unbedingt ein Porsche 356 A sein muss, bin ich zuversichtlich, dass sich in einer Großstadt wie New York schon ein Oldtimer auftreiben lässt."
 

Gemeinsam waren die beiden Frauen über den Gang gelaufen, welcher den Balkon mit der Halle, in welcher die Autogrammstunde stattfand, verband. Diesmal blickte ein Mitarbeiter der Sicherheitsfirma direkt alarmiert in ihre Richtung. Dem Mann schien klar zu sein, dass Jodie nicht zu den Angestellten der heutigen Veranstaltung gehörte.

"Ms Vineyard? Ist das ein Fan? Hat diese Frau sie belästigt?", hakte der Schrank von Sicherheitsangestelltem sofort nach.

Chris winkte jedoch nur locker ab. "Schon gut. Ich habe mich nur kurz mit der Kleinen unterhalten. Sie möchte nun sowieso gehen. Richtig?" Die Aufforderung dahinter war kaum zu überhören.

Kurz blinzelte Jodie, dann nickte sie. Sie hatte ihr Glück bereits arg strapaziert.

"Ähm ja...natürlich.", stimmte sie also zu und nickte noch einmal höflich in Richtung der Schauspielerin. "Vielen Dank noch einmal. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend."

Die andere Blondine hob noch rasch die Hand zum Gruß, hatte sich jedoch bereits abgewendet und bahnte sich einen Weg zurück zu den Tischen.

Unter den Fans brach sofort aufgeregtes Gemurmel aus. Jodie sah, dass Chris noch ein paar Worte mit ihrer Schauspielkollegin und Sitznachbarin wechselte. So weit sie wusste, war Yukiko gut mit der Mutter der Blondine befreundet gewesen und verstand sich auch blendend mit Chris selbst.

"Miss?" Die Stimme des Angestellten der Sicherheitsfirma riss sie aus ihren Gedanken. Der Schrank warf Jodie einen mahnenden Blick zu.

Rasch nickte sie. "Oh yes, natürlich." Um die Geduld des Securityangestellten nicht überzustrapazieren, machte sie sich lieber allein auf den Weg, das Gebäude zu verlassen.

Noch auf ihrem Weg die Treppe herunter, zog Jodie ihr Handy aus ihrer Handtasche und wählte rasch eine Nummer. Lange musste sie nicht darauf warten, dass der Anruf entgegengenommen wurde.

"Ich bin auf dem Weg nach draußen, Andre.", begrüßte sie ihren Kollegen.

"»Ah, sehr gut. Dann mach dich auf den Weg zur alten Post. Ich warte dort mit dem Wagen auf dich.«".
 

Wenig später hatte Jodie das Auto ihres Kollegen erreicht. Inzwischen regnete es nur noch leicht, dennoch war sie froh, der Kälte entkommen zu sein, kaum das sie auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte.

"Da bist du ja wieder.", grüßte Camel die Blondine. "Na, was hast du herausgefunden? Erzähl.", hakte er schließlich neugierig nach.

Vor der Parktasche, in der Andre das Auto geparkt hatte, hatten sie einen wunderbaren Ausblick auf das Gebäude, in welchem aktuell die Autogrammstunde stattfand. Inzwischen begann es bereits dunkel zu werden. Bis das die Nacht den Tag vollständig abgelöst hätte, würde mit Sicherheit nicht mehr all zu viel Zeit vergehen, was vollkommen normal für den Spätherbst war.

Jodie blickte ihren Kollegen an, verzog leicht das Gesicht und seufzte. "Was ich herausgefunden habe? Neben der Tatsache, dass diese Schauspielerin unter Starallüren leidet und vollkommen verzogen ist?"

Die Mundwinkel Camels zuckten belustigt. "Klingt, als hättest du die Zeit deines Lebens gehabt.", stellte er amüsiert fest. "Aber konntest du an ein paar brauchbare Informationen gelangen?"

"Ich hatte tatsächlich Glück und konnte kurz unter vier Augen mit Vineyard sprechen. Aber in wie fern uns das tatsächlich weiterbringt..." Sie seufzte und streckte sich.

"Sie sagt, dass der Besitzer des Porsches ersatzweise für ihren eigentlichen Fahrer eingesprungen ist, weil dieser aktuell krank ist. Bei dem Besitzer des 356 A's handelt es sich aber wohl um eine Privatperson. Laut ihrer Aussage nicht der netteste Mensch auf Erden. Der Kontakt wurde ihr auch nur weitervermittelt. Auf jeden Fall wollte Vineyard mir die Telefonnummer nicht geben."

Aufmerksam sah Camel seine Kollegin an. "Und? Was hast du für ein Bauchgefühl?"

"Mh, schwer zu sagen. Diese Frau hat sozusagen das perfekte Pokerface. Entweder sie sagt die Wahrheit, oder aber sie hat meine kleine Geschichte von Anfang an durchschaut und blockt deshalb."

Langsam nickte Andre. "Und jetzt?"

Einen Moment dachte Jodie über die Frage nach, ehe sie das Wort ergriff. "Ich würde sagen, wir warten ab. Wenn der Besitzer des Porsches sie heute abholen sollte, heften wir uns unauffällig an seine Fersen und sehen, wo die Reise uns hinführt."
 

Ungefähr zwei Stunden saßen die beiden Vampirjäger im Auto, beobachteten die Halle und schlugen die Zeit tot. Jodie war dankbar, dass Andre daran gedacht hatte, an einem Café anzuhalten und Sandwiches mitzubringen, bevor er hergekommen war und hier auf sie gewartet hatte.

Eins der Sandwiches hatte sie gerade so gut wie vertilgt, als plötzlich etwas ihre Aufmerksamkeit erregte. Von der Uhrzeit her dürfte die Veranstaltung inzwischen ganz sicher vorbei sein. Das Gebäude wurde lediglich vom warmen Licht der an der Fassade angebrachten Beleuchtung erhellt, ansonsten war es inzwischen jedoch stockdunkel.

Es regnete wieder stärker, was die Scharen der Fans vor dem Gebäude ausgedünnt hatte.

Nach und nach fuhren teure Autos vor und holten die Schauspieler ab.

Andre und Jodie warteten darauf, dass über kurz oder lang auch der schwarze Porsche hier auftauchen würde, doch sie wurden überrascht.

Anstelle des erwarteten Porsches, fuhr ein weißer Sportwagen vor. Ein Mazda um genau zu sein.

"Eh? Sieh mal, dieses Fahrzeug.", machte Jodie ihren Kollegen auf ihre Entdeckung aufmerksam.

Der Fahrer des Wagens stieg aus, spannte einen Regenschirm auf und lief die Treppen des Gebäudes nach oben.

Dieser hellblonde Mann mit der leicht gebräunten Haut, das war doch der eigentliche Fahrer und Bodyguard der Schauspielerin, der angeblich krank das Bett hüten sollte, richtig? Besonders angeschlagen wirkte er allerdings nicht.

"Hast du nicht gesagt, der Typ wäre krank?", wunderte sich auch Camel.

Oben an der Treppe erschien Chris. Die Blondine verabschiedete sich noch rasch von Yukiko, welche sie in eine rasche Umarmung zog, dann gesellte sie sich zu ihrem Bodyguard, der sie bereits erwartet hatte.

Die beiden Jäger konnten beobachten, wie die Schauspielerin sich elegant bei dem Blonden unterhakte, dann machten sie sich gemeinsam, geschützt durch den Regenschirm, auf den Weg zum Auto, welches unten vor der Treppe parkte.

"Besonders krank sieht ihr Bodyguard nicht gerade aus.", stellte Jodie stirnrunzelnd fest. "Ich finde, er wirkt kerngesund und die beiden geben sich sehr vertraut." Zustimmend nickte Andre.

Sie konnten beobachten, die der Bodyguard Chris die Beifahrertür öffnete und den Regenschirm so lange über sie hielt, bis sie eingestiegen war, dann begab auch er sich rasch zurück ins Fahrzeug und fuhr los.

"Wirklich interessant.", murmelte Camel vor sich hin.

"Vielleicht sollten wir sie verfolgen.", überlegte Jodie. Das Chris zumindest in einem Punkt die Unwahrheit gesagt hatte, war nun klar.

Doch gerade, als Andre den Wagen in Bewegung gesetzt hatte, um sich unauffällig an die Fersen des weißen Mazdas zu heften, klingelte sein Handy, welches er an einer Halterung am Lenkrad angebracht hatte. Auf dem Display wurde Steves Nummer eingeblendet. Also nahm er den Anruf entgegen. "Ja?"

"Hey, hast du Jodie inzwischen eingesammelt?", hakte der Kollege nach, ohne Zeit mit einer wirklichen Begrüßung zu verschwenden.

"Ja, habe ich. Sie sitzt hier neben mir. Wir wollen gerade die Verfolgung dieser Schauspielerin aufnehmen."

"Das muss warten, fürchte ich. Wir brauchen hier dringend Verstärkung."

"Was ist passiert, Steve?", hakte nun Jodie nach.

"Wir sind im gleichen Gebiet unterwegs wie gestern Abend. Hier sind mindestens zwei neue Exemplare dieser Vampire der hirnlosen Sorte aufgetaucht. Wenn es nicht sogar mehr sind."

"Was?!", hakten Andre und Jodie gleichzeitig nach.

Die Blondine schüttelte den Kopf und zog ein Gesicht. Das wäre die ideale Gelegenheit gewesen, Chris zu verfolgen, aber das musste nun wohl warten. "Ist gut, wir sind schon unterwegs und schließen uns euch gleich an."

"Alles klar. Wir warten auf euch."

"Ja, macht das bitte. Wir schlagen dann gemeinsam zu."

Derweil wendete Andre fluchend den Wagen und machte sich eiligst auf den Weg in Richtung der abgelegenen Wohnsiedlung, in der sie erst gestern auf Vampirjagt gegangen waren.
 

Etwa zwanzig Minuten später hatten sie den Ort erreicht, von dem aus sie gestern gestartet waren.

Steve und John warteten bereits, Hayden war jedoch nirgends zu sehen.

Rasch steuerte Andre den Wagen in eine freie Parklücke, dann stiegen die beiden Jäger aus und gesellten sich zum Rest der Gruppe.

Kaum, dass sie das Auto verlassen hatten und im strömenden Regen standen, verfluchte Jodie erneut die Kälte. Im Vergleich zu heute Nachmittag waren die Temperaturen noch einmal gesunken und sie hatte nach der Veranstaltung nicht mehr die Möglichkeit gehabt sich umzuziehen.

Eine Jagt im Kleid und Pumps, genau das, was sie jetzt gebrauchen konnte, stellte sie gedanklich voller Ironie fest und fröstelte. Es sollte sie nicht wundern, würde sie Morgen mit einer Erkältung aufwachen.

"Da wären wir.", begrüßte Andre die beiden anderen Gruppenmitglieder.

John zog skeptisch eine Augenbraue hoch. "Ist dir nicht kalt?", wollte er an Jodie gewandt wissen.

"Ach, halt doch einfach die Klappe!", murrte die Blondine, ehe sie das Thema wechselte. "Wo habt ihr Hayden gelassen?"

"Hayden? Keine Ahnung. Wir waren nur zu zweit unterwegs. Ich gehe mal davon aus, dass Hayden noch in Mondnebels Büro ist.", antwortete Steve ihr.

"Okay, das bedeutet wir sind heute zu viert unterwegs.", stellte Andre fest. "Wo habt ihr die Mistviecher denn gesehen?"

Kurz deutete John in Richtung des verlassenen Fabrikgeländes, welches sich in etwa 250 Metern Entfernung befand. Genau wie gestern auch, lag der Straßenzug still und verlassen da.

"Wir haben vorhin wieder dieses suspekte Auto gesehen und sind ihm eine Weile gefolgt.", erklärte John.

"Dieses Auto? Du meinst schon wieder diesen Porsche?", unterbrach Jodie ihn.

Ihr Kollege nickte zur Bestätigung lediglich. "Ganz genau den. Wir haben ihn wie gesagt eine Weile lang verfolgt, haben das Fahrzeug aber in diesem Viertel aus den Augen verloren."

"Zumindest haben wir, nachdem wir uns etwas umgesehen haben, zwei von diesen seltsamen Vampiren, die in letzter Zeit immer wieder auftauchen, in Richtung des alten Fabrikgeländes stürmen sehen.", ergänzte Steve.

"Zwei der hirnlosen Sorte, meint er.", fiel John seinem Kollegen ins Wort.

"Woher wisst ihr das so genau?" Fragend legte die Blondine den Kopf schief.

"Naja, zwei Menschen mit zerfetzten Kehlen, die in schnelleren Sprüngen als jeder Windhund unterwegs sind, was soll es sonst sein?"

Andre hatte währenddessen die Arme vor der Brust verschränkt. "Und es hat sie wieder zu diesem Fabrikgelände gezogen. Ich frage mich bloß, was sie dort wollten."

"Da hilft nur nachsehen. Bewaffnet und zu viert sollte es sicher genug sein.", befand Steve.

Die anderen Gruppenmitglieder stimmten ihm zu und so setzten die Vampirjäger sich in Bewegung.
 

Eine knappe halbe Stunde später, befanden die Jäger sich im Inneren der alten Fabrik, deren Tür seltsamerweise nicht abgesperrt gewesen war.

Grell kreischend fing die Kreatur Feuer und zerbarst in Glut, Staub und Asche, als eins der Geschosse sie traf. Das Wesen litt nur kurz, dann war nicht mehr von dem Vampir übrig, als ein Häufchen Ruß.

"Das war Nummer zwei." Kurz betrachtete Jodie die Asche, dann ließ sie die Waffe sinken und sah die Gruppe an. "John, Steve. Seid ihr euch sicher, dass es nur zwei waren?"

Die beiden Männer tauschten einen kurzen Blick aus. "Relativ, aber nicht zu 100 Prozent."

"Die Biester waren vorhin zu schnell unterwegs und es war einfach schon zu dunkel."

"Dann sehen wir uns hier besser noch einmal ganz genau um.", befand Andre. "Wenn wir durch den Innenhof gehen, sollten wir in das andere Gebäude der Fabrik gelangen."

"Was wurde hier eigentlich mal hergestellt?", wunderte John sich und folgte Andre und Jodie, die sich bereits in Bewegung gesetzt hatten.

"Sicher bin ich mir nicht, aber ich meine draußen ein verwittertes Schild gesehen zu haben, auf dem Verpackungschips abgebildet waren.", ergriff Jodie das Wort.

"Wie überaus spannend.", murrte John vor sich hin.

Schließlich hatten sie eine nicht verriegelte Tür erreicht, welche in den Innenhof des Geländes führte. "Ich frage mich, warum die Türen nicht abgeschlossen sind.", wunderte Jodie sich und folgte Andre in den Hof. Direkt hinter ihr befand sich John, Steve folgte.

"Darüber wundere ich mich ehrlich gesagt auch.", ergriff Andre das Wort, während die Blondine fröstelte.

Ihr war vorhin schon viel zu kalt gewesen, nun mitten in der Nacht und nur mit einem kurzen, vom Regen durchweichten Kleid bekleidet, draußen unterwegs zu sein, war alles andere als angenehm.

Nur mit Mühe verhinderte sie, dass ihre Zähne vor Kälte zu klappern begannen.

"Jungs, wenn wir uns hier umgesehen haben, würde ich gerne erstmal zurück zum Auto. Wenn ich mich nicht bald umziehe-"

"Urg!", keuchte Steve plötzlich auf.

Die Gruppe wirbelte herum. Sofort jagte Adrenalin durch den Körper der Blondine. Was war passiert?

"Was ist...? Was zum?" Was genau vorgefallen war, schien auch Steve sich zu fragen. Gerade, als der Mann das Gebäude verlassen hatte und hinaus in den Innenhof getreten war, war irgendetwas Schweres wie ein Sack Mehl auf ihn gefallen und hatte ihn zu Boden gerissen.

Nun drehte der Vampirjäger sich unter der Last so gut es ging und blinzelte. "Was... oh nein! Verdammt!" Seine Stimme klang ungewöhnlich schrill.

John hatte derweil die Taschenlampe auf seinen Kollegen gerichtet. Was der Lichtkegel enthüllte, ließ auch der restlichen Gruppe das Blut in den Adern gefrieren.

"Hayden! Oh my god! Nooo!", schrie die einzige Frau der Gruppe auf.

Das, was soeben auf Steve gefallen war und ihn zu Boden gerissen hatte, hatte sich als der leblose Körper des verschollenen Kollegen entpuppt.

"Was zum? Wie konnte das passieren?!" Steve schnappte nach Luft.

John war so nett und half seinem Mitstreiter, den Körper zur Seite zu rollen. "Er ist bereits kalt.", stellte er dabei bekümmert fest.

Jodie und Andre hatten voller Entsetzen die Taschenlampen und ihre Waffen gezogen und sahen sich alarmiert im Innenhof um.
 

Der Schmerz über den Verlust ihres Kollegen war enorm. Jodie konnte nicht fassen, was da passiert war. Natürlich, als Jäger lebte man gefährlich, doch niemand hatte mitbekommen, das Hayden verschwunden war.

"Wer hat ihm das angetan?", zischte John.

"Und wie ist er überhaupt auf mich gefallen? Ich meine...er war bereits tot.", ergänzte Steve.

Kaum hatte er das ausgesprochen, meinte Jodie eine Bewegung auf der Feuertreppe wahrgenommen zu haben. Sofort richtete sie ihre Taschenlampe darauf, doch noch in der selben Sekunde traf ein Schuss die Taschenlampe. Das Licht erstarb und die Lampe flog der Blondine aus der Hand. Einen erschrockenen Aufschrei konnte Jodie nicht unterdrücken.

"Ahahaha!", erklang ein grelles, höchst unangenehmes Lachen von der Feuertreppe. "Ein guter Gedanke, mein lieber Jäger. Ich meine, jedes Kind weiß, das Leichen sich nicht von allein bewegen, was?" Amüsierte die Frauenstimme sich.

"Wer ist da?!", blaffte Jodie in Richtung der Gestalt. Erst der Tod ihres Teamkameraden, nun diese Fremde, die ihr eben ohne viel Mühe die Taschenlampe aus der Hand geschossen haben musste... sie konnte ihren Herzschlag in ihren Ohren hämmern hören.

Instinktiv wusste sie, dass die Gruppe tief in der Tinte saß.

Andre wirbelte herum, um das Licht seiner Taschenlampe auf die Feuertreppe zu richten, doch ein weiterer Schuss ertönte, diesmal vom gegenüberliegenden Fabrikgebäude B. Schon war auch die zweite Taschenlampe erloschen.

"Verdammt, wer sind diese Typen?!", fluchte der eher kräftig gebaute Jäger.

"Die geöffneten Türen, die beiden B-Klasse Vampire, die hier her unterwegs waren... das alles schrie doch schon fast nach einer Falle und trotz allem seid ihr sehenden Auges mitten hinein getappt.", amüsierte die unbekannte Frau sich.

In der Dunkelheit konnte Jodie nicht mehr als ihre Silhouette erkennen, doch sie meinte zumindest einen unvorteilhaften Kurzhaarschnitt und eine eher zierliche Statur zu erkennen. Außerdem hielt die Fremde etwas in den Händen, was für sie stark nach einem Gewehr aussah. Ein...ein Scharfschützengewehr?

"Aber an dieser Stelle möchte ich ein großes Lob an euren ehemaligen Kollegen aussprechen. Sein Blut war ein wunderbares Lockmittel für die beiden B-Klassen.", sprach die Fremde weiter und begann erneut auf eine grelle, höchst unangenehme Art zu lachen.

Schließlich sprang sie mit einem Satz von der Feuertreppe und landete leichtfüßig im Innenhof.

"Passt auf! Das ist eine Vampirin! Aber keine der hirnlosen Sorte!", rief Andre warnend aus.

"Und irgendwo da drüben muss noch jemand sein!", ergänzte Steve.

"Egal wer oder was sie ist, ich werde Hayden rächen!" Johns Stimme klang vor Trauer und Zorn ganz fremd.

Der Jäger richtete in einer fließenden Bewegung die Waffe auf die Unbekannte. Ein Schuss fiel.

"John!", schrie die Blondine entsetzt auf, als ihr Kollege zusammenzuckte und schließlich zusammenbrach, noch ehe er in der Lage gewesen war, das Feuer auf die Vampirin zu eröffnen.

Das...das war ein absoluter Alptraum!

"Kopfschuss.", meldete sich der Begleiter der Fremden, der eine deutlich ruhigere Stimme als die Vampirin hatte, zu Wort.

Voller Entsetzen realisierte Jodie, wie der Schütze erneut zielte. "Andre! Steve! Passt auf! Das sind Scharfschützen!"

Die drei Jäger wirbelten zu dem Mann herum, welcher noch auf der Feuertreppe des B-Gebäudes stand. Da fiel auch schon ein zweiter Schuss und Steve ging zu Boden, ohne noch einen Laut von sich gegeben zu haben. "Treffer.", stellte der Schütze, der auf dem anderen Fabrikgebäude stand, mit leicht amüsierter Stimme fest.

"Ach Mensch, Korn! Jetzt räum hier nicht ganz alleine auf!", pampte die Vampirin ihn an.

In Jodies Kopf rauschte alles. Steve..., ...John,... Hayden...sie alle waren tot. Getötet in einer Nacht und von diesen beiden Monstern.

Entsetzen und Trauer drohten sie zu überwältigen, doch ehe der Schock sie lähmen konnte, zwang sie sich ihre negativen Gefühle in Entschlossenheit umzuwandeln. Zumindest vorerst.

Auch wenn die Blondine in der Dunkelheit nicht so gut sehen konnte wie ihre Gegner, richtete sie dennoch ihre Waffe auf die unbekannte Frau und drückte ab. Wenn eine dieser speziellen Kugeln die Vampirin traf, hätte sie gewonnen.

Andre hatte sich derweil dem anderen Gegner zugewandt.

Scheinbar spielend machte ihre Gegnerin einen Satz zur Seite und wich der Kugel aus.

Gleich noch einmal. Jodie schoss, doch wieder wich die Fremde spielend leicht aus.

"Glaubst du wirklich, du würdest mich treffen, wenn du so offensichtlich zielst?", verhöhnte ihre Gegnerin sie. "Und du nennst dich eine Vampirjägerin? Mal ehrlich, so macht das keinen Spaß."

Im Hintergrund nahm Camel den anderen Vampir unter Beschuss, welcher auswich und schließlich in den Innenhof sprang.

"Ihr habt sie kaltblütig getötet." Jodies Stimme triefte nur so vor Trauer und Hass. "Glaub nicht, dass ich dich entkommen ließe, verdammte Vampirin!"

"Das ist die richtige Einstellung." Ihr Gegenüber lachte grell. "Aber weißt du was? Jetzt bin ich am Zug."

Zwar nahm ihre Gegnerin sie nicht mit der Waffe ins Visier, doch sprang die Fremde auf die junge Frau zu. Erneut feuerte die Jägerin einen Schuss ab, nur um festzustellen, dass ihre Gegnerin gar nicht mehr dort war, wo sie vor einer Sekunde noch gestanden hatte.

Was?! Aber wo?! Wie hatte sie die Vampirin bitte so leicht aus den Augen verlieren können?!

"Hinter dir.", erklang die amüsierte Stimme der Anderen.

Mit der Waffe in der Hand wirbelte Jodie herum, während ihr Puls raste. Das hier geriet alles vollkommen aus dem Ruder. Nein, um ehrlich zu sein hatten sie schon längst die Kontrolle über die Situation verloren.

Das war gar nicht gut. Wenn das so weiter ging, dann würden Andre und sie...

Ein Stück weit von sich entfernt hörte sie ihren letzten, noch lebenden Kollegen aufschreien.

Ihr Herz krampfte sich zusammen. Nein, bitte nicht! Und doch konnte sie jetzt nicht nachsehen, was passiert war, immerhin steckte sie gerade selbst bis zum Hals in Schwierigkeiten.

Aus dem Augenwinkel nahm sie seitlich von sich eine Bewegung wahr, dann krachte ihre Gegnerin gegen sie.

Die zierliche Vampirin hatte nicht auf sie geschossen und hatte sie nicht geschlagen. Sie hatte sich ganz einfach nur gegen sie geworfen und doch hatte Jodie das Gefühl, von einem Zug getroffen worden zu sein.

Sie prallte gegen die Mauer hinter sich und landete im nächsten Moment auf dem Boden.

Urg... was...was zum? Was für eine Kraft. Und ihre Waffe? Wo genau war ihre Waffe gelandet?

Zu benebelt um wirklich entsetzt oder verängstigt zu sein, blinzelte die Jägerin und scannte den Boden nach ihrer Pistole ab.

Ein Tritt traf ihr Schulterblatt und Schmerz explodierte in ihrer Schulter. Die Blondine gab einen leisen Schmerzenslaut von sich. Ihre Gegnerin stand mit einem Fuß auf ihrer Schulter und verlagerte ihr Gewicht auf sie, sodass sie sie am Aufstehen hinderte.

Das war gar nicht gut. Urg... wieder verschwamm ihr alles vor den Augen. Der Zusammenprall mit der Mauer war ihr eindeutig nicht gut bekommen.

Mühevoll blickte sie hinauf zu ihrer Gegnerin, deren Augen in der Dunkelheit glühten.

Sollte es das jetzt gewesen sein? Wenn jetzt nicht ein Wunder passierte...

Noch ehe sie den Gedanken zu Ende denken konnte, trat eine weitere Person hinaus in den Innenhof.

"Chianti. Korn. Genug jetzt.", befahl eine raue Stimme den beiden Scharfschützen. "Die beiden Jäger nehmen wir mit in die Bar."

Wer...? Wer redete da? Und was für eine Bar? Jodie war sich nicht ganz sicher, ob sie wirklich erfasste, was der Fremde da gerade gesagt hatte. Immer wieder verschwamm alles vor ihren Augen.

Sie bekam gerade noch mit, wie Chianti sie am Arm packte und hochhievte, dann wurde ihre Welt plötzlich schwarz.

Viele Stimmen, die sie nicht zuordnen konnte, unterhielten sich und lachten. Manche davon waren ganz in ihrer Nähe, einige hingegen klangen weiter entfernt. Das war das erste, was die junge Vampirjägerin wahrnahm, als sie langsam wieder zu sich kam.

Sie hörte das leise Klirren von Gläsern und wie besagte Gläser anschließend über einen Tresen geschoben wurden. Fast wie in einer Bar. Außerdem lag der Geruch von Zigarettenrauch in der Luft.

Langsam wurde ihr Denken klarer. Noch während sie sich zu fragen begann, wo sie sich befand, realisierte sie, dass ihr Rücken schmerzte. Genau so wie ihre Knie und ihre rechte Schulter.

Was zum...? Eine Erklärung für ihre schmerzende Schulter fand sie praktisch sofort, drängte die Erinnerung an den aussichtslosen Kampf mit der Vampirin, sich auch schon zurück in ihr Gedächtnis. Aber ihr Rücken und ihre Knie...?

Endlich konnte Jodie sich dazu bringen zu blinzeln und schließlich die Augen zu öffnen.

Sofort begann ihr Schädel zu pochen. Urg... sie hatte die Kopfschmerzen ihres Lebens, welche sie dem Zusammenprall mit der Mauer zu verdanken hatte.

Aber was...? Den Kampf gegen die Vampirin hatte sie ganz eindeutig verloren. Sie schien trotz allem mit dem Leben davongekommen zu sein, bloß wo war sie dann hier?

Die Blondine ließ ihren immer noch leicht verschwommenen Blick von links nach rechts schweifen.

In der Tat entdeckte sie eine Bartheke, an der einige Personen saßen, allem Anschein nach Wein tranken und sie nicht weiter beachteten.

Die Beleuchtung hier war eher schwach, reichte jedoch aus, um ihre Umgebung problemlos erkennen zu können. Im Normalfall hätte das gedämmte Licht sogar etwas Gemütliches gehabt, doch als gemütlich konnte sie ihre Lage nicht unbedingt bezeichnen.

Die Bar selbst und auch die Dielen, auf welchen sie kniete, wirkten alt, aber gepflegt und edel.

Warum kniete sie in erster Linie überhaupt auf dem Boden? Sie musste ohnmächtig gewesen sein. In einer solchen Position zu erwachen, widersprach jeder Logik.

Die junge Frau wollte die Arme zu sich ziehen, um sich abzustützen und zu versuchen aufzustehen, doch kaum, dass sie ihre Arme bewegte, bemerkte sie auch schon, wie sie etwas zurückhielt. Es klirrte.

Sofort schnellte ihr Blick hoch zu ihren Handgelenken. Die schnelle Augenbewegung wurde mit erneuten Kopfschmerzen gestraft, doch diese rückten schlagartig in den Hintergrund, als sie die Ketten bemerkte, die an ihren Handgelenken befestigt waren und ihre Arme in dieser mehr als unbequemen Position hielten.
 

Ihr Herz machte einen Satz. Ketten?! Was zum?! Wo war sie hier gelandet?!

Kurzzeitig zerrte sie an den Ketten und versuchte sich zu befreien, doch das Metall gab kein Stück nach. Sie saß ganz eindeutig fest.

Jodie sog scharf die Luft ein. Adrenalin pumpte schlagartig durch ihren Körper, als sie sich ihrer Situation nun wirklich bewusst wurde.

Nachdem sie den Kampf vorhin verloren und am Boden gelegen hatte, hatte sie fast schon damit gerechnet, dass ihre Gegnerin es nun zu Ende bringen würde, doch genau das war nicht geschehen.

Dieser seltsame Typ war aufgetaucht und hatte etwas von einer Bar geredet.

Sie befand sich nun in der Tat in einer Bar. Bloß wenn sie bedachte, dass eine Gruppe Vampire sie hier her gebracht hatte dann, ... nein, sie wollte das lieber gar nicht erst zu Ende denken!

Sie hatte Mühe, die in sich aufsteigende Panik nicht vollständig Besitz von sich ergreifen zu lassen, nun wo sie zu realisieren begann, wie tief sie eigentlich in der Tinte saß.

Sie befand sich in einer Bar, verschleppt von Vampiren. Das war doch jetzt ein schlechter Scherz!

Nur das die Situation genau so real sein musste, wie ihre schmerzende Schulter und ihre rasenden Kopfschmerzen.

Irgendwo hinter sich konnte sie eine fremde Stimme wimmern hören. Mit rasendem Herzen realisierte Jodie, dass der Laden hinter ihr noch weitergehen musste und das sich in der Tat auch noch Personen hinter ihr befanden. So gut die Ketten es zuließen, versuchte sie sich zu drehen.

In dem dämmrigen Schuppen standen einige Tische und Sitzgruppen. Viele davon waren besetzt, was die weiter entfernten Stimmen erklärte, die sie wahrgenommen hatte, als sie wieder zu sich gekommen war.

Sie drehte sich so weit es ging, um zu sehen, was hinter ihr geschah. Als sie die Szene aus dem Augenwinkel erfasste, wünschte sie sich, dass die Ketten sie daran gehindert hätten.

Hinter ihr, also relativ mittig in dem restaurantgroßen Raum, hatte man noch eine weitere, ihr fremde Person, in Ketten fixiert.

Dünne Schläuche steckten in seinem Hals und seinen Handgelenken. Sie konnte dabei zusehen, wie der rote Lebenssaft des Unglücklichen durch die Schläuche rann und schließlich in Weingläser tropfte, die darunter angebracht waren.

Der Mann wirkte bereits leichenblass. Auf seinem Gesicht stand die pure Verzweiflung geschrieben, was Jodie ihm in dieser Situation nun wirklich nicht verübeln konnte.

"Blutgruppe A positiv neigt sich langsam dem Ende zu. Wem darf ich noch ein Glas anbieten?"

Ein Mann im Kellneroutfit stand neben dem armen Tropf und reichte eins der Gläser einer Frau mittleren Alters, welche auf den Aufruf hin die Hand gehoben hatte.

Der Blondine wurde speiübel. Die Personen, die sich in dieser Bar befanden, wirkten auf den ersten Blick wie ganz normale Menschen, doch genau das war nicht der Fall. Sie war wortwörtlich in einem verdammten Vampirnest gelandet!
 

Mit wie wild klopfendem Herzen begann Jodie erneut an ihren Fesseln zu zerren. Sie musste diese Ketten loswerden und von hier verschwinden!

Dem armen Kerl, dessen Blut gerade wie Wein ausgeschenkt wurde, würde sie liebend gerne helfen, doch wusste sie, dass dies ein Ding der Unmöglichkeit war. Selbst wenn es ihr gelingen würde sich zu befreien, befand sie sich derzeit doch selbst in der Höhle des Löwen.

Doch die Ketten hielten sie. Eine Flucht war somit praktisch ausgeschlossen.

Der Jägerin schnürte sich die Kehle zu, da man über keine besonderes gute Fantasie verfügen musste, um sich ausmalen zu können, was hier über kurz oder lang passieren würde.

Jodie war so sehr von dem Anblick des unfreiwilligen Blutspenders gefesselt gewesen, dass sie gar nicht mitbekommen hatte, dass sich ihr eine Person genähert hatte. Erst, als sich eine Hand an ihre Wange legte, schrak sie zusammen.

"Sieh mal einer an, wer aufgewacht ist.", amüsierte eine Stimme sich.

Die Blondine wirbelte sofort zu der Person, die nun vor ihr stand, herum und ihre Augen weiteten sich erschrocken. Die Frau, die vor ihr stand, hatte eine eher zierliche Statur und rotbraunes, fast oranges Haar. Den unvorteilhaften Haarschnitt kannte sie, genau so wie das Gesicht ihres Gegenübers. Lediglich die Zeichnung am Auge, die einem Schmetterlingsflügel glich und von der Jodie sich nicht sicher war, ob es sich um Make-Up oder ein Tattoo handelte, war ihr vorhin nicht aufgefallen.

"D-Du schon wieder...!", schnappte sie, doch klang die Stimme der Vampirjägerin dabei bei weitem nicht so zornig, wie sie es eigentlich beabsichtigt hatte. Es war viel mehr die Angst, die ihr anzuhören war. "Verdammt, wo hast du mich hingebracht?!"

"In eine Bar, wie du vielleicht schon bemerkt hast.", beantwortete die Vampirin ihre Frage und grinste sie schadenfroh an. "Blutgruppe 0 negativ einfach so verkommen zu lassen, wäre doch zu schade gewesen."

Erneut spürte die Blondine, wie sich ihr die Kehle zusammenschnürte, bestätigte ihr Gegenüber ihr mit diesen Worten doch gerade nur noch einmal, was genau sie hier erwarten würde.

Die Vampirin unterbrach den Blickkontakt und winkte stattdessen dem Kellner zu, der sich hinter ihnen befand.

"Hey Kellner! A Positiv ist doch langweilig! Wie wäre es stattdessen stattdessen mit ihrem Blut hier?"

Der jungen Vampirjägerin wurde schlecht. Das hier war ein verdammter Alptraum! Sie wusste, dass ihr Beruf gefährlich war, aber so würdelos hatte sie sich ihr Ende dann auch wieder nicht vorgestellt. Auf der Jagt getötet zu werden war eine Sache, aber das Ende in einer gottverdammten Vampirbar zu finden...?!

"Sorry, aber wir bereiten gerade noch einen Kandidaten mit Blutgruppe A vor!", rief besagter Kellner ihr durch den Raum zu.

Das bedeutete zwar noch etwas Aufschub, verbesserte ihre Situation aber nicht im geringsten. Außerdem würde es auch bedeuten, dass noch eine weitere Person hier und heute ihr Ende finden würde.
 

An der Bar nahm Jodie eine Bewegung wahr. In ihrer Verzweiflung hatte sie die hier anwesenden Gesichter nicht genauer studiert und vermutlich hätte sie die Andere selbst dann übersehen, da sie vom Rücken eines großen Typen mit langen, silbernen Haaren verdeckt gewesen war. War das nicht der Kerl, der es überhaupt erst veranlasst hatte, dass die Jägerin hier gelandet war?

Zumindest grummelte der Silberhaarige kurz, als die Frau, die bei ihm gesessen hatte, aufstand und ihn etwas zur Seite schob. Besagte Frau ignorierte dies vollkommen und gesellte sich stattdessen zu der Vampirin, welche vor Jodie stand.

"Nicht so ungeduldig, Chianti. Das Beste spart man sich doch immer bis zum Schluss auf.", schnurrte die Größere amüsiert.

Während Chianti sie gereizt anfunkelte, entgleisten der Jägerin fast die Gesichtszüge.

Das... das konnte doch gar nicht! Das war jetzt erneut ein schlechter Scherz! Oder aber auch nicht...

Mondnebels Aufmerksamkeit hatte diese Frau immerhin bereits auf sich gezogen.

Trotz allem hätte Jodie nicht erwartet, ausgerechnet sie hier zu sehen. Vorhin noch war sie Chris Vineyard während der Autogrammstunde begegnet, nun stand besagte Blondine erneut vor ihr.

Die geringfügig Ältere hatte die Arme locker vor der Brust verschränkt und blickte mit einem arroganten, fast spöttischen Funkeln auf sie herab.

Am liebsten wäre Jodie ruckartig aufgestanden, um wenigstens auf Augenhöhe mit der Schauspielerin zu sein, doch die Ketten hielten sie an Ort und Stelle.

"Du hier?", brachte die Jägerin heraus. Die Überraschung wich Stück für Stück aus ihrem Blick und machte Kälte Platz. "Also hatten wir doch den richtigen Riecher, als wir uns entschieden haben dich im Auge zu behalten.", zischte sie. Vorhin hatte Jodie Chris noch gesiezt, doch das sparte sie sich nun. Und auch die Tatsache, dass die Schauspielerin Mondnebels Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, lohnte es nicht länger zu verschweigen. Die Jägerin war der festen Überzeugung, in dieser aussichtslosen Situation sowieso noch an diesem Abend ihr Ende zu finden.

"Sieht ganz so aus, als wären deine Kameraden und du auf der richtigen Spur gewesen, Kätzchen. Aber was nützt dir das jetzt noch?", verhöhnte die Schauspielerin sie. Weiterhin blickte dieses Biest mit dem wunderschönen Gesicht, spöttisch von oben auf sie herab.

Einerseits pochte ihr Herz vor Panik wie wild, andererseits mischte sich auch eine gewisse Wut darunter. Die andere Blondine hatte es mit nur wenigen Worten geschafft Jodie zum köcheln zu bringen.

"Du sprichst von meinen Kameraden? Also bist du die Drahtzieherin hinter all dem?!"

Wieder blitzten die letzten Sekunden von John und Steve vor ihrem inneren Auge auf, genau so wie der tote Körper von Hayden. Wenn die Fesseln sie nicht an Ort und Stelle gehalten hätten, Jodie hätte sich hier und jetzt auf die Schauspielerin gestürzt. Sie kochte vor Trauer und Wut.

"Da muss ich dich enttäuschen, Süße. Mit der Geschichte habe ich nichts zu tun.", winkte Chris seelenruhig ab. Weiterhin schien die Situation sie zu amüsieren.

"Als wenn Madame hier sich ernsthaft die Mühe machen würde, euch Vampirjäger selbst in eine Falle zu locken. Dafür ist dieses verzogene Sternchen sich doch viel zu fein.", spottete Chianti, wobei Jodie feststellte, dass die Andere mit starkem Akzent sprach. Englisch war ganz eindeutig nicht ihre Muttersprache.

"Du hast eine scharfe Zunge, Chianti.", amüsierte die Schauspielerin sich derweil.

Erneut lag ein gereiztes Funkeln in den Augen der Scharfschützin und erneut wurde Jodie das Gefühl nicht los, dass Chianti die Blondine nicht leiden konnte.

Aber das war gerade ihre geringste Sorge. Auch wenn die beiden Frauen sich die Zeit nahmen, mit ihr zu reden, so würde sie dies doch kaum davor schützen als Vampirsnack zu enden.

Apropos Vampire. Da gab es etwas, das Jodie stutzig werden ließ. Zwar befand sie sich in einer denkbar ungünstigen Situation und ihr Herz raste wie verrückt, dennoch sprach sie die Worte ganz automatisch aus.

"Dieser Laden ist ein verdammtes Vampirnest. Du arbeitest vielleicht mit diesen Monstern zusammen, aber hast du dabei gar keine Angst, dass dein Blut als nächstes im Glas landet?"

Chris blinzelte der verärgerten Jägerin überrascht entgegen, dann war der arrogante Ausdruck in ihren Augen zurück. "Ob ich Angst habe...?", wiederholte sie und konnte nicht verhindern zu lachen. Schließlich wurde sie wieder etwas ernster, wirkte aber weiterhin amüsiert. "Oh nein, Süße. Ich glaube du verstehst da etwas vollkommen falsch."

Sie verstand etwas vollkommen falsch? Was genau meinte die Schauspielerin damit?
 

"Oh, seht an. Es ist zwar wieder nur A, aber es sieht ganz danach aus, als würde gleich die nächste Runde ausgeschenkt werden. Fangfrisch." Mit einem kurzen Nicken deutete Chianti zu der Stelle, wo sich eben noch der Fremde mit den Schläuchen in Hals und Handgelenken befunden hatte. In ihren Augen lag ein grausames Funkeln. Mit mildem Interesse blickte nun auch Chris in die Richtung, die die Vampirin eben angedeutet hatte.

Noch ehe Jodie selbst den Kopf drehen konnte, um zu sehen, welch armen Tropf die Vampire nun in die Halle schleppten, hatte die Schauspielerin ihr eine Hand ans Kinn gelegt und drehte ihr Gesicht in Richtung des Showplatzes.

"Ihr zwei kennt euch, oder Kätzchen?"

Die hellblauen Augen der Jägerin weiteten sich schockiert. Ohne ihre Brille sah sie die etwas weiter entfernten Personen zwar nicht ganz klar, dennoch erkannte sie den Gefangenen praktisch sofort.

Erneut drehte sich ihr fast der Magen um. Ein solches Entsetzen jagte ihr durch Mark und Bein, dass es fast schon körperlich schmerzte.

"Andre, nein...!" Ihre Stimme klang schrill vor Schreck, wenngleich auch nicht lauter als ein ersticktes Maunzen.

Das, das durfte doch nicht wahr sein! Das durfte nicht passieren! Drei ihrer Kameraden hatten heute schon den Tod gefunden. Allein diese Tatsache war grausam. Die Aussicht darauf, jetzt auch noch einen vierten Freund und Kollegen zu verlieren, ertrug sie nicht! Auch wenn sie Mondnebels anderen Mitgliedern wohl schon sehr bald folgen würde.

Trotz allem wollte sie ihrem Kameraden irgendwie helfen. Nur das sie vollkommen machtlos war.

Dabei zuzusehen, wie ihr Kollege von zwei Vampiren zu der Vorrichtung gezerrt wurde, neben der der Kellner stand, war schier unerträglich.

Der andere Jäger schrie und wehrte sich nach Kräften, dennoch hatten die beiden Vampire nicht mehr Mühe damit ihn festzuhalten, als wenn sie zu zweit eine Taube fixieren würden.

Und wie verletzt und abgekämpft Andre aussah. Schrecklich.

Mit einem Klirren schlossen sich die Ketten um seine Arme, dann griff der Vampir im Kellneroutfit nach neuen, dünnen Schläuchen, an deren Enden Nadeln angebracht sein mussten.
 

Voller Entsetzen und Verzweiflung, warf Jodie sich erneut in die Ketten und zerrte daran. Sie wusste, dass es aussichtslos war, doch sie wollte ihrem Kollegen so unbedingt helfen.

"NEEEIIIN! NICHT! Lasst ihn in Ruhe!", schrie die Blondine auf.

Nicht, dass auf ihre Meinung jemand Rücksicht nehmen würde, aber sie konnte doch nicht einfach still hier sitzenbleiben und zusehen!

Chris war einen Schritt zurückgetreten und beobachtete die Jägerin interessiert dabei, wie sie gegen die Fesseln ankämpfte.

Chianti hingegen blieb stehen wo sie war und lachte. "Jetzt mach hier nicht so ein Drama, du bist immerhin die Nächste." Grinsend blickte sie auf die Jägerin herab. "Oder wärst du jetzt lieber an seiner Stelle? Also ich hätte zumindest nichts dagegen."

Wie konnte man nur so grausam sein?! Die Angst um ihren Kollegen drohte ihr logisches Denken zu vernebeln, während sie sich so hilflos wie nie zuvor fühlte. Als normaler Mensch hatte sie körperlich nicht die geringste Chance gegen einen Vampir, gegen eine ganze Vampirgesellschaft erst recht nicht, dennoch hätte sie es gerade zumindest gerne versucht.

Der Anblick, wie der Kellner ihrem Kameraden eine Nadel ins Handgelenk stach und einen der Schläuche daran anbrachte, war schier unerträglich für Jodie.

Sie konnte da nicht länger hinsehen. Sie konnte noch nicht einmal etwas unternehmen.

Voller Verzweiflung blickte sie hoch zu der anderen Blondine, die die ganze Situation beobachtete wie ein spannendes Theaterstück.

"Hört sofort auf damit! Hört auf ihn zu quälen! Sag diesen Mistkerlen, dass sie sofort aufhören sollen! Bitte!", flehte sie die Schauspielerin förmlich an und fragte sich im nächsten Moment, was sie da eigentlich tat.

Chris steckte mit diesen Vampiren unter einer Decke. Noch dazu war sie, neben Andre und ihr selbst, der einzige Mensch hier in dieser Bar. Was also sollte sie bitte ausrichten? Und warum sollte sie sich die Mühe machen? Die Schauspielerin war nicht besser, als die Vampire selbst.

Kaum, das Jodie ihre Worte ausgesprochen hatte, fragte sie sich auch schon, was in sie gefahren war, um sich selbst so vor diesen Monstern zu erniedrigen.

"Ich?" Überrascht und fragend zugleich, deutete Chris kurz auf sich selbst, ehe der spöttische Ausdruck in ihrer Mimik zurück war. "Wie kommst du darauf, dass ausgerechnet ich etwas unternehmen sollte, Schätzchen?"

'Vergiss es einfach', hätte Jodie ihr am liebsten zugezischt. Noch lieber hätte sie das makellose Gesicht der Schauspielerin mit ihren Fäusten bearbeitet und die Vampirin neben ihr mit einem Lichtgeschoss. Doch das blieb wohl oder übel Wunschdenken.

Im Hintergrund hörte sie ihren Kollegen schmerzerfüllt aufschreien. Es zerriss ihr fast das Herz.

Die Verzweiflung überrollte die junge Frau wie eine Welle.

"Ich weiß nicht, was ich euch geben kann, damit ihr ihn in Ruhe lasst, aber wenn es irgendetwas gibt...", hörte sie sich selbst flehen. Jodies Stimme bebte. Ihre Kehle schnürte sich langsam zu und sie spürte, wie Tränen in ihren Augen aufstiegen.
 

Zu ihrer Überraschung beugte die Schauspielerin sich zu ihr herunter. Unter anderen Umständen, hätte Jodie die geringfügig Ältere wohl darauf aufmerksam gemacht, dass sie in ihrer derzeitigen Position einen mehr als tiefen Blick in ihren Ausschnitt hatte, ob sie nun wollte oder nicht, doch dass sie der Anderen ins Kleid gucken konnte, war ihr aktuell mehr als nur egal.

Die grünen Augen ihres Gegenübers funkelten amüsiert und interessiert zugleich.

"So, du würdest also alles tun, um deinen Kollegen zu retten, ja?", hakte die Schauspielerin nach.

Die Jägerin schniefte. Tränen der Verzweiflung rannen heiß ihre Wangen entlang.

"Ich muss sagen, du hattest den richtigen Riecher in dem Punkt, dass ich hier in der Tat etwas zu sagen habe."

Ein Mensch....hatte einer ganzen Bar voller Vampire etwas zu sagen? Das war doch jetzt ein schlechter Scherz. Vermutlich erlaubte die Blondine sich in der Tat nur einen Spaß auf ihre Kosten und schauspielerte spontan ein wenig.

"Was würdest du mir denn bieten, dafür, dass ich ein gutes Wort für deinen Freund da drüben einlege?", hakte Chris noch einmal nach.

"Was du willst. Auch wenn ich nicht weiß, was ich dir in meiner Situation geben kann." Die Stimme der Jägerin klang verzweifelt. Sie wusste, dass das hier vermutlich nicht mehr als ein übler Scherz war. Alles in ihr sträubte sich, sich vor diesen Vampiren und deren Komplizin überhaupt so klein zu machen und eine Art Handel anzubieten, doch gleichzeitig reichte die Schauspielerin ihr gerade so etwas wie einen winzigen Strohhalm der Hoffnung.

Wenn es irgendetwas gab, ...wenn sie irgendetwas tun konnte, um wenigstens einen ihrer Kollegen zu retten, dann wollte sie es zumindest versucht haben.

Die andere Blondine legte ihr eine Hand an die Wange und wischte ihr mit dem Daumen einige Tränen aus dem Gesicht. Hellblaue und smaragdgrüne Augen trafen sich.

Die Andere hatte sich zu ihr gebeugt, sodass ihre Nasenspitzen sich fast berührten.

Trotz der Tatsache, dass die Jägerin gefesselt war, wäre ihr Gegenüber nun in ihrer Reichweite um zu einer Kopfnuss auszuholen, stellte Jodie fest. Aber das würde sie nicht tun, denn damit würde sie die winzige Chance, die für Camel vielleicht bestand, auf jeden Fall augenblicklich zu Nichte machen.

"Noch einmal: du würdest also in der Tat alles dafür tun, deinen Kollegen zu retten?", hakte Chris erneut nach. "...Alles?" Die letzte Frage, dieses eine Wort, klang in dieser merkwürdigen Betonung mehr als unheilvoll. Jodie fragte sich, was für einen grausamen Scherz die Schauspielerin sich wohl erlauben würde. Am liebsten wäre sie jetzt noch zurückgerudert. Aber wenn sie daran dachte, was ihrem Kameraden dann eventuell widerfuhr...

Da kein Wort ihre Kehle verlassen wollte, rang sie sich ein stockendes Nicken ab.

Weiterhin zerfraßen Sorge und Verzweiflung sie fast.

Chris blickte sie einige Augenblicke lang prüfend an. Jodie hielt den Blickkontakt.

Schließlich stellte die Schauspielerin sich wieder aufrecht hin. "Fein, Kätzchen. Dann will ich mal sehen, was ich für dich tun kann. Aber sei dir bewusst, dass der kleine Gefallen dich viel kosten wird."

Die Augen der jungen Frau weiteten sich. Bitte was? Würde die geringfügig Ältere sich wirklich auf einen Deal einlassen? Bestand....bestand für Andre wirklich die Chance auf Rettung?

Fragte sich nur, wie der Deal aussah und was die Schauspielerin damit meinte, dass der Gefallen teuer für sie werden würde. Was genau wollte sie von ihr? Geld? Hatte Chris davon nicht selbst wesentlich mehr als sie?
 

"Hey, Modepüppchen. Sag mal, was hast du vor?", hakte Chianti mit unfreundlicher Stimme an die Blondine gewandt nach. Diese ignorierte sie.

Statt der Vampirin neben sich Beachtung zu schenken, richtete Chris ihre Aufmerksamkeit in Richtung des Kellners und den Personen, die sich bereits um ihn versammelt hatten.

"Schluss jetzt!", durchschnitt ihre Stimme den Raum. Sie sprach klar, deutlich und vor allen Dingen in einem routinierten Befehlston. Wieder glaubte Jodie sich verhört zu haben. So sprach ein Mensch mit Vampiren? Und tatsächlich hielten die Anwesenden auf der Stelle inne und blickten die Schauspielerin fragend an.

"Nehmt diesem Jäger die Schläuche wieder ab. Er landet nicht auf dem Tisch."

Ungläubiges Gemurmel brach unter den Anwesenden aus und auch Jodie konnte kaum glauben, was sie da hörte. Hatte Chris das gerade tatsächlich gesagt?

"Hey, warum denn nicht? Was ist auf einmal los mit dir?", hakte der Kellner, ein unscheinbarer, schwarzhaariger Mann, der aussah wie Mitte 30, nach.

"Ich habe schon meine Gründe und die hast du nicht zu hinterfragen.", kam es nur kühl und bestimmt von der Blondine, ehe sie zwei Personen heranwinkte.

"Irish, Calvados, bringt den Mann zum Wagen in der Tiefgarage. Ihr erhaltet gleich weitere Anweisungen."

Die beiden Angesprochenen tauschten irritierte Blicke aus, doch dann packten sie den Jäger jeweils an einem Arm und zogen ihn mit sich.

Ungläubig starrte Jodie zu der Schauspielerin hoch. Auch Chianti starrte die Blondine fassungslos an, doch wurde ihr Blick schon bald von Zorn überschattet.

"Hey, sag mal was stimmt eigentlich nicht mit dir?! Sein Blut war doch vollkommen in Ordnung!", fuhr die Vampirin ihr gegenüber an.

Chris zuckte lediglich mit den Schultern. "Deal ist Deal.", stellte sie fest.

"Du lässt dich wirklich auf einen Deal mit einer Jägerin ein?! Du tickst wohl nicht mehr ganz sauber!" Wütend funkelte Chianti die Andere an.

"Du siehst wirklich nicht über den Tellerrand hinaus, oder?", hakte Chris amüsiert schmunzelnd nach.
 

Gerade, als die Scharfschützin zu einer Antwort ansetzen wollte, gesellte sich eine weitere Person zu ihnen.

Von ihrer derzeitigen Position aus und gehalten von den Ketten, musste Jodie wohl oder übel zu dem Mann hochsehen, der von einem der Barhocker aufgestanden und nun neben der Schauspielerin stehen geblieben war.

Das war der Kerl, der es veranlasst hatte, dass man sie überhaupt erst hier her verschleppt hatte! Er hatte den beiden Scharfschützen vorhin Befehle erteilt, was bedeuten musste, dass er einen hohen Rang in diesem elenden Vampirnest bekleiden musste. Und wenn die junge Frau sich nicht ganz irrte, dann handelte es sich bei dem Silberhaarigen auch um den Fahrer des schwarzen Porsches, der Mondnebel in den letzten Wochen in Atem gehalten hatte.

Von ihrem Platz aus, musterte Jodie schweigend die kalten Gesichtszüge des Fremden. In seinen Augen lag eine Grausamkeit, wie sie sie noch nie gesehen hatte.

Schlagartig wurde ihr eiskalt. Vampire waren ganz allgemein gefährlich, aber dieser Typ spielte noch einmal in einer ganz anderen Liga. Selbst die aufbrausende Chianti verstummte und beobachtete, wie die Situation sich entwickeln würde.

"Was genau du vor hast, frage ich mich allerdings auch. Klär mich auf, Vermouth.", ergriff der Silberhaarige das Wort und richtete den Blick auf die Schauspielerin, welche neben ihm stand.

Während Jodie unwillkürlich den Atem anhielt und die Spannung, die in der Luft lag, fast schon greifen konnte, blieb die andere Blondine vollkommen gelassen.

Mit spöttisch funkelnden Augen blickte sie ihrem Gegenüber ganz direkt entgegen.

Die junge Vampirjägerin fragte sich, ob die andere Blondine sich diesen Hochmut tatsächlich leisten konnte, oder ob sie einfach nur größenwahnsinnig oder lebensmüde war. Diesem Kerl die Stirn zu bieten, erschien ihr eine denkbar dumme Idee.

Und was war das für ein seltsamer Name, mit dem der Fremde die Schauspielerin angesprochen hatte? Wobei..., jetzt erst stolperte sie darüber, dass Chianti ebenfalls der Name eines alkoholischen Getränks war. Den anderen Scharfschützen hatte der Silberhaarige vorhin mit Korn angesprochen, wenn sie sich recht erinnerte und Chris hatte eben zwei Personen herangewunken, die ebenfalls alkoholische Namen trugen. Was genau hatte das zu bedeuten?

Doch was es mit diesen seltsamen Namen auf sich hatte, war wohl erst einmal zweitrangig.

Derweil ergriff Chris das Wort. "Diesen Jäger heute nicht über die Klinge springen zu lassen, dient nur einem übergeordneten Zweck. Viel mehr geht es mir um die Kleine da.", erklärte sie und nickte in Jodies Richtung.

Spontan fragte diese sich, was die geringfügig Ältere eigentlich mit ihr vor hatte. Sie glaubte zu wissen, dass Chris aus reiner Berechnung, nicht etwa aus Freundlichkeit handelte, was ihr ein ungutes Gefühl in der Magengegend bereitete. Irgendetwas hatte diese Frau vor und sie war ganz und gar nicht scharf darauf es herauszufinden.

Nicht, dass sie in ihrer aktuellen Lage eine Wahl gehabt hätte, ob es ihr nun gefiel oder nicht.

"Die Kleine da?", murrte der Silberhaarige und warf Jodie einen kalten Blick zu. Ohne es zu merken hielt die junge Frau die Luft an.

"Richtig. Na komm schon, denk nach, Gin. Ich bin mir sicher zu kommst von alleine darauf.", zog Chris den finster dreinblickenden Mann auf.

Nun richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Schauspielerin. "Hör auf mit deinen Spielchen. Was in deinem verdammten Kopf vorgeht, kann niemand nachvollziehen, Vermouth.", knurrte er.

"Ach, ist das so? Dabei liegt es diesmal doch wirklich auf der Hand."

Mit einem Schmunzeln auf den Lippen, stellte die Blondine sich auf die Zehenspitzen, lehnte sich zu Gin und flüsterte diesem etwas ins Ohr.

Natürlich musste sie flüstern, stellte Jodie in Gedanken verärgert fest. Sonst hätte am Ende noch die Chance bestanden, dass sie eine Idee von dem bekam, was hier eigentlich gespielt wurde.

Zwar hörte Gin ihr zu, doch kaum, dass sie ihm die Situation erklärt haben musste, schob er die Blondine wieder auf Abstand und warf ihr einen wenig freundlichen Blick zu.

"Und wenn du ihn darum bittest, kauft dein Boss dir auch ein Pony, was?", höhnte er.

"Ein Pony? Ich bitte dich, ein Pferd müsste es schon sein. Der Boss macht keine halben Sachen.", ging die Schauspielerin spöttisch darauf ein.

Erneut murrte Gin irgendetwas vor sich hin, machte eine wegwerfende Handbewegung in Richtung der Jägerin und ging wieder zwei Schritte auf die Bar zu.

"Aber meinetwegen sollst du sie haben. Es kümmert mich nicht."

"Oh, zu gütig von dir." Die Stimme der Blondine triefte vor Hohn, ehe sie das erste mal ernst wurde und in einem selbstsicheren, schneidend scharfen Tonfall hinzufügte: "Aber es ist nicht so, als würde ich deine Zustimmung oder Erlaubnis benötigen. Vergiss nicht, deine Leute und du, ihr seid hier nur zu Gast und in diesem Land habe ich das Sagen."

Gin hielt in der Bewegung inne und fixierte die Blondine erneut mit dem Blick. Zuerst lag Ärger in seinen grünen Augen, der jedoch recht bald Spott Platz machte. "Noch magst du hier vielleicht etwas zu sagen haben, aber wir wissen beide, dass sich das in nicht ganz zwei Monaten ändern wird. Gewöhn dich lieber schon einmal an den Gedanken, dass ich dich an eine deutlich kürzere Leine legen werde, als der Alte es tut."

"Das wird sich noch zeigen, mein Lieber."

Einen Moment hielten sie noch Blickkontakt. Zwar lag auf Chris Lippen weiterhin ein Schmunzeln, doch war die Verachtung, die die beiden füreinander empfanden, deutlich spürbar.

Jodie beobachtete die ganze Szene von ihrem Platz aus schweigend und mit stetig zunehmender Verwirrung. Das der Silberhaarige und die Schauspielerin sich die Stirn boten, scheinbar ihre Grenzen ausloteten und beide einen hohen Rang bekleiden mussten, war nicht zu übersehen, aber was ging hier bitte vor sich?

Was hatte Gin mit seinen Worten eben gemeint? Und wie kam es, dass ein Mensch, wie Chris es nun einmal war, in einer Vampirgesellschaft scheinbar einen so hohen Rang bekleidete?
 

Die Szene, die sie soeben beobachtet hatte, hatte mehr Fragen als Antworten aufgeworfen. In der jungen Jägerin tobte ein einziges Chaos. Sie war hin und hergerissen zwischen Angst wegen ihrer aktuell denkbar ungünstigen Situation und Verwirrung, da sie beim besten Willen nicht mehr nachvollziehen konnte, was hier eigentlich gespielt wurde.

Sie war gefesselt und umgeben von Vampiren. Und dann war da natürlich noch die Schauspielerin, die den hier anwesenden Bestien absurderweise etwas zu sagen zu haben schien und mit der sie im wahrsten Sinne des Wortes einen Deal mit dem Teufel geschlossen hatte. Auch wenn sie noch nicht wusste, wie besagter Deal eigentlich aussehen würde. Sie wusste ja noch nicht einmal, ob ihr Kollege wirklich in Sicherheit war, oder ob Chris sich nur einen bösen Scherz erlaubte.

Und was hatte dieser unheimliche, silberhaarige Kerl gerade noch gesagt? Die Schauspielerin könnte sie ruhig haben? Was genau meinte er damit? Was wollte diese Frau denn überhaupt von ihr?

Es sah jedoch ganz danach aus, als ob zumindest dieses Rätsel bald gelöst werden würde, hatte Chris sich ihr inzwischen wieder zugewandt und ging langsam auf sie zu, ehe sie sie erreicht hatte und vor der Jägerin stehen blieb.

Verstört, grenzenlos verwirrt und fragend zugleich, blickte die geringfügig jüngere Blondine zu ihr hoch. "Was hat das alles zu bedeuten? Was genau hast du vor mit mir?", hörte sie ihre eigene Stimme fragen.

Chris schien nicht im geringsten überrascht und blickte noch einen Moment lang auf sie herab, ehe sie zu einer Antwort ansetzte. Das Schmunzeln verschwand dabei nie von ihren Lippen.

"Armes, naives Kätzchen. Du scheinst so vieles nicht zu verstehen und dabei ist die Antwort so selbsterklärend."

"Ach, ist das so? Dann hilf mir mal ein wenig auf die Sprünge." Jodie war hin und hergerissen zwischen Verwirrung und Verärgerung, da ihr Gegenüber sie ganz offensichtlich nicht ernst nahm.

"Weißt du, es ist mir schon vorhin bei der Autogrammstunde aufgefallen. Auch wenn ich ehrlich gesagt nicht erwartet habe, dich so schnell wiederzusehen. 0 negativ ist selten, damit erzähle ich dir nichts neues, oder?"

Die junge Frau schüttelte entgeistert den Kopf. "Woher kennst du meine Blutgruppe?", hakte sie verständnislos nach. Im nächsten Moment meinte sie die Antwort auf diese Frage jedoch bereits schon selbst gefunden zu haben. "Warte... diese elende Vampirin da hat es eben erwähnt, richtig?"

"Hey! Was denkst du dir eigentlich, Menschlein?!", blaffte Chianti augenblicklich angesäuert.

"Das hat sie, ja. Aber deine Blutgruppe kannte ich auch schon vorher."

Die Schauspielerin kniete sich vor die Gefangene, welche ihr gestresst entgegenblinzelte.

"Woher...?", brachte Jodie stockend heraus. Wenn es hier um ihre Blutgruppe ging, bedeutete das dann, dass sie gleich mit Camel den Platz tauschen würde. Kein schöner Gedanke, bei dem ihr ein eiskalter Schauer über den Rücken lief. Aber... hatten diese elenden Vampire genau das nicht sowieso angedacht? Das konnte wohl kaum der Deal sein, dem sie da zugestimmt hatte, richtig?

"Woher ich das weiß? Ach Süße..., du willst es nicht verstehen, oder?" Chris behandelte sie, als würde sie mit einem dummen Kind sprechen. "Blutgruppe 0 negativ, dir haftet ein einfach unwiderstehlicher Duft an. Stell es dir so vor, als hättest du zwei Tage lang nichts gegessen und plötzlich stellt dir jemand dein Lieblingsgericht genau vor die Nase."

"....Was?", krächzte die Jägerin. Blutgruppe 0 roch unwahrscheinlich gut? Lieblingsgericht? Was zum?! Erneut lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken und in ihrer Magengegend machte sich ein höchst ungutes Gefühl breit. Was redete die andere Frau da bitte?!

Erneut trafen die Blicke von hellblauen und smaragtgrünen Augen sich. Zwei Sekundenlang blickten die beiden Blondinen sich an, ehe das Schmunzeln auf den Lippen der Älteren höhnischer wurde. Dann blinzelte sie. Jodie glaubte ihren Augen nicht zu trauen, als sie praktisch dabei zusehen konnte, wie die smaragtgrünen Iriden ihres Gegenübers schlagartig ein helles Stahlblau annahmen.

Diese Augen...! Das bedeutete dann ja...! Aber diese Frau hatte vorhin noch im Tageslicht mit ihr auf dem Balkon gestanden. Das konnte doch folglich gar nicht! Die Blondine verstand gar nichts mehr.

"Jetzt schau doch nicht so verwirrt, Kätzchen.", amüsierte Chris sich. "Du hast es wirklich nicht gemerkt, oder?", verhöhnte sie sie weiter, wobei der jungen Vampirjägerin die beiden, nun deutlich schärferen und spitzeren Zähne auffielen, welche beim Sprechen im Mund der Schauspielerin aufblitzten.

Jodie war fassungslos. Sie hatte diese Frau die ganze Zeit für einen Menschen gehalten und nun hatte die andere Blondine sich von einer Sekunde auf die andere als Vampirin entpuppt. Und das, obwohl sie sich im Tageslicht bewegen konnte, ohne dabei auch nur den geringsten Schaden zu nehmen.

"Lass dir gefälligst nicht einfallen, mir nichts abzugeben, Barbie! 0 negativ ist auch meine Lieblingssorte!", beschwerte Chianti sich im Hintergrund.

Kurz wandte die Blondine sich ihr zu. "Keine Chance, die Kleine hier teile ich nicht. Frag einen der Kellner, was wir noch im Keller haben, wenn du Durst hast."

"Das ist doch wohl...!", brauste Chianti auf, doch die Blondine hatte sich bereits wieder abgewandt.

Jodie wurde von immer größerem Horror gepackt. Das war doch jetzt alles wirklich ein schlechter Scherz!

Sie fühlte sich wie in einem absurden Alptraum gefangen. Erst wurde ihr Team getötet, dann fand sie sich verschleppt in diesem Vampirschuppen wieder und nun sah sie sich einer Vampirin gegenüber, der Tageslicht rein gar nichts ausmachte. Das war doch vollkommen unmöglich!

Doch ob unmöglich oder nicht, gerade hatte sie noch eine ganz andere Sorge. Chris, die vor ihr kniete, griff nach dem Kinn der jungen Jägerin und zwang sie den Kopf nach rechts zu legen.

Jodie war sich bewusst, dass ihr Hals nun vollkommen ungeschützt war. Panik stieg in ihr auf.

Sie sträubte sich gegen den Griff ihres Gegenübers, doch die Ketten schränkten ihre Bewegungsfreiheit ein und hielten sie zurück, während die Vampirin ihren Griff nur noch verstärkte.

"Nein! Nein! Nein! Bleib weg von mir, verdammtes Monster!" Die Stimme der jungen Frau klang bei weiten schriller und panischer, als ihr lieb war.

Chris warf ihr einen fast schon mitleidigen Blick aus ihren nun stahlblauen Augen zu. Sie legte sich den Zeigefinger ihrer freien Hand auf die Lippen und bedeutete ihr still zu sein.

"Ssssh, Kätzchen. Hatten wir nicht einen Deal?", erinnerte sie sie.

Jodie konnte ihr eigenes Herz wie wild pochen hören, während Panik in Wellen über sie hinwegschwappte. Es stimmte schon, dass sie einem Deal vorhin in ihrer Not zugestimmt hatte, aber da hatte sie auch noch keine Idee gehabt, was ihr Gegenüber eigentlich war. Und abgesehen davon, besaß jeder Mensch so etwas wie einen gesunden Überlebenswillen!

Verzweifelt sträubte sie sich, doch die Ketten machten dieses Kräftemessen recht einseitig.

Als die Schauspielerin sich in ihre Richtung lehnte, jagten Adrenalin und Panik wie ein schmerzhafter Stich durch ihren ganzen Körper.

"NEIN! Bleib weg von mir!" Sie kniff die Augen zusammen... doch spürte sie im nächsten Moment lediglich die Lippen ihres Gegenübers auf ihrer Wange. Die Andere hatte sie auf die Wange geküsst...?

Skeptisch blinzelte Jodie. Die Vampirin war zumindest in so weit auf Abstand gegangen, als dass sie deren Gesicht aus dem Augenwinkel sehen konnte.

"Kein Grund gleich die Nerven zu verlieren.", verhöhnte die andere Blondine sie amüsiert. "Hör auf so zu zappeln. Du machst es nur schlimmer."

Weiterhin hatte Chris ihren Griff nicht gelockert und zwang die Jägerin somit weiterhin in der unglücklichen Position, die linke Seite des Halses entblößt, zu verharren. "Du wirst hier und heute nicht sterben, Kleines. Ich bin doch immerhin kein... Monster." Das letzte Wort schnurrte die Vampirin schon fast amüsiert, was die ganze Situation nur noch ironischer machte.

Ein Vampir und kein Monster? So etwas gab es nicht! Und wenn diese Frau das, was sie sagte tatsächlich ernst meinte und die Gefangene hier und heute nicht sterben würde, dann hieß das am Ende etwa.... Der jüngeren Blondine wurde schlecht. Bei der Befürchtung, die sich ihr nun aufdrängte, war sie sich nicht sicher, ob es nicht vielleicht sogar besser wäre, nun den Tod durch diese Vampirgesellschaft zu finden. Leider nur saß sie aktuell ganz eindeutig am kürzeren Hebel und hatte keinerlei Einfluss auf ihr Schicksal.

In den Augen der Schauspielerin blitzte etwas Grausames auf. Fast wie eine Katze, die der Meinung war, die in der Falle sitzende Maus nun genug gequält und tyrannisiert zu haben. Als sie sich fast schon in Zeitlupe zurück in Richtung des Halses ihres Opfers lehnte, spürte Jodie wie Hilflosigkeit, Entsetzen und Panik ihr logisches Denken lähmten.

"Nein....nicht...! Wenn du mich beißt und am Leben lässt, dann...", wimmerte sie mit erstickter Stimme, konnte ihren Satz jedoch nicht mehr beenden, da ein scharfer Schmerz ihren Hals durchfuhr. Die junge Frau schrie auf.

Oh, nein, nein, nein! Das hier war schlimmer als jeder Alptraum! Wenn dieses Biest ihre Ankündigung wahrmachte und sie nicht tötete, dann würde dieser Vampirbiss gleichzeitig auch bedeuten...

Panik und Verzweiflung beschleunigten ihren Puls und Herzschlag nur noch. Das hier war schlimmer, viel schlimmer, als das Schicksal während der Jagt zu fallen.

Der Schmerz, ausgelöst von den spitzen Fängen, die sich in ihren Hals gebohrt hatten, war grausam. Sie spürte die Lippen der Anderen auf ihrer Haut, fühlte wie ihr eigenes Blut warm und frisch aus ihrem Hals quoll.

Das Entsetzen hatte sie nun vollständig gepackt und hielt sie eisern in seinen grausamen Klauen.

Ob nun durch die Schmerzen, ihre Angst oder den Blutverlust ausgelöst, fast schon war Jodie dankbar darüber, als sie spürte, wie ihre Sicht zu verschwimmen begann und ihr langsam schwarz vor Augen wurde.

Nach und nach kam sie wieder zu sich. Zuerst wurde sie sich bewusst, dass sie zusammengerollt auf der Seite lag. Mh...? Wie spät war es denn? Und warum war ihr Bett so verdammt kalt und unbequem? Sie fühlte sich viel mehr, als würde sie auf dem Boden liegen.

Dieses Gefühl irritierte Jodie. Genau so wie die Tatsache, dass sie sich nach dem Aufwachen nicht erholt, sondern vollkommen erschlagen fühlte. Was zum? Wurde sie vielleicht krank? Ihr Hals schmerzte zumindest.

Dann wurde sie sich bewusst, dass die Schmerzen sich gänzlich anders anfühlten, als gewöhnliche Halsschmerzen, wie man sie oftmals bei einer Erkältung oder Grippe bekam.

Im nächsten Moment war die junge Frau schlagartig hellwach, als sie bemerkte, dass sie nicht in ihrem Bett lag. Sie hatte auch nicht geschlafen, sie hatte das Bewusstsein verloren. Die Erinnerungen daran, was passiert war, bevor sie in Ohnmacht gefallen war, waren sofort wieder präsent.

Sie war von einer Gruppe Vampiren verschleppt worden, hatte sich gefesselt in der Bar befunden und dann hatte dieses elende Biest sie gebissen.

Als sie realisierte, dass sie trotz dem Biss noch lebte, krampfte ihr Herz sich zusammen. Der Vampirjägerin wurde speiübel. Sie hasste Vampire. Diese schreckliche Spezies hatte ihr in ihrer Kindheit alles genommen, was ihr etwas bedeutet hatte. Ihre gesamte Familie. Nur sie hatte damals überlebt. Der ausschlaggebende Grund für sie, sich später für ihren gefährlichen Beruf zu entscheiden.

Und nun? Sie war von diesen Monstern gefangen und gebissen worden. Das sie den Biss überlebt hatte, bedeutete zwangsläufig auch... Entsetzen stieg in ihr auf. Alles, nur das nicht!

Jodie riss die Augen auf, stützte sich mit einer Hand am Boden ab und setzte sich ruckartig auf.

Bei der Aktion wurde ihr schwindelig, doch sie versuchte dieses Gefühl so gut es ging zu ignorieren.

Gehetzt sah sie sich um. Sie befand sich nicht länger in der in die Jahre gekommenen Bar. Nein, dieser Raum war kleiner und hatte viel größere Ähnlichkeit mit einem Wohnzimmer.

Sie selbst hatte in einer Ecke auf dem Boden gelegen. Wie sie hier her gekommen war, konnte sie nicht sagen, hatte sie es doch nicht mitbekommen.

Weiterhin schmerzten ihre Schulter, ihr Kopf und ihr Hals, doch dies rückte in den Hintergrund, als sie auf dem Sofa den Grund für ihre Misere entdeckte.

Inzwischen hatte die andere Blondine sich umgezogen. Sie trug nicht länger das Kleid, welches sie während der Autogrammstunde und vorhin in der Bar getragen hatte. Irritierenderweise war die Schauspielerin lediglich in einen flauschigen, weißen Bademantel gehüllt. Sie hatte sich ein Handtuch um die Schultern gelegt, da ihre Haare noch nicht ganz trocken waren.

Jodie war mehr als verwirrt. Wie war sie in dieses Wohnzimmer gelangt und warum um Himmels Willen war die Vampirin ebenfalls anwesend? Dem Outfit nach zu urteilen, musste die Ältere gerade gebadet oder geduscht haben. Nun saß Chris zumindest auf dem Sofa und lackierte sich in aller Seelenruhe die Nägel, während im Hintergrund der Fernseher lief.

Jodie fühlte sich wie im falschen Film. Das glaubte sie jetzt nicht. Sie hatte viel mehr das Gefühl durch irgendeine Kamera eine Alltagsszene aus dem Leben der Schauspielerin zu beobachten, doch die Realität sah anders aus.

Diese Frau war nicht das, was sie zu sein schien und sie selbst beobachtete das Zimmer nicht bloß durch eine Kamera, sondern war hier her verschleppt worden. Und dieses Biest hatte sie gebissen!

Als sich diese Erkenntnis zurück in ihre Gedanken drängte, schnürte sich ihr erneut die Kehle zu.
 

Derweil schien Chris gemerkt zu haben, dass die Gefangene das Bewusstsein wiedererlangt hatte.

Ohne große Eile, drehte sie den Kopf in Jodies Richtung und musterte die andere Blondine für einen Moment. "Sieh an wer endlich wieder zu sich gekommen ist. Ich dachte schon du hältst Winterschlaf.", spöttelte sie.

"Sehr witzig!", fauchte die Vampirjägerin verstimmt. "Wo sind wir hier?! Was hast du mit mir gemacht?!"

Wieder ließ ihr Gegenüber sich einige Sekunden Zeit zu antworten. Höchst wahrscheinlich war das Absicht, da Chris sich denken konnte, wie unerträglich die Situation für die Andere war und wie dringend Jodie wissen wollte, was hier eigentlich gespielt wurde.

"Wir sind immer noch im gleichen Gebäude, allerdings auf einer anderen Etage. Und ich habe gar nichts mit dir gemacht, Kätzchen. Du hast fast zwei Stunden geschlafen wie ausgeschaltet."

"Ich habe nicht geschlafen, ich war ohnmächtig!", erinnerte Jodie die Schauspielerin mit wenig freundlicher Stimme.

"Am Anfang vielleicht, aber irgendwann hast du nur noch geschlafen.", winkte Chris gleichgültig ab und betrachtete prüfend ihre frisch lackierten Nägel, ehe sie das Fläschchen Nagellack zuschraubte und zurück auf den Tisch stellte.

"Du hast mich gebissen!" Anklagend und entsetzt zugleich, blickte die Jägerin sie an.

Die Vampirin nickte nur. "Mhm."

Ungläubig starrte Jodie sie an. Die Ältere hatte mit dieser Aktion ihr Leben zerstört, wenn man es denn so wollte und mehr als ein zustimmendes Murren, fiel ihr nicht dazu ein?!

"Du hast mich gebissen und mich nicht getötet. Oh Gott, was hast du dir dabei gedacht?! Ist das das grausame Spiel, das ihr Vampire mit Jägern spielt? Ich will nicht auch zu so einem Monster werden!"

Entsetzen und Verzweiflung waren in der gleichen Intensität zurück wie kurz vor dem Biss. Bloß das die Blondine sich nun noch hilfloser fühlte, da das Kind bereits in den Brunnen gefallen war und sich der Horror nicht mehr rückgängig machen ließ. Zu ihrer Verzweiflung mischten sich nun auch noch Hilflosigkeit und Ärger.

Dann kam ihr ein Gedanke. Ein höchst beunruhigender Gedanke. Wenn es stimmte, was Chris sagte und sie zwei Stunden lang ausgeschaltet gewesen war, dann war auch der Biss schon über zwei Stunden her. "Oder bin ich am Ende etwa schon...?" Voll Horror fuhr sie sich mit der Zunge prüfend über die obere Zahnreihe. Noch keine Spur von spitzen Fangzähnen. Aber was nicht war, das würde ganz sicher noch werden. Für die junge Frau war diese Gewissheit kaum zu ertragen.

Chris hingegen hatte ihr zugehört und sie beobachtet. Der Blick der Schauspielerin wirkte erst leicht fragend, dann überaus amüsiert. Schließlich konnte sie ein Lachen nicht länger unterdrücken. Eine Tatsache, die Jodie köcheln ließ. Diese verdammte Vampirin hatte ihr Leben zerstört und machte sich nun auch noch über sie lustig!

"Hey! Das ist nicht witzig! Was hast du dir nur dabei gedacht?!"

So elend ihre aktuelle Situation auch war, für einen Moment überschattete der Ärger das Entsetzen der jungen Frau. Jodie wollte sich aufrichten und sich dem Sofa nähern, um dafür zu sorgen, dass die andere Blondine aufhörte über sie zu lachen, doch kaum, dass sie sich in Richtung der Anderen gelehnt hatte, wurde sie von irgendetwas am Hals zurückgehalten und fand sich in der nächsten Sekunde bereits auf dem Boden sitzend wieder.

Jodie stutzte und legte sich rasch eine Hand an den Hals, um zu prüfen, was genau sie zurückgerissen hatte. Ihre Hände waren inzwischen frei, dafür befand sich nun ein Ring um ihren Hals, der mit einer Kette an der Wand befestigt worden war. Verdammt!

"Du glaubst wirklich, was du da sagst, oder?" Weiterhin klang die Stimme der Schauspielerin ziemlich amüsiert. Schließlich stand Chris vom Sofa auf und tat einige Schritte auf die Jägerin zu, jedoch hielt sie sich wohlweißlich außerhalb des Radius auf, den die Kette der Jüngeren als Bewegungsspielraum einräumte.

Anstatt einer Antwort, funkelte Jodie sie lediglich an.

"Und du bist dir wirklich ganz sicher, dass du Mondnebel angehörst? Der legendären Gruppe der Vampirjäger?", verhöhnte Chris sie.

Jodie stutzte. "Mondnebel? Woher kennst du unsere Gruppe?"

"Na jedem Vampir ist diese Gruppe ein Begriff, immerhin heißt es, dass ihr eine ernsthafte Gefahr seid.", erklärte die Schauspielerin ihr und blickte spöttisch zu ihr herab. "Aber wenn ich dich so betrachte, bekomme ich ernsthafte Zweifel, Süße."

"Was weißt du schon über Mondnebel?!"

Chris bedachte sie mit einem überheblichen Blick. "Nun, ich wage zu behaupten, dass ich mehr über Mondnebel weiß, als du im allgemeinen über Vampire."

Erneut betrachtete sie prüfend ihre Nägel, scheinbar um festzustellen, in wie weit der Nagellack bereits getrocknet war. "Du bist wirklich davon überzeugt, dass ich dich mit dem Biss vorhin gewandelt hätte, oder? Ach Kleines, so naiv kannst du doch unmöglich sein."

Jodie horchte auf. Einerseits missfiel es ihr wie Chris sie behandelte, andererseits ließen ihre Worte sie durchaus stutzen. Vermutlich war es Absicht, aber da war er wieder, dieser winzige Grashalm der Hoffnung, an den sie sich so gerne klammern würde, auch wenn dies vermutlich nur ein grausames Spielchen der Schauspielerin war.

"Was meinst du damit...?", hakte sie skeptisch nach.

"Schätzchen, wenn du schon Vampirjägerin spielen willst, dann solltest du vielleicht erst einmal damit anfangen deine Hausaufgaben zu machen.", verhöhnte Chris sie. "Aber gut, ich will mal nicht so sein und zumindest diese Sache klarstellen. Ein einfacher Biss wandelt einen Menschen nicht. Dafür hätte ich dir schon etwas von meinem eigenen Blut einflößen müssen und das liegt mir weiß Gott fern."

Jodie starrte ihr Gegenüber an. War das ihr Ernst? Der Halm, an den sie sich mit all ihrer Hoffnung klammern wollte, rückte in greifbarere Nähe und doch befürchtete sie, dass die Vampirin sie im nächsten Moment lediglich auslachen und verkünden würde, sich einen Spaß erlaubt zu haben.

"Du fragst dich, ob du mir glauben kannst?", erriet Chris ihre Gedanken.

"Etwas auf das Wort eines Vampirs geben? Woher soll ich wissen, dass du mich nicht anlügst?" Weiterhin klang die Stimme der Jägerin skeptisch und wenig freundlich.

"Wenn du Zweifel hast, dann bleibt dir nichts anderes übrig als abzuwarten. Die Zeit wird dir schon zeigen, ob ich gelogen habe oder nicht." In den Augen der Schauspielerin blitzte Schadenfreude auf.

Diese Situation fand allerdings nur sie witzig. Jodie war zwischen Verzweiflung und Ärger hin und her gerissen. Sie hasste Vampire im Allgemeinen, aber diese Vampirin brachte sie mit ihrer Art wirklich zum köcheln. "Darüber kannst auch nur du lachen.", murrte sie verstimmt. "Sag mir lieber, was du jetzt mit mir vor hast."

Einerseits war Jodie sich nicht sicher, ob sie die Antwort auf diese Frage überhaupt kennen wollte, andererseits zehrte die Unwissenheit nur noch zusätzlich an ihren Nerven. Als wenn es nicht schon reichen würde, dass sie nicht mit Sicherheit sagen konnte, ob die Information, die sie von Chris bezüglich des Bisses erhalten hatte, nun der Wahrheit entsprach oder nicht.

"Vielleicht später, Süße. Jetzt habe ich erst einmal keine Zeit mehr für dich."

Mit diesen Worten wandte die Schauspielerin sich ab und ging auf die Zimmertür zu.

Erneut stutzte die junge Jägerin und glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Einerseits hätte sie am liebsten so viel Abstand wie nur möglich zwischen die Vampirin und sich gebracht, andererseits wollte sie nicht mit so vielen unbeantworteten Fragen hier zurückbleiben.

"Das meinst du jetzt nicht ernst...!", protestierte sie.

Doch allem Anschein nach meinte die Blondine es in der Tat ernst, hatte sie inzwischen doch die Tür erreicht und öffnete diese.

In der halb offenen Tür stehend, hielt sie jedoch noch einmal inne. "Du wirst sicherlich verstehen, dass ich mich umziehen will und mich noch auf eine Rolle vorbereiten muss. Aber du bist ja nicht allein. Für etwas Gesellschaft habe ich gesorgt." Sie zwinkerte der Jüngeren zu und trat hinaus auf den Flur.

Gesellschaft? Verschleppt und gefangen in diesem Vampiranwesen, gefiel Jodie die Aussicht auf Gesellschaft ganz und gar nicht. Sie wusste nicht, was für eine Person gleich den Raum betreten würde. Höchst wahrscheinlich der nächste Vampir, der ihr an den Hals wollte. Auf ihre Arme legte sich schlagartig eine Gänsehaut. Unter diesen Umständen würde sie dann doch lieber allein bleiben.

Doch die Schauspielerin schien nicht so, als würde sie auch nur im Entferntesten Rücksicht auf das nehmen, was die Jägerin wollte.
 

"Sie ist aufgewacht. Geh rein und sieh nach der Kleinen. Ich schaue später noch einmal vorbei.", hörte Jodie die andere Blondine auf dem Flur mit jemandem sprechen.

"Ja, natürlich, Vermouth.", antwortete eine andere Frauenstimme respektvoll, dann entfernte die Schauspielerin sich in Richtung eines anderen Zimmers.

Derweil behielt Jodie ganz genau die Tür im Blick. Sie war ganz und gar nicht scharf darauf, dass nun die nächste Person nach ihr sah, etwas daran ändern konnte sie jedoch auch nicht.

Was sie irritierte, war die Tatsache, dass Chris praktisch direkt vor der Tür mit jemandem gesprochen hatte. Hatte die Fremde vor der Tür also darauf gewartet hereingerufen zu werden?

Wie dem auch sei, sie würde die Person gleich kennenlernen, so viel stand fest.

Als die Fremde nach einigen Sekunden schließlich den Raum betrat, stutzte die Jägerin. Im Türrahmen stand eine junge Frau, die ungefähr in ihrem Alter sein musste. Zumindest sah sie so aus, aber danach konnte man in diesem Vampirnest ja nicht gehen.

Die Andere war ein Stückchen kleiner als sie selbst und hatte brünettes Haar, welches sie zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte.

Jodie konnte sich nicht helfen, doch fand sie, dass die taubenblauen Augen ihres Gegenübers ungewöhnlich sanft für ein Monster wirkten. Aber auch das täuschte vermutlich nur.

Was ihre Aufmerksamkeit jedoch noch viel mehr fesselte, war das bereits verblassende, aber noch immer unübersehbare Veilchen am linken Auge der Frau und ihr Gesichtsausdruck. Die Fremde wirkte ungefähr genau so verstört, wie Jodie selbst sich nach der Entführung fühlte.

"Du bist also wieder aufgewacht?", ergriff die Brünette das Wort. Ihre Stimme hatte einen ruhigen, beinahe schüchternen Klang. "Wie übel hat man dich zugerichtet?"

Die andere Frau durchquerte den Raum und stelle einen Verbandskoffer auf dem Wohnzimmertisch ab. "Ich habe zumindest den Auftrag, mich um deine Verletzungen zu kümmern."
 

Einige Augenblicke lang starrte die Blondine ihr Gegenüber an, ohne ihr zu antworten. Die Fremde wirkte ganz und gar nicht so wie einer dieser grausamen Vampire. Erneut ermahnte Jodie sich gedanklich, dass ein harmloses Äußeres nichts heißen musste. In der Bar hatte sie viele Gestalten erblickt, die ihr auf der Straße niemals verdächtig vorgekommen wären. Auch die Schauspielerin, in deren Zimmer sie sich aktuell befinden musste, wirkte rein äußerlich weder besonders gefährlich, noch furchteinflößend. Viel mehr wie ein arrogantes, verzogenes Sternchen, was zum Teil sicherlich auch der Wahrheit entsprechen musste, doch ihre dunkle Seite sah man ihr auf den ersten Blick nicht an. Warum also sollte es bei der Frau, die ihr nun gegenüberstand, anders sein?

Jodie warf ihrem Gegenüber einen skeptischen, wenig freundlichen Blick zu. "Diese nette Tour kannst du dir gleich sparen. Allein schon die Tatsache, dass du in diesem Haus bist, zeigt doch, dass du zu dieser Bande gehörst."

Die andere Frau bedachte sie mit einem ruhigen Blick, in dem fast so etwas wie Verständnis lag. Aber vermutlich bildete sie sich das nur ein, oder dieser Blutsauger versuchte ihr Vertrauen zu gewinnen.

"Ja und nein. In gewisser Weise stimmt es schon, dass ich zu diesen Leuten gehöre.", stimmte die Brünette ihr zu und machte sich noch nicht einmal die Mühe, diese Tatsache abzustreiten.

Schließlich trat sie auf die Gefangene zu, blieb vor ihr stehen und beugte sich ein Stück weit zu der am Boden Sitzenden herab.

"Ich weiß, dass ich mich in einer denkbar ungünstigen Situation befinde, aber versuchst du an mein Blut zu kommen, werde ich mich nach Kräften wehren.", grollte die Jägerin warnend.

Durch die Kette, welche sie an jedem Fluchtversuch hinderte, fühlte sie sich ein wenig so, wie ein in die Ecke gedrängtes Tier, so wenig ihr dies auch gefiel.

"Dein Blut?", wiederholte ihr Gegenüber überrascht. Schließlich schüttelte die andere Frau leicht den Kopf. "Keine Sorge, darauf habe ich es nun wirklich nicht abgesehen. Ich bin ein Mensch, genau so wie du."

Jodie stutzte und beäugte die Andere skeptisch. Äußerlich unterschieden Vampire sich kaum von Menschen. So freundlich ihr Gegenüber auch wirkte, sie konnte vieles behaupten.

"Und deine Augen? Kurz bevor dieses Biest mich vorhin gebissen hat, sind ihre Augen plötzlich von grün zu blau gewechselt."

Erst wirkte die Mimik der Brünetten überrascht, dann schon fast ein klein wenig amüsiert.

"Die Iriden von Vampiren sind stahlblau, meine Augen haben ein dunkleres Blau, was daran liegt, dass es einfach nur meine normale Augenfarbe ist. Wenn ich dich daran erinnern darf, du hast selbst blaue Augen."

Die junge Vampirjägerin starrte ihr Gegenüber an und kam sich schlagartig dumm vor, denn das, was die Andere da sagte, ergab durchaus Sinn. Hier in Amerika waren blaue Augen nun wirklich keine Seltenheit. Kurz verzog sie das Gesicht. Wie peinlich! Doch trotz allem traute sie dieser Frau nicht über den Weg. Das es in dem Gebäude nur so vor Vampiren wimmelte, hatte sie vorhin unten in der Bar selbst gesehen.

Die Andere streckte die Hand nach ihr aus und hielt ihr irgendetwas entgegen. Im ersten Moment griff Jodie aus reiner Abwehr nach dem Handgelenk der Fremden und hielt es fest, doch dann stutzte sie. Ihr Gegenüber machte keine Anstalten den Arm wieder zu sich ziehen zu wollen und wirkte in gewisser Weise verständnisvoll. "Das hier ist doch deine Brille, oder? Ich denke nicht, dass jemand etwas dagegen hat, wenn du sie zurück bekommst."

Mit ihrer freien Hand, nahm Jodie der Anderen die Brille ab und musterte die Sehhilfe für einen Moment. Sie hing an dieser Brille, handelte es sich bei dem Brillengestell doch um das ihres Vaters. Eine der wenigen Erinnerungen, die ihr geblieben waren. Lediglich die Gläser waren ausgetauscht worden, da sie eine andere Sehstärke benötigte.

Nachdem Jodie ihre Brille aufgesetzt hatte, wirkte die Welt gleich wieder etwas klarer. Glücklicherweise waren die Gläser nicht beschädigt worden. Skeptisch, aber eine Spur weniger feindselig, blickte sie die andere Frau an. "Wie kommst du an meine Brille?", wollte sie wissen.

"Die Drei, die deinen Kollegen und dich vorhin mitgenommen haben, haben mich hinter ihnen aufräumen lassen. Dabei ist mir die Brille aufgefallen und ich habe sie mitgenommen."

Kaum, dass die Fremde ihren Kollegen erwähnte, fuhr ein erneuter Adrenalinschub durch die junge Blondine. Andre! Verdammt! Sie hatte keine Ahnung, was genau aus ihm geworden war!

"Mein Kollege.... was habt ihr mit ihm gemacht, nachdem er vorhin aus der Bar gebracht worden ist?", hakte sie alarmiert nach.

Ihr Gegenüber blinzelte nur und schüttelte den Kopf. "Tut mir leid, darüber kann ich dir nichts sagen. Mich hat man diesbezüglich nicht eingeweiht."

Während Jodie sich noch den Kopf darüber zerbrach, ob Chris ihr Wort gehalten hatte, oder Camel inzwischen doch etwas zugestoßen war, machte die Brünette Anstalten ihren Arm zu sich zurückziehen zu wollen, auch wenn sie überraschend sanft versuchte, ihr Handgelenk zu befreien.

"Könntest du mich wohl wieder loslassen?"

Immer noch verblüfft über die eher sanfte Natur dieser Frau, blickte Jodie einen Moment lang auf das Handgelenk der Anderen, welches sie festhielt. Dabei fiel ihr ein unscheinbares, kleines Tattoo auf, welches von einer Narbe durchzogen war, sodass es beinahe nicht mehr zu erkennen war. Dennoch meinte sie das Symbol zuordnen zu können.

"Dieses Tattoo... das ist doch das Symbol von Sternenstaub, oder nicht?", wollte sie wissen.

Sternenstaub war, ähnlich wie Mondnebel, eine Gruppe von äußerst erfolgreichen und talentierten Vampirjägern, bloß das Mondnebel in Amerika agierte, während Sternenstaub ihres Wissens nach in Japan ansässig war.

"Damit hast du wohl Recht.", bestätigte ihr Gegenüber und zog schließlich die Hand zurück, nachdem Jodie sie losgelassen hatte.
 

Vorhin schon hatte die Blondine geglaubt, dass die Situation nicht mehr verwirrender werden könnte. Nicht nur die Entführung an sich, auch was sie in der Bar beobachtet hatte, hatte so viele Fragen aufgeworfen, auf die sie keine Antwort hatte.

Und nun hatte sie das Symbol von Sternenstaub, einer Gruppe von japanischen Vampirjägern, auf dem Handgelenk ihres Gegenübers entdeckt. Das Englisch nicht ihre Muttersprache war, hatte Jodie der Brünetten schon nach den ersten paar Worten angehört. Zumindest dies ergab nun durchaus Sinn. Etwas anderes hingegen...

"Wenn du ein Mitglied von Sternenstaub bist, wie zur Hölle kommt es dann, dass du mit diesen Monstern gemeinsame Sache machst?"

Der Blick der Anderen wurde schlagartig etwas bitterer und reservierter. "Das trifft es nicht ganz.", erklärte sie vage, ehe sie zwei Schritte zurück in Richtung Wohnzimmertisch lief. "Hör zu, ich will dir wirklich nichts Böses und ich werde versuchen, gleich einige deiner Fragen zu beantworten, aber zuerst müssen wir uns um deine Verletzungen kümmern."

Die Brünette pflückte den Verbandskasten vom Tisch. "Vermouth reißt mir den Kopf ab, wenn sie zurück kommt und ich nicht das getan habe, was sie mir aufgetragen hat.", murrte sie leiser vor sich hin, sodass Jodie sie kaum verstand und davon ausging, dass dieser Satz nicht wirklich für sie bestimmt gewesen war.

Die Blondine betrachtete die andere Frau, welche sich gerade damit abmühte den Verbandskoffer zu öffnen. Scheinbar klemmte der Verschluss.

Irgendwie machte sie in der Tat keinen besonders gefährlichen Eindruck. Wenn es stimmte, was die Kleinere sagte, dann war sie ein Mitglied von Sternenstaub, also auch eine Vampirjägerin und menschlich. Bloß was sie dann hier in diesem Vampirnest tat, wollte nicht in Jodies Kopf. Ihr Gegenüber schien mit diesen Monstern immerhin zusammenzuarbeiten.

Doch die Brünette hatte angekündigt, ihr einige Fragen zu beantworten, nachdem sie sich um ihre Verletzungen gekümmert hätte. Vielleicht brachte ihr das ein wenig mehr Klarheit?

Die junge Frau war dankbar über jede Information, die ihr dabei half, ihre derzeitige Lage besser einschätzen zu können. "Na schön, dann verarzte mich. Ich glaube meine Schulter hat es am schlimmsten erwischt.", erlaubte Jodie der Anderen schließlich, sie zu versorgen. "Im Übrigen musst du die beiden Plastikriegel oben auf dem Koffer jeweils nach außen schieben, sonst geht er nicht auf."

Ihr Gegenüber stutze und setzte den Vorschlag in die Tat um. Ohne Probleme öffnete der Koffer sich. "Wie peinlich...!", murmelte die andere Frau vor sich hin und lief ein wenig rot an, da sie gerade noch so lange mit einem so offensichtlichen Verschluss gekämpft hatte. Unbewusst schmunzelte Jodie und entspannte sich in Gegenwart der Brünetten etwas mehr.

Diese hatte sich zu ihr gesellt und legte den aufgeklappten Verbandskoffer neben ihr auf dem Boden ab.

"Wie heißt du eigentlich? Du hast dich noch gar nicht vorgestellt.", wollte die Blondine nun wissen.

Für einen kurzen Augenblick zögerte ihre Gesprächspartnerin, ehe sie sich schließlich vorstellte.

"Ich heiße Rena, aber in diesen Kreisen nennt man mich Kir.", erklärte sie kurz. "Such dir aus, welcher Name dir lieber ist."

"Jodie Starling.", stellte nun auch die Blondine sich vor und nickte der Anderen kurz zu. "Aber sag mal Rena, was hat es mit diesen ganzen alkoholischen Spitznamen auf sich?"
 

"Codenamen trifft es eher.", korrigierte ihre Gesprächspartnerin sie. "Die Namen mancher Vampire sind der Außenwelt natürlich bekannt, aber wenn sie sich untereinander mit Codenamen ansprechen, ist es für Außenstehende nicht so leicht besagte Codenamen einer Person zuzuordnen, sollte ein Gespräch einmal abgehört, oder Nachrichten abgefangen werden.", erklärte sie weiter. "Außerdem sind einige Vampire so alt, dass sie ihren ursprünglichen Namen vergessen haben." Rena schmunzelte schief, prüfte kurz Jodies verletzte Schulter und begann schließlich damit diese zu bandagieren.

"Du hast eben noch von dir behauptet menschlich zu sein. Warum genau trägst du dann auch einen solchen Codenamen?", bohrte die Blondine noch einmal nach.

"Aus dem gleichen Grund. Er dient der Tarnung. Ich bin ein ganz normaler Mensch, aber es würde der Vampirgesellschaft Umstände bereiten, sollte jemand über meinen echten Namen stolpern."

Vorsichtig steckte die Brünette den Verband fest, betrachtete ihr Werk kurz und nahm schließlich den Biss am Hals der Vampirjägerin genauer unter die Lupe.

"Sie war wirklich vorsichtig. Du hattest nochmal Glück im Unglück.", stellte Rena fest, ehe sie in dem Verbandskasten nach einem Pflaster in passender Größe zu suchen begann.

"Vorsichtig?! Ich hab mich wohl verhört!", brauste Jodie auf. "Weißt du eigentlich, wie es sich anfühlt, wenn dir jemand zwei scharfe Zähne in den Hals rammt?!"

Ohne sich wirklich von der eher temperamentvollen Reaktion der Blondine beeindrucken zu lassen, brachte Rena ein Pflaster an deren Hals an. "Das weiß ich zu Genüge. Und glaub mir ruhig, wenn ich dir sage, dass es noch viel schlimmer hätte kommen können." Schließlich blickte sie sie fragend an. "Du hattest eben auch noch etwas von Kopfschmerzen gesagt?"

Jodie winkte nur ab. Es stimmte zwar, dass ihre Kopfschmerzen weiterhin äußerst präsent waren, doch eine Wunde schien sie sich nicht zugezogen zu haben. "Schon gut, die werden von allein wieder verschwinden. Sag mir lieber, was genau du in diesem Vampirnest machst und was du damit meinst, dass es bei dem Biss durchaus hätte schlimmer kommen können." Wieder musste sie an das denken, was Chris ihr vorhin gesagt hatte. Ihrer Aussage nach wandelte ein Vampirbiss einen Menschen nicht automatisch. Jodie wusste immer noch nicht, ob sie ihr Glauben schenken sollte, oder ob die Schauspielerin sich nur einen grausamen Scherz erlaubt hatte.

"Und stimmt es, dass ein Vampirbiss nicht bedeutet, sich dadurch selbst in einen zu verwandeln?", hakte sie nach, noch bevor Rena die Gelegenheit gehabt hatte, ihr auf die ersten beiden Fragen zu antworten.

Die Brünette schob den Verbandskasten ein Stück zur Seite und setzte sich neben Jodie auf den Boden. Zwar wusste die junge Frau immer noch nicht, wie sie die japanische Vampirjägerin einzuordnen hatte, doch fühlte sie sich in ihrer Gegenwart inzwischen nicht mehr bedroht. Die ganze Art der Anderen und Jodies Bauchgefühl sagten ihr, dass Rena nicht ihr Feind war.
 

"So viele Fragen. Wo fange ich am besten an...?" Die Kleinere wirkte ein wenig überfahren und dachte einen Moment nach, dann ergriff sie erneut das Wort.

"Am besten erstmal damit, was dich am meisten beschäftigen dürfte. Das, was du sagst, stimmt. Ein Vampirbiss wandelt dich nicht. Dafür müsste besagter Vampir dir schon sein eigenes Blut eingeflößt haben. Aber das scheint nicht passiert zu sein. Zumindest was das betrifft, kannst du also beruhigt sein."

In der Tat gestattete Jodie es sich bei dieser Information insgeheim ein wenig aufzuatmen. Ihre Lage war nach wie vor katastrophal, aber wenigstens musste sie nicht befürchten, selbst zu einem dieser Monster zu werden. "Woher...?", hakte die Blondine noch einmal nach, doch Rena unterbrach sie.

"Du kannst mir ruhig glauben. Ich bin selbst schon oft genug gebissen worden und ich bin nach wie vor menschlich." Sie schob das Halstuch, welches sie trug, ein Stück weit zur Seite, sodass Jodie einen Blick auf den Hals ihrer Gesprächspartnerin werfen konnte.

Erschrocken riss die junge Amerikanerin die Augen auf. "Mein Gott! Das sieht ja schlimm aus!", japste sie. In der Tat glaubte sie ihren Augen kaum zu trauen. Am Hals der Brünetten waren zahlreiche blaue Flecken und eine noch recht frisch wirkende Bisswunde zu sehen. Die Wunde sah in der Tat ziemlich übel aus.

Kurz musterte sie das verblassende Veilchen im Gesicht der Anderen, wobei ihr auffiel, dass Rena ihrem Blick augenblicklich auswich, als sie sich bewusst wurde, was Jodies Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.

"Ein Mitglied von Sternenstaub, dann dein Hals und dein Auge... du bist doch unmöglich freiwillig hier, oder?"

Wieder schwieg Rena einen Augenblick lang, dann nickte sie zögerlich. "Du und ich, wir sind in der gleichen Situation. Jägerinnen, die dem Feind in die Hände gefallen sind und entführt wurden."

Jodie glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Zwar hatte sich genau diese Vermutung während des Gesprächs immer weiter verstärkt, doch diese Bestätigung nun aus dem Mund ihrer japanischen Kollegin zu hören, war noch einmal etwas ganz anderes.

"Mein Team ist vor einem guten halben Jahr in Kyoto mit einer Gruppe Vampire aneinandergeraten. Wir haben diese Blutsauger wohl unterschätzt, dass kann ich nicht leugnen. Diese Monster haben meine Kameraden getötet, aber mich haben sie wegen meiner seltenen Blutgruppe verschont und mitgenommen." Bei ihrer Erzählung blitzte Horror in den Augen der Jägerin auf. "AB negativ trifft genau den Geschmack ihres Anführers. Er hat mich kurzerhand zu seiner privaten Blutbank erklärt und lässt mich seit jenem Tag die Drecksarbeit für seine Gruppe machen, oder aber Aufgaben während des Tages erledigen."

War die Amerikanerin der Brünetten gegenüber zu Beginn noch skeptisch eingestellt gewesen, jetzt tat die geringfügig Jüngere ihr leid. Von Vampiren verschleppt und zu deren Dienstmädchen erklärt zu werden, war grausam. Für eine Vampirjägerin erst recht.

"Das ist schrecklich.", stellte Jodie betroffen fest und legte Rena tröstend eine Hand auf den Oberarm. "Hattest du nie die Gelegenheit das Ruder wieder herumzureißen? Ich meine, wenn sie dich Aufgaben tagsüber erledigen lassen, können sie dir nicht folgen."

Oder doch? Sofort musste sie wieder an die blonde Schauspielerin denken, welche erst vorhin noch in aller Seelenruhe im Tageslicht auf dem Balkon gestanden und geraucht hatte.

"Sie würden mir tagsüber nicht folgen können, das ist richtig, aber sie wissen, dass ich eine so offensichtliche Chance nicht nutzen würde. Es geht hier immerhin nicht nur um mein eigenes Leben, welches ich im Übrigen auch nicht zwingend wegwerfen möchte."

"Es geht nicht nur um dein eigenes Leben?", hakte Jodie nach.

Rena schüttelte den Kopf und wich ihrem Blick aus. "Frag nicht weiter nach, in Ordnung?", bat sie die Blondine.
 

Kurz herrschte Schweigen. Jodie versuchte sich auch nur ansatzweise das grausame Schicksal ihrer Gesprächspartnerin vorzustellen. Was für eine Demütigung für einen Vampirjäger, für diese Monster arbeiten zu müssen.

Hin und wieder kam es zu blutigen Zwischenfällen, bei denen Jäger ihr Leben ließen, davon war auch Mondnebel leider nicht verschont geblieben, doch davon, dass Vampire Gefangene nahmen und sie für sich arbeiten ließen, hatte Jodie bislang nie etwas gehört. Rena tat ihr wirklich leid. Ein solches Schicksal hatte diese Frau, die so ruhig und sanftmütig wirkte, nicht verdient.

Aber da war noch etwas, was sie beunruhigte. Die Brünette hatte schon ganz treffend festgestellt, dass sie im selben Boot saßen.

Auch sie selbst hatte den Kampf mit den Vampiren lebend überstanden, weil diese es so gewollt hatten. Leider nur war auch sie eine Jägerin, die entführt worden war. So wie es aktuell aussah, sprach wirklich alles dafür, als würde sie das Schicksal ihrer brünetten Kollegin teilen.

Eine Tatsache, die ihr ganz und gar nicht gefiel und die sie nicht so einfach akzeptieren konnte.

Gleichzeitig war sie sich unsicher, ob dies wirklich ihr Schicksal war. Bislang hatte man sie zwar entführt, es aber verpasst ihr zu sagen, was genau man nun eigentlich mit ihr vor hatte.

"Weißt du was diese Vampire mit mir vorhaben?", wechselte Jodie schließlich das Thema und brach somit das Schweigen.

"Mit Sicherheit kann ich es dir nicht sagen, aber es scheint, als hätte Vermouth Gefallen an deinem Blut gefunden. Sie hat zumindest vorhin verhindert, dass du in der Bar auf dem Tisch gelandet bist. Sollte sie auf die Idee kommen, dich zu behalten, hast du damit Pech und Glück zugleich."

Bei Renas Worten, lief Jodie ein Schauer über den Rücken. Es gefiel ihr ganz und gar nicht, wie selbstverständlich die Andere davon sprach, dass sie vorhin beinahe auf dem Mittagstisch der Vampire gelandet wäre.

Und falls die Schauspielerin auf die Idee kommen sollte sie zu behalten?! Sie hörte ja wohl nicht recht! Sie war doch kein Haustier! "Sie hat mich nicht einfach zu behalten! Ich bin ein Mensch und kein Hamster!", brauste die Blondine auf.

"Ich bin ja deiner Meinung, aber du bist aktuell nicht unbedingt in der Lage um Forderungen zu stellen. Sieh dir nur diesen Halsring und die Kette an, die mit der Wand verbunden ist. Der Schlüssel könnte überall sein.", erinnerte Rena sie und seufzte.

Jodie zog ein Gesicht, zog die Beine zu sich heran und umarmte ihre Knie, auf der Suche nach einer bequemeren Sitzposition.

"Erinnere mich nicht an die verdammte Kette.", grollte sie vor sich hin. "Das werde ich mit diesem arroganten Sternchen noch ausdiskutieren."

Rena sah sie halb fragend, halb besorgt an. "Du solltest es dir mit Vermouth nicht verscherzen.", wandte sie ein.

Die Blondine zog eine Augenbraue hoch. "Ach ja?" Dann fiel ihr ein, was Rena eben noch gesagt hatte. "Was meintest du eigentlich damit, das ich Pech und Glück gleichzeitig habe?"

"Naja, als Jägerin in die Gefangenschaft von Vampiren zu geraten, würde ich als Pech bezeichnen und Bisse sind verdammt schmerzhaft. Aber gleichzeitig lebst du noch, das solltest du nicht vergessen. Außerdem hätte es schlimmer kommen können, wenn ein anderer Vampir beschlossen hätte dich zu behalten."

Fragend blickte Jodie ihre Gesprächspartnerin an. "Du sagtest eben, dass der Anführer damals beschlossen hätte dich zu behalten. Wer genau ist er?" Behalten...weiterhin kam ihr diese Wortwahl surreal und falsch vor.

Kaum fiel die Sprache auf besagten Anführer, konnte sie förmlich dabei zusehen, wie Rena sich anspannte und Angst in ihren blauen Augen aufblitzte.

"Gin ist das Oberhaupt der japanischen Vampirgesellschaft. Der Mann mit den langen silbernen Haaren und dem schwarzen Mantel, von vorhin aus der Bar. Du erinnerst dich? Mit ihm ist nicht unbedingt gut Kirschen essen.", antwortete die Brünette ihr schließlich.

Und ob Jodie sich an diesen gruseligen Kerl mit den eiskalten Augen erinnerte! Wenn sie an diesen Typen dachte, bekam sie jetzt noch eine Gänsehaut.

Sie fragte sich, ob der Silberhaarige für das Veilchen und die Verletzungen am Hals der anderen Jägerin verantwortlich war, doch ihr war aufgefallen, wie Rena ihrem Blick eben praktisch sofort ausgewichen war, als sie ihr Auge gemustert hatte. Sie beschloss diesbezüglich aktuell besser nicht weiter nachzubohren.

"Und ob ich mich erinnere. Dieser Mann sah in der Tat nicht gerade aus, wie die Freundlichkeit in Person.", murrte sie. "Aber was war das bitte vorhin in der Bar? Vineyard und er haben sich ganz eindeutig die Stirn geboten. Sie scheint auch etwas in diesem Laden zu sagen zu haben, oder nicht?"

Das hatte die Schauspielerin vorhin immerhin noch selbst behauptet und in der Tat hatten die Anwesenden praktisch sofort auf ihre Befehle reagiert.

"Hat sie. Sie ist Amerikas neue Nummer Zwei, wenn du es genau wissen willst"

Jodie horchte auf. Die andere Blondine sollte Amerikas Nummer Zwei sein?! Das kam unerwartet, erst recht, da sie sie vorhin noch für einen ganz normalen Menschen gehalten hatte. Wenn sie diese Information doch nur an die verbliebenen Mitglieder Mondnebels weitergeben könnte...

"Ist das dein Ernst...?" Doch dem Blick ihrer Gesprächspartnerin war anzumerken, dass sie nicht scherzte.

"Also bekleiden die beiden einen sehr hohen Rang.", fasste Jodie noch einmal zusammen. "Aber was lässt dich glauben, dass ich mit dieser Vampirin mehr Glück gehabt hätte, als mit irgendeinem anderen dieser Monster?" Ihrer Meinung nach, war es ein einziges Desaster, überhaupt erst verschleppt worden zu sein. Da wollte sie nun wirklich nicht von Glück reden, zumal Vampire doch sowieso alle gleich waren.

Rena warf ihr einen schiefen Blick zu. "Es ist nur ein erstes Bauchgefühl, denn die Gruppe, zu der ich wohl oder übel gehöre, ist vor noch nicht einmal drei Wochen von Japan aus eingereist und versteh mich bitte nicht falsch, diese Frau ist weiß Gott kein Engel, arrogant und absolut unberechenbar, aber sie ist mir gegenüber nie handgreiflich geworden. Weißt du, eigentlich stehe ich unter Gins Kommando, aber das hat Vermouth von Tag eins an nicht interessiert. Sie spannt mich ständig für kleinere Aufgaben ein und Gin stört sich nicht daran, solange er gerade nicht selbst etwas für mich zu tun hat." Kurz verdrehte die Brünette die Augen. "Die Wohnung staubsaugen, Fensterputzen, Zigaretten holen, oder Markenkleider in die Reinigung bringen ist ziemlich nervig, aber es ist immer noch besser, als irgendetwas Kriminelles zu tun. So lange sie mich wie eine Assistentin umherscheucht, kann ich wenigstens vom Radar meiner eigenen Leute verschwinden."

Für einen Moment musterte Jodie ihre Gesprächspartnerin skeptisch.

Die Kleinere war ernsthaft froh darüber von dieser verzogenen Schauspielerin herumgescheucht zu werden, da sie in dieser Zeit ihre Ruhe vor der aus Japan angereisten Gruppe hatte. Das war absurd und traurig zugleich. Rena tat ihr leid. Wenn ihr selbst solche Aufgaben lieber waren, dann wagte Jodie es sich kaum vorzustellen, wie der Alltag der anderen Jägerin normalerweise aussah.

Und sie wollte lieber nicht darüber nachdenken, was diese elenden Vampire mit ihr selbst in nächster Zeit planten.

Anders als ihre Gesprächspartnerin hatte sie sich jedoch noch nicht mit ihrem Schicksal abgefunden, wie auch immer das aussehen sollte. Sie würde mit Sicherheit nicht einfach so den Kopf einziehen, sie würde auf eine Gelegenheit warten um von hier zu fliehen. Auch wenn die Ausgangssituation in diesem elenden Vampirnest mehr als bescheiden war.

"Sklaventreiberin.", murrte die Blondine im Bezug auf die Schauspielerin. Die Aufgaben, die sie Rena übertrug, könnte sie genau so gut allein erledigen, wenn sie sich nicht zu fein dafür wäre.

Doch anstatt sich noch länger über diese Tatsache aufzuregen, beschloss sie Rena noch etwas anderes zu fragen, das ihr schon die ganze Zeit über keine Ruhe ließ.
 

"Aber sag mal, Vampire sind doch Geschöpfe der Nacht. Sie vertragen kein Sonnenlicht, fangen Feuer und zerfallen zu Staub, wenn sie doch in Kontakt damit kommen. Wie also kann es dann sein, dass Chris wie selbstverständlich tagsüber draußen herumläuft?"

Diese Begebenheit wollte ihr einfach nicht in den Kopf. Sie hatte bereits mit eigenen Augen gesehen, was normalerweise passierte, wenn ein Vampir dem Tageslicht ausgesetzt war. Auch Mondnebels spezielle Munition erzielte einen ähnlichen Effekt. Das ein Vampir sich am Tag frei bewegen konnte, hatte sie zuvor noch nie gesehen.

Erschrocken riss die Jüngere die Augen auf. "Sprich sie am besten niemals mit Vornamen an, wenn du dir das Leben nicht von Anfang an unnötig schwer machen willst. Es gibt nur zwei Personen, von denen ich weiß, dass sie sie mit ihrem Namen und nicht mit dem Codenamen ansprechen."

Nach diesem Hinweis, der Jodie ehrlich gesagt nicht sonderlich beeindruckte, beschloss Rena auf ihre Frage zu antworten. "Sie kann sich problemlos im Tageslicht bewegen, weil sie eine Daywalkerin ist. Daywalker sind wohl so etwas wie eine Laune der Natur und ausgesprochen selten. Soweit ich weiß, steht die Chance, dass ein Vampir ein Daywalker ist, deutlich unter 1 zu einer Million."

Ungläubig blickte die Blondine die junge Frau an, die sich bei diesem Gesprächsthema jedoch sichtlich unwohl zu fühlen schien.

"Alles in Ordnung mit dir?", hakte Jodie nach, wobei sie sich fragte, in wie weit diese Frage überhaupt passend war. Nichts war in Ordnung. Ihre japanische Kollegin und sie befanden sich in der Gewalt von verdammten Vampiren! Das war eine Katastrophe, die die arme Rena jetzt schon seit über einem halben Jahr erdulden musste.

"Ich fürchte, das geht jetzt etwas zu tief in die Materie. Das Thema und die internen Strukturen in dieser Gesellschaft interessieren dich verständlicherweise, aber ich komme in Teufelsküche, wenn ich zu viel plaudere. Frag Vermouth am besten selbst danach, auch wenn ich nicht weiß, ob sie dir auch nur eine Frage beantworten wird."

Jodie biss sich auf die Lippe. Zu gerne hätte sie weiter nachgebohrt und versucht, weitere Informationen aus Rena herauszubekommen, doch die Brünette schien langsam dicht zu machen und wirklich Angst davor zu haben, sich auf zu dünnes Eis zu begeben.

"Sie hat sich vorhin lediglich über meine Misere lustig gemacht, nicht mehr und nicht weniger.", fauchte die Blondine frustriert, als sie sich an das vorherige Gespräch mit der Schauspielerin erinnerte.
 

Plötzlich waren auf dem Gang schwere Schritte zu hören, welche sich dem Zimmer näherten, in dem sie sich befanden.

Nach wenigen Sekunden wurde die Tür geöffnet und ein bulliger Mann mit Hut und Sonnenbrille blickte in den Raum. Sein Gesicht hatte etwas Dümmliches an sich.

Kaum das die Tür geöffnet worden war, klang vom Gang aus auch eine wunderschöne Melodie über den Flur. Irgendwo in den umliegenden Zimmern musste jemand auf einem Flügel spielen und das ziemlich gut. Wie surreal in diesem Horrorhaus.

Doch die Musik rückte für Jodie in den Hintergrund. Alarmiert starrte sie dem Fremden entgegen und verfluchte es erneut, dass die Kette sie an der Wand hielt. Auch ihre Waffe vermisste sie in diesem Vampirnest schmerzlich.

"Vodka.", begrüßte Rena den im Türrahmen stehenden Mann. Sie gab sich Mühe möglichst locker und neutral zu klingen, doch Jodie bemerkte, wie angespannt die Andere war.

"»Ah, hier steckst du also. Ich habe dich schon gesucht, aber dann hat Korn mir den Tipp gegeben, dass Vermouth dich einmal mehr für irgendwelche Aufgaben eingespannt hat. Wie auch immer, Gin will dich sehen.«"

Jodie verstand von dem, was der bullige Typ sagte, kaum ein Wort, da er japanisch sprach. Ironischerweise hatte sie hobbymäßig vor einigen Wochen damit angefangen japanisch zu lernen, doch leider reichte ihr Wortschatz noch nicht, um den Mann wirklich zu verstehen.

Vodka grinste die andere Jägerin breit an und bedeutete ihr mit einer kurzen Geste den Raum zu verlassen.

Im Gegensatz zu ihr selbst, musste Rena ihn verstanden haben, immerhin war sie Muttersprachlerin.

Jodie fiel auf, wie der Brünetten schlagartig jedes bisschen Farbe aus dem Gesicht wich. Eine Schweißperle lief ihre Schläfe hinab, während sie sich merklich angespannt hatte und in ihren Augen der blanke Horror geschrieben stand. Eine Tatsache, die Vodka zu amüsieren schien.

"Hey, ich weiß nicht, was du ihr gesagt hast, aber lass sie in Ruhe!", fauchte die Blondine in seine Richtung. Auch wenn sie im Prinzip chancenlos und noch dazu mit einer Kette an die Wand gebunden war, sie konnte nicht anders, als augenblicklich Partei für ihre offensichtlich verängstigte Kameradin zu ergreifen.

Vodka wiederum blickte sie fragend an und legte den Kopf schief. Er fragte Kir etwas, die sich wiederum an Jodie wandte. "Er spricht kein Englisch.", informierte sie die Blondine knapp.

Schließlich erhob die junge Japanerin sich von ihrem Sitzplatz und wandte sich noch einmal der anderen Jägerin zu. "Du hast Temperament, aber halt am besten die Füße still und tu nichts Unüberlegtes, wenn du hier überleben möchtest.", beschwor sie sie, ehe sie Vodka zunickte.

"»Ich bin schon unterwegs.«", antwortete sie ihm auf japanisch und verließ den Raum. Der Vampir folgte.

Jodie blieb zurück und ballte die Hände zu Fäusten. Rena tat ihr unendlich leid. Sie hatte so verstört und verängstigt gewirkt. Kein Wunder in diesem elenden Vampirnest.

Frustriert blickte die junge Frau in Richtung Tür, die Vodka hatte offen stehen lassen.

Der Blick auf den Flur brachte sie nicht wirklich weiter. Im Gegensatz zu diesem modern und edel eingerichteten Zimmer, in dem sie sich aktuell befand, machte der Gang einen altbackenen Eindruck. Dunkle Holzdielen und ein roter Teppich in der Mitte des Flures, wenn sie das von hier aus richtig erkannt hatte.

Bis auf die Melodie des Flügels, war es in diesem Teil des Gebäudes totenstill.

Jodie lauschte dem Instrument, tastete einmal mehr ihren Halsring nach einer möglichen Schwachstelle ab, die ihr zur Flucht verhelfen könnte und versuchte, die neuen Informationen zu verarbeiten. Sie saß gehörig in der Tinte und musste unbedingt einen Weg finden, lebend aus diesem Gebäude zu entkommen.

Die Zeit verging. Weiterhin saß die junge Frau allein in dem Zimmer, in dem sie vorhin auch aufgewacht war. Der Klang des Flügels war inzwischen verstummt. Nach wie vor stand die Tür offen, doch eine Person hatte sich nicht daran vorbei verirrt. Jodie konnte nicht sagen, ob sie nun froh darüber sein sollte, oder nicht. Natürlich, sie war nicht besonders scharf darauf, sich wieder einem dieser Vampire gegenüberzusehen, gleichzeitig änderte sich rein gar nichts an ihrer Situation, wenn sie nur allein und vergessen in diesem Wohnzimmer saß.

Die Zeit der Ruhe versuchte sie so sinnvoll wie möglich zu nutzen. Die Kette hielt sie an der Wand, sodass sie den Raum nicht auf den Kopf stellen konnte, doch immerhin ihre Gedanken sortieren konnte sie.

Bei der Auseinandersetzung am Abend, bei der ihre Teamkameraden den Tod gefunden hatten, hätte auch sie leicht sterben können. Doch die Vampire hatten sie verschont und verschleppt. Ursprünglich hatte ihr Ableben sich nur ein wenig herauszögern sollen, da man sie allem Anschein nach als Drink eingeplant hatte, doch eine gewisse Blondine hatte dies zu verhindern gewusst. Genau so wie sie Andres Leben verschont hatte. Jodie hoffte zumindest, dass dem wirklich so war.

Doch um ihren Kollegen zu retten, hatte sie selbst einen hohen Preis bezahlt, indem sie der Vampirin versprochen hatte, alles zu tun, was sie wollte. Ein aus der Not heraus gegebenes Versprechen, welches sie nicht gedachte einzuhalten, solange es vermeidbar war, doch es hatte sie in die Situation gebracht, in der sie sich nun befand.

Um ehrlich zu sein, war die Jägerin sich noch unsicher, was genau nun mit ihr geschehen würde. Keiner der Vampire hatte sie eingeweiht. Lediglich Rena, eine Kollegin aus Japan, hatte sie kennengelernt. Die Ärmste befand sich in einer ähnlichen Situation wie sie selbst, nur das bereits deutlich länger.

Ob es ihr gut ging? Wieder musste sie daran denken, wie eben noch dieser bullige Typ aufgetaucht und die Brünette scheinbar herausgerufen hatte. Verstanden hatte Jodie ihn nicht, doch Rena hatte sichtlich verängstigt gewirkt. Und sie hatte rein gar nichts tun können, um ihr zu helfen. Verdammt...!

Abgesehen von der Unsicherheit, was nun mit ihrer Kollegin geschah, hatte diese ihr zuvor jedoch bereits einige interessante Informationen gegeben. Ein Vampirbiss wandelte nicht automatisch. Das war mehr als beruhigend, auch wenn sich dadurch an ihrer Situation nichts änderte.

Sie hatte in Erfahrung gebracht, dass Rena mit einer Gruppe von japanischen Vampiren erst vor kurzem eingereist war. Was genau Sinn und Zweck dieser Reise war, war Jodie jedoch nicht klar.

Auch hatte die Andere ihr erklärt, dass es sich bei Chris um eine Daywalkerin handelte, die im Gegensatz zu vielen anderen Vampiren, keinerlei Probleme mit Sonnenlicht hatte.

Was für ein beunruhigender Gedanke. Nur gut, dass Daywalker allem Anschein nach mehr als nur selten waren.

Leider hatte Rena ihr nicht noch mehr darüber erzählt und hatte die Fragestunde schließlich abgebrochen. Auch wenn es noch so viel gab, dass die Blondine wissen wollte, sie konnte es der geringfügig Jüngeren nicht wirklich verübeln. Zwar saßen sie gewissermaßen im selben Boot, doch Rena kannte sie kaum. Da war es nur natürlich, dass sie nicht riskieren wollte, sich am Ende noch in Teufelsküche zu bringen.

Weiterhin offen blieb die Frage, was genau Vermouth nun mit ihr vorhatte.

Und was war das vorhin für eine Szene in der Bar gewesen? Alles an dem Gespräch zwischen Gin und der Blondine war merkwürdig gewesen. Was genau hatte der japanische Anführer mit dieser seltsamen Andeutung vorhin gemeint? Höchst wahrscheinlich war es nur irgendetwas Internes zwischen zwei Vampirhäusern, dennoch ging Jodie dieses Gespräch nicht aus dem Kopf.

Als Jägerin war es immerhin ganz normal, alles über den Feind in Erfahrung bringen zu wollen. Und wenn diese Vampire eventuell Probleme untereinander hatten, könnte das für Mondnebel nur von Vorteil sein. Beziehungsweise könnte es das, wenn sie es schaffte, von hier zu fliehen und sämtliche Informationen, die sie hatte sammeln können, weitergeben könnte.
 

Weitere Minuten verstrichen. Das Ticken der Wanduhr machte Jodie fast wahnsinnig. Weiterhin war alles ruhig und niemand verirrte sich auch nur in die Nähe ihres Zimmers.

Da sie sich nicht befreien konnte, hatte die junge Frau sich schließlich mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt und bewegte sich möglichst nicht. Die Verletzungen, die sie sich in dem Kampf mit Chianti zugezogen hatte, schmerzten, sodass sie besser daran tun würde, sich zu schonen, so lange es ging. Sie musste unbedingt schnellstmöglich wieder zu Kräften kommen.

Vampire verfügten über eine unheimliche Stärke, mit der ein Mensch nicht mithalten konnte. Dennoch wäre es von Vorteil, sich so gut es ging zu erholen, um wenigstens versuchen zu können, sich zu wehren.

Während sie da saß und die Augen geschlossen hatte, blitzten wieder die Bilder von der Jagt vorhin auf. Die letzten Sekunden ihrer Kameraden. Steve, John und Hayden... sie erinnerte sich daran, was sie bereits alles gemeinsam erlebt hatten und eine erneute Welle der Trauer stieg in ihr auf.

Diese verdammten Vampire hatten die drei Jäger ohne jedes Gewissen ermordet. Sie würde ihre Kameraden und Freunde nie wieder sehen.

Aus den düsteren Gedanken gerissen wurde sie von dem Klang von Schritten. Eine Person mit hohen Absätzen lief über den Flur. Rena? Nein, wohl kaum. Die Brünette hatte flache Schuhe getragen.

Im nächsten Moment bekam Jodie ihre Antwort bereits, als Amerikas Nummer Zwei auf dem Flur auftauchte und schließlich das Zimmer betrat. Sofort spannte die junge Frau sich merklich an und funkelte ihr Gegenüber warnend und skeptisch zugleich an.
 

"Wie ich sehe, hat Kir deine Verletzungen versorgt und wacher als vorhin wirkst du auch wieder, Kätzchen.", ergriff Vermouth das Wort. "Da hat sich wohl schon jemand eingelebt.", verhöhnte sie sie.

Der Blick der Jüngeren verfinsterte sich zusehends. Einerseits war sie zutiefst beunruhigt, denn ihre Situation war nach wie vor katastrophal, doch andererseits schaffte die andere Blondine es auch schon wieder sie vor Wut zum köcheln zu bringen, so offensichtlich, wie Chris auf sie hinabsah.

"Das ist nicht lustig!", fauchte sie verärgert.

"Ich denke, das liegt ganz im Auge des Betrachters.", gab die Schauspielerin zu bedenken.

Inzwischen waren ihre Haare wieder trocken und sie hatte sich erneut umgezogen. Die Bluse und der dazugehörige Rock wirkten nicht unbequem, aber gleichzeitig auch teuer und edel.

Ruhig schritt Chris durch den Raum, blieb in einiger Entfernung zu Jodie stehen und zündete sich eine Zigarette an.

Nur schwer widerstand die Jägerin dem erneuten Drang an ihrem Halsring zu zerren und zu versuchen, sich von der Kette zu befreien. Leider nur waren die letzten Befreiungsversuche nicht von Erfolg gekrönt gewesen und höchst wahrscheinlich würde die Vampirin sich nur über sie lustig machen, weshalb sie sich darauf beschränkte, ihr einen wenig freundlichen Blick zuzuwerfen.

"Was habt ihr mit Rena gemacht?!", ergriff nun Jodie das Wort, die sich nach wie vor Sorgen um die Brünette machte. Sie hoffte, durch Chris in Erfahrung zu bringen, wohin genau Kir gerufen worden war.

Chris jedoch zog lediglich eine Augenbraue hoch. "Die Kleine, die dich verarztet hat? Woher soll ich das wissen? Ich habe sie seitdem nicht mehr gesehen." Besonders besorgt klang ihre Antwort nicht.

"Dieser kräftige, japanischsprachige Typ hat sie herausgerufen. Sie hat unglaublich verstört gewirkt. Also was wird hier gespielt?!", versuchte Jodie es erneut, da sie ihrem Gegenüber die Ahnungslosigkeit nicht abkaufte.

"Kätzchen, also entweder brauchst du ein Hörgerät, oder du bist wirklich schwer von Begriff. Ich habe sie seit vorhin nicht mehr gesehen." Wiederholte die Schauspielerin und blies genüsslich eine Wolke Zigarettenrauch aus. Sie zuckte mit den Schultern. "Aber es ist mir ehrlich gesagt auch egal. Menschen haben unter Vampiren keinerlei Rechte. Die Kleine ist Gins Eigentum, also geht es mich nichts an."

"Wie kann man nur so grausam sein...?" Fassungslos schüttelte Jodie den Kopf.

"Es wundert mich, dass du dir den Kopf über den Verbleib einer Person zerbrichst, die du kaum kennst. Hast du nicht selbst aktuell genügend eigene Sorgen?" Weiterhin ruhte der Blick der Vampirin spöttisch auf ihr.

"Es ist nichts falsch daran, sich um seine Mitmenschen zu sorgen. Erst recht, in so einem elenden Nest wie diesem hier.", stellte die junge Frau entschieden klar. "Aber wo du es schon ansprichst, was genau hast du mit mir vor?"

Einerseits ließ Jodie diese Frage natürlich keine Ruhe, andererseits war sie sich nicht sicher, ob sie die Antwort darauf wirklich kennen wollte.

"Deine Blutgruppe ist recht selten und ist nicht immer auf Lager. Da ist es doch verständlich, dass ich nicht gewillt bin, mit den anderen zu teilen, nicht?", antwortete die Schauspielerin amüsiert.

Wieder musste Jodie an den mehr als schmerzhaften Biss denken und spannte sich unbewusst an. Gleichzeitig erinnerte sie sich jedoch auch daran, was Rena ihr von ihrem Alltag berichtet hatte.

"Ich soll also die private Blutbank für ein schwerreiches Sternchen spielen?", hakte sie verstimmt nach. "Das ist der Grund für all das hier?"

Die andere Blondine betrachtete sie einen Moment lang. Weiterhin wirkte ihr Blick überheblich und amüsiert. "Lass mich lieber dich etwas fragen, Kätzchen. Bist du dir wirklich sicher, das ein schwächliches Ding wie du wirklich Mondnebel angehört?"

Jodie horchte auf, als Chris Mondnebel erwähnte. Was genau wusste sie über die Gruppe? Aber noch viel wichtiger: was fiel der Älteren ein, sich im Bezug auf Mondnebel über sie lustig zu machen?!

"Ihr habt mich vorhin auf dem falschen Fuß erwischt.", murrte sie. "Auch wenn Mondnebels Aushängeschild sicherlich einer der anderen Jäger ist."

Für eine Sekunde meinte Jodie echtes Interesse in den Augen ihres Gegenübers aufblitzen zu sehen, ehe das spöttische Funkeln zurück war.

"Du meinst, wir haben dich genau so auf dem falschen Fuß erwischt, wie deine Kameraden?", höhnte die Vampirin. "Sicher, dass euer so genanntes Aushängeschild wirklich so viel talentierter ist?"

Die Tatsache, dass die Andere ihre gefallenen Kameraden erwähnte und sie verspottete, brachte das Fass zum überlaufen. Wie sehr Jodie den elenden Halsring verfluchte, der es in Kombination mit der Kette verhinderte, dass sie sich all zu weit von der Wand wegbewegte.

"Unser Aushängeschild hätte euch verfluchten Kreaturen Kugeln durch die Stirn gejagt, noch ehe ihr ihn überhaupt bemerkt hättet.", fauchte sie.

"Ist das so? Wie interessant.", amüsierte ihre Gesprächspartnerin sich unbeeindruckt.

Jodie beobachtete, wie die andere Blondine ihre Zigarette in den Aschenbecher auf dem Wohnzimmertisch verfrachtete und fasste einen spontanen Entschluss.
 

"Chris.", sprach sie die Andere an, um deren Aufmerksamkeit zu erlangen. Zeitgleich fragte sie sich, ob das wirklich ihre beste Idee gewesen war, hatte sie Renas Warnung doch nicht vergessen. Aber sie musste es riskieren und es wäre nur der Anfang von der Idee, die ihr so spontan gekommen war. Dieses elende Biest machte sich über Mondnebel und die ermordeten Jäger lustig. Jodie kochte innerlich vor Wut.

In der Tat wandte die andere Blondine ihr sofort den Blick zu, kaum das sie sie angesprochen hatte. Für einen kurzen Moment lag in ihrem Blick etwas Warnendes, dann war ihre übliche, überhebliche Mimik zurück. "Was ist?"

Keine Zurechtweisung, keine Korrektur...nichts. Rena hatte ihr gerade noch berichtet, dass es scheinbar nur zwei Personen gab, die die Schauspielerin mit ihrem echten Namen ansprechen durften und doch schien diese sich nicht weiter daran zu stören, dass Jodie ihren Vornamen nutzte.

"Willst du mich eigentlich ewig hier angekettet lassen? Dann stell wenigstens den Verbandskoffer zurück auf den Tisch.", verlangte die Jägerin, klaubte besagten Koffer vom Boden und hielt ihn der Daywalkerin entgegen.

Angesprochene blinzelte überrascht, trat jedoch auf sie zu. "Du bist von der ordnungsliebenden Sorte?"

Gerade, als die Schauspielerin nach dem Verbandskoffer greifen wollte, kam Bewegung in die Jägerin. Dieses verdammte Biest hatte Nerven, sich über ihre toten Kameraden lustig zu machen! Das hier war gerade vermutlich nicht ihre beste Idee, doch wie sollte sie so etwas auf sich sitzen lassen?! Niemand verhöhnte ihre guten Freunde, die heute noch auf so tragische Art und Weise den Tod gefunden hatten.

Zwar hielt die Kette sie in der Nähe der Wand, doch als ihr Gegenüber ihr den Verbandskasten abnehmen wollte, hatte die Schauspielerin sich in ihre Reichweite begeben. So heftig Jodie konnte, trat sie der anderen Blondine gegen den Fußknöchel.

Eigentlich rechnete sie damit, dass ein Vampir so standfest wie ein Baum wäre, doch scheinbar hatte sie die andere Frau so kalt erwischt, dass es ihr tatsächlich gelang, ihr die Beine wegzutreten und sie von den Füßen zu reißen. Mit einem erschrockenen Laut stürzte Chris in ihre Richtung.

Die geringfügig Jüngere ließ ihr keine Zeit sich zu fangen, oder zu reagieren. Beherzt packte sie ihr Gegenüber am Kragen, rollte sich über sie und drückte sie zu Boden.

Höchst wahrscheinlich würde die Vampirin nur wenige Wimpernschläge brauchen, um sie abzuschütteln und sich gänzlich aus ihrem Griff zu befreien, doch die Überraschung in den Augen der Anderen, war Jodie schon Genugtuung genug.

Vermutlich würde sie die Aktion gleich bereits bitter bereuen, doch sie konnte es nicht auf sich sitzen lassen, das jemand Mondnebel, oder die Mitglieder der Gruppe, verhöhnte.

Die Vampirin realisierte ihre Situation und begann gegen den Griff der Jüngeren anzukämpfen. Sie rangen miteinander, wobei Jodie der Älteren eher versehentlich mit dem Fingernagel ihres Daumens über die Wange kratzte.

Die andere Blondine stieß ein verärgertes, nicht menschlich klingendes Fauchen aus und sträubte sich heftig, um sich zu befreien. Jodie hingegen gelang es, die Handgelenke ihrer Gegnerin zu packen und auf den Boden zu drücken. Mit ihrem gesamten Gewicht pinnte sie die Ältere auf dem Boden fest, die Gesichter der beiden nur wenige Zentimeter voneinander entfernt.

"Wen nennst du hier schwächlich?! Und was fällt dir ein, dich über meine Kameraden lustig zu machen?!", kam es verärgert von der Jägerin.

Ihr Rücken und ihre verletzte Schulter schmerzten bei dem Kräftemessen heftig, doch war es der Vampirin bisher nicht gelungen sie abzuschütteln und sich zu befreien.

Eine Tatsache, die Jodie mehr als irritierte. Vampire waren Menschen eigentlich haushoch überlegen. Es sollte dieser Frau ein Leichtes sein sie abzuwerfen und doch gelang es ihr, ihre Gegnerin unten zu halten und zu Boden zu drücken. Um ehrlich zu sein, gab es Menschen, die deutlich härtere Gegner waren.

Und doch gelang es ihr, trotz ihrer Verletzungen, die Oberhand zu behalten? Chris schaffte es nicht sie loszuwerden. Oder erlaubte die Schauspielerin sich einen Scherz mit ihr und hatte beschlossen, ihr den Erfolg für einen Moment zu lassen, ehe das grausame Echo folgte?

Das erklärte jedoch nicht ihre verärgerte Mimik und die nun wieder stahlblauen Augen. Warum sollte diese Frau ihr wahres Vampirgesicht zeigen, wenn sie nur mit ihr spielte?

"Was ist los mit dir, mh?", höhnte diesmal Jodie, als sie sich langsam bewusst wurde, dass sie die Daywalkerin scheinbar in der Tat überwältigt hatte... und das in ihrer Lage!
 

Plötzlich jedoch spürte sie, wie sich ein Arm um ihre Körpermitte legte und sie hochgehoben wurde. Erschrocken sog die Jägerin die Luft ein. Sie hatte noch nicht einmal gemerkt, dass jemand den Raum betreten hatte und hinter ihr stand!

Überrumpelt ließ sie die Schauspielerin los, ohne dies wirklich zu realisieren.

Die Person, die sie mit einem Arm hochgehoben hatte, zog sie einen Schritt weit weg von der Blondine, ehe sie wieder auf die Füße gestellt wurde. Nach wie vor drückte die Person hinter ihr sie jedoch ohne viel Mühe mit dem Rücken gegen sich und hielt sie fest, überraschenderweise ohne ihr dabei weh zu tun.

Jodie versuchte sich loszureißen... doch dieses Vorhaben war nicht von Erfolg gekrönt. Der Griff war unerschütterlich. Die Muskeln des Arms schienen sich noch nicht einmal anzuspannen, obwohl sie all ihre Kraft in den Versuch legte, zu entkommen.

"Wie hast du es denn geschafft, dich in diese Lage zu bringen, Chris? Die Kleine ist verletzt und gefesselt.", ergriff der Neuankömmling das Wort. Seine Stimme klang amüsiert aber nicht unfreundlich.

Jodie legte den Kopf in den Nacken und versuchte mit einem Blick über die Schulter herauszufinden, wer sie da so mühelos von ihrer Gegnerin gepflückt hatte.

Sie blickte geradewegs in das Gesicht eines jungen Mannes mit hellblonden Haaren, blauen Augen und einem etwas dunkleren Teint. Das der Mann kaum menschlich sein konnte, verriet eigentlich schon seine Kraft. Er strengte sich nicht im geringsten an und dennoch konnte sie sich nicht aus seinem Griff befreien. Außerdem wäre ein weiterer Mensch in diesem Vampiranwesen äußerst unwahrscheinlich. Zumindest kam ihr das Gesicht des Blonden bekannt vor. Das war doch der Fahrer und Bodyguard der Schauspielerin, richtig?

"Sehr witzig, Rei.", murrte Chris derweil verärgert, während sie sich rasch vom Boden aufrappelte. "Wie lange hast du da bitte gestanden und zugesehen?!"

"Oh, nicht lange, wirklich." Harmlos winkte der Blonde ab. "Nur einen Augenblick lang, dann dachte ich mir, dass du wirklich in der Klemme steckst und ich dir lieber ein wenig unter die Arme greife."

Chris grummelte irgendetwas Unverständliches vor sich hin und strich sich eine verirrte Haarsträhne zurück über die Schulter.

Schließlich wandte der Bodyguard sich Jodie zu. "Und du? Hast du dich in so weit wieder beruhigt, als das ich dich loslassen kann?"

Nun war es an der Jägerin beleidigt den Blick abzuwenden. Trotz der fehlenden Antwort, ließ der Blonde sie wieder los und gesellte sich an die Seite der Schauspielerin.

Wo Jodie die beiden nebeneinander stehen sah, fiel ihr praktisch sofort auf, wie vertraut sie wirkten. Noch dazu hatte Rena ihr vorhin erklärt, dass nur zwei Personen Chris mit ihrem Vornamen ansprechen durften. Ihr Bodyguard hatte sie wie selbstverständlich mit Vornamen angesprochen und auch sie hatte ihn nicht mit irgendeinem alkoholischen Codenamen betitelt, sondern ihn Rei genannt. Scheinbar sein Name.
 

"Ein lebhaftes Exemplar hast du dir da angelacht.", scherzte der Bodyguard an Chris gewandt.

Diese wirkte immer noch verstimmt. "Etwas zu lebhaft, wenn du mich fragst.", murrte sie.

Die Schauspielerin verschränkte die Arme vor der Brust, während Rei ihr eine verirrte, hellblonde Strähne von der Schulter sortierte. Sie ließ ihn.

"Bist du einfach nur dumm, oder wirklich so lebensmüde?", wandte die Vampirin sich an Jodie. Diesmal lag in ihren Augen nicht die übliche Überheblichkeit, sondern viel mehr Missfallen.

"Niemand macht sich über Mondnebel lustig.", antwortete die Jägerin verärgert, ehe sich ein kaum wahrnehmbares Grinsen auf ihre Lippen schlich. "Was war das eben eigentlich? Als ich gegen deine Kameradin mit der eigenwilligen Frisur gekämpft habe, hatte ich das Gefühl gegen eine Mauer zu laufen und du machst dich über mich lustig und bist einem Menschen kräftemäßig unterlegen? Als Daywalkerin?"

Jodie wusste, dass sie sich auf ganz dünnes Eis begab. Sie sollte diese Frau besser nicht unnötig provozieren, saß Chris letztlich am längeren Hebel und doch... sie konnte es nicht lassen. Nicht nach dem, wie die Schauspielerin sie zuvor behandelt hatte.

Die andere Blondine wirkte in der Tat verärgert, doch noch ehe sie antworten konnte, mischte ihr Bodyguard sich ein. Er legte der Vampirin neben sich eine Hand auf die Schulter und blickte Jodie gelassen an. "Das hast du schon ganz treffend festgestellt. Sie ist dir kräftemäßig unterlegen, weil sie eine Daywalkerin ist. Sehstärke und Geruchssinn eines Daywalkers sind fast 4 Mal so ausgeprägt wie die eines A-Klasse Vampirs, doch dafür gleichen Schnelligkeit und Kraft der eines ganz normalen Menschen."

Schon fand der Ellbogen der Schauspielerin seinen Weg in die Seite ihres Begleiters. "Halt die Klappe! Was willst du ihr als nächstes verraten? Vielleicht meine PIN?!", blaffte Chris Rei an.

Dieser wirkte weiterhin unbekümmert, rieb sich jedoch kurz über die Rippen.

"Jetzt bleib locker. Solange Curaçao und ich an deiner Seite sind, musst du dir um deine Sicherheit keine Sorgen machen."

"Du wolltest sagen, so lange Curaçao an meiner Seite ist, muss ich mir keine Sorgen machen. Im Gegensatz zu dir plaudert sie wenigstens keine Informationen unbedacht aus."

"Wie herzlos.", weiterhin wirkte Rei viel mehr amüsiert als tatsächlich verletzt.

"Wie wahr, meinst du wohl."

Nach wie vor wurde Jodie das Gefühl nicht los, dass die beiden sich wirklich gut kennen mussten, so wie sie sich gaben. Zankten wie ein altes Ehepaar und gleichzeitig standen sie in einem so geringen Abstand zueinander, wie es nur Personen taten, die wirklich vertraut miteinander waren.

Spontan fragte Jodie sich, ob der junge Mann wirklich nur der Bodyguard der Schauspielerin war.

Doch es gab Wichtigeres als das. Die Information, dass Daywalker zwar schärfere Sinne als gewöhnliche Vampire hatten und sich problemlos der Sonne aussetzen konnten, hatten sie mehr als überrascht. Was jedoch noch viel überraschender war, war die Schattenseite dieser allem Anschein nach sehr seltenen Vampirart. Die Stärke eines Daywalkers unterschied sich also in keinster Weise von der eines Menschen? Das war wirklich interessant.

Das bedeutete zwangsläufig auch, dass diese Vampirin kräftemäßig in der Tat nicht mehr als eine verzogene Schauspielerin war, deren Hauptaugenmerk darauf lag schön auszusehen. Auch wenn sie mehr als einflussreich innerhalb der Vampirgesellschaft zu sein schien.

Jodie bezweifelte, dass man ihr weitere Fragen diesbezüglich beantworten würde. Chris wirkte bereits jetzt alles andere als erfreut darüber, dass ihr Bodyguard diese Schwäche einfach so preisgegeben hatte.

"Und was ist mit dir? Solltest du nicht angeblich krank im Bett liegen?", wandte die Jägerin sich direkt an Rei.

Noch hatte keiner der beiden Vampire Anstalten gemacht, ihr für die vorherige Aktion wirklich den Kopf abreißen zu wollen, auch wenn sie sich nicht sicher war, wie lange dies noch so blieb.
 

"Krank im Bett?", wiederholte der Blonde und grinste schief. "Die Fenster von meinem Wagen wurden ausgebessert. Wie du dir als Jägerin vielleicht denken kannst, ist es für einen Nicht-Daywalker ungesund tagsüber das Haus zu verlassen."

Das erklärte natürlich, warum Rei Chris erst am Abend von der Veranstaltung abgeholt hatte, die Schauspielerin sich auf dem Hinweg jedoch von einer anderen Person hatte fahren lassen.

Interessant war es allerdings auch, dass es besonderes Fensterglas, oder aber Schutzfolien geben musste, welche es Vampiren ermöglichte bei Tag Auto zu fahren.

"Aber zurück zum ursprünglichen Thema.", ergriff Chris das Wort. Unmerklich spannte Jodie sich an. Der Blick der Älteren verriet, dass sie den Angriff eben nicht so einfach vergessen hatte.

Fragend sah die Schauspielerin ihren Bodyguard an. "Hat die Kleine bei der Aktion gerade Spuren in meinem Gesicht hinterlassen? Ich werde das Gefühl nicht los."

"Einen Kratzer auf deiner Wange, wenn du es genau wissen willst.", bestätigte Rei ihr ohne lange zu zögern.

Die Mimik der Blondine wurde missfallender. "Na das kann ich ja gerade noch gebrauchen."

Nun wandte sie sich Jodie zu. "Arm her.", befahl die Vampirin ihr.

"Meinen A- HEY!", noch ehe die Jüngere ihren Satz hatte beenden können, hatte Chris beherzt nach ihrer rechten Hand gegriffen und sie zu sich gezogen.

Jodie konnte dabei zusehen, wie sich die grünen Augen ihres Gegenübers schlagartig stahlblau verfärbten. Der Magen der Jägerin verkrampfte sich in unguter Vorahnung.

Sie sträubte sich gegen den Griff der Anderen, von der sie nun wusste, dass sie ihr kräftemäßig unterlegen war. Leider nur traf dies nicht auf ihren Bodyguard zu.

Rei griff nach ihrem Arm und hielt ihn ohne jede Mühe fest. Erneut stellte Jodie fest, dass sein Griff wie Stahl war. Egal wie sehr sie sich zu befreien versuchte, seine Hand hielt ihren Arm umschlossen.

Sie bemerkte, wie die Daywalkerin ihr Handgelenk mit dem Blick anvisierte. Das ungute Gefühl wuchs nur noch, als sie sich an den schmerzhaften Biss von vor ein paar Stunden erinnerte. Ihr Hals pochte an dieser Stelle nach wie vor.

"Vergiss es! Bleib weg von mir!" Ärgerlicherweise klang ihre Stimme nicht so verstimmt, wie Jodie es sich gewünscht hatte, sondern viel mehr schrill vor aufsteigender Panik.

Sie wollte die Andere mit ihrer freien Hand abwehren, doch schon hatte der Bodyguard sich auch ihr anderes Handgelenk geschnappt und hielt es fest. Sie saß in der Falle.

Die junge Frau sah, wie die andere Blondine sich zu ihrem Handgelenk beugte. Für einen kurzen Moment konnte sie die scharfen, perlweißen Vampirfänge aufblitzen sehen, als sie den Mund öffnete, dann durchfuhr ihr Handgelenk ein scharfer Schmerz.

Jodie schrie auf. Reflexartig versuchte sie erneut den Arm zurückzuziehen, doch nicht nur, dass Rei sie festhielt, die Vampirin verstärkte den Biss nur noch. Sie spürte, wie die beiden scharfen Reißzähne sich tiefer in ihren Arm bohrten.

Die Jägerin biss die Zähne zusammen. Egal wie sehr sie versuchte, ihren Arm zurückzuziehen, Chris Bodyguard hielt sie mühelos fest.

Hatte sie vorhin schon gedacht, dass der Biss in ihren Hals schmerzhaft gewesen war, so revidierte sie dieses Urteil nun. Die Zähne von diesem elenden Biest in ihrem Handgelenk zu spüren war schlimmer, viel schlimmer!

In den aktuell stahlblauen Augen der anderen Blondine konnte sie wieder diesen Hohn aufblitzen sehen, als sie direkten Blickkontakt suchte.

Rei hingegen verzog leicht das Gesicht. "Du weißt, dass du ihr weh tust, Chris, oder?"

Es brauchte einen Moment, bis Chris ihm antworten konnte, bohrten ihre Zähne sich doch aktuell in Jodies Handgelenk.

Die junge Frau konnte förmlich dabei zusehen, wie der Kratzer auf der Wange der Schauspielerin immer blasser wurde und schließlich ganz verschwand. Binnen ein paar Sekunden wohlgemerkt.

Hätte der aktuelle Schmerz in ihrem Handgelenk nicht gerade ihr Denken bestimmt, die Jägerin hätte diese rasche Selbstheilung höchst wahrscheinlich sogar faszinierend gefunden.

Schließlich lockerte die Vampirin den Biss, fuhr mit der Zunge über die Bisswunde und ließ ganz los.

Gleichgültig zuckte sie mit den Schultern, als sie Rei musterte. "Und? Was kümmert es mich? Vielleicht löst der Schmerz ja einen gewissen Lernprozess bei diesem dummen Kätzchen aus."
 

Verärgert funkelte Jodie ihr Gegenüber an, welches zwei Schritte auf Abstand ging und sich einmal genießerisch über die Lippen leckte.

Auch der Bodyguard ließ sie nun wieder los und trat einen Schritt zurück.

Sofort zog die junge Frau ihren Arm zu sich und musterte ihr Handgelenk. Die Fangzähne hatten zwei Löcher in ihrer Haut zurückgelassen. Die Bisswunde blutete noch leicht und schmerzte auch weiterhin höllisch. Diese verdammte...!

Diesmal war Jodie klug genug sich einen Kommentar zu sparen. Sie funkelte ihr Gegenüber lediglich verärgert an und hielt ihr verletztes Handgelenk.

Erneut suchte Chris Blickkontakt, doch diesmal war etwas anders als sonst. Ohne es zu merken, hielt Jodie für einen Moment die Luft an.

Die Mimik der Schauspielerin war nicht so arrogant und spöttisch amüsiert wie sonst, nein, der Blick der nun wieder grünen Augen wirkte ähnlich kalt wie vorhin in der Bar, als sie Gin die Stirn geboten hatte. Der Anderen war nicht zum Scherzen zu Mute, ihr war es ernst, so viel war klar.

So sehr die überhebliche Art der Älteren sie zuvor auch zur Weißglut getrieben hatte, schlagartig wünschte Jodie sich die arrogante, verzogene Schauspielerin zurück. Der Blick der Vampirin war aktuell ähnlich hart und kalt wie der des japanischen Vampirfürsten.

"So, nun wo von deinem kleinen Aufstand nichts mehr zu sehen ist, helfe ich deinem eingeschränkten Denken noch einmal auf die Sprünge, da du scheinbar nicht dazu in der Lage bist, logische Zusammenhänge von allein zu erfassen.", ergriff Chris das Wort.

Jodie starrte sie an, einerseits verärgert über die Wortwahl der Anderen, andererseits alarmiert über deren plötzliche Ernsthaftigkeit.

"Das du dich in einem Vampiranwesen befindest, solltest du inzwischen gemerkt haben, allerdings denke ich, dass dir nicht klar ist, was das für dich bedeutet. Also noch einmal zum Mitschreiben: Vampire töten Menschen. Vampire töten insbesondere Vampirjäger. Das du noch lebst, hast du einzig und allein meinem guten Willen zu verdanken. Dafür, dass dein Kollege noch lebt, kannst du dich ebenfalls bei mir bedanken.

Aber eure Leben liegen in meinen Händen, das solltest du nicht vergessen. Ich kann deinen Kollegen und dich zerquetschen wie lästige Fliegen, wenn ich es für angebracht halte."

Die Vampirin schritt auf Jodie zu und blieb genau vor ihr stehen. Zwar hatte Chris sich erneut in ihre Reichweite begeben, diesmal jedoch hielt die junge Frau still und erstarrte förmlich, als ihr Gegenüber Zeigefinger und Daumen an ihr Kinn legte und dieses leicht hoch schob.

Die Gesichter der beiden Frauen trennten nur wenige Zentimeter. In den grünen Augen ihres Gegenübers konnte Jodie aktuell nur Kälte und Grausamkeit lesen.

"Solltest du noch ein einziges Mal die Hand gegen mich erheben, oder dir in irgendeiner Art und Weise einfallen lassen aufmüpfig zu sein, werde ich dafür sorgen, dass du es bitter bereust. Da dir so viel an deinem Kameraden liegt, denke ich, dass er der erste sein wird, der das nächste Mal wegen deinem Sturschädel zu leiden haben wird. Und dich werde ich dabei zusehen lassen, wie meine Leute ihm jeden Knochen im Leib brechen. Überleg es dir also gut, Kätzchen."

Verdammt... dieses eiskalte Monster! Jodie spürte gleichermaßen Angst und Hass in sich aufsteigen, als sie in das makellose, wunderschöne Gesicht dieser skrupellosen Kriminellen blickte.

Äußerlich bildschön, aber innerlich verdorben wie ein verfaulter Apfel, kam es ihr spontan in den Sinn.

"Verdammt, was willst du von mir?", zischte die junge Frau. Weiterhin waren ihrer Stimme der aktuelle Stress und ihre Angst anzuhören.

"Was ich von dir will? Das Leben als private Blutbank wäre auf Dauer sicherlich etwas zu entspannt. Warum ich dich am Leben gelassen habe, darfst du schön selbst herausfinden. In der Zwischenzeit wirst du für mich arbeiten.", stellte Chris schließlich fest.

Ungläubig blickte Jodie sie an. "...Bitte was?", hakte sie noch einmal nach um sich sicher zu sein, sich nicht verhört zu haben.

Sofort musste sie wieder an Rena denken und daran, was ihre japanische Kollegin ihr erzählt hatte.

Scheinbar war sie nicht die Einzige, die diesen Vergleich in Gedanken gezogen hatte.

"Du hast mich schon verstanden. Und glaub mir, ich weiß, dass du temperamentvoller und widerborstiger bist als Gins kleines Eigentum, aber du solltest dich am Riemen reißen, wenn du möchtest, dass du das hier überlebst. Oh und an die Gesundheit deines Kollegen solltest du selbstverständlich auch denken." Der letzte Satz der Schauspielerin klang beinahe harmlos, auch wenn er alles andere als das war.

Jodie hatte das Gefühl, als wäre die Temperatur im Raum spontan im 30 Grad gesunken.
 

Schließlich konnte sie beobachten, wie die Kälte aus dem Blick der Daywalkerin wich und dem üblichen, überheblichen Gesichtsausdruck Platz machte. Fast so, als wäre nie etwas geschehen.

Fast schon aufmunternd tätschelte Chris ihr die Wange, ehe die Schauspielerin wieder etwas mehr auf Abstand ging und ihr zuzwinkerte.

"Nun dann, Kätzchen, ich will dein Denken ja nicht gleich überfordern. Lass diese Informationen für heute erst einmal sacken, damit solltest du beschäftigt genug sein."

In aller Seelenruhe zündete Chris sich eine Zigarette an. "Du solltest versuchen noch etwas Schlaf zu bekommen. Morgen wird dein Tag früh genug beginnen."

Die Schauspielerin warf ihr einen Luftkuss zu, doch die Provokation ging diesmal vollkommen an Jodie vorbei. Die junge Frau fühlte sich im wahrsten Sinne des Wortes erschlagen.

Die Drohung der Daywalkerin, als sie zuvor die Regeln klargestellt hatte, war bitterer Ernst. Der Stimme der Anderen hatte der für sie so typische, neckende Unterton gefehlt. Chris hatte eiskalt geklungen. Sie scherzte nicht damit, dass sie Andre oder ihr etwas antun würde, wenn Jodie noch einmal rebellierte.

Vielleicht mochte die Daywalkerin ihr kräftemäßig unterlegen sein, doch das änderte nichts an der Tatsache, dass das verdammte Biest brandgefährlich war. Sie war skrupellos und Amerikas Nummer Zwei. In dieser Position würde Chris sich wohl kaum selbst die Hände schmutzig machen müssen, wenn sie ihr schaden wollte.

Erst jetzt, wo die Schauspielerin sich zum Gehen gewandt hatte, realisierte Jodie, wie tief sie wirklich in der Tinte saß.

"Rei, kommst du? Ich will noch in den Weinkeller, um die aktuellen Bestände zu kontrollieren. Morgen früh werde ich nicht mehr dazu kommen, unseren Leuten die Aufträge, wie das Lager aufzustocken ist, weiterzugeben. Das will ich heute noch erledigt wissen.", wandte die Blondine sich von der Tür aus an ihren Bodyguard.

Weinkeller...das Lager aufstocken... Jodie war sich ziemlich sicher, dass es hier nicht um echten Wein ging, sondern darum, neue Opfer für die Bar zu besorgen. Allein bei dem Gedanken daran wurde ihr speiübel. Und mit welcher Selbstverständlichkeit dieses Monster mit dem Engelsgesicht davon sprach!

"Ich komme gleich nach, Sekunde. Wartest du unten in der Halle auf mich?", antwortete ihr Bodyguard ihr.

"Sicher, aber trödel nicht herum." Chris blies etwas Zigarettenrauch aus, warf Rei einen kurzen Blick zu und lief schließlich los.
 

Der Blonde sah seiner Kameradin einen Moment lang nach, dann seufzte er, pflückte einen Verband aus dem Verbandskoffer und reichte ihn Jodie. "Für dein Handgelenk.", stellte er fest.

Skeptisch nahm die junge Frau den Verband entgegen und musterte ihr Gegenüber kühl.

"Du kannst mich Bourbon nennen.", stellte Chris Bodyguard sich ihr schließlich vor. Bourbon? Schon wieder so ein alkoholischer Codename. Hatte die Schauspielerin ihn eben nicht noch Rei genannt? Aber gut.

Er warf ihr einen fast schon mitleidigen Blick zu. Geheucheltes Mitleid, da war Jodie sich ganz sicher. "Du magst gerade vielleicht einen anderen Eindruck gewonnen haben, aber Chris ist nicht das Monster, für das du sie hältst. Sie ist vielleicht nicht gerade ein Engel und sie kann etwas launisch sein, aber in ihrer Haut möchte aktuell wirklich niemand stecken."

Rasch sammelte der Vampir das verstreute Verbandsmaterial vom Boden auf, legte es zurück in den Koffer und stellte diesen schließlich auf dem Tisch ab.

ETWAS launisch? Jodie glaubte sich verhört zu haben. Diese Frau war der Teufel und nichts anderes!

"Ihr Vampire seid doch alle gleich.", fauchte sie daher verärgert.

Ohne wirklich auf diesen Einwand einzugehen, sammelte Rei ein Kissen und eine zusammengefaltete Wolldecke vom Sofa und reichte sie der Jägerin.

Etwas perplex nahm die junge Frau Decke und Kissen entgegen, ehe ihr klar wurde, was es damit auf sich hatte. Sie war immer noch an die Wand gekettet, das Sofa in unerreichbarer Ferne. Außer dem nackten Fußboden hatte sie hier nicht all zu viel und das würde sich allem Anschein nach bis zum nächsten Morgen auch nicht ändern. Urg...

"Wenn du verstehen willst, was hier gespielt wird, dann solltest du dich erst einmal ganz einfach darauf einlassen, so verrückt das gerade auch für dich klingen mag."

Jodie zog eine Augenbraue hoch. Bitte was? Sie sollte sich darauf einlassen, dass sie als private Blutbank und Hausmädchen für diese verzogene Schauspielerin herhalten sollte?! Nicht, dass ihr in ihrer aktuellen Situation wirklich eine Wahl blieb, dennoch war dies ein Gedanke, mit dem sie sich nur äußerst ungerne anfreundete, auch wenn sie wusste, dass es vorerst ihr Alltag werden würde, zu tun was Chris sagte, wenn sie verhindern wollte, dass Andre oder sie zu Schaden kämen.

"Wartet Chris nicht schon auf dich? Vielleicht bist du ja der Nächste, dem sie die Augen auskratzt, wenn du dich nicht beeilst.", murte die Jägerin vor sich hin.

Wiedererwartend reagierte Bourbon nicht angesäuert, sondern lachte lediglich, als hätte sie einen Witz gemacht. "Das vielleicht nicht, aber bessere Laune bekommt sie mit Sicherheit nicht, wenn ich mich nicht langsam auf den Weg mache.", stellte er schließlich fest. "Also dann, ruh dich aus, der morgige Tag wird wahrscheinlich ein Kulturschock für dich."

Mit diesen Worten machte auch der blonde Bodyguard sich auf den Weg und zog die Tür hinter sich zu.
 

Jodie blieb allein zurück. Lediglich die Wanduhr tickte weiterhin im Takt und genau so nervtötend wie zuvor.

Einen Moment lang blieb sie noch stehen wo sie war, lauschte in die Dunkelheit und drückte Decke und Kissen an sich, ohne es wirklich zu bemerken.

Nichts, nur Stille und die Wanduhr. Keins dieser Biester schien mehr in der Nähe zu sein.

Sie spürte, wie die Anspannung langsam von ihr wich und ihr Körper förmlich danach schrie, dass sie sich setzte.

Da die Kette sie weiterhin einschränkte, setzte die junge Frau sich auf den Boden und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Ihre Verletzungen schmerzten, ihr Handgelenk seit ein paar Minuten nun ebenfalls.

Wo war sie hier nur hineingeraten? Sie seufzte und spürte, wie langsam aber sicher die Verzweiflung in ihr aufstieg. Sie war die Gefangene einer Daywalkerin, die zwar nicht stärker als ein gewöhnlicher Mensch war, dafür aber um so einflussreicher innerhalb der amerikanischen Vampirgesellschaft. Und ein Gewissen hatte dieses Monster ebenfalls nicht.

Ab Morgen würde sie sich von der Schauspielerin herumschicken lassen müssen und zudem saß sie in diesem Vampirnest fest. Eine Katastrophe!

Sie lebte noch, aber leider traf das nicht auf ihre Kollegen zu. Ihre guten Freunde waren tot. Andre lebte höchst wahrscheinlich nur noch so lange, wie sie es schaffte dieses verzogene Sternchen nicht zu verärgern.

Im Normalfall hätten Bourbons Worte ihr zu Denken gegeben, doch aktuell hatte sie diese erfolgreich bei Seite gedrängt.

Jodie spürte, wie ihr in diesem Raum die Decke auf den Kopf fiel. Angst und Verzweiflung drohten sie zu überwältigen. Diese elende Hilflosigkeit.

Sie war ganz allein in dieser Hölle auf Erden, ausgeliefert dem guten Willen einer Vampirin, die selbst von deren Bodyguard als launisch bezeichnet wurde.

Geistesabwesend verband sie ihr Handgelenk, dann schob sie ihre Brille hoch auf den Kopf und vergrub ihr Gesicht in dem Kissen, welches sie umarmte.

Die junge Frau spürte, wie Tränen in ihren Augen aufstiegen.

"James..., Shu..., holt mich hier raus...!", wimmerte sie.

Der heutige Tag hatte so normal begonnen und war als ihr schlimmster Alptraum geendet.

Sie wusste, dass sie versuchen musste diesen Vampiren irgendwie zu entkommen, doch aktuell hatte sie keine Idee, wie genau sie das schaffen sollte.

Die Blondine kauerte sich noch ein wenig mehr zusammen, während die Verzweiflung sie überrollte wie ein Tsunami, nachdem sie das Ausmaß der Schwierigkeiten, in denen sie steckte, erst wirklich realisiert hatte.

Sie erwachte, als irgendjemand sie anstupste. Einen Moment brauchte Jodie um sich zu orientieren, dann waren die Erinnerungen an den vorherigen, katastrophalen Tag auch schon wieder zurück.

An ihrer Situation hatte sich nichts geändert. Sie war immer noch gefangen in dem Vampiranwesen und mit einer Kette an der Wand befestigt.

Irgendwie musste sie es, nachdem sie gestern noch lange wach gelegen hatte, trotz allem geschafft haben einzuschlafen. Obwohl ein Mensch in diesem Haus besser nicht unachtsam sein sollte, hatten Müdigkeit und Erschöpfung irgendwann ihren Tribut gefordert.

Wie lange hatte sie geschlafen? Sie wusste es nicht. Ihre Seite fühlte sich kalt an, da sie auf dem kahlen Boden lag und ihr Rücken schmerzte von dem harten Untergrund. Die Tagesdecke, welche gestern noch auf dem Sofa gelegen hatte, hatte sie nicht all zu warm gehalten. Jodie fröstelte.

Sie fühlte sich immer noch vollkommen erschlagen, doch ein wenig Energie hatte sie zurückgewonnen, während sie geschlafen hatte.

Wieder wurde sie angestupst. "Na los, wach schon auf, Kätzchen."

Diese Stimme! Schlagartig war die junge Frau hellwach. Alarmiert öffnete sie die Augen und blickte hoch zu der Person, die sie soeben angesprochen hatte.

Chris stand vor ihr, gekleidet in Bluse und Jeans. Die Schauspielerin musste schon eine Weile auf den Beinen sein, hatte sie doch schon die Zeit gefunden sich für den Tag zurechtzumachen.

Sie war bereits geschminkt. Die langen, platinblonden Haare hatte sie zu einem Zopf in Fischgrätenoptik geflochten.

Ihr Gegenüber hatte bemerkt, dass Jodie wach war und sie ansah. Sogleich legte sich ein typisches Schmunzeln auf die Lippen der Daywalkerin. "Sieh an, Dornröschen ist aufgewacht.", zog sie sie auf.

Jodie schlug die Decke zurück und setzte sich auf. Skeptisch behielt sie dabei die andere Frau im Blick. "Was willst du von mir?", hakte sie wenig freundlich nach. "Und stups mich nicht mit dem Fuß an."

"Ein Morgenmuffel?", neckte Chris sie, ehe sie sich zu der Jüngeren herunterbeugte.

Sofort spannte die Jägerin sich merklich an. Sie hatte die beiden schmerzhaften Bisse gestern nicht vergessen und fürchtete erneut sofort das Schlimmste.

Doch ihr Gegenüber musterte sie nur aus wachen, grünen Augen. "Wir müssen bald los.", erklärte Chris. "Ist meine Ansprache gestern in deinem Goldfischhirn hängen geblieben?"

Los? Was meinte sie damit? Jodie bemühte sich die Beleidigung bestmöglich zu überhören und fragte sich viel mehr, was genau sie heute in diesem elenden Vampirnest erwarten würde.

"Ich werde dein perfektes Gesicht schon nicht wieder verschönern, keine Sorge.", murrte die Jägerin vor sich hin, obwohl sie genau das am liebsten getan hätte.

Aber die Worte der Anderen waren eindeutig gewesen. Nicht nur ihre eigene Gesundheit stand auf dem Spiel, sondern auch Andres Leben. Die Vampire hatten ihn fortgeschafft, sodass sie noch nicht einmal wusste, wo er gefangen gehalten wurde. Doch das sie ihren Kollegen nicht unnötig mit ihrem Verhalten in Gefahr bringen würde, auch wenn sich alles in ihr dagegen sträubte, nach der Pfeife dieser Vampirin zu tanzen, war klar.

"Gut. Ich muss dich hoffentlich nicht daran erinnern, was passiert, solltest du dir doch einfallen lassen, dich noch einmal gegen mich aufzulehnen."

Als Antwort erhielt die Schauspielerin nur ein Murren. Jodie würde diesem arroganten Biest am liebsten augenblicklich die Augen auskratzen, doch sie hatte verstanden.

Als Chris mit der rechten Hand in Richtung ihres Halses griff, zuckte Jodie zusammen, doch die andere Blondine machte sich lediglich an dem Halsring zu schaffen, der die Jägerin gefangen hielt.

"Bist du dir auch ganz sicher, dass das so eine gute Idee ist?", erkundigte sich eine zweite Stimme.

Jodie spähte an der Schauspielerin vorbei und entdeckte Rei, welcher lässig im Türrahmen lehnte und die Szene beobachtete. Der Bodyguard wirkte entspannt, doch Jodie war sich sicher, dass er im Bruchteil einer Sekunde neben ihr stehen würde, würde sie sich einfallen lassen, auch nur falsch zu atmen.

Chris verdrehte die Augen. "Selbst sie sollte verstanden haben, dass ihr Kollege tot ist, sobald sie die Hand gegen mich erhebt."

"Rede nicht von mir als wäre ich dumm.", fauchte Jodie verärgert.

Die Schauspielerin wandte sich nun wieder ihr zu. "Sagt sie, nachdem sie gestern erst noch mehrfach bewiesen hat, wie eingeschränkt ihr Denken funktioniert."

Angesäuert funkelte die Jägerin ihr Gegenüber an, verkniff sich jedoch jeden weiteren Kommentar.

Klickend sprang der Halsring auf. Sie war frei! Überrascht und fragend zugleich musterte sie die Schauspielerin.

"Na was hast du denn erwartet, wie du für mich arbeiten sollst, wenn du an der Wand festhängst?", beantwortete diese ihr die stumme Frage, ehe sie leicht die Nase kräuselte.

"Aber bevor es losgeht, gehst du duschen. Der Tag gestern hat dir eindeutig nicht gut getan."

"Besten Dank für die Blumen.", murrte Jodie vor sich hin. "Wem ich das nur zu verdanken habe."

Chris stellte sich wieder gerade hin und verschränkte locker die Arme vor der Brust.

Auch Jodie stand nun vom Boden auf, wobei sie hektische Bewegungen vermied. Sie wollte ihrem Gegenüber nicht den Eindruck vermitteln einen Angriff zu planen. Zwar hätte sie die Daywalkerin liebend gern angegriffen und wäre dann geflohen, doch sie wusste, dass dies unmöglich war.

Nicht nur das Bourbon die ganze Szene aufmerksam beobachtete und die Schauspielerin beschützen würde, die Chancen aus diesem Anwesen zu fliehen wären verschwindend gering und für Andre wäre es das sichere Todesurteil.

"Das Bad ist dort drüben.", erklärte Chris und nickte kurz in Richtung der Tür unweit des Wohnzimmerschranks.

Schließlich wandte sie sich ihrem Bodyguard zu. "Bleibst du bitte hier im Raum und achtest darauf, dass sie nicht versucht zu flüchten, oder sonst irgendwelche Dummheiten anzustellen? Ich sehe nach Ersatzkleidung."

Für einen Moment musterte Chris die junge Vampirjägerin prüfend. "Du bist schlank und hast keine schlechte Figur, Kätzchen, trotzdem bin ich mir nicht ganz sicher, ob dir meine Kleidung passt."
 

Nachdem sie seit gestern Abend gefangen gehalten worden war, war die junge Frau froh nun das Bad aufsuchen zu können.

Sie hatte den Bodyguard noch einmal ermahnt sich nicht einfallen zu lassen, ihr hinterherzulaufen, ehe sie die Tür hinter sich zugezogen hatte. Der Blonde hatte lediglich gelacht und ihr versichert im Wohnzimmer zu bleiben.

Das Wasser der Dusche, unter der sie kurze Zeit später stand, erfrischte sie und tat unglaublich gut.

Dennoch kam Jodie sich vor wie im falschen Film.

Es war ein gutes Gefühl die Kette endlich los zu sein und sich wieder freier bewegen zu können, gleichzeitig fühlte es sich auch wieder merkwürdig an, sich ausgerechnet als Jägerin ohne Fesseln in dem Vampiranwesen aufzuhalten. Und die Dusche zu benutzen, als wäre nichts an ihrer aktuellen Situation unnormal, war ebenfalls bizarr.

Im Bad hatte sie Shampoo und Duschgel gefunden. Natürlich Markenware, was auch sonst.

Nun, wo sie das Wasser schließlich ausschaltete, stellte sie fest, dass sie wie die blonde Schauspielerin roch, da sie deren Shampoo verwendet hatte. Lediglich ihr Parfum und der leichte Geruch nach Zigarettenrauch fehlten noch.

Jodie trocknete sich ab, hüllte sich in ein großes Badehandtuch und blieb für einen Moment unsicher im Raum stehen. Und nun? Erwartete man von ihr, dass sie nach dem Duschen ins Wohnzimmer zurückkehrte? Nur mit einem Handtuch bekleidet wohl kaum, immerhin wartete dort der Bodyguard der Schauspielerin.

Die junge Frau ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Die gesamte Einrichtung wirkte edel und überteuert. Kein Wunder, immerhin befand sie sich im Bad einer berühmten Schauspielerin. Die Frau hatte Geld wie Heu. Warum sollte sie da also an der Einrichtung sparen.

Etwas, das sich als Waffe umfunktionieren lassen würde, entdeckte Jodie jedoch nicht. Sogleich verwarf sie diesen Gedanken wieder. Sie würde nichts tun, womit sie am Ende noch Andre in Gefahr brachte.

Stattdessen musterte sie sich im Spiegel. Ihr Spiegelbild sah gestresst aus, wie Jodie feststellte, jedoch wirkte sie weniger in Mitleidenschaft gezogen, als sie es befürchtet hatte.

Sie seufzte. Weiterhin saß sie bis zum Hals in der Tinte. Sie war auf den guten Willen dieser Monster angewiesen und hatte noch dazu keine Ahnung, was genau sie heute eigentlich erwarten würde.
 

Ohne Vorwarnung wurde die Badezimmertür geöffnet. Jodie wirbelte herum.

"Hab ich dir nicht gesagt, dass du draußen bleiben sollst?!", blaffte sie, nur um im nächsten Moment zu realisieren, dass nicht Rei im Türrahmen stand sondern Chris.

Die Schauspielerin blinzelte kurz, dann schmunzelte sie amüsiert und betrat das Bad, ehe sie die Tür hinter sich zuzog. "Das ist mein Bad. Ich fürchte, das hast du nicht zu bestimmen."

Sie ließ Jodie keine Zeit zu antworten und legte stattdessen Kleidung auf dem Badezimmerschränkchen ab. "Probier mal, ob das Outfit dir passt.", forderte sie.

Die junge Frau hatte nichts gegen saubere Kleidung einzuwenden und begab sich daher ohne Protest zu dem Schränkchen, auf welchem die Ersatzkleidung abgelegt worden war.

Schließlich warf sie der Schauspielerin einen auffordernden Blick zu, doch Chris lehnte sich in aller Seelenruhe mit dem Rücken an die Wand und machte keine Anstalten den Raum wieder zu verlassen. "Du kannst dich ruhig umziehen. Da ist nichts, was ich nicht auch hätte und ein kleines Menschlein interessiert mich nicht. Ich will lediglich sichergehen, dass die Kleidung passt. Die Personen in meinem Umfeld sollten gut gekleidet sein."

//Arrogantes Sternchen//, dachte die Jägerin sich im Stillen, sparte sich Widerworte jedoch, da sie davon ausging, dass sie bei der Vampirin damit nur das Gegenteil erreichen würde.

Merkwürdig, sich ausgerechnet vor dieser Frau umzuziehen, war es dennoch. Genau so merkwürdig, wie die gesamte Situation anmutete.

Erst hatte man sie entführt und zur privaten Blutbank der anderen Blondine deklariert, nun legte diese Wert darauf, dass sie sich hübsch machte um optisch in ihr Umfeld zu passen. Wie absurd.

Jodie seufzte, gab sich einen Ruck, legte das Badehandtuch bei Seite und begann damit sich umzuziehen. Chris machte währenddessen einen gleichgültigen bis desinteressierten Eindruck, was die Situation zumindest ein klein bisschen weniger unangenehm machte.

Schließlich stand die Jüngere in der geliehenen Kleidung der Schauspielerin da. Das T-Shirt und die dazugehörige Weste passten, die Jeans hingegen fühlte sich etwas zu eng an, auch wenn sie sie zubekommen hatte.

Sollte sie Chris darauf ansprechen? Nein, sicher nicht. Das wäre doch nur wieder ein gefundenes Fressen für dieses arrogante Miststück sich über sie lustig zu machen.

"Zufrieden?", hakte sie daher nur knapp nach und wandte sich der anderen Blondine zu.

Chris musterte sie prüfend. Jodie tat es ihr gleich und maß wiederum ihr Gegenüber mit dem Blick.

Die Ältere war genau so groß wie sie selbst, schlank und hatte eine gute Figur. Im Vergleich zu ihr selbst hatte Chris jedoch einen geringfügig zierlicheren Knochenbau. Während Jodie durch ihren Job zwar schlank aber gleichzeitig auch trainiert war, schien Chris ganz einfach Glück mit ihren Genen gehabt zu haben. Ein weiteres Mal wurde dieser verzogenen Blondine etwas ganz einfach in den Schoß gelegt, so wie sie gefühlt alles in ihrem Leben auf dem Silbertablett serviert zu bekommen schien. Jodie konnte nicht leugnen, dass diese Tatsache sie gewissermaßen schon ein wenig ärgerte.

"Gut, dann setz dich mal auf den Badewannenrand.", forderte Chris sie auf, die allem Anschein nach zufrieden mit den geliehenen Klamotten an Jodie war.

Kurz stutzte sie, dann folgte die junge Frau der Aufforderung und blickte die Daywalkerin fragend und skeptisch zugleich an. Was hatte sie denn nun wieder vor?

Jodie spannte sich unbewusst an, als die Andere durch den Raum auf sie zuschritt, wurde jedoch erneut überrascht, als Chris lediglich ein Köfferchen mit diversen Kosmetikprodukten aus dem Spiegelschrank räumte und es neben ihr auf dem Badewannenrand abstellte.

"Fast perfekt. Halt einfach still."

Was folgte, was irritierend und absurd zugleich. Die Schauspielerin begann damit sie rasch und routiniert zu schminken. Immerhin schadete sie ihr damit nicht, dennoch fühlte Jodie sich wie im falschen Film. Hatte die Andere sie gerade erneut zu einer Art Versuchsobjekt deklariert?! Nein, das wohl nicht, Chris wusste ganz eindeutig ziemlich genau was sie da tat.

Diesem verzogenen Sternchen schien es wohl einfach nur wichtig zu sein, ihr einen Anstrich zu verpassen, der sie optisch in das Bild der gehobenen Gesellschaftsschicht passen ließ. Nicht, das Jodie sich nicht auch selbst hätte schminken können...

Die junge Frau war irritiert und genervt gleichermaßen, zugegeben jedoch auch ein wenig neugierig auf das Ergebnis. Chris schien zumindest gerade ganz in ihrem Element zu sein. Aktuell wirkte die Andere wieder so normal, dass es schwer vorstellbar war, wie gefährlich diese Frau eigentlich war. Doch Jodie wusste besser als jeder andere, wie sehr dieser Eindruck täuschte.

Während die Schauspielerin sie schminkte, fiel der Blick der jungen Frau ganz automatisch auf das Schmuckstück, welches ihren Hals zierte. Diesen Halsreif mit dem darin eingelassenen Rubin hatte Chris auch gestern schon getragen. Wenn sie sich nun schon wieder dafür entschieden hatte, schien sie dieses Schmuckstück wirklich zu mögen.
 

Wenig später betrachtete Jodie sich kurz im Spiegel und stellte fest, dass ihr Make-Up wirklich perfekt war. Nicht, dass es sie verwunderte. Alles, was dieses Sternchen anfasste, schien ihr zu gelingen.

Sie folgte Chris zurück ins Wohnzimmer, wo Bourbon es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht hatte und nun zu den beiden Frauen sah, als diese den Raum betraten.

"Zeigst du ihr die wichtigsten Räume und bringst sie dann in die Halle? Ich will vor der Arbeit noch rasch etwas mit Curaçao besprechen.", wandte die Schauspielerin sich an ihren Bodyguard.

Dieser nickte. "Sicher, kein Problem. Reicht dir eine Viertelstunde?"

"Natürlich. Dann ist es außerdem schon fast an der Zeit aufzubrechen."

Aufzubrechen? Wohin sollte es denn gehen? Jodie wurde hellhörig. Die andere Blondine hatte gestern verfügt, dass sie für sie zu arbeiten hätte und über ein entsprechendes Druckmittel, um ihren Willen auch zu bekommen, verfügte Vermouth ebenfalls. Aber wenn sie für sie arbeiten sollte, bedeutete das dann auch, dass sie sie, wohin auch immer, mitnehmen würde?

Die Schauspielerin ließ Rei und sie im Wohnzimmer zurück, scheinbar um eine gewisse Person namens Curaçao zu suchen, wer auch immer das sein sollte.

Kurz sah Jodie ihr nach, dann verschränkte sie die Arme vor der Brust und blickte Bourbon abwartend an, wobei in ihrem Blick nach wie vor auch eine gute Portion Ablehnung zu lesen war.

"Dann wollen wir mal." Der Bodyguard bedeutete mit einer kurzen Geste ihm zu folgen. Wie gestern schon machte er einen gelassenen, freundlichen Eindruck, doch Vampire waren alles, nur nicht freundlich. Die Jägerin traute dem Frieden folglich nicht.

"Das Anwesen ist wahnsinnig groß, darum beschränken wir uns am besten auf die wichtigsten Räume.", befand der Blonde. Er trat hinaus auf den Flur und Jodie folgte ihm. Aufmerksam sah sie sich um. Der Flur an sich wirkte wie eine alte Filmkulisse. Ein roter Teppich verlief vom Ende des Flures bis zu den Treppen. Der eher altbackene Flur stand im krassen Gegensatz zu dem edel und modern eingerichteten Wohnzimmer, in welchem sie sich seit gestern unfreiwillig aufgehalten hatte.

"Dieser Abschnitt des Anwesens gehört Chris. Hier befinden sich ihre privaten Zimmer, sowie auch mein Zimmer und das von Curaçao", erklärte Rei ihr.

Sie liefen bis zum Anfang des Flures, wo der Blonde die erste Tür öffnete. Der Raum war geschmackvoll eingerichtet, wenn auch nicht ganz so luxuriös wie das Wohnzimmer, welches sie bereits kannte. Ein am Kleiderbügel am Schrank hängender Herrenanzug verriet ihr, dass es sich bei diesem Zimmer wohl um das Zimmer des Bodyguards handeln musste.

"Wer ist diese, oder dieser, Curaçao? Der Name ist jetzt schön öfter gefallen.", hakte Jodie nach.

Eine Hausführung in diesem Vampiranwesen zu bekommen, war erneut mehr als absurd, doch sie gedachte jede Information mitzunehmen, die sie aufschnappen konnte.

"Sie war die Assistentin der vorherigen Nummer Zwei und ist eine enge Freundin von Chris. Nachdem Chris nun Amerikas Nummer Zwei ist, fungiert Curaçao, genau so wie ich, als ihr Bodyguard.", erklärte Bourbon geduldig. "Ihr Zimmer ist gleich dort drüben. Wenn du etwas hast, solltest du allerdings lieber an meine Tür klopfen. Curaçao ist in den meisten Fällen kein besonders großer Menschenfreund."

Diese Information speicherte die Jägerin sich sogleich gut ab. Besagte Curaçao schien also mit Vorsicht zu genießen zu sein? Nicht, dass sie dies bei einer Vampirin wunderte. Diese Monster waren immerhin alle gleich. Auch Rei, der aktuell so freundlich und umgänglich tat, bildete da gewiss keine Ausnahme.

Die Tatsache, dass die Schauspielerin nicht nur einen, sondern gleich zwei Bodyguards hatte, ließ sie hingegen beinahe schmunzeln. Es war schon bitter als Daywalkerin über keinerlei besonderen Kräfte zu verfügen, sodass andere Leute ihren Schutz übernehmen mussten. Dieser Gedanke erfüllte Jodie fast schon mit so etwas wie Schadenfreude. Chris schien in so vielen Punkten absolut perfekt zu sein. Diese Schwäche in all der Perfektion geschah ihr da nur recht.

"Wenn Curaçao die Assistentin der vorherigen Nummer Zwei war, was ist dann mit besagter Nummer Zwei passiert, wenn jetzt Chris dieses Amt bekleidet?", hakte Jodie nach.

"Rum ist tot.", erklärte der Bodyguard nur und klang dabei recht kurz angebunden. Scheinbar kein gutes Thema. "Aber genug davon.", entschied er, lief weiter über den Flur und zog die nächste Tür auf. "Hier hätten wir ihr Büro. Chris ist oft unterwegs, aber wenn du sie suchst, stehen die Chancen, sie hier anzutreffen, gar nicht so schlecht."

Jodie sah sich in dem modern eingerichteten Raum um. Sie entdeckte Ordner, welche in einem Schrank mit gläsernen Türen eingeschlossen waren, einen geräumigen Schreibtisch mit Computer, einen gemütlich aussehenden Bürostuhl und einen Tisch mit Sofa im hinteren Teil des Raums.

Jodie schwieg nachdenklich und dachte über die Wortwahl ihres Begleiters nach. Wenn sie die Schauspielerin suchte, wäre es gut möglich sie hier anzutreffen? Das bedeutete dann schon fast zwangsläufig auch, dass sie sich über kurz oder lang zumindest in diesem Teil des Gebäudes frei bewegen dürfte. In diesem Vampiranwesen und das als Jägerin!

Erneut konnte sie es kaum fassen. Waren diese Vampire wirklich so naiv oder unvorsichtig? Nein, wohl kaum. Sie konnten es sich höchst wahrscheinlich leisten, zumal da auch noch das Druckmittel in Form von Andres Leben war. So einfach konnte sie es sich nicht erlauben hier Blödsinn anzustellen.

Eine weitere Tür wurde geöffnet. Jodie folgte Rei in den Raum, blieb stehen, blinzelte und stutzte merklich.

"Wo sind wir denn hier gelandet? Ein Modeladen mitten in diesem Vampiranwesen?", hakte sie irritiert nach.

"Nicht ganz.", korrigierte Rei sie amüsiert. "Der begehbare Kleiderschrank und gleichzeitig das private Ankleidezimmer. Lass es mich so sagen: sie liebt es shoppen zu gehen und sammelt Mode."

"Na das sehe ich...", stellte Jodie trocken und noch leicht fassungslos fest. Auch sie ging gerne shoppen und besaß daheim gleich zwei Kleiderschränke, doch das hier war noch einmal etwas ganz anderes. So viele Klamotten, wie hier ordentlich aufgereiht hingen, hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nicht besessen. Berühmte Personen tickten da scheinbar anders...

Jodie nickte in Richtung einer angrenzenden Tür. "Und wo geht es da hin?", wollte sie wissen.

"Ins Schlafzimmer, aber die Tür bleibt besser zu.", informierte der Bodyguard sie.

Verständlich. Einen Moment lang ruhte ihr Blick auf dem Blonden, ehe Jodie erneut das Wort ergriff.

"Verstehe. Den Raum muss ich auch nicht zwangsläufig sehen. Es reicht schon, wenn du dort ein und ausgehst, richtig?"

Fragend zog der Blonde eine Augenbraue hoch. "Wie kommst du denn darauf?", hakte er nach.

"Du hast Lippenstift auf der Innenseite deines Hemdkragens. Von der Farbe her ist das ihr Lippenstift.", erklärte die Jägerin nur nüchtern.

Rei stutzte und schmunzelte schließlich schief. "Dir entgeht auch nichts, was? Danke zumindest für die Info. Dann sollte ich mich gleich wohl lieber nochmal umziehen."

Aus der Ruhe zu bringen war ihr Gegenüber zumindest nicht. Er stritt es noch nicht einmal ab. Also war er in der Tat mehr als nur der Bodyguard der Daywalkerin? Wie die genaue Beziehung der beiden aussah, versuchte Jodie an dieser Stelle jedoch nicht zu erfragen. Vermutlich hätte sie keine Antwort auf eine so private Frage erhalten.

Sie verließen das Ankleidezimmer wieder, welches Jodie gedanklich als Boutique bezeichnete, und betraten schließlich das letzte Zimmer des Flures.

Sofort fiel der jungen Frau die riesige Spiegelfront auf, welche sich über die komplette linke Wand erstreckte. Auf einem eher unscheinbaren Tisch vor dem Fenster lagen aufgeschlagene Bücher, welche ihr bereits auf den ersten Blick nicht unbedingt nach Romanen aussahen. Viel mehr schien es sich um die Texte von Filmrollen zu handeln.

Mitten im Raum stand ein riesiger weißer Flügel, dessen Wert Jodie sich noch nicht einmal ausmalen wollte. Das Instrument war wunderschön. Höchst wahrscheinlich war es der Flügel gewesen, den sie gestern Abend gehört hatte.

"Lass mich raten, dieses Zimmer dient dazu sich auf Filmrollen vorzubereiten?"

Zustimmend nickte Bourbon. "Genau so ist es."

Nun deutete Jodie auf den Flügel. "Den habe ich gestern definitiv gehört. Wer spielt darauf?"

"Na Chris.", erklärte der Blonde ihr, als wäre dies das Offensichtlichste der Welt. "Die meisten Schauspieler beherrschen irgendein Instrument. In ihrer Freizeit spielt sie gerne darauf, um etwas abzuschalten."

Die Vampirjägerin erinnerte sich daran, wie schön die Melodie gestern geklungen hatte. Schiefe Töne hatte sie keine gehört. Jodie zog ein Gesicht.

Fragend blickte Rei sie an. "Was hast du?", wollte er wissen.

"Weißt du was eine Mary Sue ist?", erkundigte die junge Frau sich nüchtern.

Der Bodyguard stutzte, dann zuckten seine Mundwinkel belustigt, ehe er zu lachen begann.

"Ich weiß was du meinst. Jemandem, der sie nicht kennt, muss es wirklich so vorkommen, aber Chris hat auch ihre Ecken und Kanten, wenn es dich beruhigt."
 

Gemeinsam setzten sie ihren Weg über den Flur fort und näherten sich nun wieder der Treppe.

Im Haupttreppenhaus angekommen, sah Jodie, dass jede Etage über einen runden Korridor verfügte, von dem aus viele weitere Flure in verschiedene Richtungen abzweigten.

Von hier aus hatte man zudem einen guten Blick auf die Bar im Erdgeschoss, welche um diese Uhrzeit jedoch vollkommen ausgestorben wirkte.

Zumindest im ersten Augenblick. An einem Tisch unweit der Treppe entdeckte Jodie Chris, welche dort mit einer silberhaarigen Frau sprach. Die beiden schienen zumindest rein optisch im gleichen Alter zu sein und wirkten im Umgang miteinander sehr entspannt.

Rei folgte ihrem Blick und nickte schließlich in Richtung der Silberhaarigen. "Das ist übrigens Curaçao.", erklärte er ihr.

"Irgendwie habe ich sie mir anders vorgestellt.", kommentierte Jodie. Gruseliger. Aber diese Frau wirkte genau so entspannt und umgänglich wie Bourbon. Natürlich konnte das nicht sein. Nichts als Fassade, da war sie sich ganz sicher. Es gab keine umgänglichen Vampire.

Während die beiden Blonden die Treppen in Richtung Erdgeschoss hinunterschritten, erklärte Rei ihr noch, dass sie den Keller allein nicht betreten durfte und auch den Treppen, welche auf der anderen Seite der Bar hinauf zu einem einzelnen Flur führten, fernzubleiben hatte.

Seine Worte rückten jedoch merklich in den Hintergrund, als sie an der Bar eine weitere Bewegung bemerkte und ein vertrautes Gesicht entdeckte.

Erleichterung durchströmte sie, als Jodie bemerkte, dass sie die Person kannte. Rena wuselte, bewaffnet mit Mopp und Putzlappen, um die Bar. Sie sah blass aus und schien gänzlich in Gedanken zu sein, doch sie lebte und es schien ihr verhältnismäßig gut zu gehen.

Wenn sie an die Panik der Jüngeren am Vortag dachte, fiel ihr nun ein Stein vom Herzen, die Brünette lebend und in einem Stück wiederzusehen.
 

"So, da wären wir.", machte Rei auf sich aufmerksam.

Die beiden Frauen unterbrachen ihr Gespräch und wandten sich ihm zu, wobei keine von ihnen wirklich überrascht wirkte. Höchst wahrscheinlich hatten sowohl Vermouth als auch Curaçao Bourbon und Jodie bereits bemerkt, noch ehe der Blonde das Wort ergriffen hatte.

"Hast du ihr alles gezeigt?", erkundigte die Schauspielerin sich bei ihrem Bodyguard.

Dieser nickte. "Ja, natürlich. Ich denke nicht, dass sie sich so schnell hier verlaufen wird."

"Sie wird kaum unbeobachtet genug sein, um überhaupt die Gelegenheit dazu zu bekommen sich hier zu verlaufen.", ergriff erstmalig die Silberhaarige das Wort und musterte Jodie skeptisch.

Jodie, die Bourbon wohl oder übel bis zum Tisch der beiden anderen Frauen begleitet hatte und schließlich neben ihm stehen geblieben war, da sie nicht wusste wohin mit sich, tat es ihr gleich.

Das war also Curaçao. Wie Rei ihr eben noch erklärt hatte der andere Bodyguard von Amerikas Nummer Zwei. Bis eben hatte die Frau, die rein optisch nicht älter als Ende zwanzig wirkte, einen sehr entspannten, fast freundlichen Eindruck gemacht, als sie mit Chris gesprochen hatte, doch nun, wo sie sich der jungen Vampirjägerin zugewandt hatte, hatte ihre Mimik sich verändert. Schlagartig wirkte sie verschlossen und kühl, um nicht zu sagen unfreundlich.

Jodie war sich ziemlich sicher, dass es der Silberhaarigen nicht gefiel, dass sich überhaupt eine Jägerin in diesem Anwesen befand. Nun, was das betraf waren sie sogar einer Meinung. Sie selbst wäre ebenfalls froh, müsste sie jetzt nicht hier sein.

Die Skepsis über ihre Anwesenheit war der Vampirin deutlich anzusehen. Nun, wo sie vor dem Tisch der beiden Frauen stand, registrierte Jodie überrascht, dass Curaçao verschiedenfarbige Augen hatte, welche ihr etwas Außergewöhnliches verliehen.

"Die Gelegenheit Unfug anzustellen, wird sie schon nicht haben. Dafür wird die Kleine auch viel zu beschäftigt sein.", mischte Chris sich ein.

Einen Moment lang musterte die junge Frau die andere Blondine. Sie konnte sich nicht helfen, doch sie fand, dass die Ältere heute weniger gereizt wirkte als gestern noch. Ihr Ärger über den Zwischenfall gestern Abend musste abgeklungen sein. Doch Jodie traute dem Frieden nicht. Selbst Rei hatte die Schauspielerin als äußerst launisch beschrieben. Ihren wahren Charakter hatte dieses Biest ihr bereits zu genüge gezeigt.

Christ warf einen kurzen Blick auf ihre Armbanduhr. "Wir sollten langsam los.", stellte sie fest und blickte Jodie nun ganz direkt an. In ihren grünen Augen lag wieder der für sie so typische amüsierte und leicht überhebliche Ausdruck. "Richte dich schon mal auf einen harten Tag ein. Du wirst heute genug zu tun haben."

Die Jägerin zog skeptisch eine Augenbraue hoch. Weiterhin gefiel es ihr ganz und gar nicht, dass sie gezwungen war nach der Pfeife dieses verzogenen Sternchens zu tanzen, doch gleichzeitig ließen ihre Worte sie auch aufhorchen.

Jodie wusste nicht was genau sie erwarten würde, doch es schien wirklich zu stimmen, dass Chris sie heute mitnehmen würde. Würden sie dieses Gebäude heute also wirklich verlassen?

Eine einmalige Chance, von der die junge Frau leider bereits jetzt schon wusste, dass sie sie nicht nutzen dürfte. Andres Sicherheit hatte absoluten Vorrang. Eine Flucht war somit leider vollkommen ausgeschlossen.

"Könntest du dich vielleicht etwas klarer ausdrücken, Chris? Wo genau gehen wir überhaupt hin?", wollte sie nun wissen. Wenn sie schon gezwungen war den Anweisungen der Daywalkerin zu folgen, dann wollte sie wenigstens in Erfahrung bringen, was genau sie erwartete.

Während Bourbons Mundwinkel amüsiert zuckten, bohrte sich Curaçaos erst fassungsloser, dann verärgerter Blick in ihre Augen. Rena, die inzwischen den Boden unweit des Tischs putzte, hielt inne und sog erschrocken die Luft ein.

Erst jetzt erinnerte Jodie sich wieder daran, dass es nur zwei Personen gab, die die Schauspielerin allem Anschein nach mit deren Vornamen ansprechen durften, anstatt ihren Codenamen zu verwenden. Sie hoffte, den Bogen damit nicht überspannt zu haben, doch gestern schon hatte Chris nicht wirklich darauf reagiert. Sich über das Gebot, Amerikas Nummer Zwei nur mit Codenamen anzusprechen, hinwegzusetzen, fühlte sich außerdem zumindest nach einer kleinen Rebellion an.

Curaçao hatte schon den Mund geöffnet um etwas zu sagen, als die Schauspielerin ihr eine Hand auf die Schulter legte. Die Blondine wirkte gänzlich unbeeindruckt.

"...Chris...", setzte ihr silberhaariger Bodyguard zögerlich an, doch die Daywalkerin winkte nur ab.

"Wohin wir heute gehen, wirst du gleich schon herausfinden. Lass dich einfach überraschen, Kätzchen.", wandte die Schauspielerin sich an Jodie, den Einwand ihres Bodyguards ignorierend.

Also war Curaçao die zweite Person, die die Blondine mit ihrem Vornamen ansprach, realisierte die Jägerin. Doch das war nebensächlich. Jodie hatte auf Informationen bezüglich des anstehenden Ausflugs gehofft, leider nur tat Chris ihr diesen Gefallen nicht.

Sie warf der Schauspielerin einen genervten Blick zu, was diese mit einem amüsierten Schmunzeln quittierte.

"Soll ich schon mal den Wagen holen?", bot Bourbon an, doch die Blondine schüttelte den Kopf.

"Nein, nicht nötig. Ich werde heute selbst fahren.", verkündete sie. "Kümmere du dich um den Auftrag, den ich dir heute Morgen gegeben habe."

Der Bodyguard sah nicht ganz glücklich aus und zögerte einen Moment, doch dann nickte er.

"Wenn du meinst.", stimmte er schließlich zu.

"Bist du dir sicher? Ich kann dich auch fahren, wenn Bourbon heute verhindert ist.", mischte Curaçao sich ein. In ihrer Stimme schwang leichte Sorge mit.

//Sie ist beunruhigt, weil sie ihre Schwäche kennt und Angst hat, sie mit mir allein zu lassen.//, stellte Jodie in Gedanken und voller Genugtuung fest.

Doch das daraus resultierende Lächeln, welches sich wie von selbst auf ihre Lippen geschlichen hatte, erlosch schlagartig wieder, als die blonde Schauspielerin sich lässig eine verirrte Strähne zurück über die Schulter schnippte und schließlich das Wort ergriff.

"Das brauchst du nicht, Curaçao. Die Kleine hier weiß immerhin was passiert, wenn sie mich verärgert." Chris musterte die Jägerin mit spöttischem Blick. Schlagartig verfinsterte Jodies Miene sich. "Also Kätzchen, nur um sicher zu gehen, dass dein Goldfischhirn es auch wirklich richtig erfasst hat: wiederhole doch noch einmal für alle Anwesenden, was geschieht, wenn du dich mir widersetzt, oder sonstigen Unfug anstellst."

Diese...! Darauf erwartete sie doch jetzt nicht wirklich eine Antwort. Die junge Frau grollte verärgert vor sich hin und funkelte Chris an, welche jedoch gänzlich unbeeindruckt wirkte.

Die Schauspielerin zündete sich eine Zigarette an, nahm einen Zug davon und blies ihr den Zigarettenrauch geradewegs ins Gesicht. "Ich höre, Süße...?", hakte sie noch einmal nach.

Jodie war kurz davor rot zu sehen. Dieses elende Biest! Wie gerne wäre sie jetzt nach vorne gestürzt und hätte der anderen Blondine das verdammte Grinsen aus dem perfekten Gesicht...

Doch das durfte sie nicht, ermahnte sie sich in Gedanken selbst. Ruhig bleiben. Nicht nur, dass beide Bodyguards der Schauspielerin sich in unmittelbarer Nähe befanden, sie würde nur Andres Grab schaufeln, wenn sie jetzt durchdrehte.

Sie atmete einmal tief durch und versuchte ihren Ärger mühsam herunterzuschlucken. Solange die Andere sich an ihr Wort hielt, musste sie die Nerven bewahren und zur Not auch mit Erniedrigungen wie dieser hier leben.

"Du wirst meinen Kollegen leiden lassen und ihn letztlich umbringen.", spie die Vampirjägerin voller Hass. "Und du weißt genau so gut wie ich, dass ich dieses Risiko nicht eingehen werde."

"Gutes Mädchen.", verhöhnte Chris sie und deutete ein kurzes Händeklatschen an.

Weiterhin hatte Jodie arg damit zu kämpfen, ihr Temperament im Zaum zu halten.

Rei warf ihr einen beinahe mitleidigen Blick zu, während Curaçaos Miene weiterhin kühl und unergründlich wirkte.

Rena hatte sich weiter dem Tisch genähert, während sie den Boden wischte. Sie hatte das Gespräch aufmerksam und angespannt zugleich verfolgt. Schließlich setzte sie sich wieder in Bewegung und schenkte ihre Aufmerksamkeit vorerst einem besonders hartnäckigem Fleck auf den alten Holzdielen. Rostrot... hatte hier nicht gestern Abend noch der Kellner einen der Gefangenen angezapft? Jodie meinte zu wissen, das es sich bei dem Flecken, dem Rena nun den Kampf angesagt hatte, um einen Blutfleck handelte. Bei dem Gedanken daran, wie die Vampire die gefangenen Menschen behandelt hatten, wurde ihr schlecht.

Und ihr wäre es beinahe ähnlich ergangen. Das sie diesem Schicksal noch einmal entgangen war, glich einem Wunder, doch war Jodie sich unsicher, ob das Los, welches sie gezogen hatte, wirklich so viel besser war.

Während sie sich erneut fragte, wie ihre Zukunft nun aussehen würde, bemerkte sie, wie ihre japanische Kollegin beim Putzen langsam rückwärts ging, ohne auf ihre Umgebung zu achten.

Anders als Rena, sah Jodie das Unglück schon kommen, stand der Putzeimer inzwischen doch fast genau hinter der Brünetten.

Die Jägerin wandte sich ihr zu und setzte zu einem 'Vorsicht!' an, während die Mundwinkel der Daywalkerin, die die Szene ebenfalls beobachtete, amüsiert zuckten.

Noch bevor Jodie die Warnung hatte aussprechen können, war es jedoch bereits zu spät: Rena stolperte über den Eimer hinter sich. Die Blondine kniff die Augen zusammen und erwartete bereits die Bruchlandung ihrer Kameradin, doch wurde sie überrascht. Schnell wie der Blitz hatte Curaçao sich von ihrem Sitzplatz erhoben und stand im nächsten Sekundenbruchteil bereits hinter der Brünetten. Rasch griff sie nach ihr und verhinderte den Sturz somit.

"Alles gut bei dir?", erkundigte Curaçao sich.

Rena hing im ersten Moment noch ein wenig durch den Wind in ihrem Griff und musste scheinbar erst einmal realisieren, was überhaupt passiert war.

Schließlich musterte sie die Vampirin aus ihren taubenblauen Augen und nickte leicht.

"J-ja...", begann sie stockend. "Es ist nichts passiert. Danke, Curaçao."

Die Silberhaarige nickte ihr zu und lächelte sie an. Als sie sich sicher war, dass Kir wieder sicher auf ihren eigenen Füßen stand, ließ sie sie los.

Der Japanerin schien ihr Missgeschick mehr als nur peinlich zu sein. Jodie konnte beobachten, wie das zuvor eher blasse Gesicht der Anderen schlagartig an Farbe gewann.

Derweil erhob Chris sich von ihrem Sitzplatz, streckte sich kurz und schmunzelte amüsiert.

"Pass auf, dass dieses ungeschickte Mädchen sich nicht am Ende noch das Genick bricht, Curaçao.", kam es belustigt von ihr. "Ich wüsste nicht, wie ich Gin das erklären sollte.", fügte sie scherzend hinzu, ehe sie Jodie zu sich winkte und sich in Bewegung setzte.

"Also dann, wir müssen los. Rei, Curaçao, wir haben den heutigen Tag bereits durchgesprochen, Kätzchen, du kommst mit mir mit."

Während ihre Bodyguards der Schauspielerin noch zunickten, musste Jodie sich zurück ins Hier und Jetzt blinzeln und sich letztlich beeilen, der anderen Blondine zu folgen.

"Gib mir nicht ständig diese seltsamen Spitznamen. Ich heiße Jodie.", erinnerte sie die Ältere noch einmal.

"Kätzchen, sage ich doch.", stellte Chris nur belustigt fest, rauchte in aller Seelenruhe ihre Zigarette und nahm Kurs auf einen Flur, von dem aus eine Treppe nach unten führte.

Jodie grummelte vor sich hin und warf noch einmal einen Blick zurück über die Schulter in Richtung Bar und der Eingangshalle.

Für einen kurzen Moment begegnete sie Reis Blick. Der Blonde sah nicht wirklich glücklich aus, Chris und sie allein ziehen zu lassen, doch letztlich wandte er sich ab und verschwand aus ihrem Blickfeld.

Rena und Curaçao standen noch neben dem Tisch und sprachen miteinander.

Die Vampirjägerin runzelte nachdenklich die Stirn. Rena hatte gestern noch so eine Panik vor dem japanischen Vampirfürsten und diesem Vodka gehabt, doch obwohl sie ein Mitglied Sternenstaubs war, wirkte sie in Curaçaos Gegenwart ganz entspannt, beinahe glücklich.

Und Curaçao? Die Silberhaarige hatte die eigentliche Jägerin gerade im Bruchteil einer Sekunde vor einer Bruchlandung bewahrt und hatte die unterkühlte Mimik, mit der sie Jodie zuvor gemustert hatte, in Renas Gegenwart gegen ein warmes Lächeln ausgetauscht...

Die Blondine beschloss, ihre japanische Kollegin darauf anzusprechen, wenn sich die Gelegenheit dazu ergeben sollte. Nun jedoch folgte sie erst einmal Chris.
 

Der Weg führte die beiden Frauen eine Treppe hinunter, ehe die Schauspielerin eine schwere Eisentür aufschloss und schließlich aufzog. Wenige Schritte später, fanden sie sich in einer großen Tiefgarage wieder.

Jodie ließ den Blick über die hier parkenden Fahrzeuge schweifen. Von Gins Porsche fehlte jede Spur, dafür entdeckte sie jedoch Bourbons weißen Mazda.

Noch ungefähr zwanzig andere Fahrzeuge parkten hier. Neben zwei unscheinbaren Lieferwagen, handelte es sich dabei ausschließlich um Limousinen namhafter Hersteller, teure Sportwagen und drei Oldtimer.

Die Vampire dieses verdammten Clans legten ganz eindeutig Wert auf eine entsprechende Außenwirkung, so viel stand fest. Kurz musste sie an ihren eigenen, silbernen Peugeot denken, der ihr zwar äußerst treue Dienste leistete, im Vergleich mit diesen Autos jedoch beinahe armselig wirkte.

Beinahe wäre sie gegen die blonde Schauspielerin gelaufen, als diese plötzlich stehen blieb und den Blick unschlüssig zwischen einem schwarzen Cabrio mit weißen Sportstreifen darauf und einem gelben Ferrari F8 Spider hin und her schweifen ließ. Schließlich trat sie auf den Ferrari zu und entriegelte diesen mit einem kurzen Druck auf den Schlüssel.

"Steig ein. Die Beifahrerseite.", wies Chris sie an.

Jodie verdrehte die Augen. "Natürlich, es hätte mich auch stark gewundert, wenn du mich hättest fahren lassen, Prinzesschen."

Anstatt verärgert zu reagieren, funkelten die grünen Augen der Schauspielerin lediglich amüsiert, ehe sie die Tür öffnete und hinter dem Steuer Platz nahm.

Jodie ließ noch einmal den Blick über das teure Auto schweifen, dann folgte sie dem Beispiel ihrer Begleiterin und nahm auf dem Beifahrersitz Platz, auch wenn es ein seltsames Gefühl blieb, im Wagen der Daywalkerin zu sitzen und zu tun was sie sagte, anstatt sie zu bekämpfen, wie es eine Jägerin wie sie eigentlich hätte tun sollen.

Während Chris ihre Zigarette in den Aschenbecher des Wagens verfrachtete, musterte Jodie den Innenraum des Ferraris. Ein wirklich schönes Fahrzeug, doch fand sie, dass es für die Großstadt denkbar ungeeignet war. Hier ging es der Schauspielerin wohl einmal mehr nur darum gesehen zu werden und der Außenwelt zu zeigen, wie viel Geld sie eigentlich hatte.

Wo Jodie so darüber nachdachte, ertappte sie sich einmal mehr dabei, dass sie genervt war. Nicht eifersüchtig auf das Bankkonto dieses Sternchens, sondern viel mehr genervt über die ganze Oberflächlichkeit. Sie kannte die andere Blondine nicht wirklich, dennoch sah für sie alles ganz danach aus, als wäre sie es gewohnt, ihr ganzes Leben lang bereits alles auf dem Silbertablett serviert bekommen zu haben.

"Warum hast du Rena eben die Bar putzen lassen? Hast du keine eigenen Leute dafür?", ergriff Jodie das Wort, als sie noch einmal über die letzten Minuten nachdachte.

Chris hatte gerade den Motor starten wollen, hielt nun jedoch noch einmal inne und blickte ihre Beifahrerin fragend und amüsiert zugleich an. "Ich weiß, dass du mir das jetzt gerne in die Schuhe schieben würdest, um mich noch mehr zu verteufeln, aber da muss ich dich leider enttäuschen. Niemand hat ihr diesen Auftrag gegeben, sie hat sich den Wischmopp von ganz allein geschnappt."

Ungläubig blickte Jodie die andere Blondine an. Die Tatsache, dass ihre Kameradin freiwillig damit begonnen hatte eine Vampirbar zu putzen, schien ihr absurd.

"Warum sollte sie so etwas tun?", hakte sie daher sogleich nach.

Chris betrachtete sie einen Moment lang schweigend, ehe ihr Schmunzeln breiter wurde. "Hast du mich das gerade wirklich gefragt? Selbst ein Blinder könnte das Offensichtliche unmöglich übersehen."

Nun war es an Jodie die Worte der Schauspielerin kurz auf sich wirken zu lassen. Warum sollte Rena freiwillig die Bar putzen, wo Vampire doch so etwas wie die Erzfeinde der Jäger waren?

Halt, Moment, ruhig wie es gerade in der Bar gewesen war, war es ein Leichtes Gespräche aufzuschnappen. Und was Amerikas Nummer Zwei mit ihrem Bodyguard zu besprechen hatte, war mit Sicherheit nicht uninteressant. Sich beim Putzen im gleichen Raum aufzuhalten, oder aber sogar wie zufällig näher an den Tisch heranzurücken, war eigentlich gar keine schlechte Strategie um an Informationen zu kommen.

Das war die Lösung, die die Jägerin nur all zu gerne glauben würde, doch ihr Bauchgefühl sagte ihr da noch etwas ganz anderes. Wenn die Brünette gewusst hatte, das Chris gleich aufbrechen würde, war diese Aktion vielleicht nur ein Vorwand gewesen, um allein mit Curaçao im Raum zu verbleiben und etwas Zeit mir ihr verbringen zu können.

Aber hatte Bourbon nicht gesagt, dass die Silberhaarige kein besonders großer Menschenfreund und eher mit Vorsicht zu genießen war? Und für Rena sollte die Vampirin nicht mehr als ein weiterer Feind sein. Dennoch hatten die beiden einen gänzlich anderen Eindruck gemacht, als Curaçao eben noch das Missgeschick der eigentlichen Jägerin verhindert hatte.

Aber interpretierte sie da nicht am Ende noch zu viel hinein? Immerhin war Rena ein Mitglied Sternenstaubs und Vampire und Vampirjäger hassten sich.

Sie schüttelte den Kopf. Nein, sobald sie die Gelegenheit bekam, würde sie die Brünette ganz sicher darauf ansprechen.

Chris hatte sie schmunzelnd beobachtet. "Das Kätzchen nutzt sein Hirn? Wie löblich.", höhnte sie.

Schließlich wollte sie den Schlüssel herumdrehen, um den Motor des Ferraris zu starten, doch erneut hielt Jodie sie davon ab, indem sie ihre Hand kurz auf die der Daywalkerin legte und ihr damit bedeutete innezuhalten.

Was für ein seltsames Gefühl. Diese Frau war der Teufel in Person, da fühlte sich eine Geste wie diese gänzlich falsch an, doch bevor sie - wohin auch immer - aufbrachen, wollte sie unbedingt noch etwas klären.

"Warte.", begann Jodie und fing sich einen fragenden Blick von Chris, klang die Stimme der Jüngeren diesmal nicht abweisend, sondern viel mehr zögerlich. "Bevor wir losfahren, muss ich noch eine Sache wissen."

Die Schauspielerin legte den Kopf leicht schief. "Und die wäre? Wenn du wissen willst, wohin wir fahren, wirst du dich gedulden müssen. Ich habe dir gerade erst noch gesagt, dass du es früh genug sehen wirst."

Jodie schüttelte den Kopf. "Darum geht es nicht. Es geht um meinen Kollegen." Sie suchte Blickkontakt und achtete auf jede Reaktion in den grünen Augen. Ein verräterisches Funkeln, welches ihr verriet, dass die Daywalkerin die ganze Zeit schon ein falsches Spiel mit ihr spielte.

"Du nutzt Andre als Druckmittel, um auch ohne die Kräfte, auf die andere Vampire zurückgreifen können, zu verhindern, dass ich dir eigenhändig den Hals umdrehe. Wenn du mich fragst, ist das absolut feige und widerlich. Aber darum geht es nicht. Ich will wissen, ob dein Wort überhaupt irgendetwas wert ist. Beweis mir, dass es meinem Kameraden gut geht.", forderte sie.

"Du bist weiterhin ganz schön forsch dafür, dass du hier eindeutig am kürzeren Hebel sitzt.", begann Vermouth unbeeindruckt. "Aber deine kratzbürstige Art amüsiert mich, Kleine."

"Nenn mich nicht ständig Kleine. Ich bin mir nicht sicher, wer von uns größer ist, wenn du einmal nicht diese mörderischen High Heels trägst.", knurrte Jodie angesäuert. Die Art dieser Frau strapazierte ihr Nervenkostüm fast bis zum Zerreißen.

Chris ging auf die Beschwerde nicht ein, sondern kam lieber auf das eigentliche Thema zurück.

"Du möchtest also einen Beweis von mir, dass es deinem Kollegen gut geht, ja?", wiederholte sie.

Abwartend und aufmerksam zugleich blickte Jodie sie an.

Die Schauspielerin zog ihr Handy aus ihrer Handtasche, tippte kurz darauf herum und reichte es schließlich an Jodie weiter. Etwas überrumpelt nahm die Jägerin das Smartphone entgegen und blickte auf das Display.

"Eigentlich bin ich dir gegenüber zu gar nichts verpflichtet, aber sieh es als kleinen Ansporn, dich gut zu benehmen und ein braves, kleines Helferlein zu sein."

Normalerweise wäre Jodie über diese Wortwahl gestolpert und hätte erneut nachgehakt, was für eine Aufgabe Chris nun eigentlich genau für sie vorgesehen hatte, doch gerade blickte sie nur wie gebannt auf das Display des Smartphones.

Das Gerät schien mit einer Überwachungskamera verknüpft zu sein, welche einen Raum filmte, der wie ein Wohnzimmer eingerichtet war. Aufgrund der abgedunkelten Fenster, konnte sie nicht darauf schließen, wo genau dieser Raum sich wohl befand, doch was viel wichtiger war: die Aufnahme zeigte ihren Kollegen, der auf einem Schlafsofa saß.

Andre wirkte zerknirscht und gänzlich in Gedanken versunken, was Jodie nur all zu gut verstehen konnte. Doch obwohl er noch ziemlich zerrupft wirkte, hatte sein Zustand sich nicht verschlechtert. Im Gegenteil: irgendjemand musste sich um seine Verletzungen gekümmert haben, was die Verbände und Pflaster verrieten.

Chris, die neben ihr saß, deutete mit einem kurzen Fingerzeig auf eine Wanduhr, die nicht nur die aktuelle Uhrzeit, sondern auch das heutige Datum anzeigte. Rasch glich Jodie die Uhrzeit mit der Uhrzeit, welche die Armbanduhr der Schauspielerin anzeigte ab und stellte fest, dass die Aufnahme auf dem Handy live war.

Ihr fiel ein Stein vom Herzen. Andre lebte also noch und es ging ihm verhältnismäßig gut, auch wenn er irgendwo eingesperrt war und sein Leben davon abhing, wie gut oder auch schlecht sie sich benahm.

"Wie du siehst, habe ich dich nicht angelogen. Was weiter mit ihm geschieht, hängt ganz allein von deinem Benehmen ab, Kätzchen.", ergriff Chris noch einmal das Wort, nahm Jodie schließlich das Handy ab, tippte erneut kurz darauf herum und ließ es schließlich zurück in ihre Handtasche gleiten.

"Andre lebt...", stellte die Jägerin noch einmal an sich selbst gewandt fest und atmete ein klein wenig auf. "Wo genau haltet ihr ihn fest?"

Chris bedachte sie mit einem amüsierten Blick und hob gespielt tadelnd den Zeigefinger.

"Na jetzt übertreibst du es aber, meinst du nicht auch? Ich fürchte das ist ein Geheimnis, das ich dir nicht verraten werde, kleine Jägerin."

Schließlich startete die Schauspielerin den Wagen und fuhr los, hielt jedoch kurz vor dem geschlossenen Tor noch einmal an und reichte Jodie eine Art Schlafmaske.

"Zieh die hier an und nimm sie erst wieder ab, wenn ich es dir erlaube. Du wirst den Sitz ein Stück weit zurückstellen und so tun, als würdest du die Fahrt dazu nutzen, ein wenig zu dösen. Wir wollen ja nicht, dass du dir den Weg am Ende noch merkst."

"Natürlich, was auch sonst...", murrte Jodie vor sich hin, stellte den Sitz zurück und folgte der Anweisung, ihre Augen zu bedecken, widerstrebend.

Das hier wäre die Chance gewesen, herauszufinden wo genau sich dieses Vampiranwesen eigentlich befand, aber natürlich hatte Chris mitgedacht.

Unauffällig versuchte die junge Frau unter der Schlafmaske hindurchzuspähen, doch das Material war zu dicht und der Schnitt der Maske unterschied sich geringfügig von anderen Schlafmasken, sodass ihr die Sicht vollständig genommen war, solange sie sie trug.

Was für ein beunruhigendes Gefühl praktisch blind neben der Vampirin zu sitzen.

Jodie fühlte sich mehr als unwohl. Andererseits... sie zwang sich dazu logisch zu denken. Chris war damit beschäftigt den Wagen zu lenken. Sie würde ihr nun wohl kaum etwas tun. Zumal, wäre der anderen Blondine daran gelegen sie loszuwerden, sie hätte sie schon längst töten (lassen) können.

Höchst wahrscheinlich wollte sie sie wirklich nur von A nach B transportieren. Bloß, was sie am Ankunftsort erwarten würde, darauf konnte Jodie sich noch keinen Reim machen.

Sie schwieg und lauschte stattdessen angestrengt, in der Hoffnung, dass irgendein Geräusch von draußen ihr verriet, wo genau sie sich hier befanden. Leider vergebens.

Erneut musste sie an Andre denken und daran, dass es ihm verhältnismäßig gut ging, auch wenn er irgendwo gefangen gehalten wurde.

Also hatte die Daywalkerin bislang wirklich ihr Wort gehalten. Aber sollte sie ihr deshalb dankbar sein, oder ihr auch nur das kleinste Fünkchen Menschlichkeit zurechnen? Wohl kaum!

Dankbar wäre sie ihr gewesen, hätte sie ihren Kollegen und sie selbst unbehelligt ziehen lassen.

Aber die Blondine hielt ihren Kameraden aus reiner Berechnung gefangen. Um etwas gegen sie in der Hand zu haben und sie nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen.

Chris war es vielleicht nicht gewesen, die es in Auftrag gegeben hatte sie überhaupt erst zu fangen, aber sie hatte sich dazu entschlossen, ein ganz besonders mieses Spiel mit ihr zu spielen. Sie hatte sie verhöhnt, sie bis heute morgen angekettet, sie zwei Mal gebissen und nun erpresste sie sie und zwang sie, für sich zu arbeiten. Dieses elende Biest mit dem perfekten Gesicht!

Ja, die Schauspielerin spielte ganz eindeutig ein Spiel mit ihr, dessen Sinn und Zweck Jodie noch nicht durchschaut hatte. Was hatte die Daywalkerin bloß mit ihr vor?

Wollte sie sich einfach nur noch ein Weilchen über sie lustig machen, bevor sie doch beschloss sie zu töten? Oder wollte sie sie am Ende dauerhaft wie ein Dienstmädchen für sich arbeiten lassen? Oder bezweckte Chris doch etwas gänzlich anderes mit dieser miesen Aktion, was sich ihr nur noch nicht wirklich erschloss?

Während der Fahrt durch die Stadt, hing Jodie ihren Gedanken nach und stellte sich einmal mehr die Frage, was nun mit ihr geschehen würde.

Die Fahrt endete in der Garage eines riesigen Gebäudes mit moderner Fassade. Ein Filmstudio, wenn die junge Frau sich nicht ganz täuschte.

Nach etwa zwanzig Minuten Fahrt hatte sie die Maske abnehmen dürfen und hatte festgestellt, dass sie sich mitten in New York befanden. Leider hatte sie keine Hinweise auf den Standort des Vampiranwesens sammeln können, dennoch war ihr eindeutig wohler gewesen, als sie die Erlaubnis erhalten hatte die Schlafmaske wieder hochzuschieben und somit nicht mehr vollkommen blind neben der Daywalkerin im Auto saß.

Nun jedoch, wo ihre Begleiterin den gelben Ferrari zielsicher in einer Parktasche in der Tiefgarage geparkt hatte und den Motor abschaltete, stutzte Jodie merklich.

"Wo genau sind wir hier? Ist das ein Filmstudio?", wollte sie ungläubig an Chris gewandt wissen.

Diese nickte. "Genau so ist es. Ich muss arbeiten."

Die Jüngere fühlte sich wie im falschen Film. Erst war sie von diesen Vampiren entführt worden und nun hatte die andere Blondine sie mit zur Arbeit genommen?! Sie glaubte sich verhört zu haben.

"Bitte was?!" Irritiert blinzelte sie die Daywalkerin neben sich an. "Du musst arbeiten und hast mich mitgenommen? Ich meine... mit in die Zivilisation?" Das letzte Wort betonte sie noch einmal extra, denn sie konnte es nicht fassen. Sie war erst gestern entführt worden und jetzt das?

War ihre Begleiterin wirklich so unvorsichtig? Immerhin hätte sie hier die Chance Hilfe zu finden, wenn sie sie nicht beaufsichtigte. Oder hatte dieses Biest einige Spitzel innerhalb des Filmteams, die ein Auge auf sie haben würden? Aber da Daywalker so selten waren, müsste es sich bei besagten Personen um Menschen handeln. Jodie wusste nicht, ob ihre Mutmaßungen zutreffend waren, doch Chris Entscheidung, sie mit zur Arbeit zu nehmen, irritierte sie.

Unbeeindruckt blickte die Schauspielerin sie an und schmunzelte auf ihre typische, überhebliche Art. Mit einem Finger tippte sie der Jägerin gegen die Stirn, was diese mit bösem Blick zurückweichen ließ.

"Hast du es denn schon wieder vergessen? Dabei haben wir das Thema vorhin in der Bar doch extra noch einmal angerissen. Wenn du etwas Dummes tust, wird dein Kollege darunter zu leiden haben. Von daher wirst du schon nichts tun, was zu deiner Flucht beiträgt, richtig?" Chris sprach mit ihr, als würde sie mit einer geistig Zurückgebliebenen reden. Ihre Stimme klang beinahe mitleidig. Jodie spürte, wie augenblicklich wieder die Wut in ihr aufstieg, doch sie zwang sich sich zu beherrschen.

Währenddessen fuhr die Daywalkerin unbeirrt fort: "Aber auch wenn du davon ausgehen kannst, dass ich meine Augen und Ohren in diesem Gebäude sowieso überall habe, wenn du verstehst was ich meine, werde ich nicht unvorsichtig sein. Das Kätzchen ist immerhin ein Mitglied von Mondnebel, wenn auch nicht der hellste Stern."

"Mach dich nicht über mich lustig!", fauchte Jodie verärgert und fragte sich gleichzeitig, was Chris damit meinte, dass sie in diesem Gebäude alles mitbekommen würde. Spielte sie auf ihr feines Gehör an? Oder wollte sie damit in der Tat andeuten, dass es auch hier Personen gab, die für sie arbeiteten und die sie im Auge behalten würden? Bluffte sie, oder meinte sie es ernst? Leider war die Schauspielerin absolut unberechenbar, wie Jodie sich erneut zerknirscht eingestehen musste.

Währenddessen kramte die Daywalkerin in ihrer Tasche, zog kurze Zeit später eine Schatulle daraus hervor und öffnete sie. Im Inneren der Schachtel befand sich ein Halsreif, der sie stark an das Schmuckstück erinnerte, welches Chris selbst trug. Nur ein wenig schmaler und vielleicht nicht ganz so prunkvoll.

"Leg das hier an, bevor wir aussteigen.", befahl die Schauspielerin ihr.

Verwundert folgte die junge Frau ihrer Aufforderung. "Das ist ein ähnlicher Halsreif, wie du ihn selbst auch trägst.", stellte sie fest.

"Nein, ist er nicht!" Jodie schrak reflexartig zurück, als die Vampirin sie plötzlich unverhofft anblaffte und mehr als verärgert wirkte.

Die Jägerin blinzelte. Rei hatte zwar bereits erwähnt, dass Chris launisch war, doch das gerade war wirklich plötzlich. Was für eine Laus war der anderen Blondine denn bitte über die Leber gelaufen?

Für einen Moment noch stand der Anderen Wut und Ärger ins Gesicht geschrieben, dann normalisierten sich ihre Züge langsam wieder.

Murrend holte Chris ein Päckchen Zigaretten aus dem Handschuhfach und zündete eine davon an. Langsam wich auch das letzte Missfallen aus ihrem Blick.

Dennoch hatte Jodie der Vorfall unvorbereitet getroffen und ein wenig verstört. Sie hatte doch gerade noch nicht einmal etwas gesagt, womit sie dieser Frau versehentlich auf den Schlips getreten sein könnte, warum also diese plötzliche Stimmungsschwankung?

"In dem Halsreif, den ich dir gegeben habe, befindet sich ein kleiner Störsender. Kein Problem für die Kameras im Raum, allerdings wird es dir nicht möglich sein, ein Handy zu benutzen, oder zu telefonieren. Ich muss nicht extra erwähnen, dass du den Schmuck den Tag über nicht ablegen wirst."

Die Schauspielerin öffnete die Fahrertür und stieg aus dem Wagen. Zögernd tat Jodie es ihr gleich.

Zwar hatte sie bereits ihre Zweifel gehabt, ob sie es in diesem Gebäude wirklich wagen könnte, etwas zu tun, was zu ihrer Rettung beitrug, doch nun, mit diesem Störsender um den Hals, war auch der kleinste Gedanke an Rebellion im Keim erstickt. Frustrierend. Und doch war diese Vorsichtsmaßnahme höchst wahrscheinlich überflüssig, da sie sowieso nichts tun würde, solange sie Andres Aufenthaltsort nicht kannte. Sie durfte nicht riskieren, dass ihr Kollege wegen ihr verletzt, oder gar getötet wurde.

Mit verschränkten Armen blieb Jodie vor dem Wagen stehen und blickte die Daywalkerin abwartend und skeptisch zugleich an. Sie traute diesem Biest nicht und war ganz und gar nicht glücklich darüber, aktuell allein mit ihr in dieser Tiefgarage zu sein.

"Was genau hast du jetzt eigentlich vor? Ich meine, du hast mich mit zur Arbeit genommen, aber was willst du den anderen sagen, wer ich bin? Und was soll ich den Tag über tun?", hakte Jodie lieber jetzt nach, wo noch kein Mitglied der Filmcrew bei ihnen war.

"Du wirst dich als meine Assistentin ausgeben. Ein Fan, dem ich netterweise ein Praktikum ermögliche.", erklärte Chris ihr und schnippte ein wenig Asche zu Boden. "Du darfst folglich den Laufburschen für mich spielen.", fuhr sie fort und ging auf die Jägerin zu.

Diese starrte sie ungläubig an. "Ist das dein Ernst, Chris? Dafür hast du mich verschleppt?!"

"Sssht, nicht so laut.", ermahnte die Schauspielerin sie gespielt tadelnd. "Im Übrigen habe nicht ich dich verschleppt, sondern Gin und seine Leute. Das sollte dir eigentlich klar sein. Ich habe lediglich beschlossen dich zu behalten, Süße."

Dieses elende Biest! Wie konnte sie so etwas nur so ruhig sagen?!

Beinahe wäre Jodie zurückgewichen, als Chris in Richtung ihres Gesichts griff und schließlich die Mundwinkel der Jüngeren mit zwei Fingern zu einem Lächeln hochschob. Nur gerade so konnte sie sich beherrschen stehen zu bleiben. Sie wollte der Daywalkerin ihr Unwohlsein so wenig wie möglich zeigen und funkelte sie daher verärgert an.

"Wasch scholl dasch?!", maulte sie.

"Ach Süße, muss man dir denn alles erklären? Die Hellste bist du wirklich nicht, oder? Ich frage mich, ob alle Mitglieder Mondnebels so begriffsstutzig sind wie du. Ist das Einstellungsvoraussetzung bei euch?", verhöhnte Chris sie, ließ sie aber wieder los.

"Lass Mondnebel-", begann Jodie verärgert, doch die Schauspielerin unterbrach sie.

"Wenn wir gleich zu den Anderen gehen, will ich, dass du selbst auch ein wenig schauspielerst. Aktuell wirkst du so, als würdest du mich am liebsten umbringen." Sie lachte leise. "Weißt du, ich kann dich ja verstehen, aber wenn du dich vor den anderen so kratzbürstig gibst, wird dir niemand glauben, dass du ein Fan bist und den Job freiwillig angetreten hast. Also wirst du gleich überzeugend gute Laune heucheln und meine eifrige, kleine Assistentin spielen, verstanden?"

Nach wie vor verstimmt, blickte Jodie ihre Begleiterin an, doch diese ignorierte sie und drückte ihr stattdessen ihre Tasche in die Hand.

"Trag das.", befahl sie. "Und jetzt lächeln, Sonnenschein. Bei der Autogrammstunde ist dir das doch auch gelungen.", höhnte sie weiter.

"Als wenn du deine Handtasche nicht selbst tragen könntest...!", beschwerte Jodie sich, folgte Chris aber, als diese sich in Bewegung setzte.
 

Der Weg der beiden Frauen führte sie hinaus aus der Tiefgarage, durch einen Treppenflur und schließlich geradewegs in die Lobby des Gebäudes.

Durch die Glasfront wurde der Raum in helles Tageslicht getaucht. Obwohl die Temperaturen inzwischen eisig waren, schien heute die Sonne, was die Lobby hell und freundlich aussehen ließ.

Nachdenklich betrachtete Jodie die Schauspielerin neben sich. Andere Vampire wären spätestens jetzt zu Asche zerfallen, doch dieses Biest natürlich nicht. Der Daywalkerin machte Sonnenlicht rein gar nichts aus.

Kaum, dass sie die Lobby betreten hatten, wurden sie bereits von einigen Mitarbeitern begrüßt.

Chris plauderte locker mit ihnen und stellte Jodie schließlich als ihre Assistentin vor.

Zwar musste die Blondine sich beherrschen, doch sie schaffte es tatsächlich gute Miene zum bösen Spiel zu machen, zu lächeln und so zu tun, als würde sie sich über diese einmalige Chance freuen.

Vermutlich gab es genügend Fans, die in der Tat vollkommen aus dem Häuschen gewesen wären, Chris bei ihrer Arbeit begleiten zu dürfen. Amerikas Nummer Zwei war immerhin eine erfolgreiche, international bekannte Schauspielerin und auf dem roten Teppich sozusagen Zuhause.

Bloß das keiner ihrer Fans auch nur ansatzweise ahnte, wer diese Frau wirklich war...

Nachdem der Mitarbeiter am Empfang Jodie ein Band mit einem Pass daran ausgehändigt hatte, mit dem sie sich im Gebäude bewegen durfte, führte Chris sie in Richtung der Aufzüge.

Sie fuhren bis in die dritte Etage, stiegen aus und fanden sich auf einem langen Flur wieder.

"Na komm, gehen wir." Mit einem kurzen Nicken deutete Chris den Flur entlang. Jodie fragte sich, welcher Raum wohl ihr Ziel sein würde.

Als sie sich einem Kaffeeautomaten auf dem Gang näherten, fielen der eigentlichen Vampirjägerin zwei Personen auf, welche sich allem Anschein nach gerade ein Getränk holen wollten. Als sie die beiden Blondinen jedoch bemerkten, hielten sie inne.

"Chris!", rief eine der beiden Frauen aus. Jodie kannte das Gesicht der Anderen. Auch bei ihr handelte es sich um eine Schauspielerin, die bereits einige Filmrollen ergattert hatte.

Bevor die Daywalkerin noch reagieren konnte, rannte ihre Kollegin auch schon auf sie zu und fiel ihr zur Begrüßung um den Hals, wobei sie sie beinahe von den Füßen gerissen hätte.

Lediglich Jodies schnellen Reflexen, als sie Chris bei den Schultern packte und festhielt, war es zu verdanken, dass niemand den Boden küsste.

"Hey! Vorsicht, Naomi, du reißt mich ja noch um.", begrüßte Chris ihr Gegenüber und klang dabei mehr amüsiert als verärgert.

"Ist nochmal gutgegangen.", lachte die Frau mit den zimtfarbenen Haaren und der sonnengebräunten Haut munter und umarmte die Blondine zur Begrüßung. "Du bist übrigens ziemlich spät dran.", fügte Naomi gut gelaunt hinzu.

"Ich weiß, wir wurden aufgehalten.", erklärte Chris mit einem Lächeln auf den Lippen.

Nachdem Naomi sie wieder losgelassen hatte, hatte auch die andere Schauspielerin die Gruppe erreicht. Yukiko Kudo, wie Jodie feststellte.

Auch die Brünette, von der sie wusste, dass sie mit Chris gut befreundet war, umarmte die Blondine zur Begrüßung. "Schön dich zu sehen.", sagte sie und wandte sich schließlich an Jodie. "Nanu? Wen hast du uns denn da mitgebracht, Chris? Ich meine, ich habe ihr Gesicht schon mal irgendwo gesehen."

"Jodie Starling. Sehr erfreut.", stellte die Blondine sich selbst vor. Sie fragte sich, ob die beiden Schauspielerinnen dort auch nur ansatzweise ahnten, was ihre angebliche Freundin eigentlich war.

Sie wusste nicht, ob sie am Ende vielleicht sogar im selben Boot mit der Daywalkerin saßen, oder ob sie einfach nur unwissende Kolleginnen der Schauspielerin waren, denen gegenüber sie sich ganz entspannt geben konnte.

"Es kann gut sein, dass du dich noch an sie erinnerst, Yukiko. Weißt du noch bei der Autogrammstunde neulich? Sie ist mir heimlich auf den Balkon gefolgt, als ich rauchen war und hat mir so lange damit in den Ohren gelegen, bis ich mich dazu bereit erklärt habe, sie in einer Art Praktikum eine Zeit lang als meine Assistentin mitzunehmen."

"Hey, träume ich etwa? Was ist denn mit dir los, Chris?", scherzte Naomi und stieß die Blondine leicht mit dem Ellbogen an.

"Da hat sie allerdings recht.", ergriff Yukiko überrascht das Wort, ehe sie sich mit freundlichem Gesichtsausdruck Jodie zuwandte und erklärte: "Normalerweise macht sie das nicht. Eigentlich würde eher die Hölle zufrieren, als das Chris einem Fan ein Praktikum ermöglichen würde."

Die Blondine rang sich ein schiefes Schmunzeln ab. "Tja, da hatte ich wohl ziemliches Glück, was?" Wenn du wüsstest, was hier eigentlich gespielt wird... fügte sie in Gedanken hinzu.
 

Wenig später hatte Jodie auch den Rest des Filmteams kennengelernt. Wie sich herausstellte, würden die heutigen Dreharbeiten in dem Gebäude stattfinden, in welchem sie sich bereits befanden, da es hier einige Zimmer gab, die als die Wohnzimmer der Serie hergerichtet worden waren.

Weiterhin fühlte die eigentliche Jägerin sich wie im falschen Film. Sie kam sich in der Tat vor, als würde sie ein Praktikum absolvieren, welches so gar nicht zu ihrem eigentlichen Beruf passen wollte. Sie durfte dabei zusehen, wie die Schauspieler und Schauspielerinnen in der Maske für ihren Auftritt zurechtgemacht wurden und kam dabei mit einigen der Anwesenden ins Gespräch.

Mit einem Mitarbeiter des Filmteams holte sie Getränke für die Schauspieler aus einer Teeküche und fühlte sich dabei erneut wie eine Praktikantin.

Wie absurd. Viele Fans wären wirklich glücklich darüber, ihre Stars bei der Arbeit beobachten zu können und mit verschiedenen berühmten Schauspielern ins Gespräch zu kommen. Jodie hingegen fragte sich, wer der hier Anwesenden einfach nur ein normaler Zivilist war und wer mit der Vampirin im selben Boot saß.

Auf den ersten Blick wirkten alle hier so normal. Sowohl das Filmteam, als auch die Schauspieler, kamen gut miteinander aus und waren eigentlich ein ganz lustiger Haufen. Unter anderen Umständen hätte ihr der Einblick in den Alltag dieser Leute vielleicht sogar gefallen, doch die Entführung und die im Raum stehende Drohung waren in ihren Gedanken praktisch allgegenwärtig.

Sie durfte sich keinen Fehler erlauben. Auf keinen Fall durfte auffallen, was hier wirklich gespielt wurde. Sie musste die Maske der begeisterten Assistentin tragen, wenn sie verhindern wollte, dass ihr Kollege zu Schaden kam. Während des Tages am Set fragte Jodie sich mehr als einmal, was nun wohl aus Andre und ihr werden würde. Das Wissen, das einzig und allein die Vampire ihr Schicksal in der Hand hatten, war grässlich.

Doch so sehr ihre Gedanken sich auch um dieses Thema drehten, sie konnte nicht leugnen, dass die Einblicke am Filmset eine absurde aber interessante Abwechslung waren.

Und noch etwas ließ sich nicht leugnen. Nach all dem, was Chris ihr bereits angetan hatte und wie die Daywalkerin sich gab, hasste sie sie eigentlich. Trotzdem war es eine faszinierende Erfahrung die andere Blondine schauspielern zu sehen. Sie hatte die Ältere bereits früher in Filmen gesehen und wusste daher, dass sie gut war, doch hier live am Set verstand Jodie erst wirklich, wie gut Chris in ihrem Beruf war.

Die Schauspielkünste der Anderen waren beeindruckend. Sie hatte das Gefühl, als würde die Daywalkerin in ihre Rolle schlüpfen, wie in einen gut passenden Mantel. Chris war ganz in ihrem Element. Aber nicht nur das, ihre Arroganz war für den Moment wie weggefegt. Während Chris vor der Kamera stand, wirkte sie ganz anders, ganz natürlich. Es war nicht zu übersehen, dass sie großen Spaß an der Schauspielerei hatte und mit Herz und Seele dabei war.

Auch mit den anderen Schauspielern, sowie mit den Mitarbeitern des Filmteams, ging die Daywalkerin gänzlich anders um, als mit den Vampiren im Anwesen. Sie wirkte ganz entspannt und gut gelaunt, scherzte in den Drehpausen mit ihren Kolleginnen und wirkte auf Jodie, als hätte man sie heimlich ausgetauscht.

Da war keine Spur mehr von dem arroganten Biest, das sie eigentlich war. Nur eine Schauspielerin mit Herzblut, die zwar durchaus etwas schwierig war und ihren eigenen Kopf hatte, aber gleichzeitig auch mit allen Anwesenden wunderbar auskam und ein geschätzter und beliebter Teil des Teams war.

Hätte Jodie nicht gewusst, wie Chris eigentlich war, sie hätte sie kaum wiedererkannt.

Spontan fragte sie sich, ob sie gerade nur eine Rolle spielte, oder ob die Schauspielerin, wie sie sich aktuell gab, wirklich Teil ihres Charakters war.
 

Die Stunden zogen ins Land. Für Jodie blieb die Zeit am Set irritierend, aber dennoch war es auch eine willkommene Abwechslung zu dem Alltag als Gefangene der Vampire.

Schließlich war es an der Zeit für eine Mittagspause. Eine Cateringfirma versorgte die Schauspieler tagtäglich gut mit den unterschiedlichsten Gerichten. Das Buffet, welches ihnen geboten wurde, war abwechslungsreich und wirklich gut, wie Yukiko ihr erklärte.

"Du weißt ja, ich baue tagsüber auf die Shakes, die mein Ernährungsberater mir empfiehlt. Ich gehe rasch in die Tiefgarage.", wandte Chris sich an die Brünette, welche daraufhin ein schiefes Schmunzeln aufsetzte.

"Als wenn du das nötig hättest. Das Essen der Cateringfirma ist wirklich gut. Du solltest es unbedingt mal probieren.", wandte Yukiko ein.

"Du weißt doch, da bin ich strikt. Mit den Shakes, die man für mich zusammengestellt hat, geht es mir gut und sie machen eine schöne Haut.", winkte die Blondine nur ab.

Schließlich verabschiedete sie sich kurz von ihren Kolleginnen und lief den Flur entlang in Richtung Aufzug.

Jodie blieb einen Moment lang stehen und sah zwischen der Daywalkerin und den Anderen hin und her. Und jetzt? Chris hatte ihr nicht gesagt, was sie nun von ihr erwartete. Sollte sie hier bei den Anderen bleiben, oder erwartete sie, dass sie ihr folgte? Sie wusste, dass nur ein falscher Schritt ihrerseits ausreichen könnte um Andres Leben zu gefährden.

"Hey, warte!", entschied sie sich schließlich für die sicherere Lösung und folgte der Schauspielerin eilig. Rasch gesellte sie sich zu ihr in den Aufzug, welcher im nächsten Moment bereits in Richtung Tiefgarage fuhr.

Erst im Aufzug wurde der jungen Frau klar, was sie hier erwarten würde. Die anderen Schauspieler aßen nun in Ruhe zu Mittag. Auch die Daywalkerin dürfte Hunger haben, nur das sie sich nicht an gewöhnlichen Speisen bediente. Chris hatte ihr gestern erst noch gesagt, dass sie von nun an ihre private Blutbank zu spielen hätte. Bei dem Gedanken daran, legte sich eine Gänsehaut auf Jodies Arme. Bei der Erinnerung an die beiden schmerzhaften Bisse, von denen man heute kaum noch etwas sah, stieg das Grauen in ihr auf.

Schweigend folgte sie der Älteren zu deren Auto. In ihr sträubte sich alles. Sie wollte jetzt nicht hier sein. Jeder Ort wäre gut, nur ganz gewiss nicht hier!

Chris holte eine Tasche aus dem Kofferraum und nahm schließlich im Wagen Platz.

Jodie blieb einen Moment lang vor dem Ferrari stehen und zögerte. Die Schauspielerin erwartete vermutlich von ihr, dass sie nun auch ins Auto stieg. Sicherlich waren hier in der Tiefgarage Überwachungskameras und es wäre ungünstig, wenn diese aufzeichneten, wie die Andere sie biss.

Aber die andere Blondine hatte ihr keinen ausdrücklichen Befehl gegeben. Sie hatte ihr noch nicht einmal gesagt, dass sie ihr folgen sollte.

Aber vermutlich erwartete Chris genau das. Das hier war mit Sicherheit nichts weiter, als eine Falle. Ein Test, ob Jodie ihre Aufgabe kannte. Nichts als ein grausames Spiel und wenn sie dieses verzogene Sternchen verärgerte, hätte Chris einen Grund Andre zu schaden.

Heftig schüttelte die eigentliche Jägerin den Kopf. Nein, diesen Grund würde sie ihr mit Sicherheit nicht liefern. Auch wenn es ihr vor einem weiteren Biss graute, welche Wahl hatte sie bitte?

Um die Daywalkerin nicht unnötig zu verärgern, gab sie sich einen Ruck und stieg schließlich auf der Beifahrerseite ein.

Ihr schlug das Herz bis zum Hals. Was für eine gemeine Aktion, dass die andere Blondine erwartete, dass sie ihr ihr Blut ohne Aufforderung anbot. Diese...

Sie blickte zu der Schauspielerin und stellte fest, dass diese an einem Gefäß herumschraubte und sie ignorierte. Das tat sie doch mit Absicht, um sie nur noch zusätzlich zu verhöhnen!

Erneut hatte Jodie das starke Bedürfnis ihr Gegenüber anzuschreien und die Ältere zu schütteln, doch wenn sie das tat, würde sie damit Andres Grab schaufeln.

Es kostete sie alles an Überwindung, sich letztlich zu Chris zu lehnen, wobei sie sich mit einer Hand auf dem linken Bein der Älteren abstützte.

"Jetzt verarsch mich nicht auch noch, sondern beiß endlich zu.", murrte sie mit äußert überschaubarer Begeisterung. Das auch noch auszusprechen fühlte sich an, als würde sie sich an ihrer eigenen Zunge verschlucken. Diese Frau wusste, wie sie sich über sie lustig machte. Verdammt!

Zu ihrer Überraschung blinzelte Chris sie jedoch nur fragend an und schob sie letztlich an den Schultern zurück auf den Beifahrersitz.

"Würdest du mir wohl nicht halb auf den Schoß klettern?", ergriff die Schauspielerin das Wort. "Ich habe keinen Bedarf dich zu beißen."

Ungläubig blickte Jodie ihre Begleiterin an und nahm ganz automatisch die Thermosflasche entgegen, die Chris ihr reichte. "Aber wenn du dich schon nützlich machen willst, versuch den Deckel aufzukriegen."

Einige Augenblicke lang brauchte Jodie, um zu realisieren, was hier eigentlich gespielt wurde. Chris hatte nicht darum gebeten sie zu begleiten, weil sie von Anfang an nicht vorgehabt hatte, sie zu beißen. Sie hatte ihre Verpflegung dabei.

Auch wenn es sich seltsam anfühlte, eine mit Blut gefüllte Thermosflasche in den Händen zu halten, dieses Gefühl rückte in den Hintergrund, da Jodie gerade vor allen Dingen das Bedürfnis hatte, im Erdboden zu versinken.

Sie war der Schauspielerin hinterhergedackelt, hatte sie aufgefordert sie zu beißen und hatte sich damit sicherlich gänzlich zum Affen gemacht!

"Also, was ist jetzt?" Abwartend blickte Chris sie an, riss Jodie aus ihren Gedanken und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Thermosflasche.

Mit einem seltsamen Gefühl im Bauch, kämpfte die junge Frau mit dem Deckel der Flasche, welcher wirklich etwas fest zugedreht worden war, doch letztlich schaffte sie es, die Thermosflasche zu öffnen. "Hier, bitte, Prinzesschen. Sind die eigenen Muskeln zu schwach?", zog Jodie die Schauspielerin auf, um zu überspielen, wie unangenehm ihr das Missverständnis war.

Chris nahm ihr das Gefäß wieder ab und trank einen Schluck. Der Geruch von Blut stieg der Jägerin in die Nase.

"Curaçao hat es mit dem Deckel übertrieben.", murrte Chris lediglich missfallend, ehe sie Jodie einen Blick zuwarf. "Du solltest die Chance nutzen und dich gleich noch oben am Buffet bedienen. Ob nun eine Person mehr oder weniger unangemeldet mitisst, macht bei den Mengen, die die Cateringfirma uns liefert, nun auch keinen Unterschied."

Erst jetzt, wo Chris sie daran erinnerte und Jodie ans Essen dachte, bemerkte sie, was für einen Hunger sie eigentlich hatte. Seit gestern Nachmittag hatte sie immerhin nichts mehr gegessen.

Unglücklicherweise machte ihr Magen sich mit einem Knurren bemerkbar, als wollte er unterstreichen, wie hungrig sie war.

Die junge Frau räusperte sich peinlich berührt, während die Schauspielerin amüsiert schmunzelte.

"Als Vampir brauchst du keine normale Nahrung. Aber was passiert, wenn du doch etwas isst?", wollte sie von Chris wissen, um die unangenehme Situation zu überspielen. Außerdem interessierte sie die Antwort wirklich. Zeitgleich stellte Jodie fest, dass sie es war, die aktiv ein Gesprächsthema anschnitt. Ein merkwürdiges Gefühl.

"Ich kann durchaus etwas essen, ohne das ein Mensch bemerkt was ich eigentlich bin.", erklärte die andere Blondine ihr. "Aber der Körper eines Vampirs kann mit normalen Lebensmitteln nichts anfangen. Sie liegen einem wie ein Stein im Magen und bleiben dort. Wenn es unvermeidbar ist, kann ich zur Tarnung etwas essen, aber ich weiß, dass ich mich später übergeben muss, um die Nahrung wieder loszuwerden." Sie zog ein Gesicht. "Und das ist etwas, was Menschen und Vampire gleichermaßen nicht schätzen."

"Zumindest dieses eine Mal hast du wohl Recht.", antwortete Jodie ihr und begann ihre Brille zu putzen, während die Vampirin aus der Thermosflasche trank. Die Augen der anderen Blondine hatten dabei ganz automatisch ein helles Stahlblau angenommen.

Jodie versuchte diese Tatsache bestmöglich zu ignorieren, genau so wie das Wissen, dass sich in der Flasche Menschenblut befand. Es gefiel ihr ganz und gar nicht, doch sie wusste, dass ihr derzeit die Hände gebunden waren und sie nichts anderes tun konnte als die Misere, in der sie sich befand, auszusitzen.
 

Der Tag am Set verlief ohne weitere, nennenswerte Zwischenfälle. Auf dem Rückweg musste die junge Frau nach kurzer Zeit erneut die Schlafmaske aufsetzen, um nicht mitzubekommen, wo genau in der Stadt das Vampiranwesen lag.

Zurück im Anwesen, stellte Jodie fest, dass die Bar noch wie ausgestorben wirkte. Kein Wunder, immerhin wurde es erst langsam dunkel. Die Vampire, die nicht hier wohnhaft waren, würden erst zu etwas späterer Stunde hier aufschlagen.

Chris brachte sie erneut in das Wohnzimmer, in welchem sie auch die letzte Nacht verbracht hatte.

Die Schauspielerin selbst verschwand nach dem Arbeitstag kurz im Bad um zu duschen, dann verabschiedete sie sich vorerst von ihrer Gefangenen, die sie kurzerhand im Wohnzimmer einschloss.

Die Jägerin fragte sich, was die Vampirin nun wohl den Rest des Abends tun würde, doch fast schon tippte sie darauf, dass sie sich ein Weilchen hinlegte, da sie unglaublich müde aussah.

Kein Wunder. Chris hatte tagsüber einen menschlichen Alltag und ging arbeiten, während sie sich in der Nacht mit den anderen Vampiren abgab und allem Anschein nach den geregelten Ablauf in diesem Haus organisierte. Viel Zeit sich auszuruhen blieb da nicht. Fast schon hätte Jodie ein wenig Mitleid mit der Schauspielerin gehabt, doch diesen Gedanken schob sie entschieden wieder bei Seite, als sie sich ohne viel Mühe daran erinnerte, was für ein Monster diese Frau doch war.

Nach etwa zweieinhalb Stunden wurde die Tür zum Wohnzimmer wieder aufgeschlossen.

Jodie, die den Fernseher eingeschaltet hatte und ihren Gedanken nachgehangen war, sah auf. Sie hatte nicht erwartet, ihr Gefängnis heute noch einmal verlassen zu dürfen, oder Besuch zu bekommen, doch es sah ganz danach aus, als hätte man sie nicht vergessen. Was genau sie von dieser Tatsache halten sollte, konnte sie nicht genau sagen.

Sie begleitete Chris nach unten in die Bar, da die Vampirin wollte, dass sie den Alltag in diesem Haus ein wenig genauer kennenlernte. Inzwischen war es hier deutlich belebter, auch wenn sie noch keinen Gefangenen entdecken konnte, welcher heute in den Gläsern dieser Biester landen würden. Allein bei dem Gedanken daran wurde Jodie ganz übel.
 

Chris hatte sich zu Rei und Curaçao an die Ecke des Tresens gesetzt und unterhielt sich mit ihren beiden Bodyguards, während Jodie selbst erst etwas unsicher im Raum stehen blieb und sich schließlich zwei Barhocker entfernt des Trios hinsetzte, da sie nicht wie bestellt und nicht abgeholt herumstehen wollte. Sich zu einer Gruppe der anwesenden Vampire zu gesellen, kam für sie nicht in Frage. Es reichte ihr schon, dass Amerikas Nummer Zwei sie zu ihrem persönlichen Dienstmädchen degradiert hatte, mit den anderen hier anwesenden Monstern wollte sie da erst gar keine Kontakte knüpfen.

Wenn doch nur Mondnebel endlich in Aktion treten würde um sie zu befreien. Das etwas nicht stimmte, hatten die Anderen inzwischen sicherlich mitbekommen. Shu, James und die Anderen... Jodie wünschte sich nichts mehr, als dass ihre Teamkameraden sie endlich hier rausholten, gleichzeitig stieg jedoch auch ein ungutes Gefühl in ihr auf. Was, wenn man sie tatsächlich fand und befreite? Wenn ihr Team nicht vorher auch noch Andre fand und befreite, würde die Sache für Camel ganz sicher nicht gut ausgehen.

Aus ihren Gedanken gerissen wurde sie, als von einem Flur, der für die Gäste des Hauses reserviert war, plötzlich einige Gestalten die Bar betraten. Interessiert und angespannt zugleich beobachtete Jodie die Neuankömmlinge. Das waren Gin und seine Leute.

Chianti, Korn und Vodka nahmen an einem der Tische Platz, während Kir sich etwas im Hintergrund hielt, schließlich Jodie an der Bar entdeckte und sich zögerlich zu ihr gesellte.

Die Blondine realisierte, wie die Stimmung in der Bar sich schlagartig geändert hatte. Waren die hier anwesenden Vampire bis eben noch gänzlich entspannt gewesen, so schien plötzlich jeder die Luft anzuhalten. Eine unausgesprochene Anspannung lag in der Luft. Viele der Barbesucher warfen den Neuankömmlingen skeptische, wenig freundliche Blicke zu, als würde es sich bei den Japanern um wenig willkommene Fremdkörper handeln.

Jodie blinzelte, riss sich aus ihrer Starre und wandte sich stattdessen der Brünetten zu.

"Rena. Schön dich zu sehen.", begrüßte sie ihre Kameradin.

Angesprochene nickte ihr höflich zu und blickte sie freundlich an. "Es ist auch schön dich zu sehen. Hast du deinen ersten Tag hier gut überstanden?"

"... Ja, ich denke schon. Der Tag war ziemlich verwirrend, wenn du mich fragst."

Fragend zog Rena eine Augenbraue hoch, doch das Gespräch der beiden Frauen wurde vorerst unterbrochen, da sie beide gleichzeitig ihre Aufmerksamkeit der anderen Seite der Bar zuwandten.

Gin hatte sich nicht zu seinen Leuten gesetzt, sondern hatte sich der Daywalkerin genähert und nahm schließlich auf dem Barhocker neben ihr Platz.

"Wann gedenkt dein Boss sich endlich zu zeigen, Vermouth? Es ist äußerst unhöflich einen anderen Clananführer nicht zu begrüßen."

"Der Boss wird dich dann im Empfang nehmen, wenn er es für richtig hält. Nicht früher und nicht später. Noch hat er keine Zeit für dich und deine Leute.", antwortete die Blondine ihrem Gegenüber ohne lange um den heißen Brei herumzureden, oder nach einer Entschuldigung zu suchen. Voller Selbstsicherheit fügte sie hinzu:" Ich bin die Stellvertreterin des Bosses, die zweiteinflussreichste Person der amerikanischen Vampirgesellschaft. Vorerst bin ich deine Ansprechpartnerin."

Der Silberhaarige und die Schauspielerin tauschten einen langen Blick aus, in dem wenig Freundliches lag. Viel mehr glich der Blickkontakt einem Kräftemessen und gegenseitigen Abschätzen.

Schließlich legte sich auf Gins Lippen ein höhnisches Grinsen. "Die zweitmächtigste Person in diesem Land. Eine Vampirin, die kräftemäßig auf einem Niveau mit gewöhnlichen Menschen ist. Ihr Amerikaner seid ein wahrlich amüsantes Volk." Er schob den Zeigefinger seiner linken Hand unter dem Halsreif der Blondine hindurch und zog sie an dem Schmuckstück ein Stückchen in seine Richtung. Fast wie ein Halsband, kam es Jodie spontan in den Sinn.

Unwillkürlich hielt sie die Luft an. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, wie Rena, blass und angespannt, ebenfalls nicht in der Lage war den Blick abzuwenden.

"Du tust besser daran, die letzten beiden Monate in dieser Position zu genießen. Wir wissen beide, dass die Zeiten sich für dich schon sehr bald ändern werden."

Jodie konnte beobachten, wie Bourbons und Curaçaos Augen schlagartig einen hellen, stahlblauen Ton annahmen. Die beiden Bodyguards wirkten verärgert und angespannt zugleich.

//Sie werden Japans Clanoberhaupt gleich die Kehle zerfetzen//, realisierte die Jägerin.

Doch noch ehe die Situation weiter eskalieren konnte, griff Chris selbst nach Gins Handgelenk und schob seine Hand ruhig aber bestimmt wieder auf Abstand.

Ohne den Griff zu lösen, blickte sie ihn auf ihre typische überhebliche Art an, wirkte dabei jedoch ruhig und beherrscht. "Du urteilst zu früh, Gin. Es ist noch gänzlich unklar, was in zwei Monaten passieren wird. Vielleicht seid auch ihr Japaner es, die mit eingezogenen Schwänzen den Rückzug antretet." Die Blondine fuhr sich mit der Zunge über die Lippen , wobei Jodie kurz einen der perlweißen Vampirfänge aufblitzen sah. Ein klein wenig erinnerte Chris sie in diesem Moment an eine lauernde Katze. "Für den Moment...", fuhr sie fort und brach kurz ab, um eine Zigarette aus der Schachtel zu kramen und sie anzuzünden, "...solltest du jedoch nicht vergessen, wen du vor dir hast. Solange der Boss keine Notwendigkeit darin sieht, dich in Empfang zu nehmen, bin ich Amerikas ranghöchstes Mitglied hier. Du solltest dich folglich nicht im Tonfall und in deinem Handeln vergreifen. Oder willst du die politische Beziehung unserer Länder wirklich so leichtfertig aufs Spiel setzen?"

Chris ließ sein Handgelenk los. Erneut starrten Gin und sie sich abschätzend und beinahe spöttisch an.

"Zwei Monate sind für einen Vampir nicht mehr als ein Wimpernschlag. Wie könnte ich dir diese kurze Zeit der Macht da nicht gönnen.", höhnte der japanische Vampirfürst.

"Wie überaus reizend von dir.", spottete Chris wenig beeindruckt.

"Also, welche Pläne haben deine Leute und du für den heutigen Abend?", hakte sie schließlich nach.

An Gins Stelle antwortete diesmal Chianti, die sich von ihrem Platz am nahegelegenen Tisch in Richtung Bar gedreht hatte. "Na das ist doch klar. Wir werden ein wenig die Stadt unsicher machen, was denn auch sonst?"

"Aber übertreibt es nicht wieder so maßlos. Niemand braucht nach euren nächtlichen Streifzügen B-Klasse Vampire, die New York unsicher machen.", mischte sich nun Rei ein.

Jodie hatte das Gespräch so gespannt verfolgt, dass sie fast schon erschrak, als Chris sich plötzlich Rena und ihr zuwandte und die beiden missfallend anfunkelte. "Wer hat euch beiden eigentlich erlaubt, euch mit uns an der Bar aufzuhalten und zu lauschen?", hakte sie wenig freundlich nach und machte eine verscheuchende Handbewegung. "Na los, verschwindet und setzt euch an einen der freien Tische dort hinten in der Halle."

Während Jodie bereits nachhaken wollte, ob es nicht auch freundlicher ging, murmelte Rena ein rasches 'Verzeihung'. Schon war die Brünette von ihrem Platz aufgestanden, griff nach Jodies Arm und zog ihre Kameradin mit sich.
 

Wenig später saßen die beiden Frauen an einem Tisch ganz in der Ecke der Bar. Von hier aus konnten sie den Tresen zwar problemlos im Blick behalten, bekamen das Gespräch jedoch nicht mehr mit.

Jodie bemerkte, wie einige der an den umliegenden Tischen sitzenden Vampire ihnen seltsame Blicke zuwerfen.

"Das sind die beiden Schoßhündchen der Anführer. Denk nicht mal dran ihnen ein Haar zu krümmen.", maßregelte ein Mann, der aussah wie ein Büroangestellter, seinen Sitznachbarn gerade.

Schlagartig legte sich eine Gänsehaut auf die Arme der Blondine. In dieser verfluchten Bar wimmelte es nur so vor Vampiren. Allesamt grässliche Monster, für die Rena und sie nicht viel mehr waren als leckere Snacks. Sie taten ihnen nur nichts, weil sie unter Gins und Vermouths Schutz standen, realisierte sie. Ein beängstigender Gedanke.

Rena sah weniger verstört aus als sie selbst. Die Brünette lebte nun schon unfreiwillig über ein halbes Jahr in der japanischen Vampirgesellschaft. Für sie mussten Sätze und Blicke wie aktuell schon fast Alltag sein. Nicht, das es das unbedingt besser machte.

Jodie schüttelte den Kopf, versuchte noch einmal etwas von dem Gespräch an der Bar aufzuschnappen, musste jedoch einsehen, dass dies keinen Sinn machte. Sie konnte lediglich sehen, dass Chris sich mit Gin unterhielt, während ihre Bodyguards, sowie Gins Leute, alles aufmerksam im Blick behielten.

Die Situation war angespannt und dennoch eskalierte sie nicht. Die beiden ranghohen Vampire waren sich nicht gerade sympathisch, dennoch gaben sie sich miteinander ab.

Schließlich wandte Jodie sich Rena zu. "Sag mal, weißt du, was hier eigentlich gespielt wird?", wollte sie wissen. "Dieses Gespräch eben an der Bar und die ganzen Andeutungen, das ist doch nicht normal."

Zwar konnte die Blondine nicht von sich behaupten, die Vampirgesellschaft besonders gut zu kennen, dennoch war ihr klar, dass hier etwas nicht stimmte.

"Normal ist an der aktuellen Situation ganz sicher nichts, da stimme ich dir zu." Rena musterte sie aus ihren taubenblauen, ruhigen Augen. "Ich weiß was hier los ist, aber ich bin mir nicht sicher, ob es dich und mich nicht in Teufelsküche bringen wird, wenn ich es dir erkläre." Man konnte ihr förmlich ansehen, dass sie Jodie einerseits gerne eingeweiht hätte, andererseits jedoch Angst vor möglichen Konsequenzen hatte. Voller Unwohlsein rutschte Sternenstaubs Vampirjägerin unbewusst auf ihrem Platz hin und her. "Vielleicht solltest du ganz einfach Vermouth um eine Erklärung bitten. So ersparen wir uns beide Ärger."

Einerseits gefiel es Jodie nicht, dass Rena es aus Angst vorzog zu schweigen, obwohl sie mehr wusste, andererseits konnte sie die Jüngere verstehen. Chris war launisch, doch im Gegensatz zu Gin wirkte sie ihr wie das deutlich geringere Übel. Allein schon das noch nicht ganz verblasste Veilchen im Gesicht der Brünetten verriet, dass der japanische Vampirfürst weder besonders freundlich, noch besonders zimperlich mit ihr umging. Das Rena es da vorzog, nicht auch noch sein Missfallen zu erwecken, war durchaus verständlich.

Jodie seufzte und beschloss, das Thema erst einmal gut sein zu lassen.

"Na schön, ich werde Chris selbst mal darauf ansprechen.", entschied sie.

"...Du sprichst sie wirklich mit Vornamen an?", hakte Rena ein wenig ungläubig nach.

Die Blondine nickte. "Sie scheint sich nicht daran zu stören. Da werde ich sie sicher nicht mit diesem seltsamen, alkoholischen Codenamen ansprechen."

"Das es ihr scheinbar egal ist, wundert mich wirklich.", meinte die Brünette, ehe sie das Thema wechselte. "Vermouth hat dich heute mitgenommen, oder? Wo wart ihr?", wollte sie wissen.

Es war Rena deutlich anzusehen, dass sie auf ein wenig Alltag und ein unverfänglicheres Thema hoffte.

Somit begann Jodie ihr also von ihrem Tag zu erzählen. Der Tag am Filmset war durchaus eine Abwechslung gewesen, auch wenn sie nicht verstand, was genau die Daywalkerin eigentlich damit bezweckt hatte, sie mitzuschleifen. Viel mehr, als ein paar Sachen von A nach B getragen, hatte Jodie immerhin nicht, um sich nützlich zu machen. Ob Chris für den Anfang vielleicht einfach nur wollte, dass sie einen Überblick über den Alltag gewann, der sie hier erwartete?

Nachdem sie Rena von ihrem Tag erzählt hatte, berichtete diese ihr noch, wie ihr heutiger Tag ausgesehen hatte. Sie hatte am Morgen tatsächlich etwas Freizeit gehabt, ehe die japanischen Vampire ihr aufgetragen hatten für einige Erledigungen in die Stadt zu fahren. Die Blutsauger profitierten ganz eindeutig davon, dass die Brünette als Mensch kein Problem damit hatte, bei Tageslicht das Haus zu verlassen.

Gleichzeitig realisierte Jodie auch, dass Rena wissen musste, wo genau dieses Anwesen lag. Ihre Gruppe musste Vertrauen genug in die eigentliche Jägerin haben, um sie vollkommen unbeaufsichtigt loszuschicken, um einige Aufträge zu erledigen.

Ziemlich gewagt, wenn man bedachte, dass Rena eigentlich ein Mitglied Sternenstaubs war.

Andererseits war da auch diese unübersehbare Angst der Jüngeren, die bereits erahnen ließ, dass sie nichts unternehmen würde, um aus ihrem Gefängnis auszubrechen, selbst wenn sie die Chance dazu hätte. Jodie fragte sich, welches Druckmittel die Vampire gegen ihre Kameradin in der Hand hielten, oder was genau sie ihr angetan hatten, um diesen Zustand zu erreichen.

Sie beschloss nicht nachzuhaken. Bereits gestern hatte sie bemerkt, wie die Kleinere rasch den Blick abgewandt hatte, als sie bemerkt hatte, dass sie das Veilchen in ihrem Gesicht gemustert hatte. Nein, Rena würde ihr höchst wahrscheinlich keine Antwort geben.

Doch etwas anderes gab es durchaus noch, worüber Jodie mit ihr reden wollte. Zwar kannten sie sich kaum, dennoch war die andere Jägerin ihr praktisch auf Anhieb sympathisch gewesen. Ihre ruhige, liebe Art machte es schwer Rena nicht zu mögen.

Trotzdem, etwas gab es, dass Jodie einfach nicht in den Kopf wollte. Chris Andeutung vorhin hatte es nicht unbedingt besser gemacht.

"Sag mal, mal etwas ganz anderes...", begann sie also und überlegte, wie sie das Thema nun am besten anschneiden sollte. Rena blickte sie fragend aber freundlich an.

"Chris sagt, dass sie dich heute Morgen nicht dazu verdonnert hat die Bar zu putzen. Du hast das alibihalber gemacht, um im Anschluss etwas Zeit mit Curaçao verbringen zu können, oder? Ich meine, ein Blinder sieht, dass du sie magst." Jodie beschloss besser kein Blatt vor den Mund zu nehmen. "Aber sie ist ein Vampir. Ein Monster! Wie alle anderen dieser elenden Biester auch!"

Rena sah im ersten Moment recht ertappt aus, dann huschte ihr Blick verlegen zur Seite und ihre Wangen gewannen sichtbar an Farbe. "Ich kann es nicht leugnen, was?", ergriff sie schließlich das Wort und dachte kurz darüber nach, wie sie es Jodie erklären sollte. "Natürlich, ich bin eine Jägerin wie du auch und in 98% der Fälle teile ich deine Ansichten, aber Curaçao... ist anders."

Unbewusst hatte Rena eine Papierservierte aus dem Serviettenständer auf dem Tisch gegriffen und begann damit diese zu falten.

"Wie kann eine Vampirin bitte anders als der Rest sein?", hakte Jodie wenig überzeugt nach. "Sie macht dir höchstens etwas vor."

"Nein, so ist das nicht!", widersprach Kir ihr diesmal ungewohnt bestimmt. "Gin ist mit seiner Gruppe und mir erst vor etwa drei Wochen nach Amerika gereist. Erst da sind wir uns überhaupt begegnet."

Fragend und skeptisch zugleich blickte Jodie sie an und forderte sie stumm auf weiterzusprechen.

"Curaçao war von Tag 1 hier in Amerika so freundlich zu mir, wie es im ganzen letzten halben Jahr niemand mehr war. Sie nimmt ihre Aufgabe als Bodyguard zwar sehr ernst, aber sie ist nicht so ein blutrünstiges Monster, wie viele anderen hier. Im Gegenteil, sie ist ausgeglichen und fürsorglich und sie hat mir von ihrer Vision für die Zukunft dieses Landes erzählt..."

Jodie traute ihren Ohren kaum. Eigentlich hielt sie ihre japanische Kameradin für vernünftig, nicht jedoch im Bezug auf die Silberhaarige. Diese Vampirin musste sie mit schönen Worten eingelullt haben, anders konnte sie es sich nicht erklären. Erst heute Morgen noch, hatte Curaçao nicht unbedingt mit Freundlichkeit geglänzt.
 

Noch ehe sie weiter nachhaken konnte, wurde die Aufmerksamkeit der beiden Frauen auf etwas anderes gelenkt. Gin und seine Leute hatten sich von ihren Plätzen erhoben und näherten sich der Tür. Scheinbar wollten sie aufbrechen, immerhin war es inzwischen mitten in der Nacht.

Auch wenn die Brünette sich unwohl fühlte, versuchte sie dies zu überspielen und möglichst locker und selbstbewusst zu klingen. "Gin!", rief Rena nach dem Silberhaarigen, welcher daraufhin inne hielt und sich in ihre Richtung wandte. "Willst du, das ich mitkomme?"

Doch das japanische Vampiroberhaupt winkte nur ab. "Nein, nicht nötig. Du bleibst heute hier. Ich werde dich morgen früh losschicken."

Angesprochene nickte. "Ist gut." Als Gin und seine Leute durch die Tür in die Nacht verschwanden, konnte Jodie förmlich dabei zusehen, wie Rena aufatmete und sich entspannte.

Derweil liefen Chris und Rei durch die inzwischen gut besuchte Bar, wobei die Blondine mit einer Mappe und einem Stift bewaffnet war. Bei einer Gruppe blieben die beiden kurz stehen und besprachen etwas, dann schlugen sie den Weg in Richtung Keller ein.

Curaçao war ebenfalls von ihrem Platz an der Bar aufgestanden, folgte den beiden Blonden jedoch nicht, sondern nahm Kurs auf den Tisch, an dem die beiden Jägerinnen saßen.

Die Frau mit den verschiedenfarbigen Augen sah verärgert aus. "Gin und seine Leute sind so unhöflich. Kaum zu glauben, was er sich unserer Anführerin gegenüber erlaubt."

"Wenn zwei Vampirfamilien aufeinandertreffen, sind Konflikte vorprogrammiert, nicht wahr?", begrüßte Rena sie mit deutlich ruhigerer Stimme.

Einen Moment lang ruhte der Blick der Silberhaarigen auf ihr. "Das ist wohl wahr.", seufzte sie schließlich.

Curaçao stellte eine Flasche Cola vor Sternenstaubs Jägerin auf dem Tisch ab. "Hier, die restliche Getränkekarte ist eher nicht nach deinem Geschmack." Sie warf ihr ein fast schon entschuldigendes Lächeln zu, wobei Jodie auffiel, dass die Silberhaarige in Renas Gegenwart in der Tat viel sanfter und freundlicher wirkte.

"Das ist lieb." Rena nickte ihr zu, während Curaçao neben ihr am Tisch Platz nahm. "Aber sag mal, hast du nicht ein Glas für Jodie vergessen?"

Kurzzeitig kühlte die Mimik der Vampirin ab. "Du kannst dich selbst versorgen, Mensch.", murrte sie an die Blondine gewandt.

Rena stieß sie daraufhin mit dem Ellbogen an und warf Curaçao einen tadelnden Blick zu. "Sei nicht so unhöflich! Sie hat dir nichts getan. Das Jodie nicht gerade glücklich mit ihrer aktuellen Situation ist, kann man ihr wohl kaum verübeln, oder?"

Die Silberhaarige blinzelte, dachte kurz über die Rüge nach und musterte Jodie schließlich aus nicht mehr ganz so kühlen Augen. "Vermutlich hast du recht, Rena. Trotzdem, mein Vertrauen genießt du nicht." Der letzte Satz galt der Blondine. "Deine Augen sagen mir, dass du eine Rebellin und ein Sturkopf bist, wie keine Andere. Ich verstehe nicht, wie Chris sich einen Störenfried wie dich freiwillig ins Haus holen konnte. Es hätte andere Lösungen gegeben."

Jodie fühlte sich wie im falschen Film. Eine gefangene Jägerin, die eine Vampirin tadelte, welche sich dies klaglos gefallen ließ? Dann erst stolperte sie über die Wortwahl der Silberhaarigen.

"Eine andere Lösung?"

Doch Curaçao blieb ihr eine Antwort schuldig. "Ihr zwei solltet jetzt vielleicht lieber wegsehen. Sie bringen die Menschen für den heutigen Abend her."

Zwei Wochen vergingen. Einerseits hatte Jodie das Gefühl, in einem nicht enden wollenden Alptraum gefangen zu sein, andererseits verwirrte ihre aktuelle Situation sie inzwischen mehr, als dass sie sie verängstigte.

Die Blondine verstand nicht, was hier eigentlich gespielt wurde. Es wollte ihr wirklich nicht in den Kopf. Ursprünglich hatte die Daywalkerin sie behalten, um sie als ihre private Blutbank zu missbrauchen. Doch nach den beiden Bissen am ersten Tag, hatte Chris nie wieder Interesse an ihrem Blut gezeigt. Ein oder zwei Missverständnisse hatte es noch gegeben, doch jedes Mal hatte die Schauspielerin sie lediglich weggeschoben. Aber was war dann der Zweck ihrer Entführung, wenn es scheinbar nichts mit ihrer seltenen Blutgruppe zu tun hatte?

War es, weil die andere Blondine Mondnebels Jägerin verhöhnen wollte, indem sie sie zu ihrem Dienstmädchen degradierte? Aber auch diesen Job hatte Jodie sich deutlich stressiger vorgestellt.

In der Tat schickte Chris sie herum, aber nicht einmal annähernd so oft, wie sie es befürchtet hatte.

Es lief eher darauf hinaus, dass sie der Schauspielerin die Tasche oder die Einkäufe hinterhertragen musste, oder aber dass sie hin und wieder zu Hausarbeiten verdonnert wurde, welche jedoch schnell erledigt waren.

Auch wenn es sie störte, überhaupt etwas für dieses verzogene Sternchen tun zu müssen, so war Jodie dennoch in erster Linie erstaunt darüber, dass die Aufgaben, die man ihr übertrug, äußerst übersichtlich waren.

Niemand in diesem Haus machte wirkliche Anstalten ihr schaden zu wollen, was daran lag, dass sie unter dem Schutz von Amerikas Nummer Zwei stand.

Die Schauspielerin hatte es sich nicht nehmen lassen, sie in den letzten zwei Wochen täglich mit zur Arbeit zu schleifen. Dennoch, ihren Alltag hatte Jodie sich eindeutig anders vorgestellt. Inzwischen kaufte sie der anderen Blondine nicht mehr ab, dass sie sie wirklich nur gefangen hielt, weil sie ihre Blutgruppe schätzte und ein Dienstmädchen brauchte. Dafür, dass die Daywalkerin sie am Leben gelassen hatte und hier festhielt, musste es eindeutig einen anderen Grund geben. Bloß das Chris ihr bislang eine Antwort schuldig geblieben war.

Die Ältere erlaubte ihr zwar, alle drei Tage einen kurzen Blick auf die Überwachungskamera des Ortes zu riskieren, an dem Andre gefangen gehalten wurde, damit Jodie sich davon überzeugen konnte, dass es ihrem Kollegen noch den Umständen entsprechend gut ging, doch Fragen beantwortete Chris ihr nicht.

Sie ließ sie im Unklaren darüber, warum sie sie wirklich hier festhielt. Auch, was es mit den japanischen Gästen und den ständigen Streitereien auf sich hatte, war ihr weiterhin ein Rätsel.

Chris schien sie mit voller Absicht im Unklaren zu lassen und sich über Jodies wachsende Frustration diesbezüglich zu amüsieren.

Ganz allgemein stellte die Daywalkerin ihre Nerven ständig auf eine wahre Zerreißprobe. Diese verdammte Diva war arrogant, launisch und schwierig. Und sie schien besonderen Spaß daran zu haben, Jodie im Bezug auf Mondnebel aufzuziehen.

Chris schnitt dieses Thema regelmäßig an, um sich über sie lustig zu machen. Leider nur hatte sie jedes Mal Erfolg damit, denn das jemand Mondnebel in den Dreck zog, war und blieb für Jodie ein rotes Tuch.
 

Es war später Nachmittag, als die beiden Blondinen durch die Stadt liefen. Zwei Mal waren sie von Fans der Schauspielerin aufgehalten worden, die um ein Foto und Autogramme gebeten hatten. Bitten, auf die Chris mit mäßiger Freude reagiert hatte.

"Eine Verkleidung für den Weg durch New York wäre gar nicht so falsch.", seufzte die Schauspielerin derweil.

"Wer wollte denn unbedingt noch zur Reinigung?", stichelte Jodie. Über ihrem Arm trug sie einen Mantel und ein Kleid. Beide Kleidungsstücke waren noch durch die Plastikhüllen der Reinigung geschützt und rochen leicht nach dem Waschmittel der Reinigungsfirma.

"Würdest du Gins Schützling charakterlich auch nur ansatzweise ähneln, hättest du den Botengang auch allein übernehmen können.", murrte Chris vor sich hin.

Jodie beobachtete ihre Begleiterin aus dem Augenwinkel, als diese sich eine Zigarette anzündete.

"Auch wenn wir uns gut verstehen, charakterlich sind Rena und ich grundverschieden. Ich will nicht wissen, was der Grund dafür ist, dass sie so eine Angst vor diesem Gin hat."

"Das willst du in der Tat nicht, richtig.", bestätigte Chris nur.

Jodie stutzte und blickte ihre Begleiterin an. "Heißt das, du weißt etwas darüber?"

Angesprochene nickte. "Tue ich. Aber das tut rein gar nichts zur Sache, immerhin ändert sich dadurch nichts."

"Wenn ihr Vampire nicht solche Monster wärt, würde ich dich jetzt fragen, wie du einfach wegsehen kannst, wenn du weißt, was hier gespielt wird." Die Stimme der Jägerin klang verärgert.

Gleichgültig zuckte Chris mit den Schultern. Sie kannte Jodies Meinung im Bezug auf die Vampirgesellschaften inzwischen zu Genüge, jedoch scherte sie sich kaum darum, was die Jüngere dachte. "Kein normal denkender Vampir würde sich für einen Menschen mit dem Oberhaupt eines anderen Landes anlegen. Die außenpolitischen Wirkungen wären fatal.", konterte die Schauspielerin lediglich gelassen.

"Das ist doch nicht der eigentliche Grund, warum du nichts unternimmst. Sie ist dir schlicht und ergreifend vollkommen egal. Eurer Spezies ist jegliches Mitgefühl fremd."

Während die junge Frau der Daywalkerin einen finsteren Blick zuwarf, schmunzelte diese auf Jodies Worte hin leicht amüsiert. "Du musst es ja wissen."

Gerade als die Jägerin etwas darauf erwidern wollte, blieb sie mit der Spitze ihres Schuhs an einer Unebenheit im Kopfsteinpflaster hängen und stolperte nach vorne.

Die junge Frau geriet ins Straucheln, schaffte es jedoch gerade noch so eine Bruchlandung zu verhindern. Auch die von der Reinigung abgeholte Kleidung war ihr bei dem Missgeschick nicht runtergefallen.

Für einen Moment schlug ihr Herz dank dem plötzlichen Schreck noch schneller. Na das war ja gerade noch einmal gut gegangen! Jodie musste sich nicht extra zu ihr umdrehen, um sich Chris Gesichtsausdruck vorstellen zu können. Sie meinte den spöttischen Blick förmlich in ihrem Rücken spüren zu können.

"Vorsicht, Kätzchen. Eine Bodenunebenheit.", zog die Schauspielerin sie auf. Als wenn sie das nicht bereits selbst gemerkt hätte!

"Sehr lustig.", murrte Jodie wenig erfreut vor sich hin.

"Nein wirklich, du hättest dir den Hals brechen können.", amüsierte die andere Blondine sich weiter über ihr Missgeschick. "Du machst es einem wirklich nicht leicht dir zu glauben, dass du wirklich ein Teil von Mondnebel sein sollst."

Augenblicklich verfinsterte sich die Mimik der Jüngeren nur noch ein wenig mehr. "Fängst du schon wieder damit an?"

"Nun, was soll ich denn machen? Du hast mir immer noch nicht beantwortet, ob diese angeblich ach so legendäre Gruppe wirklich nur aus Stümpern und Grünschnäbeln wie dir besteht."

Gereizt drehte Jodie sich zu Chris um und wedelte mit einer Hand erst einmal die Wolke aus Zigarettenrauch fort, in der sie sich plötzlich wiederfand.

"Irgendwann vergeht dir das Lachen schon noch.", grummelte sie angesäuert. "Es mag schon sein, dass du aktuell am längeren Hebel sitzt, was mich betrifft, aber du solltest Mondnebel nicht unterschätzen."

"Dann ist es also wirklich wahr, dass es ein Mitglied eurer Gruppe war, das Rum getötet hat?", hakte die Vampirin nach.

Skeptisch und fragend zugleich zog Jodie eine Augenbraue hoch. "Mag sein, allerdings haben die Vampire, die wir erledigt haben, sich uns nicht vorher namentlich vorgestellt. Von daher weiß ich nicht, auf welches dieser Monster du anspielst."

"Es würde mich nicht wundern, wenn ihr Probleme mit ihm gehabt haben solltet. Er war immerhin Amerikas vorherige Nummer Zwei."

Einen Moment lang dachte Jodie darüber nach. "Vor einem halben Jahr hatten wir es in der Tat mit einem sehr starken Vampir zu tun. Es war Zufall, dass wir ihm begegnet sind und Mondnebel hat durch dieses Monster starke Verluste erlitten, aber dann ist es unserer Trumpfkarte gelungen ihn auszuschalten.", erklärte sie schließlich.

Während Chris die aufgerauchte Zigarette wegschnippte, veränderte sich Jodies Mimik plötzlich und sie wandte sich ruckartig der Älteren zu. "Warte mal, ist dieser Rum der Grund dafür, dass ihr Andre und mich gefangen haltet? Aus Rache?"

Chris jedoch lachte nur. Eigentlich hatte sie ein schönes Lachen, doch mit ihrer arroganten Art kam die eigentliche Vampirjägerin einfach nicht klar. "Rache?", wiederholte die Schauspielerin. "Nein, Süße. Rächen will ich mich bestimmt nicht. Was die Beseitigung Rums betrifft, sollte ich mich eher bei Mondnebel bedanken. Immerhin bin ich es, die seinen Platz eingenommen hat."

Jodie blinzelte sie an und wartete fast darauf, das Chris das Gesagte letztlich als Scherz auflöste. Doch sie schien sich in der Tat nicht daran zu stören, dass Mondnebel den vorherigen Vize-Anführer der amerikanischen Vampirgesellschaft getötet hatte. Waren Vampire wirklich so unsolidarisch, dass ein Karrieresprung für sie mehr zählte, als das Leben eines Kameraden?

"Das ist widerlich, wirklich.", stellte Jodie daher unverblümt fest.

Die Schauspielerin wirkte unbeeindruckt. "Was widerlich ist, ist die Tatsache, dass es angefangen hat zu regnen." Sie spannte den Regenschirm auf, den sie bei sich trug und drückte ihn schließlich Jodie in die noch freie Hand.

Zwar hielt die Blondine den Schirm und achtete darauf, ihn über sich und die Daywalkerin zu halten, jedoch warf sie ihrer Begleiterin einen genervten Blick zu. "Als wenn du den Schirm nicht selbst tragen könntest! Ich schleppe immerhin schon deine Klamotten durch die Gegend."

"Immerhin machst du dich nützlich.", erwiderte Chris unbeeindruckt.

Die beiden Frauen liefen durch eine recht unbelebte Straße. Schließlich hielt die Schauspielerin inne und nickte in Richtung einer schmalen Gasse, welche dunkel und verlassen zwischen mehreren Hochhäusern lag. "Gehen wir hier durch und kürzen ab. So sind wir schneller zurück beim Auto.", stellte sie fest. "Ich habe heute noch genug im Anwesen zu tun."
 

Während sie durch die Gasse liefen, fragte Jodie sich, was genau ihre Begleiterin heute noch in diesem elenden Vampiranwesen zu tun hatte. Sie hoffte darauf, dass sie sich nur auf eine Rolle vorbereiten wollte, doch dagegen sprach das Gespräch, welches sie vergangene Nacht in der Bar aufgeschnappt hatte. Einige Vampire waren losgeschickt worden, um den 'Getränkevorrat' aufzufüllen. Wieder würden diese Monster nichtsahnende Zivilisten fangen und lebend zurück zum Anwesen bringen, wo sie sie in Zellen sperrten und erst wieder herausholten, wenn sie auf der Getränkekarte auftauchen sollten. Eine grässliche Vorstellung.

Von Chianti wusste sie, dass die Blondine es war, die Listen über die aktuellen Bestände führte und die stets darauf achtete, das von jeder gängigen Blutgruppe ein gewisser Vorrat vorhanden war.

Dank ihrer feinen Nase wusste die Daywalkerin, welche Blutgruppe der Mensch vor ihr hatte, auch ohne ihn vorher zu verletzten.

Die japanische Vampirin hatte ihr dies neulich erzählt. Nicht, dass Jodie freiwillig den Kontakt zu dieser überaus leicht reizbaren Frau gesucht hätte, Chianti hatte sich vor ein paar Tagen viel mehr in der Bar zu Kir und ihr an den Tisch gesellt, um sich vor der Brünetten über die amerikanische Vampirgesellschaft aufzuregen. Rena hatte die Andere ganz einfach reden lassen, auch wenn Jodie ihr angesehen hatte, dass sie sich ihren Teil dachte.

Schließlich hatte Chianti sich ihr zugewandt und damit begonnen über Chris zu lästern und darüber, dass die Schauspielerin stets Andere die Arbeit für sich erledigen ließ.

Allein durchs Zuhören hatte Jodie einige nicht ganz uninteressante Dinge über das Vampirhaus erfahren, in welchem sie derweil gefangen war.

Die Jägerin blinzelte sich zurück ins Hier und Jetzt. Dadurch, dass die Gasse, die sie als Abkürzung zur nächsten Straße nutzen wollten, so eng war, konnten sie den Weg nicht nebeneinander fortsetzen.

Nachdenklich betrachtete Jodie den Rücken der anderen Blondine. Sie hoffte wirklich, dass heute keine neuen Gefangenen in die Bar geschleppt wurden.

Mit dem Regenschirm in der einen Hand und den frisch von der Reinigung abgeholten Kleidungsstücken über dem anderen Arm, folgte sie Amerikas Nummer Zwei und fröstelte aufgrund des Wetters. In den letzten zwei Wochen war es nur noch kühler und ungemütlicher geworden.

Der Herbst neigte sich inzwischen wirklich dem Ende zu. Die Tatsache, dass es regnete und der Wind durch die Häuserschluchten pfiff, machte es nicht gerade besser.

Auch wenn sie nach dem heutigen Arbeitstag und dem kurzen Umweg zur Reinigung, nun wieder auf dem Weg zum Anwesen waren, Jodie konnte nicht leugnen, dass sie fast schon froh wäre, wenn sie das Auto erreicht hätten. Immerhin hätten sie dort ein Dach über dem Kopf, wären geschützt vor dem Wind und eine Heizung besaß der Wagen ebenfalls.

//Nicht mehr lange. In spätestens fünf Minuten sollten wir den Parkplatz eigentlich erreicht haben.//, erinnerte sie sich in Gedanken selbst.

Die Blondine zog die Schultern höher und vergrub das Gesicht ein wenig mehr in dem Schal, den sie um den Hals trug. Zwar war die Kleidung, die Chris ihr geliehen hatte, warm, doch gegen einen dickeren Mantel hätte sie auch nichts einzuwenden gehabt.

"Leg mir ab Morgen wärmere Kleidung raus.", sprach sie das Problem ganz einfach direkt an. "Das Wetter ist in den letzten Tagen nicht besser geworden."

Doch anstelle einer Antwort, blieb die Daywalkerin vor ihr plötzlich ruckartig stehen und blickte in eine weitere Gasse, welche den Weg, auf dem sie unterwegs waren, kreuzte.

Jodie schaffte es gegen ihre Begleiterin zu laufen, doch als diese sich nicht darüber beschwerte und stattdessen starr weiter in die Gasse blickte, sah sie Chris fragend an.

"Was ist los?", wollte sie wissen. Nun spähte die eigentliche Jägerin selbst in die verlassene Gasse, konnte bis auf einige Mülltonnen und einen großen Container jedoch nichts ungewöhnliches entdecken.

"Wir kriegen Besuch.", lautete die schlichte Antwort.

Jodie fiel auf, dass Chris plötzlich angespannt wirkte, doch trotz allem schlich sich bereits wieder dieses überhebliche und selbstsichere Lächeln auf ihre Lippen.
 

Besuch? Noch ehe Jodie sich fragen konnte, was die Ältere damit meinte, löste sich plötzlich ein Schatten aus dem Schutz der Dunkelheit.

Die Person musste sich hinter dem Container verborgen haben, gab diese Tarnung nun jedoch auf.

"Hände hoch und das Gesicht zur Wand.", befahl die Person, welche sich den beiden Frauen mit gezogener Waffe näherte.

Diese Stimme! Das Herz der jungen Frau machte einen Satz. Freude und Fassungslosigkeit stiegen zeitgleich in ihr auf. Diese Stimme, diese Person... sie kannte ihn. "Shu!", rief sie aus.

"Geh weg von ihr und stell dich hinter mich, Jodie.", wies eine andere Stimme sie an.

Die Blondine wirbelte herum, nur um ihren Vorgesetzten James Black zu entdecken, der hinter ihnen in der Gasse aufgetaucht war. Auch er hatte seine Dienstwaffe gezogen.

"James!", rief sie aus. "Oh Gott! Wie habt ihr mich... ich meine...", begann sie, brach dann jedoch ab.

Einerseits war da diese unbändige Freude in ihr, ihre Teamkameraden zu sehen. Hoffnung, diesem Alptraum endlich zu entkommen, stieg in ihr auf. Dennoch gab es eine Sache, die sie zögern ließ und sie zurückhielt wie unsichtbare Ketten.

"Hände hoch und das Gesicht zur Wand.", wiederholte Akai noch einmal nachdrücklich an die blonde Schauspielerin gewandt.

Diese tat ihm den Gefallen und hob in der Tat die Hände ein Stück weit, bewegte sich ansonsten jedoch nicht von der Stelle und blickte dem Jäger selbstsicher entgegen.

"Und was, wenn ich es nicht tue?", hakte sie beinahe provokant nach. Ohne den Blick von ihrem Gegenüber zu wenden, wandte Chris sich an die andere Blondine. "Kätzchen, warum erklärst du deinen Freunden nicht einfach selbst, warum das hier gerade nicht ihre beste Idee ist?", forderte sie.

Jodie erstarrte. Dieses verdammte Biest! Wie gelassen und überheblich sie selbst jetzt noch blieb!

Und wie skrupellos sie ihr Ass im Ärmel ausspielte. Leider wusste sie nur zu gut, worauf Chris anspielte.

So froh sie auch war ihre Kameraden zu sehen, nun mischte sich Sorge wie bittere Galle zu der neu aufgekeimten Hoffnung.

"Sie sitzt trotz allem am längeren Hebel.", begann Jodie stockend zu erklären. "Diese elenden Monster halten Andre nach wie vor gefangen. Wenn ihr ihr etwas tut, oder mich befreit, schaufelt ihr damit sein Grab." Das auszusprechen war so grausam. Die Freiheit und das Ende des Schreckens waren so nah und gleichzeitig doch so fern. Die junge Frau hatte das Gefühl an ihren eigenen Worten zu ersticken.

Doch anstatt inne zu halten, tat James einen Schritt auf sie zu, legte ihr eine Hand auf die Schulter und schob sie schließlich hinter sich.

Zeitgleich hatte Akai sich in Bewegung gesetzt. In einer Hand hielt er weiterhin die Waffe, doch war es seine freie Hand, die er vorschnellen ließ. Blitzartig griff er nach dem Arm der Daywalkerin, riss sie daran herum und drückte sie im nächsten Moment gegen die Wand.

Die Blondine, die mit dem Gesicht geradewegs gegen die Backsteinmauer geprallt war, sog scharf die Luft ein. "Ihr solltet euch gut überlegen, was ihr hier tut. Die Kleine hat euch die Lage gerade bereits erklärt.", fauchte sie verärgert. Jodie bemerkte, dass die Nase der anderen Frau durch den Zusammenstoß mit der Wand blutete.

"Nicht! Andre wird am Ende wirklich noch...!", begann Jodie entsetzt, während Akai die Handgelenke der Daywalkerin nach hinten zerrte und die Handschellen mit einem Klicken zuschnappen ließ.

Erneut war James es, der ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter legte. "Mach dir keine Sorgen um Andre. Er ist außer Gefahr.", informierte er sie.

"Ganz richtig. Dank der Informationen, die wir erhalten haben, konnten wir ihn befreien. Er sitzt inzwischen in Mondnebels Büro.", erklärte Akai weiter.
 

Jodie glaubte sich verhört zu haben. Andre war in Sicherheit?! Ihr fiel ein Stein vom Herzen.

Und dann noch die Tatsache, dass ihre Kameraden sie gefunden hatten. Der Alptraum war überstanden!

Freude und Erleichterung spülten wie eine Welle über sie hinweg. Die Blondine bemerkte, wie Freudentränen in ihren Augen aufstiegen.

"Es... es ist wirklich vorbei?", hakte sie noch einmal nach.

James nickte ihr zu. "Das ist es. Du bist jetzt in Sicherheit."

Bereits im nächsten Moment war sie ihrem Vorgesetzten um den Hals gefallen und umarmte ihn stürmisch. Auf die Lippen des Jägers legte sich ein gutmütiges Lächeln, ehe er Jodie nun seinerseits in eine Umarmung zog.

Als die junge Frau ihn schließlich wieder losgelassen hatte und sich Akai zuwandte, fiel ihr Blick gleichzeitig auch auf Chris. Der arrogante, überhebliche Ausdruck war aus ihrem Gesicht verschwunden, wie Jodie mit Genugtuung feststellte. Nun war es die Daywalkerin, in deren Augen Ärger und Fassungslosigkeit lag. Langsam aber sicher schien sie zu realisieren, in welchen Schwierigkeiten sie steckte.

Überraschend wehrte sie sich nicht gegen den Griff, mit dem der dunkelhaarige Jäger sie hielt. Sie versuchte noch nicht einmal zu fliehen.

//Vermutlich weiß sie, dass es sinnlos ist.//, kam es Jodie in den Sinn.

"Gehen wir. Das Auto steht direkt vor der Gasse.", ergriff James Black erneut das Wort und schob Jodie sanft vor sich her.

Die junge Frau setzte sich in Bewegung und trottete Shuichi hinterher, der die Vampirin mit sich zog.

Kurz bevor sie die Gasse verließen, warf der Jäger der Daywalkerin ein Tuch über den Kopf, welches einerseits ihre Sicht behinderte, andererseits aber auch verhinderte, dass jemand sie am Ende noch erkannte. "Damit dein berühmtes Gesicht nicht morgen auf der Titelseite einer jeden Zeitung erscheint.", sagte er nur dazu.

Wie James es bereits angekündigt hatte, hatten sie Mondnebels Auto bereits nach wenigen Schritten, nachdem sie die Gasse verlassen hatten, erreicht.

Nachdem Black auf dem Fahrersitz Platz genommen und Jodie sich für den Beifahrersitz entschieden hatte, zog Akai die Vampirin ohne große Probleme auf die Rückbank, schloss die Tür auf ihrer Seite und nahm schließlich auf der anderen Seite neben ihr Platz, die Dienstwaffe weiterhin griffbereit, um jede Flucht im Keim zu ersticken.
 

James startete den Motor und fuhr los. Sofort erkannte Jodie, dass er den Weg zu Mondnebels Hauptquartier eingeschlagen hatte.

Sie war unglaublich erleichtert über ihre Befreiung, auch wenn sie es noch kaum fassen konnte.

Auch wenn sie mit ihren Kameraden über so viele Dinge reden wollte, erst einmal brauchte sie einen Moment um ihre Gedanken zu ordnen.

"Also lagen wir mit unserer Vermutung richtig.", durchbrach Black die Stille. "Trotzdem muss ich zugeben, dass es mich erstaunt, dass ausgerechnet ein Mensch gemeinsame Sache mit den hier ansässigen Vampiren macht. Und dann auch noch eine Prominente."

"Damit, dass sie mit den Vampiren unter einer Decke steckt, hatten wir in der Tat Recht.", bestätigte Jodie. "Allerdings haben wir uns alle in einer Sache gewaltig geirrt. Sie ist kein Mensch, wie man vielleicht meinen sollte, sie ist eine Vampirin, wie die Anderen auch."

"Bitte was?! Aber das ist unmöglich.", kam es verwirrt von James. "Ich meine, wir haben euch gerade bei Tag draußen angetroffen. In Filmen und bei Veranstaltungen hält sie sich auch oftmals im Tageslicht auf...", fügte er hinzu.

"Daywalker stören sich nicht am Tageslicht. Vineyard könnte ein gemütliches Sonnenbad nehmen und es würde ihr nichts ausmachen.", erklärte Jodie ihrem Team nun das, was sie selbst vor etwa zwei Wochen noch kaum hatte glauben können.

Alarmiert blickte Akai derweil zu der Frau, neben der er saß. Zwar trug sie Handschellen, doch ein Vampir sollte keine Probleme damit haben, die Kette ganz einfach zu zerreißen.

Da er die eben erhaltene Information nicht recht glauben konnte, zumal die Festnahme sich absolut unproblematisch gestaltet hatte, griff er kurzerhand nach seiner Sitznachbarin und schob ihre Oberlippe ein Stück weit hoch.

Kaum das die perlweißen Vampirfänge sichtbar wurden, wandte die Blondine ihm verärgert das Gesicht zu und hätte ihn beinahe in die Hand gebissen, hätte Shuichi diese nicht noch rechtzeitig zurückgezogen.

"Verdammt!", fluchte James vom Fahrersitz aus. Er hatte die Szene im Rückspiegel beobachtet und war vor Schreck einen Schlenker gefahren.

"Nimm die Pfoten aus meinem Gesicht! Widerlich!", fauchte die Vampirin ihren Sitznachbarn verärgert an.

Als Akai reflexartig die Dienstwaffe auf die Schauspielerin richtete, funkelte diese ihn wütend an und wandte sich schließlich eingeschnappt ab, was den Jäger viel mehr verblüfft blinzeln ließ.

"Jetzt beruhigt euch wieder!", versuchte Jodie vom Beifahrersitz aus das plötzliche Chaos zu beenden. "Es mag schon sein, dass sie eine Vampirin ist, aber sie wird weder uns, noch das Auto auseinandernehmen. Das ist die Schattenseite an Daywalkern. Sie scheuen zwar das Tageslicht nicht, aber sie sind kräftemäßig mit uns Menschen auf einem Niveau. Und dieses verzogene Sternchen dort, legt mehr Wert auf ihr Äußeres, als auf Krafttraining."

Langsam entspannten die beiden Männer sich wieder, während Chris durch den Spiegel Blickkontakt mit Jodie aufnahm. In ihren Augen lag etwas ironisches, resigniertes. "Payback-Time, nicht wahr, Kätzchen?"

Die junge Frau antwortete nur mit einem undefinierbaren Murren.

"Wenn sie kein Mensch, sondern eine Vampirin ist, macht es keinen Sinn, sie wirklich gefangen zu nehmen. Wir sollten das in einer unbelebten Straße lieber gleich beenden.", äußerte schließlich Akai.

Obwohl es hier gerade um ihr Leben ging, reagierte die Daywalkerin nicht auf seine Worte. Nichts in ihrem Blick veränderte sich, noch nicht einmal Nervosität stahl sich auf ihre Mimik.

"Nein, nicht!", widersprach Jodie entschieden und zog einmal mehr die Blicke ihrer Teamkameraden auf sich.

Noch ehe jemand eine Erklärung fordern konnte, fuhr sie bereits von allein fort: "Diese Frau ist Amerikas aktuelle Nummer Zwei. Lebend nutzt sie uns folglich mehr. Ihr Wissen ist Gold wert."

Erneut blickten die beiden anderen Jäger die Gefangene verblüfft an, welche es jedoch vorzog zu schweigen.

Während James den Wagen weiter in Richtung von Mondnebels Hauptquartier lenkte, realisierte Jodie erst wirklich, dass der Alptraum für sie hiermit vorbei war. Andre und sie waren in Sicherheit. Nicht nur das, es war ihnen sogar gelungen, die zweiteinflussreichste Vampirin des Landes zu fangen. Die Karten hatten sich gewendet. Ein guter Gedanke, der sie mit neuer Hoffnung füllte.

Nachdem sie Mondnebels Hauptquartier erreicht und den Wagen auf dem Hof abgestellt hatten, konnte die Blondine es kaum erwarten das Büro zu betreten. Nicht nur, weil die vertraute Umgebung ihr noch einmal zusätzlich vor Augen führen würde, dass die Gefahr gebannt war, ihre Teamkameraden hatten gesagt, das auch Andre sich aktuell im Büro aufhalten würde.

Die letzten beiden Wochen über hatte die junge Frau die Zeit im Vampiranwesen ertragen, um Camel zu schützen, nun wollte sie sich davon überzeugen, dass ihr Kollege wirklich wohlauf war.

Während Akai die Gefangene in Richtung der sich im Untergeschoss befindenden Zellen brachte, hatten Black und Jodie den Weg ins Büro eingeschlagen.

In der Tat fiel ihr erneut ein riesiger Stein vom Herzen, als sie sich nun wieder in Mondnebels Hauptquartier befand. Die vertraute Umgebung, der allgegenwärtige Geruch nach Kaffee und das stetige Summen des Gefrierschranks, welcher ganz in der Ecke des geräumigen Zimmers stand. Nie hätte Jodie gedacht, einmal so heilfroh zu sein das Großraumbüro zu betreten.

Ein paar Mitglieder Mondnebels waren aktuell anwesend. Die Begrüßung viel herzlich aus und wieder stiegen Erleichterung und Freude darüber, diesem Alptraum endlich entkommen zu sein, in ihr auf.

Als sich schließlich Andre den Weg zu ihr bahnte und die anderen Kollegen ein Stück zur Seite rückten, atmete die Blondine auf. Der andere Jäger war wohlauf. Die Verletzungen, die er sich in dem Kampf vor zwei Wochen zugezogen hatte, schienen inzwischen verheilt zu sein.

Sie versicherten sich gegenseitig, dass sie unverletzt waren und alles den Umständen entsprechend in Ordnung war. Andre war es furchtbar unangenehm, dass er seiner Kameradin den Aufenthalt im Vampiranwesen überhaupt erst eingebrockt hatte, doch Jodie war in erster Linie froh, dass sie den Horror beide unbeschadet überstanden hatten.
 

Später am Abend ihre eigene Wohnung zu betreten, fühlte sich fast schon unwirklich an. Zwischenzeitlich hatte Jodie nicht geglaubt, diesen Ort noch einmal wiederzusehen.

Erst einmal ließ sie sich aufs Sofa fallen und genoss es wieder daheim zu sein. Nachdem sie ein Weilchen einfach nur dagelegen und nichts getan hatte, stand sie wieder auf, goss ihre Pflanzen und stieg schließlich unter die Dusche.

Anschließend in die eigenen Klamotten schlüpfen zu können, in diesem Fall ein gemütlicher Pyjama, war ebenfalls eine Wohltat. Nach und nach erst begann sie zu realisieren, dass sie wieder Zuhause und noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen war.

In der Nacht schlief die junge Frau schlecht bis gar nicht. Ständig drehten ihre Gedanken sich um ihre Zeit im Anwesen und was alles hätte passieren können. Auch fragte sie sich, wie es nun weitergehen würde.

Als sie am nächsten Tag aufstand, war sie entsprechend müde und erledigt, dennoch war es ein tolles Gefühl, die eigene Kaffeemaschine zu betätigen und sich mit einer Schale Müsli an den Küchentisch zu setzen. Während ihrer Zeit im Vampiranwesen war sie auf das Wohlwollen dieser Monster angewiesen gewesen, wenn es darum ging etwas zu essen zu bekommen. Nicht, dass sie schlecht versorgt worden wäre, oder hätte hungern müssen, dennoch hatten ihr Getränke und Lebensmittel nie zur freien Verfügung gestanden. Immer hatte sie entweder fragen müssen, oder aber hoffen, dass Chris und ihre Bodyguards von selbst daran dachten, dass ein Mensch anders zu versorgen war als Vampire. Aber das war nun vorbei. Endlich!

Ihr Müsli schmeckte so gut wie schon lange nicht mehr und auch ihr Kaffee kam ihr heute außerordentlich gut vor.
 

Nach dem Frühstück und bekleidet mit ihrer eigenen Winterkleidung, welche sich bequemer trug als die Klamotten dieses Sternchens, welche allesamt ein klein wenig zu eng waren, verließ sie ihre Wohnung schließlich und brach auf in Richtung Mondnebels Hauptquartier.

Nicht, dass sie heute hätte arbeiten müssen. Black hatte Andre und ihr angeboten sich in den nächsten Tagen Urlaub zu nehmen. Beinahe schon hatte er sie in diese Richtung gedrängt, doch Jodie hatte abgelehnt. Allein Zuhause würde ihr im Moment nur die Decke auf den Kopf fallen. Sie wollte wieder arbeiten und sich ablenken. Sie wollte ihre Normalität und ihren Alltag zurück.

Allein der Weg durch die Stadt und dabei selbst bestimmen zu können, wo sie entlanglief, tat ihr gut.

Als sie schließlich das Gebäude, in dem Mondnebel stationiert war, erreicht hatte, war es ein gutes Gefühl durch die Tür zu treten, wie an jedem anderen Arbeitstag.

"Guten Morgen!", rief sie munter, auch wenn aktuell nur drei andere Personen anwesend waren.

Der normale Arbeitstag der Vampirjäger begann für gewöhnlich erst zu späterer Stunde, doch heute hatte sie es nicht länger in ihrer Wohnung ausgehalten.

"Guten Morgen, Jodie.", begrüßte ihr Vorgesetzter sie. "Und du bist dir wirklich sicher, dass du dir nicht ein paar Tage frei nehmen möchtest?"

"Natürlich bin ich das, sonst wäre ich jetzt kaum hier, oder?", entgegnete sie und warf ihm ein Lächeln zu.

"Tja, mir geht es ähnlich. Ich habe es Zuhause auch nicht länger ausgehalten.", mischte Andre sich ein und gesellte sich zu den beiden.

"Und? Wie sieht der heutige Plan aus?", erkundigte die Blondine sich motiviert. Wie sehr sie ihren Alltag zurück wollte!

"Für euch zwei wird der Tag eher ruhig.", erklärte James sofort.

"Nach der Gefangenschaft durch diese Monster, kommt ihr um ein paar Gesundheitschecks nicht herum.", mischte die dritte anwesende Person sich ein. Dr. Clark, der Arzt der Gruppe. Der betagte Mann nahm nicht selbst an der Vampirjagt teil, er kümmerte sich viel mehr um verletzte Mitglieder Mondnebels, oder betreute die Kameraden, die etwas Belastendes erlebt hatten.

"Der Doc. wird euren Gesundheitszustand checken.", ergriff Black erneut das Wort. "Anschließend werden wir zu Viert über eure Erlebnisse der letzten beiden Wochen sprechen. Nicht nur, weil euch das vermutlich gut tun wird, sondern auch um Mondnebel auf den neusten Stand zu bringen, was Erkenntnisse und Informationen betrifft. Es kann gut sein, dass Akai sich später auch noch zu uns gesellen wird."

Während Camel seine Zustimmung murrte, blickte Jodie ihren Vorgesetzten fragend an.

"Was ist jetzt eigentlich mit Chris?", wollte sie wissen.

"Sie ist sicher in einer unserer Zellen untergebracht.", erklärte James ihr. "Akai wird mit einem unserer Kollegen heute mit der Befragung beginnen. Wir hoffen natürlich auf neue Informationen. Wenn diese Frau wirklich die stellvertretende Anführerin der amerikanischen Vampirgesellschaft ist, dann sollte sie über eine Menge Wissen verfügen, welches uns in Zukunft die Arbeit erleichtern wird."

//Wenn sie denn mit uns zusammenarbeitet...//, fügte Jodie in Gedanken hinzu, jedoch behielt sie diese Bedenken vorerst für sich.
 

In der Tat folgte ein ausführlicher Gesundheitscheck. Dr. Clark überprüfte nicht nur, ob die beiden befreiten Jäger auch wirklich unverletzt waren, als er erfuhr, dass die Daywalkerin die Blondine zwei Mal gebissen hatte, ordnete der Arzt ein großes Blutbild sowie eine Zahnuntersuchung an.

Jodie ließ den Gesundheitscheck über sich ergehen und beklagte sich auch nicht darüber, dass Clark ihren Zähnen besondere Aufmerksamkeit schenkte. Auch wenn sie selbst inzwischen wusste, dass ein einfacher Vampirbiss nicht zur Wandlung führte und von den Bisswunden inzwischen nichts mehr zu sehen war, so war ihr dennoch klar, dass ihre Kameraden erst einmal glauben und verstehen mussten, dass diesbezüglich wirklich keine Gefahr bestand.

//Sie haben Angst davor, was die Bisse eventuell ausgelöst haben könnten//, realisierte sie. Auch wenn sie selbst wusste, dass diese Sorge unbegründet war, sie konnte ihre Kameraden verstehen. Vor zwei Wochen hatte sie immerhin selbst noch befürchtet zum Vampir zu werden, nachdem die Schauspielerin sie gebissen hatte.

Nach den Untersuchungen am Vormittag und nachdem feststand, dass mit Andre und ihr wirklich alles in Ordnung war, begannen die beiden Mitglieder Mondnebels Black und dem Doktor zu berichten, was sie in den letzten zwei Wochen erlebt hatten.

Wie James es bereits angekündigt hatte, gesellte sich kurze Zeit später auch Akai zu der Gruppe und lauschte den Erzählungen aufmerksam, aber mit finsterer Miene.

Camel konnte nicht wirklich viel Neues berichten. Er schilderte den Kampf, in den sie auf dem Fabrikgelände verwickelt worden waren und welcher letztlich zu ihrer Entführung geführt hatte. Auch beschrieb er die Erlebnisse in der Bar am ersten Tag. Danach hatte man ihn mit verbundenen Augen aus dem Haus gebracht. Nach einer längeren Fahrt hatte man ihn schließlich in ein Gebäude gebracht und ihm erst in dem Zimmer, in dem er gefangen gehalten worden war, die Augenbinde wieder abgenommen. Man hatte sich um seine Verletzungen gekümmert und einmal am Tag war eine Wache vorbeigekommen, die ihn mit Essen und Getränken versorgt hatte. Dadurch, dass das Zimmer kein Fenster hatte, war es ihm unmöglich gewesen, wirklich mehr über seinen Standort in Erfahrung zu bringen. Erst, als Mondnebel ihn befreit hatte, hatte er gesehen, dass er in einem verlassenen Gebäude in der Nähe des Hafengeländes untergebracht gewesen war.

Jodie hingegen berichtete von den Eindrücken, die sie im Anwesen gewonnen hatte. Sie schilderte ihren Alltag und die Tatsache, dass Chris sie täglich mit zur Arbeit genommen hatte. Warum die Schauspielerin dieses Risiko überhaupt eingegangen war, erschloss sich ihr jedoch nicht.

Die junge Frau versuchte ihr Team mit allen Informationen zu versorgen, die sie über die im Anwesen lebenden Vampire hatte in Erfahrung bringen können. Auch die Tatsache, dass die hier heimischen Vampire derweil Besuch von einer japanischen Gruppe hatten, ließ sie nicht aus. Leider kannte sie weiterhin Sinn und Zweck dieses Besuches nicht, doch was sie wusste war, dass die Stimmung in der Bar augenblicklich kippte, sobald die Japaner den Raum betraten.

Auch von Rena, dem gefangenen Mitglied Sternenstaubs, berichtete sie den Anderen. Jodie hatte die Hoffnung, dass es ihnen gelang, die Brünette ebenfalls zu befreien.

In den letzten Wochen hatten die beiden Frauen sich angefreundet. Ihre japanische Kameradin tat ihr so leid. Sie musste in den vergangenen sechs Monaten durch die Hölle gegangen sein und hatte auch weiterhin nicht all zu viel zu lachen. Rena hatte nie mit ihr darüber gesprochen, was eigentlich los war, doch wie sehr sie unter der ganzen Situation litt, war nicht zu übersehen gewesen.

Wenn Mondnebel es geschafft hatte, Camel und sie selbst zu befreien, dann würde es ihnen hoffentlich auch noch gelingen die Jüngere in Sicherheit zu bringen.

Lediglich eine Tatsache war problematisch. Jodie hatte keine Ahnung, wo genau das Anwesen sich überhaupt befand. Wann immer sie das Haus verlassen hatte, hatte sie in der Tiefgarage im Auto Platz nehmen müssen und sich die Augen verbinden. Im Blindflug war es schließlich durch die Stadt gegangen, wobei die Fahrzeiten stets unterschiedlich lang waren. Jodie vermutete, dass Chris absichtlich verschiedene Wege eingeschlagen hatte und Umwege gefahren war, damit die Jägerin nicht anhand der im Fahrzeug zurückgelegten Entfernung abschätzen konnte, wo das Anwesen sich befinden musste.

Was das betraf, waren sie leider keinen Schritt weiter. Sie würden dieses Vampirnest erst ausheben und Sternenstaubs Jägerin retten können, wenn sie in Erfahrung gebracht hatten, wo das Anwesen sich befand.
 

Als Jodie das Gebäude am frühen Abend wieder verließ, war sie einerseits froh darüber, ihre Kameraden mit vielen wichtigen Informationen versorgt zu haben, gleichzeitig jedoch war ein gewisser Frust in ihr hochgekocht.

Als Akai schließlich zu der Befragung der Daywalkerin aufgebrochen war, hatte sie sich Shu anschließen wollen, doch dieser hatte abgelehnt. Leider hatte auch Black ihr untersagt die Vampirin zu sehen, geschweige denn zu befragen.

Die offizielle Begründung lautete, dass ihr ein Widersehen mit ihrer Entführerin nicht gut tun würde und andere Kollegen ohnehin erfahrener waren, was Verhöre betraf, doch Jodie meinte es besser zu wissen.

Obwohl sie ihrem Team alles gesagt hatte, was sie wusste, schienen ihre Kameraden ihr im Bezug auf Chris nicht zu 100% zu vertrauen. Nicht, dass sie fürchteten, dass sie mit der anderen Blondine in einem Boot saß, es musste viel mehr die Angst sein, dass Vineyard noch irgendein Ass im Ärmel hatte, mit dem sie Jodie erneut unter Druck setzen und dazu bringen könnte, etwas Dummes zu tun.

Dabei war das doch gar nicht der Fall!

Die Jägerin hätte nichts lieber getan, als das Verhör selbst zu führen und die Informationen nach und nach selbst aus diesem Biest herauszuholen, doch genau das wollten ihre Kameraden nicht.

Man wollte sie nicht in der Nähe der Vampirin sehen. Akai und Black hatten ihr sogar untersagt, den Zellentrakt überhaupt zu betreten!

Wütend ballte die junge Frau die Hände zu Fäusten. Ausgerechnet sie hatte doch die größte Motivation die Schauspielerin zu befragen und Informationen zu gewinnen! Sie wollte das selbst tun und doch traute man ihr diese Aufgabe nicht zu. Oder aber man traute ihr nicht, weil man befürchtete, dass die letzten zwei Wochen sie so traumatisiert haben könnten, dass sie sich von der redegewandten Daywalkerin unter Druck setzen ließ.

Als wenn sie Chris befreien würde, oder sich zu irgendeiner Dummheit hinreißen lassen würde!

Sie wollte sich doch einfach nur an diesen verdammten Tisch setzen und die Befragung selbst durchführen, nicht mehr und nicht weniger!

Doch die anderen Mitglieder Mondnebels waren hart geblieben. Man hatte darauf bestanden, dass sie Feierabend machte und sich noch ein wenig Ruhe gönnte, nachdem sie bereits den ganzen Tag auf der Arbeit verbracht hatte.

In Gedanken und nicht unbedingt glücklich, lief Jodie durch die Stadt. Einerseits konnte sie ihre Kameraden ja verstehen, andererseits war die Gesamtsituation einfach nur frustrierend.

Doch es half alles nichts. Man hatte sie dazu verdonnert, für heute Feierabend zu machen, weshalb sie sich nun auf dem Heimweg befand.

Zwar war es inzwischen bereits dunkel, da die kalte Jahreszeit die immer kürzer werdenden Tage nun einmal mit sich brachte, doch immerhin regnete es heute nicht.

Ihr Atem bildete durch die Kälte kleine, weiße Wölkchen, wie Jodie feststellte, als sie unter einer Straßenlaterne hindurch ging.

Dadurch, dass Mondnebels Hauptquartier sich nicht direkt im Zentrum New Yorks befand, blieben ihr die Hektik, die Automassen und die vielen bunten Leuchtreklamen erspart. Aktuell nahm Jodie Kurs auf ein Wohnviertel. Das Viertel, in dem sie lebte.

So kühl es auch war, sie hatte sich heute ganz bewusst dafür entschieden zu Fuß zu gehen. Zwar brauchte sie von ihrer Wohnung bis zum Büro fast eine Dreiviertelstunde, doch der Spaziergang auf dem Hin- und Rückweg halfen ihr den Kopf frei zu bekommen und etwas abzuschalten.

Noch eine Viertelstunde und sie hätte die Straße erreicht, in der sie lebte.
 

Als Jodie an einer kleinen Grünfläche vorbeilief, neben der links und rechts einige Bänke aufgestellt worden waren, bemerkte sie eine Person, welche an einem Baum lehnte. Durch die Dunkelheit war der Fremde im ersten Augenblick nur schemenhaft auszumachen. Nicht mehr als ein Schatten.

Kaum, dass sie die Person aus dem Augenwinkel registriert hatte und den Blick in ihre Richtung wandte, war der oder die Unbekannte mit einem schnellen Satz verschwunden.

Jodie sog scharf die Luft ein. Diese Bewegung! Sie hatte noch nicht einmal geblinzelt und dennoch hatte sie die Person aus den Augen verloren. Die Gestalt hatte sich so schnell bewegt, wie es einem normalen Menschen nicht möglich war.

Diese Erkenntnis und die Tatsache, dass sie den Vampiren entkommen war und Mondnebel eins der einflussreichsten Mitglieder dieser Monster geschnappt hatte, ließen der jungen Frau das Blut in den Adern gefrieren.

Sie drehte sich wieder nach vorn und hätte beinahe einen erschrockenen Schrei ausgestoßen, als sie realisierte, dass der eben verschwundene Unbekannte in nicht einmal zehn Zentimetern Entfernung genau vor ihr stand. Beinahe wäre sie mit ihm zusammengestoßen!

Reflexartig taumelte sie einen Schritt zurück, doch da hatte der Fremde sie schon am Handgelenk gepackt und hielt sie fest.

Jodie spürte, wie Horror und Adrenalin durch ihren Körper jagten wie Stromstöße. New Yorks Vampire dürften mehr als verstimmt sein, weil Mondnebel ihre Vize-Anführerin gefangen hatte und sie selbst war aktuell ganz allein unterwegs und zu allem Übel auch noch unbewaffnet!

Die junge Frau blinzelte ihrem Gegenüber entgegen, wobei sie den Blick ein Stück weit heben musste, da der Vampir größer war als sie selbst.

Verwirrt stellte sie fest, dass sie sein Gesicht kannte. Blaue Augen, hellblonde Haare und ein etwas dunklerer Teint. "...Bourbon, du...?", brachte sie stockend heraus.

Angesprochener hielt sie zwar weiterhin fest, lockerte den Griff um ihr Handgelenk jedoch.

Ihr Gegenüber hob die freie Hand in einer fast schon beschwichtigenden Geste. "Keine Angst, ich bin nicht hier um dir etwas zu tun, ich will nur mit dir reden.", ergriff er das Wort.

Der Blick der jungen Frau wurde skeptischer. Sie traute dem Frieden nicht.

"Natürlich willst du das.", antwortete sie voller Ironie.

"Genau so ist es.", beteuerte Rei noch einmal mit aufgesetzter Unschuldsmiene.

"Lass mich raten: du willst angeblich nur mit mir reden, aber von meinen Antworten wird abhängen, ob und in welchem Zustand du mich gehen lässt."

Rei lockerte den Griff um ihr Handgelenk noch ein wenig mehr und ließ schließlich ganz los. Die Jägerin festzuhalten war nicht nötig. Sie wussten beide, dass ein Mensch einem Vampir unmöglich davonlaufen konnte.

Mit einem Nicken deutete der Blonde auf eine der nahegelegenen Bänke. "Setzen wir uns doch.", forderte er Jodie auf. "Und nein, deine Antworten werden den Verlauf des Gesprächs nicht beeinflussen. Heute bin ich wirklich nur hier um zu reden."

Die junge Frau horchte auf. Heute war der Bodyguard also nur hier um mit ihr zu reden? Das bedeutete gleichzeitig jedoch auch, dass ihre nächste Begegnung weniger friedlich ausfallen würde.

"Also bist du hier um mir zu drohen.", stellte Jodie fest. "Erhoffst du dir dadurch, dass ich dafür sorge, dass Mondnebel deine Freundin gehen lässt?"

Wenn er das wirklich hoffte, würde er feststellen müssen, dass er bei ihr auf Granit biss. Die Blondine war eine Vampirjägerin durch und durch. Niemals würde sie die Vize-Anführerin der New Yorker Vampirgesellschaft einfach so gehen lassen, um vorübergehend ihre eigene Haut zu retten! Viel zu wertvoll waren die Informationen, die Mondnebel hoffentlich früher oder später aus der Schauspielerin herausquetschen würde. Außerdem besaß diese Frau vielleicht nicht die Körperkraft anderer Vampire, dennoch war die Daywalkerin brandgefährlich und ein skrupelloses Monster, wie die anderen Vampire auch. Niemals würde sie es daher auch nur in Erwägung ziehen, die Ältere zu befreien.

Bourbon warf Jodie einen beinahe mitleidigen Blick zu. "Ich möchte in erster Linie, dass du verstehst, was hier eigentlich gespielt wird. Das wolltest du doch sowieso schon die ganze Zeit über herausfinden."

Der Blick der Jägerin blieb unverändert skeptisch und wenig freundlich. "Plötzlich willst du mich, ein Mitglied Mondnebels, mit Informationen versorgen?", hakte sie nach. "Natürlich aus reiner Nächstenliebe, wie ich annehme.", fügte sie ironisch hinzu.

Kurz überlegte sie, doch schließlich ging Jodie auf die Bank zu, auf die Rei eben noch gedeutet hatte. Welche Wahl blieb ihr auch? Sie war unbewaffnet und dem Vampir körperlich deutlich unterlegen. Abhängen könnte sie ihn auch nicht, folglich konnte sie auch gleich hierbleiben und ihn anhören. Sie war überzeugt davon, dass der Blonde ihr Geschichten auftischen würde, um sie dazu zu bringen Chris gehen zu lassen, doch diesen Gefallen würde sie ihm ganz sicher nicht tun. Niemals. Doch vielleicht gewann sie durch den Bodyguard dennoch einige Informationen, die der Wahrheit entsprachen und Mondnebel weiterhelfen könnten.

Als sie schließlich auf der Bank Platz nahm, fragte sie sich, was ihre Kameraden wohl davon halten würden, dass sie mit diesem Vampir sprach.

"Schön, ich höre dir zu. Erzähl mir, was du mir erzählen wolltest, aber glaub nicht, dass ich mich von deinen Worten beeinflussen lassen würde."

Auch Rei setzte sich auf die Bank und wählte dabei eine Entfernung, mit der er ihre Privatsphäre respektierte, gleichzeitig für Außenstehende jedoch auch nicht wie ein Fremder wirkte. Sollte irgendein Passant an ihnen vorbeilaufen, er würde sie vermutlich für Bekannte oder Freunde halten.
 

"Nun, wo fange ich am besten an...?", überlegte der Bodyguard.

Jodie zog abwartend eine Augenbraue hoch. "Solltest du das nicht eigentlich wissen? Aber wenn du dich scheinbar nicht entscheiden kannst, wie wäre es mit einer Antwort auf die Frage, warum ihr elenden Vampire Zivilisten fangt und sie in eurem Anwesen gefangen haltet wie Vieh, bis sie schließlich in der Bar enden. Das ist einfach nur widerlich."

Einen Moment lang musterte Bourbon sie schweigend. Überraschend wirkte er weder amüsiert über ihre Worte, noch irgendwie überheblich.

"Damit hast du wohl Recht.", stimmte der Blonde ihr zu. "Die Zivilisten zu fangen und in die Bar zu bringen, ist ein Befehl von ganz oben und die Hierarchie innerhalb der Vampirgesellschaft ist äußerst streng, wie du während deiner Zeit bei uns vielleicht mitbekommen hast."

Also wollte der Boss, den sie nie zu sehen bekommen hatte, dass all diese unglücklichen Seelen auf die Getränkekarte gesetzt wurden? Nicht, dass das irgendeinen Unterschied machte.

"Selbst wenn es ein Befehl von eurem Anführer ist, Chris wirkte nicht so, als hätte sie Gewissensbisse dabei diese Anweisung umzusetzen und du und die Anderen ebenfalls nicht.", stellte Jodie fest. "Willst du mir jetzt vielleicht erzählen, dass euch das Mitleid mit den Jahren verloren gegangen ist, weil ihr inzwischen ganz vergessen habt, wie es ist Mensch zu sein?"

"Was das betrifft, täuschst du dich. Wie es ist menschlich zu sein, haben wir keinesfalls vergessen."

Fragend blickte die Jägerin ihren Gesprächspartner an. "Wie alt seid ihr bitte, wenn du das sagst?" Vampire zu schätzen war immerhin ein Ding der Unmöglichkeit.

"Wir sind beide 29.", lautete die schlichte Antwort.

Weiterhin wirkte der Blick der Blondine skeptisch. "Du meinst, ihr seht aus wie Ende zwanzig, aber wie alt seid ihr wirklich?"

"Das ist unser wahres Alter.", verbesserte Rei amüsiert. "Wir waren die längste Zeit unseres Lebens menschlich."

Einen Moment schwieg er, während Jodie die kurze Pause brauchte um zu verarbeiten, dass diese beiden Vampire wohl doch noch nicht steinalt waren. Schon oft hatte sie sich gefragt, wie alt die Daywalkerin wohl wirklich sein mochte, doch das diese nur ein einziges Jahr älter war als sie selbst, kam überraschend.

"Vielleicht sollte ich einfach mit dem Anfang von all dem hier starten.", entschied Rei derweil. Jodie blickte ihn an. Es klang so, als würde das Gespräch sich eine Weile hinziehen. Sollte sie ihn unterbrechen? Nein, das würde wohl keinen großen Sinn machen. Es war immerhin nicht so, als dass sie diesem Vampir wirklich entkommen könnte, wenn er sich in den Kopf gesetzt hatte sie zuzutexten.

"Ich habe Chris vor etwas mehr als viereinhalb Jahren kennengelernt.", begann der Blonde seine Geschichte. "Das sie damals schon eine international berühmte Schauspielerin war, weißt du vermutlich. Ich selbst war damals noch Polizist."

Überrascht blickte Jodie ihren Gesprächspartner an. "Polizist?", hakte sie ungläubig nach. "Ausgerechnet?"

"Schwer vorstellbar, was?", scherzte Rei augenscheinlich, jedoch klang seine Stimme dabei bitter. Ohne weitere Rechtfertigungen, wie ein ehemaliger Polizist so abrutschen konnte, redete er weiter. "Mein damaliger Chef hatte mich ihr als vorübergehenden Personenschutz zugeteilt, da sie von einer unbekannten Person bedroht wurde. Jeder hat vermutet, dass es sich um irgendeinen Fan handeln würde, einen kranken Stalker. Das wäre immerhin naheliegend gewesen. Zumindest bin ich Chris damals zum ersten Mal begegnet."

Kurz hielt der Blonde erneut inne und schien sich zu erinnern, dann fuhr er mit einem leichten Lächeln auf den Lippen fort: "Sie war über den bereitgestellten Personenschutz nur mäßig erfreut, um es mal so zu sagen und hat es der Polizei nicht unbedingt leicht gemacht. Einerseits war sie damals schon ein launisches Sternchen durch und durch, andererseits war sie gleichzeitig auch so anders als die anderen Schauspieler, mit denen sie sich meistens umgeben hat. Charismatisch und unglaublich dickköpfig. Sie passte wunderbar in die glitzernde Luxuswelt der Stars, aber das war für sie eher zweitrangig. Wenn etwas oder jemand ihr Interesse geweckt hat, hat sie ihre Starallüren ganz einfach bei Seite geschoben und sich so verhalten, wie jeder Bürger aus normalem Hause auch."

Während Jodie ihm zuhörte, fiel ihr auf, dass Rei die Daywalkerin wirklich mochte. Man hörte und sah es ihm an, denn wenn er sich an die damalige Zeit zurückerinnerte, leuchteten seine Augen.

Gerade hätte man ihn leicht für einen ganz gewöhnlichen jungen Mann halten können, der von der Frau sprach, die er mochte. Doch auch wenn diese Zuneigung scheinbar echt war, wusste Jodie dennoch, dass ihr Gegenüber alles andere als ein normaler Zivilist war. Auch wenn er gerade vielleicht so wirkte, hatte sie bereits seine skrupellose Seite kennengelernt, sonst würde er die Vampirfamilie wohl kaum so selbstverständlich unterstützen.

"Und was ist dann passiert?", hakte sie der Höflichkeit halber nach, konnte jedoch nicht leugnen, dass es sie in der Tat ein klein wenig interessierte, wie die Geschichte wohl weiterging.

"Nun, sie war anfangs nicht all zu begeistert von dem Personenschutz, wie ich schon sagte. Aber nach und nach hat sie sich mit ihrem neuen Bodyguard arrangiert." Er klang amüsiert. "Wir kamen überraschend gut miteinander aus. Als es ruhig um den Stalker wurde und ich sie nicht länger schützen musste, blieb der Kontakt weiterhin bestehen. Es war Chris egal, dass ich eigentlich nicht in die Welt der Reichen und Berühmten, in der sie lebt, passte. Ich würde fast sagen, dass wir zu dieser Zeit bereits befreundet waren."

An dieser Stelle der Geschichte hatte Jodie eigentlich nicht damit gerechnet, doch plötzlich verfinsterte sich Reis Mimik, was sie dazu brachte ihn fragend und abwartend zugleich anzusehen.

"Aber dann ist es passiert. Von einem Tag auf den anderen war sie plötzlich wie vom Erdboden verschluckt, beantwortete keine Nachrichten und meldete sich bei niemandem mehr. Es war unklar, ob etwas passiert war, oder ob sie ganz einfach untertauchen wollte. Jede Suche ist im Sande verlaufen, bis sie ungefähr einen Monat später ganz von selbst wieder aufgetaucht ist. Aber als sie wieder zurück war, war sie anders."

"Anders? In wie fern? Was meinst du damit?", hakte Jodie nach. Für sie klang seine Beschreibung eher danach, als hätte dieses verzogene Sternchen einfach nur für eine Weile abtauchen wollen, so wie einige Promis es von Zeit zu Zeit taten.

"Kühl und abweisend. Sie hat mir nur gesagt, dass sie den Kontakt abbrechend wird. Sie wäre nicht länger die, die ich zu kennen glaubte und es wäre das Beste so." Der Blonde gab einen undefinierbaren Laut von sich. "Natürlich habe ich das so nicht einfach stehen lassen. Ich meine, welcher Polizist würde sich damit zufrieden geben, wenn eine Freundin plötzlich solche sonderbaren Dinge äußert und sich vollkommen anders verhält? Und das nachdem sie vor einigen Wochen noch von irgendeinem seltsamen Kerl bedroht wurde, der uns nie ins Netz gegangen ist."

Zumindest in diesem Punkt musste Jodie ihm zustimmen. Sie würde sich wohl auch kaum einfach so zur Seite schieben lassen, wenn ein Bekannter von ihr sich plötzlich so seltsam verhalten würde.

Rei zog eine Grimasse. "Also habe ich auf eigene Faust Nachforschungen angestellt und mich dabei unwissentlich mit der New Yorker Vampirgesellschaft angelegt. Diese Ermittlungen hätte ich beinahe mit dem Leben bezahlt. Den Kampf gegen einen Vampir kann ein normaler Mensch nur verlieren. Ich wäre ganz sicher am Blutverlust und an meinen Verletzungen gestorben, aber dann ist sie plötzlich aufgetaucht. Ich weiß nicht genau, wo Chris an diesem Abend so plötzlich hergekommen ist, aber sie hat mir letztlich das Leben gerettet, indem sie mich gewandelt hat. Das war vor ungefähr 4 Jahren."

"Vor vier Jahren?", wiederholte die Jägerin überrascht. "Das ist für einen Vampir praktisch nur ein Wimpernschlag." Diese Information kam wirklich unerwartet, genau so wie die Geschichte, die Rei ihr soeben erzählt hatte.

Einen Moment lang dachte sie darüber nach, dann schüttelte Jodie den Kopf. "Schön und gut, aber das erklärt nicht, warum ihr bei diesen grausamen Taten mitmacht. Die Tatsache, dass erst seit so kurzer Zeit Vampirblut durch eure Adern fließt, macht es nur noch schlimmer, wenn du mich fragst."

"Das mag wohl sein und als früherer Polizist gefällt es mir nicht, diese Menschenleben zu opfern, doch es ist ein notwendiges Opfer. Vielleicht verstehst du es, wenn ich dir erkläre, warum Chris dich in den letzten Wochen tatsächlich behalten hat."

"Bezeichne Menschenleben niemals als notwendiges Opfer!", widersprach Jodie heftig. "Es gibt nichts, das es rechtfertigen würde, den Tod von Zivilisten in Kauf zu nehmen." Verstimmt funkelte sie den Blonden an. "... Aber den Grund für meinen unfreiwilligen Aufenthalt in eurem Anwesen, würde ich in der Tat gerne erfahren."

In den letzten Wochen hatten sie bereits arge Zweifel beschlichen, dass die Daywalkerin sie tatsächlich nur als Dienstmädchen und private Blutbank festgehalten hatte, zudem sie sich nach Tag 1 nie wieder für ihr Blut interessiert hatte. Den wahren Grund für diese Entführung war Chris ihr schuldig geblieben.

"Es mag dich jetzt vielleicht etwas überraschen, aber dich im Anwesen festzuhalten diente dem Zweck, mehr über Mondnebel herauszufinden. Alle, Curaçao und ich selbst mit einbegriffen, haben Chris davon abgeraten, aber sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, mehr über euch Jäger herauszufinden, da sie euch um Hilfe bitten wollte, wenn das denn das richtige Wort dafür ist."
 

Jodie verschluckte sich fast und starrte Bourbon nun wirklich ungläubig an. Für den Moment hatte sie ganz vergessen, dass sie diesem Gespräch eigentlich nur zugestimmt hatte, weil sie den Blonden sowieso nicht hätte abhängen können. Nun jedoch hatte er ganz eindeutig ihre Aufmerksamkeit.

"Bitte was?!", wiederholte sie etwas lauter als beabsichtigt und fuhr schließlich in angemessenerer Lautstärke fort: "Sie hat mich bedroht, erpresst und festgehalten, weil sie Mondnebel um HILFE bitten wollte? Außerdem... ein Vampir der sich Hilfe von einer Gruppe Vampirjägern erhofft? Ich weiß nicht, was an der ganzen Geschichte nun am absurdesten ist."

Beinahe hätte sie vor Fassungslosigkeit gelacht. Verständnislos starrte die junge Frau ihren Gesprächspartner an.

Rei schien diese Reaktion nicht zu überraschen, viel mehr sah er so aus, als habe er schon damit gerechnet. "Ich weiß, dass es verrückt klingt. Vielleicht ist um Hilfe bitten auch der falsche Begriff.", begann er zu erklären. "Lass es mich so sagen: Chris ist, was das betrifft, absolute Opportunistin. Ihr Jäger könntet ihr dabei helfen, ein äußerst unliebsames Problem aus dem Weg zu schaffen."

Skeptisch blickte Jodie den Bodyguard an. "Ach ja?", hakte sie alles andere als überzeugt nach. "Ich verstehe immer noch nicht, was genau du damit meinst. Wobei erhofft dein verzogenes Sternchen sich ausgerechnet Hilfe von Mondnebel, ihrem eigentlichen Feind?"

Auch wenn Rei die Schauspielerin mochte, bei dem von Jodie gewählten Spitznamen, konnte er ein amüsiertes Schmunzeln nicht unterdrücken, ehe seine Mimik wieder ernster wurde. Auf die Frage der Jägerin schien er nur gewartet zu haben.

"Wie du vielleicht mitbekommen hast, haben wir derzeit recht unliebsamen Besuch aus Japan.", begann der Blonde zu erklären. "Für Chris steht gerade einiges auf dem Spiel. Geht die Sache nach ihren Vorstellungen aus, gewinnt sie sozusagen den großen Jackpot, geht es schlecht für sie aus, verliert sie alles was ihr lieb und teuer ist."

"Mondnebel soll also Gin und seine Leute für sie ausschalten?", mutmaßte Jodie. "Es mag schon sein, dass diese Vampire so etwas wie unsere gemeinsamen Feinde sind, aber warum sollten wir deshalb mit einer anderen Vampirfamilie zusammenarbeiten? Ihr seid immerhin keinen Deut besser." In ihrem Blick spiegelten sich Abscheu und Verachtung, wenn sie allein schon an die Bar im Erdgeschoss des Anwesens dachte.

"Und könntest du dich vielleicht zur Abwechslung auch mal etwas klarer ausdrücken? Was genau steht für sie auf dem Spiel? Was hat euer Haus für ein Problem mit den Japanern?" Nicht, dass das einen Unterschied machen würde. Es kümmerte sie nicht, welche Probleme die Vampire untereinander hatten. Dennoch wollte sie die Sache geklärt wissen, immerhin kam es nicht oft vor, dass ein Vampir sich Unterstützung von Vampirjägern erhoffte, auch wenn die ganze Geschichte noch keinerlei Sinn für Jodie ergab.

"In dieser Angelegenheit würde Chris über Leichen gehen.", begann Bourbon.

Jodie unterbrach ihn. "Wie unglaublich reizend.", kam es ironisch von ihr.

Der Blonde beachtete ihren Einwand nicht. "Was deine Vermutung angeht, muss ich dich verbessern. Es geht nicht darum unsere Besucher auszuschalten, keinesfalls. Einen Krieg anzuzetteln würde nicht nur zu einer politischen Katastrophe zwischen den Häusern führen."

Das war nicht das erste Mal, dass einer der Vampire von den politischen Verbindungen der einzelnen Vampirhäuser sprach, fiel der jungen Frau auf.

"Und es mag sein, dass wir im Moment nicht viel besser sind als unsere japanischen Gäste, aber genau das soll sich ändern. Chris will die Zusammenarbeit mit Mondnebel, da dieser Schritt einerseits die Möglichkeit bietet, ihre eigenen Probleme aus dem Weg zu schaffen, andererseits aber auch dazu beitragen wird, die Konflikte zwischen Mensch und Vampir in Zukunft unblutiger zu lösen."

Jodie konnte nicht leugnen, dass sie bei Reis Andeutung aufhorchte, auch wenn sie dem Frieden keineswegs traute. Mit einem Blick forderte sie ihn zum Weitersprechen auf.

"Nicht nur für Chris wäre dieser Deal ein Gewinn, sondern auch für Mondnebel und die amerikanische Bevölkerung. Ihr Ziel ist es, die alten Gewohnheiten unserer Gesellschaft umzukrempeln und zu modernisieren. Warum zu unnötiger Gewalt greifen und Tag für Tag töten, wenn es auch anders geht."

"Anders?", hakte Jodie nach. "Ist das dein Ernst? Willst du mir gerade wirklich weismachen, dass eine skrupellose Person wie Chris sich für das Gute einsetzen will? Das ist lächerlich!" Sie lachte auf.

"Skrupellos ist sie in gewisser Weise vielleicht wirklich.", gab der Bodyguard zu. "Aber ihr Plan für die Zukunft Amerikas beendet nicht nur das Blutvergießen für euch Menschen nahezu, er verbessert auch die Lebensqualität für uns Vampire und macht es uns leichter. Es handelt sich um eine Win-Win-Situation."

Also ging es der Schauspielerin in erster Linie darum möglichst viele Vorteile für sich selbst herauszuschlagen? Der positive Nebeneffekt für die Menschheit, von dem die Rede war, schien nicht mehr als ein Zufall zu sein. Jodie musste zugeben, dass das schon wieder viel mehr nach der anderen Blondine klang.

"Sagtest du nicht vorhin selbst noch, dass die Hierarchie innerhalb eurer Familie sehr streng ist und die Befehle, beispielsweise bezüglich eurer verdammten Bar, von eurem Boss höchst persönlich kommen?", erinnerte die Jägerin ihren Gesprächspartner. "Wie also will sie etwas daran ändern?"

"Chris hat vielleicht nicht nur Befürworter innerhalb unseres Hauses, aber im Großen und Ganzen findet sie überaus viel Zuspruch. Die große Mehrheit unserer Leute hört ihr zu und akzeptiert sie als stellvertretende Anführerin. Du hast sicherlich selbst schon in der ein oder anderen Situation mitbekommen, wie redegewandt und charismatisch sie sein kann, wenn sie etwas durchsetzen will."

"Das mag vielleicht sein, aber gibt es da nicht trotzdem immer noch euren Boss?", erinnerte Jodie.

"Sie ist sein absoluter Liebling. Seit Rums Tod ist Chris die Einzige, die den Boss überhaupt sehen darf.", erklärte Bourbon ihr.

Gedanklich machte die Jägerin sich diesbezüglich eine Notiz im Kopf, handelte es sich hierbei immerhin um eine wichtige Information.

"Alles schön und gut, aber trotz allem drückst du dich die ganze Zeit über so kryptisch aus, dass ich nicht verstehe, wie euer ach so toller Plan eigentlich aussieht." Jodie verschränkte die Arme vor der Brust. "Ich denke viel mehr, dass du dir gerade etwas aus den Fingern saugst, um mich zu beeinflussen, in der Hoffnung, dass ich dir dabei helfe, deine Freundin zu befreien."

Das würde in ihren Augen sehr viel mehr zu der derzeitigen, absurden Situation, als auch zu dem Blonden selbst passen. Mit seiner Art fiel es Bourbon leicht, anderen den freundlichen und entspannten Typen von nebenan vorzugaukeln, doch Jodie wusste, dass sich unter dieser Fassade etwas Falsches und Gefährliches verbarg. Das er plötzlich so redselig war und sie scheinbar mit Informationen versorgte, die ihr Interesse wecken sollten, passte da wunderbar in das Bild, welches sie sich von dem Vampir gemacht hatte.

"Ich kann verstehen, dass du misstrauisch bist. Warum also fragst du Chris nicht einfach selbst? Es wäre das Beste, wenn sie dir von hier an erklärt, was genau sie plant und warum sie eine Zusammenarbeit mit Mondnebel anstrebt."
 

Jodie schwieg einige Augenblicke lang, blickte ihr Gegenüber skeptisch an und dachte über seine Worte nach. "Das könnte ich, aber wenn sie weiterhin so mit mir redet, wie in den letzten zwei Wochen, bezweifle ich stark, aus ihren Antworten wirklich klüger zu werden, als durch deine kryptischen Andeutungen."

Überrascht bemerkte die junge Frau, wie Reis Mimik sich merklich aufhellte.

"Was?", murrte sie. "Ich kann mich nicht erinnern, zugestimmt zu haben, eine Zusammenarbeit in Betracht zu ziehen."

"Das vielleicht nicht, aber aus deiner Antwort schließe ich, dass Chris noch lebt. Ihr haltet sie nur fest."

Die Jägerin zog eine Augenbraue hoch. "Ach, darum ging es dir die ganze Zeit? Du wolltest lediglich herausfinden, ob Mondnebel deine Daywalker-Freundin gefangen oder getötet hat?"

Der Vampir warf Jodie ein schiefes Schmunzeln zu und schüttelte den Kopf. "Ich habe dir die Geschichte nicht bloß aufgetischt um herauszufinden, was ihr mit Chris gemacht habt. Aber es beruhigt mich trotzdem ungemein zu wissen, dass sie lebt."

Die Blondine warf dem Bodyguard einen Seitenblick zu. "Trotz allem ändert das nichts an der Gesamtsituation. Mondnebel und mit Vampiren zusammenzuarbeiten? Das ist absurd."

"Und trotz allem wirst du darüber nachdenken.", stellte Bourbon unbeeindruckt fest.

"Ach ja? Was macht dich da so sicher?"

Er warf der Jägerin ein selbstbewusstes Lächeln zu. "Weil du nicht anders kannst. Du bist ein absoluter Gutmensch. Menschenleben bedeuten dir alles. Die Aussicht darauf, zukünftig viele sinnlose Tode verhindern zu können, kannst du nicht mehr so leicht ausblenden. Im Gegenteil, du wirst diesen Gedanken kaum von dir schieben können.", sagte er ihr auf den Kopf zu.

"Na da glaubt ja jemand mich gut zu kennen.", lautete die ironische Antwort. Trotz allem konnte Jodie nicht leugnen, sich über Bourbons Aussage zu ärgern. Nicht, weil sie provokant war, sondern weil sie den Nagel tatsächlich auf den Kopf traf. Wie sollte sie nicht versuchen wollen, möglichst viele Menschenleben zu schützen? Aber eine Zusammenarbeit mit Vampiren? Wie könnte sie mit solchen Monstern zusammenarbeiten? Das hier waren nicht mehr als schöne Worte!

Vermutlich wollte Bourbon ihr lediglich einen Floh ins Ohr setzen, um sie dazu zu bringen, die Daywalkerin zu befreien, da er selbst schlecht in Mondnebels Hauptquartier eindringen konnte.

Doch das kam nicht in Frage. Sie hielt das Thema, welches er angeschnitten hatte, viel mehr für eine Falle.
 

Die junge Frau bemerkte, wie Rei begann etwas in sein Smartphone einzutippen.

Ironischerweise hatten sie das gleiche Modell, wie sie feststellte. Doch dann stutzte die Blondine. Die Handyhülle mit den Kirschblüten darauf... sie hatten nicht einfach nur zufällig das gleiche Handy, das war IHR Smartphone.

"Hey!", brauste sie auf. "Das ist mein Smartphone! Ich seh ja wohl nicht recht!"

Gerade, als sie ihm das Smartphone schwungvoll abnehmen wollte, hielt Bourbon es ihr bereits mit einem undefinierbaren Schmunzeln entgegen. "Ich war so frei und habe meine Nummer in deinem Telefonbuch abgespeichert.", erklärte er ihr.

Rasch schnappte Jodie sich ihr Handy und überprüfte seine Angabe. In der Tat entdeckte sie einen neuen Kontakt. "Wann hast du dir mein Smartphone überhaupt geschnappt?", wollte sie verstimmt wissen.

"Schon vorhin, als wir beinahe zusammengestoßen wären.", lautete die amüsierte Antwort. "Und gesperrt war es auch nicht."

Der Blonde erhob sich von der Bank und entfernte sich zwei Schritte. Erst noch funkelte Jodie ihn wütend an, dann wurde ihr Blick eher fragend.

"Ich muss jetzt los.", antwortete Rei ihr auf die stumme Frage hin. "Ruf mich an um mir deine Entscheidung mitzuteilen."

Die Jägerin stutzte. Er wollte gehen? Einfach so, nachdem er es doch gewesen war, der dieses Gespräch erst gesucht hatte? Auch wenn das wohl bedeutete, dass sie dieses Treffen allem Anschein nach tatsächlich unbeschadet überstehen würde.

"Warte!", sprach Jodie ihn hastig an und war überrascht über sich selbst. Doch es gab etwas, das sie wirklich interessierte.

In der Tat hielt Rei inne und blickte sie fragend und abwartend zugleich an.

"Beantworte mir eine Frage.", forderte sie. "Du sagtest, dass du ehemaliger Polizist bist. Sollten dir Menschenleben da nicht ebenfalls am Herzen liegen? Warum also unterstützt du diese Vampirbrut dann? Ich kann mir nicht vorstellen, dass du mit der Wandlung schlagartig loyal geworden bist."

Oder doch? Immerhin waren Vampire alle gleich. Nichts weiter als gewissenlose Monster. Elende Blutsauger, die der Menschheit Leid zufügten. Auch wenn Exemplare wie beispielsweise Bourbon sich erstaunlich zivilisiert verhielten und sich gewählt ausdrückten.

Die Antwort des Bodyguards ließ einige Sekunden lang auf sich warten. Schweigend musterte er die Blondine mit ernstem Blick, ehe er schließlich das Wort ergriff. "Ich habe es damals nicht geschafft sie zu beschützen. Aber das wird sich ganz sicher nicht wiederholen. Auch wenn wir jetzt vielleicht keine Menschen mehr sind, bleibe ich an Chris Seite und garantiere ihre Sicherheit. Das durch die Vampirgesellschaft Menschen sterben, gefällt mir auch nicht, doch aktuell handelt es sich um unvermeidbare Opfer. Aber daran wird sich schon bald etwas ändern. Chris hat es binnen kürzester Zeit bis zur Vize-Anführerin Amerikas gebracht und ist gewillt, die alten Sitten auf den Kopf zu stellen. Ich stehe voll und ganz hinter ihr und ihrer Vision."

Nun war es an Jodie für einen Augenblick zu schweigen, da sie die Worte des Bodyguards erst einmal auf sich wirken lassen musste. Er war gänzlich überzeugt von dem, was er da sagte. Das er nicht schauspielerte, sah man ihm an, genau so wie es unstrittig war, wie viel diese launische und skrupellose Frau ihm bedeutete.

"Du hast also in erster Linie für Chris einen Pakt mit dem Teufel geschlossen?", hakte Jodie noch einmal nach, auch wenn sie die Antwort darauf bereits zu kennen glaubte. "Die Tatsache, dass ihr etwas an der aktuellen Situation ändern wollt, ist eher nebensächlich, habe ich Recht?"

Bourbon entfernte sich erneut einige Schritte von ihr, blieb dann aber stehen und blickte die Jägerin über die Schulter hinweg an.

"Denk über mich was du willst, es kümmert mich nicht. Aber eine Sache wäre da noch."

Plötzlich bekam sein Blick etwas Mahnendes und Verschlagenes. Das Funkeln seiner Augen sorgte dafür, dass Jodie sich sofort alarmiert anspannte. "Mondnebel sollte sie lieber gestern als heute gehen lassen. Nicht nur mir ist daran gelegen, sie in Sicherheit zu wissen. Wenn der Boss von all dem hier erfahren sollte, wird er handeln. Die gesamte New Yorker Vampirgesellschaft gegen sich aufzubringen, kann selbst Mondnebel sich nicht leisten." Einen Augenblick lang schwieg er, während sich ein ironisches Schmunzeln auf seinen Lippen abzeichnete. "Aber wir werden nicht eure einzige Sorge sein. Wenn unsere japanischen Gäste mitbekommen, dass ihr unsere Daywalkerin gefangen haltet, wird auch Gin eingreifen und alle Register ziehen. Dieser Mann ist grausamer, als du dir vorstellen kannst und er wird sich seine Pläne nicht von einigen Vampirjägern zu Nichte machen lassen."

Jodie konnte nicht leugnen, dass bei diesen Worten eine Eiseskälte in ihr aufstieg, die sie frösteln ließ. Was Bourbon da gesagt hatte, beunruhigte sie zutiefst. Doch schon mischte sich auch eine gewisse Wut zu ihrer Beunruhigung.

"Du drohst Mondnebel?", wollte sie wissen und stand von der Bank auf. "Erst erzählst du mir diese Geschichte und nun zeigst du dein wahres Gesicht, Vampir?"

"Fass meine Worte lieber als gutgemeinte Warnung auf.", verbesserte Rei sie. "Ich sage dir nur, dass ihr im Begriff seid etwas loszutreten, dessen Ausmaß ihr euch nicht vorstellen könnt."

Gerade öffnete die Jägerin den Mund, um ihm zu antworten, als der Blonde einen Satz machte.

Jodie konnte noch beobachten, wie der Vampir mit zwei Sprüngen das nächste Dach erreicht hatte und als Abschiedsgruß die Hand hob, dann war er verschwunden.

Zurück blieb die Blondine, mit einem mehr als unguten Gefühl in der Magengegend.
 

Tausende Gedanken rasten durch ihren Kopf. Mit seinen Worten hatte Rei mehr Fragen aufgeworfen, als er beantwortet hatte.

Sie glaubte ihm, das die Bedrohung durch die Vampire mehr als real war. Aber was hatte es mit dieser absurden Geschichte auf sich, dass Chris sich eine Zusammenarbeit mit Mondnebel wünschte? Das waren doch sicherlich nicht viel mehr als schöne Worte, um sie einknicken zu lassen.

Wie sollte diese ach so tolle Vision von einer gewaltfreieren Zukunft überhaupt aussehen, wenn es so etwas überhaupt gab? Und worum genau ging es bei dieser ganz offensichtlichen Meinungsverschiedenheit der beiden Vampirhäuser? Fragen über Fragen, auf die sie keine Antwort wusste.

Einen Moment lang spielte Jodie mit dem Gedanken, zurück zu Mondnebels Hauptquartier zu laufen, um dort auf ihre Kameraden zu warten, welche in einigen Stunden von der nächtlichen Patrouille zurückkehren sollten. Mit Sicherheit würde es helfen die Anderen mit ins Boot zu holen.

Andererseits sollte sie vielleicht erst einmal versuchen die Verwirrung in ihrem Kopf ein wenig zu ordnen. Sie musste über dieses Gespräch nachdenken, um all die erhaltenen Informationen überhaupt erst wirklich zu verarbeiten.

Wenn sie sich wieder etwas beruhigt hatte, würde sie gleich Morgen das Gespräch mit Black, Akai und den Anderen suchen. Vielleicht würde man sie dann auch endlich in das Verhör mit einbeziehen. Sie hoffte es.

Als Jodie loslief und wieder den Weg in Richtung ihres Wohnhauses einschlug, überschlugen ihre Gedanken sich förmlich. Immer wieder ging sie das eben geführte Gespräch noch einmal durch und versuchte sich einen Reim darauf zu machen.

Was den restlichen Heimweg betraf, hatte ihr Kopf sozusagen auf Autopilot geschaltet. Viel mehr beschäftigte sie das, was Bourbon ihr eben erzählt hatte.

Sie war sich ziemlich sicher, dass ihre Kameraden die neuen Informationen morgen sicherlich mehr als nur interessieren dürften.
 

Die ganze Nacht über beschäftigten sie die Erinnerungen an das Gespräch. Sie, eine Vampirjägerin die nun wieder frei war und ihren Beruf ausüben konnte, hatte gestern wirklich friedlich mit einem Vampir auf einer Bank gesessen und sich unterhalten. Doch das war leider nicht das Absurdeste an der ganzen Geschichte. Das, was der Blonde ihr erzählt hatte, hatte so viel mehr Fragen in ihr aufgeworfen, als das sie Antworten gefunden hätte.

Vampire die sich als Friedensbringer verkauften und mit Mondnebel zusammenarbeiten wollten... sie hätte nicht gedacht, sich über so etwas überhaupt einmal den Kopf zu zerbrechen.

Wie genau wollte Chris sicherstellen, dass zukünftig weniger Blut vergossen würde? Eine Erklärung darauf war Rei ihr schuldig geblieben. Sie würde die Daywalkerin folglich selbst fragen müssen, Gesetz dem Fall, dass ihr Bodyguard nicht nur eine Geschichte erfunden hatte, um sie zu befreien.

Und dann stand noch die Drohung im Raum, die er ihr als Warnung hatte verkaufen wollen. Das die Vampire der Stadt früher oder später handeln würden, war leider gar nicht mal so abwegig.

Mondnebel war Amerikas erfolgreichste Vampirjägergruppe, aber hätten sie eine Chance gegen einen Angriff eines ganzen Vampirhauses? Nicht, das Jodie gedachte sich davon einschüchtern zu lassen oder deshalb einzuknicken, doch sie würde heute definitiv ihre Kameraden ins Bild setzen müssen. Sollten die Vampire in naher Zukunft angreifen, um ihre zweite Anführerin zu befreien, so durfte dies Mondnebel nicht unvorbereitet treffen. Das drei ihrer Kameraden vor etwa zwei Wochen den Tod gefunden hatten, war schon schlimm genug.
 

Nach wie vor grübelnd, öffnete die junge Frau um 10:58 Uhr die Tür des Großraumbüros.

"Guten Morgen!", grüßte sie, während sie den Blick durch das Büro schweifen ließ.

"Morgen ist gut, Vormittag trifft es eher.", begrüßte eine Teamkameradin, deren Schreibtisch recht nah an der Tür stand, sie.

"Auch wieder wahr." Jodie schmunzelte schief. "Aber sag mal, es ist heute verdächtig wenig los hier. Wo ist James?"

"Er ist gemeinsam mit Camel unterwegs, um neue Munition zu holen.", erklärte ihre Kollegin, die ein paar Jahre jünger war als sie selbst. "Der Rest der Spätschicht ist noch nicht wieder hier. Nur Akai ist gestern gar nicht erst nach Hause gefahren."

Ganz automatisch sah Jodie zum Schreibtischs des anderen Jägers. Dieser stand dort gemeinsam mit Aaron und Claire, zwei weiteren Mitgliedern Mondnebels. Die drei waren so in ihr Gespräch vertieft, dass sie Jodie noch gar nicht bemerkt hatten.

"Er hat gar nicht erst Feierabend gemacht? Nun, dann hat er vielleicht einige interessante Dinge beim Verhör in Erfahrung gebracht. Ich seh mal nach ihm.", beschloss die Blondine und setzte sich in Bewegung.

Ob sich das, was der Bodyguard der Schauspielerin ihr gestern erzählt hatte, ungefähr mit ihren Aussagen deckte? Sie würde es gleich in Erfahrung bringen.

"... das war nicht in Ordnung, wirklich.", hörte sie Claire gerade sagen. Die Dunkelhaarige stand mit verschränkten Armen da und sah ihre beiden Kollegen unglücklich und hilflos zugleich an.

"Natürlich war es das. Wir haben die Maßnahmen ergriffen, die angemessen waren.", widersprach Aaron ihr. Wie immer blickte der großgewachsene Mann, der früher einmal bei der Navy gedient hatte, streng und griesgrämig drein. Vielleicht verlieh jedoch auch nur die Narbe, die von seiner rechten Augenbraue bis fast zu seinem Kinn verlief, ihm diesen grimmigen Gesichtsausdruck. Jodie konnte sich nicht helfen, doch sie hatte das Gefühl, dass Aaron meist schlecht gelaunt war.

Diskutierend liefen ihre beiden Kollegen durch das Großraumbüro in Richtung Kaffeeautomat und grüßten sie im Vorbeigehen.

Die Blondine selbst gesellte sich zu Shuichi, Mondnebels Trumpfkarte. "Hey.", begrüßte sie ihn. "Ich habe gehört, dass du gestern gar nicht erst heimgefahren bist. Machst du jetzt schon Doppelschichten?"

"Grüß dich." Akai wandte sich ihr zu, indem er sich mit dem Schreibtischstuhl ein Stück weit drehte. Wie immer wirkte er ernst, wobei seine Mimik ganz automatisch ein wenig auftaute, als er sich ihr zuwandte. Wie immer, wenn sie miteinander sprachen.

"Aaron und ich haben uns bis in die frühen Morgenstunden die Zähne an dem Verhör ausgebissen.", erklärte der andere Jäger ihr. "Inzwischen ist es so spät, das ich auch gleich hierbleiben kann."

"Also wirklich eine Doppelschicht. Aber werd bloß nicht unaufmerksam, wenn du heute Abend auf Patrouille gehst.", ermahnte Jodie ihn. Sie knuffte ihrem Kameraden freundschaftlich gegen den Oberarm und setzte sich auf einen freien Stuhl, der vor dem Schreibtisch stand.

"Und? Was habt ihr herausfinden können?", wollte sie wissen.

Noch immer wurmte es sie, dass man ihr untersagt hatte, die Befragung selbst durchzuführen, doch was Chris ihren Kollegen erzählt hatte, interessierte sie wirklich. Gleichzeitig konnte sie es kaum erwarten von den Neuigkeiten zu berichten, die sie selbst gestern in Erfahrung gebracht hatte. Aber was das betraf, sollte sie zumindest noch warten, bis Andre und James wieder zurück waren.

Um sich auf andere Gedanken zu bringen, griff sie nach der Kaffeetasse, die bislang unangetastet auf dem Tisch gestanden hatte und trank einen Schluck.

"Hey, mein Kaffee!", beschwerte Shuichi sich halbherzig.

Jodie verzog das Gesicht. "Kaffee schwarz und ohne Zucker, was findest du bloß daran?"

Sie stellte die Tasse zurück auf den Tisch. "Aber jetzt erzähl schon.", drängte sie.

"Da gibt es nicht viel zu erzählen.", murrte Akai ernst und wenig erfreut vor sich hin.

"Wir haben in Erfahrung gebracht, dass diese Frau ein noch viel größerer Sturschädel ist, als du es je sein könntest, aber darüber hinaus? Vineyard verweigert jede Antwort und zieht es vor zu schweigen, oder uns Vampirjäger zu verhöhnen."

Die Blondine stutzte. Hatte Bourbon ihr gestern nicht noch gesagt, dass Chris angeblich eine Zusammenarbeit mit Mondnebel anstrebte? Wenn in dieser Aussage auch nur ein Fünkchen Wahrheit steckte, warum packte sie dann nicht aus und hüllte sich stattdessen lieber in Schweigen?

"Sie hat rein gar nichts aussagen wollen?", hakte Jodie noch einmal nach und seufzte. "Na ganz toll. Führst du das Verhör zu einem späteren Zeitpunkt gemeinsam mit Aaron fort?"

Akai kritzelte auf einem Blatt herum und wie schon so oft, registrierte Jodie, dass sie die Sauklaue ihres Kameraden nicht entziffern konnte.

"Ja,... natürlich.", antwortete der andere Jäger ihr. "Wenn wir heute Nacht von der Patrouille durch die Stadt zurückkommen, setzen wir das Verhör fort. Vielleicht hilft der Vampirin der Tag in der Zelle, um ihre Situation erst wirklich zu realisieren."

"Na hoffentlich ist sie dann gesprächsbereiter." Jodie schob ihre Brille wieder ein Stück weit hoch und strich sich eine verirrte Ponysträhne aus dem Gesicht.

Weiterhin wollte auch sie an besagtem Verhör teilnehmen, doch sie rechnete sich größere Chancen aus, wenn sie James Black ganz direkt fragte, sobald dieser wieder zurück war und sie ihren Kameraden von dem Gespräch mit Bourbon erzählt hätte.

Während die Blondine Akai dabei beobachtete, wie er einige Notizen auf ein Blatt kritzelte, zog plötzlich etwas anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich. Die Knöchel seiner rechten Hand... die Haut darüber war gerötet und teilweise aufgeplatzt. Einige Stellen mussten sogar geblutet haben.

Jodie zog die Stirn kraus und schielte unauffällig zu seiner linken Hand. Das gleiche Bild.

"Was hast du mit deinen Händen gemacht? Hast du dich mit jemandem geprügelt, Shu?"

Angesprochener sah von seinen Notizen auf und winkte ab. "So ein Quatsch. Es ist alles in Ordnung. Das sind nur ein paar Kratzer, von denen bald nichts mehr zu sehen ist.", stellte er kurzangebunden fest.

Nur ein paar Kratzer? Jodie war sich ziemlich sicher, dass sie die in Mitleidenschaft gezogenen Handknöchel einzuordnen wusste Und wenn sie sich nicht gänzlich täuschte... der jungen Frau wurde schlagartig regelrecht schlecht.

Nachdem Jodie sich mit den Worten, die Einsatzpläne des Teams für die nächste Zeit erstellen zu wollen, verabschiedet hatte, begab sie sich zu ihrem Schreibtisch. Natürlich nahm sie den Umweg zur Kaffeemaschine in Kauf und balancierte die Tasse mit der dampfenden Flüssigkeit darin vorsichtig vor sich her, bis sie die Kaffeetasse auf dem Schreibtisch abstellen konnte.

In ihrer Magengegend hatte sich ein seltsames Gefühl breit gemacht. Sie musste unbedingt etwas überprüfen und dabei so normal wie möglich wirken. Sie hoffte wirklich, dass sich ihr Verdacht als unbegründet entpuppen würde und sie in der Folge nicht länger darüber nachdenken musste, doch Claires und Aarons Unterhaltung, die sie bruchstückhaft mitbekommen hatte, ging ihr genau so wenig aus dem Kopf, wie die in Mitleidenschaft gezogenen Handknöchel Akais.

Im Normalfall schätzte Jodie es, dass die Mitglieder Mondnebels sich ein Großraumbüro teilten. Sie mochte die Geselligkeit, die der Stützpunkt des Teams ausstrahlte, genau so wie es praktisch war auf einen Blick sehen zu können, welche Kollegen anwesend waren. Auch wenn ein Großteil ihres Berufs auf den Straßen New Yorks stattfand, da Vampire sich nun einmal nicht vom Schreibtisch aus jagen und bekämpfen ließen, so verbrachten Mondnebels Jäger dennoch auch eine nicht zu unterschätzende Zeit ihrer Schichten im Büro, denn neben der Jagt, gab es auch einige organisatorische Aufgaben zu bewältigen.

Im Normalfall schätzte sie die offene Atmosphäre des Großraumbüros, doch in diesem Moment wünschte die Blondine sich, sich für die Weile in ein Einzelbüro zurückziehen und die Tür hinter sich abschließen zu können. Leider nur war das nicht möglich. Sie seufzte. Trotz der Tatsache, dass sich Kollegen von ihr im Raum befanden, die nichts davon mitbekommen sollten, wollte sie unbedingt überprüfen, was sie befürchtete. Sie wollte den Beweis, dass ihre Theorie nur ein vorschnell zusammengepuzzeltes Bild war. Ein voreiliger Eindruck, der nichts mit der Realität zu tun hatte.

//Das würden sie doch niemals tun, richtig? Ich meine, wird sind Mondnebel, wir haben unsere Prinzipien und wir halten uns an geltendes Recht//, rief sie sich in Gedanken noch einmal in Erinnerung.

Jodie genehmigte sich einen Schluck Kaffee und ließ den Blick dabei unauffällig durch den Raum schweifen. Alle gingen ihrer Arbeit nach und niemand beachtete sie - sehr schön.

Sie stellte die Tasse ab, überprüfte noch einmal, dass die Lautstärke ihres Computers wirklich ausgeschaltet war und zögerte noch einmal.

Rasch rief sie die Tabelle mit den Einsatzplänen für diesen Monat auf, die sie sowieso noch bearbeiten musste. Alibimäßig würde sie diese im Hintergrund geöffnet lassen, um im Notfall das Bild wechseln zu können.

Glücklicherweise befand sich hinter ihr eine Wand, sodass niemand einfach so in ihren Bildschirm blicken könnte.

Die junge Frau atmete noch einmal tief durch. Sie wusste, dass ihr Chef strikt gegen das sein würde, was sie nun tat, doch sie musste einfach wissen, ob an ihrer Befürchtung etwas dran war, oder nicht.

Schließlich loggte sie sich in das Sicherheitssystem Mondnebels ein. Im Normalfall kein Problem, da jedes Mitglied die Überwachungskameras des Gebäudes einsehen durfte. In diesem Fall aber... man hatte ihr schon nicht erlaubt am Verhör gestern Abend teilzunehmen, folglich wären Black und die anderen wohl auch dagegen, wenn sie sich das Videomaterial der vergangenen Stunden ansah.

Noch ein letzter Schluck Kaffee und ein letzter prüfender und unauffälliger Blick durch den Raum, dann war Jodie sich sicher, dass sie es wagen konnte.

Sie musste einen Augenblick lang nach der passenden Kamera suchen, doch schließlich konnte sie auf die Überwachungsvideos des Kellers zugreifen. An für sich war es schon recht merkwürdig, dass Mondnebel tatsächlich einige Zellen im Keller hatte. So weit sie sich erinnern konnte, waren diese noch nie genutzt worden. Doch für Fälle wie diesen, hatte das Team die Möglichkeit, bis zu drei Gefangene unterzubringen. Auch wenn Mondnebel eine geheime Einheit des FBIs war, Zellen und Verhörräume eines normalen Gefängnisses, oder einer gewöhnlichen Polizeistation, konnten sie nicht nutzen, immerhin befassten die Jäger sich nicht mit gewöhnlichen Verbrechern. Ihre Zielgruppe hatte die Menschlichkeit schon lange abgelegt.
 

Das Video lud noch einige Sekunden lang, dann konnte sie von ihrem Schreibtisch aus ganz bequem verfolgen, was aktuell in der belegten Zelle im Keller geschah. Nicht viel, wie es schien.

Dennoch sog Jodie unwillkürlich scharf die Luft ein.

Anstatt frustriert oder gelangweilt auf der Liege zu sitzen, oder vielleicht wie ein gefangenes Tier im Käfig, durch den Raum zu laufen, entdeckte sie die andere Blondine zusammengerollt auf dem Fußboden liegend. Auf dem Fußboden? War der Boden nicht eigentlich unter dem Niveau dieses Sternchens, erst recht, da sich in der Zelle auch eine Liege befand?

Sie zoomte mit einer Tastenkombination noch etwas näher in den Raum. Da die Daywalkerin mit dem Rücken zur Kamera lag, konnte sie ihr Gesicht nicht sehen, doch ihre Atmung wirkte flach und vorsichtig, eine Hand hatte sie auf ihre Rippen gepresst.

Die Qualität der Kamera reichte nicht aus, um es mit Sicherheit sagen zu können, doch Jodie meinte Blut auf dem Betonboden entdeckt zu haben. Schlagartig bildete sich eine Gänsehaut auf ihren Armen und Adrenalin jagte wie ein schmerzhafter Stich durch ihren Körper.

//Verdammt, was habt ihr getan...?!// Leider nur konnte sie diesen erschrockenen Gedanken nicht aussprechen. Sie würde ihre Kollegen nicht einfach so konfrontieren können, immerhin hatte man ihr die Teilnahme an dem Verhör untersagt und die Bilder der Überwachungskamera waren ebenfalls nicht für ihre Augen bestimmt.

Mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Entsetzen, begann Jodie die Videoaufnahmen zurückzuspulen. Sie hoffte darauf eine logische Erklärung für den Zustand der Vampirin zu finden. Irgendeinen Anlass musste sie ihren Kollegen doch gegeben haben handgreiflich zu werden. Immerhin waren sie doch Mitglieder Mondnebels und somit die Guten.

Jodie schwirrte der Kopf. Sie wusste nicht, was sie denken sollte. Noch einmal spähte sie unauffällig durch den Raum, dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Aufnahmen der Überwachungskamera.

In Sprüngen spulte sie das Video zurück, bis sie schließlich an einem Punkt angekommen war, an dem die Vampirin noch allein in der Zelle war und verärgert über ihre Gefangennahme wirkte.

Schließlich ließ die junge Frau die Aufnahme vorspulen, bis sie sehen konnte, wie ihre beiden Kollegen sich der Zelle näherten.

Dadurch, dass sie den Ton ausgeschaltet hatte, bekam sie nichts von einer möglichen Unterhaltung mit, doch Jodie sah, wie die beiden Männer die Zelle betraten.

Die gefangene Blondine auf den Videoaufnahmen stand von ihrem Sitzplatz auf und betrachtete die beiden Jäger mit spöttischen Blick und mit vor der Brust verschränkten Armen.

Unwillkürlich zuckte Jodie zusammen, als sie mit ansehen musste, wie Aaron zur Begrüßung ausholte und der Daywalkerin einen harten Faustschlag versetzte, mit dem er sie direkt ins Gesicht traf, was sie dazu brachte nach hinten zu taumeln und sich nur mit Mühe auf den Beinen zu halten.

Was zum?! War Aaron vollkommen verrückt?! In einem Verhör befragte man einen Gefangenen und schlug nicht einfach so zu!

Genau der Meinung musste Akai zumindest zu dieser Zeit auch noch gewesen sein, denn es sah ganz so aus, als würde er seinen Kollegen für diese überzogene Reaktion zur Rede stellen.

Chris wischte sich währenddessen Blut aus dem Gesicht, ihr Blick im ersten Moment geschockt, dann zunehmend kühler werdend.

Als die beiden Jäger die Diskussion beendet hatten und sich erneut der Gefangenen zuwandten, war diese weiterhin sichtlich um ein selbstbewusstes Auftreten bemüht, doch Jodie sah trotz der eher mäßigen Qualität der Aufnahme, wie angespannt die Vampirin jetzt wirkte.

Durch den fehlenden Ton bekam sie nicht mit, was genau die beiden Männer sie fragten, doch die Reaktion und die ganze Körpersprache der Schauspielerin zeigten, dass sie dicht gemacht hatte.

Eine ganze Weile lang versuchten die Jäger sie zu befragen, doch die Blondine musterte die beiden nur voller Spott und Ekel, fast so, als handle es sich bei den Männern um nicht mehr als zwei unbedeutende Käfer.

Schließlich war es erneut Aaron, dessen Geduldsfaden riss. Der grimmig wirkende Mann ließ einen Arm vorschnellen und packte die Gefangene am Kragen. Unsanft riss er sie zu sich heran, schien sie anzubrüllen.

Jodie verzog das Gesicht. Als wenn dieses unprofessionelle Verhalten etwas bringen würde... er machte alles nur schlimmer.

Und richtig, Chris blickte ihr Gegenüber nur voller Verachtung an und schien das Verhalten des Jägers entsprechend zu kommentieren.

Erneut sah alles so aus, als würde Akai versuchen seinen Kollegen zur Vernunft zu bringen, doch Aaron hatte zu einem neuen Schlag ausgeholt. Diesmal allerdings meinte Jodie zu sehen, wie die Augen der Vampirin auf dem Video einen hellen Ton annahmen. Im letzten Moment warf sie sich zur Seite und entging so dem Treffer, auch wenn Aaron sie weiter am Kragen festhielt.

Auch ohne Ton sah es so aus, als würde Shu seinen Kollegen anblaffen, während die Gefangene es schaffte, den Kopf herumzureißen und die Zähne geradewegs in Aarons Handgelenk zu versenken.

Der Hüne schien aufzubrüllen und den Arm zurückreißen zu wollen, doch die Vampirin ließ nicht los. Erst ein weiterer Schlag brachte sie schließlich zu Fall.

Die beiden Jäger diskutierten, während die Blondine einen Moment benommen auf dem Boden kauerte, ehe sie sich wieder aufrappelte, nach Vampirart fauchte und schließlich etwas sagte, dass beide Männer innehalten und sich sichtlich anspannen ließ.

Auch Akais Miene hatte sich schlagartig deutlich verfinstert. Die Gefangene wischte sich Blut aus dem Gesicht und fügte noch irgendetwas hinzu, was Jodie ohne Ton natürlich nicht verstehen konnte. Doch was immer es auch gewesen war, der Kommentar musste das Fass zum Überlaufen gebracht haben. Beide gingen sie plötzlich auf die Daywalkerin los.

Jodies Augen weiteten sich bei dem Anblick. Das Aaron aufbrausend war, war schlimm genug aber bekannt, doch das ausgerechnet der sonst so beherrschte Shu sämtliche guten Vorsätze über Bord warf und eine Gefangene schlug, die bereits einem Gegner nichts hätte entgegensetzen können...

Was um Himmelswillen hatte Chris den beiden nur gesagt?

Doch was auch immer es war, es rechtfertigte niemals diese Behandlung. Ganz gleich, ob es sich bei dieser Frau nun um eine Vampirin, ein herzloses Monster, handelte oder nicht.

Mit wachsendem Entsetzen beobachtete Jodie auf dem Video, wie der Ton zunehmend rauer wurde. Wenn man es denn so nennen konnte, denn eben den Ton, der vielleicht einiges erklärt hätte, konnte sie derzeit nicht einschalten, wenn sie nicht auffliegen wollte. Was auch immer der Grund dafür war, die beiden Männer versuchten inzwischen mit Schlägen und Einschüchterung an Informationen zu kommen, nur das sie bei der Schauspielerin damit auf Granit bissen.

Aus Abwehr schlug und schnappte die Daywalkerin nach ihren Gegnern, erwischte Aaron erneut an der Hand und wehrte sich verbissen, doch das sie auf verlorenem Posten kämpfte, musste auch ihr zu diesem Zeitpunkt mehr als klar gewesen sein.

Irgendetwas zischte sie ihnen zu. Beinahe hätte Jodie den Blick vom Bildschirm abgewandt. Sie konnte kaum noch zusehen. Sie war absolut entsetzt darüber, dass zwei ihrer Kollegen so tief gesunken waren, eine im Prinzip wehrlose Gefangene dermaßen zusammenzuschlagen.

Als die beiden Männer die Zelle wieder verließen, lag die Schauspielerin reglos am Boden.

Der Jägerin wurde speiübel. Entsetzt und fassungslos starrte sie auf das Bild der Überwachungskamera, welches nun unverändert blieb. Zwar verstrichen in der Ecke des Bildes die Sekunden, doch bis auf die flache Atmung der Daywalkerin, bewegte sich auf den körnigen Bildern nichts mehr.
 

Von einer plötzlichen Eiseskälte gepackt, saß Jodie an ihrem Schreibtisch, schloss abwesend das Programm wieder und starrte auf ihren Bildschirm, ohne wirklich etwas dabei anzusehen.

Sie war geschockt, konnte es nicht fassen. Diese Aufnahmen... das konnte doch unmöglich wirklich passiert sein! Und doch sprach das Video eine eindeutige Sprache.

Sie wusste, wie provokant Chris sein konnte, doch was auch immer sie den beiden Jägern Mondnebels gesagt haben musste, nichts rechtfertigte diese Behandlung. Wie hatten ihre Kollegen nur so tief sinken können? Zwar handelte es sich bei der Schauspielerin um eine Vampirin, eine Kreatur, die Jodie absolut verteufelte, dennoch konnte sie nicht leugnen, dass die andere Blondine während des sogenannten Verhörs vor allem eines gewesen war: wehrlos. Kräftemäßig nicht mehr als eine ganz gewöhnliche Zivilistin.

Sie wusste nicht, was es gewesen war, dass die beiden Jäger sämtliche Vernunft hatte über Bord werfen lassen, doch es schockierte sie, das ausgerechnet Shuichi es gewesen war, der ebenfalls zugeschlagen hatte. Er gehörte zu ihren engsten Freunden und war für gewöhnlich so etwas wie die Stimme der Vernunft. Ein Vorzeige-Agent, der niemals die Nerven verlor. Und jetzt diese Aufnahmen...

"Hm? Was ziehst du denn für ein Gesicht? Ist alles gut bei dir?" Beinahe hätte Jodie aufgeschrien und wäre aufgesprungen, als ausgerechnet Shu sie ansprach und sie bemerkte, dass ihr Kollege genau vor ihrem Schreibtisch stand.

Sein Blick wirkte fragend aber freundlich. Sie wusste, dass jedes bisschen Wärme im Blick des Jägers für gewöhnlich nur für sie reserviert war. Eine Tatsache, die ihr im Normalfall ein wenig unangenehm war und die sie zu ignorieren versuchte, so gut es ging. Doch normalerweise fühlte sie sich sicher und wohl in der Nähe ihres guten Freundes und Kollegen. Aktuell jedoch wurde sie von einer Eiseskälte gepackt, wie noch nie zuvor. Sofort blitzten die Bilder der Überwachungskamera wieder vor ihrem inneren Auge auf. Urg... das.... das war doch nicht Shu. Der Shu, den sie kannte und dem sie im Normalfall ihr Leben anvertrauen würde. Aktuell kam ihr Kollege ihr so fremd vor, wie nie zuvor.

"Jodie?", hakte Akai noch einmal nach.

Die Blondine blinzelte und sah ihr Gegenüber schließlich an. Am liebsten hätte sie ihn sofort zur Rede gestellt doch eine innere Stimme sagte ihr, dass genau das der falsche Weg wäre. Sie wusste, dass sie etwas tun musste, doch eine direkte Konfrontation würde es nur schlimmer machen.

"Eh? Entschuldige, ich war in Gedanken. Was hast du gesagt?", zwang sie sich schließlich zu antworten und dabei ihren normalsten Tonfall aufzusetzen.

"Ich wollte nur wissen, ob alles in Ordnung ist. Ehrlich gesagt siehst du nicht so aus."

Das lag daran, das aktuell absolut gar nichts in Ordnung war, hätte sie am liebsten geschrien.

"Doch, doch... es ist alles gut.", log sie. "Ich brüte nur gerade über dem Einsatzplan. Nächste Woche Mittwoch und Donnerstag sind wir echt dünn besetzt. Wie sieht es aus? Kann ich dich für die Spätschicht eintragen?"

Akai warf ihr noch einen prüfenden Blick zu und zuckte schließlich mit den Schultern. "Sicher, wieso nicht.", stimmte er zu und Jodie tippte alibimäßig einige Namen in den Schichtplan ein, um welchen sie sich zumeist kümmerte.

"Dann bilden Andre, du und ich ein Team. James hat Urlaub.", ergriff Jodie erneut das Wort und seufzte. "Jetzt mit dem Einsatzplan vor Augen, wird es nur noch einmal realer, das Hayden und die anderen tot sind."

Die Mimik des Jägers verdunkelte sich, was daran lag, das auch ihm der Tod seiner Kameraden zu schaffen machte. "Wir alle wissen, welches Risiko unser Job birgt, trotzdem ist jeder Tod eines Kollegen hart.", stellte er fest. "Ein weiterer Grund, warum es so wichtig ist, diese Brut nachhaltig zu dezimieren.", murrte er. "Es wäre sicherlich ein großer Durchbruch, wenn dieses Biest im Keller endlich den Mund aufmachen und Mondnebel mit einigen Informationen versorgen würde."

//Kein Wunder, das sie nicht mit euch reden wollte! Aaron und du, ihr habt sie zusammengeschlagen!// Das hätte Jodie ihm am liebsten ins Gesicht gebrüllt, doch sie behielt ihre Gedanken für sich.

Schließlich wurde Akais Blick etwas fragender. "Wo du gerade am Einsatzplan sitzt, wie sieht es aus? Kommst du heute Abend mit auf Patrouille?"

Die Blondine blinzelte und schüttelte rasch den Kopf. "Nein, heute nicht.", winkte sie ab. "Der Doc will, dass ich heute noch aussetze. Ab Morgen darf ich mich den Patrouillen wieder anschließen, wenn er mir denn nach einem Gespräch morgen Vormittag das Go gibt."

Das der Arzt der Gruppe ihr noch Ruhe verordnet hatte, war eine glatte Lüge, doch Jodie wusste, dass sie heute etwas anderes zu tun hatte. Allein bei dem Gedanken daran, zog ihr Magen sich zusammen. "Heute kümmere ich mich noch um den ganzen Papierkrieg, der in meiner Abwesenheit liegen geblieben ist."
 

Tatsächlich kümmerte die junge Frau sich bis zum frühen Abend um den Papierkram, der liegen geblieben war, schrieb Berichte, stellte die Einsatzplanung für den nächsten Monat fertig und beantwortete Black erneut einige Fragen zu ihrer Zeit, die sie unfreiwillig im Anwesen der Vampire verbracht hatte.

Die Neuigkeiten über das gestern geführte Gespräch mit Chris Bodyguard brannten ihr unter den Nägeln. Längst waren auch Black und Camel wieder zurück im Büro. Doch Jodie biss sich auf die Zunge. So gerne sie ihren Kameraden auch von dem berichten wollte, was Bourbon ihr erzählt hatte, sie entschied sich damit noch zu warten und sei es auch nur für kurze Zeit.

Den ganzen Tag über verfolgten sie die Bilder, die sie auf den Überwachungsvideos gesehen hatte. Jodie war hin und her gerissen zwischen Wut, Entsetzen und Fassungslosigkeit.

Sie hasste Vampire, die Daywalkerin bildete da keine Ausnahme - erst recht nicht nachdem sie sie zwei Wochen lang festgehalten und erpresst hatte - , doch die Brutalität, mit der ihre Kollegen das Verhör geführt hatten, schockierte sie. Wenn man es denn überhaupt noch als Verhör bezeichnen konnte. Die beiden waren ganz eindeutig zu weit gegangen, als sie auf die Gefangene eingeschlagen hatten. Es widerte sie förmlich an, wie ein Mitglied Mondnebels so tief sinken konnte.

Was auch immer die Vampirin ihren beiden Kameraden zugezischt haben mochte, nichts rechtfertigte dieses Ausmaß an Gewalt. Und das selbst Shu rot gesehen hatte... sie war absolut entsetzt.

Kurz huschte ihr Blick zu James Black, der gerade dabei war in eine schusssichere Weste zu schlüpfen. Die Patrouille des heutigen Abends war dabei aufzubrechen.

Erneut spielte sie mit dem Gedanken, ihren Vorgesetzten über die Brutalität zu informieren, mit der ihre Kollegen die Daywalkerin behandelt hatten... aber sie konnte nicht ausschließen, dass er es bereits wusste. Vielleicht billigte er es sogar? Sie konnte es nicht mit Sicherheit sagen.

Den ganzen Tag über hätte sie auch Akai zu gerne mit diesem Thema konfrontiert und ihn gefragt, was zur Hölle er und Aaron sich eigentlich dabei gedacht hatten, doch glaubte sie kaum, dass er ihr ernsthaft eine vernünftige Erklärung liefern würde, wo sämtliche Kollegen darum bemüht waren, sie von dem Fall und der Gefangenen fernzuhalten. Die anderen Mitglieder Mondnebels glaubten, dass es sie nach der Entführung psychisch zu stark belasten würde, sich erneut in die Nähe der Schauspielerin zu begeben.

Jodie seufzte und lächelte bitter. Chris war nicht das Problem. Aktuell fragte sie sich viel mehr, wer ihrer Kameraden sich auf ihre Seite stellen würde, wenn sie offen und vor allen das Thema Überwachungsvideos ansprechen und die Gewalt darauf verurteilen würde.

Immer hatte sie sich wohl und gut aufgehoben bei Mondnebel gefühlt, doch heute kamen ihr ihre Kollegen so fremd vor, wie noch nie.

So gerne sie das Verhör auch offen angesprochen hätte, sie wusste, dass sie noch die Füße stillhalten musste. Sie würde sich einmischen und sich selbst in die Ermittlungen stürzen, doch diesmal musste sie hinter dem Rücken der Anderen handeln, wenn sie Antworten wollte.
 

"Also dann, wir brechen auf.", verkündete ein Mitglied der heutigen Patrouille.

"Passt auf euch auf, ja?", bat Claire, welche im Büro verbleiben und den Einsatz vom Schreibtisch aus koordinieren würde.

"Viel Erfolg.", ergriff nun auch Jodie das Wort. "Und vergesst nicht, mich ab morgen wieder mitzunehmen.", fügte sie noch zwinkernd hinzu. Alles sollte so normal wirken wie immer.

"Natürlich. Aber solltest du dich Morgen noch nicht wieder in der Lage sehen, auf Vampirjagt zu gehen, sag Bescheid. Nach dem, was du in den letzten zwei Wochen durchmachen musstest, würde es dir niemand verübeln.", wandte James Black, ihr Vorgesetzter, sich an sie.

Nachdem die insgesamt sechsköpfige Gruppe Mondnebels Hauptquartier verlassen hatte, kehrte Ruhe im Großraumbüro ein. Neben Claire und Jodie, waren nur noch zwei andere Mitglieder anwesend.

Einen Moment noch blieb Jodie an ihrem Schreibtisch sitzen, zögerte und atmete schließlich einmal tief ein und aus. Sie hatte ganz und gar kein gutes Gefühl bei der Sache, doch wenn sie ihren heute gefassten Plan in die Tat umsetzen wollte, dann musste sie jetzt handeln.

Erneut loggte sie sich rasch in das Kamerasystem Mondnebels ein und schaltete schließlich die Überwachungskameras im Keller und im Treppenhaus aus. Vermutlich würde es niemand überprüfen, doch falls jemand einen Blick auf die Aufnahmen werfen würde, wählte sie alibihalber ein Video von heute Vormittag an. Auf den ersten Blick würde sicherlich niemand bemerken, dass es sich um alte Aufnahmen handelte.

Schließlich stand sie von ihrem Platz auf und blickte einmal in die Runde. "Ich weiß nicht wie es euch geht, aber ich habe Hunger. Ich gehe rasch zur Pizzeria zwei Straßen weiter. Soll ich jemandem etwas mitbringen?"

"Gute Idee, Abendessen klingt genau richtig. Für mich bitte eine Pizza Salami.", gab einer ihrer Kollegen in Auftrag.

"Für mich eine Portion gefüllte Pizzabrötchen.", schloss Claire sich der Bestellung an.

"Ich nehme nur einen Salat. Alles andere liegt mir sonst heute Nacht zu schwer im Magen.", murrte Pete vor sich hin, ehe das Telefon zu klingeln begann und er den Anruf entgegen nahm.

"Ist gut. Dann bis gleich!", verabschiedete Jodie sich noch von ihren Kollegen und verließ das Büro.

Im Treppenflur angekommen hielt sie inne. Jetzt, wo sie ihre kleine Mission gestartet hatte, fühlten ihre Knie sich seltsam weich an. Sie hatte das Gefühl, hinter Mondnebels Rücken zu agieren. Etwas, was ihr ganz und gar nicht gefiel, sich jedoch im Moment nicht ändern ließ.

Ihr Blick wanderte zur Haustür. Sie könnte ihren Plan noch abbrechen und wirklich nur zur Pizzeria laufen, aber... sie schüttelte den Kopf. Nein, das würde sie nicht tun. Es würde sie keinen Schritt weiter bringen.

Nachdem sie sich mit einem raschen Blick über die Schulter versichert hatte, dass keiner ihrer Kollegen ihr in Richtung Flur gefolgt war, lief sie eilig die Treppe zum Keller hinunter, anstatt das Haus zu verlassen.

Vor der schweren Stahltür angekommen, blieb sie stehen und atmete erneut tief ein. Wenn jemand hiervon erfuhr, würde sie das in Teufelsküche bringen, doch sie musste einfach selbst mit Chris sprechen, um hoffentlich in Erfahrung zu bringen, was vorgefallen war.

Jodie pflückte das Schlüsselbund von der Wand, schloss die Tür, die zum Keller führte auf und suchte einen Moment lang nach dem Lichtschalter. Schließlich fand sie sich auf einem langen Flur wieder, von dem aus einige Türen abzweigten. Sie war schon ewig nicht mehr hier unten gewesen, doch erinnerte sie sich noch an die Raumaufteilung.

Zuerst einmal wäre da der Raum mit dem Sicherheitskasten, gefolgt vom Heizungsraum. Auf der anderen Seite befand sich ein Lagerraum und schließlich das Verhörzimmer. Doch ihr eigentliches Ziel lag weiter hinten auf dem Flur. Sie setzte sich wieder in Bewegung, während ihr Adrenalinpegel stieg. Würde das hier wirklich gutgehen?
 

Schließlich hatte sie die Zellen erreicht. Dicke Gitterstäbe trennten die kleinen Räume dahinter vom restlichen Flur.

Kurz musterte sie die erste, leere Gefängniszelle, die kahl und verlassen dalag, dann führte ihr Weg sie einige Schritte weiter, bis sie vor Zelle Nummer zwei stehen blieb.

Zwar hatte die Daywalkerin den ganzen Tag über Zeit gehabt sich ein wenig zu erholen, dennoch war Jodie beinahe überrascht, sie nicht zusammengerollt auf der Liege vorzufinden. Die andere Blondine stand direkt am Gitter und blickte sie an. Der Adrenalinpegel der Jägerin stieg weiter. Das hier fühlte sich so unwirklich an.

Wieder stand sie der Frau gegenüber, die sie zwei Wochen lang festgehalten hatte. Eine Vampirin, ein herzloses Monster. Wie immer lagen Selbstsicherheit und eine gewisse Arroganz im Blick der Schauspielerin. Ihre Körpersprache wirkte in keinster Weise ängstlich oder defensiv, wie man nach den jüngsten Vorfällen hätte meinen sollen. Nein, weiterhin wirkte Chris wie das Selbstbewusstsein in Person, keineswegs wie eine Gefangene.

Doch etwas war anders als sonst. Das sonst so makellose Gesicht der Anderen war verschmiert mit inzwischen getrocknetem Blut, Augenbraue und Lippe eingerissen.

Das rechte Auge der Blondine war gerötet, während sich um das Auge herum und auf der Wange bereits ein unübersehbarer Bluterguss gebildet hatte.

Jodie sog erschrocken die Luft ein. Ihre Kollegen hatten die Vampirin wirklich übel zugerichtet.

Waren Vampire nicht eigentlich dafür bekannt, Verletzungen über die Maßen schnell regenerieren zu können? Doch Chris sah ganz und gar nicht in Ordnung aus. Da waren nicht nur die deutlich sichtbaren Verletzungen in ihrem Gesicht, jetzt erst bemerkte Jodie, dass ihrem Gegenüber die Knie zitterten. Mit der linken Hand hatte die Schauspielerin nach den Gitterstäben gegriffen, die Knöchel traten weiß hervor. Sie hielt sich an den Gittern fest. Das und das leichte Zittern der Knie... die Daywalkerin hatte größte Mühe sich überhaupt auf den Beinen zu halten, realisierte Jodie. Höchst wahrscheinlich war Chris lediglich zu stolz, um ganz einfach sitzen zu bleiben. Sie versuchte ihren miserablen Zustand so gut es ging zu überspielen.

Und noch etwas wurde Jodie nun klar. Chris war nicht erst ans Gitter getreten, als sie die Zelle erreicht hatte, nein, die andere Blondine hatte schon vorher dort gestanden. Sie hatte sie bereits erwartet. Also musste sie gewusst haben, dass sie auf dem Weg hier her war?

"Nun guck nicht so überrascht, Kätzchen. Du weißt doch, dass mein Gehör besser ist, als das anderer Vampire. Ich habe deine Schritte erkannt, als du die Treppe zum Keller runter gestiegen bist.", beantwortete Chris ihre Frage, noch ehe sie sie überhaupt hatte stellen können. Wie immer lag ein leicht spöttisches Funkeln im Blick der Schauspielerin.

"Also, was führt dich her, Kleine? Bist du zum Spielen gekommen?", hakte sie schließlich sarkastisch und mit einem Fünkchen Bitterkeit in der Stimme nach.

"Nenn mich nicht Kleine. Ohne deine High Heels sind wir gleich groß.", seufzte die Jägerin. Und wirklich, die Perspektive war beinahe merkwürdig. Im Normalfall war Chris aufgrund ihrer mörderischen Absätze ein Stück größer als sie, aktuell jedoch waren die beiden Frauen exakt auf Augenhöhe.

"Ich bin nicht hier, um mich für die letzten beiden Wochen zu rächen, oder da weiterzumachen, wo meine Kollegen aufgehört haben.", redete sie schließlich weiter und spürte erneut Verachtung dafür, dass ihre Kameraden die Gefangene zusammengeschlagen hatten.

"Ich habe dir meine Entführung nicht verziehen und halte dich nach wie vor für ein skrupelloses Miststück, aber ich bin tatsächlich nur hier im zu reden.", fuhr Jodie im ruhigen Tonfall fort.

"Sieh mal einer an." Chris schmunzelte ihr ironisch entgegen. "Was wird das hier, Süße? Guter Cop, böser Cop? Falls ja, hast du dein Gegenstück vergessen."
 

Binnen der wenigen Sätze, die sie bislang gewechselt hatten, schaffte die Schauspielerin es bereits wieder mit schlafwandlerischer Sicherheit ihr Nervenkostüm auf die Probe zu stellen. Das machte sie doch absichtlich. Beinahe hätte Jodie die Augen verdreht. Die Ältere hatte sich kein Stück verändert. Na gut, innerhalb eines Tages wäre das auch eher unwahrscheinlich gewesen. Obwohl die Jägerin insgeheim damit gerechnet hatte, dass ihr Gegenüber etwas Selbstbewusstsein eingebüßt hatte, nach dem was passiert war.

"Wie kommt es, dass du dich noch nicht von den Verletzungen erholt hast? Dem Kratzer, den ich dir damals verpasst habe, konnte ich immerhin beim Verschwinden zusehen.", wollte die junge Frau wissen, ohne auf die Worte ihres Gegenübers einzugehen.

Chris blickte sie missfallend an. "Deine Kollegen haben mir nicht bloß eine Schramme verpasst, wie dir vielleicht schon aufgefallen ist."

Weiterhin spukten der Jägerin die Bilder der Überwachungskamera durch den Kopf. Der Zustand, in dem die Vampirin sich befand, war wirklich erschreckend. "Das mag wohl sein...", räumte Jodie zähneknirschend ein, denn das ihre Kameraden so weit gegangen waren, war ihr mehr als nur unangenehm. Sie selbst sah Vampire als herzlose Monster, dennoch wäre sie nie auf die Idee gekommen, eine bereits gefangene Person, die schon mehr als genug in der Klemme steckte, auch noch so unfair zu behandeln. "Trotzdem wundert es mich. Ihr Vampire erholt euch sonst auch immer unglaublich schnell. Selbst von Schussverletzungen."

Die andere Blondine schwankte, doch sie riss sich zusammen, blieb stehen und blickte Jodie so unbeeindruckt wie möglich entgegen.

"Wie schnell ein Vampir sich erholt, hängt ganz von der Menge an Blut ab, die er zuvor getrunken hat.", erklärte sie. "Ich habe vorgestern vergessen, eine Flasche mit zur Arbeit zu nehmen und in den Tagen zuvor habe ich kaum etwas getrunken, weil es so viel zu tun gab, dass ich gar nicht dazu gekommen bin."

Kurz dachte Jodie über die Worte der Anderen nach. Es stimmte. Sie hatte sie vorgestern, bevor Mondnebel aufgetaucht war, wirklich nichts trinken sehen.

Daher also die miserable Selbstheilung. Zwei Tage lang hatte die Daywalkerin gar nichts getrunken, zuvor nur sehr wenig, das ergab durchaus Sinn.

"Und was bitte hast du meinen beiden Kollegen gesagt, dass sie dermaßen ausgetickt sind? Ich kenne die beiden, gerade Shu ist normalerweise nicht so. Ich habe ehrlich gesagt noch nie erlebt, dass er seine Prinzipien so über Bord geworfen hat.", wechselte Jodie das Thema.

Der Blick der Schauspielerin verfinsterte sich. Für einen Moment sah sie sie erbost an, dann wich die Wut einem kalten, spöttischen Funkeln. "Das wüsstest du wohl gerne, was? Suchst du nach einer Erklärung, die du vorschieben kannst, um die Aktion gutzuheißen?"

Jodie blinzelte. Das hatte sie mit ihrer Frage eigentlich nicht bezweckt, doch es wunderte sie nicht, dass Chris auf die etwas unglücklich gewählten Worte so reagierte.

Die Mimik der Daywalkerin wirkte kühl. Trotz ihres Zustands und der Tatsache, dass sie hinter Gittern saß, schien die andere Blondine zudem dennoch auf sie herabzusehen. Jodie fürchtete, dass Chris ihr gegenüber ganz genau so dichtmachen würde, wie gegenüber Aaron und Akai, wenn sie sie weiterhin einfach nur mit Fragen bombardierte. Es wunderte sie schon, dass sie ihr bislang überhaupt geantwortet hatte, doch die Geduld der Daywalkerin schien diesbezüglich so gut wie aufgebraucht zu sein. Sie würde etwas anderes ausprobieren müssen. Einen psychologischen Trick, auch wenn ihr nicht ganz wohl dabei war.
 

Jodie seufzte hörbar, betrachtete einen Augenblick lang das Schlüsselbund und schloss schließlich die Zellentür auf. Noch während sie das Schloss klicken hörte, spürte sie, wie ihr Herz deutlich schneller schlug. Dennoch zwang sie sich die Zelle zu betreten und dabei so gelassen wie möglich auszusehen.

//Sie kann mir nichts tun. Sie ist unbewaffnet und war mir selbst neulich bereits körperlich deutlich unterlegen. Aktuell kann sie sich kaum auf den Beinen halten.//, erinnerte die Blondine sich in Gedanken selbst. Trotz allem wusste Jodie, wie gewagt ihre Aktion war.

Genau das schien sich auch Chris zu denken. Sichtlich aus der Bahn geworfen, blickte sie sie vollkommen entgeistert an. "Was wird das hier?", erkundigte die Schauspielerin sich überrascht und alarmiert zugleich.

Die junge Frau registrierte, dass die Gefangene sich sichtlich anspannte. Nicht, weil sie sie angreifen wollte, sondern weil sie IHR nicht über den Weg traute. Fürchtete Chris also insgeheim, dass auch die Jägerin zuschlagen könnte?

"Das wirst du gleich sehen. Warte.", kommentierte sie. Die Körpersprache der Jüngeren war ruhig und ausgeglichen. Auch wenn sie von Vampiren nicht all zu viel hielt, sie wollte die Andere nicht noch mehr beunruhigen, als sie es bereits war.

Jodie griff nach dem Arm der anderen Blondine und zog ihn sich über die Schulter. Den anderen Arm legte sie Chris um die Taille um sie zu stützen. "Komm jetzt.", wies sie sie an.

Irritiert blinzelte die Daywalkerin sie an. "Ach ja? Und wohin?", hakte sie nach. "Weißt du eigentlich was du da tust? Gedanken darüber, dass ich dir jeden Moment den Hals zerfetzen könnte, hast du dir nicht gemacht, was?"

Nun huschte ein schiefes Schmunzeln über die Lippen der Jägerin. "In deinem aktuellen Zustand, müsste sich nicht mal ein Meerschweinchen vor dir fürchten.", kommentierte sie, was ihr ein angesäuertes Murren der Vampirin einbrachte.

Langsam und vorsichtig zog sie sie mit sich, hinaus aus der Zelle und ein Stück weit über den Gang. Jodies Herz raste. Was tat sie da?! Wenn ein anderes Mitglied Mondnebels das mitbekommen sollte, sie würde in Teufelsküche geraten.

"Was um Himmelswillen geht in deinem Kopf vor, Kätzchen?" Auch Chris wirkte absolut verständnislos. Jodie konnte es ihr nicht verübeln, wusste sie doch selbst, dass diese Aktion genau so gewagt wie hirnrissig war.

Dennoch, ein Szenenwechsel würde vielleicht den erwünschten Durchbruch bringen. Die Zelle war zu negativ behaftet, der Verhörraum würde es nicht gerade besser machen.

Was sie brauchte, war ein Raum, den niemand auch nur ansatzweise mit einer Befragung, oder der zuvor erlebten Gewalt verband.

"Was in meinem Kopf vorgeht, frage ich mich gerade auch. Ich muss vollkommen übergeschnappt sein.", murrte Jodie.

Sie kamen nur langsam voran. Die Blondine bemerkte, wie sehr Chris sich zu Beginn bemühte, ihre Hilfe gar nicht erst anzunehmen, doch bereits nach wenigen Schritten, stützte sie sich mehr auf ihre Schulter, bis Jodie schließlich das Gefühl hatte, dass das ganze Gewicht der Schauspielerin auf ihr lastete, auch wenn diese nicht sonderlich schwer war.

"Hey, Prinzesschen, versuchst du eigentlich überhaupt selbst zu laufen?", hakte sie mit einem Hauch von Ironie nach.

"Ich hoffe, du hast keine all zu weite Wanderung geplant.", lautete die nicht minder ironische Antwort.

"Keine Sorge, wir sind so gut wie da." Und das waren sie wirklich. Jodie zog die Tür zum Heizungsraum auf, löschte auf dem Flur noch rasch das Licht und zog die Daywalkerin mit sich in den Raum. Die Tür fiel ganz automatisch hinter ihnen zu.

Im nächsten Moment fand sie sich im Dunkeln stehend wieder. Vielleicht war das nicht unbedingt ihre beste Idee gewesen. Da sie beide Hände brauchte, um zu verhindern, dass Chris neben ihr zusammenklappte, konnte sie noch nicht einmal ihre Handytaschenlampe einschalten.

"Verdammt, hier sieht man ja die Hand vor Augen nicht.", fluchte Jodie. Das es hier so dunkel sein würde, hatte sie nicht bedacht.

"Heizungsanlage auf neun Uhr. Etwa drei Schritte entfernt.", informierte Chris sie.

"Du siehst in der Dunkelheit etwas?", hakte die Jüngere erstaunt nach und blickte ihre Begleiterin an. Erst jetzt sah sie, dass die Augen der Anderen in der Dunkelheit schwach und stahlblau leuchteten. Sie erinnerte sich, dass sie dieses Phänomen neulich bereits bei Chianti gesehen hatte, kurz bevor diese sie verschleppt hatte.

"Die Augen von Vampiren sind besser, als die von euch Menschen. Wir sind darauf ausgelegt nachts zu sehen.", erinnerte die andere Blondine sie spöttisch.

"Jetzt tu nicht so, als wenn du schon seit Urzeiten kein Mensch mehr wärst."

Jodie spürte förmlich, wie Chris stockte.

"Was hast du gesagt?", hakte die Schauspielerin auch sogleich nach.

Ehe sie ihr antwortete, gelang es der Jägerin die Heizungsanlage zu ertasten. Sie zog die Daywalkerin vorsichtig auf die andere Seite des Kessels und setzte sich schließlich auf den Boden. Chris, die sie mit sich zog, hatte keine andere Wahl, als es ihr gleich zu tun.

"Auf den Boden? Ich will nicht wissen, wann hier zum letzten Mal geputzt wurde.", kam es wenig erfreut von der Schauspielerin. "Und überhaupt, was genau willst du in diesem Raum hinter der Heizung?"

Chris musste sie für vollkommen verrückt halten und sie konnte es ihr nicht verübeln. Sie konnte es ja selbst noch nicht so ganz glauben, dass sie ihren Plan tatsächlich durchzog.

"Das bisschen Staub wirst du schon verkraften.", stellte Jodie ungerührt fest, obwohl sie zugeben musste, dass sie selbst alles andere als zufrieden mit diesem Sitzplatz war. "Und was den Raum hier betrifft: es ist unwahrscheinlich, dass einer meiner Kollegen uns hier vermutet. Sieh es so: so schnell kein weiteres blaues Auge mehr für dich."

"Sehr witzig.", fauchte die Vampirin verärgert.

Jodie musste ihr zustimmen, der Witz war wirklich daneben gewesen. Beinahe hätte sie sich entschuldigt, doch Chris ergriff bereits erneut das Wort.

"Also, was ist jetzt? Ich will wissen, was du mit dem Kommentar eben gemeint hast."
 

"Damit, dass du noch nicht all zu lange deine Menschlichkeit abgelegt hast?", hakte Jodie noch einmal nach um Zeit zu gewinnen.

Sie hoffte wirklich, dass Chris ihr einige Fragen beantwortete, wenn sie sie denn überhaupt dazu bekommen würde zu reden. Zeitgleich fürchtete sie jedoch auch, dass Rei und die Schauspielerin eine Geschichte einstudiert hatten, auf die sie als Notfallplan zurückgreifen konnten, sollte die Blondine einmal in die Hände von Vampirjägern geraten. Genau dieser Fall war nun eingetroffen und Jodie fürchtete, dass Chris aus Selbstschutz ganz leicht in den Schauspielmodus wechseln und ihr eine zuvor genaustens einstudierte Lügengeschichte auftischen könnte.

Würden ihr Ungereimtheiten auffallen? Wie konnte sie sich sicher sein, dass die Daywalkerin die Wahrheit sagte, wenn sie sie überhaupt zum Reden bekam?

Doch um dieses Gespräch überhaupt am Laufen zu halten, musste nun wohl erst einmal sie die noch ausstehende Frage beantworten. "Lass es mich so sagen, jemand war so nett, mich mit gewissen Informationen zu versorgen."

"Ach ja?", hakte Chris skeptisch nach.

Die Jägerin sah in ihre Richtung, konnte in der Dunkelheit jedoch nur die schwach leuchtenden Augen der Vampirin erkennen. Was für ein unwirklicher Anblick.

"Dein Freund hat mit mir geredet. Er hat mir einige Dinge erzählt, aber letztlich mehr Fragen aufgeworfen, als das er mir Antworten gegeben hätte.", erklärte Jodie weiter.

"Mein Freund?" Die Stimme der Schauspielerin klang irritiert.

Die Jüngere verdrehte genervt die Augen. "Jetzt stell dich nicht blöd, Bourbon natürlich."

Ihre Gesprächspartnerin gab einen belustigten Laut von sich. "Was das betrifft, muss ich dich leider korrigieren. Er ist mein bester Freund, aber zusammen sind wir nicht."

"Erzähl mir nichts. Die Zimmer im Anwesen sind unglaublich hellhörig. Man muss kein Vampir sein, um mehr mitzubekommen, als einem lieb ist."

"Oh, ist das so?" Chris klang nicht sonderlich peinlich berührt, sondern viel mehr gleichgültig bis amüsiert. "Du hast es ohne Trauma überlebt, hm?", hakte sie spöttisch nach. "Aber wir sind trotz allem nur gut befreundet, wenn wohl auch mit gewissen Vorzügen."

Die Schauspielerin wandte sich Jodie zu, was diese daran erkennen konnte, dass die schwach leuchtenden Augen sie nun wieder ganz direkt anblickten. "Aber du wolltest sicherlich nicht über meine Beziehung zu Bourbon sprechen, richtig? Er hat dir also ein paar Dinge erzählt, die für dich mehr Fragen aufgeworfen haben, als alles andere und jetzt erhoffst du dir Antworten von mir. Aber sag mal Kleine, was genau lässt dich annehmen, dass ich dahingehend wirklich mit dir reden würde?" Wieder klang in der Stimme der Älteren eine Spur von Überheblichkeit mit, welche sie sich Jodies Ansicht nach aktuell nun wirklich nicht leisten konnte.

Dennoch sparte sie sich einen Kommentar diesbezüglich. An der Art dieses arroganten Sternchens würde sie sowieso nichts ändern können. Gleichzeitig wusste Jodie, dass ihr Gespräch einen Punkt erreicht hatte, an dem sich entscheiden würde, ob sie Antworten bekäme, oder nicht. Sie durfte es jetzt nicht vermasseln.
 

"Bourbon hat mir erzählt, dass du mich gefangen gehalten hast, um über mich an Informationen und ganz generell an Mondnebel heranzukommen. Weil du eine Zusammenarbeit mit uns anstrebst. Wie genau diese Zusammenarbeit aussehen soll, hat er mir nicht erklärt, aber ich weiß, dass du mit mir reden solltest, wenn du es ernst meinst.", ging sie in die Offensive. "Eine Vampirin, die gemeinsame Sache mit Vampirjägern machen will, das klingt mehr als absurd und unglaubwürdig. Trotzdem hättest du von Anfang an den Mund aufmachen sollen, als wir dich hier her gebracht haben. Ich meine, näher an Mondnebel als jetzt, gelangst du nicht mehr."

Als erste Antwort erntete Jodie ein missfallendes Murren. "Du wunderst dich ernsthaft, warum ich von einem Gespräch mit Mondnebel absehe?", schnappte Chris schließlich. "Was sollen das deiner Meinung nach für Verhandlungen sein, bei denen eine Partei nicht mehr als eine Gefangene ist und zur Begrüßung von den sogenannten Verhandlungspartnern zusammengeschlagen wird?!" Die Vampirin schnaubte verächtlich. "Verhandlungen führe ich nur auf Augenhöhe. Da Mondnebel dazu allem Anschein nach nicht bereit ist, werdet ihr mit dem Echo leben müssen, wenn publik wird, dass ihr mich gefangen habt."

Also war es der verdammte Stolz der Daywalkerin, der sie bislang eisern hatte schweigen lassen. Ein wenig konnte Jodie ihre Einstellung jedoch fast schon verstehen, so wie ihre Kollegen Chris behandelt hatten.

"Du sprichst von dem Angriff, der zweifelsohne erfolgen wird, wenn man versucht dich zu befreien?", hakte Jodie nach. "Damit hat Bourbon mir schon gedroht und ich habe meine Kameraden informiert. Mondnebel ist vorbereitet.", bluffte sie.

Chris lachte leise. "Ach ja, denkst du das wirklich, Schätzchen? Du bist dir bewusst darüber, wie groß Amerika eigentlich ist? Wir reden hier nicht nur von einem Angriff der New Yorker Vampirgesellschaft."

Bei der Vorstellung, dass die Biester des ganzen Landes Jagt auf Mondnebel machen könnten, graute es Jodie ehrlich gesagt, dennoch blieb sie äußerlich ruhig und gelassen.

"Es ist die Aufgabe eines jeden Vampirjägers, Vampire zu jagen und auszulöschen. Wir sind dafür ausgebildet.", entgegnete sie und seufzte dann. " Aber wenn wir uns nur gegenseitig drohen, bringt uns das nicht weiter. Also beantworte mir eine Frage: wo genau sitzen wir hier gerade?"

Die andere Blondine blinzelte. "Wo wir hier sitzen? In einem gottverdammten Heizungskeller, mitten im Dreck."

"Genau so ist es.", stimmte Jodie ihr zu, auch wenn sie versuchte möglichst nicht über den Staub und den Schmutz nachzudenken, der inzwischen mit ziemlicher Sicherheit an ihrer Kleidung klebte.

"Und wie du zugeben musst, ist ein Heizungskeller keine Gefängniszelle und kein Verhörzimmer. Wir sitzen hier in dem neutralsten Raum, den es in diesem Gebäude gibt.", fuhr sie fort.

Chris betrachtete sie schweigend.

"Mehr Augenhöhe, als in diesem Raum, kann ich dir nicht bieten. Ich gebe offen zu, dass ich dich nicht gerade mag, aber ich bin ganz sicher nicht hier, um dir zuzusetzen, wie meine Kollegen es getan haben. Ich bin hier um zu reden. Bourbon hat mir bereits einiges erzählt, aber um zu verstehen, was du vorhast und wie du dir eine Zusammenarbeit zwischen Mondnebel und euch Vampiren vorstellst, brauche ich Antworten von dir. Ich will es mir anhören und versuchen zu vermitteln, aber dafür musst du mit mir sprechen.", appellierte Jodie an die Vampirin.

Eine Zusammenarbeit zwischen Mondnebel und Amerikas Vampiren überhaupt auszusprechen, fühlte sich vollkommen absurd an. Dennoch wollte sie in Erfahrung bringen, was im Kopf der Schauspielerin vor sich ging. Sie musste wissen, ob Chris lediglich gedachte ihr eine Lügengeschichte aufzutischen um freizukommen, oder aber ob sie wirklich ernst meinte, was Rei bereits angedeutet hatte.

Einige Momente lang herrschte Schweigen. Die junge Frau wartete ab und hielt, ohne sich dessen bewusst zu sein, die Luft an, da sie die Reaktion der Anderen absolut nicht einschätzen konnte.

"Du willst vermitteln?", durchbrach die Vampirin schließlich das Schweigen. Wieder war da dieser spöttische Unterton, so als würde sie die Jägerin weiterhin nicht ganz ernstnehmen.

Jodie fürchtete, genau wie ihre Kollegen, bei der anderen Blondine auf Granit zu beißen. Dennoch ließ sie sich ihre Zweifel nicht anmerken, unterdrückte ein Seufzen und fuhr unbeirrt fort: "Fangen wir doch ganz einfach mal damit an: Bourbon meinte, dass du das Zusammenleben von Mensch und Vampir zukünftig unblutiger gestalten willst. Wie genau hast du dir das vorgestellt? Ich meine, ihr Vampire werdet wohl kaum von heute auf morgen auf unser Blut verzichten wollen."

Die Sekunden verstrichen. Chris starrte sie schweigend und prüfend zugleich an, während die Jägerin sich fragte, ob sie in diesem Leben noch eine Antwort erhalten, oder ob die Schauspielerin sie lediglich auslachen würde.

"Ich will in erster Linie die Jagdgesellschaften und das Lebendblut in unseren Bars abschaffen.", ergriff die Daywalkerin endlich das Wort. Jodies Augen weiteten sich. Chris... verspottete sie nicht, sie antwortete ihr tatsächlich? Das kam beinahe unerwartet.

"Es stimmt schon, dass meine Spezies auf menschliches Blut angewiesen ist, aber das lässt sich auch anders beschaffen. Ich habe vor meinen Namen zu nutzen, um eine Stiftung ins Leben zu rufen. Möglicherweise ein Krebsforschungsprojekt, oder ähnliches. Wir werden kräftig die Werbetrommel zum Blutspenden in unseren privaten Einrichtungen schlagen. Auf diese Art und Weise lässt sich viel Blut gewinnen, ohne jemanden dafür zu töten."

Jodie dachte über die Worte ihres Gegenübers nach. Die Daywalkerin wollte den Blutbedarf durch Blutspenden decken?

"Du willst die Blutspenden also zweckentfremden?", hakte sie skeptisch nach.

"Ja und nein. Nicht ausschließlich zumindest. Die Menschen werden irgendwann Ergebnisse sehen wollen, weshalb die Forschung nicht gänzlich vernachlässigt werden darf, aber es ist schon richtig, dass der Großteil der Blutspenden an unsere Bars gehen würde."

Die Jüngere versuchte das Vorgehen im Kopf durchzuspielen. Vermeidbare Opfer durch Blutspende. Das klang im ersten Moment verrückt, aber vielleicht doch nicht ganz so abwegig, wenn sie länger darüber nachdachte. Dennoch blieb sie skeptisch.

"Vielleicht könntest du mit dieser Lösung leben, aber wer sagt, dass andere Vampire mit Blutkonserven einverstanden wären?"

Chris lachte leise. "Ach Kätzchen, du bist so herrlich einfältig.", stellte sie amüsiert fest.

Der Jägerin entgleisten die Gesichtszüge. Vorwurfsvoll starrte sie neben sich, wo ihre Gesprächspartnerin saß. "Sag mal geht's noch?! Ich hör ja wohl nicht recht!", brauste sie auf.

Die Schauspielerin blieb unbeeindruckt und fuhr fort: "Du siehst nur das, was du auch sehen willst, das hast du in den letzten zwei Wochen zu Genüge gezeigt. Dabei ist nicht jeder Vampir ein Monster, auch wenn du das glauben willst. Viele von uns würden ein solches Projekt befürworten und unnötiges Blutvergießen vermeiden. Nicht nur die Menschheit wird moderner, die Vampire leben genau so wenig im Mittelalter."

"Für mich sah es nicht so aus, als hätte auch nur einer von euch ein Problem damit die Menschen wie Vieh zu behandeln. Ihr habt Gefangene jeden Abend in die Bar gezerrt, wie Lämmer zur Schlachtbank.", spie Jodie voller Verachtung. Allein wenn sie daran dachte, wurde ihr schlecht.

"Es stimmt schon, dass einige Vampire diese Art zu leben schätzen. Aber der Großteil der Vampirgesellschaft hält sich lediglich an bestehendes Gesetz. Niemand will es riskieren den Boss gegen sich aufzubringen."

Jodie ließ die Worte einen Moment lang auf sich wirken und zog schließlich fragend eine Augenbraue hoch. "Sie fürchten sich vor dem Boss?", hakte sie nach. "Ich meine, Bourbon hat mir bereits erklärt, dass euer Anführer streng und sehr konservativ sein soll, aber du willst mir weismachen, dass Furcht der Hauptgrund ist, warum so viele von euch Monstern jeden Abend in die Bar kommen und sich über das Leid ihrer Opfer amüsieren?!"

"Wie schon gesagt, einige von uns schätzen diese Art zu leben. Das sind die Vampire, die sich nach meiner Reformation entweder anpassen, oder nicht länger den Schutz der Gesellschaft genießen."

Der Blick der Jägerin wurde skeptischer. "Das bedeutet, du bist skrupellos genug deine eigenen Leute über die Klippe springen zu lassen und gibst das auch noch zu?"

Chris zuckte lediglich unbekümmert mit den Schultern, eine Geste, die Jodie in der Dunkelheit nicht sehen konnte. "Ich habe nie von mir behauptet ein Engel zu sein. Manchmal fordert das Erreichen eines Ziels gewisse Opfer und ich bin sehr zielorientiert, weißt du?"

Die Jüngere verzog das Gesicht. "Du bist ein gewissenloses Miststück, einfach widerlich."

Anstatt sich aufzuregen, lachte die Schauspielerin leise. "Danke für die Blumen, Kätzchen.", kam es voller Ironie von ihr.

Jodie schüttelte den Kopf. Einerseits war der Plan, durch Blutspenden zukünftig Opfer zu vermeiden, gar nicht so schlecht, andererseits konnte sie nicht fassen, dass Chris ohne zu Zögern bereit dazu war, ihre Leute, die ihre Ansichten nicht teilten und sich nicht überzeugen lassen wollten, zu opfern. Es war nicht so, dass der Jägerin daran gelegen war diese Vampire zu schützen, sie übertrug das Verhalten der Daywalkerin lediglich auf Mondnebel. Zwar agierte sie selbst gerade hinter dem Rücken ihrer Kameraden, aber das war etwas vollkommen anderes. Niemals würde sie ein Teammitglied wissentlich gefährden, oder gar in die Klinge stoßen.

"Aber sieh es mal so: der Menschheit und Mondnebel käme die Umsetzung meines Plans sehr gelegen. Vielleicht solltest du damit aufhören, meine Moral in Frage zu stellen und stattdessen den Vorteil zu sehen, den ihr davon hättet.", ergriff Chris erneut das Wort.

Jodie ließ das Gesagte einen Moment lang auf sich wirken. Was die Schauspielerin sagte, stimmte schon. Mondnebel und Amerikas Bevölkerung insgesamt, würde durchaus einen großen Vorteil aus dem Plan der Daywalkerin ziehen. Doch die gewissenlose Art ihrer Gesprächspartnerin gefiel ihr nicht. Wie sollte man einem solchen Biest vertrauen?! Diese Frau würde ohne mit der Wimper zu zucken, einem jeden Verbündeten ein Messer ins Kreuz rammen, sobald besagter Verbündeter ihr nicht mehr von Nutzen war.

"Deine Ansichten mal außen vor gelassen: nehmen wir an, dass du deinen Plan tatsächlich umsetzen willst, sagtest du nicht gerade noch selbst, dass euer Anführer die derzeitigen Bars und Jagten befürwortet? Willst du dich über sein Wort hinwegsetzen?", hakte Jodie nun nach, dachte einen Moment an das Gespräch mit Bourbon zurück und fügte schließlich hinzu: "Oder glaubst du, dass du euren Clananführer für deine Idee begeistern kannst, weil du sein Liebling bist?"

Die junge Frau hörte, wie die Vampirin neben ihr überrascht die Luft einsog.

"Rei hat dir ja wirklich einiges erzählt.", murrte sie.

Jodie horchte auf. Chris klang überrascht. Bedeutete das also, dass die beiden Blonden sich nicht abgesprochen hatten?

"Hat er.", stimmte Jodie dem Gesagten zu. In gewisser Weise stimmte es, Rei hatte ihr einige interessante Informationen gegeben, andererseits hatte er sich jedoch oftmals so kryptisch ausgedrückt, dass sie nicht schlau aus seinen Worten geworden war. "Aber jetzt sag mir lieber, wie du gedenkst euren Anführer davon zu überzeugen, demnächst auf Blutkonserven umzusteigen."

Wie genau die Schauspielerin das anstellen wollte, interessierte sie wirklich. Genau so wie Jodie sichergehen wollte, dass das Sternchen sie nicht anlog.

Vielleicht gab es da ja einen kleinen Trick, mit dem sie genau das herausfinden konnte. In der Dunkelheit tastete Jodie nach dem Arm der geringfügig Älteren und ließ ihre Hand langsam bis zu Chris Handgelenk wandern.

Überraschend reagierte die Schauspielerin überhaupt nicht auf die Berührung und ließ sie ganz einfach zu. Jodie wunderte sich, würde sich jedoch nicht beschweren. Stattdessen versuchte sie lieber den Puls der Anderen zu ertasten. Anhand ihres Pulsschlags konnte sie hoffentlich darauf schließen, ob Chris ihr die Wahrheit sagte, oder aber nicht.

"Wie ich gedenke den Boss von meinen Ansichten zu überzeugen?", hakte die Blondine nach. Ihrer Stimme hörte man das katzenhafte Schmunzeln beinahe an. "Nun, an dieser Stelle kommt Mondnebel ins Spiel."

"Eh?" Die Jägerin blinzelte überrascht. Mit dieser Aussage hatte sie nun nicht gerechnet. "Hier kommen wir ins Spiel? Wie genau meinst du das?", wollte sie wissen.

"Bevor wir weiterreden: gib es lieber auf, Süße. Vampire haben keinen Puls, da kannst du suchen, soviel du willst, du bist am Ende nur frustriert.", streute die Schauspielerin plötzlich ein. Jodie konnte nicht verhindern ertappt zusammenzuzucken. Dieses Biest hatte von Anfang an durchschaut, was genau sie vorhatte. Wie unangenehm!

"Eine Art improvisierter Lügendetektor, indem man den Puls seines Gesprächspartners überprüft. Ich kann mir schon denken, wer dir den kleinen Trick beigebracht hat.", fuhr die Schauspielerin fort und lachte leise. "Vielleicht hätte Kir dir freundlicherweise dazu erklären sollen, dass du diese Technik nur bei Menschen anwenden kannst."

"Halt doch die Klappe.", murrte Jodie peinlich berührt. "Ich fühle mich eben nicht wohl dabei, dass ich in der Dunkelheit rein gar nichts sehen kann, während du alles hier im Raum erkennst."

"Du hast doch dein Handy dabei, oder?", wollte Chris wissen. Weiterhin klang sie amüsiert.

Als die Jüngere die Frage bejahte, fuhr die Schauspielerin fort: "Warum schaltest du nicht einfach die Handytaschenlampe ein? Das wäre leichter."

Erneut wünschte die Jägerin sich im Erdboden zu versinken. Sie war so sehr auf das Gespräch konzentriert gewesen, dass sie an diese einfache Möglichkeit gar nicht gedacht hatte.

Es gefiel ihr zwar nicht, dem Vorschlag der Anderen zu folgen, doch die Taschenlampenfunktion zu nutzen, machte durchaus Sinn. Kurze Zeit später erhellte das Licht der Handytaschenlampe den Heizungskeller.
 

"Zurück zum eigentlichen Thema.", verlangte sie und versuchte ihr peinliches Missgeschick möglichst rasch zu überspielen. "Du willst, dass Mondnebel dich dabei unterstützt deinen Plan umzusetzen. Wir werden ja wohl kaum mit deinem Boss diskutieren sollen. Was also hast du vor? Ich dachte, du wolltest Mondnebels Unterstützung am ehesten um das Problem mit Gin und seinen Leuten zu lösen? Bourbon hat schon angedeutet, dass die japanischen Vampire eine nicht ganz unbedeutende, offene Baustelle sind."

Da Jodie nicht wusste, in welche Richtung der Plan der anderen Blondine gehen würde, sah sie sie aufmerksam an. Auch Chris suchte nun ganz bewusst Blickkontakt. Kaum, dass es wieder eine Lichtquelle im Raum gab, hatten die Augen der Daywalkerin ihr ursprüngliches Grün angenommen. Die Mimik der Schauspielerin hatte etwas Katzenhaftes und wirkte ernst zugleich. Eine seltsame Mischung.

"Okay, reden wir nicht länger um den heißen Brei herum.", entschied Chris. "In der Tat, soll Mondnebel mir dabei helfen, unsere japanischen Gäste in Schach zu halten, während ich mich zeitgleich darum kümmere, die amerikanische Vampirgesellschaft zu reformieren."

Auf Jodies fragenden Blick hin fuhr sie fort: "Ich werde nicht mit dem Boss über meine geplanten Gesetzesänderungen diskutieren, ich werde ihn stürzen und töten."

Vollkommen überrumpelt riss die junge Frau die Augen auf. Sie hatte mit vielen Lösungsansätzen gerechnet, aber nicht damit. Chris hatte nicht vor das Gespräch zu suchen, sie wollte den aktuellen Anführer töten?! Das würde definitiv Diskussionen mit ihm ersparen, aber gleichzeitig konnte sie nicht fassen, was die Daywalkerin da eben gesagt hatte.

"D-du willst WAS?!", hakte sie reichlich fassungslos und eine Spur zu laut nach. Sie hatte gewusst, dass diese Frau skrupellos war, aber nicht, dass sie SO skrupellos war. "Du planst einen Putsch, indem du deinen eigenen Anführer tötest?", ergriff Jodie erneut das Wort. "Das du gewissenlos bist, war mir klar, aber das..."

"Jetzt zieh nicht so ein Gesicht, Kätzchen. Ihr Vampirjäger würdet doch ebenfalls keine Sekunde zögern und ihn töten, wenn ihr nur die Gelegenheit dazu hättet, oder?", wollte Chris beinahe amüsiert wissen, doch ihr Blick war kühl.

"Wir...", begann Jodie und brach kurz ab um sich zu sammeln. Sie musste die Aussage der Schauspielerin erst einmal verdauen. "Wir sind Vampirjäger. Natürlich würden wir versuchen euren Anführer auszuschalten, wenn wir die Möglichkeit dazu bekommen, aber das ist etwas vollkommen anderes. Ich meine... er ist dein Boss! Ihr gehört einem Clan an. Bourbon hat sogar gesagt, du wärst der Liebling des Anführers. Wieso willst du ihn dann töten?!"

Das ihre Gesprächspartnerin skrupellos und egoistisch war, war ihr klar, aber das Chris so machthungrig sein sollte? Wobei... sie hatte es auch nicht bedauert, dass es Mondnebel gelungen war Rum auszuschalten, immerhin hatte sie seinen Rang geerbt...

"Du verstehst das nicht. Hier geht es nicht um einen einfachen Putsch, das hier ist etwas Persönliches.", fauchte die Daywalkerin, wie nur Vampire es konnten. Ihre Augen waren stahlblau und geradezu hasserfüllt.

Jodie spannte sich merklich an und rückte unbewusst ein Stück von Chris ab. Die Atmosphäre im Heizungskeller war von jetzt auf gleich so angespannt, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. "Das musst du mir erklären...", brachte die Jüngere schließlich stockend heraus. Derweil war sie viel zu überrascht von dem Gesprächsverlauf, als dass sie sich darüber hätte wundern können, dass Chris überhaupt mit ihr sprach und ihr all das anvertraute.
 

"Dieser Mistkerl ist für meine ganze Misere erst verantwortlich.", begann die Schauspielerin verächtlich. "Er hat mich nicht nur getäuscht und gewandelt, er hat mich zu allem Übel auch noch verwettet.", zischte sie.

Verwundert zog Jodie eine Augenbraue hoch. "Und das ganze jetzt nochmal verständlich und in Langfassung.", verlangte sie.

Chris schwieg einen Moment und schien abzuwägen, ob sie ihr antworten wollte, doch schließlich atmete sie hörbar aus, fixierte einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand mit dem Blick und begann mit ihrer Erklärung. "Vor etwa viereinhalb Jahren bin ich in regelmäßigen Briefen von einer unbekannten Person bedroht und daraufhin unter Personenschutz gestellt worden.", begann sie. "Diese Drohungen zogen sich einige Wochen lang, dann war schließlich wieder Ruhe. Ich habe ehrlich gesagt gedacht, dass es sich um irgendeinen kranken Fan gehandelt hätte, der irgendwann ganz einfach aufgegeben hat. Aber nach einer Zeit des normalen Alltags, bin ich von zwei Männern angegriffen worden, als ich nachts über den Highway gefahren bin. Es war nicht all zu viel los und diese Typen hatten ein Nagelbrett ausgelegt, dass die Reifen meines damaligen Autos zerstört hat. Ich habe im ersten Moment an einen Raubüberfall gedacht, vielleicht eine Entführung, aber da habe ich gründlich falsch gelegen. Einer der Typen hat mir mit einem Biss die Kehle aufgerissen, nachdem sie mich aus dem Auto gezerrt hatten." Jodie konnte beobachten, wie die Schauspielerin sich bei ihrer Erzählung unbewusst ein Stück kleiner machte. "Schließlich haben sie mich einfach liegen lassen, wie ein überfahrenes Tier und ich war ehrlich gesagt der festen Überzeugung, an der Verletzung zu sterben. Aber plötzlich war da ein anderes Auto, aus dem ein Mann in teurer Kleidung stieg. Er hat meine beiden Angreifer mit zwei Schlägen ins Jenseits geschickt. Er war einfach übermenschlich stark. Schließlich hat er mir angeboten, dass er mich retten könnte, auch wenn sich dadurch mein Leben ändern würde. Ich wollte noch nicht sterben und habe folglich eingewilligt, also hat er mich gewandelt."

Interessiert hörte Jodie der Älteren zu. Das musste der Zeitpunkt gewesen sein, an dem die Schauspielerin für mehrere Wochen spurlos verschwunden war, wie deren Bodyguard ihr gestern noch erzählt hatte. "Aber wenn der Mann, der dich gerettet hat, dein jetziger Boss ist, dann verstehe ich nicht, warum du ihn hasst."

Chris gab einen verächtlichen Laut von sich. "Es geht ja auch noch weiter.", wandte sie ein. "Zuerst einmal war ich wirklich auf seiner Seite, auch wenn ich mit dem neuen Lebensstil zugegebenermaßen anfänglich zu kämpfen hatte. Aber dieser Mann, Renya, hatte mich gerettet und mich in der nächsten Zeit nur so mit Aufmerksamkeiten überschüttet." Die Blondine lächelte ironisch. "Ein charmanter, gutaussehender Kerl, optisch Anfang 30, mit mehr Geld und Einfluss, als man es sich vorstellen kann, der einen noch dazu behandelt wie eine Prinzessin..., ich muss zugeben, dass ich mich ihm unter diesen Umständen damals gerne angeschlossen habe. Sein gutes Äußeres war das erste, was er eingebüßt hat." Ein ironisches Lächeln umspielte die Lippen der Schauspielerin.

Fragend blickte die junge Frau sie an und forderte sie stumm auf, das eben Gesagte zu erklären.

"Unser Anführer ist ein sogenannter Urvampir und damit älter und mächtiger als die meisten von uns. Er hatte so ziemlich alles, was er wollte, aber eine Sache fehlte ihm, die für euch Menschen absolut banal klingen muss."

"Und das wäre?", hakte Jodie nach.

"Tageslicht. Er hat die Sonne vermisst. Aber ein Vampir und Tageslicht, das passt einfach nicht zusammen. Als wir gemerkt haben, dass ich eine Daywalkerin und somit anders als die anderen bin, hatte er die Hoffnung, die größte Schwäche der Vampire durch meine Hilfe zu überwinden. Ich habe ihm gerne etwas von meinem Blut überlassen und tatsächlich war es ihm daraufhin möglich, für einige Minuten die Sonne vom Fenster aus zu betrachten. Aber die Wirkung ist schnell wieder verflogen und er hat es gerade noch so geschafft eine Katastrophe zu vermeiden. Aber dieser erste kleine Erfolg hatte seine Gier geweckt." Chris spielte mit einer blonden Haarsträhne. "Mit dem Wissen, dass Daywalkerblut zumindest kurzfristig die Lösung für das Tageslichtproblem darstellt, hat er einen zweiten Versuch gestartet und diesmal erheblich mehr meines Blutes konsumiert. Mit katastrophalen Folgen. Wir haben es bis zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst, aber mein Blut ist für Vampire so giftig wie Zyankali für Menschen. Eine kleine Menge hatte keinen Effekt auf einen mächtigen Urvampir wie den Anführer, aber die Menge, die er beim zweiten Mal getrunken hat, war zu viel des Guten. Er hat es irgendwie überlebt, aber er ist sichtbar gealtert. Binnen einer Minute ist der gutaussehende, junge Mann zu einem abscheulichen alten Greis geworden. Ein Anführer, der auf den Rollstuhl angewiesen ist." Der letzte Satz der Schauspielerin klang beinahe gehässig.

Jodie starrte sie an. Ihre Gedanken überschlugen sich geradezu. Diese Information... sie konnte nicht fassen, was sie da gerade gehört hatte. Dieses Wissen änderte alles. Nicht im Bezug auf den Anführer, aber... "D-du willst mir weismachen, dass dein Blut eine tödliche Waffe gegen Vampire ist?", stammelte sie.

Chris wirkte unbeeindruckt und nickte leicht. "So ist es. Was Kraft, Reaktionsvermögen und Geschwindigkeit angeht, unterscheidet ein Daywalker sich nicht von Menschen. Ich bin normalen Vampiren in diesen Punkten hoffnungslos unterlegen. Aber mein Blut ist so etwas wie ein tödliches Gift, mit einer einzigen großen Ausnahme."

"Eine einzige Ausnahme?" Zweifelnd blickte die Jägerin ihre Gesprächspartnerin an. "Warum erzählst du einem Vampirjäger von dieser Schwachstelle? Hast du keine Angst, dass wir dein Blut nutzen, um es gegen deine Kameraden einzusetzen?"

"Das Risiko besteht, das ist schon richtig. Aber eure künstlichen Tageslichtgeschosse wirken schneller. Außerdem habt ihr einen größeren Vorteil davon, euch mit mir zu verbünden, anstatt mich auszuschlachten. Das sollte doch selbst Mondnebels Jägern klar sein, oder nicht, Kleines?"

Wie ruhig und unbeeindruckt Chris blieb. Sie war sich bewusst, dass die eben offenbarten Informationen ein hohes Risiko darstellten und dennoch schien sie sich sicher zu sein, in diesem Fall hoch pokern zu können.

"Aber nochmal zurück zu deinem Boss. Du willst ihn ausschalten, weil er jetzt alt und hässlich geworden ist, oder wie darf ich das verstehen?", wollte Jodie wissen.
 

Chris warf ihr einen Blick zu und verdrehte die Augen. "Unschöne Sache und eindeutig dumm gelaufen, das gebe ich zu, aber wenn es nur das wäre, würde ich ihn nicht töten wollen. Doch es gibt zwei Punkte, die mir die Entscheidung ganz leicht machen."

"Und die wären?", hakte die Jüngere nach, auch wenn sie davon ausging, dass die Daywalkerin es ihr sowieso erzählen würde.

"Ich bin lange Zeit davon ausgegangen, dass Renya mich vor dem Tod gerettet hat und war ihm entsprechend dankbar. Aber vor drei Jahren habe ich ihn mit Rum sprechen hören. Die beiden hatten mich nicht bemerkt. Sie haben sich darüber unterhalten, dass der Angriff der beiden Vampire damals kein Zufall war. Der Boss selbst hatte sie damit beauftragt mir aufzulauern, damit er sich im Anschluss leichter als mein Retter aufspielen konnte. Damit, dass er sie töten würde, haben die beiden sicherlich nicht gerechnet, aber für ihn waren sie nicht mehr als Bauernopfer, um an sein eigentliches Ziel zu kommen, was ja auch wunderbar geklappt hat. Ich dachte bis zu diesem Tag immerhin wirklich, dass ich ihm mein Leben zu verdanken hätte und hatte mich folglich gerne in die Vampirgesellschaft integriert."

Erneut bemerkte die Jägerin, wie der Blick ihrer Gesprächspartnerin kalt und hasserfüllt wurde. Bei dem, was sie ihr da gerade erzählt hatte, konnte sie es Chris jedoch nicht verübeln. Dieser Mann hatte ihr Leben zerstört und sich die ganze Zeit über als ihr strahlender Ritter aufgespielt.

"Weißt du, warum er ausgerechnet dich rekrutieren wollte? Das du zur Daywalkerin werden würdest, war doch immerhin nicht absehbar, oder?", wollte Jodie wissen.

"Die Antwort liegt doch auf der Hand, Süße.", entgegnete Chris. "Das ich zur Daywalkerin werden würde, konnte niemand ahnen und hat sich für den Anführer als Segen und Fluch zugleich entpuppt. Der eigentliche Grund, warum er mich gewandelt hat, war ein ganz anderer. In manchen Punkten sind Vampire und Menschen sich eben doch sehr ähnlich. Er war und ist schlicht und ergreifend ein großer Fan von mir als Schauspielerin und wollte verhindern, dass ich altere und verwelke wie eine Blume. Für einen Vampir sind Menschenjahre immerhin eine viel kürzere Zeitspanne."

Baff blinzelte die Jüngere sie an. "DAS war der ursprüngliche Grund?! Das ist bitter, wenn du mich fragst." Einmal mehr flammte so etwas wie Mitleid für die Frau auf, die sie die letzten zwei Wochen über gefangen gehalten hatte. "Und das war der Punkt, an dem du beschlossen hast deinen Boss zu töten?", wollte Jodie wissen.

Überraschend schüttelte die Vampirin den Kopf. "Nein, das war der Punkt, an dem ich begonnen habe ihn zu hassen, aber ich habe mein neues Leben angenommen und bin geblieben."

"Du hast einfach so akzeptiert, dass dieser Mann dein Leben zerstört hat und bist in diesem verdammten Anwesen geblieben, obwohl du ihn gehasst hast und gerade noch selbst gesagt hast, dass dir der Lebensstil der Vampire nicht gefällt?! Warum bist du nicht einfach ausgestiegen?" Für die junge Frau war diese Entscheidung vollkommen unverständlich.

"Weil das nichts geändert hätte. Meine Menschlichkeit hätte ich dadurch auch nicht zurückgewonnen und ein Daywalker ohne Unterstützung hat es nicht leicht zu überleben. Ich weiß, dass es nicht immer etwas bringt, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Innerhalb der Vampirgesellschaft genieße ich einen hohen Status und führe ein sorgenfreies Leben. Unter diesen Umständen erschien es mir doch sinnvoller die Füße stillzuhalten."

"Entgegen seiner Prinzipien zu leben, Verbrechen zu begehen und Menschen zu töten, nur weil es leichter ist? Das ist erbärmlich.", schnaubte die Jägerin voller Verachtung. Einerseits wunderte es sie, dass diese stolze Frau diesen Weg eingeschlagen hatte, andererseits hatte sie in den vergangenen zwei Wochen bereits festgestellt, dass Chris es vorzog die Rosinen zu picken, wann immer es möglich war.

"Denk von mir was du willst, es kümmert mich nicht. Ich erzähle dir das hier immerhin nicht, damit du mich verstehst, Kätzchen.", kam es unbeeindruckt von der anderen Blondine.

Nur schwer schluckte die Jägerin ihren Ärger herunter. "Dann erklär mir zumindest, was es ist, dass dich zum Umdenken bewegt hat. Wenn du all die Zeit das Spiel deines Anführers mitgespielt hast, wie kommt es, dass du ihn ausgerechnet jetzt stürzen willst?"
 

Augenblicklich verfinsterte der Blick der Schauspielerin sich. "Weil er mich verwettet hat wie einen Gegenstand. Das hat das Fass zum Überlaufen gebracht.", fauchte sie verärgert.

"Verwettet? An wen und warum?" Irritiert schüttelte Jodie den Kopf.

"Bevor ich dir das beantworte, habe ich eine Aufgabe für dich. Nimm meinen Halsreif doch mal genauer unter die Lupe und versuch ihn aufzubekommen. Probier es aus, danach reden wir weiter."

Als Chris den skeptischen Blick der Jüngeren bemerkte, schmunzelte sie für einen kurzen Moment amüsiert. "Keine Angst, Kätzchen. Ich werde schon nicht versuchen dich zu fressen."

Jodie zog ein Gesicht. "Angeschlagen wie du bist, könntest du das aktuell auch gleich vergessen.", kommentierte sie, ehe sie der Älteren das Handy mit der eingeschalteten Taschenlampenfunktion in die Hand drückte.

Sie rückte näher und betrachtete das Schmuckstück am Hals ihrer Gesprächspartnerin genauer.

Sie erinnerte sich wieder daran, wie aufbrausend Chris in den vergangenen Wochen reagiert hatte, wenn sie sie auf den Halsreif mit dem hübschen, roten Edelstein angesprochen hatte.

"Ich soll den Halsreif öffnen? Ausgerechnet jetzt?" Jodie tastete vorsichtig mit beiden Händen nach dem Verschluss. "Manchmal muss man deine Gedankengänge wirklich nicht nachvollziehen können, Chris."

Zumindest war sie der Meinung, bis sie den Reif von allen Seiten untersucht, aber keinen Verschluss gefunden hatte. Das Schmuckstück bestand aus einem durchgehenden Ring, von dem sie keine Ahnung hatte, wie Chris es in erster Linie überhaupt geschafft hatte, den Halsreif über den Kopf zu bekommen. "Hey, sag mal, wie bist du da überhaupt reingekommen? Ich finde nichts, wo ich das Teil öffnen könnte."

Die Blondine warf ihr ein ironisches, bitteres Lächeln zu. "Exakt, es gibt auch keinen Verschluss. Ist der Halsreif einmal zugeschnappt, bekommt der Träger ihn Zeit seines Lebens nicht mehr gelöst."

"Ich versteh nicht ganz.", stellte Jodie irritiert fest.

"Da ging es mir zu Beginn genau so wie dir.", stimmte Chris ihr grimmig zu. "Nachdem er mich nach Rums Tod zu seiner neuen Stellvertreterin ernannt hatte, hat der Boss mir diesen Halsreif höchst persönlich angelegt. Ich hab mir im ersten Moment nichts dabei gedacht und ihn für ein teures Geschenk gehalten. Das er mir Schmuck schenkt, ist immerhin nichts neues und an diesem Abend hat der Reif genau zu meinem Kleid gepasst."

Mit ärgerlicher Mimik verstärkte die Vampirin den Griff um das Handy in ihrer Hand. Als sie sich dessen bewusst wurde, gab sie es Jodie zurück. "Gemerkt, das etwas nicht stimmt, habe ich, als ich den verdammten Reif nicht mehr ablegen konnte. Aber Renya war so nett und hat mir erklärt, was es damit auf sich hat." Chris Stimme triefte vor Ironie. "Bei meinem Halsreif handelt es sich um eins von zwei Artefakten der Vampirgesellschaft. Diese Schmuckstücke sind wahnsinnig wertvoll für uns. Der Boss trägt einen Ring mit einem blutroten Edelstein darauf. Der Ring zeichnet dessen Träger als Anführer aus. Mein Halsreif ist zwar nicht das Symbol der Stellvertretenden Anführerin, aber er bescheinigt seinem Träger zweifelsohne einen enorm hohen Status."

"Mal die Tatsache ausgeklammert, dass du den Reif nicht mehr ablegen kannst, erscheint es mir doch eher positiv, einen so wertvollen Gegenstand zu besitzen." Fragend blinzelte Jodie der Älteren entgegen.

"Das tut es im ersten Moment auch, richtig. Aber die ganze Sache hat einen Haken. Wie gesagt, gibt es nur zwei dieser Schmuckstücke und damit meine ich nicht nur hier in Amerika, sondern auf der ganzen Welt. Jedes Land hat zwar seinen eigenen Anführer, doch der Ring zeichnet den höchsten Rang aus. In Meinungsverschiedenheiten zweier Länder, hat der Träger des Rings das letzte Wort."

Ein Schmuckstück, das seinem Träger eine solche Macht bescherte? Ganz automatisch schob Jodie noch einmal einen Finger unter den Halsreif ihrer Gesprächspartnerin und strich nachdenklich über das Material. Besagter Reif schien dessen Besitzer zwar keine derartige Machtposition einzuräumen, doch zumindest war das Teil unvorstellbar wertvoll.

"Ich weiß nicht wer es einst entschieden hat, da es schon Jahrhunderte her sein muss, aber Fakt ist, dass die Vampirhäuser weltweit die Vorherrschaft des Ringträgers ganze 100 Jahre lang nicht in Frage stellen werden. Am Ende dieses Zeitraums haben jedoch Clananführer auf der ganzen Welt, die Möglichkeit, den Ring im knappen Zeitfenster von einer einzigen Stunde in ihren Besitz zu bringen. Wer den Ring um Punkt Mitternacht trägt, ist dessen neuer Besitzer und erbt die Macht, die das Schmuckstück mit sich bringt. Je nach Land soll der Edelstein in diesem Moment eine andere Farbe annehmen."

Jodie starrte Chris einige Augenblicke einfach nur an. "Das klingt wie in einem Fantasy-Film, weißt du?" Sie war sich nicht sicher, ob sie nun staunen oder lachen sollte.

"Damit hast du Recht.", stimmte die andere Blondine ihr zu und schmunzelte schief, ehe ihr Blick wieder ernster und bitterer wurde. "Um ehrlich zu sein, könnte es mir egal sein, wer nun der neue Besitzer des Rings wird, das Problem an der ganzen Sache ist, dass die beiden Schmuckstücke miteinander verbunden sind. Verfärbt der Edelstein auf dem Ring sich, gilt das auch für den Stein in meinem Halsreif. Die beiden Schmuckstücke gehören zusammen und werden gemeinsam übergeben. Der Halsreif lässt sich allerdings nicht öffnen, sodass ich ihn abgeben könnte. Siehst du jetzt, worauf es hinausläuft?"

Die Jägerin blinzelte. Ein ungutes Gefühl machte sich in ihrer Magengegend breit. "Um an den Halsreif zu kommen, müsste der neue Besitzer dir schon den Kopf von den Schultern schlagen."

"Das wäre eine Möglichkeit, ja.", kam es sarkastisch von der Vampirin. "Eigentlich wäre das auch die naheliegendste und für mich unpraktischste Lösung, aber kein Clananführer wäre so dämlich, einen Daywalker zu töten. Wenn der neue Besitzer den Halsreif einfordert, muss ich mich ihm mitsamt dem Schmuckstück anschließen." Wut flammte in den Augen der Schauspielerin auf.
 

Langsam verstand Jodie das Problem ihrer Gesprächspartnerin. Würde es einem der Anführer eines anderen Landes gelingen, den Ring in seinen Besitz zu bringen, hätte er zeitgleich auch Anspruch auf den dazugehörigen Halsreif und somit auch auf sie.

Das Chris nicht sonderlich begeistert davon war, wie ein Gegenstand weitergegeben zu werden, konnte sie gut nachvollziehen, so unsympathisch diese Frau ihr auch oftmals war.

"Du wärst gezwungen mitsamt dem Halsreif das Land zu wechseln. Das ist übel.", murmelte die Jägerin vor sich hin. "Wenn die Clananführer der ganzen Welt versuchen, an den Ring deines derzeitigen Anführers zu kommen, wird zu diesem Zeitpunkt hier in Amerika doch auch ein riesiges Chaos ausbrechen, oder?"

Überraschend schüttelte die Daywalkerin den Kopf. "Nein, das absolute Chaos wird ausbleiben. Renya besitzt den Ring inzwischen seit zwei Jahrhunderten und im letzten Jahrhundert hat es sich niemand getraut, den Versuch zu starten, sich mit ihm anzulegen. Er ist auf der ganzen Welt als unglaublich mächtiger Urvampir bekannt und gefürchtet."

Überrascht realisierte Jodie, wie ihre Gesprächspartnerin sich unbewusst ein wenig mehr an ihre Seite lehnte. Sie musterte die Daywalkerin und fand, dass diese wahnsinnig erschöpft aussah. Kein Wunder mit ihren Verletzungen.

"Die Anführer der anderen Länder scheinen meinen Boss weiterhin für einen unbezwingbaren Gegner zu halten und fordern ihn daher gar nicht erst heraus, bloß Japans Anführer muss irgendwie Wind von der schlechten körperlichen Verfassung bekommen haben, in der Renya sich befindet."

Die Blondine ballte ihre Hände zu Fäusten. "Genau so wie Gin von meiner Existenz erfahren haben muss. Ich weiß nicht genau, wie er meinen Boss dazu gebracht hat, aber sie haben miteinander telefoniert und kurz nach diesem Telefonat hat Renya mir den Halsreif umgelegt." Sie fauchte verärgert. "Gin wird ebenfalls in sämtlichen Ländern gefürchtet. In seiner derzeitigen Verfassung hat mein Boss keine Chance dieses Spielchen zu gewinnen. Das ich nach Japan ziehen werde, wenn ich mein Glück nicht selbst in die Hand nehme, ist also schon so gut wie sicher."

Unbewusst lehnte die Schauspielerin sich stärker an ihre Seite. Jodie ließ es unkommentiert, sie sah wie sehr Chris damit zu kämpfen hatte, trotz ihrer Verletzungen überhaupt aufrecht neben ihr sitzen zu bleiben.

"Hat dieser Gin nicht neulich in der Bar noch irgendetwas von knappen zwei Monaten erwähnt?", hakte sie nach. "Wieso lasst ihr jemanden, der den Ring in seinen Besitz bringen will, überhaupt in eurem Anwesen wohnen? Das ist doch verrückt."

"Nein, ist es nicht. Diese Art von Gastfreundschaft wird vorausgesetzt, immerhin handelt es sich bei dem Kampf um den Ring eigentlich nicht um einen Kampf bis zum Tod. Und ja, was die Zeitspanne betrifft, hast du gut aufgepasst, Kätzchen. Die Entscheidung fällt in der Silvesternacht um Punkt 00:00 Uhr."

Jodie rauchte der Kopf. Mit der Menge an Informationen, die die Vampirin überraschend so bereitwillig mit ihr geteilt hatte, hatte sie ehrlich gesagt im Traum nicht gerechnet.

"Weißt du warum Gin deinen Anführer in erster Linie überhaupt dazu gebracht hat, dir den Halsreif anzulegen? Ich meine, welches Interesse hat er an dir? Das ihr euch nicht all zu gut versteht, habe ich in der Bar immerhin selbst mehr als einmal mitbekommen."

"Diese Art von Interesse hat er auch nicht, das ist korrekt. Aber er hat Interesse an meinem Blut. Das Blut von Daywalkern ist nicht nur eine gefährliche Waffe, es könnte auch das Tageslichtproblem der Vampire lösen, wenn er eine Möglichkeit findet, es richtig einzusetzen."

Auf die Arme der jungen Frau legte sich schlagartig eine Gänsehaut, als sie sich vorstellte, dass Vampire zukünftig auch am Tag zuschlagen könnten. Sollten diese Biester lernen mit Sonnenlicht klarzukommen, würde das die Menschheit vor ein gewaltiges Problem stellen.
 

Mit einiger Anstrengung ging Chris wieder etwas mehr auf Abstand, wandte sich Jodie nun ganz zu und blickte sie abwartend an. "Jetzt kennst du die ganze Geschichte also, kleine Vampirjägerin. Und hier ist mein Angebot: Ich werde dafür sorgen, dass Amerikas Vampire zukünftig auf Blutkonserven umsteigen, womit unnötige Tote vermieden werden. Die, die sich nicht an die neuen Regeln halten, werden wir Mondnebel melden, immerhin wollt ihr Jäger ja nicht arbeitslos werden." Sie schmunzelte. "Von mir aus stelle ich euch monatlich auch noch eine gewisse Menge meines Blutes zu Forschungszwecken zur Verfügung, aber dafür verlange ich, dass Mondnebel mir bei meinem Putsch zum Jahreswechsel zur Seite steht und mir sein Wort gibt, die Vampire, die sich zukünftig von Blutkonserven ernähren, nicht weiter zu behelligen."

Jodie starrte ihr Gegenüber an. Sie war sprachlos, fühlte sich wie überfahren. Die ganzen Informationen musste sie erst einmal verarbeiten, genau so wie den Deal, den Amerikas aktuelle Nummer Zwei ihr da gerade angeboten hatte.

Es war eindeutig ein Deal, von dem beide Seiten erheblich profitieren könnten, wenn Chris es denn ernst meinte und ihr Wort halten würde. Sie musterte die Schauspielerin und versuchte aus ihrer Mimik schlau zu werden. Wenn das verdammte Sternchen doch nur leichter zu lesen wäre!

Aber die ganzen Informationen, die sie soeben mit ihr geteilt hatte, konnte sie sich unmöglich alle ausgedacht haben. Die Mimik ihres Gegenübers wirkte abwartend und aufmerksam, aber nicht so herablassend und arrogant wie sonst. War es ihr also ernst...?

"Du weißt, dass ich das nicht allein zu entscheiden habe. Das ist eine wirklich große Sache, die ich ganz eindeutig mit den anderen Mitgliedern Mondnebels und meinem Vorgesetzten besprechen muss.", begann Jodie, die sich immer noch wie erschlagen fühlte. "Aber wie ich es vorhin schon gesagt habe, will ich versuchen zu vermitteln."
 

Sie seufzte, musterte ihr angeschlagenes Gegenüber und erinnerte sich spontan an etwas: "Aber eine Sache hast du mir immer noch nicht beantwortet."

Fragend zog Chris eine Augenbraue hoch. "Ach ja? Ich könnte schwören, ich habe die Karten offen auf den Tisch gelegt."

"Das vielleicht, aber du hast mir noch nicht erklärt, was genau du zu meinen Kameraden gesagt hast, dass sie.... dass sie dich dermaßen zugerichtet haben.", beendete sie ihre Frage nach kurzem Zögern schließlich. "Ich kenne Shu und weiß, dass ihm so etwas überhaupt nicht ähnlich sieht. Es wird kaum etwas an der Entscheidung ändern, die wir im Bezug auf die Zukunft treffen, aber ich will es trotzdem verstehen." Eine Spur von Unsicherheit flammte in den Augen der Jägerin auf, da das Verhalten ihrer Kameraden sie nach wie vor entsetzte. Sie musste einfach wissen was vorgefallen war.

"Ach das.", begann Chris. Sie sah ihrer Gesprächspartnerin in die Augen und wieder blitzte etwas Katzenhaftes in ihrem Blick auf. "Ich habe deinen Kollegen mit seiner größten Schwäche konfrontiert. Das hat ihm nicht gefallen."

"Seine größte Schwäche?", hakte Jodie verwirrt nach.

"Du kannst dir wirklich keinen Reim darauf machen? Dummes Kätzchen.", amüsierte Chris sich.

"Hey! Jetzt rede gefälligst und hör auf mich ständig zu ärgern!"

"Schon gut, schon gut, dann will ich dir mal etwas auf die Sprünge helfen, auch wenn es eigentlich offensichtlich sein sollte, worüber wir gesprochen haben. Nachdem einer deiner Kameraden das Gespräch bereits so überaus freundlich begonnen hatte, hatte ich keine Lust mehr mit den beiden zu verhandeln, wie du dir vielleicht vorstellen kannst. Also habe ich sie gewarnt. Wenn meine Leute rausbekommen, dass ihr mich hier gefangen haltet, oder ihr mich am Ende noch tötet, wird das unschön für Mondnebel enden."

"Als wenn du den beiden damit etwas Neues erzählt hättest. Nicht nur, dass Bourbon mich gestern bereits vorgewarnt hat. Das die anderen Vampire nicht untätig bleiben werden, haben wir uns auch so schon gedacht."

"Ah ja?" Das Schmunzeln auf den Lippen der Schauspielerin wurde breiter und höhnischer. "Dann bist du dir auch der Tatsache bewusst, dass meine Leute wissen, dass ich zuletzt mir dir unterwegs gewesen bin, bevor Mondnebel dich befreit und mich geschnappt hat? Wie genau das passieren konnte, dazu habe ich bereits meine ganz eigene Theorie, aber Tatsache ist, dass die meisten Vampire dich für die Drahtzieherin halten, Süße. Ich habe deine Freunde darüber informiert, dass sie sich darüber bewusst sein sollen, dass du es sein wirst, die man mit erhöhter Priorität aufgreifen und leiden lassen wird, wie keine Zweite."

Bei dieser Drohung lief der Jägerin ein eiskalter Schauer über den Rücken. "Elendes Miststück, hast du das als Back-Up Plan mit deinen Vampiren besprochen?", zischte sie.

Überraschend warf Chris ihr einen beinahe mitleidigen Blick zu und schüttelte den Kopf. "Keineswegs. Das meine Leute diese Schlussfolgerung ziehen und entsprechend reagieren werden, ist bloß logisch. Ich weiß, dass du es nicht gewesen sein kannst, die deine Kameraden auf den Plan gerufen hat, aber ich habe deinen Freunden auch gesagt, dass ich hier in der Zelle nicht in der Position bin, eine schützende Hand über dich zu halten."

Jodie blinzelte. "Eine schützende Hand über mich halten?", wiederholte sie verständnislos. "Warum um alles in der Welt solltest du so etwas tun wollen?"

Doch Chris lachte nur leise. "Wie ich schon sagte, du bist so herrlich schwer von Begriff, Kleines."

Verwirrt blinzelte die Jägerin. Sie verstand nicht, warum Chris sie in Schutz nehmen sollte, standen sie doch eigentlich auf verschiedenen Seiten. Doch die andere Blondine sah nicht so aus, als würde sie es ihr erklären, was sie in gewissermaßen schon ein wenig frustrierte. Das Handeln dieser Frau zu verstehen, war nicht immer ganz leicht, das hatte selbst Gin gesagt.

"Zumindest hat die eigentlich ganz logische und vorhersehbare Aussage, das vor allen Dingen du in Gefahr sein wirst, deinem Kumpel ganz und gar nicht gefallen und ihn rot sehen lassen. Dein anderer Kamerad brauchte von Anfang an kein Motiv."

Für einen Moment schwieg Jodie. Das war es also, was selbst Akai zu Genüge provoziert hatte, um zuzuschlagen? Sie kannte Chris inzwischen zumindest gut genug um zu wissen, dass diese ihre Worte ziemlich provokant gewählt haben musste, dennoch konnte sie kaum glauben, dass ihre Kameraden sich tatsächlich so leicht hatten reizen und aus der Fassung bringen lassen.

Gleichzeitig wusste sie, dass Mondnebels Trumpfkarte sie mochte, aber das er so weit gehen würde...?

"Wen nennst du hier die ganze Zeit über dumm und einfältig? Ich will nicht sagen, dass es vertretbar wäre, dass mein Team dich so zugerichtet hat, aber du befindest dich aktuell in einer denkbar schlechten Position. Sie dann auch noch wissentlich zu provozieren, war nicht unbedingt deine klügste Entscheidung."

"Ich werde mich vor euch Vampirjägern sicherlich nicht klein machen.", lautete die schnippische Antwort.

Jodie seufzte. Hatte die Daywalkerin es nicht auch für klüger gehalten, sich in die Vampirgesellschaft einzugliedern, obwohl ihr das nach eigener Aussage nicht gefallen hatte? Wo war hier dann also der Unterschied? Ein weiterer Punkt, in dem sie Chris Denken nicht nachvollziehen konnte.

"Du bist wirklich selbstzerstörerisch veranlagt.", murrte sie.

"Das sagt die Richtige.", konterte Chris.

Wieder herrschte Schweigen. Jodie versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Sie musste herausfinden, was sie nun tun sollte. Die Informationen, die die Schauspielerin ihr gegeben hatte, kamen überraschend, waren aber bares Gold wert.

Und dann stand da noch dieser Deal im Raum, der zukünftig so viele Menschenleben retten und unnötiges Leid vermeiden könnte, wenn Chris denn ihr Wort hielt. Und wenn es denn gelingen würde, die andere Blondine an die Spitze des Vampirclans zu bringen.

Sie musste das unbedingt mit ihren Teamkameraden besprechen. Nicht nur, weil sie diese Entscheidung nicht allein fällen konnte, sie wollte wissen, was ihre Kameraden davon hielten. Ob sie dem Angebot zustimmen, oder es ablehnen würden, würde sicherlich eine riesige Diskussion auslösen. Sie konnte es sich schon lebhaft vorstellen. Und sie könnte sich etwas anhören, was ihren Alleingang betraf. Aber was das betraf, damit konnte sie leben. Sie hatte diese Entscheidung immerhin bewusst getroffen und mir ihr hatte Chris zudem geredet. Auch wenn sie nicht verstand, was die Vampirin dazu bewegt hatte ihr all diese sensiblen Informationen anzuvertrauen.

Wie also sollte sie nun weiter vorgehen? Ihre Gesprächspartnerin zurück in die Zelle bringen, zurück ins Büro laufen, auf die Wiederkehr der heutigen Patrouille warten und dann das Gespräch mit ihren Kameraden suchen?

Wieder musste sie an das Videomaterial denken und daran, wie übel ihr Team die andere Frau zusammengeschlagen hatte. Die Blondine war eine Vampirin und dennoch waren ihre Verletzungen auch nach Stunden noch schwer genug, als dass sie sich kaum auf den Beinen halten konnte. Selbst hier neben ihr zu sitzen, strengte sie an.

Sie schluckte. Wenn sie jetzt zurück nach oben ging und Mondnebel über die gewonnenen Informationen in Kenntnis setzte, würden ihre Kameraden die Daywalkerin doch sofort wieder verhören. Was, wenn dieses Gespräch dann wieder so eskalieren würde? Chris war nun einmal eine sehr schwierige Person und mit ihrer Art kamen viele nicht klar, doch sie würde die Schauspielerin auch nicht dazu überreden können, sich für ein weiteres Gespräch in soweit zu verbiegen, als das das Risiko einer weiteren Eskalation nicht bestand. Verdammt!

So wenig Jodie auch von Vampiren hielt und so sehr diese Frau sie auch oftmals aufregte, sie konnte schlecht zulassen, dass ihre Teamkameraden die Andere am Ende noch schlimmer verletzten. Und hierbei ging es nicht nur um die Wahrung einer gewissen Moral, nein, auch der Deal, den Amerikas Nummer Zwei ihr soeben in Aussicht gestellt hatte, würde zerplatzen wie eine Seifenblase, wenn erneut jemandem die Hand ausrutschen sollte.

Was machte sie nur? Arg! Es war doch wirklich zum Haare raufen. Am liebsten hätte Jodie geschrien. Eigentlich gab es nur eine Lösung für das Problem, die jedoch alles nur verschlimmbessern würde und ihr auch nicht gefiel... aber etwas anderes? Welche Wahl blieb ihr?

//Oh Gott, ich kann nicht glauben, dass ich wirklich ernsthaft darüber nachdenke...//, schalt sie sich in Gedanken selbst.

"Hey, Erde an Jodie, was ist los mit dir? Du siehst aus, als hättest du ein Alien gesehen.", riss Chris sie aus ihren Gedanken. Die Stimme der Schauspielerin klang amüsiert, doch die Jägerin konnte leicht heraushören, wie sehr es die Andere anstrengte, hier aktuell neben ihr zu sitzen. Das Gewicht, welches an ihrer Seite lehnte, bestätigte es ihr auch noch einmal.

"Du weißt also doch wie ich heiße. Ein Wunder.", entgegnete Jodie, da sie Chris nicht erklären wollte, worüber sie soeben nachgedacht hatte.

Sie wandte den Blick um sie anzusehen. "Um es noch einmal zusammenzufassen: du bietest den Umstieg auf Blutkonserven, eine Zusammenarbeit was Vampire betrifft, die sich nicht an die neuen Regeln halten und bist bereit einen Teil deines Blutes zu Forschungszwecken an uns abzutreten, wenn Mondnebel dir im Gegenzug garantiert, deinen regelkonformen Vampiren nicht zu schaden und dir bei deinem Putsch hilft, sodass du die neue Clananführerin wirst?"

"Fast richtig.", wandte Chris ein und Jodie sah sie fragend an.

"Auch wenn ich es sein werde, die im Hintergrund die Fäden zieht, will ich den Posten des neuen Anführers nicht. Ich bleibe Stellvertreterin und werde eine Person auf den Thron setzen, der ich wirklich vertraue."

Die Jüngere blinzelte. "Eine Person, der du vertraust? Wer soll das sein? Warum um Himmels Willen willst du die Position denn nicht selbst?"

"Um wen genau es sich handelt, verrate ich, sollte der Deal zu Stande kommen. Aber es ist eine Person, die meine Ansichten voll und ganz teilt, so viel sei gesagt.", begann Chris. "Und warum ich den Anführerposten nicht selbst will? Das ist doch ganz einfach. Mein Herz schlägt einzig und allein für die Schauspielerei. Als Clananführerin hätte ich dazu keine Zeit mehr. In meiner aktuellen Position als Nummer Zwei habe ich immerhin schon genug zu tun."

Jodie blinzelte. "Du lehnst die Position der Anführerin wegen deinem eigentlichen Beruf ab, das kommt jetzt unerwartet..." Aber sollte sie sich wirklich wundern? Wieder musste sie daran zurückdenken, dass Bourbon ihr bereits bestätigt hatte, dass Chris für ihre Ziele und Interessen bereit war über Leichen zu gehen.

Die andere Blondine warf ihr lediglich ein schwer zu deutendes Lächeln zu und Jodie verdrehte genervt die Augen. Erneut überschlugen ihre Gedanken sich. Die Frau neben ihr war selbstsüchtig, skrupellos und extrem gefährlich, sie gehörte ganz eindeutig weggesperrt. Gleichzeitig jedoch bot sie Mondnebel einen Deal an, der hunderte Leben jährlich retten würde und charismatisch, wie die Schauspielerin sein konnte, zweifelte Jodie nicht daran, dass es ihr wirklich gelingen würde, einen Großteil von Amerikas Vampiren auf ihre Seite zu ziehen, auch wenn sie die Position des Anführers oder der Anführerin an eine Person abtreten wollte, die ihr Vertrauen genoss.

Die Jägerin massierte sich die Schläfen. Ihr Gegenüber war kriminell, gleichzeitig musste sie jedoch verhindern, dass Chris erneut zu Schaden kam.

Spontan fiel ihr da nur ein Weg ein. Ein riskanter Weg, über den sie lieber nicht zu lange nachdenken sollte, da sonst das reelle Risiko bestand, dass sie sich noch einmal umentscheiden würde.
 

Da die angeschlagene Vampirin an ihrer Seite lehnte, schob sie die Ältere ein Stück weit auf Abstand, was ihr einen fragenden Blick einbrachte. Jodie atmete noch einmal tief durch und legte ihrem Gegenüber schließlich die Hände auf die Schultern.

"Verdammt, ich bin vollkommen übergeschnappt..." Leider nur war sie nicht immer der Kopfmensch, der sie sein wollte, sondern viel mehr eine Person, die letztlich auf ihr Bauchgefühl vertraute. "Okay, wir haben nicht all zu viel Zeit und müssen uns deshalb beeilen. Wir sitzen hier inzwischen bestimmt eine gute halbe Stunde und ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Kameraden sich inzwischen bereits angefangen haben zu wundern, wo ich bin."

Verständnislos schüttelte Chris den Kopf und sah sie an. "Und was genau willst du mir jetzt damit sagen?"

"Das wir dich möglichst schnell wieder auf die Füße kriegen müssen. Wie schnell wirken deine Selbstheilungskräfte im Normalfall?"

Die Daywalkerin blinzelte. "Du hast es neulich selbst an dem Kratzer an meiner Wange gesehen. Mit Blut beginnt mein Körper sofort damit sich zu heilen, ... aber ich verstehe nicht ganz."

Die junge Frau atmete einmal tief durch. Mit etwas Blut würde Chris also wieder auf die Beine kommen. Sie hatte es bereits geahnt, aber trotzdem baute sich in ihr nun ein gewisser Widerstand auf, den sie nur schwer niederringen konnte. Na ganz wunderbar...nicht. Sofort holten sie ihre negativen Erinnerungen ein.

Dennoch riss die Jägerin sich zusammen, knüpfe den ersten Knopf ihrer Bluse auf und zog das Oberteil schließlich am Hals ein Stück weit zur Seite.

"Los jetzt, beeil dich, aber übertreib es nicht. Mir gefällt das hier ganz und gar nicht, aber eine andere Möglichkeit sehe ich nicht."

Die andere Blondine starrte sie so ungläubig an, als fürchtete sie, dass Jodie soeben den Verstand verloren hatte. "Bist du jetzt vollkommen übergeschnappt?"

"Wahrscheinlich.", zischte die Jägerin. "Aber wir müssen dich schnell wieder halbwegs fit kriegen und das besser gestern als heute, also beiß schon zu, bevor ich es mir noch anders überlege."

Beinahe fassungslos starrte die Daywalkerin sie an. Erst, als Jodie nach einer der langen, platinblonden Strähnen griff und ihr Gegenüber daran in ihre Richtung zog, gelang es ihr, die Schauspielerin aus der ungläubigen Starre zu reißen, in die sie gefallen war.

"Zieh mir nicht an den Haaren, verdammt!", kam es verärgert von Chris.

"Dann hör auf mich anzustarren wie ein Reh im Scheinwerferlicht.", konterte Jodie.

"Du meinst das also wirklich ernst....", stellte die Schauspielerin ungläubig fest, ehe Jodie beobachten konnten, wie die smaragdgrünen Augen ihres Gegenübers im Schein der Handytaschenlampe schlagartig ein helles Stahlblau annahmen.

Die Daywalkerin lehnte sich in ihre Richtung, legte ihr zwei Finger unter das Kinn und schob es ein wenig hoch, sodass ihre Blicke sich trafen. "Sieh mir jetzt tief in die Augen und konzentrier dich nur darauf.", forderte sie.

"Eh? Was soll das denn jetzt...?", hakte die junge Frau verständnislos nach, blickte ihrem Gegenüber jedoch ganz automatisch in die unnatürlich hellen Augen, immerhin zogen diese in dem sonst eher dunklen Keller ihren Blick förmlich auf sich.

Noch während sie sich fragte, was genau Chris damit bezweckte, bemerkte Jodie, wie sie ruhiger wurde und ihre Gedanken langsam aber sicher abdrifteten. Wie merkwürdig... sie hatte fast das Gefühl jeden Moment einzuschlafen. Aktuell fehlte ihr jedoch die Konzentration, um sich wirklich auf ihre Gedanken zu konzentrieren.

Wie durch einen Schleier nahm sie wahr, wie die Vampirin sich zu ihrem Hals beugte. Sie spürte die Lippen der Anderen auf ihrer Haut, aber der Schmerz blieb aus. Es fühlte sich viel mehr an, als würde die andere Blondine ihren Hals küssen... aber sie biss nicht zu. Es dauerte eine Weile, bis Jodies Gedanken langsam wieder klarer wurden. Was genau machte die Vampirin da eigentlich?

Als Chris schließlich wieder auf Abstand ging, warf Jodie ihr einen skeptischen Blick zu.

"Sag mal, hast du mir gerade allen Ernstes einen Knutschfleck verpasst? Hat sich zumindest so angefühlt. Als ob wir gerade Zeit für solche Scherze hätten!", kam es wenig begeistert von der Jägerin, ehe sie stutzte. Die Lippen ihres Gegenübers waren von ihrem Blut noch rötlich verfärbt. Aber was zum? Sie hatte sie doch gar nicht gebissen. Zumindest hatte sie nichts gemerkt.

Wenn sie an die letzten beiden Bisse dachte, welche extrem schmerzhaft gewesen waren...

Gleichzeitig war ihr plötzlich wirklich schwindelig. Die Jägerin fühlte sich seltsam matt und ausgelaugt und das, obwohl gerade noch alles in Ordnung mit ihr gewesen war. Zeitgleich konnte sie beobachten, wie das Veilchen im Gesicht der Anderen verschwand und auch die aufgesprungene Lippe von Sekunde zu Sekunde gesünder aussah.

"So ein Quatsch, aus dem Alter sind wir raus.", kam es nur von Chris. Die Schauspielerin verdrehte die Augen, wusste den verwirrten Blick der Jägerin jedoch eindeutig zu lesen. "Du nennst dich Vampirjägerin und hast wirklich keine Ahnung, dass jeder Vampir sein Opfer mit intensivem Blickkontakt in eine Art Trance versetzen kann, um die Schmerzen beim Zubeißen erträglicher zu machen?"

"Gehört habe ich schon davon, aber- ", begann Jodie, ehe ihre Mimik ärgerlicher wurde: "Hey! Wenn du so etwas kannst, wieso hast du es damals in der Bar dann nicht getan? Oder als du auf die tolle Idee gekommen bist, mir die Zähne ins Handgelenk zu jagen?!"

"Kein Bedarf.", lautete die schlichte Antwort, über die Jodie sich ganz eindeutig mehr aufgeregt hätte, hätte etwas anderes ihre Aufmerksamkeit nicht auf sich gezogen.

Chris massierte sich die Schläfen, als hätte sie starke Kopfschmerzen. Die Augenfarbe der Daywalkerin wechselte immer wieder zwischen dem natürlichen Grün und einem hellen Stahlblau.

"Sag mal, was machst du da?", hakte die Jägerin skeptisch nach.

"Weg von mir.", verlangte Chris sichtlich angestrengt. "Du bist wirklich lebensmüde, weißt du das eigentlich, Kätzchen? Wie kannst du das Risiko eingehen, einem ausgehungerten und verletzten Vampir deinen Hals anzubieten? Ich hätte dich ganz leicht töten können, hätte ich die Beherrschung verloren. Ich habe schon mehr genommen, als ich eigentlich wollte, ehe ich mich wieder unter Kontrolle hatte, aber der Blutgeruch hier in der Luft macht mich noch wahnsinnig."

Bei ihren Worten, lief Jodie erneut ein eiskalter Schauer über den Rücken. Die Ältere kämpfte also gerade gegen ihre Instinkte und dagegen, ihr den Hals zu zerfetzen? Wie außerordentlich beruhigend. Genau so wie die Tatsache, dass Chris ihr noch einmal die Gefahr unter die Nase hatte reiben müssen, in die sie sich soeben wissentlich begeben hatte.

Um ihr Glück nicht überzustrapazieren, stand die Jägerin rasch von ihrem Platz auf, musste sich jedoch sofort an der Wand abstützen, da ihr nach dem Biss und dem damit verbundenen Blutverlust immer noch schwindelig war. Alles drehte sich. Sie fühlte sich so matt und abgeschlagen. Das hatte ihr gerade noch gefehlt.

Jodie blinzelte, riss sich zusammen und tappte leise bis zur Tür des Heizungskellers, das Handy mit eingeschalteter Taschenlampenfunktion weiterhin in der Hand haltend.

Sie öffnete die Tür einen Spalt weit und lauschte. Nichts zu hören und nichts zu sehen.

Schließlich fiel ihr etwas ein. Sie machte es sich doch gerade wieder nur unnötig kompliziert. Gab die Daywalkerin nicht sonst immer damit an, dass ihr Gehör bei weitem feiner war, als bei normalen Vampiren? "Hey Chris, hörst du irgendjemanden im Hausflur?", wollte sie wissen.

Fragend blickte die Blondine, die sich inzwischen bereits wieder wesentlich besser im Griff hatte, sie an und konzentrierte sich schließlich, ehe sie den Kopf schüttelte.

"Nein, da ist niemand. Nur im Erdgeschoss über uns höre ich Schritte und es riecht nach frischem Kaffee."

"Du bist wirklich unheimlich, weißt du das eigentlich?"

"Du wolltest mich doch eben noch als Detektor zweckentfremden.", kam die ironische Antwort der Schauspielerin.
 

Jodie schüttelte den Kopf und zwang sich nicht vom Thema abzuschweifen.

"Denkst du, das Blut war ausreichend, sodass du wieder laufen kannst?" Mehr konnte sie ihr aktuell zumindest nicht geben. Nach dem Biss war nun Jodie selbst es, die sich so fühlte, als würde sie jeden Moment umfallen.

In der Tat konnte sie Amerikas Nummer Zwei dabei beobachten, wie sie vorsichtig aufstand, sich den Staub von der Kleidung klopfte und kurz prüfend Arme und Beine bewegte.

"Die Menge hat nicht ausgereicht um sämtliche Blessuren zu heilen, aber es geht mir bereits etwas besser. Sagst du mir jetzt endlich, was du eigentlich vor hast?"

Jodie winkte die geringfügig Ältere zu sich heran und trat schließlich aus dem Heizungskeller, während sie mit einer Hand rasch damit begann eine SMS zu tippen.

"Ich tue etwas vollkommen hirnrissiges, was euch verdammten Vampiren in die Hände spielt und mich den Kopf kosten könnte.", murrte sie vor sich hin. "Komm jetzt."

Nachdem Jodie die SMS versandt hatte, steckte sie das Handy in ihre Hosentasche und lief los. Schwindelig, wie ihr aktuell war, war es diesmal Chris, die sie stützen musste, auch wenn die Vampirin ebenfalls noch nicht wieder richtig fit war.

Als die Blondine die eigentliche Gefangene ins Treppenhaus führte, hielt sie noch einmal inne und suchte Blickkontakt. Sie war verrückt! Ganz eindeutig! Sie konnte nur vollkommen durchgedreht sein, sonst würde sie das hier nicht tun!

Das hier konnte furchtbar nach hinten losgehen. Ihre Leute würden ihr den Hals umdrehen! Und doch sah sie die einzige Lösung in ihrem Handeln, wenn sie Chris den Hals retten und zukünftig hunderte Menschenleben schützen wollte.

"Du stehst zu deinem Wort bezüglich des Deals?", wollte sie ernst wissen.

Ihre Begleiterin sah sie einen Moment an und nickte schließlich. "Natürlich. Aus welchem Grund sollte ich sonst einer Jägerin so viele sensible Informationen anvertrauen?"

Gemeinsam stiegen die beiden Frauen die Treppen hinauf. Jodie warf der Tür, welche ins Büro führte, einen mehr als gehetzten und hektischen Blick zu, ehe sie Chris mit sich zog und hinaus in den Hof trat. Sie betete, dass nicht ausgerechnet jetzt die Patrouille zurückkehren würde.

Sie konnte selbst noch nicht fassen, was sie da tat. Aber ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass es die einzige wirkliche Lösung war, auch wenn es schwierig wäre, das ihrem restlichen Team begreiflich zu machen.

"Du holst mich da ernsthaft raus?", hakte Chris ungläubig nach. Ihrem Blick nach zu urteilen, hielt sie die Jägerin für mindestens genau so übergeschnappt, wie Jodie sich aktuell selbst einschätzte.

"Ich kann selbst noch nicht ganz glauben, dass ich das tue. Versteh mich bitte nicht falsch, Vampire sind mir weiterhin zu wider, aber ich versuche hier gerade über den Tellerrand hinaus zu schauen."

Ungesehen schafften die beiden Frauen es den Hof der Vampirjäger zu verlassen.

Schon fanden sie sich in der kühlen Nacht wieder. Es regnete und die Temperaturen waren unterirdisch. Jodie war bereits nach einer Minute vollkommen durchgefroren und auch Chris hatte bald starke Ähnlichkeit mit einer durchnässten Katze.

Ungläubig sah die Vampirin sich um und genoss ganz offensichtlich die wiedererlangte Freiheit und die kühle Nachtluft, auch wenn das Wetter wahrlich hätte besser sein können.

"Und jetzt? Du solltest dich nicht mit mir sehen lassen, Kleine.", sprach die Schauspielerin sie an.

"Bourbon hat mir gestern seine Telefonnummer gegeben. Ich habe ihm eben eine SMS geschickt. Ich denke er wird dich abholen kommen.", erklärte Jodie.

Sie zog die Schauspielerin mit sich und war dankbar darüber, dass Mondnebels Hauptquartier nicht mitten in der belebten Hauptstadt lag. Angeschlagen und durchnässt, wie sie aktuell beide waren, mussten sie doch für Unwissende so aussehen, als wären sie soeben einem Horrorfilm entsprungen, in dem sie zum Ende hin einem gemeingefährlichen Gegner entkommen waren.
 

Die Jägerin zog ihre Begleiterin mit sich, weg von der Basis der Vampirjäger und hin zu einer Eibenhecke, direkt neben einer Bushaltestelle ganz in der Nähe.

Die beiden Frauen stützten sich auf dem kurzen Weg gegenseitig. Ein ziemlich seltsames Gefühl, so mit einer eigentlichen Feindin durch die Stadt zu laufen, erst recht, wenn Jodie daran dachte, dass sie ihrem Team in gewisser Weise in den Rücken gefallen war.

Ihr Magen stach ungut, wenn sie daran dachte, was ihre Kameraden wohl von ihr denken mussten, wenn sie realisierten was passiert war. Sie musste es ihnen schnellstmöglich erklären, doch erst einmal musste sie Chris in Sicherheit wissen.

Nachdem sie etwa zehn Minuten, getarnt hinter der Hecke, abgewartet hatten und Jodie aufgrund des vorherigen Blutverlustes bereits immer wieder beinahe die Augen zufielen, fuhr schließlich ein silberner Mercedes, ein teurer 2-Sitzer um genau zu sein, die Straße entlang und hielt an der Bushaltestelle.

Nachdem zwei andere Fahrzeuge vorüber gefahren waren und ein Pizzalieferant die Straße überquert hatte, öffnete sich die Fahrertür und eine Person stieg aus.

Bereits der ganzen Körperhaltung konnte man Skepsis und Vorsicht deutlich ansehen. Die Person rechnete mit einer Falle, da war Jodie sich sicher.

Doch auch wenn sie das misstrauische Verhalten nicht einmal ansatzweise verwunderte, die Tatsache, dass es sich bei besagter Person nicht um Rei handelte, überraschte sie dafür um so mehr.

Sie hatte dem Blonden eine SMS geschrieben, doch an seiner Stelle war es Curaçao, die soeben aus dem Wagen gestiegen war.

Chris, die ihren Bodyguard ebenfalls entdeckt hatte, scannte noch einmal skeptisch die verlassene Straße mit dem Blick, ehe sie aus dem provisorischen Versteck trat. Jodie folgte ihr.

"Curaçao.", sprach sie die andere Frau leise an. Schon wandte die Silberhaarige sich ihr zu.

Ein misstrauischer Blick traf Jodie, dann musterte die Vampirin viel mehr besorgt Amerikas Nummer Zwei.

"Keine Sorge, außer uns ist niemand hier.", erklärte Chris ihr rasch.

"Oh Gott, was machst du denn für Sachen? Chris... geht es dir gut?"

"Ja, es geht schon.", versicherte die Schauspielerin. "Aber wir müssen hier so schnell wie möglich weg."

Als die beiden Blondinen bei Curaçao angekommen waren und neben dem Auto stehen blieben, musterte die Silberhaarige ihre Freundin noch einmal prüfend, ehe sie Chris schließlich in eine Umarmung zog und ihr Gesicht an der Schulter der Schauspielerin vergrub.

Diese blickte ihren Bodyguard mit einem Lächeln auf den Lippen an und erwiderte die Umarmung.

Jodie wiederum war erstaunt, einmal mehr einen Blick auf diese liebe, fürsorgliche Seite Curaçaos werfen zu können, hob sie sich dies doch scheinbar nur für Chris und Rena auf.

Schließlich gingen die beiden Frauen wieder auf Abstand. Chris öffnete die Beifahrertür und stieg in den Wagen, um dem Regen vorerst zu entkommen.

Derweil sah Jodie zu Curaçao, welche sie nun ebenfalls aus ihren verschiedenfarbigen Augen musterte - deutlich kühler, als sie zuvor noch Amerikas Nummer Zwei angesehen hatte, wohlgemerkt.

"Das war doch Bourbons Handynummer, an die ich die SMS gesandt habe, oder?", wollte Jodie wissen.

"Stimmt, aber er hätte viel länger gebraucht um herzukommen. Ich war gerade in der Nähe.", erklärte Curaçao ihr, ehe die Silberhaarige missfallender dreinblickte. "Allerdings hat dieser Idiot vergessen zu erwähnen, dass ich euch beide abholen soll."

Ein Blick auf das Auto, welches lediglich über Fahrer- und Beifahrersitz verfügte, reichte aus, um das Problem sofort zu erkennen. Dennoch waren es Curaçaos Worte im Allgemeinen, die die Jägerin stutzen ließen.

"Uns beide? Ich habe Chris nur bis hier her begleitet.", erklärte sie ihr.

"Ich habe die Kleine eingeweiht. Sie hat sich bereiterklärt die Vermittlerin zu spielen.", mischte Chris sich vom Auto aus ein.

Curaçao betrachtete Jodie einen Augenblick lang schweigend, ehe sie den Kopf schüttelte.

"Schön und gut, aber habt ihr mal daran gedacht, dass es Fragen aufwerfen wird, wenn von dir plötzlich jede Spur fehlt, Mädchen? Du warst in den letzten zwei Wochen immerhin so etwas wie Chris Schatten. Bourbon und ich haben es bislang vermieden die anderen einzuweihen, was wirklich passiert ist, aber sie werden bereits skeptisch. Wenn du nicht wieder auftauchst, wird jeder sich zusammenreimen können, was wirklich passiert ist und wissen, dass ihr zwei sicher nicht einfach jobbedingt außerhalb übernachtet habt."

Curaçaos Worte trafen Jodie wie ein Schlag. Sie war so sehr damit beschäftigt gewesen, Chris in Sicherheit zu bringen, dass sie nicht darüber nachgedacht hatte, wie es danach weitergehen würde.

Natürlich, sie musste mit Mondnebel sprechen, aber was würde passieren, wenn die Vampire von dem Vorfall und der Gefangennahme erfuhren? Curaçaos Worten nach zu urteilen, war bislang noch nicht durchgesickert, was eigentlich geschehen war, doch wenn die Vampire es herausbekommen würden,... würden viele von ihnen ihre stellvertretende Anführerin dann nicht rächen wollen, ganz egal, was diese ihnen sagte? Das so etwas passierte war nicht auszuschließen, sogar ziemlich wahrscheinlich um genau zu sein, dämmerte es ihr. Aber wenn Mondnebel nun aus Vergeltung angegriffen würde, wäre der Deal geplatzt, noch bevor sie darüber diskutiert hätten.

Nein, nein, nein! Der Jägerin graute es, als sie realisierte, was sie zu tun hatte, um diese Eskalation von Anfang an zu vermeiden.

Ihr Herz raste und ihr ganzer Körper fühlte sich eiskalt an, als sie langsam auf den Wagen zutrat.

"Du willst mir sagen, dass ich mitkommen muss, wenn die ganze Geschichte nicht auffliegen soll und wir das Risiko eines eigenmächtigen Angriffs verhindern wollen, oder Curaçao?"

Langsam nickte die Silberhaarige. "Zumindest fällt mir nichts ein, was deine Abwesenheit sonst erklären würde.", ergriff sie das Wort. "Natürlich, wir könnten immer noch behaupten du wärst tot, aber wenn dich dann irgendjemand in der Stadt sehen sollte..."

Die Blondine konnte nicht verhindern, das ihre Hände zitterten, als sie neben der Beifahrertür stehen blieb und sich kurz am Autodach festhielt.

"Verdammt... ich will nicht wieder zurück in dieses elende Anwesen." Eigentlich hatte sie verärgert klingen wollen, doch man hörte ihrer Stimme ganz eindeutig Angst und Verzweiflung an.

Schließlich blickte sie nach unten und ins Auto, in welchem Chris saß, das Gespräch verfolgte und gleichzeitig das Handschuhfach nach einer Zigarettenschachtel durchsuchte. Sie wurde nicht fündig.

"Wenn ich mitkomme, dann steige ich nur als gleichberechtigtes Mitglied eurer Verschwörung in dieses Auto, nicht wieder als eure Gefangene.", hörte sie ihre eigene Stimme sagen.

Curaçao war zum Kofferraum getreten und öffnete diesen. "Es fällt mir nach wie vor schwer dir zu vertrauen.", murrte sie wenig begeistert.

Chris hingegen suchte Blickkontakt mit der Jägerin. "Mir fällt aktuell auch keine vernünftige Ausrede ein, warum ich dich hätte ziehen lassen sollen. Tut mir leid, Kätzchen." Sie schnippte sich eine Haarsträhne zurück über die Schulter. "Du wirst vor Anderen wieder mein Dienstmädchen spielen müssen, damit die ganze Geschichte nicht auffliegt, aber du steigst als Verbündete in diesen Wagen, nicht als Gefangene. Ich werde dir baldmöglichst ein Gespräch mit Mondnebel ermöglichen, aber vorerst müssen wir den anderen Vampiren Alltag vorspielen."

Chris klang aufrichtig. Jodie konnte nur hoffen, dass sie ihre Worte ernst meinte und nicht nur schauspielerte. Aktuell hatte sie jedoch gar keine andere Wahl, als sich darauf zu verlassen.

Sie war unbewaffnet und hätte gegen Curaçao nicht den Hauch einer Chance, wenn diese es darauf anlegen würde, sie mit Gewalt ins Auto zu verfrachten. Ganz davon abgesehen, hatte es derzeit absoluten Vorrang den Deal auf die Beine zu stellen. So wenig es ihr gefiel, vorerst musste sie mit den beiden Vampirinnen zurück ins Anwesen kehren.
 

Curaçao stand abwartend am Kofferraum. So genau konnte Jodie nicht sagen, was genau die Silberhaarige darin eigentlich suchte.

Sie selbst warf einen Blick auf das Auto und verfluchte erneut die Tatsache, dass es sich dabei um einen Zweisitzer handelte. Wo genau sollte sie hier denn bitte...

Auch dafür sah sie eigentlich nur eine Möglichkeit, die logisch und absurd zugleich war. Mit einem seltsamen, flatternden Gefühl in der Magengegend, gab sie ihren Widerstand schließlich auf und wählte die einzige Möglichkeit in diesem Wagen mitzufahren, die ihr blieb.

"Schnall mich gefälligst mit an, okay?", verlangte sie, schlüpfte kurzentschlossen ebenfalls durch die Beifahrertür und nahm schräg auf dem Schoß der Daywalkerin Platz.

In diesem Moment wünschte Jodie sich nur noch im Erdboden versinken zu können, oder gleich aus einem ziemlich schrägen Traum aufzuwachen, so unwirklich kam ihr die Situation vor.

Chris machte es nicht unbedingt besser. Die Schauspielerin starrte sie so entgeistert und fassungslos an, als wäre ihr soeben ein zweiter Kopf gewachsen.

Jodie hörte, wie der Kofferraum zufiel und sah, wie Curaçao nur zwei Sekunden später neben ihnen auf dem Fahrersitz Platz nahm.

Die Augen der Vampirin schimmerten stahlblau, während ihre Mimik eindeutig verärgert wirkte.

"Sag mal, was fällt dir ein, Menschlein?! Das da ist Amerikas Nummer Zwei, die Frau, die ein neues Zeitalter für uns Vampire einläuten wird, und kein verdammtes Sitzkissen!", fauchte sie.

"Ach, und wo hätte ich deiner Meinung nach sonst mitfahren sollen? Auf dem Dach oder im Fußraum vielleicht?!", blaffte Jodie zurück.

"Zur Not im Kofferraum, aber das...!"

Die Aufmerksamkeit der beiden Frauen wurde jäh von Chris auf sich gelenkt, als diese kurzentschlossen den Beifahrersitz ein Stück weit zurückfahren ließ und die Arme um Jodie legte.

"Keine von uns ist zufrieden mit der aktuellen Situation, aber könnten wir jetzt bitte von hier verschwinden? Es lässt sich gerade nicht ändern. In einem 2-Sitzer ist leider nicht mehr Platz."

Auch die Schauspielerin klang nicht gerade erfreut, jedoch war ihre Stimme schneidend scharf, um die aufkommende Diskussion sofort zu unterbinden.

Curaçao murrte noch etwas unverständliches vor sich hin, dann fügte sie sich, folgte der Anweisung und startete den Motor. Der Wagen setzte sich in Bewegung.

Jodie suchte nach einer bequemeren Position und lehnte das Kinn schließlich zögerlich auf Chris Schulter. Die Schauspielerin ließ sie.

Während die junge Frau die Landschaft an ihnen vorbeirauschen sah, versuchte sie zu realisieren, was sie getan hatte. Sie hatte tatsächlich Amerikas Nummer Zwei befreit, war Mondnebel damit vorerst gewaltig in den Rücken gefallen und befand sich nun auch noch erneut auf dem Weg zurück in dieses elende Vampirnest...auf dem Schoß des Sternchens sitzend wohlgemerkt. Sie konnte es nicht fassen.

Jemand schüttelte leicht ihre Schulter. Die Blondine murrte, rollte sich etwas mehr zusammen und verschwand bis zur Nasenspitze unter der Decke. Sie wollte noch nicht aufstehen!

Doch erneut wurde ihre Schulter angestupst und wieder leicht geschüttelt. Jemand gab einen amüsierten Laut von sich. Jodie murrte deutlich unzufriedener.

"Hey, na komm schon, wach auf.", hörte sie eine ihr inzwischen bekannte, männliche Stimme sagen. "Du hast schon den halben Tag verschlafen."

Den halben Tag verschlafen? Diese Worte bewirkten, dass sie schlagartig wacher wurde. Wie spät war es denn? Und überhaupt, das war doch Reis Stimme, richtig? Was suchte denn ausgerechnet der Bodyguard hier?

Die junge Frau schlug die Augen auf und drehte sich auf den Rücken, da die Stimme ganz eindeutig von ihrer anderen Seite aus gekommen war.

Bereits während sie aufwachte und sich drehte, realisierte Jodie, dass sie sich erneut im Vampiranwesen befand. In dem ihr inzwischen so vertrauten Wohnzimmer der Daywalkerin, um genau zu sein.

Bourbon stand hinter dem Sofa und hatte beide Arme auf den Sofarücken gelehnt. Belustigt blickte er auf die noch ganz verschlafene Jägerin hinab. "Na endlich. Ich dachte schon du hältst Winterschlaf.", scherzte er.

Jodie zog fragend und nur mäßig begeistert die Stirn kraus, ehe sie sich aufsetzte und sich einige verirrte Haarsträhnen aus dem Gesicht strich. "Was machst du denn hier?", wollte sie wissen. "Es gehört sich nicht, ungefragt einfach so in fremden Schlafzimmern aufzutauchen."

Der Bodyguard streckte sich, lief unbeeindruckt durch den Raum und blieb vor dem Sofa stehen.

Im Gegensatz zu Jodie selbst, wirkte Rei recht gut gelaunt.

"Zuerst einmal ist das hier ein Wohnzimmer.", verbesserte er sie. "Und dann wäre da noch die Tatsache, dass es schon nach 11:30 Uhr ist. So lange, wie du geschlafen hast, dachte ich mir, ich sehe lieber mal nach dir."

Die Jägerin seufzte. Es hatte keinen Sinn sich über den Vampir aufzuregen, ändern würde sich dadurch auch nichts.

"Schon so spät?" Sie gähnte hinter vorgehaltener Hand, rieb sich über die noch müden Augen und schlug schließlich die Wolldecke zurück, unter der sie bis eben noch gelegen hatte.

Die Blondine schwang die Beine über die Sofakante, setzte sich auf und gähnte erneut. Prüfend blieb ihr Blick an der Wanduhr hängen, welche sie aktuell jedoch nur sehr verschwommen erkennen konnte. Bourbon erkannte das Problem und deutete mit einer kurzen Geste auf den Wohnzimmertisch, auf dem Jodies Brille lag. Kaum, dass sie diese aufgesetzt hatte, konnte sie die Uhrzeit klar erkennen. Sie stutzte. Es war wirklich schon ziemlich spät. So lange hatte sie geschlafen? Und überhaupt... sie hatte keinerlei Erinnerung daran, wie sie in erster Linie zurück in diesen Raum gelangt war.

Skeptisch legte sie die Stirn in Falten. "Merkwürdig. Ich kann mich gar nicht daran erinnern, zurück ins Wohnzimmer gelaufen zu sein.", äußerte sie.

Rei lachte leise. "Naja, das liegt daran, dass du gestern so erledigt gewesen sein musst, dass du im Auto eingeschlafen bist. Die Mädels haben dich nicht aufgeweckt bekommen, also musste Curaçao dich von der Tiefgarage aus hier her tragen." Bourbon klang mehr als amüsiert.

"Ich...WAS?!" Jodie entgleiste das Gesicht. Sie sollte es geschafft haben, auf der Fahrt zum Anwesen eingeschlafen zu sein?! Verdammt, jetzt hatte sie den Weg hier her schon wieder nicht mitbekommen. Aber das war nicht das Schlimmste an der ganzen Geschichte. Wenn sie daran dachte, dass sie aus Platzmangel die ganze Fahrt über auf Chris Schoß gesessen hatte und folglich in den Armen der Schauspielerin eingeschlafen sein musste... sie wollte nur noch im Erdboden versinken! Das durfte ja wohl nicht wahr sein! Und als wäre das nicht schon schlimm genug, musste sie so tief geschlafen haben, dass Curaçao sie durchs ganze Haus getragen hatte, wie ein schlafendes Kind!

Wie unglaublich peinlich! Ihr ganzes Gesicht brannte vor Scham. Jodie wünschte sich, dass Rei ihr nie erzählt hätte, wie sie hier hergekommen war. Sie würde doch ganz eindeutig im Erdboden versinken, wenn sie Curaçao oder Chris das nächste Mal begegnete!

"Wie unglaublich peinlich. Das glaube ich einfach nicht...", murmelte sie vor sich hin.

Im nächsten Moment verfluchte sie bereits das gute Gehör der Vampire, da ihr Gegenüber jedes Wort verstanden hatte und sie amüsiert und ein wenig mitleidig zugleich angrinste. "Halb so wild, die beiden haben es mit Humor genommen.", wusste er zu berichten.

Na DAS konnte Jodie sich lebhaft vorstellen.

"Immerhin bist du jetzt ausgeschlafen, oder?", ergriff Rei erneut das Wort.

"Wer den Schaden hat....", murrte die Jägerin peinlich berührt vor sich hin, ehe sie blinzelte, als ihr etwas ganz anderes einfiel. Sie wollte dieses unangenehme Thema schnellstmöglich begraben.

"Da fällt mir ein: Wo ist Chris jetzt eigentlich?"

Mit den Händen begann die junge Frau ihre, vom Schlafen noch ganz zerzausten Haare zu ordnen.

"Sie schläft noch.", erklärte Bourbon ihr. "Aber im Gegensatz zu dir, war sie in der Nacht noch Ewigkeiten wach. Ich habe ihr noch etwas zu Trinken gebracht, damit sie sich vollständig regeneriert, anschließend hat sie geduscht und sich umgezogen und ist schließlich runter in die Bar, um nach dem Rechten zu sehen und sich um unsere Gäste zu kümmern."

Da man das Bad nur betreten konnte, wenn man zuvor durchs Wohnzimmer lief, bedeutete das dann wohl auch, dass sie so tief geschlafen haben musste, dass sie die Dusche und die Tatsache, dass die Schauspielerin mehrfach durch den Raum gelaufen war, überhört hatte. Wie unangenehm!

Jodie schob diesen Gedanken entschieden bei Seite und dachte stattdessen kurz über Reis Worte nach. Obwohl Chris gestern selbst noch so angeschlagen war, hatte sie sich also direkt wieder in die Arbeit gestürzt, ehe sie sich etwas Ruhe gegönnt hatte.

"Wie geht es ihren Verletzungen?", wollte Jodie wissen.

"Inzwischen ist davon nichts mehr zu sehen.", wusste ihr Gesprächspartner zu berichten, ehe seine Mimik sich deutlich verfinsterte. "Deine Kameraden sind wirklich überaus gastfreundlich, anders lässt es sich kaum sagen."

Die Blondine verzog das Gesicht. Ihr war es ja selbst mehr als unangenehm, das zwei ihrer Teammitglieder die Schauspielerin so zugerichtet hatten.

Bourbon betrachtete sie einen Moment, ehe seine Mimik sich wieder normalisierte. "Aber immerhin du hast Vernunft gezeigt. Es war die richtige Entscheidung, die du gestern getroffen hast."

Jodie massierte sich die Schläfen und seufzte. "Das wird sich erst noch zeigen, fürchte ich."

Sie stand von ihrem Platz auf und streckte sich. "Sicher ist zumindest, das Mondnebel inzwischen bemerkt haben dürfte, was passiert ist. Und sie werden wenig begeistert sein."

Was das betraf, fiel ihr noch etwas ein. Stimmte ja! Sie musste ihre Kameraden schnellstmöglich kontaktieren. Sie musste ihnen unbedingt erklären, warum sie getan hatte, was sie gestern nun einmal getan hatte. Und sie musste mit ihnen über den Deal reden.

Schon sah sie sich nach ihrem Handy um, entdeckte es auf den ersten Blick jedoch nirgends.

"Wo ich gerade Mondnebel sage, ich muss mein Team anrufen. Sie müssen wissen, was hier gespielt wird."

Erneut scannte ihr Blick prüfend den Tisch und das Wohnzimmerschränkchen, auf welchem sie ordentlich gefaltete Ersatzkleidung entdeckte, die man für sie herausgelegt haben musste.

"Hast du mein Smartphone gesehen?", wollte sie von dem Blonden wissen.

Der Bodyguard zuckte mit den Schultern und blickte sie beinahe entschuldigend an. "Tut mir leid, das haben wir gestern erst einmal an uns genommen. Du kriegst es aber heute noch wieder."

Jodie stutzte und starrte ihr Gegenüber an. Man hatte ihr Handy einkassiert? In ihrem Kopf schrillten sämtliche Alarmglocken. Bedeutete das am Ende noch, dass sie sich doch sehenden Auges zurück in die Gefangenschaft begeben hatte...?!

"Was hat das zu bedeuten?!", hackte sie mit schneidend scharfer Stimme nach.

Beschwichtigend hob Rei die Hände. "Jetzt beruhig dich wieder, okay? Das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme. Chris und wir, wir sehen dich zwar als Verbündete an, aber wir können dir noch nicht zu 100% vertrauen. Wenn dein Team sich gegen den Deal mit uns entscheidet und du ihnen per GPS den Standort unseres Anwesens sendest, hätten wir ein gewaltiges Problem.", erklärte er. "Aber wir haben nicht vor dich wieder hier einzusperren. Chris hat heute am späten Nachmittag zwei Maklertermine. Sie will, dass du sie begleitest, immerhin bist du außer Kir und ihr die Einzige, die sich problemlos im Sonnenlicht aufhalten kann. Wenn ihr das Anwesen verlassen habt, gibt sie dir dein Handy zurück und du hast alle Zeit der Welt, ein Treffen mit deinen Kameraden zu vereinbaren."

Der Blick des Vampirs wurde ernst. "Aber das Gespräch führst du mit deinen Kameraden erst einmal allein. Wir können es nicht verantworten, Chris nochmal in so eine Gefahr zu bringen."
 

Die Zeit verstrich. Nachdem sie im Bad verschwunden war, geduscht und sich umgezogen hatte, kehrte die junge Frau ins Wohnzimmer zurück. Auf dem Wohnzimmertisch warteten bereits ein Korb mit Brötchen und eine kleine Kanne Kaffee auf sie. Bourbon musste ihr ein spätes Frühstück vorbeigebracht haben, als sie ins Bad gegangen war.

Die Jägerin seufzte lautlos und betrachtete für einen Moment das Fenster, welches mit Gardinen verhangen und von außen mit hölzernen Fensterläden versehen war. Kein Tageslicht verirrte sich ins Innere des Zimmers. Aus Sicht der Vampire verständlich, dass sie das Anwesen entsprechend ausgestattet hatten, aus ihrer eigenen Sicht jedoch fast schon deprimierend. Wenn sie wissen wollte, wie spät es war, musste sie sich ganz und gar auf die Wanduhr verlassen, welche ununterbrochen leise tickte.

Jodie setzte sich zurück aufs Sofa, goss sich eine Tasse Kaffee ein und legte eins der Brötchen auf ihren Teller. Sie fühlte sich nach dem Duschen bereits deutlich frischer als gestern noch, doch nach wie vor war sie ein wenig angeschlagen. Sicherlich lag dies an dem Biss. Dieser hatte zwar nicht geschmerzt, doch sie merkte den Blutverlust.

Allein der Gedanke daran, dass sie Chris gestern freiwillig ihr Blut angeboten hatte, war schon irgendwie verrückt. Sie war Vampirjägerin, sie hasste diese elende Brut, die Schauspielerin selbst war gefährlich und skrupellos und dennoch hatte sie sich entschieden, ihre Kameraden von dem geplanten Deal zu überzeugen. Und nun saß wieder sie hier in diesem verdammten Vampirnest, dem sie doch erst kürzlich entflohen war. Nur das sie diesmal einigermaßen freiwillig hier her zurückgekehrt war, was es nicht unbedingt besser machte.

Was das betraf, hoffte Jodie wirklich, dass sie sich auf Chris Wort verlassen konnte. Doch sehr viel mehr, als darauf zu vertrauen, nicht sehenden Auges zurück in die Gefangenschaft gelaufen zu sein, konnte sie derzeit nicht.

Die Blondine schaltete den Fernseher ein, verfolgte halbherzig die Nachrichten und frühstückte währenddessen. Damals noch hatte sie sich gewundert, warum es in einem reinen Vampirhaushalt auch Lebensmittel für Menschen gab, doch inzwischen wusste sie, dass Chris in der Organisation dieses Ladens durchaus auch die beiden menschlichen 'Gäste' berücksichtigte.

Den Gedanken, dass es noch weitere Menschen in diesem Haus gab, welche allerdings wie Vieh im Keller gefangen gehalten wurden und sicherlich kein qualitativ hochwertiges Frühstück bekamen, versuchte sie so gut es ging auszublenden.

Am liebsten hätte Jodie auf der Stelle etwas gegen diese Zustände unternommen, doch selbst ein Sturkopf wie sie wusste, dass das unmöglich war. Auch wenn es ihr nicht gefiel, aktuell hatte sie keine andere Wahl als notgedrungen die Füße stillzuhalten und darauf zu hoffen, dass das System der Vampire sich ganz allgemein schon bald grundlegend ändern würde.
 

Die Zeit bis zum Nachmittag verstrich nur quälend langsam. Leider kam Jodie nicht an ihr Handy und von einer Tour durch das Anwesen sah sie ebenfalls ab, auch wenn diesmal niemand die Tür abgeschlossen hatte. Sie könnte dieses Zimmer verlassen, aber was dann? Einerseits wäre es Gold wert sich hier umzuschauen und vielleicht fand sie Rena irgendwo, doch die Chancen, dass sie in diesem verfluchten Haus einem der hier wohnhaften Vampire in die Arme laufen würde, standen deutlich höher. Die Biester hatten sie in den letzten zwei Wochen nicht angegriffen, da sie unter Chris Schutz stand, doch dass sie sich wirklich ungefährdet in diesem Haus bewegen konnte, darauf baute Jodie nicht. Auch wenn sie von einigen wenigen Vampiren inzwischen wusste, dass diese ihr nichts tun würden, im Allgemeinen misstraute sie den meisten dieser Monster auch weiterhin.

Während sie im Wohnzimmer der Schauspielerin festsaß, blieb ihr nicht viel mehr als fernzusehen, um sich irgendwie zu beschäftigen.

Sie hoffte darauf, dass Sternenstaubs Jägerin sie vielleicht besuchen kommen würde, doch dies war nicht der Fall. Sicherlich hatte Rena zu tun.

Während Jodie wohl oder übel im Wohnzimmer festsaß und fernsah, drifteten ihre Gedanken immer wieder zu der gestern getroffenen Entscheidung ab. Auch weiterhin stand sie hinter ihrem Handeln, gleichzeitig war da jedoch auch dieses ungute, nagende Gefühl in ihrer Magengegend. Sie wollte sich lieber gar nicht vorstellen, welche Schlüsse Mondnebel aus inzwischen gezogen hatte. Sie hoffte nur, die ganze Sache möglichst schnell geradebiegen zu können.

Einerseits fieberte sie dem Gespräch mit ihren Teamkameraden entgegen, andererseits graute es ihr auch ein klein wenig davor.

Aus den Gedanken gerissen wurde sie, als plötzlich die Wohnzimmertür geöffnet wurde.

Eine ihr im ersten Augenblick unbekannte Frau mit hellbraunen Haaren, braunen Augen und leichten Sommersprossen betrat den Raum. Sofort spannte Jodie sich alarmiert an und stand vom Sofa auf. Wer war das denn?! Und vor allem, was wollte diese Vampirin hier? Hatte man sie geschickt, oder agierte sie hinter dem Rücken der zweiten Anführerin? Auch weiterhin bedeuteten die ihr unbekannten Vampire in diesem Anwesen für sie Gefahr.

Noch ehe sie selbst etwas sagen konnte, ergriff die Fremde jedoch bereits das Wort. Das Schmunzeln, welches sich dabei auf ihre geschminkten Lippen stahl, kam ihr irgendwie bekannt vor... "Jetzt entspann dich mal wieder, Kätzchen. Du siehst mich ja so an, als wenn ich dich fressen wollte."

Jodie stutzte, blinzelte irritiert und betrachtete ihr Gegenüber genauer. Dieser Spitzname und vor allem die Stimme. "...Chris?", fragte sie ungläubig.

Angesprochene lachte leise und lief einige Schritte weiter in den Raum hinein. "Wenn du mich im ersten Moment nicht erkannt hast, dann bedeutet das wohl, dass meine Verkleidung gar nicht so schlecht ist. Gut so, diese Maske ist verdammt unbequem."

Irritiert blinzelte Jodie erneut, ehe sie verständnislos den Kopf schüttelte. "Warum zur Hölle hast du dich überhaupt verkleidet?", wollte sie wissen.

Langsam fiel die Anspannung wieder von ihr ab. Es war nicht so, dass die Daywalkerin ihr sonderlich sympathisch war, oder das sie ihr blind vertraute, dennoch wusste sie, dass die Ältere sie nicht einfach so angreifen würde.

"Ganz einfach: es ist so gut wie sicher, dass dein Team inzwischen nach uns sucht. Ich habe kein Interesse daran, dass sie mich auf den ersten Blick erkennen. Außerdem habe ich heute noch zwei Besichtigungstermine, bei denen ich mich vor dem Makler lieber als meine eigene Assistentin ausgebe. Es ist deutlich entspannter, wenn ein Makler glaubt, erstmal nur einen Termin mit einem Helferlein zu haben."

Was Chris da sagte, klang durchaus logisch, ganz zufrieden war Jodie allerdings noch nicht.

"Trotzdem, du siehst aus wie eine andere Person. Wie hast du das hinbekommen?"

Die andere Blondine schmunzelte sie nur vielsagend an. "Ich bin Schauspielerin, Kleine."

"Du sagst es, du bist Schauspielerin, kein Chamäleon!" Das Chris auch optisch so spielend leicht in eine andere Rolle schlüpfte, sah Jodie heute zum ersten Mal und sie fand dieses Talent der Älteren gelinde gesagt unheimlich.

"Also Kätzchen, kommst du? Bourbon hat dir sicherlich schon gesagt, dass ich dich mitnehmen will." Chris gab ihr mit einem Nicken zu verstehen, dass sie ihr folgen sollte.
 

Frustriert saß die junge Frau im Auto. An ihrer Situation hatte sich, im Vergleich zu den letzten Tagen, kaum etwas verändert. "Kann ich die Schlafmaske jetzt endlich abnehmen?", erkundigte sie sich gereizt.

"Von mir aus.", stimmte Chris gleichgültig zu und fuhr eine scharfe Kurve, während Jodie die Maske, die ihre Sicht bis eben behindert hatte, hochschob.

"Ich dachte wir hätten gestern klargestellt, dass ich eine Verbündete bin, keine Gefangene.", murrte die Jägerin wenig erfreut.

"Und ich bin mir ziemlich sicher, dass man dir bereits erklärt hat, dass wir dir erst wirklich vertrauen können, wenn der Deal steht. Noch ist es ein zu großes Risiko, würdest du den Weg zu unserem Anwesen kennen.", konterte die Schauspielerin gelassen.

Während Jodie das ihr aktuell so fremde Gesicht musterte, zündete Chris sich eine Zigarette an.

Ganz automatisch ließ die Jüngere das Fenster auf der Beifahrerseite nach unten fahren. Sie hasste es, wenn die Schauspielerin neben ihr im Auto rauchte.

"Und was ist dann mit Rena? Sie kann das Anwesen betreten und verlassen wie sie will, beziehungsweise wann immer ihr jemand irgendeinen Auftrag gegeben hat."

Die Daywalkerin blies eine Wolke Zigarettenrauch aus und Jodie wedelte den Rauch ganz automatisch mit der Hand weg.

"Das ist etwas vollkommen anderes. Beziehungsweise ist sie vollkommen anders. Charakterlich meine ich.", erklärte Chris ihr und hielt an einer roten Ampel. "Gin ist der Meinung, dass es unbedenklich ist, sie nicht weiter einzuschränken. Ich teile seine Meinung diesbezüglich zwar nicht zu 100%, aber sie jetzt noch einzuschränken, würde keinen großen Sinn mehr machen."

Wenig zufrieden mit dieser Antwort, grummelte Jodie etwas Unverständliches vor sich hin, ehe ihr etwas anderes einfiel. "Wo ist Rena eigentlich? Ich habe sie heute noch gar nicht gesehen."

Zwar hatte sie heute den größten Teil des Tages im Wohnzimmer verbracht, dennoch hatte Rena sie in den vergangenen Wochen oftmals besucht.

"Woher soll ich das wissen?" Chris zuckte mit den Schultern. "Ich hab Kir gestern noch in der Bar gesehen, aber da sah sie ganz und gar nicht gut aus. Vermutlich nutzt sie die Tatsache, dass die anderen japanischen Besucher tagsüber schlafen und schläft sich heute zur Abwechslung auch mal aus."

Die Jägerin runzelte die Stirn. Sie hatte das Gefühl, dass Chris ihr nicht die ganze Wahrheit sagte, doch sie kannte die Schauspielerin inzwischen gut genug um zu wissen, dass diese ihr nicht mehr erzählen würde, als sie wollte.

"Hier, dein Handy.", wechselte Chris abrupt das Thema, griff in ihre Jackentasche und reichte der Jägerin das Smartphone. "Das wolltest du doch wiederhaben, oder nicht?"
 

"Hier ist meine Karte und hier noch die Mappe zu dem Objekt.", wusste der Makler zu berichten und reichte der verkleideten Schauspielerin die Unterlagen. "Ich hoffe Ihnen hat die Immobilie zugesagt. Wenn Sie es wünscht, kann Ms Vineyard mich jederzeit kontaktieren, um sich das Objekt noch einmal selbst anzusehen. Meine Telefonnummer steht auf der Visitenkarte."

Wenn der Makler weiter so katzbuckelte, würden sie noch auf einer Schleimspur ausrutschen. Die ganze Zeit über schon befürchtete Jodie, dass genau das passierte. Andererseits amüsierte sie sich beinahe köstlich darüber, dass der Mann glaubte lediglich mit zwei Assistentinnen der Blondine zu sprechen, während die verkleidete Chris sich die Immobilie in Wirklichkeit selbst angesehen hatte und die ganze Zeit über anwesend war. Die Verkleidung tat wirklich was sie sollte und Chris selbst war einmal mehr mit spielender Leichtigkeit in eine Rolle geschlüpft, wobei Jodie diese Tatsache nicht wunderte, hatte sie die Andere inzwischen doch mehr als einmal mit eigenen Augen schauspielern sehen.

"Ich werde es ihr ausrichten und mit ihr über die Immobilie sprechen. Vielen Dank für Ihre Zeit und den schnellen Besichtigungstermin. Sie werden von meiner Chefin oder mir hören.", antwortete die Daywalkerin derweil dem Makler.

Jodie selbst hörte den beiden nur mit einem Ohr zu. Zwar machte sie sich alibihalber immer wieder einige Notizen, so wie Chris es ihr aufgetragen hatte, doch ständig drifteten ihre Gedanken ab.

Die Schauspielerin hatte die Tatsache, dass sie erst Mitte nächster Woche wieder arbeiten musste, ausgenutzt und einige Besichtigungstermine vereinbart. Also meinte sie es wirklich ernst, immerhin besichtigten sie hier gerade Gebäude, welche zu Laboren oder Blutspendeeinrichtungen umgewandelt werden könnten. Irgendwie beruhigte es die Jägerin, dass das Sternchen sich diese Arbeit trotz ihres vollen Terminkalenders machte, denn das bedeutete, dass sie sie gestern nicht angelogen hatte, sondern wirklich auf Blutkonserven umsteigen wollte.

Doch trotz dieses beruhigen Gedankens, etwas anderes beunruhigte sie dafür um so mehr. Heute um 19:30 Uhr würde sie sich mit Akai, Black und Camel in der Stadt treffen, damit sie ihnen die Situation erklären konnte.

Als Jodie ihren Vorgesetzten vorhin während der Fahrt angerufen hatte, hatte seine Stimme Besorgnis, Fassungslosigkeit und Ärger über ihre Aktion widergespiegelt. James musste hin und her gerissen sein zwischen der Annahme, dass sie sich mit irgendetwas erpressen und zu dieser Dummheit hatte bewegen lassen, oder aber das sie Mondnebel wirklich verraten hatte. Was natürlich nicht der Fall war.

James hatte sie bereits am Telefon zur Rede stellen wollen, doch Jodie hatte ihm nur versichert, dass es einen guten Grund für ihr Verhalten gab und sie es dem Team so schnell wie möglich erklären wollte. Schließlich hatten sie ein Treffen in der Stadt vereinbart.

Allein schon, wenn sie daran dachte, wurde sie nervös. Von diesem Gespräch würde so vieles abhängen. Sie durfte es auf keinen Fall vermasseln. Nicht nur hoffte sie, dass ihre Kameraden ihr Handeln verstehen und es ihr nachsehen würden, sie hoffte natürlich auch, dass der im Raum stehende Deal bei ihnen auf offene Ohren stoßen würde. Auch wenn es sicherlich gar nicht so leicht wäre, die anderen Vampirjäger davon zu überzeugen, dass Chris wirklich vorhatte etwas zu ändern und es sinnvoll wäre, sie zu unterstützen.
 

Nachdem sie das Gebäude wieder verlassen hatten, stellte Jodie fest, dass es inzwischen beinahe dunkel war. Heute regnete es glücklicherweise nicht, dennoch war es mehr als frisch in der Großstadt.

"Und? Hat eins der Gebäude dein Interesse geweckt?", wollte sie von Chris wissen, welche neben ihr her lief und gerade dabei war eine Zigarette anzuzünden. Weiterhin fand Jodie es schwer sich an die aktuell fremden Gesichtszüge und den asymmetrischen, hellbraunen Bob der Schauspielerin zu gewöhnen. Die eigentliche Blondine hatte sich vorhin wahrhaftig mit spielender Leichtigkeit in eine gänzlich andere Person verwandelt, was ihr Äußeres betraf.

Chris strich sich eine Strähne der Perücke aus dem Gesicht. "Das erste Objekt, dass wir uns angesehen haben, hat mir besser gefallen.", antwortete sie ihr nachdenklich. "Damit ließe sich schon etwas anfangen. Aber ich habe in den kommenden Tagen noch einige weitere Termine diesbezüglich."

Jodies Blick blieb an einer digitalen Uhr in einem Schaufenster hängen. "Erst 17:51 Uhr. Bis zu meinem Treffen mit Mondnebel bleibt noch reichlich Zeit.", stellte sie fest, als sie die Uhrzeit las.

"Dir schlottern ja jetzt schon die Knie.", zog Chris sie auf.

"Ist das ein Wunder?!", schnappte Jodie. "Von diesem Gespräch hängt immerhin einiges ab. Nicht nur für mich, sondern auch für so viele Leben, die in Zukunft nicht länger gefährdet wären, wenn es gut läuft."

Die beiden Frauen überquerten, während sie redeten, eine der überfüllten Straßen, wie nur Einheimische es sich trauten.

"Das ist schon richtig. Vermassle es also nicht. Allerdings solltest du versuchen nicht zu nervös zu werden. Deine Nervosität behindert dich eher, als das sie dir etwas bringt."

"Als wenn ich das nicht selbst wüsste!", fauchte Jodie. "Außerdem hast du leicht Reden..." Sie musste dieses Gespräch immerhin führen und ihre Kameraden überzeugen, nicht Chris.

"Ich lese dich dann später wie verabredet auf, sobald du mir das besprochene Zeichen gibst.", stellte die Schauspielerin noch einmal fest.

Die Jüngere nickte. Sie musste die Vampirin immerhin über den Ausgang des Gesprächs informieren, sodass sie das weitere Vorgehen planen konnten.

"Ist gut. Aber bis zu dem Gespräch, müssen wir uns noch einiges an Zeit totschlagen, auch wenn ich früh genug allein zum verabredeten Treffpunkt aufbrechen will."

Chris ließ bei diesen Worten den Blick durch die belebte Großstadt schweifen. "Schon wahr. Bei diesen Temperaturen ist es ehrlich gesagt eine ziemliche Zumutung, die ganze Zeit über durch die Stadt zu rennen."

"Verzogenes Sternchen.", kommentierte Jodie nur und stieß ihrer Begleiterin leicht den Ellbogen in die Rippen.

Chris blinzelte sie überrascht an, ehe sie sie im Gegenzug mit der Schulter anrempelte. "Ich tue mal so, als hätte ich das jetzt nicht gehört, Kätzchen.", tadelte sie sie gespielt.

Erst langsam dämmerte es Jodie, dass sie gerade das erste Mal freiwillig und unbewusst ganz entspannt mit der Schauspielerin unterwegs war und sogar ein wenig mit ihr herumalberte, obwohl diese Frau doch eigentlich ihr schlimmster Alptraum sein sollte.

Chris riss sie aus ihren Gedanken, als sie Jodie eine Hand auf den Oberarm legte und in Richtung einer abgesperrten Straße deutete. "Da vorne scheint ein Straßenfest stattzufinden. Zumindest riecht es hier nach diversen Fressbuden und Musik gibt es auch. Weißt du, was heute hier los ist?"

Das ausgerechnet um diese Uhrzeit eine Straße in der New Yorker Innenstadt gesperrt wurde, war höchst ungewöhnlich.

Jodie blinzelte und überlegte kurz, ehe sie den Kopf schüttelte. "Nein, ich hatte in den letzten Tagen andere Probleme, als mich über mögliche Straßenfeste zu informieren."

Dann jedoch griff sie nach dem Handgelenk der verkleideten Schauspielerin und zog sie in Richtung der Menschenmenge. "Aber lass es uns doch einfach mal ansehen, wenn wir eh noch etwas Zeit totschlagen müssen. Ein wenig Ablenkung kann ich gerade gut gebrauchen."

"Du willst dir das wirklich ansehen? Dort drüben ist es wahnsinnig voll.", kam es zweifelnd von der Daywalkerin.

Die Jüngere verdrehte die Augen. "Wann hast du dir zuletzt ein Straßenfest angesehen, Prinzesschen? Nicht jede Feierlichkeit braucht zwingend einen roten Teppich und Champagner, weißt du?", stichelte sie.
 

Keine Minute später waren die beiden Frauen in die Menschenmenge eingetaucht. Ohne Eile liefen sie über das überfüllte Straßenstück und begutachteten Imbissstände, Souvenirstände und den Pavillon einer Partei. Wie sich herausstellte, wurde das kleine Fest von einem neueröffneten Kaufhaus, in Zusammenarbeit mit einem lokalen Politiker, ausgerichtet, welcher für sich und seine Partei vor den nächsten Wahlen ein wenig die Werbetrommel schlagen wollte.

"Das ganze hier ist also eine Werbeveranstaltung.", stellte die Schauspielerin mit leicht desinteressierter Stimme fest. "Trotzdem wundert es mich, dass die Stadt es erlaubt hat, für so etwas eine normalerweise gut befahrene Straße in der Innenstadt zu sperren."

Jodie zuckte nur mit den Schultern. "Vielleicht ist Vitamin B mit im Spiel. Ich weiß nicht, ein Freund des Bürgermeisters, oder so."

Sie kämpften sich weiter durch die Menge, vorbei an einem Hot Dog Stand und einer Losbude.

Überfüllt, wie die gesperrte Straße war, war es gar nicht so leicht, sich in der Menschenmenge nicht aus den Augen zu verlieren. Bereits zwei mal hatte die Jüngere sich binnen kürzester Zeit suchend nach Chris umsehen müssen, nur um sie im nächsten Moment unweit von sich entfernt zu entdecken.

Jodie seufzte entnervt, zwängte sich an einer Familie vorbei, griff nach dem Arm ihrer Begleiterin und hakte sich schließlich bei ihr ein.

Halb fragend, halb amüsiert hob Chris eine Augenbraue. "Was denn? Hast du Angst mich aus den Augen zu verlieren, oder bist du am Ende doch anschmiegsamer als gedacht?", scherzte sie.

Die Jägerin zog ein Gesicht. "So wie du aktuell aussiehst, gehst du mir zu schnell in der Menge unter. Wenn wir uns ständig suchen müssen, ist mir das definitiv zu nervig.", murrte sie.

"Gib doch einfach zu, dass du in meiner Nähe sein willst.", säuselte die Schauspielerin und zog sie weiter auf.

"Das wird auch in 100 Jahren nicht der Fall sein.", konterte Jodie.

Als der jungen Frau der Geruch von frisch gemahlenem Kaffee in die Nase stieg, begann sie sich suchend umzusehen, was sich in der Menge als gar nicht so leicht entpuppte.

Chris warf ihr ein wissendes Lächeln zu und zog sie kurzerhand mit sich. Im ersten Moment blinzelte die Jüngere irritiert, dann verstand sie. Ihre Begleiterin musste den Kaffeestand gar nicht sehen. Wenn sie den frischen Kaffee bereits riechen konnte, dann war es für die geschärften Sinne der Daywalkerin ein Kinderspiel den Stand zu orten.

Wenig später hielt Jodie einen Becher mit noch dampfendem Kaffee in der Hand. Vorsichtig trank sie einen Schluck, wobei sie darauf achtete, sich nicht an dem heißen Getränk zu verbrennen.

"Etwas warmes zu Trinken tut in der Kälte wirklich gut.", seufzte sie.

"Frierst du etwa schon? Wer von uns ist hier das Prinzesschen auf der Erbse, mh?", neckte Chris ihre Begleiterin.

Jodie warf ihr einen empörten Blick zu, wobei die Empörung diesmal größtenteils gespielt war.

Die aktuelle Situation war mehr als merkwürdig. Sie lief friedlich, Arm in Arm, mit einer Vampirin über ein Straßenfest und das als eine Jägerin Mondnebels. Eigentlich sollte sie das nicht tun. Eigentlich sollte sie deutlich mehr auf der Hut sein und diesem Biest nicht das kleinste bisschen über den Weg trauen. Irritierenderweise fühlte sich der ungeplante heutige Ausflug jedoch viel entspannter an, als es gut wäre. Jodie fühlte sich nicht, als wäre sie mit ihrer Erzfeindin unterwegs, sondern mit einer Bekannten oder Teampartnerin. Das war doch verrückt!

Überraschenderweise störte sie sich noch nicht einmal an der Nähe zu der Daywalkerin. Bei den aktuell unterirdischen Temperaturen fühlte die warme Seite der Schauspielerin an ihrer eigenen, sich sogar gut an.

Die Blondine war über ihre eigenen Gedanken mehr als irritiert. Ließ ihre Vorsicht gegenüber der Vampirin langsam nach? War das wirklich in Ordnung? Chris war nicht nur absolut skrupellos und unberechenbar, sie besaß einen ungemein schwierigen, launischen Charakter. Andererseits konnte die eigentliche Blondine jedoch auch eine wirklich angenehme und humorvolle Gesprächspartnerin sein, auch wenn die ewigen Neckereien und Spitznamen Jodies Nervenkostüm oftmals erheblich strapazierten.

"Deine Seite ist richtig warm. Ehrlich gesagt hätte ich gedacht-", begann sie, wurde jedoch von Chris unterbrochen.

"Was denn? Du müsstest doch inzwischen mitbekommen haben, dass weder ich, noch die anderen, uns anfühlen wie der lebende Tod. Du hast eindeutig zu viele Filme gesehen.", kam es amüsiert von ihr.

In der Menschenmenge interessierte sich niemand für ihr Gesprächsthema. Vermutlich war es hier nicht nur viel zu belebt, es war auch viel zu laut, als das ein Außenstehender mitbekommen hätte, worüber die beiden Frauen sprachen, während sie Seite an Seite über das Fest liefen.

Im Hintergrund war die Musik eines Kinderkarussells und das aufgeregte Kreischen der kleinen Passagiere zu hören.

"Mach dich nicht lustig über mich.", grummelte die Jägerin halbherzig.
 

Als sie an einem Grillstand vorbeiliefen, bekam Jodie aus dem Augenwinkel mit, wie ein Mitarbeiter der Bude sich am Deckel einer Konservendose in die Hand schnitt. Autsch, das hatte sicher weh getan. Unbewusst verzog sie leicht das Gesicht, während der Mitarbeiter der Grillbude so aussah, als würde er fluchen. Verständlich.

Als sie sich wieder ihrer Begleiterin zuwandte, sah sie, dass der kleine Unfall des Angestellten fast schon ruckartig die Aufmerksamkeit der Daywalkerin auf sich gezogen hatte.

//So umgänglich wie sie sich gerade auch gibt, diese Frau ist und bleibt ein Wolf im Schaftspelz. Sie reagiert auf den Blutgeruch genau so wie ein weißer Hai auf eine verletzte Robbe.//, kam es Jodie in den Sinn. Eine leichte Gänsehaut legte sich auf ihre Arme.

So harmlos wie die Vampirin sich den ganzen Tag über gegeben hatte, war es fast schon leicht zu vergessen, was sie eigentlich war, doch in Situationen wie dieser zeigte sich ihr wahres Wesen.

"Oh nein, denk nicht mal dran.", fauchte die Jägerin verärgert, ruckte am Arm ihrer Begleiterin und zog sie entschieden weiter.

"Au!", protestierte Chris halbherzig und musterte Jodie erneut mit einer Mimik, die es der Jägerin leicht machte zu glauben, dass das Sternchen sie nicht ganz für voll nahm. "Weißt du, nur weil ich bemerkt habe, dass dieser Typ sich geschnitten hat, heißt das nicht, dass ich mich nicht unter Kontrolle hätte.", zischte sie Jodie zu.

"Und das soll ich dir glauben?", hakte Mondnebels Jägerin wenig überzeugt nach.

"Dummes Kätzchen, wirklich. Was meinst du, was in dieser Stadt los wäre, wenn wir bei jedem noch so schwachen Blutgeruch den Verstand ausschalten würden?", erklärte Chris ihr leise aber durchaus belustigt.

Weiterhin ignorierten die Menschen in der näheren Umgebung die beiden Frauen. Es war viel zu laut auf dieser Veranstaltung, als das jemand mitbekommen würde, was die beiden sich zuflüsterten.

"Hör auf mich ständig dumm zu nennen...!", maulte die Jägerin wenig erfreut.

Ihre Begleiterin grinste sie lediglich an. "Dann gib mir nicht ständig jeden Grund dazu, Süße.", zog sie sie auf.

"Verdammter Quälgeist!", protestierte Jodie. Langsam fiel die Anspannung wieder von ihr ab, immerhin schien Chris weiterhin wirklich ganz sie selbst zu sein.
 

Nachdem sie einmal über das Fest gelaufen waren, bahnten die beiden Frauen sich wieder einen Weg aus der Menschenmenge. Natürlich war die Großstadt weiterhin laut und belebt, doch außerhalb des Straßenfestes war der Lautstärkepegel bereits wesentlich besser erträglich.

Jodie prüfte die Uhrzeit und stellte fest, dass es bald schon an der Zeit für sie wäre, sich auf den Weg zu der Verabredung mit den anderen Mitgliedern Mondnebels zu machen.

Zwar handelte es sich bei den Anderen um ihre Kameraden, dennoch konnte sie nicht verhindern, dass bereits der Gedanke an das anstehende Gespräch sie nervös machte.

"Lass uns die wichtigsten Punkte noch einmal durchgehen, okay?", bat sie ihre Begleiterin.

"Fangen wir mit dem Punkt an, dass du dich wieder beruhigen solltest.", antwortete Chris ihr. Spontan fragte Jodie sich, ob die Schauspielerin wirklich so gelassen war, obwohl es hier auch für sie um alles ging, oder aber ob sie sich nur so ruhig gab, damit ihre Ruhe auf sie abfärbte.

"Also schön-", ergriff Chris erneut das Wort, brach jedoch ab, als ihr Handy sich mit einem Klingeln bemerkbar machte. Kurz hob sie die freie Hand. "Moment, warte mal kurz.", forderte sie Jodie auf, zog das Handy aus ihrer Tasche und nahm den Anruf entgegen.

In dem kurzen Moment, in dem Chris das Handy zum Ohr geführt hatte, meinte die Jüngere den Namen 'Curaçao' auf dem Display ausgemacht zu haben.

Eh? Curaçao? Wenn Chris silberhaariger Bodyguard sich erkundigen wollte, wie das Gespräch mit Mondnebel gelaufen war, war sie eindeutig zu früh dran.

"Hey, was gibt's?", nahm die Schauspielerin den Anruf entgegen.

Von ihrer Position aus, konnte Jodie nicht verstehen, was genau die Anruferin sagte, doch was sie zweifelsohne hörte war, dass Curaçao sich scheinbar nicht mit irgendeiner Begrüßung aufhielt. Die Stimme der sonst so ruhigen Vampirin klang schrill und panisch.

Unweigerlich spannte Jodie sich an, erst recht, als sie sah, wie Chris Mimik von entspannt schlagartig zu alarmiert wechselte.

"Jetzt nochmal ganz ruhig, ja? Was genau ist mit der Kleinen denn passiert?"

Mit der Kleinen? Fragend blickte Jodie die Daywalkerin an ihrer Seite an. Wen meinte sie? Dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Spontan fiel ihr nur eine Person ein, die hin und wieder von Chris als 'Kleine' bezeichnet wurde und um die Curaçao sich zeitgleich so sehr sorgte.

Ihr Herz machte einen Satz und Adrenalin jagte im Bruchteil einer Sekunde durch ihren Körper.

Rena! Jodie hatte sie den ganzen Tag über nicht gesehen. Irgendetwas musste folglich passiert sein, erst recht, wenn sie die panische Stimmlage der Silberhaarigen beachtete.

Da Sternenstaubs Jägerin schon längst zu einer Freundin für sie geworden war, flammte auch in ihr sofort die Sorge auf.

Jodie musste unbedingt mitbekommen was los war. Um Curaçaos Worte besser verstehen zu können, lehnte sie sich zu Chris und mit dem Ohr so nah es ging an das Handy der Schauspielerin.

Diese blickte im ersten Moment verärgert drein, musste sich dann jedoch dafür entschieden haben, ihre Begleiterin nicht auf Abstand zu schieben und sie das Gespräch mitverfolgen zu lassen.

"»Ich kann dir nicht genau sagen was passiert ist, aber ich glaube, dass Gin ihr etwas angetan hat. Chianti und Korn haben etwas in der Art angedeutet. Bourbon und ich haben versucht mit ihm zu reden, aber wir kriegen aus ihm nichts heraus. Gin meinte nur, dass es seine Sache ist, wie er Mitglieder seines Hauses bestraft und das wir uns da nicht einzumischen haben.«", berichtete die mehr als besorgte Silberhaarige.

Bestraft? Allein bei dem Wort und dem Gedanken daran, wie brutal und gefürchtet der japanische Vampirfürst war, krampfte sich das Herz der Jägerin zusammen.

"Im Prinzip hat er damit ja auch Recht.", äußerte Chris und seufzte. "Kir gehört zu seinen Leuten, da haben wir Amerikaner uns nicht einzumischen."

Jodie warf ihr einen entsetzten Blick zu. Wie konnte sie das nur so ruhig sagen?!

"»Du weißt genau, dass ich mich da nicht einfach so raushalten kann...!«", am anderen Ende der Leitung brach Curaçaos Stimme.

Erneut spürte die Jägerin einen schmerzhaften Stich. Curaçao hatte ihr gegenüber noch nie mit Freundlichkeit geglänzt, sie war eine Vampirin und äußerst gefährlich noch dazu und dennoch zeigte sie eine mehr als menschliche Seite, wenn es um Rena ging. Jodie konnte die Sorge um die Brünette, die für sie binnen kurzer Zeit zu einer guten Freundin geworden war, nur zu gut nachvollziehen.

"Dich an einen Menschen zu binden und dann auch noch an jemanden aus einem anderen Haus, das war eine verdammt dumme Idee, wie oft habe ich dir das jetzt schon gesagt?", murrte Chris und schüttelte den Kopf, auch wenn Curaçao dies am Telefon natürlich nicht sehen konnte.

Jodie verstand nicht ganz, wovon die andere Blondine da redete, doch sie mischte sich nicht ein und hörte stattdessen zu, während ihre Sorge von Sekunde zu Sekunde wuchs.

"»Du musst gerade reden. So etwas sucht man sich nicht aus. Aber das ist jetzt ja auch vollkommen nebensächlich. Du musst unbedingt zurückkommen und versuchen mit Gin zu reden. Die Chance, dass er mit dir spricht, ist wesentlich größer.«" Die Stimme der Vampirin klang beinahe flehend.

"Hey, ist ja schon gut. Ich habe nie gesagt, dass ich dir nicht helfen würde. Ich mache mich auf den Weg, auch wenn ich dir nicht zu viel versprechen will. Du hältst in der Zwischenzeit die Füße still und stellst keine Dummheiten an, verstanden? Ich weiß du machst dir Sorgen um die Kleine, aber es bringt nichts, wenn du dich jetzt auf eigene Faust mit den Japanern anlegst. Vor allem nicht mit Gin." Der letzte Satz der Schauspielerin klang mahnend.
 

Nachdem sie das Telefonat beendet hatte, ging Chris von sich aus wieder auf Abstand zu Jodie und warf dieser einen gereizten Blick zu. "Du hast es gehört. Ich muss zurück zum Anwesen, bevor meine Leute noch etwas Dummes anstellen."

Die Jüngere blickte sie mit besorgten Augen an. "Oh Gott, was glaubst du was passiert ist? Ist Rena...-", begann Jodie, doch Chris unterbrach sie, indem sie mit den Schultern zuckte und abwehrend eine Hand hob.

"Ich kann dir nicht sagen, was mit ihr ist, oder ob Gin mir irgendetwas darüber sagt. Das ist ein Thema, in das ich mich eigentlich nicht einzumischen habe. Aber Curaçao hängt an dem Mädchen..."

"Jetzt sag das nicht so, als wenn Rena dir vollkommen gleichgültig wäre!", fuhr Jodie die Schauspielerin an, welche unbeeindruckt wirkte.

"Für dich ist sie jedenfalls eine Freundin. Dir sieht man die Sorge an der Nasenspitze an.", sagte Chris ihr auf den Kopf zu und fuhr fort: "Ich kümmere mich um die Angelegenheit, aber du darfst jetzt nicht die Nerven verlieren. Du musst trotz allem konzentriert bleiben, wenn du gleich mit deinen Kameraden sprichst."

Mondnebel...verdammt! Während Jodie dem kurzen Telefonat gelauscht hatte, hatte sie den Termin vor lauter Sorge ganz verdrängt. "Verdammt, der Termin...", nuschelte sie.

"Ich denke nicht, dass ich heute nochmal aus dem Anwesen komme, wenn ich vermeiden will, dass Chaos ausbricht. Ich sage Bourbon Bescheid, dass er dich nachher abholen soll. Ruf ihn einfach an, okay?"

Chris wandte sich zum Gehen, doch Jodie hielt sie auf, indem sie entschieden nach der Hand der Schauspielerin griff und sie daran festhielt.

"Das wird nicht nötig sein. Ich komme mit, damit das klar ist.", verfügte sie entschlossen.

"Du musst mit Mondnebel sprechen. Das hat jetzt Priorität.", widersprach Chris ihr.

"Als wenn ich dafür jetzt die nötige Ruhe hätte, solange ich nicht weiß, was mit Rena ist!", hielt die Jägerin dagegen. "Versuch erst gar nicht mich umzustimmen. Ich komme mit.", entschied sie. "Ich werde meinen Vorgesetzten auf der Fahrt anrufen und das Treffen verschieben."

Für einige Sekunden starrten die beiden Frauen sich an und fochten mit den Blicken ein stummes Duell aus. Schließlich seufzte die Schauspielerin, drückte Jodies Hand, mit der diese sie festhielt, und nickte schließlich.

"Dann los jetzt. Einen Sturschädel wie dich bekäme ich eh nicht abgeschüttelt. Du würdest mir notfalls noch auf den Rücken springen, damit ich dich mitschleifen muss."

"Besser nicht. Wenn dir verzogenem Prinzesschen ein Rotkehlchen auf dem Rücken landet, stehst du vermutlich schon nie wieder auf."

"Pass auf was du sagst!" Die verkleidete Daywalkerin fauchte verärgert, was einige Passanten dazu brachte, bei dem nicht menschlichen Laut irritiert zu den beiden Frauen zu sehen, ehe sie es wohl auf ein vorbeifahrendes Auto schoben und ihren Weg fortsetzten.

Die beiden Blondinen verlegten die Diskussion und eilten stattdessen durch die Straßen, um auf schnellstem Wege zurück zum Auto zu gelangen.

Während ihrem Weg durch die Stadt, konnte Jodie vor lauter Sorge kaum einen klaren Gedanken fassen. Curaçao wäre niemals so aufgelöst gewesen, wenn die Lage nicht wirklich ernst wäre.

Sie wusste noch nicht genau was mit Sternenstaubs Jägerin passiert war und was sie für sie tun konnte, doch auf jeden Fall wollte sie ihrer Freundin helfen. Sie hoffte nur, dass die Situation sich, zurück im Anwesen, möglichst bald klären lassen würde.

Kaum das der Wagen in die Tiefgarage gelenkt worden war, erlaubte die Daywalkerin ihrer Beifahrerin die Maske wieder abzunehmen. Jodie konnte nicht leugnen, dass sie genervt von der Tatsache war, den Weg zum Anwesen nicht sehen zu dürfen, doch sie hatte sich jeden Kommentar diesbezüglich gespart. Aktuell gab es eindeutig wichtigeres.

Nachdem Chris das Auto in der dafür vorgesehenen Parklücke abgestellt hatte, stiegen die beiden Frauen aus und machten sich rasch auf den Weg zum Treppenhaus.

Black war nicht besonders erfreut darüber gewesen, dass sie das geplante Treffen so kurzfristig abgesagt hatte, doch darüber konnte sie sich später noch den Kopf zerbrechen. Jodie schob die spontane Absage zu den weiteren Punkten auf ihrer Liste, die sie ihrem Team wohl oder übel würde erklären müssen.

"Und jetzt? Hast du dir schon überlegt, was du tun willst?", erkundigte die Blondine sich hastig, während Chris und sie die Treppe hochstiegen.

"Ich werde erst einmal nach Curaçao sehen und versuchen mir einen Überblick über die derzeitige Gesamtsituation zu verschaffen, damit ich weiß, wie ich am besten weitermache.", erklärte die Schauspielerin ihr.

Im Erdgeschoss angekommen, bogen die beiden Blondinen rasch in die Bar, doch von den Bodyguards der Daywalkerin fehlte jede Spur. Lediglich einige Vampire des Hauses saßen hier und da an den Tischen, blickten auf und grüßten Amerikas Nummer Zwei freundlich.

Chris grüßte ihrerseits, hielt sich jedoch nicht länger mit den Barbesuchern auf, sondern nahm stattdessen erneut Kurs aufs Treppenhaus. Jodie folgte ihr.

Ihr Weg führte die beiden in den Flur, auf dem sich die privaten Zimmer der Vampirin befanden. Anstatt, wie sonst üblich, in Richtung Wohnzimmer zu laufen, wandte Chris sich der Tür zu Curaçaos Zimmer zu und öffnete diese.

In der Tat fanden sich die Bodyguards der Schauspielerin hier. Curaçao war kreidebleich und wirkte zutiefst besorgt, während Bourbon zwar betroffen, aber ansonsten ruhig und gefasst war. Er musste versucht haben, seine Kameradin davon abzuhalten irgendeine Dummheit anzustellen.

Die beiden sahen auf und wirkten gleichermaßen erleichtert die Blondine zu sehen.

Chris, die sich noch im Auto von ihrer Verkleidung befreit hatte, schritt durch den Raum und gesellte sich zu den Anderen.

"Chris, Gott sei Dank-", begann Curaçao, doch die Schauspielerin unterbrach sie.

"Es hat etwas gedauert. Ihr wisst ja, der Feierabendverkehr in New York. Also, gibt es irgendetwas Neues?", redete sie nicht lange um den heißen Brei herum.

"Nein, nichts was uns wirklich weiterhelfen würde.", murmelte die Silberhaarige nur und schüttelte den Kopf. In ihren Augen stand die Verzweiflung geschrieben.

Jodie hatte Mitleid mit ihr. Die Vampirin wie ein Häufchen Elend in der Ecke sitzen zu sehen, war ein höchst ungewohnter Anblick. Sie selbst machte sich ebenfalls Sorgen um Rena. Sie wollte so schnell wie möglich in Erfahrung bringen, was mit ihr passiert war.

Da Chris eher an der Lösung des Problems interessiert zu sein schien, jedoch keine Anstalten machte, sich um die Silberhaarige zu kümmern, setzte Jodie sich ganz automatisch in Bewegung, nahm neben Curaçao auf dem Sofa Platz und umarmte sie.

Für den Moment hatte die Jägerin gänzlich ausgeblendet, dass es sich bei der vollkommen aufgelösten Frau um eine Vampirin handelte. Sie wollte sie lediglich trösten, auch wenn sie ehrlich gesagt nicht damit rechnete, dass Curaçao dies zulassen würde.

Überraschenderweise stieß die Silberhaarige sie jedoch nicht von sich, sondern akzeptierte die Umarmung und lehnte sich seitlich ein wenig mehr gegen die Blondine.

"Ich habe mit Vodka gesprochen, als du auf dem Weg hier her warst. Er sagte nur, dass ein Vampirjäger im Herzen wohl immer ein Jäger bleiben würde. Was genau mit Kir passiert ist und wo sie ist, wusste er allerdings nicht, ganz einfach, weil er es nicht mitbekommen hat.", wusste Bourbon zu berichten.

"Du sprichst japanisch?", hakte Jodie vom Sofa aus überrascht nach.

Der Blonde, der lässig einen Arm um die Schultern der Schauspielerin gelegt hatte, blickte Jodie fast schon verblüfft an. "Ja...natürlich. Wusstest du das nicht?"

"Rena hat mir nur erzählt das Chris japanisch spricht, aber dass du die Sprache auch sprichst, wusste ich bis eben ehrlich gesagt nicht.", antwortete Jodie ihm. "Aber wie kommt es, dass Vodka mit dir geredet hat, obwohl euch sonst niemand etwas erzählen wollte?"

Rei grinste amüsiert. "Der Mann ist dumm wie Brot, daran wird es wohl liegen."

"Er steht zwar gänzlich auf Gins Seite, aber mit ein paar geschickten Fragen, ist es ein Kinderspiel Informationen aus diesem Idioten herauszubekommen.", mischte Chris sich ein, die Lippen zu einem spöttischen Schmunzeln verzogen. "Wie ärgerlich, dass er nicht mehr wusste, das hätte sicher weitergeholfen."

Sie zündete sich in aller Seelenruhe eine Zigarette an, während alle Augen auf sie gerichtet waren. Schließlich blies die Schauspielerin etwas Rauch aus und ergriff erneut das Wort: "Wisst ihr beiden denn, wo Gin aktuell ist?"

Curaçao nickte, während Bourbon mit einer der hellblonden Haarsträhnen der Daywalkerin spielte, was Chris gekonnt ignorierte.

"Er müsste sich irgendwo auf dem Flur befinden, den wir unseren Besuchern zugewiesen haben. Vermutlich in seinem Zimmer. Zumindest war er dort, als wir versucht haben mit ihm zu reden.", erklärte Curaçao ihr.

Die Blondine seufzte, zog erneut an ihrer Zigarette und befreite sich schließlich von dem Arm, den Rei ihr um die Schulter gelegt hatte. "Schön, dann gehe ich ihn wohl mal besuchen.", entschied sie.

Der Blick, den Curaçao ihrer guten Freundin zuwarf, als diese sich auf den Weg machte, war einfach herzzerreißend. Jodie drückte die Silberhaarige erneut an sich.

Wie gerne sie jetzt gesagt hätte, das alles gut werden würde, doch keiner von ihnen wusste, was genau mit Rena passiert war. Die Jägerin fühlte sich ja selbst bereits ganz krank vor Sorge.

Nachdem Amerikas Nummer Zwei den Raum verlassen hatte, spürte Jodie, wie sie immer nervöser wurde. Sie wollte hier nicht herumsitzen und abwarten, sie wollte selbst mitbekommen, welche Informationen Chris gewinnen konnte. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. Sie stand von ihrem Platz auf dem Sofa auf und warf Bourbon einen fragenden Blick zu.

"Ich gehe hinterher.", entschied sie. "Ist es einigermaßen sicher für mich, mich ohne Chris oder einen von euch in meiner Nähe, in diesem Anwesen zu bewegen?"

"Unsere Leute halten dich für das kleine Dienstmädchen unserer Anführerin. Sie würden im Traum nicht auf die Idee kommen dir etwas zu tun. Aber halt dich von unseren Besuchern fern.", antwortete der Bodyguard ihr, ohne lange überlegen zu müssen.
 

Als sie den Raum verlassen hatte, sah Jodie die andere Blondine gerade noch um die Ecke biegen.

Sie beeilte sich besser, da die Chancen, sich in diesem riesigen Anwesen zu verlaufen, sonst definitiv höher standen, als die Chance, den richtigen Flur zu finden.

Wohlweislich entschied sie sich dafür, einen gewissen Abstand einzuhalten, um nicht am Ende noch aufzufliegen und zurückgeschickt zu werden.

Obwohl Chris sich einigermaßen in der Nähe befand und Bourbon ihr eben noch versichert hatte, dass die sich hier befindenden Vampire ihr nichts tun würden, war es für die Jägerin ein seltsames Gefühl, zum ersten Mal allein durch das Anwesen zu schleichen.

Hier und da trafen sie einige irritierte Blicke, doch niemand hielt sie auf. Trotz den Worten des Blonden, konnte Jodie nicht abstreiten, sich jedes Mal ein wenig anzuspannen, wenn sie einem der hier wohnhaften Vampire über den Weg lief.

Sie war fast schon froh, als die kurze Reise ein Ende zu finden schien, immerhin bog Chris nun in einen der zahlreichen Flure ein. Sie folgte ihr, betrat den Flur jedoch noch nicht, sondern wartete, verborgen hinter einer riesigen Blumenvase, erst einmal ab und lauschte.

Jodie hörte, wie die Daywalkerin gegen das Holz einer schweren Tür klopfte. In der Luft lag noch der Geruch nach Zigarettenrauch, immerhin war es noch nicht lange her, dass die Blondine in den Flur, der aktuell für die japanischen Besucher reserviert war, eingebogen war.

Lange musste sie nicht warten, da hörte die Jägerin, wie die Tür geöffnet wurde.

"Vermouth. Was verschafft mir die Ehre?", hörte sie Gins raue Stimme voller Ironie fragen.

Vorsichtig spähte Jodie, so gut es ging, an der Blumenvase vorbei in den Flur. Sie konnte die Gestalt des japanischen Vampirfürsten im Türrahmen ausmachen, während die Schauspielerin mit locker verschränkten Armen auf dem Flur stand.

"Das sage ich dir gern. Hast du etwas dagegen, wenn ich reinkomme?" So, wie die Blondine die Worte aussprach, klangen sie viel mehr nach einer rhetorischen Frage.

Und wirklich, der Silberhaarige trat einen Schritt zur Seite und gab die Tür frei.

"Ich habe erfahren, dass in meiner Abwesenheit ein gewisses Chaos in diesem Haus ausgebrochen sein soll. Ich frage daher ganz direkt: haben Curaçao und Bourbon Ärger gemacht?"

Da die beiden Vampire den Raum betreten und die Tür hinter sich geschlossen hatten, bekam Jodie von ihrem derzeitigen Platz aus nichts mehr mit. Innerlich fluchte sie. Sie musste näher heran.

Aber das sollte nicht das Problem sein, immerhin befand sich niemand mehr auf dem Flur.

Sie musste lediglich darauf achten leise zu gehen.

Die junge Frau schlich so gut es ging über den Flur, ehe sie vor Gins Zimmertür stehen blieb und lauschte.

"...du hast deine Leute nicht im Griff.", hörte sie Gin gerade spotten.

"Das habe ich. Ich habe die beiden auch schon zur Rede gestellt. Sie wissen, dass wir uns in Vorfälle, die dein Haus betreffen, nicht einzumischen haben. Mein Bodyguard hat aus gewissen Gründen ein wenig emotional reagiert, aber das Thema ist durch."

Die Stimme der Blondine klang gelassen und selbstbewusst. Jodie verstand. Chris zog es vor nicht mit der Tür ins Haus zu fallen, wenn sie an Informationen gelangen wollte.

"Sie tanzt dir auf der Nase herum, weil es einem Vampir schwer fallen dürfte, ein Küken wie dich ernstzunehmen.", sagte Gin seiner Gesprächspartnerin gerade auf den Kopf zu. Jodie spürte, wie sie sich bei seinen Worten anspannte. Sicherlich war auch Chris verärgert, doch ihrer Stimme hörte man dies zumindest nicht an.

"In diesem Haus hier tanzt mir ganz sicher niemand auf der Nase herum, mein Lieber. Man muss noch keine Jahrhunderte alt sein, um sich Respekt zu verschaffen. Wie ich bereits sagte, ich habe mich darum gekümmert, das Thema ist durch. Es ist deine Sache, was du mit deinen Leuten machst. Allerdings... solltest du in diesem Haus, oder auf dem Grundstück, eine riesige Sauerei angerichtet haben, wäre die Sache wieder unser Problem. Immerhin geht es hier um amerikanischen Grund und Boden."

"Was das betrifft, kann ich dich beruhigen. Wir sind doch...zivilisiert.", hörte Jodie die tiefe Stimme des japanischen Vampirfürsten raunen, welche es ihr erneut eiskalt den Rücken herunterlaufen ließ.

"Das will ich hoffen. Aber da wäre noch etwas-" Kurz zögerte die Daywalkerin, ehe ihre Stimme plötzlich missfallender klang. "...einen Moment mal."
 

Jodie hörte, wie hohe Absätze sich der Tür näherten. Der Tür? Halt, Moment, das war gar nicht gut!

Im ersten Moment vergaß sie vor Schreck zu atmen, dann schaffte sie es gerade noch sich gerade hinzustellen, ehe die Tür geöffnet wurde und sie beinahe getroffen hätte.

Im nächsten Moment fand sie sich Auge in Auge mit Amerikas Nummer Zwei wieder.

Jodie fühlte sich ertappt, während Chris sie verärgert anfunkelte.

"Ist das dein Ernst, Mädchen?! Hast du wirklich geglaubt, ich würde nicht merken, dass du vor der Tür stehst?! Die Nase eines jeden Vampirs nimmt das wahr, meine geschärften Sinne bemerken dich erst recht."

"I-ich hab nicht gelauscht! Ich wollte nur...", begann die Jägerin sichtlich ertappt und peinlich berührt zugleich.

"Ach ja? Du wolltest nur WAS?!", hakte die Daywalkerin giftig nach. "»Überlass das mir«", formten ihre Lippen lautlos.

Jodie blinzelte. Sie war sich nicht sicher, ob Chris wirklich verärgert war, oder ob sie nur schauspielerte. Versuchte sie ihr gerade durch die Blume verstehen zu geben, was das für eine dumme Aktion gewesen war, oder würde sie ihr wirklich am liebsten die Augen auskratzen?

Was auch immer es war, die Jägerin wusste, dass es gerade das sicherste wäre, in ihre Rolle zu schlüpfen, um zu verhindern, dass sie sich hier an der Tür verplapperte.

"Es geht um-", begann Jodie und überlegte fieberhaft, was für eine halbwegs logische Erklärung sie sich bitte so spontan aus den Fingern saugen sollte, als sie sich im nächsten Moment beinahe an ihrer eigenen Zunge verschluckt hätte. Ihr Herz machte einen ängstlichen Satz.

Natürlich, sie war Vampirjägerin und sie war selbstbewusst... aber das änderte nichts daran, dass es ein mehr als beängstigendes Erlebnis war, wenn der Blick aus den kalten, grünen Augen des japanischen Clananführers einen förmlich zerquetschte wie einen Käfer.

"Was willst du hier, Mädchen?", hakte der Silberhaarige nach.

Im nächsten Moment war er bereits dicht hinter die in der Tür stehende Daywalkerin getreten und lehnte sich über ihre Schulter zu ihrem Ohr, was ihm aufgrund des unübersehbaren Größenunterschieds nicht all zu schwer fiel.

"Wie war das noch gleich, du hättest deine Leute unter Kontrolle? So wie ich das sehe, hast du noch nicht einmal dieses Menschlein dort im Griff.", höhnte er und musterte die Blondine mit einem spöttischen und gleichzeitig so kalten Blick, dass diesmal nicht nur Jodie das Blut in den Adern gefror. Sie sah, wie sich Chris grüne Augen erschrocken weiteten und sie für einen Moment lang um Fassung rang, eine Tatsache, die auch Gin nicht entgangen war, wurde sein wölfisches Grinsen doch nur noch eine Spur breiter. "Ich sage dir gern, wie du am besten mit einem Menschengör umgehst, dass meint, sich über deine Befehle hinwegsetzen zu können."

Im nächsten Moment hatte die Blondine sich jedoch bereits wieder gefangen und schob den Vampirfürsten hinter sich entschieden wieder auf Abstand. "Japanisches Oberhaupt hin oder her, rutsch mir gefälligst nicht auf die Pelle und halt dich aus meinen Angelegenheiten raus.", stellte die Schauspielerin nun wieder unbeeindruckt und voller Selbstbewusstsein klar. Der Blick des Silberhaarigen verfinsterte sich.

Die beiden hochrangigen Vampire starrten sich drohend an. Beim nächsten Blinzeln hatten ihre Augen sich zu einem hellen Stahlblau verfärbt.

Jodies Mund fühlte sich trocken an. Beinahe hätte sie vergessen zu atmen. Die Situation war von jetzt auf gleich absolut bedrohlich und angespannt. Sie befürchtete, dass nur ein falscher Blick genügen würde, um die Situation eskalieren zu lassen. Schon in den letzten Tagen hatten die beiden Vampire sich immer wieder die Stirn geboten und ihre Grenzen ausgelotet.

Die Jägerin schluckte und fühlte, dass sie förmlich erstarrt war. Wenn das hier schief ging... sie würde sich zweifelsohne auf die Seite der Schauspielerin schlagen, doch sie war unbewaffnet und hatte ehrlich gesagt starke Zweifel, dass die ganze Sache gut für Chris und sie ausgehen würde.

"Pass auf wie du mit mir sprichst, Vermouth.", grollte der Silberhaarige.

"Pass du lieber auf, wie du mit mir sprichst. Du bist gerade dabei dich in amerikanische Angelegenheiten einzumischen.", konterte die Blondine, den Blickkontakt weiterhin haltend.

Der Jägerin im Hintergrund graute es. Das hier konnte doch niemals gut ausgehen! Wie gerne hätte sie Chris jetzt am Arm gepackt und weggezogen, doch sie wusste genau so gut wie die Schauspielerin selbst, dass Amerikas Nummer Zwei sämtlichen Respekt einbüßen würde, würde sie sich jetzt nicht behaupten sondern zurückweichen.

"Amerikanische Angelegenheiten können dir bald schon egal sein, Daywalkerin."

"Wie ich dir bereits sagte, sei dir da mal lieber nicht zu sicher. Was in zwei Monaten passiert, muss sich erst noch herausstellen." Auf die geschminkten Lippen der Blondine legte sich ein überhebliches Lächeln.

"Traumtänzerin." Auch auf die Lippen des Silberhaarigen legte sich ein Grinsen. "Aber du kannst froh sein, ich lasse dir den Spaß, die beiden Monate noch auszukosten." Beim nächsten Blinzeln normalisierte seine Augenfarbe sich wieder, was die Daywalkerin dazu veranlasste, ebenfalls zu blinzeln. Helles Stahlblau wurde durch smaragdgrün ersetzt.

"Wie ungemein gütig von dir.", höhnte sie. "Aber lass dir gesagt sein, dass der Boss mir den Posten seiner Stellvertreterin nicht aus einer Laune heraus übertragen hat."

Bevor Gin darauf noch etwas erwidern konnte, legte Chris ihm eine Hand auf den Arm. Eine flüchtige Berührung, diesmal keine provokante oder gar drohende Geste, sondern lediglich die einfache Aufforderung kurz inne zu halten.

"Ich wollte noch etwas mit dir bereden, aber vorher... kümmere ich mich wohl oder übel um dieses Problem hier.", stellte Chris fest und nickte in Jodies Richtung.

"Du tust doch sowieso was du willst.", murrte der Silberhaarige gleichgültig und verschwand wieder im Inneren des Zimmers.
 

Jodie fiel ein Stein vom Herzen als klar war, dass die Situation sich wieder beruhigt hatte, anstatt zu eskalieren. Sie gestattete es sich aufzuatmen, hielt dann jedoch inne, als sie das wütende Funkeln in den grünen Augen ihres Gegenübers bemerkte.

"Also, jetzt zu dir: was stehst du hier vor der Tür und lauschst? Erklär dich.", hakte Chris mit unfreundlicher, harter Stimme nach.

Erneut war Jodie sich nicht ganz sicher, ob die Ältere bloß schauspielerte, damit Gin nicht misstrauisch wurde, oder ob sie wirklich verärgert war. Spontan tippte sie auf eine Mischung daraus. Hätte man sie nicht vor der Tür bemerkt, wäre es niemals zu der Konfrontation zwischen der Daywalkerin und dem japanischen Vampirfürsten gekommen. Was das betraf, meldete sich nagend ihr schlechtes Gewissen zu Wort. Dennoch hatte Jodie unbedingt herausfinden wollen, was nun mit Rena passiert war.

"Ich war mir nicht sicher, ob ich anklopfen und reinkommen sollte.", begann Jodie. Sie wusste, dass auch Gin sie hören konnte und sie Chris daher nicht einfach sagen konnte, was es wirklich war, das sie bewegt hatte ihr zu folgen. "Es ist wegen Curaçao. Sie ist immer noch vollkommen fertig und ihr seid gut befreundet. Du solltest nach ihr sehen, anstatt dich nur um die politischen Beziehungen zwischen den Häusern zu kümmern."

Das war es eigentlich nicht, warum sie ihr gefolgt war, doch spontan war Jodie nichts besseres eingefallen.

"Ein Mensch hat sich nicht in unsere Politik einzumischen.", wies die Daywalkerin sie mit harter Stimme zurecht. "Sag mir nicht, was ich zu tun oder zu lassen habe. Ich sehe nach ihr, wenn die Zeit es erlaubt. Das hier ist wichtiger."

Was nicht recht zu der Stimmlage der Schauspielerin passen wollte, war ihr Blick. Ihre Augen blickten viel mehr vorwurfsvoll drein. Der unausgesprochene Vorwurf, was hier beinahe passiert wäre und der Tatsache, dass Jodie die Vampirin vollkommen aus dem Takt gebracht haben musste, was ihre Strategie zur Informationsbeschaffung betraf, da war sie sich sicher.

Für einen Moment sahen die beiden Frauen sich an, schließlich wandte die Jüngere zerknirscht den Blick ab. Sie hatte lediglich helfen wollen und alles was sie erreicht hatte, war eine beinahe-Eskalation zwischen den beiden Vampiroberhäuptern und der Tatsache, dass Chris spontan schauspielern musste, um die Situation zu retten. Das hatte sie ehrlich gesagt nicht beabsichtigt.

"Geh zurück zu Bourbon und Curaçao. Aber glaub nicht, dass du damit aus dem Schneider wärst. Über diese Aktion hier reden wir noch.", wies die andere Blondine sie mit einer Stimme an, die keinen Widerspruch duldete.

Jodie wusste, dass Gin das Gespräch vom Zimmer aus mitverfolgte. Genau so wie sie wusste, dass es die Lage nur verschlimmern würde, würde sie jetzt anfangen zu diskutieren. Wenn sie jetzt nicht auffliegen wollte, dann blieb sie lieber in ihrer Rolle des Dienstmädchens.

So gerne sie auch bereits jetzt etwas neues über den Verbleib von Sternenstaubs Jägerin aufgeschnappt hätte, sie wusste, dass sie es aktuell nur noch schlimmer machen würde, wenn sie blieb. Die einzige Sache, die sie davon abhielt, jetzt zu gehen war die aufkeimende Sorge um die Sicherheit der Daywalkerin nach dem Vorfall eben. Die Konfrontation saß ihr noch in den Knochen.

"Du kommst hier klar...?", erkundigte sie sich beunruhigt.

Chris verstand, verdrehte jedoch lediglich die Augen. "Natürlich. Dummes Gör, du machst mir mehr Ärger als alles andere. Jetzt geh zurück, wie ich es dir gesagt habe."
 

Als die Jägerin den Flur verließ, überschlugen ihre Gedanken sich förmlich. Zum einen wäre da die quälende Sorge um Rena, zum anderen war nun auch noch die Sorge um Chris dazugekommen. War es wirklich in Ordnung gewesen, die Schauspielerin mit Gin alleinzulassen?

Andererseits wusste Chris was sie tat und die Lage hatte sich wieder beruhigt. Sie hoffte nur, dass die beiden nicht wieder beginnen würden zu streiten. Wobei die Meinungsverschiedenheit eben wohl oder übel auf ihre Kappe gegangen war.

Jodie schüttelte den Kopf und beschloss sich wieder zu den beiden Bodyguards zu gesellen. Sie würde ihnen berichten was vorgefallen war. Die beiden Vampire könnten die Situation höchst wahrscheinlich besser einschätzen und verfügten zudem über enorme Kräfte. Fast schon ging sie davon aus, dass gerade Rei es vorziehen würde, sich für alle Fälle in der Nähe des Flures aufzuhalten, um zur Not eingreifen zu können.

Mit diesem Plan im Kopf, näherte Jodie sich der Treppe, hielt jedoch inne, als sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm.

"Hey.", sprach eine Frauenstimme sie an.

Die Blondine wandte sich der Stimme zu und entdeckte Chianti, die locker am Treppengeländer lehnte. Sofort begannen ihre Alarmglocken zu schrillen. Die Vampirin war nicht nur äußerst aufbrausend, sie war es auch gewesen, die sie bei ihrem Kampf damals beinahe getötet und schließlich hier her verschleppt hatte.

Zwar wirkte die Andere gerade recht entspannt, dennoch war diese Frau ein Monster. Sie traute ihr nicht über den Weg. "Was willst du, Chianti?", hakte die Jägerin lediglich reserviert nach.

Angesprochene grinste sie an. "Hast du gerade ernsthaft an der Tür gelauscht?" Sie lachte. "Du bist echt gut. Deinetwegen bekommt Barbie am Ende noch graue Haare.", amüsierte sie sich.

Jodie stutzte. Chianti hatte diese Panne mitbekommen? Sie hatte sie gar nicht bemerkt.

"Ich wollte ihr lediglich etwas ausrichten. Naja, ungutes Timing, für das sie mir beinah den Kopf abgerissen hätte.", log Jodie rasch.

"Ha! Erzähl mir nichts. Du hast gelauscht.", beharrte die Vampirin und amüsierte sich scheinbar königlich darüber. "Du bist so viel dreister, als deine kleine Freundin, wegen der ihr alle hier so einen Aufstand macht, es je hätte sein können."

Der Blondine stockte der Atem. Wieso hatte sie... ?! "Hast du gerade in der Vergangenheitsform von Rena gesprochen?", hakte sie alarmiert nach.

Chianti stutzte, grinste dann jedoch und winkte ab. "Oh, nein, nein. Sie lebt. Mein Fehler, mein Englisch ist ausbaufähig."

Skeptisch zog die Jägerin eine Augenbraue hoch. Es stimmte schon, dass das Englisch der Vampirin nicht perfekt war, die Andere sprach zudem mit einem starken Akzent, dennoch bereiteten ihre Worte ihr Sorge.

Derweil lief Chianti auf sie zu und blieb erst kurz vor ihr stehen. Dabei fiel Jodie erneut auf, dass die Andere ein Stück kleiner als sie war und einen wirklich zierlichen Knochenbau hatte... was jedoch nicht bedeutete, dass sie in irgendeiner Form schwächlich wäre, wie sie im Kampf gegen diese Frau bereits schmerzhaft hatte erfahren müssen.

Die Vampirin starrte ihr direkt in die Augen, musste irgendetwas darin entdeckt haben und begann erneut lauthals zu lachen. Jodie verzog das Gesicht. Sie verstand nicht ganz, was gerade bitte so lustig war, lediglich, das Chiantis Lache ihr Kopfschmerzen bereitete, stand außer Frage.

"Was ist jetzt bitte so komisch?", hakte sie nach und brachte wieder etwas mehr Abstand zwischen sich und die Vampirin. "Und was ist mit Rena? Du weißt doch irgendetwas.", versuchte sie es.

Langsam beruhigte Chianti sich wieder und blickte die Jägerin lässig an. "Du machst dir ja wirklich Sorgen um Kir, kann das sein?"

"Wenn du etwas weißt-", begann Jodie erneut, wurde jedoch von ihrem Gegenüber unterbrochen.

"Jetzt halt mal für einen Moment die Luft an. Sie spielt die ganze Zeit über das verschreckte Mäuschen und baut im Hintergrund richtig Mist. SMS mit anderen Jägern austauschen ist nicht das, was Personal unseres Hauses tun sollte."

Personal. Jodie biss die Zähne zusammen und hatte Mühe damit, sich einen Kommentar zu sparen. Als wenn Rena freiwillig für diese Monster arbeiten würde. Mit irgendetwas erpressten diese Mistkerle sie doch und die Blondine war sich ziemlich sicher, dass dies erst der Gipfel des Eisbergs war. Sternenstaubs Jägerin hatte gerade im Bezug auf Gin oftmals so verstört gewirkt, dass sie diesbezüglich gar nicht weiterdenken mochte, zumal Rena jedes Gespräch, das in Richtung der japanischen Vampire ging, sofort abgewürgt hatte.

"Was sie getan hat, ist zumindest nichts, was ignoriert werden konnte. Gin hatte folglich gar keine andere Wahl als sie zu bestrafen, auch wenn es Schade um das Mädchen ist, das Botengänge bei Tageslicht für uns erledigen konnte."

"Bestraft? Was meinst du damit? Aber sie lebt wirklich noch, oder?", hakte Jodie zur Sicherheit noch einmal äußerst beunruhigt nach.

Sie wusste, dass sie selbst nachher definitiv noch Ärger mit Chris, wegen der dämlichen Aktion eben bekommen würde, gleichzeitig wusste sie jedoch auch, dass die andere Blondine ihr nicht wirklich etwas tun würde. Höchst wahrscheinlich erwartete sie lediglich eine gehörige Standpauke.

"Das sagte ich doch. Sie hat Federn gelassen, aber sie lebt.", versicherte Chianti ihr.

"Was genau habt ihr mit ihr gemacht?", bohrte die Jägerin erneut nach, überrascht über die Tatsache, dass die Japanerin überhaupt mit ihr darüber sprach.

"Warum fragst du sie nicht einfach selbst?", schlug die Vampirin nun vor.

Einen Moment lang starrte Jodie sie einfach nur verblüfft an. Bourbon, Curaçao und Vermouth setzten gerade Himmel und Hölle in Bewegung, um etwas über den Aufenthaltsort der Brünetten herauszufinden und nun bot Chianti an, sie einfach zu ihr zu bringen?

"Du meinst, du weißt wo sie ist? Warum solltest du mich zu ihr bringen wollen, wenn du den anderen kein Wort verraten hast?" Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihrer Magengegend aus.

Ihre Gesprächspartnerin lachte nur wieder dieses höchst unangenehme Lachen. "Weil du mir den Tag versüßt hast, indem du diesem amerikanischen Miststück gerade so richtig auf die Nerven gefallen bist, darum."

Jodie blinzelte. Mit dieser Antwort hatte sie ehrlich gesagt nicht gerechnet.

Chianti knuffte sie gegen den Oberarm. "Na los, komm schon."

"Ist das dein Ernst? Ich weiß ehrlich gesagt nicht...", begann Jodie zögernd. Sie traute dieser Frau nicht und wusste daher nicht, ob es wirklich eine so gute Idee war, ihr zu folgen.

"Hast du etwa Angst, das ich dich fressen könnte?", amüsierte die Vampirin sich. "Zugegeben, dein Blut riecht wahnsinnig gut, aber du stehst unter dem Schutz dieses verdammten Blondchens. Gin reißt mir den Kopf ab, wenn ich diese Grenze übertrete."

Chianti gab ihr einen gut gemeinten Schubs in Richtung Treppe, wobei die Vampirin sich mit ihren Kräften verschätzte. Im letzten Moment gelang es Jodie das Treppengeländer zu fassen zu kriegen und sich daran festzuhalten.

"Pass doch auf, verdammt! Euch Vampiren macht so ein Sturz vielleicht nichts aus, wir Menschen brechen uns alle Knochen!"
 

Als sie der Kleineren folgte, wurde das nagende Gefühl in ihrem Magen stärker. Wäre es nicht besser gewesen, Curaçao oder Bourbon dazu zu holen? Aber dann würde Chianti sie sicherlich nicht mehr zu Kir führen. Arg! Es war zum Haare raufen! Sie hatte ein ganz schlechtes Gefühl bei der Sache, aber sie musste auch unbedingt die verschollene Jägerin finden!

Als Chianti sie zu einer Treppe lotste, welche nach unten führte, wurde das ungute Gefühl nur noch stärker. Hier ging es doch zum sogenannten 'Weinkeller'. Ein Ort, an den sie nur denken musste, um vor Entsetzen eine Gänsehaut zu bekommen.

"In den Keller? Chris und die anderen werden es nicht gerne sehen, wenn-"

"Jetzt trödle nicht. Wir Japaner sind hier unten auch nicht gerne gesehen. Ich habe keine Lust wegen dir noch Probleme zu bekommen, sollten wir auffliegen.", konterte Chianti.

Die Kleinere packte die Jägerin kurzerhand am Handgelenk und zog sie mit sich. Ein scharfer Schmerz jagte durch Jodies Arm.

"Aua! Pass auf mit deiner Kraft! Du brichst mir noch das Handgelenk!"

Glücklicherweise lockerte ihre Begleiterin daraufhin ihren Griff ein wenig, zog sie jedoch weiterhin mit sich. "Ihr Menschen seid so zerbrechlich. Das vergesse ich immer wieder.", entgegnete sie nur.

Schließlich hatten sie das Ende der Kellertreppe erreicht. Vor ihnen erstreckten sich mehrere, endlos lange Gänge, die immer wieder abzuzweigen schienen.

Hier und da steckten einige Fackeln in den Wänden und erhellten den Keller mehr schlecht als recht. Jodie meinte das Wimmern von Personen zu hören. Kein Wunder, wenn sie daran dachte, warum diese armen Menschen hier gefangen gehalten wurden.

Ihr wurde regelrecht schlecht, was noch nicht einmal an dem muffigen Geruch lag. Es war das geballte Leid, die Angst und die Verzweiflung der Gefangenen, welche fast schon greifbar waren.

Chianti schritt zielstrebig voran, während Jodie ihre eigenen Beine förmlich zwingen musste, der Vampirin zu folgen.

Bereits nach zwei Minuten wusste sie, dass dieser Ort ein gigantisches Labyrinth war. Ein Labyrinth, das jeden Horrorfilm in den Schatten stellte.

Von den Gängen aus, hörte sie ab und an ein rasselndes Atmen aus den Verschlägen kommen, welche vom Flur aus nicht einsehbar waren. Hier und da entdeckte sie Schilder, mit Pfeilen darauf und Beschriftungen wie 'A+' oder 'B-'. Ein Wegweiser zu den verschiedenen Blutgruppen, wie nett.

Dieser Keller war ein absoluter Alptraum! Wie gerne hätte sie die Gefangenen auf der Stelle befreit, oder Mondnebel zur Hilfe geholt.

Nicht alle der Zellen konnten wirklich belegt sein. Jodie fragte sich, wie viele Menschen hier aktuell eigentlich festgehalten wurden. Der größte Teil des Kellers schien als Lagerraum zu dienen, verschwanden die Beschriftungen doch bereits nach kurzer Zeit wieder. Die Blondine konnte zudem nicht leugnen, inzwischen hoffnungslos die Orientierung verloren zu haben.

"Was für ein widerlicher Ort.", spie sie.

"Widerlich? Das ist Ansichtssache. Für mich ist dieser Keller viel mehr wie ein einziges Selbstbedienungslager.", entgegnete Chianti unbeeindruckt. Die Augen der Vampirin hatten ein helles Stahlblau angenommen. Jodie wusste nicht, ob dies an den Lichtverhältnissen lag, oder ob hier irgendwo Blutgeruch in der Luft lag. Das dieses Biest sein Vampirgesicht so offen zeigte, war jedoch alles andere als beruhigend für sie.

//Und ich bin hier ganz allein mit ihr unterwegs. Verdammt, Jodie, wie dumm kannst du eigentlich sein?!//, tadelte sie sich in Gedanken selbst.
 

Je länger sie der Vampirin folgte, desto stärker wurde der Drang wieder umzukehren. Wie sehr sie sich wünschte, wenigstens ihre Waffe bei sich zu tragen. Auch wenn ihr die Pistole mit der künstlichen Tageslichtmunition darin, bei ihrem ersten Kampf gegen diese Frau herzlich wenig gebracht hatte. Die Gegnerin war neulich problemlos in der Lage gewesen, den Kugeln auszuweichen.

Die Blondine schluckte und zwang sich, weiterhin einen Fuß vor den anderen zu setzen. So gerne sie es inzwischen auch würde, sie konnte nicht einfach so umkehren. Sie hatte hoffnungslos die Orientierung in diesem Labyrinth von einem Keller verloren.

Verdammt! Sie hätte Chianti von Anfang an niemals folgen dürfen, aber für Reue war es nun zu spät. Zumal sie immer noch darauf hoffte, dass die Kleinere sie wirklich zu Rena führen würde. Sie musste unbedingt in Erfahrung bringen, was mit Sternenstaubs Jägerin passiert war.

Schließlich hatten die beiden Frauen das Ende des endlos langen Flurs erreicht. Eigentlich, denn dort, wo der Gang hätte enden sollen, klaffte ein Loch in den Ziegelsteinen. Gerade groß genug für eine Person um hindurch zu schlüpfen. Erneut begannen die Alarmglocken in ihrem Kopf zu schrillen.

"Da müssen wir durch?", hakte Jodie nach. "Das Loch in der Mauer sieht noch ziemlich frisch aus. Was genau habt ihr hier angestellt?" Zumindest ging sie stark davon aus, dass die Japaner das Gebäude an dieser Stelle verschönert hatten.

"Genau so sieht es aus. Schnapp dir lieber eine der Fackeln. Ab hier ist der Weg nicht mehr beleuchtet.", entgegnete Chianti lediglich, sparte sich jedoch jede Erklärung zu dem Loch in der Wand.

Anstatt der Vampirin weiter zu folgen, erstarrte die Jägerin förmlich. Ihr ungutes Gefühl erdrückte sie inzwischen fast. Sie wollte nur noch von hier verschwinden!

"Hey, jetzt trödel nicht, du Hasenfuß. Komm schon.", spöttelte Chianti, zog an Stelle der Blondine eine der Fackeln aus deren Halterung, griff mit ihrer freien Hand einmal mehr nach dem Arm der Jägerin und zog sie ohne viel Mühe hinter sich her.

"Lass mich los!", protestierte Jodie und sträubte sich, doch gegen die Kraft der Vampirin kam sie nicht an. Die Kleinere hingegen schien sich noch nicht einmal anzustrengen, als sie sie mit sich zog.

"Wir sind fast da, also stell dich nicht so an.", kommentierte Chianti trocken.

Das ungute Gefühl war inzwischen so stark, dass die Jägerin es nicht mehr aushielt. Sie versuchte sich loszureißen und umzukehren, doch der Griff ihrer Begleiterin war eisern. Chianti zog sie mit sich, als besäße Jodie nicht mehr Kraft als ein Chihuahua. Die Proteste der Jüngeren ignorierte die Vampirin gekonnt.

Adrenalin jagte durch den Körper der Blondine. Sie hatte von Anfang an kein gutes Gefühl bei der Sache gehabt, doch inzwischen glaubte sie kaum mehr daran, dass Chianti ihr wirklich nur Renas Aufenthaltsort zeigen wollte. Die Vampirin kochte ihr ganz eigenes Süppchen und sie wollte nicht herausfinden, warum sie sich die Mühe gemacht hatte, sie bis hier her zu schleifen.

Der Gang, der sich hinter der zerstörten Mauer befand, bestand lediglich aus festgetretenem Lehm. Vor langer Zeit musste der Keller hier noch weitergegangen sein, doch vermutlich hatte man diesen Teil des Gebäudes bereits vor Jahrzehnten zugemauert.

In der Tat war es in dem erdigen Gang stockdunkel. Lediglich die Fackel, die die Vampirin bei sich trug, erhellte die Umgebung ein wenig. Schatten tanzten im Feuerschein in wilden Zacken an den Wänden entlang. Jodies Herz raste.

Endlich blieb ihre Begleitung stehen, wandte sich ihr zu und musterte sie unbeeindruckt, während die stahlblauen Vampiraugen ihr in der Dunkelheit etwas Gespenstisches verliehen.

"So, hier wären wir. Und? Dein Kopf ist noch dran, oder?", amüsierte sie sich.

"Hier?" Jodie blinzelte irritiert. Sie befanden sich gefühlt irgendwo im Nirgendwo.

Dann entdeckte sie ein etwa zwei mal zwei Meter breites Loch im Boden, dessen Ränder noch relativ frisch aussahen.

Chianti nickte ihr bestätigend zu. "Irgendwann muss es hier mal eine Etage unter dem Keller gegeben haben. Der Boden hier war ganz dünn.", erklärte sie.

Weiterhin hämmerte das Herz der Jägerin von innen wie wild gegen ihren Brustkorb. Obwohl die Vampirin bislang ganz ruhig geblieben war, etwas lief hier gewaltig schief. Die Sache hatte bereits begonnen aus dem Ruder zu laufen, als sie dieser Frau vorhin auf dem Flur begegnet war, da war Jodie sich inzwischen ganz sicher.

"Warum hast du mich hier her gebracht und erzählst mir das? Habt ihr Rena am Ende etwa-"

Sie wurde unterbrochen, als der Gesichtsausdruck der Kleineren sich plötzlich veränderte.

Weiterhin funkelten die stahlblauen Augen der Vampirin amüsiert, doch es lag eine gewisse Bösartigkeit darin, die sich auch in ihrem Grinsen widerspiegelte, welches nun den Weg auf ihre Lippen gefunden hatte.

Mit einem kräftigen Ruck, zog Chianti sie zu sich heran. Im ersten Moment befürchtete Jodie sich den Arm ausgekugelt zu haben, doch der Schmerz verebbte bereits wieder.

"Du willst wissen wo sie ist? Warum siehst du nicht ganz einfach selbst nach?" Chiantis Stimme klang belustigt. "Weißt du, am Anfang wollte ich nur dein Blut, aber als ich dir vorhin in die Augen geschaut und es gesehen habe, wusste ich, wie ich deiner verdammten Daywalkerin noch viel effektiver weh tun kann." Noch ehe Jodie nachhaken konnte, was Chianti bitte glaubte, in ihren Augen entdeckt zu haben, überschlugen die Ereignisse sich bereits.

Die Vampirin lachte und gab ihr einen Schubs. Unfreiwillig strauchelte die Blondine nach vorne, verlor den Boden unter den Füßen und spürte wie sie stürzte.
 

Sie stieß einen erschrockenen Schrei aus. Sie fiel und hatte das Gefühl von der Dunkelheit verschluckt zu werden.

Noch ehe Jodie sich fragen konnte, wie tief das Loch eigentlich war, schlug sie hart auf dem Boden auf. Der Aufprall presste ihr die Luft aus den Lungen. Schmerzt jagte durch ihre Seite.

Für den Moment sog die Jägerin lediglich scharf die Luft ein, rührte sich nicht und blieb benommen liegen. Schließlich rollte sie sich vorsichtig auf die Seite, prüfte in der Bewegung ihre Arme und Beine und war sich relativ sicher, dass sie sich nichts gebrochen hatte.

Langsam zog sie sich in eine sitzende Position und rieb sich das rechte Handgelenk. Autsch!

Die Landung war wahrlich unangenehm gewesen, doch Jodie glaubte, dass sie sich nicht ernsthaft verletzt hatte.

Allerdings hatte sie trotz allem wahrlich genug Probleme. Sie befand sich irgendwo im Keller unter dem Vampiranwesen und zwar in einem Abschnitt, der den wenigsten bekannt sein dürfte. Zudem wusste niemand das sie hier war. Niemand außer diesem Biest.

Sie fragte sich, was die Vampirin nun mit ihr vorhatte. Wollte sie sie hier verrotten lassen? Oder würde sie den günstigen Moment nutzen um sie zu töten?

Und warum glaubte die Andere, dass sie Chris weh tun könnte, indem sie ihr - einer Vampirjägerin- schadete?! Aber diese Frage war eher zweitrangig. Die anderen Probleme überwogen derweil.

"Chianti, verdammt...!" Jodies Stimme klang verstört und verärgert zugleich.

Sie befand sich in einem Loch, mitten in der Dunkelheit und hatte keine Ahnung, wie zur Hölle sie hier wieder rauskommen sollte, selbst wenn die Ältere sich dazu entschließen sollte, sie vorerst am Leben zu lassen.

Besagte Vampirin tauchte oben am Rande des Lochs auf. Ihre Augen glühten in der Dunkelheit. Lediglich die Fackel, die sie weiterhin in der Hand hielt, leuchtete die Grube ein wenig aus.

Jodie schätzte, dass sie etwa dreieinhalb Meter tief gestürzt war. Eine Höhe, die es ihr unmöglich machte, aus eigener Kraft der Grube zu entkommen.

"Du hast dir also nicht den Hals gebrochen, wie schön.", lachte Chianti derweil. "Das macht es gleich noch viel amüsanter. Wolltest du nicht ursprünglich nach deiner Freundin sehen? Bitte, das ist die Gelegenheit. Ich war immerhin so nett und habe dich zu ihr gebracht und nun bin ich noch viel netter und lasse dir sogar die Fackel hier. Also dann, viel Spaß euch beiden."

Die Vampirin warf die Fackel hinunter, trat vom Rand des Lochs weg und verschwand wie ein Schatten in der Dunkelheit.

Im ersten Moment starrte Jodie ungläubig nach oben, dann begannen ihre Gedanken zu rasen.

Bitte wie war das? Sie war nicht allein hier unten? Rena!

Jetzt, wo die Fackel die Umgebung zumindest ein wenig erhellte, war es ihr möglich, sich in der Grube umzusehen.

Jodie kämpfte sich zurück auf die Füße, hob die Fackel vom Boden auf und sah sich hektisch nach allen Seiten um. Sie schätzte, dass der Raum, in den sie gestürzt war, knapp 50m² maß. Der Boden war lehmig, staubig und übersät mit Trümmern, welche hinabgefallen sein mussten, als die japanischen Vampire die Decke zerstört hatten.
 

Bis auf Staub und Trümmerteile gab es hier unten nicht all zu viel zu sehen. Sie saß ganz allein in diesem trostlosen Gefängnis fest und würde bald schon noch nicht einmal mehr etwas sehen können, wenn die Fackel niedergebrannt war. Jodie spürte, wie die blanke Panik in ihr aufstieg.

Dann blieb ihr Blick an einer Gestalt hängen, welche dort zwischen den Trümmern und fast außerhalb des Feuerscheins saß.

Die Person hatte sich mit dem Rücken an die Wand gelehnt und ihre Arme um die herangezogenen Beine geschlungen. Brünettes Haar fiel ihr über die Schultern und ins Gesicht. Der ursprünglich cremefarbene Pullover der anderen Frau war teils blutgetränkt. Jodie blieb fast das Herz stehen.

"Rena!!" Ihre Stimme klang schrill vor Sorge.

Beinahe hätte die Jägerin die Fackel fallen lassen, doch gerade noch so besann sie sich eines Besseren. Stattdessen beeilte sie sich, zu ihrer Kameradin zu laufen, ohne dabei über herumliegende Trümmerteile zu stolpern.

"Hey... geht's dir gut...?", wollte sie beinahe zaghaft wissen. Was für eine dumme Frage. Die Andere sah nicht so aus, als würde es ihr gutgehen. Zumal auch sie hier unten festsaß.

Für einen Moment gelang es Jodie, ihre eigene Panik und die Sorge darüber, wie sie hier wieder rauskommen sollte, bei Seite zu schieben. Einerseits war sie unglaublich froh darüber, die Brünette wiedergefunden zu haben, andererseits nahm die Angst um sie nur noch zu, erst recht, da Rena nicht auf sie reagierte, als sie sie ansprach.

Anstatt zu antworten, kauerte die andere Jägerin sich nur noch mehr zusammen und machte sich noch etwas kleiner. Besorgt blieb Jodie neben ihr stehen, beugte sich zu ihr herunter und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Rena zuckte zusammen.

"Rena...-", begann sie.

"Verschwinde!...Bleib weg von mir!", fuhr ihre Kameradin sie an.

In der Tat zog Jodie im ersten Moment ihre Hand zurück und starrte ihr Gegenüber verständnislos an. Das war eine Begrüßung, mit der sie nicht unbedingt gerechnet hatte, zumal die Stimme der Brünetten seltsam klang, fast so, als hätte sie getrunken.

"Was...? Ich versteh nicht ganz, warum-", setzte Jodie erneut an, doch wieder wurde sie unterbrochen.

"Bleib weg! Bitte..! Ich will dir nicht..." Sternenstaubs Jägerin klang angestrengt.

Noch während die Blondine sich fragte, was genau es war, dass die Andere nicht wollte und warum sie sich ihr nicht nähern sollte, griff Rena sich gequält mit beiden Händen an den Kopf. Sie sah so aus, als hätte sie die Kopfschmerzen ihres Lebens.

"Verschwinde endlich!!", fuhr die Jüngere Jodie erneut an, diesmal nachdrücklich und mit erhobener Stimme, etwas, was der sonst so sanftmütigen Jägerin gar nicht ähnlich sah.

Die Blondine wich zwei Schritte zurück, allein schon, um ihr Gegenüber nicht unnötig aufzuregen.

Sie fragte sich, was um Himmels Willen passiert war und wie sie ihrer Freundin helfen sollte.

"Du bist gut, ich kann nicht einfach so weg, selbst wenn ich wollte. Wir sitzen beide hier unten fest. Sag mir lieber, was passiert ist. Was haben diese Monster mit dir gemacht?"

Anstatt ihr eine brauchbare Antwort zu geben, fiel die Brünette vornüber, stützte sich auf Ellbogen und Knie und hielt sich den Kopf.

"Dein Blut... ich werde dir noch was antun...", kam es angestrengt und gequält von Sternenstaubs Jägerin.

Jodie hielt die Fackel ein wenig näher in ihre Richtung. Der Feuerschein ließ sie einen besseren Blick in das Gesicht ihrer Kameraden erlangen. Bei dem, was sie sah, jagte das Adrenalin wie ein schmerzhafter Stich durch ihren Körper. Ihr Herzschlag beschleunigte sich.

Das...! Verdammt, was passierte hier?! Jodie glaubte es zu wissen, auch wenn sie es noch nie gesehen hatte. Instinktiv war ihr klar, dass das, was sie sah, alles andere als gut war.

Am Hals der Brünetten klaffte eine tiefe Bisswunde. Diese blutete inzwischen zwar nur noch leicht, hatte jedoch Teile des Pullovers durchweicht. In ihrem Gesicht zeichneten sich feine, dunkle Adern ab, die einen starken Kontrast zu ihrer derzeit unnatürlich blassen Haut bildeten. Die sonst taubenblauen Augen der Jägerin wirkten heller als zuvor.

Während Rena sich, inzwischen allem Anschein nach von Krämpfen gepeinigt, auf dem Boden zusammengekrümmt hatte und nach Luft rang, erhaschte Jodie einen kurzen Blick auf die Zähne der Anderen. Die oberen Eckzähne waren spitz und gewannen mit jeder Sekunde, die verstrich, kaum merklich noch etwas an Länge.

Oh Gott, nein! Das durfte nicht sein! Sie verwandelte sich und die Blondine wusste, dass es nichts gab, was sie für sie tun konnte.

Sie konnte sich nur zu gut in Renas Lage hineinversetzen. Sie übten den gleichen Job aus, jagten Vampire und versuchten die Menschheit bestmöglich vor diesen Blutsaugern zu bewahren. Plötzlich selbst zu einem dieser Monster zu werden, musste schrecklich sein!
 

Plötzlich hörte ihr Gegenüber auf sich zu krümmen und sank für einen Moment zu Boden. Hatten die Krämpfe aufgehört? "Rena...?" Jodie wurde das ungute Gefühl nicht los, dass sie sich gleich noch einem ganz anderen Problem gegenübersehen würde.

Als sie die andere Jägerin ansprach, richtete diese ruckartig den Blick auf sie. Die stahlblauen Augen der Brünetten glühten in der Dunkelheit. Erschrocken stellte Jodie fest, das ihre eigentliche Freundin sie ansah, wie ein Raubtier seine Beute mustern würde. Aus ihrem Blick war jedes Fünkchen Menschlichkeit gewichen.

Aus der Kehle der Anderen drang ein seltsamer Laut, eine Mischung aus Knurren und Fauchen. Ein Geräusch, wie kein Mensch es von sich geben könnte. Jodie gefror das Blut in den Adern, als sie die Situation schließlich erfasste.

Ein normaler A-Klasse Vampir hätte sich unter Kontrolle. Chris, eine Daywalkerin, hatte selbst dann nicht die Beherrschung verloren, als sie verletzt und ausgehungert neben ihr gesessen hatte.

Doch Rena? Sie sah nicht so aus, als würde sie in diesem Moment logisch denken. Die Brünette spannte die Muskeln an wie eine Katze vor dem Sprung.

Schlagartig wurde Jodie klar, was hier nicht stimmte. Sie hatte keine A-Klasse Vampirin vor sich. Nein, sie kannte diese Art von Vampiren, die Mondnebel im Normalfall abwertend als hirnlose Kreaturen bezeichnete. Der japanische Vampirfürst hatte die Grausamkeit besessen, Sternenstaubs Jägerin in eine B-Klasse Vampirin zu verwandeln, wie auch immer er das angestellt hatte!

Doch das war gerade absolut zweitrangig. Die Verwandlung schien abgeschlossen zu sein.

Rena fixierte sie mit dem Blick, stieß sich vom Boden ab und sprang ihr im nächsten Moment in einer fließenden Bewegung entgegen.

"Nein!!" Erschrocken schrie Mondnebels Jägerin auf und schaffte es gerade noch dem Angriff durch eine Drehung auszuweichen. Ihr Gegenüber traf die Wand, aus welcher ein großes Stück Lehm herausbrach. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn sie sie getroffen hätte!

Doch es war noch nicht vorbei. Weiterhin hatten die Bewegungen der Vampirin etwas katzenhaftes. Mit einem wütenden Fauchen setzte sie zu einem erneuten Angriff an.

Jodie schlug mit der brennenden Fackel nach ihr und taumelte gleichzeitig einige Schritte zurück, um die Attacke abzuwehren.

Panik und Verzweiflung stiegen in ihr auf. Das war doch jetzt ein schlechter Scherz! Rena war in der kurzen Zeit zu einer guten Freundin geworden. Sie wollte nicht gegen sie kämpfen! Doch was passierte, wenn sie es nicht tat, war absehbar.

Leider nur würde es keinen großen Unterschied machen, ob sie versuchte sich zu wehren, oder nicht. Jodie versuchte den Angriffen bestmöglich zu entgehen, wusste jedoch, dass sie auf lange Sicht keine Chance hatte, unbewaffnet gegen einen Vampir anzukommen.

Flucht war ebenfalls keine Option. Nicht nur, weil Vampire viel schneller als Menschen waren, sondern weil sie in dieser verdammten Grube festsaß, aus der sie aus eigener Kraft nicht würde entkommen können.

Sie saß in der Falle. Chianti hatte das haargenau geplant. Genau so gut hätte dieses Biest sie in den Käfig eines hungrigen Löwen werfen können, bloß das sie das Raubtier wenigstens nicht gekannt hätte. Zu sehen, was diese elenden Monster aus Rena gemacht hatten, machte die Situation nur noch zusätzlich schrecklich.
 

"Reiß dich zusammen! Das bist doch nicht du!", rief sie und versuchte irgendwie zu ihrer Kameradin durchzudringen. Wenn da noch irgendetwas von ihrem ursprünglichen Ich war, dann hoffte Jodie, dass ihre Worte sie erreichten.

Doch Rena ging unbeirrt weiter auf sie los. Nur mit Mühe und mit Hilfe der brennenden Fackel schaffte sie es, die Brünette abzuwehren. Bislang. Sie wusste ehrlich gesagt nicht, wie lange das noch gutgehen würde. Spätestens, wenn die Vampirin sich entschloss ernstzumachen, wäre es aus und vorbei mit ihr!

Wenn sie doch nur ihre Pistole hätte! Wobei... könnte sie wirklich den Abzug betätigen, wo es sich bei ihrer Gegnerin doch um eine Freundin handelte?! Nein, vermutlich könnte sie es nicht.

Angst und Verzweiflung wuchsen mit jeder Sekunde. Rena trieb sie durch den Raum und Jodie taumelte mehr schlecht als recht zurück.

"Hör auf! Komm endlich wieder zur Besinnung!"

Voller Entsetzen spürte sie, wie sie mit dem Rücken gegen die Wand hinter sich stieß.

Die B-Klasse Vampirin vor ihr bleckte die Zähne und machte sich zweifelsohne für den finalen Sprung bereit.

Schützend hielt die Blondine die Fackel vor sich und fuchtelte damit herum. Als ob das bisschen Feuer die Vampirin aufhalten würde. In wenigen Sekunden würde sie ihr den Hals zerfleischen. Es graute ihr.

Rena setzte zum Angriff an und die Jägerin kniff die Augen zusammen. Sie wollte ihr Ende nicht kommen sehen. Doch noch ehe die Jüngere ein letztes Mal auf sie losgehen konnte, hallte plötzlich ein lauter Pfiff durch die Grube. Jodie blinzelte verwirrt und sah, wie auch Rena herumwirbelte und den Rand der Grube mit dem Blick fixierte.
 

Oben, am Rand der Grube, stand ein ihr wohlbekanntes Gesicht, eine weitere Fackel in der Hand haltend.

"Jodie!", hörte sie Chris nach ihr rufen. Ihre Stimme klang besorgt. Die Tatsache, dass sie sie mit ihrem Vornamen und nicht mit irgendeinem Spitznamen ansprach, unterstrich nur noch einmal, dass die Sorge nicht gespielt war. "Ist alles in Ordnung mit dir?!"

"Chris!", rief die Jägerin nach der anderen Blondine. Ihr fiel ein Stein vom Herzen. Sie musste das hier nicht mehr allein durchstehen!

Zumindest im ersten Moment fühlte Jodie, wie die Hoffnung in ihr aufkeimte. So froh, Amerikas Nummer Zwei zu sehen, war sie noch nie gewesen. Doch das gute Gefühl währte nicht lange. Bereits im nächsten Moment blieb ihr fast das Herz stehen. Schön und gut, dass die Schauspielerin sie gefunden hatte, doch als Daywalkerin verfügte sie nicht über die Kraft der Vampire, sondern befand sich kräftemäßig auf dem Niveau eines Menschen - einer untrainierten Zivilistin, um ganz genau zu sein.

"Rena... diese Mistkerle haben sie zur B-Klasse Vampirin gemacht! Hol Hilfe! Ich weiß nicht, wie lange ich sie hier unten noch abwehren kann!" Jodie versuchte der Anderen die Lage so rasch wie möglich zu erklären.

Für einen Moment huschte so etwas wie Betroffenheit über die Mimik der Schauspielerin, dann meinte Jodie, eine gewisse Bitterkeit im Gesicht der Daywalkerin zu erkennen.

"Hilfe holen? Ich glaube nicht, dass die Kleine das zulassen wird.", ergriff Chris das Wort, ehe ein leichtes Schmunzeln ihre Lippen umspielte. "Aber das ist vielleicht auch gar nicht nötig."

Ungläubig sah sie, wie die Schauspielerin ihr eigenes Handgelenk zum Mund führte. Kurz zuckte sie zusammen, dann hielt sie ihren Arm über das Loch im Boden. Ein paar Blutstropfen landeten auf dem staubigen Boden und versickerten langsam darin.

"Was hast du vor...?", setzte die Jägerin verwirrt an.

Die eben gewandelte Vampirin knurrte beim Geruch des Blutes und fixierte die Blondine am oberen Rand der Grube.

"Na komm schon, Mädchen. Für dich sind die paar Meter doch keine Entfernung.", höhnte Chris vom Rand der Grube aus.

Moment! Jodies Augen weiteten sich erschrocken, als sie daran denken musste, welche Distanzen Vampire problemlos durch Sprünge überbrücken konnten. Sie hatte es schon oft genug mit eigenen Augen gesehen.

Versuchte Chris also gerade Rena aus der Grube zu locken und sich selbst zum Köder zu machen?!

Nein! Nein! Nein! Sie konnte sich doch selbst nicht verteidigen!

Und Rena? Die ehemalige Jägerin nahm nicht länger Notiz von Jodie, sondern fixierte die Schauspielerin, deren Blut sie ganz sicher gerochen haben musste.

Aber warum reagierte ein Vampir überhaupt so stark auf das Blut eines anderen Vampirs? Jodie verstand es nicht, doch das zu hinterfragen, dafür fehlte die Zeit. Was sie jedoch sehr wohl verstand war, dass Chris chancenlos wäre, würde die Brünette auf sie losgehen. Und diese... spannte sich an und sprang.

Jodie wusste nicht was in sie gefahren war, sie handelte rein instinktiv. Als Rena lossprang, ließ sie die Fackel fallen, stürzte sich auf die Jüngere und schlang die Arme um ihre Schultern. Sie versuchte verzweifelt Halt zu finden.

Im nächsten Moment hatte sie keinen festen Boden mehr unter den Füßen. Die Vampirin sprang so mühelos aus dem Loch, als würde sie sich gar nicht an ihr festhalten.

Sicher landete Rena auf dem lehmigen Boden, fixierte weiterhin die Schauspielerin mit dem Blick und zog urplötzlich den Ellbogen nach hinten. Der Schlag in die Magengrube traf Jodie vollkommen unvorbereitet. Sie spürte, wie sie mit dem Rücken gegen die Wand prallte und fand sich im nächsten Moment benommen auf dem Boden liegend wieder.

Autsch! Das hatte ganz schön gesessen! Die B-Klasse Vampirin hatte sie abgeschüttelt wie ein lästiges Insekt.
 

Für den Moment gelang es Jodie nicht aufzustehen. Vollkommen neben der Spur und nach Atem ringend, bekam sie nur am Rande mit, wie die Brünette sich auf die Daywalkerin stürzte.

Die Fackel flog durch die Luft und blieb knapp neben ihr liegen.

"Chris, nein!", rief sie erschrocken aus. Mit Mühe gelang es Jodie, sich auf die Ellbogen zu stützen und sich zurück in eine halbwegs sitzende Position zu ziehen. Nur langsam ebbte der Schmerz ab.

Entsetzt starrte sie zu den beiden anderen und konnte nur hilflos dabei zusehen, wie Rena die Blondine mit spielender Leichtigkeit gegen die Wand drückte.

Der Biss in den Hals, ließ Amerikas Nummer Zwei zusammenzucken und für einen kurzen Moment das Gesicht verziehen. Jodie konnte es verstehen, wusste sie doch aus erster Hand, wie schmerzhaft ein solcher Biss sein konnte.

Überraschend versuchte die Daywalkerin nicht ihre Angreiferin abzuwehren, sondern hielt ganz still. Sie legte den Hals sogar noch ein wenig mehr zur Seite. Verständnislos und ungläubig zugleich beobachtete Jodie die Szene. Was tat Chris denn da?! Wenn sie nicht wenigstens versuchte, die Andere loszuwerden, würde diese sie am Ende noch töten!

...oder auch nicht. So zähflüssig wie Honig, drang die Erinnerung an die Worte der Schauspielerin in ihr Gedächtnis zurück. Wie war das noch gleich? Das Blut eines Daywalkers war für andere Vampire ungefähr genau so giftig wie Zyankali für Menschen...? Dann wehrte sie sich also nur nicht und ließ den Biss zu, weil sie...?

Erneut stieg Entsetzen in ihr auf. NEIN! Zwar war sie überrascht, welch heftige Sorgen sie sich um Chris machte, doch gleichzeitig wollte sie genau so wenig, dass die andere Blondine Sternenstaubs ehemalige Jägerin gezielt vergiftete und sie auf diese Art und Weise tötete!

"Nein! Hört auf! Beide!", hörte sie ihre eigene Stimme rufen.

Mit einiger Anstrengung kämpfte sie sich zurück auf die Füße, nur um im nächsten Moment unschlüssig dazustehen. Was sollte sie jetzt tun? Dazwischengehen? Sollte sie versuchen Rena wegzuziehen? Als wenn die Andere das kümmern würde.

Aber wenn sie nichts unternahm, dann.... Reichte die Menge des Blutes, die die B-Klasse Vampirin getrunken hatte, am Ende etwa bereits aus, um...? Sie wollte diesen Gedanken gar nicht zu Ende denken.
 

Noch ehe Jodie entscheiden musste, was sie nun tun sollte, nahm sie im schwachen Schein der Fackel eine schnelle Bewegung wahr.

"Rena! Nein! Hör auf damit!" Im nächsten Moment prallte Curaçao bereits gegen sie und riss die Brünette mit sich.

Die beiden Frauen rutschten ein Stück weit über den Boden, ehe sie fast genau vor Jodies Füßen zum Liegen kamen. Unbewusst taumelte die Blondine zwei Schritte zurück.

Während die Schauspielerin im Hintergrund auf die Knie sackte und sich mit dem Rücken gegen die Wand lehnte, rangen Curaçao und Kir miteinander, wobei es der Silberhaarigen gelungen war, die Jüngere auf den Boden zu pinnen.

"Um Gottes Willen! Komm wieder zu dir...!" Curaçaos Stimme waren Sorge und Panik nur all zu deutlich anzuhören.

Unter ihr wandte Rena das Gesicht zur Seite, erwischte Curaçaos Arm und biss zu. Der Bodyguard gab einen unterdrückten Schmerzenslaut von sich, hielt die Brünette jedoch weiterhin auf den Boden gedrückt.

"Ich denke, sie hat genug von meinem Blut zu sich genommen...", meldete die sichtlich angeschlagene Daywalkerin sich im Hintergrund zu Wort. Ein tiefer, blutiger Kratzer klaffte von ihrer rechten Wange bis hin zur Nase. Jodie hatte gar nicht mitbekommen, wann das passiert war, ging jedoch stark davon aus, dass Rena Chris erwischt haben musste, als sie sie angegriffen hatte.

Entsetzt und betroffen zugleich, beobachtete die junge Frau die beiden Vampirinnen vor ihren Füßen. Es schien ganz so, als wäre Curaçao deutlich stärker. Kein Wunder, war sie doch bereits um einiges älter und erfahrener als ihre Gegnerin. Wobei Gegnerin das falsche Wort war.

Jodie wusste, was die beiden eigentlich füreinander empfanden. Curaçao machte keinen Hehl daraus und Rena hatte es ihr gegenüber zugegeben, als sie sie direkt mit ihrem Verdacht konfrontiert hatte. Nun zu sehen, wie sie gegeneinander kämpften, war herzzerreißend.

Und dann war da noch die Sache mit dem Daywalkerblut, die Chris soeben selbst noch einmal erwähnt hatte. Wollte sie damit sagen, dass das Problem sich gleich von selbst gelöst haben würde, sobald das Gift seine Wirkung entfaltete? Jodie spürte, wie ihre Kehle sich zuschnürte. Sie mochte gar nicht daran denken. Noch viel weniger wollte sie sich vorstellen, wie Curaçao sich derzeit fühlen musste.
 

Nach wie vor hatte die B-Klasse Vampirin ihre Zähne in den Arm ihrer Freundin geschlagen. Sie biss zu so stark sie konnte. An Curaçaos Mimik war abzulesen, wie weh der Biss tun musste, doch sie versuchte nicht ihr Handgelenk wegzuziehen. Stattdessen drückte sie die Jüngere weiterhin zu Boden, flüsterte ihr leise und beruhigend etwas ins Ohr... und wartete wohl oder übel darauf, dass das Gift wirkte? Wie schrecklich! Die Jägerin mochte kaum hinsehen.

In der Tat wurde Rena langsam ruhiger. Jodie biss die Zähne zusammen. Bedeutete das...?

Inzwischen hatte Chris sich wieder zurück auf die Füße gekämpft und schleppte sich zu den anderen. Als die Schauspielerin sie erreicht hatte, drückte Jodie sich unbewusst an ihre Seite und dachte für den Moment gar nicht darüber nach, dass ausgerechnet sie die Nähe der Daywalkerin suchte.

"Ssssh..." Curaçaos Stimme klang beruhigend, als sie mit ihrer freien Hand über die Wange ihrer Freundin strich. Diese hatte inzwischen gänzlich damit aufgehört zu versuchen sie abzuschütteln.

Für einen Moment schloss Rena die Augen, blinzelte, schloss die Augen wieder und blinzelte erneut. Als sie das nächste Mal die Augen öffnete, waren diese nicht länger stahlblau, sondern hatten ihren üblichen Blauton zurück.

Schlagartig schien sie sich der Tatsache bewusst geworden zu sein, dass sie die Zähne in Curaçaos Arm versenkt hatte. Sofort ließ sie los, wandte der Älteren das Gesicht zu und musterte sie mit einem mehr als nur betroffenen Blick.

"Ich...ich hab dich verletzt, Curaçao... Oh Gott, das tut mir leid."

Jodie glaubte sich verhört zu haben. Die Brünette sprach. Sie klang ganz genau so, wie sie sie kannte. Der raubtierhafte Ausdruck war aus ihren Augen verschwunden.

"Halb so wild. Das verheilt. Die Hauptsache ist, dass du wieder du selbst bist.", hörte sie Curaçao sagen. Ein sanftes Lächeln hatte sich auf die Lippen der Silberhaarigen gelegt.

Sie gab die Brünette unter sich frei, welche sich sichtlich verwirrt wieder aufsetzte und sich blinzelnd umsah.

Ebenso fragend sah Jodie nun die Daywalkerin neben sich an. Hätte das Gift in ihrem Blut nicht eigentlich...? Sie verstand nicht, was hier los war.

"Was ist da gerade passiert, Chris? Sagtest du nicht neulich noch, dass Daywalkerblut auf Vampire wirkt wie Zyankali?"

Die sichtlich angeschlagene Schauspielerin blickte ihr mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen entgegen. "Das ist schon richtig. Aber ich habe auch erwähnt, dass es eine einzige große Ausnahme gibt, oder? B-Klasse Vampire reagieren nicht auf das Gift, sie erlangen lediglich ihren Verstand zurück und werden somit zur A-Klasse.", erklärte sie ihr.

"Jodie...? Vermouth?" Kir saß noch auf dem Boden, sah sich verwirrt um und schien nicht recht zu wissen, was hier eigentlich los war. "Wo kommt ihr denn her? Und was ist mit deinem Gesicht passiert?" Verwirrt blickte sie die Schauspielerin an.

Dann schienen die Erinnerungen langsam den Weg zurück in ihr Gedächtnis zu finden. Horror spiegelte sich auf Renas Gesicht, als sie in Zeitlupe mit einem Finger über einen der scharfen Vampirfänge fuhr und zu zittern begann wie Espenlaub.
 

*****

~ Anmerkung ~

An dieser Stelle eine kurze Erklärung zu den verschiedenen Vampirarten:

- A-Klasse Vampire: Die gängigste Vampirart. Sie sind schnell und stark, vertragen kein Sonnenlicht, sind ansonsten jedoch leicht in der Lage sich als Mensch zu tarnen.

- B-Klasse Vampire: Die Wandlung erfolgt durch nur wenige Tropfen Vampirblut. Durch die geringe Menge an Blut, büßen sie bei der Wandlung ihren menschlichen Verstand ein und agieren viel mehr wie hungrige Raubtiere. Das einmalige Trinken von Daywalkerblut vergiftet sie nicht, sondern lässt sie zu normalen A-Klasse Vampiren werden.

- Daywalker: Die wohl seltenste Vampirart. Sind in der Lage sich im Sonnenlicht aufzuhalten und verfügen über 4x schärfere Sinne als A-Klasse Vampire. Dafür fehlt ihnen die Kraft und Schnelligkeit der anderen Vampirarten.

- Urvampire: Die stärksten Vampire. Sie sind bereits Jahrhunderte alt und grausame Gegner. Meist handelt es sich bei Clanoberhäuptern um diese seltene Vampirart.

Im Keller des Anwesens breitete sich betroffenes Schweigen aus. Lediglich die Fackel, die Jodie inzwischen vom Boden aufgehoben hatte, knisterte leise. Der Feuerschein hüllte die nähere Umgebung in ein warmes, orangerotes Licht.

Curaçao hatte ihre Freundin schweigend in eine Umarmung gezogen. Es bedurfte keinerlei Worte. Jeder der hier Anwesenden konnte nachvollziehen, was für ein schwerer Schlag die Wandlung in einen Vampir für die ehemalige Jägerin sein musste.

Die Zeit schien stillzustehen. Jodie fragte sich, ob es irgendeinen Weg gab, um die Sache ungeschehen zu machen, doch als sie Chris einen fragenden Blick zuwarf, schien die andere Blondine die stumme Frage darin verstanden zu haben und schüttelte lediglich den Kopf.

"Was ist passiert, dass Gin dir das angetan hat?" , durchbrach schließlich die mitfühlende Stimme der Silberhaarigen die derzeitige Stille.

Rena wirkte nach wie vor am Boden zerstört und brauchte einen Moment, ehe sie sich dazu entschloss das Wort zu ergreifen. Ihr Blick huschte kurz über die kleine Gruppe und blieb unsicher, beinahe skeptisch, an Chris hängen, welche jedoch demonstrativ die Augen verdrehte und sich eine Zigarette anzündete.

Schließlich gab Sternenstaubs ehemalige Jägerin sich einen Ruck. "Ich bin aufgeflogen, das ist passiert.", erklärte sie schließlich. "Ich konnte Gins Leuten unmöglich länger loyal sein. Leider haben sie das schneller bemerkt, als mir lieb war."

Während die Schauspielerin der Erklärung mit unbeeindruckter Mimik lauschte, war es nun an Jodie, Rena fragend anzusehen. Ein halbes Jahr lang hatte die Brünette gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Das sie ausgerechnet jetzt beschlossen hatte, den Vampiren in den Rücken zu fallen, kam überraschend.

"Du hast dieses Spiel so lange mitgespielt. Ich meine, ich kann gut verstehen, dass du nicht länger für diese Monster arbeiten wolltest, aber der Entschluss kam ziemlich plötzlich."

Die Blondine hatte in den letzten Wochen erlebt, was für eine Angst ihre Kameradin vor den japanischen Vampiren hatte. Oft hatte sie versucht mehr aus ihr herauszubekommen, doch immer hatte die Jüngere sich geweigert, auch nur ein Wort über dieses Thema zu verlieren. Das sie sich so plötzlich gegen Gin und seine Leute wandte, musste folglich einen guten Grund haben.

"Als die Vampire uns damals angegriffen haben, haben sie Sternenstaub zum größten Teil zerschlagen. Nur wenige Mitglieder haben überlebt. Ich bin Gin und seinen Leuten damals in die Fänge geraten. Man hat mich wohl nur nicht getötet, weil meine Blutgruppe sehr selten ist und weil ich bereit war, einen Pakt mit dem Teufel einzugehen." Die Mimik der Brünetten verzog sich vor Abscheu, sei es nun wegen der Vampire, oder aber aufgrund der Tatsache, dass sie als eigentliche Jägerin bereit gewesen war, für ihre eigentlichen Todfeinde zu arbeiten. "Aber neulich habe ich dann herausbekommen, dass Gins Leute sich nicht an ihren Teil der Vereinbarung gehalten haben." Sie lächelte bitter. "Welchen Sinn hat es für eine Jägerin, sich vor ihrem schlimmsten Feind kleinzumachen, wenn sie dadurch etwas ihr sehr wichtiges doch nicht beschützen kann?"

Jodie wurde hellhörig. Also doch. Sie hatte von Anfang an das Gefühl gehabt, dass es nicht nur Angst allein sein konnte, die Rena dazu bewegt hatte, sich Gin und seinen Leuten anzuschließen.

"Du hast versucht etwas zu beschützen? Oder jemanden? Geht es um Sternenstaubs überlebende Mitglieder?", hakte die Blondine nach.

Zu ihrer Überraschung schüttelte die Jüngere den Kopf. "Nein, nicht sie. Vampirjäger wissen, dass der Job sie das Leben kosten kann. Für sie hätte ich mich auf diesen Wahnsinn niemals eingelassen, zumal meine Kameraden das nie gewollt hätten."

Ihre Antwort überraschte Jodie. Sie selbst war neulich bereit gewesen, wortwörtlich alles zu tun, um Andre das Leben zu retten. Für die Blondine kam es nicht in Frage, ein Menschenleben unnötig zu gefährden, wenn sie es verhindern konnte. Gerade wollte sie erneut nachbohren, wen oder was Rena sonst hatte schützen wollen, doch Sternenstaubs Jägerin schaute erneut so aus, als wollte sie bei diesem Gesprächsthema dichtmachen.

Überraschend war es Curaçao, die sich einmischte und etwas mehr Klarheit in das Geschehen brachte. "Es geht um deinen kleinen Bruder, oder? Mit ihm haben sie dich erpresst." Das klang mehr wie eine Feststellung.

Bei ihren Worten, spannte die Brünette sich merklich an. Volltreffer. Jodie war sichtlich überrascht.

"Du hast einen jüngeren Bruder?"

Nach erneutem kurzen Zögern, nickte Rena schließlich. "So ist es. Jetzt noch weiter ein Geheimnis daraus zu machen, macht kaum noch Sinn. Das Kind ist immerhin bereits in den Brunnen gefallen."

Während Chris unbeeindruckt an der Wand lehnte, rauchte und sich nicht in das Gespräch einmischte, hatte Curaçao ihrer Freundin tröstend einen Arm um die Schultern gelegt.

Jodie hielt weiterhin die Fackel, welche den Gang halbwegs beleuchtete, auch wenn sie wohl die Einzige war, die in der Dunkelheit die Hand vor Augen nicht mehr würde sehen können.

"Na los, jetzt erzähl uns schon die ganze Geschichte.", drängte Mondnebels Jägerin, auch wenn ihre Stimme dabei mitfühlend klang. "Was haben diese Biester mit deinem Bruder gemacht? Und wie haben Gin und seine Leute gemerkt, dass du ihnen nicht länger loyal bist?" Sie wollte endlich gänzlich verstehen, was genau hier vorgefallen war.

"Der Deal, den ich damals mit Gin geschlossen habe, lautete mein Leben und das meines Bruders, gegen meine uneingeschränkte Loyalität. Eine eigentliche Jägerin und noch dazu mit seltener Blutgruppe... ich war ihm nützlich.", begann Rena schließlich zögerlich zu erklären.

Ihre Mimik verfinsterte sich. "Die ganze Zeit über ging auch alles gut, aber dann habe ich neulich Vodka und Chianti in der Bar miteinander reden hören. Sie haben sich darüber amüsiert, dass einer der japanischen Vampire meinen Bruder neulich beinahe erwischt hätte. Er weiß nichts von meinem Verbleib, aber er muss irgendeinen Hinweis bekommen haben, dem er nachgegangen ist, um mich zu suchen. Inzwischen weiß er für den Geschmack der Vampire einfach zu viel, also sind sie hinter ihm her, um ihn auszuschalten. Natürlich hinter meinem Rücken, da es amüsant und nützlich zugleich für sie war, mich weiterhin für diese Gesellschaft arbeiten zu lassen."

Sternenstaubs Jägerin ballte die Hände zu Fäusten und starrte den Fußboden an. In ihrem Blick lagen Wut und Verzweiflung. "In diesem Moment habe ich beschlossen, das Spielchen nicht länger mitzuspielen. Es hätte keinen Sinn gehabt, hätte ich mich ihnen mit gezogener Waffe ganz direkt entgegengestellt. Aber die Weitergabe von Informationen kann sehr wohl großen Schaden anrichten. Leider nur haben die beiden Sniper sehr gute Augen. Ich habe nicht mitbekommen, dass Korn die Nachricht mitgelesen hat, die ich verschickt habe." Der letzte Satz klang ziemlich zerknirscht.

"Und seine Entdeckung hat er dann Gin mitgeteilt?", schlussfolgerte Jodie.

"Richtig. Als die Gruppe mich konfrontiert hat, habe ich damit gerechnet, dass Gin mich für den Verrat töten würde... aber er muss wohl der Meinung gewesen sein, dass es für eine Jägerin weitaus schlimmer ist, als B-Klasse Vampirin zu enden, anstatt den Tod zu finden."

Während ihrer Erklärung, war es Rena gelungen, sich kurzzeitig von dieser Tatsache abzulenken, doch nun, wo sie es ausgesprochen hatte, kam die schreckliche Erkenntnis schlagartig zurück.

Todunglücklich fuhr sie sich mit der Zunge über die scharfen Vampirzähne.

Jodie warf ihr einen mitfühlenden Blick zu. Für einen Vampirjäger gab es in der Tat kaum ein grausameres Schicksal. Als sie selbst neulich befürchtet hatte, gewandelt worden zu sein, nachdem sie in der Bar gebissen worden war, hätte diese Befürchtung sie auch fast wahnsinnig werden lassen. Nur das sich diese beunruhigenden Gedanken als Irrtum entpuppt hatten. Für Rena hingegen war der Horror erschreckende Realität.
 

"Und? Hast du inzwischen das gesamte Ausmaß deiner Probleme erfasst, Kir? Ich meine, abseits der Wandlung.", mischte sich plötzlich Chris in die Unterhaltung mit ein. Die Schauspielerin hatte die ganze Zeit über an der Wand gelehnt, eine Zigarette geraucht und unbeteiligt zugehört, nun schnippte sie den Zigarettenstummel lässig bei Seite und blickte Rena ganz direkt an. In den intelligenten, grünen Augen lag das typische spöttische Funkeln.

"Was genau meinst du, Vermouth?" Kirs Stimme klang skeptisch und alarmiert zugleich.

"Mal ganz davon abgesehen, dass du bei Tageslicht ein Dach über dem Kopf brauchst, weil Sonnenstrahlen jetzt mehr als nur angenehm warm für dich sind, musst du auch einen Weg finden, dich zu ernähren und das auf amerikanischem Grund und Boden. Dafür wirst du eine Erlaubnis brauchen, fürchte ich." Auf den Lippen der Blondine lag ein Schmunzeln. Ihre Stimme klang süß wie Honig, doch es schwang ein bedrohlicher Unterton darin. "Zu Gin und seinen Leuten willst du nicht nur nicht zurück, du kannst es auch nicht. Allerdings bedeutet die Tatsache, dass du nicht länger zu seiner Gruppe gehörst auch, dass du nicht länger Besucherin dieses Hauses bist. Aktuell bist du nicht sehr viel mehr als ein streunendes Hündchen ohne Zuhause und ohne Lebensgrundlage."

Entsetzt blickte Curaçao Amerikas Nummer Zwei an. "Was redest du da bitte, Chris? Eine Person mehr oder weniger, das dürfte kaum ein Problem sein. Sie kann doch hier bei uns bleiben...!"

"Ach ja?", hakte die Blondine nach und blickte ihre Freundin einige Augenblicke lang an, ehe sie sich wieder Sternenstaubs ehemaliger Jägerin zuwandte. Im Blick der Daywalkerin lag nicht nur die übliche Arroganz, sondern auch etwas Kaltes. "Kann sie das?" Ihre Stimme klang plötzlich bedrohlich.

Während Rena sämtliche Farbe aus dem Gesicht wich, schob Curaçao sich ganz automatisch schützend vor sie, wobei ihre Mimik vollkommen ungläubig und entsetzt auf Amerikas Nummer Zwei ruhte.

Auch Jodie meinte sich verhört zu haben. Ihr entgleisten die Gesichtszüge. Sie wusste zwar, dass Chris einen schwierigen Charakter besaß, doch das Verhalten, welches sie gerade an den Tag legte, damit hatte sie um ehrlich zu sein nicht gerechnet. Curaçao schien ähnlich schockiert.

Überraschenderweise war Rena es, die Curaçao eine Hand auf die Schulter legte und sie ein wenig zur Seite schob, sodass sie die Daywalkerin nun direkt ansehen konnte.

Die Brünette wirkte beinahe resigniert. "Sie hat Recht, Curaçao. Ich kann sie unmöglich bitten, mich in diesem Haus aufzunehmen."

Der Bodyguard wirbelte ungläubig zu Rena herum. "Wieso das denn nicht?!" Curaçao blinzelte verständnislos. "Ist es, weil wir Vampire sind? Aber allein kommst du unmöglich zurecht...!"

"Nein, deine kleine Freundin plagt viel mehr das schlechte Gewissen.", erklärte Chris ihr an Renas Stelle. "Ist es nicht so, Kleines? Du weißt, dass ich es weiß. Warum erklärst du den anderen nicht, was es ist, warum du mich unmöglich um Asyl bitten kannst?", forderte sie sie auf und ging zwei Schritte auf die Brünette zu.

Jodie griff ganz automatisch nach dem Arm der Schauspielerin, um sie im Fall der Fälle zurückhalten zu können, auch wenn sie es für unwahrscheinlich hielt, dass das wirklich nötig war.

Curaçao war es, die derweil so entsetzt und fassungslos aussah, als hätte ihre gute Freundin sie soeben getreten.
 

Rena schwieg einen Moment und lächelte bitter, dann neigte sie den Kopf und nickte. Schließlich wandte sie sich direkt an Mondnebels Jägerin. "Hast du dir nicht in den letzten Tagen des Öfteren die Frage gestellt, wie es sein konnte, dass deine Kameraden dich neulich in der Stadt gefunden haben und zuvor deinen Teamkollegen befreien konnten, Jodie?", wollte Rena wissen.

"Informationen von Dritten.", antwortete die Blondine ihr ganz automatisch und plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.

Die Jüngere musste ihr angesehen haben, dass sie begriffen hatte und nickte bestätigend. "Richtig, die Informantin, das war ich.", bestätigte sie.

"Du?... Ich meine, ich hatte schon das ein oder andere Mal mit dem Gedanken gespielt, aber du hast bis heute immer einen viel zu loyalen Eindruck den Vampiren gegenüber gemacht. So, als wenn du die Prinzipien der Jäger aufgegeben hättest. Waren Gin und seine Leute denn nicht vor allem dein größtes Problem?"

"Das schon, aber als ich mich dazu entschlossen hatte, etwas gegen sie zu unternehmen, nachdem der Deal geplatzt war, habe ich keinen Grund darin gesehen, mich nur auf die japanischen Vampire zu beschränken. Ich bin immerhin eine Jägerin, ganz genau so wie du."

Kurz wanderte Jodies Blick zu Curaçao. Die Silberhaarige wirkte unglücklich aber nicht überrascht. Sie musste es schon längst gewusst haben.

"Sternenstaub ist beinahe zerschlagen, aber das gilt nicht für Mondnebel. Außerdem ist Mondnebel die hier ansässige Gruppe von Vampirjägern. Da hat es nur Sinn gemacht, dass ich Kontakt zu ihnen aufgenommen habe. Ich bin so lange durch die Hölle gegangen und erpresst worden, dass ich deinem Kameraden und dir dieses Schicksal ersparen wollte."

Kurz hielt Rena inne und blickte zu der Silberhaarigen neben sich. "Den Standort des Anwesens habe ich nicht verraten, da ich Curaçao unmöglich gefährden konnte, aber ich wusste, dass Vermouth und du nach der Arbeit noch zur Reinigung gehen würdet, um Kleidung abzuholen. Das war die ideale Gelegenheit, um Mondnebel den Zugriff zu ermöglichen."

Jodie blinzelte. Also hatte Rena ihr nur helfen wollen, indem sie dafür gesorgt hatte, das Mondnebel sie befreite. Leider nur dürfte Chris ihr diese Aktion ziemlich übel nehmen, erst recht, nachdem sie in der Gefangenschaft der Jäger Federn gelassen hatte.

"Die Informationen über den Verbleib des gefangenen Jägers und dazu noch die Tatsache, dass das Team den Zugriff scheinbar ganz genau geplant hatte. Diese Informationen mussten folglich von jemandem weitergegeben worden sein, der sich in diesem Haus aufgehalten hat. Meine eigenen Leute hätten das nicht getan, unsere japanischen Besucher hätten Vampirjägern niemals die Hand gereicht. Naja, fast alle hätten das nicht getan. Auf eine Jägerin, die zum Schoßhündchen dieser Gruppe degradiert wurde, trifft dieses Ausschlussprinzip natürlich nicht zu. Zumal du dich recht schnell mit dem Kätzchen hier angefreundet hast und dich frei in unserem Haus und in der Stadt bewegen konntest. Mir war vollkommen klar, dass du der Maulwurf sein musst.", ergriff Chris wieder das Wort. Rena sah für einen Moment regelrecht erschrocken aus, nickte dann aber.

Es jetzt noch abzustreiten, hätte sowieso keinen Sinn mehr, immerhin hatte sie den Verrat bereits zugegeben.

Schließlich wandte die Schauspielerin sich Curaçao zu. "Und dir habe ich an der Nasenspitze angesehen, dass du ein schlechtes Gewissen hast.", sagte sie ihr auf den Kopf zu. "Du wusstest was passiert ist, hast aber erst davon erfahren, als Mondnebel mich bereits erwischt hatte. Ich weiß, dass die Aktion nicht von dir ausgegangen ist, aber du konntest im Anschluss mit mir auch nicht darüber sprechen, weil du Angst hattest, dass ich dem Menschlein etwas antun könnte, an das du dich gebunden hast."

Wieder dieser seltsame Begriff. Jodie horchte auf, doch derzeit war der falsche Zeitpunkt um sich zu erkundigen, was es damit auf sich hatte. Sie nahm sich jedoch vor, zu einem späteren Zeitpunkt auf das Thema zurückzukommen.

"Es tut mir leid, wirklich.", begann Curaçao zerknirscht. "Was du gesagt hast, stimmt. Ich bin dir loyal, so loyal wie kaum jemand, aber ich konnte dir unmöglich sagen, wer es war, der Mondnebel auf den Plan gerufen hat, weil ich Angst vor den Konsequenzen hatte, die dann auf Rena zukommen würden."

"Zu dem Zeitpunkt, als ich dafür gesorgt habe, dass Mondnebel Jodie befreit und dich festnimmt, bin ich davon ausgegangen, dass nur Curaçao an einer zukünftig unblutigen Lösung im Umgang zwischen Mensch und Vampir interessiert ist. Als sie erfahren hat, was ich getan habe, hat sie mir erklärt, dass der ganze Plan deine Vision ist, die sie unterstützt. Aber da war der Schaden bereits angerichtet.", meldete Rena sich wieder zu Wort. "Mit dem jetzigen Wissen hätte ich dich wohl kaum ans Messer geliefert. Durch die Informationen, die ich weitergegeben habe, hätte Amerikas Vampirgesellschaft beinahe seine zweite Anführerin verloren. Das scheinen mir nicht die besten Voraussetzungen für eine Jägerin zu sein, um ausgerechnet besagte stellvertretende Anführerin jetzt um Asyl zu bitten."

Die Stimme der Brünetten klang ruhig und gefasst, doch Jodie war sich ziemlich sicher, dass dies nur Fassade war. Für Rena war durch die Wandlung nicht nur ihre ganze Welt zusammengebrochen, sie stand noch dazu mit dem Rücken zur Wand.

Ganz allein und ohne Dach über dem Kopf, würde eine frischgebackene Vampirin sich kaum durchschlagen können, zumal sie sich leicht ausmalen konnte, was passierte, wenn sie den Japanern noch einmal über den Weg laufen würde.

"Es stimmt schon, dass die Ausgangssituation nicht ideal ist, aber zum damaligen Zeitpunkt hat Rena schlicht und ergreifend nicht gewusst, dass wir im Prinzip auf der selben Seite stehen...", wandte Curaçao sich an Chris. In ihrem Blick lag etwas flehendes.

Die Blondine ignorierte den Einwand ihres Bodyguards und wandte sich stattdessen erneut direkt an Sternenstaubs ehemalige Jägerin. Weiterhin war Rena um Fassung bemüht, doch Jodie fand, dass sie einen reichlich verlorenen Eindruck machte.

"Du hast es ganz richtig festgestellt. Die Ausgangssituation, um in diesem Haus aufgenommen zu werden, ist für dich in der Tat katastrophal.", bestätigte Chris. "Hast du schon angefangen dir Gedanken darüber zu machen, wohin du nun gehen wirst?"

Bei ihren Worten zuckte die Jüngere leicht zusammen. Inzwischen spiegelten sich ganz eindeutig Stress und Ratlosigkeit in ihrer Mimik. "Nein, das weiß ich noch nicht. Wahrscheinlich werde ich versuchen in einem Hotel unterzukommen, aber das dürfte ohne Geld nicht ganz einfach sein. Meine Tasche liegt noch oben im Anwesen.", antwortete Rena ihr mit leiser, zerknirschter Stimme.

Die Schauspielerin ließ sie nicht aus den Augen, fast so lauernd wie ein Raubvogel, der eine Maus erspäht hatte. "Und wie wirst du dich zukünftig positionieren? Ich meine... eine ehemalige Jägerin, die nun selbst zu dem geworden ist, was sie normalerweise getötet hat, du stehst ziemlich am Abgrund, Kleine, findest du nicht?"

Erneut glaubte Jodie nicht recht zu hören. Am liebsten hätte sie die Daywalkerin am Kragen gepackt und geschüttelt. Wie konnte sie nur so gemein sein?! Renas Leben war mit einem Schlag vollkommen zerstört worden. Sie saß am Boden und Chris hatte nichts besseres zu tun als zuzutreten, wenn auch nur verbal.

"Ich würde ja sagen, dass ich zurück zu Sternenstaub kehre, oder aber Mondnebel darum bitte, mich in ihren Reihen aufzunehmen. Aber das kann ich vergessen." Um ihre Worte zu unterstreichen, ließ die Brünette für einen kurzen Moment beim Sprechen die perlweißen, scharfen Fänge aufblitzen. "Jäger haben wohl kaum Interesse an einem Vampir als neuer Kameradin. Ich weiß selbst, dass ich ziemlich am Arsch bin, das musst du mir nicht auch noch unter die Nase reiben."

"Schön, dass du das auch schon erkannt hast." Auf den Lippen der Schauspielerin lag ein arrogantes Schmunzeln.

Curaçao wirkte einfach nur entsetzt. Ihr hatte es scheinbar die Sprache verschlagen. Ganz anders als Jodie. Der jungen Frau reichte es. Sie konnte nicht mehr länger schweigend daneben stehen und zusehen, wie Chris eine Person fertigmachte, die eh schon mit den Nerven zu Fuß war.

Sie zog am Arm der Schauspielerin und blickte sie mit vor Wut funkelnden Augen an. "Sag mal, bist du eigentlich vollkommen bescheuert?! Warum tust du-", begann sie, doch da wurde sie auch schon von der Daywalkerin unterbrochen. Diese rempelte sie mit der Schulter an und warf ihr ihrerseits einen gereizten Blick zu.

"Das wievielte Mal ziehst du heute eigentlich schon an mir herum?! Jetzt lass das gefälligst und halt mal für einen Moment die Klappe!"

Fast schon ungläubig starrte Jodie die Ältere an, ehe erneut die Wut in ihr aufstieg. Schon wollte sie sie wieder anfahren, doch da hatte Chris sich bereits wieder Rena zugewandt und beachtete Mondnebels Jägerin nicht länger.
 

"Weiter im Text.", entschied die Blondine. "Du sagtest eben, dass du mich nicht ans Messer geliefert hättest, wenn du meine Pläne für Amerikas Zukunft gekannt hättest. Das bedeutet also, dass Curaçao mit der darüber gesprochen hat. Was denkst du über das, was ich vorhabe, Kleine?"

Rena blinzelte irritiert. "Eh? ... Nun ja, ich denke, dass dieser Plan in der Realität schwer umzusetzen sein wird, aber für den Fall, dass es gelingt, wären die Gesetze, die dir für die Vampirgesellschaft vorschweben, ein großer Schritt in Richtung unblutigem Zusammenleben von Menschen und Vampiren."

"Ist das so?" Weiterhin hatten Stimme und Mimik der Daywalkerin etwas Lauerndes. Sie musterte die Brünette aufmerksam, fast so, als wollte sie sicher sein, keine Regung und kein verräterisches Blinzeln zu übersehen. "Dann frage ich dich ganz direkt: wärst du ein zweites Mal bereit einen Deal mit dem Teufel einzugehen?"

"Wie meinst du das, Vermouth?" Sofort wirkte Rena skeptisch. Nicht weiter verwunderlich, musste sie doch an den Deal denken, den sie damals mit Gin geschlossen hatte.

"Mir geht es nicht darum, die Sicherheit von irgendwem zu gewährleisten. Auf deinen Bruder musst du selbst achten. Im Übrigen habe ich ganz sicher nicht vor, mir den Fuchs in den Hühnerstall zu holen." Chris hatte die Arme vor der Brust verschränkt und lief langsam im Halbkreis um die Gruppe. Jodie wurde das Gefühl nicht los, dass sie die Aufmerksamkeit genoss.

"Ich wäre bereit, dir einen Platz in diesem Haus anzubieten, aber dafür verlange ich natürlich auch etwas." Während in Curaçaos Augen Hoffnung aufglomm, sog Jodie scharf die Luft ein. Rena starrte ihr Gegenüber nur schweigend und aufmerksam zugleich an. Für sie ging es hier gerade immerhin um alles. "Du hast ein gutes halbes Jahr bei den japanischen Vampiren gelebt. Ich will alle Informationen, die du über sie hast. Über jeden von ihnen und ganz besonders über Gin. Grundvoraussetzung dafür, dass mein Plan für Amerikas Zukunft aufgeht ist, dass ich dieses Spielchen zum Ende des Jahres hin für mich entscheiden kann. So viel wie möglich über unsere japanischen Gäste in Erfahrung zu bringen, kann also nicht schaden.", erklärte Chris. "Außerdem wirst du mir im Anschluss als Vermittlerin nützlich sein. Du bist im Herzen Jägerin, aber rein körperlich bist du nun ein Vampir. Eine von uns. Du weißt, wie du mit beiden Seiten umzugehen hast und es braucht Personen wie dich, um möglichst viele Mitglieder dieser Gesellschaft anzusprechen."

Nur langsam sickerten die Worte der Blondine zu Sternenstaubs ehemaliger Jägerin durch. Ihre taubenblauen Augen weiteten sich ungläubig. "Das... ist das dein Ernst? Ich soll dir dabei helfen, deinen Plan bezüglich der Reformation der Vampirgesellschaft umzusetzen und zwischen Vampiren und Jägern zu vermitteln?", brachte Rena stockend heraus.

Amerikas stellvertretende Anführerin nickte. In den grünen Augen der Blondine lag ein abwartender Schimmer, als sie ihrem Gegenüber die Hand entgegenstreckte. "Du hilfst bei der Umsetzung dieses Mammutprojekts, dafür nehme ich dich in diesem Haus auf und gebe dir ein Dach über dem Kopf. Das ist der Deal."

Einen Moment noch starrte die Jüngste in der Runde zögerlich auf die ihr angebotene Hand, dann ergriff sie diese und nickte der Schauspielerin zu. Rena schien eine tonnenschwere Last von den Schultern zu fallen.

"Ich danke dir." Ein leichtes Lächeln fand den Weg zurück auf ihre Lippen. "Gegen Gin und seine Leute zu agieren und gleichzeitig den Weg in eine unblutigere Zukunft zu ebnen, das sind Ziele, die ich guten Gewissens unterstützen kann. Ich schließe mich dir folglich gerne an, wenn ich darf."

Kurz drückte Chris die Hand ihres Gegenübers etwas stärker und nickte schließlich. "So sei es, von jetzt an bist du ein Mitglied dieses Hauses. Deinen Codenamen behältst du. Ich denke, du wirst zukünftig eng mit dem Kätzchen hier zusammenarbeiten. Sie ist aktive Jägerin, du frischgebackene Vampirin, aber ihr seid befreundet. Ihr zwei werdet folglich die erste Brücke bauen."

Chris schien kein Problem darin zu sehen, den Boss dazu zu bekommen, der Aufnahme eines neuen Mitglieds in diesem Haus zuzustimmen. Oder hatte sie die Entscheidung allein und in der vollen Absicht, hinter seinem Rücken zu agieren, getroffen?
 

Auch Jodie fiel ein Stein vom Herzen. War es von Anfang an der Plan der Schauspielerin gewesen, Rena einen Platz in diesem Haus anzubieten und sie mit an Bord zu holen?

Aber warum dann vorher das ganze Drama und die unnötigen Gemeinheiten? Auch wenn Jodie froh war, dass die ganze Sache gut ausgegangen war, sie war dennoch der Meinung, dass Chris ruhig etwas direkter und freundlicher auf Rena hätte zugehen können, als die arme Brünette so unter Druck zu setzen und ihr mit Sicherheit einen halben Herzinfarkt einzujagen. Die Welt ihrer Kameradin hatte sich doch sowieso schon von jetzt auf gleich in einen einzigen Trümmerhaufen verwandelt.

Auch Curaçao schien beruhigt und atmete sichtlich auf. "Danke, Chris. Aber musstest du uns wirklich so erschrecken? Ich habe im ersten Moment wirklich gedacht, du setzt sie vor die Tür."

Unbekümmert zuckte die Schauspielerin mit den Schultern. "Das war nötig. Die Sache, die sie mir neulich mit Mondnebel eingebrockt hat, war nicht besonders lustig und ich kann nur loyale Mitstreiter gebrauchen."

Noch einmal wandte sie sich an Rena. "Damit das klar ist: fällst du mir noch einmal in den Rücken, hat das Konsequenzen.", stellte sie klipp und klar fest.

Die Jüngere blinzelte im ersten Moment fast schon erschrocken. "Wir verfolgen das selbe Ziel. Wenn du dich an dein Wort hältst und diese Gesellschaft wirklich verändern willst, dann wüsste ich nicht, warum ich dir in den Rücken fallen sollte."
 

"Was ist jetzt eigentlich mit Rena? Ich meine, du kannst sie schlecht mit zurück ins Anwesen nehmen, wo die Japaner sie sehen." Fragend blickte Jodie die Daywalkerin an.

"Was das betrifft... Curaçao, kannst du sie bitte durch die Tiefgarage hier rausschmuggeln? Bring sie in einem der anderen Unterschlüpfe unter und bleib erst einmal bei ihr. Ich rufe dich später an, damit wir besprechen können, wann wir uns zwecks einer Besprechung der weiteren Vorgehensweise zusammensetzen. Gin und seine Leute lassen wir sicherheitshalber glauben, die Kleine wäre tot. Sie muss immerhin nur noch für knappe zwei Monate untertauchen."

Die Silberhaarige nickte. "Natürlich, ich sehe zu, dass ich sie hier raus und in Sicherheit bringe."

Dann schien ihr etwas einzufallen. Curaçao warf Chris ein schiefes Lächeln zu. "Nur das mit dem Wegfahren wird schwer. Meine Autoschlüssel liegen noch oben in meinem Zimmer."

Die Blondine verdrehte genervt die Augen, fischte in einer Innentasche ihres Oberteils herum und hielt ihrem Bodyguard schließlich einen Autoschlüssel entgegen.

"Dann nimm mein Auto." Ein belustigtes Grinsen stahl sich auf ihre Lippen. "Aber fahr ein einziges Mal so, als würdest du dir die Straßenverkehrsordnung zu Herzen nehmen. Wenn du geblitzt wirst, steht Morgen in jeder Zeitung, dass jemand mein Auto geklaut hat."

Curaçao lachte leise. "Darüber mach dir mal keine Sorgen. Ich geb mir Mühe."

Derweil hatte Jodie sich zu Rena gesellt. "Und du passt gut auf dich auf, okay? Vielleicht ist es zu zweit ja auch etwas leichter, Mondnebel dazu zu bringen, sich an diesem Plan zu beteiligen."

Sie umarmte die Brünette kurz.

"Es ist gut zu wissen, dass wir zukünftig zusammenarbeiten können. Aber ich fürchte, Mondnebel wirst du erst einmal selbst überzeugen müssen. Ihre Kameradin findet mit Sicherheit eher Gehör, als eine Vampirin."

Ihr Gegenüber warf ihr ein Lächeln zu, doch Jodie konnte ohne viel Mühe erkennen, dass Rena derzeit ganz und gar nicht zum Lachen zu Mute war. Sie riss sich lediglich zusammen, da sie vor den Anderen nicht zeigen wollte, wie sehr die Wandlung sie tatsächlich mitnahm. Die taubenblauen Augen schimmerten feucht und die ehemalige Jägerin blinzelte rasch. Nur die Fassung bewahren, das hatte sie immerhin auch durch die letzten sechs Monate gebracht.

Kurz warf Jodie einen Blick in Curaçaos Richtung. Sie war froh, dass Rena die Silberhaarige hatte. Sie war sich sicher, dass Curaçao ihr irgendwie durch diesen Horror helfen würde.
 

Nachdem Kir und Curaçao sich auf den Weg in Richtung Tiefgarage gemacht hatten, blieben die beiden Blondinen allein zurück. Jodie drückte Chris die Fackel in die Hand und rieb sich die Schläfen. Sie seufzte und lehnte sich gegen die Wand.

"Mir schwirrt der Kopf. Das war eindeutig viel zu viel für einen einzigen Tag.", murrte sie vor sich hin und realisierte erneut gar nicht, wie natürlich sie sich inzwischen gegenüber der Daywalkerin verhielt. Sie in ihrer Nähe zu haben, fühlte sich nicht länger falsch an.

"Glaubst du mir geht es anders, Kätzchen? Bloß das du dir jetzt im Prinzip eine Auszeit gönnen kannst. Ich muss Gin noch mit diesem Desaster konfrontieren und darf den Boss darüber in Kenntnis setzen, dass die Japaner das Gebäude beschädigt haben." Auch Chris klang ganz eindeutig wenig begeistert. Jodie konnte sie verstehen.

"Ich bin immer noch entsetzt darüber, was Gin getan hat. Arme Rena, für sie ist heute ihre ganze Welt zusammengebrochen.", wechselte Jodie das Thema.

"So ist das, wenn ein Vampir einem das Leben versaut.", stellte die Schauspielerin nur schulterzuckend fest, doch in ihrer Stimme klang eine gewisse Bitterkeit mit. "Sie hatte Mühe damit, in unserer Gegenwart nicht die Fassung zu verlieren und in Tränen auszubrechen, aber Curaçao ist bei ihr. Sie wird Kir schon wieder auf die Füße helfen."

Das mochte wohl stimmen, dennoch würde die folgende Zeit hart für die Brünette werden.

Nicht wirklich zufrieden, zog Jodie ein Gesicht. Dann fiel ihr plötzlich etwas ganz anderes ein. Fragend blickte sie Amerikas Nummer Zwei entgegen. "Wie hast du mich vorhin eigentlich gefunden?", wollte sie wissen. "Und Curaçao war auch ziemlich schnell hier."

"Ach das.", begann Chris, ehe ihre Mimik sich verfinsterte. Deutliches Missfallen spiegelte sich nun in ihrem Gesicht. "Ich habe das Gespräch mit Gin beendet, kurz nachdem du aufgebrochen warst. Als ich zurück bei Curaçao und Bourbon war, meinten die beiden, dass du nie bei ihnen angekommen wärst. Wir sind los um zu sehen, was du jetzt schon wieder angestellt hast und haben schließlich bemerkt, wie Chianti gerade den Keller verlassen hat. Sie hatte so einen merkwürdiges, selbstzufriedenes Grinsen auf dem Gesicht. Da war uns vollkommen klar, wo wir suchen müssen."

Kurz nickte Chris in Richtung Flur. "Da der Keller so riesig ist, haben wir uns aufgeteilt. Im übrigen sollte jemand mal Bourbon Bescheid geben, dass du wieder aufgetaucht bist. Er dürfte hier immer noch irgendwo unterwegs sein.", warf sie ein. "Zumindest war ich es, die zufälligerweise den richtigen Weg eingeschlagen hat und dann erst das Loch in der Wand und schließlich dich gefunden hat."

Chris wandte sich ihr zu und hielt der Jägerin die Fackel plötzlich näher entgegen. Jodie drückte den Arm der Anderen ein Stück weit zur Seite. "Hey, pass mit dem Feuer auf!"

"Aber genug davon. Hätte es nicht schon vollkommen gereicht, wenn wir uns mit einer amoklaufenden B-Klasse Vampirin hätten herumärgern müssen? Würdest du mir vielleicht mal erklären, was zur Hölle mit dir eigentlich nicht stimmt?!" Mit jedem Wort funkelten die Augen der Daywalkerin wütender und auch ihre Stimme klang gereizter. Jodie wusste bereits, was kam und sie konnte ihrem Gegenüber noch nicht einmal böse sein.

"Was hat dich auf die Idee kommen lassen, mir vorhin hinterherzuspionieren?! Ich konnte dich vor Gins Tür kaum ignorieren. Er hatte immerhin auch schon längst bemerkt, dass du da warst.", begann die Blondine mit ihrer Bergpredigt. "Du hast mir nicht nur einen Strich durch die Rechnung gemacht, was die Informationsbeschaffung angeht, du hast mich auch verdammt dumm dastehen lassen. Wegen dir wäre die Konfrontation vorhin beinah eskaliert. Was glaubst du was passiert wäre, wenn zwei Clanoberhäupter sich in Friedenszeiten an die Köpfe gegangen wären?! Mal ganz von dem politischen Desaster abgesehen, das wäre niemals gut für dich und mich ausgegangen."

So ungern sie es auch zugab, Jodie wusste, dass sie was das betraf, Mist gebaut hatte. Chris hatte allen Grund wütend zu sein.

"Ich hatte gehofft, ein paar Wortfetzen aufschnappen zu können, die einen Hinweis darauf geben, wo Rena ist. Curaçao war vollkommen fertig mit den Nerven und ich konnte vor Sorge auch nicht länger stillsitzen.", versuchte sie sich zu rechtfertigen.

"Manchmal ist es hilfreicher stillzusitzen und abzuwarten." Die Schauspielerin wirkte genervt. "Es bringt nichts, immer nur mit dem Kopf durch die Wand zu gehen. Damit verschlimmerst du Situationen oftmals nur noch, auch wenn du eigentlich nur helfen willst. Du hättest uns beinah echte Schwierigkeiten eingehandelt, was Kir im übrigen auch nicht weitergeholfen hätte."

Unter dem tadelnden Blick der grünen Augen, fühlte die Jägerin sich ein wenig wie ein Kind, welches irgendeine Dummheit begangen hatte. Sie murrte etwas Unverständliches vor sich hin.

Was sollte sie auch sagen? Bestreiten, dass ihre Entscheidung mehr Ärger als Nutzen gebracht hatte? Wohl kaum.

"Und als wenn das nicht schon dumm genug gewesen wäre, musstest du den Vogel ja unbedingt noch gänzlich abschießen. Was bitte ist falsch mit dir, um auf die seltendämliche Idee zu kommen, mit Chianti mitzugehen?! In einen verdammten Keller, den du eigentlich gar nicht betreten darfst. Und das auch noch ohne irgendjemandem etwas zu sagen! Hast du wirklich so wenig Menschenkenntnis? Diese Frau hätte dich ganz leicht töten können, was im übrigen um ein Haar auch passiert wäre. Sie ist alles, aber nicht vertrauenswürdig. So blöd kann man doch gar nicht sein!" Erneut fuchtelte die Schauspielerin mit der Fackel vor Jodies Gesicht herum, diesmal jedoch eher unbewusst.

Im Normalfall hätte die Jüngere sich eine solche Predigt nicht so einfach gefallen lassen, diesmal wusste sie jedoch, dass Chris Recht hatte. Wegen ihrer Blödheit waren Vermouth und Curaçao sogar verletzt worden.

"Das war wirklich ziemlich dämlich von mir..." gab Jodie folglich ungewöhnlich leise und zerknirscht zu.

Chris, die mit weiteren Rechtfertigungsversuchen gerechnet hatte, blickte ihr Gegenüber im ersten Moment skeptisch an, doch die Tatsache, dass Jodie Einsicht zeigte, nahm ihr ein wenig den Wind aus den Segeln. Schließlich seufzte die Daywalkerin. In einem ruhigeren Tonfall fuhr sie fort: "Du bist ganz schön selbstzerstörerisch veranlagt, wirklich."

Chris musterte sie. "Auf den ersten Blick scheint der Kopf noch dran zu sein. Bist du verletzt?", wollte sie wissen.

Jodie schüttelte den Kopf. "Nein, ich hatte nochmal Glück im Unglück. Ich bin mit ein paar blauen Flecken davongekommen, denke ich."

"Gut. Dann komm, lass uns von hier verschwinden und zurück nach oben gehen. Auf mich wartet noch mehr als genug Arbeit, du kannst dich etwas ausruhen. Im Übrigen müssen wir unbedingt noch Bourbon wiederfinden. Leider gibt es in diesem verdammten Keller keinen Handyempfang." Das hätte es wohl wesentlich leichter gemacht.

Mit der Fackel in der rechten Hand, setzte Chris sich in Bewegung. Jodie folgte ihr, um nicht plötzlich im Dunkeln zu stehen, doch bereits nach wenigen Schritten hatte sie die Schauspielerin eingeholt, griff nach ihrem linken Handgelenk und hielt sie zurück.
 

"Warte mal. Mit mir ist zwar alles in Ordnung, aber du bist verletzt. Von deinem Hals und deinem Handgelenk mal ganz abgesehen, du hast da einen ziemlich üblen, blutigen Kratzer quer im Gesicht. Wenn du in dem Zustand in der Bar auftauchst, wird das Fragen aufwerfen."

Die Ältere hielt inne und drehte sich zu ihrer menschlichen Begleitung um. "Sämtliche Schrammen heilen bereits, aber ein Weilchen wird es noch dauern, bis man nichts mehr sieht. Ich werde mich allerdings keine ein oder zwei Stunden mehr hier im Keller aufhalten. Es gibt Dinge, die geklärt werden müssen."

Damit mochte Chris wohl recht haben, dennoch würde es wohl besonders Chianti freuen, sollte sie mitbekommen, dass sie angeschlagen aus dem Keller zurückkamen. Auch wenn der ursprüngliche Plan der Vampirin fehlgeschlagen war, Ärger hatte sie ihnen dennoch bereitet und diese Schadenfreude auskosten zu können, das gönnte Jodie ihr nicht.

"Würde der Kratzer in deinem Gesicht mit etwas frischem Blut schneller wieder verschwinden?"

"Sicher. Auf diese Art heilen Vampire ihre Verletzungen immerhin."

"Dann lass mich das ganze Chaos, das ich heute angerichtet habe, zumindest teilweise wieder gutmachen." Mit einer kurzen Geste deutete die Jägerin auf ihrem Hals und erschrak beinahe über sich selbst. Das war jetzt bereits das zweite Mal das sie, eine eigentliche Vampirjägerin, der Daywalkerin ihr Blut anbot und das, obwohl diese sie schon längst nicht mehr erpresste.

Die Schauspielerin zog eine Augenbraue hoch. "Es ist nicht gut für dich, zu oft gebissen zu werden.", gab sie zu bedenken.

"Aber du bräuchtest diesmal weniger Blut, als neulich in Mondnebels Basis, oder?", hakte Jodie nach.

"Das stimmt schon. Trotzdem gefällt es mir nicht, wie leichtfertig du das vorschlägst. Wenn du an einen ausgehungerten, oder ernsthaft verletzten Vampir gerätst, kann das Folgen haben, über die du dir scheinbar nicht im Klaren bist, Kleine."

Die junge Frau verdrehte die Augen. "Erstens würde ich dieses Angebot sicher nicht jedem machen, zweitens bist du weder ausgehungert noch schwer verletzt. Es dürfte folglich ungefährlich sein, oder nicht?"

Anstelle einer wirklichen Antwort auf ihre Frage, legte sich ein neckisches Schmunzeln auf Chris Lippen. Sie legte der Jüngeren einen Finger unters Kinn und blickte sie amüsiert an.

"So, das Angebot gilt also exklusiv nur für mich?", bohrte sie nach. "Wie komme ich denn zu der Ehre? Hasst das Kätzchen mich also doch nicht so sehr, wie es immer behauptet?"

Die Jägerin spürte, wie ihre Wangen schlagartig wärmer wurden. Wie sollten sie auch nicht, zog ihr Gegenüber sie doch einmal mehr auf. Das amüsierte Funkeln in den grünen Augen der Vampirin verriet, dass sie ziemlichen Spaß daran hatte, sie einmal mehr zu ärgern.

Die Blondine zog ein genervtes Gesicht. "Wenn du noch weiter so ein dummes Zeug redest, überlege ich es mir nochmal. Also beeil dich lieber, Prinzesschen."

Die Schauspielerin blinzelte, grinste jedoch weiterhin amüsiert und beugte sich langsam zu ihrem Gegenüber. "Wenn du so darauf bestehst..."

Rasch legte Jodie ihr einen Finger auf die Lippen, um die Daywalkerin in der Bewegung zu stoppen. "Hey, warte mal. Du wendest doch wieder diesen Trick mit den Augen an, oder?", wollte sie rasch wissen.

"Ich bin gerade selbst noch daran erinnert worden, das Bisse in den Hals ohne diesen kleinen Trick extrem schmerzhaft sind, da mach dir mal keine Sorgen."

Smaragdgrüne und meeresblaue Augen trafen sich. Die Jägerin konnte das Parfüm der Anderen riechen, befand sie sich aktuell doch fast Nase an Nase mit ihr. Irgendein teures Zeug, allerdings nicht zu aufdringlich vom Geruch und gemischt mit einem Hauch von Zigarettenrauch.

Langsam verlor sie sich in den Augen ihres Gegenübers und spürte, wie ihre Atmung ruhiger wurde und ihre Gedanken abdrifteten. Sie wehrte sich nicht dagegen.

Nur am Rande bekam sie mit, wie die Schauspielerin den Blickkontakt unterbrach und sich zu ihrem Hals hinabbeugte.

Als die spitzen Fänge sich in ihren Hals gruben, blieb der Schmerz wie erwartet aus, dennoch war der Effekt ein gänzlich anderer, als beim letzten Mal. Der letzte Biss hatte einfach nur nicht weh getan, sie hatte ihn kaum bemerkt, diesmal jedoch fühlte es sich regelrecht... gut... an, als die Zähne ihre Haut durchdrangen.

Sie spürte die Lippen der Anderen auf ihrem Hals, viel mehr als würde die Daywalkerin sie küssen.

Gänsehaut legte sich schlagartig auf ihre Arme und ihr Herz begann schneller zu schlagen, allerdings auf eine angenehme Art und Weise. Der Biss und die Lippen der Vampirin auf ihrem Hals, ließen ihre Magengegend kribbeln. Unbewusst hatte sie die Arme um die andere Blondine geschlungen und diese näher zu sich gezogen. Ihrer Kehle entkam ein wohliger Laut.

Wie sie es versprochen hatte, hielt die Vampirin sich zurück, was die Menge des Blutes betraf, doch diesmal schien auch sie dem Effekt ihres eigenen Tricks erlegen zu sein. Anstatt wieder auf Abstand zu gehen, begann sie damit, den Hals der Jägerin mit Küssen zu versehen und aus dem Affekt heraus, die Zähne an einer anderen Stelle noch einmal in der weichen Haut zu versenken.

Die Jüngere stöhnte auf, aber ganz sicher nicht vor Schmerz...

Ihr ganzer Körper kribbelte vor Erregung und Verlangen, eine Tatsache, die sie aufgrund ihres aktuell so benebelten Zustands nicht weiter hinterfragte.

Als die andere Blondine von ihrem Hals abließ und sie sanft aber bestimmt gegen die Wand drückte, landete die Fackel, die den Flur mehr schlecht als recht erhellte, auf dem staubigen Boden.

Erneut trafen meeresblaue und derzeit stahlblaue Augen sich.

In einer stummen Übereinkunft, lehnte die Schauspielerin sich nach vorn. Ihre Lippen trafen sich.

Zuerst küssten sie sich beinahe sanft, dann intensiver und schließlich beinahe gierig.

Mondnebels Jägerin konnte sich nicht daran erinnert, wann ein Kuss sich das letzte Mal so gut angefühlt hatte. Am Rande nahm sie wahr, dass sie ihr eigenes Blut auf den Lippen ihres Gegenübers schmecken konnte, ehe sie mit der Zunge an einem der spitzen Fänge entlangfuhr.

Sie hatte der Vampirin eine Hand in den Nacken gelegt, während sie sich küssten. Ihre Finger fuhren durch das platinblonde Haar. Die Ältere hatte sie mit dem Rücken gegen die Wand gedrückt. Eine Hand hatte sich an den Hintern der Jägerin verirrt, die sich jedoch nicht daran störte. Im Gegenteil.

Als sie schließlich aus Luftmangel wieder etwas auf Abstand gingen, kribbelte Jodies ganzer Körper. Sie war immer noch im Bann der Daywalkerin gefangen und stand vollkommen neben sich.
 

Auch ihre Partnerin hatte die Umgebung vollständig ausgeblendet, doch langsam fand das logische Denken einen Weg zurück in Chris Kopf. Sie blinzelte. Als sie die Augen wieder öffnete, waren diese nicht länger stahlblau, sondern smaragdgrün.

Erst sickerte die Erkenntnis darüber, was hier los war, langsam in ihren Verstand, dann hatte sie die Situation plötzlich schlagartig erfasst. Die Augen der Schauspielerin weiteten sich ungläubig.

Langsam aber sicher gelang es auch Jodie sich aus der Trance zu reißen. Zuerst stolperte sie noch nicht einmal besonders über die Situation, dann war der Nebel auch aus ihrem Kopf verschwunden und Fassungslosigkeit überrollte sie wie eine Welle.

"W-Was war das denn bitte?", stammelte sie vor sich hin.

Sicher, sie hatte der Daywalkerin ihr Blut angeboten, um diese zu heilen, doch wie hatte die ganze Geschichte bitte so ausarten können?!

"Die Sache mit der Trance, damit der Biss für dich weniger schmerzhaft ist, muss irgendwie schiefgegangen sein...", antwortete Chris ihr und sortierte sich eine verirrte Ponysträhne aus dem Gesicht.

"DAS habe ich gemerkt.", räusperte Jodie sich.

"Das jemand so stark auf den Blickkontakt reagiert, ist mir dann auch noch nicht untergekommen." Die Schauspielerin blickte sie mit ihrem üblichen, leicht amüsierten Schmunzeln an, doch Jodie wurde das Gefühl nicht los, dass die Andere versuchte etwas zu verbergen.

"Du hast dich selbst gleich mit hypnotisiert, kann das sein?", kam es mit skeptischer Stimme von der Jüngeren.

"So ein Quatsch!", brauste Chris auf, was die Jägerin überrascht blinzeln ließ. War das wieder eine ihrer Launen? "Du reagierst anders...stärker, als es üblich ist. Aber ist ja auch egal, es ist immerhin nicht wirklich etwas passiert." Chris fuhr sich prüfend mit zwei Fingern über die Haut in ihrem Gesicht. Der Kratzer war vollständig verschwunden. "Zumindest sieht man mir die kleine Rauferei mit Kir nicht mehr an. Danke dafür."

"Es ist nichts passiert? Anstatt dich nur auf etwas Blut zu beschränken, hättest du mich beinahe auf eine ganz andere Art und Weise vernascht!", widersprach Jodie heftig.

Chris winkte ab. "Du hättest dich nicht beschwert.", sagte sie ihr auf den Kopf zu. "Aber keine Sorge, Kätzchen, davon war ich meilenweit entfernt."

Die Daywalkerin hob die Fackel vom Boden auf und warf sie Jodie zu. "Reden wir nicht weiter darüber.", beendete Chris das Thema.
 

Die Jägerin fing die Fackel gerade so auf. "Hey! Wirf nicht mit einer brennenden Fackel!", beschwerte sie sich, ehe sie der Anderen wohl oder übel folgte, hatte diese sich doch bereits in Bewegung gesetzt. Jodie hatte keinen Bedarf im Dunkeln zu stehen.

Während sie Chris folgte und über den Schutt und die zerstörte Mauer zurück in den eigentlichen Keller kletterte, musterte sie die andere Blondine skeptisch und fragend zugleich.

Chris hatte es wirklich eilig gehabt das Thema abzuhaken. Sie hatte sich zwar darum bemüht, weiterhin wie die Selbstsicherheit in Person zu klingen, aber... irgendetwas stimmte nicht. Zur Abwechslung kaufte Jodie der Schauspielerin ihre Rolle nicht ab. Chris hatte ihr viel zu schnell geantwortet und hatte das Thema auffällig schnell unter den Teppich kehren wollen. Sie hatte behauptet, dass die Jägerin selbst es gewesen war, die ungewöhnlich stark auf den Blickkontakt reagiert hatte. Möglich, aber sie wurde das Gefühl nicht los, dass dies nur die halbe Wahrheit war. Irgendetwas stimmte hier doch nicht...

Von dieser Tatsache mal ganz abgesehen, war Jodie über sich selbst fassungslos. Sie war eine Jägerin Mondnebels und sie war durch und durch überzeugt von ihrem Job. Das sie sich für eine Zusammenarbeit mit dieser Vampirin entschieden hatte, konnte damit begründet werden, dass ihr Plan für die Zukunft ein echter Gewinn für beide Seiten darstellte... aber dass sie sie geküsst hatte, das war eine ganz andere Sache.

Sie hatte ganz in Trance reagiert...trotzdem. Eine Jägerin, die eine Vampirin küsste? Und das Schlimme daran: in diesem Moment hatte es ihr gefallen. Es hatte sich absolut richtig und natürlich angefühlt. Wenn sie jetzt an den Kuss zurückdachte, war auch dieses wohlige Kribbeln in ihrer Magengegend sogleich wieder zurück. Fast wie ein Schmetterlingsschwarm, der nur geschlafen hatte und nun wieder aufgeflogen war.

Was zur Hölle dachte sie sich dabei? Sicher, die andere Blondine war eine international berühmte Schauspielerin, sie war intelligent, humorvoll, elegant und wunderschön, aber trotz dem perfekten Gesicht... diese Frau war gleichzeitig auch skrupellos und würde über Leichen gehen, um ihre Ziele zu erreichen. Und sie war eine Vampirin. Ein gottverdammtes Biest! Was also war passiert, dass sie so auf Chris reagiert hatte?... Das sie immer noch so auf sie reagierte, um genau zu sein.

Jodie verstand die Welt nicht mehr. Sie rieb sich über die Schläfen und war kurz davor anzusprechen, was für einen faulen Zauber die Daywalkerin da bloß angewandt hatte, als eine Stimme sie aus ihren Gedanken riss und sie vor Schreck zusammenfahren ließ.

"Chris! Jodie! Da seid ihr ja. Ich habe den Großteil des Kellers auf den Kopf gestellt."

Rei trat in den Schein der Fackel und blickte die beiden Frauen fragend und ein wenig besorgt zugleich an. "Ist alles in Ordnung? Und wo ist Curaçao?"

Im Gegensatz zu ihr, wirkte Chris kein bisschen erschrocken, oder auch nur im entferntesten überrascht. Warum auch? Die Daywalkerin konnte in der Dunkelheit nicht nur sehen, mit ihren feinen Sinnen musste sie ihren Bodyguard schon lange Zeit vorher bemerkt haben.

"Uns geht es gut. Aber das alles in Ordnung ist, würde ich trotzdem nicht behaupten." Sie seufzte und blickte recht unzufrieden drein. "Gut das du da bist. Ich bringe dich rasch auf den neusten Stand, dann habe ich ein Hühnchen mit Gin und seinen Leuten zu rupfen. Oder besser gesagt einen ganzen Hühnerstall."

Die Schauspielerin hielt inne und zündete sich eine Zigarette an, während Bourbon sie abwartend ansah. Im Moment war Jodie beinahe froh, dass Chris das Reden übernahm und Bourbon soeben hier aufgetaucht war, denn das gab ihr Zeit, ihre Gedanken so gut es ging zu ordnen.

Als die junge Frau langsam aufwachte, fühlte sie sich immer noch ganz erschlagen. Nicht nur, dass es bereits spät gewesen war, als sie endlich aus dem Keller gekommen waren, die Ereignisse hatten sich auch weiterhin überschlagen.

Jodie gähnte hinter vorgehaltener Hand, drehte sich auf den Rücken und streckte sich. Ihr schwirrte immer noch der Kopf. Als sie gestern endlich zurück im Wohnzimmer der Daywalkerin gewesen war und versucht hatte noch etwas zu schlafen, hatte sie noch ewig wachgelegen und ihren Gedanken nachgehangen.
 

~~~ Flashback~~~

Nachdem sie gestern aus dem Keller zurück waren und die Bar im Erdgeschoss betreten hatten, hatte es eine weitere Konfrontation gegeben.

Sie hatten die japanischen Gäste größtenteils in der Bar sitzend wiedergefunden und Chris hatte es sich nicht nehmen lassen, Gin ohne Umschweife zur Rede zu stellen. Zwar hatte sie nicht angeprangert, was er mit der armen Rena angestellt hatte, doch sie hatte sich sehr wohl über das beschädigte Gebäude beschwert und die erst unkontrolliert angreifende B-Klasse Vampirin, als Anschlag auf ihr Leben bezeichnet. Außerdem hatte sie die versuchte Sachbeschädigung ihres Eigentums verurteilt. Jodie hatte erst verstanden, was die Schauspielerin damit meinte, als sie sie direkt angesehen hatte. Beinahe wäre ihr gestern das Gesicht entgleist, doch dann hatte sie sich daran erinnert, dass ein Großteil der hier anwesenden Vampire immer noch davon ausging, dass sie das Dienstmädchen der Schauspielerin war. Und ein Mensch hatte in diesem Haus aktuell ungefähr den gleichen Stellenwert wie eine Sache.

Chris hatte einen kurzen Kampf mit der B-Klasse Vampirin beschrieben und behauptet, dass Curaçao und Bourbon der ganzen Sache schnell ein Ende gesetzt hätten. Derzeit war es einfach besser, wenn alle Nicht-Eingeweihten glaubten, dass Kir es nicht lebend aus dem Keller geschafft hätte. Es war nur zu ihrer Sicherheit, immerhin war es so leichter für die Brünette, tatsächlich für zwei Monate unterzutauchen, bis die Gefahr hoffentlich gebannt war.

Als die amerikanischen Barbesucher von dem Vorfall und der Tatsache erfahren hatten, dass auch die stellvertretende Anführerin in Gefahr geraten war, hatte sich rasch größter Unmut in der Bar ausgebreitet.

Die Bilder hatten sich in Jodies Gedächtnis gebrannt. Als Chris eine Erklärung von Gin gefordert hatte, war Rei ihr keinen Zentimeter von der Seite gewichen, die Augen stahlblau, die Körperhaltung drohend angespannt. Ohne, dass jemand sie darum gebeten hätte, hatten sich zwei weitere Männer aus der Menge erhoben und sich zu der Schauspielerin gesellt, wobei sie die gleiche drohende Haltung den Besuchern gegenüber an den Tag gelegt hatten. Calvados und Irish, wie Bourbon ihr später erklärt hatte. Auch sie waren keine besonders großen Fans der derzeitigen Gäste.

Doch damit war es noch nicht vorbei gewesen. Gins Reaktion hatte wohl alle überrascht.

Der Silberhaarige war gänzlich ruhig geblieben und hatte erklärt, dass er zwar sein menschliches Eigentum für dessen Fehlverhalten bestraft, die Entsorgung jedoch in Chiantis Hände gelegt habe. Allein für diese Wortwahl hätte Jodie ihm am liebsten die Augen ausgekratzt, doch sie wusste, dass sie sich zusammenreißen musste.

Auf Vermouths provokante Frage hin, wer von ihnen wohl die eigenen Leute nicht im Griff hätte, hatte der japanische Vampirfürst seine Mitstreiterin zu sich gewunken und eine brauchbare Erklärung für ihr Verhalten gefordert. … die sie nicht hatte.

Der Schlag war genau so heftig wie unerwartet ausgefallen und hatte die Vampirin vollkommen kalt erwischt. Chianti hatte einen Moment gebraucht, um sich mit ungläubigem Gesicht wieder vom Boden aufzurappeln.

» Du tust was man dir sagt und handelst nicht wieder auf eigene Faust. Die Daywalkerin wird mir schon bald nützlicher sein, als du es je sein könntest. Du kennst die Konsequenzen für weitere Dummheiten.« Das waren Gins kalte Worte an seine Untergebene gewesen.

Noch nie hatte Jodie gesehen, dass sich eine solche Panik auf Chiantis Gesichtszüge legen konnte.

Sie hatte der Schauspielerin erst einen hasserfüllten Blick zugeworfen, dann jedoch - vermutlich aus Angst um ihr Leben - um Verzeihung gebeten.

Damit war die Sache vorerst abgehakt gewesen und ein brüchiger Frieden hatte sich wieder eingestellt. Jodie war noch vollkommen durch den Wind, als Chris Calvados damit beauftragt hatte, die Jägerin zurück ins Wohnzimmer zu bringen, während sie selbst sich auf den Weg zum Boss gemacht hatte, wobei sie ein Stück weit von Bourbon begleitet worden war.

~~~Flashback Ende ~~~
 

Jodie blinzelte sich zurück ins Hier und Jetzt, schlug die Decke zurück und stand vom Sofa auf.

Ein Blick auf die Wanduhr sagte ihr, dass es ohnehin höchste Zeit war um aufzustehen.

Sie gähnte erneut und schlurfte schließlich in Richtung Badezimmer.

Immer noch musste sie ständig an die Erlebnisse gestern denken. Sie war fassungslos darüber, mit einer welchen Gleichgültigkeit und Kälte Gin seine Untergebene bestraft und ihr gedroht hatte. Er hätte kein Problem damit einen Mitstreiter, der aus der Reihe tanzte, zu töten, das war nur noch einmal überdeutlich klar geworden.

Während sie unter die Dusche stieg, wanderten ihre Gedanken weiter zu Curaçao und Rena. Ob die Silberhaarige es geschafft hatte, ihre Freundin ein wenig zu beruhigen?

Sternenstaubs ehemalige Jägerin tat ihr so leid. Dieser Dreckskerl von japanischem Vampirfürsten hatte auf einen Schlag ihr gesamtes Leben zerstört und sie dazu verdammt, Jahrhunderte als das zu verbringen, was sie am meisten hasste. Sie wollte sich lieber gar nicht vorstellen, wie schlimm diese Tatsache für Rena sein musste.

Immerhin hatte Chris sie in der Amerikanischen Vampirgesellschaft aufgenommen und die Brünette konnte nun ohne Probleme bei Curaçao bleiben, doch trotzdem würde sie die Tatsache kaum ausblenden können, dass sie nicht länger menschlich war.

Und dann noch der Keller... Jodie graute es bei dem Gedanken daran. Sie stellte das Wasser kälter, als sie daran dachte, wie viele unschuldige Personen noch in den Verschlägen saßen und in der Bar den Tod finden würden. Sie wollte diese Leute retten und zwar auf der Stelle.

Zwar hatte Chris ihr erklärt, dass sie bereits unauffällig versuchte, die Anzahl der gefangenen Menschen nach und nach zu begrenzen, doch sie konnte dabei nicht zu auffällig vorgehen und die Personen, die den Vampiren bereits in die Fänge gegangen waren, würden dieses Haus auch nicht mehr lebend verlassen.

Jodie wusste nicht, wie sie es bitte schaffen sollte, einfach zuzusehen und nichts zu tun. Vermutlich würde sie die Füße einmal mehr nicht stillhalten können...
 

Sie zwang sich die Erinnerungen an den Horrorkeller bei Seite zu drängen, doch sofort wurde sie mit dem nächsten Thema konfrontiert. Die Schauspielerin selbst, den Kuss und wie weich ihre Lippen waren. Wieder begann ihr Magen zu kribbeln.

Die Blondine stellte das Wasser noch etwas kälter und rieb sich die Schläfen.

"Du bist doch vollkommen verrückt...", murrte sie zu sich selbst. Und das musste sie wirklich sein.

Wo kam dieses Gefühl her und vor allem so plötzlich? Waren das immer noch Nachwirkungen von dem intensiven Blickkontakt, der sie vor dem Biss in eine Art Trance versetzt hatte? Aber das konnte doch eigentlich gar nicht, oder? Das letzte Mal hatte der Effekt immerhin auch nicht lange vorgehalten und war vor allen Dingen nicht so stark gewesen.

Doch irgendetwas war diesmal anders gewesen. Gänzlich anders. Und seitdem war nichts mehr wie vorher, auch wenn Jodie nicht genau benennen konnte, wie das passiert war.

Sie verließ die Dusche, trocknete sich ab und schlüpfte in die geliehene Kleidung, die Chris ihr gestern Abend noch herausgelegt hatte. Schließlich stellte sie sich vor den Spiegel und betrachtete sich einen Moment darin. Sie sah genau so müde, blass und erschlagen aus, wie sie sich derzeit auch fühlte. Die junge Frau seufzte und wollte sich schon wegdrehen, als ihr im Spiegel auf einmal etwas auffiel.

Eh? Was war das da in ihrem Auge? … oder täuschte sie sich nur? Sie setzte die Brille, die sie vor dem Duschen abgelegt hatte, wieder auf und sah die Welt schlagartig klarer. Doch nun war sie sich auch ganz sicher, dass sie sich ihre Entdeckung eben nicht eingebildet hatte.

Jodie zog die Stirn kraus und rückte mit dem Gesicht näher in Richtung Spiegel. Skeptisch musterte sie ihr linkes Auge. Mit der Pupille war alles in Ordnung,... doch was war das da für ein Fleck? Sie sah noch einmal genauer hin, aber ja, ganz eindeutig. Auf der eigentlich meeresblauen Iris fand sie einen winzigen grünen Flecken. Und sie war sich sehr sicher, dass der gestern noch nicht dort gewesen war. Aber was? Wie war das denn passiert? Wo kam diese plötzliche Veränderung her? Ihr war keine Krankheit bekannt, bei der sich praktisch über Nacht solche winzigen Verfärbungen in den Augen bildeten.

Über Nacht? Irgendetwas ließ sie stutzen. Halt Moment... als sie Chianti gestern auf dem Flur begegnet war, hatte die Vampirin ihre Augen bereits so seltsam gemustert und sich schließlich königlich über etwas amüsiert. War der Fleck am Ende zu diesem Zeitpunkt schon dort gewesen?

Sie schüttelte den Kopf und beschloss, später Chris zu fragen, ob diese sich einen Reim darauf machen konnte. Aber warum sollte sie? Die Frau war zwar hochintelligent, aber sie war Schauspielerin, keine Augenärztin. Vielleicht wäre ein Besuch beim Augenarzt nicht mal das Dümmste. Was, wenn dieser Fleck gefährlich war?
 

Die Blondine hörte, wie die Wohnzimmertür geöffnet wurde. Da sie sich inzwischen umgezogen hatte, trat sie aus dem Badezimmer und begab sich zurück in den Wohnraum.

Chris und Rei hatten das Zimmer betreten. Beide trugen bereits Straßenschuhe und Winterkleidung.

Beim Anblick der Jägerin zog Vermouth eine Augenbraue hoch. "Du bist ja noch gar nicht fertig, Kätzchen. Wir müssen gleich los zum Set. Heute finden die Dreharbeiten etwas weiter außerhalb statt. Und überhaupt, wie siehst du aus?"

"Du hättest mir gestern auch sagen können, dass wir heute früher los müssen, dann hätte ich mir einen Wecker gestellt.", murrte die junge Frau vor sich hin. "Wieso bist du überhaupt schon angezogen? Musst du nicht auch noch ins Bad?"

Die Schauspielerin schmunzelte amüsiert. "Dummes Ding, da war ich doch schon längst. Ich bin mehrfach durchs Wohnzimmer spaziert und habe auch schon geduscht, aber du hast noch auf dem Sofa gelegen und geschlafen wie ein Stein."

Chris schob Jodie vor sich her und drückte die Jüngere zurück aufs Sofa. "Ehrlich, dich könnten die Einbrecher problemlos wegtragen, wenn du erstmal schläfst."

"Einbrecher? Welcher Einbrecher wäre so blöd, in ein verdammtes Vampirnest einzubrechen?", konterte Jodie.

Bourbon lachte im Hintergrund leise. "Auch wieder wahr."

Derweil hatte die Schauspielerin einen Make-Up Koffer aus dem Bad geholt und diesen vor Jodie auf den Tisch gestellt. Sie setzte sich neben sie aufs Sofa und klappte den Koffer auf.

"Raufasertapete hat mehr Farbe als du. So kann ich dich unmöglich mitnehmen.", stellte sie mit skeptischem Blick fest.

"Wann lernst du endlich, dass ich nicht dein Schminkkopf bin?" Genervt verdrehte Jodie die Augen, wehrte sich jedoch nicht weiter dagegen, dass die andere Blondine damit begann sie zu schminken. Chris tat das nicht zum ersten Mal und inzwischen hatte die Jüngere es aufgegeben zu protestieren. Zumal das Ergebnis sich am Ende jedes Mal wirklich sehen lassen konnte.

"Warum siehst du eigentlich so aus, als ob du auch das Haus verlassen wolltest? Es ist draußen immerhin schon hell.", wandte sie sich an Bourbon und schob ihre Brille hoch.

Wie unglaublich natürlich sie mit diesen Vampiren inzwischen umging...und das als Jägerin Mondnebels. Jodie versuchte sich damit zu trösten, dass es sich nur um einige wenige Exemplare handelte, bei denen sie eine Ausnahme machte.

"Die Fensterscheiben von meinem Auto haben eine spezielle Beschichtung, dank der ich auch am Tag damit fahren kann. Da Chris Curaçao gestern ihr Auto geliehen hat, fahre ich euch gleich zur Arbeit.", erklärte er.

"Ah, so ist das."

"Hey, jetzt hör auf ständig zu blinzeln.", tadelte die Schauspielerin die Jüngere derweil.

Jodie hielt still, zwang sich nicht zu blinzeln und blickte stattdessen geradeaus und somit ganz genau in das Gesicht der anderen Blondine, welche derweil schnell und konzentriert damit beschäftigt war sie zu schminken. Bald schon hätte sie die gerade aus dem Bett gefallene Vampirjägerin wieder in ihre Vorzeigeassistentin verwandelt.

Während Chris sich um ihr Augenmake-Up kümmerte, überkam Jodie wieder dieses merkwürdige Gefühl. Die Ältere war ihrem Gesicht derzeit so nah und zerbrach sich vermutlich noch nicht einmal den Kopf darüber.

Da sie derzeit eh nichts besseres zu tun hatte und stillhalten musste, betrachtete sie für einen Moment die smaragdgrünen Augen ihres Gegenübers genauer... und stutzte. Es war ihr im ersten Augenblick gar nicht aufgefallen, aber da war er: ein winziger blauer Fleck in der ansonsten grünen Iris. Eh? Chris also auch? Was hatte das bloß zu bedeuten?

Noch ehe sie die Schauspielerin darauf ansprechen konnte, hatte diese sich wieder dem Make-Up Koffer zugewandt.
 

Am Set angekommen, war Jodie froh, die Fahrt überlebt zu haben.

Die Fahrt neulich, in Curaçaos Auto, war aufgrund der begrenzten Sitzplätze unbequem gewesen und der Fahrstil der Silberhaarigen hatte sich als äußerst fraglich entpuppt, doch verglichen mit Rei... Jodie hätte sich sofort Curaçao zurück ans Steuer gewünscht. Oder aber das Vermouth das Auto fuhr. Oder zur Not auch sie selbst!

Die heutigen Dreharbeiten hatte das Filmteam an den Orchard Beach geführt. Im Sommer sicherlich ein schöner Ort um zu filmen, im späten Herbst jedoch... Jodie verfluchte jede Sekunde des Filmtags. Sie saß unter einem provisorisch aufgebauten Pavillon, in einer Art Strandkorb und fror erbärmlich. Die Wolldecke, die sie sich über die Beine gelegt hatte, half da auch nicht mehr wirklich.

Die Schauspieler und das Kamerateam konnten sich wenigstens etwas bewegen, für sie selbst hingegen gab es aktuell jedoch wenig zu tun.

Während sie von ihrem Platz aus beobachtete, wie mehrere Schauspieler den Strand entlangliefen und so taten, als würden sie von etwas verfolgt, was erst später mit der Hilfe von Computertechnik in den Film eingefügt werden würde, streckte Yukiko sich neben ihr und vergrub sich noch etwas mehr unter der Wolldecke. Die Zähne der Schauspielerin klapperten vor Kälte.

"Einerseits bin ich froh, in der Szene gerade nicht gebraucht zu werden, da es nur wieder Muskelkater geben würde, wenn ich die ganze Zeit über durch den Sand rennen müsste, andererseits würde mir durch ein bisschen Bewegung vielleicht wieder wärmer. Ich spüre meine Zehen schon gar nicht mehr."

"Und ich spüre meinen ganzen Körper schon gar nicht mehr.", grummelte Jodie vor sich hin.

Es war angenehm, dass die brünette Schauspielerin neben ihr indirekt auch ein wenig ihre rechte Seite wärmte, doch alles in allem hatte sie die Nase voll davon in der Kälte herumzusitzen.

Eine kalte Briese fegte über den Strand hinweg und leider auch unter den Pavillon.

"Sieh dir die Anderen an. Obwohl sie die Szene jetzt schon mehrfach wiederholen mussten, sehen sie nicht so aus, als wäre ihnen sehr viel wärmer.", merkte die Blondine schließlich noch an.

Sie betrachtete die Schauspieler und das Filmteam, welche kurz innegehalten hatten und sich noch einmal absprachen. Dabei fiel ihr auf, dass Chris und eine ihrer Kolleginnen so aussahen, als wären sie vom ganzen Hin- und Herrennen einem Herzinfarkt nahe. Jodie schmunzelte schief.

"Wie gefällt dir der Job als Assistentin eigentlich? Chris hat das noch nie jemandem angeboten, aber ihr zwei scheint euch wirklich zu verstehen.", fragend blickte Yukiko die Jüngere an und zog die Wolldecke etwas mehr zu sich.

Jodie blinzelte und überlegte kurz, wie sie darauf antworten sollte. Es war immerhin nicht so, als wäre sie tatsächlich die Assistentin der Schauspielerin. Hätte sie Yukiko erzählt, was hier wirklich gespielt wurde, die Brünette hätte sie entweder für vollkommen verrückt erklärt, oder wäre vom Glauben abgefallen.

"Naja, wo fange ich am besten an? Chris ist speziell, aber wem erzähle ich das? Du bist immerhin gut mit ihr befreundet. Sie hat ihre Launen und hält mich auf Trab, aber alles in allem ist sie ein entspannter Boss und legt mir gegenüber weniger Starallüren an den Tag, als ich geglaubt hätte."

Klang das jetzt glaubhaft? Jodie hoffte es.

Neben ihr lachte Yukiko leise. "Es stimmt schon, sie ist manchmal etwas schwierig, aber man ist gut damit beraten, ihre Launen nicht all zu ernst zu nehmen. Sie meint es eigentlich gar nicht so."

Beinahe hätte Jodie gelacht. Ihren Schauspielerkollegen gegenüber war die Blondine vielleicht umgänglich und sie selbst wusste auch, dass sie sich Chris gegenüber erstaunlicherweise viel mehr erlauben durfte als manch anderer, doch Yukiko ahnte nicht, dass die meisten Leute durchaus besser damit beraten waren, die Launen der Daywalkerin ernstzunehmen. Als stellvertretende Anführerin der amerikanischen Vampirgesellschaft, trat Chris meist doch ganz anders auf, als die Brünette es sich vorstellen konnte.

Während das Filmteam im Hintergrund scheinbar beschlossen hatte eine Frühstückspause einzulegen, beobachtete Yukiko plötzlich etwas und blickte neugierig und skeptisch zugleich drein.

"Hey, sieh mal, ich glaube diese Leute da wollen zu uns. Wer das wohl ist?"

Eigentlich hatte Jodie Hunger und hätte weder etwas gegen ein Frühstück, noch gegen eine heiße Tasse Kaffee gehabt, doch als sie dem Blick der Schauspielerin folgte und die Personen, die sich dem Pavillon näherten erkannte, verging ihr der Appetit schlagartig. Ihr Herz machte einen Satz und Adrenalin jagte durch ihren ganzen Körper.
 

"FBI.", stellte ihr Vorgesetzter sich dem Regisseur und den Schauspielern, die sich inzwischen unter dem Pavillon versammelt hatten, vor und zeigte seine Dienstmarke. "James Black und das hier sind meine Kollegen Akai und Camel. Wir stören nur ungern, aber wir haben in einer Ermittlung ein paar Fragen an eine ihrer Schauspielerinnen. Mit ihrer Zeugenaussage könnte sie uns womöglich weiterhelfen."

Während überraschtes Murmeln innerhalb des Filmteams ausbrach, befreite Jodie sich von der Wolldecke und stand von ihrem Platz auf. Akais durchdringend grüner Blick lag auf ihr. In seinen Augen konnte sie etwas vorwurfsvolles und gleichzeitig fragendes lesen.

Verdammt, Mondnebel! Sie hatte ihren Kameraden doch geschrieben, dass sie sich heute Nachmittag melden würde. Das sie jetzt hier auftauchten, war ganz und gar nicht gut!

"Ms Vineyard? Wenn Sie kurz Zeit für uns hätten.", sprach Black die Blondine nun ganz direkt an.

Überraschte Blicke ihrer Kollegen trafen die Schauspielerin. Diese blickte nicht minder verwirrt in die Runde, während sie sich in Richtung der drei Agenten begab. "Ich weiß zwar nicht genau was hier los ist, aber wenn ich helfen kann...?"

Jodie musste ihr lassen, dass sie ihre Rolle wieder einmal nahezu perfekt spielte. Die anderen Schauspieler kauften der Blondine die Ahnungslosigkeit ab, da war sie sich ganz sicher.

Chris hatte eine Mimik aufgesetzt, die einen in der Tat denken lassen konnte, dass sie keine Ahnung hatte was hier los war, lediglich die Tatsache, dass jedes bisschen Farbe aus ihrem Gesicht gewichen war, verriet ihre Nervosität. Zumindest hatte Jodie es gleich bemerkt. Ob die ungeschulten Blicke der anderen Anwesenden auch darüber stolpern würden, wagte sie jedoch stark zu bezweifeln.

Rasch gesellte sie sich zu ihren Kameraden und der Schauspielerin. Ohne zu zögern hakte sie sich bei der anderen Blondine unter. Jetzt konnte sie spüren, wie angespannt Chris eigentlich war.

Kein Wunder, wenn man bedachte, dass sie sich gerade drei Mitgliedern Mondnebels gegenübersah, wovon einer sie vor ein paar Tagen noch übel zugerichtet hatte.

Jodie drückte sich enger an ihre Seite und zog die Ältere ein paar Schritte mit sich und in Richtung ihrer Kameraden. "Ich sollte vielleicht auch mitkommen. Ich denke, dass Sie an meiner Zeugenaussage auch interessiert sein dürften.", schauspielerte sie vor den anderen Anwesenden.

"Ist das so? Dann darf ich Sie ebenfalls bitten uns kurz zu begleiten, Ms.", spielte Black das Spielchen mit.

Gemeinsam mit ihren drei Kollegen und der Daywalkerin, nahm Jodie Kurs auf den Parkplatz in der Nähe des Strandabschnitts. Ihr Herz hämmerte wie wild in ihrer Brust. Ihre Gedanken rasten.

Nein! Nein! Nein! Das war ganz schlechtes Timing! Ganz und gar nicht gut. Sie hatte sich auf die Konfrontation mit Mondnebel gar nicht vernünftig vorbereiten können. Und schlimmer noch, sie hatte das Gespräch mit ihren Kameraden ursprünglich allein führen wollen. Nun war Chris mit in die ganze Sache geraten. Als Daywalkerin und erst recht nach ihrer Flucht vor ein paar Tagen, war die Blondine in höchster Gefahr, so viel dürfte allen Anwesenden klar sein.
 

Die kleine Gruppe lief über den Parkplatz, bis sie außer Hör- und Sichtweite der Filmcrew war, welche am Strand geblieben war.

James nahm Kurs auf einen unscheinbaren, weißen Kastenwagen, während Camel und Akai die beiden Frauen fast schon skeptisch im Auge behielten. Bis sie den Wagen erreicht hatten, sprach niemand ein Wort. Schließlich schloss der Vorgesetzte der Jäger das Auto auf. Andre öffnete die hintere Tür des Autos und trat bei Seite.

Im vorderen Teil des Kastenwagens gab es Platz für den Fahrer und zwei Beifahrer, der hintere Teil des Autos wurde derzeit nicht als Lagerfläche genutzt, sondern war mit zwei Bänken ausgestattet worden, welche jeweils längs an die beiden Außenwände geschoben worden waren. Ein wenig erinnerte die eigentliche Lagerfläche an einen improvisierten Verhörraum.

Zwar hatte die Schauspielerin die Aufforderung ins Auto zu steigen, durchaus verstanden, dennoch zog sie es vor den unausgesprochenen Befehl vorerst zu ignorieren.

Vor dem Fahrzeug blieb die Daywalkerin stehen, die Arme vor der Brust verschränkt.

"So schnell sieht man sich also wieder, was?" Ihre Stimme klang selbstbewusst und triefte nur so vor Ironie. Jodie wusste jedoch, dass die gelassene Art der Älteren nicht mehr als eine Maske war.

Chris war nervös, hatte höchst wahrscheinlich Angst vor den Vampirjägern, doch sie zeigte es nicht.

"Lasst mich raten: ihr habt den Weg hier her durch Insiderinformationen gefunden?"

Die Art und Weise, wie sie das Wort Insiderinformationen betonte, machte Jodie schlagartig klar, wem Chris die Schuld für diese Begegnung in die Schuhe schob.

"Nein, diesmal nicht.", ergriff Camel das Wort. "Es brauchte keiner Insiderinformationen, lediglich ein wenig persönliche Recherche, um das Projekt, an dem du derzeit arbeitest und den heutigen Standort des Sets, zu ermitteln, Vampirin."

"Steigt in den Wagen.", sprach Akai noch einmal das Offensichtliche aus, weshalb sie hier eigentlich vor der geöffneten Fahrzeugtür standen. "Beide."

Black war bereits ins Fahrzeuginnere geschlüpft und hatte auf einer der beiden Bänke platzgenommen.

Die ältere Blondine zögerte. Jodie konnte es verstehen, fühlte sie sich aktuell doch selbst nicht gerade wohl und das, obwohl es sich bei den drei Agenten um Kollegen und gute Freunde von ihr handelte. Schließlich war sie es, die der Schauspielerin die Hände auf die Schultern legte und sie sanft aber bestimmt in Richtung Fahrzeug schob.

Letztlich kletterte Chris in den Kastenwagen und nahm auf der Bank gegenüber von Black Platz, wobei sie den Platz in der Ecke vorzog. Die Jägerin setzte sich neben sie, konnte sie sich doch bereits denken, dass ihr dies lieber sein würde.

Erneut war die junge Frau erstaunt darüber, wie selbstverständlich sie sich inzwischen um die Daywalkerin sorgte. Bis vor kurzem hatte sie noch ganz anders gedacht, doch gerade hätte sie die Andere am liebsten aus der Gefahrenzone gebracht.

Auch Akai und Camel betraten das Fahrzeug. Während Shuichi sich neben James Black setzte, entschied Andre sich für den noch freien Platz neben Jodie.

Chris beobachtete die Jäger aufmerksam, schwieg jedoch. Sie wusste, wie aussichtslos ihre derzeitige Lage war. Zu versuchen zu fliehen, würde keinen Sinn machen. Selbst bevor sie in das Auto gestiegen war, wäre jeder Fluchtversuch auf dem Parkplatz zum Scheitern verurteilt gewesen.
 

Akai war es, der das Schweigen brach und sich Jodie zuwandte. "Erklär uns was hier los ist. Erpresst sie dich mit irgendetwas, oder was hat dich dazu bewegt, sie neulich zu befreien und gemeinsam mit dem Biest das Weite zu suchen?"

Natürlich brannte ihren Kameraden diese Frage auf den Lippen. Sie konnte es ihnen ansehen und sie konnte es verstehen, wäre es Jodie doch nicht anders ergangen, hätte sie sich in der Situation befunden, wie Mondnebels andere Mitglieder derzeit.

Für einige Sekunden ruhte ihr Blick auf James und Shuichi. Andre neben sich ignorierte die Blondine nur deshalb, weil er in einem so ungünstigen Winkel neben ihr saß, dass er sich fast gänzlich außerhalb ihres Blickfeldes befand.

Sie überlegte, wie sie antworten sollte, würde von ihren Worten doch der Verlauf dieses Gesprächs abhängen und damit gleichzeitig auch das Schicksal der Daywalkerin und der Deal, den Chris mit Mondnebel schließen wollte. Letztlich entschied Jodie sich für die Wahrheit. "Nein, sie erpresst mich nicht. Ich habe sie neulich aus freiem Willen befreit.", gestand sie.

Die Blicke ihrer Kameraden ruhten ungläubig auf ihr.

"Wieso hast du das getan?" Fassungslos schüttelte James den Kopf. "Diese Frau verfügt mit ziemlicher Sicherheit nicht nur über Informationen, die für Mondnebel Gold wert sind, sie ist eine Vampirin und hat dich zudem erst neulich noch entführt. ...Aber wem erzähle ich das?"

"Das weiß ich doch alles. Trotzdem, ich würde es jeder Zeit wieder tun. Ursprünglich wollte ich euch alles bei dem Treffen gestern erklären-", begann Jodie, wurde jedoch von Shuichi unterbrochen.

"Du hast das Treffen abgesagt.", erinnerte er sie.

"Weil es einen Notfall gab, um den wir uns kümmern mussten."

"Einen Notfall, um den IHR euch kümmern musstet?", wiederholte Andre neben ihr.

"Das-", begann die Blondine, wurde jedoch erneut unterbrochen. Diesmal war es Chris, die ihr eine Hand auf den Oberarm legte.

"Das ist etwas Hausinternes und hat sie nicht zu interessieren.", erinnerte die Schauspielerin ihre Sitznachbarin.

"Du..., nein, wir sind derzeit nicht unbedingt in der Situation für so etwas, meinst du nicht auch?" Jodie verdrehte leicht die Augen. "Lass mich das regeln, sonst provoziert ihr euch nur wieder gegenseitig und dieses Gespräch ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt."

Die Schauspielerin warf ihr einen wenig freundlichen Blick zu, doch Jodie ignorierte sie gekonnt.

"Es erstaunt mich, wie vertraut du dich mit dieser Vampirin gibst." Akais Stimme hatte einen skeptischen, beinahe anklagenden Unterton. Auch in seinen grünen Augen stand das Missfallen nur all zu deutlich geschrieben.

"Zurück zum Thema.", mischte James sich ein. "Du wolltest uns gerade erklären, was hier eigentlich gespielt wird und was dich dazu bewegt hat, Vineyard neulich zur Flucht zu verhelfen."

"Du bist doch weiterhin auf Mondnebels Seite, oder etwa nicht?", ergriff Andre neben ihr das Wort.

"Natürlich bin ich das!", stellte Jodie sofort klar. "Idiot...", murrte sie hinterher. So etwas überhaupt zu fragen! Wobei die Frage vielleicht fast schon berechtigt war. Ohne ihre Motive zu kennen, musste ihr Handeln für ihre Kameraden immerhin schwer nachzuvollziehen sein.

"Es gibt zwei Gründe, warum ich ihr aus der Zelle geholfen habe, wenn ihr es genau wissen wollt.", begann die Jägerin mit ihrer Erklärung.

"Ihr habt sicherlich alle die Videos der Überwachungskamera gesehen, oder nicht?" Der Blick der Blondine wurde missfallender und blieb an Mondnebels Trumpfkarte hängen. "Oh, ich vergaß, du musstest dir die Aufnahmen gar nicht erst ansehen, du wusstest auch so schon ganz gut was los war."

Jodie verschränkte die Arme vor der Brust. Ihre Mimik spiegelte Ärger und Unglauben wieder.

"Ihr habt mich nicht in den Keller gelassen und ich hatte nur einen Teil von dem Gespräch im Büro neulich aufgeschnappt. Folglich habe ich heimlich die Überwachungskamera geprüft und bin fast vom Glauben abgefallen. Ist das wirklich dein Ernst, Shu? Ja, vielleicht ist eine Vampirin unsere Feindin, aber wie konntet Aaron und du so etwas nur tun?! Ich meine, als Daywalkerin fehlt ihr die Stärke der normalen Vampire. Sie saß eh schon in der Zelle und ihr zwei hattet nichts besseres zu tun, als sie halb totzuschlagen, nur weil sie euch vielleicht ein wenig provoziert hat?!"

Die Stimme der Jägerin war mit jedem Wort lauter und aufbrausender geworden.

"Dein übertriebener Gerechtigkeitssinn also, ja? Du hattest Mitleid mit einer Vampirin?", spottete der Dunkelhaarige unbeeindruckt. Jodie vermutete, dass er damit sein Unwohlsein überspielen wollte, rieb sie ihm doch gerade sein extrem unehrenhaftes Verhalten unter die Nase.

"Nur weil sie eine Vampirin ist, heißt das nicht, dass wir deshalb zu Monstern werden dürften. Wir sind Mitglieder Mondnebels. Es macht uns wohl kaum zu etwas besserem, wenn wir wehrlose Gefangene zusammenschlagen."

Akai wollte etwas darauf erwidern, doch James legte ihm die Hand auf die Schulter und mischte sich ein. Seine Stimme klang ruhig und bedächtig. "Es stimmt schon, dass die Dinge ziemlich aus dem Ruder gelaufen sind. Das ist etwas, das sich nachträglich nicht mehr ändern lässt, auf das wir allerdings auch nicht stolz sein sollten."

Chris schnaubte abfällig. Entweder, da es ihr nicht gefiel, an dieses Desaster erinnert zu werden, oder aber da sie die Worte Blacks für nichts als Heuchelei hielt.

"Wir sind Vampirjäger. Unsere Munition tötet im Normalfall schnell und ohne unnötige Qualen. Gefangenen gegenüber sollten wir uns ebenfalls nicht unmenschlich verhalten, sondern sie mit Respekt behandeln.", sprach Black weiter. Kurz ruhte sein Blick auf der Daywalkerin, dann sah er Jodie wieder an. "Aber die Tatsache, dass zwei unserer Kameraden etwas getan haben, was sie nicht hätten tun sollen, rechtfertigt trotzdem noch nicht, dass du die Gefangene befreit hast."

Langsam nickte die Blondine. "Das ist richtig. Aber ein anderer Punkt rechtfertigt es sehr wohl. Ihr habt vielleicht keine Informationen von ihr erhalten, wir haben allerdings miteinander geredet."

"Es gefällt mir nicht, dass hier alle so reden, als wäre ich nicht anwesend.", machte Chris auf sich aufmerksam und blickte wenig freundlich in die Runde.

Zwar steckte sie derweil wirklich in Schwierigkeiten, dennoch gab sie sich genau so selbstbewusst, wie sie es sonst auch tat. Die Schauspielerin wollte keine Schwäche zeigen, das war Jodie klar. Vielleicht half ihr ihr hoher Rang innerhalb der Vampirgesellschaft auch ein wenig dabei die Nerven zu behalten. Sie würde mit Sicherheit eine gute nächste Anführerin werden. Für einen kurzen Moment machte sich bei diesem Gedanken ein warmes Gefühl in Jodies Magengegend breit, welches sie jedoch rasch bei Seite schob, als sie sich dessen bewusst wurde.

"Wenn das ganze wieder in einer Gefängniszelle endet, dann gibt es weder Informationen, noch einen Deal.", stellte Amerikas Nummer Zwei an die Gruppe gewandt klar.

"Deal?", hakte Camel verwirrt nach.

"Ein Deal mit einem Vampir? Worum auch immer es hier geht-" Akais Stimme klang kalt.

Black hob eine Hand um für Ruhe zu sorgen. "Hören wir doch zuerst einmal zu, um zu verstehen, was hier eigentlich los ist.", verlangte er.

Jodie war ihrem Vorgesetzten in diesem Moment für seine besonnene Art dankbar.

Erneut warf sie ihrer Sitznachbarin einen mahnenden Blick zu. "Wie schon gesagt, lass mich das erklären. Zwei Personen hier sind rein zufällig nämlich wie Feuer und Wasser und ich würde gerne verhindern, dass das hier in einer Katastrophe endet." Sie blickte erst Chris, dann Shuichi vielsagend an.

"Tsk!" Die Schauspielerin warf sich eine verirrte Strähne zurück über die Schulter und wandte fast schon schnippisch den Kopf. Jodie, die die Launen der Älteren bereits kannte, schmunzelte lediglich schief, während Andre eher irritiert dreinblickte. James sah so aus, als wäre er interessiert daran endlich zu verstehen, was hier eigentlich gespielt wurde, während Akais Blick kühl und unergründlich blieb.

Jodie seufzte, atmete einmal tief ein und aus und ergriff schließlich das Wort, als sie sich sicher war, dass sie die Aufmerksamkeit ihrer Kameraden hatte. "Also, es geht um Folgendes..."

Und damit begann sie die Situation im Groben und schließlich ausführlicher den angestrebten Deal und dessen Vorteile für beide Seiten zu erläutern.
 

Als die junge Frau ihre Erklärungen beendet hatte, herrschte für einen Moment Schweigen. Jodie ließ ihren Kameraden die Zeit um das, was sie ihnen da erzählt hatte, einigermaßen zu verarbeiten.

Schließlich blickte sie die drei Jäger fragend an. Chris, die neben ihr saß, hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Zwar beobachtete sie die anderen Anwesenden ebenfalls aufmerksam, doch wirkte sie noch ein wenig eingeschnappt.

Andres Blick wanderte zu seinen Kollegen. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er seine Meinung über den angestrebten Deal nicht unbedingt zuerst mitteilen wollte.

"Eine Vampirin, die einen Deal mit Mondnebel anstrebt.", Akai war der Erste, der das Schweigen brach. "Das hast du ihr nicht wirklich geglaubt, oder Jodie? Hat sie dich mit diesem Gerede eingelullt und dich dazu gebracht sie freizulassen?"

Ungläubig starrte die Blondine ihren Kameraden an. Sie konnte durchaus verstehen, dass er skeptisch bezüglich des Deals war, doch dass er sie gleichzeitig als naives, naturblondes Ding hinstellte, ließ sie köcheln. "Behandle mich nicht als wäre ich dumm!", brauste sie auf. "Ich weiß, wie sich dieser Deal im ersten Moment anhört, aber das ist nicht nur leeres Gerede."

"Ach nein? Und was lässt dich annehmen, dass sie auch nur ein Wort von dem, was sie dir gesagt hat, ernst gemeint hat?"

"Nun, wir haben uns in den letzten Tagen bereits einige leerstehende Objekte angesehen, in welchen Blutspendeeinrichtungen eröffnet werden könnten.", erklärte Jodie ihm. "Du hast keine Ahnung, wie voll ihr Terminkalender eigentlich ist. Warum sollte Chris sich Immobilien ansehen, wenn diese Besichtigungstermine nicht mehr als Zeitverschwendung wären?"

Mondnebels Trumpfkarte schüttelte den Kopf und atmete hörbar aus. "Vielleicht um Mondnebel aufs Glatteis zu führen? Wenn du mich fragst, dann ist das nicht mehr als eine Finte."

"Vampire die auf Blutkonserven umsteigen, ist das denn überhaupt möglich?" Black sah die Daywalkerin abwartend an. Diese nickte.

"Ja, natürlich ist es das. Ob wir das Blut nun aus einem lebenden Wirt zapfen, oder aber es aus einem Beutel in ein Glas umfüllen, macht keinen Unterschied."

"Wenn du Blutkonserven ins Auge gefasst hast, warum steigt ihr dann nicht gleich auf Tierblut um? Eine Bestellung bei einer Metzgerei, oder einem örtlichen Schlachthof, erscheint mir wesentlich weniger aufwändig.", gab James zu bedenken.

Die Blondine warf ihm einen Blick zu, fast so, als hätte sie Mitleid mit den Dummen. "Glaubst du wirklich es wäre so einfach, Jäger? Tierblut ist nicht gleich Menschenblut. Unsere Körper können es nicht als Nahrung verwerten."

"Jodie, hast du etwa schon vergessen, was diese Frau uns angetan hat, als man uns in diese Bar gebracht hat? Warum sollte eine so skrupellose und grausame Person ernsthaft an einem friedlicheren Zusammenleben von Mensch und Vampir interessiert sein?", mischte sich nun auch Andre in das Gespräch ein.

Natürlich erinnerte Jodie sich nur zu gut daran, dass sie neulich beinahe beide als Mitternachtsdrinks für diese Monster geendet wären. Sie konnte das Misstrauen ihrer Kollegen nur zu gut verstehen, dennoch war sie sich inzwischen sicher, dass es der Schauspielerin ernst mit dem Deal war.

"Natürlich kann ich mich noch daran erinnern, Andre." Die Blondine massierte sich kurz die Schläfen. "Ich sage ja auch nicht, dass du vergessen sollst, was passiert ist, oder das du sie mögen sollst, aber-"

"Sie wird unsere Hilfe zum Jahreswechsel hin gerne annehmen, um noch mehr Einfluss innerhalb der Vampirgesellschaft zu erlangen, aber sobald wir ihr die Unannehmlichkeiten aus dem Weg geräumt haben, wird sie sich nicht mehr an den sogenannten Deal erinnern können." Camel schüttelte den Kopf.

"Das weißt du nicht, solange wir es nicht ausprobiert haben. Mal ganz davon abgesehen, dass ich Chris glaube, was würde Mondnebel verlieren, wenn wir ihr helfen? Wir wären in der Lage, Amerikas aktuellen Vampirfürsten zu stürzen und auszuschalten. Das ist so oder so ein großer Gewinn.", hielt Jodie dagegen.

"Es könnte sich auch ganz einfach nur um eine Falle handeln, die es den Vampiren leicht macht Mondnebel erhebliche Verluste zuzufügen.", mischte Akai sich wieder in das Gespräch ein.

"Ich kann durchaus verstehen, dass ihr Zweifel an meiner Motivation habt.", ergriff Chris das Wort.

"Ich habe keine weiße Weste, das ist mir klar. Ich habe nie behauptet, eine von den Guten zu sein, oder die Änderungen aus reiner Nächstenliebe anzustreben." Die Schauspielerin blickte an Jodie vorbei und sah Camel an. "Wenn du dich noch so gut an deinen Aufenthalt in der Bar erinnerst, dann wirst du mitbekommen haben, dass ich mich damals auf den kleinen Deal mit dem Kätzchen hier eingelassen habe, weil es mir vorteilhaft erschien."

Während Jodie schon gar nicht mehr über ihren Spitznamen stolperte, verfinsterten Shuichis und Andres Blicke sich schlagartig. Chris ignorierte diese Tatsache jedoch gekonnt und redete unbeeindruckt weiter: "Ich bin eine Person, die sehr auf ihren eigenen Vorteil bedacht ist, das ist schon wahr. Wenn es gelingt, den aktuellen Anführer zu stürzen und den Ring weiterhin im Besitz der amerikanischen Vampirgesellschaft zu belassen, erspart mir das nicht nur eine Menge Ärger, es ist in der Tat vorteilhaft für mich. Aber ab diesem Moment den Deal vergessen? Nein, wieso sollte ich? Ihr überseht, dass der Deal nicht nur den Vorteil der Machtübernahme bedeutet."

"Ach nein? Was genau meinst du damit, Vampirin?", hakte James nach.

"Die Tatsache, dass Vampirjäger es sich zur Aufgabe gemacht haben und zu erledigen, ist extrem unpraktisch für uns Vampire. Bis dahin könnt ihr mir doch folgen, oder? Wir müssen ständig auf der Hut sein, niemandem von euch in die Arme zu laufen, auch wenn ich damit nicht sage, dass wir wehrlos wären. Allerdings würde es das Leben für beide Seiten angenehmer machen, wenn es zukünftig keinen Grund mehr geben würde Jagt auf uns zu machen. Ihr schützt die Bevölkerung, wir haben euch Jäger nicht mehr ständig im Nacken."

"Das alles nur, damit du zukünftig deine Ruhe hast? Widerlich." Akai warf der Daywalkerin einen kalten Blick zu.

"Praktisch scheint mir der treffendere Begriff zu sein, mein Lieber.", höhnte Chris.

Jodie seufzte leise. Es war nicht das Schlechteste, dass die andere Blondine gar nicht erst versuchte, sich als Mutter Theresa auszugeben und ihre Beweggründe lieber auf Eigennutz stützte, um den Jägern begreiflich zu machen, dass sie auch später noch zu ihrem Wort stehen würde. Auch wenn das vielleicht merkwürdig klang.

Einerseits gefiel ihr diese skrupellose Seite der Schauspielerin selbst ganz und gar nicht, andererseits... nachdem Jodie sie inzwischen besser kennengelernt hatte, flüsterte eine innere Stimme ihr, dass Chris nicht immer so schlimm war, wie sie tat. Was nicht heißen sollte, dass diese Frau ungefährlich war, aber trotzdem, wenn sie über die Daywalkerin nachdachte, die sie bis vor kurzem gedanklich selbst noch als Biest bezeichnet hatte, war da plötzlich dieses warme Gefühl...

Jodie schüttelte den Kopf. Nein, ihre persönlichen Gefühle konnte sie auch zu einem späteren Zeitpunkt hinterfragen. Was zählte war, dass sie es schafften, ihre Kameraden davon zu überzeugen dem Deal zuzustimmen.

"Mag schon sein, dass ihre Gründe zum Großteil selbstsüchtig und moralisch fragwürdig sind, aber wir dürfen das große Ganze nicht aus den Augen verlieren. Wenn Chris sich an den Deal hält, nein, wenn beide Seiten sich an den Deal halten, dann würde das zukünftig jährlich so viele Menschenleben retten. Wir sind doch alle Vampirjäger geworden, weil wir die Bevölkerung schützen wollen. Wie könnten wir den Deal da ablehnen? Jedes Menschenleben, dass gefährdet würde, nur weil wir zu stolz waren diesen Schritt zu gehen, wäre eins zu viel. So verrückt diese Zusammenarbeit auch klingt, sie könnte Gold wert sein, Jungs. Und wenn die Vampire sich nicht an ihr Wort halten sollten, dann haben wir es wenigstens versucht."

Nachdenklich betrachtete ihr Vorgesetzter sie und zupfte abwesend an seinem Bart herum. Auch Camel und Akai schwiegen für einen Moment.

Schließlich stand James von der Bank auf, auf der er bis eben noch gesessen hatte.

"Ich kann schon verstehen, was du meinst, Jodie.", begann er. "Aber das ist eine Entscheidung, die ich nicht alleine treffen möchte. Ich schlage vor, wir drei besprechen uns vor dem Wagen. Du und Vineyard, ihr wartet hier."
 

Nachdem die drei Männer den Wagen verlassen hatten, schnappte nur einen Moment später bereits die Verriegelung des Autos zu.

Jodie zog eine Augenbraue hoch und sah auf. "Die haben uns eingeschlossen? Ernsthaft?"

Chris wirkte wenig überrascht. "Was hast du denn gedacht, Kätzchen? Dich hätten sie vielleicht nicht eingeschlossen, aber wahrscheinlich befürchten sie, dass ich binnen ein paar Minuten zu Fuß von hier verschwinden könnte."

"Zu Fuß? Das ist doch unlogisch. Wir sind hier mitten in der Pampa und du müsstest auf dem Parkplatz an ihnen vorbei. Außerdem haben sie deine Kollegen glauben lassen, dass das FBI deine Zeugenaussage bräuchte. Würdest du jetzt verschwinden, würde dich das verdächtig machen."

Die Schauspielerin verdrehte kurz die Augen. "Das brauchst du mir nicht zu erklären. Mir ist das vollkommen klar, aber deine Kollegen scheinen es für ein wirkliches Risiko zu halten, dass ich abhauen könnte."

Für einige Augenblicke herrschte Schweigen. Beide Frauen dachten über die Situation nach, in der sie sich aktuell befanden. Während Jodie nicht wirklich in Gefahr schwebte, steckte Chris aktuell in echten Schwierigkeiten.

"Mussten die drei sich unbedingt als FBI Agenten ausgeben? Ich will nicht wissen, was die anderen Schauspieler und das Filmteam sich jetzt denken.", murrte die geringfügig ältere Blondine vor sich hin.

"Das ist aktuell deine größte Sorge?", hakte Jodie nach und warf ihrer Sitznachbarin einen schrägen Blick zu. "Im Übrigen ist es noch nicht mal eine Lüge. Mondnebel ist in der Tat ans FBI angedockt. Eine Spezialeinheit, wenn du es so willst. Die große Mehrheit der Bevölkerung würde uns immerhin für verrückt erklären, würden wir öffentlich machen, dass wir Vampire jagen."

Die Ältere gab einen belustigten Laut von sich. "Gar nicht mal so unwahrscheinlich.", stimmte sie Jodie zu, ehe sie sie mit mildem Interesse musterte. "Das bedeutet aber gleichzeitig auch, dass du wirklich eine echte FBI Agentin bist, Kleine?"

Die junge Frau versuchte den erneuten Spitznamen zu überhören und nickte stattdessen. "Genau so ist es.", bestätigte sie, ehe sie das Thema wechselte. "Dein Gehör ist besser als meins. Kannst du hören, was meine Kameraden gerade besprechen?"

Einen Moment lang lauschte Chris, dann schüttelte sie jedoch den Kopf. "Negativ. Deine Kollegen scheinen mein Gehör nicht vergessen zu haben und sind dementsprechend weit vom Auto weg."

Erneut herrschte kurzes Schweigen, welches von der Schauspielerin gebrochen wurde. "Du kannst deine Kollegen besser einschätzen. Was denkst du, wie es jetzt weitergehen wird?"

Jodie dachte über die Frage nach, ehe sie zu einer Antwort ansetzte. "Nun... genau kann ich es dir auch nicht sagen. Uns bleibt nichts anderes übrig als abzuwarten. James ist eine sehr besonnene Person. Ich glaube, er wird wirklich über den Deal nachdenken. Shu ist auch alles andere als auf den Kopf gefallen, aber er wird deutlich schwerer zu überzeugen sein. Um ehrlich zu sein, bereitet er mir derweil die größten Sorgen."

Ohne es wirklich zu realisieren, lehnte Jodie sich ein Stück näher in die Richtung ihrer Gesprächspartnerin, sodass ihre Oberarme sich berührten. Chris kommentierte die Geste nicht, rückte jedoch auch nicht auf Abstand. Die Daywalkerin hätte niemals zugegeben, dass die Nähe der Jüngeren sie in der aktuellen Situation ein wenig beruhigte.
 

Schließlich kehrten die drei Agenten zum Fahrzeug zurück. Die Schauspielerin hatte die Schritte als Erste gehört. Kurze Zeit später wurde der Wagen entriegelt.

Das Licht, welches durch die nun offene Tür ins Wageninnere fiel, blendete schon fast.

Während die Jäger zurück ins Auto kletterten, rückten die beiden Blondinen wieder ein wenig mehr auf Abstand.

Nachdem die Mitglieder Mondnebels wieder ihre ursprünglichen Plätze eingenommen hatten, ruhten Jodies und Chris Blicke auf Black, da wohl niemand aus Akais finsterer Mimik schließen konnte, zu welchem Schluss die drei Männer gekommen waren.

"Also? Wie habt ihr euch entschieden?", hakte Jodie schließlich ganz direkt nach.

James blickte die beiden Blondinen für einige Augenblicke lang schweigend und nachdenklich an, ehe er das Wort ergriff. Die Spannung im Raum war derweil fast greifbar.

"Nun, wir haben die Pros und Contras sorgfältig abgewägt. Das Angebot ist immerhin äußerst risikoreich." Er nickte bedächtig "Dennoch hast du schon Recht, Jodie. Die Menschenleben, die durch einen solchen Deal zukünftig gerettet werden können, sind es wert, es auf einen Versuch ankommen zu lassen."

Die junge Frau blinzelte. Sie brauchte einen Moment, bis sie wirklich realisierte, das sie sich auch nicht verhört hatte. Von einer Sekunde zur anderen fiel ihr eine gefühlt tonnenschwere Last von den Schultern. "Ihr stimmt einem Deal also zu?", hakte sie sicherheitshalber noch einmal nach.

"Wir lassen uns auf das Experiment unter einer Bedingung ein.", ergriff Shuichi nun das Wort und wandte sich schließlich direkt an die Daywalkerin. "Du bist nicht gerade die vertrauenswürdigste Person, Vampirin. Also wirst du Mondnebel noch beweisen müssen, dass es dir ernst ist."

Chris, die den Worten der Jäger zwar aufmerksam gelauscht hatte, der man jedoch nicht angesehen hatte, was aktuell in ihr vorging, zog nun eine Augenbraue hoch. "Ach ja? Und wie genau soll ich das anstellen?"

"Amerikas derzeitiger Vampirfürst ist wie ein großes Phantom. Du bist die Einzige, die er in seine Nähe lässt. Folglich wirst du uns beweisen, dass dir etwas an dem Deal gelegen ist, indem du ihn mit einer versteckten Kamera filmst und Mondnebel das Videomaterial übergibst.", mischte Camel sich nun ein.

Chris wirkte für einen Moment wirklich überrascht, fing sich jedoch schnell wieder. "Ich soll die Identität des Bosses enthüllen, indem ich ihn filme? Und wie habt ihr euch das vorgestellt? Ich kann ihm schlecht eine Blumenvase, mit einer Kamera darin, auf den Tisch stellen.", kam es sarkastisch von ihr. "Der derzeitige Anführer ist ein Urvampir. Er mag zwar in keiner besonders guten Verfassung sein, aber seinen Augen und Ohren entgeht so schnell trotzdem nichts. Wenn ich auffliege, ist der ganze Plan zum Scheitern verurteilt."

"Würde er eine, als Ohrring getarnte, Minikamera bemerken? Ein lautloses Modell, das weder verdächtig blinkt, noch Ähnlichkeiten mit einer Kameralinse hat?", wollte Black wissen.

Chris dachte über die Frage nach. "Nun, das kommt ganz darauf an, wie gut ihr die Tarnung umgesetzt habt." Sie hielt Mondnebels Anführer auffordernd die Hand entgegen. "Ich sehe sie mir mal an.", entschied sie.

Akai mischte sich von seinem Platz neben Black aus ein. "Wir haben die Kamera derzeit nicht dabei. Ich werde sie dir Morgen aushändigen, Daywalkerin."

Angesprochene blickte ihn wenig erfreut an. "Denk nicht mal daran, den zweiten Tag in Folge hier am Set aufzutauchen. Das FBI, das neuerdings regelmäßig auf der Matte steht? Was sollen meine Kollegen sich denken?"

Der Agent winkte lediglich ab. "Die Übergabe findet nachmittags in der Innenstadt statt. Du begibst dich allein zum Treffpunkt, den ich dir kurz vorher mitteilen werde."

Chris schmunzelte, wirkte jedoch trotz allem wenig freundlich. "Keine Sorge, ich werde meine Bodyguards bei Tageslicht nicht mitbringen. Sehen wir mal, wie wir dich in meinem Terminkalender unterbringen können."

"Nicht ich werde mich nach dir richten, du richtest deinen Zeitplan nach mir.", stellte Mondnebels Trumpfkarte klar.

"So, werde ich das? Da kann ich mich wohl richtig glücklich schätzen, dass nicht jeder meiner Fans so kompromisslos ist, was?", höhnte die Schauspielerin.

"Ich werde mit zu dem Treffen kommen.", mischte Jodie sich in das Gespräch ein und ließ den Blick zwischen Shuichi und Chris hin und her wandern. "Ihr wechselt ein paar Sätze und seid schon wieder kurz davor euch die Augen auszukratzen. Nicht auszudenken, wie ein Gespräch unter vier Augen in der Stadt laufen würde." Ihre Stimme hatte etwas tadelndes.

James Black, der der Blondine wohl insgeheim zustimmen musste, lachte leise.
 

"Da das jetzt geklärt ist, solltest du bis zum Jahreswechsel wieder zu Mondnebel zurückkehren, Jodie.", wechselte James schließlich das Thema.

Überrascht blinzelte die junge Frau ihren Vorgesetzten an. Einerseits machte es durchaus Sinn, bis zur Zeit der Entscheidungsschlacht wieder ganz normal zur Arbeit zu gehen, andererseits...

"Das halte ich für keine besonders gute Idee.", widersprach sie also.

"Ach nein?" Nun war James es, der die Blondine fragend anblickte.

"Das Filmteam hält die Kleine für meine Assistentin, im Anwesen ist sie so etwas wie mein menschlicher Schatten. Besonders bei den anderen Vampiren würde es Fragen aufwerfen, wenn sie plötzlich wie vom Erdboden verschluckt wäre.", ergriff Chris das Wort.

"Genau so ist es. Dieses Problem haben wir neulich schon beredet und sind zu dem Schluss gekommen, dass ich das Spielchen in der Zeit bis zum Jahreswechsel noch mitspiele. Inzwischen sind es immerhin keine zwei Monate mehr." erklärte Jodie und ergänzte zwinkernd: "Außerdem ist es für Mondnebel nicht das Schlechteste, ein Mitglied aus den eigenen Reihen ins Vampiranwesen einzuschleusen, oder etwa nicht?"

"Nun, aus dem Blickwinkel habe ich es noch gar nicht betrachtet.", gab Black zu.

"Die Sache gefällt mir nicht.", gab Akai zu bedenken.

"Mir auch nicht.", stimmte Camel ihm sofort zu. "Du bist in diesem verdammten Anwesen nicht sicher, Jodie."

"Es ist nicht so, dass ich den Vampiren vertrauen würde.", begann die Blondine. Und es stimmte. Den meisten der dort Anwesenden vertraute sie wirklich nicht, war sie derzeit doch nur sicher, weil sie unter dem Schutz der zweiten Anführerin stand. Besonders die derzeitigen Gäste des Hauses waren ein Problem. "Aber solange ich in Chris Nähe bleibe, oder aber bei ihren Bodyguards, sollte es in Ordnung sein."

Die Schauspielerin nickte den Jägern zu. "Es ist, wie das Kätzchen es sagt. Meine Leute und ich passen schon auf sie auf."

Andre wirkte alles andere als überzeugt. "Ach ja? Sie soll in diesem Haus sicher sein?", hakte er nach. "Und wo kommen dann die Spuren an Jodies Hals her? Für mich sieht das stark nach Zahnabdrücken aus." Von seinem Platz aus, hatte Camel die Bissspuren am Hals seiner Kameradin als Erster bemerkt.

Die beiden anderen Jäger blickten alarmiert auf. Akais Blick verfinsterte sich merklich, als er die Schauspielerin ansah.

"Die Spuren an ihrem Hals? Nun, das-", begann die Daywalkerin mit einem unbeeindruckten Schmunzeln auf den Lippen, wobei sie den anderen Anwesenden einen kurzen Blick auf die beiden scharfen Vampirfänge gewährte.

"Die Bissspuren haben nichts zu bedeuten.", mischte die Jägerin sich nun selbst ein. "Mich hat nicht einfach irgendjemand angefallen, ich habe ihr erlaubt mich zu beißen, um sich zu heilen.", stellte sie klar und sah kurz zu der Schauspielerin neben sich. "Zum einen hätte ich sie sonst neulich kaum aus Mondnebels Keller bekommen, nachdem gewisse Personen nichts besseres zu tun hatten, als eine Gefangene beinahe krankenhausreif zu schlagen." Bei diesen Worten funkelte sie die Trumpfkarte der Jäger angesäuert an. Akai wandte murrend den Blick ab. "Zum anderen gab es gestern einen kleinen Zwischenfall und es wäre mehr als ungünstig gewesen, hätten die japanischen Vampire gesehen, dass Amerikas Nummer Zwei Federn gelassen hat."

Als sie an den Biss gestern Abend dachte und daran, wie dieser überraschend ausgeartet war, begann ihr Magen zu kribbeln. Verwirrt bemühte Jodie sich, dieses Gefühl bei Seite zu schieben.

"Einen Zwischenfall, bei dem eine ranghohe Vampirin verletzt wurde?", hakte James nach.

"Ja, leicht.", bestätigte Chris kurzangebunden.

"Wenn die zweite Anführerin schon nicht sicher ist, wie ist dann Jodies Sicherheit gewährleistet?", gab Akai zu bedenken.

"Weil die ganze Sache sich bereits geklärt hat. Solange sie sich in unserem Haus, in meiner Nähe aufhält, wird ihr nichts passieren.", stellte Chris noch einmal entschieden klar.

"Mir ist weiterhin nicht wohl dabei.", ergriff Camel das Wort, der sich nach wie vor Sorgen um seine Kameradin machte.

"Meine Entscheidung steht. Ich bleibe in den nächsten Wochen im Anwesen und spiele meine Rolle. Das ist vorteilhaft für Mondnebel und verhindert, das unser Plan auffliegt.", entschied Jodie.

"Wenn du dir einmal etwas in den Kopf gesetzt hast, bist du schwer davon abzubringen.", räumte Black mit einem schiefen Schmunzeln ein.
 

Nachdem das geklärt war, blickte die Schauspielerin demonstrativ auf die schmale Armbanduhr an ihrem Handgelenk. "Gibt es noch etwas anderes zu klären?", wollte sie wissen. "Da Jodie mich morgen Nachmittag in die Stadt begleitet, brauchst du meine Nummer nicht." Sie blickte in Akais Richtung.

"Ich werde mir die Kamera morgen ansehen und entscheiden, ob eure kleine Spionageaktion damit durchführbar ist, oder nicht." Sie deutete auf die Uhr an ihrem Handgelenk. "Wenn vorerst alles gesagt ist, sollte ich langsam zurück zum Set. Der Drehtag ist noch nicht vorbei und meine Kollegen werden sich bereits wundern, was es hier so lange zu bereden gibt."

Kurz hielt Jodie die Luft an. Zwar sparte sie es sich, ihre Sitznachbarin für deren direkte Art zu tadeln, doch eigentlich war Chris aktuell nicht in der Position zu bestimmen, ob und wann dieses Gespräch beendet war.

Camels und Akais Blicken nach zu urteilen, dachten ihre beiden Kameraden das gleiche.

Black hingegen ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Er überlegte kurz und nickte dann.

"Nun gut, belassen wir es vorerst dabei. Mondnebel wird dir morgen die Kamera aushändigen, dann sehen wir weiter."

Auf die Worte seines Vorgesetzten hin, war Camel der Erste, der sich schließlich zögerlich von seinem Platz erhob und wieder aus dem Transporter kletterte, saß er immerhin genau neben der Tür.

Akai folgte ihm. Nach Mondnebels Trumpfkarte stieg die Schauspielerin aus dem Wagen, wobei sie die beiden Jäger gut im Auge behielt. Auf dem Parkplatz angekommen, warf sie sich eine verirrte Haarsträhne zurück über die Schulter.

Nach Chris erhob Jodie sich von ihrem Sitzplatz und machte sich daran das Fahrzeug zu verlassen.

Auch Black hinter ihr war bereits aufgestanden und folgte ihr, schaffte es dann jedoch über seine eigenen Füße zu stolpern.

Der Agent geriet ins Straucheln und stieß versehentlich gegen die Blondine, welche nun ihrerseits aus dem Gleichgewicht geriet und mit einem erschrockenen Laut nach vorne fiel.

Sowohl die beiden Vampirjäger, als auch die Daywalkerin, welche bereits neben dem Auto auf dem Parkplatz standen, sahen das Unglück kommen.

Ganz automatisch machte Shuichi einen raschen Schritt nach vorne, um seine Kollegin aufzufangen, doch Chris kam ihm zuvor. Beherzt griff die Blondine nach der strauchelnden Jägerin. Mit der Nase stieß Jodie gegen das Schlüsselbein der Schauspielerin und beide Frauen taumelten noch einen Schritt zurück, doch schließlich hielt Chris sie sicher und drückte sie leicht an sich.

Nachdem sie realisiert hatte, dass sie nicht den Asphalt küssen würde, sank Jodies Adrenalinpegel wieder. An Stelle des vorherigen Schreckens rückte ein warmes Gefühl und es lag nicht an dem Beinahe-Sturz, das das Herz der Jägerin ein wenig schneller schlug.

Schließlich stellte sie sich wieder gerade hin und die andere Blondine ließ sie ganz automatisch wieder los.

"Danke, Chris.", atmete Jodie auf, ehe sie bemerkte, dass die Vampirin die Augen wütend verengt hatte und irgendetwas hinter Jodie fixierte.

Die junge Frau folgte dem Blick der Anderen und blickte geradewegs zu Black. Ihr Vorgesetzter hatte es noch geschafft den Rand der Fahrzeugtür zu fassen zu kriegen und hatte somit das Gleichgewicht wiedergefunden.

Jetzt erst realisierte Jodie, dass der wütende Blick der Schauspielerin James galt. Weil er sie versehentlich gerempelt hatte? Die junge Frau spürte, das ihre Wangen sich schlagartig wärmer anfühlten.

Im ersten Moment wirkte James selbst noch etwas durch den Wind und erschrocken, dann hatte er sich wieder gefangen und blickte Jodie an. "Entschuldige bitte, Jodie. Das war keine Absicht. Ich bin über meine eigenen Füße gestolpert."

Die Blondine wandte sich ihrem Vorgesetzten nun wieder ganz zu, musterte ihn kurz und schmunzelte schließlich amüsiert. "Schon gut, ist ja nochmal gutgegangen.", winkte sie ab, ehe sie auf Blacks rechten Schuh deutete. "Dein Schnürsenkel ist offen. Vermutlich hat es daran gelegen."
 

Nachdem sie sich von den drei Mitgliedern Mondnebels verabschiedet hatten, machten die beiden Frauen sich wieder auf den Weg in Richtung Strand. Jodie konnte es noch kaum fassen.

Es sah ganz so aus, als würde der Deal wirklich zu Stande kommen. Und das Gespräch war einigermaßen friedlich verlaufen. Man hatte Chris sogar wieder gehen lassen.

Vor ein paar Tagen noch, hätte Jodie diese Tatsache nicht besonders erfreulich gefunden, doch nun fiel ihr eine Last von den Schultern.

Neben ihr atmete Chris auf. Zwar zeigte die Andere es nicht so offensichtlich, doch Jodie konnte sich vorstellen, wie gestresst sie gewesen sein musste.

"Wieder eine Hürde genommen.", stellte Jodie fest, während sie den Pfad in Richtung Strand einschlug. Eine kalte Windböe fegte über sie hinweg und ließ sie frösteln.

"Sieht ganz so aus." Neben ihr zündete Chris sich eine Zigarette an. "Hoffen wir nur, dass wir damit unser Glück nicht bereits ausgeschöpft haben."

Die Jägerin warf ihr einen tadelnden Blick zu. "So negativ solltest du lieber erst gar nicht denken."

"Denken wir lieber darüber nach, was wir den anderen gleich erzählen.", gab Chris zu bedenken und blies eine kleine Wolke Zigarettenrauch aus.

"Als ob du ein Problem damit hättest, dir irgendetwas aus den Fingern zu saugen und fließend in eine Rolle zu schlüpfen."

"Nun, ich lasse mir etwas einfallen.", murrte die Schauspielerin vor sich hin, fröstelte und kuschelte sich ein wenig mehr in ihren Schal.

Derweil machte Jodies Magen mit einem Knurren auf sich aufmerksam, was ihr einen belustigten Blick einbrachte. "Was denn? Ich wollte gerade frühstücken, als meine Kollegen aufgetaucht sind.", grummelte sie.

"Ich bin mir sicher, die anderen haben dir noch Kaffee und etwas zu Essen übrig gelassen.", amüsierte Chris sich.

Kaum, dass die beiden Frauen das restliche Filmteam erreicht hatten, wurden sie in der Tat auch schon von den neugierigen Kollegen der Schauspielerin umringt und mit Fragen gelöchert. Jodie hatte das Gefühl, als wären sie von jetzt auf gleich in eine andere Welt eingetaucht, kaum das sie das Set erreicht hatten. Mondnebel und die Vampire rückten vorerst in den Hintergrund.

Wie sie es sich bereits gedacht hatte, fiel es Chris in der Tat nicht schwer, sich ohne jede Vorbereitung eine stimmige Geschichte auszudenken, um den anderen eine Erklärung zu liefern, warum um Himmels Willen das FBI so plötzlich aufgetaucht war. Jodie beschloss, dass sie einfach mitspielen, aber am besten der Daywalkerin den größten Teil der Erklärungen überlassen sollte.

Derweil nahm sie dankbar eine Tasse Kaffee entgegen, die einer der anderen Assistenten ihr reichte.

Das Gespräch mit Mondnebel hatten sie vielleicht gemeistert, doch der eigentliche Plan konnte damit erst wirklich starten. Nun, später konnte er das. Erst einmal galt es den Drehtag und die eisigen Temperaturen zu überstehen.

In der folgenden Nacht lag die junge Frau die meiste Zeit über wach auf dem Sofa und hing ihren Gedanken nach. Obwohl sie normalerweise kein Problem damit hatte, auf dem gemütlichen Dreisitzer zu schlafen, nach dem Gespräch, welches sie am Abend noch mitbekommen hatte, kreisten ihre Gedanken ganz automatisch immer wieder um das selbe Thema.
 

~~~ Flashback ~~~

Um sich in der Bar sehen zu lassen und keinen Verdacht zu erwecken, allerdings auch um Chris ihr Auto zurückzubringen, hatte Curaçao am Abend noch im Anwesen vorbeigesehen.

Rena hatte sie selbstverständlich nicht mitgenommen, doch der Ort, an dem sie untergetaucht waren, schien sicher genug zu sein, um die Brünette für einige Stunden allein zu lassen.

Da Jodie es nach Möglichkeit vorzog, die Bar abends gar nicht erst zu betreten, da sie sich an den Anblick der ganzen Vampire dort und vor allen Dingen der Menschen, deren Blut tagtäglich in den Gläsern landete, niemals würde gewöhnen können, war sie oben im Wohnzimmer der Daywalkerin geblieben.

Nach einer Weile hatte diese sich, in Begleitung ihrer Bodyguards, zu ihr gesellt. Kaum, dass die Vier einige Worte miteinander gewechselt hatten, hatte ein Rumpeln aus einem der gegenüberliegenden Zimmer ihre Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Wenig später war die Ursache für den Krach bereits entdeckt. Im begehbaren Kleiderschrank der Schauspielerin, hatte eine Kleiderstange unter der schieren Last nachgegeben und war letztlich zusammengebrochen.

Natürlich hatte Chris sich nicht selbst um das Problem gekümmert - eine Tatsache, die Jodie inzwischen längst nicht mehr überraschte.

Gemeinsam mit Rei hatte die Blondine sich schließlich an die Reparatur gemacht, wobei sie der Unterhaltung aus dem Wohnzimmer problemlos hatten folgen können.

"...Vor mir versucht sie die Fassung zu bewahren, aber sie weint sich die Augen aus, wenn sie glaubt, dass ich es nicht mitbekomme.", hatte sie Curaçao betroffen berichten hören. "Und sie dazu zu bekommen, etwas zu trinken, ist schwerer als einer Katze eine Tablette einzuflößen."

Jodie hörte wie die Silberhaarige seufzte. "Als wenn es nicht schon gereicht hätte, ständig darauf zu achten, dass du genug trinkst und deinen eigenen Kopf nicht eines Tages noch vergisst."

"Na komm, so schlimm bin ich nun auch wieder nicht.", hatte sie Chris mit leicht amüsierter Stimme antworten hören, ehe sie wieder ernster wurde. "Gib ihr einfach ein wenig Zeit. Für eine ehemalige Vampirjägerin ist es härter als für jeden anderen frischgebackenen Vampir, sich an diese Art der Nahrungsumstellung zu gewöhnen."

"Vermutlich hast du Recht. Vielleicht sollte ich heute mal ein paar verschiedene Blutgruppen zur Auswahl mitnehmen."

"Ich glaube kaum, dass das das eigentliche Problem ist."

"Das weiß ich doch... trotzdem, irgendetwas muss ich doch für sie tun können. Ich habe Angst, dass sie tagsüber noch das Fenster öffnen könnte, wenn ich für einen Moment nicht im Raum bin."

"So ein Quatsch. Ich denke kaum, dass sie das tun wird. Kir braucht ganz einfach Zeit um sich mit der neuen Situation abzufinden. Sie wird schon nichts dummes anstellen, erst recht nicht, wo der Jahreswechsel nur noch einen Wimpernschlag entfernt ist und sie die Gelegenheit bekommt, uns dabei zu helfen, unseren Gästen gehörig in den Hintern zu treten.", versuchte Vermouth Curaçao derweil zu beruhigen.

Jodie war sich erst der Tatsache bewusst geworden, dass sie sämtliche Aufmerksamkeit dem Gespräch der beiden Vampirinnen gewidmet hatte, als Rei sie mit einem Kleiderbügel anstupste.

"Hey, Erde an Jodie.", sprach er sie mit einem schiefen Schmunzeln auf den Lippen an. "Mich interessiert das Gespräch auch, aber lassen wir die beiden am besten unter vier Augen reden." Schließlich deutete er mit einem Nicken in Richtung des auf dem Boden verteilten Werkzeugs.

"Gibst du mir mal den Akkuschrauber? Die Kleiderstange repariert sich nicht von allein."

Die junge Frau seufzte, schnappte sich besagte Maschine und reichte sie dem Blonden.

"Glaubst du wirklich, dass das hält? Bei den ganzen Klamotten, die normalerweise hier aufgehängt werden, kracht die Stange doch in spätestens fünf Minuten wieder runter." Sie verdrehte die Augen.

Das dieses verzogene Sternchen von Schauspielerin auch gefühlt den gesamten Inhalt einer mittelgroßen Boutique in ihrem Kleiderschrank lagern musste... und dabei hatte sie die ganzen Schuhe noch gar nicht mitgezählt.

~~~ Flashback Ende ~~~
 

Die Erinnerungen an das Gespräch zwischen Chris und Curaçao waren es, die die junge Frau wach hielten. Sie machte sich Sorgen um Sternenstaubs Jägerin. Nach dem, was Curaçao berichtet hatte, erst recht. Hoffentlich behielt Chris Recht und Rena brauchte wirklich nur etwas Zeit, um sich an die neue Situation zu gewöhnen, so katastrophal sie auch sein mochte.

Die Blondine hatte nicht lange geschlafen und war bereits früh am Morgen wieder wach. So früh, dass sie den Wecker der Schauspielerin diesmal klingeln hörte.

Jodie streckte sich, gähnte hinter vorgehaltener Hand, schlug die Decke zurück und setzte sich auf.

Als sie gerade ihre Brille vom Wohnzimmertisch gegriffen und aufgesetzt hatte, wurde die Tür zum Wohnzimmer bereits geöffnet.

Die Jägerin wandte den Blick und spürte, wie ihre Lippen sich zu einem amüsierten Schmunzeln verzogen. Der Anblick, der sich ihr bot, war genau so ungewöhnlich wie goldig.

Normalerweise war die Schauspielerin stets top gestylt und modisch gekleidet... gerade jedoch...

Die Daywalkerin wirkte noch nicht ganz wach, die Haare vom Schlafen noch ganz durcheinander. Ungeschminkt, verschlafen und gekleidet in einen plüschigen, weißen Bademantel und den dazu passenden Hausschuhen, tappte sie ins Wohnzimmer.

Natürlich tat sie das, immerhin musste sie das Zimmer durchqueren, wenn sie ins Bad wollte.

Chris hatte augenscheinlich damit gerechnet, Jodie wie immer noch schlafend auf dem Sofa vorzufinden. Beim Anblick der bereits wachen jungen Frau, blieb die Schauspielerin kurz stehen und stutzte merklich. "Du bist schon wach?", hakte sie erstaunt nach.

"Und du allem Anschein nach noch nicht wirklich.", antwortete Jodie ihr belustigt.

Angesprochene gähnte hinter vorgehaltener Hand, ehe sie schließlich weiter in Richtung Bad lief.

"Der Wecker hat mich aus dem Schlaf gerissen. Aber nach einer Dusche geht es mir besser."

Jodie stand vom Sofa auf, ging ebenfalls in Richtung Badezimmer und lehnte sich gegen den Türrahmen.

Sie folgte Chris mit dem Blick und beobachtete, wie die Schauspielerin ihr verschlafenes Spiegelbild kurz missfallend betrachtete (von wegen Vampire hätten kein Spiegelbild!), ehe sie damit begann die Kleidung, die sie mitgebracht hatte, auf einem Schränkchen abzulegen und schließlich Handtücher, Shampoos und Duschgel in Richtung Dusche zu sortieren. Bei den ganzen Produkten, die sich hier im Bad fanden, hatte man jeden Tag aufs neue die Qual der Wahl.

"Wie kommt es, dass du nicht noch im Tiefschlaf auf dem Sofa liegst? Normalerweise könnten die Einbrecher dich problemlos aus dem Haus tragen.", erkundigte Chris sich und störte sich nicht wirklich daran, dass die Jüngere im Türrahmen lehnte.

"Ich konnte die ganze Nacht über nicht schlafen.", erklärte Jodie ihr und gähnte. Natürlich war sie jetzt übermüdet. Das blieb auch kaum aus, wenn man erst mitten in der Nacht überhaupt dazu kam schlafen zu gehen und dann doch nur wach lag. "Rei und ich, wir haben mitbekommen, worüber Curaçao und du gestern gesprochen habt, während wir die Kleiderstange repariert haben. Ich mache mir Sorgen um Rena.", gab die Blondine ganz offen zu. Das sie ihre Gedanken so einfach mit der Vampirin teilte, überraschte sie dabei selbst. Noch vor kurzem hätte sie das sicher nicht getan, doch ihre Beziehung zu der anderen Blondine hatte sich verändert.

"Wie ich Curaçao gestern schon gesagt habe, wird sie ganz einfach eine Weile brauchen, bis sie sich mit der neuen Situation abfinden kann. Leicht wird es sicherlich nicht für sie, aber ich denke, dass sie trotz allem ihren Platz in dieser Gesellschaft finden wird."

"Ich hoffe du hast Recht." Mondnebels Jägerin seufzte und beobachtete ihre Gesprächspartnerin dabei, wie diese ihre Hausschuhe ein Stück weit von der Dusche entfernt abstellte.

"Chris...?", sprach Jodie die Andere erneut an, nachdem einige Augenblicke lang Schweigen geherrscht hatte. "Wie lange hast du damals gebraucht, um dich mit all dem abzufinden?"

Die andere Blondine hielt inne, wandte sich Jodie zu und dachte einen Moment lang über deren Frage nach. "Ein paar Wochen vielleicht, bis ich mich an die Nahrungsumstellung gewöhnt habe. Einige Monate, bis ich begonnen habe, mich an das Leben in dieser Gesellschaft zu gewöhnen.", antwortete sie ihr schließlich. "Aber bei mir war das etwas anderes als bei Kir jetzt. Ich habe von Anfang an die Zähne zusammengebissen und mich auf dieses neue Leben eingelassen, weil ich verhindern wollte, dass einer meiner Kollegen bemerkt, dass irgendetwas anders ist. Als Schauspielerin fällt es mir leicht, ganz einfach eine Rolle zu spielen und ein wenig kann man sich damit auch selbst blenden. Aber wie ich schon sage, ich bin Schauspielerin. Ich hatte nie diesen tiefen Hass gegen Vampire, wie es bei einem Jäger der Fall ist. Außerdem bin ich mit offenen Armen empfangen und in dieser Gesellschaft integriert worden. … Und ich kann mich weiterhin problemlos bei Tageslicht draußen bewegen. Ich habe mein altes Leben nie wirklich verloren. Die Kleine hingegen..., nun, sie ist plötzlich selbst das, was sie die ganze Zeit über gejagt hat. Sie wird nie wieder echtes Tageslicht sehen können und sie weiß, dass sie ihren Beruf nicht länger ausüben kann." Chris strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und fuhr fort: "Aber sie hat Curaçao, die sie auffängt und wenn alles so läuft, wie wir es planen, dann hat sie zum neuen Jahr hin genug damit zu tun, eine Brücke zwischen Menschen, Jägern und Vampiren zu bauen. Sie findet ihren Platz schon noch."

Während Jodie die Worte ihrer Gesprächspartnerin sacken ließ und darüber nachdachte, beobachtete sie, wie die Schauspielerin aus ihrem Bademantel schlüpfte und schließlich unter die Dusche stieg.

Die junge Frau war nicht prüde, dennoch konnte sie nicht verhindern, dass ihre Wangen sich schlagartig wärmer anfühlten als eben noch und die Bilder sich förmlich in ihr Gedächtnis brannten.

"H-hey! Wie wäre es mal, wenn du mich vorwarnen würdest?!", beschwerte sie sich.

Chris musterte Jodie durch das Glas der Dusche unbeeindruckt. Ein amüsiertes Schmunzeln schlich sich auf ihre Lippen. "Du bist es doch, die sich zu mir ins Bad gestellt hat. Außerdem glaube ich kaum, dass es da irgendetwas zu sehen gäbe, was du nicht auch hättest."

Die Jüngere grummelte etwas Unverständliches vor sich hin und zog es vor, sich erst einmal aus dem Bad zurückzuziehen.
 

Später am Tag, der Nachmittag wich bereits langsam dem Abend, war die junge Frau einfach nur froh, wieder zurück in ihrem vorübergehenden Zuhause zu sein. Kurz zuckten ihre Mundwinkel. Vorübergehendes Zuhause, dass ausgerechnet sie dieses Vampirnest gedanklich so betitelte, nur weil sie in den nächsten Wochen hier leben würde.

Nach einem weiteren eisigen Tag am Set, waren die Dreharbeiten am Strand vorerst beendet. Vermutlich war Jodie ähnlich froh darüber wie das Filmteam.

Nach der Arbeit waren Chris und sie in die Stadt gefahren, um sich mit Akai zu treffen, wie sie es am Vortag vereinbart hatten. Zuvor hatten die beiden Frauen einen kurzen Zwischenstopp in einem etwas unbelebteren Teil der Großstadt eingelegt, um der Schauspielerin die Gelegenheit zu geben, einmal mehr in eine Verkleidung zu schlüpfen. Nicht, damit Mondnebels Trumpfkarte sie nicht erkannte, sondern viel mehr, damit New Yorks Zivilbevölkerung sie nicht ständig belagerte.

Einerseits verstörte es Jodie immer noch, wie leicht die andere Blondine in der Lage war, in eine andere Rolle zu schlüpfen und sich dabei selbst nicht mehr ähnlich sah, andererseits war es beinahe auch ein wenig amüsant, dass Chris sich auf diese Art und Weise unerkannt durch die Stadt bewegen konnte und die Jägerin die Einzige war, die in diesem Moment wusste, um wen es sich bei ihrer Begleiterin handelte.

Was hingegen weniger amüsant gewesen war, war die Tatsache, dass Akai und die Schauspielerin in diesem Leben wohl keine Freunde mehr werden würden. Als sie sich mit dem Scharfschützen in der Stadt getroffen hatten, hatte es nur wenige Sätze gebraucht, bis die beiden sich einmal mehr feindselig angefunkelt hatten. Jodie seufzte. Sie hatte schon gewusst, warum sie ebenfalls an dem kurzen Treffen teilgenommen hatte.

Immerhin bei der Übergabe, der als Ohrstecker getarnten Kamera, war es zu keinen weiteren Zwischenfällen gekommen. Chris hatte sich die kleine Spionagevorrichtung noch am Treffpunkt angesehen und war der Meinung, dass es tatsächlich klappen könnte. Die Jägerin hoffte es. Außerdem konnte sie nicht leugnen, dass sie schon ein wenig neugierig war, den Boss der amerikanischen Vampirgesellschaft endlich zu Gesicht zu bekommen, und sei es auch nur auf einer Videoaufnahme.
 

Nachdem die beiden Frauen zurück im Anwesen waren, welches zu dieser Uhrzeit noch so gut wie ausgestorben war, hatte Jodie sich zurück ins Wohnzimmer der Schauspielerin begeben und den Fernseher eingeschaltet, während die Ältere in Richtung des begehbaren Kleiderschranks verschwunden war.

Halbherzig verfolgte Jodie die Nachrichten und tippte nebenbei auf ihrem Handy herum. Sehr zu ihrer Zufriedenheit, hatte Amerikas stellvertretende Anführerin es nach dem Gespräch mit Mondnebel gestern, nicht länger für nötig befunden, das Smartphone der Jägerin einzukassieren, während sie sich im Anwesen aufhielten. Genug mit der Geheimniskrämerei. Sogar den Weg zurück zum Anwesen, bei dem es sich im übrigen um eine alte Villa mit riesigem Gelände handelte, kannte die Blondine nun.

Sie legte ihr Smartphone zur Seite und dachte nach. Die junge Frau war ganz eindeutig zufrieden damit, in welche Richtung die geplante Zusammenarbeit zwischen Mondnebel und den Vampiren sich entwickelte. Die Kameraaufnahmen würden den Deal in Stein meißeln. Ganz generell war es gut zu wissen, dass die andere Blondine ihr inzwischen ein gewisses Vertrauen entgegenbrachte.

Noch ehe sie weiter über die aktuelle Situation nachdenken konnte, wurde Jodie aus ihren Gedanken gerissen, als in einem angrenzenden Zimmer der Klang des Flügels ihre Aufmerksamkeit auf sich zog.

Ganz automatisch hielt sie inne, stellte den Fernseher leiser und lauschte. Chris fand nicht täglich die Zeit dazu, das Instrument zu spielen, doch sie war gut darin und Jodie mochte es, wenn der Klang des Flügels den Trakt des Anwesens erfüllte.

Nachdem sie eine Weile lang vom Sofa aus zugehört hatte, schaltete die junge Frau den Fernseher schließlich ganz aus, stand von ihrem Platz auf und tappte aus einer spontanen Eingebung heraus über den Flur.

Vor der geschlossenen Zimmertür, hinter der der Flügel sich befand, hielt sie kurz inne, zögerte, klopfte dann jedoch und betrat ohne eine Antwort abzuwarten den Raum.

Wie sie es bereits erwartet hatte, fand sie die Schauspielerin vor dem Flügel sitzend wieder. Chris trug ein schwarzes Kleid, die platinblonden Haare hatte sie locker zurückgebunden.

Kaum, dass Jodie den Raum betreten hatte, hielt die Andere inne, wandte sich ihr zu und blickte sie fragend an. Ein wenig bedauerte die Jägerin es, dass der Klang des Flügels verstummt war.

"Ich wollte dir zuhören, wenn du nichts dagegen hast.", erklärte Jodie und zog die Tür hinter sich wieder zu.

"Mach das, wenn du willst." Glücklicherweise schien Chris sich nicht daran zu stören, dass die junge Frau sich zu ihr gesellt hatte um dem Instrument zu lauschen. Doch anstatt weiterzuspielen, kam der Daywalkerin eine Idee. "Willst du es auch mal probieren?"

Jodie stutzte und schüttelte schließlich schmunzelnd den Kopf. "Nein, ich fürchte ich bin ein hoffnungsloser Fall, was das betrifft. Es reicht mir schon vollkommen dir zuzuhören."

Mit diesen Worten schritt sie durch den Raum, betrachtete dabei den Spiegel, welcher die ganze Wand bedeckte und nahm schließlich auf dem grauen Loungesofa Platz, welches in einer Ecke des Zimmers stand. Auf dem kleinen Wohnzimmertischchen davor entdeckte sie die Kopie eines Drehbuchs und dutzende einzelne Seiten und Notizen, welche im perfekten Chaos über den Tisch verstreut worden waren.

"Na wenn du meinst.", antwortete Chris ihr noch amüsiert, ehe sie sich wieder dem Flügel zuwandte und erneut zu spielen begann.
 

Jodie lauschte der Melodie und betrachtete die andere Blondine, während diese auf dem Flügel spielte. Chris wirkte ganz entspannt, während sie vor dem Flügel saß und ihre Finger elegant und in spielerischer Leichtigkeit über die Tasten jagten, als wäre es das einfachste der Welt, jedes Mal den richtigen Ton zu treffen. Dem Notenblatt, welches auf einem kleinen Notenständer vor ihr auf dem Instrument stand, schenkte sie dabei nur mäßig viel Beachtung.

Auf die Lippen der Jägerin schlich sich ein Lächeln. Das die Andere Spaß am Spielen hatte, war ihr anzusehen. Für einen Moment schien es Chris zu gelingen, den ganzen Alltagsstress auszublenden.

Und auch Jodie selbst musste zugeben, dass sie den Klang des Flügels mochte. Sie lauschte der Melodie gern und entspannte sich ebenfalls.

Um es gemütlicher zu haben, zog sie schließlich die Beine hoch aufs Sofa und rollte sich auf der Seite zusammen. Kurz schloss sie die Augen.

Eine Weile lang lag sie einfach nur so da, ehe sie blinzelte und ihr Blick schließlich wieder auf der Daywalkerin haftete. Wieder war da dieses warme Gefühl in ihrer Magengegend. Sie konnte nicht leugnen, dass sie das aktuelle Schweigen nicht störte und sie sich wohl in der Nähe der Vampirin fühlte. Ein Lächeln schlich sich auf Jodies Lippen, während sie die andere Blondine betrachtete.

Dann stutzte sie über ihren letzten Gedankengang. Sie fühlte sich wohl in Chris Nähe. Ausgerechnet. Es war nicht das erste Mal in der letzten Zeit, dass sie sich dieser Tatsache bewusst wurde, doch aktuell hatte sie die Zeit und die nötige Ruhe, um wirklich über diese Ironie des Schicksals nachzudenken.

Diese Frau hatte sie bis vor kurzem noch wie ein Dienstmädchen herumgescheucht und sie mit Andres Leben erpresst. Sie hatte sich über Mondnebel lustig gemacht und hatte Jodies Nerven mehr als einmal bis zum Zerreißen strapaziert.

Überraschend hatte Chris sich als Verbündete entpuppt, auch wenn sie den Vampirjägern nicht aus Gutmütigkeit, sondern viel mehr aus Eigennutz einen Deal vorgeschlagen hatte. Nichts desto trotz besaß sie nicht nur einen äußerst launischen, sondern auch einen mehr als skrupellosen Charakter. Und dennoch... die andere Blondine hatte auch ihre guten Seiten. Neulich hatte sie sie sogar beschützt.

Jodie seufzte lautlos und massierte sich die Schläfen, während ihr Blick auf dem Rücken der Schauspielerin ruhte. Trotz allem was vorgefallen war, sie hasste Chris nicht länger. Im Gegenteil, sie mochte sie. Sehr sogar. Irgendwie hatte dieses verzogene, arrogante Sternchen es geschafft, sich in ihr Herz zu schleichen, auch wenn sie selbst nicht wusste, wie und wann genau das passiert war.

Und genau das war die Ironie an der ganzen Sache. Nicht die Tatsache, dass sie eine andere Frau mochte, verwirrte sie. Nein, das Problem war offensichtlich und eindeutig ganz anderer Natur. Sie selbst war eine überzeugte Jägerin Mondnebels, die Schauspielerin eine Vampirin. Ausgerechnet.

Sie hatte so viele Kollegen durch Vampirangriffe verloren. Schlimmer noch, als Kind hatte sie ihre gesamte Familie aufgrund dieser Monster verloren und jetzt... jetzt lag sie hier seelenruhig auf dem Sofa, in einem gottverdammten Vampiranwesen und schmachtete die Daywalkerin mit dem perfekten Gesicht an.

Das war doch verrückt. Sie musste eindeutig vollkommen den Verstand verloren haben.

Jodie hätte sich die Haare raufen mögen. Als sie sich eine verirrte Strähne aus dem Gesicht strich, berührte sie dabei mit dem Zeigefinger ihre Brille. Das Brillengestell hatte ursprünglich ihrem Vater gehört. Nachdenklich strich sie erneut darüber. Vater war durch die Hände eines Vampirs ums Leben gekommen. Sie vermisste ihn noch immer jeden Tag, auch wenn die Katastrophe inzwischen schon über zwanzig Jahre in der Vergangenheit lag.

Das sie Vampirjägerin geworden war, dafür hätte ihr Vater mit Sicherheit Verständnis gehabt, davon war Jodie überzeugt. Doch ob er auch Verständnis dafür aufbringen könnte, dass seine einzige Tochter ausgerechnet Gefühle für eine Vampirin entwickelt hatte? Zwar würde er ihr diese Frage nicht beantworten können, doch sie bezweifelte es.

//Wann um Himmels Willen hat das angefangen?//, fragte sie sich in Gedanken selbst. Nicht erst neulich bei dem Vorfall im Weinkeller, so viel war klar.

Und nicht nur das. Als würde es nicht schon reichen, dass sie die andere Blondine mochte, inzwischen gab es eine Hand voll Vampire, die Jodie als wirklich in Ordnung einstufte. Zwar war sie weiterhin ein überzeugtes Mitglied Mondnebels und brachte den meisten Vampiren eine starke Abneigung entgegen, doch in ihrer Zeit in diesem Anwesen hatte sie wohl oder übel auch gelernt, dass nicht alle Vampire grausam waren. Es gab Ausnahmen. Curaçao und Bourbon zum Beispiel und natürlich Rena, die sich diese Miesere ganz sicher nicht freiwillig ausgesucht hatte.
 

Die Melodie verstummte und erneut wurde Jodie aus ihren Gedanken gerissen. Von ihrem Platz auf dem Sofa aus, blinzelte sie Chris fragend entgegen. "Was ist? Warum hast du aufgehört zu spielen?", wollte sie etwas träge wissen.

"Weil wir schon eine halbe Ewigkeit hier sitzen, vielleicht?", antwortete die Ältere belustigt und stand auf. Sie streckte sich, räumte die Noten bei Seite und gesellte sich schließlich zu Jodie.

"Hey, rutsch mal ein Stück.", forderte Chris sie auf, hatte die Jüngere doch das gesamte Sofa in Beschlag genommen, als sie sich der Gemütlichkeit halber seitlich daraufgelegt hatte.

Die Jägerin stützte sich auf dem Sofa ab und brachte sich in eine halb sitzende Position. Fragend blickte sie die Schauspielerin an, doch diese nahm lediglich auf dem nun frei gewordenen Stück Sofa neben ihr Platz.

Chris griff nach dem Drehbuch, welches auf dem Wohnzimmertisch gelegen hatte, blätterte darin und begann schließlich den Text darin zu studieren.

"Das Drehbuch von der Serie, in der du aktuell mitspielst?", erkundigte Jodie sich.

Angesprochene nickte kurz. "Genau so ist es. Ich will mich nochmal auf die Szene vorbereiten, die wir morgen drehen."

Die Jüngere reckte sich ein wenig, um nun ihrerseits einen Blick auf den Text riskieren zu können. Allem Anschein nach handelte es sich dabei größtenteils um Dialoge und knappe Beschreibungen der jeweiligen Szene und Umgebung. Hier und da fanden sich handschriftliche Randnotizen in der Kopie.

"Das liest sich für mich so, als würden die morgigen Dreharbeiten wieder im Studio stattfinden. Zum Glück geht es nicht wieder an den Strand." Allein bei der Erinnerung daran, gestern und heute die meiste Zeit über in der Kälte herumgesessen zu haben, zog Jodie ein Gesicht.

Chris lachte leise. "Was denn? Hat da etwa jemand gefroren?", zog sie sie auf.

"Nein, natürlich nicht. Ich bin lediglich dein ewiges Gejammer über Sand in den Schuhen leid.", ging Jodie grinsend auf die Neckerei ein.

"Der ganze Sand erscheint mir noch das geringste Problem. Falls du es vergessen haben solltest, mein Kollege hat einen Krebs gefunden - mit dem Zeh."

"Der Arme!", äußerte die junge Frau sofort, der der kleine Zwischenfall natürlich noch in Erinnerung geblieben war. Beide mussten sie nun darüber lachen und erneut stellte Jodie fest, wie angenehm die Gesellschaft der anderen Blondine sein konnte.

Das sie sich jemals wohl in der Nähe dieser Vampirin fühlen könnte, noch vor einigen Wochen hätte sie so etwas für unmöglich gehalten. Und doch, nun neben Chris zu sitzen, ganz ungezwungen mit ihr zu reden und gemeinsam das Drehbuch zu studieren, fühlte sich nur natürlich und richtig an.

"Du bist eine der wenigen Personen, die nicht wirklich zum Filmteam gehören und bereits einen Blick auf das Skript riskieren dürfen.", stellte Chris gerade fest. "Was du hier liest, bleibt bitte auch in diesem Raum."

Jodie blickte die Ältere an und zog eine Augenbraue hoch. "Was erwartest du, was ich tue? Ich werde schon nicht in die Stadt fahren um dort den Leuten zu verraten, was sie in der neuen Staffel erwarten wird." Sie grinste.
 

Die Beine immer noch auf dem Sofa, hatte die Blondine sich die ganze Zeit über in einer halb sitzenden, halb liegenden Position befunden, seitdem sie der Schauspielerin ein wenig Platz eingeräumt hatte. Mit einer Hand hatte sie sich auf der Sitzfläche des Sofas abgestützt und sich ein wenig in Richtung der Daywalkerin gereckt, um ebenfalls einen Blick in das Drehbuch erhaschen zu können. Die aktuelle Situation war genau so angenehm wie entspannt gewesen, bis die Jägerin schließlich mit der Hand, mit der sie sich auf dem Sofa abgestützt hatte, abrutschte und es ein kurzes Stück abwärts ging. Nun lag sie wieder auf dem Sofa, diesmal jedoch unverhofft mit dem Kopf auf dem Schoß der Schauspielerin.

Diese blickte die Jüngere im ersten Moment überrascht, dann jedoch überaus amüsiert an, während Jodie selbst sich für einige Sekunden wünschte, einfach nur im Erdboden versinken zu können.

Das war nun nicht beabsichtigt gewesen. In der Nähe der Daywalkerin zu sitzen, war noch einmal etwas gänzlich anderes, als deren Oberschenkel spontan als Kopfkissen umzufunktionieren. Sie spürte, wie ihre Wangen sich schlagartig wärmer anfühlten und ihr Herz von innen wie wild gegen ihren Brustkorb hämmerte.

Ob die Vampirin ihren Herzschlag wahrnehmen konnte? Das Gehör der Daywalkerin war immerhin mehr als gut ausgeprägt. Nein,... darüber ob Chris ihr wie wild klopfendes Herz hören konnte oder nicht, sollte sie lieber erst gar nicht nachdenken, das machte es gleich noch viel peinlicher.

Und was jetzt? Alles in ihr schrie danach, sich ruckartig wieder aufzusetzen, doch darüber würde die Schauspielerin sich sicherlich nur noch mehr amüsieren. Außerdem war die junge Frau doch kein unsicherer Teenie mehr!

Chris strich ihr einige verirrte Strähnen aus dem Gesicht, wobei ihre Finger leicht ihre Wange streiften. "Was denn? Plötzlich so anschmiegsam? So kenne ich dich ja gar nicht, Kätzchen.", amüsierte sie sich.

"Das war ein Unfall.", murrte Jodie vor sich hin und plusterte kurz die Wangen auf, was ihr ein belustigtes Schmunzeln von Chris einbrachte. Schließlich fasste sie einen Entschluss. Nein, sie würde diesmal nicht ihrer ersten Eingebung folgen und peinlich berührt aufspringen, denn damit rechnete die Schauspielerin höchst wahrscheinlich insgeheim bereits.

Stattdessen fasste sie sich ein Herz, drehte sich lediglich auf den Rücken, um ihre Gesprächspartnerin besser ansehen zu können, blieb ansonsten jedoch genau dort liegen, wo sie nun einmal eben gelandet war. "Aber wenn ich es mir recht überlege: du wolltest mich eben noch aufscheuchen, obwohl es viel gemütlicher war auf dem Sofa zu liegen. Also leb damit."

So selbstbewusst und selbstverständlich ihre Stimme auch klang, innerlich war die Jägerin nicht so ruhig. Viel mehr fühlte sie sich wie eine unsichere 14-Jährige, in deren Magen gerade ein ganzer Schmetterlingsschwarm tobte. Ihre Wangen fühlten sich zudem verdächtig warm an. Hoffentlich glühte ihr Gesicht nicht ganz so offensichtlich, wie es sich anfühlte!

Im Gegensatz zu ihr selbst, schien die Situation die Schauspielerin nicht im geringsten aus der Bahn zu werfen. Chris amüsierter Blick ruhte auf ihr, während sie rein gar nichts unternahm, um Jodie wieder zum aufstehen zu bewegen. "Ich soll damit leben? Nun, dann kann ich wohl kaum etwas dagegen sagen, was?", scherzte die andere Blondine.

Sie strich Mondnebels Jägerin erneut einige Strähnen aus dem Gesicht, fast so, als würde sie einer echten Katze über den Kopf streicheln.

Unter der Berührung der Älteren kribbelte Jodies Haut, der Schmetterlingsschwarm in ihrem Bauch tobte. Sie musterte für einen Moment die smaragdgrünen Augen der Anderen, in denen sich nach wie vor der kleine, blaue Sprenkel befand, der dort bis vor Kurzem eindeutig noch nicht gewesen war. Täuschte sie sich, oder wirkte das neckische Funkeln im Blick der Schauspielerin derzeit etwas sanfter als gewöhnlich?
 

Anstatt das Gespräch weiter fortzuführen, suchte auch Chris sich eine gemütlichere Sitzposition. Mit der rechten Hand hielt sie das Drehbuch und begann wieder darin zu lesen, mit links strich sie der Jüngeren weiterhin geistesabwesend übers Haar.

Langsam normalisierte Jodies Herzschlag sich wieder. Chris schien sich ganz auf das Drehbuch und die Vorbereitung auf ihre Rolle morgen zu konzentrieren, während es sich für sie selbst langsam normaler anfühlte, den Schoß der Älteren als Kopfkissen umfunktioniert zu haben.

Das sie sich einmal in dieser Position wiederfinden würde, die sie sich zudem auch noch selbst und ganz freiwillig ausgesucht hatte... Sie fühlte sich wie im falschen Film, wobei es ein gutes Gefühl war, welches neben der derzeitigen Verwirrung in ihrem Magen kribbelte.

Es wunderte sie ehrlich gesagt, dass Chris diese Nähe überhaupt zuließ und ganz komfortabel damit wirkte. Die andere Blondine hatte vollkommen gelassen und selbstverständlich reagiert.

Auf Jodies Lippen legte sich ein Schmunzeln. Nun, Chris war eben nicht immer das verzogene Sternchen, wie sie sie gern nannte. Sie konnte es sein, musste es aber nicht zwingend.

Sie beobachtete die Andere, wie diese konzentriert die Dialoge überflog. Es sollte sie gar nicht wundern, wenn die Schauspielerin sich bereits jetzt einen Schlachtplan zurechtlegte, wie sie ihre Rolle morgen ganz besonders gut spielen konnte.

Auch wenn sie Chris derzeit nur alibihalber täglich zur Arbeit begleitete, so konnte Jodie dennoch nicht leugnen, dass sie ihr gerne beim Schauspielern zusah. In einigen Magazinen hatte sie in der Vergangenheit bereits gelesen, wie gut die Schauspielkünste der Blondine waren, sie in Realität dabei zu beobachten, wie sie mit spielender Leichtigkeit in ihre Rolle schlüpfte und dieser so viel Charakter und Leben einhauchte, war jedoch in der Tat noch einmal eine ganz andere Hausnummer.
 

Eine Weile lang blieben die beiden Frauen auf dem Sofa sitzen. Während Chris las, hatte Jodie es sich erlaubt ein wenig vor sich hin zu dösen.

Erst als die Daywalkerin das Drehbuch schließlich wieder zurück auf den Tisch legte, blinzelte die Jägerin und sah hoch zu der anderen Blondine. "Na, sitzt der Text für Morgen?", erkundigte Jodie sich nicht ganz ernst gemeint und schmunzelte.

"Ich denke." Chris streckte sich. "Aber du hast inzwischen ja selbst gesehen, wie chaotisch es beim Dreh teilweise zugeht."

"Ich weiß gar nicht was du hast. Ich finde die Outtakes sehr amüsant.", amüsierte die Jüngere sich.

Wieder blieb ihr Blick eher zufällig an dem kleinen blauen Sprenkel im linken Auge der Schauspielerin hängen. Erneut kam sie zu dem Schluss, dass dieser dort noch nicht ewig sein konnte, sonst wäre er ihr mit Sicherheit schon vorher aufgefallen. Und dann wäre da ja noch der Fleck in ihrem eigenen Auge, den sie sich nicht erklären konnte und den sie ganz sicher noch nicht ihr Leben lang mit sich herumschleppte.

"...Chris?" Fragend blickte Jodie sie an.

Der Tonfall der Jägerin sorgte dafür, dass die Daywalkerin ihr Gegenüber ein wenig aufmerksamer ansah. "Mh?"

"Sag mal...", begann Jodie und fragte sich, wie sie das Thema jetzt eigentlich am sinnvollsten zur Sprach bringen sollte. Der Themenwechsel kam immerhin ein wenig plötzlich, doch gleichzeitig bot es sich gerade auch an und bislang war sie nicht dazu gekommen, die seltsamen Flecken anzusprechen, auch wenn sie sich bereits zu Genüge den Kopf darüber zerbrochen hatte.

"Sag mal, ist dir der kleine grüne Fleck in meinem Auge aufgefallen?", wollte sie schließlich wissen. "Ich habe diesen Sprenkel neulich im Badezimmerspiegel bemerkt und bin mir ziemlich sicher, dass meine Augen vorher rein blau waren."

Von jetzt auf gleich wirkte die Vampirin plötzlich unkomfortabel. In ihrer derzeitigen Position konnte Jodie sogar spüren, dass Chris sich anspannte. Dennoch redete sie weiter, nun wo sie das Thema bereits angeschnitten hatte. "In deinem rechten Auge ist ein ganz ähnlicher blauer Sprenkel.", sprach sie ihre Entdeckung an.

Amerikas Nummer Zwei zog unbewusst ein Gesicht, an dem ganz leicht abzulesen war, dass ihr das eben angesprochene Thema nicht gefiel. Kurz schwieg sie, schließlich nickte Chris jedoch. Den kleinen Flecken im Auge zu leugnen, hätte immerhin auch nicht all zu viel Sinn gemacht. "Ja, der Fleck ist mir aufgefallen.", bestätigte sie. "Aber der Sprenkel ist so klein, dass die meisten ihn übersehen werden. Wenn er dich trotzdem stört, wären farbige Kontaktlinsen eine Option. Ich kann dir ein paar Marken empfehlen, wenn es dich interessiert."

Jodie zog eine Augenbraue hoch. "Darum geht es doch gar nicht.", stellte sie kopfschüttelnd fest. "Mich interessiert viel mehr, ob du weißt, was es damit auf sich hat. Solche Flecken in den Augen sind so plötzlich doch nicht normal."

Weiterhin sah die Vampirin so aus, als würde sie sich nicht unbedingt wohlfühlen. Jodie konnte beobachten, wie die Mimik ihrer Gesprächspartnerin zusehends verschlossener und kühler wurde.

"Das ist... nichts.", wich Chris aus. "Es beeinträchtigt deine Gesundheit nicht. Diese Sprenkel... haben nur so viel Bedeutung, wie du ihnen zumisst. Zerbrich dir am besten nicht weiter den Kopf darüber."

Jodie runzelte die Stirn. Sie sollte sich nicht weiter den Kopf darüber zerbrechen? So wie Chris das sagte, erreichte sie bei der Jägerin eher das komplette Gegenteil. Vielleicht waren diese Sprenkel gesundheitlich wirklich unbedenklich, doch irgendetwas musste es damit auf sich haben und sie wurde das Gefühl nicht los, dass Chris ganz eindeutig mehr wusste und nur nicht mit der Sprache herausrücken wollte.
 

Gerade als sie den Mund geöffnet hatte um noch einmal nachzuhaken, wurde die Tür geöffnet und zog die Aufmerksamkeit der beiden Frauen auf sich.

"Chris? Hast du die Zeit vergessen? Sagtest du nicht vorhin noch, dass der Boss dich sehen wollte? Du solltest los, wenn du nachher wirklich noch diese verrückte Idee in die Tat umsetzen und unsere Gäste in die Stadt begleiten willst."

Bourbon stand in der Tür und hatte zu sprechen begonnen, kaum das er in den Raum gesehen hatte.

Nun hielt der Blonde jedoch inne und stutzte merklich.

Die Schauspielerin stupste die Jüngere auffordernd an. Jodie verstand und setzte sich wieder auf, auch wenn sie sich um eine möglichst normale Mimik bemühen musste, nun wo der Bodyguard der Schauspielerin das Zimmer betreten hatte.

Die junge Frau tat so als wäre nichts und blickte Chris fragend an. "Du willst Gin und seine Leute in die Stadt begleiten?" Hatten die beiden hochrangigen Vampire darüber neulich noch gesprochen? "Ich weiß ja nicht-", begann Jodie zweifelnd, doch Chris unterbrach sie.

"Ich will mir selbst ein Bild davon machen, was unsere Gäste anstellen, wenn sie hier in New York unterwegs sind.", erklärte sie nur.

"Und ich komme mit. Die ganze Sache gefällt mir nach wie vor nicht.", stellte Rei sogleich klar.

Chris stand vom Sofa auf, streckte sich und zauberte ein Päckchen Zigaretten unter dem Chaos auf dem Wohnzimmertisch hervor. Während sie in Richtung Tür ging, fischte sie eine Zigarette aus dem Päckchen und steckte sie sich zwischen die Lippen, während sie nach ihrem Feuerzeug suchte.

"Mach das, wenn du willst." Sie nickte ihrem Bodyguard zu, ehe sie stehen blieb und ihre Zigarette anzündete. Die beiden Vampire tauschten einen Blick aus und zum ersten Mal stellte die Jägerin fest, dass es sie wurmte, dass die beiden so vertraut miteinander wirkten.

"Erstmal sehe ich jetzt aber nach dem Boss und bringe ihm etwas zu Trinken mit.", entschied die Daywalkerin.

Etwas zu Trinken. Bei dem Gedanken schauderte Jodie, doch recht schnell riss sie sich wieder zusammen. "Hey Chris, vergiss die Ohrringe nicht.", erinnerte sie die Schauspielerin lieber noch einmal.

Die Ältere strich sich eine der platinblonden Haarsträhnen zurück und deutete mit einer raschen Geste auf ihr linkes Ohr. Jetzt erst bemerkte Jodie, dass Chris die rubinroten Ohrringe bereits trug. Sie musste die Kamera darin nur noch aktivieren.

"Showtime.", stellte die Schauspielerin schmunzelnd fest und nickte Rei und Jodie zu, ehe sie den Raum verließ.

"Und du solltest vielleicht zurück ins Wohnzimmer gehen und die Tür geschlossen halten. Solange Chris und ich nicht hier sind, ist das sicherer.", sprach Bourbon sie an, während er sich ebenfalls bereits zum Gehen wandte. Zum ersten Mal wirkte der Blick des Bodyguards, mit dem er sie musterte, alles andere als freundlich. Jodie ahnte bereits, worum es hier ging, doch sie sparte sich einen Kommentar und sah ihm lediglich nach, als auch Rei den Raum verließ.

Am nächsten Tag, inzwischen war es später Nachmittag, fand Jodie sich im Hausflur eines unauffälligen Gebäudes wieder. Von außen betrachtet, glich das Haus einem verlassenen Betonbunker am Stadtrand New Yorks, doch bereits der Hausflur wirkte um einiges moderner, als die baufällige Fassade des Gebäudes.

Elektrisches Licht erhellte den Flur, Fenster hingegen suchte man hier vergeblich. Kein Wunder, immerhin gehörte das Haus zu den Immobilien der Vampirgesellschaft und war entsprechend umgerüstet worden.

"Und du kannst deine Kameraden gut genug einschätzen um dafür bürgen zu können, dass sie sich an ihr Wort halten werden?", riss Chris Stimme sie aus ihren Gedanken. Die Schauspielerin lief direkt hinter ihr die Treppen hinauf, während ihr Bodyguard vor Mondnebels Jägerin herlief. Vielleicht war das auch besser so, denn so konnte er die bösen Blicke, die sie ihm zuwarf, höchstens spüren. Von seinem Fahrstil war Jodie immer noch übel.

"Sie werden das heutige Treffen nicht nutzen, um euch eine Falle zu stellen. Dafür ist der Deal auch für unsere Seite viel zu viel wert.", antwortete die junge Frau der anderen Blondine, ohne lange darüber nachdenken zu müssen.

"Hoffen wir es.", mischte Bourbon sich in das Gespräch mit ein. "Wie viele Besucher erwarten wir eigentlich?"

"Drei, wenn du mich nicht mitzählst."

"Die drei, die neulich auch am Strand aufgetaucht sind?", hakte Chris nach.

Jodie nickte. "So haben sie es mir zumindest angekündigt."

"Dann sind beide Seiten zur Not gleich stark.", äußerte der Bodyguard, ehe er vor einer unscheinbaren Wohnungstür stehen blieb.

Die Jägerin warf ihm einen missfallenden Blick zu. "Sag doch sowas nicht. Es wird zu keinem Kampf kommen. Mondnebel hält sich an sein Wort." Nach wie vor mochte sie es nicht, wenn jemand auch nur im Ansatz schlecht über die Vampirjäger sprach.

Rei gab einen undefinierbaren Laut von sich und klopfte zwei Mal gegen das Holz der Wohnungstür.

Jodie zog eine Augenbraue hoch. "Warum klingelst du nicht, wie ein normaler Mensch?"

"Weil Vampire ein viel besseres Gehör haben als Menschen. Wir wurden schon längst bemerkt.", erklärte Chris ihr an Reis Stelle amüsiert. Die Stimme der Schauspielerin klang viel zu nah, was daran liegen mochte, dass die Ältere direkt hinter ihr stand und sich zu ihrem rechten Ohr herübergebeugt hatte.

Jodie spürte, wie ihre Wangen sich schlagartig heiß anfühlten und ihr Herz einen Satz in ihrer Brust tat. Sofort wirbelte sie zu der Daywalkerin herum und funkelte sie vorwurfsvoll an. Chris blieb gänzlich unbeeindruckt und lachte nur.
 

Die Tür wurde geöffnet und lenkte die Aufmerksamkeit der jungen Frau auf die Person, welche sich in der Wohnung befand. Fast schon hatte sie damit gerechnet, dass Curaçao ihnen öffnen würde, doch im Türrahmen stand Rena und nickte den drei Blonden höflich zu.

"Ihr seid überpünktlich.", begrüßte Sternenstaubs ehemalige Jägerin die drei Besucher und trat ein Stück zur Seite.

"Wir sind gut durchgekommen.", wusste Rei zu berichten.

Postum machte er Bekanntschaft mit dem Ellbogen der Schauspielerin. "Du meinst wohl eher, du bist gefahren wie der letzte Henker.", verbesserte sie, ehe sie sich an Rei und Rena vorbei schob und die Wohnung betrat.

Jodie folgte den beiden Vampiren, lief jedoch nicht gleich durch den Flur, sondern schloss lediglich die Wohnungstür hinter sich und wandte sich an die Brünette, die sie zur Begrüßung in eine kurze Umarmung zog.

"Schön dich zu sehen." Sie warf der ehemaligen Jägerin ein warmes Lächeln zu. "Wie geht es dir?"

Für einen kurzen Moment wirkte Rena bei der Frage etwas unbehaglich, setzte dann jedoch ihrerseits ein höfliches Lächeln auf. "Gut, wie du siehst. Sämtliche Blessuren sind inzwischen verheilt. Es ist kein einziger Kratzer mehr zu sehen."

Einerseits freute es Jodie, dass es ihrer Kameradin körperlich soweit gut ging, doch hatte ihre Frage kaum auf Renas körperlichen Zustand abgezielt.

"Das ist gut, aber du weißt genau, dass ich das nicht meinte." Sie blickte sie ernst und besorgt zugleich an. "Hast du dich einigermaßen damit abgefunden?" Im nächsten Augenblick hätte die Blondine sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Was für eine dumme Frage.

Doch Rena schien zu wissen, wie die Frage gemeint war, oder ihr die unglückliche Formulierung zumindest nicht zu verübeln. Sie blinzelte und blieb ganz ruhig, wobei Jodie sich fragte, ob das wohl die Maske war, von der Curaçao neulich gesprochen hatte.

"Wie könnte ich mich so schnell daran gewöhnen? Ich weiß nicht, ob ich das überhaupt jemals können werde, doch ändern kann ich es jetzt auch nicht mehr. Curaçao sagt, ich muss versuchen das beste daraus zu machen und vermutlich hat sie recht, aber ich werde wohl noch etwas Zeit brauchen, um den Rat wirklich in die Tat umsetzen zu können."

Rena tat ihr so leid. Sie wollte sich nach wie vor nicht vorstellen, wie es war, von jetzt auf gleich unfreiwillig gewandelt zu werden. Spontan umarmte sie die Kleinere noch einmal, was ihr ein schiefes Schmunzeln einbrachte.

"Hey, was machst du?", protestierte Rena halbherzig, störte sich jedoch nicht wirklich an der tröstenden Geste.

Jodie ließ sie wieder los und ging einen Schritt auf Abstand. "Du weißt, ich kann die meisten Vampire nicht ausstehen, aber ich werde dich nie als einen ansehen können. Für mich bleibst du menschlich.", stellte sie fest, ehe sie ihre Aufmerksamkeit Curaçao zuwandte, die Chris im Hintergrund gerade mit einer Umarmung begrüßt hatte und Rei freundlich zunickte.

Die Blicke der Silberhaarigen und Mondnebels Jägerin trafen sich und auch die beiden Frauen nickten sich zur Begrüßung zu. Die Blondine konnte nicht leugnen, dass Curaçao sie inzwischen viel freundlicher und wärmer ansah, als noch vor ein paar Wochen.

"Ihr drei seid überpünktlich.", stellte die Silberhaarige fest.

Chris lachte leise. "Genau das hat Kir auch schon gesagt."
 

Kaum das die drei Blonden die beiden Vampirinnen begrüßt hatten, waren erneut Schritte im Hausflur zu hören. Die Personen, die nun die Treppen emporstiegen, liefen nicht ganz so zielstrebig durch das Gebäude, blieben aber schließlich vor der Wohnungstür stehen. Einige Augenblicke später ertönte die Klingel.

Im ersten Moment wirkte Jodie alarmiert und wollte durch den Spion blicken, um herauszufinden, wer dort vor der Tür stand, doch Chris winkte ab. "Das sind deine Leute. Mach ihnen ruhig auf."

Die Jüngere zog eine Augenbraue hoch. "Was macht dich da so sicher?"

"Ich hab sie schon gehört, seit sie die Haustür aufgeschoben haben, die wir vorhin nicht ganz zugezogen haben."

Ach ja, das ausgezeichnete Gehör von Daywalkern. Die Jägerin verdrehte die Augen. "Verdammte Mary Sue."

Während Rena Jodie so erschrocken ansah, als würde sie befürchten, dass die Schauspielerin nach dem Ausspruch jeden Moment jemanden ermorden könnte, zuckten Bourbons Mundwinkel belustigt. Curaçaos Mimik war nicht zu lesen, während Vermouth selbst kurz ungläubig blinzelte und Jodie schließlich lediglich amüsiert anblickte. "Ach ja?"

Derweil öffnete Mondnebels Jägerin ihren Kameraden die Wohnungstür. Aus dem Augenwinkel registrierte sie, wie Bourbon und Curaçao sich augenblicklich anspannten, um im Notfall reagieren zu können.

Kaum, das die Tür geöffnet war, blickte die Blondine James Black, Andre und Shuichi entgegen.

Auch ihre Kameraden wirkten angespannt, machten jedoch keine Anstalten ihre Waffen auf die Vampire richten zu wollen. Die Tatsache, das Jodie es war, die ihnen die Tür geöffnet hatte und nun vor ihnen stand, schien ihnen noch einmal zusätzlich den Wind aus den Segeln zu nehmen.

"Schön euch zu sehen, Jungs.", begrüßte die junge Frau die anderen Jäger.

"Du bist gesund und munter. Ein Glück.", stellte Andre erleichtert fest, nachdem er sie kurz prüfend gemustert hatte.

"Natürlich ist sie das.", kam es gereizt von Chris. Die Daywalkerin hatte Mondnebels Jägern immerhin zugesichert, dass Jodie nichts passieren würde. "Ihr seid übrigens überpünktlich.", fügte sie hinzu, was zumindest Jodie zu einem amüsierten Prusten veranlasste.

"Wie ich sehe, trefft ihr uns heute nicht allein.", wandte Akai sich an Jodie und Chris und warf der restlichen Gruppe einen kalten Blick zu.

"Das hier sind Bourbon, Curaçao und Kir.", stellte die Daywalkerin den Jägern rasch ihre Leute vor. "Der Rest unserer kleinen Verschwörung."

"Dann macht es wohl Sinn, dass wir gleich die gesamte Gruppe treffen." Wie immer wirkte James Black aufmerksam aber besonnen.

"Nun, Mondnebel ist nicht komplett anwesend, aber das ist vielleicht auch besser so.", streute Jodie mit einem schiefen Schmunzeln ein.

Camel schloss die Wohnungstür hinter sich, auch wenn er nervös wirkte, standen die Jäger doch aktuell gleich vier Vampiren gegenüber.

"Gehen wir ins Wohnzimmer.", mischte Rei sich ein. "Aber haltet euch an euer Wort und kommt nicht mal auf die Idee, nach den Waffen zu greifen."

Bourbons und Akais Blicke trafen sich. Die beiden Männer starrten sich etwa zwei Sekunden lang unterkühlt an und Jodie wusste schon jetzt, dass die beiden ganz sicher keine Freunde werden würden.

"Hast du dich denn an deinen Teil der Abmachung gehalten und den Beweis gebracht, den wir in unserem letzten Gespräch verlangt haben, Vampirin?", wandte Mondnebels Trumpfkarte sich nun direkt an Chris.

Die Schauspielerin, die die Gruppe ins Wohnzimmer führte, hielt kurz inne, warf Akai einen unbeeindruckten, leicht spöttischen Blick zu und hielt kurz das Kästchen hoch, in welchem die Minikamera sich nun wieder befand. "Natürlich. Was dachtest du denn?"
 

Nachdem die gesamte Gruppe das Wohnzimmer betreten hatte, sah Jodie sich im Raum um. Ein mittelgroßes, eher zweckmäßig eingerichtetes Zimmer ohne Fenster, welches durch zwei Lampen erhellt wurde.

Der Fernseher lief, war jedoch auf stumm geschaltet. Auf dem Sofa lag eine cremefarbene Tagesdecke, während sich auf dem Wohnzimmertisch die Fernbedienung, ein Stapel Zeitschriften und ein Smartphone befanden. Es wirkte ganz so, als hätten die beiden Vampirinnen, die diese Wohnung übergangsweise als Unterschlupf nutzten, bis eben noch ferngesehen, ehe die Besucher aufgetaucht waren.

Rena schob sich an der Blondine vorbei, schaltete den Fernseher aus und sammelte ihr Handy vom Tisch auf, ehe sie sich neben ihre Freundin stellte und sich somit in den Kreis, den die Anwesenden gebildet hatten, integrierte.

"Also schön, womit fangen wir an?", ergriff Chris das Wort. "Wollt ihr euch zuerst die Aufnahmen der Kamera ansehen, oder starten wir mit einem grundlegenden Schlachtplan?"

Gerade wollte Akai auf die Frage antworten, doch Black kam ihm zuvor. "Stellen wir uns doch erst einmal alle kurz vor. Ich denke, das ist die beste Grundlage für eine Zusammenarbeit."

Rei zog spöttisch eine Augenbraue hoch. "Und am besten bilden wir danach einen Stuhlkreis, wie in der Schule?"

Curaçao trat ihm unauffällig auf den Fuß, ehe auch sie sich zu dem Vorschlag äußerte. "Nun, wie wäre es dann, wenn ihr Jäger den Anfang macht? Wer Informationen über uns möchte, sollte erst einmal etwas über sich selbst preisgeben."

"Gut, ich denke das ist nur fair.", entschied Black, nachdem er kurz darüber nachgedacht hatte. "James Black, ich bin der Vorgesetzte der Abteilung und bei diesem Deal so etwas wie der Einsatzleiter von Mondnebels Seite aus."

"Andre Camel", ergriff der Nächste in der Runde das Wort. "Ich gehöre seit einigen Jahren zu Mondnebels Agenten und bin einer unserer geschicktesten Fahrer, auch was Verfolgungsjagten angeht."

"Wenn geschickt nicht gleich halsbrecherisch heißt, sollten wir uns vielleicht überlegen umzusatteln.", streute Chris amüsiert an Jodie gewandt fest und warf einen kurzen Blick zu Rei, der daraufhin nur etwas unverständliches vor sich hingrummelte.

Schließlich ruhten die Blicke auf Akai, der immer noch unterkühlt dreinblickte und allem Anschein nach nicht ganz einverstanden mit dieser Art von Vorstellungsrunde war.

Jodie verdrehte nur die Augen. "Shuichi Akai, auch bekannt als Mondnebels Trumpfkarte. Er ist gerne mal ein Miesepeter, wie man sehen kann, aber er ist absolut zuverlässig und der beste Scharfschütze, den ich kenne."

Während Black einen amüsierten Laut von sich gab, blickte Shuichi empört zu seiner Kollegin. "Musste das gerade sein, Jodie?", murrte er.

"Scheinbar.", stellte diese unbekümmert fest, ehe sie sich selbst, als letztes Mitglied Mondnebels in dieser Runde, vorstellen wollte. Die Blondine kam jedoch nicht dazu den Mund aufzumachen, da Chris ihr bereits eine Hand auf die Schulter legte.

"Ich glaube das kannst du dir sparen. Dich kennen wir immerhin." Die Stimme der Schauspielerin klang belustigt.

Jodie plusterte die Wangen auf, nickte dann jedoch in Richtung Rei. "Na schön, dann mach du eben weiter."

Angesprochener zuckte mit den Schultern. "Von mir aus.", stellte er fest. "Codename Bourbon, ich denke dieser Name sollte euch für den Anfang reichen. Ich bin ehemaliger Polizist und nun seit einigen Jahren ihr Bodyguard." Kurz legte er Chris eine Hand auf die Schulter.

"Es reicht, wenn ihr mich Curaçao nennt. Ich habe früher als Bodyguard für Rum, die ehemalige Nummer Zwei Amerikas gearbeitet, nun bin ich ihre Leibwächterin." Sie nickte in Richtung der Schauspielerin.

Derweil warf Rena der Blondine einen unsicheren Blick zu, unschlüssig ob sie nun das Wort ergreifen, oder der Daywalkerin den Vortritt lassen sollte.

Chris blickte die Brünette an. "Mach du ruhig weiter.", verlangte sie.

"Wenn du meinst. R- ... nein, wenn alle hier ihren Codenamen nutzen, dann könnt ihr mich Kir nennen. Ich bin ehemalige Jägerin Sternenstaubs, Mondnebels Gegenstück aus Japan, nun aber ein Mitglied der hier ansässigen Vampirgesellschaft."

Die drei Jäger Mondnebels blickten sie irritiert und skeptisch zugleich an, ehe Camel auf das kleine Tattoo am Handgelenk der Brünetten deutete. "Also habe ich doch richtig gesehen. Das Tattoo ist Sternenstaubs Symbol, aber warum um Himmelswillen schließt eine Jägerin sich Vampiren an?"

Das war wohl die Frage, die sie alle sich stellten.

"Weil eine Vampirin ihren ehemaligen Kameraden wohl kaum noch unter die Augen treten kann.", erklärte Rena Mondnebels Jägern etwas beschämt.

"Der Anführer der japanischen Vampirgesellschaft und seine Leute haben sie verschleppt und ihr für 6 Monate das Leben zur Hölle gemacht, ehe sie sie zu einer Vampirin gemacht haben. Das war nicht ihre Idee, also keine voreiligen Schlüsse. Sie ist eine von uns.", mischte Jodie sich entschieden in das Gespräch mit ein und ergriff einmal mehr Partei für ihre eher zurückhaltende Kameradin.

Den restlichen Agenten Mondnebels schien die Aussage den Wind aus den Segeln genommen zu haben, blickten die drei nun doch eher betroffen drein.

"Keine schöne Geschichte.", durchbrach Akai die kurz eingetretene Stille wieder. "Seit wann...?"

"In Amerika bin ich jetzt seit etwas über einem Monat, entschuldigt daher bitte mein Englisch.", antwortete Rena auf die unvollendete Frage. "Ihren Leuten habe ich mich vor einigen Tagen angeschlossen.", fügte sie hinzu und blickte in Richtung der Daywalkerin.

"Nun, was mich betrifft, muss ich euch an dieser Stelle vermutlich nicht mehr all zu viel erklären.", ergriff nun Chris das Wort. "Meinen echten Namen kennt jeder hier, aber in dieser Angelegenheit verwendet meinen Codenamen - Vermouth. Ich muss niemandem hier mehr erklären, dass ich eine Daywalkerin und Amerikas neue Nummer Zwei bin."
 

Nach der kurzen Vorstellungsrunde, betrachteten Jäger und Vampire sich für einige Augenblicke schweigend. Die im Raum schwebende Skepsis war beinahe greifbar. Zwar war der Wille zusammenzuarbeiten durchaus real, doch gleichzeitig trauten beide Seiten sich noch nicht über den Weg.

Akai räusperte sich. "Wo das jetzt geklärt wäre, sehen wir uns die Aufnahmen an, ehe wir weitersprechen.", verlangte er.

Chris nickte ihm zu. "Meinetwegen. Aber für die Qualität kann ich nicht garantieren. Ich kann die Qualität eurer Kamera nicht beurteilen und konnte den Boss schlecht ganz offensichtlich filmen. Bislang habe ich mir die Aufnahmen selbst noch nicht angesehen."

"Dann schauen wir doch einfach mal was wir haben.", schlug James vor. "Einen Blick auf Amerikas derzeitigen Anführer riskieren zu können, ist besser als nichts."

Die Daywalkerin händigte den Jägern das Kästchen mit der Kamera darin aus. Camel verband diese mit einem Kabel mit dem Fernseher und ließ sich von Rena die Fernbedienung aushändigen.

Jodie, Chris, Black und Bourbon nahmen auf dem Sofa Platz, während der Rest der bunten Gruppe sich um das Sofa herum gruppierte, da man von dort aus einen guten Blick auf den Fernseher hatte.

Aufmerksam betrachtete Jodie den Bildschirm. Sie konnte nicht leugnen, dass sie gespannt auf die Bilder war, die sie gleich zu sehen bekommen würde.

Obwohl sie nun seit einem Weilchen mit im Anwesen der Vampire lebte, hatte sie den Anführer noch nie mit eigenen Augen gesehen. Was das betraf, ging es ihr so, wie dem Großteil der New Yorker Vampirgesellschaft. Sie wusste lediglich, dass es sich bei dem Boss wohl um einen alten Mann handeln sollte, der gesundheitliche Einschränkungen hatte.

Als Andre die Aufnahme endlich startete, war die Spannung im Raum beinahe greifbar.

Kurz riskierte sie einen Seitenblick zu Chris, die angespannt wirkte und sich nicht ganz wohl zu fühlen schien. Kurzentschlossen schmiegte sie sich näher an die Daywalkerin, wobei ihr Herz ein wenig schneller schlug, als eben noch.
 

~

Die Aufnahme startete und zeigte einen abgedunkelten Raum, welcher hier und da von einigen Kerzen beleuchtet wurde. Der Film war etwas verwackelt, was daran lag, das die Schauspielerin die Minikamera als Ohrring trug und sich ganz normal bewegen musste, um zu vermeiden, dass der Anführer misstrauisch wurde.

Im Hintergrund erkannte Jodie ein Krankenbett, auf dem Nachtschränkchen daneben, meinte sie eine Schnabeltasse zu entdecken. Die Möbel in dem überschaubar großen Raum wirkten antik, einige Bücherregale an der Wand verstärkten diesen Eindruck nur noch.

An einem alten Schreibtisch aus Teakholz, saß eine Gestalt mit rundem Rücken und schütterem Haar. Auf seinem Kopf prangten einige Altersflecken, das Gesicht wirkte fahl, faltig und eingefallen. Die Nase des alten Mannes erinnerte die Jägerin an einen Krähenschnabel.

Jodie konnte es nicht fassen. Der Anführer der New Yorker Vampirgesellschaft saß im Rollstuhl! Er war nicht mehr als ein gebrechlicher, alter Mann, den sie gedanklich viel mehr in einem Altenheim, oder einer sonstigen Pflegeeinrichtung, angesiedelt hätte.

"Boss?", konnte sie die Stimme der Schauspielerin hören. "Guten Abend. Ich habe dir etwas zu Trinken mitgebracht - deine Lieblingssorte. Wie fühlst du dich heute?"

Auf ihre Worte hin, drehte der Alte seinen Rollstuhl und wandte sich der Daywalkerin direkt zu.

"Hallo, meine Schöne. Jetzt, wo ich dich sehe, geht es mir gut. Komm her und stell mir das Glas am besten auf den Schreibtisch."

Die Stimme des Alten klang rostig und heiser. Jodie war schockiert. Dieser...dieser senile Pflegefall führte Amerikas Vampirgesellschaft?! Das war der Mann, vor dem die Anführer anderer Länder sich jahrhundertelang gefürchtet hatten, wenn sie an Chris Erzählung zurückdachte. Sie konnte es nicht fassen!

Nun gut, bis vor Kurzem musste der Urvampir noch jung und gesund gewesen sein. Erst das Blut der Daywalkerin hatte ihn zu dem gemacht, der er heute war. Einem altersschwachen Greis, der sich in seinem Zimmer verschanzte, die Fäden im Hintergrund zog und den Großteil seiner Führungsrolle an seine Stellvertreterin abgetreten hatte.

Auf dem Video konnte sie sehen, wie Chris sich dem Alten näherte. Das Bild der Kamera verwackelte bei jedem Schritt leicht. Schließlich hatte die Blondine den Greis und den Schreibtisch erreicht. Die Kamera fing ein, wie sie ein Weinglas mit rotem Inhalt auf dem Tisch platzierte. Eine weitere, leere Schnabeltasse stand schon parat, doch sie füllte das Blut für den Alten nicht um. Allem Anschein nach wollte sie ihm dieses bisschen Würde nicht nehmen.

Amerikas Anführer streckte die Hand aus und schien sie der Blondine, die sich zu ihm heruntergebeugt hatte, an die Wange gelegt zu haben.
 

Jodie riskierte einen Blick zu ihrer Sitznachbarin, die angewidert das Gesicht verzog. Es brauchte keine Worte um zu wissen, dass sie tagtäglich all ihr schauspielerisches Talent einsetzte, um Renya Karasuma ihre Abneigung nicht spüren zu lassen.
 

"Wie laufen die aktuellen Dreharbeiten?", erkundigte der Alte sich. Seine Augen ruhten auf dem Gesicht der Schauspielerin. Erst jetzt fiel Jodie auf, dass zumindest die Augen des Urvampirs nicht zum Rest seines altersschwachen Körpers passten. Sein Blick war klar und ungetrübt und wirkte so scharf und klug wie der eines Raben. Sie erschauderte. Die Augen des Greises verrieten, dass dieser Mann einmal sehr gefährlich gewesen war. Bis vor Kurzem sogar noch. Bis er sich selbst unwissentlich mit dem Blut der Daywalkerin vergiftet hatte.

"Du siehst müde aus, meine Liebe. Machen dir unsere Besucher nach wie vor Ärger?"

Chris trat von dem Alten und dem Schreibtisch zurück. Das Bild verwackelte kurzzeitig. Eine blonde Strähne löste sich aus ihrer Frisur und fiel unglücklicherweise genau über den Ohrring, sodass vom Raum und vor allem von Renya Karasuma, nun nicht mehr all zu viel zu erkennen war.

"Gin wird langsam ungeduldig. Es wird immer schwerer ihn hinzuhalten und weitere Ausreden zu erfinden, warum du keine Zeit hast, ihn persönlich zu treffen. Aber davon abgesehen, muss ich mit dir ganz allgemein über unsere Gäste reden. Es gab da ein paar Zwischenfälle, von denen du wissen solltest..."

~
 

Das Gespräch wurde noch eine Weile fortgesetzt, dann endete die Aufnahme schließlich.

Für einen Moment herrschte Schweigen im Raum, während alle Blicke nun förmlich an der Schauspielerin klebten. Unglaube und Fassungslosigkeit spiegelten sich auf den Gesichtern der restlichen Gruppenmitglieder.

"DAS ist der Boss?!", platzte Jodie heraus. "Der Mann ist ja ein Pflegefall!"

Selbst Bourbon und Curaçao sahen schockiert aus. Falls einer von ihnen Karasuma schon einmal gesehen haben sollte, dann mussten sie den Boss gänzlich anders in Erinnerung gehabt haben.

"Und du brauchst ernsthaft Hilfe dabei, diesen alten Mann aus dem Weg zu räumen?", mischte Akai sich, an die Schauspielerin gewandt, ein. "Er sitzt im Rollstuhl."

"Sicher, dass die Aufnahme nicht einfach nur ein Fake ist und sie uns absichtlich einen Krüppel präsentiert, um uns aufs Glatteis zu führen?", wandte Andre sich an die anderen Mitglieder Mondnebels.

"Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie sie in Richtung seines Zimmers aufgebrochen ist.", verteidigte Jodie die andere Blondine.

"Ich kann das auch bestätigen.", wusste Bourbon zu berichten.

"Der Mann, den ihr auf der Aufnahme gesehen habt, ist in der Tat der Anführer unserer Hauses.", ergriff Chris schließlich das Wort. "Mein Blut hat ihn zu dem gemacht, der er heute ist. Aber trotz allem ist es ein großer Fehler ihn zu unterschätzen. Er mag einen Großteil seiner Stärke eingebüßt haben und man sieht es ihm nicht an, aber er ist immer noch ein Urvampir und brandgefährlich."

"Dein Blut hat ihn zu dem gemacht? Wie genau meinst du das?", hakte Kir nach. Anders als Jodie, hatte die Brünette bisher niemand ins Bild gesetzt.

"Mein Blut ist hochgiftig für A-Klasse und Urvampire.", erklärte Chris ihr. "Er hat gehofft, mit meinem Blut die Fähigkeit, sich ungefährdet der Sonne aussetzen zu können, zu übernehmen, aber der Effekt war letztlich ein anderer." Sie räusperte sich.

"Dein Blut wirkt wie Gift?" Andres Stimme klang ungläubig. "Was passiert, wenn du einem Menschen etwas davon einflößt?"

Unbeeindruckt zuckte die Daywalkerin mit den Schultern. "Das Selbe, das einem Menschen auch dann blühen würde, wenn er das Blut eines anderen Vampirs trinkt. Es würde ihn wandeln. Für Menschen und B-Klasse Vampire ist mein Blut einmalig nicht giftig. Sobald sie zu einem A-Klasse Vampir geworden sind, sieht die Sache allerdings anders aus."

"Verstehe. Mir hat dein Blut neulich immerhin nicht geschadet, sondern mir lediglich den Verstand zurückgegeben.", murmelte Sternenstaubs ehemalige Jägerin vor sich hin.

"Wenn dein Blut wie Gift auf den Alten wirkt, warum setzt du ihn nicht einfach damit außer Gefecht?", wollte Akai nun wissen.

"Daran habe ich auch schon gedacht, aber der Plan ist zu risikoreich. Ich weiß nicht, ob er es merken würde, wenn ich ihm etwas von meinem Blut in seine tägliche Dosis mischen würde. Außerdem ist er immer noch ein Urvampir. Ich kann mir nicht sicher sein, ob das Blut ihn umbringen, oder ihn nur weiter schwächen würde. Das sind Experimente und Unsicherheiten, die ich mir nicht leisten kann.", wusste Chris zu berichten.
 

"Da wir nun schon darüber reden, wie der aktuelle Anführer auszuschalten ist, könntest du uns endlich einweihen, wie genau Mondnebel helfen soll. Nicht mal mir hast du bisher etwas von deinem Plan erzählt.", mischte Jodie sich ein.

"Wenn es denn überhaupt einen Plan gibt.", murrte Camel.

"Sicherlich wird sie einen Plan haben. Diese Frau geht über Leichen, um den Thron für sich zu beanspruchen, schon vergessen?", erinnerte Akai ihn. Sein Kollege verzog das Gesicht.

"Nicht ich werde die Position des neuen Anführers besetzen.", erklärte die Schauspielerin den Jägern.

Aufmerksam blickte Jodie ihre Sitznachbarin an. Sie erinnerte sich, dass Chris ihr gegenüber schon einmal etwas in der Art erwähnt hatte, doch nähere Details kannte die junge Frau noch nicht.

"Stimmt, das sagtest du bereits. Aber jetzt, wo unser Deal steht, spann uns nicht länger auf die Folter. Wer soll der neue Anführer werden?" Noch ehe Chris die Möglichkeit hatte, auf die Frage zu antworten, hob Jodie die Hand, um sie kurz innehalten zu lassen. "Wobei, eigentlich kann ich mir die Frage auch fast wieder sparen. Es ist immerhin offensichtlich, wenn man bedenkt, wie nah ihr euch steht." Ihr Blick wanderte zu dem blonden Bodyguard der Schauspielerin und sie konnte nicht verhindern, das ein scharfer Stich der Eifersucht sie durchzog, wenn sie daran dachte, wie vertraut die beiden Blonden miteinander waren.

Alle Blicke ruhten nun auf Rei, der kurz blinzelte, dann jedoch abwehrend die Hände hob. "Tut mir leid dich enttäuschen zu müssen, aber ich bin es nicht, der diesen Platz einnehmen wird."

Überrascht blickte die junge Frau ihn an. "Nicht...?", brachte sie nicht gerade intelligent heraus. "Aber warum? Ich meine, ihr zwei als Führungsduo, das würde doch nur Sinn machen."

Bourbon warf ihr einen etwas gequälten Blick zu. "Das mag schon stimmen, aber so leicht, wie du dir das vorstellst, ist es nicht."

"Man sieht es ihm nicht an, aber er ist gebürtiger Japaner.", mischte Chris sich wieder in das Gespräch ein. "Im Normalfall würde ich dir zustimmen. Bourbon wäre eine durchaus logische Wahl, aber würde er den Platz des neuen Anführers einnehmen, würde er zwar die amerikanische Vampirgesellschaft führen, aber die Edelsteine in Ring und Halsreif würden sich aufgrund seiner Nationalität trotz allem blau verfärben. Blau für Japan. Und wer ist der aktuelle, japanische Vampirfürst?" Kurz schwieg die Daywalkerin, um ihre Worte wirken zu lassen. Natürlich sah Jodie sofort das Bild des silberhaarigen Clananführers vor ihrem inneren Auge aufblitzen.

"Würden wir den neuen Anführerposten auf diese Art und Weise besetzen, es würde Gin bloß in die Hände spielen.", erklärte die Blondine noch.

"Das ist auch der Grund, warum ich es bin, die die neue Anführerin werden wird." Als sie die Stimme erhob, wanderten alle Augen im Raum zu Curaçao, die nicht ganz glücklich mit der Gesamtsituation aussah.

Im Gegensatz zu Jodie, wirkte zumindest Rena nicht im Geringsten überrascht über diese Neuigkeit, auch wenn ihre Begeisterung sich ebenfalls in Grenzen hielt. Die Silberhaarige musste mit ihrer Freundin bereits über dieses Thema gesprochen haben, dämmerte es Jodie.
 

"Du?" Die Blondine blinzelte noch für einen Moment lang überrascht, dann hatte sie sich so weit wieder gefangen. "Nun, wenn Bourbon das Amt nicht übernehmen kann, dann bist du eigentlich die logischste Wahl, wenn ich es mir recht überlege.", räumte Jodie schließlich an Curaçao gewandt ein.

"Damit hast du wohl recht." Die Silberhaarige schmunzelte schief und wirkte dabei etwas verunsichert. "Auch wenn ich nicht die Person bin, die es gewohnt ist zu führen. Solange ich zurückdenken kann, war ich Rums Leibwächterin und habe seine Befehle ausgeführt. Nun, wo Vermouth seinen Platz übernommen hat, arbeite ich für sie." In Anwesenheit von Mondnebels Jägern, nutzte Curaçao den Codenamen der Schauspielerin.

"Aber das wird nicht das Problem sein. Der aktuelle Boss wälzt aufgrund seines gesundheitlichen Zustands die meisten Führungsentscheidungen schon auf seine Stellvertreterin ab. Vermouth hat nicht nur das Selbstbewusstsein, das Curaçao manchmal fehlt, sie ist die geborene Führungspersönlichkeit und wird im Hintergrund die Fäden ziehen.", erklärte Rei der Gruppe.

"So wird es wohl laufen.", stimmte die Silberhaarige ihm zu, die keinerlei Probleme mit dieser Vereinbarung hatte.

"Aber auch wenn ich die bin, die die eigentlichen Entscheidungen trifft, verhelfen wir unserer neuen Anführerin in Spe durchaus nicht unverdient zu ihrem Posten.", ergriff Chris wieder das Wort. "Nachdem es um Renyas Gesundheit nicht gerade gut bestellt und Rum tot ist, ist Curaçao mit Abstand die stärkste Vampirin unseres Hauses. Ihr Kampfstil ist beängstigend, aber diese Stärke wird sie auch brauchen, da sie es sein wird, die es mit Gin aufnehmen muss."

Die Blondine zauberte ein Päckchen Zigaretten aus ihrer Jackentasche hervor, fischte eine Zigarette hinaus und zündete sie an. "Außerdem ist es hier in Amerika üblich, dass ein Anführer und dessen Stellvertreter sich nahe stehen."

Ganz automatisch biss Kir sich im Hintergrund auf die Lippe.

"Im Normalfall regiert ein Paar, oder zwei Verwandte. Rum, mein Vorgänger, war beispielsweise der Neffe des derzeitigen Anführers. Und ich, nun ja, ich wurde zumindest durch das Blut des aktuellen Anführers gewandelt. Ein Teil seines Blutes fließt sozusagen jetzt durch meine Venen." Sie blies etwas Zigarettenrauch aus. "Verwandt sind Curaçao und ich nicht und ein Paar sicherlich auch nicht." Bei diesen Worten warf sie der Brünetten ein amüsiertes Schmunzeln zu. "Aber wir sind zumindest eng befreundet. Das wird es wohl auch tun."

"Ich fürchte wir von Mondnebel kommen gerade nicht mehr ganz mit. Was hat es überhaupt mit den Edelsteinen, von denen die Rede ist, auf sich und wie genau wird dieser Machtkampf ablaufen?" James Black sprach seinen Mitstreitern mit dieser Frage wohl aus der Seele.

Die Vampire waren vertraut mit dem Thema und auch Jodie konnte einigermaßen folgen, da sie bereits einmal mit Chris über all das gesprochen hatte, aber auf ihre Kameraden traf das nun einmal nicht zu.

Rei war so nett und erklärte es ihnen. Er erklärte ihnen, dass alle hundert Jahre von den Anführern der Vampirhäuser ein Kampf um den Ring ausgetragen wurde, der so gesehen eine Einheit mit dem Edelstein in dem Halsreif bildete. Und besagten Halsreif wurde die Daywalkerin nicht mehr los, was für sie ein echtes Problem darstellte.

Außerdem erklärte er den Jägern, dass dieses Mal nur ein Land den aktuellen Träger des Rings herausforderte - Japan. Der Entscheidungskampf würde zum Jahreswechsel stattfinden und der, der um 00:00 Uhr den Ring in den Händen hielt, war dessen rechtmäßiger Besitzer für die nächsten 100 Jahre.

"Unsere japanischen Gäste würden den aktuellen Anführer nicht töten, wenn er den Kampf verliert. Sie würden lediglich den Ring an sich nehmen und der Alte würde weiterregieren. Das wäre allerdings auch gleichbedeutend damit, dass sich hier in Amerika nichts ändern würde. Der Führungswechsel ist notwendig, wenn zukünftig das Blutvergießen zwischen Mensch und Vampir gestoppt werden soll.", fuhr der blonde Bodyguard fort und verzog leicht das Gesicht. "Außerdem würde Gin, wenn er die Schlacht für sich entscheidet, nicht nur den Ring, sondern auch den Halsreif und somit auch Vermouth mit nach Japan nehmen. Ich denke kaum, dass er den gleichen Fehler wie Karasuma begeht, aber er hat es definitiv auf das Daywalkerblut abgesehen und wird damit experimentieren, bis es für seine Zwecke einsetzbar ist."

"Etwas, auf das ich im Übrigen lieber verzichten würde.", murrte die Schauspielerin, während sie sich suchend nach einem Aschenbecher umsah.

Curaçao, die erkannt haben musste, wonach die Blondine Ausschau hielt, stellte ihr aus der Essecke ersatzweise eine Untertasse auf den Tisch, handelte es sich hier doch normalerweise um einen Nichtraucherhaushalt.
 

Für einen Moment herrschte Schweigen. Alle ließen die neuen Informationen sacken.

Unauffällig blickte Jodie zu Curaçao. Sie würde also die neue Anführerin werden. Das Geheimnis war gelüftet. Sie versuchte sich die Silberhaarige in dieser Rolle vorzustellen, auch wenn Curaçao wohl nur so etwas wie die Handpuppe der Daywalkerin sein würde, damit dieser genug Zeit blieb, die Aufgaben in der Vampirgesellschaft und ihre Schauspielkarriere unter einen Hut zu bekommen.

Auch wenn Jodie die Entscheidung durchaus nachvollziehen konnte, ein wenig musste sie sich an den Gedanken, dass die Vampirin bald diesen hohen Posten bekleiden würde, sofern alles nach Plan lief, wohl noch gewöhnen. Spontan fragte sie sich, was wohl Rena von der ganzen Geschichte hielt. Immerhin ging es hier um ihre Partnerin, die die neue Anführerin der amerikanischen Vampirgesellschaft werden würde. Sie warf der Brünetten einen Blick zu, doch deren Mimik war aktuell nicht zu lesen.
 

"Das alles klingt meiner Meinung nach wie die Geschichte aus einem Fantasyfilm, aber das einmal außer Acht gelassen, wie genau wird der Ablauf des Silvesterabends sein und was kann Mondnebel tun, dass wir für den Plan scheinbar so wichtig sind, dass Vampire uns um Hilfe bitten?", richtete Andre sich an die vampirischen Mitstreiter der Runde.

"Eure Lichtgeschosse, ich denke sie werden in diesem Kampf ein entscheidender Vorteil sein.", erklärte Amerikas zweite Anführerin ihm. Nun war Chris es, die Mondnebels Jäger fragend anblickte. "Die Geschosse an sich sind schon gefährlich genug, aber ist es möglich diese Art von Waffe auch in abgewandelter Form herzustellen? Ich dachte da an eine Art Granatwerfer."

Jodie dachte über ihre Worte nach und zog die Stirn in Falten, ehe sie sich an James wandte. "Was denkst du? Es ist uns möglich, Munition für verschiedene Kaliber herzustellen...aber eine Granate unterscheidet sich grundlegend von der Munition unserer Schusswaffen."

Der Vorgesetzte der Vampirjäger dachte ebenfalls einen Moment lang darüber nach. "Vielleicht. Um ehrlich zu sein, kann ich das nicht mit Sicherheit beantworten. Das müssten wir mit unseren Technikern abklären."

Chris nickte ihm zu. "Gut, dann tu das bitte. Ein solches Werkzeug wäre extrem nützlich."

"Aber wie genau wird der Kampf nun ablaufen? Ist das schon abschätzbar?" Fragend legte Rena den Kopf schief.

"Ihr seid alle noch zu jung, um einen solchen Kampf um den Ring schon einmal miterlebt zu haben.", äußerte Curaçao. Sie hatte in der Zwischenzeit einen Stuhl aus der Essecke ins Wohnzimmer getragen und setzte sich darauf, um nicht länger im Raum herumzustehen.

Als sie sah, das Rena neben ihr auch schon damit begonnen hatte, das Gewicht unbewusst von einem Fuß auf den anderen zu verlagern, während sie der Unterhaltung folgte, legte die Silberhaarige kurzerhand einen Arm um die Taille ihrer Freundin und zog sie zu sich auf den Schoß.

Für einen kurzen Moment ruhten die irritierten Blicke der Jäger auf den Vampirinnen, was zumindest die Brünette dazu brachte, beinahe neonrot anzulaufen, während Curaçao sich nicht aus der Ruhe bringen ließ und weitersprach, als wäre nichts. "Wirklich mit dabei war ich beim letzten Entscheidungskampf um den Ring auch nicht, da es schon ein paar Jahrhunderte niemand mehr gewagt hat, Amerikas Anführer herauszufordern, aber Rum hat mir mal davon erzählt.

Phase 1 ist bereits gestartet. Eine kleine Delegation der Herausforderer, in diesem Fall nur unsere japanischen Gäste, reist etwa zwei bis drei Monate vor Jahreswechsel in das Land, das derweil im Besitz des Rings ist. Beide Seiten bekriegen sich in dieser Zeit nicht, sondern loten viel mehr ihre Grenzen aus und versuchen ihre Chancen auf den Sieg einzuschätzen. Malen die Herausforderer sich weiterhin ernsthafte Chancen aus, reisen kurz vor Jahreswechsel einige weitere ihre Mitstreiter ein.

Die eigentliche Schlacht um den Ring beginnt um Punkt 23:00 Uhr und endet um Mitternacht. Es ist nicht so, dass die gesamte amerikanische Vampirgesellschaft sich den Herausforderern entgegenstellt. Beide Seiten werden sich mit Gruppen, bestehend aus 7 Personen, begegnen. Den eigentlichen Kampf tragen die beiden Anführer aus, aber ihre jeweiligen Kameraden unterstützen sie. Die Tradition verlangt es, das ab 00:00 Uhr Waffenstillstand herrscht. Die Seite, die zu dem Zeitpunkt im Besitz des Rings ist, ist für die nächsten 100 Jahre dessen rechtmäßiger Besitzer."

Wieder herrschte für einige Momente Schweigen, da die Anwesenden versuchten sich den Ablauf bildlich vorzustellen.

"Klingt fast wie ein sportlicher Wettbewerb.", spöttelte Akai.

"Ist aber bitterer Ernst und Jahrhunderte alte Tradition. Ein jeder Vampir hält sich an diese Regeln.", konterte Rei.

"Und ihr glaubt wirklich, dass selbst dieser Gin sich an das Spielchen hält, obwohl er die Schmuckstücke und vor allen Dingen die Daywalkerin in seinen Besitz bringen will?", mischte Camel sich ein.

Fragend blickte Jodie zu Rena, deren Gesichtsfarbe sich inzwischen wieder einigermaßen normalisiert hatte. "Du kannst ihn am besten einschätzen. Was denkst du?"

Angesprochene verzog das Gesicht. "Dieser Mann ist ein Monster, soviel steht fest. Aber ich glaube, dass selbst ihm diese Tradition wichtig ist.", antwortete sie schließlich.
 

"Bevor die Uhr 23:00 Uhr schlägt, gibt es allerdings diesmal noch etwas ganz anderes zu erledigen.", ergriff nun Chris das Wort. "Wie schon gesagt, wird von unseren Gästen niemand den Alten töten, das bleibt an uns hängen. Die Sache jetzt schon in Angriff zu nehmen, wäre zu früh. Die Welle, die die Aktion zum jetzigen Zeitpunkt schlagen würde, wage ich mir nicht vorzustellen. Am klügsten ist es daher, ihn am Silvesterabend aus dem Weg zu räumen, noch bevor es 23 Uhr ist." Die Schauspielerin zündete sich eine neue Zigarette an.

Jodie, die neben ihr saß, stieß ihr leicht den Ellbogen in die Rippen und sah sie vorwurfsvoll an. "Verdammt, hör doch mal für einen Augenblick auf damit mich zuzuqualmen.", murrte sie.

Chris funkelte ihre Sitznachbarin ihrerseits kurz warnend an, rieb sich über die Rippen, ignorierte den Zwischenfall ansonsten jedoch gekonnt, rauchte unbeeindruckt weiter und ergriff erneut das Wort. "Niemand darf mitbekommen, was da eigentlich vor sich geht. Ich weiß nicht, ob es nicht jemanden aus unserem Haus gibt, der am Ende noch Partei für Renya ergreifen würde. Folglich muss ich mich der Sache annehmen. Ich bin die Einzige, die sein Zimmer betreten darf, also wird niemand misstrauisch, wenn ich vor dem Kampf noch einmal nach ihm sehe."

"Auch wenn es schwer vorstellbar ist, sagtest du nicht, unser Rollstuhlfahrer wäre trotz allem brandgefährlich? Wenn ich dich daran erinnern darf, dir fehlt die Stärke der Vampire. Wie willst du ihn also ohne Hilfe loswerden?" Akai zog fragend und leicht spöttisch zugleich eine Augenbraue hoch.

"Mit euren Waffen natürlich. Was meinst du, warum ich die Lichtgeschosse eben noch angesprochen habe?" Vermouths Stimme klang ein wenig genervt. Die Schauspielerin verdrehte kurz die Augen. "Die Japaner können wir schlecht damit durchsieben, immerhin ist die Entscheidung ab 23 Uhr kein Kampf auf Leben und Tod, aber für Renya..., ja, eure Geschosse sollten in der Lage sein Wunder zu wirken. Ich werde nicht auf die körperliche Kraft der Vampire angewiesen sein."

Sie blickte Black an. "Was die Lichtgeschosse betrifft, macht jede weitere Planung erst dann größeren Sinn, wenn klar ist, was eure Technikabteilung so alles bewirken kann."

Mondnebels Vorgesetzter nickte. "Gut, ich werde mit meinen Kollegen sprechen und hoffe, dass wir diesbezüglich bald klüger sein werden."

"Geht es hier lediglich um Waffenlieferungen, oder wofür sonst braucht ihr Vampire Mondnebels Hilfe?", hakte Andre nach.

"Nach der Schlacht werden wir zusammenarbeiten, schon vergessen?", erinnerte Bourbon ihn und warf Camel dabei einen Blick zu, als würde er mit einem Idioten reden. "Die Lichtgeschosse werden eine große Hilfe sein, wenn es darum geht Karasuma auszuschalten. Darüber hinaus wäre es nicht ganz unpraktisch, wenn Mondnebel sich in der Nähe des Anwesens einsatzbereit hält. Es ist zwar davon auszugehen, dass Gins Leute sich an die Regeln halten werden, aber ich traue ihnen zumindest nicht.", fügte er noch hinzu.

"Das heißt, wir sollen das Haus möglichst gar nicht erst betreten, oder aktiv am Kampf teilnehmen?", schlussfolgerte Jodie.

Chris nickte ihr zu und legte ihr eine Hand aufs Bein. "Genau so ist es, Kätzchen. Ein Mensch im Zweikampf mit Vampiren? Das kann gar nicht gutgehen."

Die Jüngere verdrehte die Augen. "Eine Daywalkerin im Zweikampf mit A-Klasse Vampiren, das ist auch von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Noch dazu, wenn es sich um ein Prinzesschen auf der Erbse handelt."

Diesmal war Jodie es, deren Rippen Bekanntschaft mit Chris Ellbogen machten, doch die Jägerin fuhr einfach fort. "Wenn es dir gelungen ist, den derzeitigen Boss mit unseren Waffen auszuschalten, hat dieses Haus in dem Moment keinen Anführer mehr. Da du die stellvertretende Anführerin bist, rückst du doch automatisch einen Platz auf. Und dann? Hast du ernsthaft vor dich mit Gin zu prügeln? Bist du verrückt?!"

Im Hintergrund lachte derweil Curaçao auf. Ein glasklares Lachen, welches die Aufmerksamkeit der Gruppe auf die Silberhaarige lenkte. "Nein, natürlich wird sie das nicht tun, Jodie.", erklärte sie amüsiert. "C- Vermouth wird den Ring von Karasuma an sich nehmen, mir aushändigen und mich zeitgleich zur neuen Anführerin ernennen. Demnach bin ich es, die sich mit Gin herumschlagen wird."

Kirs besorgte, taubenblaue Augen ruhten auf der Silberhaarigen. "Mir ist ganz und gar nicht wohl dabei.", stellte sie fest.

Curaçao griff lediglich nach ihrer Hand und warf ihr ein beruhigendes Lächeln zu. "Das ist kein Kampf auf Leben und Tod, schon vergessen? Aktuell bin ich außerdem die Person, die noch die besten Chancen haben wird."

Auf die Lippen der blonden Jägerin stahl sich ein Lächeln, als sie die beiden Vampirinnen beobachtete. Wie liebevoll sie miteinander umgingen. In ihrer Magengegend breitete sich für kurze Zeit ein warmes Gefühl der Sympathie für die beiden aus, welches jedoch rasch wieder von Sorge verdrängt wurde, als sie ihre Sitznachbarin ansah.

"Mir ist im Übrigen auch nicht wohl bei der Sache. Du wirst sicherlich zwischen die Fronten geraten und das wird ganz sicher ungesund. Außerdem widerstrebt es mir, dich ganz allein den Anschlag auf euren derzeitigen Anführer ausüben zu lassen.", gestand sie der Schauspielerin offen und ehrlich.

Diese stutzte und blinzelte überrascht, ehe ihre grünen Augen Jodie schließlich ungewöhnlich warm ansahen. "Ich werde mich aus dem Kampf gegen unsere Gäste weitestgehend heraushalten, ich bin doch nicht verrückt. Und was Renya betrifft, es gibt keine andere Person, die diese Aufgabe übernehmen könnte. Ich muss das allein tun. Das Gute ist, dass ich den Überraschungsmoment auf meiner Seite haben werde. Er vertraut mir und rechnet nicht damit, dass ich mich gegen ihn wenden könnte."

Chris blickte sie nun ein wenig tadelnd an und hob einen Finger, fast so, als wollte sie die Jüngere ausschimpfen. "Und du solltest auch ein wenig Vertrauen in mich haben. Ich renne nicht so unüberlegt mit dem Kopf zuerst durch die Wand, wie manch andere Personen hier im Raum." Ihr Blick ruhte auf ihr und ganz offensichtlich spielte Chris auf Jodies letzten Stunt an, der nicht nur die Vampirjägerin selbst in Gefahr gebracht hatte.

Die junge Frau öffnete den Mund um zu protestieren, doch ihre Sitznachbarin legte ihr kurzerhand einen Finger auf die Lippen. "Sssh, Süße. Versuch es erst gar nicht. Es gibt nichts, was du sagen könntest, was mich von der Aktion abbringen könnte.", stellte Chris klar.

Jodie spürte, wie ihre Wangen sich bei der Berührung schlagartig wärmer anfühlten, doch ihre Sorge war nicht verschwunden. Sie hatte nach wie vor ein schlechtes Gefühl bei der ganzen Sache.
 

Chris hingegen wandte sich nun wieder Akai zu. Die Schauspielerin und der Dunkelhaarige warfen sich einen unterkühlten Blick zu, während sich Bourbon mit James Black und Andre Camel über irgendetwas stritt.

"Das Kätzchen sagt, dass du es warst, dem es gelungen ist Rum auszuschalten, ist das wahr? Du sollst auch ein ausgezeichneter Scharfschütze sein. Es widerstrebt mir, aber wenn diese Informationen stimmen, dann möchte ich noch etwas mit dir besprechen, Wunderkind."

Shuichi, der lässig an der Wand lehnte, winkte die Schauspielerin zu sich. "Dann tu das, aber am besten hier drüben.", rief er gegen das Stimmenwirrwar und das Chaos an, welches spontan im Wohnzimmer ausgebrochen war, nun wo alle über den Plan diskutierten.

Derweil war Rena wieder aufgestanden und gesellte sich zu Black, Camel und Rei. Das Gespräch der Männer war immer hitziger geworden, sodass die Brünette es für das Beste hielt, sich auf die Armlehne des Sofas und zu dem Grüppchen zu setzen, um den aufkommenden Streit zu schlichten. Wie es schien mit Erfolg, respektierte Mondnebel sie doch als Jägerin Sternenstaubs, während Rei die frischgebackene Vampirin viel mehr als Verbündete seiner Seite ansah.

Jodie seufzte, sah Chris nach, die sich zu Akai in eine andere Ecke des Wohnzimmers gesellte und versuchte aus dem Stimmenwirrwar im Raum schlau zu werden.

Ihr Blick fiel zu Curaçao, der es scheinbar ganz ähnlich ging. Curaçao... wo sie die Silberhaarige so ansah, fiel ihr etwas ein.

Jodie stand von ihrem Platz auf dem Sofa auf, lief zu der Leibwächterin und blieb neben ihr stehen.

"Curaçao? Hast du kurz Zeit?", fragte sie. "Ich würde gern mit dir über etwas sprechen und jetzt, wo sich hier eh Grüppchen gebildet haben, die wild durcheinander reden, scheint mir der ideale Zeitpunkt zu sein."

Überrascht blickte die Silberhaarige sie an, stand jedoch von ihrem Platz auf. "Sicher. Worum geht es denn?"

Jodie bedeutete ihr mit einer Geste, ihr in die Diele zu folgen. "Unter vier Augen, wenn es geht. Außerdem will ich für einen Moment raus aus diesem Chaos."
 

Nachdem sie sich in die Diele begeben hatten, zog Jodie die Tür zum Wohnzimmer hinter ihnen zu. Nicht, dass sie ernsthaft glaubte, dass eine einzige Tür aus Holz genügen würde, um ihr Gespräch vor den feinen Ohren der Vampire abzuschirmen, doch aktuell waren alle anderen Gruppenmitglieder durch ihre eigenen Gespräche abgelenkt.

Sie wandte sich der Silberhaarigen zu, die sie fragend ansah. Im Blick der Älteren war von der Ablehnung, die sie der Jägerin zu Beginn entgegengebracht hatte, nichts mehr zu erkennen. Curaçao blickte sie viel mehr offen an und wartete darauf, worüber sie nun mit ihr sprechen wollte.

Nachdem sie neulich Chris zur Flucht aus Mondnebels Hauptquartier verholfen hatte und sie einige Tage später alle gemeinsam nach Rena gesucht hatten, schien Curaçao die Feindseligkeit Jodie gegenüber endlich abgelegt zu haben.

"Also?", hakte die Leibwächterin noch einmal nach, klang dabei jedoch nicht ungeduldig. "Geht es um Rena? Ich weiß, dass du dir auch Sorgen um sie machst.", riet sie schließlich.

"Natürlich mache ich mir Sorgen um sie, wie könnte ich auch nicht. Aber ich habe erst vorhin noch selbst mit ihr gesprochen. So gerne ich auch irgendetwas tun würde, um sie aufzumuntern, ich denke Chris hat Recht damit, wenn sie sagt, dass Rena ganz einfach ihre Zeit brauchen wird, um sich an all das hier zu gewöhnen." Sie seufzte und warf der Silberhaarigen schließlich ein Lächeln zu. "Aber sie hat dich und das zählt für sie gerade mehr als alles andere."

Auf Curaçaos Lippen formte sich ein leichtes Lächeln. "Ich bin für sie da, auch wenn ich dadurch auch nicht mehr rückgängig machen kann, was passiert ist."

Jodie nickte ihr zu. Sie wusste, dass die Brünette sich auf ihre Freundin würde verlassen können.

"So viele Sorgen ich mir auch um sie mache, ich denke du wirst ihr am ehesten durch diese Zeit helfen können. Ich habe dich vor allen Dingen zur Seite gerufen, weil ich mit dir über ein ganz anderes Thema reden wollte."

Aufmerksam blickte Curaçao sie an und schwieg. Ein Zeichen für Jodie weiterzusprechen.

"Es geht um Chris.", begann sie schließlich und fühlte sich von einer Sekunde zur anderen unsicher. Ein wenig nervös und unbehaglich trat die Blondine von einem Bein aufs andere.

"Du kennst sie länger als ich. Ihr zwei seid gut befreundet. Die Tatsache, dass ihr plant gemeinsam das nächste Führungs-Duo zu bilden, lässt daran erst recht keinen Zweifel, auch wenn ich ehrlich gesagt nicht ganz verstehe, warum du sie mit ihrem echten Vornamen ansprichst, sie aber immer deinen Codenamen verwendet." Der letzte Einwand war Jodie spontan in den Sinn gekommen. Ein kleiner Versuch nicht direkt mit der Tür ins Haus zu fallen.

Curaçao blinzelte ihr ungläubig entgegen. "Was denn? DAS beschäftigt dich die ganze Zeit über?"

Sie warf ihr ein schiefes Schmunzeln zu und lachte leise. Die verschiedenfarbigen Augen blitzen amüsiert, wobei Jodie das Gefühl nicht los wurde, dass ihre Gesprächspartnerin sich mit dieser Reaktion bemühte, leichtes Unwohlsein zu überspielen.

"Also das hat einen ganz einfachen Grund.", begann sie schließlich zu erklären. "Man sieht es mir nicht an, aber ich bin deutlich älter als ihr, wenn für einen Vampir auch eher durchschnittlich alt. Ich bin seit Jahrzehnten nur mit meinem Codenamen angesprochen worden, deutlich länger also, als das man mich mit meinem echten Vornamen angesprochen hat. Über die Jahre fühlt mein Codename sich einfach viel natürlicher an. Und... wenn ich ehrlich bin, nach all der Zeit habe ich meinen echten Namen schlicht und ergreifend vergessen." Sie strich sich eine verirrte Strähne aus dem Gesicht und wirkte nun verlegen. "Das mag für einen Menschen absurd klingen, ich weiß, aber Vampiren kann das durchaus passieren."

Die Jägerin blinzelte überrascht. Mit dieser Antwort hatte sie ehrlich gesagt nicht gerechnet. Für sie war es in der Tat schwer vorstellbar, wie es war, den eigenen Vornamen zu vergessen. Spontan fragte sie sich, wie alt die Silberhaarige um Himmels Willen war, doch sie wagte es nicht, diese Frage zu stellen, war sie sich doch ziemlich sicher, dass das selbst für einen Vampir eine reichlich unhöfliche Frage wäre.

"Oh, so ist das.", kam es etwas hölzern von der Blondine. "Mit dieser Antwort habe ich in der Tat nicht gerechnet."

Curaçao warf ihr ein Lächeln zu, wurde dann jedoch wieder ernster. "Aber das ist es doch wohl nicht wirklich, worüber du dir die ganze Zeit über den Kopf zerbrichst, oder? Du sagtest, es geht um Chris?"
 

Zurück beim eigentlichen Thema, fühlte Jodie, wie die Nervosität schlagartig wieder da war. Nun war sie es, die erst einmal verlegen zur Seite blicke. Ganz untypisch für sie, brachte sie im ersten Moment nur ein Nicken heraus.

Curaçao musterte sie aus aufmerksamen Augen und irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, dass die Ältere bereits wusste, in welche Richtung dieses Gespräch verlaufen würde.

"Es geht um den grünen Flecken in meinem Auge. Vielleicht hast du ihn schon bemerkt." Kurz deutete Jodie auf das Auge mit dem winzigen, grünen Sprenkel darin. "Chris hat seit einer Weile einen ganz ähnlichen Sprenkel im Auge.", fügte sie noch hinzu.

Curaçao blickte sie an und zögerte sichtlich. "Nun, aufgefallen ist es mir..., das ist richtig.", begann sie etwas lahm und nickte schließlich in Richtung Wohnzimmertür. "Ich denke, das ist etwas, worüber du lieber mit ihr persönlich reden solltest."

"Das habe ich doch schon versucht!", brachte Jodie frustriert heraus. "Aber sie weicht dem Thema aus. So sehr, wie sie es herunterspielt und versucht im nächsten Atemzug über etwas anderes zu sprechen, bin ich mir aber ziemlich sicher, dass es irgendetwas mit diesen Flecken in den Augen auf sich haben muss." Sie musterte ihre Gesprächspartnerin hoffnungsvoll. "Ich hatte gehofft, dass du vielleicht etwas darüber wüsstest, auch wenn deine Augen keine seltsamen Sprenkel haben."

"Mh, im Prinzip könnte ich es dir durchaus erklären..." Wieder zögerte die Silberhaarige. "Aber sag mir erst einmal, ob du nicht vielleicht schon selbst eine Idee hast."

Nun war es an Jodie einen Moment lang zu schweigen und den Boden zu mustern, als läge etwas überaus Interessantes darauf. In der Tat hatte sie bereits eine Theorie, doch diese jetzt vor der Leibwächterin anzusprechen, erst recht, wenn die Möglichkeit bestand, dass sie sich damit zum Vollhorst machte...

"Naja...", begann sie. "Erst habe ich mich nur gewundert und habe irgendeine Krankheit befürchtet. Aber meine Augen sind an sich wie immer. Dann habe ich gesehen, dass Chris einen ähnlichen Farbsprenkel im Auge hat wie ich und sie weigert sich, mit mir auch nur ansatzweise darüber zu sprechen. Ich kann mich täuschen, aber handelt es sich dabei um eine Art... Bund?", fragte Jodie schließlich, nachdem sie kurz nach dem richtigen Wort gesucht hatte. Sie kam sich so blöd dabei vor, dass sie am liebsten im Erdboden versunken wäre.

Curaçao hingegen seufzte nur. "Ihr macht euch das Leben gegenseitig unnötig schwer, wirklich."

Sie beugte sich näher in Richtung der Vampirjägerin, bis Jodie sich zu fragen begann, was genau das werden sollte. Sie verspürte erste Anzeichen von Unwohlsein.

Schließlich blinzelte die Leibwächterin einmal langsam. Als sie die Augen wieder öffnete, waren diese stahlblau.

Die junge Frau schrak im ersten Moment zurück, war es im Normalfall doch ein eindeutiges Zeichen von Aggression, wenn ein Vampir jemandem sein wahres Gesicht zeigte.

"Kein Grund dich zu erschrecken.", äußerte ihr Gegenüber lediglich ruhig und leicht belustigt. "Ich will dir nichts tun, ich will nur, dass du mir in die Augen siehst."

Irritiert zog Jodie eine Augenbraue hoch, tat der Silberhaarigen jedoch den Gefallen. Im nächsten Moment mischte sich unübersehbare Überraschung in ihren Blick.

"Na, hast du es bemerkt? Wer hat denn behauptet, dass ich das Zeichen nicht auch tragen würde?" Curaçao schmunzelte. "Die Sache ist, dass Rena blaue Augen hat und der Sprenkel sich in meinem blauen Auge befindet. Er fällt folglich so schnell nicht auf. Bei uns beiden nicht."

Erneut blinzelte Curaçao. Im nächsten Moment blickte sie der Jägerin wieder aus ihren verschiedenfarbigen Augen entgegen und ging einen Schritt auf Abstand.
 

Jodies Gedanken rasten. Sie konnte kaum fassen, was sie da eben gesehen hatte.

"I-ihr zwei also auch. Das bedeutet dann, dass ich mit meiner Vermutung gar nicht so falsch liege?"

"Genau." Curaçao nickte ihr zu. "Diese Sprenkel in den Augen sind eigentlich äußerst selten. Sie treten nur dann auf, wenn ein Vampir seinen einen Seelenverwandten getroffen hat. Das kann ein anderer Vampir, oder auch ein Mensch sein und ist damit seltener als die berühmte Nadel im Heuhaufen."

Die Blondine brauchte einige Augenblicke, um zu realisieren, was Curaçao da gesagt hatte... die Bedeutung ihrer Worte wirklich zu verstehen. Seelenverwandte? Das war es also? Das würde dann auch die Sympathie erklären, die sie für die Daywalkerin empfand. Aber bedeutete das dann nicht auch, dass diese im Umkehrschluss...? Schlagartig fühlte ihr Gesicht sich heiß an.

"Seelenverwandte, sagst du? Wow... ich habe gerade das Gefühl von einem Lkw überfahren worden zu sein.", brachte sie etwas stockend heraus.

"Verständlich.", räumte Curaçao ein.

Jodie schwirrte der Kopf. Zwar war sie nun um eine Erkenntnis reicher, doch diese hatte so viele neue Fragen aufgeworfen. Ihr Herz raste, doch dann mischten sich auch erste Zweifel zu dem Gefühlschaos, welches aktuell in ihr tobte.

"Und die Flecken in den Augen sind ein ganz sicheres Zeichen?", wollte sie zögerlich wissen. "Bei Rena und dir fallen diese Sprenkel, aufgrund der gleichen Augenfarbe, im ersten Moment gar nicht auf. Woher wusstest du dann...?", begann Jodie.

Curaçao warf ihr ein warmes Lächeln zu. "Wir sind uns zum ersten Mal begegnet, als unsere Gäste gerade angereist waren. Ich war unterwegs, um einige Dokumente zu Chris zu bringen, dann ist Rena in den Flur gebogen und war so in Eile, dass sie mich beinah über den Haufen gerannt hätte. Ein Mensch einen Vampir." Die Leibwächterin lachte leise. Jodie konnte verstehen warum. Als sie mit Chianti zusammengestoßen war, als sie gegen sie gekämpft hatte, hatte sie viel mehr das Gefühl gehabt, gerade gegen eine Mauer geflitzt zu sein und das, obwohl die Andere so zierlich war.

"Das Ergebnis waren zumindest dutzende Papiere, die sich quer über den Flur verteilten. Hi- Rena war das furchtbar peinlich. Sie hat damit begonnen alles wieder zusammenzusammeln und hat sich gefühlt 1000 Mal entschuldigt. Du weißt ja, dass ich Menschen gegenüber normalerweise eher skeptisch eingestellt bin, aber Himmel, sie war so niedlich. Ich habe es in diesem Moment praktisch sofort gewusst und sie, eine eigentliche Jägerin, konnte mich auch nicht hassen."

Ein warmes Lächeln hatte sich auf die Lippen von Mondnebels Jägerin gelegt, als sie sich die Situation vorstellte. Nach wie vor freute sie sich wirklich über das Glück der beiden und wieder war sie überrascht, wie viel offener Curaçao inzwischen mit ihr redete.

"Ein Bund bedeutet also zwingend gegenseitige Sympathie?", hakte sie vorsichtig nach und wünschte sich um nichts mehr auf der Welt, dass die Ältere ihre Worte bestätigen würde. Auch wenn eine innere Stimme ihr flüsterte, dass dieses Gespräch Chris gegenüber nicht fair war.

Auch Curaçao schien ähnliches zu denken, denn wieder wirkte sie unbehaglich. "Ein Vampir könnte seinem Seelenverwandten niemals ernsthaft schaden.", wich sie aus.

Diese Worte ließen die Blondine stutzen. Wenn sie sich da an ihre erste Zeit im Vampiranwesen erinnerte... Skeptisch zog sie eine Augenbraue hoch. "Ach nein, können sie nicht?", hakte sie nach. "Sie hat mich in eurem Anwesen festgehalten, erpresst und zwei Mal gebissen, was im übrigen verdammt schmerzhaft war." Jodie verzog bei der Erinnerung das Gesicht.

"Nun... das mag sein", begann Curaçao etwas stockend. "Aber darüber hinaus ist dir nichts passiert, oder? Chris hätte dich gleich am ersten Abend in der Bar töten können, aber das hat sie nicht getan."

Erneut zog die Jägerin eine Grimasse. "Na wunderbar."
 

Curaçao lehnte sich der Bequemlichkeit halber mit dem Rücken an die Wand. "Hör mal, ich kann dir nicht genau sagen, wie und wann sich der Bund bildet. Bei Rena und mir glücklicherweise bei unserem ersten Treffen, bei anderen wohl erst etwas später. Vielleicht hat es bei euch ein wenig gedauert, weil ihr nicht gerade den besten Start hattet. Eure erste Begegnung war unglücklich und du hast ausnahmslos jeden Vampir gehasst. Es kann sein, dass es erst gegenseitiges Vertrauen gebraucht hat, bevor die Sprenkel in euren Augen aufgetaucht sind."

Jodie dachte über die Worte der Anderen nach. Gegenseitiges Vertrauen... es stimmte schon, es hatte seine Zeit gebraucht, bis sie angefangen hatte die Daywalkerin nicht länger zu hassen und ihr langsam ihr Vertrauen geschenkt hatte.

Dennoch, da war es wieder, dieses bittere Stechen in der Magengegend. Curaçao behauptete also, dass Chris ihre Seelenverwandte war? Bei der Silberhaarigen und Rena glaubte sie ihr das aufs Wort, aber bei der Schauspielerin und ihr selbst?

"Du sagst also, dass es immer nur einen einzigen Seelenverwandten für eine Person gibt, oder?"

Angesprochene nickte lediglich.

Jodie verzog das Gesicht. "Naja, ich denke so ganz kann das nicht stimmen. Sie hat Bourbon und du weißt genau so gut wie ich, wie nah die beiden sich stehen." Wieder war da diese bittere Eifersucht auf den Blonden.

Curaçao blinzelte und lächelte schließlich schief. "Chris ist ein schlimmerer Sturschädel als jeder hier von uns. Sie macht sich das Leben selbst unnötig schwer." Kurz verdrehte sie die verschiedenfarbigen Augen, ehe sie ernster, aber in gewisser Weise verständnisvoll hinzufügte: "Sie mag wirken wie das Selbstbewusstsein in Person, aber was diese Sache angeht, hat sie einfach nur Angst. Das solltest du wissen. Ein Vampir lebt gut und gerne Jahrhunderte, wenn nicht länger. Ein Mensch hingegen... du weißt, worauf ich hinaus will? Sie hat in ihrem menschlichen Leben schon so viele Schicksalsschläge erlitten, dass sie die Menschen jetzt, wo sie eine von uns ist, immer mindestens eine Armeslänge auf Abstand hält."

Jodie fühlte bei dieser Erklärung einen schmerzhaften Stich im Herzen. Gerade wollte sie den Mund öffnen, um Curaçao bezüglich der Vergangenheit der Schauspielerin zu befragen, doch die Silberhaarige schüttelte nur den Kopf.

"Keine Chance, Jodie.", stellte sie schließlich fest. "Ich habe dir schon viel zu viel erzählt. Alles weitere musst du selbst mit Chris klären, das wäre ihr gegenüber sonst unfair. Ich bin mir sicher, dass sie mir jetzt schon den Kopf abreißen würde, oder mir wenigstens die Augen auskratzen, wenn sie das nicht schafft." Bei der Vorstellung grinste sie unweigerlich kurz, ehe sie wieder ernst wurde. "Ich finde, dass du ein Recht darauf hast zu wissen, was es mit dem Sprenkel in deinem Auge auf sich hat und ja, ein Blinder sieht, dass du sie magst, aber wie Chris darüber denkt, das liegt bei ihr. Du solltest mit ihr reden, aber erwarte trotz eurem Bund lieber keine Wunder bei diesem Sturkopf."

Curaçao klopfte ihr kurz auf die Schulter und wandte sich wieder der Wohnzimmertür zu.

Jodie selbst hatte das Gefühl, das ihre Wangen brannten, so direkt wie die Silberhaarige die Zuneigung der Jägerin zu der anderen Blondine angesprochen hatte. War das... wirklich so leicht zu erkennen? Oder nur eine logische Schlussfolgerung aufgrund des Sprenkels in ihrem Auge?

Der jungen Frau schwirrte der Kopf. Es gab so vieles, das sie die Vampirin gerne noch gefragt hätte, doch diese hatte wohl recht damit, dass sie alles weitere mit Chris selbst zu klären hatte.

"Curaçao...?", sprach sie die Silberhaarige dennoch an, bevor diese das Wohnzimmer betreten konnte.

"Hm?" Sie warf der Blondine einen Blick über die Schulter zu.

"Danke. Ich denke, das hat mich schon etwas weiter gebracht."

Die Silberhaarige nickte ihr lediglich zu und betrat schließlich wieder das Wohnzimmer.

Jodie folgte ihr und verschaffte sich einen kurzen Überblick, indem sie den Blick durch den Raum schweifen ließ.

Andre und James unterhielten sich mit Rena und Rei und das inzwischen ganz ruhig.

Im Hintergrund jedoch... ihre rechte Augenbraue begann nervös zu zucken. Sie wusste nicht genau was es war, das Shuichi gesagt hatte, doch er hatte sich ganz offensichtlich Chris Unmut zugezogen. Die Schauspielerin fuhr ihn wegen irgendetwas heftig an, sodass selbst der eher ruhige Agent im ersten Augenblick gänzlich überfahren und ratlos wirkte.

Jodie schüttelte den Kopf. "Verdammtes, verzogenes Sternchen...", murrte sie genervt vor sich hin, kannte sie die launische Art der anderen Blondine doch inzwischen.

Sie beeilte sich das Zimmer zu durchqueren und sich zu Akai und der Daywalkerin zu gesellen.

"Was ist denn nun wieder los?", grummelte sie, verschränkte die Arme vor der Brust und ließ keinen Zweifel daran, dass sie eine Erklärung verlangte.

Zwei Tage waren seit dem Treffen mit Mondnebel vergangen. Zwei Tage, in denen nicht wirklich etwas nennenswertes geschah, jedoch auch zwei Tage, in denen Jodie Zeit hatte, sich den Kopf über das Gespräch mit Curaçao zu zerbrechen.

Zu wissen, was es mit dem Sprenkel in ihrem Auge auf sich hatte, war gut, auch wenn dieses Wissen sie leider erst recht in das reinste Gefühlschaos gestürzt hatte. Schon vor besagtem Gespräch war sie sich der Tatsache bewusst gewesen, dass sie die andere Blondine mochte, doch nun, mit dem Wissen, dass es sich bei der Schauspielerin um so etwas wie ihre Seelenverwandte handelte... Ein Bund, den es für jede Person nur ein einziges Mal auf der Welt und im Leben gab. Bedachte man die Bevölkerungszahl auf der ganzen Welt, so war es äußerst unwahrscheinlich dieser einen Person, die für einen bestimmt war, überhaupt über den Weg zu laufen. In ihrem Fall, war ihr die Suche nach der Nadel im Heuhaufen unbewusst geglückt.

Die Frage war nur, wie sie nun damit umgehen sollte?

Jodie griff nach der Kaffeekanne und schenkte sich eine neue Tasse Kaffee ein. Kurz zog sie eine leichte Grimasse und entschuldigte sich gedanklich bei sich selbst. Abends noch Kaffee zu trinken, war nicht unbedingt ihre beste Idee. Sie war sich ziemlich sicher, dass es ihr schwerfallen würde einzuschlafen und das, obwohl sie Morgen früh aufstehen musste.

Trotzdem, sie hatte Durst auf das Getränk und zugleich würde es ihr helfen, etwas wacher zu werden und sich hoffentlich ein wenig besser konzentrieren zu können. Bereits seit heute Morgen ging sie gedanklich immer wieder ein ganz bestimmtes Gespräch durch, das sie würde führen müssen. Zeitgleich war sie sich unsicher, ob sie ihren Plan wirklich in die Tat umsetzen wollte.

Zumal sie nicht wusste, wie sie sich im Bezug auf Chris weiter würde verhalten sollen.

Die Daywalkerin selbst behandelte sie freundlich und locker, fast so wie eine Freundin. Aber Jodie war sich unsicher, wie die andere Blondine für sie empfand.

Sie behandelte sie wie eine Freundin..., weil sie für sie einfach nur eine Freundin war? Vielleicht sogar bloß eine Kameradin oder Verbündete in dem Deal, welchen Mondnebel mit der Vampirin vereinbart hatte? Dann wäre da wieder die Geschichte mit der Seelenverwandtschaft. Curaçao war der direkten Frage ausgewichen, was sie in gewisser Weise verstehen konnte, doch bedeutete es nicht automatisch auch, dass Chris ihre Gefühle erwiderte, wenn sie ihre Seelenverwandte war? Sicher sein konnte sie sich da leider nicht. Genau so gut könnte es sein, dass der Bund bloß Vertrauen und Verständnis auf einer tieferen Ebene bedeutete.

Am liebsten hätte sie sich die Haare gerauft. Chris ließ sie in ihre Nähe und nicht nur eine Person hatte ihr inzwischen bestätigt, dass die Daywalkerin ihr Dinge durchgehen ließ, über die sie sich bei anderen längst aufgeregt hätte. Aber das bedeutete nicht zwingend, dass sie sie auch so mochte, wie Jodie die geringfügig Ältere.

Sie seufzte und trank einen weiteren Schluck Kaffee. Dieser war inzwischen weit genug abgekühlt, als dass sie nicht mehr Gefahr lief sich zu verbrennen, aber nach wie vor heiß genug, als dass er seinen guten Geschmack nicht eingebüßt hatte. Genau richtig also.

Geistesabwesend blickte sie ihre Kaffeetasse an. Ihr Gesicht spiegelte sich in der Oberfläche der dunklen Flüssigkeit. Warum konnte nicht einfach alles im Leben so leicht sein wie Kaffeekochen?

Wenn sie eine bestimmte Menge Kaffeepulver einer bestimmten Marke, zu einer festgelegten Menge an Flüssigkeit in die Kaffeemaschine gab, dann wusste sie, dass das Ergebnis gleichbleibend gut sein würde. Sie kannte den Ausgang sozusagen.

Leider nur verhielt es sich bei zwischenmenschlichen Beziehungen gänzlich anders als beim Kaffeekochen. Sie konnte ihrem Bauchgefühl vertrauen und auf einen gewissen Ausgang des Gesprächs hoffen, doch eine Garantie für ein Happy End gab es nicht. ... Zumal die Schauspielerin, die sie mochte, leider unberechenbarer und launischer war als alle Personen, die sie kannte.

Und dann wäre da noch ein ganz anderer Punkt. Sie war nicht die einzige Person, die Chris mochte. Sie wusste von Reis Gefühlen für Chris und sie wusste zudem, wie nah die beiden Blonden sich standen. War es da überhaupt fair ihr Glück zu versuchen? Es kam ihr nicht richtig gegenüber dem Bodyguard vor. Gleichzeitig fragte sie sich, ob sich ein Versuch überhaupt lohnte.

Curaçao hatte bereits angedeutet, dass die Daywalkerin Menschen nie gänzlich in ihre Nähe ließ. Wäre es nicht logisch, wenn Chris folglich nicht all zu viel auf ihre Seelenverwandte gab und sich letztlich für die Person entschied, die sie als ihren besten Freund betitelte? Wenn sie sich denn überhaupt in dem Sinne für irgendjemanden entschied. Es konnte genau so gut sein, dass sie ihre Freiheit einer jeden Beziehung vorzog.

Die Jägerin trank ihren Kaffee aus und stand schließlich von ihrem Platz auf. Sie streckte sich, atmete einmal tief durch und beschloss dann, das Gespräch, welches sie schon den ganzen Tag über gedanklich wieder und wieder im Kopf durchspielte, endlich hinter sich zu bringen. Es musste sein. Es wäre nur ehrlich und fair. Genau so, wie Jodie nun einmal tickte. Sie wollte niemanden verletzen, auch wenn das in dieser Situation fast nicht zu vermeiden war.

Ein flaues Gefühl machte sich in ihrem Magen breit. Vielleicht war auch einfach nur sie diejenige, die am Ende verletzt würde. Auszuschließen war es nicht.
 

Zögerlich lief sie über den Flur, blieb schließlich vor einer bestimmten Tür stehen und hielt einen Moment inne. Ob die Person, mit der sie sprechen musste, überhaupt anwesend war?

Sie hoffte nicht das gesamte Haus absuchen zu müssen. Nicht nur aufgrund der schieren Größe des Anwesens, sondern auch, weil es hier für einen Menschen nur bedingt sicher war. Der letzte Zwischenfall mit Chianti hatte ihr dies nur noch einmal all zu deutlich vor Augen geführt.

Schließlich fasste sie sich ein Herz und klopfte gegen das dunkle Holz der Zimmertür.

"Komm ruhig rein.", erklang einen Moment später bereits die Antwort, auf die sie gehofft hatte.

Die junge Frau sprach sich noch einmal Mut zu, drückte die Türklinke herunter und betrat das Zimmer schließlich.

Der Raum war eher praktisch, aber nicht ungemütlich, eingerichtet. Auf dem Bett lag eine graue Anzugjacke, während an der Wand eine Gitarre lehnte. Im Großen und Ganzen wirkte das Zimmer sehr ordentlich, lediglich der Pflanze, die sie in der Ecke neben der Tür entdeckte, schien es nicht ganz so gut zu gehen. Das arme Ding sah aus, als wäre es bereits seit zwei Wochen nicht mehr gegossen worden.

"Gut das du da bist. Sicher war ich mir nicht. Ich hatte ehrlich gesagt schon befürchtet, ich müsste das halbe Haus auf den Kopf stellen.", begrüßte sie den Besitzer des Zimmers.

Rei saß am Schreibtisch. Das Display des eingeschalteten Laptops vor ihm verriet, dass er soeben die Ergebnisse der heutigen Fußballspiele geprüft haben musste.

"Das halbe Haus auf den Kopf stellen, damit Chris dir anschließend deshalb den Hals umdreht, sobald sie zurück ist?" Der Bodyguard warf ihr ein schiefes Schmunzeln zu. Dann blickte er etwas fragender und ernster drein. "Ist was passiert?", wollte er wissen.

Jodie schüttelte den Kopf und winkte ab. "Nein, passiert in dem Sinne ist nichts. Ich wollte nur mit dir reden.", erklärte sie erst einmal.

Auf ihre Worte hin, stand der Blonde von dem Bürostuhl auf, auf dem er eben noch gesessen hatte und bot ihr den Sitzplatz an, während er selbst sich auf die Kante seines Bettes setzte.

"Chris ist unterwegs? Ich dachte sie wäre vielleicht unten in der Bar. Ich habe sie jetzt allerdings schon seit einer Weile nicht mehr gesehen.", erkundigte Jodie sich, während sie sich auf den ihr angebotenen Platz setzte.

"Sie ist mit ein paar Schauspielerinnen, mit denen sie befreundet ist, ausgegangen. Eigentlich wollte sie dir noch Bescheid gesagt haben, aber als ich sie vorhin zu dem Treffen gefahren habe, warst du gerade im Bad.", stellte Bourbon fest. "Bei ihrem überfüllten Terminkalender kommt sie nicht oft dazu, aber diesen Abend hat sie sich freigeschaufelt. Hattest du sie gesucht?"

Die Jägerin blinzelte und spürte erneut, wie Unwohlsein in ihr aufstieg. "Nein, eigentlich nicht. Ich wollte mit dir reden."

Offen blickte ihr Gesprächspartner sie an. "Na wenn das so ist, schieß los.", forderte er sie auf.
 

Etwas unbehaglich rutschte die junge Frau auf dem Bürostuhl hin und her. Sie wusste nicht ganz, wie sie das Thema, welches ihnen beiden nicht gefallen würde, nun anschneiden sollte.

"Reden wollte ich mit dir, aber trotzdem geht es um Chris.", begann sie.

Im Blick ihres Gegenübers veränderte sich etwas. Rei wirkte nicht feindselig ihr gegenüber, dennoch hatte er sich kaum merklich angespannt, fast so, als ahnte er bereits, in welche Richtung das Thema sich entwickeln würde. "Du magst sie, das stimmt doch, oder?"

"Warum stellst du Fragen, deren Antwort du schon kennst?", konterte der Bodyguard mit einer Gegenfrage.

Jodie hielt einen Moment inne und schwieg. Sie hatte das Gefühl, als hätte ihre Zunge sich von einem Moment auf den Anderen in ein Stück Blei verwandelt, so schwer fühlte sie sich an.

"Naja, die Sache ist, dass wir uns in diesem Punkt ähnlicher sind, als mir lieb ist. Ich kenne sie nicht annähernd so lange, wie ihr euch kennt, aber ich empfinde ganz ähnlich für Chris, wie du auch."

Jetzt war es raus. Einerseits hätte Jodie die Worte am liebsten sofort wieder ungeschehen gemacht, andererseits war sie froh, dass sie das Thema endlich angeschnitten hatte.

Nicht die Tatsache, dass sie einer anderen Person gegenüber zugab, eine andere Frau zu mögen, war für sie problematisch, denn wer sie kannte, wäre nicht weiter überrascht darüber, doch der Punkt, dass Rei und sie Gefühle für ein und die selbe Person hatten, das war ihr in der Tat unangenehm.

Die Mimik ihres Gegenübers war noch einmal etwas abgekühlt. "Du bist ihre Seelenverwandte, da kommt das nicht überraschend.", antwortete der Blonde schließlich.

Jodie blinzelte überrascht und glaubte sich verhört zu haben. "D-Du weißt davon?", hakte sie stockend nach.

Auf die Lippen des Bodyguards stahl sich ein bitteres Lächeln. "Natürlich tue ich das. Zum einen bin ich nicht blind, zum anderen habe ich in den letzten Wochen oft genug mit Chris darüber gesprochen."

Erneut fühlte Jodie sich wie vom LKW überfahren. Sie hatten bereits die ganzen letzten Wochen darüber gesprochen? Das bedeutete dann zwingend auch, dass Chris sich über den Bund schon länger bewusst gewesen sein musste. Aber änderte das irgendetwas an der Situation? Vermutlich nicht, denn die Schauspielerin hatte neulich noch all zu deutlich abgeblockt, als sie versucht hatte, etwas von ihr über die Sprenkel in den Augen zu erfahren.

"Ich frage mich nur, warum du mit diesem Thema jetzt ausgerechnet zu mir gekommen bist.", ergriff Rei erneut das Wort.

Jodie atmete einmal tief durch und fasste sich ein Herz. "Ich liebe sie und das kann ich nicht einfach so ignorieren. Ich werde mit ihr sprechen müssen, aber...", sie zögerte und schaute beschämt zur Seite. "Ich weiß, dass du sie genau so magst und wie nah ihr euch steht. Ich wollte das Gespräch mit Chris nicht einfach hinter deinem Rücken suchen. Es ist mir schon unangenehm genug, dass wir Gefühle für die selbe Frau haben, obwohl wir doch inzwischen so etwas wie Kameraden sind."

Rei warf ihr einen langen Blick zu. Die Freundlichkeit war aus seiner Mimik verschwunden, Feindseligkeit konnte sie jedoch auch keine darin erkennen. Er wirkte viel mehr nachdenklich und ernst. Schließlich nickte er der Jägerin zu. "Du bist eine grundehrliche Person. Nicht, dass das etwas an der Situation ändert, aber ich weiß deine Ehrlichkeit trotzdem zu schätzen."

Nun war es Jodie, auf deren Lippen sich ein unsicheres, fast bitteres Lächeln stahl. "Ich werde ihr sagen was ich fühle, weil ich meine Gefühle nicht einfach ignorieren und totschweigen kann. ...Trotzdem glaube ich, dass du dir nicht all zu viele Sorgen machen musst. Ihr seid doch schon so lange beste Freunde mit Zusätzen, da ist es wahrscheinlicher, dass sie sich für dich entscheidet und ich mich lediglich zum Affen mache."

Zu ihrer Überraschung schüttelte Bourbon den Kopf. "Nein, nicht mehr. Natürlich sind wir gut befreundet, aber unter alles andere habe ich einen Schlussstrich gezogen, als ich gesehen habe, wie Chris sich dir gegenüber verhält."

"Huh?", brachte Jodie nur heraus und blinzelte irritiert.

Der Bodyguard stand von seinem Platz auf, lief durch den Raum und griff etwas von einem Sideboard. "Weißt du Jodie, ich kann nicht behaupten, dass ich all zu froh darüber bin, dass du aufgetaucht bist. Versteh mich nicht falsch, mit deinem Charakter hat das nichts zu tun und du wirst in Zukunft eine wichtige Verbündete sein, aber es ist frustrierend zu sehen, wie eine Wildfremde auftaucht und einem die Frau unter der Nase wegschnappt, für die man schon seit Jahren etwas empfindet."

Erneut blinzelte die Blondine verwirrt und schüttelte nun ihrerseits den Kopf. "Wegschnappt? Ja wohl kaum. Ich meine, es stimmt schon, dass ich viel Zeit mit Chris verbringe, aber das vor allem, weil ich am Set ihre Assistentin mime und hier im Anwesen ihren Schatten spiele. Es kann genau so gut sein, dass sie mich bloß auslacht und fallen lässt wie einen heißen Stein, wenn ich ihr sage, dass ich sie mag." Allein schon bei dem Gedanken daran wurde Jodie schlecht. Ganz generell graute es ihr ein wenig vor dem Gespräch mit der Daywalkerin.

"Jede Person hat im Leben nur einen einzigen Seelenverwandten. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass man sein Gegenstück überhaupt trifft, aber wenn es der Fall ist, dann bedeutet das viel.", erklärte Bourbon ihr. "Chris steht sich in diesem Punkt selbst im Weg. Sie verschließt krampfhaft die Augen vor dem Offensichtlichen, aber ich kenne sie lange und gut genug, um einschätzen zu können, was wirklich in ihr vorgeht."

Auffordernd nickte der Blonde ihr zu. "Fang.", verlangte er schließlich.

Irritiert beugte sich Jodie etwas nach vorn und schnappte den kleinen Gegenstand, den er ihr zugeworfen hatte, aus der Luft.

"Autoschlüssel?" Fragend blickte sie Bourbon an.

"Niemand sollte sich zwischen zwei Seelenverwandte stellen. Es gefällt mir zwar ganz und gar nicht, eben weil ich sie mag, aber gerade deshalb bedeutet es auch, das zu tun, was das Beste für die Person ist, die man liebt. In diesem Fall heißt das, einen Schritt zurück zu treten und dir wohl oder übel das Feld zu überlassen. Du bist sozusagen ihr Gegenstück, das fehlende Puzzleteil, und du bist die, die das Beste für Chris ist." Die Stimme des Blonden klang wenig erfreut und bitter, aber auch entschieden.

Jodie klappte der Mund auf. Für einen Moment brachte sie kein Wort heraus. Wieder einmal überschlugen ihre Gedanken sich. Hatte sie da gerade richtig gehört? Rei mochte die Schauspielerin ebenfalls, aber er gab sie in gewisser Weise frei und würde nur ein guter Freund bleiben, weil er das Beste für die Daywalkerin wollte?

"Die Autoschlüssel gehören zu Chris Wagen. Mein eigenes Auto spinnt leider schon wieder.", fuhr Rei fort, ohne Jodie die Chance zu geben irgendetwas zu sagen. "Eigentlich wollte ich sie heute Abend abholen, aber vielleicht solltest du das tun."
 

Der Blondine schwirrte immer noch der Kopf, als sie die Tiefgarage betrat und in schlafwandlerischer Sicherheit die Parklücke ansteuerte, in welcher der Ferrari der Schauspielerin stand.

Auf ihrem Weg hier her war sie lediglich von einem großgewachsenen, blonden Mann mit kantigen Gesichtszügen aufgehalten worden - Irish, wenn sie nichts durcheinander brachte. Er hatte sich ihr in den Weg gestellt und sich erkundigt, wohin genau sie gedachte ganz allein zu gehen. Für die hier lebenden Vampire musste sie als einziger Mensch und eigentliche Jägerin, ein genau so gewöhnungsbedürftiger Anblick sein, wie die Blutsauger es im Umkehrschluss für sie waren. Sie hatte sich, trotz ihres wild klopfenden Herzens, dazu gezwungen cool zu bleiben, hatte dem Hünen wie selbstverständlich Chris Autoschlüssel gezeigt und ihm erklärt, dass sie die Daywalkerin aus der Stadt abholen sollte. Irish hatte ihr einen langen, skeptischen Blick zugeworfen, sie letztlich jedoch ziehen lassen.

Nun, in der Garage angekommen, konnte Jodie nicht leugnen, dass es trotz allem ein seltsames Gefühl war, auf den Knopf des Autoschlüssels zu drücken und den Ferrari kurz aufblinken zu sehen. Normalerweise fuhr Chris ihr Auto selbst. Ging das also wirklich in Ordnung? Nun gut, Curaçao hatte sie den Wagen neulich auch schon einmal geliehen, doch Curaçao kannte die Schauspielerin auch schon viel länger, als sie es tat.

Jodie schüttelte den Kopf und öffnete schließlich entschieden die Autotür, ehe sie sich in den Fahrersitz sinken ließ. Einen so teuren Sportwagen war sie noch nie gefahren, auch wenn sie zugeben musste, dass sie der Gedanke schon immer gereizt hatte. Bereits das ein oder andere Mal hatte ihr die Frage auf den Lippen gelegen, ob die eigentliche Besitzerin des Ferraris nicht einmal auf dem Beifahrersitz Platz nehmen und sie fahren lassen könnte, doch bislang war diese Bitte unausgesprochen geblieben.

Die junge Frau schnallte sich an und startete den Motor. Allein das Geräusch des Motors, als der Luxuswagen sozusagen zum Leben erwachte, war Musik in ihren Ohren. Sie lächelte. Ja, sie fuhr heute in erster Linie nur, um Chris aus der Stadt abzuholen, aber sie konnte nicht leugnen, dass sie sich darauf freute, einmal selbst mit diesem Auto durch die Stadt jagen zu können.

...beinahe hätte sie den Wagen noch in der Garage vor die Wand gesetzt, da sie schlicht und ergreifend unterschätzt hatte, wie gut dieses Auto doch am Gas hing. Nach diesem Herzinfarktmoment, glaubte Jodie den Ferrari bereits etwas besser einschätzen zu können und fuhr entsprechend vorsichtig.
 

Die Fahrt fühlte sich viel mehr an, als würde der Wagen über den Asphalt fliegen. Ein wirklich einmaliges Fahrerlebnis. Jodie meinte verstehen zu können, warum Chris sich ausgerechnet für dieses Auto entschieden hatte. Ob die Schauspielerin wohl selbst auch noch jede Fahrt genoss, oder ob der Ferrari für sie inzwischen nicht mehr als ein Gebrauchsgegenstand war und sie den Luxus gar nicht mehr wirklich wahrnahm?

Während ihrer Fahrt durch die Großstadt musste sie wieder an das Gespräch mit Bourbon denken.

Verschiedene Gefühle mischten sich in ihrer Brust. Einerseits war da das schlechte Gewissen ihm gegenüber, aber auch Überraschung und eine gewisse Dankbarkeit. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ihr Gespräch so verlaufen würde, wie es verlaufen war. Sie rechnete es dem Bodyguard hoch an, dass er ihr das Feld überlassen hatte, da er der Meinung war, dass sie als ihre Seelenverwandte, das Beste für Chris wäre.

Bei diesem Gedanken mischte sich auch wieder Unsicherheit zu den wirbelnden Gedanken in ihrem Kopf. Sie sollte das Beste für die Schauspielerin sein? Stimmte das denn auch? Und wie sah die andere Blondine die Sache überhaupt? Nach dem, was Curaçao neulich erst noch angedeutet hatte, hatte Jodie so ihre Zweifel, dass Chris Rei da blind zustimmen würde.

Himmel, wie sollte sie dieses schwierige Thema ihr gegenüber überhaupt ansprechen? Das war nichts, worüber man ganz unverfänglich zwischen Tür und Angel sprach.

Sie seufzte, zwang sich dazu sich auf den Straßenverkehr zu konzentrieren und riskierte einen Blick auf das Navigationsgerät, ehe sie den Blinker setzte und links abbog.
 

Als sie schließlich den Zielort, einen teuren Club, erreicht hatte und sich in die Schlange der wartenden Luxusautos einreihte, stahl sich ein Schmunzeln auf die Lippen der Jägerin. So fühlte man sich also als Fahrer einer berühmten Schauspielerin, ja? Nicht nur, dass sie ihre Assistentin am Set mimte und zumindest vor den Augen der Vampire im Anwesen das Dienstmädchen der anderen Blondine gab, jetzt spielte sie auch noch ihren Abholservice. Wobei sie ehrlich gesagt nichts dagegen hatte, sie einzusammeln.

Es freute sie, dass Chris trotz all dem Stress und Ärger in letzter Zeit, entschieden hatte sich einmal eine Auszeit und einen ruhigen Abend mit ein paar Freundinnen zu gönnen. Egal wie arbeitsbesessen die Daywalkerin sonst auch war, eine solche Auszeit würde ihr mit Sicherheit gut tun.

Nun, wo sie im Auto saß und wartete, hoffte Jodie jedoch auch, dass das Sternchen einigermaßen pünktlich hier aufkreuzen würde. Laut Rei hatten sie vorhin zumindest noch eine Uhrzeit vereinbart, zu der der Bodyguard sie wieder abholen sollte.

Erste Zweifel kamen ihr. Was würde Chris wohl dazu sagen, dass nicht Rei sondern sie es war, die sie abholte? Und noch dazu im Auto der Schauspielerin. Was das betraf... wenn die Blondine Vertrauen genug hatte, ausgerechnet Bourbon ihren Wagen fahren zu lassen, dann würde sie wohl kaum Bedenken haben, nun Jodie auf dem Fahrersitz zu entdecken. Hoffte sie zumindest.
 

Ein Grüppchen verließ den Club und verabschiedete sich vor der Tür voneinander.

Obwohl ihre Augen nicht die Besten waren, meinte Jodie in der kleinen Gruppe auch Chris entdeckt zu haben. Die Schauspielerin umarmte gerade noch eine ihrer Kolleginnen zum Abschied, dann scannte sie suchend die Reihe der parkenden Autos und hatte schließlich entdeckt, wonach sie Ausschau gehalten hatte.

Die Blondine winkte der Gruppe noch einmal zu und nahm schließlich Kurs auf den Ferrari, ehe sie die Beifahrertür öffnete und einstieg. Schon auf dem Weg hier her musste ihr aufgefallen sein, dass es nicht Rei war, der am Steuer saß.

"Jodie? Seit wann spielst du denn meine Fahrerin?", erkundigte die Daywalkerin sich überrascht, ehe sie schmunzelnd hinzufügte: "Noch dazu in meinem eigenen Auto."

"Dir auch einen guten Abend.", begrüßte die Jägerin die andere Blondine, ehe sie sich etwas verlegen am Kopf kratzte. "Naja, dass Bourbons Mazda aktuell spinnt, weißt du ja. Ihm ist etwas dazwischengekommen und da hat es sich ergeben, dass ich für ihn einspringe."

Konnte man das so sagen? Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, aber die Wahrheit zu sagen, wäre auch gleichbedeutend damit gewesen, mit der Tür ins Haus zu fallen.

"Tja, das ist dann wohl vorteilhaft für uns beide. Ich werde zuverlässig abgeholt, du hast die Gelegenheit meinen Ferrari zu fahren. Ich habe dir die ganze letzte Zeit schon an der Nasenspitze angesehen, dass du das wolltest."

Jodie blinzelte. "Ach ja? War das so offensichtlich?", hakte sie überrascht nach.

Die Schauspielerin grinste lediglich. "Kätzchen, dich kann man lesen wie ein offenes Buch, schon vergessen?"

Chris lehnte sich seitlich an die Beifahrertür und suchte nach einer gemütlichen Sitzposition, ehe sie versuchte sich eine Zigarette anzuzünden... und sich dabei irgendwie ungeschickter anstellte als gewöhnlich.

Einen Moment lang beobachtete Jodie die Ältere mit hochgezogener Augenbraue, dann schlug ihr der Geruch von Zigarettenrauch und Alkohol in die Nase. Die Art und Weise, wie die andere Blondine gemütlich am Fenster lehnte und gewissermaßen leicht hilflos mit dem Feuerzeug herumhantierte... es war nicht schwer die Puzzleteile zusammenzusetzen.

Die junge Frau war überrascht und amüsiert zugleich. "Mein Gott, Chris, du bist sturzbetrunken.", stellte sie fest.

"Gott ist zwar auch eine nette Anrede, aber einfach nur Chris reicht, weißt du?", erwiderte die Andere und gähnte hinter vorgehaltener Hand. "Und so betrunken bin ich nun auch wieder nicht. Nur ein bisschen beschwipst vielleicht.", verbesserte sie.

Jodie verdrehte die Augen. "Na das sehe ich.", stellte sie fest. Sie startete den Ferrari und fuhr los. "Aber ehrlich gesagt wundert es mich, dass du überhaupt Alkohol trinken kannst."

Die Schauspielerin machte eine wegwerfende Handbewegung, wobei ihr das Feuerzeug in den Fußraum fiel. Es folgte ein unschöner Fluch. Jodie hatte Mühe nicht loszulachen.

"Kann ich ja eigentlich auch nicht. Vampire können mit Alkohol genau so wenig anfangen, wie mit Lebensmitteln. Aber wir können zumindest alibihalber essen und trinken. Wie hätte es denn bitte ausgesehen, wenn ich im Club die Einzige gewesen wäre, die nichts getrunken hätte?"

Etwas unschlüssig suchte die Daywalkerin mit dem Blick den Fußraum nach ihrem Feuerzeug ab. Jodie verzichtete darauf sie daran zu erinnern, dass der Wagen unter anderem auch über einen Zigarettenanzünder verfügte.

"Die Wirkung von Alkohol ist und bleibt allerdings die Gleiche. Bis sich die Gelegenheit ergab, kurz im Bad zu verschwinden, um den Alkohol wieder aus dem Magen zu bekommen, war dessen Wirkung bereits leicht spürbar."

"Leicht?" Jodie lachte. "Ich bin eher beeindruckt, wie du es in deinem Zustand auf High Heels geschafft hast, bis zum Wagen zu laufen, ohne dir die Hacken zu brechen."

Als sie an einer roten Ampel standen, nutzte sie die Gelegenheit, um ihrer Beifahrerin einige verirrte Strähnen aus dem Gesicht zu streichen, wobei ihre Hand die Wange der Älteren streifte. Zu ihrer Überraschung schmiegte diese sich kurz in die Berührung. Das Herz der eigentlichen Vampirjägerin schlug unweigerlich schneller.

Als die Ampel wieder auf grün umschlug, umfasste Jodie das Lenkrad lieber wieder mit beiden Händen und fuhr weiter, während Chris neben ihr gähnte und ganz allgemein recht schläfrig wirkte.

Sie schmunzelte schief. "Ich kenne da ein gewisses Prinzesschen, das Morgen die Kopfschmerzen seines Lebens haben und absolut ungenießbar sein wird.", stellte sie fest.

Nein, heute würde sie das Gespräch mit der Schauspielerin definitiv nicht suchen. Dennoch konnte Jodie nicht behaupten, dass der heutige Abend verlorene Zeit gewesen wäre. Normalerweise zeigte sich Chris stets von ihrer fehlerlosen Seite. Die Ältere einmal so herrlich unperfekt und menschlich zu erleben, löste ein warmes Gefühl der Zuneigung in ihrer Magengegend aus.
 

In der Tat sollte Jodie Recht mit der Vermutung behalten, dass die Daywalkerin sich am nächsten Tag nicht unbedingt bester Laune erfreuen würde. Zwar gab Chris mit keinem Wort zu, dass sie verkatert war und ihr Make-Up ließ sie genau so makellos wie immer wirken, dennoch glaubte Jodie zu wissen, dass die Kopfschmerzen und die Restwirkung des Alkohols es waren, die die geringfügig Ältere so launisch und reizbar machten wie selten. Die meisten schlichen an diesem Tag wie auf Zehenspitzen um die Schauspielerin herum, was zweifelsohne auch besser so war.

Die junge Frau beschloss, dass es besser wäre ein eventuelles Gespräch auf einen anderen Tag zu verschieben.
 

In der Tat sah die Welt am nächsten Tag schon wieder viel besser aus. Chris wirkte wieder viel ausgeglichener. Noch dazu musste sie an diesem Tag nicht arbeiten, was ein wenig mehr Ruhe im Vergleich zu der bislang hektischen Woche versprach.

Während die Daywalkerin im Anwesen unterwegs war, um einige organisatorische Dinge zu regeln, auf die sie nicht genauer hatte eingehen wollen, schlug Jodie ihre Zeit tot, indem sie fernsah und per Smartphone mit Andre und Rena chattete.

Andre brachte sie rasch auf den neusten Stand der Dinge, auch wenn es seit dem letzten Treffen mit Mondnebel nicht all zu viel zu berichten gab. Dennoch machten ihre Kameraden sich nach wie vor Sorgen um sie, da es für einen Menschen in einem Vampiranwesen nur bedingt sicher war.

Mit Rena wiederum schrieb sie über alles mögliche. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass der Brünetten aktuell genau so langweilig war wie ihr selbst, zumal Sternenstaubs ehemalige Jägerin bis zum Jahreswechsel in einer kleinen Zweizimmerwohnung festsaß. Kein Wunder also, dass ihr da die Decke auf den Kopf fiel.

Jodie war so in Gedanken gewesen, dass sie vor Schreck beinahe vom Sofa gefallen wäre, als Chris schwungvoll die Tür öffnete und den Raum betrat.

"Ich habe gleich noch einen Interviewtermin in der Stadt. Wie sieht es aus, Kätzchen, kommst du mit?", erkundigte die andere Blondine sich.

Jodie schob ihre Brille ein Stück hoch und blickte Chris fragend an. "Ein Interview? Promis kommen auch nie zur Ruhe, was?" Sie streckte sich und stand vom Sofa auf.

"Sieht ganz so aus.", schmunzelte ihr Gegenüber schief.
 

Nachdem sie Chris in die Stadt begleitet und die Schauspielerin einigen Journalisten das Interview, welches in ihrem Terminkalender vermerkt gewesen war, gegeben hatte, hätten sie eigentlich wieder zurück in Richtung Anwesen fahren können, doch Jodie hatte Chris gebeten, noch einen Umweg einzuschlagen. Sie wollte rasch in ihrer eigenen Wohnung vorbeisehen, um Kleidung aus dem eigenen Kleiderschrank mitzunehmen. Zwar fand sich im begehbaren Kleiderschrank der Schauspielerin mehr Kleidung, als es in mancher Boutique der Fall war, doch in ihren eigenen Klamotten fühlte Jodie sich nun einmal am wohlsten.

Auch wenn sie froh war, ihre eigene Kleidung holen zu können, so blieb es dennoch ein seltsames Gefühl, gemeinsam mit Chris ihre Wohnung zu betreten. Für Jodie selbst war dieser Ort ihr Zuhause, den sie als sicher und gemütlich empfand, gleichzeitig fragte sie sich jedoch auch, was die Daywalkerin wohl von ihrer Wohnung halten würde. Im Vergleich zu dem Trakt, den die Vampirin im Anwesen des Clans bewohnte, war die Wohnung der Jägerin doch eher klein und zwar gut, aber nicht halb so luxuriös eingerichtet, wie die Zimmer der Älteren.

Während Jodie damit beschäftigt war einige Sachen zusammenzusuchen, konnte sie nicht leugnen, ein wenig Heimweh zu verspüren. Sie vermisste ihre eigenen vier Wände und es tat gut, sich nun wieder hier aufzuhalten. Gleichzeitig wusste sie jedoch auch, dass besagter Aufenthalt nur von kurzer Dauer sein würde. Erst Anfang des kommenden Jahres würde sie hier wieder regulär wohnen können.

Nicht leugnen konnte sie außerdem, dass sie mit einem Auge unauffällig Chris im Blick behielt, während sie ihre Sachen packte. Vielleicht war es albern, aber sie wünschte sich, dass der Anderen ihre Wohnung gefiel. Sie versuchte in der Mimik der Daywalkerin zu lesen, was sie dachte, doch wie üblich war deren Pokerface einmal mehr perfekt.

"Gemütlich hast du es hier. Ich habe mich ehrlich gesagt die ganze Zeit über schon gefragt, wie du wohl wohnst. Du hast ein Händchen dafür, die Zimmer so einzurichten, dass sie warm und heimelig wirken.", tat Chris schließlich ungefragt ganz von allein ihre Meinung kund.

Jodie, die gerade damit beschäftigt gewesen war, einige T-Shirts aus einem Fach im Kleiderschrank zu räumen, hielt kurz inne. Ihr fiel ein Stein vom Herzen und ein warmes Gefühl machte sich in ihrem Magen breit. Auf die Lippen der jungen Frau legte sich ein Lächeln.
 

Nach dem kurzen Zwischenstopp in ihrer Wohnung, hatten die beiden Frauen die Taschen im Ferrari der Schauspielerin verladen. Jodie, die heute wieder auf dem Beifahrersitz saß, beobachtete, wie die Umgebung an ihnen vorbeiraste. Chris lenkte den Wagen locker mit einer Hand, während sie in der anderen Hand eine Zigarette hielt. Das Fenster auf der Fahrerseite war ein Stück weit heruntergefahren. Kalter Fahrtwind drang ins Innere des Sportwagens.

Die beiden Frauen unterhielten sich während der Autofahrt über Gott und die Welt. Die Stimmung war gut und erneut wurde die Jüngere sich bewusst, wie sehr sie, eine eigentlich überzeugte Jägerin, der Vampirin gegenüber doch aufgetaut war. Sie mochte sie und sie genoss jede Sekunde des heutigen kleinen Ausflugs. Alles wirkte so natürlich und so friedlich. Einfach so, wie es sein sollte. Aber war das ein Wunder? Ihr Blick ruhte auf der Schauspielerin. Das sie sich in der Nähe ihrer Seelenverwandten sozusagen komplett fühlte, war fast schon selbsterklärend. Zumindest klang dies in Jodies Kopf nach einer logischen Erklärung, auch wenn sie nach wie vor mit dem Gedanken klarkommen musste, dass es so etwas wie Seelenverwandtschaft überhaupt gab.

Gleichzeitig fragte sie sich, ob es Chris wohl ähnlich ging wie ihr. Fühlte sie sich aktuell genau so wohl in ihrer Nähe, oder kreisten ihre Gedanken aktuell viel mehr darum, was es im Anwesen noch zu tun gab, sobald sie wieder zurück wären?

Das erinnerte sie daran, dass sie unbedingt mit ihr sprechen wollte und sollte, auch wenn es ihr vor diesem Gespräch immer noch ein wenig graute.

Die Tage waren, nun im November, inzwischen deutlich kürzer geworden und die Luft war spürbar abgekühlt. Es war erst später Nachmittag, dennoch verlor der Tag bereits an Farbe. Bald schon würde die Nacht den Tag abgelöst haben. Freundlich, wie das Wetter heute überraschend gewesen war, ging aktuell die Sonne unter und die Wolken am Horizont wurden in eine rötlich-goldene Farbe getaucht. Auch die eigentlich platinblonden Haare der Schauspielerin schienen im Licht des Sonnenuntergangs wie von Goldstaub überzogen.

"...Erde an Kätzchen.", riss Chris Stimme sie ins Hier und Jetzt zurück. "Habe ich irgendetwas im Gesicht, oder warum starrst du mich so an?"

Jodie blinzelte und ihr Herz schlug einen Tick schneller, als sie langsam den Kopf schüttelte. "Nein, hast du nicht.", stellte sie fest, ehe sie mit einer kurzen Geste in Richtung eines Parkplatzes deutete.

"Hey, Chris, können wir hier nochmal kurz anhalten, bevor wir gleich schon wieder zurück beim Anwesen sind?", erkundigte sie sich.

Zwar zog die Schauspielerin irritiert die Stirn in Falten, dennoch steuerte sie besagte Parklücke an, um zu verhindern daran vorbeizufahren.

"Der Sonnenuntergang ist herrlich und von der Mauer dort drüben, hat man einen wunderbaren Blick auf die Stadt.", erklärte Jodie und beschloss, dass es langsam an der Zeit war, sich ein Herz zu fassen und das Gespräch mit Chris zu suchen.
 

Schweigend standen sie da und blickten auf die Stadt. New York war wie immer ein Lichtermeer, doch hier, etwas weiter abseits vom hektischen Stadtleben, war es deutlich ruhiger und die schier endlosen Neonreklamen überschatteten nicht die Schönheit des Sonnenuntergangs.

Chris hatte die Ellbogen auf die Mauer gestützt und ließ den Blick über die Großstadt schweifen. Jodie, die neben ihr stand, tat es ihr gleich. "Wie ich es gesagt habe, der Ausblick von hier ist herrlich.", durchbrach die junge Frau das Schweigen schließlich.

"Der Blick auf die Stadt ist in der Tat nett.", bestätigte Chris.

"Hast du dir die Stadt schonmal aus diesem etwas ruhigeren Blickwinkel angesehen?", wollte Jodie wissen.

Chris wandte den Blick von den Wolkenkratzern ab und schenkte nun ihrer Begleiterin ihre Aufmerksamkeit. Kaum merklich legte die Schauspielerin den Kopf schief. "Ehrlicherweise nein. Ich halte sonst eher nicht mitten auf der Strecke an, um mir die Landschaft anzusehen." Sie schmunzelte amüsiert. "Das sind Ideen, auf die eigentlich nur du kommen kannst."

Die Jüngere plusterte die Wangen auf. "Na komm, tu nicht so, als wäre es so ungewöhnlich, mal einen Moment innezuhalten und die Landschaft zu genießen."

Die Schauspielerin lachte leise. "Für dich vielleicht nicht, das mag sein." Sie streckte sich und fröstelte leicht. "Hier ist es ganz schön frisch. Sieht so aus, als wäre die Zeit der Winterklamotten jetzt endgültig angebrochen."

Während die Daywalkerin ihren Blick wieder auf die Stadt richtete, zögerte Jodie für einen kurzen Moment. Hatte Chris gerade lediglich auf der Sachebene andeuten wollen, dass sie fror, oder war das eine versteckte Aufforderung gewesen näher zu rücken? Bei der Älteren wusste man das nie so genau.

Schließlich fasste sie sich ein Herz, lehnte sich ebenfalls an die Mauer und rückte so weit an ihre Begleitung heran, dass ihre Seiten sich berührten. "Frostbeule.", scherzte die Jägerin. "Ist es so besser?"

Sie konnte förmlich spüren, wie die Andere stutzte, ehe sie sich gemütlich enger an ihre Seite schmiegte, ohne sich in irgendeiner Form aus der Fassung bringen zu lassen. "Zumindest auf einer Seite.", stellte Chris fest.

Wieder herrschte kurzzeitig Schweigen. Stille, die eigentlich komfortabel gewesen wäre, wäre da nicht dieses Thema, welches Jodie unbedingt anschneiden wollte und für das es ihrer Meinung nach gerade keinen passenderen Zeitpunkt gab.

Alles war gerade so ruhig und so friedlich. Einfach perfekt. Chris war auf die kleine Annäherung eingegangen, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt und schien sich nicht weiter an ihrer Nähe zu stören. Die Seite der Daywalkerin fühlte sich angenehm warm an.

Doch so angenehm die aktuelle Situation auch war, ihr schlug das Herz bis zum Hals. Jodie hatte das Gefühl, als hätte sie einen tonnenschweren Stein verschluckt. Sie musste unbedingt mit Chris sprechen und doch hatte sie gleichzeitig auch Angst vor dem Ausgang dieses Gesprächs.

Noch während sie immer nervöser wurde und überlegte, wie zur Hölle sie nun beginnen sollte, blickte die Schauspielerin sie an und zog fragend eine Augenbraue hoch.

"Hey, ist alles in Ordnung mit dir?", wollte sie wissen.

Jodie glaubte ihren Ohren nicht zu trauen und starrte die andere Blondine verblüfft an. Konnte man ihr ihren inneren Konflikt so deutlich ansehen? "W-wie meinst du das?", brachte sie heraus und hätte sich für die holperige Gegenfrage am liebsten auf die Zunge gebissen.

"Dein Herz springt dir ja gleich aus der Brust und ich kann das Adrenalin riechen."

Die Jägerin stutzte. Sie blinzelte perplex, ehe sie sich in Erinnerung rief, wie es sein konnte, dass der Anderen all das nicht entgangen war. Jodie zog ein Gesicht. "Verdammte Daywalkerin mit deinen überempfindlichen Sinnen."

Angesprochene lachte leise. "Tja, was soll ich dazu sagen?" Dann wurde Chris wieder ernster. "Aber ganz ehrlich, was ist los mit dir?"
 

Die junge Frau schwieg für einen Moment und trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Das hier war nun so etwas wie der perfekte Einstieg, warum nur war es trotzdem so schwer? Ihre Zunge schien ihr nicht gehorchen zu wollen und auch ihre Stimme weigerte sich im ersten Moment auch nur einen einzigen Laut zu produzieren.

Schließlich riss sie sich zusammen. Schluss jetzt. So nervös sie auch war, sie war doch kein Teenager mehr, sondern eine erwachsene Frau, die wusste was sie wollte. Und dementsprechend sollte sie sich auch verhalten.

"Chris...?", begann sie. Angesprochene blickte sie fragend an, schwieg aber und wartete darauf, dass sie weiter sprach. "Ich weiß jetzt, was es damit auf sich hat." Bei diesen Worten deutete sie kurz auf das Auge, in welchem sich der Sprenkel befand. Sie sah der Daywalkerin an, dass diese beinahe sofort verstand.

"Warum wolltest du neulich nicht mit mir darüber sprechen?", erkundigte Jodie sich und richtete den Blick lieber wieder auf den Sonnenuntergang und die Stadt.

Sie konnte spüren, wie Chris sich neben ihr anspannte. "Weil es keinen Unterschied macht. Das habe ich dir neulich schon gesagt. Das Zeichen hat nur so viel Bedeutung, wie du ihm zugestehst."

Jodies Verstand meldete ihr, dass sie immer noch einen Rückzieher machen konnte. Sie könnte es einfach dabei belassen und so tun, als habe sie nur anschneiden wollen, dass sie das Rätsel um die seltsamen Sprenkel in den Augen gelöst hatte. Aber... das würde sie auch nicht weiterbringen.

Sie zwang sich weiterzusprechen. "Das hast du gesagt, stimmt. Für mich ergibt jetzt trotzdem einiges Sinn."

"Wie meinst du das?", erkundigte Chris sich, ohne den Blick von der Stadt abzuwenden.

Die Jüngere seufzte und fasste sich ein Herz. "Du bist eine Vampirin, ich eine Vampirjägerin... trotzdem mag ich dich. Und das nicht nur im freundschaftlichen Sinne." Den letzten Satz fügte sie ein wenig leiser hinzu.

Wieder herrschte einen Moment lang Stille, dann wandte die Schauspielerin sich ihr zu.

"Ach Kätzchen, sieh mich an.", forderte sie die Jüngere auf, seufzte ihrerseits und legte Jodie eine Hand ans Kinn, um ihren Blick in die richtige Richtung zu dirigieren.

Blaue und grüne Augen blickten sich an. Jodies Herz pochte laut, während sie versuchte die Mimik der Anderen zu lesen. Chris blickte ihr warm und freundlich entgegen, dennoch meinte sie ihrer Mimik auch eine gewisse Bitterkeit entnehmen zu können.

"Curaçao hat dir erzählt, was es mit den Sprenkeln in unseren Augen auf sich hat, oder? Darüber habt ihr geredet, als ihr neulich aus dem Raum gegangen seid.", stellte Chris fest. Mit dem Daumen strich sie Mondnebels Jägerin über die Wange. "Sie hat dir erklärt, was es mit der Seelenverwandtschaft auf sich hat und jetzt versuchst du das Gefühl der Verbundenheit in eine bestimmte Richtung zu drängen, damit es Sinn ergibt, oder Süße? Aber das musst du nicht."

Jodie blinzelte. Die Stimme der Daywalkerin klang so ruhig und verständnisvoll und dennoch lag Chris mit ihrer Vermutung meilenweit daneben.

Die junge Frau schüttelte den Kopf. "Nein, das verstehst du vollkommen falsch.", widersprach sie und blickte ihrem Gegenüber in die smaragdgrünen Augen. "Ich zwinge mich nicht dazu irgendetwas zu fühlen. Mir war schon klar, dass ich mich in dich verliebt habe, noch bevor jemand überhaupt erwähnt hat, dass du meine Seelenverwandte bist. Diese Information hat mich nur verstehen lassen, warum du es trotz sämtlicher Widrigkeiten so schnell geschafft hast, so vertraut zu wirken."

Die Schauspielerin musterte sie und beugte sich näher in Richtung ihres Gesichts. Die Jägerin blickte ihrerseits in die ausdrucksstarken, grünen Augen, im makellosen Gesicht ihres Gegenübers.

"Denkst du denn, dass das eine gute Idee wäre?", konnte sie Chris fragen hören.

Nah, wie die Ältere ihr derzeit war, lehnte sie sich nur noch etwas mehr nach vorn und schloss die Augen. "Eine Jägerin und eine Vampirin, das klingt schon ziemlich verrückt, aber es kümmert mich inzwischen nicht mehr..." Zumindest im Bezug auf diese Vampirin, hatte Jodie ihre Vorurteile über Bord geworfen.

Sie ging davon aus, jeden Moment die Lippen der Anderen auf ihren zu spüren... und blinzelte, als sie stattdessen den Zeigefinger der anderen Blondine fühlte, den diese ihr auf die Lippen gelegt hatte.

Fragend blickte Jodie Chris entgegen. Die Situation war in ihren Augen gerade immerhin ziemlich eindeutig gewesen, doch die Schauspielerin schüttelte nur kaum merklich den Kopf und legte kurz ihre Stirn an die der Jägerin, ehe sie wieder etwas mehr auf Abstand ging.

"Das war es nicht, was ich meinte, Kätzchen.", ergriff Chris schließlich wieder das Wort. "Ein Mensch und ein Vampir, weißt du, was das auch bedeutet?"

"... Das beide Seiten es uns nicht leicht machen würden...?", brachte die Jüngere fragend heraus.

"Ich schere mich nicht darum, was andere von mir denken.", erklärte Chris ihr. "Nicht die Anderen sind das Problem. Menschen und Vampire sind grundverschieden. Menschen sind so zerbrechlich und kurzlebig. Während wir Vampire mühelos Jahrhunderte, wenn nicht länger, überdauern, verwelkt ihr Menschen wie eine schöne Blume."

Chris strich der Jüngeren liebevoll übers Haar. "Egal was für ein Bund auch immer zwischen uns bestehen mag, du solltest in diese Richtung nicht weiterdenken. Vielleicht findest du es in den ersten Jahren noch ganz reizvoll, eine Freundin zu haben, die nicht altert, aber irgendwann wird dir diese Tatsache ganz sicher nicht mehr gefallen. Und ich könnte dabei zusehen, wie meine Seelenverwandte in gefühlt wenigen Atemzügen zu einer Greisin wird und schließlich vergeht wie eine Kirschblüte. Ein Mensch und ein Vampir, diese Kombination bringt beiden lediglich Schmerz. Allein deshalb schon, tust du besser daran, gar nicht erst in diese Richtung weiterzudenken und dem Bund keine weitere Beachtung zu schenken. Es ist das Beste so."

Zwar hatte Curaçao sie bereits vorgewarnt, was die Reaktion der Daywalkerin betraf, dennoch verspürte Jodie einen schmerzhaften Stich im Herzen und die Zeit schien für einen grausamen Moment stillzustehen.

Die Zeit zog ins Land. Aus November wurde Dezember und auch der letzte Monat des Jahres verstrich wie im Flug.

Nach wie vor lebte die junge Frau im Vampiranwesen, auch wenn sie die Tage, die sie hier noch verbringen würde, inzwischen ganz leicht zählen konnte. Sie wusste nicht, ob sie nun froh darüber sein sollte, bald zurück in ihre Wohnung zu ziehen und die Fassade des Dienstmädchens fallen lassen zu können, oder ob ihr eher ein wenig wehmütig zu Mute sein sollte. Bald schon aus dem Anwesen auszuziehen, würde immerhin auch bedeuten, wieder weiter entfernt von Chris zu leben.

Nicht, dass sich in den letzten Wochen etwas verändert hatte. Die andere Blondine hatte an ihrer Haltung Jodie gegenüber nichts geändert. Die Schauspielerin verhielt sich ihr gegenüber auch nach dem Gespräch noch wie immer. Jodie hatte nicht das Gefühl, dass ihr Geständnis die Ältere sonderlich befremdete. Chris ließ sie nach wie vor in ihre Nähe und behandelte sie herzlicher als die meisten anderen Personen in ihrem Umfeld, dennoch hielt sie die Jägerin immer auch ein wenig auf Abstand. Auch wenn sie sie nicht anders behandelte als vorher, so stand die Daywalkerin doch zu ihrem Wort, dass eine Beziehung für sie nicht in Frage kam.

Einerseits konnte Jodie ihr Denken nachvollziehen, andererseits konnte sie dennoch nicht leugnen, dass die Zurückweisung schmerzte. Mehr sogar, als sie geglaubt hatte.

In der Nähe ihrer Seelenverwandten fühlte sie sich geborgen und wohl und dennoch war da dieser bittere Beigeschmack, wusste sie doch gleichzeitig auch, dass Chris ihr nie das geben würde, was sie wollte. Sie würde sie immer eine gefühlte Armeslänge auf Abstand halten.

Es war, wie Curaçao es gesagt hatte. Die Vampirin hatte ihr vor Augen geführt, wie ungleich sie doch waren. Aus Angst früher oder später verletzt zu werden, blockte Chris von Anfang an ab, in der Hoffnung den Schmerz für sie beide auf diese Art und Weise erträglicher zu machen.

Jodie konnte den Gedanken dahinter durchaus verstehen, dennoch schmerzte es, nie mehr als eine gute Freundin oder Teampartnerin für die andere Blondine zu sein.

Vielleicht war es also wirklich gar nicht so schlecht, wenn sie bald schon zurück in ihre eigene Wohnung zog. Warum nur kam ihr der Gedanke dann gleichzeitig so falsch vor? Es war zum Haare raufen!

Dann wäre da noch die immer näher rückende Entscheidungsschlacht, vor der es der Jägerin bereits jetzt graute, auch wenn sie selbst keinen aktiven Part in diesem Kampf bekleiden würde.

Die Leben so vieler Menschen hingen davon ab, wie diese Schlacht verlaufen würde. Gleichzeitig machte sie sich unglaubliche Sorgen um Chris. Sollte der Plan schiefgehen, hätte sie aufgrund des Halsreifs keine andere Wahl, als sich dem japanischen Vampirfürsten und seinen Leuten anzuschließen. Ein Schicksal, das sie sich gar nicht vorstellen mochte.

Bei dem Gedanken an den bevorstehenden Kampf, verzog Jodie leicht das Gesicht. Mondnebel und die kleine Gruppe der eingeweihten Vampire hatten sich in den letzten Wochen immer wieder zusammengesetzt. Einerseits waren diese Gespräche jeweils ein wichtiger Austausch von Informationen gewesen, andererseits glaubte Jodie, dass sie aufgrund der Gruppenkonstellation früher oder später noch graue Haare bekommen würde.

Beide Seiten wollten zusammenarbeiten, dennoch misstrauten Jäger und Vampire sich nach wie vor. Eine Tatsache, die sie auch durchblicken ließen. Ständig gab es Streit und Anfeindungen. Jedes Mal aufs Neue waren Rena und sie selbst es, die versuchen mussten die angespannte Situation bestmöglich zu beruhigen.

Sie seufzte. Wenn das so weiter ging, dann fragte sie sich wirklich, wie die Zusammenarbeit in Zukunft aussehen sollte. Außerdem hoffte sie, dass das Misstrauen und die Unstimmigkeiten nicht dazu führen würden, dass sie sich zum Jahreswechsel noch gegenseitig behinderten und die Schlacht in einer Katastrophe enden würde.
 

"...denkst du?" Chris Stimme riss Jodie aus ihren Gedanken. Die Blondine blinzelte und musste wohl oder übel zugeben, dass sie der Anderen nicht zugehört hatte.

"Bitte was?", hakte sie folglich nach und hoffte, dass Chris ihre Frage ganz einfach wiederholen würde.

Die Ältere lachte leise und beschleunigte den Wagen, kaum dass sie auf die Stadtautobahn gebogen war. "Du schläfst mit offenen Augen, oder Kätzchen?", erkundigte sie sich amüsiert. "Oder woran hast du gerade gedacht?"

"...An alles Mögliche, um genau zu sein.", wich Jodie aus, ehe sie sich streckte und nach einer bequemeren Sitzposition suchte. "Kaum zu glauben, das heute dein letzter Drehtag in diesem Jahr war."

Mit einer Hand hielt die Schauspielerin das Lenkrad, mit der anderen schnippte sie sich eine verirrte Strähne zurück über die Schulter. "Viele haben zwischen Weihnachten und Neujahr Urlaub. Die Dreharbeiten werden daher erst nächstes Jahr fortgesetzt." Kurz schwieg Chris und blickte ernster und grimmiger drein. "Ich hoffe jedenfalls, dass auch für mich die Arbeit im nächsten Jahr ganz normal weitergeht."

Jodie konnte ihre Sorge nur zu gut verstehen. Sie wusste, dass es etwas bedeutete, wenn die Daywalkerin diesen Gedanken schon offen aussprach, ließ sie normalerweise doch nicht so leicht durchblicken, wenn sie sich wegen irgendetwas sorgte.

Auch wenn ihr selbst gar nicht wohl bei dem Gedanken an den Jahreswechsel war, bemühte Jodie sich dennoch möglichst ruhig zu wirken. Sie legte ihrer Sitznachbarin eine Hand aufs Bein und knuffte sie aufmunternd. "Du wirst nächstes Jahr wieder vor der Kamera stehen, genau so wie deine anderen Kollegen auch. Wir arbeiten zusammen und mit dem Plan, den wir bislang ausgeheckt haben, werden wir das Spiel schon für uns entscheiden."

Die Ältere seufzte und überholte einen LKW, der für ihren Geschmack wohl ein wenig zu langsam unterwegs war. "Ich hoffe du hast Recht."

"Natürlich habe ich das. Du wirst schon sehen.", stellte die junge Frau noch einmal entschieden klar.

Sie blickte nach draußen und stellte fest, dass es zu schneien begonnen hatte. Es war nicht der erste Schnee in diesem Jahr, dennoch führte das Wetter ihr noch einmal zusätzlich vor Augen, wie weit das Jahr bereits vorangeschritten war.

"Sag mal, feiern Vampire eigentlich Weihnachten?", wechselte sie das Thema.

Die Daywalkerin blinzelte irritiert. "Das kann man so pauschal nicht sagen. Kommt ganz auf die Person an." Sie zuckte mit den Schultern. "Für viele hat das Weihnachtsfest keine Bedeutung, andere halten an den Traditionen, die sie schon als Mensch geschätzt haben, fest. In die Kirche geht zwar keiner von uns, aber von dem ein oder anderen weiß ich, dass er Weihnachten feiern wird."

Interessiert hatte Jodie ihr zugehört, ehe ihr Blick fragend wurde: "Feiern deine Bodyguards und du denn Weihnachten?", wollte sie wissen.

Die Daywalkerin lenkte den Ferrari wieder von der Stadtautobahn und zurück auf eine belebtere Straße. "Curaçao interessiert sich nicht wirklich für Weihnachten, aber ich weiß von ihr, dass sie sich einen gemütlichen Filmeabend mit Kir machen will.", begann Chris mit einem Lächeln auf den Lippen, ehe sie wieder ernster dreinblickte. "Für Rei ist Weihnachten viel mehr ein schwarzer Tag. Er hat bei einem Vorfall, als er noch Polizist war, an Weihnachten seine gesamte Einheit verloren."

Neben ihr sog Jodie scharf die Luft ein. "Was? Das ist ja furchtbar...!", brachte sie überrascht und betroffen zugleich heraus.

Die Schauspielerin nickte. "Recht hast du. Er zieht es vor an Weihnachten den Friedhof zu besuchen und den Tag allein zu verbringen. Ich kann es ihm nicht verübeln."

Kurz sah Chris ihre Beifahrerin an, ehe sie den Blick wieder auf die Fahrbahn vor sich richtete.

"Und was ist mit dir? Feierst du für gewöhnlich Weihnachten?"

Die Jägerin schwieg, als sie sich an die letzten Jahre zurückerinnerte. Weihnachten hinterließ bei ihr zumeist ein bittersüßes Gefühl. "Normalerweise verbringe ich Weihnachten mit meinen Kollegen, da ich keine Familie mehr habe.", erklärte sie schließlich. Eine Tatsache, für die Vampire verantwortlich waren. Vampire hatten ihre Eltern getötet und für den blinden Hass gesorgt, den sie bis vor Kurzem noch jedem einzelnen Vampir entgegengebracht hatte. "Meistens hat James mich eingeladen, den Tag gemeinsam mit ihm und seiner Familie zu verbringen. Er kannte meinen Vater gut und hat sich seit damals immer ein wenig um mich gekümmert."

Sie war ihrem Vorgesetzten und gutem Freund wirklich dankbar dafür, zumal seine Familie sie nie behandelt hatte wie eine Fremde, gleichzeitig jedoch schmerzte es auch, dass sie Weihnachten nie wieder mit ihren eigenen Angehörigen würde verbringen können. Egal wie herzlich Blacks Familie sie auch behandelte, an Weihnachten kam Jodie sich dennoch immer ein wenig wie eine Außenseiterin vor.

"Aber was ist mit dir? Du hast mir nur erzählt, was Curaçao und Bourbon machen.", wechselte die Jägerin rasch das Thema.

"Ich?" Angesprochene stutzte kurz und zuckte dann mit den Schultern. "Ich habe keine Angehörigen und feiere Weihnachten eigentlich nicht. Im Anwesen gibt es allerdings so oder so genug zu tun. Weihnachten wird folglich so, wie jeder andere Tag auch."

Das die Schauspielerin ebenfalls keine Familie mehr hatte, wusste Jodie bereits. Sie fragte sich, ob die Andere sich während der Festtage wohl genau so einsam und fehl am Platz fühlte, wie sie selbst oftmals und das Thema daher herunterspielte.

Spontan kam Jodie eine Idee. "Genug zu tun gibt es in dem verdammten Anwesen für dich immer, da hast du wohl Recht. Aber bist du wirklich durchgehend beschäftigt?"

Chris zog eine Augenbraue hoch. "Wieso fragst du?"

"Nun, ich dachte mir, dass wir Weihnachten vielleicht gemeinsam verbringen könnten." Das auszusprechen hatte sie mehr Mut gekostet, als sie geglaubt hatte. "Ich würde es zwar nicht als Weihnachten im eigentlichen Sinne bezeichnen, aber für einen Abend dem ganzen Trubel mal zu entkommen, klingt doch gar nicht so schlecht, oder? Ein Abend in meiner Wohnung, ein paar Filme, Musik..., eben ein wenig Normalität, bevor zum Jahreswechsel hin die Hölle losbricht."

Auch wenn die Zurückweisung noch schmerzte, so konnte Jodie nicht leugnen, dass sie dennoch Zeit mit ihrer Seelenverwanden verbringen wollte und sei es auch im ganz normalen, freundschaftlichen Sinne.
 

~
 

"Ich dachte schon, ich würde dich nie mehr aus dem Anwesen kriegen.", seufzte die Blondine, als sie ihre Wohnungstür aufschloss. Nachdem sie in den letzten zwei Monaten so gut wie nie mehr hier gewesen war, ein wirklich merkwürdiges Gefühl.

"Ich habe dir doch mehr als einmal gesagt, dass es genug für mich zu tun gibt, Kätzchen." Die Schauspielerin folgte ihr in die Wohnung und zog die Tür hinter ihnen zu.

"Schon, aber es schien fast so, als würdest du krampfhaft nach immer neuen Aufgaben, die noch abgearbeitet werden müssen, suchen.", beharrte Jodie.

Chris verdrehte die Augen. "Komm schon, du weißt genau, dass das nicht wahr ist. Als stellvertretende Anführerin eine Nacht lang wegzubleiben, ist problematischer, als du denkst, erst recht mit unseren aktuellen Gästen im Haus." Sie schlüpfte aus ihrem Mantel und hängte ihn an die Garderobe. "Mein unfreiwilliger Aufenthalt bei Mondnebel neulich, hat schon für genug Chaos gesorgt, allerdings waren zu dieser Zeit wenigstens noch Curaçao und Bourbon im Anwesen, was heute nicht der Fall ist."

"Heute hast du Irish und Calvados damit beauftragt für dich ein Auge auf alles zu haben und du hast ein Notfallhandy dabei.", erinnerte die Jägerin sie.

"Und ich hoffe, dass diese Vorsichtsmaßnahme unnötig war.", seufzte die Ältere.

Jodie wusste genau, dass die Hauptsorge der Daywalkerin die Möglichkeit war, dass die japanischen Gäste einmal mehr Ärger machen, oder am Ende sogar noch versuchen könnten, zum eigentlichen Anführer der amerikanischen Vampirgesellschaft zu gelangen.

Kurz bevor sie aufgebrochen waren, hatte Chris den Boss noch einmal besucht und nach dem Rechten gesehen, nun bewachte Irish die Treppe zu den Zimmern Karasumas.

Jodie schob ihren Gast vor sich her ins Wohnzimmer und beschloss das Thema vorerst abzuhaken. Es war Weihnachten und mit ein wenig Überredungskunst war es ihr gelungen, Chris von der Idee zu überzeugen, das Weihnachtsfest gemeinsam zu verbringen.

Die Jüngere freute sich bereits auf den Abend, auch wenn es ein seltsames Gefühl blieb, eine international berühmte Schauspielerin in ihre kleine 2-Zimmer Wohnung eingeladen zu haben.
 

"Wie lange ist es her, mal einen ganz normalen Abend verbracht zu haben..." Chris streckte sich und lief gemütlich in Richtung Fenster, unter dem die Heizung angebracht war. "Hast du was dagegen, wenn ich die Heizung einschalte? Hier ist es ziemlich frisch."

"Im Gegenteil, mir ist auch kalt.", stimmte Jodie sofort zu. "Ich wollte die Wohnung lediglich nicht übermäßig beheizen, solange sich hier niemand aufhält." Mit diesen Worten begann sie damit einige Einkäufe aus einer Tasche auf die Küchenzeile zu räumen.

Als die Schauspielerin sich wieder zu ihr gesellte, war Jodie gerade dabei eine Aluschale von deren Plastikverpackung zu befreien. In besagter Schale befand sich ein Fertiggericht, wenn auch ein hochwertigeres - Ente mit gegrilltem Gemüse um genau zu sein. Eigentlich bevorzugte sie es an Weihnachten frisch zu kochen, doch den ganzen Aufwand nur für sich selbst zu betreiben, lohnte sich in ihren Augen nicht. Dieses Abendessen würde es folglich auch tun müssen.

"Kartenspiele, CDs mit Weihnachtsmusik..., du hast ja wirklich an alles gedacht.", amüsierte Chris sich derweil, während sie die Dinge betrachtete, die sonst noch so von der Wohnungsbesitzerin auf die Küchentheke geräumt worden waren.

"Es ist eben nur einmal im Jahr Weihnachten.", äußerte die Jüngere schmunzelnd, während sie die Aluschale mit der Entenbrust und dem Gemüse darin, in den Ofen stellte und diesen einschaltete.

Ihr Gast hatte sich derweil eine CD geschnappt und sie in das Radio eingelegt, welches sich auf einem Sideboard im Wohnzimmer befand.

"...aber wir müssen nicht zwingend Weihnachtssongs hören, falls dir das zu viel des Guten sein sollte.", fügte Jodie noch mit einem schiefen Grinsen hinzu.

Derweil ertönte ein Cover von 'Last Christmas' aus dem CD-Player. Chris lachte lediglich und zuckte mit den Schultern. "Eine Vampirin und eine Jägerin, die Weihnachten gemeinsam verbringen, das ist so absurd, ich denke, da können wir uns auch gleich das ganze Programm gönnen." Mit diesen Worten drehte sie das Radio lauter.
 

Bis ihr Essen fertig war, hatte die Jägerin sich mit ihrem Gast über alles Mögliche unterhalten. Wie sehr sie den heutigen Abend doch genoss. Zeit mit ihrer Seelenverwandten zu verbringen fühlte sich so richtig und so gut an.

Auch das Fertiggericht entpuppte sich als ziemlich gut genießbar. Das Fleisch war zart und das Gemüse gut gewürzt. Ein wenig tat es Jodie leid, dass sie der Daywalkerin nichts anbieten konnte, doch diese winkte nur ab. Sie habe daheim im Vampiranwesen noch etwas getrunken, da sie wusste, dass Jodie dies lieber nicht mitbekam, hatte sie ihr erklärt.

Nach dem Essen hatten die beiden Frauen schließlich eine Zeit lang Karten gespielt.

Im ersten Moment hatte Jodie es mehr als amüsant gefunden, dass sie der Schauspielerin die Regeln der gängigen Kartenspiele erklären musste. Sie hatte sie damit aufgezogen, dass einem verwöhnten Prinzesschen aus der Oberschicht ganz normale Kartenspiele scheinbar ein Fremdwort waren, dann jedoch hatte sie einmal mehr zu spüren bekommen, wie intelligent die andere Blondine war. Obwohl sie beteuerte, keins der Kartenspiele je zuvor gespielt zu haben, schlug dieses Biest mit dem perfekten Pokerface, Jodie auf Anhieb in jedem einzelnen Spiel.

Schließlich waren sie aufs Sofa umgezogen und hatten den Fernseher eingeschaltet. Filme liefen heute wie Sand am Meer, auch wenn die meisten davon recht weihnachtlich angehaucht waren.

"Eine super Idee, sich in dieser Situation aufzuteilen.", kommentierte Chris gerade voller Ironie. "Typisch."

"Und vermutlich lassen sie gleich noch ihre Waffen fallen, sobald der Horror-Weihnachtsmann vor ihnen steht.", ergänzte Jodie kichernd.

"Natürlich. Was auch sonst?", amüsierte die Schauspielerin sich, deren linker Arm gemütlich auf der Sofalehne ruhte.

Jodie zögerte, doch nach einigem gedanklichen Hin und Her gab sie dem Impuls schließlich nach und lehnte sich an die Schulter ihrer Besucherin. Schon viel bequemer. Auch wenn die Nähe, die sie gesucht hatte, dazu führte, dass ihr Herz einmal mehr ungesund schnell schlug und die Erinnerungen an das Gespräch mit dem unschönen Ende wieder vor ihrem inneren Auge aufblitzten.

Von ihrer aktuellen Position aus, konnte sie der Daywalkerin nicht ins Gesicht sehen, doch sie spürte förmlich deren skeptischen Blick auf sich ruhen, kaum dass sie näher gerückt war.

Sie zwang sich, ihr wie wild pochendes Herz zu ignorieren und die bitteren Erinnerungen in die hinterste Ecke ihrer Gedanken zurückzudrängen.

Jodie ignorierte den Blick der Schauspielerin, der auf ihr ruhte, und konzentrierte sich stattdessen wieder auf den Film, den sie gerade anschauten. Auch wenn man sich heute vor Weihnachtsfilmen kaum retten konnte, hatten sie sich aus irgendeinem Grund für einen Horrorfilm entschieden, Santa Claus in der Rolle des Killers.

"Sie hat jetzt gerade nicht wirklich durchs Haus gerufen, ob dort jemand ist?", nahm Jodie den Faden wieder auf.

Chris neben ihr entspannte sich und ergänzte grinsend: "Was denkt sie denn, was Santa ihr wohl antworten wird? 'Ich bin hier unten in der Küche, willst du auch ein Nutellabrot?'" Bei ihrem letzten Satz hatte die Blondine die Stimme verstellt. Jodie prustete vor Lachen los.

Die beiden Frauen sahen weiter fern und kommentierten immer wieder den Film. Auf diese Art und Weise war der Horrorfilm zwar nicht mehr wirklich gruselig, dafür aber sehr amüsant und das war es, was zählte.
 

Die Jägerin genoss jeden Moment des Abends. Obwohl die Ältere inzwischen wusste, was Jodie für sie empfand, hatte sie überraschenderweise nichts gegen die Nähe, die sie gesucht hatte, unternommen und sie weiter an ihrer Schulter lehnen lassen. Ganz in Gedanken spielte Chris mit einigen der blonden Strähnen der Anderen. Jodie hatte nichts dagegen und ließ sie.

Es fühlte sich so richtig an, wie sie aktuell auf dem Sofa nebeneinander saßen und Zeit miteinander verbrachten. Ein angenehmes, warmes Gefühl hatte sich in der Magengegend der Jägerin breit gemacht. Ihr Herzschlag hatte sich inzwischen wieder etwas beruhigt. Fast schon hatte sie das Gefühl, dass er sich an den Herzschlag ihrer Seelenverwandten angepasst hatte. Gleicher Herzschlag, gleicher Atemrhythmus, in der derzeitigen Situation fühlte sie sich komplett.

Nach einer Weile endete der Film. Jodie störte sich nicht daran. Die Position, wie sie aktuell auf dem Sofa saß, war so gemütlich, dass sie keine große Lust hatte sich überhaupt zu bewegen.

Alibihalber angelte sie jedoch trotzdem nach der Fernbedienung, welche auf der anderen Seite neben Chris lag. Als wäre es das Normalste der Welt, ließ sie den Arm über ihre Sitznachbarin gelegt und schaltete durchs Programm. "Mal sehen was noch so läuft.", äußerte sie.

"Auf den meisten Sendern vermutlich gleich die Nachrichten, wie zu jeder vollen Stunde."

"Damit kann ich auch leben.", entschied Jodie und ließ einen der Nachrichtensender eingeschaltet. Für einen Moment schloss sie die Augen und genoss die Wärme, die von der Daywalkerin ausging. ...so perfekt. "Ich wünschte, es gäbe mehr von diesen Abenden.", seufzte sie zufrieden.

"Naja, Weihnachten ist nun mal nur einmal im Jahr.", erinnerte Chris sie.

"Das ist mir klar." Die Jüngere streckte sich. "Ich meinte eher gemütliche Fernsehabende wie diesen hier."

Neben ihr spannte die Schauspielerin sich ein klein wenig an. "Mal angenommen, dass unser Plan funktionieren und sich reibungslos in die Tat umsetzen lassen wird-", begann Chris, doch Jodie unterbrach sie.

"Der Plan WIRD funktionieren.", stellte sie entschieden klar.

Die Daywalkerin seufzte. "Schön, sagen wir der Plan funktioniert. Dann bedeutet das trotzdem, dass eine ganze Menge Arbeit auf uns zukommen wird. Curaçao muss erst einmal eingearbeitet werden und im Hintergrund ziehe sowieso ich die Fäden. Sich in der Anfangszeit aus dem Haus zu schleichen, wird noch schwieriger werden, als jetzt schon."

Auch Jodie wusste, wie viel Arbeit demnächst auf sie zukommen würde. Erst recht für die Daywalkerin. Gleichzeitig wusste sie auch, dass sie ab dem Jahreswechsel wieder zurück in ihre eigene Wohnung ziehen würde. Einerseits wäre es schön, wieder in den eigenen vier Wänden leben zu können, andererseits fühlte es sich plötzlich so falsch an.

"An der Wohnsituation im Anwesen verändert sich doch nichts. Ein Wohnzimmer und einen Fernseher hast du auch. Ich kann dich jederzeit besuchen kommen.", erinnerte sie ihre Seelenverwandte und schmiegte sich unbewusst noch ein wenig näher an die Ältere.

Angesprochene gab eine Mischung aus einem Seufzen und einem gequälten Laut von sich. Als Jodie fragend den Kopf hob um sie anzusehen, stellte sie fest, das Chris wohl gerade auf genau die gleiche Idee gekommen war und sie sich ihr zugewandt hatte. Fast schon Nase an Nase blickten sie sich an.

"Ach Kätzchen, hör doch auf es uns beiden unnötig schwer zu machen."

Noch ehe die Jüngere etwas darauf antworten konnte, weiteten ihre Augen sich ungläubig. Ihre Sitznachbarin hatte sich noch etwas näher zu ihr gebeugt, ehe sie ihr einen sanften Kuss auf die Lippen hauchte.

Für einen Sekundenbruchteil war Jodie wie erstarrt. Sie konnte nicht fassen, dass das gerade wirklich geschah, erst recht, wenn sie bedachte wie Chris erst neulich noch reagiert hatte.

Ganz automatisch erwiderte sie den Kuss. Die Lippen der anderen Blondine auf ihren ließen ihren ganzen Körper angenehm kribbeln, gleichzeitig jedoch wuchs auch ihre Verwirrung ins Endlose.

Nach einigen Momenten ging die Vampirin wieder auf Abstand, auch wenn Jodie sich insgeheim gewünscht hatte, dass dieser Moment nie enden möge.

Ihre Blicke trafen sich. In den smaragdgrünen Augen lag eine Zuneigung, die einzig und allein für Jodie bestimmt war, gleichzeitig konnte sie jedoch auch eine gewisse Traurigkeit darin erkennen.

Jodie blinzelte. Sie versuchte die Verwirrung, die wie ein Wirbelsturm durch ihren Kopf fegte, zu ordnen und wieder einen klaren Gedanken zu fassen.

"W-was war das denn bitte...?", brachte sie ein wenig stockend heraus. "Sagtest du nicht neulich erst noch-"

Chris legte ihr einen Finger auf die Lippen und unterbrach sie. "Deine Gefühle, die du mir neulich gestanden hast, beruhen durchaus auf Gegenseitigkeit." Bei den Worten der Daywalkerin klappte der Jüngeren der Kiefer herunter. "Die Nähe, die du den ganzen Abend über schon suchst, macht es mir nicht unbedingt leichter das zu ignorieren."

Erneut blinzelte Jodie perplex. Sie konnte nicht ganz glauben, was sie da eben gehört hatte. Neulich noch hatte Chris sich nicht zu ihren eigenen Gefühlen geäußert und ihr lediglich vor Augen geführt, was nicht sein durfte, doch nun war es gewissermaßen offiziell : die Schauspielerin mochte sie.

Die Blondine spürte, wie ihr Herz wie wild in ihrer Brust schlug.

"Dann...gesteh es dir doch ganz einfach ein.", hörte sie ihre eigene Stimme vorschlagen. "Du bist es, die die Sache unnötig kompliziert macht." Das war kein Vorwurf, sondern viel mehr eine Feststellung.

Chris zuckte leicht mit der Schulter, an der Jodie lehnte, als Aufforderung an die Jüngere, sich wieder richtig hinzusetzen. Sie selbst wandte sich Mondnebels Jägerin nun ganz zu, rückte aber dennoch wieder ein wenig mehr auf Abstand.

"Das mag im ersten Moment vielleicht so scheinen, aber es ist, wie ich es dir neulich erklärt habe. Allein schon die unterschiedliche Lebensspanne von Menschen und Vampiren bringt auf lange Sicht nur Unglück."

Jodie konnte die Sichtweise von Chris durchaus nachvollziehen, wenngleich sie anderer Meinung war. "In erster Linie leben wir im Hier und Jetzt, oder nicht? Wir könnten Morgen schon vom Bus überfahren werden, wenn es dumm läuft. Wer sagt überhaupt, dass eine Beziehung überhaupt bis ans Lebensende hält? Vielleicht gehen wir uns nach einer Weile auch gegenseitig an den Hals, das kann doch heute niemand wissen."

Die Vampirin lachte leise, klang dabei allerdings viel mehr bitter als amüsiert. "Unter normalen Umständen würde ich dir durchaus Recht geben. Das eine normale Beziehung ewig hält ist in der heutigen Zeit äußerst unwahrscheinlich. Bei dem, was über Seelenverwandte bekannt ist, sieht die Sache aber ganz anders aus."

Jodie verstand auf Anhieb, was die Ältere damit meinte. Einerseits war es ein schönes Gefühl zu wissen, dass diese Verbindung halten würde, andererseits war es so noch gleich viel mehr zum Haareraufen, dass dieser sture Esel von Sternchen es ihnen beiden so schwer machte.

"Und du bist wirklich der Meinung, dass wir diese Verbindung einfach ignorieren sollten, so wie du es neulich gesagt hast? Es fühlt sich falsch an und vermutlich bin ich nicht die einzige, die insgeheim so fühlt."

Auch wenn es Jodie nach wie vor schwer fiel, so offen über dieses Thema zu sprechen, ein wenig leichter als neulich war es, nun, wo sie um die Gefühle der Daywalkerin wusste.

"Was sollen wir denn sonst tun? Mir ist es nicht möglich wieder zum Menschen zu werden und dich kann ich unmöglich bitten, zur Vampirin zu werden -"

Was auch immer Chris noch hatte hinzufügen wollen, das Gespräch der beiden Frauen wurde vom Klingeln eines Smartphones unterbrochen. Das Notfallhandy. Beide hätten sie vor Schreck beinahe einen Satz gemacht.

Die Blicke der beiden Blondinen trafen sich. Kurz legte Chris eine Hand auf Jodies. "Entschuldige bitte, da muss ich drangehen."

Einen ungünstigeren Zeitpunkt hätte die Person am anderen Ende der Leitung für den Anruf nicht finden können, dachte Jodie verärgert, dennoch stieg gleichzeitig auch Sorge in ihr auf. Wenn das Notfallhandy klingelte, konnte das unmöglich ein gutes Zeichen sein.

Chris nahm den Anruf entgegen und Jodie rückte ungefragt näher zu ihr, um ebenfalls mitzubekommen, was genau passiert war.

"»Vermouth?«" Die Jägerin meinte Calvados Stimme zu erkennen. "»Es tut mir leid zu stören, aber die restliche Einheit unserer 'Gäste' ist soeben eingetroffen. Die Stimmung hier ist bis zum Zerreißen gespannt. Du musst sofort zurückkommen.«"

Immer wieder fiel der Blick der jungen Frau nervös in Richtung Kalender, ohne das sie sich dessen wirklich bewusst war. Weihnachten war ins Land gezogen und Silvester stand kurz vor der Tür. Der heutige Tag, der 30. Dezember um genau zu sein, war sozusagen so etwas wie die Ruhe vor dem Sturm.

Innerlich seufzte sie. Die Stimmung im Anwesen hatte sich nicht unbedingt gebessert. Die Besucher erinnerten sie zunehmend mehr an eine Schar hungriger Wölfe, die nur darauf warteten endlich zuzuschlagen. Jodie graute es vor dem morgigen Tag.

Immerhin hatte Chris die Situation an Weihnachten entschärfen können, nachdem sie überstürzt zurück zum Anwesen gekehrt waren. Erneut hatte die Forderung im Raum gestanden, dass der eigentliche Anführer der amerikanischen Vampirgesellschaft endlich sein Gesicht zeigte. Resolut und entschieden hatte die Blondine die Gäste erneut vertröstet und darauf hingewiesen, dass Karasuma deutlich zu verstehen gegeben hatte, erst am Tag der Entscheidung Zeit für die japanischen Besucher zu haben.

Was Jodie noch zusätzlich Sorge bereitete, war eines der neu angereisten Gesichter, welches zu Gins Leuten gehörte. Ein Mann mit Rasterlocken und vollen Lippen. Von Anfang an hatte sie ein schlechtes Gefühl in der Magengegend gehabt, kaum das sie den Neuzugang gesehen hatte. Kein Wunder, immerhin war er es auch, der die Stimmung an Weihnachten so sehr aufgeheizt hatte, dass es überhaupt erst nötig gewesen war, die zweite Anführerin des Hauses zurückzurufen.

Gin hätte die Reden des Mannes leicht unterbinden können, doch leider hatte der Silberhaarige rein gar nichts unternommen, höchst wahrscheinlich, da er selbst es ebenfalls begrüßen würde, endlich dem eigentlichen Anführer der amerikanischen Vampirgesellschaft gegenüberzustehen. Die Reden hatte er dem Mann folglich durchgehen lassen.

Und noch aus einem weiteren Grund war der Neuling der Jägerin praktisch sofort unsympathisch gewesen. Dadurch, dass sie an Weihnachten so überstürzt hatten aufbrechen und zurück zum Anwesen fahren müssen, hatte sie das Gespräch mit Chris nicht beenden können. Daran hatte sich bis heute leider nichts geändert. Ein gewisses, nicht ganz unwichtiges Thema, schwebte immer noch unausgesprochen zwischen ihnen.
 

Jodie blinzelte sich zurück ins Hier und Jetzt, als Akai ihr ein Glas Cola reichte. Die mehr als ungleiche Gruppe hatte sich heute ein letztes Mal getroffen, bevor der Plan morgen in die Tat umgesetzt werden würde.

"Danke dir." Sie nickte ihm freundlich zu und nippte an der Cola.

"Sind die Vorbereitungen soweit abgeschlossen?", fragte derweil Bourbon in die Runde.

Diesmal war James es, der nickte. "Sind sie. Die Waffe, die Karasuma aus dem Weg räumen wird, ist fertiggestellt. Diese Waffe wird in der Lage sein, den gesamten Raum auszuleuchten."

"Ich habe den Umgang damit bereits geprobt und weiß damit umzugehen.", mischte Shuichi sich ein. "Es wird einzig und allein ein offenes Fenster nötig sein."

"Klingt vielversprechend.", ergriff Chris das Wort. "Gehen wir den Plan am besten final noch einmal durch.", forderte sie.

Ein allgemeines, zustimmendes Murmeln folgte, was die Schauspielerin zum Anlass nahm, fortzufahren. "Also schön." Sie sah einmal aufmerksam in die Runde. Die anderen Anwesenden erwiderten den Blickkontakt. Vampire sowie Vampirjäger wirkten aufmerksam und angespannt zugleich.

"Gegen 22:30 Uhr werde ich mich auf den Weg zu unserem derzeitigen Boss machen. Ich werde ihn in ein Gespräch verwickeln und nebenbei das Fenster öffnen. Wenn ich das Zeichen gebe, feuert Akai die Tageslichtwaffe ab und wir sind ein Problem somit hoffentlich los." Sie blickte den Dunkelhaarigen an. "Bleibt nur zu hoffen, dass du wirklich ein so guter Scharfschütze bist, wie alle behaupten."

"Die Entfernung zwischen unserem Anwesen und dem Gebäude, von dem aus du schießt, ist wirklich ziemlich groß. Bist du dir sicher, dass der erste Schuss sitzt?", hakte Curaçao an den Jäger gewandt nach.

"Ich habe schon aus größeren Entfernungen präzise getroffen.", lautete die unterkühlte Antwort.

Jodie schluckte. Zwar würden Mondnebel und die Vampire von jetzt an zusammenarbeiten, doch die Stimmung war angespannt, wann immer die Gruppe sich traf. Es blieb zwar friedlich, doch selbst ein Blinder hätte sehen können, dass keiner der anderen Seite wirklich vollständig über den Weg traute. Was das betraf, würde noch einiges an Arbeit auf sie zukommen.

Kurz blickte sie zu Rena, deren taubenblaue Augen den Blick besorgt erwiderten. Es brauchte keine Worte um zu wissen, dass die Brünette ihre Sorge teilte.

"Gut, weiter im Text.", entschied Chris. "Sobald es gelungen ist den Boss auszuschalten, schnappe ich mir seinen Ring und begebe mich in den Saal, in dem der Entscheidungskampf ausgetragen werden wird. Ich werde möglichst erst kurz vor 23 Uhr dort aufkreuzen, um einen möglichen Aufruhr, aufgrund von Renyas Ableben, zu vermeiden." Sie schnippte sich eine Strähne zurück über die Schulter. "Curaçao, du hältst dich bitte auf der Treppe auf, damit ich dir den Ring ohne jeden Zwischenfall übergeben kann."

Die Silberhaarige nickte. Sie hatte verstanden. Zudem würde es kaum jemand hinterfragen, wenn sie als Bodyguard der Blondine, die Treppe zum Zimmer des Anführers bewachte, gingen die Anderen doch davon aus, dass Karasuma noch einige Worte mit seiner stellvertretenden Anführerin wechseln würde, ehe beide im Saal erschienen.

"Wenn die Uhr 23 Uhr schlägt, werde ich den Tod des alten Bosses verkünden. So oder so wird der Kampf dann beginnen.", fuhr die Blondine fort und blickte ihre Leibwächterin ein wenig besorgt an. "Du wirst die zweifelhafte Ehre haben dich mit Gin herumzuschlagen. Die anderen werden dir bestmöglich den Rücken freihalten. Um 00:00 Uhr wird der Kampf enden. Hoffen wir, dass wir es sein werden, die zu diesem Zeitpunkt den Ring in den Händen halten. Ich gehe davon aus, dass nach einer weiteren knappen halben Stunde viele der anderen Vampire in das Anwesen zurückkommen werden, um zu erfahren, wie die Sache ausgegangen ist. Das ist der Zeitpunkt, an dem der Anführerwechsel verkündet werden wird. Die geplanten zukünftigen Änderungen werden dann am nächsten Abend bekannt geben, sobald die Gemüter aller sich wieder ein wenig beruhigt haben."

Für einen Moment herrschte Schweigen, doch schließlich meldete Rei sich zu Wort: "Die Aufstellung, wer an dem Kampf teilnimmt, ist bereits von beiden Seiten bekannt gegeben worden. Es wird auf ein offizielles 7 gegen 7 hinauslaufen, wobei wir, was das betrifft, im Nachteil sind."

"Wie genau meinst du das?", fragend blickte Camel ihn an und der Blonde verdrehte die Augen.

"Ist das nicht offensichtlich?", murrte er. "Die Aufstellung musste bereits im Vorfeld bekannt gegeben werden und das der Anführer des jeweiligen Landes teilnimmt, ist unumgänglich. Wir konnten schlecht jetzt schon ankündigen, dass wir vorhaben, den derzeitigen Anführer umzubringen und zu ersetzen." Rei musterte Andre erneut mit einem Blick, als würde er mit einem geistig Eingeschränkten sprechen.

"Um keinen Verdacht zu erwecken, mussten wir den Alten folglich mit auflisten.", ergriff Vermouth rasch das Wort, um zu vermeiden, dass gleich wieder ein Wort das andere geben und ein Streit ausbrechen würde. "Da ein Häufchen Asche nicht kämpfen kann, haben wir offiziell einen Kämpfer weniger als die Gegenseite. Hinzu kommt, dass es nur Sinn machte Personen aufzulisten, die sich vom Tod des derzeitigen Anführers nicht all zu stark aus der Bahn werfen lassen werden. Ich als Daywalkerin werde keine große Hilfe sein können und werde mich daher eher im Hintergrund halten müssen, allerdings ist es so immer noch besser, als ein unkonzentriertes, konfuses Teammitglied an Bord zu haben. Ursprünglich wollten wir an meiner Stelle Riesling auflisten, doch es ist zu vermuten, dass der Putsch sie zu sehr aus der Bahn werfen wird."

"Also wird es ein Kampf 5 gegen 7 werden, wenn man es denn so will.", fasste Black die Ausgangssituation noch einmal zusammen. "Das ist durchaus ein Nachteil."

"Schon wahr, aber dafür sind die 5 einsatzfähigen Kämpfer nicht zu unterschätzen.", äußerte Rei.

"Dürfte das auf die Kämpfer der Gegenseite nicht auch zutreffen?", kam es trocken von Akai.

Die beiden Männer funkelten sich unfreundlich an.

"Hast du was gesagt, Mensch?", knurrte der Bodyguard warnend.

"Schluss jetzt!", blaffte Jodie die beiden an und zog damit die Aufmerksamkeit aller auf sich. Sie räusperte sich. "Es bringt nichts, wenn ihr euch gegenseitig anzickt. Sind wir hier im Kindergarten?!", maulte sie. "Also, weiter im Text."

"Vor dem Haus wird sich während des Kampfes mit Sicherheit eine ganze Gruppe von meinen Vampiren aufhalten. Sie werden das Anwesen nicht betreten und sich auch nicht einmischen, doch sie werden dort warten, um zu erfahren, wie die ganze Sache nun ausgegangen ist.", lenkte Chris das Gespräch wieder in die richtige Bahn.

"Mondnebel kann sich nicht ohne weiteres zwischen die Vampire mischen. Zumindest die meisten von uns nicht. Das wäre lebensgefährlich. Vor Ort aufhalten kann folglich nur ich mich. Ich werde also ebenfalls vor dem Anwesen warten, während James und Andre bei Shu bleiben werden. Ich halte euch vom Haus aus natürlich unauffällig die ganze Zeit über auf dem Stand der Dinge.", erklärte Jodie ihrem Team.

Andre blickte sie entgeistert an. "Du willst allen Ernstes mit diesen Biestern vor der Tür warten?!"

"Ich halte das auch für keine besonders gute Idee.", stimmte Akai ihm zu.

Sein Kommentar ging bereits im drohenden Fauchen der beiden Leibwächter unter, deren Augen sich vor Ärger stahlblau gefärbt hatten.

"Wen betitelst du hier als Biester? Wer ist es denn, der aktiv die Zusammenarbeit mit euch gesucht hat, um es zukünftig sicherer für die Menschen zu machen?", hakte Curaçao verärgert nach.

"Cura, bitte..." Beruhigend legte Rena ihr eine Hand auf den Oberarm. Die Silberhaarige verstand den Apell. Ihre Augenfarbe normalisierte sich wieder und auch Reis Augen wirkten, nach einem kurzen Blinzeln, wieder ganz normal blau.

Jodie rieb sich die Schläfen. Erneut fragte sie sich, wie diese Gruppe bloß auf Dauer funktionieren sollte. Da würde mehr als nur etwas Arbeit auf sie zukommen, wenn sie sicherstellen wollte, dass eine Zusammenarbeit auf lange Sicht gewährleistet wäre.

"Die Kleine steht nach wie vor unter meinem Schutz.", stellte Chris, die neben ihr saß, fest. Die Schauspielerin hatte die Arme locker vor der Brust verschränkt und warf Mondnebels Jägern einen kühlen Blick zu. "Von meinen Leuten hat sie nichts zu befürchten. Sie wissen, dass sie ihr kein Haar krümmen dürfen."
 

"Was die Tatsache betrifft, dass Amerika mit weniger gelisteten Teammitgliedern ins Rennen geht, gibt es einen Weg, diesen Nachteil einigermaßen wieder auszugleichen." Kirs Stimme klang ruhig und besonnen. Auffordernd sah sie die Blondine an. "Ich kenne die japanische Vampirfamilie unfreiwillig besser, als mir lieb ist. Wenn du mir die Namen gibst, Vermouth, kann ich berichten, was ich über jeden einzelnen weiß."

Angesprochene nickte ihr zu. "Endlich mal wieder ein gescheiter Vorschlag an diesem Abend."

Zielsicher zog sie einen Zettel aus ihrer Handtasche. Jodie, schnappte sich den Zettel und reichte ihn weiter an Rena, da ihr dies von ihrem Platz aus besser möglich war als Chris, die weiter von der Brünetten entfernt saß.

Sternenstaubs ehemalige Jägerin nahm den Zettel entgegen, studierte die Namen darauf, schwieg einen Moment und blickte dann wieder den Rest der Gruppe an. Sie hatte zweifelsohne die Aufmerksamkeit aller. Die anwesenden Vampire, sowie die Agenten Mondnebels, waren interessiert an den Informationen, die sie über die gelisteten japanischen Kämpfer hatte.

"Na schön, mit wem fangen wir an...?", überlegte Rena laut. "So weit ich das beurteilen kann, handelt es sich allesamt um fähige Leute, aber das dürfte kaum überraschend sein, da Gin sie sonst kaum aufgelistet hätte."

Einen Moment überlegte sie noch hin und her, dann begann sie damit zu berichten, was sie wusste.

"Ich fange mit zwei Gruppenmitgliedern an, die erst kürzlich angereist sind. Zum einen wäre da Tequila, ein Grobian der genau so unfreundlich aussieht, wie er tatsächlich auch ist. Er ist eher wortkarg und ein Allrounder. Außerdem ist er schon älter, was für einen Vampir aber nichts heißt. Pisco ist ebenfalls schon älter und bereits seit Ewigkeiten Mitglied der Gruppe, wie ich gehört habe. Ich denke bei diesen beiden Gegnern ist es das sinnvollste sie aus der Ruhe zu bringen und mit einem geschickten Zug zu überraschen, um die Oberhand zu gewinnen."

Weiterhin ruhte die Aufmerksamkeit aller auf der Brünetten. Jodie war dankbar sie mit an Bord zu haben, immerhin kannte sie die morgigen Gegner einigermaßen. Zudem hatte Rena durch ihre Vorgeschichte nicht nur die Sympathie der Vampire auf ihrer Seite, auch Mondnebels Jäger taten sich leichter damit, einer ehemaligen Kollegin Sternenstaubs zu vertrauen.

"Dann wäre da noch Korn. Ein ziemlich guter Scharfschütze und somit ein Fernkämpfer. Da morgen keine Waffen verwendet werden dürfen, frage ich mich allerdings, wie er diesen Nachteil ausgleichen will. Es würde mich nicht wundern, wenn er versucht den Überraschungsmoment für sich zu nutzen. Behaltet ihn also im Auge.

Genau das gleiche gilt für Chianti. Auch sie ist als Scharfschützin eher auf den Fernkampf spezialisiert, aber ich denke, dass sie durch ihr Temperament eher in den Nahkampf geht, als ihr Kollege. Sie ist verdammt schnell und wendig, aber ich habe aufgeschnappt, dass es ihr im Vergleich zu den anderen ein wenig an Durchschlagskraft fehlt."

Der blonden Jägerin klappte bei dem letzten Satz der Kiefer herunter. Ungläubig blickte sie Rena an. "Bitte wie war das? Ihr soll es etwas an Kraft fehlen?! Ich habe schon einmal gegen sie gekämpft und hatte das Gefühl, gegen eine Mauer gerannt zu sein."

"Dusseliges Kätzchen. Natürlich ist ein Mensch absolut chancenlos, aber bei A-Klasse Vampiren untereinander ist das Kräftegleichgewicht natürlich wieder hergestellt.", amüsierte Vermouth sich.

Akai räusperte sich. "Ich sag es nicht gerne, aber damit hat sie wohl oder übel recht."

Jodie grummelte irgendetwas unverständliches vor sich hin und war dankbar, als Rena erneut das Wort ergriff.

"Als nächstes zu Vodka, Gins Schatten, wenn man es so will. Mit Intelligenz gesegnet ist der Mann ganz sicher nicht, aber er ist wahnsinnig muskulös und entsprechend stark. Seine Statur ist allerdings auch ein Nachteil. Eine so kräftige Person ist weniger schnell und wendig, als ein weniger muskulöser Gegner."

Erneut schwieg Kir für einen Moment und blickte ernst drein. Jodie meinte Sorge in ihren taubenblauen Augen aufblitzen zu sehen. "Damit bleiben nur noch zwei Personen... und die bereiten mir um ehrlich zu sein am meisten Kopfzerbrechen."

Bourbon zog eine Augenbraue hoch. "Gin fehlt noch und dieser Typ, der erst neulich angereist ist und gleich für einen riesen Wirbel gesorgt hat.", stellte er fest.

"Pinga, genau." Die junge Frau nickte. "Ehrlich gesagt kenne ich diesen Mann kaum. Ich hab gehört, er soll ein guter Kampfsportler sein, aber das ist es nicht, was mir Sorge bereitet. Ich bekomme Bauchschmerzen, wenn ich nur an diesen Typen denke. Ich werde das Gefühl nicht los, dass er sein ganz eigenes Süppchen kocht. Ihm kann man nicht trauen. Gin kann ihn auch nicht leiden, hat ihn aber aufgrund seiner Fähigkeiten aufgelistet. Ich denke Pinga ist ein Kandidat, den wir ganz genau im Auge behalten sollten."

Chris, die sich gerade eine Zigarette angezündet hatte, blies nachdenklich etwas Rauch aus und nickte schließlich. "Mir ist der Kerl auch unsympathisch. Ich bin ganz bei dir, wenn du sagst, dass mit ihm irgendetwas nicht stimmt, Kir."

"Da schließe ich mich an.", stimmte Curaçao zu. "Wir sind vermutlich am besten damit beraten, wenn wir ihn so schnell wie möglich kampfunfähig machen, sobald das Spielchen begonnen hat."

"Das klingt ja nicht unbedingt beruhigend.", mischte Black sich von seinem Platz aus ein. "Wenn gleich mehrere Personen ein ungutes Bauchgefühl bei diesem Mann haben, wird etwas Wahres daran sein."

"Nicht nur den Vampiren kommt der Mann komisch vor. Bei mir schrillten auch sämtliche Alarmglocken, als ich ihn zum ersten Mal gesehen habe.", erklärte Jodie. Und auch jetzt war es wieder da, dieses unheilvolle Prickeln auf der Haut.

Wenn sie allein nur an den morgigen Tag dachte, spürte sie die Nervosität förmlich in sich aufsteigen, auch wenn sie an dem ganzen Spektakel gar nicht wirklich teilnehmen, sondern lediglich vor dem Haus warten würde.

"Eine Person fehlt in der Auflistung noch, wenn ich mich nicht verzählt habe.", lenkte Andre das Gespräch wieder zurück zum eigentlichen Thema.

Jodie konnte beobachten, wie Rena schlagartig sämtliche Farbe aus dem Gesicht wich. Kein Wunder, wegen dem Silberhaarigen war sie die letzten 6 Monate durch die Hölle gegangen. Die Brünette verlor nie ein Wort darüber, was genau in dieser Zeit zwischen ihnen vorgefallen war, doch es hatte gereicht, um Sternenstaubs Jägerin bereits den Angstschweiß auf die Stirn zu treiben, wenn sie nur über den Vampirfürsten sprach.

"Der Anführer der Gruppe, Gin.", bestätigte Rena Camels Aussage. "Er ist, wie Amerikas aktueller Anführer auch, ein Urvampir, was ihn unglaublich gefährlich macht." Ohne es zu merken, spielte die ehemalige Jägerin nervös mit dem Reißverschluss ihres Kapuzenpullovers.

Neben ihr spannte Curaçao sich sichtbar an. Jodie vermutete, dass ihre plötzliche Anspannung zwei Gründe hatte. Zum einen wusste sie, dass sie es war, die Morgen gegen diesen Mann würde kämpfen müssen, zum anderen hatte Japans Anführer die Freundin der Leibwächterin nicht nur über sechs Monate lang tyrannisiert, er hatte sie letztlich sogar in eine B-Klasse Vampirin verwandelt. Kein Wunder also, dass Curaçao auf Blut aus war.

"Er ist kräftemäßig ein wahres Monster, eiskalt, mit einem messerscharfen Verstand. Ehrlich gesagt kann ich nicht sagen, was genau seine Schwäche ist, oder ob er überhaupt eine hat. Du wirst morgen einfach versuchen müssen dein Bestes zu geben und dir nicht in die Karten gucken zu lassen, Cura."

Besorgt blickte die Brünette ihre Seelenverwandte an und legte ihr eine Hand aufs Bein.

"Und du darfst auf keinen Fall rot sehen, auch wenn du ihn hasst.", erinnerte Rei die Silberhaarige, auch wenn er ihre Wut nur all zu gut verstehen konnte. "Ein klarer Kopf ist das einzige, was hilft."

"Das und dein kämpferisches Talent.", ergänzte Chris.

Fast eine halbe Minute lang herrschte nun Schweigen. Alle hingen ihren ganz eigenen Gedanken nach und versuchten die Informationen zu ordnen und zu verarbeiten.

Während Jodie verärgert etwas Zigarettenrauch wegwedelte und die Hand der Daywalkerin, welche die Zigarette hielt, weiter von sich wegschob, war es Black, der das Schweigen schließlich durchbrach. "Das waren also die Kämpfer der Gegenseite.", stellte er fest. "Würde es euch etwas ausmachen, ein paar Worte über eure gelisteten Teammitglieder zu verlieren?"

Skeptisch blickte Curaçao ihn an. "Wozu das? Unsere Stärken und Schwächen sind nicht Mondnebels Baustelle."

"Das vielleicht nicht, aber vielleicht finden wir Widersprüche oder Risiken in eurer Strategie, die ihr übersehen habt, weil ihr euch zu gut kennt.", hielt Black dagegen.
 

Am Abend saß Jodie in dem ihr inzwischen so vertrauten Wohnzimmer der Daywalkerin. Den Fernseher hatte sie ausgeschaltet. Sie konnte das Gerede nicht ertragen. Um genau zu sein, konnte sie schon seit Stunden keinen einzigen klaren Gedanken mehr fassen.

Immer wieder musste sie an das heutige Gespräch und die bevorstehende Schlacht denken.

Die Worte, die Rena an sie gerichtet hatte, kurz bevor sie gemeinsam mit Rei und Chris wieder aufgebrochen war, hallten ihr ebenfalls im Gedächtnis wieder.

»Diese Gruppe hier ist wie Feuer und Wasser. Alle wollen zusammenarbeiten und vertrauen sich doch gegenseitig nicht. Ich wüsste nicht, was ich ohne dich machen sollte, Jodie. Wir sind die einzigen, denen beide Seiten vertrauen. Wir werden zukünftig öfter Streit schlichten müssen, als uns lieb ist. Aber du bist besser darin als ich. Dir gelingt es viel leichter dir Gehör zu verschaffen. Ich denke du bist der Kitt, der die Gruppe zukünftig zusammenhalten und damit sicherstellen wird, dass der ausgemachte Deal funktioniert und Bestand hat.«

Das war es, was Sternenstaubs ehemalige Jägerin ihr zur Verabschiedung gesagt und bitter ernst gemeint hatte. Jodie rauschte der Kopf. Stimmte es, was Rena da angedeutet hatte? War sie wirklich so wichtig für den Zusammenhalt dieser Gruppe? Würde sie es sein, die dafür sorgte, dass der Deal auch funktionierte? Es stimmte schon, dass es ihr im Gegensatz zu der sanftmütigen und eher ruhigen Brünetten leichter fiel, den Anderen eine Ansage zu machen und für Frieden zu sorgen, doch wenn sie daran dachte, dass sie es sein würde, die Vampire und Jäger auch in Zukunft vereinte... allein schon bei der Tragweite dieser Aufgabe wurde ihr regelrecht schlecht. So viele Menschenleben hingen vom Erfolg dieses Deals ab. So viel Blutvergießen würde sich auf beiden Seiten zukünftig vermeiden lassen.

Wenn die Jägerin nun also daran dachte, dass sie es war, die gewissermaßen einen Fuß in beiden Türen hatte und am ehesten dafür sorgen konnte, dass Vampire und Jäger nicht wieder in ihr altes Schema zurückfielen und sich anfeindeten... das war so viel Verantwortung.

Allein diese Gedanken sorgten schon dafür, dass sie gar nicht mehr wusste wohin mit sich, doch der Deal und die Zukunft waren nicht ihre einzige Sorge.

Jodie musste gleichzeitig auch immer wieder daran denken, wie der Kampf morgen wohl ausgehen würde. Von dem Ausgang der Schlacht würde ohnehin alles abhängen. Und zuvor noch davon, ob es ihnen planmäßig gelingen würde Karasuma loszuwerden

.

Etwas fahrig wischte sie sich einige verirrte Strähnen aus dem Gesicht, schob ihre Brille wieder ein Stück höher und seufzte hörbar.

Als wäre das nicht schon alles schlimm genug, wurde sie wegen der Sorge um ihre Seelenverwandte beinahe verrückt. Es gefiel ihr ganz und gar nicht, dass sie an der Schlacht morgen teilnahm, auch wenn sie sich im Hintergrund halten würde. Vermutlich würden die Japaner ihr noch nicht einmal wirklich schaden, da sie die Daywalkerin und deren Blut für sich wollten, aber trotzdem... Wenn der Ring morgen Nacht in Japans Besitz wechseln sollte, dann wäre Chris gezwungen, sich Gin und seinen Leuten anzuschließen, da sie den Halsreif nicht einfach ablegen konnte, dieser jedoch mit dem Ring gemeinsam übergeben werden musste. Jodie wusste ganz genau, dass die Schauspielerin sich den Gegnern nicht anschließen wollte. Chris war inzwischen selbst gestresst genug, auch wenn sie die ganze Zeit über versuchte die Starke zu spielen und ihre eigene Sorge bestmöglich zu überspielen. Jodie jedoch meinte das Unwohlsein ihrer Seelenverwandten förmlich zu spüren.

Und angenommen, die Sache morgen ging schief und die japanische Vampirfamilie nahm die Blondine mit, auch die ehemalige Jägerin selbst würde das nicht ertragen. Ihr kam es ja schon falsch genug vor, zurück in ihre Wohnung zu ziehen, auch wenn sie ihre eigenen vier Wände eigentlich mochte.

Erneut seufzte sie, lief ins Bad, wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser und betrachtete sich im Spiegel. Ihr Spiegelbild, eine äußerst gestresste Version ihrer selbst, welche unübersehbar mit den Nerven zu Fuß war, starrte ihr entgegen.

Was für eine Ironie. Vor drei Monaten noch hatte Jodie ausnahmslos alle Vampire gehasst. Nur ein toter Vampir war in ihren Augen ein guter Vampir gewesen. Die Tatsache, dass sie gefangen genommen und schließlich von der Daywalkerin festgehalten worden war, war so etwas wie ihr schlimmster Alptraum gewesen.

Und jetzt? Mondnebel war bereit sich auf einen Deal mit den Vampiren einzulassen. Sie selbst hatte alles in ihrer Macht stehende getan, um ihre Kameraden davon zu überzeugen. Sie hatte der Daywalkerin zur Flucht verholfen, als Mondnebel sie gefangen hatte. Verdammt, ausgerechnet in Chris hatte sie ihre Seelenverwandte gefunden. Auch wenn so einiges zwischen ihnen noch geklärt werden musste und nicht unproblematisch werden würde, sie liebte diese Frau.

Der Gedanke daran, das der japanische Vampirfürst sie ihr entreißen könnte, machte sie beinahe wahnsinnig!
 

Kaum das Jodie vom Bad zurück ins Wohnzimmer getappt war, konnte sie Schritte auf dem Flur hören. Schon wurde die Wohnzimmertür geöffnet und Chris und Rei betraten den Raum.

"Habe ich also doch richtig gehört, Kätzchen, du bist noch wach.", stellte die Schauspielerin fest.

"Natürlich bin ich das.", kam es etwas perplex von der Jüngeren.

"Um diese Uhrzeit noch?" Bourbon nickte in Richtung Wanduhr. Überrascht stellte Jodie fest, dass es inzwischen mitten in der Nacht war.

"Ich kann nicht schlafen.", gab sie schließlich zu. "Ich muss immer wieder an Morgen denken. Geht es euch beiden auch so?"

"Natürlich denken wir die ganze Zeit über an den morgigen Abend.", bestätigte der Bodyguard. "Jeder hier im Haus tut das. Wie die Sache wohl ausgehen wird, ist Gesprächsthema Nummer eins."

"Ist das auch der Grund, warum ihr zwei noch auf seid?", wollte Jodie wissen.

Chris schüttelte den Kopf. "Nein, es gab noch wahnsinnig viel zu tun. Als stellvertretende Anführerin musste ich den Abend vor einer so wichtigen Entscheidung natürlich unten in der Bar Präsenz zeigen. Das erwarteten nicht nur unsere Gäste, sondern auch meine eigenen Leute." Ohne es zu merken, strich die Schauspielerin über den Halsreif, der sie unglücklicherweise ebenfalls zu so etwas wie einem weiteren Wetteinsatz in dieser Schlacht gemacht hatte.

Jodie winkte die beiden anderen Blonden in den Raum. Chris und Rei folgten der Aufforderung.

"Wo ist Curaçao?", wollte sie wissen.

"Bei Kir geblieben.", erklärte Chris ihr. "Das Nervenkostüm der beiden ist auch schon bis zum Zerreißen gespannt und das aktuell sind die letzten Stunden, bevor Curaçao die Vampire dieses Landes als neues Clanoberhaupt anführen wird. Die beiden wollen die letzten Stunden Normalität noch genießen, so lange es geht."

Ein Argument, welches Mondnebels Jägerin nur zu gut verstehen konnte. Auch wenn sich an der Beziehung der beiden Vampirinnen zukünftig nichts verändern würde, so würde das neue Amt die Silberhaarige doch extrem viel Zeit kosten. Kein Wunder, dass sie darauf verzichten konnte, aktuell unten in der Bar zu sitzen und stattdessen lieber Zeit mit ihrer Freundin verbrachte.

Jodie setzte sich zurück aufs Sofa, streckte sich kurz und blickte die beiden Anderen fragend an.

"Habt ihr zwei Lust mir noch etwas Gesellschaft zu leisten? Ich ertrage es nicht hier die ganze Zeit über nur mit meinen Gedanken allein zu sein.", gab sie offen zu.

Chris setzte sich aufs Sofa neben sie, während Rei sich den letzten freien Platz sicherte.

"Das ist nicht weiter verwunderlich. Von dem Ausgang der Schlacht morgen, hängt immerhin einiges ab.", stellte die Daywalkerin fest.

"So kann man das auch ausdrücken, ja." Jodie seufzte und gab schließlich einem inneren Impuls nach. Sie drehte sich zu der neben ihr sitzenden Schauspielerin, zog diese in eine Umarmung und vergrub das Gesicht in ihrer Halsbeuge.

Für einen kurzen Moment erstarrte Chris förmlich und blickte ein wenig hilfesuchend zu Rei, ehe auch sie lautlos seufzte, Jodies Umarmung schließlich schweigend erwiderte und das Kinn auf den blonden Schopf der Jüngeren lehnte.

"Gestern Nacht ist ein Fahrzeug unserer Technikabteilung verunglückt. Der Wagen, der Munition und Waffen zu Mondnebels Zentrale liefern sollte, ist auf einer unbelebten Straße von der Fahrbahn abgekommen. Höchst wahrscheinlich hat der Fahrer die scharfe Kurve zu eng und zu schnell genommen, wodurch der Wagen ins Schleudern geraten sein muss."

Jodie sog scharf die Luft ein, als James Black ihr diese Neuigkeiten am Morgen des 31. Dezembers überbrachte. "Heilige...", begann sie, brach ab und fragte stattdessen: "Was ist mit dem Fahrer? Hat er sich verletzt?"

Am anderen Ende der Leitung seufzte ihr Vorgesetzter betroffen und schwieg einen Moment lang, ehe er ihr mit belegter Stimme erklärte: "Er hat es nicht geschafft, Jodie. Bei dem Unfall ist der Wagen eine Böschung heruntergerollt und hat schließlich Feuer gefangen. Liam ist in dem Auto verbrannt."

"Oh Gott... das ist ja furchtbar.", stöhnte die Blondine und war ehrlich betroffen, auch wenn sie den Kollegen aus der Technikabteilung selbst nicht besonders gut gekannt hatte. Dennoch war der Unfall schrecklich und natürlich nagte es an ihr, wenn einem Mitglied Mondnebels etwas zustieß.

"Weiß man, ob er noch bei Bewusstsein war, als das Feuer ausgebrochen ist?", erkundigte sie sich.

"Das steht noch nicht fest. Zu wünschen wäre es ihm allerdings nicht gewesen. Man kann nur hoffen, dass er entweder sofort tot, oder aber nicht mehr bei Bewusstsein war, als das Feuer ausgebrochen ist.", antwortete James. Zu verbrennen war immerhin ein grauenvoller Tod.

"Einfach schrecklich." Die Stimme der jungen Frau klang bedrückt. Kurzzeitig herrschte Stille, dann ergriff sie erneut das Wort: "Die Waffen, die transportiert wurden, befanden sich noch alle im Fahrzeug, oder fehlt irgendetwas?" Es war ein ungutes Ziehen in der Bauchgegend, das sie die Frage stellen ließ.

"Unsere Waffen sind genau so hitzeempfindlich wie die dazugehörige Munition. Die gesamte Lieferung wird unbrauchbar geworden sein, als das Feuer ausbrach. Davon abgesehen ist der Unfallort aufgrund des Brandes ein einziges Chaos. Es ist schwer nachzuvollziehen, ob irgendetwas fehlt, aber ich denke nicht.", erklärte ihr Vorgesetzter ihr. "Gibt es einen bestimmten Grund, warum du fragst, Jodie?"

Angesprochene zögerte, beschloss dann jedoch, das es besser wäre Black nicht unnötig zu beunruhigen. "Nein, vergiss es einfach, James."
 

Die restlichen Stunden des Tages vergingen wie im Flug. So sehr die junge Frau sich auch wünschte, dass die verbleibende Zeit langsamer vergehen möge, die Uhr tickte und tickte ohne jede Gnade.

Die Sorge, bezüglich des Ausgangs des heutigen Kampfes, drohte sie zu zerfressen. Höchst wahrscheinlich ging es den Anderen ganz genau so. Hinzu kam die Nachricht, die James ihr heute Morgen telefonisch überbracht hatte. Der Unfall kam ihr fast vor wie ein schlechtes Omen.

Sie hoffte nur, dass der heutige Tag besser enden würde, als er begonnen hatte. Doch das hing ganz davon ab, welche Seite es zum Jahreswechsel geschafft haben würde, den Ring in die Hände zu bekommen.

Der Himmel war beinahe schwarz. Jodie konnte keinen einzigen Stern entdecken. Die Nachtluft war klirrend kalt. Bei jedem Atemzug bildeten sich kleine, weiße Wölkchen vor ihrem Gesicht.

Die Blondine fröstelte und trat nervös von einem Fuß auf den anderen.

Mondnebel war bereits startklar, das hatten ihre Kameraden ihr mitgeteilt. Im riesigen Vorgarten des Anwesens waren nicht nur einige Vampire des Hauses versammelt, die schnellstmöglich nach dem Ende des Kampfes über dessen Ausgang informiert werden wollten, auch die Kämpfer der amerikanischen Seite waren inzwischen vollzählig, den derzeitigen Anführer des Clans natürlich ausgeklammert.

"Seid ihr alle gut vorbereitet?", wollte Jodie wissen, da sie das angespannte Schweigen nicht länger ertrug.

"So gut es eben geht.", bestätigte Rei ihr. Der Bodyguard versuchte möglichst gelassen zu wirken, doch man sah auch ihm seine derzeitige Anspannung an.

"Wir werden uns den Sieg schon holen." Irish, ein wahrer Berg von einem Mann, wirkte recht zuversichtlich.

"Ein Jammer, dass der Einsatz von Schusswaffen verboten ist.", murrte Calvados vor sich hin.

"Wir brauchen keine Schusswaffen, wir schaffen das auch so.", stellte Curaçao entschieden klar. Die Silberhaarige wirkte ernst und entschlossen. Jodie wagte sich nicht vorzustellen, wie nervös sie gerade eigentlich sein musste, wussten doch zumindest die Mitglieder der Verschwörung, welche Last sie gerade auf ihren Schultern trug und von nun an würde tragen müssen.

Die neben ihr stehende Person, das Gesicht verborgen durch einen Umhang mit Kapuze, nickte lediglich schweigend.

Chris prüfte rasch ihre Uhr und blickte dann in Richtung des Anwesens. "Noch ungefähr eine halbe Stunde bis die ganze Aktion startet. Wir sollten schon mal reingehen. Ich will noch einige private Worte mit dem Boss sprechen, ehe wir uns vor Kampfbeginn zum Rest der Gruppe gesellen."

Einige private Worte... vermutlich würde sie die sogar wirklich mit dem derzeitigen Anführer wechseln, doch was danach geschehen würde, ahnte wohl keine der nicht eingeweihten Personen. Jodie betete, dass alles nach Plan laufen würde. Allein schon von der Tatsache, ob es gelingen würde, Karasuma auszuschalten oder nicht, hing einiges ab.

"Curaçao, Bourbon, ihr bewacht die Treppe, solange ich mit dem Boss spreche. Ich möchte nicht, dass unsere Gäste denken, sich ungefragt Zutritt zu seinem Zimmer verschaffen zu können, nur weil heute der Tag der Entscheidung ist.", verfügte die Blondine und legte ihren Bodyguards je eine Hand auf den Oberarm.

Während die Gruppe sich auf die Aufforderung hin in Bewegung setzte, hielt die Schauspielerin noch einmal inne und wandte sich Jodie zu. Die grünen Augen der Daywalkerin blickten ihr sanft und besorgt zugleich entgegen. "Und du bleibst hier draußen und stellst keine Dummheiten an, Kätzchen." Kurz tippte sie sich an den verhassten Halsreif, an welchem nun noch ein weiterer Edelstein prangte. Nur das es sich bei dem rot funkelnden Steinchen nicht um einen Rubin handelte, sondern viel mehr um eine Kamera Mondnebels, um den Rest der Gruppe auf dem Laufenden zu halten. "Wenn du dich etwas abseits der anderen Wartenden hältst, bekommst du mit, was im Haus passiert."

Jodie schmunzelte schief und knuffte ihr Gegenüber leicht. "Ich stell schon nichts an, zerbrich dir darüber mal lieber nicht den Kopf. Im Gegensatz zu euch bin ich hier draußen sicher." Ihr Lächeln schwand zusehends und machte einem besorgten Gesichtsausdruck Platz. "Aber um dich mache ich mir Sorgen, Chris. Als Daywalkerin hast du den anderen kräftemäßig nichts entgegenzusetzen."

Die Ältere sortierte ihr einige Strähnen aus dem Gesicht und strich ihr schließlich über die Wange. "In diesem Kampf geht es nicht darum, einen Gegner zu töten. So schlimm wird es also nicht werden, zumal nur die Personen unter Beschuss geraten, die sich gerade im Besitz des Rings befinden, oder darum kämpfen. Da ich mich etwas im Hintergrund halten werde, bin ich kaum von Interesse.", versuchte Chris sie zu beruhigen. Schließlich zog jedoch auch sie ein ernstes Gesicht. "Wie die ganze Geschichte ausgehen wird, bereitet mir ehrlich gesagt mehr Sorge, als der Kampf an sich."

Jodie verstand durchaus was sie meinte, auch wenn sie nicht wusste, was ihr selbst nun mehr Unbehagen bereitete.

"Chris, komm jetzt, wir müssen los!", hörte sie Rei im Hintergrund nach der Blondine rufen. "Du wolltest immerhin noch einen Moment, um in Ruhe mit dem Boss zu sprechen."

Die Daywalkerin blinzelte und nickte Jodie schließlich zu. "Also dann, wir sehen uns um kurz nach Mitternacht."

Die Jägerin starrte sie an. Sie wusste, dass ihre Seelenverwandte jetzt gehen musste, doch alles in ihr schrie förmlich danach, die andere Blondine zurückzuhalten. Sie wollte nicht, dass sie sich in die Höhle des Löwen begab. Sie wünschte sich, dass sie Chris den Halsring irgendwie abnehmen könnte und der Ausgang der Schlacht somit nicht mehr ganz so allesentscheidend wäre. Aber all das ging nicht.

Entschieden trat die junge Frau einen Schritt auf die Schauspielerin zu, legte ihr eine Hand an die Wange und drückte ihr kurzentschlossen einen Kuss auf die Lippen.

Schließlich war der kurze Moment vorbei und Jodie ging wieder ein wenig mehr auf Abstand. In ihr tobte ein Sturm aus Emotionen. Sie wollte Chris nicht in dieses Anwesen gehen lassen, sie wollte nicht, dass diese verdammte Schlacht in erster Linie überhaupt stattfand!

"Pass gut auf dich auf.", hörte sie ihre eigene Stimme flüstern.

Im Hintergrund sogen einige der anderen Schaulustigen fassungslos die Luft ein. Jodie spürte dutzende Blicke auf sich ruhen. Auch Calvados und Irish starrten beinahe geschockt in Richtung der beiden Frauen. Kein Wunder, die beiden waren zwar Teil des Kampftrupps, aber nicht Teil der Verschwörung. Sicherlich rechneten die vor dem Anwesen wartenden Vampire damit, dass Chris die eigentliche Jägerin nun schalt, immerhin war es für einen Menschen in den Augen der Anderen ziemlich anmaßend, einfach so die Nerven zu besitzen, die stellvertretende Anführerin des Clans zu küssen, doch diese blinzelte lediglich und strich sich kurz über die geschminkten Lippen. "Das werde ich, keine Sorge."

Schließlich wandte Chris sich zum Gehen und gesellte sich zu der restlichen Gruppe. Mit ihr an der Spitze, setzten sich alle in Bewegung, um das Anwesen zu betreten.

Diese Tatsache riss die anderen Anwesenden wieder aus ihrer Starre. Sie jubelten den Kämpfern der amerikanischen Seite zu und wünschten ihnen Glück.
 

Als ihre Kameraden schließlich im Gebäude verschwunden waren, fühlte Jodie sich so verloren und allein wie schon lange nicht mehr. Sie hatte das Gefühl, als wären die Anderen ohne sie in den Krieg gezogen. Ein grauenvolles Gefühl.

Mit wie wild pochendem Herzen und sekündlich größer werdender Sorge, machte sie sich auf den Weg, sich ein Stück weit von den anderen Wartenden abzusetzen.

"Verdammtes Gör, wie kannst du es wagen?!", fauchte einer der Vampire sie an, als sie an ihm vorbeilief. Er hatte sich allem Anschein noch nicht mit der Geste, mit der sie Chris verabschiedet hatte, abfinden können.

"Halt dich aus meinen Angelegenheiten raus! Das geht nur mich und sie etwas an!", blaffte Mondnebels Jägerin zurück. Das Wissen, dass die hier versammelten Vampire ihr nichts tun würden, da sie unter dem Schutz der Daywalkerin stand, beruhigte sie aktuell ein wenig.

Als Jodie schließlich etwas Abstand zu der Gruppe vor dem Haus gewonnen hatte, setzte sie sich auf eine Holzkiste, welche an der Mauer des Anwesens stand.

Die Kälte der Dezembernacht hatte sie derweil beinahe ausgeblendet.

Sie ertrug es nicht, nicht zu wissen, was in dem Haus aktuell vor sich ging und das, obwohl die anderen gerade erst durch die Tür ins Innere des Anwesens verschwunden waren. Sie vergewisserte sich noch einmal, ob ihr auch wirklich niemand gefolgt war, dann zog sie ihr Handy aus ihrer Manteltasche, öffnete eine App und wartete ab. Noch erhielt sie kein Signal, doch das würde sich ändern, sobald Chris die getarnte Kamera, die sie an ihrem Halsreif befestigt hatten, eingeschaltet hätte.

Sie hoffte, dass sie bald schon ein Bild bekommen würde. Nicht nur, da es Jodies Aufgabe war, Mondnebel auf dem Laufenden zu halten, sondern auch, weil sie vor Sorge um Chris beinahe wahnsinnig wurde.
 

Einige quälende Momente musste sie noch abwarten, dann aktualisierte das Bild der App sich von selbst und das graue Flimmern wurde durch ein bewegtes Bild ersetzt. Die Schauspielerin hatte unauffällig die Kamera aktiviert.

Wie gebannt starrte Jodie auf das Display ihres Smartphones und vergaß für einen Moment beinahe zu atmen. Mondnebels versteckte Kamera verfügte über Bild und Ton, wenn auch nicht in herausragender Qualität. Um niemanden auf sich aufmerksam zu machen, verwendete die junge Frau kabellose Kopfhörer.

Gespannt beobachtete sie, was vor sich ging. Der Bildausschnitt war nicht perfekt, da die Kamera am Halsreif der Daywalkerin angebracht war. Auf ihrem Smartphone konnte Jodie grob das erkennen, was sich gerade in der Richtung befand, in die Chris aktuell blickte.

Und was das war, oder besser gesagt wer... erschrocken sog die Jägerin die Luft ein. In etwa drei Metern Entfernung zu der Schauspielerin stand Gin. Seine Leute mussten sich ein Stück weit hinter ihm befinden, waren jedoch nicht richtig mit im Bild, weshalb sie nur vermuten konnte, wer wer war.

Der japanische Vampirfürst blickte beinahe spöttisch auf die Blondine herab. "Und? Hast du deine Koffer schon gepackt, Daywalkerin?" Seine raue Stimme klang durch die Kamera fremd.

"Meine Koffer? Dazu gibt es derzeit noch keinen Anlass, mein Lieber. Warten wir erst einmal ab, wie das kleine Spielchen gleich ausgeht. Höchst wahrscheinlich werden es du und deine Leute sein, die mit leeren Händen abreisen müssen.", hörte sie Chris Stimme antworten. "Und wenn dem nicht so sein sollte, bin ich überzeugt davon, dass du mir schon noch die Zeit einräumen wirst, meine Sachen zu packen."

"Ich gebe dir nach Mitternacht exakt eine Stunde. Du hättest bereits früher anfangen sollen. Beschwer dich also später nicht bei mir, wenn dir die Zeit letztlich nicht reicht."

"Unterschätze meine Leute lieber nicht. Wir werden den Kampf für uns entscheiden." Die Stimme der Schauspielerin klang selbstbewusst, doch Jodie wusste ganz genau, wie nervös sie aktuell wirklich war.

"Deine Leute...?" Gins Blick wanderte von links nach rechts. Höchst wahrscheinlich betrachtete er gerade die Gruppe, die hinter Vermouth stand. "Dich mit auf die Liste zu setzen, war keine besonders kluge Entscheidung.", sagte er ihr auf den Kopf zu. "Dein Anführer ist eine Beleidigung für jeden Urvampir und dein Teammitglied dort drüben..., ist das die Person, die du als 'Joker' aufgelistet hast? Ich kann die Nervosität und die Angst bis hier hin riechen. Lächerlich."

Im Hintergrund meinte Jodie ganz eindeutig Chiantis grelles Lachen zu hören, welches durch die Kopfhörer nur noch unangenehmer klang.

"Hochmut kommt vor dem Fall, Gin.", erinnerte Vermouth ihn mit seidenweicher Stimme. Jodie konnte sich ihren spöttischen Gesichtsausdruck ganz genau vorstellen.

Der Silberhaarige knurrte verärgert. "Und, was ist nun mit deinem Boss? Er versteckt sich immer noch?"

"Er sah keine Notwendigkeit darin, sich vor der Entscheidung mit dir und deinen Leuten abzugeben. Aber gleich wirst du ihn kennenlernen. Ich werde ihn nun holen gehen. Nur Geduld.", kam es unbeeindruckt von der Blondine.

"Tu das endlich.", murrte ihr Gegenüber.

In der Tat wandte Chris sich ab. Das Bild der Kamera verwackelte kurzzeitig, dann wurden die Treppen sichtbar, die zu Karasumas Privaträumen führten. Die Schauspielerin begann damit die Treppe hochzusteigen. Rei blieb, wie vereinbart, am Fuß der Treppe stehen, Curaçao folgte ihr ungefähr bis zur Hälfte der Treppe, ehe auch sie stehen blieb.
 

Als Chris schließlich gegen das dunkle Holz der Zimmertür klopfte, hielt Jodie erneut die Luft an.

Dies wäre nun das zweite Mal, dass sie Renya Karasuma zu Gesicht bekäme. Zwar nur durch die Kamera, dennoch war sie angespannt.

In so schlechtem Zustand der Alte auch war, er war immer noch ein Urvampir und die Schauspielerin hatte ihr versichert, dass er selbst jetzt noch brandgefährlich war. Wie sehr Jodie hoffte, dass der Plan von nun an reibungslos funktionieren würde! Allein schon das Gespräch mit Gin in der Halle hatte Zeit gekostet, die sie eigentlich nicht hatten.

Jodie zog ein zweites Handy aus ihrer Manteltasche, sah sich unauffällig um und tippte schließlich rasch eine Nachricht an Akai. »Sie hat das Zimmer jetzt betreten.«

Und wirklich, auf ihrem Smartphone konnte sie sehen, wie die Schauspielerin den abgedunkelten Raum des derzeitigen Anführers betrat. Zu ihrer großen Überraschung saß der Boss nicht länger im Rollstuhl, sondern stand, die Hände auf den Schreibtisch gestützt, da.

Was?! Aber wie konnte das? Jodie meinte durch die Kamera eine leere Weinflasche erkennen zu können, auch wenn das Bild etwas unscharf war. Wenn die Flasche mit Blut gefüllt gewesen war und der Urvampir den gesamten Inhalt getrunken hatte, vielleicht hatte ihm das kurzzeitig etwas mehr Kraft gegeben?

Verflucht! Sie knirschte unbewusst mit den Zähnen. Das war genau das, was gerade niemand gebrauchen konnte!

"Komm herein, meine Schöne. Du kommst mich vor dem Kampf noch einmal besuchen?", ertönte die kratzige Stimme des Alten.
 

Jodie wurde abgelenkt, als sie plötzlich Schritte auf dem gefrorenen Gras hören konnte, welche sich ihr näherten. Was zum?! Unerwünschte Gesellschaft konnte sie derweil überhaupt nicht gebrauchen! Sie musste mitbekommen, wie das Gespräch zwischen Chris und dem Anführer verlief, allerdings sollte niemand mitbekommen, dass sie die Möglichkeit hatte alles mitzuverfolgen.

Rasch drehte sie sich und entdeckte einen von Gins Männern, welcher gerade Kurs auf sie nahm.

Die junge Frau zog skeptisch die Stirn kraus. Was wollte der denn hier? Und war der Typ nicht auch als einer der Kämpfer gelistet? Warum war er dann noch hier draußen?

Ihr Gegenüber hob lässig die Hand zum Gruß, Jodies Blick wurde unfreundlicher.

Sie musste mitverfolgen, was im Zimmer des Bosses geschah, zumal nur sie die Aufnahmen sichten konnte. Es war ihre Aufgabe alles im Blick zu behalten und Mondnebel über die Geschehnisse zu informieren. Sie musste den Störenfried folglich so schnell wie möglich abwimmeln!

"Vermouths Schoßhündchen sitzt treu und verlassen vor dem Gebäude und wartet ab? Was für ein herzzerreißender Anblick.", amüsierte ihr Gegenüber sich.

"Ich bin nicht ihr Schoßhündchen.", spie Mondnebels Jägerin verärgert und blickte wenig freundlich drein. "Du bist doch dieser Pinga, oder? Sag schon, was willst du?"

Wenn sie nicht alles täuschte, dann war das der Typ, vor dem Rena die Gruppe bereits gewarnt hatte. Der Mann sei mit Vorsicht zu genießen und falsch wie eine Schlange. Auch die anderen hatten kein gutes Gefühl bei ihm und Jodie schloss sich der allgemeinen Meinung an. Auch ihr ungutes Bauchgefühl war sofort erwacht, kaum dass der Vampir vor ihr stand.

"Was ich will? Na ins Gebäude, ist das nicht offensichtlich? Ich bin spät dran.", antwortete Pinga ihr und schnippte sich einen der fein geflochtenen Zöpfe zurück über die Schulter. In seinen Augen lag ein ungutes Funkeln. "Ich muss schon sagen, es ist sehr gastfreundlich von den Amerikanern, einen Snack für nach dem Kampf direkt vor der Tür abzustellen."

Auf seine Worte hin, blickte die Blondine sich kurz um, konnte jedoch nicht wirklich etwas entdecken, das für Vampire von Interesse sein könnte, ehe ihr aufging, dass sie es war, die ihr Gegenüber gerade als Snack bezeichnet hatte. Schlagartig schrillten in ihr sämtliche Alarmglocken und sie wünschte sich eine von Mondnebels Waffen zur Hand zu haben.

"Oh nein, das kannst du gleich wieder vergessen.", fauchte sie ärgerlich. "Ich stehe unter dem Schutz von Amerikas stellvertretender Anführerin." Jodie machte eine verscheuchende Handbewegung. "Sieh lieber zu, dass du reingehst, ehe du noch Ärger mit deinem Boss bekommst."

"Kratzbürste." Ihr Gegenüber lachte. "Als Mensch vor einem Haus voller Vampire zu campieren, du bist entweder extrem dumm, oder extrem gutgläubig. Wie auch immer, Menschlein, dir wird heute eine ganz besondere Ehre zu teil. Der Sturz zweier Säulen, das Ende veralteter Regeln und der Aufstieg eines mächtigen Anführers. Die wenigsten können von sich behaupten so etwas miterlebt zu haben."

Fragend hob Jodie eine Augenbraue, während ihr Herz einen Satz machte. Wovon redete Pinga da bitte? Hatte er am Ende Wind von dem Plan bekommen, Renya zu töten und eine neue Anführerin auf seinen Platz zu setzen? Es klang ganz danach. Verdammt! Kurz kochte Panik in ihr hoch. Doch dann wurde sie sich bewusst, dass seine Worte nicht ganz passend waren. Der Sturz zweier Säulen? Wenn die Anführer damit gemeint waren... es sollte doch nur Karasuma das Zeitliche segnen.

"Was genau meinst du damit, Pinga?", hakte sie misstrauisch und alarmiert zugleich nach.

Doch Angesprochener winkte nur ab und wandte sich zum Gehen. "Genug geplaudert, Mädchen. Ich muss jetzt wirklich gehen." Und mit diesen Worten ließ er sie stehen und verschwand im Inneren des Gebäudes.

Irritiert und beunruhigt zugleich, blickte Jodie ihm nach. Was genau hatte diese Andeutung zu bedeuten gehabt? Und was hatte Pinga da am Gürtel getragen? Irgendetwas Rundes. Ein Schlüsselanhänger war das nicht gewesen...
 

Jodie konnte sich nicht sofort einen Reim auf all das machen, erschrak jedoch erneut, als sie sich ins Gedächtnis rief, das Pinga nicht die einzige Baustelle war, die ihr Sorge bereiten sollte.

Rasch holte sie ihr Smartphone wieder hervor und beobachtete, was derweil im Gebäude los war. Hoffentlich hatte sie nichts wichtiges verpasst!

~

"Bist du mit der Wahl der Kämpfer zufrieden, die ich gelistet habe?", erkundigte Chris sich gerade. Sie stand neben dem derzeitigen Anführer am geschlossenen Fenster.

"Ich habe die Liste abgezeichnet, oder etwa nicht?", antwortete Renya mit einer Gegenfrage, hustete und stützte sich mit einer Hand schwerfällig auf der Fensterbank ab. "Aber im Prinzip kümmert es dich nicht wirklich, was ich von deiner Wahl halte.", sagte er der Schauspielerin dann auf den Kopf zu.

"Wie kommst du denn darauf, Boss?", hakte diese mit irritierter Stimme nach. "Ich bin deine Stellvertreterin. Natürlich kümmert es mich da, was du denkst."

Der Alte stieß ein heiseres Lachen aus. "Zeit mit der Schauspielerei aufzuhören, Täubchen."

"Boss, wovon redest -", weiter kam die Blondine nicht. Sie stieß einen erschrockenen Laut aus, als der Urvampir unverhofft schnell herumwirbelte.

Obwohl Jodie die ganze Szene nur von vor dem Haus aus mitverfolgte, blieb ihr beinahe das Herz stehen. Was ging da vor sich?!

Das Bild der Kamera verwackelte, ehe sie das Gesicht Karasumas nur Zentimeter vor der, im Halsreif verborgenen, Kamera auftauchen sah.

Wieder verwackelte das Bild, da die Schauspielerin rasch den Kopf gedreht haben musste. Ein Stück vom Fenster wurde sichtbar, genau so wie ihr Handgelenk, welches sich derweil in einem eisernen Griff befand und gegen die Fensterscheibe gedrückt wurde.

Der Jägerin vor dem Gebäude wurde eiskalt. Entsetzen packte sie. Der Plan lief vollkommen aus dem Ruder und von jetzt auf gleich schien Chris eindeutig bis zum Hals in Schwierigkeiten zu stecken. Das größte Problem an der ganzen Sache war, das Mondnebel wegen des noch abgedunkelten Fensters nichts unternehmen konnte, um ihr zu helfen.

"Boss, was...", konnte Jodie die Stimme der Daywalkerin krächzen hören.

"Glaubst du wirklich, ich wüsste nicht, dass du hinter meinem Rücken meinen Sturz planst?", hakte Renya ganz direkt nach. "Versuch gar nicht erst es zu leugnen, ich weiß Bescheid."

Für einen kurzen Moment herrschte Stille. Wieder veränderte der Blickwinkel der Kamera sich, ehe der Anführer wieder gänzlich im Bild war.

"Du dachtest, du als Daywalkerin bist die Einzige, mit einem ausgesprochen guten Gehör? Da muss ich dich leider enttäuschen. Mein Körper mag inzwischen alt und schwach sein, doch als Urvampir bekomme ich durchaus mit, was in meinem Anwesen vor sich geht."

"...Was hast du bitte anderes von mir erwartet?" Chris, die sich der Tatsache bewusst war, dass Karasuma nicht einfach nur ein gutes Pokerface besaß, hatte beschlossen, ihre Absichten nicht länger unnötig zu leugnen. "Die Vampire, die mich damals verletzt haben, ehe du als der edle Ritter aufgetaucht bist und mich gewandelt hast, das waren deine Leute. Du hast sie geschickt, um dich in einem besseren Licht dastehen zu lassen.", kam es verbittert von ihr.

"Du solltest mir dafür lieber dankbar sein, meine Liebe. Es mag schon sein, dass ich nicht ganz ehrlich zu dir war, aber ich habe dir Jahrhunderte der Jugend geschenkt und dich vor dem Schicksal bewahrt, wie eine schöne Blume zu verwelken."

"So siehst du das also?", konnte Jodie die Stimme der Schauspielerin nachhaken hören. "Weißt du, Boss, die Tatsache, dass du damals nicht ganz ehrlich zu mir warst, ich habe darüber hinweggesehen, aber das du mir diesen Halsring angelegt hast, so wertvoll er auch sein mag, kann ich dir nicht verzeihen. Du hast mich verwettet wie einen Gegenstand." Nun klang ihre Stimme vorwurfsvoll. "Wir beide wissen, dass du es in deinem derzeitigen Zustand nicht mit Gin aufnehmen kannst."

Einige Sekunden lang herrschte Schweigen, dann stieß der Alte erneut ein heiseres Lachen aus.

"Du verstehst es wirklich nicht, habe ich Recht?"

"Was soll ich nicht verstehen?" Das Bild verwackelte. Im nächsten Moment konnte Jodie sehen, wie Chris versuchte ihre Handgelenke zu befreien, doch Karasumas Griff war eisern. "Denkst du ich wüsste nicht, was einer Verräterin blüht? Du wirst mich noch vor Beginn des heutigen Kampfes töten."

Bei der Feststellung der Daywalkerin lief es Jodie eiskalt den Rücken herunter. Alles in ihr schrie danach, sofort in das Gebäude zu stürmen, um ihr zu helfen.

»Alles läuft aus dem Ruder.«, tippte sie hektisch auf ihrem Zweithandy eine Nachricht an Mondnebel. »Karasuma weiß Bescheid.«
 

Wieder verschwamm das Bild, was diesmal daran lag, dass der derzeitige Anführer seine Stellvertreterin vom Fenster weggezogen und weiter in den Raum gestoßen hatte, doch überraschend setzte er ihr nicht nach.

"Mit Nichten. Was denkst du von mir?"

Dem Blickwinkel nach zu urteilen, starrte Chris ihr Gegenüber lediglich schweigend an.

Jodie wollte sich lieber gar nicht vorstellen, wie die Ältere sich derzeit fühlen musste.

Renya stützte sich derweil wieder auf der Fensterbank ab und fixierte seine Stellvertreterin mit dem Blick. Die Augen des Alten wirkten so wach und klug, wie die eines Raben.

"Ich habe dich in den Clan aufgenommen, weil mich deine Art und Weise zu schauspielern fasziniert hat. Ich habe dich zu meiner Stellvertreterin ernannt, weil ich weiß, dass du eine Person bist, die zur Not über Leichen geht, um ihren Kopf durchzusetzen." Karasuma hustete, fing sich dann jedoch wieder. "Blitzgescheit, charismatisch, selbstbewusst, mit einem ganz eigenen Kopf und gleichzeitig skrupellos. Du gibst eine Anführerin ab, wie sie im Buche steht, meine Liebe. Leider nur bist du noch ein paar Jahrhunderte zu jung und das, was dich so besonders macht, ist Fluch und Segen zugleich. Welcher Vampir träumt nicht davon, sich auch am Tage frei bewegen zu können? Gleichzeitig fehlt dir die körperliche Stärke, die ein Anführer braucht."

"Was willst du mir damit sagen? All das ändert nichts an meinem Verrat." Die Stimme der Blondine klang angespannt.

"Sieh mich an." Renya deutete mit einer zittrigen Hand auf sich selbst. "Meine Glanzzeiten sind vorbei. Ich bin alt. Dein Blut zerfrisst mich noch immer innerlich. Ich werde bald sterben."

Bei diesen Worten sog die Daywalkerin scharf die Luft ein, doch der Alte lachte nur voller Ironie.

"Jetzt guck nicht so erschrocken. Das war es doch außerdem auch, was du wolltest."

Der Urvampir lief mit bedächtigen Schritten durch den Raum, setzte sich hinter seinen Schreibtisch und blickte seine Stellvertreterin mit festem Blick an. "Wenn meine Zeit endet, wird Amerika ohne Urvampir und starken Anführer dastehen. Eine Daywalkerin, noch dazu in deinem Alter, kann mein Amt nicht übernehmen. Die Ära der gefürchteten, amerikanischen Vampirgesellschaft endet mit meinem Tod." Den letzten Satz spie Karasuma regelrecht verächtlich.

Überraschend lag in seinen Augen fast so etwas wie Wärme, als er die Blondine musterte. "Aber dich einem schwachen, neuen Anführer überlassen? Das kommt gar nicht in Frage. Aktuell ist Japans Anführer zweifelsohne der gefährlichste Vampir auf diesem Planeten."

"Gefährlich ist dieser Mann zweifelsohne. ... Warte, heißt das am Ende etwa...?" Chris ließ ihre Frage unvollendet, doch der Alte nickte dennoch. Sie schien verstanden zu haben.

"Das er den diesjährigen Kampf für sich entscheiden wird ist, gemessen an meinem aktuellen Zustand, sicher. Das die Artefakte folglich in seine Hände fallen, lässt sich nicht ändern. Doch das ist auch der Grund, warum ich dich den Halsreif habe tragen lassen, meine Schöne.", sprach Renya weiter. "Gin hat mir in unserem Telefonat sein Wort gegeben, dass er seine schützende Hand über dich halten wird, wenn es auch mit der Freiheit, die du in meinem Clan derzeit genießt, vorbei sein wird. Trotzdem weiß ich, dass meine Daywalkerin auf diese Art und Weise keinem unfähigen Trottel in die Hände fallen und auch in Zukunft sicher vor jedem Jäger sein wird."

Das verwackelte Bild der Kamera und die sich ändernde Perspektive verriet, das Chris sich langsam mit dem Rücken in Richtung Fenster drehte und sich diesem näherte, so als wäre nichts.

"Du wolltest mich in Sicherheit wissen und hast mich den Halsreif deshalb tragen lassen?", wiederholte sie. "Du hättest mit mir reden sollen, Boss. Dieser Mann wird mir das Leben schwer machen. Das ist es, was du mit all dem erreicht hast."

"Wird er nicht.", widersprach der Greis. "Du wirst ein gutes, sicheres Leben in Japan führen können, allerdings wirst du lernen müssen, dass auch du dich zukünftig an Regeln halten musst, meine Liebe."
 

"Das war also die ganze Zeit über dein Plan.", stellte Chris nachdenklich fest. Der Blickwinkel der Kamera verriet, dass sie Karasuma derzeit fest in die Augen blicken musste. "Vielleicht geht es dir um meine Sicherheit, aber wie du bereits selbst sagtest, habe ich einen ganz eigenen Kopf. Denkst du wirklich, ich würde meine Freiheit aufgeben und auch diesmal brav tun was du willst, obwohl es einen ganz anderen Weg gibt?"

Die Augen des derzeitigen Anführers blitzten wach. "Das du hinter meinem Rücken etwas geplant hast, ist mir klar. Meine Ohren haben mir außerdem verraten, dass das Menschlein, dass du seit etwa zwei Monaten hier hältst, eine Vampirjägerin ist. Du bist viel zu vorsichtig, als dass du gedankenlos den Fuchs in den Hühnerstall lassen würdest.", erneut hustete der Alte. "Was genau bezweckst du damit? Ist dir deine Freiheit so viel wert, als dass du bereit bist den Clan an Mondnebel zu verraten?" Seine letzte Frage klang äußerst missbilligend.

Diesmal war es die Schauspielerin, die leise lachte, ehe sie zu einer Antwort ansetzte. "Verrat ist so ein böses Wort.", höhnte Chris. "Du sagst, ich wäre nicht fähig diesen Clan zu führen? Nun, ich habe einen Weg gefunden, wie ich meine Freiheiten nicht einbüßen muss und Amerikas Vampiren, die sich an meine Regeln halten, gleichzeitig Sicherheit garantieren kann. Der beste Weg sich vor Jägern zu schützen, ist nicht immer, sie stumpf zu bekämpfen."

Renya schnaubte. Jodie, die das Gespräch der beiden noch immer wie gebannt durch die Kamera verfolgte, konnte nicht einschätzen, ob der Laut nun amüsiert oder abfällig gewesen war.

"Willst du mir weismachen, du willst dieses Jahrhunderte alte Kriegsbeil begraben?" Der Greis lachte ein heiseres Lachen, ehe er wieder ernst wurde und der Blondine in die Augen blickte. "Das ist naiv."

"Das wird sich erst noch zeigen. Einen Versuch erscheint es mir wert.", widersprach Chris ruhig.

"Diese verrückte Idee und dann noch der kleine Fleck in deinem Auge, denk ja nicht er wäre mir nicht aufgefallen, ... dann ist dieses Mädchen also deine ganz besondere Person, habe ich nicht Recht?"

"Lass sie aus dem Spiel!", fauchte die Daywalkerin den derzeitigen Anführer überraschend an. Jodie war sofort klar, dass Chris sie nur beschützen wollte. "Den Vampirjägern endlich die Hand zu reichen, wird der Weg sein, der die Probleme auf beiden Seiten drastisch reduzieren und die sinnlosen Kämpfe gegeneinander endlich stoppen wird. Der ganze Clan wird von diesem Waffenstillstand profitieren.", stellte Chris noch einmal entschieden klar.

"DAS wird sich wohl erst noch zeigen müssen. Mit Jägern zusammenarbeiten? Das widerspricht jeder Logik.", spie der Alte verächtlich. "Und ganz abgesehen davon, wie willst du deine fehlende, körperliche Stärke ausgleichen, wenn du meinen Platz einnehmen willst?"

"In dem nicht ich den Posten des Anführers bekleide, sondern in meinem Amt als Stellvertreterin bleibe.", erklärte Angesprochene ihm. "Ursprünglich hattest du geplant, dass Rum deinen Posten übernimmt, bevor der Vorfall mit Mondnebel passiert ist, richtig, Boss?"

"Rum hätte die nötige Stärke besessen, aber Rum ist tot.", knurrte der Alte vor sich hin.

"Das mag sein. Aber Rum hatte eine rechte Hand, der er jahrelang die Kampfkunst gelehrt hat. Sie hatte ihn bereits vor seinem Tod übertroffen."

Renya zog eine Augenbraue hoch. "Du sprichst von Curaçao?", hakte er nach. "Es mag schon sein, dass sie über Kräfte verfügt, die denen eines Urvampirs inzwischen nahe kommen, aber ihr fehlt das nötige Rückgrat und die Entscheidungsfreude, um diesen Clan anzuführen."

"Charaktereigenschaften über die ich, als ihre Stellvertreterin, verfüge.", erklärte die Blondine ihm unbeeindruckt. "Wir haben die gleiche Vision und werden diesen Clan folglich gemeinsam leiten. Der Pakt mit Mondnebel wird für die hier lebenden Vampire nur noch einmal zusätzlich den Beginn einer sorgloseren Zeit bedeuten. Wir sind in der Moderne angekommen." Die Stimme der Daywalkerin klang selbstbewusst und überzeugt von dem, was sie sagte.

"Wenn die gemeinsame Führung des Clans auch vielleicht funktionieren mag, die Zusammenarbeit mit Vampirjägern wird jedem Einzelnen hier das Genick brechen.", sagte Karasuma ihr auf den Kopf zu.

"Das wird sich erst noch zeigen."

"Das werde ich nicht zulass-", setzte der aktuelle Anführer an, doch Chris fiel ihm ins Wort.

"Das wird nicht länger deine Entscheidung sein, Boss. Es tut mir leid, aber von hier an übernehme ich." Mit diesen Worten riss sie die schweren Gardinen bei Seite und öffnete mit einem Ruck das Fenster, in dessen Richtung sie sich während des Gesprächs geschlichen hatte.

Vor Schreck hätte Jodie beinahe das Zweithandy fallen lassen, doch sie riss sich zusammen.

"»JETZT!«", tippte sie blitzschnell die Nachricht an Akai, die vorherige Frage seinerseits, was passiert war, ignorierend.

Für einen Moment schloss die junge Frau die Augen und betete, dass nun alles nach Plan laufen würde. Nun musste das Timing perfekt sein. So altersschwach Karasuma inzwischen auch sein mochte, eben noch hatte er bewiesen, dass er sich noch schnell bewegen konnte. Shu durfte jetzt auf keinen Fall daneben zielen.

Mit zitternden Händen hielt Jodie das Smartphone umklammert, auf dessen Display sie live mitbekam, was derzeit im Anwesen vor sich ging.

Die Qualität der Kamera war schlecht, doch für den Bruchteil einer Sekunde meinte sie etwas durchs Fenster ins Zimmer fliegen gesehen zu haben.

Sie hielt den Atem an. Eine Schweißperle lief ihr die Schläfe herab. Im nächsten Moment sah sie, wie das Zimmer Karasumas in ein gleißendes Licht getaucht wurde.

Hatte es...? Bedeutete das, dass...? Sie wagte den Gedanken gar nicht zu Ende zu denken und starrte nur wie gebannt auf ihr Handy.
 

Die wenigen Sekunden, in denen der Lichtblitz sich hielt und das Zimmer erhellte, kamen Jodie so quälend lang vor, wie ganze Minuten oder gar Stunden. Ihr Herz hämmerte von innen wie wild gegen ihren Brustkorb. Hatte es geklappt?

Endlich ließ das künstliche Tageslicht, welches von der Lichtgranate, die Akai durch das offene Fenster in den Raum geschossen hatte, nach. Das Bild der Kamera wurde wieder klarer.

Im ersten Moment sah die Jägerin nur die Wand und ein Stück Boden, da Chris sich instinktiv abgewandt haben musste, doch schließlich drehte die andere Blondine sich zurück in Richtung Raum und das Bild der Kamera wanderte mit.

Obwohl sie die Kameraführung nicht beeinflussen konnte, wanderte Jodies Blick angespannt von links nach rechts. Sie studierte den Bildabschnitt genau.

Von Karasuma fehlte jede Spur. Hier und da flogen einige Funken durch das Zimmer und segelten langsam zu Boden. Asche lag in der Luft. Auf dem Schreibtischstuhl, auf dem der Greis bis eben noch gesessen hatte, fand sich ein nicht zu übersehender Aschehaufen, welcher teils vom Stuhl auf den Teppich gerieselt war.

So langsam wie zähflüssiger Honig sickerte die Erkenntnis zu ihrem Verstand durch. Es... es war vorbei! Der alte Anführer des Vampirclans war wirklich tot!

Jodie konnte es noch kaum fassen. Auch wenn dies nur Teil 1 des Plans gewesen war, so konnte sie dennoch nicht leugnen, dass ihr ein Stein vom Herzen fiel.

"Es ist vorbei...", hörte sie die Daywalkerin derweil leise murmeln. Die Stimme der geringfügig Älteren klang selbst noch etwas neben der Spur und fassungslos. "Urg... ich sehe kaum etwas..."

Kein Wunder, stellte Jodie in Gedanken fest. Obwohl die Tageslichtgranate Chris nicht hatte gefährlich werden können, geblendet worden war sie trotzdem. Es würde noch einige Augenblicke brauchen, bis ihre Augen ihr den grellen Lichtblitz verziehen hätten.

Die Jägerin spürte, wie die Anspannung zumindest in diesem Moment von ihr abfiel. Der bisherige Clananführer, der so viel Leid über Amerika gebracht hatte, war wirklich tot. Und ihre Seelenverwandte schien unverletzt. Wie gerne wäre sie nun auf direktem Weg ins Anwesen gelaufen, um Chris um den Hals zu fallen. Doch das ging aktuell natürlich nicht.

Der Blickwinkel der Kamera änderte sich erneut. Jodie konnte nun einen Blick auf das Handydisplay der Schauspielerin riskieren. Sie sah, wie sie Akais Nummer wählte, wobei ihr das Eintippen der Zahlen noch Schwierigkeiten zu bereiten schien, da vor Chris Augen mit Sicherheit noch Lichtpunkte tanzen mussten.

Das Handy verschwand wieder aus ihrem Blickfeld. "Guter Treffer.", hörte sie die Daywalkerin sagen. "Aber verdammt, du hättest mich warnen sollen, wie grell dieses Licht ist. Ich kann kaum etwas sehen und die Asche des Alten hat sich überall im Raum verteilt. Ich bin von oben bis unten damit paniert!"

Jodie verzog das Gesicht zu einem schiefen Schmunzeln. Ein solcher Kommentar zu Akai war so typisch für das Sternchen. Wobei sie die andere Blondine ja durchaus verstehen konnte. Auch sie selbst wäre wohl nicht sonderlich erfreut darüber, die Asche eines Vampirs um die Ohren zu bekommen.
 

Jodie griff nach ihrem Zweithandy und rief James Black an, da sie wusste, dass die Daywalkerin eben noch Akai angerufen hatte. Da die restlichen Mitglieder Mondnebels sich gerade am gleichen Ort aufhielten, war sie so praktisch mit allen verbunden.

"Zumindest das ist schon einmal geschafft. Ein Glück.", seufzte die junge Frau, kaum das ihr Vorgesetzter den Anruf entgegen genommen hatte. Zeitgleich riskierte sie einen Blick in Richtung der vor dem Haus wartenden Vampire. Niemand wirkte besonders misstrauisch. "Gut das das Zimmer des Alten auf der anderen Seite des Gebäudes liegt. Niemand hier hat etwas mitbekommen.", berichtete sie.

"...wenn er gewollt hätte, hätte er mich aufhalten und verhindern können, das ich das Fenster hätte öffnen können..., aber er ist einfach auf seinem Platz sitzengeblieben und hat rein gar nichts unternommen.", konnte sie Chris sagen hören. Die Kamera verriet Jodie, dass die Daywalkerin gerade durch den Raum lief und suchend den Blick über die Asche schweifen ließ.

Kaum merklich zog die Jägerin die Stirn kraus. Es wunderte sie, dass Karasuma nicht das Geringste unternommen hatte, obwohl er realisiert haben musste, was auf ihn zukam. Sie hatte diesen Mann nicht wirklich gekannt, doch was sie aus Erzählungen über ihn wusste, ... ein solches Verhalten passte gar nicht zu ihm. Hatte er am Ende doch so viel Sympathie für Chris empfunden, dass er ihr schlicht und ergreifend nichts hatte antun können? Sie würden es wohl nie mehr erfahren.

"Zum Glück hat der Plan funktioniert.", stimmte Black Jodie am Telefon gerade zu. "Aber das alles hat sehr viel mehr Zeit gekostet, als ursprünglich geplant. Es bleibt noch ungefähr eine Minute."

"Schnapp dir den verdammten Ring und dann raus mit dir zu den anderen!", hörte sie, wie Shu im Hintergrund die Schauspielerin per Handy zur Eile antrieb.

"Der Ring ist durch den Raum geflogen, als die Granate den Alten in ein Häufchen Asche verwandelt hat.", murrte Chris wenig erfreut vor sich hin.

Schlagartig wurde Jodie klar, warum die Kamera die ganze Zeit über so schwankte. Chris sah sich suchend nach dem Ring um, während sie mit Mondnebel telefonierte.

Erneut stieg der Stresspegel der Jägerin. In einer knappen Minute würde die Entscheidungsschlacht beginnen und bis dahin musste Chris es geschafft haben, den Ring zu finden und an Curaçao zu übergeben. Die Erklärung, was mit dem alten Anführer passiert war, würde wohl vorerst auch deutlich kürzer ausfallen müssen.
 

Sie hatte die Luft angehalten, ohne es zu merken und atmete erst wieder auf, als die Schauspielerin den Ring schließlich auf dem Teppich unter dem Schreibtisch wiederfand, danach griff und schließlich in Richtung Tür eilte. Immerhin, das Artefakt war wieder aufgetaucht und nicht am Ende noch aus dem Fenster geschleudert worden, oder hinter irgendeinem Schrank gelandet.

Doch auch wenn dieser Punkt nun ebenfalls abgehakt werden konnte, nun begann der wirklich stressige Teil des Plans. Erneut spürte Jodie das Adrenalin in sich aufsteigen.

"Wie ist die Lage vor dem Haus?", wollte James von ihr wissen. Die junge Frau hielt sich das Handy ans Ohr und sah sich unauffällig um.

"Viele haben angespannt die Uhr im Blick, aber eigentlich ist alles genau so ruhig wie bisher.", berichtete sie ihm.

"Sehr gut."

~

Derweil konnte sie auf dem Bildschirm des anderen Smartphones mitverfolgen, wie Chris das Zimmer des ehemaligen Anführers verließ. Kaum, dass sie auf der Treppe stand, schlug eine alte Uhr zur vollen Stunde. Der alles entscheidende Kampf würde beginnen.

Während Jodie allein durch das Beobachten des Geschehens spürte, wie vor lauter Anspannung die Übelkeit in ihr aufstieg, ruhten derweil die Blicke aller Anwesenden auf Chris.

"Wo ist nun dein Boss?", durchbrach Gin das allgemeine Schweigen.

"Es ist eine Schande, dass ihr euch nicht mehr persönlich kennenlernen konntet, doch ich muss dir leider die traurige Mitteilung machen, dass der alte Anführer soeben von uns gegangen ist." Die Stimme der Blondine klang nicht wirklich betroffen, sondern viel mehr spöttisch.

Fassungslose Stimmen der Gegner wurden laut. Auch Calvados und Irish, die nicht in den Plan eingeweiht worden waren, wirkten entgeistert.

"Ein Urvampir stirbt nicht einfach so.", stellte Japans Vampirfürst fest.

"Er war alt und schwach.", räumte die Schauspielerin amüsiert ein.

"Trotzdem, höchst unwahrscheinlich, das der Alte ausgerechnet jetzt ins Gras beißt.", konnte Jodie Chiantis Stimme sagen hören, auch wenn sie sie durch die Kamera derweil nicht sah. "Das bedeutet dann zweifelsohne, dass Barbie so skrupellos ist, das sie ihren eigenen Anführer erledigt hat."

"Ich muss schon sagen, die heutige Entscheidungsschlacht beginnt bereits äußerst interessant.", lachte Pinga.

Wieder hatte Jodie dieses seltsame Gefühl in der Magengegend. Ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte, sie wusste nur noch nicht, was es war.

"Hört mir jetzt alle gut zu.", verlangte Chris derweil laut und deutlich, während sie die Treppe herunterschritt und Curaçao entgegen ging. "Mit dem Tod unseres alten Anführers, ändern sich die Machtverhältnisse in diesem Haus. Die neue Anführerin-"

Höchst wahrscheinlich hatte sie an dieser Stelle ihre Leibwächterin zur neuen Anführerin erklären wollen, doch noch ehe sie ihr den Ring übergeben, oder ihren Satz beenden konnte, sprang der japanische Vampirfürst los und landete neben der Daywalkerin auf dem Treppengelände, als wäre er lediglich eine einzelne Treppenstufe hochgesprungen.

"Mit anderen Worten: du bist die neue Anführerin und hast den Ring.", stellte er mit seiner rauen Stimme fest.

Die Schauspielerin wirbelte herum. Jodie hörte, wie sie erschrocken die Luft einsog.

Gin, der sie als leichtes Ziel ansehen musste, griff an, doch im Bruchteil einer Sekunde war Curaçao bereits vor die Daywalkerin gesprungen und blockte den Schlag geschickt ab.

"Lass deine dreckigen Finger von ihr!", hörte sie die Silberhaarige wütend fauchen.

Im nächsten Moment stürzte sie auf ihren Gegner los, beide landeten mit spielender Leichtigkeit wieder auf dem Boden der Empfangshalle und begannen einen hitzigen Schlagabtausch.

Im Hintergrund hörte sie Chris fluchen. Die Blondine war nicht dazu gekommen, ihrer Leibwächterin den Ring zu übergeben und hatte keine Zeit mehr gehabt, sie zur neuen Anführerin des Hauses zu ernennen. Mit dem Ring nach wie vor in ihrem Besitz, würde sie jedoch auch in den Fokus der Gegner geraten.

Am Fuße der Treppe wehrte Calvados derweil Korn ab, während Irish in der Halle Tequila und Pisco in Schach hielt.

Bourbon war gerade noch rechtzeitig bei der Blondine, um Chianti abzuwehren und vorerst zurückzuschlagen, die es sich natürlich nicht hatte nehmen lassen, die Daywalkerin ins Visier zu nehmen. "Du weichst nicht von meiner Seite, bis wir es geschafft haben, den Ring an Curaçao abzutreten.", zischte er ihr zu.

"Was in der aktuellen Situation gar nicht so leicht werden dürfte.", gab Vermouth zu bedenken.

~
 

Auch wenn die Kämpfe, die derweil in der Halle stattfanden und durch die Kamera am Halsreif einigermaßen gut erfasst wurden, der eigentliche Blickfang waren, so fiel Jodie trotz allem erneut auch Pinga ins Auge. Der Mann hatte das allgemeine Chaos ausgenutzt, um sich heimlich in Richtung der Kellertür abzusetzen, von der aus er den Raum zwar gut im Blick hatte, sich aber eher im Hintergrund hielt.

Wieder schrillten in ihr alle Alarmglocken. Was hatte dieser Typ bloß vor? Es sah zumindest nicht so aus, als wenn er sich aktiv in den Kampf einmischen wollte. Er wirkte viel mehr so, als wenn er gar nicht gesehen werden wollte.

Das Bild verwackelte und die Kamera schweifte kurz durch den Raum, ehe Pinga ganz am äußersten Rand des Displays wieder in ihr Blickfeld geriet.

Warum genau prüfte der Kerl, ob die Kellertür sich öffnen ließ, obwohl gerade alle damit beschäftigt waren, sich die Zähne einzuschlagen? Er gehörte doch auch zu den gelisteten Kämpfern.

Gerne hätte Jodie die einzige Person der Amerikanischen Gruppe, welche sich bislang ebenfalls noch im Hintergrund gehalten hatte, angerufen um darum zu bitten, Pinga genauer im Blick zu behalten, doch das konnte sie derweil unmöglich bringen.

Während Jodie nervös beobachtete, wie die Kämpfer in der Halle aufeinander losgingen und versuchten an den Ring zu gelangen, ließ sie der Gedanke an diesen nicht gerade vertrauenserweckenden Mann nicht mehr los. Deutlicher konnte ihr Bauchgefühl sie nicht warnen.

Dann blitzten die Erinnerungen an das kurze Gespräch vor dem Haus mit ihm auf.

Dieses runde Ding, welches er am Gürtel befestigt getragen hatte... wo sie so darüber nachdachte, meinte sie es schon einmal gesehen zu haben.

Plötzlich machte es Klick und Jodie meinte zu wissen, worum es sich bei dem Gegenstand handelte.

Nur zur Sicherheit wandte sie sich an Black, der sich immer noch am anderen Ende der Leitung befand und das Gespräch nicht unterbrochen hatte.

"James?", sprach sie ihn an.

"Was gibt es, Jodie? Wie läuft der Kampf bisher? Du bist die Einzige, die mit der Kamera verbunden ist."

"Oh, da drinnen tobt das reinste Chaos. Chris hatte keine Zeit mehr Curaçao den Ring zu geben und jetzt halten die Gegner sie für die derzeitige Anführerin. Das ist gar nicht gut."

"Verdammt.", hörte sie Andre im Hintergrund zischen, der das Gespräch anscheinend mitverfolgte.

"Aber das ist es nicht, was mich derzeit am meisten beschäftigt.", erklärte Jodie ihren Teamkameraden leise. Erneut warf sie einen kurzen Blick zu der Gruppe der anderen Wartenden, doch diese befanden sich in einiger Entfernung zu ihr und beachteten sie nicht weiter.

"Wie meinst du das?", wollte ihr Vorgesetzter wissen.

"Mondnebels neuste Erfindung, die Lichtgranaten, wie Shu sie benutzt hat um Karasuma auszuschalten, sind doch relativ rund und etwa so groß wie eine Orange, oder?"

Kurz raschelte es etwas, dann meldete sich Akai zu Wort. Wahrscheinlich hatte er James das Handy abgenommen.

"Ja, ganz genau. Sie werden mit einer Art Panzerfaust verschossen, lassen sich jedoch auch von Nahem werfen und zünden wie eine Handgranate."

"Und... wie lange brauchen die Dinger, bis sie hochgehen?", hakte Jodie nach.

"Etwa vier bis fünf Sekunden braucht es, dann gibt das Geschoss den Lichtblitz frei.", erklärte der Scharfschütze ihr. "Warum fragst du?"

"Eine einzelne Granate ist in der Lage ein recht großes Gebiet auszuleuchten, richtig?"

"Ist sie. Etwa den Radius einer Sporthalle, wenn du es genau wissen willst. Vampire, die sich innerhalb dieses Umfeldes befinden und von dem Licht getroffen werden, haben keine Chance mehr."

Bei Akais Worten wurde Jodie schlecht. Nach und nach setzten die Puzzleteile sich für sie zusammen. "Bitte sag mir jetzt nicht, dass sich diese Granaten auch in dem Fahrzeug befunden haben, das letzte Nacht den Unfall hatte...", hauchte sie voller Entsetzen in ihr Handy.

"Doch, auch einige der Tageslichtgranaten waren mit an Bord.", bestätigte James ihr, der sich entweder sein Handy zurückerobert hatte, oder näher an den Scharfschützen gerückt sein musste, um mitzuhören.

"Jodie, was ist los? Das fragst du doch nicht einfach so.", hakte Shu derweil alarmiert nach. Höchst wahrscheinlich ahnte er bereits in welche Richtung es gehen würde.
 

Im Kopf der jungen Frau rauschte alles.

"»Wie auch immer, Menschlein, dir wird heute eine ganz besondere Ehre zu teil. Der Sturz zweier Säulen, das Ende veralteter Regeln und der Aufstieg eines mächtigen Anführers. Die wenigsten können von sich behaupten so etwas miterlebt zu haben.«", erinnerte sie sich an Pingas Worte, die plötzlich Sinn ergaben.

Zwei Säulen, damit musste er die Anführer gemeint haben. Karasuma und Gin. Der Aufstieg eines neuen, mächtigen Anführers... und dann noch die Tatsache, dass dieser Kerl im Besitz einer Tageslichtgranate war.

Plötzlich war Jodie sich ganz sicher, dass Liam in der Nacht nicht einfach nur von der Straße abgekommen war. Das war kein Unfall gewesen. Jemand hatte den Wagen, mit der Munition und den Waffen darin, ganz bewusst angegriffen. Und die Tatsache, dass Pinga sich gerade noch von der Gruppe abgesetzt und sich so sehr für die Kellertür interessiert hatte...

Natürlich, die schwere Stahltür würde eine Person, die sich dahinter befand, ganz wunderbar vor dem grellen Licht schützen. Zeit genug, die Granate in die Menge zu werfen, bliebe ebenfalls...

"Oh nein! Dieser elende Kerl wird die Lichtgranate mitten in die Halle werfen! Er will sie alle umbringen!", rief sie entsetzt in ihr Handy.

"Was? Was redest du da bitte?", hörte sie Andre überrascht stammeln. Scheinbar hingen gerade alle drei ihrer Teamkameraden vor dem Handy.

"Keine Zeit für Erklärungen, ich muss da rein!" Mit diesen Worten beendete Jodie das Telefonat, sprang von ihrem Platz auf und rannte los.

Als Mensch würde ihr die Lichtgranate nichts ausmachen. Doch was die Vampire betraf... einzig und allein Chris würde verschont bleiben, doch eine Daywalkerin wäre keine Gegnerin für einen A-Klasse Vampir und ein leichtes Opfer. Was mit den Gegnern aus Japan geschah, war Jodie im Prinzip noch egal, doch das galt nicht für die Amerikaner. In dem Anwesen kämpften derzeit ihre Freunde und schwebten in akuter Lebensgefahr, ohne es auch nur im geringsten zu ahnen!

Horror und Entsetzen hatte Besitz von ihr ergriffen. Sie wusste, wie gefährlich es war, das Anwesen ausgerechnet jetzt zu betreten, doch ihr blieb keine Wahl!

Sie rannte so schnell ihre Beine sie trugen. Sie musste die Anderen retten! Sie warnen! Hoffentlich kam sie noch rechtzeitig!

Vor ihrem inneren Auge sah sie bereits einen grellen Lichtblitz die Halle erleuchten.

Oh Gott, nein! Das durfte nicht passieren!

"Heeey! Halt! Stopp!", hörte sie die Wartenden hinter sich rufen.

"Was denkst du dir?!"

"Du kannst da jetzt nicht rein!" Die Rufe klangen überrascht bis wütend.

Jodie ignorierte die Wartenden komplett. Sie hatte keine Zeit für Erklärungen und hoffte, dass niemand sie aufhalten würde.
 

Schon war sie an der Eingangstür angekommen, riss diese auf und stürmte in die Empfangshalle, in der derzeit das absolute Chaos tobte.

Einige Köpfe wandten sich ihr überrascht zu, musste es doch wohl äußerst unüblich sein, dass in einem so wichtigen Kampf eine außenstehende Person hereinstürmte.

Jodie wischte an Vodka und Calvados vorbei, die sie nur irritiert anstarrten und hielt geradewegs auf Pinga zu, der immer noch an der Kellertür stand. Dem Mann mit den fein geflochtenen Zöpfen entgleisten kurzzeitig überrascht die Gesichtszüge.

"EINE TAGESLICHTGRANATE!! Pinga hat vor euch alle umzubringen!" Ihr Ausruf hallte durch den Raum und ließ alle für einen Moment innehalten. "Das Licht wird keinen Unterschied zwischen Freund oder Feind machen!" Beinahe hatte sie ihn erreicht.

Sie wusste, dass sie als Mensch kaum eine Chance gegen einen Vampir haben würde, doch die Verzweiflung trieb sie voran. Sie musste ihre Freunde retten! Das die Gegner ebenfalls einen Vorteil daraus ziehen würden, war in diesem Moment nicht zu ändern.

Sie wusste, dass sie keine Gegnerin für Pinga wäre, doch das musste sie auch gar nicht. Sie musste sich bloß die Granate schnappen.

"Er hat vor die Anführer zu stürzen! Er-" Der A-Klasse Vampir bewegte sich so schnell, dass sie ihn für eine Sekunde vollkommen aus den Augen verlor. In der nächsten Sekunde tauchte er genau vor ihr wieder auf. Jodie erschrak, hatte jedoch keine Zeit mehr ihm auszuweichen, oder auch nur ihren Satz zu beenden.

Die derzeit stahlblauen Augen ihres Gegenübers funkelten zornig, beinahe hasserfüllt auf, als er sie ins Visier nahm. Er hielt etwas in der Hand. Der kalte Stahl einer Messerklinge blitzte auf.

Die Blondine keuchte auf, als die Klinge brutal in ihren Brustkorb gestoßen wurde.

Schmerz flammte auf, auch wenn sie noch gar nicht wirklich realisiert hatte, was geschehen war.

Sie spürte, wie sie fiel.

"JODIE!!", hörte sie im Hintergrund Chris aufschreien. So grell und so besorgt hatte sie ihre Stimme noch nie gehört.

Im gleichen Moment warf die Person, die es vorgezogen hatte ihr Gesicht die ganze Zeit über durch einen Umhang zu verhüllen, sich seitlich gegen Pinga. Die Kapuze rutschte ihr vom Kopf.

Pinga prallte gegen die Wand, Kir setzte ihm nach und trieb ihn weg von Mondnebels Jägerin.

Hart schlug die Blondine auf dem Boden auf. Der Schmerz, ausgelöst durch die Stichwunde, explodierte förmlich in ihrer Brust, während alles um sie herum kurzzeitig vor ihren Augen verschwamm.

Der Schmerz raubte ihr den Atem. Die junge Frau rang nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen und krümmte sich auf dem Boden. Erst nach und nach realisierte sie, dass Pinga sie mit dem Messer erwischt haben musste, als sie die anderen gewarnt hatte.

Jodie presste eine Hand auf die Wunde und spürte, wie das warme Blut zwischen ihren Fingern hindurchquoll.

Trotz der Schmerzen und der Verletzung fühlte sie seltsamerweise keine Panik in sich aufsteigen.

Sie wusste, dass ihre Lage ernst war, doch trotz allem hatte sie nicht verdrängt, dass die Tageslichtgranate für die anderen Anwesenden derzeit eine sehr reale Gefahr darstellte.

Das Schicksal der Anderen stand so sehr auf Messers Schneide, dass sie den Gedanken daran, selbst dringend medizinische Hilfe zu brauchen, in den hintersten Winkel ihres Gedächtnisses verbannte.

Die Schmerzen hingegen waren weiterhin sehr präsent. Gekrümmt auf der Seite liegend und eine Hand auf die Stichwunde gepresst, breitete sich ein metallischer Geschmack in ihrem Mund aus. Blut. Die junge Frau hustete und ein paar der roten Tropfen verteilten sich auf dem alten, dunklen Holzboden der Halle. Ihre Sicht verschwamm für einen Moment, das hektische Stimmengewirr rückte kurzfristig in den Hintergrund.

Jodie kniff die Augen zusammen, blinzelte und versuchte sich zusammenzureißen. Ihr Blick scannte den Raum, so gut es ging. Sie musste wissen, was hier vor sich ging.

"Jodie!" Chris besorgte Stimme war plötzlich ganz nah. Die andere Blondine kniete neben ihr. Die Jüngere spürte, wie die Schauspielerin ihr eine Hand auf die Schulter gelegt hatte und vorsichtig versuchte sie auf den Rücken zu rollen. In den sonst so selbstsicheren grünen Augen standen derzeit nur Sorge und eine gewisse Hilflosigkeit geschrieben.

Wie die Daywalkerin sie so schnell erreicht hatte, war ihr ein Rätsel. Jodie hatte nicht mitbekommen, dass Rei Chris kurzerhand hochgehoben hatte und vom oberen Ende der Treppe gesprungen war, um sie binnen weniger Sätze zu der Stelle zu bringen, an der die Jägerin lag.

"Chris... die Tageslichtgranate...", brachte sie stockend heraus und hustete erneut Blut. "...wenn dieser Irre sie zündet..."

"Ich weiß, Kätzchen, ich weiß..." Die Gefahr, die derweil von Pinga ausging, war der Daywalkerin sehr wohl bewusst, doch ihre Hauptsorge galt derweil Jodie.

"Das er die Granate zündet, wird niemand hier zulassen.", knurrte der Bodyguard der Blondine derweil angespannt, ehe er sich direkt an Chris wandte: "Pass du auf sie auf, ich kümmere mich um Pinga."

Die Schauspielerin schob vorsichtig einen Arm unter der am Boden liegenden Jodie hindurch, zog sie in eine halb sitzende Position, in der Hoffnung, ihr so das Atmen zu erleichtern, und hielt sie.

Die Jägerin hustete und verzog gequält das Gesicht. Sie konnte kaum atmen und die Tatsache, dass sie bewegt worden war, hatte noch einmal ein zusätzliches, höllisches Feuerwerk der Schmerzen in ihrem Torso ausgelöst.

Kurz vergrub sie das Gesicht im Stoff des Oberteils ihrer Seelenverwandten, dann bemühte sie sich an ihr vorbei zu sehen, um den Raum im Blick zu behalten.

Nein, noch durfte ihr Bewusstsein sich nicht ausklinken. Sie musste mitbekommen, was genau hier vor sich ging...

Chris sprach sie an, doch Jodie erfasste die Bedeutung ihrer Worte nicht. In ihrem derzeitigen Zustand fiel es ihr schwer, sich überhaupt auf das zu konzentrieren, was sie sah.
 

Pinga hatte es für den Moment geschafft Kir abzuschütteln und eilte erneut in Richtung Kellertür.

Sein Blick wirkte inzwischen nicht mehr so selbstsicher und arrogant wie sonst. Die Selbstgefälligkeit war einer gewissen Anspannung gewichen, nun wo sein Plan aufgeflogen war, doch begraben hatte er ihn offensichtlich noch nicht.

"Die Worte des verdammten Menschengörs, werden jetzt auch nichts mehr an eurem Schicksal ändern können!", rief er aus und griff nach der Tageslichtgranate, als er die Kellertür fast erreicht hatte.

In diesem Moment hatte Rei ihn erreicht. Sein Faustschlag traf Pinga in der Magengrube, dem daraufhin die Granate aus der Hand fiel. Zum Horror aller leuchtete die neuste Erfindung Mondnebels, ein Zeichen dafür, dass sie aktiviert worden war.

Jodie riss erschrocken die Augen auf. Ihre Schmerzen hatte sie für einen Moment gänzlich ausgeblendet. Wenn die Tageslichtgranate händisch aktiviert worden war, dann blieben allen hier noch etwa vier bis fünf Sekunden. Nicht gerade die Welt.

Verzweiflung stieg in ihr auf. Chris, die sie unbewusst näher an sich drückte, musste es ganz ähnlich gehen.

"Kir!", rief Bourbon derweil nach seiner Kameradin. Es brauchte keiner Erklärung, die Aufforderung war klar. Während er selbst Pinga nachsetzte, hechtete die Brünette in Richtung der Tageslichtgranate, um zu verhindern, dass diese auf dem Boden aufschlug. Scheinbar wollte niemand das Risiko eingehen und abwarten, was in diesem Fall passierte. Das Zeitfenster, dass ihnen blieb, war eh bereits gering genug.

Kir schlitterte an den beiden Kämpfenden vorbei. Zwar gelang es ihr nicht die Tageslichtgranate wirklich zu fassen zu bekommen, doch sie schaffte es, die blinkende Waffe im hohen Bogen vom Boden wegzuschlagen, fast wie bei einem Volleyballspiel.

"Chianti!" Man konnte nicht gerade von Sternenstaubs ehemaliger Jägerin und der Scharfschützin behaupten, dass die beiden sich gut verstanden, doch das eine Zusammenarbeit derweil der einzige Weg war, um das hier zu überleben, war allen Anwesenden klar.

"Vodka, die Tür!", rief Chianti aus, während es ihr gelang die Granate aus der Luft zu greifen. Die Vampirin warf die tödliche Waffe geradewegs in Richtung Kellertür.

Gerade noch rechtzeitig öffnete der bullige Mann die Tür und die Tageslichtgranate flog hindurch.

Calvados hatte die Kellertür nun ebenfalls erreicht und warf sich von außen dagegen. Krachend schloss die schwere Eisentür sich wieder.

Von innen drang in der nächsten Sekunde ein schwaches Licht unter dem Türspalt hervor. Die Granate war detoniert. Glücklicherweise schirmte die Kellertür die Anwesenden vor dem Licht ab, sodass die Beinahe-Katastrophe gerade noch einmal hatte abgewendet werden können.

Jodie spürte, wie eine tonnenschwere Last von ihren Schultern fiel. Zeitgleich begannen ihre Ohren zu klingeln. Ihr Adrenalinpegel sank und sie spürte, dass sie gleich ohnmächtig werden würde.

Weiterhin quoll Blut aus ihrer Wunde.
 

"Verdammt! Alles nur, wegen diesem elenden Menschlein!", hörte sie Pinga im Hintergrund fluchen. Seine Stimme hatte an Selbstsicherheit verloren und klang nun beinahe wahnsinnig.

Dem Vampir musste bewusst sein, dass niemand hier sonderlich erfreut über seinen Verrat sein dürfte.

Sei es aufgrund des gescheiterten Plans, oder aber aufgrund der Tatsache, dass er den hier Anwesenden nicht in die Hände geraten wollte, beschloss Pinga das Anwesen auf schnellstem Wege zu verlassen.

Noch immer verwickelte Rei ihn in einen heftigen Schlagabtausch. Der Verräter entkam letztlich, indem er sich in einer fließenden Bewegung unter dem nächsten Schlag hinwegduckte, seinem Gegner die Beine wegtrat und schließlich keine Zeit mehr damit verschwendete, in Richtung Eingangstür zu hechten.

"Oh nein, so leicht machen wir es dir nicht!", schrie Chianti ihm mit schriller Stimme hinterher. Sie war außer sich vor Wut wegen des geplanten Anschlags ihres ehemaligen Kameraden.

Gerade noch nahm Jodie wahr, wie die japanische Gruppe dem Verräter nachsetzte, dann klinkte ihr Bewusstsein sich aus.

Sie bekam nicht mehr mit, wie Pingas Flucht jäh kurz vor der Tür endete, da Gin ihm den Weg versperrte.

Beinahe wäre Pinga geradewegs gegen den Silberhaarigen gerannt, konnte jedoch noch im letzten Moment stoppen.

"Du hast versucht gleich zwei Anführer zu stürzen, indem du dich der Technik der Vampirjäger bedienen wolltest? Wirklich interessant." Die Stimme des japanischen Vampirfürsten klang spöttisch und schneidend kalt. "Du weißt, was einem Verräter wie dir blüht."

Noch ehe der Flüchtende die Gelegenheit bekam zu reagieren, hatte der Urvampir ausgeholt. Sein Arm bewegte sich so schnell von links nach rechts, dass das menschliche Auge der Bewegung unmöglich folgen konnte.

Blut spritzte und klatschte auf die alten Dielen, als die Klinge des Jagdmessers durch den Hals des Verräters schnitt, wie durch weiche Butter. Auch vor dem Halswirbel machte sie nicht Halt. Die Kräfte des Urvampirs waren zu brachial.

Der Mann mit den feingeflochtenen Zöpfen gab einen überraschten, gurgelnden Laut von sich und riss die Augen weit auf, ehe sein Kopf von seinen Schultern glitt und mit einem dumpfen Laut auf dem Boden landete.

Vampire überlebten die meisten Verletzungen und waren in der Lage, sich binnen kürzester Zeit zu erholen, doch dies war nicht mehr der Fall, wenn sie den Kopf einbüßten. Von jetzt auf gleich begann der Besiegte zu glühen und löste sich zu Asche auf, welche auf dem Boden des Anwesens zurückblieb.

"Ich kann nicht glauben, dass einer unserer eigenen Männer versucht hat, uns ein Messer ins Kreuz zu rammen.", durchbrach Korns Stimme die Stille.

"Das hier war verdammt knapp.", stellte Vodka noch etwas neben der Spur fest.

"Der Verräter hat bekommen, was er verdient hat." Tequilas Stimme klang emotionslos und kalt.

"Recht hast du, Tequila." Chianti wirkte nach wie vor verärgert und aufgebracht.

Pisco hingegen hielt sich aus dem Gespräch heraus und inspizierte viel mehr die Kellertür. Der Lichtschein unter der Tür war verschwunden, was bedeutete, dass die Granate aufgehört hatte zu leuchten.

"Pinga hat für seinen Verrat bezahlt. Aber jetzt gilt es, den Amerikanern den Ring abzunehmen.", erinnerte Gin seine Leute, welche sich daraufhin den Gegnern zuwandten.
 

Die amerikanische Gruppe hatte sich, während die Japaner mit dem Verräter abgerechnet hatten, um die am Boden liegende Jodie versammelt.

Calvados und Irish wirkten recht unberührt und behielten viel mehr wachsam die Gegner im Auge, dem Rest der Gruppe stand die Sorge um die Jägerin jedoch in die Gesichter geschrieben.

"Die Wunde sieht böse aus...", stellte Curaçao gerade fest.

"Besonders für einen Menschen. Sie atmet kaum noch.", fügte der blonde Bodyguard hinzu.

"Hört auf das zu sagen! Ich sehe es selbst!", fuhr Chris ihre beiden Leibwächter an und legte damit eine der Verzweiflung geschuldete Reaktion an den Tag, die so gar nicht zu dem eigentlichen Charakter der Blondine passen wollte.

Rena hatte sich derweil neben Chris und Jodie auf den Boden gekniet und betrachtete die Stichwunde mit besorgtem, skeptischen Blick. "Ich will den Teufel nicht an die Wand malen, aber für mich sieht es so aus, als wenn Pinga mit dem Messer die Herzgegend getroffen hätte. Wenn sie das hier überleben soll, sehe ich ehrlich gesagt nur einen Weg." Die Stimme der Brünetten klang bedrückt. Sie wusste aus eigener Erfahrung, was für ein zweischneidiges Schwert es sein würde, Jodie zu retten.

"Du hast Recht, aber... nein, das kann ich nicht tun. Nicht ohne ihre Zustimmung, zumindest." Die Stimme der Daywalkerin war vor Schmerz und Verzweiflung nicht mehr als ein ersticktes Wispern.

"Aber sie hat das Bewusstsein verloren. Jodie wird dir nicht sagen können, was sie davon hält.", drängte Curaçao Vermouth zu einer Entscheidung.

"Sie hat Vampire bis vor Kurzem noch bedingungslos gehasst. Sie hat mehr als einmal gesagt, dass es für sie der blanke Horror wäre, zu einem zu werden. Wie könnte ich da...?" Die Schauspielerin drückte ihre Seelenverwandte enger an sich.

"Wir kriegen hier gerade noch ein ganz anderes Problem.", knurrte Rei angespannt.

"Die Japaner interessiert es nicht, ob hier gerade ein Mensch im Sterben liegt, oder nicht.", stellte Irish wenig einfühlsam fest, woraufhin Curaçao ihn gereizt anfauchte.

"Er hat Recht mit dem was er sagt." Gins Stimme zog die Aufmerksamkeit aller auf sich. "Was aus dem Menschlein dort wird, interessiert mich nicht. Die Zeit, die bis zum Jahreswechsel noch verbleibt, werden meine Leute nicht damit verbringen, der Kleinen dort beim Sterben zuzusehen."

Sein Blick wurde spöttischer, ehe er auffordernd die Hand in Richtung der Daywalkerin ausstreckte. "Es sei denn, du gibst mir den Ring freiwillig, Vermouth."

"Das kannst du gleich vergessen, Gin.", spie die Blondine ihm entgegen.

"Du willst den Ring? Dann musst du erst einmal an uns vorbei.", stellte ihre silberhaarige Leibwächterin entschieden fest.

"Oh, das werden wir, seid euch da sicher." Chianti klang inzwischen beinahe wieder amüsiert. "Das gegnerische Team zur Not kampfunfähig zu machen, ist doch immerhin Teil der ganzen Veranstaltung hier."

Gemeinsam mit Korn sprang sie los, doch noch ehe sie die beiden Blondinen erreicht hatten, wehrten Calvados und Bourbon die beiden Angreifer ab. Schnell verlagerte der Kampf sich in den hinteren Bereich der Halle.

Irish blockte Tequila und Pisco ab, während Chris Curaçao zunickte. "Greif in die linke, vordere Tasche meiner Jeans und schnapp dir den verdammten Ring.", wies sie ihre Leibwächterin an.

Diese stutzte kurz, tat dann jedoch wie ihr geheißen, als sie realisierte, dass Chris derweil nicht selbst nach dem Ring greifen konnte, hielt sie doch die bewusstlose Jodie in ihren Armen.

Interessiert blitzten Gins Augen auf, als er den Ring entdeckte, der sich nun in Curaçaos Besitz befand.

"Wenn du den Ring willst, musst du ihn nun wohl mir abnehmen. Aber lass sie in Ruhe." Mit diesen Worten sprang die Silberhaarige ein Stück weit zurück, um Gin von den beiden Blondinen wegzulocken.

Sie gab einen erschrockenen Laut von sich, als sie mit dem Rücken unerwartet gegen Vodka prallte.

"Her, mit dem Ring, Schätzchen!", forderte dieser.

Doch so einfach war es nicht - für beide Parteien. Bei dem unerwarteten Zusammenstoß, war der Ring Curaçao unglücklicherweise aus der Hand gerutscht. Nun rollte das Artefakt über den Boden. Sofort setzte sie ihm nach, wurde jedoch von Vodka aufgehalten, der sie angriff.

Auf den Lippen des japanischen Vampirfürsten machte sich derweil ein kaltes Grinsen breit.

"Wenn du nicht darauf aufpassen kannst, dann nehme ich den Ring jetzt an mich, Mädchen."

Er sprang los und die Mitglieder der amerikanischen Gruppe, die es mitbekommen hatten, sogen scharf die Luft ein, wusste jeder von ihnen doch, wie problematisch es werden würde, den Ring zurückzubekommen, wenn er erst einmal in den Händen des japanischen Anführers gelandet wäre.

Selbstsicherheit spiegelte sich auf dem Gesicht des Silberhaarigen, als er nach dem Ring griff. Gin war ganz offensichtlich überzeugt davon, das Spiel so gut wie entschieden zu haben.

Doch noch ehe seine Hand sich um das Artefakt schließen konnte, wischte jemand an ihm vorbei, klaubte den Ring vom Boden auf und brachte rasch zwei Sätze Abstand zwischen sich und den Urvampir.

"Oh nein, das kann ich nicht zulassen." Obwohl sie eingegriffen und Gin den Ring unter der Nase weggeschnappt hatte, konnte man Rena ihren Stress deutlich ansehen.

Der Vampirfürst zog lediglich eine Augenbraue hoch. "Sieh an, eine weitere Verräterin.", stellte er mit rauer Stimme fest. "Es überrascht mich zu sehen, dass du noch lebst und nun für Amerika kämpfst, Kir. Erst recht, da ich deine Angst förmlich riechen kann."

Rasch wich die Brünette noch ein wenig mehr zurück. Sie wusste, dass sie keine Gegnerin für den Urvampir war und wollte es folglich nicht auf einen Kampf mit ihm ankommen lassen.

"Dieser Clan hat mich mit offenen Armen aufgenommen, nachdem deine Leute und du versucht haben mich umzubringen. Natürlich kämpfe ich da auf Vermouths Seite, zumal ihre Pläne für dieses Haus nur all zu gut mit meinen eigenen Ansichten vereinbar sind."

Im Hintergrund erklang derweil ein schmerzerfülltes Stöhnen. Vodka hatte keine Chance gegen Curaçao gehabt. Bereits nach einem kurzen Kampf, war der bullige Mann zu Boden gegangen.

Mit zwei Sätzen war die Silberhaarige bei ihrer Freundin. "Der Ring, Süße.", forderte sie.

Sicherheitshalber steckte Rena der Anderen das Artefakt direkt an den Finger, um zu verhindern, dass der Ring noch einmal verloren ging.

Im nächsten Moment sprangen die beiden Frauen bereits wieder auseinander, da Gin angriff.

"Ich bin deine Gegnerin!" Mit diesen Worten trat die Leibwächterin nach dem japanischen Vampirfürsten, welcher den Angriff gekonnt abblockte. Seinem Schlag wich wiederum Curaçao geschickt aus, während Kir rasch auf Abstand ging, um nicht zwischen die Kämpfenden zu geraten.
 

Obwohl rings um sie das pure Chaos tobte, hatte Chris sich nicht vom Fleck bewegt. Nicht nur, dass sie als Daywalkerin ihren Leuten eh keine große Hilfe sein konnte, sie hielt weiterhin Jodie in ihren Armen und kniete auf dem Boden.

Im Blick der Schauspielerin stand der Horror, den sie derzeit empfand, nur all zu deutlich geschrieben. Egal wie wichtig der Ausgang des Kampfes auch war, sie wusste, dass sie sich diesbezüglich auf ihre Leute verlassen musste. Ihre gesamte Aufmerksamkeit lag derweil auf Jodie, deren Zustand sich von Minute zu Minute verschlechterte.

Es war grausam, ihre Seelenverwandte so zu sehen. Noch viel grausamer war es, in der Lage zu sein ihr zu helfen, doch genau dies nicht tun zu dürfen. Sie erinnerte sich noch viel zu gut daran, wie schockiert Jodie damals gewesen war, als sie befürchtet hatte, dass ein einfacher Biss sie gewandelt haben könnte. Wie könnte sie so etwas also einfach über ihren Kopf hinweg entscheiden, nur um sich selbst besser zu fühlen?

Die Tatsache, dass die Jägerin in ihren Armen starb und ihr die Hände gebunden waren, war kaum erträglich für sie. Die Vampirin fühlte sich, als würde ihr ihr Herz bei lebendigem Leib herausgerissen.

"Bitte Kätzchen...wach auf. Sag mir, was ich tun soll." Ihre Stimme war kaum mehr als ein gequältes Flüstern, ehe sie das Gesicht an der Schulter der anderen Blondine vergrub und sich so hilflos fühlte, wie noch nie in ihrem Leben.

Im Normalfall war Chris ein Kopfmensch und verstand es, ihre Gefühle hinter einer nahezu perfekten Fassade zu verbergen. Jodie war die einzige Person, die in der Lage dazu war, besagte Fassade zum Bröckeln zu bringen und Emotionen wie diese in ihr auszulösen.
 

Mondnebels Jägerin hatte das Gefühl tiefer und tiefer in endlose Schwärze zu gleiten. Die Kämpfe um sich herum bekam sie nicht mit. Auch die Schmerzen, die die Verletzung verursachten, spürte sie nicht mehr.

Mit jedem flachen Atemzug sank sie tiefer in die Dunkelheit, welche sich um sie schmiegte wie ein gut sitzender Mantel. Sich fallen zu lassen und alles um sich herum auszublenden wäre so leicht.

Warum sich gegen das Gefühl der Ohnmacht wehren, wenn es ihr doch die Angst und die Schmerzen nahm? Der Gedanke daran war mehr als verlockend.

Dennoch, da gab es etwas, das Jodie hielt. Es kostete sie Mühe, doch letztlich gelang es ihr, den Nebel in ihrem Kopf so weit zurückzudrängen, als das ihr Denken sich wieder einklinkte.

Sie konnte Schmerzen spüren. Heftige, grausame Schmerzen. Das Verrückte daran war, dass diese nicht körperlicher Natur waren und nicht ihr selbst gehörten.

Ihr Herz fühlte sich an, als würde es jeden Moment in viele kleine Stücke gerissen werden. Auch dies lag nicht an der erlittenen Verletzung, es war viel mehr ein Gefühl. Der Schmerz einer anderen Person.

Durch die schier endlose Dunkelheit hindurch konnte sie spüren, wie sie gehalten wurde. Chris Wärme, während sie sie an sich drückte, strahle auf sie ab.

Und schließlich wusste Jodie, wessen Schmerz sie spürte. Es war der mentale Schmerz ihrer Seelenverwandten, der so allgegenwärtig und erschlagend war, dass ihre Ohren zu dröhnen begannen.

»Bitte Kätzchen...wach auf. Sag mir, was ich tun soll.« Die Worte der anderen Blondine fanden einen Weg durch den dichten Nebel in ihrem Kopf, auch wenn Jodie einen Moment brauchte, um ihre Bedeutung zu erfassen. Chris...

Sie konnte die Verzweiflung der Anderen so deutlich spüren. Nie hätte sie geglaubt, dass die in Sachen Gefühlen eher reservierte Schauspielerin so viel für sie empfinden könnte, als dass der drohende Verlust ihr solches Leid bescherte. Es war in diesem Moment, als würden sie sich ein Herz teilen. Während das Herz der Jägerin stetig schwächer wurde, schien das ihrer Seelenverwandten vor Verzweiflung zu zerbrechen.

Ein warmes Gefühl der Zuneigung durchflutete sie, als sie sich bewusst wurde, ja förmlich spürte, was Chris für sie empfand.
 

»Diese Gruppe hier ist wie Feuer und Wasser. Alle wollen zusammenarbeiten und vertrauen sich doch gegenseitig nicht. Ich wüsste nicht, was ich ohne dich machen sollte, Jodie. Wir sind die einzigen, denen beide Seiten vertrauen. Wir werden zukünftig öfter Streit schlichten müssen, als uns lieb ist. Aber du bist besser darin als ich. Dir gelingt es viel leichter dir Gehör zu verschaffen. Ich denke du bist der Kitt, der die Gruppe zukünftig zusammenhalten und damit sicherstellen wird, dass der ausgemachte Deal funktioniert und Bestand hat.« Diesmal war es die Erinnerung an Renas Worte von vor ein paar Tagen, die es ins Gedächtnis der Blondine schaffte.

Sie war der Kitt, der diese Gruppe zusammenhalten und dafür sorgen konnte, dass der Deal Bestand haben würde? Wenn sie jetzt starb, dann legte sie die gesamte Last auf Renas Schultern, oder aber riskierte zukünftig tausende von Menschenleben, falls es der Brünetten allein nicht gelingen sollte, die ungleichen Mitglieder der Verschwörung zusammenzuhalten.

Bei dem Gedanken daran wurde ihr ganz übel. Urg... Das durfte sie doch nicht...

Schlimmer, als der Gedanke an das Scheitern des Plans, kam ihr jedoch der Gedanke daran vor, Chris ganz allein zu lassen. Nicht, dass die Daywalkerin nicht ganz wunderbar auf sich selbst achtgeben könnte, doch der Schmerz, den ihr Tod in der Anderen auslösen würde...nicht zu ertragen.

»Menschen und Vampire sind grundverschieden. Menschen sind so zerbrechlich und kurzlebig. Während wir Vampire mühelos Jahrhunderte, wenn nicht länger überdauern, verwelkt ihr Menschen wie eine schöne Blume.« Das waren die Worte, die Chris damals zu ihr gesagt hatte. Sie hatte die Menschen mit zerbrechlichen, kurzlebigen Blumen verglichen.

Noch vor ein paar Tagen hatte Jodie es nicht verstehen wollen. Sie war der Meinung gewesen, dass die Ängste der Schauspielerin diesbezüglich übertrieben waren, nun wusste sie, dass sie durchaus ihre Berechtigung hatten. Auch wenn Chris sie immer ein Stück weit auf Abstand gehalten hatte, ihr seelischer Schmerz über den drohenden Verlust der Jüngeren war unbeschreiblich.

Waren das die tiefe Verbundenheit und die Gefühle, die ihre Seelenverwandtschaft mit sich brachte?

Um nichts auf der Welt wollte sie die Andere so am Boden sehen. Um nichts auf der Welt wollte sie sie nun wegen dieser dummen Stichverletzung verlassen.

Und den Deal zwischen den Vampiren und Mondnebel gefährdet zu wissen, das wollte sie auch nicht. Das alles ließ sich verhindern, wenn sie jetzt nicht starb, sondern dem Tod noch einmal von der Schippe sprang. Es gab sogar eine Lösung dafür...jedoch...
 

Jodies Herz wurde schwer, als ihre Erinnerungen sie an den Tag in ihrer Vergangenheit zurückführten, an dem ihr Leben sich nachhaltig verändert hatte. Vampire waren in ihr Elternhaus eingefallen. Diese Monster hatten ihre Familie gnadenlos ausgelöscht. Nur sie selbst war verschont geblieben, da sie im Kleiderschrank, verborgen hinter einigen Mänteln und einem riesigen Teddy, nicht bemerkt worden war.

Noch zu gut konnte sie sich daran erinnern, wie ihr kindliches Ich damals verängstigt stundenlang im Kleiderschrank gehockt hatte, bis ein Freund der Familie das Massaker im Haus bemerkt und letztlich auch sie gefunden hatte.

Wenn sie an dieses schreckliche, verstörende Ereignis zurückdachte, welches ihre gesamte Kindheit zerstört hatte, konnte sie den schweren Blutgeruch, der nach dem Angriff überall in der Luft gelegen hatte, wieder riechen und förmlich auf der Zunge schmecken. Eine Gänsehaut legte sich auf ihre Arme, als sie an den schrecklichen Angriff damals zurückdachte.

Dieses Ereignis war auch der ausschlaggebende Punkt in ihrem Leben gewesen, der sie dazu gebracht hatte, als junge Frau zum FBI zu gehen und sich letztlich der Sondereinheit Mondnebel anzuschließen.

Gemeinsam mit ihren Leuten hatte sie inzwischen dutzenden Zivilisten das Leben gerettet und ebenso vielen Vampiren den Garaus gemacht. Nur all zu gerechtfertigt.

Doch waren alle Vampire herzlose Monster? Damals hätte sie diese Frage ohne groß nachzudenken mit ja beantwortet. Nun allerdings...

Sie erinnerte sich an die letzten Wochen zurück. Die Entführung war im ersten Moment schrecklich gewesen, doch schließlich hatte sie den wahren Grund erfahren, warum die Daywalkerin sie weiter festgehalten hatte. Die Gesichter von Rei, Curaçao und Rena erschienen vor ihrem inneren Auge. Diese drei waren ganz gewiss keine Monster. Von Chris wusste sie, dass viele Vampire Amerikas ebenfalls keine brutalen Killer waren, sondern lediglich unter Karasumas Schreckensherrschaft gelitten hatten.

Und dann war da natürlich noch Chris selbst. Der Gedanke an ihre Seelenverwandte löste ein warmes Gefühl in ihr aus. Sie wolle die Andere noch nicht gehen lassen. Sie wollte noch so viel Zeit mit ihr verbringen, wollte es endlich schaffen, ihre teils unnahbare Fassade zum Bröckeln zu bringen und darunter zu schauen.

Ihre Gedanken und Erinnerungen gaben ihr Gewissheit.

//Mom, Dad... es tut mir leid. Ich werde immer ich selbst sein, ganz egal ob menschlich oder nicht.//

Jodie riss sich zusammen. Mit aller Macht kämpfte sie nun gegen den Nebel und die Dunkelheit an, welche sie umgaben. Stück für Stück fand sie ihren Weg aus der Ohnmacht und zurück ins Hier und Jetzt.
 

Sie blinzelte. Ihre Sicht war trüb und verschwommen, dennoch meinte sie Chris Umrisse ausmachen zu können, hatte die andere Blondine sich doch über sie gebeugt und hielt sie in ihren Armen. Weiterhin konnte sie die Verzweiflung der Älteren förmlich spüren.

Mit wiedergewonnenem Bewusstsein waren auch die Schmerzen, die aus ihrer Verletzung resultierten, wieder zurück. Sie drohten ihr den Atem zu rauben. Oh Gott... sie fühlte sich so unendlich schwach.

"...Chris...", ihre Stimme klang viel mehr nach einem leisen, heiseren Krächzen.

Dennoch, die Daywalkerin blickte sie praktisch sofort an. Überraschung spiegelte sich auf dem makellosen Gesicht, als sie realisierte, dass Jodie wieder bei Bewusstsein war.

"Jodie..!", sprach Chris sie an, doch Jodie unterbrach sie.

"Tu es...", krächzte die junge Frau mit heiserer Stimme, hustete und verzog gequält das Gesicht. "Das heute...ist noch nicht meine Zeit zu gehen.", fügte sie angestrengt hinzu.

Ungläubig starrte Chris sie an, scheinbar unsicher, ob sie sich nur verhört hatte, auch wenn Jodie meinte, dass hinter der schier unerträglichen Verzweiflung in den grünen Augen, plötzlich auch wieder ein kleines Fünkchen Hoffnung aufflammte.

"Kätzchen... bist du dir wirklich sicher?", hakte Chris trotz der derzeitigen Situation noch einmal nach. "Du hast Vampire gehasst. Es könnte sein, dass deine Kameraden dir misstrauen, oder dich am Ende noch ganz verstoßen. Du wirst nie wieder die Sonne oder Tageslicht sehen können, wirst nie wieder etwas Vernünftiges essen oder trinken können."

Jodie rechnete es Chris hoch an, dass sie ihr all diese Punkte noch einmal vor Augen führte und nicht überstürzt handelte. Das Glück der Jüngeren schien der Daywalkerin wichtiger zu sein, als ihr eigenes.

Auf die Lippen der Jägerin stahl sich ein Lächeln. Die Fürsorge ihrer Seelenverwandten, zeigte ihr noch einmal, dass ihre Entscheidung die Richtige war. Zu schwach zum Sprechen, nickte Jodie lediglich und blickte Chris fest in die Augen. Nur mit viel Mühe gelang es ihr, gegen die erneut drohende Ohnmacht anzukämpfen.

Nun war es Chris, die ihr zunickte und ihr sanft eine verirrte Ponysträhne aus dem Gesicht strich.

"Gut, wenn du dir wirklich ganz sicher bist."

Die junge Frau beobachtete, wie Chris sie vorsichtig zurück auf den alten Holzboden legte, ehe die Daywalkerin das eigene Handgelenk zum Mund führte und zubiss. Mit spielender Leichtigkeit durchdrangen die scharfen Vampirzähne die weiche Haut. Blut quoll aus der Bisswunde, doch die Vampirin verzog nicht einmal das Gesicht.

Schließlich legte sie der Verletzten das blutende Handgelenk an die Lippen. Jodie spürte, wie das Blut der Anderen ihr über die Lippen rann. Der metallische Geschmack löste Übelkeit in ihr aus und für einen kurzen Augenblick auch einen Anflug von Panik. Sie wusste, dass die Entscheidung, die sie getroffen hatte, ihr Leben komplett auf den Kopf stellen würde. Nichts würde mehr so sein wie früher.

"Ich weiß es ist schwer, aber du musst das Blut schlucken, Süße.", wies Chris sie an. Ihre Stimme klang verständnisvoll.

Einen Moment lang kämpfte die Jägerin gegen die eigenen Reflexe an, dann kniff sie die Augen zusammen und schluckte. Der Blutgeschmack war nicht mehr auszublenden.

Schließlich zog Chris ihr Handgelenk wieder zurück, wischte Jodie kurz über die Lippen und strich ihr erneut einige Strähnen aus dem Gesicht. "So ist es gut. Jetzt bleibt uns nur noch abzuwarten. Es kann sein, dass du dich komisch fühlst, wenn die Verwandlung einsetzt, es kann sein, dass du das Bewusstsein verlierst..."

Die Jüngere nahm die Stimme der Schauspielerin kaum noch wahr. Weiterhin schmerzte ihre Verletzung, doch war da plötzlich dieses seltsame Kribbeln.

Kurz nachdem sie sich überwunden und das Blut heruntergeschluckt hatte, hatte der Bereich um die Stichwunde herum zu kribbeln begonnen, ähnlich wie ein eingeschlafenes Bein. Das Kribbeln wurde immer stärker, breitete sich rasend schnell in ihrem ganzen Körper aus. Das Gefühl raubte ihr die Sinne. Sie meinte ein Pfeifen in den Ohren zu hören, während ihr schwarz vor Augen wurde. Ihr Kiefer schmerzte, ihr Atem ging stoßweise, ehe sie schließlich erneut das Bewusstsein verlor.
 

Jodie wusste nicht, wie lange sie so dagelegen hatte, doch als sie wieder zu sich kam, spürte sie keine Schmerzen mehr. Fast so, als hätte die Stichwunde nie existiert.

Einen Moment noch hielt sie die Augen geschlossen und versuchte ihre Umgebung mit ihren anderen Sinnen wahrzunehmen, welche ihr plötzlich so geschärft vorkamen.

Sie hörte Kampflärm. Also war die Schlacht noch nicht entschieden, richtig? Im Raum konnte sie Blut, Schweiß und Stress riechen, ausgehend von den Kämpfern. Kaum merklich rümpfte sie die Nase.

Aber da war noch ein anderer Geruch. Den kalten Zigarettenrauch mal ganz ausgeklammert..., das Parfüm kannte sie und beinahe meinte Jodie die warme Zuneigung, ausgehend von der Person direkt neben ihr, riechen zu können.

Oder aber hören? Fühlen? Sie wusste nicht, wie sie es ausdrücken sollte. Sie fühlte sich Chris verbundener denn je. Es kam ihr fast so vor, als hätte ihr Herzschlag sich synchronisiert.

Lag es daran, dass die Vampirin sie gewandelt hatte, die ihre Seelenverwandte war? Hatte sich das Band noch einmal gestärkt?

Sie wusste es nicht, doch schließlich hielt Jodie es nicht länger aus und öffnete die Augen. Sie blickte geradewegs in die smaragdgrünen Gegenstücke der Schauspielerin.

"Wieder bei Bewusstsein?", neckte Chris sie. Wie typisch. "Willkommen in deinem neuen Leben, Kätzchen."

Ihr neues Leben... Jodie fuhr sich mit der Zunge über die obere Zahnreihe. Nur zu deutlich nahm sie die beiden spitzen Fänge wahr und erschauderte für einen kurzen Augenblick. Instinktiv wusste sie, dass von nun an in der Tat so vieles anders werden würde, doch gleichzeitig wusste sie auch, dass jetzt der falsche Zeitpunkt war, um damit zu beginnen, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.

Sie befanden sich immer noch inmitten eines Schlachtfeldes.

"So schnell sterbe ich dir nicht weg, Prinzesschen.", richtete sie das Wort an die Schauspielerin und schmunzelte schief. Noch immer fühlte Jodie sich ein wenig erschlagen. Sie streckte eine Hand in Richtung der anderen Blondine aus. "Hilfst du mir auf?"

In der Tat schob Chris einen Arm unter ihr durch und zog sie vom Boden hoch, in eine halb sitzende Position. Kurz gab Jodie dem Drang nach und schmiegte sich an die Schauspielerin, dann hallte ein Schmerzensschrei durch die Halle, in der Japan und Amerika sich derweil eine Schlacht lieferten.

"...Sie kämpfen immer noch.", stellte Jodie sogleich ernster fest, ehe sie sich von Chris zurück auf die Füße ziehen ließ, sich nach wie vor jedoch noch von ihrer Freundin stützen lassen musste. "Wie lange noch?"

"Knappe zehn Minuten.", antwortete die Schauspielerin ihr. Kaum, dass die Sprache auf den derzeitigen Kampf fiel, klang ihre Stimme angespannt. "Wir hatten ziemliches Glück, dass sie uns nicht weiter beachtet haben, weil wir ohne den Ring und ohne uns einzumischen nicht wirklich von Interesse in dieser Schlacht sind. Aber sieh dich um."

Jodie folgte der Aufforderung und ließ ihren Blick langsam durch die Halle des Anwesens schweifen. Auf der japanischen Seite lagen Pisco und Tequila bereits am Boden. Auch Vodka war nach dem kurzen Schlagabtausch mit Curaçao vorhin nicht wieder aufgestanden.

Was die eigenen Leute betraf, so entdeckte Jodie Calvados in der Nähe der Kellertür liegen, während Irish verletzt am Treppengeländer lehnte.

Rena drückte Chianti im Polizeigriff zu Boden, blutete jedoch aus einer Verletzung an der rechten Schulter. Rei ärgerte sich immer noch mit Korn herum, während sich weiter hinten in der Halle Curaçao und Gin einen hitzigen Schlagabtausch lieferten.

Ein Tisch wurde achtlos bei Seite gefegt. Die beiden Silberhaarigen sahen bereits ziemlich zerrupft aus, doch aufgeben schien beiden fern zu liegen.

Jodie verzog das Gesicht. Was für ein Schlachtfeld. "Wer hat aktuell den Ring?", wollte sie von der anderen Blondine wissen.

"Der ist weiterhin in unserem Besitz. Curaçao trägt ihn am Finger und hat ihn bislang eisern verteidigt.", informierte Chris sie.
 

Mit einer Mischung aus Entsetzen und Faszination beobachtete die junge Frau den Kampf. Nun, wo sie nicht länger menschlich war, konnten ihre Augen den Bewegungen der beiden Kämpfenden um einiges leichter folgen.

Fast schon wirkten die Angriffe wie eine gründlich einstudierte Choreographie, ging es Jodie ironischerweise durch den Kopf. Wenn die Situation doch nur nicht so ernst wäre.

Curaçao lehnte sich ein kleines Stück nach hinten, um einem Schlag auszuweichen, ehe sie selbst von unten zu einem Haken ausholte und auf das Kinn des Gegners zielte. Der Silberhaarige hatte ihren Angriff bemerkt und blockierte ihre Faust mit seinem Arm.

Während sie den Kampf beobachtete, meinte Mondnebels ehemalige Jägerin eine gewisse Regelmäßigkeit in dem Schlagabtausch feststellen zu können. Gin wich den Angriffen seiner Gegnerin selten aus, sondern blockte Schläge und Tritte meist ab, während die Leibwächterin Attacken seltener abfing und dafür geschickt auswich, wann immer es möglich war.

"Er ist der Stärkere, sie die Schnellere, kann das sein?", äußerte sie ihre Beobachtung an Chris gewandt.

Die Schauspielerin nickte. "Genau so ist es.", bestätigte sie.

Jodie fuhr vor Schreck zusammen, als sie aus dem Augenwinkel eine plötzliche Bewegung direkt neben sich bemerkte. Sie wirbelte herum, befürchtete sie im ersten Moment doch, dass es sich um einen der Gegner handeln könnte, der nun doch noch auf die Idee gekommen war, Chris oder sie ins Visier zu nehmen, doch zu ihrer Erleichterung stellte sie im nächsten Augenblick fest, dass es lediglich Bourbon war, der sich zu ihnen gesellt hatte, nachdem er seinen Gegner vorerst ausgeschaltet hatte.

"Natürlich ist ein Urvampir einem A-Klasse Vampir an Körperkraft überlegen.", mischte er sich in das gerade begonnene Gespräch ein. "Aber sie macht ihre Sache gut. Was bringt Stärke, wenn er nur selten in der Lage ist, Curaçao wirklich zu treffen?"

"Zumal ihre Kräfte ebenfalls brachial sind. Das Gin sie meist verfehlt ist ein Vorteil. Allerdings ist es gleichzeitig auch ein Problem, dass er in der Lage ist, einen Großteil von Curaçaos Angriffen zu blockieren.", stellte Chris fest.

Derweil warf Jodie Rei einen schiefen Blick zu. "Schön und gut, dass du mit deinem Gegner den Boden aufgewischt hast, aber du siehst noch recht fit aus. Willst du Curaçao nicht vielleicht mal helfen?"

Anstatt sich in Bewegung zu setzen, folgte der Bodyguard dem letzten Kampf in der Halle lediglich mit dem Blick. "Wenn wir den Gegner zu zweit angreifen würden, würden wir uns am Ende nur gegenseitig unter den Füßen herumstehen und Gin einen Vorteil verschaffen. Sieh hin, Curaçao braucht den Platz."

Und tatsächlich. Die Bewegungen der Silberhaarigen waren kraftvoll und schnell. Sie wirbelte regelrecht um ihren Gegner herum. In der Tat wäre es gut möglich, dass ein zur Hilfe eilender Verbündeter ihr lediglich im Weg stehen würde.

"Noch eine knappe Minute.", kommentierte Chris angespannt mit einem Blick zur Wanduhr.

"Sie muss den Ring jetzt nur noch weniger als 60 Sekunden verteidigen. Ich würde sagen, es sieht gar nicht so schlecht-", begann Jodie, brach jedoch entsetzt ab, als es dem japanischen Vampirfürsten just in diesem Moment gelang, seiner Gegnerin den Ellbogen in die Magengrube zu rammen. Auch er musste die Uhr im Blick haben, war die Stärke hinter diesem Angriff doch enormer, als in den vorherigen Schlägen.
 

Curaçao wurde mit dem Rücken gegen die Wand hinter sich geschleudert, keuchte bei dem Aufprall schmerzerfüllt auf und sank im nächsten Moment zu Boden. Sei es wegen des Treffers, oder vor Erschöpfung, ihre Knie hatten unter ihr nachgegeben, während sie sich nach vorne krümmte und nach Luft rang.

Für einen kurzen Moment blickte Gin kalt auf sie herab. "Und jetzt her mit dem Ring, Mädchen."

Die silberhaarige Leibwächterin reagierte nicht auf seine Worte und schien derzeit viel mehr mit sich selbst beschäftigt, versuchte sie nach dem heftigen Treffer doch wieder Luft zu bekommen.

Entsetzen spiegelte sich in der Mimik der drei blonden Vampire, die dem Kampf bis eben zugesehen hatten.

"Curaçao!", rief die Daywalkerin besorgt nach ihrer Leibwächterin.

"Nur noch ein paar Sekunden! Gib jetzt nicht auf!", rief Jodie quer durch die Halle.

Obwohl nicht sie selbst es war, die dort kämpfte, raste ihr Herz und für einen kurzen Augenblick hatte sie das Gefühl, als würde auch ihr der Atem wegbleiben. Jedoch aus anderen Gründen.

Natürlich sorgte sie sich um die Vampirin, gleichzeitig wusste sie auch, dass in diesem Augenblick der Deal zwischen Mondnebel und dem Vampirclan auf Messers Schneide stand. Sie waren auf den Sieg hier und heute angewiesen!

Und nicht nur das. Ihr Bauch krampfte sich zusammen, als sie realisierte, was es bedeuten würde, sollte die Silberhaarige den Kampf nun verlieren und der Ring in Gins Hände fallen. Wem der Ring zum Jahreswechsel gehörte, der hatte auch einen Anspruch auf den dazugehörigen Halsreif, bloß dass das Artefakt sich im Besitz von Chris befand, die den verdammten Reif nicht ablegen konnte.

Würde Japan die Schlacht für sich entscheiden, dann wäre die Daywalkerin gezwungen, sich ihnen anzuschließen. Ein schrecklicher Gedanke!

Jodie war nicht gewillt ihre Seelenverwandte gehen zu lassen, zumal sie sich auch Sorgen um das Wohlbefinden der Anderen machen würde, müsste Chris mit nach Japan reisen. Darüber hinaus würde sie es nicht ertragen, von ihr getrennt zu werden. Ein Großteil ihrer Entscheidung, ihre Menschlichkeit aufzugeben und sich dem Vampirclan anzuschließen, beruhte immerhin darauf, dass sie bei der anderen Blondine sein wollte.

Mit äußerster Anspannung beobachtete Jodie, wie die letzten Sekunden des Kampfes verlaufen würden.

Neben ihr spannte sich Bourbon an, bereit loszuspringen und seine Kameradin zu unterstützen, immerhin galt es den japanischen Vampirfürsten nun nur noch über einen sehr kurzen Zeitraum in Schach zu halten.

"Komm schon! Reiß dich zusammen! Ich weiß du schaffst das!" Renas Stimme hallte durch den Raum. Normalerweise passte es gar nicht zu der Brünetten, einmal so die Stimme zu erheben, doch in Angesicht der Tatsache, dass ihre Freundin gerade den wichtigsten Kampf des Jahrhunderts bestritt... Auch auf dem Gesicht der ehemaligen Jägerin Sternenstaubs standen Sorge und blanker Horror geschrieben. Zur Hilfe eilen konnte sie Curaçao jedoch nicht, war sie selbst doch noch damit beschäftigt Chianti zu Boden zu drücken, die ihre Chance ganz sicher nicht verstreichen lassen und sofort angreifen würde, sobald sie sich wieder bewegen könnte.
 

Während Gin zu einem letzten, finalen Angriff ansetzte, wurde der Blick der Leibwächterin plötzlich hart. Sie mobilisierte ihre letzten Kraftreserven, wirbelte herum, stützte sich mit den Händen auf den alten Dielen ab und vollführte einen halben Handstand, ehe sie den damit gewonnenen Schwung nutzte und zutrat. "Das ist für das, was du über all die Monate meiner Freundin angetan hast, Dreckskerl!"

So kampferfahren der japanische Anführer auch sein mochte, er musste seine Gegnerin bereits schachmatt gesehen und nicht mehr mit Gegenwehr ihrerseits gerechnet haben.

Ihr letzter, verzweifelter Angriff, traf ins Schwarze. Der harte Tritt der Vampirin traf ihren Gegner genau unter der Nase. Ein hässliches Knacksen ertönte.

Im nächsten Augenblick stieß Curaçao sich vom Boden ab, wischte an ihrem Gegner vorbei und war mit drei Sätzen bei ihren Verbündeten. "Wie lange noch?", keuchte sie gehetzt.

"Fünf...vier...!", begann Chris einen Countdown herunterzuzählen. Jodie hatte, ohne es zu merken, den Atem angehalten.

Gin hatte sich recht schnell wieder gefangen, schüttelte kurz den Kopf und wischte sich das Blut unter der Nase weg, ehe er herumwirbelte und mit einem gewaltigen Satz auf die restliche Gruppe zusprang.

"Drei...zwei...!"

Rei sah den drohenden Angriff kommen und hechtete augenblicklich zwischen den japanischen Vampirfürsten und seine Kameraden.

Nur ganz am Rande spürte Jodie, wie Curaçao nach ihrer Hand griff und ihren Arm in einer triumphierenden Geste hochriss. Überrascht stolperte die Blondine halb gegen sie.

"Eins...!" Rei blockte den Angriff des Silberhaarigen ab, wurde einen Schritt zurückgedrückt und riss die Daywalkerin versehentlich mit sich zu Boden.

Im Hintergrund ertönte das Läuten der Wanduhr. Neujahr! Es war vorbei!
 

Im ersten Moment stand Unglaube auf den Gesichtszügen des japanischen Anführers geschrieben, dann legte sich eisige Kälte auf seine Mimik.

"Autsch... und das in der letzten Sekunde.", murrte Chris vor sich hin und schob Rei ein Stück weit von sich, der sie eben noch umgerissen hatte.

"Entschuldige. Aber der Kopf ist noch dran, oder?", neckte dieser die Daywalkerin, woraufhin sie ihn gegen den Oberarm knuffte.

Jodie fühlte sich in den ersten Sekunden des neuen Jahres wie erschlagen. Sie konnte nicht fassen, dass die Schlacht vorbei war. Das alles fühlte sich nun, nur Sekunden danach, bereits so unwirklich an. So viel war innerhalb der letzten Stunde geschehen. In ihrem Kopf herrschte ein einziges Chaos und erdrückende Leere zugleich.

"Wir haben es geschafft, oder...?", hakte sie ein wenig lahm nach.

Curaçao, die neben ihr stand, blinzelte sie beinahe amüsiert an. "Das haben wir wohl.", bestätigte sie.

Der ehemaligen Jägerin fiel ein Stein vom Herzen. Sie spürte, wie die Anspannung förmlich von ihr abfiel, wie eine tonnenschwere Last. Sie hatten es wirklich geschafft!

Neben ihr gratulierte Chris gerade der Silberhaarigen und umarmte diese herzlich, ehe sie sich zu Jodie gesellte.

Die junge Blondine hielt es nicht länger aus und fiel der Schauspielerin spontan um den Hals. Diese blinzelte im ersten Moment überrascht, schmunzelte dann aber und legte die Arme um sie.

Inzwischen hatten sich auch Rena und Chianti zu der Gruppe gesellt. Während die Brünette einfach nur erleichtert wirkte, spiegelten sich in der Mimik der Scharfschützin Frustration und Wut.

"Das glaube ich jetzt nicht! Der Sieg war doch zum greifen nahe!", regte Chianti sich auf.

Gin ließ seinen kalten Blick über die Gruppe schweifen. "Eine so unerfahrene und schwache neue Anführerin. Was für eine Schande für Amerika.", spottete er.

"Curaçao hat den Ring eine ganze Stunde lang eisern gegen dich verteidigt und ihre Sache ziemlich gut gemacht, dafür, dass sie angeblich so schwach sein soll.", kam es provokant von Bourbon, an den Silberhaarigen gewandt.

"Aus ihm spricht doch nur die Frustration, dass es ihm als Urvampir nicht gelungen ist, einer A-Klasse Vampirin das Artefakt abzunehmen. Ist doch so, mein Lieber?" Das typische, leicht spöttische Funkeln in Chris Augen war zurück.

"Ich denke, du wirst eine ganz wunderbare neue Anführerin abgeben.", wandte Rena sich ermutigend an ihre Freundin und blickte diese voller Zuneigung an.

Auf Curaçaos Lippen stahl sich ein beinahe amüsiertes Lächeln. "Aber ich trage den Ring doch gar nicht."
 

Ihre Worte schlugen ein wie eine Bombe. Gin musste es bereits bemerkt haben, doch alle anderen hielten inne und blickten sie irritiert an.

"Huh...?", brachte Kir verdutzt heraus. "Aber wenn du den Ring nicht hast, wer trägt ihn denn dann...?"

"Eine Person, die diese Position viel besser besetzen wird, als ich es je könnte. Eine Person mit Mitgefühl, einem starken Gerechtigkeitssinn und dem Privileg, dass sie sowohl Menschen, als auch Vampire verstehen können wird. Jemand, der sich bis zu einem gewissen Grad von Amerikas zweiter Anführerin leiten lassen, aber stur genug sein wird, um den eigenen Kopf durchzusetzen, wenn Chris einmal doch zu skrupellos sein sollte. Die beiden werden sich perfekt ergänzen, das weiß ich jetzt schon. Zumal es ohnehin üblich ist, dass das Anführer-Duo von Verwandten, oder einem Paar gebildet wird."

Das Lächeln auf den vollen Lippen der Silberhaarigen wurde noch etwas breiter. Sie wirkte so befreit, als wäre ihr mit der Entscheidung, den Ring und damit den Anführerposten weiterzugeben, eine tonnenschwere Last von den Schultern gefallen.

Kir war die Erste, die die Bedeutung der Worte verstand und sich schmunzelnd an die Seite ihrer Freundin schmiegte.

Während sich im Hintergrund die Kämpfer beider Seiten langsam wieder aufrappelten, ruhten die Blicke von Rei und Chris überrascht auf Jodie. Chianti war der Kiefer heruntergeklappt.

Curaçaos Worte eben...es gab nur eine Person in diesem Raum, auf die diese Beschreibung wirklich zutraf. Und dann noch die Geste, wenige Sekunden vor dem Ende des Kampfes, die der Silberhaarigen so überhaupt nicht ähnlich gesehen hatte. Sie hatte sich die Hand der ehemaligen Jägerin geschnappt und ihren Arm schließlich triumphierend nach oben gezogen.

Mit einem unbeschreiblich seltsamen Gefühl in der Magengegend, hob Jodie wie in Zeitlupe ihre Hand. Ihr logisches Denken setzte aus und in ihrem Kopf begann sich alles zu drehen, als sie auf den goldenen, mit einem Rubin verzierten, Ring an ihrem Finger blickte.

Das Mondlicht, dass den Raum in fahles Licht tauchte, wurde bereits nach und nach blasser. Langsam aber sicher neigte die Nacht sich ihrem Ende zu.

Jodie saß auf dem Sofa des, ihr inzwischen so vertrauten, Wohnzimmers. Angeekelt kniff sie die Augen zusammen und schüttelte sich, ehe sie das nun leere Weinglas auf dem Wohnzimmertisch abstellte. Der süßliche Geschmack von Kupfer war allgegenwärtig. Der Blutgeruch lag, für ihre nun geschärften Sinne, noch all zu deutlich in der Luft.

Erneut zog sie eine Grimasse, wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen und bemühte sich dem Glas vor sich, so wenig Beachtung wie nur irgend möglich zu schenken.

//Geschafft//, dachte sie und atmete fast schon erleichtert aus. Es hatte sie jedes bisschen Überwindung gekostet, dass sie besaß, um sich dazu durchzuringen, die dunkelrote Flüssigkeit zu trinken. Zwar beruhigte es ihr Gewissen zumindest halbwegs, dass dieses Blut bereits im Vorfeld abgezapft worden und somit nicht extra für sie eine Person nach der großen Schlacht zu Schaden gekommen war, dennoch, der Ekel blieb.

Einerseits war sie erleichtert, das Unvermeidbare vorerst hinter sich gebracht zu haben, andererseits war sie fassungslos und geschockt über sich selbst. Sie hatte es wirklich getan.

Natürlich wusste die Blondine, dass sie von nun an keine andere Wahl haben würde, als regelmäßig eine gewisse Menge Blut zu trinken, wenn sie bei Kräften und klarem Verstand bleiben wollte, dennoch erschien ihr ihr neues, einziges Nahrungsmittel und Getränk so unfassbar abartig. Sie fühlte sich, als hätte sie etwas Verbotenes getan. Als hätte sie Drogen konsumiert, oder sonst etwas angestellt, das nicht in Ordnung war.

Menschenblut. Dass der rote Lebenssaft von nun an in der Tat auch ihr Leben bestimmen würde, musste sie erst noch gänzlich realisieren.

Schockierend war zudem, dass sie förmlich gespürt hatte, wie sehr ihr Körper nach dem Blut verlangt hatte. Fast wie ein Süchtiger, der unfreiwillig auf Entzug gewesen war und nun neuen Stoff bekommen hatte. Natürlich hatte ihr Körper genau so und nicht anders reagiert, rief sie sich ins Gedächtnis zurück. Sie hatte vorhin nur knapp die Stichverletzung überlebt. Ihr Körper hatte die Wunde mit Einsetzen der Wandlung zwar geheilt, dennoch war das Blut der Daywalkerin nicht annähernd genug gewesen, um wieder zu Kräften zu kommen.

Nachdem sie das Glas nun geleert hatte, fühlte sie sich klarer und fitter als zuvor. Es war wirklich erschreckend, wie rasch ihr Körper auf das gerade aufgenommene menschliche Blut reagierte.

Jodie schloss für einen Moment die Augen, massierte sich die Schläfen und lehnte sich bequem auf dem Sofa zurück.

Für den Augenblick genoss sie die Stille. Sie brauchte diese kleine Auszeit, um ihre Gedanken zumindest halbwegs zu ordnen. Die ehemalige Jägerin wusste, dass es noch Wochen und Monate dauern würde, bis sie wirklich realisiert hätte, was geschehen war, bis sie sich in ihrer neuen Rolle und ihrem neuen Leben zurechtgefunden hätte..., dennoch, der Moment der Ruhe war bitter nötig, um ihre rasenden Gedanken in den Griff zu bekommen.
 

Sie dachte zurück an das Ende der Schlacht. An den Moment, in dem sie realisiert hatte, dass sie es war, die den Ring trug und von nun an dieses Haus führen würde.

Erst einmal hatte sie geglaubt ein Brett vor dem Kopf zu haben. Sie hatte keinen klaren Gedanken fassen, keinen vernünftigen Satz bilden können.

An den ersten Schock erinnerte sie sich nur wie durch einen dichten Nebel. Auch an das Gespräch mit den japanischen Gästen, konnte sie sich nur dunkel erinnern. Sie war Chris so dankbar gewesen, dass diese praktisch sofort geschaltet und das Wort an sich gerissen hatte, so wie sie in Vertretung Karasumas den amerikanischen Vampirclan bereits das letzte halbe Jahr über geführt hatte.
 

~~~ Flashback ~~~

"Wie war das noch gleich? Du würdest mir nach Mitternacht eine Stunde zum Packen meiner Koffer geben? Nun, ich denke dieses Thema hat sich damit wohl erledigt. So wie ich es von Anfang an prophezeit habe.", wandte die Schauspielerin sich an den japanischen Vampirfürsten. In ihren smaragdgrünen Augen funkelte ein gewisser Hohn und Amüsement.

Im Hintergrund gab Chianti einen verstimmten Laut von sich.

Kalt und durchdringend lag der Blick des Silberhaarigen auf seinem Gegenüber. "Mit der heutigen Entscheidung hat sich das für dich Unvermeidbare nur um einige Jahre hinausgezögert, Vermouth.

Mit dem Wechsel der Machtverhältnisse innerhalb Amerikas, wird sich der Clan praktisch von allein herunterwirtschaften."

Unbeeindruckt schnippte die Blondine sich eine verirrte Strähne zurück über die Schulter. "Das denkst aber auch nur du. Mit dem geglückten Putsch und dem gewonnenen Kampf, wird die amerikanische Vampirgesellschaft sich erheben und erblühen, wie Phönix aus der Asche."

"Eine neue Anführerin, die erst heute ihre Menschlichkeit abgelegt hat und eine Daywalkerin, die selbst erst seit gefühlt einigen Atemzügen kein Mensch mehr ist. Das ist lächerlich.", amüsierte Vodka sich derweil.

"Im nächsten Entscheidungskampf werdet ihr es uns denkbar leicht machen." Die Worte des japanischen Vampirfürsten klangen so sicher, als habe er gerade das Selbstverständlichste der Welt festgestellt.

"Das glaubst aber auch nur du. Bis zu eurem nächsten Aufeinandertreffen werden 100 Jahre vergehen und diese Zeit werde ich nutzen, um unsere neue Anführerin zu trainieren.", mischte sich Curaçao erstmals in das Gespräch ein, blickte Gin fest in die Augen und nickte schließlich Jodie aufmunternd zu.

Schließlich war die Blondine selbst es, die die Sprache endlich wiederfand und sich nun selbst an Gin wandte, wobei sie sich immer noch merkwürdig dabei vorkam. Nach wie vor fühlte sie sich mehr wie das Menschlein, welches sich erst vor Kurzen noch so leicht von dem Silberhaarigen hatte einschüchtern lassen. Doch damit war es nun vorbei, musste es nun vorbei sein, erinnerte sie sich selbst streng in Gedanken. "Du hast dieses Haus schon einmal unterschätzt. Der Ring an meinem Finger ist der beste Beweis dafür. Bevor du also auf mich herabsiehst, warte lieber erst einmal ab, was in 100 Jahren aus mir geworden ist."

"Man hat es heute bereits an Kir gesehen. Curaçao hat sie lediglich die letzten paar Wochen trainiert und sie hat bereits die ein oder andere Kampftechnik von ihr übernommen und hat im heutigen Kampf eine gute Figur gemacht.", ergriff Bourbon das Wort.

Kurz fiel der Blick des Silberhaarigen auf Sternenstaubs ehemalige Jägerin, die prompt erschrocken zusammenzuckte. Doch schließlich zwang sie sich, den Blick zu heben und die Schultern zu straffen. "Es bleibt ein Zeitfenster von 100 Jahren. Ich denke, das ist Zeit genug für Jodie und auch für mich, uns einzuleben und uns stetig zu verbessern."

"Wie viel Uhr ist es jetzt?" Die Frage von Chris kam im ersten Moment eher überraschend.

"...00:23 Uhr." Korn nickte in Richtung der alten Wanduhr. "Wie du mit einem Blick in Richtung Uhr auch selbst hättest erkennen können, Daywalkerin."

Auf den geschminkten Lippen der Schauspielerin machte sie ein Schmunzeln breit. "Und der Herr Scharfschütze sollte in der Lage sein, rhetorische Fragen von echten Fragen unterscheiden zu können.", konterte sie. Mit einem kurzen Nicken in Richtung der Uhr, wandte sie sich schließlich wieder Japans Vampiren zu. "So wie ich es in den letzten Tagen herausgehört habe, hattet ihr es ziemlich eilig, euch nach Anbruch des neuen Jahres wieder auf den Weg zu machen, oder nicht? Ich denke, ihr habt unsere Gastfreundschaft nun lange genug in Anspruch genommen."

Ein deutlicher Wink mit dem Zaunpfahl. Chianti sah so aus, als wollte sie der Blondine jeden Moment mit den Krallen zuerst ins Gesicht springen, doch Gin unterband jedes Wort von Anfang an mit einem einzigen, strengen Blick.

"Wie du es bereits angedeutet hast, Vermouth. Hier gibt es für uns nun nichts mehr zu tun." Ein Grinsen stahl sich auf seine Mimik, allerdings keins der freundlichen Sorte. "Wir werden von Japan aus mit Freuden dabei zusehen, wie Amerika sich selbst zu Grunde richtet."

"Zusehen solltet ihr uns lieber auch. Die von uns angestrebten Veränderungen werden das Leben von Mensch und Vampir in diesem Land verbessern wie nie zuvor und wir werden stark sein, wenn wir uns das nächste Mal gegenüberstehen.", zwang Jodie sich zu äußern, da sie als neue Anführerin nicht einfach gänzlich schweigen durfte, auch wenn sie aktuell genau das am liebsten getan hätte.

"Wir sehen uns dann in 100 Jahren." Chris nickte dem Silberhaarigen zu und dieser tat es ihr gleich. Für einen Moment ruhten die Blicke der beiden abschätzend, beinahe herausfordernd aufeinander, ehe Japans Vampirfürst sich zum Gehen wandte und seinen Leuten das Zeichen gab ihm zu folgen.

~~~ Flashback Ende ~~~
 

Jodie erinnerte sich noch genau, welche Last ihr von den Schultern gefallen war, kaum dass die Japaner das Anwesen verlassen hatten. Das Chaos in ihrem Kopf hatte sich deshalb jedoch noch lange nicht gelegt. Ganz im Gegenteil.

Auf dem Sofa im Wohnzimmer sitzend, streckte die junge Frau sich und riskierte einen Blick auf die Uhr, welche über dem Fernseher hing. 04:36 Uhr. Vor guten vier Stunden hatten die Gäste des Hauses sich wieder auf die Heimreise gemacht. Noch keine fünf Stunden war es her, dass sie selbst ihre Menschlichkeit gegen ihr neues Leben eingetauscht und dem Tod damit noch einmal von der Schippe gesprungen war. Nach wie vor konnte sie es kaum fassen.

Für einen Moment ruhte der Blick der Blondine auf dem Fernseher vor sich. In den letzten Wochen hatte sie sich in diesem Raum so oft die Zeit mit fernsehen vertrieben. Kurz überlegte sie, auch jetzt den Fernseher einzuschalten, um für einige Zeit abschalten und sich selbst ihre gewohnte Normalität vorgaukeln zu können..., doch nein, lieber wollte sie gedanklich die Geschehnisse der letzten Stunden aufarbeiten.
 

~~~ Flashback ~~~

Nachdem die japanische Vampirfamilie das Haus verlassen hatte, blieb die amerikanische Gruppe allein in der Halle des Anwesens zurück. Zeit um den Kampf zu verarbeiten, einige Worte zu wechseln und die Wunden zu lecken, ehe die vor dem Anwesen wartenden Mitglieder des Clans die Köpfe zur Tür hereinstecken würden, um in Erfahrung zu bringen, was passiert war.

Rei ließ die Schultern kreisen und streckte sich kurz, wobei sein Rücken ein knacksendes Geräusch von sich gab. "Und weg sind sie. Ich kann nicht behaupten besonders traurig zu sein, sie in den nächsten 100 Jahren nicht sehen zu müssen."

"Nicht nur du.", stimmte Chris ihm amüsiert zu, ehe sie einmal in die Runde sah und ihren Leuten anerkennend zunickte. "Ihr habt gut gekämpft und unserem Team damit den Sieg eingebracht. Das eröffnet uns die Möglichkeit, die nächsten 100 Jahre dazu zu nutzen, die Sitten des gefühlten Mittelalters bei Seite zu schieben und durch neue, bessere Regeln zu ersetzen."

Während die Eingeweihten sich sichtlich motiviert und erleichtert zugleich zunickten, beobachteten Irish und Calvados ihre Kameraden und tauschten einen Blick aus, ehe Irish es war, der schließlich das Wort ergriff. "Der Clan wird eine Erklärung für all das hier fordern und ich tue das auch. Was zur Hölle ist hier heute passiert?"

"Ist es wirklich wahr, dass du unseren alten Anführer getötet hast, Vermouth?", hakte Calvados fast sofort nach.

Jodie spürte, wie die Anspannung in ihr stieg. Zwar hatten sie den heutigen Kampf für sich entscheiden können, doch sämtliche Probleme waren damit noch nicht vom Tisch.

Wie würden die anderen Mitglieder des Clans auf die geplanten Neuerungen reagieren? Wie würde man auf sie reagieren? Sie konnte noch nicht einmal abschätzen, wie Irish und Calvados die anstehenden Erklärungen aufnehmen würden, kannte sie die beiden doch kaum.

"Getötet ist so ein böses Wort.", antwortete Chris derweil auf die Frage des Scharfschützen und klang dabei so überheblich wie immer. "Und nein, nicht ich war die, die ihm den Gnadenstoß gegeben hat. Ich hatte netterweise ein Helferlein, dass das für mich übernommen hat."

Während Jodie, ohne es zu merken die Luft anhielt, starrten sowohl Calvados, als auch Irish die Blondine fassungslos an.

"Aber warum...?", brachte der Scharfschütze überrumpelt heraus.

"Den eigenen Anführer zu stürzen, das ist ein starkes Stück.", stimmte Irish ihm zu und wirkte skeptisch.

Angesprochene hingegen zuckte lediglich mit den Schultern, ehe sie Blickkontakt zu den beiden Vampiren aufnahm. "Ich hatte meine Gründe, das dürft ihr mir glauben.", erklärte sie vage, konnte die Schauspielerin doch darauf verzichten, die ganze Geschichte mit dem Halsring hier und jetzt schon wieder aufzurollen. "Abgesehen davon hätte der Alte eh bald das Zeitliche gesegnet, das hat er mir heute noch selbst gesagt. Und seht euch an, wie er diesen Clan all die Jahre über geführt hat. Es ist dringend an der Zeit, einige der bestehenden Regeln durch Neue zu ersetzen."

"Die Bars, wie sie bisher in unseren Häusern geführt wurden, wird es in Zukunft nicht mehr geben.", ergriff nun Rei das Wort.

"Als ehemalige Jägerin, kann ich euch sagen, dass das Haus einen Deal mit Mondnebel geschlossen hat. Halten sich beide Seiten an die Absprachen, wird es zukünftig kein sinnloses Blutvergießen mehr geben.", ergänzte Jodie und gab sich größte Mühe, sich nicht anhören zu lassen, wie durch den Wind sie nach wie vor noch war. Sie musste jetzt Selbstsicherheit ausstrahlen, denn ob sie es geplant hatte oder nicht, der Ring an ihrem Finger war das Zeichen, dass sie diesen Clan von nun an führen würde.

"Wir sollen mit Vampirjägern zusammenarbeiten?! Das ist doch vollkommen absurd!" Weiterhin klang der Scharfschütze fassungslos.

"Und wenn die Bars geschlossen werden sollen, wovon sollen wir uns dann ernähren? Wasser vielleicht? Ja wohl kaum!", brauste Irish auf. "Ich kann mir kaum vorstellen, dass der Deal mit den Vampirjägern darin besteht, dass von nun an jeder Vampir für sich selbst auf die Jagt geht."

Diesmal war es an der Daywalkerin die Augen zu verdrehen. "Natürlich nicht, Schwachkopf.", tadelte sie den Hünen vor sich. "Ich war in den letzten Wochen nicht untätig. Unsere Ernährung wird durch Blutspenden sichergestellt werden. Diesbezüglich habe ich dafür gesorgt, dass in ganz Amerika Blutspendebusse zum Einsatz kommen und in den größeren Städten kleine Einrichtungen aufmachen werden. Ich werde meine Bekanntheit nutzen und kräftig die Werbetrommel schlagen."

"Hier und da werden Autogramme, oder in seltenen Fällen sogar mal ein Meet and Greet unter den Spendern verlost, um die Bereitschaft noch zusätzlich ein wenig anzukurbeln.", erklärte Kir den beiden nun mit ruhiger Stimme.

Jodie zog grinsend eine Grimasse. "Ihr glaubt gar nicht wie schwer es war, dieses verzogene Sternchen hier davon zu überzeugen, bei diesen Aktionen mitzumachen." Sie knuffte Chris leicht in die Seite, woraufhin diese sie gespielt wütend anfunkelte.
 

Es war deutlich zu sehen, wie Irish und Calvados versuchten die eben erhaltenen Informationen einzuordnen und zu verarbeiten. Die geplanten Änderungen hatten sie vollkommen unvorbereitet getroffen.

"Von dem geplanten Deal wird jeder etwas haben. Durch die Blutspenden wird es keine Toten oder Gefangenen mehr geben. Ein großes Plus also für die Menschheit. Die Vampire, die sich an die Vereinbarung halten, werden fortan vor Mondnebel nichts mehr zu befürchten haben und müssen nicht länger vor den Jägern auf der Hut sein. Und auch Mondnebel gewinnt durch den Deal. Zum einen, wird die Vereinbarung unzählige Leben retten, zum anderen dürften wir..., nein, meine Kameraden, von nun an deutlich weniger zu tun haben.", erklärte Jodie noch einmal.

Als sie realisierte, dass sie sich nicht länger selbst als Jägerin bezeichnen durfte, hätte sie sich beinahe an der eigenen Zunge verschluckt. Das hier fühlte sich immer noch so unglaublich seltsam an.

Während Calvados nicht mal unzufrieden wirkte, blickte Irish immer noch skeptisch drein.

"Ihr glaubt wirklich, dass die Ernährung sämtlicher Vampire Amerikas auf diese Art und Weise sichergestellt werden kann? Vampire haben Menschen schon immer-"

"Ausgerechnet du solltest lieber still sein, Irish.", unterbrach Curaçao den Hünen unwirsch. "Jeder hier weiß von deiner menschlichen Freundin, der du im Übrigen nie ein Haar krümmen würdest. Also kannst du genau so gut umdenken, was andere Menschen betrifft."

Der Blonde blinzelte ertappt und wusste im ersten Moment gar nicht, was er darauf erwidern sollte.

Rei grinste belustigt und auch die smaragdgrünen Augen der Schauspielerin funkelten amüsiert.

"Ich bin ziemlich erschlagen von den geplanten Änderungen, wenn ich ehrlich sein soll.", ergriff Calvados nun das Wort. "Ich sehe durchaus einen Sinn dahinter, aber eine Sache will mir einfach nicht in den Kopf." Er nickte knapp in Jodies Richtung. "Die Kleine wäre hier und heute beinahe gestorben. Sie zu wandeln und zur neuen Anführerin zu machen, kann unmöglich geplant gewesen sein. Wie soll eine Person, die bis eben noch ein Mensch gewesen ist, einen Vampirclan leiten und das von jetzt auf gleich?"

Jodie musste zugeben, dass sie die Frage durchaus berechtigt fand. Sie konnte es selbst ja noch gar nicht wirklich fassen und hatte um ehrlich zu sein keine Idee, wie sie diese Hürde so schnell bewältigen sollte.

"Wie du eben schon mitbekommen hast, war ursprünglich geplant, dass ich die neue Anführerin werden sollte.", erklärte die Silberhaarige ihrem Kameraden. "Aber als Jodie zu einer von uns geworden ist, wusste ich, was ich zu tun habe."

Nun war es an der ehemaligen Jägerin die Leibwächterin anzublinzeln. "Du sagtest, dass du mich für die bessere Wahl hältst, was den Anführerposten betrifft, aber trotzdem verstehe ich nicht, was du dir bloß dabei gedacht hast. Ich meine...Calvados hat schon recht damit, wenn er daran zweifelt, das ich es schaffen kann, von jetzt auf gleich eine glaubhafte Anführerin abzugeben."

Curaçao warf ihr ein Lächeln zu. "Ich habe den Posten von Anfang an nicht wirklich gewollt. Ich meine, ich hätte mich der neuen Aufgabe angenommen, aber als ich gesehen habe, wie du zur Vampirin geworden bist, wusste ich, dass du es sein solltest, die diesen Clan führt. Du bist viel entscheidungsfreudiger, empathischer und sturköpfiger als ich." Sie schnippte sich eine Strähne zurück über die Schulter. "Ich bin glücklich mit meinem Leibwächterposten und überzeugt davon, dass du deine Sache gut machen wirst."

Gerade wollte Jodie etwas darauf erwidern, als Chris ihr eine Hand auf die Schulter legte. "Ich muss diese Planänderung selbst erst einmal realisieren, aber du stehst nicht allein da, Kätzchen. Ich habe den Anführer die letzten 6 Monate vertreten, da kann ich jetzt auch dir erstmal den Rücken freihalten, bis du dich eingelebt hast."

Dankbar blinzelte Jodie ihre Seelenverwandte an, ehe sich ein Schmunzeln auf ihre Lippen stahl. "Du bist meine Stellvertreterin, da darf ich ja wohl erwarten, dass du mir den Rücken freihältst.", scherzte sie.

Die Gruppe lachte leise, ehe Rei das Wort ergriff. "Curaçao und ich werden auch weiterhin unsere Posten als Bodyguards ausüben. Wir sind folglich nicht aus der Welt."

"Natürlich werdet ihr zwei das.", stellte Chris entschieden klar, was ihre beiden Leibwächter zum Grinsen brachte.

Jodie hingegen plusterte kurz die Wangen auf. "Anders als gewisse Daywalkerinnen kann ich ganz gut selbst auf mich aufpassen, aber wo ist bitte mein Helferlein, wenn du die beiden hast?", kam es nicht ganz ernst gemeint von ihr.

Diesmal war es die Brünette, die sich leise räusperte. "Nun, was das betrifft, könnte ich vielleicht aushelfen. Auch wenn wir beide noch ziemliche Grünschnäbel sind und eine ganze Menge zu lernen haben, fürchte ich."

Die Blondine warf der anderen, ehemaligen Jägerin ein warmes Lächeln zu. "Wir werden uns beide in den nächsten Jahren einigen Trainingseinheiten unterziehen müssen, müssen uns in unsere neuen Rollen hineinfinden und werden alle Hände voll damit zu tun haben, diese Chaoten hier und Mondnebel vom Streiten abzuhalten. Was für einen besseren Bodyguard könnte ich mir da wünschen?"
 

Als die vor dem Haus Wartenden schließlich neugierig ihren Weg in die Empfangshalle gefunden hatten, hatten Jodie und Chris sie am hölzernen Geländer der ersten Etage lehnend, bereits erwartet. Links und rechts von dem neuen Anführerduo fanden sich ihre jeweiligen Leibwächter, welche sich jedoch ein wenig im Hintergrund hielten.

Irish und Calvados waren unten in der Halle geblieben, um von dort aus die kurze Ansprache mitzuverfolgen, auch wenn das, was gesagt werden würde, nicht mehr wirklich neu für die beiden war.

Erneut war die ehemalige Jägerin der anderen Blondine mehr als nur dankbar gewesen, dass sie sich an die neugierige Menge wandte und voller Selbstsicherheit das Wort ergriff. Für Chris schien es bereits Routine zu sein, sich in der Führungsrolle an die Anderen zu wenden, sie selbst hätte diese Aufgabe vollkommen unvorbereitet getroffen, zumal außer der Gruppe, die für Amerika gekämpft hatte, noch niemand ahnte, dass sie nun die neue Anführerin der Vampirfamilie war.

Ihre Stellvertreterin berichtete den Anwesenden erst einmal, dass Amerika siegreich aus dem Konflikt mit Japan hervorgegangen war, was zu Erleichterung und Jubel in der Menge führte.

Nachdem die Jubelrufe abgeklungen waren und sie sich der Aufmerksamkeit der Anderen sicher war, verkündete sie den Anführerwechsel, der praktisch einschlug wie eine Bombe und für Fassungslosigkeit und Verwirrung sorgte. Scharf wies die Daywalkerin die Gruppe zurecht, ehe sie fortfuhr, dass es einige Neuerungen im Regelwerk des Clans geben würde. Welche genau das waren, würde am darauffolgenden Abend bekannt gegeben werden, da es noch eine Menge zu tun gab und die Neuigkeiten erst einmal von allen realisiert werden mussten.

Schließlich hatte Chris eine Versammlung in der Haupthalle, am nächsten Abend um 23 Uhr, bekannt gegeben und verfügt, dass die Informationen um Anschluss in die anderen Bundesstaaten weitergetragen werden sollten.

Natürlich wusste Jodie, wie groß Amerika wirklich war, daher konnte sie nicht verhindern, dass ihr ganz schwindelig wurde, wenn sie daran dachte, wie groß der Clan war, für den sie nun die Verantwortung trug.

Sie war mehr als froh darüber gewesen, als die drei Leibwächter, Chris und sie sich vorerst ins Wohnzimmer der Schauspielerin zurückziehen konnten.
 

"Mir schwirrt der Kopf. Das ist doch viel zu viel für einen Tag.", murrte Jodie vor sich hin, kaum dass sie sich aufs Sofa hatte fallen lassen.

"In deiner Haut möchte ich aktuell wirklich nicht stecken." Rena blickte sie mitfühlend an.

"Du solltest nachher versuchen etwas zu schlafen und zur Ruhe zu kommen.", streute Chris ein. "Die Rede vor allen wirst immerhin du als neue Anführerin des Hauses halten. Darauf solltest du dich bei Zeiten vorbereiten, aber erstmal musst du abschalten."

Die junge Frau seufzte. "Das sagt sich so leicht. Als wenn ich jetzt schlafen könnte. Ich habe heute nicht nur meine Menschlichkeit abgelegt, jetzt habe ich auch noch eine Position, mit der ich so im Traum nicht gerechnet hätte. Wie soll ich da schlafen können?"

"Du hast in der Vergangenheit schon mehr als einmal demonstriert, dass du in jeder Lebenslage schlafen kannst, Jodie.", erinnerte Rei sie amüsiert. "Vermutlich schläfst du ein, sobald dein Kopf das Kissen berührt."

Die Blondine plusterte die Wangen auf. "So ein Quatsch!", protestierte sie. Schließlich fiel ihr Blick eher zufällig zu Rena, welche mindestens genau so gedankenverloren und gestresst wirkte wie sie selbst, obwohl Jodie es war, der man den Anführerposten aufs Auge gedrückt hatte.

Fragend blickte sie die Brünette an. "Was ziehst du denn für ein Gesicht? Der Kampf ist vorbei und Gin und seine Leute sind weg."

Als Amerikas neue Anführerin sie ansprach, schreckte Sternenstaubs ehemalige Jägerin aus den Gedanken, blinzelte ein paar Mal und blickte die Blondine an. "Gott sei Dank sind Gin und seine Leute jetzt weg und werden uns für die nächsten 100 Jahre voraussichtlich auch nicht mehr über den Weg laufen." Sie bemühte sich um einen erleichterten Gesichtsausdruck, welchen Jodie ihr jedoch nicht wirklich abkaufte. Auch Curaçao blickte inzwischen fragend zu ihrer Freundin.

"Du siehst nicht wirklich so aus, als würdest du dich freuen.", sagte die Silberhaarige ihr auf den Kopf zu.

Das die Aufmerksamkeit der Gruppe nun auf ihr ruhte, behagte Rena nicht. Ohne es zu merken, rutschte sie auf ihrem Platz hin und her und schien abzuwägen, ehe sie schließlich zu einer Erklärung ansetzte. "Darüber, dass diese Gruppe abgereist ist, freue ich mich in der Tat. Aber das sie spätestens Morgen wieder zurück in Japan sein werden, bereitet mir zeitgleich auch Kopfzerbrechen."

"Wie meinst du das?", wollte Rei mit hochgezogener Augenbraue wissen.

Einen Moment zögerte Rena. "Nun, die Sache ist die: ich habe euch doch erzählt, dass ich den Deal mit diesen Monstern damals nur eingegangen bin, um zum einen mein eigenes Leben zu retten, zum anderen aber auch um das Leben meines Bruders zu schützen." Ihre Mimik verfinsterte sich. "Gins Leute haben sich damals schon nicht an ihr Wort gehalten. Ich mache mir Sorgen um Eisuke. Jetzt, wo ich die Seiten gewechselt habe, werden diese Biester mich erst recht auf dem Kieker haben und was liegt da näher, als ihren Unmut an meinem kleinen Bruder auszulassen?"

Die Sorge stand der Brünetten förmlich ins Gesicht geschrieben. Dies erschien Jodie durchaus berechtigt und das Thema war ernst, weshalb sie Curaçao und Chris beinahe verständnislos ansah, als die beiden sich einen Blick zuwarfen und schmunzelten.

"Hey, was gibt es da zu grinsen? Tickt ihr nicht mehr ganz sauber?!", brauste Jodie verärgert auf.

Anstatt auf die Rüge der Blondine auch nur im entferntesten zu reagieren, lehnte die Silberhaarige sich zu ihrer Freundin und küsste diese auf die Wange. Rena blickte sie irritiert an.

"Was deinen Bruder betrifft, haben wir uns erlaubt ein paar Nachforschungen anzustellen.", begann Curaçao zu erklären.

"Das er in Gefahr geraten würde, war klar, also haben wir ein paar Fäden im Hintergrund gezogen.", ergänzte Chris.

"Ich habe mich an unsere neuen Verbündeten gewandt, da Mondnebel immerhin eine Sondereinheit des FBIs ist. Black hat seine Kontakte spielen lassen-", setzte Curaçao die Erklärung fort.

"Black? Du hast James mit ins Boot geholt?", unterbrach Jodie sie überrascht.

Curaçao hatte ihr Smartphone aus der Tasche ihrer Jeans gezogen, tippte kurz darauf herum, bis sie ein Foto gefunden hatte und drehte das Display schließlich so, dass Rena einen Blick darauf riskieren konnte. Der Blick der Jüngeren wurde ungläubig.

"Zumindest sollte es uns gelungen sein, deinen Bruder aus der Gefahrenzone zu schaffen. Er wird bereits im Flugzeug sitzen und sollte morgen Vormittag hier in New York ankommen."

Das Bild, welches die Silberhaarige ihrer Freundin hingehalten hatte, zeigte einen Teenager, ausgerüstet mit zwei Koffern. Der Junge hatte verblüffende Ähnlichkeit mit seiner älteren Schwester. Dem Hintergrund des Fotos nach zu urteilen, musste er das Selfie am Flughafen in Tokyo geschossen haben, kurz bevor er abgereist war.

"Gebäude und Wohnungen hat unser Clan zu genüge. Es ist daher kein Problem, ihn erstmal in einer unserer Unterkünfte unterzubringen.", erklärte die Daywalkerin ihr.

Fassungslos und überrascht starrte Rena eine ganze Weile lang das Foto an, ehe ihre Augen vor Freude zu leuchten begannen. Man konnte förmlich dabei zusehen, wie die Anspannung von ihr abfiel.

"Das... das ist...", begann sie und wischte sich unauffällig über die Augenwinkel. "Das ist so lieb von euch. Vielen Dank. Ich weiß gar nicht was ich sagen soll...", stammelte sie und zog Curaçao, die neben ihr saß, in eine Umarmung.

Jodie musste unweigerlich schmunzeln. Das war das erste Mal, dass die eher ruhige Brünette ihre Emotionen so offen zeigte. Wie sehr sie sich für sie freute. Das ihr kleiner Bruder nicht länger in Gefahr schwebte, musste Sternenstaubs ehemaliger Jägerin eine tonnenschwere Last von den Schultern genommen haben.

Die Silberhaarige erwiderte die Umarmung und lehnte das Kinn schmunzelnd auf den Schopf der Jüngeren. Für einen kurzen Moment war das ganze Chaos, welches der Anführerwechsel und der Kampf mit sich gebracht hatte, in den Hintergrund gerückt. Jeder hier im Raum freute sich für Rena.

Nur einmal wurde deren Blick noch kurz unsicher. "In unserer Familie ist es fast schon Tradition Vampire zu jagen und mein Bruder wollte Vater und mir nacheifern. Wenn er erfährt, dass ich nicht länger menschlich bin...", begann sie, doch Curaçao knuffte sie gegen den Oberarm.

"Jetzt hör auf dir schon wieder den Kopf zu zerbrechen. Wir reden hier von deinem Bruder. Ich glaube kaum, dass er dich verurteilen wird. Du bist immerhin noch die Selbe." Die Stimme der Leibwächterin klang entschieden, ehe sie einen Finger unter das Kinn ihrer Freundin legte und deren Blick in Richtung der restlichen Gruppe lenkte.

"Die meisten Mitglieder des Clans werden wohl deinen Codenamen verwenden, aber du weißt, dass du den hier im Raum Anwesenden wirklich vertrauen kannst, oder? Meinst du nicht, es wäre langsam an der Zeit es ihnen zu sagen?"

Einen Moment zögerte Sternenstaubs Jägerin, dann entspannte sie sich und nickte. "Ich denke du hast Recht, Cura. Das geht in Ordnung." Schließlich wandte die Brünette sich wieder den anderen Gruppenmitgliedern zu. "Dieses Haus hat mich mit offenen Armen aufgenommen und jetzt habt ihr sogar meinen Bruder gerettet, deshalb ist es okay, es euch zu sagen, auch wenn es kaum einen Unterschied machen wird. Rena ist nur ein weiterer Codename, den Sternenstaub mir gegeben hat. Eigentlich heiße ich Hidemi."

~~~ Flashback Ende ~~~
 

Auf dem Sofa sitzend riskierte die Blondine einen Blick auf die Wanduhr, welche stetig tickte. Die Zeit stand nicht still, ganz egal wie sehr ihr Leben in den letzten Stunden auch auf den Kopf gestellt worden war.

Sich die Zeit zu nehmen, über die Geschehnisse der letzten Stunden nachzudenken, tat ihr gut. Es half ihr dabei ihre Gedanken zu ordnen, auch wenn ihr klar war, dass es noch lange dauern würde, bis sie ihren neuen Platz wirklich realisiert hätte.

Ein Blick aus dem Fenster verriet ihr, dass es draußen nach wie vor dunkel war, auch wenn die Nacht sich langsam ihrem Ende zuneigte. Kein Wunder, im Winter wurde es morgens erst spät hell. Gut für sie, realisierte sie. Auch wenn Jodie bislang die warme Jahreszeit geschätzt hatte, von nun an würde sie wohl oder übel den Spätherbst und den Winter lieben lernen müssen, waren die Tage zu dieser Zeit doch kürzer und die Nächte dafür länger. Die Nächte, die Zeitspanne, die sie von nun an hatte, um sich draußen aufzuhalten.

Nie wieder würde sie das Tageslicht genießen, nie mehr die warmen Sonnenstrahlen auf ihrer Haut spüren können. Ein seltsames Gefühl, welches ihr einen schmerzhaften Stich versetzte.

Die junge Frau schüttelte den Kopf, zwang sich die düsteren Gedanken bei Seite zu drängen und sich stattdessen darauf zu konzentrieren, was nach der gewonnenen Schlacht noch passiert war.
 

~~~ Flashback ~~~

So herzerwärmend das vorherige Gespräch auch gewesen war, Jodie wusste, dass das nächste Gespräch, welches ihr bevorstand, sicherlich nicht so lustig werden würde.

Nachdem alle Gruppenmitglieder, bis auf Chris, vorerst den Raum verlassen hatten, riskierte Jodie einen Blick auf ihr Handy. 52 Anrufe in Abwesenheit waren es inzwischen. Dazu kamen noch einige SMS. Jodie konnte sich bereits denken, worum es ging,

Mondnebel würde nicht nur darauf warten, über den Ausgang des Kampfes informiert zu werden, inzwischen dürften ihre Kameraden bereits halb krank vor Sorge sein.

"Verdammt, das habe ich ja vollkommen verdrängt!", fluchte sie. "James, Andre und Shu haben keine Ahnung was passiert ist und haben die ganze Zeit über versucht mich anzurufen."

Derweil pflückte Chris ein Päckchen Zigaretten vom Tisch und öffnete dieses. "Natürlich machen sie sich Sorgen um dich. Du solltest dich langsam wirklich mal bei ihnen melden.", antwortete sie ihr ohne aufzusehen.

Fragend blickte Jodie die Daywalkerin an. "Meinst du, wir können uns rasch ins Auto setzen und zu ihnen fahren, um persönlich mit ihnen zu sprechen?"

Während Chris ihre Zigarette anzündete, zog sie eine der feingeschwungenen Augenbrauen hoch.

"Ach Kätzchen, was willst du noch alles in diese Nacht packen?" Sie warf ihr einen schrägen, aber gleichzeitig auch mitfühlenden Blick zu. "Heute und morgen Nacht dürftest du kaum dazu kommen, dich mit ihnen zu treffen. Es gibt viel zu viel zu tun. Ich denke, das wird noch ein wenig warten müssen." Sie blies etwas Rauch aus. "Noch ist es zu früh, um Mondnebel ernsthaft in unser Anwesen einzuladen. Willst du sie nicht per Facetime anrufen?", schlug die Schauspielerin vor.

Unglücklich blickte Jodie ihr entgegen. Nur mit ihren Kameraden zu telefonieren, erschien ihr so unpersönlich. Sie wollte sie viel lieber sehen, zumal sie den Anderen etwas zu beichten hatte.

Gleichzeitig wusste sie jedoch auch, dass Chris recht mit dem hatte, was sie sagte.

Die heutige Nacht war nicht mehr all zu lang und Morgen wäre sie das erste Mal mit ihren Anführerpflichten beschäftigt. Sie musste zu den Anderen sprechen und die neuen Regeln verkünden, wovor es ihr immer noch ein wenig graute.

Zwischen Tür und Angel blieb keine Zeit für ein Treffen mit Mondnebel. Sie hoffte, dies bald nachholen zu können, doch erst einmal wäre ein Telefonat die klügste Lösung. Wenigstens durch die Kamera würden sie sich sehen können.

"Ja, vermutlich hast du Recht.", murrte sie, griff nach dem Handgelenk der Daywalkerin und zog die geringfügig Ältere zu sich, wobei Jodie sich mit ihren neuen Kräften verschätzte.

Ein wenig zu schwungvoll landete Chris neben ihr auf dem Sofa und warf ihr einen Blick zu, als befürchtete sie, die ehemalige Jägerin habe nun endgültig den Verstand verloren.

Jodie zog eine Grimasse. "Entschuldige, so war das ehrlich gesagt nicht geplant." Sie räusperte sich. "Eigentlich wollte ich dich nur darum gebeten haben, hier zu bleiben, wenn ich die Jungs anrufe."

Auf die Lippen der Schauspielerin stahl sich bereits wieder ein Schmunzeln. Kurz rieb sie sich das Handgelenk, dann knuffte sie die Jüngere gegen die Schulter. "Bevor du mich wieder umreißt, lässt sich das einrichten, denke ich.", stellte sie fest und blickte Jodie für einen kurzen Moment gespielt empört an.

Auch die junge Frau warf ihrem Gegenüber ein rasches Grinsen zu, ehe ihre Mimik wieder ernster wurde. Sie wollte sich lieber gar nicht vorstellen, was ihre Kameraden von den Neuigkeiten hielten. Bevor sie zu lange darüber nachdenken konnte, wählte Jodie James Nummer und rief ihn an.
 

Das Handy klingelte lediglich zwei Mal, dann wurde der Anruf bereits entgegengenommen. Da sie ihr Team per Facetime angerufen hatte, blickte Jodie nun in das besorgte Gesicht ihres ehemaligen Vorgesetzten.

"Jodie!", rief Black aus. "Gott sei Dank, es geht dir gut."

Im Bildausschnitt erschienen nun auch ihre beiden anderen Kameraden.

"Wir haben schon so oft versucht dich anzurufen. Wir haben uns Sorgen um dich gemacht!", begrüßte Andre sie. Sie konnte es ihm nicht verübeln.

"Warum meldest du dich erst jetzt? Diese beiden hier waren schon kurz davor zum Anwesen zu fahren.", ergänzte Akai.

Kurz blinzelte die Blondine ihren Kameraden entgegen und wünschte sich, sich jetzt nicht nur am Telefon mit ihnen unterhalten zu können, sondern persönlich vor ihnen zu stehen. Bei dem Gedanken daran, was sie ihnen gleich würde erzählen müssen, begann das schlechte Gewissen leise an ihr zu nagen.

"Entschuldigt, dass ich erst jetzt anrufe. Es ist so unglaublich viel passiert, dass ich vorher einfach nicht dazu gekommen bin. ... Aber es geht mit gut." Den letzten Satz fügte sie ein wenig stockend hinzu. Ja, rein körperlich ging es ihr inzwischen in der Tat wieder gut, doch war da immer noch die Tatsache, dass ihr Leben vollständig auf den Kopf gestellt worden war und von nun an nichts mehr so sein würde wie früher. Und Mondnebel ahnte es noch nicht. Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen.

James war der Erste, dessen Blick skeptischer wurde. "Du klingst aber nicht so, als würde es dir wirklich gut gehen.", sagte er ihr auf den Kopf zu. "Was ist los, Jodie? Ist der Plan gescheitert?"

Nun blickten auch die beiden anderen Jäger angespannt auf das Handydisplay.

Die junge Frau schüttelte den Kopf. "Nein, der Plan ist nicht gescheitert. Die Japaner befinden sich bereits wieder auf der Heimreise und der Kampf konnte zu Amerikas Gunsten entschieden werden."

"Ein Glück. Also müssen wir uns um diese Vampire keine Gedanken mehr machen.", äußerte Camel.

"Bis zu Tagesbeginn schaffen sie es niemals wieder zurück bis nach Japan. Wie genau verschwinden diese Typen also von hier?", hakte Shuichi nach, der einmal mehr recht praktisch dachte.

Jodie spürte, wie Chris näher zu ihr heranrückte, um ebenfalls auf dem Bildschirm aufzutauchen.

"Gin und die anderen werden wohl kaum einen normalen Linienflug zurück nehmen. Sie sind zwar eine Plage, aber nicht vollkommen bescheuert. Überlassen wir es ganz einfach ihnen, wie sie die Heimreise antreten. Anreisen konnten sie vor ein paar Wochen immerhin auch."

"Oh, du bist auch da.", begrüßte Black die Schauspielerin, welche ihm daraufhin zunickte.

"Sieht ganz so aus. Wir sitzen aktuell in meinem Wohnzimmer."

Derweil räusperte Jodie sich, um die Aufmerksamkeit der Anderen zurückzuerlangen. Es wäre leicht zuzulassen, dass das Gespräch nun in eine andere Richtung driftete. Für sie wäre das angenehm und außerdem wäre es nur fair, ihren Kameraden das Triumpfgefühl über den Sieg nicht all zu schnell kaputt zu machen, nur leider änderte sich dadurch auch nichts an der Situation.

"Leute...", begann sie etwas zögerlich. "Ich muss euch etwas sagen." Am liebsten hätte sie dieses Thema totgeschwiegen, doch natürlich ging das nicht.

Der jungen Frau war ihr Unwohlsein nur all zu deutlich anzusehen. Um so dankbarer war sie der Daywalkerin, als diese sich kaum merklich noch ein wenig mehr gegen ihre Seite drückte und von der Handykamera ungesehen, tröstend nach ihrer freien Hand griff.

Noch ehe ein Mitglied Mondnebels genauer nachhaken konnte, ergriff Jodie bereits wieder das Wort. Es half niemandem etwas, den unangenehmen Teil dieses Gesprächs weiter hinauszuzögern.

"Wir haben es planmäßig geschafft uns den Sieg zu holen, aber etwas anderes ist nicht ganz nach Plan verlaufen. Es wird nicht Curaçao sein, die diesen Clan von nun an führt."

Alarmiert fixierten Shus grüne Augen sie durch die Kamera. "Was meinst du damit, Jodie?"

Die Blondine atmete einmal tief ein und aus und hielt schließlich ihre Hand so in die Kamera, dass die anderen den Ring an ihrem Finger sehen konnten.

"Das hier ist der Ring, den der Anführer, oder die Anführerin, trägt. Wie ihr seht, befindet er sich an meinem Finger." Noch immer kam ihr diese Tatsache so surreal vor. Wie sollte sie sich bloß so schnell in ihre neue Rolle einfinden können?

Den Jägern am anderen Ende der Leitung entgleisten die Gesichtszüge. Ungläubig starrten sie auf den Ring, welcher mit einem Rubin verziert war.

"D-du trägst den Ring!?", brachte James ungläubig heraus.

"Willst du uns damit sagen, dass du jetzt an der Spitze dieses Clans stehst?" Andre klang nicht weniger entgeistert.

Diesmal war es Chris, die einsprang und das Wort ergriff. "Diese Planänderung kam ziemlich plötzlich, aber ja es stimmt. Sie ist von nun an das Oberhaupt dieses Hauses. Das wie es dazu kam jetzt hier am Telefon zu erklären, erschein mir allerdings ein wenig unpassend."

"Ein Mensch, der einen Vampirclan führt? Wie soll das gehen?" Auch Mondnebels Trumpfkarte wirkte fassungslos, hatte den Blick für das Wesentliche jedoch nicht verloren.

Jodie schluckte. Natürlich war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis jemand diese Frage stellen würde. Doch auch wenn besagte Frage nicht überraschend kam, bedeutete dies noch lange nicht, dass es ihr leicht fiel die Antwort darauf zu liefern.

Unbewusst rückte sie näher zu Chris, blickte kurz zur Seite und schließlich wieder zurück in die Kamera. "Das ich diesen Posten übernehme ist nur möglich, weil ich nicht länger menschlich bin.", brachte sie schließlich heraus, wobei ihre Zunge sich schwer wie Blei anfühlte.
 

"Was?! Was meinst du-", Andre brachte es nicht fertig, seine Frage zu beenden.

"Seht selbst.", befand die Blondine und schob mit einem Finger ihre Oberlippe ein Stück weit hoch, um ihren Kameraden einen Blick auf die spitzen Vampirfänge zu gewähren.

Irgendjemand am anderen Ende der Leitung sog scharf die Luft ein.

Plötzlich änderte sich etwas am Bild des Facetime Telefonats. Die Kamera verwackelte gänzlich, zwei Sekunden später konnte sie Pflastersteine aus nächster Nähe begutachten. James musste sein Handy aus der Hand gerutscht sein.

Kurze Zeit später hob ihr ehemaliger Vorgesetzter das Gerät bereits wieder auf. Sein Blick wirkte entsetzt. "Um Himmels Willen...", brachte er stockend heraus. "War das deine freie Entscheidung, Jodie? Warum hast du das zugelassen?"

Die ehemalige Jägerin konnte nicht anders, als beschämt den Blick zu senken. Sie wusste, dass es keine andere Möglichkeit gegeben hatte, dennoch war es ihr besonders vor den anderen Mitgliedern Mondnebels unsagbar unangenehm zu zeigen, dass sie von nun an eine Vampirin war.

"Es ging nicht anders. Die Dinge hier sind vollkommen aus dem Ruder gelaufen und die Kleine wäre beinahe gestorben. Hätte ich sie nicht gewandelt, könntet ihr jetzt kaum noch mit ihr sprechen.", mischte die Daywalkerin sich ein.

Einige Augenblicke lang herrschte betretenes Schweigen. Einerseits mussten ihre Kameraden den Schock über ihre Wandlung und die Tatsache, dass Jodie den Clan von nun an leiten würde, verdauen, andererseits hatte es die Anderen wirklich getroffen zu erfahren, dass sie in der heutigen Nacht beinahe gestorben wäre.

"Dann geht das also auf deine Kappe?", hakte Akai an die Schauspielerin gewandt nach. "Hattest du uns nicht neulich noch versichert, dass deine Leute und du auf Jodie aufpassen würden? Wie konnte es dann also überhaupt zu so einer Situation kommen?" Seine Stimme klang kalt.

"Was ist überhaupt passiert?", hakte James nach.

Diesmal war es wieder Jodie, die das Wort ergriff. "Chris kann nichts dafür, also lasst sie in Ruhe. Sie hat mir ihr Blut erst gegeben, nachdem ich sie ausdrücklich darum gebeten habe. Ich wollte noch nicht sterben.", stellte die ehemalige Jägerin erst einmal entschieden fest, ehe sie seufzte und begann ihren Kameraden die Situation zu erklären. "Wie ihr vorhin am Telefon bereits mitbekommen habt, hat einer der Gegner eine unserer Tageslichtgranaten entwendet. Er hatte vor die Kämpfer beider Seiten auf einen Schlag auszulöschen. Wie hätte ich das zulassen können? Ich bin also geradewegs ins Anwesen, um die Anderen zu warnen. Wie ihr seht, hat das zum Glück auch ganz gut geklappt, leider nur war Pinga stinksauer, dass ich seinen Plan zu Nichte gemacht habe und hat mich angegriffen, noch bevor jemand hätte reagieren können."

Erneut herrschte einige Augenblicke lang Schweigen, ehe James sich die Schläfen massierte und den Kopf schüttelte. "Jeder von uns hat dir schon unzählige Male gesagt, dass es eine dumme Idee ist, ständig mit dem Kopf durch die Wand zu gehen. Was machst du bloß für Sachen?"

Jodie seufzte. "Ja, das mag wohl stimmen. Aber was hätte es gebracht zu zögern? Hätte ich nicht eingegriffen, wären die Anderen jetzt tot."

"... und wie genau soll es jetzt weitergehen?" Andre wirkte vollkommen ratlos und überfahren.

"Nun...", kurz rang auch Jodie mit den Worten. "An dem, was wir für die Zukunft geplant haben, wird sich gar nichts ändern. Mondnebels Deal mit den Vampiren bleibt bestehen. Jetzt erst recht." Sie legte eine Hand auf die Schulter ihrer Sitznachbarin. "Chris und ich werden diesen Clan gemeinsam führen und die geplanten neuen Regeln umsetzen. Für Mondnebel kann diese Planänderung, ganz praktisch betrachtet, eigentlich nur von Vorteil sein. Ich meine... ihr kennt mich und wisst, welche Wertvorstellungen ich vertrete."

"Das Kätzchen hier hat schon jetzt den ersten Befehl erteilt und ganz strikt darauf bestanden, die wenigen menschlichen Gefangenen, die sich noch in diesem Anwesen befinden, spätestens innerhalb der nächsten beiden Tage freizulassen." Chris schmunzelte schief. "Was das betrifft, wären wir um Mondnebels Unterstützung dankbar. Die Personen, die sich aktuell noch hier befinden, haben unsere Gesichter nicht gesehen. Das wird auch so bleiben. Aber die derzeitigen Gefangenen werden nach ihrer Freilassung sicherlich psychologische Hilfe benötigen. Mondnebel ist eine Zweigstelle des FBIs. Ich bin mir sicher, ihr habt entsprechende Kontakte." Die Schauspielerin schnippte sich eine Strähne zurück über die Schulter. "Ich bin mir zumindest ziemlich sicher, dass Jodie ihre Wertvorstellungen durchsetzen wird. Zur Not auch mit Zähnen und Krallen." Sie lachte leise. "Der Start hier wird für sie mit Sicherheit etwas holprig werden, aber sie steht zu keiner Zeit allein da."

Die neue Anführerin blickte ihre Stellvertreterin voller Zuneigung an, ehe sie den Blick wieder Richtung Kamera wandte. "Ihr habt es gehört. Ich werde mir schon irgendwie Gehör verschaffen, auch wenn ich mir ehrlich gesagt noch ein wenig unsicher bin, wie genau ich das anstellen soll." Sie lachte nervös, ehe sie wieder ernster wurde. "Von meiner Seite aus wird es zukünftig definitiv eine enge Zusammenarbeit mit Mondnebel geben. Ich bin jetzt vielleicht die Anführerin dieses Hauses, aber im Herzen werde ich immer eine von euch sein."

Ihr Blick wurde weicher und wehmütiger. Wie sehr sie sich wünschte, den Anderen gerade persönlich gegenüberzustehen und sie nicht nur auf dem Handydisplay sehen zu können.

"Das meine ich Ernst. Ich bin immer noch ich und das werde ich immer sein, auch wenn ich jetzt vielleicht kein Mensch mehr bin. Und ihr... ihr seid meine Freunde, fast so etwas wie eine Ersatzfamilie. Daran wird sich nie etwas ändern. Ich hoffe, dass ihr das wisst..."

Das hoffte sie wirklich. Die Vorstellung, von ihren Kameraden verstoßen zu werden, war für sie bei weitem grauenvoller, als von den Vampiren dieses Hauses eventuell nicht als neue Anführerin akzeptiert zu werden.

"Ich hoffe doch, dass du dich nie verändern und unsere Kameradin bleiben wirst.", ergriff Andre das Wort.

"Natürlich wird sie das.", stellte James klar. "Sieh dir das Mädchen von Sternenstaub an. Sie ist auch kein Mensch mehr, aber sie ist so ruhig und sanftmütig, dass sie keiner Fliege etwas zu Leide tun würde, wenn es vermeidbar ist. Warum also sollte Jodie sich da charakterlich verändern?", ergriff er Partei für sie.

Der Blondine fiel ein Stein vom Herzen. "Ich danke euch, Jungs.", wandte sie sich an Mondnebels Jäger. "Natürlich bleibe ich wie ich bin, das verspreche ich hoch und heilig."

Während sie glaubte, dass James und Andre zwar durchaus noch vollkommen durch den Wind von diesen Neuigkeiten waren, sie jedoch weiterhin akzeptieren würden, blickte Shu sie lediglich kühl und schweigend an. Höchst wahrscheinlich würde er seine Zeit brauchen, um die News zu verarbeiten.
 

~~~ Flashback Ende ~~~
 

Erneut fiel der Blick der Blondine auf das inzwischen leere Glas, welches noch vor ihr auf dem Wohnzimmertisch stand. Wieder verzog sie leicht das Gesicht, meinte sie am Rand des Glases doch noch einen leichten Blutfilm ausmachen zu können.

Wieder wurde sie sich der Tatsache bewusst, dass normale Nahrung von heute an tabu für sie war. Wenn sie daran dachte, was für eine Überwindung es sie gekostet hatte, auch nur dieses eine Glas des roten Lebenssaftes zu trinken, graute es ihr bereits vor der Zukunft.

Die junge Frau zog eine Grimasse und schüttelte sich.

Schließlich stand sie auf, lief zum Fenster und sah hinaus. Inzwischen war es schon ein wenig heller, doch jetzt im Winter würde es noch ein Weilchen dauern, bis der Tag die Nacht vollständig abgelöst hätte und das Tageslicht ihr gefährlich werden könnte.

Jodie rieb sich die Schläfen. Es erschien ihr so unwirklich, dass die Nacht von nun an ihr neuer Tag geworden war und das Licht der Sonne sie töten konnte. Was für ein absurder Gedanke.

Doch das sie die Sonne nie wieder mit eigenen Augen würde sehen können, war nur eine der vielen Tatsachen, die ihr Kopfzerbrechen bereiteten.

Sie war James und Andre dankbar, dass diese sie weiterhin akzeptierten und hoffte gleichzeitig, dass auch Shu seinen Schock überwinden und sie so behandeln würde, wie er es immer getan hatte.

Doch auch wenn ihre Kameraden sie nach wie vor akzeptierten...würden die Vampire dieses Clans es auch tun? Immerhin war sie nicht nur ein neues Mitglied der Familie, nein, sie war von jetzt auf gleich zur Anführerin ernannt worden und das vollkommen unverhofft.

Ein Teil von ihr hätte Curaçao dafür am liebsten den Hals umgedreht, ein anderer Teil von ihr hatte in gewisser Weise Verständnis für die Silberhaarige. Im Großen und Ganzen war sie jedoch vor allen Dingen nervös und fühlte sich hoffnungslos überfordert, auch wenn sie wusste, dass die Anderen sie unterstützen und keinesfalls im Regen stehen lassen würden.

Plötzlich hatte Jodie das Gefühl, als würde ihr jeden Moment die Decke auf den Kopf fallen. Das alles war gerade einfach zu viel für sie. Je mehr sie realisierte, wie sehr ihr Leben von jetzt auf gleich auf den Kopf gestellt worden war, desto erschlagener fühlte sie sich. Ihr Kopf schwirrte, ihre Gedanken rasten, wie schon so oft in den letzten Stunden.

Die Blondine beschloss, dass ihr frische Luft eindeutig gut tun würde. Besser sie begab sich jetzt gleich nach draußen, bevor es nachher zu hell wäre und sie das Haus nicht mehr verlassen konnte.

Mit einem seltsamen Gefühl in der Magengegend, lief die neue Anführerin des Clans durch den Raum, trat hinaus in den Flur und lief in Richtung der großen Halle. So weit sie wusste, führte von dort aus eine Treppe hinauf in die zweite Etage, von der aus man eine Dachterrasse betreten konnte.

Genau der richtige Ort für sie, wie sie fand. Vielleicht würde die kalte Winterluft ihr dabei helfen, sich ein wenig zu beruhigen und den Kopf wieder frei zu kriegen, wenn auch nur für einen Moment.
 

Auf ihrem Weg begegnete sie einigen der hier im Anwesen wohnhaften Vampiren. Diese waren vorhin nur flüchtig über den Anführerwechsel in Kenntnis gesetzt worden. Die Blicke, die sie trafen, waren skeptisch und vollkommen verunsichert. Ablehnung konnte sie zwar in keinem Gesicht entdecken, dennoch schien es ihren neuen Kameraden nicht leicht zu fallen umzudenken. Kein Wunder. Karasuma hatte den Clan seit Jahrhunderten mit eiserner Hand geführt und nun kam sie, ein Grünschnabel, der bis vor wenigen Stunden noch ein Mensch gewesen war. Noch dazu eine ehemalige Jägerin, die die letzten Monate das Dienstmädchen der stellvertretenden Anführerin gespielt hatte. Das es den Vampiren da nicht ganz leicht fiel, sie plötzlich als neue Anführerin zu sehen, war nur zu gut nachvollziehbar.

Hier und da grüßte man sie zögerlich, war den Vampiren des Hauses doch gleichzeitig auch klar, dass man dem neuen Clanoberhaupt Respekt entgegenbrachte, so absurd die Lage auch war.

Jodie fühlte sich seltsam, wenn nicht sogar vollkommen fehl am Platz. Bis vor Kurzem noch war sie jedem hier mit einer gesunden Portion Skepsis begegnet, aus Angst, dass ein Mitglied der Vampirfamilie ihr eventuell doch an den Hals gehen könnte. Diese Sorge hatte sich nun zwar erübrigt, doch diese Leute nun als ihren Clan, ...ihre Familie..., anzusehen, daran musste sie sich eindeutig noch gewöhnen. Generell war ihr schleierhaft, wie sie bloß so schnell in ihre neue Rolle hineinwachsen sollte, um der ganzen Verantwortung, die nun auf ihren Schultern lastete, gerecht zu werden.
 

Sie war heilfroh, als sie die Dachterrasse fand, ohne sich im Haus zu verlaufen.

Jodie öffnete die Glastür und trat hinaus. Sogleich war sie von kalter Winterluft umgeben. Es roch nach Schnee, wie sie überrascht feststellte. Noch war keine Flocke am Himmel zu sehen, doch sie war überzeugt davon, dass es bald schon anfangen würde zu schneien.

Ohne Mantel und Schal, fraß die Kälte sich recht schnell unter ihre Kleidung, doch sie ignorierte diese Tatsache vorerst.

Die junge Frau lief bis zum Ende der Terrasse, lehnte sich mit den Unterarmen auf das Geländer und blickte hinaus in die Ferne. Direkt vor ihr lag der Garten des riesigen Anwesens, sowie der Zuweg, der Haus und Straße verband. Von hier aus konnte sie auch die Silhouette der Großstadt erkennen. Um diese Uhrzeit lag New York ruhiger da als tagsüber, auch wenn diese Stadt niemals wirklich schlief.

Für den Moment genoss Jodie den wunderschönen Ausblick, den sie von hier aus hatte.

Kurzzeitig gelang es ihr abzuschalten, doch dann fanden die nagenden Gedanken einen Weg zurück in ihren Kopf. Was, wenn die Sache mit den Blutspendeeinrichtungen nicht so lief wie geplant? In New York würde das Projekt starten und schnellstmöglich auch in den Großstädten des ganzen, riesigen Landes umgesetzt werden. Wie viele Vampire lebten hier überhaupt? Würde es wirklich gelingen sie alle zu versorgen? Würde man sie als neue Anführerin akzeptieren und sich an ihr Wort halten?

Die Zukunft war so ungewiss und es gab so viele mögliche Probleme, von denen sie noch nicht mit Sicherheit sagen konnte, ob diese nun tatsächlich eintreten würden, oder aber nicht.

Sie rieb sich die Schläfen und seufzte. "Ich wollte, dass sich etwas ändert, aber dass die ganze Verantwortung von jetzt auf gleich auf meinen Schultern lastet, war so nicht geplant...", murmelte sie vor sich hin.
 

"Auf unseren Schultern, Kätzchen. Du kannst die Last ruhig durch zwei teilen.", verbesserte Chris sie. Jodie schrak auf, als die Daywalkerin sich bemerkbar machte und hinaus auf die Terrasse trat.

"Chris...!", rief sie überrascht aus. "Hast du mich erschreckt. Seit wann stehst du schon da?"

Die andere Blondine zuckte nur leicht mit den Schultern. "Ich bin gerade erst angekommen, aber Daywalker haben ein feines Gehör, wie du weißt."

Schließlich stellte Chris sich neben sie, lehnte sich ebenfalls gemütlich mit den Armen auf das Balkongelände und schmiegte sich mit der Seite an Jodie. "Du holst dir noch den Tod hier draußen."

Jodie warf ihrer Seelenverwandten einen skeptischen Seitenblick zu. "Sagt das Prinzesschen, dass nur im Kleid auf der Terrasse steht."

Für einen Moment herrschte Schweigen, welches jedoch mehr komfortabel als unangenehm war.

Die beiden Frauen blickten in die Ferne und hinaus auf New York. Die Wärme, die die Seite der jeweils anderen ausstrahlte, tat gut.

"Ich habe gesehen, dass du das Glas ausgetrunken hast. Fühlst du dich besser?", durchbrach Chris die Stille schließlich.

Jodie blickte sie an. "Von der Stichverletzung ist nichts mehr zu sehen. Ich bin wieder vollkommen fit." Sie zog eine Grimasse. "Aber das Zeug war absolut grässlich! Mir ist jetzt noch schlecht."

"Du wirst dich daran gewöhnen müssen.", stellte die Schauspielerin lediglich fest. "Anfangs erscheint es einem absurd, aber irgendwann denkst du nicht mehr darüber nach."

"Ich hoffe du hast Recht."

Wieder herrschte eine Weile lang Schweigen. Diesmal war Jodie es, die schließlich das Wort ergriff: "Je mehr ich darüber nachdenke, wie ich es anstellen soll, meiner neuen Aufgabe gerecht zu werden, desto absurder erscheint mir das alles.", gestand sie. "Ich weiß noch nicht mal, womit ich die Rede beginnen soll, die ich Morgen halten muss."

"Ich würde dir diese Aufgabe ja abnehmen, aber dich Morgen selbst an den Clan zu wenden, darum kommst du nicht herum, wenn diese Vampire dich als ihre neue Anführerin akzeptieren sollen.", antwortete Chris ihr.

Jodie schüttelte den Kopf. "Ich will gar nicht, dass du mir diese Rede abnimmst.", stellte sie klar. "Auch wenn ich mich jetzt vielleicht überfordert fühle, will ich nicht jede Verantwortung abgeben und mich nur auf Andere verlassen. Vielleicht wäre es einfacher, aber ich weiß, dass ich mich da durchbeißen muss."

Die Daywalkerin warf ihr ein Lächeln zu. "Gut gebrüllt, Löwe.", bemerkte sie, ehe sie etwas ernster hinzufügte: "Nein, ehrlich, deine Einstellung gefällt mir. Außerdem bist du der größte Sturschädel, den ich kenne und das wird dir jetzt zu Gute kommen." Sie streckte sich. "Wenn es dir hilft, halte die Rede probeweise doch erst einmal vor mir. Dann wird es dir leichter fallen, die richtigen Worte zu finden, wenn du dich morgen Abend an den ganzen Clan wendest."

Kurz dachte Jodie darüber nach und nickte schließlich. In der Nähe der anderen Blondine fühlte sie sich so sicher und natürlich, dass es ihr nichts ausmachen würde, sich ohne wirklichen Plan eine Rede aus den Rippen zu schneiden, auch wenn die Gefahr bestand, dass sie beim ersten Versuch nicht gleich die Kurve bekam. Sie wusste, dass die Schauspielerin ihr zuhören und ihr den ein oder anderen Tipp geben würde. Über eventuelle Fehler könnten sie unter vier Augen gemeinsam lachen und falls Chris sich zu sehr über sie lustig machen sollte, könnte sie sie an einige Pannen und Versprecher erinnern, die sie am Set beobachtet hatte.

"Das klingt gut.", stimmte sie der Idee also zu. "Aber nicht hier auf dem Dach. Es wird langsam kalt."

Amüsiert zog Chris eine Augenbraue hoch. "Ach, das fällt dir jetzt erst auf?"
 

Kurz schmunzelten sie beide, ehe Jodie noch etwas ganz anderes einfiel. "Ach, Chris...?", begann sie. Die Daywalkerin blickte sie fragend an. "Jetzt, wo ich das neue Oberhaupt dieses Clans bin, sollte ich folglich auch hier ins Anwesen ziehen." Das auszusprechen fühlte sich mehr als seltsam an, wobei Jodie die größeren Probleme damit hatte, sich als neue Anführerin zu bezeichnen, als darüber nachzudenken, ihre kleine Wohnung aufzugeben und in das riesige Anwesen umzuziehen. Neulich erst noch war ihr der Gedanke, im neuen Jahr wieder in ihren eigenen vier Wänden zu wohnen, so seltsam falsch vorgekommen. "Übernehme ich dann also das Zimmer des alten Anführers?"

"Wenn du das möchtest. Allerdings würde ich dir empfehlen, den Raum erst einmal gründlich putzen zu lassen. Die Asche des Alten hat sich praktisch überall verteilt." Bei der Erinnerung daran, verzog die Schauspielerin das Gesicht, doch schon legte sich wieder das für sie so typische Schmunzeln auf ihre Lippen. "Du kannst dich erstmal weiterhin bei mir einquartieren, wie in den letzten Wochen auch. Falls du das Sofa leid sein solltest, ist in meinem Schlafzimmer auch genug Platz."

Das Angebot ließ die ehemalige Jägerin stutzen und ihr Herz einen Satz machen. Endlich wieder in einem richtigen Bett zu schlafen klang gut, die Tatsache, bei ihrer Seelenverwandten zu sein, noch viel besser. Sie spürte eine Welle der Zuneigung in sich aufsteigen, gleichzeitig war da jedoch diese unbarmherzige innere Stimme, die sie daran erinnerte, wie ihr Geständnis neulich noch geendet war.

"Fühlst du dich denn nicht unwohl, dabei?", hakte sie daher anstelle einer eindeutigen Antwort nach.

"Ich? Warum sollte ich?" Die andere Blondine blinzelte ihr entgegen. In ihren grünen Augen lag milde Irritation.

"Naja..., ich habe dir neulich erst noch gesagt, wie ich für dich empfinde und du hast mir zu verstehen gegeben, dass ein Mensch und ein Vampir keine gemeinsame Zukunft haben. Ich könnte es dir nicht verübeln, dich unwohl dabei zu fühlen, neben einer Person zu schlafen, die Gefühle für dich hat."

In der Tat stellte Jodie sich diese Frage. Sie war sich nicht sicher, ob ihre Seelenverwandte ihr das Angebot nur aus Nettigkeit gemacht hatte, auch wenn ihr die Situation am Ende unangenehm war, oder aber ob sie wirklich kein Problem damit hatte.

Wobei Chris und gänzlich selbstloses Handeln? Inzwischen meinte Jodie die geringfügig Ältere gut genug zu kennen, um zu wissen, dass sie niemals etwas anbieten würde, womit sie nicht leben könnte.

Die Mundwinkel der Daywalkerin zuckten, ehe sie Mondnebels ehemalige Jägerin auslachte.

Jodie plusterte empört die Wangen auf.

"Das habe ich gesagt, stimmt. Aber ich habe dir auch zu verstehen gegeben, dass ich als deine Seelenverwandte, deine Gefühle erwidere." Chris schmunzelte. "Und die Problematik, dass Menschen und Vampire ein unterschiedliches Ablaufdatum haben, dürfte sich inzwischen erledigt haben, denkst du nicht?"

Nun war es an Jodie langsam zu nicken, während in ihrem Kopf erneut alles zu rauschen begann, diesmal jedoch aus anderen Gründen. Es stimmte, Chris hatte sie die ganze Zeit über auf Abstand gehalten, da sie hatte verhindern wollen, dass eine von ihnen verletzt wurde. Vampire waren bei weitem langlebiger als Menschen. Nun jedoch hatte sich dieses Problem erübrigt, war sie doch nicht länger menschlich. Bedeutete das am Ende also wirklich...?

Wieder war da dieses warme Gefühl, dieser Strohhalm der Hoffnung, der plötzlich wieder aufgetaucht war. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Eine Tatsache, die nicht unbedingt besser wurde, als sie das wissende Grinsen auf Chris Lippen bemerkte und sich in Erinnerung rief, dass Daywalker über ein so feines Gehör verfügten, dass die Ältere ihr wie wild klopfendes Herz problemlos hören konnte.

"... damit dürftest du wohl Recht haben.", brachte die frischgebackene Anführerin etwas lahm heraus, ehe sie ihre eigene Stimme fragen hörte: "Was genau bedeutet das jetzt für uns...?"

Um ehrlich zu sein, war sie sich nicht sicher, ob sie die Antwort auf diese Frage wirklich kennen wollte. Der Schmerz über die erste Zurückweisung war bereits groß genug gewesen.

Doch ihr Gegenüber schmunzelte bloß amüsiert und schob ihr Kinn mit einem Finger ein Stück höher. "Dummkopf.", stellte Chris fest, ehe sie sich kurzentschlossen zu Jodie lehnte und sie geradewegs auf die Lippen küsste.

Die blauen Augen der ehemaligen Jägerin weiteten sich überrascht, dann schloss sie sie und ließ sich auf den Kuss ein. Sie hatte das Gefühl, als wäre ein Schwarm Schmetterlinge in ihr aufgeschreckt und würde nun wild durcheinander flattern.

Die Lippen der Schauspielerin auf ihren fühlten sich so warm und weich, so perfekt, an. Sie konnte die Zuneigung der Älteren förmlich spüren und hatte das Gefühl, als würden ihrer beider Herzschläge sich synchronisieren.

Jodie wusste nicht, wie lange sie dort auf der Dachterrasse standen und sich küssten, doch sie genoss jede Sekunde. Als sie schließlich wieder ein Stück weit auf Abstand gingen, blickte sie geradewegs in die smaragdgrünen Augen der Schauspielerin.

Nun war Jodie es, auf deren Lippen sich ein Lächeln legte. "Es sieht wohl ganz danach aus, als würden wir von jetzt an nicht nur den Clan als Paar führen, was?"

Mit einem neckischen Schmunzeln auf den Lippen und einem gewissen Funkeln in den Augen, deutete Chris gen Himmel. "Wenn wir noch länger hier draußen stehen bleiben und es noch etwas heller wird, sieht alles ganz danach aus, als würde ich den Clan zukünftig allein leiten. Lass uns wieder reingehen, Kätzchen."

Ein Vorschlag, gegen den Jodie nichts einzuwenden hatte. Nicht nur, dass sie darauf verzichten konnte, bereits nach ein paar Stunden Bekanntschaft mit der Sonne zu machen, die Kälte des Winters ließ sich inzwischen kaum mehr ignorieren.

Gemeinsam betraten die beiden Frauen das Gebäude wieder. Rasch schloss die Jüngere die Tür hinter ihnen und zog sicherheitshalber die Vorhänge zu.

"Ich hoffe du hast geheizt. Es war keine unserer besten Ideen so lange draußen zu stehen."

"Natürlich habe ich das.", lautete die Antwort. Auch Chris konnte wohl darauf verzichten in einem eiskalten Zimmer zu schlafen. "Es ist schon bald Morgen. Versuchen wir uns noch etwas auszuruhen, bevor es Zeit für dich wird die Rede vorzubereiten.", entschied sie.

"Gute Idee. Ich bin zum Umfallen müde, nach dem ganzen Chaos heute." Jodie gähnte hinter vorgehaltener Hand, während sie gemeinsam durch das Anwesen liefen.

Als sie hinter Chris die Treppen zur ersten Etage hinabstieg, legte sich ein Lächeln auf Jodies Lippen. Ihr Blick ruhte auf dem Rücken ihrer Freundin.

Die junge Frau wusste, dass in nächster Zeit viele Probleme auf sie warten würden, die es zu lösen galt. Sie würde sich in ihre Rolle erst noch hineinfinden müssen, um eine glaubhafte Anführerin abzugeben. Der Weg, bis die Zusammenarbeit zwischen Vampiren und Mondnebel wirklich reibungslos lief, würde ebenfalls noch viel Arbeit bedeuten. Jodie wusste, dass sie in den nächsten Monaten oftmals hoffnungslos überfordert sein und manchmal sicherlich auch am Rande der Verzweiflung stehen würde, doch den Kopf in den Sand zu stecken, war für sie dennoch keine Option.

Sie wusste, dass sie Freunde hatte, die die zukünftigen Herausforderungen mit ihr gemeinsam durchstehen würden. Und nicht nur das. Wenn sie Chris betrachtete, dann wusste sie, dass sie die Nadel im Heuhaufen, oder auch ihr fehlendes Puzzlestück gefunden hatte. So unvorstellbar der Horror, in einem Vampiranwesen gelandet zu sein, für die junge Frau am Anfang auch noch gewesen sein mochte, so unverhofft war sie auf ihre Seelenverwandte getroffen. Eine Vampirin, für die sie erstmalig über den Tellerrand hinausgeblickt hatte und die für sie so hell wie die Sonne selbst strahlte.

Ihr Leben war mit dem heutigen Tag auf den Kopf gestellt worden und der Weg, bis sie sich in diesem Clan eingelebt hätte, würde in nächster Zeit sicherlich steinig sein, doch derzeit konnte Jodie trotz allem nicht leugnen glücklich zu sein.
 

~~~ Ende ~~~



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück