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Together through timeless justice

von
Koautor:  Erenya

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Ein Traum wird wahr

Wärme hüllte mich ein und Helligkeit drang durch meine geschlossenen Lider. Missmutig wollte ich mich herumdrehen und die Decke einfach etwas höher ziehen, um meine Augen vor dem Licht zu schützen. Dabei jedoch fiel ich beinahe aus dem Bett und war von einem Moment auf den nächsten hellwach. Überrascht blinzelte ich und setzte mich auf, den Blick umher schweifen lassend. Wo zur Hölle war ich hier? Ich kannte dieses Zelt nicht und auch sonst kam mir absolut nichts bekannt vor. Ich rieb mir die Schläfe. War das hier eine Art Erste Hilfe-Zelt? Falls ja, war es ziemlich chaotisch eingerichtet und es fehlten mir eindeutig die Sanitäter. Für ein typisches Camping-Urlaub-Zelt war es jedenfalls viel zu groß. Verwirrt blickte ich mich in dem Zelt um. Hier standen allerlei Taschen und Zeug - anders konnte ich das gar nicht nennen. Boxen und Kisten, ein großer Koffer und zwei vollgepackte Reisetaschen. In einer Ecke stand sogar ein kleiner Hocker vor einem Tischchen, auf dem ein Laptop neben einem Notizbuch stand.

Prüfend blickte ich an mir herab. Sommerschlafanzug, soweit unauffällig und ich fühlte mich auch nicht krank oder verletzt, also strich ich die Theorie mit dem Erste Hilfe-Zelt direkt wieder. Wo ich mich nun aber tatsächlich befand, war mir ein Rätsel. Was war das für ein komisches Zelt und wieso war es hier drin so verdammt heiß? Ich fuhr mir durchs Haar und entschied, dass die auf dem kleinen Hocker neben dem Bett liegende Kleidung wohl für mich gedacht war und zog mich erst einmal um. Ich fand zu meiner Erleichterung sogar eine Bürste. Nicht die optimalste Morgenroutine, aber immerhin ein Anfang. Um alles weitere könnte ich mir Sorgen machen, wenn ich wusste, wo ich war und - fast genauso wichtig - wie ich hierher gekommen war. Dass sich ohne mein Zutun einer meiner größten Wünsche wie von Zauberhand erfüllt hatte, ahnte ich in diesem Moment noch nicht. Diese Erkenntnis traf mich erst, als ich das Zelt verließ.

Wüste. Noch mehr Wüste. Sand und noch mehr Sand. Wären nicht die berühmten Pyramiden von Gizeh am Horizont zu sehen gewesen, ich hätte ernsthaft daran gezweifelt, wo ich war. So jedoch konnte kein Zweifel bestehen. Auch wenn ich mir absolut nicht erklären konnte, wie und wieso dieser Traum wahr geworden war, es erfüllte mich mit Euphorie. So sehr, dass mir sogar ein quietschiger Freudenlaut herausrutschte, der wohl nicht unbedingt zu meiner Würde beigetragen hätte, hätte ihn jemand gehört. Ich traute meinen Augen kaum, aber… ich war ohne jeden Zweifel in Ägypten! Diese Erkenntnis nahm mich so sehr ein, dass ich zunächst gar nicht bemerkte, dass ich nicht alleine war. Ich hatte nur Augen für die weite Wüste, die sich vor mir ausbreitete und die Silhouetten der Pyramiden. Hatte ich je etwas Schöneres gesehen?
 

“Guten Morgen, Daelis”, riss mich eine Frauenstimme aus meinen Gedanken und lenkte meine Aufmerksamkeit auf zwei Fremde, die mich jedoch zu kennen schienen, zumindest, wenn ich die Mienen der beiden richtig deutete. Mir waren gleichermaßen die Frau, die aus einem asiatischen Land zu stammen schien, als auch der Mann, der aussah, als könnte er Ägypter sein, absolut fremd. Beide hatte ich noch nie gesehen und entsprechend irritiert starrte ich beide an, als sie mich heranwinkten. “Ich versteh echt nicht, wie du dich jeden Morgen aufs Neue über die Pyramiden freuen kannst”, plauderte der Mann mit dem dunklen Teint auf mich ein, als würden wir uns gut kennen. Er nippte an seinem Kaffee. “Du bist heut ganz schön spät. Naomi ist schon losgefahren, um Vorräte zu holen. Normalerweise bist du doch eine Frühaufsteherin. Alles in Ordnung?” Ich nickte nur verdattert, noch immer etwas unsicher, was hier überhaupt los war. “Gib ihr einen Moment”, lachte die Frau, die ihm gelassen auf die Schulter schlug. Wie in aller Welt war ich nach Ägypten gekommen? Nicht, dass ich nicht hier sein wollte, denn das wollte ich unbedingt, doch Sinn machte das alles für mich noch überhaupt nicht. Ich sollte nicht hier sein.

Zum Glück schienen meine Kollegen es auf auf morgendliche Müdigkeit zu schieben, dass ich sie erst ansah, als sie mich erneut ansprachen. “Frühstücke am besten erst einmal. Ich weiß, das ist nicht so dein Ding, doch du wirkst heute etwas neben dir, Liebes.” Beschwichtigend rieb sie mir die Schulter, als ich mich zu ihr und dem Mann an den Tisch setzte. Ich hatte nicht den blassessten Schimmer, wer die Asiatin war und wieso wir offenbar zusammen an einer Ausgrabung in Ägypten teilnahmen, doch auch sie behandelte mich so vertraut wie eine Freundin und drückte mir jetzt sogar noch eine Tasse in die Hand, die zu meiner Erleichterung keinen Kaffee sondern kalten Kakao enthielt. Dankbar nickte ich ihr zu und nahm einen Schluck.

“Hab nicht so gut geschlafen”, murmelte ich halb entschuldigend, während ich noch versuchte, mir ein Bild davon zu machen, was hier überhaupt los war. Die Asiatin lachte. “Wundert mich überhaupt nicht. Dich gestern aus der Grube zu kriegen, war ja schier unmöglich. Hätte man dich gelassen, hättest du bestimmt noch die ganze Nacht dort verbracht und versucht, diesen Stein auszugraben, den du entdeckt hast.” Sie schüttelte fast tadelnd den Kopf, als wolle sie sagen, der Stein laufe mir ja nicht weg, so lange er da schon liege. Unrecht hatte sie damit wohl nicht. Neugierig war ich auf diesen Stein nun zwar allemal, aber dennoch fand ich, wäre es wichtiger, herauszufinden, wie ich hier gelandet war und wer diese Leute waren, die mich scheinbar kannten.
 

“Müsli?”, bot mir der Mann an und füllte eine Schale, noch bevor ich ablehnen konnte. Wenig enthusiastisch goss ich Milch darüber. Ein Frühstücksfan war an mir wirklich nicht verloren gegangen, aber immerhin schmeckte es und gab mir Zeit, ein wenig über alles nachzudenken, was ich sah. Ägypten. Ich war wirklich und wahrhaftig in Ägypten. Allein dieser Gedanke sorgte dafür, dass mein Herz vor Aufregung raste. Hier hatte ich immer hingewollt, schon fast mein ganzes Leben lang. Meine Gedanken wanderten zurück zu den Worten des Mannes. Wir konnten auf Fundstücke hoffen? Also waren wir dann wohl schon länger hier? Cool. Daran konnte ich mich nur blöderweise überhaupt nicht erinnern. Das hieß leider auch, dass ich keine Ahnung hatte, wie die Grabungsstelle aufgebaut war und welche Position ich hier überhaupt einnahm. Sollte ich vielleicht eine spontane Amnesie vortäuschen? Dass ich das Gefühl hatte, aus einer anderen Welt hierher gebracht worden zu sein, würde wohl keinen überzeugen, obwohl ich noch so aussah wie immer und mich auch sonst ganz normal fühlte. Jedes Muttermal war genau da, wo es sein sollte. Das hier war definitiv ich.

“Was meint ihr, steht auf dem Stein?”, erkundigte ich mich betont beiläufig, war dabei aber wohl nicht wirklich überzeugend. Offenbar sah man mir die Aufregung an. Ich fühlte mich wie ein Kind, dessen größter Traum gerade wahr geworden war, und die Vorstellung hier im Wüstensand etwas auszugraben, das vor Jahrtausenden für die Menschen von Bedeutung gewesen war, machte mich ganz kribbelig. “Ah, da wird jemand wach. Sehr gut. Keine Ahnung, sag du es uns, Miss Ausgrabungsleiterin. Du bist die Spezialistin und so wie ich dich kenne, wirst du uns sowieso die halbe Nacht damit in den Ohren liegen”, grinste mich die Frau an, klopfte dann dem Mann auf die Schulter. “Gehst du mir noch bei der Kartierung zur Hand, Arif?” Er nickte und leerte seinen Kaffee in einem Zug. “Iss du ruhig erst zuende, Daelis”, flötete mir die Frau noch zu. Arif lachte entspannt und hob noch die Hand zum Abschied, ehe er ihr folgte.
 

Brav hatte ich genickt, dann aber doch wieder mein Zelt angesteuert. Das Müsli hatte ich halb aufgegessen neben Arifs Kaffeetasse stehen lassen. Im Moment hatte ich wirklich andere Probleme, als mir über eine ausgewogene Ernährung Gedanken zu machen. Ich wusste zwar, wo ich war, aber nicht wie ich hergekommen war und wieso ich die Leiterin dieser Ausgrabung sein sollte, schließlich hatte ich niemals Archäologie studiert. Ich wusste ja nicht einmal, wonach wir hier suchten. Noch schwerer machte meine Lage, dass ich außer Arif keinen hier mit Namen kannte, dabei war ich sicher, dass es hier noch mindestens ein halbes Dutzend weitere Leute geben musste, darunter garantiert ein Geologe, vielleicht sogar jemand mit Sprengstoffkenntnissen, wenn wir nach unter Stein verborgenen Grabstellen suchten.

Meine Gedanken rasten, doch mein Grinsen blieb. Ich war in Ägypten! Ich war wirklich hier und es war absolut berauschend. Am liebsten wäre ich sofort zu all den Orten gereist, die mich schon so viele Jahre lockten. Wie schön musste der Tempel von Abu Simbel sein, wie erhaben die Höhen und Tiefen des Tals der Könige und wie hinreißend die letzten Ruinen des Bastet-Tempels von Bubastis? Schon in meinen Gedanken kam ich ins Schwärmen. Dass ich einmal in Ägypten nach altertümlichen Fundstücken graben würde, hatte ich mir schon als Kind ausgemalt. Archäologie hatte mich von klein auf begeistert, im Kindergarten und der Grundschule sogar Paläontologie. Schnell jedoch hatte das alte Ägypten seinen Weg in mein Herz gefunden. Immer schon hatte ich hierher gewollt, hatte die Luft der Wüste riechen und die Pyramiden mit eigenen Augen sehen wollen. Dass mein Wunsch sich aber so von einem Moment auf den anderen erfüllen würde, indem ich einfach in Ägypten aufwachte und mich als Leiterin einer Grabungsstelle wiederfand, hatte ich niemals erwartet.

Was genau ich an dieser Grabungsstelle zu finden hoffte, sollte ich wohl besser schnell in Erfahrung bringen, wenn ich nicht wollte, dass man mich schneller von hier weg und in eine Zelle mit gepolsterten Wänden beförderte, als ich gucken konnte. Zum Glück halfen mir meine offenbar eigenen Notizen weiter. Zumindest waren sie in meiner Handschrift verfasst. Neugierig ging ich die Seiten durch. Einige Tonscherben hatten uns erst auf diesen Ort aufmerksam gemacht, von dem ich inzwischen offenbar annahm, es handele sich um eine Art kleine Kultstätte, an der Opfergaben dargebracht und Gebete gesprochen wurden. Die Halskette, die man hier vor kurzem gefunden hatte, war auf etwa 1250 vor Christus datiert worden und fiel somit in die Zeit von Ramses des II., des bedeutendsten aller ägyptischen Pharaonen. Meine Neugier war allemal geweckt.
 

Wenn ich eines sicher sagen konnte, nachdem ich alles mehrmals überflogen hatte, dann, dass ich meine Arbeit liebte. Ich liebte jeden Moment davon, begonnen mit der Aufregung, wenn sich herauskristallisierte, das eine Fundstelle versprach, noch mehr preiszugeben, bis zur Grabung selbst und der Datierung der Fundstücke. Auch jetzt nahm mich die Vorfreude auf das ein, was ich hier erfahren würde, dabei war das hier gar nicht mein Leben. Hätte es das vielleicht sein können, hätte ich mich damals für das Studium entschieden? Der Gedanke ließ mich fast wehmütig werden, dabei hatte ich eigentlich nie bereut, mich dagegen entschieden zu haben. Im Moment jedoch spielte das wohl keine Rolle, denn hier war ich: Inmitten von heißem Sand bei Temperaturen, die ich ekelhaft fand, woran auch der Schatten eines Zeltdaches nichts ändern konnte, und doch berauscht vor Glück.

Mir war zwar absolut schleierhaft, wie das hier möglich war, doch beklagen würde ich mich nicht. Es war schlicht zu schön. Gerade wollte ich das Notizbuch zuschlagen, als mir eine Papierecke auffiel, die zwischen den Seiten herausragte. Neugierig zog ich daran und hielt im nächsten Moment auch schon einen Brief in den Händen, der meine gute Laune direkt etwas dämpfte, als ich ihn las. Die Zeilen stammten von der U.A. High School in Japan, die mich einlud, als Lehrerin an die Schule zu kommen, um mein Wissen mit den “Helden der Zukunft” zu teilen und damit die Welt zu verändern. Ganz schön hochtrabende Meinung, die sie da von ihren Schülern hatten, tat ich die Formulierung einfach ab und schob den Brief zurück. So blöd konnte ich kaum gewesen sein, dieses Angebot anzunehmen. Wieso sollte ich irgendwelche Bälger unterrichten wollen, wenn ich stattdessen das hier genießen konnte? Nein, keine Chance. Das konnte gerne jemand anderes machen. Die Chance, diesen Traum zu leben, würde ich auf keinen Fall dagegen eintauschen, Lehrer zu werden. Kurzentschlossen nahm ich das Notizbuch nebst des mit einem Band daran befestigten Kugelschreibers mit.
 

An mein halb aufgegessenes Müsli dachte ich schon lange nicht mehr. Dazu war ich viel zu aufgeregt. Etwas planlos sah ich mich in dem kleinen Lager um. Jetzt bemerkte ich auch, dass es noch sechs weitere Zelte gab, von denen eines weit offen stand. Sah aus, als lagere dort Equipment. Ich wollte mich gerade dorthin wenden, als mich die Asiatin abfing und in eine andere Richtung deutete. “Hey, ist es besser jetzt?” Ich nickte. “Gut, aber übernimm dich nicht, ja?”, mahnte sie und klang dabei fast mütterlich, dabei konnte sie nicht viel älter sein als ich es war. “Werde ich nicht”, versprach ich. “Aber ich möchte einfach Antworten!” Ich stockte. “Also… die Steintafel”, fügte ich hastig hinzu und erntete ein Lachen. “Klar. Gehen wir zusammen?” Automatisch nickte ich, obwohl ich nichtmal wusste, was sie meinte, ehe uns unser Weg zu den Grabungsstellen führte.

Dort angekommen hielten wir beide kurz inne. “Dann bin ich ja mal gespannt, was du da freilegst. Vielleicht bestätigt sich ja deine geheime Theorie.” Ich hatte keine Ahnung, von was für einer Theorie sie sprach. In dem Notizbuch hatte ich nichts Spezielles gefunden, nur allgemeine Hinweise auf das Alter der bisherigen Fundstücke und eine kleine Kultstätte. Das war allerdings wirklich nicht weiter ungewöhnlich und so wie die Asiatin mich angrinste, steckte hinter meiner geheimen Theorie mehr. “Vielleicht wissen wir heute Abend mehr”, flötete ich also nur gut gelaunt. Wenn ich schon hier war, konnte ich es auch genießen, ganz egal ob ich einfach nur realistisch träumte oder wirklich unvermittelt in einer alternativen Zeitlinie gelandet war. Das schien mir neben den Möglichkeiten Traum, Koma und Tod nämlich im Moment noch die naheliegendste Erklärung für all das hier.
 

Mehrere kleine Vertiefungen von etwa zwei Quadratmetern lagen vor uns und als meine Kollegin in die erste kletterte, steuerte ich die daneben liegende an. Pinsel, eine kleine Schaufel und ein Meißel lagen sogar schon bereit und warteten auf mich. Dass hier jemand begonnen hatte, etwas aus dem Sand und Gestein zu bergen, konnte man gut sehen. Etwa zwei Handbreit ragte eine steinerne Tafel empor. Bitte sei keine Fälschung, ging es mir durch den Kopf, als ich mich mit klopfendem Herzen ans Werk machte, um die Tafel Stück für Stück freizulegen. Im Ganzen, ahnte ich nach einiger Zeit, wäre sie wohl in etwa so groß wie eine handelsübliche Tageszeitung. Zum Glück stand sie nicht aufrecht, sondern lag schief, sodass ich bald ein Relief erkennen konnte, welches ich behutsam vom Sand der Zeit befreite, um es genauer betrachten zu können. Auch jetzt noch schien mir all das hier wie ein unglaublich realistischer Wunschtraum und auch wenn das in den Ohren der meisten Leute wohl albern klänge, war diese Steintafel damit gewissermaßen mein Baby. Vielleicht hatte mein Ich dieser Welt schon etwas ausgegraben, doch ich - ich, die keine Ägyptologin war - hatte das nicht und ein Teil von mir hätte vor lauter Glück am liebsten geheult. Nichts und niemand könnte mir diesen Moment ruinieren.

In meinen Augen war das Relief, das ich nach und nach freilegte, einfach nur wunderschön. Zärtlich strich ich mit den Fingerspitzen darüber und pustete etwas Sand weg, sodass ich schemenhaft schon die unter dem Relief eingemeißelte Inschrift erkennen konnte. Meine Aufmerksamkeit galt allerdings zunächst dem Bildnis eines Mannes, dessen Haupt jedoch keine Krone zierte, obwohl er eindeutig heroisiert dargestellt worden war. Die Tracht eines Priesters trug er auch nicht und einen Gott stellte das Bild ebenfalls nicht dar, sodass ich genauer hinsah. Offenbar zeigte die Tafel eine Art Volkshelden, der eine gigantische Bestie bezwang, deren Bildnis nicht mehr ganz erhalten war. Sah auf jeden Fall nicht aus wie ein Krokodil oder die Fresserin, machte ich mir eine mentale Notiz. Sehr seltsam.

Erst jetzt glitt mein Blick vom Relief hin zur Inschrift, die ich eigentlich nicht lesen können dürfte. Dennoch arbeitete mein Verstand mahlend daran, als erkenne er Zeichen und Symbole und bemühe sich nun, sie zu entziffern. Ein wenig wie bei einer sehr alten Erinnerung, deren Details einem zwar entfallen waren, aber deren Grundzüge man noch genau vor Augen hatte. Anders konnte ich mir nicht erklären, wieso ich zu dem Schluss kam, dass der Text wohl von jemandem handelte, der übermenschliche Kräfte erweckte. Klang für mich nicht unbedingt typisch für das alte Ägypten. Ob das Relief von einer lokalen Sage handelte, die ich nur nicht kannte und die mir deshalb so rätselhaft erschien? Aufgeregt begann ich, die Symbole in mein Notizbuch abzuzeichnen, um sie mir später nochmal in Ruhe anzusehen und vielleicht auch herauszufinden, wie ich sie hatte übersetzen können, denn natürlich hatte ich nie Hieroglyphen zu lesen gelernt.
 

Kaum hatte ich die Symbole aufgezeichnet und wollte mein Buch zuschlagen, um die Steintafel weiter freizulegen, damit sie aus dem Sand gehoben werden könnte, als ein schriller Schrei meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Das war doch die Asiatin von eben gewesen? Erschrocken sah ich auf und sah doch nichts außer einen violettschwarzen Nebel, der sich wie ein eigenständiges Wesen bewegte und meine Kollegin mit erschreckender Leichtigkeit zu mir herabstieß, wo sie ächzend liegen blieb und sich zusammenkrümmte. “Was…?” Fassungslos starrte ich zu dem Nebel hoch, als dieser auch schon von einem anderen Aufschrei abgelenkt wurde. War das etwa Arif? Kalte Angst kroch mir den Rücken hoch. Was passierte hier? An die vielen altägyptischen Flüche glaubte ich nicht, sonst wäre ich jetzt wohl auf die Idee gekommen, einer von ihnen habe vor, sich meines Unglaubens zum Trotz, zu erfüllen.

Eilig beugte ich mich über die Asiatin. “Bist du verletzt? Geht es?” Noch während ich sie das fragte, versuchte ich bereits, sie mit mir hochzuziehen. Was immer hier los war, wir sollten es besser meiden, soweit war ich mir sicher. Die Frau nickte matt und zitterte doch am ganzen Leib, ehe sie eine Hand hob und die Luft davor zu flirren begann, als hätte sich dort Hitze gebündelt. Verwirrt starrte ich dorthin, dann zog mich die Frau mit sich. “Komm mit, wir müssen hier weg. Lange wird das keinen ablenken”, hielt sie mich zur Eile an. Nicht? Ich war ziemlich abgelenkt. Allerdings auch nur so lange, bis von ein weiterer Schrei ertönte, dann beeilte ich mich, meiner Kollegin zu folgen.

Hoffentlich war Arif in Ordnung, kam es mir in den Sinn. Wie von selbst glitt mein Blick über meine Schulter in Richtung des Aufschreis und fiel dabei auf eine Gestalt. Dieser seltsame Nebel hatte menschliche Gestalt angenommen. Wie war so etwas nur möglich? Und wieso hatte ich das unangenehme Gefühl, diesen Nebel schon einmal gesehen zu haben? Wo hatte ich den nur gesehen? Vielleicht irrte ich mich auch und er erinnerte mich bloß an das Pokémon Nebulak. Ich schüttelte den Gedanken ab und zog meine Kollegin in den Schatten eines Zeltes. Dabei warf ich einen Blick über die Schulter. Der Nebelmann folgte uns nicht, was jedoch nicht unserer Subtilität zu verdanken war, sondern vielmehr einem seltsamen Tornado, der ihn herumzerrte. Von Arif hingegen konnte ich keine Spur entdecken. “Zum Auto”, bedeutete ich der Frau neben mir, als ich einen Jeep entdeckte. Sie zögerte kurz, nickte dann aber.
 

Weit kamen wir nicht, doch das war zum Glück auch nicht nötig. Der wilde Wirbel, der den Nebel in Schach gehalten hatte, umkreiste uns und kam schließlich zum Halten. Instinktiv wollte ich zurückweichen, doch der Griff meiner Kollegin hielt mich an Ort und Stelle. “Whirlwind!”, freute sie sich hörbar und erntete von mir einen verwirrten Blick, wenngleich nur kurz, denn im nächsten Moment fiel mein Blick auch schon auf eine junge Frau, die nun vor uns stand und uns mit erhobener Hand begrüßte. Entgeistert starrte ich sie an. Was zur Hölle? Aus welchem Marvel-Streifen war die denn bitte gehüpft? Das blau-goldene Kostüm nebst glitzernder Schärpe war gleichermaßen Blickfang wie Augenkrebs im Endstadium. Was musste einen Menschen reiten, um diese Modesünde freiwillig anzuziehen? Das hier war wohl kaum der richtige Ort, noch die richtige Zeit für Cosplay.

“Freue mich, zu Diensten zu sein”, flötete uns die Frau entgegen, deren schwarze Locken munter wippten, als sie eine Verbeugung andeutete. “Sie sind jetzt in Sicherheit. Der Angreifer hat sich verdünnisiert.” Zögerlich hob ich die Hand zum Gruß, den Enthusiasmus meiner Kollegin eindeutig nicht teilend. “Hi.” Was für eine seltsame Person. “Da kam ich ja gerade noch rechtzeitig”, flötete Whirlwind uns entgegen. Zumindest nahm ich an, dass meine Kollegin damit die Frau gemeint hatte, denn auf dem bunten Glitzerkostüm konnte ich das stilisierte Bild eines Wirbelsturms erkennen. “Wie kommen Sie überhaupt hierher?”, wollte ich verdattert wissen und erntete ein vergnügtes Kichern. “Mir ist nicht allzu weit von hier seltsamer Nebel aufgefallen, also bin ich dem hierher gefolgt und wie sich zeigte, war das eine gute Entscheidung. Sie habe ich nämlich sowieso gesucht”, fasste sie mich in den Blick. Am liebsten hätte ich direkt kehrt gemacht. Welche verfickte Kacke hier auch abging, damit wollte ich nichts zu tun haben. Ich wollte zurück zu der Steintafel, zu meinen Notizen und all den herrlichen Dingen, die im ägyptischen Sand noch auf mich warten könnten.

“Ach? Wieso denn das?”, hakte ich zögerlich nach, mich zu einem Lächeln zwingend, während meine Kollegin sich nun endlich von mir löste und nur noch flüsterte, sie wolle nach Arif sehen. “Um Sie abzuholen, natürlich”, war Whirlwinds Antwort, die ich mit unbegeisterter Miene quittierte. “Mich mitnehmen?” “Aber natürlich”, gab sie sofort gut gelaunt zurück. “Offenbar gab es bereits die Ahnung, dass Sie hier etwas überaus bedeutsames finden würden, weshalb die U.A. High noch einmal dringend auf ihr Angebot, dort zu unterrichten, hinweisen möchte. Obendrein”, zwinkerte sie mir zu, “sind Sie dort auch sicher. Sie und ihr Fund. Was ist es überhaupt?” Wie konnte sie nur so entspannt bleiben, während ich nicht übel Lust hatte, wahlweise sie, den Nebel von vorhin oder auch die Zeltwand anzuschreien?
 

“Am besten, Sie packen direkt”, fuhr sie fort, ehe ich überhaupt wieder klar genug denken konnte, um richtige Fragen zu stellen. “Keine Sorge. An der U.A. High School sind Sie sicher. Nirgends gibt es mehr bedeutsame Superhelden und obendrein wird doch All Might ab jetzt auch dort unterrichten.” Jetzt fiel auch bei mir der Groschen. Das hier war eindeutig kein ”Was wäre, wenn ich Ägyptologin geworden wäre”-Szenario. Leider. Ich war in Boku no hero academia gelandet. Nur… irgendwie an sehr unerwarteter Stelle. Hieß das nun, dass ich auch so einen Quirk hatte und irgendetwas besonderes konnte? Sofort dachte ich an meine Kollegin, die ja diese flirrende Luft geschaffen hatte. Das war dann wohl ihre Fähigkeit, wie genau die auch immer funktionierte. Whirlwind hatte sich ja bereits von selbst erklärt. Doch was war mit mir? “Miss?”, riss mich die junge Heldin aus meinen Gedanken. “Ist alles in Ordnung? Wurden Sie verletzt?” Ich schüttelte nur steif den Kopf. “Nein. Nein, ich bin… nur ein wenig überrascht”, versuchte ich mich rauszureden und erntete einen fast mitleidigen Blick. “Für jemanden wie Sie”, meinte Whirlwind nun selbst zögerlich, “ist das sicher sehr beängstigend. Sie haben ja... Nunja, Sie haben halt keine eigene Fähigkeit, um sich zu verteidigen.”

Toll. Ganz, ganz toll. In einer Welt, in der der Großteil der Leute eine besondere Fähigkeit hatte, die übernatürlich anmutete, konnte ich nichts. Vielleicht sollte ich mich nicht beklagen, immerhin war ich spontan Ägyptologin geworden, doch ein wenig fraß es mich doch an. “Schon gut”, wehrte ich barsch ab. “Aber ich gehe ganz bestimmt nicht, ohne mit meinen Kollegen alles Wichtige geklärt zu haben und die Steintafel, die ich gerade freilege, sicher zu wissen. Wenn ich raten müsste, ist sie es nämlich, hinter der man her sein wird.” Auch wenn ich noch nicht alles hatte entziffern können, war das nun nicht mehr schwierig zu erraten und besonders nach der Andeutung, die meine Kollegin am Morgen gemacht hatte, wurde ich das unangenehme Gefühl nicht los, dass die Steintafel besser nicht in falsche Hände geraten sollte. Mein Wissen darum war plötzlich unangenehm gefährlich geworden, denn jetzt dämmerte mir auch, woher ich diesen Nebel kannte. Irgendsoeine Antihelden-Vereinigung. Scheiße. Woher wusste die bitte von dieser Ausgrabung?

“Natürlich, aber wir sollten uns dennoch sehr bald auf den Weg machen. Ich kontaktiere die U.A.”, erklärte Whirlwind ernst. “Bis man uns abholt, haben Sie dann Zeit.” Oh man. Das konnte ja heiter werden. Das hieß dann wohl, dass ich erstmal unter Personenschutz stand und nicht würde hier weiterarbeiten können. Das Vergnügen war groß, aber leider kurz gewesen. Wehmütig wanderte mein Blick über die Ausgrabungsstätte. Sollte ich hoffe, dass das alles hier nur ein blöder Scherz war? Schön wäre es. Fühlte sich eher an, als wäre ich grob fahrlässig in eine Fanfiktion geschubst worden, die als Erfüllung meiner Träume begann und dann zügig in einen Alptraum ausartete. Wenn das hier ein Mary Sue-Projekt war, konnte ich nur beten, dass sich nicht Erenya als meine Göttin austobte, sonst könnte ich mich auch direkt selbst in der Wüste einbuddeln.

Direktor Nezu

Whirlwind hatte nicht zu viel versprochen und mich tatsächlich bis zur Akademie begleitet. So hatte ich zumindest auf dem Flug jemanden gehabt, mit dem ich mich unterhalten konnte, wenngleich die Heldin mir nichts Neues über den Angriff auf die Grabungsstätte hatte erzählen können. Ebensowenig, wie es meine eigenen Aufzeichnungen gekonnt hatten. Die zeugten nämlich vor allem von meiner großen Liebe zum alten Ägypten, von der Aufregung, wenn sich neue Erkenntnisse ergaben und den schlaflosen Nächten, wenn mich eine davon nicht losließ. Von diesen Nächten folgten nach meiner Ankunft in Japan noch so einige. Bisher hatte ich noch nie einen Jetlag erlebt, doch nach dem langen Flug holte ein solcher mich mit voller Gewalt ein, sodass ich von Glück sagen konnte, dass ich kurz vor den Abschlussprüfungen eintraf und die Akademie beschied, dass es vorerst genügte, wenn ich hin und wieder als Besucher im Unterricht saß, um mir ein Bild zu machen, und bei Bedarf erkrankte Lehrer vertrat, während ich mich an alles gewöhnte. Und zum dran gewöhnen gab es eine Menge. Alles erschien mir fremd. Angefangen mit der Kultur selbst, bis hin zu all den Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten. Sie alle mochten damit groß geworden sein, doch nach meinem Ermessen war ich erst jetzt in dieser Realität angekommen und ich ertappte mich immer wieder dabei, wie ich einen neuen Quirk gedanklich zerlegte oder sichtbare Auswirkungen staunend beobachtete.

Nach wenigen Wochen jedoch war das meiste Teil der Normalität für mich geworden. Alles hier mochte bis vor wenigen Wochen nicht mein Leben gewesen sein, jetzt allerdings wurde es das mit jedem Tag etwas mehr. Dennoch dachte ich nicht selten wehmütig an alles, was ich im Tausch hierfür verloren hatte. Ich vermisste Zuhause, vermisste mein altes Leben. Ob ich jemals dorthin zurückkehren könnte? Könnte ich überhaupt irgendwem verraten, was mir widerfahren war oder würde man mich für verrückt erklären? Für den Moment wollte ich das lieber nicht ausprobieren.

Während der ersten Tage schon hatte ich einen Überblick über meine Lehrerkollegen bekommen, wenngleich die meisten während der folgenden Wochen nur flüchtig kennengelernt. Unerwartet gab es nämlich noch andere Aufgaben, die nach meiner Aufmerksamkeit verlangten. Wie sich zeigte, hatte ich nämlich vorher für eine Universität im Feld gearbeitet und die erwartete den einen oder anderen Bericht zu den Funden und ihrer Bedeutung. Zwar schrieb ich diese Berichte jedes Mal pflichtbewusst, aber zugleich trieben sie mich jedes Mal an den Rand des Wahnsinns. Ohne die vielen sorgsam geführten Notizbücher, die mein anderes Ich hier geführt hatte, wäre ich verloren gewesen.
 

Die meiste Zeit verbrachte ich schließlich jedoch damit, mich mit dem vorgeschriebenen Unterrichtsstoff zu beschäftigen, den ich unterrichten würde. Einiges davon war für mich immerhin auch neu. Besonders die jüngere Vergangenheit stellte mich vor lauter neue Fragen und Antworten. Dass ich im Unterricht vor allem mit älterer Geschichte konfrontiert wäre, war da sicher etwas Gutes. Die Zeiten, in denen kein Mensch einen Quirk hatte, kam den Leuten hier zwar fremd und unvorstellbar vor, doch ich hatte es ja wirklich nur so gekannt und vielleicht könnte ich deshalb umso besser vermitteln, wie der Alltag ohne Quirks ausgesehen hatte. War ich jedoch ehrlich, freute ich mich mehr darauf, über die Antike oder die Renaissance zu sprechen, die beide auf dem Lehrplan standen, der leider auch so manch drögen Pflichtstoff beinhaltete. Ich hoffte nur, dass es nicht zu viele Schüler gab, die meinen Unterricht eigentlich nur absitzen wollten. Dass es lästige Fächer gab, die man nur mitmachte, weil man keine Wahl hatte, daran erinnerte ich mich zu gut. Ich konnte meine zukünftigen Schützlinge also gut verstehen. Jedoch hatte ich schon als Schüler Lehrer gehasst, die aus Prinzip jedem eine mittelmäßige Note gaben, weil sie nicht den Ärger riskieren wollten, eine berechtigte schlechte Note zu geben und sich dann mit wütenden Helikoptereltern befassen zu müssen. So ein Lehrer wollte ich auf keinen Fall sein. Ich wollte diejenigen belohnen, die sich bemühten, auch wenn Geschichte vielleicht nicht ihr Ding war.

In mancher Hinsicht, glaubte ich, würde es fast wie im Abitur. Nur, dass ich auf der anderen Seite des Pultes stünde und mich nicht länger vor Klausuren und Referaten fürchten müsste. Letztere allerdings müsste ich dann gefühlt jeden Tag halten. Nicht unbedingt ein Traum. In der Schule hatte ich es gehasst, etwas vortragen zu müssen. Doch auch das würde sicher mit der Zeit einfacher. Was mir einige Sorgen bereitete, waren die Quirks. Nicht nur, dass einige Schüler ihre Quirks benutzen würden, um zu schummeln, sie würden mich vielleicht nicht ernst nehmen, weil ich keinen Quirk hatte. War man ehrlich, wäre ich jedem von ihnen in einer körperlichen Auseinandersetzung weit unterlegen. Dass dieser Umstand meine Schützlinge dazu verleiten würde, mir auf der Nase herumzutanzen, ahnte ich. Quirk oder nicht, ich wollte, dass mich meine Schüler als Lehrerin ernst nahmen.

Hinter meinem Rücken war ich vielleicht sogar seitens der Lehrer, die immerhin alle Helden waren, das Ziel gewissen Spotts und Skepsis, weil ich ohne Quirk ausgerechnet an einer Schule für zukünftige Helden unterrichtete. Wie viel Kritik dafür auch die Schulleitung hatte einstecken müssen, wollte ich mir nicht einmal ausmalen. Dennoch war es die Schule selbst gewesen, die mich gebeten hatte, hierher zu kommen und zu unterrichten. Das machte mich schon etwas stolz, auch wenn ich mich ein wenig zurück in die sandige Wüste Ägyptens wünschte.
 

Zum Glück schien tatsächlich niemandem in dieser Welt aufzufallen, dass ich nicht hierher gehörte. In meinem Handy hatte ich nur wenige Kontakte gefunden, fast alles Archäologie-Kollegen, die genau wussten, wo ich jetzt war, und mit denen mich scheinbar keine zu enge Freundschaft verband, denn bis auf ein paar oberflächliche Nachrichten tauschte ich nichts mit ihnen aus. Wie auch immer mein Ich dieser Welt gelebt hatte, sie war mir offenbar nicht zu unähnlich und pflegte glücklicherweise eher sporadischen Kontakt zur Familie, was mir nur recht war. Außer meiner Schwester war ich ja auch keinem nahe gewesen.

Ein echter Luxus lag auf jeden Fall darin, dass ich in der U.A. wohnen konnte, auch wenn mir direkt bei Einzug mitgeteilt wurde, dass diese Maßnahme vor allem meinem Schutz diene. Immerhin wären, das wurde Nezu nie müde zu betonen, gewisse Leute eindeutig hinter mir und meinem Wissen her. Abseits und ohne Schutz zu leben, käme also nicht in Frage. Ich fand diese Sicherheitsmaßnahmen etwas übertrieben. Solange niemand meine Adresse herausposaunte, war das doch kein Problem. Schließlich war ich kein Promi, dem dauernd Paparazzis folgten. Abgesehen davon glaubte ich ohnehin nicht, dass man wirklich hinter mir her war. Eher hinter der ägyptischen Steintafel und die war selbstverständlich in der Schule versteckt. Wenigstens die nahe Stadt konnte ich alleine besuchen, obwohl ich wusste, dass Schuldirektor Nezu auch das nicht guthieß. Ich sollte, so seine Worte, zu meinem eigenen Wohl auf dem Schulgelände bleiben, wo es genug Helden gab, die direkt eingreifen könnten, falls sich tatsächlich einer meiner Verfolger hierher wagte. Er meinte es sicher gut, aber mir gefiel der Gedanke, eine Ausgangssperre zu bekommen, so überhaupt nicht. Also ging ich dennoch und erkundeten die Stadt, jedoch nicht, ohne mich einige Male zu verlaufen und nach dem Weg fragen zu müssen. Das war auch das einzige, was mich als ortsfremd verriet. Niemand hier kannte mich und dank der ganzen Veränderungen, seitdem Quirks normal geworden waren, fielen nicht einmal mehr mein doch eindeutig europäisches Aussehen in Japan auf. Zumindest nicht mehr wirklich.
 

“Daelis? Direktor Nezu hat nach dir gefragt. Er will wohl irgendetwas Wichtiges mit dir besprechen”, hielt mich Sekijiro Kan, einer meiner Kollegen, auf dem Schulflur an. Eigentlich hatte ich noch ein paar Unterlagen kopieren wollen, die die Erstklässler in den ersten Stunden von mir bekommen würden. Das Lehrerdasein war neu für mich, deshalb wollte ich wenigstens gut vorbereitet sein. Doch wenn Nezu mich sprechen wollte, würde ich die nächsten Stunden erst einmal anderweitig beschäftigt sein. Der Direktor war wirklich ein Kuriosum. Neben ihm waren die meisten Leute fast langweilig, denn bei Nezu handelte es sich um eine kindgroße, anthropomorphe Ratte oder sowas in der Art. Seine Spezies hatte ich bis heute nicht ganz einordnen können und nachzufragen wagte ich nicht. Das wäre schon sehr unhöflich, zumal er vielleicht die intelligenteste und gebildetste Person war, die ich je getroffen hatte. Wäre da nur nicht seine lästige Angewohnheit, ewig um den heißen Brei herumzureden, ehe er zum Punkt kam. So sehr wie ich Smalltalk hasste, schien er ihn zu lieben. Entsprechend hielt sich meine Begeisterung in Grenzen, doch ich nickte meinem Kollegen dennoch zu. “Danke. Ich werde direkt zu ihm gehen.” “Kein Thema.” Er hob noch die Hand zum Gruß, dann war Sekijiro um eine Ecke verschwunden. Bei ihm war ich mir wirklich nicht sicher, ob er einfach nur oft grimmig dreinsah oder mich schlicht nicht leiden konnte. Ich hatte dank des guten alten Internets herausgefunden, dass er den Ruf hatte, sehr umgänglich zu sein, also war es vermutlich letzteres. Dass ich die Namen meiner Kollegen alle mal kräftig durch die Suchmaschinen gejagt hatte, verstand sich von selbst. Sie alle waren so bekannt, dass es vermutlich seltsam gewirkt hätte, wenn ich gar nichts über sie wusste.

Als ich an die Tür des Büros Nezus klopfte, antwortete dieser prompt. "Komm doch herein, Daelis." Woher er wusste, dass ich es war, die klopfte, hinterfragte ich nicht, ebenso wenig wie den Umstand, dass er mich mit meinem Vornamen ansprach. Bei unserem Kennenlernen hatte er stundenlang darüber gesprochen, dass er es faszinierend fände, dass in Europa die Vornamen so viel häufiger und ungezwungener benutzt würden und ob es mich störe, wenn er mich auch beim Vornamen nannte. Tat es nicht. Im Gegenteil. Wann immer jemand meinen Nachnamen benutzte, fühlte ich mich irgendwie alt und distanziert. Frau Lange, das war meine Oma. Obendrein, hatte er mir anvertraut, sprachen sich sowieso die meisten Lehrer mit Vornamen an, zumindest wenn keine Schüler dabei waren.

Im Stillen hoffte ich, dass es bei diesem Gespräch nicht darum ging, dass ich mich seltsam verhielt oder eine miese Lehrerin war. Ersteres konnte ich nicht wegerklären und zweiteres war nunmal Teil der Herausforderung, der ich mich nicht ganz freiwillig stellte. Immerhin hatte ich nicht Lehrerin werden wollen. Nie. Sollte Nezu mich wirklich schon wieder kündigen, würde ich halt nach Ägypten zurückkehren. Es war ja nicht so, als wäre das etwas Schlechtes. Klar, mein Stolz wäre angefressen, doch gleichzeitig lockte mich der Gedanke, zurück zur Ausgrabung zu fliegen. Alle Hoffnungen, der Direktor könnte ausnahmsweise mal direkt zum Thema kommen, ließ ich fahren, als ich sah, dass er, als ich eintrat, für zwei Leute Tee eingoss. Das hieß dann wohl, dieses Gespräch würde länger dauern. Als hätte der hochintelligente Nager meine Vermutung erahnt, schenkte er mir ein freundliches Lächeln, während er mir mit einer Hand gestikulierte, doch Platz zu nehmen. "Bitte", meinte er einladend und sah kurz zu der Teetasse, die er mir entgegenschob, bevor er nach seiner eigenen griff und vorsichtig an dem heißen Getränk nippte.
 

"Ah, köstlich. Du solltest probieren", begann Nezu das Gespräch und einfach nur, weil ich hoffte, er würde dann zum nächsten Thema kommen, griff ich nach meiner Tasse, um seinem Beispiel zu folgen. Dabei verbrannte ich mir jedoch erst einmal die Zunge gehörig. Mist! Aber lecker war der Tee tatsächlich. Sehr süß und aromatisch. Diese Sorte kannte ich gar nicht. Ob Nezu die ungestellte Frage in meinem Blick gesehen hatte oder schlicht, wie es seine Art war, jede Chance auf Smalltalk nutzte, wusste ich nicht, aber er verriet ohne Umschweife, was er mir da serviert hatte. "Dieser Tee kommt aus Italien und wird aus Orangen und verschiedenen Blüten gewonnen. Für diese Gegend sehr ungewöhnlich, nicht wahr? Manchmal probiere ich gerne etwas Neues aus. Die Welt ist so groß und voller kleiner und großer Wunder, die es zu entdecken gilt. So wie diesen Tee hier." Ich nickte zögerlich. Wollte er mit mir über Tee oder Wunder sprechen? Ging es dabei vielleicht um die Tafel, die ich in Ägypten gefunden hatte, und das, was darauf zu sehen war? Als Wunder ginge das bestimmt durch. Über die Tafel hatten wir aber eigentlich schon viel diskutiert und bei unserem letzten Gespräch darüber, hatte er selbst noch gemeint, wir sollten alles weitere vertagen, bis wir mehr über das Fundstück wüssten.

“Warst du jemals in Italien, Daelis?”, unterbrach Nezu meine sich drehenden Gedanken unvermittelt. “Äh, ja. Zur Abschlussfahrt im Abi. Es war wirklich toll”, entgegnete ich etwas verwirrt. Ging es nun nicht um Wunder oder die Tafel? Worauf wollte Nezu hinaus? Der Direktor nickte nur nachdenklich, ein versonnenes Lächeln auf den Zügen. Mir riss der Geduldsfaden. “Wieso wollten Sie mich eigentlich sprechen?”, fragte ich ohne Umschweife, doch wie erwartet, erhielt ich keine konkrete Antwort. “Natürlich wegen der Schüler dieser wundervollen Schule.” Ganz toll. Weiter im Text bitte. “Der letzte Jahrgang war wirklich herausragend. Ich bin sehr sicher, dass sie alle formidable Helden werden, die vielen Menschen Hoffnung und Vorbild sind.” Man hörte ihm wirklich an, wie stolz er war. Mir half das jedoch überhaupt nicht weiter. Immerhin hatte ich die Abgänger kaum kennengelernt und da ich auch die anderen Klassen nicht wirklich kannte, fehlte mir obendrein jeder Vergleich. Dennoch nickte ich einfach in der Hoffnung, Nezu würde dann fortfahren. Wäre es doch nur einfach gewesen. Die nächsten Minuten, die sich eher anfühlten wie Stunden, verbrachte er damit, über die Abschlussklasse zu lamentieren und wie die einzelnen Schüler mit ihren Fähigkeiten beeindruckende Entwicklungen durchgemacht hatten.
 

Gerade, als ich anfing, gedanklich abzuschalten, entschied Nezu, nun doch endlich damit herauszurücken, wieso er mich zu sich hatte rufen lassen. “Am Wochenende werden die Aufnahmeprüfungen stattfinden.” Ich nickte. Das war kein Geheimnis. Selbst in den Medien wurde davon berichtet und einige Lehrer - allen voran Present Mic - waren deswegen ziemlich aus dem Häuschen. “Als Lehrerin dieser Schule wirst du natürlich auch dabei zusehen”, fuhr Nezu fort und nippte dann entspannt an seinem Tee, als wolle er mich extra auf die Folter spannen. “Da es für dich die erste Aufnahmeprüfung ist, möchte ich dir gerne erklären, wie diese überhaupt abläuft.” Ah! Ich nickte energisch. “Natürlich. Ich bin ganz Ohr”, entgegnete ich rasch. Hoffentlich verlief sich Nezu jetzt nicht wieder in belanglosem Smalltalk. “Neben einer theoretischen schriftlichen Prüfung, wie sie die meisten Schulen durchführen, gibt es bei uns noch eine praktische Prüfung, um herauszufinden, ob die Anwärter als Helden geeignet sind”, erklärte der Direktor und lehnte sich nun zurück. Seine Teetasse schien inzwischen leer. Gut, dann kamen wir nun vielleicht ja etwas zügiger voran.

“Während dieser Prüfung werden sich die Prüflinge Robotergegnern stellen müssen, die teils sogenannte Villain Points geben, teils auch nicht.” “Aber gefährlich ist das nicht, oder?”, wollte ich wissen. Nezu schmunzelte und winkte ab, meine Frage damit abtuend. Nicht gerade beruhigend, aber was hatte ich auch erwartet? Im Manga hatte ich ja gesehen, dass es eben doch gefährlich war und kleinere Verletzungen von der Schule ziemlich gelassen hingenommen wurden. Zwar fand ich es irgendwie bedenklich, dass so etwas als normal galt - immerhin sprachen wir hier immer noch von Kindern! - doch auf der anderen Seite konnte ich schwer leugnen, dass es auch Sinn machte. Jemand, der die kleinsten Kratzer scheute, würde als Held niemals seiner Rolle gerecht, weil er zu große Angst vor Verletzungen hätte, als dass er sich in Gefahr begäbe. Für einen Helden brauchte es Opferbereitschaft, die groß genug war, jenen in Not auch dann zu helfen, wenn das eigene Wohl dabei in Gefahr geriet. Ich seufzte leise und ignorierte Nezus abwartenden Blick. Bestimmt sah er mir an der Nasenspitze an, dass ich so meine Zweifel ob dieser Prüfungsmethode hatte.

Als ich jedoch schwieg, fuhr er mit seinen Erläuterungen fort. “Neben diesen Villain Points, über die wir die Prüflinge vorab informieren, gibt es noch die sogenannten Rescue Points. Wer jemanden beschützt, jemandem hilft oder seine Fähigkeiten einsetzt, um zivile Opfer zu verhindern, wird mit diesen Punkten belohnt.” Nezu lächelte nun breit. “Davon wissen natürlich nur die Lehrer.” Klar. Sonst würden Schüler diese Punkte ausnutzen und nicht erwerben, weil sie ehrlich jemandem helfen wollten. Es ginge ihnen um die Punkte. In gewisser Weise würde die Prüfung also zeigen, wem es nur um seine Punkte und seinen Erfolg ging und wem darum, auch dann zu helfen, wenn er sich keinen Gewinn davon versprach. Ich nickte Nezu zu, als Zeichen, dass ich verstanden hatte. “Da du zum Kollegium gehörst, ist es wichtig, dass du eingeweiht bist, damit du selbst entsprechend die Punkte vergeben kannst.” Meine Augen weiteten sich überrascht. Dass ich zusehen sollte, war ja eine Sache, aber selbst auch Punkte vergeben? Wie kam ich denn zu der Ehre? Anders als alle anderen Lehrer hier, war ich immerhin niemals ein Held gewesen und würde es auch niemals sein. “Ich weiß wirklich nicht, ob das eine gute Idee ist”, begann ich zögerlich. “Immerhin bin ich nicht aus dem Heldenbusiness. Die einzigen Helden, mit denen ich mich auskenne, sind lange tot und ihre wahren Geschichten mit ihnen untergegangen.” Ich grinste entschuldigend und zuckte mit den Schultern. Nezu jedoch blieb unbeirrt. “Du wirst die Helden der Zukunft ausbilden. Also solltest du auch daran teilhaben, ihnen wichtige Werte zu vermitteln.” Dagegen konnte ich schwerlich etwas sagen. Er hatte nicht Unrecht. Ethik und Moral waren als Held wohl letzten Endes wichtiger als irgendeine Note in Mathe, Sprachen oder Geschichte.
 

“Außerdem interessiert mich deine Meinung.” Verwundert sah ich Nezu an. “Meine Meinung?”, hakte ich nach. Nezu nickte. “Was denkst du, macht einen Helden aus?” Seine Frage mochte salopp dahergesagt klingen, doch ich wurde das Gefühl nicht los, dass er es genau auf diese Frage abgezielt hatte. Sie war der Grund, warum ich hier war. Sonst hätte er mir wohl auch direkt vor der Prüfung erklären können, dass es mir ebenfalls zustünde, Rescue Points zu vergeben. Zumal ich gar keine Relation zum Wert eines Punktes erklärt bekommen hatte. Nezus abwartender Blick lag unverwandt auf mir. Hätte ich noch Zweifel daran gehabt, dass diese Frage der Kern dieser Unterhaltung war, dann wären sie spätestens jetzt verflogen. “Was einen Helden ausmacht. Mhm”, begann ich zögerlich. Spontan fielen mir einige Dinge ein, doch die meisten klangen selbst in meinen Gedanken nicht wirklich relevant. “Ich denke, was einen Helden letztlich ausmacht, sind neben sehr hohen moralischen und ethischen Ansprüchen an sich selbst, der Wunsch, jenen zu helfen, die Hilfe brauchen, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten.” Ein Held, der käuflich wäre, das erschien mir einfach falsch und widersprach zugleich der in meinen Augen wichtigsten Anforderung: hohe ethische und moralische Ideale.

Unsicher blickte ich zu Nezu, der mich nur weiter unverwandt aussah. Ich hatte keine Ahnung, was er über meine Antwort dachte. Seine Miene war so neutral, als sprächen wir über etwas absolut Belangloses. Nervös machte mich aber vor allem das Schweigen zwischen uns, von dem ich einfach das Gefühl hatte, es durchbrechen zu müssen. Dabei kannte ich diese Gesprächstaktik sogar. Wenn man schwieg, fühlte sich der andere Gesprächspartner, genau wie ich jetzt, dazu genötigt, zu sprechen und gab damit womöglich mehr preis, als er eigentlich wollte. “Mir ist klar, dass das eine ziemliche idealisierte Vorstellung ist und nicht gerade realistisch”, wandte ich kleinlaut ein, da lächelte Nezu plötzlich und hob die Hand als Zeichen, dass ich nicht fortfahren brauchte. Zum Glück, denn sicher hätte ich mich in irgendwelchen Erklärungen verzettelt. “Ohne gewisse Ideale wäre die Bezeichnung Held womöglich auch nicht gerechtfertigt, oder?”, schmunzelte der Direktor und fuhr dann direkt fort. “Wende deine Standards zur Vergabe der Rescue Points an. Oh, schon so spät!” So spät am Arsch. Ich war zwar schon eine Stunde hier, doch das war keine lange Zeit für ein Gespräch mit Nezu - was vor allem daran lag, dass er viel zu gerne über allerlei Kram sprach, ehe er zum Punkt kam. Er wollte sich einfach nur nicht weiter erklären. Wen glaubte er bitte, mit so miesem Schauspiel täuschen zu können? Innerlich seufzte ich, sparte mir aber den Versuch, mehr aus dem klugen Nager herauszukriegen. Was er nicht erzählen wollte, würde er mir auch nicht erzählen.

“Dann möchte ich Sie gar nicht weiter aufhalten, Direktor Nezu”, meinte ich also höflich und leerte noch flugs meine Teetasse, ehe ich mich erhob. “Ah, aber nicht doch. Es war ein wirklich interessantes Gespräch. Aber jetzt solltest du vielleicht in dein Zimmer zurückkehren, um dich für das Wochenende auszuschlafen. Die Prüfungen werden ziemlich aufregend.” Oh ja, das würden sie bestimmt. Doch wohl eher für die Prüflinge als für mich, hoffte ich. “Vielen Dank für den Tee.” “Gerne. Solltest du Sorgen auf dem Herzen haben, zögere nicht, mich aufzusuchen”, wiederholte Nezu das Angebot, das er mir schon bei meiner Ankunft gemacht und das ich bis heute nicht in Anspruch genommen hatte. Ich nickte. “Das werde ich. Danke.” Mit höflichen Floskeln begleitete mich Nezu noch bis zur Tür. “Wir sehen uns dann spätestens bei den Prüfungen”, meinte Nezu noch mit einem Lächeln, das ich etwas unsicher erwiderte. So ganz wohl war mir bei dem Gedanken, die armen Prüflinge bewerten zu sollen, nicht. Was wusste ich schon vom Heldendasein? Im Fernsehen hatte ich beim Durchzappen sogar ganze Shows über Helden bemerkt, doch Zeit und Lust, mir davon etwas anzusehen, hatte ich nicht gehabt. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf machte ich mich auf den Weg zum Lehrerzimmer, um zumindest noch die Kopien anzufertigen, auf die ich eigentlich aus gewesen war.
 

Zurück in meinem Zimmer, das schon mehr eine kleine Wohnung war, denn immerhin hatte ich eine kleine Küchenzeile und ein eigenes Bad anliegend, sortierte ich erst einmal in Ruhe meine Kopien auf dem ohnehin schon ziemlich überfüllten Schreibtisch. Im Kopf war ich jedoch die ganze Zeit viel mehr bei den Aufnahmeprüfungen und einer Notiz, die ich im Lehrerzimmer an der Pinnwand entdeckt hatte. Die hatte mein Hirn nämlich sofort auf Hochtouren laufen lassen. Auf den ersten Blick war der Zettel unscheinbar gewesen, doch die wenigen Worte darauf, bedeuteten Ärger, soviel war klar. “Mit Beginn des neuen Schuljahres wird All Might dem Lehrerkollegium der U.A. High School beitreten. Bitte heißt euren neuen und alten Kollegen herzlich willkommen. - Direktor Nezu.” Was das bedeutete, war im Grunde klar. Ich war nicht irgendwie irgendwann in eine Zeitlinie von Boku no Hero Academia geworfen worden, sondern etwa zu Start des Mangas. Das hatte ich bisher nur nicht mitbekommen, weil ich nicht in Kontakt mit den Protagonisten gestanden hatte.

Seufzend schob ich meine Notizen zusammen. Wenn All Might nun hier unterrichten würde, hieß das, Deku käme an die Schule und die mir bereits bekannten Ereignisse würden bald folgen. All for one würde sich zeigen, die Liga der Bösewichte, All Mights nicht ganz so kleines Geheimnis, die Nomus. Das konnte ja heiter werden. So hatte ich mir bis heute meine Zeit als Lehrerin wirklich nicht vorgestellt. Nur gut, dass ich innerhalb des Schulgebäudes sicher wäre und nicht versehentlich in Kämpfe stolperte. Zumindest bis zu meinem Stand des Mangas. Für meine Schüler jedoch würde das nicht gelten. Nur ungern dachte ich an die Verletzungen, die sie erwartete. Vielleicht könnte ich ja Tenyas Bruder Ingenium wenigstens irgendwie vorwarnen? Und generell alle vor Stain und der Welle, die seine letzten Worte schlagen würden. Je mehr ich darüber nachgrübelte, desto mehr pochte mein Kopf, als wollte mich mein Körper davor warnen, zu viel in der Zeitlinie herumzupfuschen. Gerade, als ich erwog, mir einfach eine Kopfschmerztablette zu suchen, ehe ich weiter darüber grübelte, wie man den richtigen Leuten die richtigen Dinge anonym zukommen lassen könnte, klingelte das Telefon und riss mich damit so abrupt aus meinen Überlegungen, dass ich erschrocken zusammenzuckte.

Holy! Ich brauchte einen Sekundenbruchteil, um den Schrecken abzuschütteln, dann griff ich nach dem Hörer. “Daeli-” “Hey, ich bin’s, Arif.” Erleichterung durchflutete mich. Bisher hatte ich von Ryoko, die ich von der Ausgrabungsstelle kannte, und Gilly, der Sekretärin, die sich um das ganze Bürozeug drumherum kümmerte und die ich mir insgeheim als etwa 60-jährige Lady in schickem Kostüm vorstellte, nur gehört, dass Arif sich von seinen Verletzungen erholen würde, aber noch im Krankenhaus lag. Es war das erste Mal seit dem Zwischenfall, dass ich Arifs Stimme hörte. “Arif! Wie geht es dir? Ist alles in Ordnung? Wurdest du entlassen?”, bombardierte ich ihn mit Fragen, was er mit einem Lachen kommentierte. “Ruhig, ruhig. Ja, ich bin schon seit ein paar Tagen aus dem Krankenhaus raus und bin heute direkt zurück nach Ägypten geflogen”, erklärte er mir gut gelaunt. Wow, er musste die Archäologie ebenso lieben wie ich. “Aber darum rufe ich nicht an”, fuhr er fort. “Wir haben nämlich noch ein paar andere Dinge gefunden, die ganz in der Nähe der Tafel gelegen haben. Sind nur ein paar Kleinigkeiten, wenn man so will.” Arifs Grinsen konnte ich förmlich hören. “Was denn genau?”, wollte ich sofort wissen und wieder lachte er einfach nur. “Wirst du sehen. Wenn du willst, schicken wir dir die Sachen zu, sonst schick ich dir einfach später eine Mail, wenn wir alles katalogisiert haben und mache ein paar hübsche Bilder.” Mein Herz machte einen deutlichen Satz. Glaubte er wirklich, ich würde dieses Angebot ablehnen? Damn, no! “Schick mir die Sachen!”, gab ich aufgeregt zurück. So hätte ich wenigstens ein kleines bisschen Ägypten bei mir, Spuren des Traumes, der sich erfüllt und direkt wieder in Luft aufgelöst hatte. “Alles klar. Wir packen sie dir ei-he!” Es knackte in der Leitung, dann hörte ich Ryokos Stimme. “Daelis? Wusst ich's doch! Du wirst lieben, was wir entdeckt haben! Die Sachen sind so gut wie auf dem Weg zu dir. Verschreck uns deine Schüler nicht, ja? Und meld dich, wenn was sein sollte. Aber jetzt muss ich dir Arif entführen, damit er mit der Katalogisierung hilft.” Nun war es an mir, zu lachen. “Verstanden. Passt auf euch auf. Man hört sich.” Leises Tuten verriet mir, dass sie aufgelegt hatten.

Ein Name

Bis zuletzt hatte ich noch gedacht, mich irgendwie darum drücken zu können, bei den Aufnahmeprüfungen mitzuwirken und eine Weile hatte es für mich auch so ausgesehen, als gelinge mir das. Niemand bat mich, bei den Vorbereitungen der Schauplätze mitzuhelfen, die, wie ich später erfuhr, jedoch alle durch Fachfirmen hergerichtet worden waren. Gebäudebau war eben nicht unbedingt so ein Heldending. Dafür zog man mich jedoch zurate, als es um die schriftlichen Prüfungen ging. Den Teil für Geschichte verfasste nämlich ich und bis zum Abgabeschluss der Aufgaben und Lösungen haderte ich noch mit mir, ob die Aufgaben nicht womöglich zu einfach waren. Sicherheitshalber hatte ich Nemuri und Hizashi, wie ich Midnight und Present Mic nennen durfte, zwar gebeten, die Aufgaben probeweise zu beantworten, damit ich eine grobe Idee hatte, wie schwer sie für jemanden waren, der sich nicht für Geschichte interessierte, doch viel klüger war ich danach auch nicht gewesen. Beide hatten nicht schlecht abgeschnitten, doch einiges nicht gewusst. Allerdings waren die beiden auch Lehrer, hatten diesen Stoff vermutlich schon gelernt und teils selbst unterrichtet. Mehrere Male tauschte ich die Fragen aus und blieb am Ende doch bei der ursprünglichen Version. Vielleicht machte ich mich auch einfach zu verrückt. Im Ganzen sollten die Prüfungen Wissen abfragen, dass die Schüler bereits haben sollten, auch wenn wohl jeder von uns wusste, wie idealisiert diese Vorstellung war. Beschwert hatte sich zumindest niemand, nachdem ich meine Aufgaben bei Nezu abgegeben hatte. Das hieß dann wohl, sie waren so in Ordnung.
 

So richtig wohl fühlte ich mich allerdings nicht damit, die praktische Prüfung benoten zu sollen. Bei der Eröffnungsrede hatte ich, wie bei den schriftlichen Prüfungen zuvor auch, nur dekorativ im Publikum gesessen und mit halbem Ohr zugehört. Meine Neugier hatte eher den wahnsinnig vielen Teilnehmern gegolten, unter denen ich immerhin zwei bekannte Gesichter hatte ausmachen können. Bakugo und Tokoyami. Sie waren der letzte Hinweis gewesen, den ich noch gebraucht hatte, um anzuerkennen, dass ich mich tatsächlich in der Geschichte des Mangas Boku no Hero Academia befand, auch wenn man wohl hätte meinen können, dass ich diesen Fakt schon eher verinnerlichen hätte müssen. Zahlreiche eindeutige Zeichen hatte es immerhin schon gegeben, sah man mal von der ganzen Welt ab, die für mich als Normalo schon ein ziemlicher Kulturschock war angesichts all der Quirks, deren Auswirkungen man eben auch im Alltag immer wieder mal zu sehen bekam. Prinzipiell störte es mich nicht einmal, keinen zu habe - mir hatte ja niemand etwas weggenommen. Zuhause hatte ich auch keine besondere Fähigkeit gehabt. Dennoch waren mir die neugierigen Blicke der Schüler kurz nach meiner Ankunft nicht entgangen. Natürlich hatten sie sich gefragt, ob ich auch ein Profi-Held war und über welche Fähigkeiten ich verfügte. Die Antworten darauf mussten ziemlich ernüchternd für einige gewesen sein.

Wenigstens die Lehrer hatten mich nie etwas in dieser Hinsicht spüren lassen, auch wenn eine fiese Stimme in meinem Kopf flüsterte, dass sie es vielleicht nur besser versteckten, obwohl ich eigentlich fand, mit den meisten einen ganz guten Draht aufgebaut zu haben. Besonders zu Midnight, mit der ich so manche Stunde im Lehrerzimmer verschwatzt hatte. Dank ihr wusste in inzwischen auch so manch pikantes Detail aus den Leben meiner Kollegen. So leise, wie ich konnte, schob ich mich vor einer streng dreinblickenden Frau im Look einer Geisha vorbei zu Nemuri. Die saß in voller Domina-Montur in der zweiten Reihe und klopfte einladend auf den Plastikstuhl neben sich, als sie mich bemerkte. Dankbar lächelte ich ihr zu. Es tat gut, zu wissen, dass ich eine Freundin gefunden hatte. Ich hatte sie wirklich ins Herz geschlossen und ohne sie, wäre es mir bestimmt schwerer gefallen, mich hier einzuleben. Nemuri hatte immer ein offenes Ohr für jede noch so dumme Frage gehabt und mir von sich aus schon so viel rund um alle Leute an der U.A. berichtet, dass ich bald schon das Gefühl hatte, Leute zu kennen, mit denen ich keine zwei Sätze gewechselt hatte. Ungewöhnliche Persönlichkeiten waren hier auf jeden Fall an der Tagesordnung. Ob man nun Nemuri beobachtete, die am hellichten Tag in Lack und Leder die Peitsche schwang oder Aizawa, der zu meiner Erleichterung zumindest heute nicht im Schlafsack erschienen war. Zwei Mal schon hatte ich ihn darin in den Fluren erwischt und mich beim ersten Mal beinahe zu Tode erschreckt. Beim zweiten Mal hatte ich immerhin die Geistesgegenwart besessen, ihn zu fragen, ob er hoffte, eines Tages als Schmetterling aus seinem Kokon zu kriechen.
 

“Hallo”, grüßte ich mit erhobener Hand in die Runde. Zwischen all diesen schillernden Profi-Helden fiel ich mit meiner schlichten Kleidung schon fast wieder auf, ähnlich wie Aizawa. Nicht so sehr jedoch wie jemand anderes. All Might. Den konnte man wirklich unmöglich übersehen. Natürlich hatte ich gewusst, dass er hier sein würde, doch irgendwie hatte ich wohl erwartet, ihn in seiner wahren, geschwächten Gestalt anzutreffen. Ein Irrtum, wie sich nun zeigte. Vermutlich weil ich offiziell noch nicht eingeweiht worden war. Nur kurz warf ich einen Blick zu Nezu, doch der war ganz auf einen Bildschirm vor sich fixiert und sprach mit einem Mitglied der Managerfakultät, wenn ich den makellosen Nadelstreifenanzug richtig deutete. In der Heldenfakultät, in der ich nun tätig sein würde, liefen gefühlt alle herum wie bunte Hunde. Praktisch kein Held, der nicht in einem hautengen Anzug in knalligen Farben durch die Flure streunte. Abgesehen von mir war wohl Eraserhead am unauffälligsten. Zumindest, wenn er nicht gerade seinen Schlafsack trug wie ein Kleidungsstück. Ich war hier echt umgeben von einem Haufen wirklich schräger Leute.

“Ah, ihr kennt euch noch nicht, oder?”, plauderte Nemuri direkt drauf los, mit einer Hand zwischen All Might und mir gestikulierend. Ich schüttelte nur den Kopf, doch das wäre wohl nicht mehr nötig gewesen, denn Nemuri war sowieso nicht zu bremsen. Offenbar freute sie sich ziemlich auf die Aufnahmeprüfung. “All Might, das ist Daelis. Daelis, All Might”, machte sie uns bekannt und ehe ich mich versah, schüttelte der Hüne vor mir kräftig meine Hand, die ich aus reiner Gewohnheit heraus angeboten hatte. “Freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen, Miss Daelis.” Himmel, der Kerl war halt einfach mal riesig. Wenn er die ganze Zeit vor mir saß, bekäme ich von der Prüfung einfach gar nichts mehr mit. “Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Aber bitte nur Du und Daelis, ja?”, bat ich mit einem etwas holprigen Lächeln. “Ich habe viel von Ihnen gehört, Daelis.” Au backe… sollte ich mich jetzt entschuldigen? “Äh… das kann ich nur zurückgeben”, erwiderte ich unsicher und betete im Stillen, dass die Prüfung doch bitte anfangen möge oder Nemuri sich erbarmte und das Gespräch sprengte.
 

Nemuri tat mir diesen Gefallen nicht. Dafür jedoch Nezu. “Die Prüfungen beginnen. Bitte setzt euch. Hizashi, bitte verteil die Bögen.” Der Angesprochene murrte zwar, doch sorgte mit dem Verteilen der Klemmbretter, auf die jeweils ein dicker Packen Zettel geklemmt war, für allgemeine Unruhe. “Bitte entscheidet weise und im Sinne unserer Akademie, wer sich Rescue Points verdient hat”, ergriff Nezu erneut das Wort, als alle ihre Bögen hatten. Diese zeigten die Bilder aller Anwärter, ihre Namen und ihren Quirk. Die Liste der Prüflinge war wirklich lang. So viele junge Menschen, die unbedingt Helden werden wollten. Für einige würde der Traum mit dieser Prüfung enden. Dass sich viele von ihnen keine Rescue Points verdienen würden, ahnte ich schon. Den Prüflingen hatte man ja nur von den Gegnern erzählt, die ihnen Punkte brächten und darauf würden sich die Kinder auch fokussieren. Und dabei dann das Wichtigste aus den Augen verlieren. Ich seufzte leise.

“Alles in Ordnung?”, riss mich Nemuris Stimme aus meinen Gedanken. “Mh? Ja, ja alles gut. Hab nur daran gedacht, dass sicher einige sehr traurig sein werden, wenn sie die Prüfung nicht schaffen.” Sie nickte, meinte dann aber: “Das gehört nunmal dazu. Nicht jeder kann ein Held werden.” Jetzt war es an mir zu nicken. “Mach dir nicht so viele Sorgen, Süße. Sei einfach ehrlich in der Verteilung, mehr kannst du nicht tun”, meinte Nemuri schließlich aufmunternd und schlug mir freundschaftlich auf die Schulter. “Sieh es als Chance, diesen jugendlichen Leichtsinn und die Aufregung der Prüfung, zu genießen!” Ihre Augen strahlten tatsächlich vor Vorfreude. “Äh… ja, ich versuchs. Danke, Nemuri”, murmelte ich unsicher zurück. Ihren Enthusiasmus konnte ich nicht ganz teilen. Hier wurden Lebensträume zerstört. Vielleicht sinnigerweise, aber wieso sollte ich darüber mitentscheiden? Ich war kein Held, war es nie gewesen und würde es nie sein. Wie sollte ich darüber urteilen, was in diesem Job wann zu tun wäre? Ich konnte nur beurteilen, ob ich fand, dass man dies oder jenes hätte tun sollen. Am liebsten hätte ich mir die pochende Schläfe gerieben. Vielleicht zerbröselte ich mir wirklich zu sehr das Hirn deswegen.
 

“Es geht los.” Nezus Stimme war leise und doch lenkte er mit diesen Worten unser aller Aufmerksamkeit auf die Bildschirme, die großzügig an der Wand angebracht worden waren. Sie zeigten schon jetzt immer wieder Nahaufnahmen verschiedener Anwärter, die gespannt vor den verschiedenen Prüfungsarealen ausharrten. Neben dem Bild wurden die Namen der Gezeigten sowie deren Quirks eingeblendet. Einige bekannte Gesichter gab es für mich dabei allemal. Tokoyami war nicht zu übersehen und auch Bakugo stach heraus. Weniger aufgrund seines Aussehens als seines Verhaltens. Ich entdeckte sogar Kirishima und Mineta. Sie waren also alle hier und ich wusste bereits, dass sie die Prüfung bestehen würden. Instinktiv suchte mein Blick nach Midoriya. Ohne Rescue Points würde er durchfallen. Sollte ich ihm welche zugestehen, damit er es schaffte? Waren diese Punkte bereits im Manga einkalkuliert und ich nur nicht zu sehen gewesen, weil ich keine Rolle in der Geschichte spielte? Falls es so war und ich ihm keine Punkte gäbe, würde ich nicht nur Midoriyas Karriere beenden, ehe sie begann, sondern auch All Mights Plänen seinen Nachfolger betreffend einen Strich durch die Rechnung machen.

“Und los gehts!”, erscholl Hizashis Stimme nun durch die Lautsprecher. Wann er denn gegangen? War ich so abgelenkt gewesen? Zugegeben, ich hatte nicht mehr auf ihn geachtet, nachdem er mir ein Klemmbrett gereicht hatte. Jetzt hingegen galt meine volle Aufmerksamkeit den Bildschirmen. Die Prüflinge hatten sich noch nicht einen Millimeter bewegt. Hizashi zog die Augenbrauen zusammen. “Was denn? Das Böse wartet auch nicht darauf, dass ihr bereit seid. Also los, eure Zeit läuft!” Das brachte Bewegung in die Menge. In unterschiedlichem Tempo und zum Teil auf ziemlich ungewöhnliche Weise wogte die Prüflingsgruppe auf das Gelände A. Ein anderer Monitor zeigte das Gelände C. Die Lehrerin, die dort die Prüflinge losgeschickt hatte, sah aus, als falle sie selbst jeden Moment tot um, doch ich wusste, dass der Anschein trog. Chidori Kotani war ihr Name, sie unterrichtete vor mir Geschichte und ging nun in Rente. Dennoch war sie rüstig und nicht zu unterschätzen, das hatte mir jeder bestätigt, da war ich noch keinen Tag an der Akademie gewesen. Ihre Gruppe hatte wohl keine zweite Aufforderung gebraucht, um anzufangen. Gleiches galt für die dritte Gruppe in Prüfungsareal C.
 

Gebannt folgte ich dem Geschehen auf den Bildschirmen. Zu meinem Glück hatte sich All Might tief in seinen Stuhl sinken lassen, sodass ich etwas sehen konnte. Für Zufall hielt ich das nicht. Er war eine sehr aufmerksame Person, selbst wenn er das gut zu überspielen wusste. Ob er mein “Danke” gehört hatte, wusste ich nicht, immerhin hatte ich Nezus Ärger nicht auf mich ziehen wollen, weil ich während der Prüfung quatschte. Jetzt war es so still, dass ich nur hin und wieder irgendwo im Raum leises Kratzen eines Stiftes auf Papier hören konnte, doch das blendete ich aus. Viel wichtiger war das Prüfungsgeschehen. Also behielt ich im Auge, was die Prüflinge taten und wie sie sich schlugen. Was den Kampf anging, konnte ich mir jede Notiz sparen. Ihre Fähigkeiten ausbauen und verbessern, daran würden Profis mit ihnen arbeiten. Für mich war wichtig, wer von ihnen half und sich als Held erwies, wenn er damit nichts zu gewinnen hatte. Wer würde denen helfen, die in Bredouille gerieten oder sich verletzten? Viele würden das ignorieren, wie ich wusste und sich auch schon kurz nach Start in Gruppe B zeigte. Ein Mädchen hatte mit ihrer Fähigkeit ein Gebäude beschädigt und dabei einen Mitprüfling unter dem Schutt begraben. Der rief um Hilfe, aber zwei Leute liefen einfach vorbei. Einer sah sogar schadenfroh drein. Grimmig starrte ich auf die Aufnahme. Konnte man negative Rescue Points verteilen? “Hrm”, machte Aizawa hinter mir. Ob er wohl ähnlich dachte?

Mein Blick glitt zurück zu Areal A. Dort zerlegte Bakugo gerade mit vollem Elan einen Roboter. Das überraschte mich nun gar nicht. Der Chinaböller D in Spe war stark, aber nicht der Typ, bei dem ich darauf wetten wollte, Rescue Points zu vergeben. In gewisser Weise war das Bakugos größte Schwäche. Das Bild wechselte. Jetzt sah ich Shinsou. Er war also auch in Areal A unterwegs. Sein Quirk war ihm gegen die Roboter absolut keine Hilfe und er würde es nicht in die Heldenklasse schaffen. Das tat mir wirklich Leid, denn er hatte durchaus das Zeug zum Helden und den Willen, einer zu werden. Ob ich Aizawa etwas anstupsen könnte, damit er Shinsou unter seine Fittiche nahm? Nein. Noch nicht. Ich sollte besser nicht in der Hauptgeschichte des Mangas herumpfuschen. Wer wusste sonst schon, was ich versehentlich alles kaputt machte. Stumm sah ich den sichtlich frustrierten Shinsou einen Moment an bis dann ein Mädchen an ihn herantrat. Als ihr Name eingeblendet wurde, fiel mir alles aus dem Gesicht.
 

Erenya.
 

Ihren Nachnamen nahm ich nicht einmal mehr wahr. Erenya. Mich beschlich das ziemlich ungute Gefühl, dass das hier einfach kein verdammter Zufall war und dieses Mädchen nicht nur Erenya hieß, sondern Erenya war. Die Erenya. Eri-Erenya. Heilige Scheiße! Fassungslos starrte ich das Mädchen an. Sie sah sogar aus wie eine Mini-Version von Eri. Eri in Kind. War das wirklich möglich? Vielleicht war sie ja eine Nachfahrin von Erenya oder sowas? Ich war so überrascht, dass ich nicht einmal merkte, wie gebannt ich auf diesen Bildschirm starrte. “Kennst du das Mädchen?”, wollte Aizawa ohne Umschweife wissen. Vor Schreck blieb beinahe mein Herz stehen. Wie sollte ich darauf antworten? Konnte ich das überhaupt? Wie sollte ich erklären, woher ich eine Schülerin kannte? Wenn ich log, könnte das schnell auffliegen - vor allem, wenn Erenya meine Geschichte nicht bestätigte. Das konnte einfach nur schief gehen. Verdammt, doch wenn ich… “Nein”, antwortete All Might an meiner Stelle. Im ersten Moment war ich verwirrt, dann dämmerte mir, dass Aizawas Frage gar nicht mir gegolten hatte. “Ich kannte ihre Eltern.” Er klang ernst, ja richtig bedrückt, doch nur für einen kurzen Moment, dann war es, als habe er einen Schalter umgelegt und zurück auf gute Laune geschaltet. “Wo-” Gerade als ich fragen wollte, woher er bitte Erenyas Eltern kannte, fuhr das Symbol des Friedens auch schon fort. “Sie wird bestimmt eine formidable Heldin!” Aizawa brummte leise, doch als ich zu ihm blickte, schüttelte er nur den Kopf.

Unsicher musterte ich wieder den hünenhaften All Might, bevor ich wieder zum Bildschirm sah. Der zeigte inzwischen Midoriya, der ziemlich planlos herumlief. Aizawa seufzte nur, als wolle er sagen: “Wir werden ja sehen. Vielleicht ist sie auch wie dieser Junge, der nur herumläuft und noch keinen einzigen Punkt hat.” Unrecht hätte er damit nicht. Auf einem anderen Bildschirm fand ich Erenya wieder. Was machte sie denn da?! Unwillkürlich zuckte ich zusammen. Ihr Quirk bewirkte Pheromone, das sagte zumindest die Bildschirmbemerkung mir. Wieso in aller Welt lief sie bitte mit einer Metallplatte? Held oder nicht: dass das keine gute Idee war, sollte ihr doch klar sein! Auf der anderen Seite war sie eben Erenya und das hier war so verdammt typisch für Erenya, das ich mir das Klemmbrett am liebsten kräftig vor die Stirn gehauen hätte. Dass sie nun offenbar durch einen Zufall einer anderen Anwärterin die Falle ruinierte und damit ein paar Punkte einheimste, erleichterte mich ebenso sehr wie es mich beunruhigte.

Wenn dieses Mädchen wirklich meine Eri war, dann wusste sie von den Rescue Points. Und nicht nur davon. Sie wusste, wie sich die Geschichte weiter entfalten würde. Ich musste unbedingt mit ihr in Kontakt treten, damit wir uns austauschen konnten. Mit unserem Wissen als Fremde in dieser Welt könnten wir wirklich viel bewirken, wenn wir uns nicht dumm anstellten. Dass sie auch ausgerechnet ein Kind hatte werden müssen. Da war ich direkt heilfroh, dass mir das erspart geblieben war. So großen Spaß hatte die Pubertät halt echt nicht gemacht. Da war ich lieber jemand ohne Quirk als wieder ein Teenager, der sich mit Hausaufgaben, hormonellen Krisen und all diesem Unfug herumplagen musste.
 

Die Prüfung war übel. Wie konnten all diese Helden hier sitzen und nur zusehen, wie diese Kinder in ernste Gefahr gerieten? Diese Roboter waren riesig! Ein Mädchen kroch ängstlich weinend vor ihnen davon und doch saßen wir hier, tranken Kaffee und machten und Notizen! In gewisser Weise machte mich das fassungslos. Ein Teil von mir wäre am liebsten aufgesprungen, um allen Anwesenden mal gehörig die Meinung zu geigen, was diese Prüfung und die damit einhergehenden Gefahren anging. Ich verkniff es mir und saß verbissen auf meinem Platz. Wenn auch nur ein Prüfling ernster verletzt würde - also außer Deku, der machte das ja selbst - dann würde es hier krachen. Angespannt beobachtete ich wie Erenya, meine Eri, genau das tat, was so gottverdammt typisch für sie war und doch absolut nicht clever. Sie lief mitten ins Geschehen, als ein Prüfling die Kontrolle über seine Fähigkeiten verloren zu haben schien. Wie gerne hätte ich sie jetzt einfach gepackt und kräftig geschüttelt. Den Fragebogen auf meinen Knien hatte ich schon fast vergessen. Meine Hand um den Kugelschreiber war verkrampft, doch das merkte ich auch erst, als Nemuri ihn mir aus der Hand nahm. “Keine Sorge, den Kleinen passiert nichts. Wir passen doch auf”, flüsterte sie mir zu. So ganz vertrieb das meine Zweifel jedoch nicht. Ich war doch nicht blind und sah genau, was da vonstatten ging.

Die Kamera blieb fokussiert und so konnten wir beobachten, wie sich Erenya mit Shinsous Hilfe Mitstreiter organisierte und schließlich Stück für Stück dem Quell der querbeet schießenden Laser näherte. Abgesehen von Hanta erkannte ich auch Kyouka, beide zukünftige Schüler der Klasse 1-A. Hatte es diesen Zwischenfalls im Manga auch gegeben? Ich könnte schwören, dass nicht. Am liebsten hätte ich mich direkt selbst auf den Weg gemacht, um dafür zu sorgen, dass sich ein Profi dieser Sache annahm. Letzten Endes war es vermutlich Nemuris Hand an meinem Unterarm, der mich davon abhielt. Die Kamera blendete ab. Am liebsten hätten ich frustriert geschrien. Im Ernst? Ausgerechnet jetzt? Wir würden halt alles verpassen! Hektisch sah ich zwischen den Bildschirmen hin und her. Zahlreiche fremde Gesichter, ein paar bekannte und doch nirgends Erenya. Verdammt, das war zum Verrücktwerden! Zumindest war ich scheinbar nicht die Einzige, die nach Erenya suchte, denn vor mir konnte ich die hochstehenden blonden Strähnen All Mights sehen, die ebenfalls von links nach rechts wippten, als suche der Held etwas. Später musste ich unbedingt fragen, woher er Erenyas Eltern kannte. Vielleicht waren sie Teil des Hauptplots des Mangas! Falls dem so war, musste ich Eri einschärfen, nicht zu viel Unfug zu anzustellen, auch wenn ich mir wenig Hoffnungen machte, dass sie darauf hörte.
 

Nezu tippt auf der Tastatur vor sich herum, ein Bildschirm flackerte, dann zeigte er ein neues Bild. Da war sie! Mein Blick hatte Erenya gefunden. Sie kroch bäuchlings über den Boden, wohl um sich dem Jungen zu nähern, den man auf einer Einblendung sehen konnte. Aus seinen Augen schossen noch immer wie zufällig Laser. Er war sichtlich in Panik und damit eine Gefahr für seine Umgebung und sich selbst. Wieso nur war ich nicht erstaunt, dass Erenya sich ihm trotz der Gefahr für sich selbst näherte? Sie hatte keine Möglichkeit sich gegen den Laser zu verteidigen, das gab ihre Fähigkeit einfach nicht her. Ich bemerkte nicht einmal, dass ich vor lauter Anspannung den Atem anhielt. Der Laser richtete sich von ihr weg, sie sprang auf und lief los. Am liebsten hätte ich mir die Augen zugehalten. Oh bitte, Eri, mach keinen Unfug. Wo waren die echten Helden, wenn man sie brauchte? Die saßen hier und hielten Kaffeekränzchen. Mit großen Augen konnte ich beobachten, wie Erenya es schaffte, sich förmlich auf den Jungen zu stürzen ohne sich dabei zerlasern zu lassen.

Was genau sie ihm sagte, übertrug die Kamera nicht, aber sehr wohl den groben Kontext. Offenbar waren wir nah herangezoomt, sodass das Mikrofon nicht mehr leistungsstark genug war. Klar war jedoch jedem von uns, dass Erenya den Jungen zu beruhigen versuchte und zwar mit durchschlagendem Erfolg.

Mit einem erleichterten Seufzen sank ich zurück auf meinen Platz und versuchte, das nachsichtige Lächeln Nezus zu ignorieren. Dass er das einfach so hinnehmen konnte. Ein Seitenblick zu Nemuri verriet mir, dass auch sie noch entspannt war. Was ging nur bei den Leuten hier? Wieso war der einzige, der ähnlich nervös wirkte wie ich, All Might? Aber auch der hatte sich keinen Millimeter gerührt. Gott, wie ich hoffte, dass es einfach daran lag, dass die Schule ganz hervorragende Sicherheitsmaßnahmen vor Ort hatte und Recovery Girl einsatzbereit wartete. Die Kamera ließ uns beobachten, wie der Laseraugenjunge und Erenya sich unterhielten. Er hielt die Augen inzwischen geschlossen, zum Glück, und wirkte auch viel ruhiger als noch Sekunden zuvor. Für mich war damit längst klar, dass sich die kleine Erenya, ob sie nun meine Eri war oder nicht, ordentlich Rescue Points verdient hatte.

Ihr war es wichtiger gewesen, einem Menschen in Not und Angst zu helfen und eine Gefahrenquelle abzustellen, als die Chance zu nutzen, um im Chaos Punkte abzugreifen. Ihr war das Wohl eines Menschen wichtiger gewesen und in meinen Augen qualifizierte sie das mehr als irgendeinen punktegeilen Idioten, der sich durch die Weltgeschichte sprengte. “Gut gemacht”, hörte ich All Might leise flüstern und gab ihm still recht. Das hatte Erenya wirklich gut gemacht. Eine Explosion war zu hören, dann rauschte Bakugo, als hätte er meine Gedanken gelesen, durch das Bild, das eben noch Erenya und den Jungen mit den Laseraugen gezeigt hatte. “Nun, ich denke, wir sollten unsere Aufmerksamkeit auch anderen Prüflingen widmen”, meinte Nezu, dem dieser Wechsel wohl gelegen kam, gelassen und schaltete ein anderes Bild groß.
 

Als die praktische Prüfung offiziell endete, lagen meine Nerven blank - und dabei hatte ich nicht einmal mitgemacht. Allein zuzusehen und all diese verschiedenen Quirks dabei in Aktion bereitete schon Kopfschmerzen, ganz zu schweigen von dem heillosen Chaos, das eigentlich überall ausgebrochen war. Nahm man es zusammen, hatte es überall Leute gegeben, die sich in meinen Augen als Heldenmaterial erwiesen hatten, weil sie es eben vorzogen, denen in Not zu helfen, statt sich selbst zu profilieren. Auf der anderen Seite aber hatte es von genau diesen Egomanen auch mehr als einen gegeben. Bei ein paar Teilnehmern konnte man fast das Gefühl bekommen, dass sie nur mitmachten, um im Rampenlicht zu stehen und später mit ihren Punkten angeben zu können. Nicht unbedingt heroisch, wenn man mich fragte. Aber auch solche Leute schafften es in die Heldenfakultät, ob mir das nun schmeckte oder nicht. Diese Kinder würden meine Schüler. Der Gedanke war immer noch befremdlich.

Present Mic und einige andere hatten sich entschieden, die Prüflinge zu verabschieden, von denen nicht ganz wenige eine Behandlung von Recovery Girl erhielten. Allen voran natürlich Deku. Dem hatten wir auch noch ausgiebig zugesehen und wenigstens da war alles wie erwartet abgelaufen, sodass der Junge nun mit gebrochenen und verdrehten Gliedern im Dreck lag. All Might sagte nichts, aber ich konnte mir gut vorstellen, was ihm durch den Kopf ging. “Das hat er gut gemacht”, sagte ich also leise und diesmal war es vielleicht, zumindest bildete ich es mir ein, der Held vor mir, der im Stillen zu stimmte. Damit waren wir wohl quitt, wenn man so wollte. “Wir treffen uns in einer Stunde wieder hier”, brummte Aizawa in den Raum hinein, ehe er ohne ein Wort der Erklärung den Raum verließ. Nemuri stand ebenfalls auf. Fragend sah ich sie an. “Hast du gar keinen Hunger? Wir essen jetzt erstmal was und dann treffen wir uns wieder her, um uns die Videoaufnahmen über die einzelnen Anwärter anzusehen und unsere Punkte endgültig zu vergeben”, grinste sie mich an. Kurz überlegte ich, dann erhob ich mich ebenfalls. “So weise mir den Weg, holde Dame”, flötete ich ihr entgegen. Hunger hatte ich zwar keinen, aber angesichts der Anspannung der letzten Stunde würde ich morden für irgendetwas mit Schokolade. Auch wenn ich das ausgerechnet an einer Akademie für zukünftige Helden besser nicht laut ausspräche. Nicht, dass das hier noch jemand in den falschen Hals bekam. Aus den Augenwinkeln konnte ich noch sehen, dass nur All Might und Nezu zurückblieben. Den Grund konnte ich mir denken, also tat ich einfach, als bemerke ich nichts.

Rescue Points

Oh, konnte irgendeine Sünde süßer, schöner, großartiger sein, als ein mit flüssiger Schokolade gefüllter Schokomuffin? Genießerisch löffelte ich etwas von der Schokosoße zu den letzten Krümeln von meinem Teller. Gott, war das lecker. „Hätte nicht gedacht, dass jemand Schokolade so sehr lieben kann“, kicherte Nemuri neben mir, die doch kein Stück besser war. Wir hatten die Muffins gemeinsam entdeckt und waren dann nicht mehr zu halten gewesen. „Er war soooo gut“, schwärmte ich ungehemmt zurück und musste doch selbst lachen. Nemuri hob grinsend eine Augenbraue. „Das klingt ja schon fast zweideutig.“ Beinahe verschluckte ich mich an den köstlichen Krümeln. Empört sah ich sie an, während ich mehrmals husten musste. „He, er war wirklich himmlisch“, verteidigte ich gleichermaßen den Muffin wie meine Reaktion darauf. „Sowas kriegt man nicht überall“, meinte ich noch und schob mir den Löffel in den Mund, um dann demonstrativ glücklich die Augen zu verdrehen. „Mhhh~“ Erheitert gluckste Nemuri neben mir, dann schob sie unsere Teller zusammen und seufzte leise. „Na dann, machen wir uns wieder an die Arbeit.“ Sie warf mir einen auffordernden Blick zu, dem ich direkt folgte, indem ich mich ebenfalls erhob.

Nemuri stellte unsere Teller an der Theke ab und hakte sich dann bei mir ein. „Ich bin gespannt, wie du urteilst“, flötete sie gut gelaunt in meine Richtung. Fragend sah ich sie an, doch Nemuri fuhr nicht fort. Vermutlich konnte sie die meisten ihrer Kollegen einfach ganz gut einschätzen, überlegte ich. Bei mir hingegen war sie sich unsicher hinsichtlich meiner Ansichten dazu. Meine Gedanken wanderten zu dem Gespräch mit Nezu. Er hatte gesagt, ich solle meine persönlichen Maßstäbe ansetzen, um Rescue Points zu verteilen. Was sonst blieb mir auch übrig? Das war jetzt mein Job. Einen kurzen Moment sehnte ich mich zurück nach meiner Grabungsstätte. Wie es dort wohl inzwischen weiterging? Ich beneidete meine Kollegen in Ägypten schon ein bisschen, wenn ich darüber nachdachte, doch angesichts des Umstandes, dass vielleicht Erenya hier war, meine Erenya, war es gut, dass es mich hierher verschlagen hatte. Wenn dieses Mädchen die war, die ich glaubte, musste ich unbedingt mit ihr sprechen.
 

Nezu und All Might waren die Letzten, die zurückkehrten, doch der Direktor zögerte nicht, direkt mit der Besprechung zu beginnen. Offenbar hatte er sich die Mühe gemacht, die wichtigsten Ausschnitte noch einmal bereit zu halten, sodass wir uns die angehenden Schüler der Yuei noch einmal in Aktion ansehen konnten. Entsprechend gingen wir auch nicht alphabetisch vor, sondern folgten der zeitlichen Abfolge der Prüfungen. Wann immer es um die reine Anzahl der besiegten Roboter und der damit verbundenen Punkte ging, hielt ich mich zurück. Da gab es meistens auch nicht viel zu diskutieren. Allein in einem Fall sprachen wir zwei Leuten die Punkte für einen Roboter zu und das war der meiner kleinen Erenya. Nahm man nur den Moment, hatte sie den Roboter besiegt, doch sie hatte die Falle eines anderen Prüflings ungewollt dafür benutzt. Ich fand es nicht richtig, da nur einer Person alle Punkte zuzusprechen, doch natürlich war einer direkt dagegen. Aizawa.

„Das ist lächerlich“, ächzte er leise. „In einem echten Kampf hätte auch nur ein Held den letzten Schlag ausgeführt.“ „Und dennoch“, widersprach ich heftig, „hätte jeder anerkannt, dass es Teamarbeit war.“ „Dann sollten wir die Punkte wohl Satsuki-san zusprechen. Sie hat die Falle aufgestellt und wie wir gesehen haben, hat sie hervorragend funktioniert“, schlug Nemuri vor, wirkte aber selbst nicht so richtig überzeugt. „Vielleicht teilen wir die Punkte und jeder bekommt die Hälfte?“, schlug ich vor. „Lächerlich und unlogisch“, konnte ich Aizawa leise hören. Er klang noch genervter als vorhin. „Die Punkte sollten an Okamoto-san gehen“, befand er und faltete die Hände im Schoß. „Hrm, ich finde, die junge Okamoto-san hat da zwar den Sieg errungen, aber es war nicht nur ihr Verdienst“, befand All Might mit dröhnender Stimme. Auf den Zug sprang ich sofort auf. „Außerdem ist es zugleich ein wichtiges Zeichen, wenn wir beide Beteiligten mit Punkten belohnen. Es zeigt, dass die Fähigkeit zur Teamarbeit für die Berufung als Held eine wichtige und von uns hoch geschätzte Eigenschaft ist!“ Nemuri neben mir nickte energisch. „Ein interessanter Gedanke“, pflichtete sie mir indirekt bei. „Man könnte die Situation als Lehrbeispiel verwenden, um zu erläutern, wieso die Mädchen beide belohnt worden sind. Helden arbeiten schließlich oft im Team.“

Leise konnte ich Aizawa wieder murren hören. Schon klar, er war kein großer Freund von Teamarbeit. Ich rollte ein bisschen mit den Augen, verkniff mir jedoch eine Bemerkung. Es wäre keinem geholfen, wenn ich hier einen Streit vom Zaum brach. Zumindest einigten wir uns schließlich mit einer Mehrheit darauf, dass die Punkte beiden Beteiligten zugesprochen wurden, sonst wären sie wahrscheinlich nur Erenya erteilt worden. So sehr ich Eri auch mochte, das hätte ich einfach nicht fair gefunden. Zum Glück sah nicht nur ich das so.
 

Zwei Stunden später hatten wir gefühlt noch fast nichts geschafft. Zumindest kam es mir so vor. Bei den Anwärtern, die sich nicht um ihr Umfeld gekümmert hatten, sondern nur auf Roboterjagd waren wie Bakugo, war es recht einfach, doch bei einigen waren wir uns sehr uneins, ob Rescue Points angemessen waren. Die Verteilung oblag zwar letzten Endes jedem individuell, aber diskutiert wurde dennoch intensiv. Bei Tsuyu waren wir uns noch verhältnismäßig einig. Sie hatte einem Jungen geholfen, der von seinem eigenen Quirk beinahe von einem Gebäude gestoßen worden war. Blitzschnell hatte das Froschmädchen ihn mit ihrer Zunge eingefangen und sicher abgesetzt. Auch wenn sie in dem akuten Moment nicht Punkte hatte vorbeiziehen lassen oder Gefahr für sich in Kauf hatte nehmen müssen, hatte sie sich dennoch die Zeit genommen zu helfen, anstatt den Jungen als Konkurrenten zu sehen. Das rechnete ich ihr hoch an und so bekam auch Tsuyu von mir einen Punkt. Ohne ihre Hilfe hätte sich der Junge bestimmt schwer verletzt. Deutlich einfacher war es wieder bei Aoyama. Dessen Bauchnabellaser hatte eher noch eine Gefahr für einen anderen Prüfling bedeutet, den Aoyama schlicht nicht gesehen hatte. Dass er dem gleichen Prüfling kurz darauf die Hand gereicht hatte, um ihm aufzuhelfen, war da in meinen Augen das mindeste und keine Rescue Points wert. Hanta und Mezo hatten sich gewissermaßen in Teamarbeit - und da waren wir uns ausnahmsweise alle einig - einige Rescue Points verdient. Sie hatten ein in Panik geratenes Mädchen vor einem Roboter abgeschirmt, den schließlich Hanta erledigte. Vielleicht gab ich auch genau deshalb Mezo einen Punkt mehr. Er hatte die Punkte einfach ignoriert und mit seinem eigenen Körper das verängstigte Mädchen abgeschirmt, das weinend und zitternd in seinen Armen gehangen hatte, ehe sie nach Vernichtung des Roboters allein gen Ausgang gelaufen war. Die Prüfung hatte sich für sie erledigt, sie war freiwillig ausgeschieden.
 

„Okamoto, Erenya“, las Nezu den nächsten Namen vor, als die Videoaufnahmen auch schon den heldenhaften Einsatz meiner kleinen Eri zeigten, wie sie alles gab und die Fähigkeiten ihrer potentiellen Konkurrenten und Mitschüler nutzte, um die Lage für alle zu entschärfen. Auch beim zweiten Schauen war ich noch immer beeindruckt. Ob ich mich das getraut hätte, konnte ich ehrlich nicht sagen. Wenn sie sich damit keine Rescue Points verdient hatte, wusste ich auch nicht. Niemand anderes hatte auch nur daran gedacht, dem Jungen zu helfen. Vielmehr hatten alle ihre eigene Sicherheit in den Fokus gesetzt und überlegt, wie sie sich sicher aus dem Gefahrenbereich entfernen konnten. Selbst jene, die ihr geholfen hatte, wären nicht so weit gegangen, wie es Erenya getan hatte.

„Unbedacht und risikobehaftet“, urteilte Aizawa gnadenlos und sorgte damit dafür, dass ich ihn fassungslos anstarrte. Im Ernst? Das war es, was ihm dazu einfiel? „Das mag sein, aber sie hat die Fähigkeiten ihrer Mitstreiter rasant schnell eingeschätzt und in ihren Plan eingebunden“, bemerkte Nezu, ehe er an seinem Tee nippte. „Und obendrein jede Chance darauf, weitere Villainpoints zu ergattern, ohne zu zögern eingestellt, um einem Menschen in Not zu helfen“, betonte ich fast schon etwas bissig in Aizawas Richtung, der gänzlich unbeeindruckt wirkte. „Dem kann ich nur zustimmen. Sie hat großen Mut in brenzliger Situation bewiesen und das Wohl Anderer vor ihr eigenes gestellt“, stimmte All Might mit dröhnender Stimme zu, doch auch das überzeugte Aizawa eindeutig noch nicht. „Genau was ich sagte. Unbedacht und risikobehaftet. Sie hat vorschnell gehandelt und ist ein sehr hohes, schwer kalkulierbares Risiko für sich eingegangen, als sie sich dem Jungen näherte. Mit weniger Glück wäre sie vom Laser getroffen worden.“ Seine Stimme blieb monoton, doch dass er so direkt weitersprach, bevor jemand sich dazwischen schieben konnte, ließ ahnen, dass ihm wichtig war, was er mitzuteilen hatte. „Ein Held muss Risiken abschätzen und dazu zählt auch, nicht blind ins eigene Verderben zu laufen.“ Sein Blick wanderte kurz, aber doch unübersehbar in All Mights Richtung. Der verstand den Seitenhieb unübersehbar sofort.

Mir war absolut schleierhaft, wie sich irgendjemand von diesem Pokerface täuschen lassen konnte. Die ganze Figur All Might war so offensichtlich künstlich und unecht, so nicht menschlich und ohne offenkundige Schwächen, dass mir ironischerweise genau das als größte und offensichtlichste Schwäche erschien. Kein Mensch war so und jeder musste das doch erkennen. Fragte sich denn niemand, welche Sorgen einen Helden wie ihn umtrieben, welche Ängste? Fragte nie jemand danach, wie er verarbeitete, was er sah und durchlebte? Diesen Teil des Heldenbusiness konnte ich einfach nicht gut finden. Ich sollte später wohl mal mit Nezu darüber sprechen, damit unsere Schüler die Möglichkeit hätten, sich an jemanden vertrauensvoll zu wenden, vor dem sie nicht das Gefühl hätten, als Held dastehen zu müssen und bei dem sie ganz offen über alle Ängste und Sorgen reden konnten.
 

„Ich stimme für sieben Rescue Points“, mischte sich Sekijiro ein, der nachdenklich auf den Bildschirm starrte. „Sie hat gezeigt, was in ihr steckt und das sollten wir honorieren.“ Aizawas Miene verfinsterte sich. „Sie konnte nur durch Glück Villainpoints gewinnen. Es ist fraglich, ob sie mit ihrer Fähigkeit einen Weg findet, um Karriere als Held zu machen. Heute hat sie vor allem bewiesen, dass sie diese Fähigkeit einsetzen kann, um Andere davon zu überzeugen, ihr zu helfen, wenn keine Abneigungen dagegen sprechen. Es ist jedoch sehr gut möglich, dass diese Form der Zwangskooperation negativ aufgenommen wird.“ Er klang noch immer sehr neutral und ich verstand, worauf er hinauswollte und dass der Einsatz ihrer Fähigkeit für Erenya auch dazu führen könnte, dass man sie ablehnte, aber dennoch konnte ich ihm einfach nicht zustimmen, als er meinte: „Vier Rescue Points.“ „Zehn Rescue Points“, summte Himeno Kotonami, eine Professorin für Chemie. Ihr Quirk war irgendetwas mit Salzsäure, wenn ich mich richtig erinnerte. Sie war sehr still gewesen bisher, sodass es umso mehr auffiel, dass sie nun mit ihrer dunklen Stimme das Wort ergriff. „Das Mädchen hat in kurzer Zeit eine Lösung gefunden. Und Zeit ist nicht selten ein entscheidender Faktor, Aizawa“, fügte sie ernst hinzu. „Gerade du solltest das wissen.“ Autsch. Hier flogen ja einige Spitzen heute.

„Neun Punkte“, entschied neben mit All Might unter dem finsteren Blick Aizawas. „Von mir gibt es Zehn Punkte“, erklärte ich mit herausfordernder Stimme. Wenn Aizawa das nicht passte, dann sollte er halt rumnöckeln. „Ich finde, von einem angehenden Helden kann man nicht mehr erwarten als das, was Okamoto-san geleistet hat. Sie hat in einer schwierigen Situation schnell und effektiv für eine Zusammenarbeit gesorgt, die Lage analysiert und Rettungsmaßnahmen eingeleitet, das Wohl anderer Menschen vor ihr eigenes stellend.“

Neben mir kicherte Nemuri leise. „Das hat sie. Ihre Fähigkeit ist noch unausgereift, aber ich sehe darin viel Potential“, flötete sie fast ein wenig zu gut gelaunt. Dass ihr Erenyas Fähigkeit gefiel, überraschte mich gar nicht. „Auch ich gebe ihr 6 Punkte.“ Ein bisschen enttäuscht war ich jetzt schon. Irgendwie hatte ich nach ihren ersten Worten gehofft, dass Nemuri meiner kleinen Eri mehr Punkte gäbe. Wenn sich die übrigen Lehrer Aizawas Einschätzung anschlössen, könnte es passieren, dass es nicht für die Heldenabteilung reichte. Ich biss mir auf die Unterlippe. „Hach, sie wird es in der Pubertät nicht einfach haben“, ließ Nemuri vernehmen und klang dabei für meinen Geschmack doch sehr, als könnte sie es gar nicht abwarten, das Desaster zu beobachten. Unrecht hatte sie jedoch nicht. Ausgerechnet in der Pubertät, wo sowieso jeder Mensch gefühlt völlig durchdrehte, wäre es für Erenya sicher nicht immer einfach, Grenzen zu ziehen und ihre eigenen Gefühle klar zu ordnen. Ganz zu schweigen von ihrem Umfeld. Sicher gäbe es da die eine oder andere Anschuldigung, sie habe jemanden beeinflusst, auch wenn dem nicht so war. Ich seufzte im Stillen, während auch die übrigen Lehrer ihre Punkte bekanntgaben.

Von Erenya kamen wir direkt zu Kyoka Jirou. Da sie Eri geholfen hatte, und zwar ohne Zwang und mit berechtigten Einwänden, gab ich ihr großzügige fünf Punkte, auch wenn ich damit über dem Schnitt lag. Ich fand, der Wille, in Kooperation ein Problem anzugehen und Menschen zu retten, gehörte eben auch honoriert. Aizawas strenge Blicke ignorierte ich gekonnt. Er hatte ihr nur einen einzigen Punkt zugesprochen, weil ihre Rolle in der Rettungsaktion gering gewesen sei und sie Erenya nicht von den Risiken abgehalten hatte, die diese eingegangen war. Irgendwie ahnte ich schon jetzt, dass Eraserhead und ich noch so manche Male aneinandergeraten würden, wenn es um die Benotung und Bewertung unserer Schützlinge ginge.
 

„Wenn Ihr mich kurz entschuldigen würdet.“ All Might erhob sich. Nemuri neben mir nickte nur, sah aber nicht einmal auf. Es war schon das vierte Mal, dass er zwischen den einzelnen Besprechungen den Raum verließ und für eine gefühlte Ewigkeit verschwand. Warum war für mich nicht schwer zu erraten und ich ahnte, dass außer mir ohnehin alle eingeweiht waren und sich daher auch niemand wunderte. Wir besprachen die eindeutigen Fälle einfach, während All Might fort war. Dieses Mal jedoch nicht, entschied ich, denn ich hatte Erenya betreffend noch ein paar Fragen, auf die ich mir von dem Hünen ein paar Antworten erhoffte. Ich wollte wissen, wieso er bei Erenyas Namen so gestutzt hatte. Da steckte doch mehr dahinter und was immer es war, wenn es ihn betraf, dann war es garantiert wichtig für den Plot des Mangas. Das durfte ich mir nicht durch die Lappen gehen lassen!

Da ich ja wusste, dass All Might immer ein ganzes Weilchen wegblieb, entschied ich, dass ich erst noch in Ruhe mit meinen Kollegen über Ochaco und Tenya sprechen konnte, ehe ich All Might folgte, um ihn zur Rede zu stellen. „Dann sind wir uns ja einig“, schloss Hizashi gut gelaunt. „Ein Rescue Point für Tenya, Iida.“ Reihum wurde genickt, dann war Ochaco dran. Bei ihr waren wir uns nicht ganz so einig und letztlich entschied ich für mich, ihr zwei Rescue Points zu geben, bevor ich mich demonstrativ streckte. „Ich vertrete mir kurz die Beine und hole mir etwas Kaltes zu trinken. Möchte noch jemand?“, sah ich fragend in die Runde. Allgemeines Kopfschütteln. Was hatte ich auch erwartet? Sah man von Nezu ab, der gerade sicher schon die dritte Kanne Tee leerte, waren die meisten hier echte Kaffeefans - wie so viele. Dass ich hingegen keinen Kaffee mochte, war ein offenes Geheimnis, sodass sich niemand darüber wundern würde, wenn ich mir etwas anderes suchte. „Nein, danke. Wir machen hier derweil ein bisschen weiter“, nickte mir die wie eine Geisha gekleidete Lehrerin zu, deren Name mir schon wieder entfallen war. Bisher hatten wir kaum ein Wort miteinander gewechselt, weil sie in der Heldenabteilung nicht regelmäßig unterrichtete. Ich nickte ihr und meinen anderen Kollegen noch knapp zu, dann huschte ich aus dem Raum.

Zeit, All Might zu suchen. Weit konnte Toshinori ja nicht sein. Vermutlich in einem der angrenzenden Räume, um sich etwas zu erholen. Warum dieser ganze Aufwand betrieben wurde, nur damit ich nicht erfuhr, was mit ihm los war, verstand ich sowieso nicht. Wie lange glaubte man denn bitteschön, das vor mir geheim halten zu können? Darüber konnte ich wirklich nur mit dem Kopf schütteln. Die ganze Sache war doch von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Besser, ich ließ die Bombe früher denn später platzen. Das würde auch von Toshinoris Schultern eine Last nehmen, die er nicht zu tragen brauchte, immerhin kannte ich sein Geheimnis ja längst. Da gab es keinen Grund, dass er sich quälte und überanstrengte. Suchend wanderte mein Blick den Flur entlang. Keine Spur vom bekanntesten Helden unserer Zeit. Die Mühe, im Besenschrank nachzusehen, sparte ich mir, doch gerade als ich die Tür zum Aufenthaltsraum öffnen wollte, in dem ich sicher auch etwas zu Trinken fände, schob sich diese bereits direkt vor meiner Nase auf und meine Suche fand ein abruptes Ende.
 

Die Überraschung stand uns wohl beiden für einen Moment ins Gesicht geschrieben, doch ich erholte mich schneller und versperrte dem Helden kurzerhand den Weg aus dem Raum. „Ah, Sie habe ich gesucht“, flötete ich scheinbar arglos und lächelte so freundlich, wie ich konnte. „I-ist das so?“ Himmel, was ein mieser Schauspieler. Dass er nervös war, stand ihm offen ins Gesicht geschrieben, darüber konnte kein noch so breites Lächeln hinwegtäuschen. Mir tat der arme Kerl ja fast leid. Er musste glauben, ich wäre hinter sein Geheimnis gekommen. „Bestimmt haben Sie einen Moment, um mit mir ein paar Worte über Okamoto-san zu wechseln, oder?“, kam ich direkt zum Punkt und trat einen Schritt näher, womit ich All Might erfolgreich zurück in den Aufenthaltsraum drängte. Die Tür schob ich geflissentlich hinter mir zu. Zwar glaubte ich nicht, dass schon jemand nach einem von uns suchen würde, aber ich wollte nicht das Risiko eingehen, dass uns jemand belauschte. Etwas lächerlich musste es schon aussehen, dass jemand ohne Quirk wie ich ausgerechnet ihn vor mir hertrieb wie eine Katze eine Maus.

„Also eige-“, begann All Might, der sich sichtlich unwohl in seiner Haut fühlte und wohl bedeutend lieber stiften gegangen wäre, als mir Rede und Antwort zu stehen. Ich unterbrach ihn sofort, damit er gar nicht erst in die Verlegenheit kam, sich irgendeine fadenscheinige Ausrede auszudenken. „Woher kennen Sie Erenya Okamoto?“, konfrontierte ich ganz direkt. Sein Blick wanderte unsicher umher. Ich runzelte die Stirn, als er nicht direkt antwortete. „Versuchen Sie gar nicht erst, einen Fluchtweg zu finden. Wir sind bald Kollegen. Wie lange, glauben Sie, können sie vor mir davonlaufen?“, ergriff ich erneut das Wort. Etwas kleinlaut rieb sich der Hüne vor mir den Hinterkopf. „Also?“, hakte ich noch einmal nach. Das genügte, damit er einknickte. Seine Stimme klang gedrückt, als er mir endlich antwortete. „Das tue ich nicht, aber… Ich kannte ihre Eltern. Wir waren Kollegen. Sie waren großartige Helden.“ Waren. Es überlief mich eisig. Seine Stimme war immer leiser geworden und schließlich nur noch ein Flüstern gewesen. Ich brauchte nicht nachfragen, wie es ihm damit ging, die Tochter seiner Kollegen - wenn sie nicht sogar Freunde gewesen waren - zu sehen.

„Verstehe“, gab ich leise zurück und seufzte leise. Meine arme kleine Erenya hatte also ihre Eltern verloren. Das tat mir aufrichtig leid. Hoffentlich hatte sie eine liebevolle Pflegefamilie, die sich gut um sie kümmerte. Einen unglücklichen Eindruck hatte sie auf mich bisher nicht gemacht, doch ich würde bei ihr sicher doppelt genau hinschauen, jetzt, wo ich wusste, dass sie eine Waise war. Ein bitteres Lächeln lag auf All Mights Zügen, als er noch leise hinzufügte: „Sie ähnelt Charmeur wirklich sehr. Ganz die Mutter.“ Jetzt glitzerte sogar eine Träne verräterisch im Augenwinkel des Helden vor mir, der auf einmal gar nicht mehr so groß wirkte, obwohl er mich um einiges überragte. Doch angesichts seiner hängenden Schultern und der geschlagenen Miene, empfand ich einfach nur Mitleid. Mit Charmeur, die hatte sterben müssen, mit Waise Erenya und mit All Might, der sich sichtlich marterte, weil er seine Freunde verloren hatte. Einerseits war das sehr traurig und verständlich und auf der anderen Seite so typisch für ihn. Er glaubte wirklich, er müsste die ganze Welt retten und diese Last alleine tragen, doch dafür waren selbst seine Schultern nicht breit genug. Höchste Zeit, dass er das einsah.
 

„Ich bin sicher, dass Okamoto-san genau wie ihre Eltern auch eine formidable Heldin wird, wenn sie hier lernen kann“, versuchte ich einen aufmunternden Tonfall anzuschlagen. „Bestimmt wären sie stolz, ihre Kleine hier zu sehen und zu wissen, dass Sie über sie wachen und sie lehren.“ Zumindest ein klein wenig schienen meine Worte zu helfen, denn All Mights Haltung straffte sich nun wieder. „Das wird sie zweifellos“, entgegnete er, wohl im Versuch zu klingen wie immer, doch überzeugend war das nicht. Allerdings klang es dafür ehrlicher. Nicht so laut, sondern mit einem Hauch von Unsicherheit. Das zog ich der ganzen Show, die er sonst abzog, allemal vor. Leise seufzte ich und nickte gen Tür. „Wie klingt es für Sie, wenn wir versuchen, noch irgendwo etwas herrlich Ungesundes zum Naschen zu erbeuten und uns dann wieder an die Arbeit machen? Immerhin warten die Helden der Zukunft auf unser Urteil“, schlug ich mit einem Lächeln vor und machte im gleichen Zug Platz vor der Tür.

Er nickte nur und ging voran, blieb dann aber genau im Türrahmen noch einmal stehen und sah über die Schulter zu mir herunter. „Wie kommt es, dass Sie sich so für die junge Okamoto interessieren?“ Seine Frage traf mich unerwartet und obwohl weder eine Anklage noch eine Drohung darin lag, fühlte ich mich ein wenig ertappt. Eilig lächelte ich so arglos ich konnte zurück. „Neugierde. Mir ist aufgefallen, wie Sie reagiert haben und ich finde einfach, die Kleine hat sich in der Prüfung sehr gut gemacht. Auch wenn sie nicht viele Villain Points hat, kann ich nicht anders, als mir zu wünschen, dass sie es in die Heldenabteilung schafft.“ Oh je, ob er mir das abkaufte? Ich betete darum, denn die Wahrheit konnte ich ja schlecht erzählen. Wer würde mir das schon glauben? Niemand. War ich ganz ehrlich, würde ich das wohl auch nicht glauben, wäre es nicht gerade mir passiert.

Zu meinem Glück hinterfragte All Might meine Antwort nicht. Zuerst dachte ich, er steuere direkt den Besprechungsraum an, in dem die anderen Lehrer vermutlich gerade über irgendeinen armen Prüfling brüteten, doch dann ging er an der Tür vorbei in Richtung Cafeteria. Offenbar nahm er mich beim Wort und wollte nun wirklich etwas zu Naschen suchen. Schmunzelnd folgte ich ihm einfach. Ich hatte ja eh noch nichts zu Trinken geholt und da das meine Ausrede gewesen war, sollte ich das lieber nicht vergessen.
 

Bewaffnet mit zwei Flaschen Cola und einem Teller voller halbzerkrümelter Schokomuffins - die Reste vom Mittagessen - kehrten wir in den Besprechungsraum zurück, in dem Nemuri gerade Kaffee in mehrere Tassen füllte. „Dann können wir Eijiro Kirishima auch abhaken“, skandierte Eraserhead in gelangweiltem Tonfall, ehe er nach einer Tasse griff und vorsichtig daran nippte. Nezu nickte uns zu. „Ah, da seid ihr ja. Sehr gut. Dann fahren wir nun mit Izuku Midoriya fort.“ Oha, das konnte ja heiter werden, ging es mir noch durch den Kopf, als ich mich wieder zu Nemuri setzte, die ebenfalls einen Schluck von ihrem Kaffee nahm und dann den Blick auf den Bildschirm richtete, der uns Dekus Rettungsaktion zeigte. Die war zwar alles andere als elegant und obendrein hatte er sich selbst schwer verletzt, aber ich konnte nicht leugnen, dass er Mut bewiesen hatte. Hätte ich das gewagt, wäre ich an seiner Stelle gewesen? Vermutlich nicht, so ohne Quirk. In gewisser Weise war das ja schon suizidal und als Aizawa auch hier ein gebrummtes „Unbedacht“ hören ließ, konnte ich nur zustimmen.

Dass es schnell zu einer regen Diskussion gab, inwieweit der kleine Deku Punkte verdient hatte oder eben auch nicht, überraschte mich nicht im Geringsten. Sein größter Fürsprecher war - und auch das hatte ich erwartet - All Might. Natürlich, immerhin war Deku sein Schützling, sein Nachfolger. Ein Schluss, zu dem Aizawa ziemlich sicher auch bald käme, immerhin war er nicht blöd und wusste von One for All. Ich rieb mir über die Augen. „Ich stimme Aizawa-san zu. Der Junge war unvorsichtig und hat sich bewusst in Gefahr gebracht. Aber genau darum würde ich ihm auch Rescue Points geben. Er hat gewusst, dass er sein eigenes Wohl riskiert, aber er ist dieses Risiko eingegangen, um jemand anderes zu beschützen.“ Genau wie Erenya. Das lag mir auf der Zunge, doch ich schluckte die Anmerkung herunter. In meinen Augen war die kleine Eri deutlich cleverer vorgegangen. Sie hatte sich wenigstens einen groben Plan gemacht, den man daran erkannte, dass sie Hilfe gesucht hatte, um die Situation in den Griff zu bekommen. Natürlich wusste ich, dass auch Deku viel überlegte und das erkannte ich an, doch von außen hatte diese Aktion doch sehr chaotisch und ungeplant gewirkt.

Aizawa sah mich direkt wieder finster an. „Drei Rescue Points“, urteilte er gnadenlos. Mein Lächeln versteifte sich, doch ich kommentierte seine Entscheidung einfach nicht. Wir würden hier wohl nie auf einen Nenner kommen. Neben ihm schrumpfte All Might direkt ein wenig in sich zusammen. „Der junge Midoriya hat formidabel gezeigt, dass er das Zeug dazu besitzt, wahren Heldenmut an den Tag zu legen“, versuchte der Hüne zu argumentieren und beinahe glaubte ich, dass seine hochstehenden Strähnen etwas herabhingen, fast wie Hasenöhrchen. „Von mir gibt es zehn Punkte“, erklärte ich entschieden und erntete zustimmendes Nicken von Nemuri neben mir. „Ich finde auch, der Kleine hat sich gut geschlagen. Er muss ja gewusst haben, dass er seinen Quirk nicht richtig kontrollieren kann. Also zehn Rescue Points von mir.“ Aus den Augenwinkeln konnte ich beobachten, wie Nezu schmunzelte, während er seinen Tee trank und uns dabei zuhörte, wie wir versuchten, zu argumentieren, wo Midoriya Fehler gemacht hatte, die womöglich sogar noch eine Gefahr für seine Umgebung hätten bedeuten können. Das war gewissermaßen Aizawas Totschlagargument. „Ein Held, der sich selbst außer Gefecht setzt, kann niemanden beschützen. Er ist damit ein Risiko für sich sowie diejenigen, die er retten wollte und obendrein noch für seine eigenen Retter eingegangen“, kritisierte er harsch. Der Geisha-Lehrerin war anzusehen, dass sie ihre Punkte für Deku gerade nochmal überdachte. Aus den Augenwinkeln konnte ich jedoch sehen, dass sie nach kurzem Zögern eben doch eine Zehn für Deku aufschrieb.
 

„Hitoshi Shinsou“, benannte Nezu nach quälend langen Stunden, während derer All Might noch ganz dreimal den Raum verlassen hatte, um sich irgendwo zu verkriechen und zu erholen, endlich den letzten Prüfling. Dass von uns keiner mehr so richtig vor Motivation platzte, war nicht zu übersehen. Selbst Nezu war inzwischen auf Kaffee umgestiegen und ich hatte kurzerhand eine der beiden Flaschen Cola zu meiner erklärt und trank direkt daraus. Auf den Stühlen saßen wir auch längst nicht mehr, sondern inzwischen auf dem Boden, wo unsere Bewertungsbögen ausgebreitet lagen, weil wir immer häufiger Vergleiche gezogen hatten, um unsere Punkte möglichst fair zu vergeben. Sah man uns von außen hier hocken, sahen wir vermutlich aus wie eine seltsame Mischung aus Verschwörungstheoretikern und Obdachlosen, wobei ich nicht sicher war, in welche Ecke mich selbst dabei stellen würde. Aizawa, der sich in seinen Schlafsack gerollt hatte und so müde dreinsah, als würde jeden Moment einfach in einem komatösen Tiefschlaf fallen, war da einfacher einzuordnen. Ein kurzer Blick zum Fenster verriet mir, dass es bereits dämmerte. Kein Wunder, dass alle so erschöpft aussahen.

„Er hat nicht wirklich selbst jemanden gerettet oder einen Feind besiegt“, meinte Himeno, die Chemielehrerin träge und gähnte dann hinter vorgehaltener Hand. „Allerdings muss ich gestehen, dass das angesichts seines Quirks auch nicht die klügste Vorgehensweise gewesen wäre.“ Zustimmend nickte ich ihr zu. Sekijiro runzelte die Stirn. „Von mir erhält er sieben Rescue Points. Er hat strategisch und mit Verstand seine Fähigkeit eingesetzt, um klare Anweisungen zu geben, die zum gewünschten Erfolg führten. Einen kühlen Kopf zu bewahren, besonders in der Hitze des Gefechts, ist sehr bedeutsam für einen Helden im Einsatz.“ Ein bisschen überrascht sah ich in Sekijiros Richtung. Bisher war er eher zurückhaltend gewesen, was seine Begründungen anging. Dass er hier so vorpreschte, verriet, dass Shinsous Entschlossenheit und seine Entscheidungen Eindruck hinterlassen hatten. Zufrieden nickte ich. „Von mir erhält er neun Rescue Points. Einen direkten Kampf zu suchen, hätte ihm und seinem Umfeld nicht geholfen. Er hat den besten Weg gewählt, um seine Fähigkeiten und die seiner Mitstreiter auszuschöpfen, ohne dabei in Panik zu geraten oder unnötige Risiken einzugehen“, betonte ich und konnte mir dabei den kleinen Seitenhieb in Aizawas Richtung nicht verkneifen.

„Wieso dann nur neun Punkte?“, wollte Nezu neugierig wissen. Wie meistens, wenn er so direkt etwas scheinbar Harmloses fragte, hatte ich das ungute Gefühl, dass mehr dahinter steckte. „Weil er mit dem Einsatz seiner Fähigkeit auch das Vertrauensverhältnis zu potentiellen Verbündeten belastete, die nicht ahnen konnten, was mit ihnen geschähe“, antwortete ich schließlich und ahnte schon, dass das zu weiteren Diskussionen führen würde. Tatsächlich jedoch nickte Nezu nur mit einem zufriedenen Lächeln. „Verstehe.“ Ich verstand nicht. „Ich vergebe zehn Rescue Points“, durchbrach Aizawas Stimme meine Gedanken. Und offenbar nicht nur meine, denn die Blicke aller Anwesenden richteten sich auf ihn. Damit hatte niemand gerechnet. Eraserhead fuhr jedoch nicht fort, um seine Entscheidung zu begründen, sodass sich ein beklemmendes Schweigen über uns legte. Erst als Nezu erneut meinte „Verstehe“, erklärte Aizawa kurzerhand: „Die Gründe wurden bereits dargelegt.“ Wieder verstand ich nichts, denn bisher war Aizawa strenger als jeder andere von uns gewesen was die Rescue Points-Vergabe anging. Ob er sich selbst in Shinsou erkannte? Jemand, der keinen offensichtlich kampftauglichen Quirk hatte, der in der Unterstützung jedoch von unschätzbarem Wert sein konnte?

Die andere Seite des Pults

„Puuuh“, entfuhr es mir und ich brauchte mich nicht umsehen, um zu wissen, dass ich damit auch meinen Kollegen aus der Seele sprach. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es inzwischen war, aber gefühlt schon fast Mitternacht, auch wenn das wahrscheinlich nicht stimmte. Zumindest dunkel war es draußen schon geworden, so viel verriet mir rein Blick aus dem Fenster. Für die angehenden Schüler war die Prüfung zweifellos anstrengend gewesen, aber eben auch relativ schnell wieder vorbei, während unsere Arbeit erst danach wirklich begonnen hatte. Nemuri lag inzwischen auf dem Bauch auf dem Boden ausgestreckt und kicherte leise in sich hinein. „So viele interessante neue Schüler. Ich freue mich schon auf sie.“ So enthusiastisch sie auch dreinsah, so desinteressiert guckte Aizawa. Die beiden waren so unterschiedlich, sie sollten sich mal zusammentun. Seufzend rieb ich mir über die Augen. Wenigstens waren wir für heute durch. Alle Punkte waren verteilt und die Zahlen ausgewertet. Es stand somit fest, wer es in die U.A. High School geschafft hatte und auch, wer in welche Klasse käme. Die kleine Erenya hatte es geschafft. Sie würde in die Klasse 1-A gehen. Stolz hatte ich ihren Punktebogen gemustert, als wir die Punktezahlen verglichen hatten. Ob sie nun meine Eri war oder nicht, sie hatte sich gut geschlagen und es verdient, eine Chance zu erhalten, eine Heldin zu werden.

„Ah, wunderbar. Dann werden die Briefe mit der Bekanntgabe der Ergebnisse in den nächsten Tagen vorbereitet. Ich danke euch für die hervorragende Mitarbeit“, ergriff Nezu das Wort, die müde Stille durchbrechend, die sich über uns alle gelegt hatte. Neben mir erhob sich Nemuri und streckte die Arme und auch meine anderen Kollegen kamen nun langsam in Bewegung. Nach und nach tröpfelten sie aus dem Raum. Ich hingegen trat an Nezu heran, der sich gerade mit All Might hatte verkrümeln wollen, nun aber innehielt und mich fragend ansah. „Entschuldigen Sie bitte. Es gibt da eine Kleinigkeit, die ich gerne noch mit Ihnen besprechen wollte, Direktor Nezu.“ Mein Blick glitt kurz zu dem hünenhaften Helden in dem kunterbunten Anzug neben ihm. Lange würde der seine Gestalt wohl nicht mehr halten können. Der Tag hatte ihm einiges abverlangt.

„Oh, entschuldigst du uns?“, wandte Nezu sich an den hünenhaften Helden, meinen Blick missdeutend. „Na-“, begann der Profilheld sofort, doch ich unterbrach ihn. „Nicht nötig. Es ist nichts Geheimes. Ganz im Gegenteil. Es betrifft die Studenten“, erklärte ich eilig. Nezus Neugier hatte ich damit eindeutig geweckt. Aufmerksam sah der Maus-Maulwurf-was-auch-immer-er-war zu mir auf. Etwas unsicher war ich nun doch, aber das änderte nichts daran, dass ich meine Idee nicht dumm fand, sondern vielmehr richtig und wichtig. Ich fand es sogar eher seltsam, dass erst ich damit ankam. „Nun, mir ist aufgefallen, dass es überhaupt keine Ansprechperson für die Schüler gibt, an die sie sich mit ihren Sorgen wenden können. Dabei sind gerade Helden - und zweifellos auch angehende - großem Stress ausgesetzt. Ich finde, sie sollten nicht ohne eine Ansprechperson sein, mit der sie offen auch über Ängste und Sorgen sprechen können“, versuchte ich, meinen Standpunkt klar zu machen, ohne dabei zu eben dem Helden zu schauen, von dem ich insgeheim fand, dass er so jemanden auch ziemlich dringend brauchen konnte. Zu viele Menschen sahen nur diese Fassade, kaum jemand warf einen Blick dahinter. Ich wollte nicht, dass es der nächsten Generation Helden auch so erging. Diese Einsamkeit und der Zwang, zu funktionieren, zerstörten zu viel. Psychosen waren dabei ja faktisch vorprogrammiert und ich fand es unbedingt wichtig, da Vorsorge zu treffen.
 

Eindringlich sah Nezu mich an. „Mh, ich stimme dir zu. Es ist wichtig, dass wir die Helden der Zukunft unterstützen und ihnen ein Umfeld bieten, in dem sie sich nicht allein gelassen fühlen und wissen, dass sie sich jemandem anvertrauen können, der sie nicht verurteilt“, sinnierte er und lächelte im nächsten Moment auch schon wieder. „Ich finde, das ist eine hervorragende Idee und möchte diese Aufgabe gerne dir und All Might anvertrauen.“ Ich öffnete meinen Mund, doch es kam kein Ton heraus. Wieso klang das nun bitte für ihn nach einer guten Idee? Wie kam Nezu auf den Trichter, einer von uns wäre dafür geeignet? All Might konnte selbst jemanden brauchen, der ihm zuhörte und ich hatte überhaupt keinen Bezug zu den Ängsten eines Helden. Weder hatte ich so eine Laufbahn je angestrebt, noch überhaupt einen Quirk, der mir dafür den Weg hätte ebnen können. Ich war genau das Gegenteil: Verdammt dazu, nur die Opferrolle kennenzulernen, geriete ich jemals zwischen die Fronten.

„Wir?“ Offenbar war All Might davon ebenso überrascht wie ich. Fein, wir waren uns wenigstens einig. „Aber ja doch“, entgegnete Nezu hörbar bester Laune. „Wer könnte jungen Helden als besseres Vorbild dienen?“ Darauf fiel dem Symbol des Friedens dann nichts mehr ein, doch bevor ich nun meiner Ernennung widersprechen konnte, wandte sich Nezu mir zu. „Ich bin überzeugt, du wirst dieser Aufgabe absolut gerecht. Gerade als jemand ohne Quirk kannst du ihnen besser als jeder andere aufzeigen, dass ihre Furcht real ist, verständlich, aber dass man sie überwinden kann.“ Was immer ich hatte sagen wollen, es war mir entfallen. Der Direktor klang nicht, als wäre das ein Vorschlag, sondern eher, als habe er das nun entschieden und finde das alles absolut wunderbar. Vielleicht sollte ich auch einfach froh sein, dass er meine Idee nicht einfach abgetan oder jede Erwägung auf die lange Bank geschoben hatte. Ich schluckte. “Nun, dann werde ich mich nun entschuldigen. All Might, wir sehen uns gleich in meinem Büro?“, wechselte Nezu das Thema unvermittelt und ehe ich mich versah, waren die beiden auch schon verschwunden und ich blieb mit meinem neuen Job zurück. Das hatte ich ja toll hinbekommen.

Noch fassungslos rieb ich mir die Schläfen. So viel dann also zu meiner ach so tollen Idee, wie man die Schüler weiter fördern und unterstützen könnte. Plötzlich patschte mir jemand auf den Rücken. Nemuri. „Was hältst du davon, wenn wir zur Feier des Tages lecker essen gehen?“, schlug sie grinsend vor und nickte dabei in Richtung Present Mics. „Ich kenne da den perfekten Ort“, fügte dieser hinzu. „Ein kleines, familiäres Restaurant mit fantastischer Küche.“ Um seine Worte zu unterstreichen, hob er eine Hand und formte ein O mit Daumen und Zeigefinger. Einen Moment lang zögerte ich. Platzte ich damit in ein Date der beiden? Falls ja, würde ich auf jeden Fall passen. Nicht nur, dass ich ganz entschieden nicht zwischen ausgerechnet diesen Zweien sitzen wollte, wenn sie flirteten, ich wollte auch einer Freundin nicht ihr Date versauen, indem ich das berühmte dritte Rad am Wagen spielte. Lieber passte ich und machte mir einen gemütlichen, faulen Abend mit herrlich fettiger Pizza auf dem Sofa. Tatsächlich klang das schon in meinem Kopf sehr verlockend. „Na komm schon, Daelis.“ Nemuri stieß mich spielerisch in die Rippen. „Das wird lustig.“ Nur kurz zögerte ich, dann zuckte ich mit den Schultern. „Klar, klingt gut. Mir hängt der Magen eh in den Kniekehlen. Euch nach.“
 

Ich weiß gar nicht, wieso, aber irgendwie hatte ich erwartet, dass Nemuri fahren würde wie eine besengte Sau. Das war jedoch absolut nicht der Fall, ganz im Gegenteil. Sie erinnerte mich eher an mich selbst und mir hatte mein Fahrlehrer schon den Spitznamen Prinzessin Valium II. verpasst. Als wir auf dem Parkplatz hielten, döste ich schon ein bisschen vor mich hin. Wäre ich nicht so hungrig, hätte ich vielleicht ernsthaft in Erwägung gezogen, ein Nickerchen auf dem Rücksitz zu machen. „Das Essen hier ist super, du wirst sehen“, ereiferte sich Nemuri, als sie den Wagen hinter uns abschloss und wir Hizashi ins Restaurant folgten. Neugierig sah ich mich um. Gemütlich war es hier allemal. Ein kleines, familiäres Restaurant, gepflegt, aber nicht Schickimicki. Doch das Beste war eindeutig der Duft, der einem hier in die Nase stieg. Wie um diesen Gedanken zu untermalen, knurrte mein Magen leise. Zum Glück übertönte Hizashi das problemlos, als er einen Mann in etwa unserem Alter begrüßte, der hinter dem hohen Tresen hantierte. Vermutlich der Koch. Ob es der Stammplatz meiner zwei Kollegen war, konnte ich zwar nicht sagen, aber Nemuri schob mich zielsicher zu einem Tisch an einer Wand, von dem aus man einen guten Blick durch das gemütliche Lokal hatte.

Wir hatten gerade Platz genommen, als der Mann zu uns an den Tisch kam. „Guten Abend, was darf ich euch zu trinken bringen?“, begrüßte er uns mit einem freundlichen Lächeln, das jedoch merklich erstarb, als sein Blick an Hizashi hängen blieb. „Wir nehmen drei große Bier!“, bestellte dieser lautstark und strahlte dabei bester Laune. „Übernehmen Sie sich da nicht etwas?“, entgegnete der Mann provokant, doch Hizashi schien das entweder nicht zu bemerken oder es war ihm schlicht egal. Eilig grätschte ich dazwischen. „Zwei. Ich möchte lieber ein Litschi-Ramune. Ich trinke keinen Alkohol“, fügte ich etwas leiser hinzu ob der verwunderten Blicke meiner Kollegen. „Mh, wenn Sie sie mir bringen, nehme ich davon auch noch eine“, flirtete Nemuri schamlos drauflos. Der Kellner-Koch lächelte Nemuri und mir zu, als habe er das überhaupt nicht bemerkt. „Kein Problem. Ich bin gleich wieder bei Ihnen.“ „Oh, ich freue mich schon darauf“, säuselte ihm Nemuri hinterher und starrte ihm dann auch noch ungeniert nach. Worauf hatte ich mich hier nur eingelassen? Ich rieb mir über die Schläfe. „Zumindest ein Bier könntest doch wirklich mittrinken. Soll ich doch noch…?“ „Nein“, unterbrach ich ihn kurzerhand, ehe Hizashi seine Frage beenden konnte. „Das ist wirklich lieb gemeint, aber ich mag keinen Alkohol und darum trinke ich ihn nicht. Glaub mir, mit der Litschibrause bin ich sehr viel glücklicher“, betonte ich mit einem Lächeln. Hizashi hob die Schulter und schüttelte ein bisschen den Kopf, als wolle er sagen „Keinen Geschmack, die Frau, da kann man auch nicht mehr helfen“. Lachend schlug Nemuri mir auf die Schultern. „Wir finden noch irgendetwas, das du magst und dann… finden wir heraus, wie lustig du betrunken bist.“ Die zweite Hälfte ihres Satzes hatte fast drohend geklungen. Unsicher grinste ich. Auf ihre Versuche, diese Ankündigung wahr zu machen, konnte ich gut verzichten.

„Du musst unbedingt das Yakitori hier probieren. Das ist sooo lecker!“, schwärmte Nemuri, kaum, dass ich nach der Karte gegriffen hatte. „Ah, nichts geht über die Tempura-Garnelen“, widersprach Hizashi und legte sich eine Hand auf den Bauch. „Absolut köstlich!“ Nachdenklich ließ ich meinen Blick über die Karte gleiten. An die japanische Küche hatte ich mich inzwischen gewöhnt und wenn es hier so gut schmeckte, wie es roch, könnten Nemuri und Hizashi mich später rausrollen. „Ich denke, ich nehme das Yakitori“, entschied ich schließlich nach eingehendem Studium der Speisekarte. „Wir könnten uns noch Tempura teilen“, bot Nemuri an. „Oder Frühlingsrollen?“ „Frühlingsrollen klingt gut“, mischte sich Hizashi ein, da kam der Kellner-Koch auch schon mit unseren Getränken. „Sie haben sich schon entschieden?“, erkundigte er sich gut gelaunt, wobei sein Blick allein Nemuri und mir galt, die sofort nickte und so süßlich unsere Bestellungen heruntersäuselte, dass ich nicht sicher war, ob ich nicht versehentlich in einer Sex-Hotline gelandet war.
 

Der Mann war kaum verschwunden, da trat eine Frau an unseren Tisch. Ihre Schürze verriet, dass sie auch zum Restaurant gehörte und erst jetzt bemerkte ich auch den Namen. Okamoto. Okamoto wie Erenya Okamoto. War das ein Zufall? Ich starrte wie gebannt auf den Schriftzug, sodass ich prompt verpasste, was die Frau sagte. Hatte sie sich vorgestellt? Etwas gefragt? Irritiert sah ich zu ihr, als sie nun eine Art Grill auf dem Tisch aufbaute. Hizashi klatschte begeistert in die Hände und Nemuri sah aus, als hätten wir gerade im Lotto gewonnen. Okay, ich hatte eindeutig etwas verpasst. Kochte sie etwa hier? Ich war hoffnungslos verwirrt. „Miwako, hast du den Teig schon dabei?“, rief der Mann, der nun wieder hinter dem Tresen stand. „Noch nicht.“ Miwako war dann wohl der Vorname der Frau. Ob sie beide ein Ehepaar waren? Dass sie sich duzten und in etwa dem gleichen Alter waren, erweckte diesen Eindruck, wenn man den Eindruck des Restaurants als Familienbetrieb bedachte. Ich musterte die Frau, die lächelnd eine Schale von ihrem Ehemann entgegennahm und sich dann uns zuwandte. Eine gewisse Ähnlichkeit zu Erenya konnte ich schon erkennen. Ob das wohl ihre Mutter in dieser Welt war?

Zu meiner Überraschung kochte sie wirklich am Tisch - und zwar ohne Kochplatte. Dass sie die nicht benötigte, bewies Miwako Okamoto eindrucksvoll. Geschickt ließ sie Flammen aus ihren Handflächen schießen, um alles zu erhitzen. Eindrucksvoll sah es allemal aus, wie sie die kleinen Töpfe reihum in die Hände nahm, mal drehte, mal schwenkte. Ich war so gebannt von dem Anblick, dass ich es nicht mal bemerkt hätte, hätte hinter uns ein Seniorenpaar nackt Lambada getanzt. Als sie sogar in Folie gewickeltes Gemüse zwischen Kohlen schob und diese entfachte, musste ich schon gestehen, ein klein wenig neidisch zu sein. Als jemand ohne Quirk schien es fast wie Magie. „Einmal die Frühlingsrollen nach Art des Hauses mit Currysoße“, meinte sie gut gelaunt und verteilte die kleinen Köstlichkeiten als Vorspeise auf unsere Teller. Dass ihr Ehemann ungeniert in die glühenden Kohlen griff, um das darin gegarte Gemüse für die Hauptspeise herauszuholen, wunderte mich da schon fast gar nicht mehr. „Gott, das ist gut“, schwärmte ich ungeniert los, als ich vom Yakitori probierte. Keine Ahnung, in was sie das Fleisch eingelegt hatten, aber es war wahnsinnig gut. Hizashi blubberte eine Erwiderung in sein Bier, die ich nicht verstand, aber der Grundton war eindeutig: Das Essen hier war köstlich.

„Whoa, das sollten wir unbedingt wiederholen“, seufzte ich zufrieden, als wir das Restaurant verließen. So vollgefressen wie jetzt war ich ewig nicht gewesen und ich könnte schwören, einen Bissen mehr und ich würde einfach in ein Fresskoma fallen. „Haha, das machen wir auf jeden Fall. Vielleicht kommen ja nächstes Mal ein paar Leute mehr mit“, lachte Hizashi, der sich mit einem hörbaren „Phew“ auf den Beifahrersitz von Nemuris Auto fallen ließ. „Ich könnte ja den Koch bezirzen, damit er an der Schule für uns alle kocht“, fügte Nemuri kichernd hinzu, meinte ihren Vorschlag jedoch hörbar nicht ernst. Dass die beiden, die uns bedient hatten, ein Ehepaar waren, hatte sich ziemlich deutlich herauskristallisiert. Spätestens als die Köchin meinte, sie wolle nach „unserer Kleinen“ sehen, kam mir jedoch auch wieder der Gedanke, dass ich hier vielleicht Erenyas Eltern kennengelernt hatte. Danach sollte ich sie auf jeden Fall fragen. Müde krabbelte ich auf den Rücksitz. Von der Heimfahrt bekam ich nur wenig mit, versank ich doch in Grübeleien darüber, ob Erenya wirklich meine Eri war und wie es uns beide hierher verschlagen hatte.
 

Dass meine Kleine es in die Heldenklasse geschafft hatte, wusste ich schon vor ihr. Ein paar Tage nach den Prüfungen hatte Aizawa mir im Vorbeigehen eine Schülerliste in die Hand gedrückt, die ich ungeniert direkt auf Erenyas Namen geprüft hatte. Bingo! Sie war, genau wie Shinsou, in die Heldenklasse gekommen, die damit um zwei Schüler größer war als ursprünglich im Manga vorgesehen. Zwar war ich prinzipiell der Ansicht, dass es unklug wäre, den Hauptplot des Mangas irgendwie zu stören, aber Erenya würde sicher aufpassen, dass sie das nicht tat und Shinsou landete früher oder später sowieso in der Heldenklasse, da dürfte das doch keinen großen Unterschied machen, oder? Ich zumindest sah das Ganze optimistisch. Meine eigene Anwesenheit veränderte um Glück nichts. Als quirklose Geschichtslehrerin war ich ein Charakter ganz am Rande, den man höchstens in einem vergessenen Panel am Rande sah. Soweit also alles gut. Alles würde seinen gewohnten Gang nehmen, auch wenn es die eine oder andere Ecke in der Geschichte gab, die zu ändern mir gar nicht so falsch erschien. Allen voran der Tod Sir Nighteyes. Vielleicht könnte ich da ein paar Hinweise in Nezus Richtung streuen, damit dieser die nötigen Vorbereitungen traf?

Andere Vorbereitungen erwarteten mich allerdings zuerst. Unterrichtspläne wollten erstellt werden. Eine grobe Idee hatte ich schon, doch gerade für diejenigen, die nicht anstrebten, Helden zu werden, wollte ich ein paar Anpassungen vornehmen, um den Fokus anders zu setzen. Schlimm genug, dass ich nichts vom Unterrichten verstand, aber ich wollte wenigstens gut vorbereitet sein. Noch während ich darüber grübelte, glitt mein Blick über die Klassenliste der Klasse B. Auch die hatte sich verschoben. Zwei Namen, die mir gar nichts sagten, standen auf der Liste. Ich stutzte. War den beiden auch durch Erenyas und mein Wirken auch ein anderes Schicksal zuteilgeworden oder waren sie womöglich… wie wir? Gehörten sie vielleicht eigentlich nicht hierher? Selbst wenn es so war, wie sollte ich das herausfinden? Sie direkt darauf ansprechen konnte ich sie auf keinen Fall. Vielleicht war auch einfach nur die Klassengröße von Klasse B an die von Klasse A angepasst worden. Auf jeden Fall konnte es nicht schaden, wenn ich ein paar Erkundigungen über die Zwei einholte, die wohl bewertet worden waren, während ich All Might zum Gespräch gestellt hatte. Sonst kämen mir die Namen nicht so unbekannt vor. Neugierig genug war ich allemal, also zögerte ich nicht lange und suchte mir im Lehrerzimmer eine ruhige Ecke, um mir die Prüfungen der beiden anzusehen.

Mit Rumi Hotsuin fing ich an. Wie mir ihre Akte verriet, war sie in ihrer Freizeit ein Idol. Dass sie obendrein noch anstrebte, ein Held zu werden, war beeindruckend, doch ließ mich zugleich stutzen. Wenn sie sich dabei mal nicht übernahm oder eine Laufbahn nur verfolgte, um damit im Grunde die andere zu unterstützen. Ich hoffte, sie wollte wirklich eine Heldin werden und nicht nur an ihrem Image feilen. Ihre Fähigkeit war auf jeden Fall beeindrucken, wie die Prüfungsaufnahmen zeigten. Mit ihrem Gesang konnte sie verschiedenste Effekte erzeugen. Sie beruhigte damit einen Mitschüler und öffnete im nächsten Augenblick eine eingestürzte Passage, indem sie hohe Noten sang, die den Beton rissig werden ließen. Ihre Attitüde jedoch ließ mich Probleme vorausahnen. Sie gab sich so selbstsicher, dass es an Arroganz grenzte. Vielleicht lag das auch mit daran, dass sie eine Sondergenehmigung hatte, ihren Quirk in gewissen Grenzen sogar bei ihren Auftritten als Idol zu benutzen. Seufzend rieb ich mir die Schläfe und nahm mir den zweiten, mir unbekannten Schüler der Klasse B vor: Daichi Arisawa. Dessen Telekinese war nicht weniger beeindruckend, das musste ich neidlos zugeben, doch noch mehr fiel mir die Bemerkung zu den Nebenwirkungen seines Quirks auf. Wenn er sich überanstrengte, konnte oder vielmehr musste er alle Gefühle um sich herum mitfühlen. Was für einen psychischen Stress das bedeuten musste, konnte ich mir nicht einmal ausmalen. Kein Wunder, dass er in den Videoaufnahmen so distanziert wirkte. Nachdenklich ließ ich meinen Blick über seine Akte gleiten. Woher die Nebenwirkung kam, war leicht zu erahnen. Seine Mutter war Empathin, während die Kräfte seines Vaters den seinen sehr ähnelten. Hoffentlich fanden die zwei sich gut in die Klassengemeinschaft ein. Mit diesem Gedanken schloss ich die Akten. Es gab noch genug anderes für mich zu tun.
 

Als der erste Schultag der neuen Klassen endlich gekommen war, hatte ich nicht mehr das Gefühl, besonders gut vorbereitet zu sein. Daran konnten auch ganze Notizbücher voller Stichpunkte und Verweise nichts ändern. Ich war so nervös, dass ich Nemuri damit schon beim gemeinsamen Frühstück in den Ohren lag, auch wenn ich nicht sicher war, ob sie mir überhaupt zuhörte. Vor ihrem morgendlichen Kaffee war sie zu nichts zu gebrauchen und so lange hatte ich nicht gewartet. Anders als sie war ich nämlich schon in aller Herrgottsfrühe hellwach gewesen und hatte nicht mehr schlafen können vor Aufregung. Selbst, wenn dem nicht so gewesen wäre, wäre ich wohl lieber ins Klassenzimmer geschlafwandelt, als Kaffee zu trinken. Wie sich jemand dieses ekelhaft bittere Gebräu zu Gemüte führen konnte, würde mir sowieso ein Rätsel bleiben. Stattdessen hatte ich, mir selbst treu bleibend, das Frühstück geskippt und hatte nur so lange in meinem Kakao herumgerührt, dass Nemuri ihn mir irgendwann aus der Hand genommen hatte. Und als wäre ich nicht schon sowieso nervös genug gewesen, brachte mir Aizawa zwischen Tür und Angel schon die erste Hiobsbotschaft. „Du wirst vorerst die Klassenlehrerin der allgemeinen Abteilung sein. Wir haben einen Ausfall“, informierte er mich so kurz angebunden, dass ich nur verdattert dreinsah. „Oh...kay?“ Mehr brachte ich nicht heraus. Klassenlehrerersatz zu sein, war definitiv mehr, als ich erwartet hatte. Ganz besonders an meinem ersten offiziellen Tag als Lehrerin. Ob es wohl allen Neulingslehrern so ging, wenn sie plötzlich irgendwo einspringen mussten?

Dass nicht nur ich wenig Begeisterung dafür aufbringen konnte, auf einmal eine reguläre Lehrerin zu ersetzen, war mir in dem Moment klar, in dem ich die Klasse betrat. Alle Augen richteten sich sofort auf mich und jedem meiner neuen Schützlinge stand ins Gesicht geschrieben, dass sie mich nicht für voll nahmen. Es passierte genau das, was ich von Anfang an befürchtet hatte. Prost Mahlzeit. Scheiße. Gut, dass ich mir deshalb gefühlte tausend Notfallpläne zurechtgelegt hatte, die ganz betont nicht beinhaltete, einen Film mit der Klasse zu gucken, auch wenn das viele Lehrer gerne als Mittel benutzt hatten, ihre Schüler zu beschäftigen, ohne sich weiter darum bemühen zu müssen. So einfach würde ich es mir und meinen Schützlingen nicht machen. Außerdem war ich sicher, dass ein Teil ihres Missmuts nicht einmal mir galt. Die meisten waren vermutlich nur hier, weil sie eigentlich Helden hatten werden wollen, doch letztlich hatte es dann nicht gereicht, um in eine Heldenklasse zu kommen. Einigen von ihnen hatte ich womöglich diese Chance genommen. Dass das ätzend war, konnte ich mir gut ausmalen. Für sie musste es wirken, als sei ihnen ihre Zukunft verbaut worden.

Und dann kam ich. Jemand ganz ohne einen Quirk, jemand der nicht weiter weg vom Heldendasein sein könnte, und sollte ihnen etwas beibringen. Kein Wunder, dass sie sich degradiert fühlten. Hätte ich an ihrer Stelle vielleicht auch, zumindest in dem Alter. Teenager eben. Mit etwas Glück hob sich ihre Stimmung bald. Auch wenn sie jetzt vielleicht nicht bereit waren, Helden zu werden, hieß das immerhin noch lange nicht, dass in ihnen nicht das Potential dafür steckte. Shinsou hatte das bewiesen. Er hatte den Sprung getan, obwohl ihm das niemand zugetraut hatte. Ich war entschlossen, diesen Jungen und Mädchen zu zeigen, dass auch ihnen dieser Weg offen stand, wenn sie bereit waren, an sich zu arbeiten und alles aus sich herauszuholen. Sofern sie dann denn immer noch Helden sein wollten. Die Schattenseiten, das ahnte ich, waren nicht allen wirklich klar und auch darüber würde ich unbedingt in den nächsten Tagen mit ihnen sprechen. Doch nicht heute. Heute musste ich sie erst einmal für mich gewinnen.
 

„Guten Morgen“, begrüßte ich meine Klasse und ließ den Blick demonstrativ über jeden einzelnen schweifen, dann schrieb ich meinen Namen an die Tafel. „Für den Moment übernehme ich den Posten als eure Klassenlehrerin, bis Frau Tadaki sich erholt hat.“ Das wussten sie vermutlich schon. Neuigkeiten hatten an dieser Schule, wie an jeder, die Eigenheit, sich in rasantem Tempo zu verbreiten. „Fürs Erste möchte ich die obligatorische Kennenlernrunde starten. Stellt euch uns doch bitte mit eurem Namen, eurem Quirk und vielleicht der einen oder anderen Info über eure Hobbys und Wünsche vor.“ Das war zwar soweit nichts Besonderes, aber sicher nötig, damit alle ein klein wenig miteinander warm wurden. Sie alle saßen immerhin im gleichen Boot - in meinem. Ausgesucht hatte sich das niemand von uns. Auffordernd nickte ich in Richtung der ersten Reihe. So richtig erpicht schien keiner darauf, den Anfang zu machen, also seufzte ich leise und tat es selbst. „Mein Name ist Daelis und ich bin, wie ihr sicher alle wisst, quirklos. Bis ich Lehrerin wurde, arbeitete ich als Ägyptologin und wenn ich mir etwas wünschen könnte, wäre es wohl, uns allen diese furchtbaren Vorstellungsrunden zu ersparen“, versuchte ich scherzhaft die Stimmung aufzulockern, allerdings mit eher mäßigem Erfolg. Wenigstens nahm die Vorstellungsrunde nun ihren Lauf.

„Sehr schön, dann haben wir das ja nun geschafft“, meinte ich, als der letzte Schüler sich vorgestellt hatte. Es war mehr als eindeutig zu hören gewesen, dass wirklich keiner Lust auf diesen Quatsch gehabt hatte. Umso besser, dass wir das hinter uns hatten und zu einem interessanteren Thema kommen konnten. „Mir ist klar, dass jeder von euch hier ist, weil er ein Held werden möchte, und ich bin überzeugt, dass einige von euch auch genau das erreichen werden.“ Man konnte förmlich spüren, wie sich einige anspannten. Gut, dann hörten sie mir immerhin zu. Ich öffnete gerade den Mund, um fortzufahren, als in der letzten Reihe ein Mädchen das Wort ergriff. „Und was wollen ausgerechnet Sie uns dazu beibringen?“, wollte sie wissen und erntete beipflichtendes Gemurmel. Betont gelassen lächelte ich sie an. Minako Tachibana, wenn ich mich nicht irrte. „Gerade, weil mir niemals die Tür zum Heldendasein offen stand wie euch, verstehe ich, dass es frustrierend ist, wenn man auf dem Weg zu seinem Traum Steine in den Weg gelegt bekommt. Gerade, weil ich nie ein Held sein werde, weiß ich aber auch, wie dringend diese Welt echte Helden braucht. Menschen, die bereit sind, alles zu geben, um das Richtige zu tun, um zu beschützen. Nicht um Ruhm oder Reichtum willen, sondern aus tiefster Überzeugung“, erklärte ich mit fester Stimme. „Und genau darum will ich eben denen helfen, in denen die Seele eines Helden steckt. Quirk oder nicht: Ich kann euch helfen, genau das zu lernen, was ihr braucht, um voranzuschreiten und über die Steine hinwegzuspringen, die euch jetzt unüberwindbar erscheinen.“ So richtig überzeugt sahen meine Schüler nicht aus. „Vielleicht verstehe ich nichts davon, wie es ist, ein Held zu sein, aber ich verstehe etwas davon, was es braucht, um als Held in die Geschichte einzugehen. Wahrscheinlich mehr als die allermeisten der anderen Lehrer“, fügte ich nicht ohne einen gewissen Stolz hinzu. „Ein starker Quirk genügt dafür nicht, das solltet ihr inzwischen alle wissen. Also möchte ich mit euch gemeinsam herausfinden, wo eure Stärken liegen, damit euch diese den Weg ins Heldentum bereiten können.“
 

Mit heilloser Begeisterung rechnete ich natürlich nicht, aber es freute mich dennoch ungemein, dass die Klasse mir doch aufmerksam zuhörte, als ich meine Pläne für die nächsten Stunden erläuterte. Wir würden die nächste Stunde im Freien verbringen und einander die Quirks vorführen, damit wir gemeinsam Vergleiche zu Helden und Heldentaten der Vergangenheit ziehen konnten. Daraus sollte dann jeder für einen seiner Mitschüler eine kleine Präsentation des Quirks und seiner Vor- sowie Nachteile halten. Dazu gehören sollten auch mögliche Wechselwirkungen und Ergänzungen mit anderen Quirks in der Klasse. Damit, so hoffte ich, würden die Schüler nicht nur einander besser kennenlernen, sondern auch verstehen, dass Held zu sein, auch Teamwork voraussetzte. Ein bisschen schwerer war es da schon eher, eine Verbindung zu geschichtlich relevanten Helden und Heldentaten zu ziehen, sodass ich mich entschied, auch große Katastrophen in die Präsentation aufzunehmen. So könnten die Schüler erwägen, wie sie mit ihren Quirks einen positiveren Ausgang hätten erreichen können. Sie mochten nicht in der Heldenklasse sein, aber vielleicht gab ihnen diese Aufgabe das Gefühl, eben doch Helden werden zu können.

Dass nicht jede Stunde so ablaufen könnte, war mir jedoch klar. Ich musste ihnen auch den weniger interessanten, trockenen Stoff vermitteln, den jedoch jede Klasse pauken musste. Ein Maß an Allgemeinwissen würde sich für jeden von ihnen als nützlich erweisen, egal ob sie Heldenlaufbahnen einschlugen oder nicht. Zumindest für den Moment hatte ich das Eis gebrochen und so saßen wir schon am Ende der Doppelstunde im Kreis und diskutierten über die Vorzüge des einen oder anderen Quirks und welche Kooperationsmöglichkeiten sich aus ihnen ergeben könnten. Immer wieder warf ich Bezüge zu antiken Helden und deren berühmten Taten ein, hinterfragte, ob dort nicht auch ein Quirk eine Rolle gespielt haben könnte und wie meine Schüler ihren nutzen würden, um die Probleme zu bewältigen, mit denen sich die großen Helden der Geschichte konfrontiert gesehen hatten. „Sie sind wirklich ein ziemlicher Nerd“, rutschte es Kaoru Murakami irgendwann heraus und auch wenn ihm das sichtlich peinlich war, empfand ich die Bemerkung als durchweg positiv. Lachend nickte ich ihm zu. „Kann man so sagen. Wir Historiker haben alle einen Fimmel für die großen Helden der Vergangenheit, denn sie sind es, an die wir uns heute erinnern. Und längst nicht alle von ihnen haben an vorderster Front gekämpft oder irgendwelche Bösewichte gejagt. Manche sind für Menschenrechte eingestanden, für Gleichberechtigung, für Freiheit, für Frieden. Andere haben ihr Leben dem Schutz der weniger Starken gewidmet oder der Forschung, um Krankheiten vorzubeugen.“

Ich beendete die Stunde mit einem guten Gefühl. Mit meinen berühmten Kollegen konnte ich vielleicht in vielerlei Hinsicht nicht mithalten, aber zumindest stand ich ihnen im Klassenzimmer in nichts nach. Gut gelaunt machte ich mich auf den Weg zur nächsten Klasse, für die heute Geschichte auf dem Lehrplan stand. Am meisten jedoch freute ich mich auf die Klasse 1-A. Nicht, weil ich die Prüfungsbesten vorzog, sondern weil ich mich auf Erenya freute. Ob sie bei meinem Namen aufhorchen würde? Ungewöhnlich genug war er allemal, dass zumindest bei meiner Eri alle Alarmglocken schrillen müssten, wenn sie ihn hörte. Nach meinem ersten kleinen Erfolg in der Allgemeinen Abteilung war ich wie beschwingt und sprühte nur so vor guter Laune, als ich Nemuri in der Klasse J-2 der Managementabteilung ablöste. „Keine Angst, sie sind ganz zahm“, flüsterte mir meine Freundin noch ins Ohr, als wir uns an der Klassentür trafen. Dabei zwinkerte sie mir verschwörerisch zu.
 

Als ich endlich zu meiner ersten Stunde in der 1-A eilte, ahnte ich noch nicht, was mich erwarten würde, nämlich ein leeres Klassenzimmer. Keiner da. Fassungslos starrte ich über die leeren Stühle. Für einen winzigen Moment kam mir der Gedanke, meine Küken könnten sich alle verkrümelt haben, um gegen den Unterricht eines Normalos zu protestieren, doch mindestens Iida und Momo würden das niemals tun. Nein, etwas anderes hinderte sie und was das war, darüber brauchte ich nicht lange nachdenken. Ein kurzer Blick auf den Stundenplan, der an die Tafel gemalt war, verriet mir sehr genau, wo meine Schüler abgeblieben waren. Kein Wunder, dass die gesamte Klasse zu spät war. Ihre Schuld war es jedenfalls nicht. Seufzend lud ich mein Notizbuch nebst Federmappe auf dem Lehrerpult ab, ehe ich den Raum wieder verließ, um die Übungsplätze für praktische Einsatzübungen aufzusuchen.

Zuerst hatte ich noch gefürchtet, ziellos umher zu irren, weil ich nicht genau wusste, auf welchem Übungsplatz meine Küken waren, doch den auszumachen, erwies sich also sogar noch einfacher, als herauszufinden, warum mein Klassenzimmer so ausgestorben gewesen war. Ich brauchte bloß dem lauten Krachen einer Explosion zu folgen. Raschen Schrittes steuerte ich die Beobachtungszentrale an, wohl wissend, wen ich dort anträfe. Die Mühe, anzuklopfen, machte ich mir gar nicht erst. Dass Bakugo gerade kämpfte, war unübersehbar gewesen, also nahm ich an, er lieferte sich gerade eine wilde Schlägerei gegen Deku. Dass ich damit daneben lag, bemerkte ich erst, als die Tür hinter mir zufiel und mein Blick ebenso wie der alle anderen Anwesenden an den Bildschirmen klebte, die fast die gesamte Wand einnahmen. Gut sichtbar standen sich da Bakugo und meine kleine Erenya gegenüber. Auch wenn ich nicht hören konnte, was sie sagte, war für mich absolut offenkundig, dass die Situation eskalierte.

Weder die Schüler noch All Might hatten mich bisher bemerkt. Als ich jedoch ohne Vorwarnung nach dem Headset griff, dass der bekannte Held auf dem Kopf trug, konnte ich aus den Augenwinkeln einige Köpfe rucken sehen. Zumindest die Aufmerksamkeit des blonden Hünen hatte ich erfolgreich auf mich gelenkt. Vielsagend nickte ich in Richtung der Bildschirme und fragte ernst, aber noch ruhig: „Wie lange willst du noch zusehen? Siehst du nicht, dass das eine Grenze überschreitet?“ All Might hob die Hand. „Es sieht schlimmer aus, als es ist, Miss“, versuchte er mit wenig Erfolg mich zu beruhigen. Ich wurde vielmehr wütender. „Ach? Dann bilde ich mir wohl nur ein, dass da gerade beinahe jemand explodiert wäre? Ich würde meine Schüler gerne in einem Stück unterrichten“, zischte ich leise, doch nicht so leise, dass sicher auch der eine oder andere sehr genau verstand, was ich sagte. Einen kurzen Moment starrte mich Toshinori so verdattert an, dass ich schon glaubte, noch einmal mit etwas mehr Nachdruck klar machen zu müssen, was ich erwartete, doch dann nickte er eilig. „Das wird ja auch Zeit, dass du abbrichst“, ließ ich noch vernehmen und sah dann in die Runde. Für meine Schüler hatte ich ein strahlendes Lächeln übrig. „Wir sehen uns gleich im Klassenzimmer.“ Und wir, sagte mein Blick stumm in All Mights Richtung, wir würden uns darüber später im Lehrerzimmer unterhalten. Und das würde nicht angenehm.

Unterrichten für Dummies

Dazu, meine stille Drohung wahr zu machen und dem großen All Might die Leviten zu lesen, weil er zugelassen hatte, dass mehrere Schüler verletzt worden waren - nämlich sein eigener Schützling Deku und mein Küken Erenya - kam ich vorerst nicht. Immerhin wollte ich den Rest der Stunde, der noch geblieben war, nutzen, um der Klasse 1-A ein bisschen theoretisches Wissen zu vermitteln. Außerdem wusste ich ja genau, dass noch jemand in der Krankenabteilung bei Recovery Girl saß, nämlich All Might selbst, wenn auch vor allem, um seine wahre Gestalt zu verbergen. Wie lange plante er, dieses Schauspiel auch vor mir durchzuziehen? Die anderen Lehrer wussten doch sicher längst alle Bescheid. Sollte ich beleidigt sein, weil man mir nicht genug vertraute, um mich einzuweihen, oder schloss man mich nur aus, weil ich als einzige keine Superheldin war? Beide Möglichkeiten ärgerten mich, also schob ich diese Überlegungen beiseite, um mich stattdessen meiner Klasse zu widmen, die nun endlich den Weg ins Klassenzimmer gefunden hatte. Mein Blick glitt über die Schüler. Außer Deku und Erenya waren alle da, also begann ich mit dem Unterricht.

Mir wurde ziemlich schnell klar, dass ich heute wohl nicht mehr mit wirklich wichtigen Inhalten aufwarten musste. Abgesehen von Momo und Shouto, schien niemand wirklich zuzuhören. Immer wieder erreichten Gesprächsfetzen mein Ohr, die preisgaben, dass die gesamte Klasse noch ganz in der letzten Stunde festhing. Die Kämpfe hatten einiges an Emotionen aufgewirbelt und beschäftigten die zukünftige Helden-Elite eindeutig mehr als die Taten von Ramses II. oder Herakles. Stumm seufzte ich, ehe ich der Form halber die Anwesenheitsliste durchging. Dass ich sie alle schon mehr oder weniger kannte, würde nur seltsam wirken. Ich war gerade beim letzten Namen auf der Liste angelangt und bereit, meine Einführung zu beginnen und aufzuzeigen, womit wir uns in den kommenden Wochen beschäftigen würden, als es an der Tür klopfte. „Herein“, forderte ich auf, da schob sich die Tür auch schon auf und gab den Blick auf Erenya preis. Ich hätte nicht leugnen können, dass ich mich sofort etwas ruhiger fühlte. Wenn sie schon hier war, dann hatte Recovery Girl ihre Wunden sicher gut versorgt. „Scheint als würde nur Midoriya-kun fehlen. Er-, ich meine Okamoto-san, setz dich bitte auf deinen Platz“, forderte ich Erenya auf und fuhr dann direkt fort: „So, da wir fast vollständig sind und ein gewisser Held uns unsere wertvolle Zeit reduziert hat, fangen wir heute keine schwierigen Themen an. Ich werde euch heute sagen, wie der Lehrplan für die nächsten Monate aussieht und wenn die Zeit reicht, fangen wir mit Heldengeschichte an.“

Ohne weiteres Zögern fing ich an, den Plan in groben Zügen an die Tafel zu schreiben. Damit hätte jeder, der gewissenhaft mitschrieb, auch schon einen Überblick darüber, welche Themen in den Tests und Klassenarbeiten drankämen. Am liebsten hätte ich zwar direkt Erenya bestürmt, um herauszufinden, ob sie wirklich meine Eri war, aber das konnte ich im Unterricht wirklich nicht bringen. „Wie ihr seht, fangen wir mit den etwas eingestaubteren, aber nicht ganz unwichtigen Helden an. Ich weiß, der Stoff klingt trocken, aber wie bei allem im Leben, können wir aus der Vergangenheit lernen und ich bin mir sicher, dass der eine oder andere Held für jeden von euch eine wichtige Lektion beitragen kann.“ Das gleiche galt zweifellos auch für einige Lehrer hier, doch die Bemerkung verkniff ich mit geflissentlich. Mit Aizawa wollte ich auch noch das eine oder andere Hühnchen rupfen. Wie dessen erste Stunde ausgesehen hatte, wusste ich immerhin auch und man musste wirklich kein Genie sein, um zu erahnen, wie er mit seinem Verhalten auch Erenya mitgespielt hatte. Meine arme Kleine. Hoffentlich war sie nicht zu entmutigt. Mit ihrer Fähigkeit war Aizawas komischer Sporttest ala Bundesjugendabzeichen - wusste Gott, ich hatte diesen Mist jedes Jahr gehasst wie die Pest - sicher keine Kleinigkeit gewesen.
 

Meine Versuche allerdings, mit der Klasse darüber zu sprechen, welche Helden sie kannten, hätte ich mir vielleicht sparen können. Momo gab zwar ihr Bestes und war, wie erwartet, ein Musterbeispiel einer gebildeten jungen Frau, doch schon die zweite Antwort auf meine Frage nach den Helden der Geschichte, ließ mich mental die Hand vor die Stirn schlagen. Mineta hielt also Hugh Hefner für einen Helden? Oh man, dann hatten wir hier wirklich einiges zu tun. Demonstrativ begann ich mit einem Beispielhelden, von dem ich genau wusste, dass bei seinem Namen bei meiner Erenya alle Alarmglocken schrillen würden: Gilgamesh. Er bot sich ohnehin an, immerhin war sein Epos der erste, schriftlich festgehaltene Heldenepos der Menschheitsgeschichte. Das allein war schon beeindruckend genug, aber ich glaubte, in Erenyas Mimik zu erkennen, dass bei ihr noch ein anderer Groschen fiel. Kaum jedoch hatte ich meinen Einstieg gefunden, hörte ich schon Denki, dessen Aufmerksamkeit eindeutig nicht meinem Unterricht galt, denn er sah zu Kirishima und fragte leise nach Deku. Anstatt jedoch die Frage zu ignorieren und mitzuschreiben, ging das Getuschel da auch schon weiter, denn Kirishima wandte sich an Erenya. Binnen Sekunden war die halbe Klasse involviert. Glaubten sie wirklich, ich würde das nicht merken? So würde aus dieser Geschichtsstunde jedenfalls nichts. Seufzend gab ich auf.

„Ich glaube, ich muss mit diesem Nummer Eins-Helden den Unterricht tauschen“, murmelte ich und wandte mich dann in Richtung der Klasse. „Na schön, reden wir über eure erste Stunde bei All Might. Ich hab zwar nicht alles erlebt, aber da Midoriya-kun noch im Krankenzimmer ist, weiß ich, dass einige von euch es übertrieben haben. Es ist zwar gut, dass ihr nun eure Fähigkeiten austesten konntet und so auch die eurer Kameraden kennengelernt habt, aber es bringt euch nichts, wenn ihr euch überanstrengt.“ Diese Lektion hätte eigentlich auch Deku hören sollen, denn der musste die eindeutig auch lernen. Und sein Mentor auch. Vielleicht sollte der sich mal hier in den Unterricht setzen, er könnte noch so einiges lernen. „Ein Held muss auch in der Lage sein, seinen Stolz runterzuschlucken und den Rückzug anzutreten. Es bringt niemandem etwas, wenn er sich verausgabt und dabei stirbt“, fuhr ich ernst fort und konnte nicht umhin, dabei besonders Erenya anzusehen. Wenn das hier meine Eri war, dann sollte besonders sie sich das zu Herzen nehmen. Ich kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie ihr eigenes Wohl viel zu schnell aus den Augen verlor. Aber auch wenn sie nicht meine Erenya war, hatte sie sich offensichtlich Bakugo gestellt und dazu gehörten schon ein paar Eier, besonders wenn man keinen offensiven Quirk hatte wie sie. Gerade wollte ich fortfahren, als auch schon die Klingel ertönte, die das Ende der Stunde ankündigte. Missmutig dachte ich an meinen Plan für die heutige Stunde. Danke, Mr. All Might. Erst überzieht er ohne Ende und jetzt hat sein Unterricht auch meinen komplett übernommen - oder zumindest den kleinen Rest, der mir übrig geblieben war.
 

Nun gut. Dann sollte ich nun besser sicherstellen, ob ich allein in diesem wirren Boku no Hero Academia-Chaos steckte oder nicht. Ein kleiner Test und ich wüsste sofort, ob Erenya meine Erenya war. „Okamoto-san, ich bräuchte da noch etwas Hilfe mit Kopien. Eine Zusammenfassung über Gilgamesh, die ihr euch alle besser anguckt. Komm bitte mit und hilf mir dabei“, wandte ich mich an Erenya. So wie sie guckte, könnte man meinen, ich bestrafe sie. Und dabei gab ich mir wirklich Mühe, so freundlich und arglos wie möglich zu lächeln, ehe ich Richtung Kopierraum vorging. Dort angekommen, zögerte ich nicht, mich zu Erenya umzuwenden. „Meine arme Bebi-Eri. Ich hoffe Bakugo hat dir nicht zu sehr wehgetan. Wieso musst du dich auch mit ihm anlegen?“ „Daelis, lass mich los! Du kannst doch nicht so einfach, argh!“ Hah, hatte ich es doch gewusst! Eindeutig meine Eri! Triumphierend leckte ich kurz scherzhaft über ihre Wange, ehe ich die Umarmung löste. Sie ahnte ja nicht, wie erleichtert ich war. Und besorgt. „Es ist so schön, nicht alleine in all diesem Wahnsinn zu stecken. Lass mich dich also ein bisschen anlecken“, versuchte ich, nicht daran zu denken, in welch gefährlicher Lage meine kleine Eri im Vergleich zu mir steckte. Ich war sicher. Als Lehrerin ohne Quirk konnte ich alle gefährlichen Vorkommnisse einfach aussitzen, aber Erenya wäre mittendrin, wie alle Schüler der Klasse 1-A. Kein Gedanke, der mich enthusiastisch werden ließ.

„Und ich dachte schon, das sei ein MSP aus deiner Feder, anders hätte ich mir diese Fähigkeit nicht erklären können“, murrte Erenya und trat einen Schritt zurück. Ich schüttelte den Kopf. „Nope, das ist dieses Mal nicht meine Schuld. Auch wenn es sehr nach mir klingt. Aber keine Sorge, ich brauche kein MSP, um meine Bebi-Eri glücklich sehen zu wollen.“ Hach, wäre es doch nur ein Mary Sue-Projekt. Dann wäre das alles hier nur eine Geschichte und keine von uns beiden irgendeiner potentiellen Gefahr ausgesetzt. Auch wenn ich es schon etwas süß fand, dass ich zwar immer noch die Alte war, aber Erenya wieder ein Teenie. Wie das wohl war? Und obendrein hatte sie einen wirklich faszinierenden Quirk, der ganz bestimmt meinem Hirn entsprungen sein könnte. Vor den Gefahren, die da kämen, könnte ich sie nur beschützen, wenn ich sie von der Schule verwies - und zwar schnell - und ich bezweifelte, dass Erenya damit einverstanden wäre. Also konnte ich wenigstens versuchen, sie aus dem Hintergrund heraus zu unterstützen und aufzupassen, dass sie sich aus dem Ärgsten heraushielt.

„Hör bitte mit diesem Bebi-Eri Gerede auf. Ich denke, wir beide haben hier ein anderes Problem. Dir ist bewusst dass wir hier feststecken, oder?“ Oh, und wie bewusst mir das war. Abwägend nickte ich, unwillig nur das Schlechte zu sehen. Für mich hatte das hier immerhin prinzipiell gut angefangen. „Ja, ich will zurück zu meinem Sand. Da hatte ich das, was ich schon immer wollte“, erklärte ich übertrieben gespielt jammernd, als Erenya auch schon die Arme verschränkte und mich streng ansah. „Daelis, wir stecken hier in einem Anime fest. In einer Welt, in der wir schneller hopps gehen können, als uns lieb ist. Außer du hast eine Fähigkeit, die dir den Arsch rettet. Nicht so wie meine.“ Sie unterschätzte die Möglichkeiten, die ihr Quirk ihr eröffnete, maßlos, fand ich. War ihr nicht klar, was für eine Macht man ihr da gegeben hatte? „Beschwer dich nicht, ich bin absolut quirklos. Mir rettet nichts den Arsch. Dabei war ich so glücklich bei meinen Artefakten in Ägypten“, brummte ich leise. Erenya könnte wirklich einen Unterschied machen, Leben beschützen. Ich konnte nur herumsitzen und Damsel in Distress spielen. Was für mich in dieser Welt wirklich toll gewesen war, hatte ich direkt wieder verloren.
 

„Also was machen wir nun?“, seufzte Erenya. Hilflos zuckte ich mit den Schultern. Was sollten wir schon tun? Allen erklären, woher wir kamen und was wir wussten? Wer würde uns glauben? Wir hatten ja selbst absolut keine Erklärung dafür und sicherlich würde niemand gerne hören, dass seine Realität in einer anderen nur ein Manga war. Ganz abgesehen davon, dass wir nicht abschätzen konnten, wie sehr wir den Verlauf der Dinge allein durch unsere Anwesenheit schon beeinflusst hatten und welche Folgen das haben würde. Fragte man mich, wäre es besser, möglichst nichts zu verändern. Sonst müssten womöglich Leute sterben, nur weil wir uns einmischten. Diese Verantwortung wollte ich nicht tragen. Doch diese düsteren Gedanken wollte ich nicht mit Erenya teilen. Für sie war es sicher schon belastend genug, auf einmal ein Teenager, Schüler und obendrein mit einem Quirk gesegnet zu sein. Das waren eine Menge Veränderungen. Also meinte ich nur spielerisch: „Also ich werde dich shippen. Shinsou und du seid schon niedlich, wobei ich denke, Kirishima passt eher zu dir.“ Erenya sah nicht überzeugt aus und ließ sich zu meinem Ärger auch nicht so einfach ablenken. „Dir ist klar wo wir zeitlich befinden und was passieren wird?“ Am liebsten hätte ich einfach tief geseufzt. Eindeutig meine Eri. Vermutlich wusste sie längst, was mir durch den Sinn ging. „Ja. Und ich hab damit kein Problem, denn im USJ werde ich nicht dabei sein. Ich muss auch nicht beim Sportfest mitmachen, oder beim Trainingscamp… ich bin safe“, meinte ich zögerlich. „Und du findest okay, dass ich überall mittendrin hänge?“, schnaubte Erenya. Wieder seufzte ich und schüttelte den Kopf. Natürlich nicht. Wie könnte ich? Aber ich konnte es auch nicht ändern und ich kannte Eri gut genug, um zu wissen, dass sie sicher nicht die Schule verließe, um sich selbst zu schützen.

„Du könntest auch einfach nur dabei sein, dich ruhig verhalten und die Geschichte so ausgehen lassen, wie sie sein sollte“, meinte ich nachdrücklich, ihren Blick suchend. Bitte, Eri, bat ich stumm, halt dich raus. Zwar glaubte ich nicht wirklich, dass sie das täte, doch die Hoffnung starb ja bekanntlich zuletzt. Dennoch wollte ich daran glauben, dass sie sich zumindest nicht unnötig in Gefahr begab, weil sie ja wusste, was alles gut ausging. Um alles andere - besonders unseren Weg heim - würde ich versuchen, mich zu kümmern. Vielleicht fand ich jemanden mit einem passenden Quirk oder so. Für den Moment allerdings sollte ich Erenya wohl nicht zu lange aufhalten. Immerhin wartete auf sie schon die nächste Stunde und ich wollte hier keinen All Might abziehen. „Also, komm mit, wir machen mal ein paar Kopien über Gilgamesh. Vielleicht sollten wir für die Mädchen ein paar Nacktfotos einfügen, um das Thema wenigstens für sie interessant zu machen“, feixte ich und nickte in Richtung des großen Kopierers. Erenyas Grinsen glich meinem. „Als ob. Der interessante Part ist doch immer durch ein heiliges Licht überbelichtet. Keine Ahnung, was das verbergen soll. Vielleicht sind die königlichen Kronjuwelen zu klein.“ Demonstrativ schüttelte ich mich, lachte aber.
 

Bewaffnet mit den Kopien ließ ich Erenya ziehen und wandte mich stattdessen in Richtung Lehrerzimmer. Die nächste Stunde hatte ich frei und wollte sie nutzen, um mir das kleine Büro anzusehen, welches Nezu für die Vertrauenslehrerposition bereitstellte. Eine kleine Notiz hatte ich mich heute Morgen überhaupt erst auf dieses Büro aufmerksam gemacht und wenn ich mich nicht täuschte, war der Raum genauso behaglich und einladend wie ein Krankenhauszimmer. Das wollte ich ändern, ehe die ersten Schüler an All Might oder mich herantraten, um über ihre Sorgen zu sprechen. Müsste ich raten, würden die meisten wohl lieber mit dem Nummer Eins-Helden reden, aber mir gegenüber wäre es vermutlich einfacher. Mit ihm stünde jeder angehende Held immer im Vergleich, mit mir hingegen nicht. Ohnehin würde All Might wohl kaum immer Zeit haben, wenn man bedachte, wie pingelig er damit war, sein Geheimnis zu wahren. Und seine Zeit in seiner Heldenform würde weiter schwinden. Als könnte ich damit den aufkommenden Kopfschmerz verjagen, rieb ich mir mit den Fingern über den Nasenrücken. Warum zermarterte ich mir darüber überhaupt das Hirn? Man hatte es ja nicht mal für nötig gehalten, mich einzuweihen!

Missmutig öffnete ich die Tür zum Lehrerzimmer. Zur gleichen Zeit öffnete Aizawa sie von der anderen Seite. Überrascht blinzelte ich ihn an. „Hallo“, grüßte ich schließlich, erhielt jedoch keine Antwort. Aizawa warf mir einen kurzen Blick zu, den ich nicht zu deuten vermochte und schlurfte von dannen. Ich sah ihm nur kurz nach, dann bemerkte ich die einzige Person, die im Lehrerzimmer verblieben war. Das Symbol des Friedens, der Unterrichtszeitdieb, höchstpersönlich. Ah, das erklärte Aizawas Blick. Bestimmt war er auch der Ansicht, dass ich nicht in All Mights Geheimnis eingeweiht werden sollte. Verübeln konnte ich es ihm nicht, immerhin war dieses Geheimnis wirklich ziemlich brisant und außer Erenya und mir wusste ja noch keiner, dass es ohnehin bald auffliegen würde. Na, sollten sie meinetwegen bis dahin um mich herumeiern, wenn es sie alle glücklich machte. Bestimmt hatte die Schlafsackraupe Aizawa gerade ein paar ernste Takte mit dem Nummer Eins-Helden gesprochen, so geknickt wie dieser in seinem Stuhl hing. Ein bisschen lustig sah das schon aus. Zugleich bekam ich aber fast ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn ja auch noch ein wenig zusammenfalten wollte - und das würde ich auch. Der Hüne vor mir war alt genug, die Folgen seines Handelns zu tragen und auch wenn er als Superheld die Nummer Eins sein mochte, hatte er als Lehrer doch noch so einiges zu lernen.
 

„Miss Daelis!“, schreckte All Might merklich auf, als die Tür des Lehrerzimmers hörbar hinter mir ins Schloss fiel. „Wie schön, dass ich Sie hier direkt antreffe, Mr. All Might“, flötete ich so freundlich, wie ich konnte, doch so wie der Held vor mir guckte, ahnte er wohl, was ihm blühte. Dennoch erhob er sich sofort und setzte sich auch erst wieder, als ich Platz nahm. „Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen. Ich bedaure wirklich außerordentlich, dass ich die Zeit Ihres Unterrichts mit in Be-“, begann er sofort, den Kopf demütig geneigt, doch ich hob die Hand, um ihn zu unterbrechen. „Richtig, Sie haben überzogen und obendrein zugelassen, dass mindestens ein Schüler schwerer verwundet wurde, beinahe zwei“, ergriff ich streng das Wort. „Sie mögen ja ein Held sein und wissen, was unseren Nachwuchs in realen Kämpfen erwartet, aber hier sind Sie allen voran auch Lehrer und für die Sicherheit unserer Schützlinge verantwortlich, mehr noch als sie es als Held sowieso schon sind. Bitte seien Sie sich dieser Verantwortung bewusst.“ Er nickte kleinlaut. Jetzt ernst zu bleiben, fiel mir schwer, doch was ich zu sagen hatte, war wichtig. „Auch das Wissen außerhalb Ihres Unterrichts kann einmal den Unterschied machen, der nötig ist, damit die Helden der Zukunft in Ihre Fußstapfen treten und die Welt zu einem sichereren, besseren Ort machen können. Wenn Sie also noch einmal so heftig überziehen, könnte ich glauben, dass Sie der Ansicht sind, Ihr Unterricht sei sehr viel bedeutsamer als der meine“, bemerkte ich spitzfindig. Dass ich damit einen wunden Punkt traf, war unübersehbar. Der hünenhafte Held neben mir zuckte zusammen.

„Bitte entschuldigen Sie. Ich wollte ganz sicher nicht respektlos sein. Ihre Arbeit ist very important!“, betonte er so eilig, dass er sich dabei fast verhaspelte. Nicht lachen, Daelis, mahnte ich mich im Stillen. Ein wenig ironisch mutete es schon an, dass es so dermaßen einfach war, den größten Helden unserer Zeit nervös zu machen. Ich könnte schwören, er hatte vor mir mehr Angst als vor der gesammelten Bankräuberschaft der Stadt. „Schon gut, schon gut. Sie sind sehr enthusiastisch dabei und das ist schön, aber… verlieren Sie dabei nicht aus den Augen, dass es hier nicht um Ihre Wünsche geht, sondern das Wohl der Schüler“, meinte ich beschwichtigend. „Ah, Sie haben natürlich Recht. Ich gelobe Besserung. Sie haben mein Wort darauf, Miss Daelis.” „Nur Daelis. Ich weiß, das ist hier in Japan so üblich, aber alle anderen hier duzen sich - und mich - auch. Außerdem waren Sie doch einige Jahre in Amerika und sind einen etwas lockereren Umgang gewöhnt, oder? Also bitte: Daelis“, bat ich und hielt ihm die Hand hin, um seine zu schütteln. Sicher eine Geste, die er hier lange nicht mehr erlebt hatte. Tatsächlich stutzte er kurz, ergriff meine Hand dann wieder. „Very thoughtful, thank you.“ Wieder rutschte er ins Englische. „Ah, gar nicht. Es ist angenehm, die strenge Höflichkeit mal abzuschütteln“, winkte ich ab. „Aber wenn du mir nochmal meine Stunde klaust, setze ich mich in deine und kommentiere live und schonungslos jeden Augenblick, in dem ein Schüler nicht absolut sicher ist“, drohte ich scherzhaft, was den Hünen neben mir direkt etwas in seinem Stuhl schrumpfen ließ.
 

„Die junge Okamoto-san hat mir vorhin auch schon den Kopf gewaschen“, gab All Might kleinlaut zu, wobei er sich verlegen den Nacken rieb. Oha! Das hatte Eri also, mh? Dann konnte ich mir im Groben vorstellen, was passiert war. Dass sie vor dem berühmtesten Helden dieser Welt nicht kuschte, wunderte ich überhaupt nicht. Eher wäre ich verwirrt gewesen, wenn sie sich deshalb zurückgehalten hätte. Ich war da ja auch nicht anders, wieso auch? Letzten Endes war All Might auch nur ein Mensch mit Fehlern, wie sie jeder hatte. Außerdem glaubte ich nicht, dass Eri etwas gesagt hatte, das ihn wirklich verletzte. „Wie schlimm war es?“, fragte ich und lehnte mich in meinem Stuhl zurück. All Mights Miene entspannte sich nun auch. Er wirkte beinahe geistesabwesend, als er meinte: „Sie hat das Temperament ihrer Mutter. A strong and independent woman, yes!“ Ich nickte. Das klang eindeutig nach meiner Eri, auch wenn ich nicht wusste, ob das von ihrer Mutter kam. „Hast du sie gut gekannt? Okamotos Mutter meine ich“, hakte ich wie beiläufig nach und musterte den Helden aus den Augenwinkeln, der direkt wieder etwas unruhig wurde. War ihm nur das Thema unangenehm oder lief einfach nur seine Zeit in dieser Form ab? „Wir waren Kollegen“, fiel die Antwort schließlich recht ausweichend aus, doch ob des bedrückten Tonfalls mochte ich nicht weiter nachbohren. Ich hatte den armen Mann vorhin schon genug runtergeputzt. Zeit, ihn ein wenig aufzubauen.

„Gefällt dir das Unterrichten bisher? Ist sicher eine ziemliche Abwechslung zum Alltag eines Superhelden“, wechselte ich das Thema abrupt und schien damit doch wieder in einen Fettnapf getreten zu sein. Zählte mein Talent, jedes Fettnäpfchen mitzunehmen, nicht vielleicht doch als Quirk? „Um ehrlich zu sein“, begann All Might zögerlich, „bin ich manchmal nicht sicher, ob ich die richtigen Entscheidungen treffe. So wie heute. It’s quite a challenge to teach!“ „Oh ja, das ist es wirklich“, gab ich unumwunden zu. „In dieser Hinsicht sitzen wir im gleichen Boot. Manchmal vermisse ich die Grabungsstätte.“ Gelogen. Ich vermisste sie ständig, aber dass Eri hier war, änderte nun mal alles. Sonst hätte ich vielleicht darauf bestanden, mich wieder nach Ägypten zu verkrümeln. „Hier ist jede Entscheidung viel bedeutsamer als bei der Grabung“, fuhr ich fort. „Immerhin ist man nicht nur einerseits ein Vorbild für die Schüler, sondern soll sie zugleich auch anleiten, an ihren Herausforderungen zu wachsen, damit sie einmal bessere Erwachsene werden, als wir es jetzt sind.“ Volltreffer versenkt. Eigentlich hatte ich gehofft, All Might damit etwas aufmuntern zu können, doch stattdessen sah er drein wie ein begossener Pudel. Oha. Ich hatte wohl wirklich einen wunden Punkt getroffen. Vermutlich zermarterte er sich jetzt nur noch mehr das Hirn darüber, was er besser machen könnte.

Ich seufzte. „Lehrer zu sein, ist nicht einfach. Ich bin sicher, wir beide werden noch in unsere neue Rolle hineinwachsen“, schlug ich also einen etwas versöhnlicheren Tonfall an und tätschelte dem armen Hünen ein wenig den Unterarm. „Kopf hoch. Direktor Nezu glaubt immerhin auch an uns und ich habe das Gefühl, dass er über eine hervorragende Menschenkenntnis verfügt.“ Nun hellte sich All Mights Miene auf. Phew, nochmal die Kurve gekriegt. „Ich denke“, meinte ich abwägend, „dass wir einfach nur unser Bestes tun können, um den höchsten Ansprüchen gerecht zu werden. Ein hartes Stück Arbeit, aber sie ist es ganz bestimmt wert.“ „You are absolutely right!“, ergriff der Profi-Held so laut das Wort, dass ich vor Schreck zusammenzuckte. Ob ich mich an diese Anwandlungen je gewöhnen würde? Ich freute mich auf den Tag, an dem er sich mir gegenüber auch entspannter gab und nicht mehr glaubte, immer eine Heldenshow abziehen zu müssen. Wir waren immerhin Kollegen. Beschwichtigend hob ich die Hände und wollte eigentlich noch mehr sagen, doch mir war völlig entfallen, was. „Du hast mir wirklich sehr geholfen. Thank you!“ Mit einem unsicheren Lächeln nickte ich nur, als er sich erhob. Wollte er diese Erkenntnisse nun direkt in die Tat umsetzen? Verwirrt starrte ich dem Nummer Eins-Helden nach, als dieser entschlossenen Schrittes aus dem Lehrerzimmer stiefelte. Oh je. Was hatte ich damit in Gang gesetzt? Hoffentlich tat er nichts Dummes. Hätte ich doch nur die Klappe gehalten. Das hatte ich nun davon.
 

„Sieht gut aus“, ertönte Nemuris Stimme. Erschrocken machte ich einen Satz. Ich hatte meine Kollegin gar nicht kommen hören, obwohl ihre hochhackigen Schuhe eigentlich hörbar auf dem harten Boden klapperten. „Findest du? Ich hab das Gefühl, es fehlt noch etwas“, gab ich schließlich zurück und ließ meinen Blick noch einmal durch das Büro der Vertrauenslehrer wandern. Die Schreibtische hatte ich soweit vorbereitet, dass Papier und Stift bereitlagen, auf der Fensterbank standen nun zwei Orchideen, die ich kurzerhand heute früh vor der Schule gekauft hatte, doch ansonsten sah das Büro einfach noch kahl aus. „Vielleicht finde ich ja noch einen hübschen Kunstdruck“, überlegte ich, den Blick auf die kahle Wand hinter dem großen Schreibtisch gerichtet. „Bestimmt. Vielleicht ja ein Poster von All Might? Das gefiele den Schülern bestimmt“, schlug Nemuri enthusiastisch vor. Sie stand nun neben mir. „Ich dachte dabei ehrlich gesagt eher an etwas neutrales“, murmelte ich seufzend. „Die Schüler sollen sich hier vom Druck, ein großartiger Held sein zu müssen, befreit fühlen. Ich glaube nicht, dass es so gut wäre, sie dann ausgerechnet an die Nr. 1 zu erinnern.“ „Mh“, machte Nemuri nun grüblerisch, ehe sie unvermittelt das Thema wechselte. „Vielleicht hat Hizashi ja eine Idee. Komm doch heute Abend mit uns essen. Wir wollen nochmal in das Restaurant vom letzten Mal.“ „Das ist wirklich nett, aber ich passe heute. Es wartet einfach noch so viel zu tun“, schüttelte ich den Kopf. „Außerdem wollen meine alten Kollegen aus Ägypten noch anrufen. Ein anderes Mal, ja?“ „Alles klar“, schmunzelte Nemuri verständnisvoll. „Aber dann zahlst du.“ Ich lachte und nickte. „Einverstanden. Aber sag mal, was ist das ei-“

Ein Klopfen unterbrach mich mitten in meiner Frage, die ich somit nicht zu Ende stellte. „Ich hoffe, ich störe nicht?“ „Direktor Nezu“, entfuhr es der Schwarzhaarigen neben mir überrascht. „Sagen Sie bloß, Sie wollen heute mal zum Essen mitkommen?“ Überrascht sah ich von meiner Freundin zum Direktor und zurück. Das klang, als habe er schon einige Einladungen ausgeschlagen. Nezu lächelte nur und schüttelte den Kopf. „Mitnichten, auch wenn es mich freut, dass die Einladung noch zu stehen scheint. Ich war auf dem Weg zu Daelis.“ Sein Blick fixierte nun mich. Hoffentlich folgte nun nicht wieder stundenlanger Smalltalk, sonst könnte es sein, dass ich in Gedanken nebenbei nicht nur die Inneneinrichtung dieses Büros plante, sondern gleich des ganzen Gebäudes. „Wie kann ich helfen?“, fragte ich meiner Bedenken zum Trotz. Nemuri klopfte mir auf die Schultern, nickte dem Direktor zu und schlich damit davon. Müsste ich raten, dann floh sie vor einem potentiellen Schwall sinnlosen Geredes über das Wetter, die Schüler, die Nachrichten und was immer der Direktor sonst noch aus dem Hut zauberte.

Nezu lächelte nur freundlich weiter in meine Richtung. „Eigentlich bin ich sicher, dass ich helfen konnte. Ich habe mir erlaubt, eine Kleinigkeit für dich vorzubereiten, damit du dich hier etwas heimischer fühlst. Deine Kollegen in Ägypten waren so freundlich, mich dabei zu unterstützen.“ Fragend sah ich zu meinem Chef herunter, in dessen Augen es nun aufgeregt funkelte. „So gerne ich es dir auch persönlich zeigen würde, fehlt mir heute leider die Zeit dazu“, seufzte er etwas überdramatisierend, dann nickte er gen Fenster. „Aber vielleicht siehst du es von hier aus sogar.“ Fragenden Blickes trat ich an das Fenster heran, auf dessen Fensterbrett der Direktor schon im nächsten Augenblick kletterte. Er deutete auf eine Art Gewächshaus, von dem ich schwören würde, dass es gestern noch nicht da gewesen war. „Wir waren so frei, einige Abschnitte der Grabungsstätte hierher zu verlegen. Selbstredend sind die klimatischen Bedingungen Ägypten nachempfunden, damit den im Sand verborgenen Fundstücken nichts passiert.“ Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch kein Laut drang hervor. War das sein Ernst? Das hatte er veranlasst? Das war schierer Wahnsinn! Allein der Aufwand dahinter! Nezu sah mir die Fassungslosigkeit wohl an, denn er fuhr schließlich fort. „Sieh es als Dank für deine Arbeit. Sie ist auch für uns hier sehr wichtig. Alle anderen Lehrer gehen ihrer Heldenberufung noch nach und ich sah keinen Grund, wieso du deine ursprüngliche Berufung aufgeben solltest.“ „Danke“, brachte ich schließlich leise hervor. „Vielen, vielen Dank. Das ist… unglaublich. Und wundervoll. Danke!“ „Gern geschehen. Wenn du mich nun entschuldigst.“ Nezu war so schnell verschwunden, wie er gekommen war, während mein Blick noch immer fassungslos an dem Gebäude mit dem Glasdach hing.

Nicht wie geplant

„Schon wieder? Was wollen diese Aasgeier nur immer hier?“, war das Erste an diesem Morgen, das ich von meinen Kollegen hörte. Mit erhobener Hand grüßte ich still in die Runde, um die Unterhaltung nicht zu stören. Himeno, die Chemielehrerin hatte die Arme verschränkt und starrte grimmig zu Hizashi, der kaum weniger genervt dreinsah. „Bad Media. Du weißt doch, wie die sind“, meinte er abfällig. „Was ist denn los?“, wandte ich mich flüsternd an Nemuri, die ein Stück abseits stand. „Die Presse belagert mal wieder das Fronttor“, erklärte sie mir leise und seufzte dann. „Das kommt häufiger vor, aber dieses Mal ist es besonders schlimm. Dass der berühmteste aller Helden, All Might, nun hier unterrichtet, sorgt für allerlei Furore. Es würde mich nicht wundern, wenn es draußen schon wild hergeht, weil jeder ein Interview mit ihm möchte“, fuhr sie fort, nickte dann aber in Richtung Fenster. Fragend hob ich eine Braue, doch da hörte ich schon Hizashi, der unsere Unterhaltung wohl mitbekommen hatte. „Aasgeier, sag ich doch“, zischte er mit Blick zum Fenster, an das ich nun herantrat, um mir selbst einen Überblick zu verschaffen. Das erwies sich als ziemlich leicht, denn von hier aus hatte man eine hervorragende Sicht auf das Eingangsportal, an dem sich gute zwei Dutzend Reporter drängelten. Daran musste man sich wohl gewöhnen, wenn man mit so vielen bekannten Profi-Helden zusammenarbeitete, wie ich es nun tat. Zum Glück interessierte sich die Presse nicht für Archäologen. Dieser Presserummel war nur ein Grund mehr, wieso das Leben als Superheld absolut nichts für mich gewesen wäre.

„Hast du denn gar nichts mitbekommen? Sie sind schon in aller Frühe hier aufgelaufen“, ließ mich Nemuris Stimme meinen Blick wieder von den Reportern abwenden. Fragend blickte ich zu meiner Kollegin und schüttelte den Kopf. „Nein, überhaupt nicht“, gab ich unumwunden zu. „Ich war heute Morgen auf der Ausgrabung“, erklärte ich schulterzuckend. „Ah, das neue Gebäude. Ich habe davon gehört. Und? Schon was gefunden?“, schmunzelte Nemuri, wohl nicht ahnend, dass sie mit dieser Bemerkung bei mir offene Türen einrannte. „Ja und es ist wunderschön!“, ereiferte ich mich enthusiastisch. „Ich habe einige Tonscherben einer Kanope gefunden, die sich sehr wahrscheinlich in der der 9. Dynastie einordnen lassen. Eine genaue Analyse muss natürlich im Labor vorgenommen werden, doch die Vermutung liegt angesichts der Nähe zum Fundort der Helden-Tafel nahe, dass die Tafel entweder zu Zeiten Sethos‘ I. oder Ramses II.“, plauderte ich munter weiter. „Kanopen dieser Qualität müssten zu einem sehr bedeutenden Grab gehören. Es ist also gut möglich, dass es nicht allzu weit entfernt liegt.“

Nemuris Grinsen wurde breiter, was mich nur umso mehr dazu verführte, weiterzuerzählen. „Mit etwas Glück finden wir auch die anderen Kanopen des Sets. Nicht auszudenken, wenn man sie intakt finden könnte.“ „Ist das denn wahrscheinlich?“, unterbrach Nemuri mich kichernd. Was war denn daran so lustig? Ich fand das Ganze eher unglaublich aufregend. „Nein, leider nicht“, seufzte ich entmutigt, „eher im Gegenteil. Wenn die Kanope sich außerhalb des Grabes befand, hat sie vermutlich ein Grabräuber aus dem Grab mitgenommen. Das ist nicht unüblich. Die allermeisten bedeutsamen Gräber wurden bereits vor Jahrhunderten oder Jahrtausenden geplündert.“ „Was ist überhaupt eine Kanope?“ Entgeistert sah ich Nemuri an. „Du weißt nicht, was eine Kanope ist?“, rutschte mir die Frage heraus, ehe ich darüber nachdenken konnte. Entschuldigend grinsend zuckte die Profiheldin mit den Schultern.
 

Noch während ich vollauf damit beschäftigt war, Nemuri nicht nur zu erklären, was eine Kanope war, sondern auch, welch immense Bedeutung sie für die Begräbnisriten der alten Ägypter hatten, tröpfelten nach und nach auch die anderen Lehrer ins Lehrerzimmer, pünktlich zum Ende der ersten Doppelstunde. Irgendjemand hatte sich auch etwas aus der Cafeteria geholt, dem Geruch nach geschmolzenem Käse nach zu urteilen. Doch nicht einmal der war verführerisch genug, um mich vom Thema ablenken zu können. Wenn ich nicht gerade einen meiner ehemaligen Kollegen aus Ägypten am Telefon hatte, hatte ich ja sonst hier niemanden, den ich zum Thema Ägypten vollblubbern konnte. „Du liebst dieses Land wirklich, oder?“, meinte Nemuri unvermittelt und ließ mich damit innehalten. Verdattert nickte ich. „Ja, natürlich. Ägypten ist... na ja... Seine Kultur hat mich schon als kleines Mädchen fasziniert. Es ist voller Wunder, voller Geheimnisse und unglaublicher Geschichten!“ Wie von selbst war ich wieder in meine Begeisterung verfallen und erntete von Nemuri ein unverhohlenes Kichern.

Gerade, als sie sich anschickte, etwas zu sagen, schob sich Nezu durch die Tür herein, was ein allgemeines Begrüßungsgemurmel nach sich zog. „Hallo. Schön, dass alle hier sind. Was ich zu sagen habe, sollten besser alle hören“, ergriff Nezu das Wort. „Ab heute beginnen unsere neuen Vertrauenslehrer offiziell mit ihrer Arbeit, die natürlich auch unseren Schülern vorgestellt wird. Bitte erinnert unsere Studenten daran, dass wir für sie da sind und ihnen bei ihren Problemen beistehen. Die freien Termine unserer Vertrauenslehrer können sowohl im Sekretariat als auch online einseh- und buchbar. Selbstverständlich werden alle Gespräche vertraulich behandelt.“ Nezus Lächeln ließ mich schaudern. Er verkaufte diese Sache, als wäre es von langer Hand geplant gewesen. „Offenbar haben die ersten Schüler sogar schon von eurer Einsetzung gehört“, plauderte der Direktor munter weiter, während sein Blick erst zu All Might glitt, dann zu mir. „Der erste Schüler hat sich sogar schon entschieden, sich dir anzuvertrauen, Daelis.“ Ach, echt? Etwas ungläubig sah ich den Direktor an, der mir aufmunternd zunickte. „Du findest die Login-Daten in deinem E-Mail-Fach“, merkte Nezu noch an, ehe er sich Aizawa zuwandte, der dem Direktor etwas zuraunte, das ich nicht hören konnte.
 

Da ich noch eine Freistunde hatte, steuerte ich direkt das Vertrauenslehrerbüro an. Wieso hatte ich das Gefühl, dass vielleicht niemand zum Termin käme? Teenager waren wirklich nicht gerade dafür bekannt, dass sie sofort bereut waren, darüber zu sprechen, was sie bewegte. Ganz davon abgesehen, dass ich sowieso damit gerechnet hätte, dass die meisten Studenten sich viel lieber an ihr Idol wenden wollten als an eine quirklose Geschichtslehrerin. Vielleicht hatte ich mich damit geirrt. Umso neugieriger war ich, wen ich heute beraten sollte. Mit dem Namen, den ich dann jedoch im Kalender sah, hatte ich wirklich nicht gerechnet. Neito Monoma. Ausgerechnet Neito! Dem Jungen mangelte es ja nun wirklich nicht an einem gesunden Ego oder Selbstsicherheit, eher im Gegenteil. So wie ich ihn bisher kennengelernt hatte, fiel es mir wirklich schwer, zu erraten, welche Probleme Neito mit sich herumtrug. Womöglich überraschte er mich und erwies sich hinter seiner egozentrischen Maskerade als sensibler, einsamer Junge? Nachdenklich rief ich seine Schülerakte auf und überflog diese. Wirklich schlauer fühlte ich mich nach meiner Lektüre allerdings auch nicht. Ein unauffälliger Teenager mit einem unauffälligen Leben, soweit man das denn behaupten konnte. Wenn er jedoch zu mir kam, würde es wohl kaum um seinen Quirk gehen, sondern eher um etwas persönliches. Zumindest nahm ich das an. Bei Heldenfragen hätte Neito sicherlich All Might sprechen wollen. Mir blieb also nichts, als einfach abzuwarten, was mir der Junge erzählte.

Dass er tatsächlich auf die Minute genau anklopfte, überraschte mich letztlich aber doch. Bis zuletzt war ich mir nicht sicher gewesen, ob er es sich nicht überlegen und fernbleiben würde. Als er eintrat, erhob ich mich, um ihn zu begrüßen. „Hallo Monoma-san. Bitte, setz dich doch“, lud ich ihn mit dem freundlichsten Lächeln, das ich zustande brachte, ein. „Danke, Sensei.“ Er verbeugte sich höflich und wartete, bis ich mich auf den Stuhl neben ihm setzte, ehe er meiner Einladung folgte. So arrogant und überheblich er sich auch gegenüber der Klasse 1-A verhielt, mir gegenüber war er erstaunlich respektvoll und höflich. „Darf ich ganz offen sprechen?“, ergriff er das Wort, ehe ich nachfragen konnte, was ihn bedrückte. Überrascht sah ich den sonst so selbstbewussten Schüler an, der jetzt fast ein wenig kleinlaut, aber auch angespannt wirkte. „Aber natürlich. Alles, was wir besprechen, bleibt unter uns“, ermutigte ich ihn.
 

So ohne den Schreibtisch zwischen uns fühlte sich die ganze Situation gleich vertraulicher an. Offenbar ein Eindruck, den auch Neito hatte, denn, wenngleich er auch kurz zögerte, sprach er schließlich von sich aus. Er sei von einem Mitschüler bedroht worden, berichtete er mir, die Augen verengt, als müsse er angestrengt darüber nachdenken. Als er jedoch erklärte, dass er lediglich einen anderen Schüler hatte kennenlernen wollen und deshalb dann bedroht worden sei, kehrte seine arrogante Attitüde zurück und er klang eher eingeschnappt als emotional verletzt. Er klang jetzt wieder mehr wie der Neito, den ich auch aus dem Manga und Anime kannte. Nicht gerade ein Sympathieträger wie er im Buche stand, doch sicher jemand, hinter dessen Fassade sich mehr verbarg, als es der erste Blick preisgab. „Du wurdest doch nicht angegriffen oder verletzt?“, erkundigte ich mich betont besorgt und könnte schwören, dass Neitos Blick triumphierende Züge annahm, als er den Kopf schüttelte. „Nein, Sensei. So weit kam es um Glück nicht.“ Ich nickte zufrieden.

„Du möchtest wir wohl nicht unbedingt erzählen, wer diese Schüler waren, oder?“, fragte ich, ahnte aber die Antwort bereits. „Ich möchte wirklich niemanden in Probleme bringen“, erwiderte er so scheinheilig, dass ich ihm als einer seiner Mitschüler jetzt wohl auch gerne mal eine gelangt hätte. Doch als Lehrerin kam das natürlich nicht in Frage. Also beließ es ich bei einem nicht weniger unaufrichtigen Lächeln. Kleines Aas. „Natürlich, das verstehe ich. Dann erzähl mir doch vielleicht, was genau passiert ist“, forderte ich ihn auf. Neito mochte sich hier als Opfer hinstellen, sich vielleicht sogar als solches sehen, doch mein Bauchgefühl war sich eigentlich ziemlich sicher, dass die Sache nicht so einfach war und der narzisstische Bengel jemanden provoziert hatte. Bakugo konnte ich schonmal ausschließen, denn der hätte ihm vermutlich eine verpasst, anstatt nur zu drohen.

„Sie versprechen, dass Sie es niemandem erzählen?“, riss mich Neito aus meinen zugegeben abfälligen Überlegungen. Ich nickte. „Aber natürlich. Ich verspreche es. Niemand erfährt nur ein Wort von mir“, betonte ich ernst und meinte, was ich sagte. Ob ich Neito nun leiden konnte oder nicht, durfte hier keine Rolle spielen. Letzten Endes durfte es einfach nicht wichtig sein, was ich als Person über ihn dachte. Als Vertrauenslehrerin war es meine Verantwortung, ihn zu beraten, ein offenes Ohr zu haben, ihn ernst zu nehmen und nach bestem Wissen und Gewissen zu helfen. Er vertraute sich mir an und es war nur fair, wenn ich mich auch vertrauenswürdig verhielt. Und wer wusste schon, ob mich der Junge nicht vielleicht doch noch überraschte und sich als eigentlich ganz nett herausstellte?
 

Neitos Schauspiel war nicht wirklich überzeugend. Wenn er so den Verknallten mimte, musste ich wohl davon ausgehen, dass er nie wirklich verliebt gewesen war. Aber ich ließ es unkommentiert und hörte nur aufmerksam zu, als Neito mir erzählte, dass er ein sehr hübsches Mädchen angesprochen habe. Sie habe so nervös gewirkt, also habe er sie beruhigen und sich mit ihr anfreunden wollen. So harmlos Neito versuchte, das alles klingen zu lassen, konnte ich doch nicht anders, als davon auszugehen, dass er mir etwas sehr Wichtiges vorenthielt. Neitos Art und Weise, Freundschaften zu schließen, war vielleicht nicht so harmlos, wie es im ersten Moment klang. „Sie ist inzwischen in der 1-A, aber wir haben uns schon bei den Prüfungen getroffen“, erklärte er mir mit einer Trauermiene und demonstrativem Seufzen. Schon klar, armer Junge. Glaubte er wirklich, dass ich ihm dieses Laientheater abkaufte?

„Und sie hat dich dann bedroht?“, hakte ich skeptisch nach. Neito schüttelte den Kopf. „Nein, sie war schüchtern und sehr süß“, erklärte er nun tatsächlich mit einem Schmunzeln, das ich einfach nur als hinterlistig empfand. Was hatte er von dem armen Mädchen gewollt, dass er so dreinsah? Hatte er sie bedrängt? Im Stillen konnte ich nicht anders, als direkt etwas Mitleid für das Mädchen zu empfinden. Wen er da wohl belagert hatte? Gedanklich ging ich die Mädchen der 1-A durch. Vielleicht Momo? Schüchtern war die allerdings sicher nicht. Ochaco könnte ich mir noch vorstellen anhand der Beschreibung. „Bedroht hat mich ein Junge“, riss mich Neito aus diesen Überlegungen und sah nun extra kleinlaut drein. Was für ne linke Bazille. „Ein Junge?“, hakte ich nach und noch ehe ich fragen konnte, was der denn gesagt hatte, ergriff Neito das Wort. „Genau. Er war wohl eifersüchtig, weil ich mich mit dem hübschen Mädchen unterhalten habe“, schnaubte er abfällig und verschränkte die Arme. „Ich habe ihm noch erklärt, dass ich das Mädchen bloß habe kennenlernen wollen, doch er wurde direkt unfreundlich und hat mir gedroht.“

Klang für mich irgendwie nicht schlüssig. In dieser Geschichte fehlte doch irgendetwas. Wieso sollte sich jemand einfach dazwischen schieben? War der Junge vielleicht der feste Freund des Mädchens? Wenn ja, wüsste ich wirklich gern, wer die beiden gewesen waren. Wahrscheinlicher aber, fand ich, war es wohl, dass Neito das Mädchen bedrängt hatte und ihr jemand beiseite gesprungen war, um den Jungen vor mir zu verjagen. Zugegeben war eine Drohung dabei nicht die eleganteste Lösung, doch so wie Neito hier auf die Pauke haute, übertrieb er vielleicht auch einfach gnadenlos und die Sache war eigentlich sehr viel harmloser, als er es darstellte. Na, vielleicht bekam ich ja noch etwas mehr aus ihm heraus, damit ich die Lage einschätzen konnte. Solange Neito keine Namen nannte, konnte ich ja nur herumraten.
 

„Sicher wird er doch etwas gesagt haben, dass einen Hinweis darauf gibt, was ihn störte“, versuchte ich vorsichtig nachzubohren. „Vielleicht könnten wir ja ein gemeinsames Gespräch mit ihm suchen, um diese Sache friedlich beizulegen?“, schlug ich noch vor. Neitos Miene verriet mir allerdings, dass er das eigentlich gar nicht wollte. „Dieser Zausel ist ein Rüpel!“, ereiferte er sich wütend. „Bei allem Respekt, Sensei, aber ich glaube nicht, dass das etwas bringt.“ Und wieso zum Fick bist du dann hier? Ich atmete tief durch und bemühte mich um ein Lächeln. „Man sollte es immer versuchen. Manchmal überraschen einen die Menschen, von denen man es am allerwenigsten erwartet“, versuchte ich ihn zu überzeugen, aber Neito schüttelte nur den Kopf, als wechselte ich das Thema.

„Das Mädchen... hast du seitdem nochmal mit ihr sprechen können? Wenn sie dich auch kennenlernen möchte, trefft ihr einander doch hier in der Schule bestimmt“, meinte ich leichthin und hatte damit wohl den Nagel auf den Kopf getroffen. Neito zog die Nase verräterisch kraus. „Sie verbringt viel Zeit mit diesem Idioten“, brummte er missgelaunt. „Er ähnelt viel mehr einem Schurken als einem Helden. Sogar sein Quirk verrät es schon“, fuhr er abfällig fort. Mich ließen die Worte jedoch aufhorchen. Was für ein Quirk sollte es denn sein, der angeblich nicht für einen Helden angemessen war? „Wieso denn das?“, fragte ich auf gut Glück und hatte fast nicht erwartet, darauf eine Antwort zu bekommen, doch Neito hatte sich in Rage geredet. „Er manipuliert damit andere Menschen gegen ihren Willen. Nicht besonders heldenhaft. Würde mich nicht wundern, wenn er den Heldenkurs sehr bald wieder verlässt.“

Arrogant bis zuletzt. Sein eigener Quirk konnte immerhin ähnlich wenig wohlwollend ausgelegt werden. Mit seinem Copycat kopierte er einen Quirk immerhin und zweifellos nicht immer mit Einverständnis der Person. War das vielleicht auch hier der Fall gewesen? Hatte er den Quirk des Mädchens kopieren wollen, die das abgelehnt hatte? Vorstellen konnte ich mir das bei Neito nur zu gut.

„Ich denke, du solltest versuchen, mit diesem Schüler zu sprechen. Gewiss gibt es Gründe für sein Verhalten, auch wenn du sie noch nicht kennst. Es wäre doch schön, wenn ihr diesen Zwist beilegen könntet“, lenkte ich um. Dass Neito mir etwas verschwieg, war mir klar. „Aber Sensei, diese Zauselkopf...“, begann Neito hörbar verärgert, doch ich hob die Hand, um ihn zu unterbrechen. „Versuch es doch erst einmal. Vielleicht gab es auch einfach nur ein Missverständnis?“, lächelte ich ihn aufmunternd an, als hätte ich nicht so einige Zweifel an seiner Geschichte. „Ich glaube, wenn du vernünftig und höflich mit ihm sprichst, wird sich das Ganze gewaltfrei aufklären können. Vielleicht werdet ihr ja sogar Freunde?“ Neito sah mich jetzt auch gar nicht so zufrieden an, nickte aber. Ihm war wohl klar, dass ich mich hier nicht einfach auf seine Seite schlagen würde. Aufmunternd legte ich eine Hand auf seine Schulter. „Kopf hoch. Manchmal werden genau die unsere besten Freunde, mit denen wir zuerst gar nicht auskamen.“ Okay, nein. Das glaubte ich nicht wirklich, zumal ich inzwischen die Ahnung hatte, dass es sich bei dem Schüler, von dem Neito sprach, um Shinsou handelte. Falls ja, hatte der garantiert einen ganz hervorragenden Grund gehabt, sich Neito in den Weg zu stellen. „Danke, Sensei. Ich werde Ihren Rat natürlich befolgen“, nickte er mir noch zu, ehe er sich erhob. „Pass auf dich auf Monoma-san“, verabschiedete ich den narzisstischen Bengel, konnte mir aber ein kleines Seufzen nicht verkneifen, kaum dass die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war.
 

Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet mir, dass mir nun leider auch nicht mehr allzu viel Zeit blieb, herumzuschnüffeln, von welchem Mädchen Neito gesprochen hatte. Die nächste Stunde würde bald beginnen und mich rief der Unterricht. Vielleicht hatte ich ja danach, in der Mittagspause etwas Zeit. Die meisten Mädchen der Klasse 1-A kamen zwar nicht in Frage, aber wenn ich es logisch anging, könnte ich den Kreis sicher eingrenzen. Im Fragefall müsste ich einfach Erenya fragen. Wenn Neito eine ihrer Mitschülerinnen oder sogar sie belästigt hatte, würde ich es rauskriegen. Soweit mein Plan, doch den durchkreuzte Direktor Nezu direkt, als ich pünktlich zur Mittagspause ins Lehrerzimmer schneite, einen Blaubeermuffin im Gepäck, den ich im Stillen bereits in einer ruhigen Ecke wegkrümelte. Doch noch ehe ich mich hinsetzen konnte, fiel mein Blick auf die Mausratte, die mich abwartend ansah. Dennoch ließ er sich einen Moment Zeit, ehe Nezu meinte: „Hast du einen Moment? Ich würde gerne eine Kleinigkeit mit dir besprechen.“ Mit einer einladenden Geste deutete er auf seine Bürotür und ging dann auch schon voran.

Stumm seufzte ich meinen Muffin an, ließ ihn dann aber einfach auf meinem Platz stehen und folgte Nezu. Es half ja doch nichts und letzten Endes war er halt mein Chef. Wortlos schloss ich die Tür hinter mir und nahm Platz, als Nezu mir dies bedeutete. „Es geht um das Training der Klasse 1-A morgen“, begann der Direktor unerwartet und übersprang damit jede Form von Smalltalk. Allein das ließ mich aufhorchen. Normalerweise liebte er es doch, sich erstmal Ewigkeiten mit unwichtigem Blabla aufzuhalten. „Training?“, hakte ich nach und bereute die Frage sofort. „Die Klasse wird morgen zum U.S.J. reisen, dem Unforeseen Simulation Joint. Dort werden sie unter Aufsicht in unterschiedlichem Gelände Rettungsmaßnahmen erproben“, erklärte mir Nezu. Ich nickte langsam. An das U.S.J. konnte ich mich gut erinnern – und noch besser daran, was da passieren würde. „Du wirst Aizawa und All Might unterstützten. Das wird dir sicher auch eine interessante Erfahrung sein“, meinte er gut gelaunt, während mein Lächeln nun völlig gefror.

Ich sollte mit ins U.S.J.? Das war ne richtig, richtig miese Idee. Also so richtig kacke. Das konnte einfach nur gut gehen? Was sollte ich da überhaupt? Von Rettungsaktionen verstand ich halt mal gar nichts. Helfen konnte ich also nicht. Stattdessen würde ich aber nicht zu knapp im Weg stehen, mit etwas Pech sogar draufgehen. Eigentlich sollte ich nämlich nicht da sein. Der Plot des Mangas sah mich nicht vor. Ich schluckte. „Ich glaube wirklich nicht, dass das nötig ist“, versuchte ich mich halbherzig herauszureden. In meinem Kopf herrschte absolutes Chaos. „Ah, keine Scheu. Es ist wichtig, dass du einen Einblick in den Alltag der Schüler bekommst“, meinte Nezu nur gut gelaunt. „Nummer 13 wird euch am U.S.J. erwarten. Ich bin mir sicher, ihr werdet euch fantastisch verstehen“, plauderte Nezu weiter, ehe er sich dann doch in Smalltalk verließ, dem ich nur mit halbem Ohr zuhörte. Ich im U.S.J., das war eine saublöde Idee. Das konnte nur schief gehen. Ich war sowas von am Arsch!
 

Steifbeinig verließ ich das Büro schließlich mit nur einem einzigen Gedanken: Ich musste diesen Mist irgendwie umgehen. Vielleicht sollte ich einfach behaupten, dass ich krank war? Blöderweise würde man dann wohl Recovery Girl zu mir schicken, die meine Lüge schneller durchschauen würde, als ich meinen Namen buchstabieren könnte. Also war das keine Option. Meine Versuche, mich gegenüber Nezu herauszureden, weil es doch völlig unnötig wäre, dass ausgerechnet ich mit zum U.S.J. ging, waren völlig vergeblich gewesen und die Argumente waren mir schnell ausgegangen. Die Wahrheit würde mir Nezu nie glauben, zumal ich ja keine Beweise dafür hatte, dass eine Handvoll durchgeknallter Schurken, deren Schirmherr indirekt All for One war, das U.S.J. ausgerechnet an diesem Tag angreifen würde, mit dem Ziel, All Might zu töten.

Irgendwie musste ich einen Weg finden, mich aus dieser ganzen Sache während des Angriffs rauszuhalten. Am besten auf eine Weise, die mich nicht tötete, denn anders als meine Schüler hatte ich keinen Quirk, mit dem ich mich auch nur im entferntesten verteidigen könnte. Allein der Gedanke daran sorgte dafür, dass sich mein Magen umdrehte. Helfen konnte ich keinem, das war mir klar. Das Beste, was ich tun konnte, war dafür zu sorgen, dass die Hilfe vorbereitet war und schnell einträfe, wenn es dann soweit war. Vielleicht sollte ich einen anonymen Hinweis schicken? Die Idee war nicht einmal blöd. Ein Zettel im Briefkasten. Klar, man würde dem skeptisch begegnen, aber dann wären die Helden alarmiert und das würde die Zeit, die sie dann brauchten, um einzutreffen, vielleicht ein bisschen abkürzen. Was sonst könnte ich tun? Vielleicht den Schülern gegenüber Hinweise streuen, wie sie ihre Quirks zum Selbstschutz benutzen konnten? Nochmal darauf hinweisen, wie wichtig es war, auch auf sich selbst zu achten, wenn man anderen Leuten helfen wollte?

Diese Gedanken suchten mich noch den Rest des Schultages und darüber hinaus heim. Nach meiner letzten Stunde hockte ich im Lehrerzimmer, wo noch immer der Blaubeermuffin stand, den ich mit mittags erbeutet hatte. Irgendetwas musste es doch geben, das ich tun könnte, um den Vorfall im U.S.J. soweit zu beeinflussen, dass weniger Leute zu Schaden kamen. Dabei dachte ich vor allem an Nummer 13. Sie wurde doch ziemlich schwer verletzt. Angestrengt rieb ich mir die Stirn. Verdammt! Ich konnte doch nicht einfach nur aufs Beste hoffen! Es mochte zwar keine Toten geben, doch von einem guten Ausgang konnte man wohl dennoch nicht sprechen. Allein die Informationen, mit denen Kurogiri und Shigaraki entkamen und welche damit bei All for One landeten, würden später große Auswirkungen haben. Müsste ich raten, verriet All Mights Zustand seinem ärgsten Feind, wie schlecht es um den Nummer Eins-Helden stand und dass er seinen Quirk sehr wahrscheinlich bereits weitergegeben hatte.
 

Von alledem mal abgesehen, gab es noch zwei ganz elementare weitere Probleme: Erenya und mich. Während Erenya als Schülerin einfach plötzlich mitten drin wäre und sich, so wie ich sie kannte, niemals zurückhalten würde, damit der Plot einfach wie gewohnt weiterging, hatte ich keinen Quirk und könnte mich unter Umständen nicht einmal gegen die widrigen Umstände verteidigen, in denen ich innerhalb des U.S.J. landen könnte. Eine totale Katastrophe. Wie sollte ich Eri klarmachen, dass sie sich bedeckt halten musste? Wenn sie sich zu sehr einmischte, könnte sie damit nicht nur sich selbst in größte Gefahr bringen, sondern den gesamten Boku No Hero Academia-Plot. Nur daran zu denken, bereitete mir schon tierische Kopfschmerzen. Frustriert fuhr ich mir mit den Fingerkuppen über die pochenden Schläfen.

Okay, also stand oben auf meiner Liste, dass ich Erenya eine Nachricht zuschieben musste, um sie daran zu erinnern, dass sie auf sich aufpassen sollte, wenn der Angriff auf das U.S.J. begann. Vor Ort könnte ich versuchen, mit ihr zusammen abgetrieben zu werden, um sie dann persönlich auszubremsen – oder es wenigstens zu versuchen. Wenn sie sich dazu entschied, ihre Pheromone gegen mich zu benutzen, wäre ich vermutlich schnell ein typisch blondes Dummchen und machte jeden Mist mit. Da musste ich einfach darauf vertrauen, dass Eri das niemals tun würde. Am besten wäre es natürlich, wenn wir beide sonst niemanden bei uns hätten. Dann konnten wir offen sprechen und würden den Plot nicht stören, der dann wie vorgesehen stattfände.

Blieb noch ein weiteres Problem. Kurogiri. Oder ich. Je nachdem, wie man es sehen wollte. Denn nicht nur, dass ich eine noch wehrlosere Geisel darstellte als alle Schüler, Kurogiri wusste auch, dass über keinen Quirk verfügte und wer ich war, immerhin war er schon in der Grabungsstätte aufgelaufen. Wenn er mich entdeckte, würde er die Chance sicher nutzen, um mich dieses Mal loszuwerden, nachdem ich das letzte Mal durch pures Glück entkommen war. Ich konnte mir auch gut vorstellen, dass er mich nach der Helden-Tafel fragen würde, denn dass die hierher in die Yuei verlegt worden war, konnte sich der Nebelspinner sicher denken. Dumm war er nicht. Genau genommen wohl eher das einzig richtig clevere Mitglied der Schurkenliga zu diesem Zeitpunkt. Wo genau die Tafel verborgen war, wusste ich zwar nicht, aber ob mir Kurogiri das glaubte, war zu bezweifeln. Ich musste mich also unbedingt versteckt halten, damit er mich nicht bemerkte. Es war immerhin recht unwahrscheinlich, dass er ausgerechnet in U.S.J. nach mir suchen würde. Eine Lehrerin für Geschichte hatte ja eigentlich nichts in einem Katastrophenrettung-Simulationssaal verloren.
 

Ganz in Gedanken versuchen starrte ich meinen Muffin an. Da ich nicht wusste, wohin es mich morgen dann genau während des Angriffs verschlagen würde, konnte ich mich auch nicht entsprechend vorbereiten, doch bequeme, leichte Kleidung, die mir Bewegungsfreiheit erlaubte und mich im Fragefall nicht behinderte, war absolute Pflicht. Außerdem könnte ich vielleicht für einen weiteren Erste Hilfe-Koffer im U.S.J. sorgen, um nötigenfalls schneller helfen zu können, wenn die Helden eintragen, um die Schurkenliga zum Rückzug zu zwingen. Wenn ich auch den Angriff nicht verhindern konnte, dann doch wenigstens eine Hilfe sein, wenn er vorüber war. Oh man, jetzt war es doch irgendwie frustrierend in einer Welt voller Quirks ohne einen solchen herumzulaufen. Was wäre es jetzt nützlich, irgendetwas Tolles zu können. Aber nein, ich war ein Normalo und damit ja schon quasi ein Exot.

Völlig in meine Überlegungen versunken, wie ich den morgigen Tag nicht nur überleben, sondern ihn auch möglichst nicht verändern sollte, bekam ich gar nicht mit, wie sich der Muffin vor meinen Augen plötzlich bewegte. „Wow, du bist ja wirklich völlig neben der Spur“, bemerkte ich Nemuri erst, als sie ihre Hand auf meine Schulter legte. In der anderen hielt sie den Muffin, in den sie nun genüsslich biss. Verdattert starrte ich sie an und schüttelte zuerst den Kopf, ehe ich nickte. „Nein. Ja. Entschuldige. Ich war einfach... in Gedanken“, meinte ich ausweichend und zwang mich zu einem kleinen Lächeln. „Hab ich gemerkt“, schmunzelte meine Kollegin und patschte beschwichtigend auf meine Schulter.

„Wie wäre es, wenn wir beide uns heute einen gemütlichen Mädelsabend im Okamoto’s machen?“, schlug sie vor, noch auf meinem Muffin herumkauend. Wäre ich weniger besorgt wegen Morgen, ich wäre wohl empört darüber gewesen, dass sie sich an meinen Süßigkeiten vergriff. Bei solchen Köstlichkeiten hörte der Spaß auf. Heute aber war mir das ziemlich egal. Mein ganzer Kopf war voll mit Sorgen um den morgigen Tag. Im ersten Moment wollte ich aus Prinzip absagen, um mir den Rest des Abends damit zu vergällen, mir das Hirn zu zermartern, und zwar vermutlich ergebnislos. Doch dann nickte ich. „Das klingt fantastisch. Dieses Mal lade ich dich ein“, meinte ich, nun aufrichtig lächelnd und erhob mich. „Aber...“, fügte ich grinsend hinzu und griff nach dem angebissenen Muffin, „wag es ja nicht, mir meine Süßigkeiten zu klauen.“ Nemuri stutzte erst, dann lachten wir beide. „Ich wusste nicht, wie innig eure Beziehung ist“, scherzte sie sofort mit. „Oh doch. Er ist der Traum meiner schlaflosen Nächte. Quasi der perfekte Partner“, schwärmte ich übertrieben und kicherte. Nemuri prustete los. „Für wie lange? Ein paar Stunden?“ Wir beide lachten gleichzeitig los und verwirrten All Might, der gerade ins Lehrerzimmer kam, damit merklich, als wir an ihm vorbeischlenderten, weiter über den Muffin scherzend.

Die Ruhe vor dem Sturm

Wirklich gut auf die folgenden Unterrichtsstunden konzentrieren, konnte ich mich nicht. Nicht einmal den Muffin hatte ich ganz aufgegessen, sondern die Hälfte für später stehen lassen. Also für jetzt, denn das Schellen der Schulglocke kündigte die zweite große Pause des Tages an. Hoffentlich fiele mir jetzt irgendetwas ein, wie ich die Zwischenfälle im U.S.J. unbeschadet überstehen, aber zugleich Vorsorge treffen konnte, damit schlussendlich alle Verletzten schnell versorgt wurden und die Profis im Idealfall sogar etwas eher eintrafen und damit Toshinori vor weiteren Überanstrengungen schützten. Jetzt, da die Wirkung von One for All in ihm immer weiter verlosch, hing sein Leben ohnehin am seidenen Faden. Ich fand, er hatte verdient, die Zeit, die ihm blieb, wenigstens etwas Frieden finden zu dürfen. Er hatte genug für diese Welt getan. Wie viel mehr wollte er noch geben? Außerdem war da ja noch meine kleine Eri. Gott, ich hoffte wirklich, sie würde nicht irgendetwas wahnsinnig dummes und unvorsichtiges tun. Blöd, dass ich eigentlich überzeugt war, dass sie genau das auf jeden Fall tun würde.

Diesem Gedanken nachhängend schlenderte ich durch die Flure. Mein Ziel war das Lehrerzimmer und der Rest der kleinen, krümeligen Köstlichkeit, die dort auf mich wartete. „Die Mühe hättest du dir wirklich sparen können“, riss mich die spöttische Stimme Monomas aus meinen Gedanken. Seine Worte galten nicht mir, doch sie ließen mich dennoch aufhorchen. Sie erinnerten mich an unser kleines Gespräch und standen doch in einem ziemlich starken Kontrast dazu. Ich hatte ihm ja geraten, sich nochmal mit dem Schüler zu unterhalten, um diese ganze Angelegenheit aus der Welt zu schaffen, doch danach klang seine Bemerkung für mich ganz und gar nicht. Jetzt ging ich bewusst etwas langsamer, um ein bisschen mithören zu können. Sicher nicht die feine englische Art, aber ich war neugierig und wem würde es schaden, wenn ich es tat?
 

„Hast du echt gedacht, sie mag dich, wenn du den Ritter auf dem weißen Ross mimst? Mit deiner Fähigkeit taugst du doch viel eher zum Gegenteil“, stichelte Monoma weiter. Was für ein arroganter Bastard! Vermutlich war es als Lehrerin nicht in Ordnung, das zu denken, aber ich konnte einfach nicht anders. Shinsous Antwort fiel so leise aus, dass ich sie kaum hören konnte. Neitos Lachen hingegen war laut genug, dass man es den ganzen Flur runter mitbekam. „Mich kannst du nicht täuschen. Wie lange, bist du es aufgibst, ein Held sein zu wollen und sich der Bösewicht in dir zeigt?“, provozierte Neito weiter. Verdammter Arsch. Gerade, als ich entschied, dass es Zeit war, mich einzumischen und ein Machtwort zu sprechen, ergriff Shinsou das Wort. „Lass Okamoto-san einfach in Ruhe“, meinte Shinsou genervt und wandte sich um, sodass er mich mit wenigen Schritten erreichte und dann überholte. Neito machte noch eine abfällige Bemerkung, doch der hörte ich schon gar nicht mehr zu, dafür beschäftigte mich eine andere Sache zu sehr: Neito hatte Erenya kennenlernen wollen? Dann sollte ich mir vielleicht von ihr die ganze Geschichte anhören. Die wäre sicher weniger geschönt.

Nachdenklich folgte ich dem Flur und damit auch Shinsou. Wenn Eri in all das hier verwickelt war, hatte ich eine vage Ahnung, was Neito eigentlich gewollt haben könnte. So wie ich den Blondschopf einschätzte, war es dem weniger darum gegangen, Erenya kennenzulernen, als vielmehr, an ihren Quirk zu kommen. Nicht auszudenken, wie viel Unfug er damit anstellen könnte. Klar, dass er daran Spaß hätte. Außerdem kannte ich Shinsou definitiv nicht als jemanden, der grundlos einen Mitschüler anging. Das wollte einfach nicht zu ihm passen. Nein, wahrscheinlicher war eher, dass er sich aufrichtig eingemischt hatte, weil Neito die kleine Eri belästigt hatte.

So wie diese Nummer hier hatte ich mir die Aussprache, die ich Neito vorgeschlagen hatte, wirklich nicht vorgestellt. Kein Wunder, dass er mir keine Namen hatte nennen wollen. Erenya und schüchtern? Nah, sie hatte ihm sicher ziemlich klar gesagt, dass sie ihre Ruhe haben wollte, aber er hatte das ignoriert. Das wiederum erklärte dann auch, wieso Shinsou sich eingemischt hatte. Oh man. Teenager! Das Schuljahr ging noch keine Woche und die ersten zickten sich schon an. In gewisser Weise war das mehr als traurig. Viel schlimmer fand ich jedoch, wie Neito über Shinsous Quirk gesprochen hatte. Dank des Mangas wusste ich ja, wie sensibel dieser Punkt für Shinsou war und wie oft er wegen seiner Fähigkeit von den Leuten um sich herum in die Rolle eines Schurken gesteckt wurde, obgleich er keinem je etwas getan hatte. Viele schienen zu vergessen, dass nicht ein Quirk, sondern die Mentalität einen Helden ausmachte.
 

Abrupt blieb Shinsou vor mir stehen, sodass ich beinahe in ihn hineingelaufen wäre. Automatisch wollte ich ihm aus dem Weg gehen, doch dann sah mich der Junge mit dem zerzausten violetten Haar ganz direkt an. „Entschuldigen Sie bitte, Sensei. Haben Sie einen Moment?“ Ich nickte sofort. „Aber natürlich. Wollen wir vielleicht in mein Büro gehen? Da können wir uns in Ruhe unterhalten“, bot ich an. Die Pause hatte ja gerade erst begonnen, wir mussten uns also nicht beeilen und ich konnte mir gut vorstellen, dass Shinsou wenig Lust hatte, diese Angelegenheit auf dem Flur zu besprechen, wo Neito uns zuhören könnte, so wie ich ihnen beiden eben zugehört hatte. Kurz wartete ich Shinsous Nicken ab, dann ging ich selbst voran. Ob ihm Neito wohl verraten hatte, dass der Ratschlag, sich auszusprechen, von mir gekommen war?

Nachdem wir Platz genommen hatten, wirkte Shinsou plötzlich viel unsicherer als eben auf dem Flur. Ein bisschen nachfühlen konnte ich das. Auf der einen Seite wollte er bestimmt keine Petze sein, auf der anderen fühlte er sich bestimmt unwohl damit, private Gedanken einer völlig fremden Person anzuvertrauen. Wortlos schob ich Shinsou die Schale mit Schokoriegeln zu, die ich in weiser Voraussicht bereitgestellt hatte. Schokolade machte bekanntlich alles besser und besonders, wenn man traurig war, wirkte sie Wunder. Doch Shinsou schien nicht überzeugt. Er starrte nur unschlüssig auf seine Hände, die verkrampft auf seinem Schoß lagen. „Möchtest du mir vielleicht etwas erzählen?“, fragte ich nach einer Weile vorsichtig und leise, um ihm nicht das Gefühl zu geben, ich wolle ihn unter Druck setzen. Nach kurzem Zögern nickte Shinsou.

„Es geht um meinen Quirk“, begann Shinsou unvermittelt und zögerte wieder. War ihm das nun unangenehm, weil ich keinen hatte? Oder weil er dachte, All Might wäre besser als Ansprechpartner? Beides wäre verständlich. „Du kannst Leute, die dir geantwortet haben, kontrollieren, richtig?“, fragte ich nach, als wüsste ich das nicht ganz genau. Shinsou nickte und seufzte hörbar. „Nicht gerade heldenhaft“, statierte er dann einfach. Wie oft er das wohl schon gehört hatte, dass er es so mantrahaft wiedergab, als wäre es die unangefochtene Wahrheit? „Ich finde schon“, widersprach ich ernst, ehe ich nachhakte: „Was lässt dich glauben, dein Quirk wäre nicht geeignet für einen Helden?“ Shinsou ließ die Schultern hängen, öffnete den Mund und schloss ihn dann wieder. Einige Momente schwiegen wir einander an, dann begann Shinsou zu erzählen.
 

Schweigend saß ich da, während Shinsou zuerst stockend, dann immer schneller berichtete, wie er schon in der Unterstufe von seinen Mitschülern als Schurke abgestempelt worden war. Sie hatten sich vor seinem Quirk gefürchtet, Angst gehabt, dass er sie zwang, etwas zu tun, das sie nicht wollten. Er musste sich oft anhören, dass eine Karriere als Held womöglich nicht die richtige war – nur wegen des Quirks, mit dem er geboren worden war. Als hätte er sich den aussuchen können. Als bestimme der Quirk, wer er war. An der Mittelschule hatte es einen Neustart gegeben, doch das Schema hatte sich schnell wiederholt. Wieder war er ein Außenseiter gewesen, hinter dessen Rücken man flüsterte. Keiner hatte ihm vertraut, aus Sorge, Opfer seines Quirks zu werden. Und doch hatte er all diese Jahre ein Held werden wollen. Das war sein Traum. So bedrückt und frustriert er geklungen hatte, als er mir von den bisherigen Erlebnissen mit seinen Mitschülern erzählte, so leidenschaftlich sprach er über die Heldenarbeit. Es war unverkennbar, wie sehr er dafür brannte. Schmunzelnd ließ ich ihn reden. Vielleicht brauchte er das sogar am dringendsten. Einfach mal alles aussprechen können, was ihm auf der Seele lag.

„Ich weiß, dass mein Wort vielleicht nicht so großes Gewicht hat, weil ich weder ein Held bin, noch einen Quirk habe“, ergriff ich das Wort, als Shinsou verstummte und wieder still auf seine Hände starrte. „Aber ich finde, dass ein Held sich nicht durch seinen Quirk auszeichnet, sondern durch seinen Charakter. Genauso wie ein Verbrecher. Es ist nicht unsere Herkunft, die bestimmt, wer wir sind, es sind unsere Entscheidungen und du...“, lächelte ich schließlich, „Du hast entschieden ein Held zu sein und ich wüsste beim besten Willen nicht, was dich davon abhalten sollte.“ Vor allem nicht die blöden Kommentare eines arroganten Bastards, der bloß herumzickte, weil irgendetwas nicht so lief, wie es ihm gerade schmeckte. Shinsous Brauen kräuselten sich vielsagend. Am liebsten hätte ich geseufzt, doch ich verkniff es mir und rutschte in eine bequemere Haltung auf meinem Stuhl. „Hat dir ein Schüler an der Yuei gesagt, du wärst nicht als Held geeignet?“, fragte ich nach einer Weile vorsichtig, obwohl ich auch diese Antwort schon kannte. Shinsou zuckte nicht einmal mit der Wimper, als er antwortete. „Ja.“
 

Shinsou seufzte hörbar. „Manchmal denke ich, sie könnten Recht haben. All diese Leute, wissen Sie?“ Jetzt seufzte ich auch, ehe ich ihm mein aufmunterndstes Lächeln schenkte. „All diese Helden, die mit mir zusammen die Punkte für die Aufnahmeprüfung vergeben haben, sahen das anders. Denkst du, dieser Schüler wüsste es besser als sie?“, fragte ich ohne eine Antwort zu erwarten. „Du wirst ein Held sein, solange du das willst. Jeder Quirk, egal wie auffällig oder bunt oder stark er sein mag, kann für Gutes und Schlechtes benutzt werden. Es ist sein Träger, der bestimmt, welchen Weg er gehen möchte.“ Für einen kleinen Moment huschte nun auch ihm ein Lächeln über die Züge. Meine Worte hatten ihn erreicht, auch wenn sie vermutlich nicht jeden Zweifel hatten zerstreuen können. Wie auch? Immerhin konnte ich gar nicht nachfühlen, in welcher Lage er sich befand. Ohne Quirk war es quasi unmöglich, ein Held zu werden, da war ich realistisch. Doch Shinsou hatte einen tollen Quirk, der ihm unglaublich viele Möglichkeiten bot, wenn er nur lernte, sie zu nutzen.

„Ich habe nur einfach das Gefühl, nicht stark genug zu sein“, meinte Shinsou, gefolgt von einem tiefen Seufzer. „Weder kann ich Wände einreißen oder auf große Entfernung angreifen. Alles, was ich tue, ist Leuten etwas aufzwingen. Damit kann ich keine Erdbeben aufhalten oder Leute aus Gefahrenbereichen bringen“, fügte er niedergeschlagen hinzu. „Selbst bei einem einfachen Wettlauf hänge ich hinter allen anderen zurück.“ Die Frustration war Shinsou deutlich anzuhören. Ob sich die Daelis dieser Welt auch manchmal so gefühlt hatte, seit sie ohne Quirk in eine Welt geboren worden war, in der praktisch jeder einen hatte? Es würde mich nicht wundern, wenn. Vielleicht hatte sie es damit kompensiert, viel zu lernen und etwas zu tun, wobei einem kein Quirk half. Denken musste eben noch jeder selbst und die Liebe zur Antike war in mir ja auch schon im Kindesalter erblüht. Der Gedanke ließ mich ein wenig schmunzeln. Genau wie Shinsou es schaffen würde, hatte diese Daelis sich ihren Platz in der Welt geschaffen. „Ich habe keinen Zweifel, dass du mit Training aufholen kannst. Jeder hat seine eigenen, individuellen Stärken und nicht jeder Held kann ein Auto anheben. Aber darauf kommt es auch nicht an“, ermutigte ich den Schüler ungeniert. Shinsou nickte kaum merklich. „Denken Sie, dass Aizawa-sensei mir vielleicht Nachhilfe geben wird?“ Ein Funken Hoffnung klang hörbar in seiner Frage mit und ich nickte, ohne nachzudenken. Es war ja nicht einmal gelogen. Ich wusste ja längst, dass Aizawa das tun würde. „Ganz bestimmt. Möchtest du, dass ich ihn für dich frage?“, bot ich Shinsou an, der die Stirn runzelte, dann aber den Kopf schüttelte. „Das sollte ich selbst tun“, befand er, „Aber wenn ich Sie vielleicht bitten dürf-“ Das schrille Heulen des Alarms unterbrach Shinsou mitten im Satz und ließ uns beide gleichermaßen erschrocken aufblicken.

Es dauerte einige Sekundenbruchteile, in denen mir lauter Szenarien durch den Kopf gingen, die von Fehlalarm bis Erdbeben reichten, ehe mir klar wurde, dass nichts von stimmte und ich eigentlich wusste, was los war. Die Reporter! Ich Idiotin! Ich hatte sie doch selbst heute Morgen schon gesehen und wusste obendrein aus dem Manga, dass sie einen Alarm auslösen würden. Mental schlug ich mir vor die Stirn, während mein hochgeschnellter Puls sich direkt wieder beruhigte. Sicher würde der Alarm gleich wieder abgestellt. „Sensei, wir müssen das Gebäude verlassen!“, wandte sich Shinsou aufgeregt an mich. Er war aufgestanden und wartete scheinbar darauf, dass ich Anstalten machte, es ihm gleichzutun. „Bitte bleiben Sie in meiner Nähe, dann tue ich mein Bestes, damit Ihnen nichts passiert“, bekräftigte er mit so ernster Stimme, dass es mir schwerfiel, entspannt sitzen zu bleiben. Es war wirklich rührend, dass er sich sorgte und obendrein direkt bereit war, die Rolle eines Beschützers einzunehmen, zweifellos, weil ihm klar war, dass ich keinen Quirk hatte, den ich zu meinem Schutz verwenden könnte. „Bitte setz dich wieder, Shinsou-san“, versuchte ich, ihn zu beruhigen, und erntete einen mehr als verwirrten Blick. Bedächtig nickte ich in Richtung des leeren Stuhls. „Ich bin sicher, es wird gleich eine Durchsage kommen, die uns sagt, was genau passiert ist“, erklärte ich mich und lächelte Shinsou an. „Vermutlich nur die Reporter, die sich schon den ganzen Morgen am Tor drängeln. Habe mich eh schon gewundert, dass noch keiner von ihnen die Alarmanlage ausgelöst hat. Warten wir einen Moment. Ich bin sicher, alles ist in bester Ordnung.“ In Shinsous Augen konnte ich Zweifel flackern sehen und hätte ich nicht mein Fandom-Wissen wäre ich da ganz bei ihm. Aber im Moment waren wir hier drinnen sehr viel sicherer als auf den Fluren, wo sich die Schüler drängten, und eine Hilfe wären wir dort auch nicht. Tenya würde die Sache schon handhaben. Hoffentlich wurde meine arme kleine Eri nicht zu sehr gequetscht. „Sensei, ich muss darauf bestehen, dass wir evakuieren“, entschied Shinsou ernst und streckte die Hand nach meinem Arm aus, wohl um mich mitzuziehen, damit ich nicht entgegen jeder Vernunft hier verweilte und womöglich in einem Feuer starb oder etwas ähnlich Dummes. Ich seufzte still, erhob mich nun aber, um ihm zu folgen. Was könnte ich dagegen auch sagen? Besser, ich übernahm die Führung. „Mir nach“, forderte ich den sichtlich verdatterten Shinsou auf und lief den Flur bewusst in die Richtung, die einen längeren Weg zum nächsten Ausgang bedeutete. Dorthin würde sich niemand quetschen und drängen. Gut, dass dieser Nebenflur nicht so oft von Schülern frequentiert wurde, sonst wäre hier auch die Hölle los. Vermutlich hatte Nezu diesen Ort absichtlich als Beratungslehrerzimmer gewählt, damit Schüler nicht das Gefühl hatten, jemand beobachte, ob sie hierher kamen.
 

Sehr weit kamen Shinsou und ich nicht. Wir waren gerade im Treppenhaus und eilten die Stufen hinab, als die Lautsprecher überall im Gebäude mit einem Knacken zum Leben erwachten und im nächsten Augenblick auch schon Nezus Stimme ertönte, der Entwarnung gab. Alle Schüler sollten sich wieder in ihre Klassenräume begeben. Es handele sich um einen falschen Alarm, alles sei in bester Ordnung. Die Lehrer jedoch möchten sich jedoch bitte im Lehrerzimmer einfinden. Was das für Gerüchte geben würde, konnte ich mir gut ausmalen. Bestimmt glaubten die Ersten schon nach dieser Durchsage, dass die Schule etwas vertuschte. Umso mehr, weil er die Lehrer zusammenrief. War ich ehrlich, klang es für mich ja genauso. Zu gut konnte ich mir vorstellen, wie die Schüler allein in ihren Klassen saßen und darüber spekulierten, was passiert sein könnte. Vielleicht ein Einbruch, ein Schurke? Manch einer wäre vermutlich sogar ganz scharf darauf, einen potentiellen Einbrecher selbst dingfest zu machen. Ich hoffte, niemand machte sich davon, um die Schule abzusuchen.

Betont entspannt wandte ich mich an Shinsou. „Ich denke, du kehrst jetzt besser in deinen Klassenraum zurück. Mach dir keine Sorgen. Du wirst ein wunderbarer Held sein und ich habe keinen Zweifel daran, dass Aizawa dir helfen wird, wenn du ihn darum bittest. Komm jederzeit zu mir, wenn dich etwas bedrückt, ja?“, versuchte ich, dem Jungen Mut zuzusprechen. Er war zwar größer als ich, aber ich durfte nicht vergessen, dass er doch erst 15 Jahre alt war, quasi noch ein Kind. „Sicher, Sensei. Danke“, nickte Shinsou. „Jederzeit, ok?“, betonte ich noch einmal. Ein Lächeln schlich sich auf Shinsous Züge, als er erneut nickte. Meine Nachricht war wohl angekommen. Gut, denn ich meinte, was ich sagte. Er würde ein wundervoller Held, auch wenn irgendwelche hochnäsigen Blagen das nicht glaubten. Kurz blickte ich Shinsou noch nach, als dieser vor mir die Treppen wieder hinaufstieg.

Ich selbst verweilte noch einen kleinen Moment im Treppenhaus, um unser Gespräch im Kopf noch einmal durchzugehen, bevor ich ebenfalls die Stufen erklomm, immerhin erwartete man mich im Lehrerzimmer. Dass Shinsou in der 1-A gelandet war, unterschied sich vom normalen Plot des Mangas, doch da er sowieso dort gelandet wäre, war das sicher nicht weiter tragisch. Verdient hatte er es auf jeden Fall und ich war sicher, dass Aizawa sein Wissen auch diesmal an Shinsou weitergeben würde, wenn dieser ihn darum bat. Zur Sicherheit sollte ich wohl dennoch mal mit Aizawa über Shinsou sprechen. Als jemand, der selbst einen Quirk hatte, der sich nicht für einen offensiven Kampf eignete, konnte er sicher gut verstehen, wie sich Shinsou fühlen musste.
 

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf erreichte ich das Lehrerzimmer beinahe als letzte und schob mich unauffällig zu Nemuri, die mir ein keines Lächeln schenkte. „Alles in Ordnung bei dir?“, flüsterte sie mir zu. Ich nickte, da fuhr Nemuri auch schon fort: „Journalisten haben versucht, aufs Schulgelände zu kommen und einem ist es wohl gelungen. Das hat den Alarm ausgelöst.“ Wieder nickte ich. „Das ist das erste Mal, dass es einer von ihnen geschafft hat“, fuhr Nemuri leise fort, da mischte sich auch schon Hizashi ein, der sich zu uns schob. „Bad Media! Ich sag’s ja immer. Einer von denen hat sich irgendwie an unseren Sicherheitsmaßnahmen vorbeigemogelt. Keine Ahnung, wie.“ Er klang ziemlich verärgert. „They really need to stop this!“, brummte Hizashi weiter und war selbst damit noch lauter als die meisten Leute um uns herum. Ob das an seinem Quirk lag? „Hauptsache, es ist nichts schlimmeres passiert“, kommentierte ich leise, da richtete auch schon Direktor Nezu das Wort an uns alle. „Sind nun alle da? Sehr schön.“ Die Mausratte saß auf All Mights Schulter und konnte von dort aus die versammelte Lehrerschaft prima überblicken. Ich hingegen musste mich auf die Zehenspitzen stellen, um überhaupt etwas zu sehen, denn vor mir stand Sekijiro Kam und dem reichte ich gerade mal zur Schulter.

„Wie sich bestimmt schon herumgesprochen hat, ist es einem Mitglied der Presse gelungen, auf das Schulgelände vorzudringen, was zu diesem Alarm führte“, erklärte Nezu ernst. „Unsere Big Three haben sich hervorragend um unsere Schüler gekümmert und ich danke euch allen, dass auch ihr Ruhe bewahrt habt.“ Sein Blick glitt über uns alle. „Recovery Girl, gab es Verletzte?“, wandte er sich dann zuerst an die Krankenschwester, die den Kopf schüttelte. „Nur ein paar kleinere Kratzer, nichts wildes.“ Ein erleichtertes Aufseufzen ging durch das versammelte Kollegium. „Sehr schön. Ich habe gehört, dass sich ein Schüler der 1-A besonders hervorgetan hat“, nickte Nezu dann in Richtung Aizawa, der nicht reagierte, sondern nur vor sich hinstarrte. „Nicht nur einer“, mischte ich mich ein. „Hitoshi Shinsou war bei mir und hat nicht gezögert, mich in Sicherheit zu geleiten, da zu diesem Zeitpunkt noch unklar war, was den Alarm auslöste.“ Nezus Gesicht hellte sich weiter auf. „Wir haben wirklich wunderbare Schüler!“, freute er sich merklich, bevor sich Sekijiro zu Wort meldete. „Es gab eine kleine Reiberei in der Support-Abteilung, aber die entsprechenden Schüler wurden bereits bestraft“, teilte er uns grimmig mit. „Ist sonst noch etwas Wichtiges zu vermelden?“, wandte sich Nezu nun mit gerunzelter Stirn in die Runde. Zum Glück wusste niemand etwas wirklich Großes zu vermelden.

Nach und nach löste sich die kleine Versammlung auf, sodass ich mich mit einem Winken von der verwirrten Nemuri löste, die direkt wieder von Hizashi bequatscht wurde. Eine bessere Chance, mir Aizawa zu greifen, ehe Shinsou mit ihm sprach, würde ich wohl nicht bekommen. „Aizawa-san“, sprach ich ihn an, um auf mich aufmerksam zu machen, und fürchtete im ersten Moment noch, dass er mich dennoch einfach ignorieren würde. Doch dann wandte sich der Untergrundheld doch noch zu mir um, auch wenn er dabei so unbegeistert dreinsah, dass ich nicht übel Lust hatte, direkt umzudrehen und das Gespräch auf später zu verschieben. Allerdings wagte ich zu bezweifeln, dass Aizawas Stimmung dann merklich besser wäre. Der guckte halt einfach immer wie sieben Tage Regenwetter zum Beginn der Apokalypse.

Abwartend sah er mich einfach nur an, sodass ich entschied, einfach direkt zum Punkt zu kommen. „Ich hatte eben ein Gespräch mit Hitoshi Shinsou. Er hat Bedenken, ob er mit seinen Mitschülern mithalten kann“, erklärte ich in Kurzform. „Shinsou war bereits in der Vergangenheit damit konfrontiert, dass sich sein Quirk nicht für einen offensiven Kampf eignet, wie er in den Augen vieler für einen Helden üblich wäre.“ Aizawa hörte nur mit steinerner Miene zu, aber ich hoffte, dass er hinter seiner ausdruckslosen Fassade Empathie für Shinsou fand. Eindringlich musterte ich Aizawa, doch wie erwartet, starrte der einfach nur zurück. „Und weiter?“, meinte er nach einigen Augenblicken. Mental ohrfeigte ich Aizawa, fuhr dann aber fort: „Er hat erwähnt, dass er vorhat, dich um Hilfe zu bitten.“ Während ich sprach, blickte ich vielsagend zu den Bändern, die Eraserhead stets um seinen Hals trug und welche er im Kampf verwendete. „Wenn er dich um Nachhilfe bittet, weise ihn nicht ab“, sprach ich weiter und entlockte Aizawa damit die erste sichtbare Reaktion: eine erhobene Augenbraue. „Nachhilfe?“, wollte er skeptisch wissen. „Genau“, bekräftigte ich. „Ich wüsste nicht, wieso ich einen Schüler bevorzugen sollte“, brummte Aizawa leise, doch ehe ich etwas erwidern konnte, seufzte er hörbar und fügte hinzu: „Wenn ein Schüler um Hilfe fragt, sind Lehrer dazu da, um zu helfen.“ Ich grinste. Das wertete ich als Zusage. „Shinsou ist ein entschlossener junger Mann. Er erinnert mich ein bisschen an dich“, flötete ich noch betont gut gelaunt, ehe ich mich gen Tür wandte. „Danke, Shota. Du wirst es nicht bereuen. Shinsou hat eine Chance verdient.“ Ich konnte noch hören, wie der schwarzhaarige Mann etwas brummte, doch den Wortlaut vermochte ich nicht mehr auszumachen.
 

Zumindest diese Sache war zu meiner Zufriedenheit verlaufen, tröstete ich mich. Meine Vorsätze, mich nicht in den Plot einzumischen, hatte ich damit zwar ein bisschen belogen, aber zumindest hatte mein Eingreifen keinen wirklich großen Unterschied gemacht. Shinsou hätte ja immerhin sowieso von Aizawa gelernt, selbst wenn ich nicht hier gewesen wäre. Größere Sorgen machte mir dabei viel eher, dass Erenya mitten in dem ganzen Chaos des Angriffs auf das U.S.J. dabei sein würde und es nichts gab, das ich dagegen tun könnte, wenn sie sich nicht krankschreiben ließ. Natürlich könnte ich sie mir einfach packen und mir ihr das Weite suchen, doch wie sollten wir das später irgendwem erklären? Man würde uns beide für verrückt halten und zumindest mich sehr wahrscheinlich dafür vor ein Gericht schleifen. Damit entfiel es für mich eigentlich als Option völlig. Ganz bestimmt wollte ich nicht in einer Gefängniszelle enden. Es ärgerte mich schon genug, die Ausgrabungsstätte verlassen zu haben, wenngleich nicht ganz freiwillig. Hoffentlich passte die arme Eri auf sich auf und hielt sich während des Angriffs im Hintergrund, kehrten meine Gedanken zum Thema zurück. Wenn sie sich einmischte, war es gut möglich, dass sie sich selbst damit in höchste Gefahr brachte. Dass keiner der Schüler gestorben war, war genau genommen ja schon fast ein Wunder. Wenn sich jedoch irgendetwas änderte und die Schurkenliga damit weiter alarmierte, könnte das auch ganz anders ausgehen. Der Gedanke allein genügte, damit sich mein Magen herumdrehte. Dass ich selbst ja auch dem ganzen Trubel nicht entgehen konnte, sondern ebenfalls im U.S.J. festsäße, machte die ganze Situation nur noch verzwickter. Aaaah! Ich bekam schon Kopfweh, wenn ich nur darüber nachdachte! Was ritt den Direktor nur, dass er meinte, eine Ägyptologin müsse bei einer Katastrophenrettung dabei sein? Davon verstand ich doch nun wirklich überhaupt nichts und würde es auch nie. Das war echt nicht meine Ecke. Ich grub lieber die Leute aus, die vor Jahrhunderten Opfer einer solchen Katastrophe geworden waren. Indirekt arbeiteten die Helden also meinen Nachfolgern entgegen.

Ächzend schlurfte ich am Lehrerzimmer vorbei ins Büro der Vertrauenslehrer. Dort hätte ich etwas Ruhe und könnte mir überlegen, wie ich dafür sorgte, dass eher Verstärkung am U.S.J. eintraf, vorzugsweise ehe sich Toshinori übernahm oder einer der Schüler ernsthaften Schaden erlitt. Oder ich. Die Lehrer zu warnen, war leider keine Option. Denen könnte ich niemals eine anonyme Nachricht zukommen lassen, keine Chance. Selbst wenn ich vorgäbe, von jemand anderes einen Hinweis erhalten zu haben, würde ich Ziel einer näheren Untersuchung und ich traute meinem Talent im Lügen nicht genug, um das zu provozieren. Außerdem wären die Lehrer so schnell vor Ort, dass der Angriff der Schurkenliga womöglich gar nicht erst stattfände, weil sie bemerkten, dass die Helden anwesend waren. Verhinderte ich jedoch den Angriff insgesamt, konnte niemand ermessen, welche Folgen das für die Schüler, aber auch für die Schurkenliga hätte. Also kam das auch nicht in Frage. Minutenlang wanderte ich im Büro auf und ab, während ich meine Möglichkeiten abwog. Wenn ich keinen der Lehrer auf das Problem ansetzen konnte, dann musste ich halt zusehen, einen anderen Profihelden zu aktivieren, der hier einträfe, um rechtzeitig einzugreifen. Das wäre obendrein eine Absicherung für den Fall, dass sich bereits etwas geändert hatte, das dazu führte, dass Tenya nicht entkäme, um Hilfe zu holen. Daran hing ja in gewisser Weise alles. Blieb die Frage, wie ich einen Profihelden dazu bringen sollte, meinem Verdacht, dass das U. S. J. angegriffen würde, nachzugehen. Meine Identität müsste ich auch ihnen gegenüber geheim halten, wenn ich nicht den Verdacht auf mich lenken wollte, eine Verräterin zu sein, die insgeheim mit der Liga zusammengearbeitet hatte und nun kalte Füße bekam. Das zu behaupten, erwog ich tatsächlich für einen Moment, doch verwarf die Idee direkt wieder. Diese Lüge flöge viel zu schnell auf und dann käme ich wirklich in Erklärungsnot. Nein, ich musste unbedingt anonym bleiben.

Zu der Frage, welchen Held ich vielleicht herködern könnte, fiel mir die Wahl nicht zu schwer. Mein anonymer Tipp durfte nicht zu viel verraten, aber müsste dennoch ausreichen, damit ein Held entschied, dass es nicht schaden konnte, nachzusehen, ob nicht doch etwas dran war. Wenn es einen gab, bei dem ich darauf hoffen konnte, dass er das Ganze irgendwie persönlich nahm, dann Endeavor, immerhin war sein Sohn Shoto in der Klasse 1-A und damit in potentieller Gefahr. Natürlich war es ein Glücksspiel. Vielleicht ignorierte er den Hinweis auch einfach, wenn er ihn denn überhaupt erhielt. Zuvor landete der immerhin mit hoher Wahrscheinlichkeit bei einem seiner Mitarbeiter in der Agentur, doch welche Alternativen hatte ich? So wie ich es sah, war Endeavor meine beste Chance. Also entschied ich mich kurzerhand, es auf diesem Wege zu versuchen. Einen groben Plan für das Drumherum hatte ich mir schnell zurechtgelegt. Ein wahlloses Blatt Kopierpapier, das man überall bekam, ein Werbekugelschreiber und dann den Zettel bei der Agentur einwerfen, damit er heute noch ankam, denn immerhin hatte ich keine Zeit zu vergeuden. Blieb jedoch ein Problem übrig. Ich. Wo würde ich mich verkriechen, wenn es zum Angriff kam? Ich hatte keine Möglichkeit, mich irgendwie zu verteidigen und durfte den armen Schülern keine Last werden. Am klügsten wäre es wohl, mich die ganze Zeit weit im Hintergrund zu halten und mich zu verstecken, sobald die Liga auftauchte, besser noch davor. Vielleicht könnte ich unter dem Vorwand, dass mir übel war, betont oft zur Toilette laufen. Dort würde niemand nach mir suchen. Ohnehin war ja nicht ich das Ziel der Liga und sie würden sich kaum für eine quirklose Geschichtslehrerin interessieren, die sich in einer Klokabine verbarrikadierte, wenn sie denn überhaupt bemerkten, dass ich da war. Nicht optimal, doch der beste Plan, den ich auf die Schnelle zustande brachte. Hätte ich geahnt, dass man mich zum U. S. J. schicken würde, hätte ich alles versucht, um das zu verhindern. Jetzt jedoch musste ich zusehen, dort möglichst unauffällig zu sein. Neben den vielen auffälligen Persönlichkeiten dort dürfte mir das ja eigentlich nicht so schwerfallen, oder?

Unvorhergesehenes Vorhergesehenes

Mit klopfendem Herzen stand ich vor dem neuen Gebäude der Yuei, genau dem, welches extra für mich errichtet worden war. So richtig Sinn machte das für mich noch immer nicht. So ein Riesenaufwand, nur damit ein Geschichtslehrer sich austoben konnte. Wie in aller Welt hatte Nezu die ägyptischen Behörden zu diesem Wahnwitz überreden können? Normalerweise waren die nämlich, zu meiner Freude, sehr streng, wenn es darum ging, dass Fundstücke das Land verließe, geschweige denn gleich ein ganzes Stück Grabungsstätte! Allein, was dabei alles hätte kaputtgehen können! Da bekam man ja Bauchschmerzen. Von dem ganzen Aufwand und den Kosten, um all das hierherzuschaffen, ganz zu schweigen. Es war einfach nur absurd! Wie war Nezu überhaupt auf eine so abgedrehte Idee gekommen? Hatte ihm niemand gesagt, dass das völlig wahnsinnig war? Kein normal denkender Mensch hätte sich das ausdenken können. Und doch stand ich jetzt hier, den Schlüssel zu dem kleinen Gebäude in der Hand und konnte nicht einmal leugnen, dass ich mich tierisch darauf freute, hier meine Zeit ausgiebig zu verplempern. Auch wenn es nur eine abgespeckte Version dessen war, was ich in Ägypten vorgefunden hatte, war es doch weit mehr, als ich jemals für möglich gehalten hätte, und ich wollte verdammt sein, wenn ich die Chance nicht nutzte! Ich brannte darauf, mich völlig in dieser Arbeit zu versenken und herauszufinden, welche Geheimnisse dieses Stück Boden preisgeben würde. Vor lauter Aufregung zitterten meine Finger sogar, als ich den Schlüssel in meiner Hand ungläubig betrachtete. Für die meisten Leute wäre wohl kaum nachfühlbar, wieso mich ein großer Haufen Erde so dermaßen glücklich machte. Sogar in meinem Kopf klang das ein bisschen so, als hätte ich amtlich einen an der Klatsche.

Wieso genau man hier so scharf darauf gewesen war, ausgerechnet mich einzustellen, war mir immer sowieso noch ein Rätsel. Selbst wenn ich eine bekannte Koryphäe in meinem Gebiet war, machte mich das noch lange nicht zu einer guten Lehrerin und jeder vernünftige Mensch hätte eine entsprechend studierte Lehrkraft einer Ägyptologin vorgezogen, um die Helden der Zukunft auszubilden. Dennoch war die Stelle mir angeboten worden, offenbar sogar schon vor dem Angriff. Wenn es bei alledem nur um meine Sicherheit ging, hätte sich das sicher auch anders formulieren lassen können. Ich wüsste wirklich gerne, was sich der Direktor der Yuei dabei gedacht hatte. Obendrein hatte Nezu einen so dermaßen ausufernden Aufwand betrieben, um mir dieses ominöse Grabungsgebäude hier hinzustellen, dass es fast so rüberkam, als wäre es schier unmöglich, jemanden für diesen Job aufzutreiben. Das konnte ich mir allerdings beim besten Willen nicht vorstellen. Zweifellos würden sich so einige Historiker und Geschichtslehrer darum reißen, eine Stelle an der Yuei zu bekommen, und das nicht nur wegen des wirklich großzügigen Gehalts, das die Schule ihren Dozenten bot. Verdammt, es gab vermutlich genug Leute, für die das hier ein absoluter Traumjob war.

Meiner war es hingegen nicht, aber angesichts meiner Situation hatte ich auch keine groß Wahl gehabt. Ich hing an meinem Leben, sowohl an meinem alten als auch an dem neuen, das ich führte, seit ich von einem Tag auf den anderen in diese Realität gestolpert war, in der sich immerhin einer meiner sehnlichsten Träume mir nichts dir nichts erfüllt hatte. Ich war plötzlich als Ägyptologin und obendrein auch noch auf einer Grabungsstätte in Ägypten aufgewacht, ein wahr gewordener Traum! Obwohl ich nicht einmal einen Tag dort verbracht hatte, wünschte ich mich bereits dorthin zurück und sehnte mich nach der heißen Wüstenluft. Aber fürs Erste würde ich wohl damit vorliebnehmen müssen, mich an diesen Job zu gewöhnen. Zumindest so lange, wie jeder um mich herum davon ausging, dass ich wegen meines Fundes in Ägypten in Gefahr schwebte. Ganz offensichtlich stimmte das ja auch, immerhin hatte Kurogiri die Grabungsstätte angegriffen und so, wie ich ihn einschätzte, handelte er kaum aus einer Laune heraus, sondern vielmehr auf Anweisung All for One’s hin. Der mysteriöse Schurke hatte obendrein nach mir gesucht, nicht nach meinen Kollegen. Sein Ziel war also eindeutig. Nicht unbedingt ein beruhigender Gedanke, aber er war es, der mich überhaupt erst überzeugt hatte, als Lehrer an die Yuei zu kommen, statt weiter meinen Traum zu leben.
 

Mit einem leisen Klicken drehte ich den Schlüssel im Schloss herum und schob schließlich die Tür auf. Den Lichtschalter direkt daneben an der Wand hatte ich schnell gefunden. Binnen eines Augenblicks erhellten die Deckenlampe einen kleinen Eingangsbereich, von dem zwei Türen abzweigten. Die erste war eine Holztür, an der ein WC-Schild angebracht war. Viel spannender war da eindeutig die zweite. Durch die doppelflüglige Glastür konnte ich bereits in den großen Innenraum schauen. Die großen Fenster, welche ich bereits beim Blick aus dem Schulgebäude heraus bemerkt hatte, ließen viel Licht herein und offenbarten zu meinem Erstaunen tatsächlich eine sandige Ebene. „Wow“, entfuhr es mir geflüstert, als ich die Tür vorsichtig aufschob, um einzutreten und alles genauer in Augenschein zu nehmen. Von draußen hatte ich ja schon das Gefühl gehabt, dass mich etwas Beeindruckendes erwartete, aber jetzt war ich schlicht überwältigt. Nicht nur die schiere Größe dieses Stückchen Ägyptens, sondern auch die ganze Atmosphäre war noch viel unglaublicher, als ich es erwartet hätte. Staunend schob ich mich in den Raum hinein und wagte einen Blick umher. In einer Ecke standen einige Tische bereit, auf ihm mehrere Gerätschaften und Boxen. Daneben erhob sich ein Regal, vollgestellt mit Büchern. Diese kleine Arbeitsecke war durch eine Glaswand von der Sandfläche abgetrennt, die fast den gesamten Raum einnahm, sah man von einem kaum einen Meter breiten Rand ab, der um die Fläche herumführte. Mehrere Bereiche im Sand waren abgesteckt worden, sodass es fast so aussah, wie in der ägyptischen Ausgrabungsstätte, mit dem kleinen Unterschied, dass hier noch nicht gegraben worden war und niemand außer mir es tun würde.

Andächtig umrundete ich die improvisierte Grabungsstelle. Wusste der Himmel, wie Nezu das hinbekommen hatte, aber auf den ersten Blick sah des wirklich aus, als habe er ein Stückchen Ägypten hierher gebracht. Selbst, wenn alles nur Schein war, berührte mich die Geste dahinter nun doch mehr, als ich zunächst gedacht hätte. So absurd und hoffnungslos übertrieben mir auch jetzt noch all das hier erschien, wusste ich doch zu schätzen, dass man mir dieses unglaubliche Geschenk gemacht hatte. Wem sonst sollte es auch gelten? Wer sich nicht für Archäologie interessierte, würde hieran wohl kaum Freude finden. Im Stillen nahm ich mir vor, mich morgen noch einmal ausgiebig bei Nezu zu bedanken, sofern ich das U. S. J. überlebte. Ich könnte schwören, es roch sogar ein bisschen wie auf der Grabungsstätte! Später müsste ich unbedingt noch meine Kollegen in Ägypten anrufen und ihnen Fotos von hier schicken! Sie würden staunen! Vielleicht könnten sie mir sogar etwas darüber erzählen, was für Fundstücke in der Nähe dieses Fleckchens ägyptischer Erde gefunden worden waren. Das gäbe mir einen Hinweis darauf, was ich hier erwarten könnte. Tonscherben vielleicht? Womöglich kleine Statuetten, Amulette oder Überreste einer Kochstelle? Werkzeuge waren auch denkbar, wenn die Grabung in der Nähe von Gräbern stattfand.

Begeistert und völlig in diese Gedanken versuchen, machte ich mich daran, die Unterlagen zu überfliegen, die auf dem Schreibtisch bereitlagen und mir bereit allerlei Details über diesen gigantischen Import-Sandhaufen verrieten. Sogar eine Karte lag dabei, auf der ich entnehmen konnte, woher genau meine außergewöhnliche Ausgrabungsstelle stammte. Am besten, grübelte ich über der Karte, unterteilte ich erst einmal alles in einzelne Abschnitte. Meine Kollegen hatten markiert, wo sie auf dem Areal bereits etwas entdeckt hatte, ohne wirklich danach graben zu müssen. Dabei handelte es sich um eine zerbrochene Schale mit kleinen Markierungen, die durch die Jahrhunderte im Sand fast bis zur Unkenntlichkeit verblasst waren, aber noch immer ahnen ließen, wie farbenfroh und schön sie einst gewesen sein mussten. Angesichts dessen handelte es sich vermutlich um eine Opferschale, die einem wohlhabenden Menschen gehört haben musste. Aufgeregt schnappte ich mir ein dünnes Hanfseil und mehrere kleine Holzpflöcke, die ich vorhin schon in einer Holzkiste neben dem Grabungsareal entdeckt hatte. Wer immer all das hier vorbereitet hatte, hatte an alles gedacht!
 

Gerade wollte ich mich ans Werk machen, als es an der Tür klopfte. Das Geräusch riss mich so unvermittelt als meinen Gedanken, dass ich vor Schreck beinahe einen Pflock fallen gelassen hätte. „Ja?“, rief ich laut, bevor ich mich umwandte, um die Werkzeuge zur Abgrenzung wieder zu verstauen. Ich rechnete fest damit, dass mein unerwarteter Besucher niemand anderes wäre als Direktor Nezu, der nachsah, ob ich mein außergewöhnliches Geschenk bereits auskundschaftete. „Ich hoffe, ich störe nicht?“, dröhnte eine laute Stimme zu mir herüber und ließ mich aufsehen, noch während ich das Seil ordentlich zusammenlegte. „Mh? Nein, nein, komm rein.“ All Might? Was führte den denn ausgerechnet hierher? Eher hätte ich noch damit gerechnet, dass Nemuri hier auflief, um mich doch noch zu überreden, heute Abend mit Hizashi und ihr irgendwo etwas Leckeres essen zu gehen. Dass ich jetzt ein eher ungutes Gefühl hatte, war vermutlich nicht gerade fair, aber angesichts unseres Gesprächs über Erenya konnte ich nicht anders, als mich zu fragen, ob nicht sie der Grund für Toshinoris Besuch war. Meine Fragen waren ihm schon bei der Prüfungsbeurteilung seltsam vorgekommen. Ich hatte keine Ahnung, wie ich seine Skepsis zerstreuen könnte. Für das, was Erenya und mir passiert war, hatte ich keine Erklärung, selbst wenn er mir diese wahnwitzige Geschichte glaubte. „Wirklich beeindruckend“, kommentierte der hünenhafte Held, als er eintrat und sich umsah. Geistesabwesend nickte ich. „Ja, der Direktor hat sich selbst übertroffen“, stimmte ich zu, hielt dann aber inne. Zweifellos war All Might nicht hier, um mit mir über die Vorzüge einer ägyptischen Grabungsstätte mitten in einer Heldenschule zu sprechen. Abwartend sah ich ihn an, still betend, dass er anders als unser Vorgesetzter gleich zum Punkt käme und mich nicht mit stundenlangem Smalltalk quälte.

„Ich habe Kuchen mitgebracht“, bemerkte der Profiheld nach einem langen Moment unsicher, wobei er eine rosafarbene Pappschachtel hochhielt. Punkt für ihn. Für Kuchen konnte er mich meinetwegen stundenlang mit belanglosem Zeug vollblubbern! Ich hatte keine Ahnung, ob man mir meinen Sinneswandel von angespannt zu kuchengeil ansah, aber ich zögerte nicht, mich auf die Umrahmung der Sandfläche zu hocken. Auffordernd klopfte ich neben mir auf das helle Holz. „Da sage ich bestimmt nicht Nein“, entgegnete ich schmunzelnd und wartete, bis der Held meiner Aufforderung gefolgt war, bevor ich ganz direkt fragte: „Also, was führt dich hierher? Doch bestimmt nicht der Wunsch, Kuchen loszuwerden? Auch wenn da ich gerne behilflich bin.“ All Mights dröhnendes Lachen ließ gefühlt den Boden beben, aber vermutlich bildete ich mir das nur ein. „Nein. Direktor Nezu hat mich gebeten, mit dir über den Ablauf morgen im U. S. J. zu sprechen. Für dich ist es ja der erste Besuch dort“, erklärte der blonde Mann. Unschlüssig sah er zu der Pappbox in seinen Händen und hielt sie mir schließlich hin. Hatte ich auf Nezu so einen abgeneigten Eindruck gemacht, dass man mich jetzt mich Kuchen bestach? Sollte mir recht sein. Wirklich Lust hatte ich immerhin wirklich nicht, mich der Gefahr auszusetzen, die der morgige Besuch bedeutete. Mehr noch als jeder Schüler, stand ich dort einfach nur im Weg. Das war, als serviere man den angreifenden Schurken eine Geisel auf dem Silbertablett. Allerdings hatte ich mich irgendwie schon damit abgefunden, mich darum nicht drücken zu können. Alles, was mir dahingehend blieb, war, Schadensbegrenzung zu betreiben.

Kurzentschlossen griff ich nach der Pappschachtel und öffnete sie einfach. Kokos-Kuchen! „Na dann, ich bin ganz Ohr. Leg los“, forderte ich Toshinori auf, mir ein Stück von dem Kuchen aus dem Karton angelnd. „Und wehe, du lässt mich all das alleine essen. Dann kannst du mich morgen zum U. S. J. rollen“, fügte ich scherzend hinzu, bevor ich von dem Gebäck abbiss. Nach kurzem Zögern folgte All Might meinem Beispiel. „Es ist wirklich absolutly fantastic! Das U. S. J. ist eine riesige Halle, in der die Helden der Zukunft Krisensituationen wie Erdbeben, Überflutungen oder sogar Unglücke auf See als Live-Simulation begegnen und lernen, wie sie in solchen Momenten das Beste aus ihren Quirks herausholen können“, begann der Nummer Eins-Held begeistert. Dabei war er sogar ein wenig aufgesprungen, sodass es mir nur knapp gelungen war, die Kuchenschachtel zu packen, damit deren Inhalt nicht im Sand landete. Zum Glück fiel der Rest der Erklärung, der ich nur mit halbem Ohr lauschte, etwas ruhiger aus. Er gab sich wirklich Mühe, mir alle wichtigen Details zu geben und war dabei eindeutig Feuer und Flamme. Man merkte richtig, wie sehr er sich auf morgen freute. Ein Gefühl, das ich nicht teilte, immerhin wusste ich besser als er, was uns morgen erwartete.
 

„Dann haben wir ja morgen einen aufregenden Tag vor uns“, kommentierte ich die Ausführungen des Helden, der mit so großer Begeisterung sogar die einzelnen Areale des U. S. J. beschrieben hatte, dass es mir vorkam, als wäre ich selbst schon einmal dort gewesen. Wenn ich morgen auch in den Angriff geriet, könnte es mir zum Vorteil gereichen, diese Details zu kennen. Insgeheim hoffte ich aber dennoch, dass ich mich einfach zur richtigen Zeit auf die Toilette verkrümeln konnte, wo ich dann einfach ausharren würde, bis alles vorbei war. Das war zwar alles andere als tapfer, aber zumindest stünde ich so niemandem im Weg. Auch wenn nur Kurogiri wusste, wer ich war, so wäre zumindest ihm klar, dass ich keine Gefahr darstellte. Selbst dem trotteligsten von Shigarakis Mitläufern wäre ich nicht gewachsen. Wüsste ich nicht, dass der Hüne neben mir gerade rechtzeitig eintreffen würde, um den Nomu zu vernichten und Schlimmeres zu verhindern, würde ich wohl riskieren, als Wahnsinnige abgestempelt zu werden und überall erzählen, was die Zukunft brachte. Auf meine ziemlich seltsame Nachricht an die Heldenagentur Endeavors wollte ich mich nämlich lieber nicht verlassen. In Gedanken entschuldigte ich mich bei Toshinori, dass die Bürde des Helden hier schon wieder auf seinen Schultern läge und ich nichts tat, um etwas daran zu ändern. Dabei hatte er schon mehr als genug getan und dabei selbst zurückstecken müssen, um den Menschen ein Sinnbild der Hoffnung zu sein.

„The future heroes will be great! Mehr als unsere Generation und jede davor, werden sie der Welt zeigen, dass es Hoffnung gibt und es sich lohnt, für sie zu kämpfen.“ All Mights Worte klangen mehr nachdenklich als zuversichtlich. Skeptisch musterte ich ihn aus den Augenwinkeln. Er war nun schon sicher eine halbe Stunde hier und müsste ich raten, fiel es ihm inzwischen schwer, seine Muskelform aufrechtzuerhalten, dennoch machte er keine Anstalten, sich zu verabschieden, also musste ihm noch irgendetwas auf dem Herzen liegen. „Es sind große Fußstapfen, in die sie treten, aber ich bin sicher, sie werden uns am Ende sogar noch überraschen“, meinte ich zuversichtlicher, als ich in Wahrheit darüber dachte. Tatsächlich war ich eher der Meinung, dass die meisten Menschen einfach nur ihren eigenen Vorteil bedachten, allzu oft rücksichtslos handelten und häufig nicht über den Tellerrand ihrer eigenen, kleinen Welt blickten. Helden waren da keine Ausnahmen. In gewisser Weise verstand ich das auch. Andernfalls würde man wohl schnell verzweifeln ob all des Leids auf der Welt, das niemand verhindern konnte. „Hahaha! Das werden sie bestimmt“, reagierte Toshinori etwas zu spät, um wirklich überzeugend zu sein. Auch seine laute Stimme konnte nicht darüber hinwegtäuschen. Ich wünschte wirklich, er würde dieses überzogene Verhalten lassen. Wenn er für die Presse so auftrat, empfand ich das schon als befremdlich und unangenehm, aber hier waren nur wir beide, niemand sonst, keine Öffentlichkeit, die ihn zur Schau stellte wie ein Zootier. War es so schwer, ganz normal mit mir zu sprechen? Ich war ja nicht einmal ein Held und würde ihn auch nicht nach solchen Maßstäben beurteilen, wie seine Kollegen möglicherweise. Auf der anderen Seite war es vermutlich genau das. Anders als die anderen Lehrer war ich keine Heldenkollegin und verstand nicht, was es bedeutete, ein Profiheld zu sein. Ich war eine Außenseiterin und gehörte nicht dazu. Darum war ich auch nicht in sein Geheimnis eingeweiht.
 

„Wir werden alle nicht jünger“, meinte der Profiheld plötzlich mit einem Seufzen, das mich überraschte. Bisher hatte er mir gegenüber stets versucht, seine Fassade des stets frohgemuten Nummer Eins-Helden zu wahren, doch jetzt bröckelte sie merklich. Stumm nickte ich. Erneut seufzte der Hüne neben mir, während er sein Stück Kuchen unschlüssig herumdrehte. Ich wartete darauf, dass er fortfahren würde, doch All Might schwieg, obwohl offensichtlich war, dass es ihn im Grunde unter den Nägeln juckte, etwas zu erzählen. Abwartend musterte ich ihn aus den Augenwinkeln. Er sah erschöpft aus, irgendwie müde, und wer könnte es ihm verübeln? Hatte er vor, mir doch noch davon zu erzählen, dass diese Gestalt nicht mehr lange anhielt und er langsam aber sicher seine Kraft verlor? Ich nahm es an, auch wenn der Held meinem Blick im Moment auswich, als hoffe er, das Gespräch auf diese Weise hier zu beenden. Nichts da. So einfach ließe ich nicht locker. Nicht nur, dass ich wenig Lust hatte, als einzige außen vor zu sein, was sein Geheimnis anging, ich fand auch, dass es dem Helden ganz guttäte, sich nicht zu verstellen, sondern ganz er selbst zu sein. Dazu gehörten nun einmal auch seine Sorgen und Ängste, auch wenn er das bisher gut vor der Welt verborgen hatte. Nicht unbedingt der beste Weg, damit umzugehen, wenn man mich fragte. Damit schadete man nur sich selbst und gerade als Held sollte er da mit gutem Beispiel vorangehen. Hatte ihm das denn nie jemand gesagt? „Was ist es, das du mir erzählen möchtest?“, fragte ich schließlich geradeheraus. Wie ertappt zuckte Toshinori neben mir zusammen. Wie in aller Welt hatte dieser Kerl die ganze Welt so lange täuschen können? Er war unfassbar schlecht darin, etwas zu verheimlichen. „Nichts?“ Seine Antwort klang mehr wie eine Frage. Was für ein schlechter Lügner. Vorsichtig lugte All Might zu mir herüber. Falls er prüfen wollte, ob ich seine Behauptung kaufte, verriet ihm meine Miene hoffentlich, dass dem nicht so war. Ich hob eine Braue und sah den Hünen weiter abwartend an. Eine ganze Weile schwiegen wir beide, wobei ihm die Stille merklich unangenehmer war als mir. Schon nach wenigen Augenblicken rutschte Toshinori unruhig neben mir herum wie ein Zehnjähriger, der während des Unterrichts auf Klo musste, aber sich nicht traute, den Lehrer zu fragen, ob er gehen durfte. Mir tat er fast ein bisschen leid. Er hockte hier und versuchte, sein Geheimnis irgendwie zu erklären, während ich die Dumme spielte, obwohl ich genau wusste, was Sache war. Betont ruhig sah ich den Helden unverwandt an. Ich war mir sicher, es dauerte nicht mehr lange, bis er einknickte und endlich mit der Sprache herausrückte.

Wie richtig ich mit dieser Einschätzung lag, zeigte sich dann jedoch schneller als erwartet. Nachdem All Might mehrmals das Revers seines Anzuges und schließlich die Krawatte gerichtet hatte, ergriff er endlich das Wort. „Vor einer Weile“, erzählte er zögernd, „habe ich einen Jungen als meinen Nachfolger ausgewählt.“ Nur schwerlich konnte ich meine Verwunderung verbergen. Ich war davon ausgegangen, dass er mir von seiner wahren Form erzählen wollte, nicht von Deku. „Das war sicher nicht einfach, aber wir alle müssen irgendwann das Zepter an die nächste Generation weitergeben. Es ist an uns, ihnen mit leuchtendem Beispiel voranzugehen, aber wir können es ihnen nicht abnehmen, uns zu übertreffen“, versuchte ich den Hünen ein wenig aufzumuntern, dessen Blick fast bedrückt wirkte, während er auf den Sand starrte. „Dass du die Fackel weiterreichst, heißt ja nicht, dass man dich nicht mehr braucht“, fuhr ich nach einem Weilchen lächelnd fort. „Ganz im Gegenteil. Denk nur daran, wie du in dem Alter warst, in dem unsere Nachwuchshelden jetzt sind. Die haben nur Flausen im Kopf und haben noch viel zu lernen. Dein Job ist es, ihnen alles beizubringen, was sie brauchen, um aus dieser Welt eine bessere zu machen.“ Ich hatte keine Ahnung, was Toshinori über meine Worte dachte. Er sah nicht einmal zu mir herüber, sondern einfach weiter gen Grabungsstelle. „Ich kann nicht leugnen, dass es mir ein wenig Angst macht. Ich habe mich so daran gewöhnt“, meinte er schließlich murmelnd und lachte dann so übertrieben laut, dass ich zusammenfuhr. „Ah, but you are definetly right! Das ist unser Job als Lehrer, nicht wahr?“ „Ist es. Und es ist weiß der Himmel keine einfache Aufgabe“, erwiderte ich grinsend, bevor ich den Kuchenrest verputzte, den ich noch in der Hand hielt. „Keiner von uns kann ewig vorangehen. Irgendwann brauchen wir eine Pause oder müssen jemand anderen vorgehen lassen, dem wir den Weg geebnet haben. Das gehört zu Älterwerden dazu. Wir sind schließlich nicht unsterblich.“ Wieder lachte All Might neben mir, doch dieses Mal klang es zum ersten Mal an diesem Abend ehrlich. „Nein, wirklich nicht. Für mich ist es wohl einfach an der Zeit, jemand anderem das Scheinwerferlicht zu überlassen. Ich spüre das Alter mehr, als ich mir selbst gern eingestehe“, gab der Held schmunzelnd zu. „Es ist nicht mehr wie früher. Damit muss ich mich abfinden.“ Als er zu mir sah, bemühte ich mich sofort um ein aufmunterndes Lächeln. „Das muss doch aber nicht schlecht sein. Vielleicht muss dieser Weg für dich enden, damit sich neue Pfade öffnen können? Wenn jemand anderes die Spitze der Helden erklimmt, bleibt dir mehr Zeit, dich anderen Dingen zu widmen. Familie, Freunde, Hobbies?“, schlug ich vor, obwohl ich mir schwerlich vorstellen konnte, dass jemand so Beschäftigtes ein Hobby hatte. „Ich bin sicher, dass dein Schützling dir alle Ehre machen wird, All Might“, bemerkte ich. Natürlich würde Deku das. Er war der Protagonist eines Helden-Shonen-Manga. Aber das konnte ich Toshinori ja schlecht sagen. „Das wird er“, entgegnete der Hüne neben mir versonnen lächelnd und nickte.
 

„Bildet Paare und steigt nacheinander ein!“ Tenyas Stimme übertönte kaum das aufgeregte Getuschel der 1-A. Alle waren da, mit einer einzigen Ausnahme, nämlich Toshinori. Dass er erst später einträfe, hatte ich auch schon gestern gewusst. Vielleicht war sogar das Gespräch, das wir in meinem Ausgrabungshäuschen geführt hatten, mit daran schuld. Bestimmt hatte es den Nummer Eins-Helden große Anstrengungen gekostet, die ganze Zeit seine Muskelform aufrecht zu erhalten, um sich mir nicht offenbaren zu müssen. Insgeheim hatte ich zwar darauf gewartet, dass er diese Bombe platzen ließ und ich damit nicht mehr als einziger Lehrer offiziell nicht wusste, dass All Mights Zeit ablief und er mit jedem Tag schwächer wurde, doch der Held hatte sich dafür entschieden, kein Wort zu sagen. Es war frustrierend! Wüsste ich nicht, dass es ihm im Moment vermutlich nicht besonders gut ging und er deshalb mit Nezu sprach, wäre ich vielleicht einfach demonstrativ vor seiner Tür aufgeschlagen, um ihm ein paar Takte dazu zu sagen, dass gerade er gerade heute auf gar keinen Fall fehlen durfte. Nicht nur, weil er eine Vorbildfunktion erfüllte, sondern auch, weil wir ihn brauchen würden. Mehr, als er oder die Schüler ahnten, sah man von Erenya ab. Ich hoffte nur, sie plante nicht irgendetwas unsagbar Dummes, sondern würde sich zurückhalten. Wenn die Situation heute eskalierte, gab es nichts, das ich tun konnte, um sie oder ihre Mitschüler zu beschützen. Gegenüber den Schurken der Liga war ich machtlos. Nervös nagte ich auf meiner Unterlippe. Ob Endeavor meine Nachricht ernst nähme? Ich hoffte es inständig. Seine Mithilfe würde All Might den Kampf erleichtern.

Seufzend ließ ich den Blick über die schnatternden Schüler wandern, soweit es mir möglich war, immerhin überragte mich die Hälfte der Klasse. Außer dem Nummer Eins-Helden schienen alle anwesend zu sein. Aizawa hatte ich eben schon herumlungern gesehen. Müsste ich raten, hatte er es sich vielleicht schon auf der Rückbank im Bus in seinem Schlafsack bequem gemacht und mimte dort nun die Raupe, bis wir das U. S. J. erreicht hatten. Angesichts dessen, was uns dort erwartete, hatte ich nicht übel Lust, es ihm gleichzutun. Wüsste ich doch nur noch, wann genau Kurogiri und Shigaraki mit ihrem Döspaddel-Gefolge auftauchten! Ich meinte zwar, mich daran zu erinnern, dass es kurz nach der Ankunft passiert war, aber ganz sicher war ich nicht. Das machte es mir nicht unbedingt einfacher, den Zeitpunkt abzupassen und vorsorglich auf der Toilette zu verschwinden, ohne dass man sich Sorgen machen würde, weil ich so lange dort verweilte. Nicht zum Ersten und garantiert auch nicht zum letzten Mal wünschte ich mich zurück nach Ägypten, zurück in die Hitze der Wüste, die so viele Geheimnisse verbarg, welche zu entdecken ich kaum abwarten konnte. Ein leiser Seufzer kam über meine Lippen, als ich schließlich als letzte in den Bus stieg und ganz vorne neben Aizawa Platz nahm, der wider meiner Erwartungen erstaunlich wach aussah, zumindest für seine Verhältnisse. Für ihn würde es ein harter Tag, auch wenn er das noch nicht wusste. Stumm musterte ich den Schwarzhaarigen aus den Augenwinkeln, sah jedoch eilig weg, als er meinen Blick bemerkte. Hoffentlich ging das alles gut. Mir wurde ganz flau, wenn ich daran dachte, welche Zerstörung die Schurken ins U. S. J. tragen würden. Die Schüler kämen zurecht, das wusste ich aus dem Manga, allerdings war Erenya eine Unbekannte in dieser Gleichung, die mir Bauchschmerzen bereitete. Besser, ich schnappte sie mir beim Aussteigen direkt noch einmal, um sie daran zu erinnern, dass sie sich bedeckt halten sollte, schon um ihrer eigenen Sicherheit willen.

Den Gesprächen der Schüler lauschte ich nur mit einem Ohr, ließ es mir jedoch nicht nehmen, immer wieder zu meiner kleinen Eri rüberzuschauen. Sie sah ziemlich aufgewühlt aus und nur ich wusste, weshalb. Mir ging es ja auch nicht anders. Ihre Mitschüler mochten aufgeregt sein, weil sie sich auf das praktische Training freuten, doch ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen, dass Erenya, genau wie ich, Muffensausen hatte. Shigaraki und seine Handlanger, insbesondere der Nomu und Shigaraki, waren keine Gegner, die man auf die leichte Schulter nehmen durfte. Bitte, flehte ich meine Freundin in Gedanken an, mach keinen Unfug und halt dich bedeckt. Sie wusste doch, was passieren würde. Alles ginge gut aus, wenn wir zwei uns nur heraushielten und nichts veränderten. Ansonsten wüssten wir nicht, welche Auswirkungen unsere Einmischungen haben könnten. Ich wollte mir das nicht einmal ausmalen! Aber solange wir als Nebencharaktere im Schatten blieben, könnte die Geschichte ihren gewohnten Lauf nehmen und alles käme, wie es kommen musste. An diesem Gedanken wollte ich mich festklammern, als ich die Tränen bemerkte, die über Erenyas Wangen kullerten. Unruhig umklammerte ich kurz die Armlehne zu meiner Linken, doch gerade als ich entschied, zu Eri rübergehen und sie beruhigen zu wollen, kam mir Tsuyu zuvor, sodass ich wieder still auf meinen Platz sank und dort nachdenklich verharrte. Ich war so in meine Gedanken vertieft, dass ich fast verpasst hätte, wie wir das U. S. J. erreichten.
 

Das hohe Gebäude wirkte von außen fast unscheinbar, doch ich wusste, gleichermaßen aus dem Manga wie All Mights begeisterten Erzählungen, welch vielseitige Anlage sich im Inneren befand. Vorfreude kam in mir jedoch eindeutig nicht auf. Selbst wenn ich nicht von dem Überfall wüsste, wäre ich mir hier ziemlich nutzlos vorgekommen. Weder konnte ich irgendwem helfen, noch wusste ich irgendetwas über die Abläufe bei Katastrophen, geschweige denn davon, wie man bei solchen den Opfern half. Wäre ich in so einer Situation, könnte ich nur versuchen, die Opfer in Sicherheit und zu medizinischen Fachkräften zu bringen. Weder vermochte ich es, einstürzende Gebäude zurückzuhalten, Flutwellen umzuleiten oder irgendetwas derartiges. Ohne Quirk konnte ich eben nur auf meine kaum vorhandenen körperlichen Kräfte und meinen Verstand bauen. Darum ging es bei diesem Training aber wohl kaum, zumal ich auch keine Erfahrung in diesen Dingen hatte. Ganz anders als die Helden, die auch hier waren, allen voran Nummer 13. Was hatte sich Direktor Nezu nur dabei gedacht, mich auch hierher zu schicken? Sollte ich sehen, wie großartig die Schüler waren oder was bezweckte er damit? Wenn er mich umbringen wollte, wäre das hier die ideale Möglichkeit. Vielleicht sollte ich in Erwägung ziehen, dass der Verräter, über den im Fandom so viel spekuliert wurde, in Wirklichkeit Nezu war.

Mein Blick glitt wie von selbst zu Nummer 13, die uns in den Gebäudekomplex führte und dabei bereits erklärte, was genau das U. S. J. war und was die Schüler hier erwarten würde. Wieder hörte ich nur mit halbem Ohr zu. Zu den Trainingseinheiten, die der auf Rettungsmissionen spezialisierten Heldin vorschwebten, käme es ja ohnehin nicht mehr. Als sie jedoch über ihren eigenen Quirk sprach, horchte ich auf. Ihre Fähigkeit Schwarzes Loch konnte töten und sicher gelte das auch für die Fähigkeiten einiger Schüler, erklärte sie, doch es liege an jedem von ihnen, zu entscheiden, wie sie ihre Kräfte einsetzten, um damit etwas Gutes zu tun und zu beschützen, anstatt zu verletzen. Eine wichtige Botschaft, fand ich, die sich alle Schüler zu Herzen nehmen sollten. Einige von ihnen preschten zu gerne vor, ohne dabei an die Konsequenzen zu denken. Sie waren so an ihre Quirks gewohnt und freuten sich so sehr darauf, sie zu benutzen, dass sie aus den Augen verloren, dass sie damit das Leben eines anderen Menschen beenden konnten. Diese Tragweite mussten sie alle unbedingt begreifen, wenn sie echte Helden werden wollten.

Weiter hörte ich jedoch schon nicht mehr zu, weil ich erwartete, dass jeden Moment der Angriff der Schurkenliga starten könnte. Wie viel Zeit blieb mir noch? Sollte ich mich schon auf die Toilette verkrümeln oder noch warten? Unruhig sah ich in die vielen aufgeregten Gesichter der Schüler und schließlich zur gelangweilten Miene Aizawas. An ihm würde heute auch eine Menge hängen und er würde einen hohen Preis dafür zahlen, die Klasse vor den Angreifern zu beschützen. So harmlos er auf den ersten Blick aussehen mochte, so beeindruckend würde er sich gegen die Übermacht halten. Gerne hätte ich ihm irgendwie beigestanden, doch ich war realistisch. Wenn ich blieb, wäre keine Hilfe, sondern eher ein Hindernis. Jemand, der sich nicht einmal selbst schützen konnte und obendrein angeblich über Wissen verfügte, an dem Kurogiri – und damit in letzter Konsequenz vermutlich All for One – Interesse zeigte. Allein das war schon Grund genug, um mich bedeckt zu halten, wenn ich nicht als Geisel oder Entführungsopfer enden wollte. Vielleicht könnte ich Eri auch mit mir in die Damentoilette locken? Dann würde alles auf jeden Fall genauso stattfinden wie im Manga, in dem es uns beide schließlich nicht gegeben hatte!
 

Genau in diesem Augenblick manifestierte sich plötzlich genau die violettschwarze Wolke in der Luft, die zu verpassen ich gehofft hatte, kündigte sie doch Shigaraki und dessen Schergen an. Mein Blick suchte wie von selbst Eri, die ich an Shinsous Seite fand. Sie war also nicht allein. Aizawa hatte die Situation sofort richtig erfasst und sich vor die Schüler geschoben. „Beschütz die Schüler“, wies er Nummer 13 knapp an. Die zögerte nicht, sich ebenfalls, einem Schutzschild gleich, vor uns zu stellen. Instinktiv machte ich einen Schritt zurück. Meine Pläne, mich in der Damentoilette zu verkrümeln und dort abzuwarten, bis alles vorbei war, konnte ich damit wohl an den Nagel hängen. „Verdammt“, entfuhr es mir leise, während ich schon mit einer Hand nach Tenya griff. Kurogiris Blick glitt derweil suchend über uns. „Eraserhead und Nummer 13. Gemäß dem Lehrplan, den wir gestern erhielten, sollte All Might auch hier sein, jedoch“, begann Kurogiri, wurde aber bereits von Aizawa unterbrochen, der seine Brille über die Augen gezogen hatte. „Ich wusste es. Das gestern war also euer Tun“, brummte der Untergrundheld. „Lauf“, wisperte ich Tenya zu, betend, dass sowohl Kurogiri als auch Shigaraki zu beschäftigt mit Aizawa und dem Fehlen All Mights waren, um uns Aufmerksamkeit zu schenken. „Wo ist er? Nachdem wir all diese Mühen auf uns genommen haben, um ihn zu finden und so viele von uns mit hergebracht haben, kannst du mir nicht sagen, dass All Might, das Symbol des Friedens, nicht hier ist.“ Shigarakis Stimme klang so rau, wie seine Haut aussah und auch wenn er leise sprach, verstand man jedes Wort, so still war es geworden. Ich wünschte, mein Unterricht hätte auch diesen Effekt auf die Klasse.

„Ich frage mich, ob er sich zeigt, wenn wir diese Kinder töten?“, lachte der Schützling All for Ones leise und als wäre dies das Stichwort gewesen, eskalierte die Situation binnen Sekunden. Alles ging so schnell, dass ich kaum eine Chance hatte, irgendwie mitzukommen. Es brauchte einige Sekunden, bevor ich auch nur begriff, dass mich Tenya völlig irritiert anstarrte. Er war mit dieser Situation genauso überfordert wie ich. Angestrengt drückte ich seine Schulter. „Flieh“, raunte ich ihm erneut zu, „sobald du die Chance dazu siehst. Hol Hilfe.“ Eindringlich sah ich den jungen Mann an. Im ersten Augenblick fürchtete ich noch, er würde widersprechen, doch stattdessen wandte er sich nur schweigend ab und wandte sich stattdessen an die Klasse. „Wir evakuieren! Alle mir nach!“, lenkte er die Aufmerksamkeit seiner Mitschüler auf sich. Nette Idee, lobte ich ihn stumm, aber das würde nicht funktionieren. Kaum, dass ich diesen Gedanken auch nur gedacht hatte, erhob sich ein schwarzer Nebel über uns, der zweifelsohne von Kurogiri ausging, zu dem nun alle blickten. „Ich fürchte, das kann ich nicht erlauben.“ Wäre er doch nur das einzige Problem! Es wäre fatal, Shigaraki zu unterschätzen, außerdem hatte die Liga noch den Nomu dabei, von dem Erenya und ich schon wussten, wie gefährlich er selbst für All Might sein würde.

„Zum Gruße. Wir sind die Schurkenliga“, erklärte Kurogiri auf eine Art und Weise, als habe er sich gerade zum Tee eingeladen. Mir jagten seine Worte einen eisigen Schauer über den Rücken. „Ich entschuldige mich für diese Anmaßung, aber wir haben uns herausgenommen, die Yuei als Basis der Helden zu betreten, um mit Mr. All Might, dem Symbol des Friedens, in Kontakt zu treten.“ Am Arsch! Ich verzog das Gesicht, wagte jedoch nicht, meinem Frust Luft zu machen. Wenn ich jetzt aufmuckte, ginge das hier vielleicht doch nicht glimpflich aus und ich wollte bestimmt nicht als Quotentote enden, nur weil ich meine Klappe nicht hatte halten können. Etwas streifte meine Schulter und ich konnte gerade noch Bakugo erkennen, der vorpreschte, da hüllte Kurogiris Nebel auch schon alles ein wie ein dunkles Tuch, das sich über uns legte. „Ihr werdet versprengt, gequält und getötet“, drang allein Kurogiris drohende Stimme durch die Dunkelheit. Als sie sich wieder lichtete, konnte ich außer Nummer 13 nur noch Mezo, Mina, Ochaco und Tenya bei mir entdecken. Es hatte also begonnen.

Angriff auf das U. S. J.

Okay. Oder eigentlich eher nicht okay. Eigentlich war das hier überhaupt nicht okay. Nicht nur, dass ich für die kleine Gruppe bei mir ein Klotz am Bein wäre, ich hatte obendrein Shinsou und Erenya aus den Augen verloren, die genau wie ich nicht hätten hier sein dürfen, wäre alles nach dem ursprünglichen Plot verlaufen. Bei Shinsou machte ich mir da zwar nicht allzu große Sorgen, dass er auf die Idee kommen könnte, etwas zu tun, dass buchstäblich alles änderte, bei Erenya hingegen umso mehr. Sie brannte ja förmlich darauf, sich zu beweisen und den uns bekannten Ablauf der Geschehnisse völlig zu zerlegen. Bis zu einem gewissen Punkt konnte ich das sogar gut verstehen. Auch ich hatte das Gefühl, dass unser Eingreifen etwas Gutes bewirken könnte. Allerdings wusste ich auch, wie kurzsichtig und egoistisch es wäre, diesem Gefühl nachzugehen. Keiner von uns hatte auch nur die geringste Ahnung, welche massiven Auswirkungen unser Handeln nach sich ziehen könnte, wenn wir uns zu sehr einmischten. Der Flügelschlag eines Schmetterlings konnte am anderen Ende der Welt einen Orkan auslösen, ging mir die berühmte Erklärung zum Butterfly Effect immer wieder durch den Sinn. Hoffentlich hatten Erenya und ich allein durch unsere reine Anwesenheit nicht schon zu viel verändert. Allein, dass die Klasse nun größer war und meine Entdeckung Kurogiris, also letzten Endes One for Alls Aufmerksamkeit, auf sich gezogen hatte, hätte eigentlich nicht sein dürfen. Hätte mein früheres Ich doch nie ein Wort darüber verloren. Verdammt! Wenn ich so darüber nachdachte, könnte es gut sein, dass Shinsous Anwesenheit hier bereits die erste für mich erkennbare Veränderung bildete. Wie viele Details, die sich vom Original unterschieden, mir entgangen waren, wollte ich mir gar nicht erst vorstellen.

„Sensei, bleiben Sie zurück!“, rief mir Mina zu. Keine Sekunde zu früh, denn Kurogiri hatte sich nur einen Katzensprung vor uns manifestiert. Obwohl ich sein Gesicht in all dem dunklen Rauch nicht erkennen konnte, wollte ich wetten, dass er grinste. Nervös biss ich mir auf die Unterlippe. Er war wegen mir hier. Nicht in der Yuei, aber hier bei dieser Gruppe und nicht irgendwo anders. Es brauchte kein Genie, um zu begreifen, dass er nach dem gescheiterten Angriff in Ägypten hier seine zweite Chance sah, mich zu erwischen. Ich musste nicht einmal wissen, was genau er oder sein Chef sich von mir erhofften, um mich schon aus Prinzip dagegen aufzulehnen. Was immer sich jemand wie AFO von meiner Entdeckung erhoffte, konnte für den Rest der Welt nichts Gutes bedeuten. Sein Name war bei ihm nun einmal Programm. Alle für einen – und in diesem speziellen Fall für ihn selbst. Was sich Kurogiri wohl davon versprach, so einer Person zu helfen? Zwar wusste ich aus dem Manga, dass er früher mal eng mit Present Mic und Eraserhead befreundet gewesen war, doch das half mir nicht, seine Beweggründe zu ergründen und noch weniger dabei, dieser Situation zu entfliehen. Instinktiv wich ich einen Schritt zurück. Ich müsste eine absolute Idiotin sein, jetzt keine Angst zu haben. Und ich hatte Angst, und zwar ziemliche. Nummer 13 war die Einzige hier, die wirklich eine reale Chance gegen einen Gegner wie Kurogiri hatte. Die vier Schüler Mezo, Ochaco, Mina und Tenya in allen Ehren, aber sie waren Anfänger und dem Profischurken nicht gewachsen. Mein Verstand stolperte beinahe über meine eigenen Gedanken. Tenya! Tenya war hier! Ich musste ihn losschicken, damit er Hilfe holte! Das war immerhin auch im Originalplot sein Job gewesen und niemand war dafür so gut geeignet wie er. Wenn er etwas eher aufbrach, als ursprünglich, würde das doch nicht viel ändern, richtig? Ich hoffte es.

Gerade, als ich die Hand nach dem hochgewachsenen Jungen ausstrecken wollte, griff Kurogiri ohne die winzigste Vorwarnung an. Hätte Mezo mich nicht geistesgegenwärtig beiseitegestoßen, hätte mich der neblige Schurke garantiert erwischt. Doch nicht nur Mezos schnellen Reflexen, sondern allen voran Nummer 13 verdankte ich meine Sicherheit. Die mutige Heldin hatte sich Kurogiri, ohne zu zögern, in den Weg gestellt. „Ich werde nicht zulassen, dass du meine Schüler und Kollegen angreifst“, erklärte Nummer 13 bestimmt, während ihr schwarzes Loch sichtlich an der ungreifbaren Gestalt des Schurken zog. Kleine Fetzen davon schienen sogar in der Dunkelheit des Lochs zu verschwinden, bevor Kurogiri sich abrupt davon löste und seine Aufmerksamkeit nun der Heldin zuwandte. Ihm musste dämmern, dass ihr Quirk nahezu ideal war, um ihm zu trotzen. Gegen einen Gegner, der so unstofflich und schwer greifbar war, wie Kurogiri, waren viele Fähigkeiten wenig effektiv, aber nicht dieser. Wenn sie es schaffte, ihn ganz einzusaugen, wäre er Geschichte. Nummer 13 hatte ja selbst erklärt, wie gefährlich ihr schwarzes Loch war und wie endgültig der Einsatz. Manche Quirks waren einfach tödlich und ihrer gehörte zweifellos dazu.
 

Kurz glitt der Blick des Schurken in meine Richtung. Mir war es gerade erst gelungen, wieder auf die Füße zu kommen. Sand klebte an meiner Kleidung meinen Händen, wo er ein unangenehmes Gefühl auf der Haut hinterließ. Wenn ich doch nur irgendetwas wüsste, dass Kurogiri stoppen könnte. Irgendetwas, das ich tun oder sagen konnte. Doch Argumente waren hier fehl am Platz. Er hatte seine Seite gewählt und nichts, das ich sagte, würde ihn umstimmen. Auf das Gegenteil zu hoffen, wäre naiv. Nein, ändern konnte ich den Verlauf der Dinge nicht, aber vielleicht beschleunigen? Es war ein Fakt, dass Kurogiri gezwungen wäre, sich zurückzuziehen, weil seine Schwachstelle offenbart wurde. Kurzentschlossen rief ich Nummer 13 zu: „Sein Kopf!“ Dass ich mich damit erneut zur Zielscheibe machte, war zwar nicht unbedingt ein Geniestreich, aber mein Mundwerk war schneller gewesen als mein Verstand. Plot hin oder her, einfach danebenzustehen, während jemand sich dem möglichen Tod stellte, das konnte ich einfach nicht. Später konnte ich mich immer noch dafür verfluchen, weil ich nun selbst den Plot zu verändern drohte, den ich doch eigentlich so vehement hatte bewahren wollen. Soweit ich es wusste, spielte es keine Rolle für den Verlauf der Geschichte, ob Nummer 13 verletzt worden war, außer für sie selbst. Wieso also nicht? Nummer 13 zeigte keine Reaktion, Kurogiri hingegen sehr wohl. Sein Kopf neigte sich in meine Richtung, doch nur kurz, dann war er gezwungen, sich der Profiheldin zuzuwenden, die erneut ihr schwarzes Loch zum Einsatz brachte. Sie war bereit, ihn zu töten, falls nötig. Ob das auch den Schülern bei mir bewusst war? Beinahe hoffte ich, dass nicht.

So oder so gewährte mir Nummer 13 damit genau die Zeit, die ich bräuchte. Kurogiri war abgelenkt und würde es kaum wagen, der Heldin den Rücken zuzudrehen, solange sie kampffähig war. Meine Chance, Tenya auf den Weg zu schicken. Eilig fasste ich den Klassensprecher der 1-A an der Schulter. „Tenya, hör mir jetzt gut zu“, begann ich hastig, den verwirrten und überraschten Ausdruck auf dem Gesicht des jungen Mannes ignorierend. Darauf konnte ich im Moment keine Rücksicht nehmen. Wir hatten womöglich nur Sekunden. „Sieh zu, dass du hier rauskommst. Hol Hilfe. Hörst du?“, redete ich eindringlich auf ihn ein. Tenya sah mich einen Moment lang nur mit großen Augen an. „Tenya, hol Hilfe“, betonte ich noch einmal leise. „Sofort. Sie haben garantiert die Alarmanlage lahmgelegt und wir brauchen Unterstützung.“ Dieses Mal nickte Tenya, wenn er auch noch ein wenig überrumpelt wirkte. Vermutlich hatte er so eine Anweisung von mir als Allerletztes erwartet, immerhin war ich Zivilistin und weit davon entfernt, irgendeine Ahnung vom Heldenalltag oder der Konfrontation mit Schurken zu haben. Unglücklicherweise galt Letzteres nur bedingt. Kurogiris ersten Angriff vor einigen Wochen in Ägypten würde ich wohl nie vergessen. Mistkerl. Er hatte damit meinen Traum von der Ägyptologie zerstört. Am liebsten hätte ich ihn angeschrien, doch davon hielt mich die Vernunft zum Glück ab. Zumindest mental aber spuckte ich ihm und AFO dafür ins Gesicht.
 

Als besonders lautlos ging Tenya eindeutig nicht durch, aber schnell war er. Beeindruckt sah ich ihm nach, als der Schüler ohne ein weiteres Wort lossprintete. Insgeheim war ich heilfroh, dass er meine Anweisung befolgte, ohne sie zu hinterfragen, sonst hätten wir weitere, kostbare Zeit verschwendet, die Nummer 13 nicht hätte. Oder besser gesagt hatte, denn im gleichen Moment, indem sich Tenya entschied, davonzupreschen, ertönte ein Aufschrei, der mir das Mark gefrieren ließ. Kurogiri schnaufte, stand aber aufrecht neben Nummer 13, deren Anzug einen unübersehbaren Riss aufwies. Ihr schwarzes Loch schien diesen immer weiter einzusaugen und ein schmerzerfülltes Ächzen verriet, dass die Situation nicht nur gefährlich aussah, sondern es auch war. Das hatte ich dann schonmal nicht verhindern können. Vielleicht hätte ich damit rechnen sollen, doch ein Teil von mir war trotzdem frustriert. Es war nicht fair, dass sie leiden musste, nur weil sie uns verteidigte. Kurogiris Interesse galt ohnehin nicht einmal uns allen, sondern höchstens mir. Mina und Ochaco, die sich mutig vor mich gestellt hatten, waren ihm doch gleichgültig. Sie hatten für ihn nichts von Interesse und waren höchstens als mögliches Mittel, All Might herauszulocken, für ihn nützlich. Er würde sie vermutlich einfach töten. Mich hingegen bräuchte er lebend, wenn er irgendetwas über die Funde aus Ägypten herausfinden wollte. Wäre es anders, hätte er nicht mich zum Ziel, sondern meine Kollegen. Die hingegen konnten scheinbar in Ruhe weiterarbeiten. Am Ende war es dieser Gedanke, der mich veranlasste, Mina kurzentschlossen hinter mich zu schieben. „Du wirst meine Schüler nicht verletzen“, versuchte ich, mich nun an Nummer 13s Stelle daran, Kurogiri zu stoppen. Nicht, dass das tatsächlich in meiner Macht stünde. Ich pokerte hoch, wenn ich darauf hoffte, dass er nicht riskieren würde, mich ernsthaft zu verletzen, weil sein Chef noch Informationen von mir brauchte, die verloren wären, wenn ich draufging. Doch genau darauf verwettete ich tatsächlich gerade mein Leben. Eine selten dumme Entscheidung. Sollte ich falschliegen, wäre ich doch die erste Quotentote in dieser Geschichte und vermutlich ein verdammt abschreckendes Beispiel für die angehenden Helden, die meinen Tod bezeugen müssten.

Der dunkle Nebel Kurogiris blieb undurchdringlich, als der Schurke die Hand hob. Doch anstatt der verletzten Nummer 13 den Rest zu geben oder uns wehrlosen Haufen von Schülern und Lehrerin anzugreifen, wandte er sich ab. Natürlich! Auch das hätte ich voraussehen müssen, doch in der ganzen Aufregung waren mir einige Details einfach nicht ganz präsent. Kurogiri verzichtete nicht aus Mitleid oder Freundlichkeit darauf, uns zu attackieren, sondern weil er verhindern wollte, dass es Tenya gelang, weitere Helden zu alarmieren. Tenya war zwar ziemlich schnell unterwegs, doch das war Kurogiri auch und er raste förmlich hinter dem Klassensprecher her. Mir schnürte sich die Kehle zu. Ich wusste, Tenya würde entkommen. Das tat er im Original auch. Wieso sollte sich daran also etwas geändert haben? Tenya war genauso schnell wie sonst und hatte sogar noch ein bisschen mehr Vorsprung gehabt. Er würde es schaffen und dann dauerte es nicht mehr lange, bis die anderen Lehrer hier eintrafen, um dem Angriff ein Ende zu setzen, bevor noch jemand ernsthaft verletzt wurde. Mein Blick glitt bei diesem Gedanken wie von selbst zu Nummer 13, die mit beiden Händen mit dem zerfetzten Anzug rang. Wie gerne würde ich ihr helfen, doch es war wahrscheinlicher, dass ihr Quirk mich einsaugte, wenn ich etwas versuchte. Auf diese dumme Art abzutreten, sollte ich wohl im Sinne aller besser verzichten.

„Mezo“, wandte ich mich stattdessen an den Schüler neben mir. „Bring Ochaco und Mina in Sicherheit. Versteckt euch in den WC-Räumen oder einer Abstellkammer“, wies ich ihn leise an. Er hob eine Braue und ich ahnte den Widerspruch, der ihm auf der Zunge lag, weshalb ich direkt fortfuhr. „Dieser Kerl hat es auf mich abgesehen und wird mich nicht töten. Er braucht mich lebend. Also seht zu, dass ihr außer Schussbahn ko-“ „Auf gar keinen Fall, Sensei“, unterbrach mich Ochaco entschlossen. „Wir lassen Sie hier nicht zurück.“ Süß, wie bemüht sie war, aber das würde weder ihr noch mir helfen. Wenn Kurogiri Zeit für uns fand, waren sie kaum mehr als Kanonenfutter. „Nein, seht zu, dass ihr wegkommt. Tenya wird Hilfe holen und“, schüttelte ich den Kopf, bevor ich den Satz unbeendet in der Luft hängen ließ. Kurogiri hatte Tenya erreicht und der violettschwarze Nebel schien sich direkt um das linke Bein des Jungen zu winden. Oh nein. Nein, nein, nein! Das konnte einfach nicht sein! Das durfte nicht sein! Wieso passierte das?! Tenya musste entkommen und die Lehrer informieren. So sah es der Plot vor!
 

An Kurogiris Hand bildete sich bereits eines der gruseligen Portale, durch die der Schurke zu reisen pflegte, als plötzlich alles um mich herum einzufrieren schien. Kurogiri bewegte sich nicht mehr, ja sogar sein Nebel blieb absolut reglos. Tenya hing mit beiden Füßen in der Luft, weil er mitten in einem Sprung erwischt worden war. Irritiert blinzelte ich das seltsame Duo an. Was passierte hier? Das gehörte eindeutig auch nicht in den originalen Plot des Mangas. Das wüsste ich, ganz bestimmt. So etwas vergaß man nicht einfach. Unsicher drehte ich mich auf der Stelle herum. Anders als mein erstarrtes Umfeld konnte ich mich ganz normal bewegen. Wessen Quirk war das denn? Und wieso betraf er mich nicht? Hätte ich nicht auch einfach erstarren müssen? Überfordert mit der Situation stupste ich Ochaco in die Schulter, doch die Schülerin reagierte nicht. Allerdings hatte ich das auch nicht wirklich erwartet. Sie schien im wahrsten Sinne des Wortes in der Zeit festzustehen. Alles hier schien einfach aufgehört zu haben, weiter zu passieren. Nun ja, alles außer mir. Mir und einem Mann, der plötzlich wie aus dem Nichts neben Kurogiri und Tenya auftauchte. Entgeistert beobachtete ich den Fremden, von dem ich überzeugt war, ihn weder im Manga noch im Anime je gesehen zu haben. Wer zur Hölle war der Kerl? Und was in aller Welt tat er da? Seinem Umfeld jedenfalls schenkte er keine Beachtung. Er war völlig darauf konzentriert, Tenya unter den Armen zu greifen und den jungen Mann ein paar Zentimeter weg von Kurogiris Portal zu ziehen. Dafür war ich dem seltsamen Kerl zwar wirklich dankbar, weil das Tenyas Leben retten würde, aber verwirrt war ich trotzdem, weshalb ich leise auf den Fremden zuging, dessen helles Haar ihm ins Gesicht und über die Augen fielen, unter denen dunkle Ringe lagen. Seiner Kleidung nach zu urteilen, war er kein Profiheld. Viel zu unauffällig, viel zu normal, zu alltäglich.

Ächzend schob der Kerl weiter an Tenya herum. Jetzt konnte ich ihn auch vor sich hinbrabbeln hören. „Dass hier aber auch nichts so läuft, wie es sollte. Kann doch echt nicht wahr sein. Was soll dieses Durcheinander?“, schimpfte er leise vor sich hin und sprach dabei wohl eher mit sich selbst als irgendjemandem hier. Scheinbar rechnete er auch gar nicht damit, dass es überhaupt jemanden geben könnte, der in der Lage wäre, zu antworten. Unschlüssig hielt ich inne. Sollte ich mich ihm offenbaren oder wäre es vielleicht besser, wenn dieser schräge Vogel nicht wusste, dass sein Quirk sich aus irgendeinem Grund nicht auf mich ausgewirkt hatte? So richtig wohl war mir bei der Sache nicht. Allerdings ließ sich nicht leugnen, dass er uns in dieser Sache half. Immerhin rettete er gerade nicht nur Tenya das Leben, sondern womöglich noch vielen anderen hier, nur indem er den schnellen Läufer ein paar Zentimeter zur Seite bewegt hatte. Sobald die Zeit weiterlief, würde Tenya entkommen und wie geplant Hilfe holen. Anschließen könnte dann alles weiterlaufen, wie ich es aus dem Manga kannte. Vorausgesetzt natürlich, die jetzt unbeweglich festgefrorenen Leute wüssten später nicht, was passiert war. Sollten sie sich erinnern, wäre ihnen auch klar, dass ich nicht betroffen gewesen war und sich die gleiche Frage stellen, die ich mir jetzt auch stellte, nämlich: Wieso hatte man mich nicht auch in der Zeit eingefroren? War das ein peinliches Versehen? Hatte es vielleicht nicht geklappt, weil ich ursprünglich nicht aus dieser Welt stammte? Wenn ich die Worte des Fremden richtig deutete, wollte er offenbar auch, dass alles im angestammten Plot verlief und sorgte nun dafür. Wie würde er reagieren, wenn er mich bemerkte, die nicht hierher gehörte?
 

Bevor ich eine Entscheidung treffen konnte, ob ich auf mich aufmerksam machen sollte oder nicht, wanderte der Fremde davon. Neugierig folgte ich ihm, nachdem ich einen prüfenden Blick zu meinen reglosen Schülern geworfen hatte. Sie würden sich wohl so schnell nicht aus dieser seltsamen Starre lösen und da ich nichts tun konnte, um ihnen zu helfen und Kurogiri ohnehin in der gleichen Situation festsaß, fand ich es wichtiger, mehr über diesen seltsamen Mann herauszufinden. Bisher konnte ich nur raten, was ihn antrieb, aber seine Bemerkung ging mir einfach nicht aus dem Sinn. Für mich klang es, als käme er aus der Zukunft und wolle nun dafür sorgen, dass alles den „richtigen“ Verlauf nahm. In gewisser Weise ging es ihm damit ja ein bisschen wie Erenya und mir, die auch die Zukunft dieser Welt kannten, oder wenigstens einen kleinen Teil davon. Dass wir allein durch unsere ungeplante Anwesenheit bereits ein paar Dinge verändert haben mussten, lag da nahe. Aber wieso hatte Kurogiri eben Tenya erwischt? Tenya war ja sogar noch eher aufgebrochen als im Original! Wo war etwas schiefgelaufen, dass dafür gesorgt hatte, dass sich hier etwas verschob? Und wenn sich dieses Detail bereits verändert hatte und auch jetzt nicht korrigiert wurde, welche Folgen würden sich daraus später noch ergeben? Ich würde es vermutlich nicht einmal erfahren. Verdammter Butterfly Effect. Es war einfach unmöglich, alle Auswirkungen zu erkennen und auszumachen, welche Folgeeffekte diese wiederum nach sich zogen.

Der seltsame Mann, den ich in Gedanken einfach Tardis taufte, weil er wie das namensgebende Vehikel aus der Serie Dr. Who durch die Zeit zu reisen schien, schien sich darüber keine Gedanken zu machen. Als ich mich hinter einen Felsen duckte, der das Areal durchzog, konnte ich beobachten, wie er ungeniert an Aizawa herumzog. Es sah schon fast albern aus. Hätte sich mein brummeliger Kollege wehren können, er hätte diese Behandlung bestimmt nicht gutgeheißen. Genauso wenig wie Shigaraki, den Tardis unsanft am Pullover packte und ein Stückchen beiseite zerrte. Schon beim Zusehen fühlte sich das unangenehm an. Für Tardis hoffte ich inständig, dass die Opfer seiner Korrekturen sich später nicht daran erinnern würden, sonst könnten sie darüber bestimmt nicht lachen. Besonders die Schurkenliga hätte wohl wenig Verständnis für sein Eingreifen, ging es doch in beiden Fällen auf ihre Kosten, soweit ich das sehen konnte. Aizawas Position wirkte auf mich nun zumindest vorteilhafter, weiter weg von Shigarakis gefährlichen Griffeln. Scheinbar zufrieden mit sich selbst beäugte Tardis sein Werk und wischte dann die Hände an Shigarakis Pullover ab, als hätte er sie beschmutzt. Der Anblick war so absurd, dass ich einige Momente brauchte, um mich zu sammeln und nicht loszulachen. Das war einfach völlig verrückt. Da kam so ein Kerl daher, schimpfte vor sich hin und schubste die Leute zurecht, als wären sie Statisten in einem Theaterstück, welches er dirigierte.
 

Ich musste wissen, wer dieser Typ war. Unbedingt. Wenn er, genau wie ich, den Verlauf des Plots beschützen wollte, hatten wir das gleiche Ziel! Gerade, als ich aufstand, um Tardis ganz direkt zu konfrontieren, verschwand dieser von einem Augenblick auf den nächsten. Irritiert hielt ich inne. Dann krachte es und hinter mir ertönte ein Schrei. Die Zeit, die bis jetzt stillgestanden hatte, lief nun weiter, als wäre Tardis nie hier gewesen. „Sein Kopf!“, hörte ich Ochaco rufen. Sie würde sich nun gemeinsam mit ihren Mitschülern Mina und Mezo dem nebligen Schurken stellen, wie ich wusste. Über den Schutz der Felsformation hinweg konnte ich erkennen, dass auch Aizawa und Shigaraki sich wieder bewegten. Auch sie schienen nicht bemerkt zu haben, dass sich jemand in ihren Kampf eingemischt hatte, um den Ausgang zu beeinflussen. Ich fühlte mich wie erstarrt. Anscheinend hatte ich mit meiner Vermutung, dass Tardis‘ Einmischungen unbemerkt blieben, recht gehabt. Sonst hätte doch irgendjemand etwas sagen oder sich anmerken lassen müssen, doch alles lief weiter, wie ich es aus dem Manga kannte. Nun ja, fast zumindest. Kurogiri war zu meinem Glück abgelenkt genug von den angreifenden Schülern, dass er nicht mehr die Zeit fand, nach mir zu suchen, die ich verkrümelt hatte. Hoffentlich hinterfragte niemand, wie mir dieses unmögliche Kunststückchen gelungen war, denn für jeden anderen musste es anmuten, als hätte ich mich teleportiert. Wäre es doch nur so, dann hätte ich mich schon vor Tenya auf den Weg gemacht, um Hilfe zu holen.

Verunsichert und hilflos konnte ich nichts weiter tun, als zuzusehen, wie sich die Geschehnisse entfalteten. Kurogiri wurde in die Enge getrieben, nachdem Tenya sich mit einem schnellen Satz außer Reichweite hatte bringen und dann entkommen können. Auf der anderen Seite der Felsformation rangen Shigaraki und Aizawa miteinander, wobei Aizawa eindrucksvoll unter Beweis stellte, dass er auch ohne einen kampflastigen Quirk einer ganzen Gruppe von Gegnern mehr als gewachsen war. Er hielt sich wacker, doch ich wusste ja längst, wie der Kampf ausginge. Nur zusehen zu können, war frustrierend. Es war anders, wirklich vor Ort zu sein, als das Geschehen nur im Manga zu verfolgen. Besonders, als der Nomu hinzugerufen wurde und sich schnell als schier übermächtiger Gegner entpuppte, fiel es mir schwer, still zu bleiben. Doch ich wagte nicht, die Aufmerksamkeit der Schurkenliga auf mich zu lenken. Meine Schüler waren in Sicherheit, das wusste ich, und dass sie im Moment miteinander beschäftigt waren und nicht nach mir suchten, war gut. Wenn sie mich entdeckten, könnte das wiederum auch die Schurkenliga auf mich aufmerksam machen und damit uns alle in Gefahr bringen. Also kauerte ich angespannt in meiner Ecke, verborgen von Felsen, während nur einen Steinwurf entfernt ein Kampf auf Leben und Tod stattfand.
 

Abwenden konnte ich den Blick vom Geschehen allerdings nicht. Wie erwartet griff nicht nur der Nomu in den Kampf ein, sondern schließlich auch All Might, den Tenya als erstes über den Angriff hatte informieren können. Keine Sekunde zu früh, soweit es mich anging. Zwar konnte ich auch jetzt nichts tun, aber es beruhigte mich ein bisschen zu wissen, dass alles gemäß dem Manga verlief. Alles war, wie es sein sollte. Allerdings fühlte ich mich deshalb nur bedingt besser. Leute wurden verletzt, direkt vor meinen Augen und alles, was ich tat, war hier zu hocken und darauf zu bauen, dass schon alles gut werden würde. Das war grauenhaft und ich hasste es. Aber die Angst vor dem, was passierte, wenn ich mich einmischte und den Butterfly Effect auslöste, der womöglich viel mehr Unheil anrichtete, als ich verhindern könnte, war groß genug, um mich zu lähmen. Als jedoch Erenya – ich hätte es ahnen müssen! – auf den Plan trat und versuchte, sich Shigaraki zu nähern, sprang ich dann doch auf. Was tat sie denn? War sie suizidal? Sie wusste doch, dass alles gut ausginge, wenn sie sich heraushielt! Wollte sie wirklich riskieren, doch noch getötet zu werden, nachdem bisher alles so glimpflich gelaufen war? Im Grunde sollten wir alle froh sein, dass es keine Toten gegeben hatte. Entsetzt sog ich die Luft ein, als sie die Hand nach dem Anführer der Schurkenliga ausstreckte, der nicht wirklich ahnen konnte, was ihm dann blühte.

Zum Glück war ich nicht die Einzige, die fand, dass mein kleiner Schützling da etwas selten Dummes versuchte. Ihre Mitschüler waren ihr direkt auf den Fersen. Stumm dankte ich ihnen dafür. Umso mehr, als einer von ihnen – im ganzen Chaos, das sich entfaltete, konnte ich nicht einmal sagen, wer genau – meine kleine Eri zurückriss und damit ihre Pläne vereitelte. Was sie gehofft hatte, zu erreichen, war mir klar. Sie wollte Shigaraki unter den Einfluss ihres Quirks bringen. Prinzipiell war die Idee ja nicht einmal blöd, aber sie war mehr als riskant. Abgesehen von Shigarakis eigenem, starken Willen, mit dem er sogar AFO trotzte, waren da auch seine Verbündeten, von denen mindestens einer clever genug war, um sofort zu begreifen, was passiert war, wenn sich ihr Anführer auf einmal seltsam verhielt. Mal abgesehen von dem immensen Risiko, dass er schlicht schneller war als Eri und sie kurzerhand zerlegte, und wenn nur, um All Might weiter zu provozieren. Funktioniert hätte das bestimmt und am Ende womöglich sogar das Ende von Toshinori bedeuten können. Eilig verdrängte ich all dieses Was-wenns und eilte auf wackeligen Beinen zu der kleinen Schülertraube, die sich um Aizawa versammelt hatte. Keiner wagte, weiter in den Kampf einzugreifen, mich eingeschlossen, bis Deku im richtigen Augenblick zur Unterstützung eintraf. Neben meinem verletzten Kollegen kniend, dem ich einfach beruhigende Floskeln zumurmelte, weil ich sonst nichts tun konnte, entfalteten sich die Geschehnisse ungebremst weiter.

Am Ende bezwang All Might den Nomu und die von Tenya zu Hilfe gerufenen Helden trafen ein, sodass die Schurkenliga gezwungen war, sich zurückzuziehen. Es wäre nicht das letzte Mal, dass wir von ihnen hörten, das musste allen hier klar sein. Sie ahnten ja nicht, wie übel es noch werden würde und wir schwer es die Heldengesellschaft träfe. Doch selbst wenn ich versuchen würde, es jemandem zu erzählen, würde mir ohnehin niemand glauben. Verbissen starrte ich zu Toshinori. Es ärgerte mich, dass er selbst jetzt, geschützt durch Cementoss‘ hohe Wände, das Schauspiel weiter aufrechterhielt und damit weiter das künstliche Heldenbild emporhielt. Verdammter Idiot. Dass die ganze Welt einfach alle Verantwortung auf Helden, insbesondere auf ihn, abschob und sich nicht weiter darum sorgte, was für ein Mensch hinter dem Heldenkostüm steckte, war zu einem guten Teil sein Werk. Sobald er wieder auf den Beinen wäre, sollte ich ihn mir wirklich nochmal schnappen und ihm gehörig die Leviten lesen. Irgendjemand musste ihm das einfach mal ins Gesicht sagen, und zwar so, dass er auch begriff, welchen Einfluss er damit auf die gesamte Gesellschaft ausgeübt hatte und noch immer ausübte. Und Eri. Mit der müsste ich auch ein paar ernste Takte reden. Konnte man diese Leute denn keine Stunde aus den Augen lassen? Die Frage konnte ich mir wohl selbst mit Nein beantworten.
 

Als die Helden das Feld schließlich gesichert hatten und uns nach draußen eskortierten, war mir einfach nur noch zum Heulen zumute. Ich hatte zwar gewusst, was passieren würde, doch es wirklich zu erleben, war etwas völlig anderes. Und dann auch noch Erenyas riskanter Versuch, an Shigaraki heranzukommen! Blöderweise hatte ich ausgerechnet Eri im allgemeinen Durcheinander aus den Augen verloren, dabei hätte ich mit der wirklich gerne ein paar ernste Takte gesprochen. Aber vielleicht war es besser, das auf später zu verschieben, wenn die ganze Angelegenheit ein bisschen hatte sacken können und niemand anders zufällig mithören könnte. Ohnehin konnte ich wohl davon ausgehen, dass so manch Schüler der 1-A in der nächsten Zeit mit mir über diesen Angriff würde sprechen wollen. Wie man es auch drehte und wendete, sie alle waren heute zum ersten Mal in Lebensgefahr gewesen. Schule und Training waren eine Sache, doch heute und hier hatten sie den bitteren Ernst des Heldenalltags erlebt. Einigen würde das bestimmt zu Denken geben. Sie wussten jetzt, was auf sie zukam, wenn sie Helden werden wollten. Besser, sie erwogen diese Planung ernsthaft und entschieden dann, ob sie dazu wirklich bereit waren, denn dann wäre nicht nur ihr Leben, sondern womöglich auch das der Leute um sie herum immer wieder bedroht. Ich konnte mir gut vorstellen, dass der heutige Überfall für einige der Teenager ein echter Augenöffner gewesen war, an dem sie entweder reiften und erwachsener wurden oder aber entschieden, dass sie ein ruhigeres, sichereres Leben vorzogen.

„Sind Sie in Ordnung?“ Eine Stimme riss mich völlig aus meinen Gedanken und als Sekunden später eine schwere Hand auf meiner Schulter landete, brachte mich das völlig aus dem Konzept. Sekijiro Kan, von dem ich bisher das Gefühl hatte, er fand, dass ich in der Yuei fehl am Platze war, sah mich jetzt aufrichtig besorgt an. Eilig nickte ich. „Ja, ich bin okay. Nichts passiert“, bestätigte ich ihm und brachte sogar ein kleines Lächeln zustande. Mir war ja zum Glück wirklich nichts zugestoßen. Anders als viele Schüler war ich immerhin nicht in einen Kampf verwickelt worden. „Sind alle Schüler soweit in Ordnung? Ich habe noch nicht alle gesehen“, wandte ich mich dann mit einer Frage an den Profihelden neben mir. Der runzelte kurz die Stirn, nickte dann aber. „Wirkten alle soweit fit. Aber sie werden natürlich alle ärztlich untersucht, um sicherzugehen.“ Erleichtert seufzte ich. „Das ist gut. Und was ist mir Nummer 13? Sie hat ziemlich was abbekommen“, hakte ich weiter nach. Dieses Mal grinste Sekijiro sogar. „Sie ist hart im Nehmen und kommt wieder auf die Beine, keine Sorge“, versicherte er mir, als etwas meine linke Schulter streifte und meinen Blick in diese Richtung wandte. „Diese Rüpel habe dich doch nicht angetatscht, oder, Daelis?“ Nemuri klang zwar betont spielerisch, aber ich hatte das Gefühl, dass hinter ihrer Frage mehr Ernsthaftigkeit steckte, als sie mir gegenüber preisgeben wollte. „Nein, nein. Ich bin in Ordnung“, versicherte ich auch ihr. „Wirklich. Mir ist nichts passiert.“ Niemand erwähnte Tardis. Niemand, nicht mit einem Wort. Keiner fragte danach und so entschied ich, diese Geschichte erst einmal für mich zu behalten, und sie später oder morgen mit Direktor Nezu teilen. Wenn ich damit jetzt anfinge, würde nur noch größeres Chaos ausbrechen oder man dachte, ich hätte doch einen zu festen Schlag auf den Kopf abbekommen.

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis ich mich nicht nur von Nemuri, sondern auch Snipe und einer kleinen Frau mit drei Augen, die ich nicht einmal kannte, gelöst hatte. Sie alle hatten sicherstellen wollen, dass ich auch wirklich in Ordnung war. Himmel, da käme die posttraumatische Belastungsstörung eher von der allgemeinen Bemutterung. Ich war in Ordnung, das sah man doch nun wirklich. Und sollte die erste und wichtigste Sorge nicht ohnehin den Schülern gelten, die immerhin alle auch in der gleichen Situation gewesen waren und obendrein gekämpft hatten? Sie hatte es viel übler erwischt als mich, zumal sie in einem viel sensibleren Alter waren. Ich bildete mir ein, das alles dann doch ein bisschen besser wegstecken zu können, als eine Gruppe Teenager, die noch mitten in der Pubertät steckte. Außerdem war es ja nicht so, als habe dieser Angriff mir gegolten. Nein, das Ziel war All Might gewesen, daran hatte die Schurkenliga keinen Zweifel gelassen. Ihn hatte ich, genau wie Eri, aus den Augen verloren, doch ich nahm an, dass er irgendwo von Recovery Girl versorgt worden war und nun ausruhte. Seine Kollegen hatten immerhin geholfen, ihn auch dieses Mal zu decken und damit das Geheimnis um seine schwindende Kraft zu wahren. Später, nahm ich mir vor, würde ich ihm da mal auf den Zahn fühlen, aber jetzt sollte er ruhig erstmal wieder etwas zu Kräften kommen. Jetzt wollte ich lieber nach den Schülern der 1-A sehen, immerhin hatten sie sich heute alle herausfordernden Kämpfen gestellt.
 

Der Klassensprecher der 1-A war mein erstes Ziel. „Hey Tenya“, grüßte ich den etwas abseits stehenden Schüler. „Ist alles in Ordnung bei dir? Bist du verletzt worden?“ Er schüttelte den Kopf, sah dann aber wieder brütend zu Boden. Es war zu leicht, sich zusammenzureimen, was in seinem Schädel vor sich ging. Er hatte Schuldgefühle, weil er weggelaufen war, obwohl er genau wusste, dass es die einzig richtige Entscheidung gewesen war. Keiner der Anwesenden hätte alleine gegen diese Gruppe Schurken bestehen können, die sogar Aizawa und Nummer 13 übermannt hatten. „Danke, dass du so schnell Hilfe geholt hast. Das hat heute womöglich sehr viele Leben gerettet“, meinte ich leise. Offenbar hatte ich mit meiner Vermutung genau richtig gelegen, denn Tenya hob jetzt den Blick, starrte mich kurz an und nickte schließlich langsam. Er schien etwas sagen zu wollen, blieb aber stumm und ließ schließlich mit einem Seufzen den Schultern hängen. „War es wirklich richtig?“, meinte er schließlich tonlos. Behutsam klopfte ich ihm auf die Schulter. „Absolut. Diese Typen haben Aizawa-san in die Knie gezwungen. Ich möchte mir nicht einmal vorstellen, was passiert wäre, wenn du nicht so schnell gewesen wärst.“ Ein wenig hellte sich Tenyas Miene jetzt auf und er nickte. „Ja. Danke, Sensei.“ „Melde dich jederzeit, wenn du über heute sprechen möchtest, ja?“, ließ ich Tenya noch wissen, der geflissentlich nickte, bevor er sich von mir löste. „Mein Bruder ist da, um mich abzuholen. Kommen Sie gut heim, Sensei.“ „Du auch“, verabschiedete ich mich winkend. Bestimmt würde er, wenn er sich erst beruhigt hatte, einsehen, dass er nicht weggelaufen war, sondern vielmehr das einzig Richtige getan und damit vielleicht unser aller Leben gerettet hatte.

Nachdenklich glitt mein Blick umher. Zum Glück schienen auch die anderen Lehrer der Meinung zu sein, dass in dieser Situation kein Schüler allein sein sollte. Überall standen oder saßen die Profis bei dem Nachwuchs, hörten ihnen zu oder sprachen mit ihnen. So richtig neben sich wirkte eigentlich nur einer: Denki Kaminari. Kein Wunder, er hatte immerhin sein Hirn gut durchgeschmort, weil er seinen Gegnern einen heftigen Elektroschock verpasst hatte. Seine beiden Mitstreiterinnen Momo und Kyoka waren dabei glücklicherweise unversehrt geblieben. Eine von beiden, nämlich Kyoka Jiro, stand noch einem Aufseher gleich neben dem blonden Jungen, der dümmlich vor sich hinlächelte. Offenbar war die Nebenwirkung seines Quirks noch nicht abgeklungen. Wie er sich wohl fühlen würde, wenn es erst soweit war? Einen guten Teil der Ereignisse hatte er ja schlussendlich verpasst, weil sein Verstand im Moment so weit reichte, wie er spucken konnte. Trotzdem schlenderte ich betont ruhig zu den beiden herüber, um nach dem Rechten zu sehen. „Hey ihr zwei“, sprach ich im Grunde eher Kyoka als Denki an, der mir zwei erhobene Daumen zeigte, und weiter grinste wie ein Honigkuchenpferd. Alles klar, mein Freund. „Seid ihr zwei verletzt worden?“, galt meine Frage entsprechend Kyoka, die kurz zu dem humanoiden Pikachu sah, dann aber den Kopf schüttelte. „Nein, nichts weiter passiert, außer dass Denki seine letzten grauen Zellen durchgeschmort hat“, meinte sie grinsend und zauste Denki dabei so liebevoll durch das Haar, dass ich keinen Zweifel daran hegte, wie nahe die beiden sich standen, egal wie harsch Kyoka oft zu ihrem Mitschüler war.

„Und wie geht es dir sonst? Das war heute eine Menge Aufregung“, bohrte ich vorsichtig bei der Schülerin nach. Unwillkürlich spannte sie sich an. „Ja, schon, aber“, meinte sie zögerlich, beendete ihren Satz jedoch nicht. Nun war ich diejenige, die lächelte. „Schon okay. Komm erst einmal zur Ruhe. Am wichtigsten ist, dass ihr alle diesen Überfall unversehrt überstanden habt.“ Ihr Lächeln wirkte gezwungen und verriet, dass sie die Sache nicht so locker nahm, wie sie versuchte, mir vorzumachen. „Komm mich doch die Tage mal besuchen, ja? Ich würde mich freuen“, versuchte ich, Kyoka ein bisschen aus der Reserve zu locken. Ihr Zögern war offensichtlich, doch nach einem Moment nickte sie. Unglücklicherweise kam genau in diesem Augenblick Recovery Girl zu uns, die erst mich musterte, dann die zwei Schüler. „Dann zeigt mal her, wo sie euch erwischt haben, ihr Lieben“, meinte die Krankenschwester fröhlich. Mit erhobenen Händen wehrte ich ab. „Mir ist nichts passiert. Aber ich glaube, Kaminari-san könnte ein bisschen Hilfe brauchen“, nickte ich in Richtung des blonden Jungen. Kyoka grinste. „Ich schicke ihn später zu Ihnen, versprochen, Sensei.“ Schmunzelnd zwinkerte ich ihr zu. Das hieß dann wohl, dass auch sie das Gespräch mit mir suchen würde. Falls nicht, so nahm ich mir vor, würde ich eben auf sie zugehen.

Geheimnisse

Ich hätte mir wohl denken können, dass es naiv war, zu hoffen, nach allem, was passiert war, einfach nach Hause gehen und entspannen zu dürfen. Daraus wurde nämlich ganz gepflegt nichts. Stattdessen saß ich nur wenige Minuten später auf der Rückbank eines Polizeiautos und war auf dem Weg zum Präsidium, wo man meine Aussage aufnehmen wollte. Es war mir kein Trost, dass es meinen Schülern nicht anders erging. Bei den Profihelden war ich nicht sicher, wie so etwas ablief, aber ich würde drauf wetten, dass selbst die Auskunft geben mussten. Allerdings ginge das wohl deutlich schneller. Nicht nur, dass die Helden erst später dazugekommen waren, sie wären bestimmt auch viel ruhiger bei ihren Aussagen. Klasse 1-A und ich waren heute zum ersten Mal in einer solchen Situation und es wäre wohl eher verwunderlich, wenn einer von uns das einfach wegstecken könnte, als wäre nichts geschehen. Die Ereignisse heute hatten die meisten von uns ohne Vorwarnung getroffen, aber selbst mit Erenyas und meinem Vorwissen war der Angriff auf das U. S. J. kein Spaziergang gewesen. Ich wünschte, ich hätte mich um den Besuch des U. S. J. drücken können oder wenigstens, wie geplant, die Flucht ins Damenklo geschafft, aber die Ereignisse hatten sich derart überschlagen, dass mir das nicht rechtzeitig gelungen war. Mir war sowieso schleierhaft, wieso der Direktor meinte, dass eine Archäologin wie ich hatte mitkommen sollen. Was erhoffte er sich davon? War ja nicht so, als könnte ich irgendetwas zum Thema Katastrophenhilfe beitragen, geschweige denn zu den Prioritäten dabei. Dass an mir keine Heldin verloren gegangen war, hatte der heutige Tag wohl ziemlich deutlich bewiesen. Meine Knie fühlten sich immer noch an wie Pudding, wenn ich daran zurückdachte, wie auf einmal die Schurkenliga eingefallen war. Auf die Erfahrung hätte ich getrost verzichten können.

Und nicht nur ich, auch Erenya. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, sich einzumischen? Viel zu gefährlich, fast schon suizidal! Außerdem musste ihr doch klar sein, welch immense Risiken es barg, wenn eine von uns die vorherbestimmten Ereignisse durcheinanderbrachte. An ihren guten Absichten zweifelte ich nicht, aber durchaus daran, dass sie gut durchdacht waren. Theoretisch könnte jede noch so winzige Einmischung dafür sorgen, dass AFO Deku als Träger von OFA erkannte und tötete. Oh, Eri, erst denken, dann handeln! Die besten Absichten führten bekanntlich oft genug zu den schlimmsten Folgen und besonders bei Einmischung in das Gefüge der Zeit war ich mir dessen sogar ziemlich sicher. Mal ganz abgesehen von den möglichen Veränderungen, die unsere Einmischungen für diese Welt bedeuten konnte, mussten wir uns fragen, ob nicht noch etwas viel Größeres auf dem Spiel stand. Da wir nicht wussten, wie genau Zeit funktionierte – und ich konnte mir das vermutlich nicht einmal vorstellen – könnten wir versehentlich weitere Zeitlinien abzweigen, Zeitschleifen erschaffen, die Realität spalten oder sie sogar zerstören. Durften wir hier überhaupt existieren? Wenn ja, wieso gab es uns im Manga nicht, und wenn nein, wieso nahmen dann alle hier uns als schon lange bestehenden Teil dieser Welt wahr? Schon darüber nachzudenken machte mir Angst. Alles, was wir taten, hatte Folgen. Jeder Schritt, jede Geste, jedes Wort, jeder Kontakt zu unseren Mitschülern oder Kollegen, zu Fremden im Supermarkt oder unseren Familien. Meine kannte ich zwar noch nicht, aber für Eri musste es befremdlich sein, bei fremden Leuten zu leben, die sie behandelten wie ihre Tochter. Merkten ihre Eltern womöglich, dass etwas nicht stimmten oder schoben sie das auf die Pubertät?
 

Seufzend rieb ich mir über die Schläfen. Egal, wie viel ich darüber grübelte, ich würde ja doch keine Antworten finden. Wie auch? Was wusste ich schon von Reisen durch Dimensionen oder was auch immer Erenya und mir hier widerfahren war. Ich bezweifelte sehr, dass es überhaupt irgendjemanden gab, der das erklären konnte, geschweige denn wüsste, wie man es umkehrte, nicht einmal der seltsame Kerl, den ich während des Angriffs gesehen hatte. Irgendwie hatte er die Zeit angehalten und aus irgendeinem Grund wusste er, wie die Geschehnisse ursprünglich hätten ablaufen müssen. Sonst hätte er wohl diese Korrekturen nicht vorgenommen. Waren ihm Erenya und ich noch nicht aufgefallen? Selbst wenn, würde ich nicht darauf wetten, dass das so blieb. Wie würde dieser Kerl reagieren, wenn er bemerkte, wer wir waren oder vielmehr nicht waren? Das hing wohl maßgeblich davon ab, wer dieser Zeitreisende war. Dass er aus der Zukunft kam, war offensichtlich, aber sonst wusste ich gar nichts über ihn. Hätte er noch einen Schallschraubenzieher dabei gehabt, könnte ich ihn glatt Dr. Who taufen, doch so taufte ich den Mann im Stillen erst einmal Tardis. Das passte besser, denn zweifellos war das Zeitreisen sein Quirk und nicht die Fähigkeit einer Maschine, die er lediglich bediente. Das machte ihn eher zur Tardis als zum Doktor. Schade, dass ich den Witz wohl mit niemandem würde teilen können, immerhin schien keiner außer mir Tardis bemerkt zu haben.

Ob er zu der Zeit, in der ich mich befand, bereits gelebt hatte? Oder kam er noch weiter aus der Zukunft? Agierte er womöglich im Namen der Helden? Dass er für All for One arbeitete, glaubte ich zwar nicht wirklich, aber ausschließen konnte ich es auch noch nicht. Wer wusste schon, worauf Tardis hinarbeitete. Angesichts der beunruhigenden Tatsache, dass niemand ihn bemerkt zu haben oder sich an ihn zu erinnern schien, könnte er schon dutzend Ereignisse verändert haben, ohne dass es jemals irgendjemand erfuhr. Objektiv betrachtet besaß er damit den vielleicht stärksten Quirk, den es gab. Nicht auszudenken, was geschähe, wenn AFO davon erfuhr und ihn sich unter den Nagel riss. Er könnte binnen eines einzigen Augenblicks das Geschick der Welt völlig verändern, große Helden stürzen und grausamen Schurken die Mittel an die Hand geben, um die Gesellschaft in Chaos zu stürzen. Und das war noch ohne all die unabsehbaren Zeitgefügerisiken gedacht, die damit womöglich einhergingen. Dagegen war der OFA-Quirk ein Witz. Aber welcher Quirk wäre das nicht? Umso wichtiger, dass er nicht in die falschen Hände geriet. Hoffentlich war Tardis sich der Verantwortung als Wächter dieser mächtigen Fähigkeit bewusst, sonst ginge diese Welt schneller den Bach runter, als jemand „Stop“ brüllen konnte. Wenn ich Tardis bemerken und mich in seinem Zeitstillstand bewegen konnte, lag es nahe, dass auch andere Leute dazu fähig waren. Ich sollte online mal danach suchen, nahm ich mir im Stillen vor, verschob diesen Plan aber gleichzeitig auf heute Abend oder vielleicht besser morgen früh, wenn ich mich weniger fühlte, als habe mich ein Zwölftonner überrollt. Zweimal.
 

„Hier entlang bitte.“ Ein ziemlich müde aussehender Polizeibeamter öffnete mir die Tür zu einem Raum, der gar nicht so kalt, grau und ungemütlich aussah, wie man es aus Filmen kannte. Man hatte eher das Gefühl, in eine zum Meetingraum umfunktionierte Abstellkammer zu kommen. Der Raum war winzig, aber wenigstens hatte er ein kleines Fenster. „Nehmen Sie doch Platz. Möchten Sie einen Kaffee oder vielleicht lieber Tee?“ Der Polizist lächelte freundlich, doch man hörte die Routine in dieser Frage. „Nein danke“, murmelte ich kopfschüttelnd, während ich bereits einen der beiden Stühle vor dem kleinen Schreibtisch zurückzog, um mich zu setzen. Hinter mir konnte ich jedoch noch hören, wie der Beamte leise mit jemandem auf dem Flur sprach, ehe er sich auf der anderen Seite des Schreibtischs niederließ. „Es tut mir Leid, dass Sie Ihre Aussage noch heute machen müssen, doch jetzt sind die Ereignisse noch frisch und ihre Erinnerungen am akkuratesten“, erklärte der hagere Mann mit einem müden Lächeln. Jetzt tat er mir beinahe leid. Wie oft er den Spruch wohl schon hatte runterleiern müssen? Allein heute sicher so einige Male, selbst wenn man nur die Zeugen des Angriffs auf das U. S. J. bedachte. „Schon gut. Sicher ist es besser so“, bemühte ich mich um ein Lächeln, konnte die Anspannung aber nicht ganz abschütteln. Viel lieber würde ich mich daheim in eine Decke wickeln und das geschehene Revue passieren lassen. Nicht elegant, doch ich musste unangenehme Dinge immer erst mit mir selbst ausmachen, ehe ich anfangen konnte, sie offen zu verarbeiten.

„Mein Name ist Saitou. Hisanagi Saitou. Sie sind Daelis Lange, richtig?“, begann der Polizist mit einem flüchtigen Blick auf die erste Seite seiner dünnen Pappakte. Ich nickte. „Ja.“ „Sie arbeiten als Geschichtslehrerin an der U. A. High School, ist das so korrekt?“ Wieder nickte ich, fügte aber hinzu: „Eigentlich bin ich allerdings Archäologin. Bis vor kurzem war ich auf einer Grabungsstätte in Ägypten tätig.“ Überraschung huschte sichtbar über die Miene Saitous, der nicht zögerte, nachzufragen: „Wieso haben Sie Ihre Profession gewechselt?“ Klar, dass ihm das verdächtig vorkam. „Habe ich nicht. Nicht ganz zumindest. Es gab einen Angriff auf die Grabungsstätte, weshalb... mir nicht wirklich eine andere Option blieb. Meine aktuellen Forschungsergebnisse sind offenbar von Interesse für eine Schurkenorganisation, sodass eine sichere Unterbringung meines Fundes sowie meiner Person in der Yuei organisiert wurde.“ Ich konnte nicht verhindern, dabei ein wenig bitter zu klingen. Zwar hatte sich der Lehrerjob als nicht so furchtbar herausgestellt wie befürchtet, aber ich wäre lieber in Ägypten geblieben. „Also wurden Sie bereits vorher zum Ziel der Schurkenliga?“, hakte der Polizist nun merklich aufmerksamer nach. Vermutlich hatte er ein deutlich langweiligeres Gespräch erwartet. Am liebsten hätte ich geseufzt. „Ich nehme es an. Der Angreifer von der Grabungsstätte war auch beim Angriff heute dabei“, kam ich ohne Umschweife zum Punkt. „Allerdings hatte ich nicht den Eindruck, dass der Angriff auf das U. S. J. meine Arbeit zum Ziel hatte. Man hat mich nicht weiter beachtet. Der Fokus schien eher auf etwas anderem zu liegen.“ „Und worauf?“ „Das weiß ich nicht.“ Hilflos zuckte ich mit den Schultern. Die Wahrheit konnte ich nicht sagen, denn die dürfte ich ja nicht kennen.
 

Saitou seufzte. „Fangen wir besser ganz vorne an, einverstanden?“ „Sicher.“ „Gut. Sie waren also während des Angriffs im U. S. J.. Ist Ihnen vorher etwas aufgefallen oder haben Sie womöglich jemanden bemerkt, den Sie nicht kannten?“ „Nein. Außer den Schülern waren noch ein Shota Aizawa und Nummer 13 vor Ort, sonst habe ich keinen gesehen und alles schien normal. Also zumindest fand ich es normal. Ich war vorher noch nie im U. S. J.“, erklärte ich aufrichtig. Saitou nickte kaum merklich. Eine Geste, die nicht mir zu gelten schien, sondern eher dem Papier vor ihm, auf dem er etwas notierte. „Wurden Sie vorher bedroht oder haben Sie Kenntnis von Drohungen gegen die Yuei oder vielleicht einer Ankündigung, dort einzudringen?“ „Nein“, antwortete ich wieder wahrheitsgemäß. „Aber Sie haben diese Schurken bereits auf dieser Ausgrabungsstätte getroffen?“, fragte er nach, den Blick jetzt auf mich richtend. „Einen von ihnen, ja. Er hat so eine Art Metallkragen und sein Kopf besteht aus schwarzviolettem Nebel“, beschrieb ich Kurogiri nach besten Gewissen. „Die Heldin Whirlwind war vor Ort und hat ihn in die Flucht getrieben. Sie erzählte auch, dass man es offenbar auf die aktuellsten Fundstücke und die meine Forschungsergebnisse abgesehen hatte.“ „Whirlwind? Ah, dann gibt es dazu sicher auch eine Akte“, brummte der Beamte missmutig, brachte dann aber ein mattes Lächeln zustande.

„Gut, zurück zum heutigen Angriff. Was genau haben Sie gemacht, als der Angriff begann?“, fragte Saitou weiter. „Nicht viel, um ehrlich zu sein“, gab ich kleinlaut zu. „Anders als die anderen Lehrer bin ich ja keine Heldin, also habe ich eigentlich nur herumgestanden und zugesehen. Ich hätte den Schülern wohl auch eher im Weg gestanden.“ Nun hoben sich Saitous Augenbrauen merklich. „Sie... Sie verfügen nicht über eine Heldenlizenz?“ „Nein“, bestätigte ich, ohne zu zögern. „Ich bin Archäologin, wie ich bereits erwähnte.“ Dem armen Saitou war anzusehen, wie seltsam er das fand. Ich war da ganz bei ihm. Bei diesem ganzen Ausflug hatte ich nichts zu suchen gehabt. „Direktor Nezu war der Ansicht, dass es gut wäre, wenn ich einen Eindruck von allen Facetten der Yuei bekomme, gerade weil ich keinen Heldenhintergrund mitbringe“, rechtfertigte ich meine Anwesenheit ungefragt. „Verstehe. Sie waren also nur als Beobachterin dort. Gut. Ist Ihnen vielleicht am Verhalten eines Studenten etwas aufgefallen, das ungewöhnlich oder nicht passend erschien?“ Sein Ernst? Er verdächtigte, dass ein Schüler der Liga geholfen haben könnte? Ich schüttelte energisch den Kopf. „Nein, überhaupt nicht. Ich unterrichte die Klasse und natürlich waren sie alle aufgeregt, weil es ihr erster Besuch im U. S. J. war, aber keiner hat sich ungewöhnlich verhalten.“
 

Gefühlt zog sich die Befragung ewig. Ich musste sicher viermal berichten, was passiert war. Tardis ließ ich dabei komplett weg, um nicht zu riskieren, die Zeitlinie, die dieser Kerl gerade erst zurechtgebogen hatte, wieder durcheinanderzubringen. Solange er daran arbeitete, dass alles so ablief, wie es sollte, würde ich ihm keine Steine in den Weg legen. Glücklicherweise schien Saitou meine Geschichte nicht seltsam oder lückenhaft vorzukommen, denn seine Nachfragen sorgten meistens dafür, dass ich nur den Kopf schütteln oder mit den Schultern zucken konnte. Mir war schlicht nichts Seltsames aufgefallen, dass vorher auf den Angriff hätte hinweisen können. Niemand hatte sich komisch verhalten, es war nichts Auffälliges passiert und ich hatte auch keine Fremden bemerkt. Das war zwar recht langweilig, aber die Wahrheit. Natürlich hatte ich vorher vom Angriff gewusst, doch das hatte ich allein meinem Leserwissen zu verdanken, das in dieser Welt eigentlich niemand hätte haben dürfen. Im Grunde war das fast schon Cheating, weil ich damit vielleicht sogar mehr wusste als Tardis und der war ein verdammter Zeitreisender! Keine Ahnung, was der Beamte sich davon erhoffte, mich die gleiche Geschichte immer und immer wieder ausführen zu lassen, aber ich konnte ihm schlicht nicht mehr erzählen, weil ich einfach nicht mehr wusste. Und selbst wenn ich Details wüsste, könnte ich sie ihm nicht verraten, weil ich eigentlich nichts darüber hätte wissen dürfen. Objektiv gesehen könnte ihm vermutlich jeder der anderen Anwesenden während des Angriffs mehr über den Ablauf verraten als ich, immerhin hatte ich mich nicht einmal einem der Handlanger der Liga im Kampf gestellt. Es ärgerte mich, das so zu denken, aber letzten Endes war ich eine verdammte Damsel in Distress gewesen. Oder zumindest in Stress, denn ich hatte ja gewusst, dass alles gut ausgehen würde.

„Und dann haben sich die Schurken zurückgezogen?“, hinterfragte Saitou das Ende meines fünften Berichts. „Ja. Sie haben dafür die Fähigkeit des Mannes mit dem violetten Nebel benutzt. Es schien eine Art Portal zu sein“, bestätigte ich noch einmal. „Was ist mit Ihrem eigenen Quirk? Sie haben nicht in den Kampf eingegriffen. Wieso nicht?“ Saitou legte seinen Kugelschreiber beiseite, wirkte jedoch jetzt interessierter als bei seinen letzten Fragen. „Ich habe keinen Quirk.“ Meinem Gegenüber war anzusehen, dass er damit nicht gerechnet hatte. „Sie... Sie haben...“, begann er verblüfft. „Ich habe keinen Quirk“, wiederholte ich ruhig. Saitou öffnete den Mund, schloss ihn dann aber, ohne etwas zu sagen, und räusperte sich nur. „Hätte ich versucht, mich einzumischen, hätte ich mich schnell zu einer leichten Geisel gemacht und damit meine Schüler nur umso mehr in Gefahr gebracht“, fuhr ich fort und merkte selbst, wie frustriert ich bei diesen Worten klang. „Natürlich“, murmelte der Polizeibeamte verlegen. „Nun, äh, dann habe ich alles, denke ich. Wenn Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie bitte jederzeit hier im Präsidium an.“ Ich hörte mehr, als dass ich sah, wie Saitou eine Schublade des Schreibtischs öffnete, aus der er eine kleine Pappkarte herausholte, die er mir herüberschob. „Selbstverständlich, das mache ich“, lächelte ich höflich, die Visitenkarte an mich nehmend. „Danke, Saitou-san.“ Er erhob sich und ich folgte seinem Beispiel. „Ich bringe Sie noch ins Foyer. Von dort können Sie auch ein Taxi rufen, falls Sie eines benötigen.“ Sehr umsichtig! Ein Taxi würde ich nämlich auf jeden Fall brauchen, immerhin war ich mit einem Streifenwagen hergebracht worden und musste zurück zur Yuei.
 

„DAELIS!“ Die laute Stimme meines Kollegen ließ mich heftig zusammenfahren. Himmel, musste er das immer machen? Daran würde ich mich einfach niemals gewöhnen. Jedes Mal erschreckte ich mich und dieses Mal hatte mich garantiert zwei Jahre meines Lebens und einen sicheren Bypass gekostet. Es war ja nicht so, als wäre der Superheld all Might zu übersehen, selbst wenn er nicht laut genug rief, um jeden im Gebäude an seine Anwesenheit zu erinnern. Wieso war Toshinori hier? Und dann auch noch in seiner Muskelform! Nach dem heutigen Tag musste er völlig erschöpft sein, dieser Idiot. Sollte das der Welt zeigen, dass bei ihm alles in Ordnung war? Falls ja, sollte er sich diese Lüge dringend abgewöhnen. Schon daran zu denken, ärgerte mich genug, dass ich den Hünen am liebsten zurechtgewiesen hätte. Aber offiziell wusste ich noch nichts über sein nicht ganz so kleines Geheimnis und es stand mir ganz sicher nicht zu, es in die Welt hinauszuschreien. Also schluckte ich den aufkommenden Ärger herunter und steuerte den Profihelden zügig an. Je eher er nach Hause kam, um sich auszuruhen, desto besser. Verfluchter Idiot. Self-Care war manchen Leuten hier auch wirklich ein Fremdwort.

„Daelis, wie schön dich wohlauf zu sehen!“ Bitte schrei mich doch nicht so an, flehte ich den hünenhaften Helden stumm an, ehe ich ihm deutlich leiser antwortete: „Hey. Wartest du darauf, dass alle Schüler und Profis ihre Aussagen gemacht haben?“, fragte ich wie beiläufig. „Ah, die anderen sind alle schon fertig. Du bist die letzte“, lachte All Might laut auf und sorgte damit erneut dafür, dass ich zusammenfuhr. Ich war doch nicht schwerhörig. Himmel, wenn er sich das in meiner Nähe nicht abgewöhnte, würde ich nicht alt. Aber hatten Saitou und ich wirklich so lange für die Aufnahme der Aussage gebraucht? Mein Zeitgefühl hatte sich völlig verabschiedet. Vermutlich kein Wunder bei all der Aufregung. „Was machst du denn dann noch hier? Bestimmt möchtest du nach Hause“, hakte ich gespielt arglos nach. Fürchtete der Direktor vielleicht, dass die Liga erneut angreifen könnte – diesmal mit Ziel auf meine Forschungen? Auszuschließen war das vermutlich nicht, aber ich hielt es nicht für sonderlich wahrscheinlich, zumal ihr Ziel heute eindeutig All Might gewesen war, nicht meine Funde in Ägypten. „Um dich sicher zurück zur Yuei zu begleiten natürlich“, erwiderte der blonde Mann gut gelaunt. Ich könnte schwören, dass alle Passanten in der Nähe uns anstarrten. Bestimmt hatte er schon ausgiebig Autogramme gegeben und Fotos gemacht, während ich meine Aussage gemacht hatte. „Das wäre wirklich nicht nötig gewesen“, bemühte ich mich, möglichst entspannt zu klingen. „Aber danke.“ Konnten wir nun bitte gehen? Ich fühlte mich hier wie auf dem Präsentierteller. Toshinori mochte sich vielleicht damit wohlfühlen, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, aber mir war das ein Graus.

„Ehrlich gesagt gibt es da noch etwas“, begann Toshinori, als wir schließlich in seinem Auto saßen. Insgeheim war ich dankbar dafür, dass er sich dafür entschieden hatte, zu fahren statt sich mit seinem Quirk durch die Luft zu torpedieren. Auf gar keinen Fall wäre ich dann mitgekommen. „Ja?“, fragte ich überrascht nach, den Blick von der Straße zu meinem Kollegen wendend, dessen Hände sich so offensichtlich nervös um das Lenkrad verkrampften, dass es mir fast leidtat. Es war fast schon zu einfach, Toshinori nervös zu machen. Er musste wirklich große Angst haben, dass ich hinter sein Geheimnis kam. „Ich würde dich gern zum Abendessen einladen. A-also um etwas zu besprechen“, fügte er hastig hinzu. Würde das eine Art Therapiegespräch, bei dem er mir versicherte, dass ich an der Yuei sicher war? Falls ja, könnte er sich das getrost sparen. So naiv war ich nicht. Wenn All for One etwas von einem wollte, war man vermutlich nirgends wirklich sicher. Sollte die Liga also wirklich hinter der Steintafel her sein, die ich in Ägypten gefunden hatte, würden sie früher oder später herausfinden, was darauf stand. Allerdings war mir absolut schleierhaft, wieso sich AFO für etwas so Altes interessierte. „Es ist wirklich wichtig“, fügte Toshinori hörbar nervös hinzu. Jetzt tat es mir leid, dass ich nicht geantwortet hatte, sondern in meinen eigenen Überlegungen versunken war. „Ist gegen 19 Uhr in Ordnung?“ All Might atmete hörbar auf. „Ja, danke“, meinte er halblaut, schien aber erleichtert, dass wir in diesem Moment das Tor der Yuei passierten und er mich eilig absetzen konnte, um dann in die Tiefgarage zu fahren, von der ich nicht einmal wusste, wo sie war. Diese Schule war einfach seltsam.
 

Entgegen meiner ursprünglichen Pläne, den Nachmittag damit zu verbringen, vor mich hinzubrüten und darüber nachzudenken, wie ich Erenya unauffällig kontaktieren und ihr eintrichtern konnte, sich zukünftig aus den wichtigen Ereignissen des Boku no Hero Academia-Plots herauszuhalten, war ich vollauf damit beschäftigt, die Fragen des Direktors zu beantworten. Nezu war zwar offensichtlich bereits von meinen Lehrerkollegen ins Bild gesetzt worden, ließ mich aber genau wie der Beamte Saitou zuvor, erzählen, wie ich den Überfall erlebt hatte. Wenigstens löcherte er mich nicht auch mit Nachfragen, sondern nahm meinen Bericht einfach so hin, wenn auch nicht, ohne mir zu versichern, dass die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt würden, damit die Schule auch weiterhin ein sicherer Ort für alle wäre. Dass ich daran generelle Zweifel hegte, behielt ich für mich, ebenso wie die Einmischung durch Tardis. Meine Devise würde auch weiterhin bleiben, den originalen Ablauf der Geschehnisse so wenig wie möglich, bestenfalls gar nicht, zu verändern. Je weniger Tardis eingreifen müsste, desto besser, denn sonst fiele ihm noch auf, dass zwei Personen zu viel vor Ort waren und das konnte einfach nicht gut für Erenya und mich ausgehen. Hoffentlich bekam ich Erenya bald zu fassen, um mit ihr über Tardis zu sprechen. Hoffentlich hatte sie nichts von ihm erzählt. Hoffentlich waren wir ihm nicht aufgefallen.

Dieser sorgenvolle Gedanke begleitete mich auch noch, als ich abends über den Campus wanderte. Dank dem Direktor, der nicht im Mindesten überrascht schien, als ich danach fragte, wusste ich, wo Toshinori sein Wohnheimzimmer hatte. Mehr und mehr beschlich mich das Gefühl, dass Direktor Nezu genau wusste, was All Might mit mir besprechen wollte. Oder würde das ein größeres Treffen und das gesamte Lehrerkollegium quetschte sich in Toshinoris kleine Wohnung? Die Vorstellung war schon lustig, aber vermutlich nicht sehr realistisch. Dass ich mit dieser Einschätzung richtig lag, bestätigte sich, als mir nicht der große All Might, sondern vielmehr Toshinoris Hänflinggestalt die Tür öffnete. Er machte keine halben Sachen, das musste ich ihm lassen. „Guten Abend“, grüßte ich den dürren, blonden Mann, der mich selbst in dieser Gestalt noch überragte. „Ich schätze, heute Abend werden ein paar Geheimnisse offenbart?“ Dieses Mal war mein Lächeln ehrlich. Verlegen nickte Toshi, die Unsicherheit in seinem Blick unverkennbar. Bestimmt war er schon am Präsidium so nervös gewesen, weil er vorgehabt hatte, endlich auszupacken. Ich für meinen Teil war dankbar dafür. So brauchte ich nicht mehr aufpassen, dass ich sein Geheimnis versehentlich aufdeckte oder etwas sagte, das seltsam rüberkam. Gleichzeitig könnten die Helfen aufhören, in meiner Nähe auf Eierschalen zu laufen und offen sprechen, wenn es darum ging, wie im Hinblick auf Toshinoris schwindende Kräfte vorgegangen werden soll. „Komm doch rein“, bat der Profiheld mich etwas kleinlaut und trat mit einer einladenden Geste beiseite.
 

Ein Nerd. Absolut. Kein Wunder, dass er sich selbst in Deku erkannte. Die Wohnung war ohnehin nicht besonders groß, aber derart vollgestopft mit Heldenmerchandise, dass sie gleich noch kleiner wirkte. Deku wäre vermutlich völlig ausgeflippt. Die beiden passten wirklich zusammen wie Arsch auf Eimer. Blieb nur zu hoffen, dass Deku All Mights größten Fehler nicht weiterführte, sonst könnte das auf lange Sicht nicht nur für ihn, sondern auch für die Gesellschaft furchtbare Folgen haben. Heute jedoch sollte ich Toshinori darüber wohl nicht belehren. Der arme Mann wirkte sowieso schon verunsichert. Vermutlich reagierten die meisten Leute ziemlich schockiert, wenn sie erfuhren, dass Japans Nummer Eins-Held seinem Ruf nur noch in sehr begrenztem Zeitrahmen gerecht werden konnte und letzten Endes im Sterben lag. Die meisten wichtigen Helden waren eingeweiht, wie ich wusste, aber die Allgemeinheit würde von diesem Geheimnis erst erfahren, wenn AFO in Aktion trat. Ein Moment, der das Vertrauen Vieler erschüttern und Ängste schüren würde. Die Leute hatten sich zu sehr daran gewöhnt, sich darauf zu verlassen, dass All Might da war, um alle zu beschützen. Wie unselbstständige Kinder gaben sie die Eigenverantwortung an die Helden ab. Vielleicht sollte ich vorschlagen, mit den Schülern Kant durchzunehmen? Schaden würde es sicher nicht.

Zumindest die Angst davor, ausgelacht oder nicht mehr für voll genommen zu werden, konnte ich Toshinori nehmen. „Es freut mich, dass du dich offenbarst. Sicher war das keine leichte Entscheidung“, meinte ich unschlüssig, wie ich das Eis am besten brechen könnte. „Nein. Also ja. Es ist“, begann Toshinori, unterbrach sich dann und seufzte leise. „Es ist schwierig.“ Was für ein Kontrast zum lauten Superhelden. Jetzt stand die dürre Gestalt des gleichen Mannes vor mir, den Blick fast traurig auf seine eigenen Hände gerichtet, und erinnerte überhaupt nicht mehr an den lauten Hünen von heute Nachmittag. Toshinori lächelte matt und gestikulierte in Richtung Sofa. „Setzen wir uns besser. Das Ganze ist eine lange Geschichte.“ „Kann ich mir vorstellen“, erwiderte ich und machte es mir im gleichen Zuge auf der Couch bequem. Natürlich wusste ich schon, was All Might mir anvertrauen würde, doch das konnte er ja nicht ahnen. Ich war gespannt, ob er mir auch von One for All erzählen würde oder ob es bei seiner eigenen Veränderung und Verletzlichkeit blieb, was bereits keine Kleinigkeit war. Objektiv gesehen wurde ich hier in eines der größten Geheimnisse der Heldengemeinschaft eingeweiht. Ein bisschen ironisch, wenn man bedachte, welche Geheimnisse ich auf der anderen Seite vor diesen Leuten hatte.
 

„Es muss enttäuschend sein, mich so zu sehen.“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, sein Blick strikt auf den Boden gerichtet. So niedergeschlagen hatte man ihn im Manga selten gesehen, nicht zuletzt vermutlich, weil er Deku gegenüber stets bemüht war, eine positive Sicht auf alles aufrecht zu halten, Hoffnung zu geben, anstatt zu verzweifeln. „Wieso glaubst du das?“, fragte ich ganz direkt, die Antwort bereits ahnend, die direkt folgte. „Ich bin nicht mehr der Held, der ich einst war“, statierte Toshinori seufzend. Mit gerunzelter Stirn sah ich ihn an, bis er den Blick schließlich hob. Erst dann schüttelte ich den Kopf. „Du bist der Gleiche, der du immer warst. Ein Held bestimmt sich nicht durch seine Erscheinung oder seinen Quirk, sondern seine Überzeugung, sein Herz“, erinnerte ich ihn. „Wenn ich mich nicht irre, predigst du das unseren Schützlingen doch auch.“ Toshinoris Augen weiteten sich vor Überraschung. Ihm war anzusehen, dass er etwas sagen wollte, aber er blieb stumm. Hah, da blieb ihm wohl die Spucke weg! Als er seine Sprache wiederfand, stammelte der Profiheld. „D-du bist ni-nicht wütend?“ Ich stutzte. „Natürlich bin ich wütend!“, schimpfte ich dann zurück. Der blonde Hüne zuckte unter meinem Blick zusammen. „Findest du nicht, du hättest mich eher einweihen können?“, blaffte ich ihn an, was ihn direkt noch weiter schrumpfen ließ. Wenn ich noch ein wenig nachtrat, wäre er bald auf meiner Augenhöhe. Seufzend fuhr ich mir durchs Haar. „Hast du mir so wenig vertraut?“, konnte ich mir die Frage nicht verkneifen.

„Entschuldige“, murmelte Toshi so leise, dass er gar nicht mehr nach sich selbst klang. „Wir waren unsicher, ob dich dieses Wissen nur noch mehr in Gefahr brächte. Immerhin ist die Schurkenliga bereits hinter deinen Entdeckungen her“, rechtfertigte er sich, wobei seine Aussage beinahe wie eine Frage klang. Ich schnaubte. „Darum bin ich doch auch an die U. A. gekommen. Mit so vielen Helden, einschließlich All Might, hier, was kann da schon passieren?“ Toshinoris Lächeln war bitter. Wäre es doch nur so einfach. An seiner Stelle wäre ich vermutlich auch entmutigt. All diese Jahre, in denen er die Verantwortung des Heldentums auf seinen Schultern getragen hatte, hatten Spuren hinterlassen, die er immer versteckt hatte, was ihm in dieser Gestalt jedoch nicht länger gelang. Ihm musste es vorkommen wie Schwäche. Meiner Meinung nach war es das genaue Gegenteil. Jetzt erst würde sich zeigen, ob wahre Stärke in ihm ruhte oder ob alles nur ein hübsches Schauspiel war, mehr Schein als Sein. Er hatte die metaphorische Fackel der Hoffnung entzündet und sehr lange getragen, doch nun wurde es Zeit, zu verstehen, dass ein Feuer länger überlebte, wenn man es verbreitete und nicht bei einer einzigen Flamme beließ.

„Aber“, begann Toshinori, doch da er mich ausnahmsweise mal nicht anschrie, übertönte ich den Rest seines Satzes einfach. „Nein. Nichts aber. Du bist du. Steh dazu. Daran ist nichts Schlechtes und ehrlich gesagt finde ich nicht, dass du dich verstecken solltest.“ Einen Moment lang sahen wir einander nur an. „Die Menschen würden nicht ver-“, fing er schließlich erneut an und wieder überging ich den Profihelden. „Sie würden erkennen, dass ihr Held ein Mensch ist. Ein Mensch, der gute und schlechte Tage, der sich freut oder auch trauert, der Glück und Schmerz empfindet.“ Ich seufzte. „Findest du nicht, dass das etwas Gutes wäre? Wir alle dürfen nicht vergessen, dass hinter den bunten Heldenkostümen lebende Menschen stecken, die Familie und Freunde haben, ein Leben außerhalb des Heldendaseins. Das auszublenden ist schlicht ignorant und wird all den mutigen und selbstlosen Helden nicht gerecht, die Tag für Tag bereit sind, sich in Gefahr zu begeben, um andere zu beschützen.“ „Es ist ja nicht so, als hätte ich das vergessen“, verteidigte sich der Blonde kleinlaut. „Ich sprach nicht von dir, Toshi“, konterte ich matt lächelnd. „Du vergisst höchstens, dass du selbst ein Mensch bist, dass du so viel mehr bist als die Kunstfigur All Might.“ Jetzt hörte man den Tadel in meiner Stimme eindeutig heraus, doch ich sah keinen Sinn darin, zu verbergen, wie meine Sicht auf diese Situation war. Fragte man mich, war Toshinori ein besserer Mann, als der Held All Might es je sein könnte. Ironischerweise hatte ich an Endeavor, Toshis größtem Konkurrenten, am meisten geschätzt, dass er sich charakterlich nicht verstellte. Er war nicht unbedingt sympathisch, aber wenigstens zog er keine Show ab und spielte allen etwas vor.
 

Man konnte richtig sehen, wie es hinter Toshinoris Stirn ratterte. Lob und Dank bekam er zweifellos oft zu hören, Kritik eher seltener, erst recht nicht von Außenstehenden und so eine war ich eindeutig. Als jemand, der selbst nie den Job eines Helden innehatte, spuckte ich große Töne, das konnte ich nicht leugnen, aber ich sprach aus tiefster Überzeugung. Hatte ihm denn wirklich noch nie jemand klar gemacht, wie aufgesetzt sein All Might-Schauspiel war, wie unnötig und potentiell problematisch, wenn es den Blick der Allgemeinheit auf Helden prägte? Nun, dann wurde es höchste Zeit! Es war ja nicht so, als wollte ich ihm etwas Böses, ganz im Gegenteil. Ich war überzeugt, dass er aus einer anderen Perspektive viel lernen konnte. Er war so lange ein Held gewesen, dass er gar nicht mehr wusste, wie man sich als Nichtheld benahm. Das war kein Helfersyndrom mehr, sondern eine ausgeprägte Psychose. „Das klingt jetzt vermutlich nicht besonders nett, aber findest du nicht, dass es Zeit wäre, das ganze Schauspiel um all Might abzulegen, und wieder mehr... nun ja, du zu sein? Du warst schon vor All Might Toshinori Yagi und du wirst es auch nach ihm sein.“ Toshi runzelte die Stirn, dann seufzte er und ließ die Schultern hängen. „Als All Might kann ich den Menschen helfen, aber ohne meine Muskelform bin ich“, murmelte er schwermütig und beendete den Satz erst nach einer Pause. „Bin ich keine große Hilfe mehr.“ Das war es also. Er glaubte, er könne nichts mehr bewegen.

„Glaubst du wirklich, dass All Might wichtiger ist als Toshinori Yagi?“, fragte ich ruhig. Für mich gab es darauf nur eine akzeptable Antwort. Toshi schwieg, den Blick gesenkt, also antwortete ich selbst. „Ist er nicht. All Might ist ein Ideal, ein Symbol, aber kein echter Mensch. Nicht wirklich. Du hast dich immer hinter einer Maske versteckt, hinter einem Lächeln“, sprach ich geradeheraus. „Aber Toshinori muss das nicht, denn er ist viel mehr als nur eine Darstellung. Die Idee von All Might existiert nur dank Toshinori Yagi.“ „Das mag sein“, gab Toshi nun leise zu, der sich erst jetzt an die Rückenlehne des Sofas drückte. „Aber All Might wird gebraucht.“ Genervt klickte ich mit der Zunge. Wollte er sich hier in Selbstmitleid suhlen? Das konnte er sich von der Backe putzen. „So, wie ich das sehe, ist All Might niemand und jeder. Mit den gleichen Idealen, einem Lächeln und buntem Kostüm, könnte nicht jeder All Might sein? Aber keiner kann Toshinori Yagi ersetzen. Was ist mit all den Menschen, denen du etwas bedeutest. Wen denkst du, würden sie vermissen? Das idealisierte Bild eines Helden oder den Mann, den sie einen Freund nennen?“, wies ich den dürren Mann zurecht, dessen Miene sich nun zum ersten Mal aufhellte, seit wir uns unterhielten. Statt zu antworten, meinte er nur: „Danke.“ „Gern geschehen.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Aufgabe:
Du darfst die FF mit der einer Ausgrabung als Archäologin beginnen. Wo, liegt an dir, aber du hast bereits die Anfrage zur Lehrerschaft an der U.A. erhalten, weil du als Koryphäe für Geschichte und Kultur gilst. Du findest ein Relief, auf dem ein Held aus Anno XX zu sehen ist, der scheinbar einen riesigen Gegner platt macht. Darunter steht eine Inschrift. Du kannst nur entziffern, dass es um die Erweckung von Fähigkeiten geht.
Du notierst dir die Zeichen und kaum, dass du fertig bist, wirst du angegriffen von einem Nebel (Kurogiri). Er will dich gerade schnappen, als ein Held auftaucht. Du darfst dir einen OC ausdenken. Dieser rettet dich und bringt dich dann zur U.A. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Aufgaben:
- Du bist nun schon seit einigen Monaten an der UA. Du hast noch die letzten Jahrgänge gesehen, wie sie die Schule verließen. Der Direktor lässt nach dir rufen um mit dir etwas wichtiges zu besprechen
- Im Büro des Direktors siehst du eben jenen, der eine Tasse Tee für dich bereit stellt und dich erstmal mit etwas Smalltalk unterhalten wird. Selbst wenn du schneller auf den Punkt kommen willst, wird er es sich nicht nehmen lassen darüber zu lamentieren, dass der letzte Jahrgang ein echt guter war.
- Nach einiger Zeit wird er dir schließlich sagen, das am WE die Aufnahmeprüfungen sind. Er möchte, dass du bei der praktischen Prüfung zusiehst und wird dir das Prüfungssystem um Rescue Points und Co erklären. Er wird dir auch erklären, dass Lehrer die Rescue Points vergeben und du als zukünftige Geschichtslehrerin da mitmischen sollst, zumal ihn deine Meinung sehr interessiert.
- Du kannst gerne Einwände bringen, tust du dies, wird der Direktor dich fragen, was du glaubst, was einen Helden ausmacht. Antworte ehrlich. Egal wie du antwortest, der Direktor wird unter keinen Umständen unzufrieden mit deiner Antwort sein und dir sagen, dass du diese Standards zum Vergeben der Rescue Points benutzen sollst.
- Er entlässt dich danach zurück in dein Zimmer. Dort erhältst du eine Nachricht deiner Kollegen aus Ägypten, die neben der einen Tafel noch andere Dinge gefunden haben. Entscheide, ob sie dir das schicken sollen oder nicht. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Aufgaben:
Freies Kapitel. Du kriegst keine Aufgaben, außer: Interagiere mit Kollegen, schau dir die Prüfungen an und reagiere auf Seriencharas und OCs, die dir besonders hervorstechen. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Aufgaben:
Aufgabe 1: Leider wird die Auswertung mehr als nur ein paar Stunden dauern. Du wächst also förmlich mit deinen Kollegen zusammen. Es wird über jeden Teilnehmer debattiert und diskutiert. Am einfachsten haben es natürlich jene, die bereits genug Roboter erledigt hatten und so ne hohe Punktzahl sicherten, schwieriger ist die Debatte mit den Rescue Points.

Aufgabe 2: Einige Punkte für die Rescue Points haben sich auch nach der Prüfung nicht geändert, aber einige möchten gerne näher diskutieren. Und auch auf andere Punkte eingehen. Shinsou ist dabei ein diskussionswürdiger Charakter, da er ja keine Punkte erhalten hat, aber durch seine Fähigkeit nicht nur anderen half, sondern auch dafür sorgte, dass der riesige Roboter in Schach gehalten wurde.

Aufgabe 3: In einer Pause wirst du mal Zeit haben mit All Might sprechen zu können, der meist nach einiger Zeit der Diskussionen für eine längere Zeit verschwindet. Einige scheinen zu wissen wieso. Nutze also die Chance, denn du scheinst ein paar Fragen zu haben, die nur er dir beantworten kann.

Aufgabe 4: Aizawa wird bezüglich der Kandidaten mit den Pheromonen einige negative Worte von sich geben, ebenso bezüglich Deku. Midnight hingegen wird die Pheromon-Nutzerin ganz interessant finden, meint aber, ihre Technik ist unausgereift, dass man da aber Potential hätte. Allerdings wird sie auch anmerken, dass sie es gerade in der Pubertät nicht sehr leicht haben wird. (Sie sind ja noch alle so schön grün hinter den Ohren XD)

Aufgabe 5: Du hast alle bekannten Boku no Hero Academia Charas auf deiner Liste. Vergib für folgende Charas innerhalb des Kapitels deine Rescue Points: Bakugo, Shinsou, Deku, Ochaco, Tenya, Mezo, Hanta, Kyoka, Kirishima, Aoyama, Tsuyu.
Aizawa wird auch 4 Punkte an Erenya vergeben. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Aufgaben:
Aufgabe 1: Nachdem alle Schüler bewertet wurden, hast du noch Zeit Nezu darauf anzusprechen, dass die Schüler vielleicht einen Vertrauenslehrer brauchen. Nezu wird diese Idee sehr begeistert begrüßen und wird kurz darauf dir und All Might diesen Posten geben.

Aufgabe 2: Da du nun Zeit hast, dich vorzubereiten, kannst du dir diese nehmen um zum Beispiel mal mit Nemuri und Pres Mic Essen zu gehen. Beide schlagen ein Restaurant vor, das ziemlich familiär wirkt. Die Besitzerin Miwako ist eine Feuernutzerin, die das Essen am Tisch bereitet. Ihr Mann, wirkt zwar normal, scheint aber keine Skrupel zu haben die Kohlen aus dem Feuer zu holen. Nemuri ist begeistert von dem Restaurant und flirtet mit Miwakos Mann, die das aber locker ablächelt. Du kannst aber merken, dass Miwakos Mann Pres. Mic gegenüber nicht sehr freundlich ist. Doch auch dieser scheint es nicht sehr persönlich zu nehmen.

Aufgabe 3: Einige Tage nach der Auswertung, bekommst du eine Schülerliste. Und Zeit, einen Geschichtslehrplan zu erstellen. Du wirst in Klasse 1-A abgesehen von Shinsou und Erenya keine unbekannten Gesichter sehen. Ebenso ist Klasse B im gewohnten Kader, abgesehen von zwei Schülern. Die junge Rumi Hotsuin und den jungen Daichi Arisawa. Beide müssen wohl bewertet worden sein, als du mit All Might gesprochen hattest, denn du erinnerst dich nicht an sie. Rumis Fähigkeit ist Gesang. Sie kann mit Liedern verschiedene Effekte erzeugen. Daichi hingegen beherrscht Telekinese. Du kannst gerne ihre beiden Prüfungen ansehen, denn alle sind noch auf der Datenbank.
Rumi wird etwas, na ja, arrogant erscheinen, ist aber auch nicht oft da, da sie ein Idol ist. X'D Sie hat ne Sondergenehmigung während einer Show ihre Fähigkeit einzusetzen, allerdings in bedingtem Maß. Daichi hingegen scheint noch ein anderes Problem zu haben, außer der Telekinese. Denn sein negativer Effekt ist, dass er, sobald er Telekinese zu oft eingesetzt hat, die Emotionen von allen um sich herum fühlen kann. Man vermutet, der Effekt kam dadurch, dass seine Mutter eine Empathin ist. Er ist dadurch sehr distanziert und das, obwohl er auch ziemlich competitive sein kann.

Aufgabe 4: Die Zeit der Vorbereitung vergeht und der erste Schultag beginnt. Allerdings etwas holprig, denn die Klassenlehrerin für die allgemeine Abteilung wird einige Zeit ausfallen, so dass du ihre Position einnehmen sollst. Du wirst eine Klasse vorfinden, die zwar in U.A. ist, aber doch nicht ganz so motiviert wirkt, vor allem nachdem sie nun einen Normalo als Klassenlehrer-Ersatz haben, haben sie das Gefühl, dass man sie nicht ernst nimmt oder wertschätzt. Überlege dir, wie du deine erste Stunde mit den Halbstarken gestaltest. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Aufgaben:
1. Aufgabe: Du hast deine Klasse endlich im Klassenzimmer. Beschreibe, wie du den Unterricht wahrnimmst.

2. Aufgabe: Schmiede einen Plan wie du sichergehst, ob diese Eri deine Eri ist.

3. Aufgabe: Zurück im Lehrerzimmer wartet ein All Might, der seine Standpauke erwartet. Sag ihm, was du zu sagen hast. Er wird dir auch erzählen, dass Bebi-Eri ihn zusammengeschissen hat und sie wohl das Temperament ihrer Mutter hat. Er wird dir sagen, dass er unsicher ist, ob er die richtigen Entscheidungen treffen kann. Bau ihn auch etwas auf.

4. Aufgabe: Nemuri wird dich fragen, ob du wieder mit ins Restaurant willst, lehne aber freundlich ab, denn du bekommst wieder einen Anruf von deinen Leuten aus Ägypten die scheinbar etwas geschickt haben. Nezu wird dich daraufhin auch noch informieren, dass ein Gebiet für dich hergerichtet wurde, wo du die Funde ausgraben kannst. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Aufgaben:
1. Aufgabe: Der nächste Tag ist angebrochen, als du ins Lehrerzimmer gehst, hörst du die Lehrer jammern, dass die Presse die Schule belagert. Nemuri wird dich aufklären wieso und weshalb. Sie fragt auch verwundert, ob du es nicht bemerkt hast, erzähle ihr von einem Gegenstand, den du ausgebuddelt hast.

2. Aufgabe, Nezu wird mitteilen das heute die Vertrauenslehrer offiziell vorgestellt werden. Natürlich bekommst du auch sogleich in deine Stunde Neito Monoma. Er berichtet dir von einem Schüler der ihn bedroht habe und das nur, obwohl er jemanden besser kennenlernen wollte. Versuche so viele Informationen aus ihm wie möglich herauszubekommen, um zu erfahren, wer es war. (Tipp: " er bezieht sich auf Shinsou)

3. Aufgabe Nezu wird dich in der Mittagspause ins Büro rufen. Dort verkündet er dir, dass du am nächsten Tag mit Aizawa und All Might und Nummer 13 ins USJ gehen wirst. Natürlich ist dir nicht wohl dabei, aber leider wirst du dich nicht rausreden können. Überlege dir Gegenmaßnahmen, wie du dich besser vorbereiten kannst.

4. Aufgabe: Gestalte den restlichen Ablauf des Tages wie es dir beliebt. Unterricht, Gespräch mit Lehrern, vielleicht dieses Mal doch nochmal nen Ausflug in Eris Heimatliches Restaurant? Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Aufgaben:

1. Aufgabe: Der Unterricht tröpfelt vor sich hin, als du in die zweite größere Pause gehen willst, entdeckst du auf dem Gang Monoma und Shinsou. Scheinbar hat sich Monoma deinen Rat zu Herzen genommen, lausche den beiden Schülern.

2. Aufgabe: Im Gespräch wirst du feststellen, dass es sich um Erenya handelt, die Monoma „kennenlernen“ will. Monoma wird sich über Shinsou lustig machen, dass es keinen Sinn mache den edlen Helden zu spielen, da seine Fähigkeit eh nur die eines Bösewichtes würdig ist. Greif ein, sollte diese Diskussion eskalieren.

3. Aufgabe: Egal ob Eskalation oder nicht, Shinsou und Monoma werden getrennte Wege gehen, wobei Shinsou das Gespräch mit dir suchen wird. Scheinbar hat der junge Mann was auf dem Herzen. Er wird dir auf jeden Fall von seinen Erfahrungen in der Schule erzählen und das er das Gefühl hat trotz allem nicht stark genug zu sein. Er wird dich außerdem fragen, ob du glaubst, dass Aizawa ihm Nachhilfe geben wird.

4. Aufgabe: Während eures Gesprächs wird der Alarm losgehen, du solltest nun natürlich wissen, dass dieser von einbrechenden Journalisten ausgelöst wurde. Versuche Shinsou so gut du kannst in Sicherheit zu halten.

5. Aufgabe: Nachdem die Aufregung sich gelegt hat, ruft Nezu die Lehrer, ja auch dich, zusammen. Dabei werden ein paar der Kollegen berichten was die Aufregung ausgelöst hat und wie vermutlich die Journalisten in die Schule eingedrungen sind. Recovery Girl wird von ein paar kleineren Verletzungen berichten. Nezu wird außerdem berichten, dass die Big Three sich um die Schüler gekümmert haben. Sollte Shinsou irgendwas getan haben, um zu helfen, erwähne ihn auch lobend.

6. Aufgabe: Nachdem die Versammlung der Lehrer beendet ist, nimm dir Aizawa zur Seite und rede mit ihm über Shinsou. Aizawa wird vielleicht nicht erfreut klingen, dass er einen Schüler „bevorzugen“ soll, lässt aber auch durchschimmern, dass er Shinsous Bitte nicht ablehnen würde. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Aufgaben:

1. Aufgabe: Der Tag ist für dich gelaufen, du verbringst den Nachmittag im Sandkasten deiner Träume. Allerdings kannst du dich nicht auf die Arbeit konzentrieren. All Might wird dich im Sandkasten besuchen und dir Kuchen mitbringen. Er sucht ein Gespräch mit dir und will dir erklären, wie die Katastrophenübung im USJ abläuft. Dabei schwenkt das Gespräch dazu, dass er dir davon erzählt, einen Jungen als seinen Nachfolger bestimmt zu haben. Ihr werdet das erste Mal ein ehrliches Gespräch führen, wobei er andeutet, dass seine muskulöse Gestalt wohl nicht von Dauer ist. Direkt erwähnen wird er es aber nicht.

2. Aufgabe: Der nächste Tag, die Schüler sammeln sich vor dem Bus zum USJ. All Might ist nicht da, du weißt ja, warum, dennoch bist du nervös.

3. Aufgabe: Beschreibe was du im Bus mitbekommst.

4. Aufgabe: Im USJ begrüßt euch Nummer 13 und wird erklären, was das USJ ist, doch kurz darauf tauchen schon Schurken auf. Das Chaos bricht aus.

5. Aufgabe: Die Hälfte der Schüler wird an verschiedene Orte gebracht. Zurück bleiben:Mezo, Mina, Ochaco, Tenya und Nummer 13. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
1. Aufgabe: Als du dich genauer umsiehst, siehst du die üblichen Verdächtigen aber weder Shinsou noch Eri. Scheinbar hat Kurogiri die beiden ebenfalls weggeweht. Doch viel Zeit darüber zu grübeln bleibt nicht, denn Kurogiri greift erneut an, doch dieses Mal kann Nummer 13 reagieren und saugt etwas von seinem Körper ein. Du weißt, wo sein Schwachpunkt ist, wirst du es mit den anderen teilen?

2. Aufgabe: Alles wird wie in der Serie trotz allem laufen. Doch Kurogiri wird Nummer 13 dennoch zerfetzen. Die letzte Chance ist Tenya, der irgendwie als Einziger Hilfe holen kann. Auch hier verläuft alles wie in der Serie, bis auf eine Sache, Kurogiri scheint dieses Mal Tenya sogar zu erwischen.

3. Aufgabe: Gerade als Kurogiri aber Tenya wegteleportieren will, bleibt alles stehen, die Zeit hält inne, nichts und niemand um dich herum bewegt dich, sie bleiben alle wie erstarrt. Dennoch kannst du dich bewegen. Wenn du dich umsiehst, wirst du bei Kurogiri einen Mann sehen, der scheinbar mit sich selbst Gespräche führt. Er kann es scheinbar nicht glauben, dass hier nichts läuft, wie es sein sollte, und schiebt Tenya etwas von Kurogiris Portal weg. Genug, dass dieser fliehen kann. Er scheint sich selbst danach wegzuteleportieren, doch als du dich umsiehst, erkennst du ihn bei Aizawa und auch bei Shigaraki. Auch dort scheint er ein paar Korrekturen vorzunehmen, bevor er verschwindet und die Zeit weiterläuft.

4. Aufgabe: Tenya schafft es zu fliehen, auch hier verläuft der Rest wie in der Serie, sogar bis zu All Mights Ankunft. Als dieser Aizawa rettet und sich mit Nomu anlegt, entdeckst du auch einige restliche Klassenkameraden, die den Kampf beiwohnen, darunter Eri, die scheinbar nicht sehr versucht, diskret zu sein.

5. Aufgabe: Auch wenn Eri versucht, sich einzumischen, wird alles wie sonst laufen, Nomu geht durch die Decke, Shigaraki will eingreifen, Deku All Might retten, Eri mischt nochmal lustig mit und versucht Shigaraki zu begriffeln, doch die Profis erscheinen und retten den Tag.

6. Aufgabe: Der Weg nachhause wird nach einigen Befragungen angetreten. Rede mit 3-4 Schülern der Klasse A, wer bleibt dir überlassen, Eri wird versuchen dir aus dem Weg zu gehen. Die anderen Profihelden werden sich auch rührend um dich kümmern, immerhin bist du ein Normalo. Überlege gut, ob du erzählst, was du scheinbar als Einzige bemerkt hast. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Aufgaben:

1. Du hast überlebt, gz. Der Angriff aufs USJ ist glimpflich für dich ausgegangen und die Polizei nimm of course auch deine Zeugenaussage auf. Beschreib die Szene mit der Aussage. Ob du Tardis erwähnst oder nicht, ist deine Entscheidung.
All Might wird ausserhalb des Polizeigebäudes in Muskelform auf dich warten. Er lädt dich zum gemeinsamen Abendessen in sein Wohnheimzimmer am Campus ein.

2. Am Abend gehst du zu ihm, als du klopfst, begrüsst dich Hänfling might. Entscheide wie du auf diese Offenbarung reagierst. Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Ichigo_girl
2020-08-10T13:40:50+00:00 10.08.2020 15:40
Die Fanfic ist super! Dein Schreibstil und auch die Art der Geschichte sind richtig fesselnd!


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