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Leere Stille

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen!
Es ist lange her, irgendwie bin ich im beginnenden Berufsleben versunken, wache aber nun langsam wieder auf :)

Natürlich wird "Leere Stille" noch beendet! Der Inhalt steht schon gänzlich, muss "nur noch" ausformuliert werden. Aber dafür fehlte mir in den letzten Jahren irgendwie die Muse. Ich hoffe aber, dass ich die Erzählung bald zu Ende führen kann.

Kurze Zwischenfrage: Liest das hier überhaupt noch jemand? :D

Ich wünsche euch viel Spaß! Komplett anzeigen

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I - November 2000

November 2000.
 

Es geschah ganz unvermittelt. Das Geräusch dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde und riss sie dennoch aus dem Schlaf. Sofort war sie hellwach – fast, als hätte sie die ganze Nacht nur darauf gewartet. Sie drehte sich um, legte ihm eine Hand auf die schweißnasse Stirn und schaute ihn an. Er atmete schwer und starrte an die dunkle Zimmerdecke. Die Laterne auf der Straße warf den schwankenden Schatten eines Baumes auf das blasse Grau. Die Blätter müssten rauschen und doch hörte man ihr Lied nicht bis ins Zimmer. Denn die Fenster waren stets geschlossen. Nur Harrys Keuchen durchbrach die unwirklich erscheinende Stille.

„Wo warst du dieses Mal?“

Harry antwortete nicht sofort. Seine Augen lösten sich von ihrer Starre und er folgte den Bewegungen der Schattenblätter. Ginny wartete und streichelte ihm derweil durch das nasse Haar. Im dunklen Zimmer wirkte es tiefschwarz. So schwarz, wie sie es aus ihrer gemeinsamen Schulzeit kannte. Einer Zeit, die ihnen nun so vorkam, als stammte sie aus einem anderen Leben.

„Auf dem Friedhof. Mit Cedric.“

Ginny seufzte. „So weit zurück?“ Er warf ihr einen müden Blick aus dem Augenwinkel zu. Aufmunternd lächelte sie ihn an. Sie musste nichts sagen. Sie verstanden sich auch ohne Worte. Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange und schmiegte sich an seine Brust. Sein Brustkorb hob sich, als er einmal tief durchatmete. „Hast du morgen Training?“, fragte er und legte seinen Arm um sie.

„Ja, aber erst am Nachmittag.“ Gedankenverloren strich sie ihm über die Brust, während der Schlaf langsam zurückkam. „Luna kommt morgen vorher zum Kaffee vorbei“, murmelte sie leicht unverständlich, als sie ein Gähnen unterdrückte.

Auch Harry gähnte nun. „Schön. Grüß sie von mir.“

Kurze Zeit später wurde Ginnys Atem gleichmäßiger und tiefer. Es war das einzige Geräusch, das die vollkommene Stille durchbrach, in der Harry stets das Gefühl hatte Watte in den Ohren zu haben. Derweil starrte er weiter auf die Schattenbewegungen des Baumes. Ohne seine Brille nahm er sie lediglich als verschwommene Schemen wahr. Langsam glitt sein Blick nach rechts zum Fenster. Er konnte die im Wind sich wiegenden Äste sehen. Das Flattern der Blätter. Das kurze Beben, wenn der Wind stärker wurde und das Zittern, wenn er nachließ. Es schien ihm, als würde der Baum sich in Wehklagen wiegen und winden. Er konnte sich das Rauschen der Blätter in der nächtlichen Stille vorstellen. Er wusste wie es klang. Ein beruhigendes, friedliches Wispern. Und doch wollte er es nicht hören. Er konnte das Geräusch nicht ertragen.

II - November 2000

November 2000.
 

Als Luna ihre Tasse absetzte, klirrte das rot-weiße Porzellan leicht. Es war ein helles Geräusch. Wie das Seufzen einer Dangeldinfee, dachte Luna. Gedankenverloren wischte sie einen Tropfen des Tees vom Tassenrand und führte den benetzten Finger zu ihren Lippen. Das Küchenfenster stand offen und von draußen drang Blätterrauschen und das Geschrei spielender Kinder aus dem angrenzenden Park in die Küche. Die Geräusche waren voller Leben und Freude. Luna ließ ihren Blick durch die Küche wandern, die mit ihren altersgrauen Wänden und verrußten Möbeln ganz im Gegensatz zu den fröhlichen Geräuschen von draußen standen. Seit Harry und Ginny in das alte Haus der Blacks eingezogen waren, hatte sich hier nichts verändert. Luna huschte kurz der Gedanke durch den Kopf, ob die beiden hier gar nichts verändern wollten – oder vielleicht einfach noch nicht konnten?

In diesem Moment bemerkte sie, wie Ginny sie erwartungsvoll ansah und auf etwas zu warten schien.

„Entschuldigung, hast du etwas gesagt?“

Ginny lachte und schüttelte den Kopf. „Du bist wie eh und je. Ich habe gefragt, wo dich deine Arbeit die letzten zwei Wochen hin verschlagen hat.“

Luna legte ihren Kopf leicht schief und fing an, die Zuckerstückchen von einem Keks abzuzupfen und in ihren Tee fallen zu lassen. „Ach, das kann ich gar nicht genau sagen. Ich war in der Nähe von Cornwell und bin Aufzeichnungen meines Vaters zu den Prallatischen Wurzknöllern gefolgt. Und danach war ich… hm, naja, das weiß ich nicht. Auf jeden Fall bin ich am Schluss in Cheltenham gewesen.“ Sie nickte, als sei dies ein überaus präziser Reisebericht gewesen.

Ginny schenkte sich aus der Kaffeekanne nach. „Sicher, dass du keinen Kaffee möchtest?“ Luna schüttelte den Kopf.

Nach einer kurzen Stille fuhr Luna unvermittelt fort und überraschte Ginny, die bereits gedacht hatte, dass Luna erneut in ein längeres Schweigen verfallen wäre. „Es ist schön. Dort draußen, meine ich. Ich kann das Werk meines Vaters fortführen. Er hat gerade nicht die Zeit dazu, weißt du?“ Sie überlegte kurz und warf einen Blick zum Fenster, von dem her kurz das Schimpfen einer Mutter über ihren unartigen Sohn hereinwehte. „Es ist ruhig dort.“

Ginny nickte verstehend.

Luna steckte sich den Keks ohne Zuckerstreusel in den Mund und rührte ihren Tee um. Urplötzlich wechselte sie das Thema. „Wo ist Harry?“

„Er ist in der Arbeit“, antwortete Ginny. „Ron und er haben aktuell in der Aurorenzentrale viel um die Ohren. Nach und nach erhalten sie mehr Verantwortung. Und…“, sie dachte kurz nach, wie sie es am geschicktesten formulieren sollte. „Ich habe das Gefühl, dass sich die dunkle Seite der Gesellschaft wieder etwas sicherer fühlt. Kurz nach dem Krieg waren die Menschen sehr friedensbedürftig und jede Untat fiel sofort auf. Die Auroren waren noch lange in höchster Alarmbereitschaft. Das ist immer noch so, versteh mich nicht falsch! Aber die – ich nenne sie jetzt mal so – Unholde werden unvorsichtiger. Da hat Harry natürlich mehr zu tun.“

Luna nickte. „Und wie geht es ihm?“, fragte sie vorsichtig nach einem kurzen Zögern. Dabei beobachtete sie Ginny auf ihre ganz eigene Art und Weise. Ginny hatte gerade einen Schluck von ihrem Kaffee genommen und stellte die Tasse nun ab. Ohne den Blick auf Luna zu richten, sagte sie: „Gut. Gut geht es ihm. Es geht ihm… ich meine… es geht ihm unverändert“. Sie schürzte die Lippen, schaute Luna an und zuckte mit den Schultern. „Wie es uns wohl allen geht“, schloss sie und grinste etwas verloren.

Luna musste auch grinsen. „Ja, so ist das wohl." Sie ließ ihre Zustimmung einen Moment im Raum stehen, ehe sie fortfuhr: „Und du findest deine Freiheit weiterhin auf dem Besen?“

Ginny lachte. „Ja. Wie immer.“ Sie dachte an den rauschenden Wind um ihre Ohren und die winzig klein erscheinende Welt unter ihr, wenn sie auf dem Besen ihre Runden drehte und musste lächeln. „Ich möche aktuell nichts anderes tun."

Draußen vor dem Fenster tröstete die Mutter ihren weinenden Sohn. Die beiden Frauen schauten sich vielsagend an und genossen den kurzen Moment der Versöhnung. Als die Mutter mit ihrem Sohn weiter zog und nun nur noch das Rauschen der Herbstblätter zu hören war, leerte Luna ihre Teetasse.

„Jetzt hätte ich gerne einen Kaffee.“ Während Ginny ihr einschenkte, fragte Luna: „Hast du was von Neville gehört?“

III - Dezember 2000

Dezember 2000.
 

Ginny grinste frech. „Und, Ron? Möchtest du noch eine vierte Portion?“

Ron schien den Sarkasmus darin nicht zu hören und schüttelte den Kopf. Den Mund voll Kartoffelbrei sagte er: „Nein, danke. Man muss ja auch ein bisschen auf die Figur achten.“ Hermine verschluckte sich fast an ihrem Wasser, während Ginny mit Müh und Not ein Lachen unterdrücken konnte. Es war eine herrliche und sternklare Nacht Anfang Dezember und die drei aßen in der Küche gerade zu Abend. Harry hatte über Ron ausrichten lassen, dass er leider später kommen würde, da er noch unbedingt einen Bericht abgeben müsse. Das Küchenfenster stand offen, sodass eine kühle Brise hereinwehte. Der Wind draußen zerrte an den fast kahlen Bäumen. Nur wenige braune Blätter hielten sich noch erbittert an ihren Ästen fest und so erklang nur ein leises knisterndes Rascheln von diesem Überlebenskampf. Das Bellen eines Hundes aus der Nachbarschaft ertönte und hallte mit leichtem Echo durch die Straße.

Hermine und Ginny räumten den Tisch ab. „Ginny, du musst mir unbedingt das Rezept geben! Mein Hackbraten wird irgendwie nie so gut.“ Ginny lächelte, nahm ihr die gestapelten Teller ab und nickte. „Gerne! Ich hab es von Mama, aber so gut wie sie bekomme ich es auch nicht hin. – Ach, apropos Mama: Ron!“, sie beugte sich an Hermine vorbei und schaute zu ihrem Bruder, der sich gerade in seinem Stuhl zurück lehnte und seinen Bauch streichelte. „Mama möchte, dass wir alle am Samstag zum Essen kommen. Keine Ausreden dieses Mal, du brauchst gar nicht so schauen! Du warst schon ewig nicht mehr dort!“ Sie warf ihm einen warnenden Blick zu.

Hermine stimmte ihr zu. „Ich versuche schon seit Wochen, ihn dazu zu bringen, aber er findet eine Ausrede nach der anderen.“

Bevor Ron überhaupt etwas sagen konnte, drehte sich Ginny wieder zur Spüle und meinte wie beiläufig: „Ich meine, wenn er seine Chudley Cannons-Sammelkarten nicht vor Mamas Ausmistwahn retten möchte – sein Ding.“ Ihr Lockmittel zeigte Wirkung, denn Ron bekam rote Ohren und war plötzlich Feuer und Flamme für die Idee, am Samstag den Eltern einen Besuch abzustatten.

Hermine und Ginny lachten gerade über seinen neu gefunden Enthusiasmus, als Harry deutlich gestresst die Küche betrat. „Entschuldigung. Das musste ich heute noch fertig machen, sonst hätte Robards mir den Kopf abgerissen.“ Er begrüßte Ginny mit einem Kuss, nahm Hermine in den Arm und gab Ron ein High-Five.

„Möchtest du etwas essen?“, fragte Ginny, während Harry gerade das Küchenfenster schloss. „Wir haben noch Hackbraten und Kartoffelbrei übrig.“

Harry schüttelte den Kopf und nahm sich ein Glas Wasser. „Nein, danke. Ich hab mir vorhin im Büro noch ein Sandwich gemacht.“

Die Freunde setzten Harry über die Pläne am Samstag in Kenntnis und redeten ein wenig über ihre bisherige Woche. Als ein kurzes Schweigen entstand, weil jeder seinen Gedanken nach hing, schaute Harry in die Runde. „Sollen wir?“

Alle nickten wissend. Die Männer nahmen für jeden ein Butterbier aus dem Kühlschrank mit und sie alle begaben sich schweigend in die kleine Bibliothek des Hauses. Das Feuer im Kamin brannte bereits – Kreacher musste es wohl im Wissen über ihre Tradition bereits entfacht haben. Wie selbstverständlich schloss Ron die Tür und verriegelte sie mit einem Zauberspruch. Schweigend machten sie es sich auf den Sofas gemütlich und Harry verteilte die Butterbiere. Sie stießen an und Hermine legte zu guter Letzt einen Stillezauber über das Feuer. Kaum war die völlige Stille eingetreten, entspannten die vier Freunde merklich. Harry hatte wieder das Gefühl, als hätte er Watte in den Ohren und seufzte erleichtert auf. Es gab keinen Blickkontakt. Jeder saß für sich, betrachtete die Kondenstropfen an der eigenen Flasche oder die lautlosen Bewegungen des Kaminfeuers. Und doch fühlten sie sich nicht allein.

Nach einer gefühlten Ewigkeit erhob sich Ron und sammelte die leeren Flaschen ein. „Noch eines?“ Seine Stimme durchriss die Stille und holte seine Freunde für einen kurzen Moment in die Realität zurück. Es folgte ein allgemeines Nicken. Ron verließ den Raum und kam mit neuen Flaschen wieder. Nachdem er sie verteilt hatte, verschloss er die Tür erneut magisch und setzte sich. Es war quasi eine stille Übereinkunft über eine stille Zusammenkunft. Ein inneres Bedürfnis brachte sie jede Woche so zusammen. Ein Bedürfnis nach Ruhe und Abgeschiedenheit, aber trotz allem nicht nach Einsamkeit.

Als es für Ron und Hermine Zeit war zu gehen, verfielen die Freunde wieder ins Gespräch, während sie die Bibliothek verließen und sich zur Tür begaben. Sie redeten über die Wochenendpläne und machten sich über Rons Angst vor dem Besuch im Fuchsbau lustig. Beim letzten Mal hatte er den Fehler gemacht, Mollys Gemüsepastete zu kritisieren und fürchtete nun, dass sie es ihm immer noch übel nehmen könnte. Ron und Hermine zogen gerade in der Eingangshalle ihre Jacken an, als Ginny noch etwas einfiel. Leise flüsterte sie, um Walburga Black in ihrem Gemälde nicht zu wecken: „Luna ist wieder in der Stadt. Sollen wir uns am Freitag mit ihr und Neville im Tropfenden Kessel treffen?“ Um keine Geräusche zu machen, grinsten die anderen lediglich zur Bestätigung und nickten.
 

~~*~~
 

Der Körper unter Ginnys Arm zuckte heftig und ein lautes Keuchen durchbrach die Stille. Ginny machte die Augen auf und strich kurz beruhigend über Harrys Arm. Sie hob den Kopf von seiner Brust und schaute ihn an. Harry war wach, schloss aber für einen Moment erschöpft die Augen. Dann schlug er sie auf und suchte den Blick seiner Freundin in der Dunkelheit. Das durch das Fenster einfallende Licht der Straßenlaterne schimmerte in ihren Augen. „Dumbledore.“

Ginny nickte. Er musste nichts weiter sagen. Sie strich ihm liebevoll über die Wange. „Versuch wieder zu schlafen! Ich bleib solange wach.“

Harry lächelte dankbar und schloss die Augen mit einem Seufzen. Ginny legte ihren Kopf auf ihren angewinkelten Arm und strich mit der anderen Hand verträumt die Konturen von Harrys Gesicht nach.
 

Ein letztes Mal durchbrach Harry die Stille: „Ich fand es sehr schön heute Abend.“

„Ich weiß.“
 

Mit einem Lächeln im Gesicht schlief Harry ein.

IV - Dezember 2000

Dezember 2000.
 

Die Lautstärke im Tropfenden Kessel war ohrenbetäubend. Ein allgemeines und unverständliches Stimmengewirr erfüllte die Luft wie eine zähe Kaugummimasse, durch die man sich mühsam drängen musste, um das eigene Gegenüber verstehen zu können. Luna ließ verspielt das Wasser der Kondenswasserkreise, die sich von den vielen Butterbierkrügen auf dem Tisch gesammelt hatten, mit einem Schwenk ihres Zauberstabes emporsteigen und verrückte Salti schlagen. Währenddessen erzählte Harry unter Lachtränen und einigem Glucksen, wie Ron im Aurorenbüro aus Versehen ein Packet für die Fluchbrecherabteilung geöffnet hatte.

„Und heraus sprangen zehn total durchgedrehte verzauberte Spielzeugautos, die wie wild gewordene Mäuse durch das gesamte Büro sausten. Ron stürzte sich mit hochrotem Kopf auf die Autos, um sie wieder einzufangen und… und… Verzeihung, ich krieg mich gleich wieder“, Harry musste sich unterbrechen und hielt sich lachend und stöhnend zugleich den Bauch. Den Umsitzenden erging es nicht besser. Alle hatten ein breites Grinsen im Gesicht und warfen abwechselnd Harry und Ron einen Blick zu. Letzterer hatte – knallrot wie eine Tomate – bereits sein Gesicht in den Händen vergraben. Er wusste, dass er Harry nicht aufhalten konnte, die Geschichte fertig zu erzählen, also ließ er es über sich ergehen.

„Er warf sich also bäuchlings zwischen die Schreibtische auf den Boden und versuchte, diese Spielzeugautos zu ergreifen. Es war zum Schießen!! Das hättet ihr sehen müssen! Und statt einfach einen Zauber zu sprechen, kroch er dort über den Boden und murmelte die ganze Zeit ‚Ich hab‘ sie gleich, ich hab‘ sie gleich‘. Und dann geschah das Beste:“, er pausierte kurz, um die Spannung zu steigern und warf jedem in der Runde einen kurzen Blick zu, „die Autos verbündeten sich gegen Ron!! Sie sammelten sich unter einem Schreibtisch, formierten sich und rückten in Reih und Glied mit heulendem Motor aus. Sie umkreisten den am Boden sitzenden Ron und ließen die Scheinwerfer bedrohlich aufflackern. Es war irre! Und wie auf Kommando rasten sie auf ihn zu – Ron erlitt fast einen Herzinfarkt. – Ja, Ron, tu nicht so – du hättest dein Gesicht sehen müssen! – Aber schlussendlich stießen sie lediglich leicht gegen seine Oberschenkel. Ron nahm das leere Paket und pflückte die Autos, die immer noch versuchten, ihn zu überfahren, wie Erdbeeren vom Boden. Wirklich – mit Abstand das Beste, was in letzter Zeit bei uns passiert ist.“ Mit einem fetten Grinsen schloss Harry seinen Bericht, wischte sich in seinem Stuhl zurücklehnend eine letzte Lachträne aus dem Augenwinkel und warf Ron einen amüsierten Blick zu. „Sorry, ich musste das einfach den anderen erzählen!“ Reihum applaudierten die Freunde Ron zu. „Bravo, Ron! Den Autos hast du es aber gezeigt!“, witzelte Ginny und auch Luna musste verschmitzt lächeln.

Ron zuckte mit den Schultern. „Ich war halt in Panik geraten…“, murmelte er. Neville, der neben ihm saß, klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter. „Mach dir nichts draus – mir passieren so Dinge doch schon seit ich denken kann! Es ist nur gut, dass ich nicht mehr im Aurorenbüro bin. Ich hätte es wahrscheinlich geschafft, mich von den Autos tatsächlich überfahren zu lassen…“ Darüber musste auch Ron jetzt lachen und ließ sich etwas aufmuntern.

Hermine ergriff die Gelegenheit. „Ja, genau: Neville, wie läuft es denn im Gewächshaus des St. Mungos? Gefällt es dir dort?“

Neville bekam leuchtende Augen und begann, von seiner neuen Arbeit zu erzählen. Die Freunde merkten, wie er darin aufging, weil er seine Leidenschaft endlich auch mit seinem Beruf verbinden konnte. Gemeinsam mit anderen Experten züchtete er neue Heilpflanzen und arbeitete eng mit den Heiltrankmischern des St. Mungos zusammen, um neue Heilmethoden zu entwickeln. Gerade, als er seine Erzählung vom Versuch einer neuen Züchtung beendet hatte, erschien George am Tisch, der frischen Schnee von seinem Tweedmantel klopfte. Eine allgemeine Begeisterung brach am Tisch aus und die Gruppe begrüßte ihn johlend. George schnappte sich einen Stuhl vom Nachbartisch und setzte sich rittlings darauf. Mit einem kurzen Pfiff und einer wilden Handbewegung bestellte er für die ganze Runde neue Butterbiere – ohne darauf zu achten, dass manche noch genug in ihrem Krug hatten. „Heute war ein guter Tag. Die Vorweihnachtszeit ist meine Lieblingsjahreszeit. Das Geschäft läuft wie am Schnürchen – das muss gefeiert werden!“, verkündete er und grinste in die Runde.

Die Gespräche hatten sich etwas verteilt, als Hannah Abbott kam und die Bestellungen verteilte. Harry beglückwünschte sie dazu, dass der Tropfende Kessel schon seit Monaten gut besucht war und wohl gut zu laufen schien. Seitdem sie den Pub übernommen hatte, hatte sie der Kneipe wortwörtlich einen neuen Anstrich gegeben, sodass sie keinerlei Ähnlichkeiten zu der dunklen und schwach besuchten Spelunke aus ihrer Schulzeit aufwies. Hannah bedankte sich, strahlte in die Runde und erlaubte sich trotz des Hochbetriebs, mit ihren ehemaligen Schulkameraden etwas in Erinnerungen zu schwelgen. Luna beobachtete dabei, wie Neville während des Gesprächs mit Hannah nervös wurde und förmlich an Hannahs Lippen zu kleben schien. Nachdenklich ließ sie den Blick zwischen Neville und Hannah hin und hergleiten, bis sie schließlich in ihrer verträumten Art und Weise das Wort an Hannah richtete und diese in ihren Erzählungen unterbrach: „Hannah, wusstest du, dass Neville seit einiger Zeit im Gewächshaus des St. Mungos arbeitet? Vielleicht kann er dir bei deiner kränkelnden Baldringageranie dort hinten helfen. Das würde er garantiert gerne tun, oder nicht, Neville?“ Alle Blicke richteten sich auf Neville, der etwas verloren dasaß und nicht wusste, wie ihm geschah. Ginny schaltete sofort und nickte wild. „Ja, genau! Neville hat mir auch schon einmal Tipps bei meiner Pflanzenpflege gegeben – ohne ihn wären all meine Pflanzen längst ersoffen.“

Ehe Neville schüchtern eine halbe Zusage stammeln konnte, nachdem Hannah sich tatsächlich dankbar für Hilfe gezeigt hatte, stand Luna auf, zog Neville von der Bank und schob ihn auf Hannah zu. „Na los, schaut sie euch direkt an! Wir sind ja nicht jeden Tag hier – vielleicht wäre es morgen schon zu spät für die arme Pflanze!“

Neville folgte Hannah etwas bedröppelt und schien zunächst noch zu verlegen, um ein Wort herauszubekommen. George schüttelte schon den Kopf und wettete gegen Ron mit zehn Sickel darauf, dass Neville das Gespräch in den Sand setzen würde. Doch plötzlich konnten die Freunde beobachten, wie Neville bei der Pflanze angekommen aufblühte, Hannah selbstsicher gegenüberstand und mit ihr ein angeregtes Gespräch führte – und so schnell wohl nicht wiederkommen würde. Die zurückgebliebene Runde grinste sich vielsagend an – nur George schob Ron widerwillig zehn Sickel zu. Harry lachte. „Mann, Luna, was du immer siehst, was uns anderen entgeht!“ Darauf stießen sie an und verbrachten den Abend noch lange in fröhlicher Runde, wobei einiges Butterbier und der ein oder andere Feuerwhiskey floss.

Ginny bekam ein wohliges Gefühl, während sie Harry in so ausgelassener Stimmung sah. Ein so unbeschwertes Erlebnis wie an diesem Abend hatte sie sich schon lange wieder für ihn gewünscht. Erleichtert atmete sie auf und sie merkte, dass auch ihr nun etwas leichter ums Herz wurde.
 

Als es später wurde, verabschiedeten sich Harry und Ginny von den Freunden. Ron versuchte inzwischen, Neville lallend Liebestipps zu geben, während George im Begriff war, gegen Luna im Armdrücken zu verlieren, weil Hermine ihr heimlich unterm Tisch mit dem Zauberstab half. Lachend über dieses doch recht absurde Bild machten sich Harry und Ginny auf den Weg zum Ausgang. Harry war heiterer Stimmung und sagte noch zu seiner Freundin, dass es schön gewesen sei, so entspannt den Abend zu verbringen, als er aus der Menschenmenge im Pub etwas vernahm: „Da ist er! Da ist Harry Potter!“ Augenblicklich ertönte ein Jubel und die Pubbesucher klatschten Harry begeistert entgegen. Harry, der bereits mit dem Rücken zum Schankraum stand, blieb erstarrt stehen. Das Rauschen des Applauses drang an seine Ohren und schien sich wie ein Echo in seinem Kopf von einem Ohr zum anderen zu werfen und in chaotischen Wirbeln zu überschlagen, immer schneller, lauter und erdrückender werdend. Ohne es beeinflussen zu können, blitzten Bilder vor seinem inneren Auge auf, verbunden mit einem tiefen Bedürfnis zu flüchten, aber auch mit dem Gefühl einer Starre und Hilflosigkeit, die er nicht zu kontrollieren vermochte.

Da bemerkte er Ginnys beruhigende Hand auf seinem Rücken, die ihn wie ein Rettungsring aus dem Strudel seiner Gefühle ins Hier und Jetzt zurückzog. Er atmete kurz durch, rang sich ein Lächeln ab, nickte kurz der jubelnden Masse zu und verließ dann zügig den Tropfenden Kessel. Während er mit Ginny nach Hause apparierte, dröhnte der brausende Applaus noch in seinen Ohren. Er freute sich auf die Stille seines Schlafzimmers. Mit den verschlossenen Fenstern.



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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Von:  Lady_Ocean
2020-10-01T04:57:50+00:00 01.10.2020 06:57
Ich hab die FF durch das neue Kapitel gerade entdeckt. Ist eine schöne Idee und sehr realistisch, dass vor allem Harry nach all dem, was er durchmachen musste, mit der Verarbeitung ganz schön zu kämpfen hat. PTBS wahrscheinlich, oder? Ich bin gespannt, wie du den Verarbeitungsprozess darstellst.
Von:  Sanguisdeci
2020-09-30T06:18:22+00:00 30.09.2020 08:18
Ja, es gibt noch leser ;-)

Ein sehr schönes Kapitel!
Antwort von:  Roter_Panda
30.09.2020 15:42
Oh, wie toll! Danke für die Rückmeldung! :)
Von:  Sayamilana
2017-08-31T11:00:54+00:00 31.08.2017 13:00
Allerliebste Kollegin,
du hast wirklich einen sehr schönen und malerischen Schreibstil - beinahe bildhaft. Die Situationen wirken echt und ungekünstelt und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das Leben der Charaktere nach dem Krieg so verläuft. Großes Lob! ;)

Antwort von:  Roter_Panda
31.08.2017 20:21
Vielen herzlichen Dank! Das freut mich wirklich zu hören! ^^


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