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Paint it - Black!

KuroKen
von

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1. Kapitel

I see your red door... and I want it painted black...

No colours anymore... I want them to turn black~
 


 

✁----------------------------------------------------------------------
 

Kenma liebte den Geruch, den seine Mutter verströmte. Schon als kleines Kind hatte er nichts beruhigender gefunden als diesen unvergleichlichen Duft nach Lavendel, Rosmarin und Rosenblüten der sie umhüllte und ihm ein warmes und geborgenes Gefühl gab.

Sie war eine schöne Frau, schön und klug.
 

Er hatte es nie hinterfragt, warum er keinen Vater besaß. Er hatte auch nie hinterfragt, warum sie so abgeschieden lebten – hier draußen, mitten im Nirgendwo, versteckt zwischen den hohen Tannen und Fichten die der Wald beherbergte und wo sich niemals jemand hin wagte. Nein, sie würde es ihm eines Tages von selbst sagen. Außerdem: Warum sollte er es auch hinterfragen? Hier, inmitten der wunderschönen Stille des Waldes und der Geborgenheit des kleinen Hauses war er groß geworden – er wollte gar nicht woanders wohnen.

Und trotzdem, als er zehn wurde hatte sie es ihm erzählt.

Alles.

Woher er stammte.

Wer sein Vater war.

Was mit ihnen passieren würde, wenn man sie finden würde.
 

„Weißt du Kenma,“, fing die blonde Frau an, während sie an diesem Abend sanft durch seine schulterlangen, blonden Haare fuhr und eine Strähne abtrennte, deren Spitzen sie um einiges mit der scharfen Schere in ihrer Hand kürzte, „es ist an der Zeit, dass du erfährst, wer wir sind.“

Verwirrt hatte der kleine Junge geblinzelt und etwas den Kopf gehoben, sodass er jetzt nicht mehr in die prasselnden Flammen in der dafür vorgesehenen Feuerstelle blickte sondern in das schöne Gesicht der Frau.
 

„Wer wir sind?“, hatte er neugierig nachgefragt und dafür ein liebevolles Lächeln geerntet, während seine Mutter nickte und seinen Kopf wieder gerade richtete. Aufgeregt zog Kenma die Knie an und wartete, bis seine Mutter erneut zu sprechen begann.
 

„Wir sind keine normalen Menschen, Liebes. Wir sind… besonders. Darum müssen wir uns auch immer gut verstecken und dürfen mit niemanden reden.“
 

Kenma schluckte nervös.

Besonders?

Was meinte seine Mutter damit?

Liebevoll strich diese ihrem Sprössling über den Kopf und betrachtete den dunklen Ansatz, der sich erst ein Stück weiter unten in seine goldene Haarpracht verwandelte. Ein Stich durchstieß ihr Herz als sie daran dachte, warum ihr Kind diese offensichtliche Schande trug. Sie hatte gelogen… ja, sie waren anders. Aber Kenma war es sogar noch mehr, als er dachte.

Es kostete sie Kraft, ihrem Sohn die ganze Wahrheit zu erzählen:
 

„Einst gab es in unserem Land mehrere Königshäuser, die sich die Fläche teilten und ihr Volk gut behandelten. Jahrelang trübte nichts den Frieden, bis…“ Ihre Stimme brach kurz ab, schnell schluckte sie und begann mit zitternden Fingern, ihre Arbeit wieder aufzunehmen und die Haare ihres Kindes zu schneiden. „bis eines Tages die Dämonen aus der Hölle aufstiegen. Es war grausam. Sie mordeten, sie plünderten, sie zerschlugen das Volk und trieben die Häuser in einen Twist. Mehrere der Königshäuser versuchten vergeblich, sich gegen die Dämonen zu verteidigen, doch es hatte keinen Zweck: Eben diese Häuser wurden bis zum letzten Kind ausgelöscht. Andere beschlossen, sich dem Dämonenkönig anzuschließen. Es war furchtbar, man konnte niemanden mehr auf der Straße trauen…“
 

Gebannt lauschte der Kleine den Worten seiner Mutter.

Dämonen?? Vage erinnerte er sich daran, über diese Klasse einmal etwas gelesen zu haben… die zahlreichen Lexika in dem Bücherregal, das schief zusammen gezimmert an einer ihrer Hauswände lehnte, waren treue Begleiter und hatten ihm schon den einen oder anderen Anstoß gegeben, sich diese Welt vielleicht doch einmal genauer anzusehen.
 

„Nur wenige der Königshäuser schafften es, sich in ein gesichertes Gebiet zurück zu ziehen und sich dort zu einer Allianz zusammen zu schließen, doch der Kampf war noch lange nicht vorbei. Und er ist es noch immer nicht, der Dämonenkönig ist ein grausames Wesen… keiner weiß, warum, aber er hat es sich zum Ziel gesetzt, diese Welt den letzten Stoß zu geben und sie dem Erdboden gleich zu machen. Und darum kämpfen bis heute die Menschen und die Dämonen um das letzte sichere Gebiet.“
 

Die blonde Frau legte eine Pause ein und überprüfte ihr bisheriges Werk, bevor sie zu dem hölzernen Kamm griff und vorsichtig durch die Haare ihres Kindes damit fuhr. Kenma hatte bis jetzt stumm zugehört, doch eine Frage konnte er sich nicht verkneifen:
 

„Mama... ist das der Grund, warum wir hier alleine wohnen?“
 

„Nicht ganz, mein Engel… Zum einen ja, hier, versteckt zwischen den uralten Bäumen, findet uns niemand… findet dich niemand.“
 

Überrascht blinzelte der Junge und drehte sich zu seiner Mutter um. Mit Entsetzen stellte er fest, dass diese zu weinen begonnen hatte, ihr Lächeln war so traurig geworden wie er es noch nie an ihr gesehen hatte.
 

„Weißt du Kenma… unter den Menschen gab es früher eine ganz besondere Art… Einer der Könige verglich sie einmal mit rettenden Engeln, die die Götter geschickt haben um ihre Kinder zu beschützen und alles Unheil abzuwenden. Es gibt wie du weißt vier Elemente: Wasser, Feuer, Erde und Luft. Doch diesen… besonderen Menschen ist ein weiteres Element geschenkt worden: Akasha oder auch Äther genannt. Dieses Element ermöglicht den besonderen Menschen, Wunden zu heilen und alle, die ihnen wichtig sind, zu schützen. Der Volksmund nannte sie Heiler, doch die Königshäuser gaben ihnen den Namen Weissmagier.“
 

Kenmas Mund stand mittlerweile weit offen. Irgendwo erahnte der Junge, worauf seine Mutter hinaus wollte doch irgendwas in ihm sagte ihm, dass noch mehr dahinter steckte…

Seine Mutter legte den Kamm nun ganz zur Seite und zog ihr Kind auf ihren Schoß, sodass sie nun zu zweit eng aneinander geschmiegt auf dem weichen Wolfspelz saßen, den sie vor der Feuerstelle ausgebreitet hatte, damit er die abgeschnittenen Haare von den Holzdielen fern hielt und sie ihn nachher nur vor der Tür auszuschütteln brauchte.
 

„Diese Weissmagier wahren im ganzen Land verstreut, doch man konnte sie leicht erkennen: Himmelblaue Augen und blonde Haare, zierliche Gestalten, weiße Haut und eine hell leuchtende Aura, was ihnen auch den Spitznamen Engel eingebracht hatte. Die meisten von ihnen stammten aus einem uralten Geschlecht, das eng mit einem Tierzeichen verbunden war, aus diesem sie ihre Kraft schöpften. Diese Kraft ist die Grundlage ihrer Existenz, denn sie fließt mit dem Äther zusammen und lässt sie diese unglaublichen Dinge tun. Keine Krankheit brach dank ihnen mehr aus, die Pest wurde vollkommen von ihnen eliminiert. Doch auch unter ihnen gab es gewisse Regeln, die man nicht brechen durfte… so war es ihnen nicht gestattet, die Blutlinie zu durchbrechen, die ihnen vorliegt. Aber eines Tages erkannte der Dämonenkönig, dass er die Menschen nur dann vernichten konnte, wenn er eben diese Blutlinien auslöscht… keine Nachkommen bei den Weissmagiern bedeutet, keine Heiler mehr die das Volk durch ihre Anwesenheit beruhigen und mit ihren Kräften unterstützen konnten. Also sprach er ein Kopfgeld auf sie aus… er bedachte jedoch nicht, dass manche seiner Handlanger nicht wirklich sauber ihre Arbeit ausführten.“
 

Kenmas Blick war immer ungläubiger geworden. Was auch immer seine Mutter ihm gerade versuchte klar zu machen, er konnte es nicht so ganz wahr haben, bis sie es schließlich deutlich aussprach:
 

„Kenma, du und ich, wir sind die wenigen Überlebenden von dieser Jagd. Und das auch nur, weil sich die Schergen des Dämonenkönigs getäuscht hatten, als sie mich für tot erklärten und geschändet und blutend in den Trümmern meines Heimatdorfes liegen ließen. Ich habe es nur mit viel Kraft geschafft, mich selbst zu heilen und mich an den nächsten Fluss zu schleppen, in deren Fluten ich mich warf. Ich wusste, dass ich mich komplett auslöschen musste, um noch einmal neu anfangen zu können. Nach einigen Tagen wurde ich an die Ufer eines Sandbeckens gespült und konnte mich dort an Land ziehen. Ich habe neue Energie gesammelt und mich mit den wenigen Habseligkeiten, die ich retten konnte, hier her geflohen, hier ein Haus, eine Existenz aufgebaut – und neun Monate später dich zur Welt gebracht… mein Schatz, verstehst du was ich dir sagen will?“
 

„Das ich ein Bastard bin.“
 

Kenma hatte diese Worte schneller gesagt, als er es eigentlich wollte. Mit Tränen in den goldgelben Augen blickte er in das erschrockene Gesicht seiner Mutter, die sich eine Hand auf den Mund presste und diese erst langsam sinken ließ als sie den Schmerz in den Augen des Kindes erblickte. Sie bereute es augenblicklich, ihm alles erzählt zu haben.

Liebevoll zog sie das zitternde Kind an ihre Brust und strich ihm über den dunklen Ansatz.
 

„Nein, sowas darfst du nicht sagen! Du bist ein Geschenk, das einzig Gute was mir jemals wiederfahren ist, Kenma! Aber verstehst du: Wenn die Menschen und vor allem die Dämonen von unserer Existenz - nein, von deiner Existenz erfahren… sie werden dich suchen und versuchen zu einem der ihren zu machen – egal ob freiwillig oder unter Zwang! Und das lasse ich nicht zu, verstehst du das? Ich werde dich immer beschützen!“
 

Mittlerweile liefen dem Jungen die Tränen über das Gesicht, schluchzend krallte er sich an die weiße Robe seiner Mutter und weinte so lange, bis er zu erschöpft war, um auch nur eine weitere Träne zu vergießen. Er ließ zu, dass sie ihn vorsichtig hochhob und auf das Nachtlager legte, dass sie gemeinsam bezogen. Doch während sein Geist in den Halbschlaf dämmerte wusste er, dass er niemals mehr so sein konnte wie zuvor.

Sämtliche Unbeschwertheit war von dem unschuldigen Jungen gefallen, als ihm erneut bewusst wurde, was er war…
 

Ich bin ein Dämon.

 

 

 

~*~
 

Seit diesem Abend waren bereits acht Jahre vergangen und aus dem unschuldigen Jungen war ein zierlicher, junger Mann geworden, der sich mit seinem Schicksal abgefunden hatte. Seine Mutter unterrichtete ihn nach dieser Nacht in allem, was sie von ihrer Familie gelernt hatte, bevor diese ausgelöscht worden war. Schon bald kannte er jede Pflanze und ihre Bedeutung, ebenso wie er lernte ihre Kräfte zu nutzen. Und auch seine eigenen lernte er hervor zu holen und zu gebrauchen – die positiven wie auch die negativen.

Seine dämonische Herkunft erlaubte es ihm, den Äther auch etwas… abzuwandeln. So konnte er ihn zum heilen ebenso wie für die Jagd benutzen, er verschnellerte seine Pfeile, verbesserte seine Treffsicherheit und vergrößerte seine Kraft - und ließ ihn unglaublich schnell rennen. Ein einfacher Stups von ihm konnte einem ganzen Baum seine Lebenskraft entziehen wenn er es wollte.

Es war anfangs schockierend doch er lernte, damit umzugehen und zu leben. Außerdem mochte er es, wenn seine Mutter ihn mit wachsendem Stolz betrachtete, denn tief in ihm hatte er immer noch Angst, dass sie ihn hassen könnte für das, was er war… nämlich die Ausgeburt der Schändung, die ihr die Schergen des Dämonenkönigs angetan hatten.

Doch diese unglaubliche Frau hätte ihn niemals als so etwas angesehen, für sie war er das größte Geschenk auf diesem Planeten und nichts in der Welt konnte ihr diesen entreißen.

Nichts…
 

Das dachte sie zumindest…
 

Es war ein lauter Sommerabend, als sich die Veränderung ankündigte. Kenma war gerade damit beschäftigt, die langen, goldenen Locken seiner Mutter zu kämmen, als ein bedrohliches Rauschen durch die Bäume glitt, und ein scharfer, stechender Wind die beiden Gestalten traf, die vor dem kleinen Haus im Gras saßen. Seine Mutter spannte sich sofort an, während er den Kamm senkte und verwirrt zu den Baumwipfeln hoch blickte. Die untergehende Sonne hatte den Himmel blutrot gefärbt. Dem Rauschen folgte ein Knarren, unheilverkündend bogen sich einige der Bäume. Der blonde Junge wusste nicht, warum aber er spürte, das etwas näher kam… etwas gefährliches.
 

„Kenma, geh nach drinnen und pack deine Sachen. Sofort!“
 

Die Panik, die in ihrer Stimme mitschwang, war ansteckend. Ohne zu fragen warum stand der Blonde auf und sprintete in das Gebäude, riss seinen weißen Mantel mit den goldenen Ornamenten von der Wand und warf es sich über sein schwarzes Hemd und die kurze, schwarze Hose. Dann zog er seine Jagdstiefel aus und ersetzte sie durch ein zweites Paar, die wesentlich höher gingen und mit goldenen Verzierungen versehen waren. Danach holte er die lederne Umhängetasche unter dem kleinen Küchenregal hervor und warf einen Leib Brot und einige eingewickelte Trockenfleischstreifen hinein, gefolgt von mehreren Kräutern, einem halben Laib Käse den seine Mutter selbst mit der Milch ihrer Ziege – der einzige Luxus, den sie besaßen und die in einem kleinen Verschlag neben dem Hauptgebäude zusammen mit einer Schimmelstute lebte – gemacht hatte und einen Zerstäuber zusammen mit der passenden Stoßschüssel. Dann zog er noch zwei Bücher hervor, eines war ein dicker Band indem sich sämtliche Rezepte für Kräutertränge und Geheimnisse über die Weissmagier befanden und das schon seit Urzeiten in Familienbesitz war, das andere ein Lexika, und versenkte sie in der Tasche, bevor er diese verschloss. Schnell rollte er eine der dünnen Baumwolldecken zusammen und steckte sie zwischen die Lederriemen, die sich ganz vorne an der Tasche befanden, um sie nicht zu verlieren. Seinen Bogen und einen Köcher voller Pfeile befestigte er ebenfalls an dem zweiten Paar Riemen über denen der Decke, darauf bedacht den Köcher so zu verschließen, dass keiner der wertvollen Pfeile verloren gehen konnte. Zu Letzt hängte er sich den Wasserbeutel um. Gerade als er sich zur Tür drehen wollte rauschte seine Mutter durch diese.
 

„Mama, was-“
 

Doch ohne ihren Sohn aussprechen zu lassen riss die Frau den gekrümmten Stab, der über ihrer Feuerstelle hing, aus seiner Halterung und drückte ihn ihrem Sohn in die Hände. Ihre Augen waren weit aufgerissen und ihr ganzer Körper zitterte vor Angst.

Kenma erging es nicht anders, nichtsdestotrotz starrte er mit großen Augen auf das wertvolle Stück Holz in seiner Hand. Der Stab hatte mehrere Windungen, die sich oben schließlich zu einem katzenähnlichen Kopf verbanden, der mit goldenen Runen versehen war – unglaubliche Kraft ging von ihm aus, das konnte der Junge spüren.

Der Stab war der ganze Stolz ihres Geschlechts, er schützte ihre Familie seit Jahrhunderten und gab ihnen die Kraft, aus der ihr Können hervor schlug.

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren packte die blonde Frau ihren Sohn an dem weitläufigen Ärmel und zerrte ihn aus der Hütte. Kenma stolperte fast über die Stufen, nur am Rande realisierte er, dass seine Mutter in der Zeit in der er gepackt hatte die Schimmelstute gesattelt und aufgezäumt hatte. Erst als sie ihn in ihre Richtung drückte, realisierte er, was sie wollte.
 

„Mama, ich geh nicht ohne dich!! Das-“
 

Erneut ließ sie ihn nicht ausreden, stattdessen legte sie beide Hände an seine Wangen und drehte das Gesicht ihres Kindes so, dass er sie ansehen konnte.

Ihre Stimme zitterte, als sie zu sprechen begann.
 

„Kenma, hör mir gut zu. Du setzt dich jetzt auf Saphira und verlässt sofort dieses Gebiet. Sprich mit niemanden, bleib von der Straße fern und achte darauf, dass dich niemand bemerkt, hast du verstanden? Du bist alleine… schneller unterwegs. Sie- nein, ER darf dich niemals finden! Wir sind die letzten der Weisen, wenn er uns beide in die Hände bekommt… flieh! JETZT!“
 

Ihre Stimme hallte schrill in seinen Ohren wieder, ohne lange zu überlegen schloss er seine Mutter in seine Arme und atmete ein letztes Mal den Geruch nach Lavendel und Rosenblüten ein, dann stieg er auf den nervös tänzelnden Schimmel und drückte ihr seine Fersen in die Flanken. Die Stute schoss wie ein losgelassener Pfeil vorwärts, zwischen den Bäumen entlang, als wäre ein Feuerwall direkt hinter ihr. Die Tränen, die dem Jungen über das Gesicht liefen, wurden vom Wind verzogen als er mit wehendem Umhang durch den dunklen Wald preschte und schließlich aus diesem heraus schoss, geradewegs über die mit Wiesen übersäte Ebene. Nicht ein einziges Mal drosselte er das Tempo des wild gewordenen Pferdes, nicht einmal dann, als diese über einen der Grenzzäune hinweg setzte und genau auf die Berge zuschoss, die er sonst nur ab und zu zwischen den Baumwipfeln heraus gesehen hatte wenn er mal wieder am Klettern gewesen war.

Sein einziger Gedanke galt, den Wunsch seiner Mutter umzusetzen und zu fliehen – er wusste, dass er sie nie mehr sehen würde.
 

Gemächlich, schon fast als hätte er es nicht eilig, näherte sich eine großgewachsene Gestalt der kleinen Lichtung, auf der das gemütliche Haus der Magierin lag. Der laue Abendwind fuhr unter den blutroten Umhang und ließ diesen kurz aufwehen, bevor er sich wieder an die in schwarz gekleidete Gestalt schmiegte. Diese blieb stehen und stemmte eine Hand in die Hüfte, um einen genervten Laut von sich zu geben.

Diese dämliche Idiotin, wenigstens etwas weniger weg vom Arsch der Welt hätte sie sich schon verkriechen können. Und wieder einmal blieb das Aufräumen an ihm hängen.

Mit einem missmutigen Murren setzte sich der Mann wieder in Bewegung, ohne einen Umweg zu nehmen trat er an die Tür des Gebäudes heran und trat diese mit einem gezielten Tritt ein. Das Splittern des Holzes vermischte sich mit einem erschrockenen hellen Aufschrei und verursachte bei dem Mann ein kurzes Schmunzeln. Langsam trat er durch den Durchgang, den er sich verschafft hatte, in die gemütliche Wohnstube.

Sie hatte sich neben der halb erloschenen Feuerstelle zusammen gekauert, ihre blauen Augen blickten voller Angst zu ihm hinauf und Tränen liefen über das hübsche Gesicht, bevor sie in den goldenen Locken versanken, die über ihre Schultern nach vorne gingen. Abschätzend musterte er die Inneneinrichtung – gewöhnliche, hässliche Möbel die sie wohl von selbst zusammen gezimmert hatte – und bewegte sich langsam durch den Raum, bis er schließlich genau in dessen Mitte stand. Langsam hob er eine Hand und streifte sich die rote Kapuze seines Umhanges hinunter, dessen Ärmel dabei kurzzeitig nach oben rutschte.

Schwarze Haare, zwischen deren zwei hellgraue, kurze Hörner hervor standen, schmückten seinen Kopf. Seine tiefroten Augen wanderten zu dem Schlafplatz des Hauses, an dem eine Decke fehlte. Innerlich begann es in ihm zu brodeln.
 

„Wo ist er?“
 

Die stechend scharfe Stimme des Dämons zerschnitt die Stille wie ein Blatt Papier und ließ erneut die Frau vor Angst erzittern. Doch sie schwieg.

Gemächlich bewegte sich der Dämon auf sie zu, ging vor ihr in die Hocke und strich eine ihrer goldenen Locken aus ihrem Gesicht, ein freundliches Lächeln auf den Lippen.

Dann schlug er zu.

Ihr Schmerzensschrei klang so mitleidserregend dass er schon fast lachen wollte – es war jämmerlich und belustigend zugleich wie sie eine Hand auf die schmerzende Gesichtshälfte legte und allem Anschein nach versuchte, mit der Wand hinter ihr zu verschmelzen. Langsam richtete er sich wieder auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Der Feuerschein fing sich kurz in der goldenen Verzierung, die an seinem Kragen und am Rand der schwarzen Jacke entlang liefen und gaben seinem Aussehen etwas Mächtiges. Die Frau wusste, dass vor ihr kein gewöhnlicher Dämon stand, nein, es war jemand, der dem König Nahe stand, was bedeuten musste, das sie…
 

„Ihr bekommt ihn nicht. Niemals!“
 

Ihre Stimme zitterte genauso wie ihr ganzer Körper es tat, doch es lag tiefe Überzeugung in ihr, was der Dämon ihr hoch anrechnete – immerhin, sie hatte Mumm, das musste man dem Weibsbild lassen. Trotzdem, er hatte eine Aufgabe, und die würde er auch erfüllen. Gemächlich nickte er dem niedriger gestellten Dämon, der im Türrahmen stand zu und gab ihm somit den Befehl, auf den er gewartet hatte und den er nun laut in ihrer Sprache nach draußen brüllte. Dann wendete er sich wieder der Frau zu, die er am Unterarm packte und somit auf ihre Beine zwang. Schelmisch zwinkerte er der Blonden zu, bevor er sie in die Richtung der Tür schubste und sie nach draußen in die kalte Nacht zwang. Auf der Lichtung angekommen packte er sie an ihren goldenen Locken und zog sie so nahe heran, dass er jede einzelne Ader in den hellblauen Augen erkennen konnte.
 

„Ich verrate dir jetzt mal zwei Sachen, Weib: Erstens, du wirst hier sterben. Und ich werde dafür sorgen, dass du dieses Mal wirklich tot bist. Und zweitens, ich werde dein verdammtes Balg durch das ganze Reich jagen wenn es sein muss und irgendwann werde ich ihn bekommen. Und weißt du auch warum? Weil er nirgendwo hin fliehen kann, niemand wird einem verdammten Halbdämon helfen. Und wenn ich ihn habe, dann wird der kleine Bastard dir ins Totenreich folgen. Freu dich, ihr seid bald wieder vereint, wie es sich für eine Familie gehört.“
 

Ihr jämmerliches Schluchzen ging in dem Lachen des Schwarzhaarigen unter.
 

Saphira konnte nicht mehr. Mit jedem Galoppschritt den sie tat konnte Kenma spüren, dass das Pferd kurz davor war, zusammen zu brechen. Sofort drosselte er das Tempo und ließ die Stute zum Stehen kommen, was sie mit Freude tat und erschöpft ihren schönen Kopf senkte. Ihr ganzer prachtvoller Körper zitterte und langsam ließ sich der Blonde von ihrem Rücken herunter gleiten um ihr beruhigend über die Flanke zu streichen. Sie waren mittlerweile an den Ausläufen der Berge angekommen, der Mond allein beschien die finsteren Riesen die sich vor ihm erhoben und eine Gänsehaut breitete sich auf seinen Armen aus. Langsam, ganz langsam drehte er sich um und blickte nach unten, hinunter auf die noch einmal ein Stück tiefer liegende Ebene. Der Wald lag weit hinter ihm, wie ein schlafender Bär erstreckte er sich inmitten der Wiesen. Nur ein kleiner, roter Lichtpunkt und aufsteigender Rauch durchbrachen die Schwärze seines Pelzes und lösten in dem Jungen eine solche Trauer aus, dass er sich zusammen reißen musste um nicht auf die Knie zu sinken und zu weinen.

Sie war tot, das wusste er.

Seine Mutter, die ihm, einen wertlosen Bastard, das Leben geschenkt hatte, hatte heute Nacht ihres verloren – für ihn.

Und das Einzige was er tun konnte war, ihren Wunsch umzusetzen und irgendwie zu überlebend. Langsam ergriff er erneut die Zügel und ging los, das müde Pferd gemächlich hinter sich her führend, auf den fast nicht sichtbaren Pfad zu, der ihn mitten in die Berge führen würde, weit weg von seiner Heimat.
 

„Meister Kuroo, sollten wir nicht langsam-?“

„Ich weiß was ich soll und was nicht, halt die Schnauze!“, fauchte der schwarzhaarige Dämon wütend den ihm unterstehenden Schergen an, der sofort seinen Kopf einzog und sich wieder nach hinten verkrümelte, zurück zu den anderen fünf, die er mitgenommen hatte. Missmutig starrte Kuroo erneut in die mittlerweile haushohen Flammen, die das Gebäude verschlangen. Der leblose Körper, der vor ihm lag, interessierte ihn schon lange nicht mehr. Trotz der Schmerzen, die er ihr verursacht hatte, hatte dieses verdammte Weib geschwiegen und kein einziges Detail ausgeplaudert, nur ein Name war immer und immer wieder gefallen aber besonders viel Nutzen konnte er aus diesem nicht ziehen. Seine angestaute Wut wurde schließlich so groß, dass er die Tote hoch hob und sie direkt in die Flammen warf, nur um dabei zuzusehen wie sich diese hungrig um den Körper schlossen und ihn schließlich unter einem herunterbrechenden Balken begruben.

Gut, wenigstens war sie jetzt wirklich mausetot.

Mit einer einzigen Bewegung wendete er dem Feuer den Rücken zu und ging an den ihm ausweichenden Schergen vorbei, zurück zu dem schwarzen Hengst, der ihn bis hierher getragen hatte. Liebevoll strich er dem Tier über die geblähten Nüstern, bevor er sich auf dessen Rücken schwang und ihn vorantrieb. Dass die Schergen verzweifelt versuchten ihm nach zu kommen bemerkte er ebenfalls nicht, viel zu sehr kreiste seine Gedanken um diesen Namen, den die blonde Frau immer und immer verzweifelt geschrien hatte und den sie ein letztes Mal flüsterte, bevor die schwarzen Flammen ihr Herz durchbohrten.
 

„Kenma, hm? Wir werden ja sehen, wie weit der kleine Bastard kommt…~“
 

Die Nacht verschlang die sechs davon preschenden Reiter, die sich auf den Weg zu ihrem König machten.

Zurück blieb nur ein Feuer, das bereits auf die Bäume des Waldes übersprang.

 

 

 

2. Kapitel

Er war wütend.

Auf sich selbst, auf das Weib, auf die unfähigen Rekruten, auf… auf alles und jeden.

Und eben weil er wütend war hatte er sich kurz nach seiner Ankunft an der schon fast schlossähnlichen Burg, die ihm eigentlich immer das Gefühl von Heimat und Freude vermittelte, in seine Gemächer zurück gezogen und weigerte sich seit zwei Tagen, diese zu verlassen. Genau einmal hatte er diese verlassen, um Oikawa einen kurzen Bericht von dem Auftrag zu erstatten.

Ja, das war kindisch, das wusste Kuroo. Aber sein Stolz war angeknackst, noch nie hatte er einen Befehl seines Königs so… ja, schon fast stümperhaft ausgeführt und war mit leeren Händen Heim gekehrt.
 

Kenma.
 

Das einzige was er herausgefunden hatte war der Name der kleinen Pest und dieser half ihm nicht wirklich weiter. Schon seit er aus seinem unruhigen Schlaf erwacht war und sich in dem riesigen, mit schwarzen, seidenen Vorhängen versehenen Himmelbett aufgesetzt hatte flog ihm der Name im Kopf herum und veranlasste ihn schließlich, es doch zu probieren – denn mehr als schief gehen konnte es nicht.

Und somit hatte er sich erhoben, auf halben Weg seine Beinbekleidung vom Boden gefischt und sich diese angelegt, nur um langsam auf den mit roten Samtpolstern bezogenen Stuhl zu gleiten und das Objekt seiner Begierde auf der Tischplatte näher an sich heran zu ziehen, nachdem er vorsorglich alle Bücher und wichtigen Dokumente aus der Bahn geschoben hatte. Schwarz-blauer Rauch waberte im Inneren der Glaskugel vor sich hin, die auf einer Art kleinem Podest stand. Schon fast liebevoll strich der schwarzhaarige Dämon über die glatte Oberfläche seines größten Schatzes und entfernte penibel ein paar Staubkörner die es gewagt hatten sich auf ihr abzusetzen, bevor er beide Hände vorsichtig über sie hob und die Augen schloss. Eigentlich brauchte er eine grobe Vorstellung von dem Aussehen und den Namen, wenn er eine Person aufspüren wollte, doch hier hieß es nun improvisieren. Langsam sortierte er seine Gedanken und ließ seinen Geist abschweifen, so lange bis sein Kopf leer war, einzig allein von dem einen Namen aufgefüllt. Es war anstrengend, sich nur auf die einzelnen Buchstaben zu konzentrieren, sie mit aller Kraft ins Gedächtnis zu rufen… langsam öffnete Kuroo die Augen.
 

Nichts.
 

Im Gegenteil, der Nebel im Inneren war sogar nur noch schwärzer geworden und zum Stillstand gekommen. Frustriert ließ er die Hände sinken und lehnte sich im Stuhl zurück. Das war doch einfach zum ausrasten…

Das laute Krachen, als die großen Türflügel zu seinem Schlafgemacht aufgestoßen wurden und gegen die Wand knallten, ließ ihn fast mitsamt dem Stuhl umfallen. Mit aufgerissenen Augen starrte er die großgewachsene Gestalt an, die mit ekelhaft guter Laune durch den weit geöffneten Eingang spazierte so als wäre es das absolut Alltäglichste was man um diese Gott verdammte Zeit tun konnte, ein breites Grinsen auf den schmalen Lippen. Die roten Augen blitzten schadenfroh auf, als sie Kuroo entdeckten, dessen Laune augenblicklich auf den Gefrierpunkt sank.

Auch das noch.
 

„Tsukki, was willst du?“
 

„Nichts. Mich nur unterhalten.“, flötete der blonde Dämon und ließ sich auf das ungemachte Bett fallen, bevor er die Beine überschlug und sich betont gelangweilt dem Anderen zuwendete. Seine zuckenden Mundwinkel verrieten ihn jedoch.

Es gab nicht viele Dämonen, mit denen Kuroo gut auskam – eigentlich konnte er sie an einer Hand abzählen – aber Tsukishima Kei zählte definitiv nicht zu diesen. Der großgewachsene Junge mit den kurzen, blonden Haaren, zwischen denen ein paar schmale, tiefschwarze Hörner hervor kamen und den schon fast ekelhaft perfekten Gesichtszügen war eine wandelnde Pestbeule, immer darauf versehen ihm eine rein zu würgen – und Kuroo wusste nicht einmal, was er ihm getan hatte dass er dessen Hass so sehr zu spüren bekam.

Sie konnten sich einfach beide nicht ausstehen.

Das war allerdings auch der Grund, warum der Sex mit dem Blonden so unheimlich gut war, aber Kuroo schob den Gedanken schnell wieder bei Seite, er hatte besseres zu tun und ihm war heute nicht danach. Er wendete den Blick von dem Blonden ab, der ihn amüsiert musterte und wendete sich wieder der Kugel zu, deren Inneres mittlerweile wieder normal geworden war.

Stille breitete sich in dem Raum aus, zumindest so lange, bis Kei wieder zu sprechen begann:
 

„Der König hat mir erzählt, du hättest versagt.“
 

Kuroo stöhnte innerlich auf. Wollte Oikawa ihn so bestrafen?! Wenn ja: Das war ihm definitiv gelungen! Wie konnte er ihm, einen seiner langwierigsten Freunde, so in den Rücken fallen?!
 

„Hab ich nicht.“
 

„Wo ist dann das Halbblut?“
 

„…“
 

Kuroo hüllte sich in Schweigen, konzentrierte sich angestrengt auf die Holzmusterung des schweren Ebenholztisches und wünschte dem Blonden sämtliche Krankheiten an den Hals, die ihm einfielen. Wie konnte man so ätzend sein!?

Doch dieser schien davon nichts mit zukriegen, betont gelangweilt zupfte er den langen, schwarzen Mantel zu recht den er trug und der, genau wie das Oberteil von Kuroo, mit verschiedenen goldenen Stickereien verziert war, die sich vor allem am Brustbereich zu einem wunderschönen Muster zusammen fanden. Seine Beine steckten in einer schwarzen Hose, die Füße waren in hohe Stiefel gehüllt. Er war hübsch, ja, aber das änderte nichts an seinem verdorbenen Charakter. Selbst für einen Dämon war er so abnormal Schadenfroh und nervtötend, dass fast niemand mit ihm auskam – die einzige Ausnahme war ein kleiner, unbedeutender Kammerdiener mit dem Namen Yamaguchi, und Kuroo fragte sich erneut, wie es dieser ruhige und eigentlich recht vernünftige Junge mit seinem Herrn aushielt. In einer einzigen fließenden Bewegung erhob sich der Blonde und trat an Kuroo heran, legte diesem gespielt mitleidig eine Hand auf die Schulter und beugte sich zu dessen Ohr hinab.
 

„Weißt du, Kuroo-San,“, flüsterte er mit gedämpfter Stimme und das so nah, dass der Schwarzhaarige seinen Atem an der Wange spüren konnte. „ich habe mich so sehr auf den Tag gefreut, an dem du endlich versagst. Das Schicksal meint es doch gut mit mir~“
 

Und mit diesen Worten richtete sich der Blonde auf, zwinkerte ihm zu und verließ die Gemächer des Älteren, jedoch nicht ohne die Türflügel wieder genauso laut zuzuschlagen wie er sie zuvor geöffnet hatte.

Kuroo starrte noch einige Minuten das dunkle Holz an, bevor er sich erhob, den Stuhl packte und ihn mit einem Wutschrei in die Richtung der Tür schleuderte, wo er knapp neben dem rechten Flügel die Wand traf und mit einem ohrenbetäubenden Scheppern zu Boden ging, auf dem sich nun seine Einzelteile zerstreuten. Dumpfe Stimmen auf dem Gang verrieten ihm, dass anscheinend die ihm zugeordneten Kammerdiener seinen Ausraster mitbekommen hatten und sich mit schnellen Schritten wieder entfernten. Dem Schwarzhaarigen bei so schlechter Laune unter die Augen zu treten glich einem Todesurteil.

Es machte ihn rasend, dass Kei ihn so offensichtlich als Versager bezeichnet hatte, dass er schon kurz davor war, noch einige Dinge zu zerstören – als ihm plötzlich eine Idee kam. Zugegeben, sie war nicht besonders tief durchdacht und eine Verzweiflungstat, aber der Dämon war mittlerweile schon zu allen Mitteln bereit, um sein Versagen wieder auszubessern. Sofort griff er nach der Glaskugel, hob sie mit beiden Handflächen auf und konzentrierte sich erneut – es viel ihm dieses Mal um einiges schwerer als zuvor und erneut wünschte er Kei den Tod an den Hals bevor er sich wieder dem widmete, was er hoffte, dass es funktionierte: Wieder leerte er seinen Geist, schob allen Hass und die Wut zur Seite und holte den Namen aus seinem Gedächtnis hervor, zusammen mit Bruchstücken, die ihm in den Sinn kamen: Blonde Haare, zierliche Gestalt, die feinen Gesichtszüge des Weibes, die helle Haut, wage erinnerte er sich an das Wappentier ihrer Familie… ein leises Zischen veranlasste ihn, seine Augen zu öffnen und gebannt in den Nebel der Kugel zu starren, der sich dichter zusammen zog und auf einmal eine tiefblaue Farbe annahm, bevor er sich klärte und tatsächlich ein Bild freigab:
 

Starker Regen, eindeutig ein Unwetter. Hohe Felsen, zu hoch um eine Verwechslung auszuschließen – der Gebirgspass im Süden. Ein schmaler Pfad, auf dem sich schemenhaft etwas bewegte… eine weiße Stute, auf ihr, eingehüllt in einen weißen Mantel, eine geduckte Gestalt, die fest etwas in ihren Händen umklammerte… einen Stab.
 

Das Bild war wage, unscharf und brach schließlich ab, doch Kuroo hatte genug gesehen. Vorsichtig trug er die Kugel zu ihrem Podest zurück, setzte sie dort ab und hetzte zu der Tür, die ihn in seinen Ankleideraum führte. Innerhalb von zehn Minuten hatte er sich komplett angezogen und verließ so schnell er nur konnte seine Gemächer, um sich zum Thronsaal seines Königs zu begeben, ein breites Grinsen auf den Lippen.

Wenn der Junge wirklich den Gebirgspass nahm, würde er erst in knapp sechs bis sieben Tagen wieder aus den Bergen heraus kommen – und dann direkt in eines der ihnen wohlgesonnenen Königreicher stolpern.

Er saß in der Falle.
 

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Das Wetter in den Bergen glich dem, was man sich wohl unter dem Weltuntergang vorstellte.

Kenma wollte sich eigentlich am liebsten einfach irgendwo einrollen wo es schön warm war und schlafen, stattdessen saß er seit bestimmt zwei Tagen durchgehend im Sattel, seine Klamotten klebten an ihm wie eine zweite Haut und der Regen peitschte ihm eiskalt ins Gesicht. Mehr tot als lebendig hing er auf dem Rücken des Tieres das ihn trug, die Zügel lockern in den Händen, während sich die Schimmelstute tapfer vorwärts kämpfte. Doch selbst sie schien nicht mehr viel Kraft übrig zu haben. Ein Blitz, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Donner durchschnitt die Dunkelheit und rissen ihn aus seiner Starre, schnell zog sich der Blonde wieder die Kapuze über den Kopf, die ihm vom Wind herunter gerissen worden war, und griff die Zügel auf. Er musste es schaffen… er musste einfach.

Und so konzentrierte er sich erneut auf den schmalen Pfad vor sich, der ihn immer tiefer in die Berge hinein führte und trieb sein Pferd voran, immer tiefer zwischen die zerklüfteten Berge.
 

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Gegen Ende des Tages besserte sich das Wetter endlich und ermöglichte sowohl Reiter wie auch Reittier eine Verschnaufpause, die beide dringend benötigten. Eine kleine, geschützte Einbuchtung in den Felsen veranlasste ihn schließlich, die Stute zu stoppen und sich mit einem gequälten Stöhnen aus dem Sattel zu rutschen. Es gelang Kenma irgendwie, ein kleines Feuer zu entzünden an dem er seinen geschundenen Körper aufwärmte und schließlich daneben eingerollt einschlief, ohne noch etwas zu essen oder an die Konsequenzen zu denken. Erst als er nach mehreren Stunden unruhigen Schlaf hoch schreckte bemerkte er wie dumm er war: Mitten neben dem Pfad, an einer ungeschützten Stelle sein Lager aufzuschlagen… er hätte sich auch noch ein Schild mit der Aufschrift: ‚Falls ihr mich sucht: Hier bin ich!‘ umhängen können. Sofort brach er sein Lager ab und setzte seinen Weg fort, nur um die darauf folgenden Nächte sich geschütztere Lagerplätze zu suchen, was an sich schon eine Herausforderung in dieser öden Landschaft war. Er hörte auf die Tage zu zählen, alles sah so gleich trist, tot und karg aus in den Bergen… Er verlor sämtliches Zeitgefühl, nur der immer leichter werdende Rucksack und der sich langsam leerende Wasserbeutel zeigten ihm, wie dringend er hier weg musste. Am vorletzten Tag kam er an eine Gebirgsquelle, an der er immerhin seinen Wasservorrat auffüllen konnte und sich das erste Mal seit Tagen ausgiebig wusch. Danach tränkte er die Stute, bevor er sich auf ihren Rücken schwang, seine schmerzenden Gliedmaßen ignorierte und den Weg fortsetzte. Aber als es zu Dämmern begann veränderte sich die Landschaft zu seiner großen Freude. Die grauen, kalten Felsen wurden weniger, der schmale, steinige Weg wurde immer öfters von trockenem Steppengras abgelöst, bis er schließlich ganz aufhörte und sich in saftiges Grün verwandelte. Immer mehr Bäume tauchten auf und erhoben sich in den Himmel, zuerst vertrocknet und karg, doch dann immer dichter werdend und gefüllt mit grünen Blättern und Nadeln, sodass sich Kenma um einiges geschützter vorkam, während er seine Stute bergab trieb. Die Dunkelheit hüllte ihn immer mehr ein, doch erst als die Bäume so dicht standen, dass sich der Blonde rundum sicher fühlte brachte er die Stute zum Stehen und rutschte müde von ihrem Rücken. Mit geschickten Handbewegungen befreite er das Tier von seinem Sattel und dem Zaumzeug – er wusste dass sie nicht davon laufen würde, dafür war sie zu treu – und beobachte mit einem Schmunzeln wie das schöne Tier sich kurz schüttelte um deutlich zu machen, wie sehr sie es genoss das drückende Leder los geworden zu sein, bevor es zu grasen begann. Der Schimmel freute sich genauso sehr wie er, wieder weichen Waldboden und saftiges Grün zu sehen. Mit einem müden Seufzen zog der Blonde seinen weißen Mantel aus und betrachtete ihn Nachdenklich, bevor er ihn neben seinen Rucksack und den Wasserbeutel legte, den Stab mit dem Katzenkopf darin einwickelte und sich erhob. Innerhalb von zehn Minuten hatte er genug trockenes Holz zusammen gesucht und eine kleine Feuerstelle geschaffen. Und zum ersten Mal in seinem Leben war er unheimlich dankbar für seine Herkunft – vorsichtig beugte er sich über die aufgeschichteten Zweige und mit einer einzigen Berührung schlugen Flammen aus dem trockenen Holz, die sich sofort in diesem fest fraßen und ihm Wärme spendete. Müde zog er die Decke aus ihrer Halterung und schlang sie um sich, bevor er seine Hand ins Innere des Rucksacks gleiten ließ – und ins Leere fasste. Seine gesamten Vorräte waren aufgebraucht. Mit einem leisen Murren zog er die Hand zurück und begnügte sich damit, an dem Wasserbeutel zu nippen während er Saphira dabei zusah, wie sie sich im Gras wälzte. Seine Augenlider waren so unheimlich schwer aber seine Gedanken kreisten immer wieder um die eine Frage, die nun, da er das Gebirge erfolgreich hinter sich gebracht hatte, in seinem Kopf umher schwirrte:
 

‚Und wohin jetzt…?‘[/]
 


 

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Mit einem eindeutig angewiderten Blick musterte Kuroo den betrunkenen Menschen, der ihm kaum, dass er den Gasthof betrat, wortwörtlich vor die Füße kippte, bevor ihn jemand am Kragen seines Hemdes hoch zog und anfing ihn anzuschreien. Wie immer war es im Inneren der Gaststube laut, stickig und voller Gestalten, die sich maßlos betranken – er hasste es.

Aber irgendwo musste er unterkommen.

Ohne dem ganzen Treiben recht viel Beachtung zu schenken bewegte er sich auf die Tresen zu, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Er wollte nicht viel Aufsehen erregen, nur ein paar Fragen stellen und sich ein Zimmer für mehrere Nächte nehmen, doch allem Anschein nach hatte irgendwer irgendwo ganz deutlich etwas gegen ihn. Erneut stolperte ein deutlich angetrunkener Mann – den dreckigen Klamotten und der vom Wind und der Sonne gezeichneten Haut nach einer der Bauern in der Umgebung – gegen ihn, drehte sich jedoch um und fuhr die großgewachsene Gestalt in dem roten Umhang mit einem unfreundlichen: „Pass doch auf, Abschaum!“ an.

Das war zu viel für seine Nerven – und seinen Stolz.

Was dachte dieser widerwärtige Idiot eigentlich, wer er war?!

Ohne groß nachzudenken packte Kuroo den Mann am Hals und hob ihn an, bis seine Schuhspitzen nur noch knapp über dem Boden schwebten. Seine roten Pupillen bohrten sich in die aufgerissenen Braunen des Mannes in seinem Griff, der jetzt, da er erkannte was er da beschimpft hatte, deutlich mit der Panik kämpfte und nach Luft schnappte wie ein Fisch auf dem Trockenen.

Kuroo stieß ein tiefes Knurren aus, bevor er den Mann einfach losließ, der wie eine Marionette, der man die Fäden abgeschnitten hatte, zu Boden sank und heftig zu husten und zu röcheln begann, bevor er mit aufgerissenen Augen nach hinten robbte.

Mit einem letzten abfälligen Blick wendete er sich von dem Häufchen Elend ab und durchschritt die Wirtshausstube, in der es mittlerweile totenstill geworden war, bis er an den Tresen ankam. Der Wirt, ein untersetzter, kleiner Mann mit Glatze und kleinen Augen, die schon fast unter seinen Lidern zu verschwinden drohten, setzte sich sofort in Bewegung und verbeugte sich tief, bevor er es wagte, seine Stimme zu erheben:
 

„E-edler Herr, was kann ich ihnen a-anbie-“
 

„Ist in den letzten Tagen jemand aus der Richtung des Gebirgspass hier durchgekommen?“, unterbrach Kuroo den Mann sofort, bevor dieser seine Schleimspur weiter ziehen konnte. Der Wirt richtete sich auf und schüttelte den Kopf. Kuroos Laune stieg augenblicklich wieder etwas an. Also war der Junge noch nicht aus den Bergen heraus gekommen – denn egal wie man es drehte und wendete, dieses Dorf musste er passieren. Rechts von den Bergen zog sich der Arren, ein Fluss mit einem viel zu tiefen und breiten Becken als dass man ihn durchqueren konnte und links eine schon fast tödliches Moorgebiet, indem man ohne Führer sofort dem Tode geweiht war. Zudem mussten seine Vorräte langsam knapp werden…

Das verdammte Halbblut musste hier durch, seine Vorräte aufstocken und dann erst konnte er weiter ziehen. Und Kuroo würde hier auf ihn warten.
 

„Ich will ein Zimmer.“
 

Der Wirt schluckte und nickte so heftig, dass der Schwarzhaarige schon befürchtete, ihm würde der Kopf abfallen bevor er hinter den Tresen hervor kam, seine aufgeschwemmten Hände an der speckigen Schürze abwischte und ihm mit einer Handbewegung aufforderte, ihm zu folgen. Kuroo betrat den schmalen Gang, an dessen Ende sich eine Treppe erhob und folgte dem Mann nach oben. Am Rande bemerkte er, dass sich erst die Stimmen im Saal wieder erhoben, als er diesen verlassen hatte. Sie gingen an vielen Türen vorbei, bis ihm der Wirt eine davon aufhielt. Langsam zog sich Kuroo die Kapuze vom Kopf und betrat den Raum, sah sich darin kurz um und stieß innerlich ein Seufzen aus.

Nichts was man mit seinem gewohnten Maß an Luxus vergleichen konnte aber ganz annehmbar. Mit einer fließenden Bewegung drehte er sich zum Wirt um und suchte dessen Blick. Es erfreute ihn schon fast zu sehen, wie dieser zu zittern begann und eiligsten den Kopf senkte. Zuvor hatte er wie gebannt auf die Hörner gestarrt, die sich zwischen den schwarzen Strähnen erhoben. Ihr König hatte zwar einen Pakt mit dem Dämonenkönig geschlossen, dennoch war es nicht gewöhnlich, einen davon hier zu sehen, schon gar nicht so nah am Grenzgebiet und noch dazu – den Klamotten nach die der Schwarzhaarige trug – einen der höher gestellten.
 

„Mein Pferd steht draußen. Ich will dass es versorgt wird.“
 

„J-Jawohl der Herr! Wird s-sofort erledigt der Herr!“
 

Der Wirt überschlug sich schon fast, seine Stimme so schrill als würden seine Lungenflügel jeden Moment explodieren, verbeugte sich gefühlt zehn Mal und verließ dann mit eiligen Schritten das Zimmer um den Wunsch seines Gastes auszuführen. Nicht einmal wegen der Bezahlung harkte er nach. Kuroo wartete, bis die Tür ins Schloss viel, dann ließ er sich erst auf dem schmalen Bett nieder, tastete nach dem schweren Beutel, der an seinem Gürtel hing und zog diesen nach vorne. Mit einer schnellen Handbewegung holte er die Glaskugel heraus und führte das Ritual aus, dass er nun schon fast jeden Abend tätigte, seitdem sein König ihn erneut losgeschickt hatte:

Immer wieder rief er sich die einzelnen Bruchstücke an Erinnerungen hoch, zusammen mit dem Namen und beobachtete, wie sich der Nebel in ihrem Inneren erneut lichtete und eine tiefe Dunkelheit zeigte. Verwirrt blinzelte Kuroo und betrachtete mit schief gelegtem Kopf das Bild. Stimmte etwas mit dem Ding nicht?

Doch nach einiger Zeit verschärfte sich das Bild und er konnte in der Dunkelheit eine Gestalt ausmachen, die sich über etwas beugte – und in genau diesem Augenblick Flammen aufflackerten, die sich in das Holz fraßen, auf dem sie erschaffen worden waren. Wie immer war das Bild so undurchsichtig und fahrig, dass Kuroo keine Gesichtszüge oder genaue Anhaltspunkte ausmachen konnte doch so viel sah er – der Junge hatte das Gebirge verlassen.
 

Bald würde er auf ihn treffen.
 

Ein leises Lachen entkam dem dunkelhaarigen Dämon.
 

„Freu dich, Halbblut, bald ist deine qualvolle Reise zu Ende~“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Huii... Mal ganz neues Themen Gebiet für mich. Mal sehen was daraus wird :'D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Funny Fact: Eigentlich wollt ich Tsukki gar nicht dabei haben. Aber hey: es hätte was gefehlt ohne die Riesenpommes!
Und er wäre bestimmt so eine herrliche Kackbratze als Dämon... nein nein nein, der muss da rein!
Und nächstes Kapitel kommen hoffentlich ein paar Gestalten mehr dazu :) Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  Inta
2017-06-12T17:48:06+00:00 12.06.2017 19:48
👍


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