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Shinri - Another Story

von

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Erstes Kapitel

1.
 

Der Tag tägliche Überlebenskampf auf der Straße war kein Zuckerschlecken. Jeder musste zusehen, wie er an Geld, Nahrung, Klamotten oder Schlafgelegenheiten kam. Jeder war sich selbst der nächste und jeder andere war ein Feind. Ein Konkurrent, welcher um die selben Ressourcen kämpfte. Shinri hockte auf dem dreckigen Boden einer dunklen Seitengasse. Die Knie hatte sie an den Körper angewinkelt und ihren Kopf darauf gebettet. Sie betrachtete den Apfel, den sie soeben gestohlen hatte. Stolz darauf war sie nicht. Es war Raub. Mundraub zwar, aber immer noch Diebstahl. Aber was blieb ihr anders übrig? Gierig biss sie in den Apfel, sodass der Fruchtsaft über ihre Finger tropfte. Sie ignoriere die schmerzenden, blauen Flecken, die begangen sich zu verfärben. Nicht nur, dass sie einiges abbekam, wenn die Ladenbesitzer sie erwischten, was ja noch verständlich war, machten sich unzählige, wohlhabende Kinder einen Spaß darauf, die Straßenkinder mit Steinen zu bewerfen, sie zu schlagen, sie in den Dreck zu schubsen und sie mit bösen Namen zu rufen. Der Hunger, die Kälte, die Einsamkeit und die Erniedrigung war also ein ständiger Begleiter. Nicht zu vergessen: Die Trauer. Shinri schloss die Faust fester um den Apfel, sodass sie fürchten müsste, dieser würde zerbersten. Nein. Sie musste kämpfen. Wer aufgab, hatte schon verloren. Zurückblicken war nicht die richtige Vorgehensweise. Sie musste voran gehen. Wie lange lebte sie schon so?, fragte sie sich selbst, als sie den aufgehenden Mond und die Sterne betrachtete. Es waren jetzt schon sicher einige Wochen, wenn nicht sogar Monate. Ein klägliches Miauen lies Shinri aufhorchen. „Sorry, Kumpel.“, meinte Shinri traurig und kraulte die Schnauze ihrer Wolfskatze, „Ich fürchte, das ist nichts für dich.“ Dennoch hielt sie ihm den Apfel hin und wie erwartet schnüffelte das Tierchen nur kurz daran, ehe es sich angeekelt abwandte. „Sagte ich doch.“ Das Mädchen grinste schief und hob das Tier auf ihren Schoss. Win win für Beide. Sie fühlte die lebendige Wärme und das Fell des Tieres auf ihrem Schoss und Raku hingegen bekam die Streicheleinheiten, die er sich wünschte.
 

Lautes Gekrätze der Rabenadler weckte das Mädchen aus ihrem unruhigen Schlummer. Die Sonne war inzwischen aufgegangen und beschien spärlich die kleine Gasse. Langsam erhob sich Shinri. Sie sollte zusehen, dass sie hier weg kam. Nicht, dass die Kinder, oder der Ladenbesitzer von gestern sie sahen und erkannten. Aber wohin? Es war immer dieselbe Frage und ebenso dieselbe Antwort. Egal, Hauptsache weg von hier. Also lief sie ziellos durch die Stadt, versuchte so unentdeckt und unaufällig wie möglich zu bleiben, während sie nach günstigen Gelegenheiten Ausschau hielt. Nicht, dass ihr das Stehlen Vergnügen bereiten würde, Raku brauchte dringend etwas zu Essen. Das kleine Tierchen schlich kraftlos neben ihr her und maunzte herzerweichend. Shinri versuchte ein aufmunterndes Lächeln. Da stieg den Beiden der betörende Duft gebratenen Fleisch in die Nase. Das Mädchen hob ihren Begleiter hoch und steckte ihn unter ihren Pulli, während sie sich langsam dem Stand nährte. Jetzt hieß es flink und geschickt sein. Vor allem aber flink. Für zu langes Zögern, oder Larmarschigkeit wurde man hier bestraft. Wie der Kopf einer Schlangenfledermaus schnellte Shinir´s Hand vor und packte die erstbesten Fleischspieße auf dem Grill. „Hey!“, schrie der Verkäufer empört, rannte aus dem Laden und ehe das Mädchen rückwärts fliehen konnte, packte der große Mann ihre Hand. Grob hielt er ihr Gelenk umfasst. „Na warte, du Diebin. Ich wird dich lehren.“, brüllte er und hob die andere Hand zum Schlag. Raku fauchte und Shinri kniff in Aussicht auf den schmerzenden Schlag instinktiv die Augen zusammen. Doch ehe die flache Hand in Kontakt mit ihrem Gesicht kommen konnte, taumelte der kräftige Mann und lies das Mädchen los. „Entschuldigen Sie bitte. Sorry.“, kam es von einer Stimme hinter dem Schrankmann. Shinri wusste gar nicht wie ihr geschah, als ihre Hand erneut gepackt wurde, diesmal aber erstaunlich sanft, und sie davon zog.
 

Schwer atmend kamen sie in einer Gasse zum Stehen. „Ich glaube... wir haben ihn abgehängt,“, schnaufte die andere Person. Shinri sah auf um ihren Retter zu betrachten. Es war ein Mädchen mit wunderschönem, schwarzen Haar und smaragdgrünen Augen. Sie hätte eine Prinzessin der Feuernation sein können, wären da nicht die zerlumpten Klamotten gewesen, die es am Leibe trug. „Alles in Ordnung?“, fragte die Schönheit und Shinri fiel es schwer ihre Kinnlade im Zaum zu halten. „Jop.“, meinte sie schließlich, nachdem sie sich aus ihrer Erstarrung gelöst hatte. Das Mädchen lächelte erleichtert und hielt ihr drei Fleischspieße hin. „Hier.“ Wortlos nahm Shinri diese entgegen. „Ähm...D...“ „Du musst dich nicht bedanken.“, meinte die Schwarzhaarige und hockte sich auf den Boden, um selbst einen erbeuteten Fleischspieß zu verzehren. Shinri tat es ihr nach und gab Raku zwei der Spieße, ehe sie über den dritten herfiel, wie ein hungriges Tier. Erst nach einer Weile und nachdem sie sich vermutlich völlig eingesaut hatte, wurde sie des Blickes des jungen Mädchens gewahr. Dieses kicherte, als Shinri sie verlegen ansah und schließlich hastig versuchte ihr Kinn und ihre Mundwinkel mit dem Ärmel sauber zu wischen. Leicht errötet sah die Erdbändigerin zu Boden, während das glockenhelle Lachen der Schönheit allmählich verstummte. „Entschuldige bitte.“, meinte sie dann, eine Träne aus dem Augenwinkel wischend, „Ich wollte nicht lachen, aber...“ Erst jetzt wagte Shinri ein Grinsen. „Ich weiss schon. Das muss ziemlich lächerlich aussehen.“ „Naja. Das nicht...“, meinte das Mädchen, „Eher niedlich.“ Shinri stockte und wurde noch eine Spur röter, während ihr Gegenüber auf Raku deutete. „Und deine Wolfskatze erst. Sie gehört doch dir oder?“ Ein Nicken war die Antwort. „Hat sie auch einen Namen?“ „Er ist ein „Er“ und er heißt Raku.“ „Raku...“, wiederholte das Mädchen und lies sich den Namen auf der Zunge zergehen, „Gefällt mir.“ „Warum hast du mir geholfen?“, fragte Shinri nach einem kurzen Schweigen. Das Mädchen lächelte. „“Wir sitzen doch alle im selben Boot.“, gab es zur Antwort. Shinri war beinahe überrascht. Im selben Boot? So hatte das bisher noch keiner der Straßenkinder gesehen, die sie getroffen hatte. „Ich finde wir sollten uns deshalb gegenseitig helfen und unterstützen.“, fügte die Schwarzhaarige selbstsicher hinzu. Shinri nickte langsam. Klang ja erschreckend logisch, nur die wenigsten schienen diese Ansicht zu teilen.
 

Da lachte die Schönheit plötzlich lauf auf und die Erdbändigerin hob den Blick. „Ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt.“, meinte die Schwarzhaarige schließlich, beinahe verlegen und streckte dem Mädchen die Hand hin, „Mein Name ist Noriko. Oder einfach nur Nori.“ „Shinri.“ Sie ergriff die ihr dargebotene Hand und schüttelte sie. Es war ein angenehmer Händedruck. Kräftig, jedoch sanft und unendlich warm.

Zweites Kapitel

„Guten Morgen, Shinri.“, weckte Nori gut gelaunt die Erdbändigerin. „Morgen.“ Mit einem Schwung erhob sich das Mädchen und sah sich um. Die beiden Straßenkinder hatten für diese Nacht in einer verlassenen Fabrik Zuflucht gesucht, welche bald abgerissen werden sollte. Aber für diese Nacht hatte sie ihren Zweck erfüllt, hatte die Beiden vor Regen, Wind und Wetter geschützt und das war alles was zählte. Vielleicht könnten sie das Gebäude nutzen, bis es schlussendlich vom Angesicht Republica verschwand. Es war praktischer und geräumiger, als die improvisierten Steinzelte, die sich Shinri gebändigt hatte, wenn sie hatte im Freien übernachten müssen. „Jaaa. Dir auch einen wunderschönen guten Morgen, Raku.“, begrüßte Nori die Wolfskatze, welche ungeduldig auf ihre Streicheileinheit wartete und diese auch von dem schwarzhaarigen Mädchen bekam, während es die Dosen vor der Tür überprüfte, mit welcher sie das Regenwasser abgefangen hatten. In der Nacht war einiges zusammen gekommen. Nori füllte die Flüssigkeit um, während sie der Erdbändigerin ihren Rücken zugedreht hatte. „Hier bitte.“ Sie reichte Shinri eine Tasse, so als sei es warme Milch mit Honig und nicht gammeliges, vermutlich von den Gasen der Stadt verpestetes Regenwasser. Zumindest war ihr Lächeln Honig süß. Als Shinri die Tasse entgegen nahm, sog sie überrascht den Geruch durch die Nase ein. Zu ihrem Erstaunen war das Wasser heiß und roch nach frischen Kräutern. Sie sah Nori an, welche lächelte. „Ich dachte ein Tee am Morgen tut gut.“ Shinri erwiderte das Lächeln. „Bestimmt.“, meinte sie zustimmend, ehe sie einen langsamen Schluck tat. Der Tee schmeckte köstlich und es war egal, dass sie ihn aus einer völlig kaputten Tasse trank. Guter Tee war immer köstlich, egal ob man ihn aus einer Tasse aus Porzellan trank, oder aus einem alten Blecheimer. Nori setzte sich im Schneidersitz Shinri gegenüber auf den Boden und entzündete etwas Reissig, welches sie gesammelt hatte, ehe das andere Mädchen aufgewacht war. „Du bist also eine Feuerbändigerin.“, stellte Shinri nüchtern fest. „Genau.“ Nori nickte und lies einige Flammen aus ihren Fingern züngeln. „Angeberin.“, schellte Shinri grinsend und Nori zuckte mit den Schultern. „Aber praktisch ist es auf jeden Fall.“, musste die Erdbändigerin zugeben, ehe sie einige aus dem Putz gebrochene Stücke von Boden bändigte und damit Raku auf die Nerven ging, indem sie die Steinchen wie Meteoriten in seiner Nähe abstürzen lies. „Du kannst also auch bändigen.“ Shinri nickte. „Das ist cool.“ Nori lehnte sich etwas vor und grinste. „Das beweist es. Wir sind ein tolles Team.“ „Dream Team.“, erwiderte Shinri grinsend und merkte jetzt erst, wie ungewöhnlich es war, dass sie beiden sich nach wenigen Stunden schon so nahe standen, dass sie sich als Team bezeichnen konnten. Das bewies doch, dass das Mädchen plante an ihrer Seite zu bleiben. Raku´s empörtes Maunzen brachte beide zum Lachen. „Du bist natürlich auch Teil des Teams. Glaub nicht, dass wir dich vergessen haben.“ Dafür gab es extra Streicheleinheiten für die Wolfskatze, während die Bändigerinnen den Tee genossen.
 

Es war bereits Mittag, das konnte Shinri am Stand der Sonne erkennen, als die beiden Mädchen die Fabrik verliesen, um etwas Essbares aufzutreiben. Sie schlenderten nebeneinander, Raku auf Shinri´s Schulter, durch die Straßen Republica´s und kundschafteten die Lage aus. Ehrlich gesagt, war die Erdbändigerin das Stehlen leid. Aber was sollte sie tun? Sie würde gewiss niemand einstellen und die Jobs der Triaden waren meistens auch nie sonderlich... nobel und legal. Nori schien bemerkt zu haben, dass etwas in dem Mädchen vorging, denn sie lehnte sich etwas vor und sah ihr direkt ins Gesicht. „Was ist los?“, fragte sie und ein besorgter Unterton schlich sich in ihre Stimme. Sie schien sich wirklich Gedanken zu machen. „Ach...“. begann Shinri, „Es ist nur so... Stehlen ist nicht so mein Ding... Also ich meine....“ Sie hob den Blick und bedachte die Feuerbändiger mit einem kurzen Blick, „Ich bin nicht so für Kriminalitäten...“ Nori blieb stehen und sagte nichts. „Verstehe.“, meinte sie nach einer Weile. Als Shinri schon dachte, sie habe sie verärgert oder irgendwie verstimmt, packte die Schwarzhaarige sie unerwartet an den Händen. „Ich weiss was du meinst. Lass uns etwas anderes versuchen.“ „Eh?“ „Komm.“ Im Rennen, klaubte sich Nori eine alte Dose aus einem Mülleimer, ehe sie am Straßenrand in einer geschäftigen Einkaufstraße stehen blieb. Sie räusperte sich hörbar, ehe sie die Stimme erhob: „Meine Damen und Herren. Treten Sie näher und staunen Sie.“ Shinri blinzelte irritiert und auch Raku legte den Kopf schief. „Wohnen Sie den einer Show bei, die heiß wie Feuer und mächtig wie die Erde ist und staunen Sie über die Tricks der mutigen Wolfskatze Raku.“ Jetzt verstand die Erdbändiger. Nori versuchte eine Art Zirkusperformance aufzuziehen. Etwas Vorbereitung wäre nicht schlecht gewesen und die plötzliche Aufmerksamkeit, die sie nun bekamen, war ihr selbst etwas unangenehm. Sie atmete tief durch und versuchte sich nichts anmerken zu lassen, ehe sie eine Art Bühne aus der Erde bändigte, auf der die Drei zum Stehen kamen. Dann gab es noch einen kleinen Podest für Raku. Nori lies einen Kreis aus Feuer erscheinen und Shinri einen zweiten Podest, sodass die Wolfskatze durch den Ring, auf das zweite Podest sprang. Einige Kinder, die stehen geblieben waren, applaudierten begeistert. Shinri fügte dem Feuerring einige Steine hinzu, ehe Raku den Blick wiederholte. Wieder erhob sich höflicher Applaus. Nori bedankte sich und machte eine elegante Verbeugung. „Vielen Dank.“ Sie richtete sich wieder auf. „Und nun...“ Sie holte einen kleinen Apfel aus ihrer Tasche, entfernte sich von Shinri und drehte Richtung Publikum, ehe sie den Apfel vorsichtig auf ihren Kopf legte. „Wird Shinri diesen Apfel aus dieser Entfernung mit einem einzigen Schuss treffen und von meinem Kopf schießen.“ Werde ich das?, dachte die Erdbändigerin bei sich und blinzelte kurz unsicher Richtung Publikum. Nori nickte ihr aufmunternd zu, dann drehte sie ihr den Rücken zu und breitete beide Hände aus. Shinri atmete unmerklich durch und bändigte einen Stein aus der Erde, der etwa so groß war, wie die Hälfte ihrer Faust. Sie betrachtete das schwarzhaarige Mädchen. Wenn sie daneben traf. Bestenfalls verrenkte sie ihr den Rücken und schlimmstenfalls erwischte sie sie am Kopf. Einige aus der Menge wurden unruhig. Shinri lies den Stein um ihren gen Himmel gestreckten Zeigefinger kreisen, ehe sie wie mit einer Pistole auf den Apfel deutete und der Stein zeitgleich auf die Feuerbändiger zu flitzte. Mit einem dumpfen Laut drang der Stein in das Obst ein und dieses fiel vom Kopf der Schwarzhaarigen. Die Menge applaudierte. „Danke, meine Damen und Herren, aber das war noch nicht alles.“, behauptete Nori. „Shinri, darf ich bitten?“ Sie bedeutete ihr eine Wand aus Stein hinter sie zu bändigen. Wieder stellte sie sich mit ausgestreckten Armen hin. „Nun wird Shinri gefährliche, steinerne Klingen auf mich abfeuern, aber seien Sie unbesorgt, Sie wird mich nicht treffen.“ Nori lächelte und nickte dem anderen Mädchen zu. Aus ihrem Blick sprach tatsächlich vollstes Vertrauen, musste Shinri feststellen. Sie atmete erneut tief durch und formte fünf Klingen aus Stein. Sie lies sie über ihrer linken Hand schweben, ehe sie eine nach der anderen mit der rechten Hand auf das schwarzhaarige Mädchen sausen lies. Tatsächlich blieben alle improvisierten Klingen in der Steinwand stecken. Der Applaus wurde noch lauter. Erleichtert atmete Shinri tief aus und verbeugte sich gemeinsam mit Nori, als diese zu ihr getreten war und sie an der Hand genommen hatte. Sie konnten hören, wie einige Münzen in die Dose geworfen wurden.
 

Doch damit war, Noris Meinung nach, die Show noch nicht vorbei. Sie entfernte sich wieder von Shinri und Raku und legte ihre Handflächen aneinander. Langsam verbeugte sie sich, ehe sie bedächtig beide Hände nach oben streckte und einen Feuerstrahl in den Himmel entsandte. Dann beschrieb sie mit ihren Armen einen Boden und tat dasselbe erneut. Dann begann sie ihre Beine zu bewegen und tänzelte elegant über die Bühne. Shinri konnte nicht anders als staunend hinzusehen und den Zuschauern erging es nicht anders. Wie flüssig und gleichzeitig kraftvoll die Bewegungen den schwarzhaarigen Mädchens waren und zu jeder Bewegungen gab es einen passenden Feuerstoß. Dieser Tanz war erschreckend, erhitzend, erstaunlich und dennoch einfach wunderschön. Das Feuer war passend in jede Bewegung eingebaut und brannte scheinbar auch in den Adern der tanzenden Bändigerin. Es war geradezu hypnotisch und niemand konnte sich diesem Bann entziehen.
 

Unerwartet nahm Nori Shinri plötzlich an den Händen und begann mit ihr über die Bühne zu tanzen. Verzweifelt versuchte die Erdbändigerin nicht über ihre eigenen oder Noris Füße zu stolpern. Tanzen war echt nicht ihr Ding und das würde es auch nie sein. Dennoch schaffte es Nori irgendwie, dass es nicht völlig verboten aussah, denn die Menge klatschte begeistert. Dann lies die Feuerbändigerin die Erdbändiger los und sie legten ihre beiden Handgelenke aneinander, ehe sie sich umkreisten. Dieser Teil des Tanzes ähnelte mehr einem Kampf und einigen Bändigerbewegungen aus allen vier Nationen, ohne dass die beiden Mädchen wirklich bändigten. Doch diese Bewegungen waren Shinri vertraut und sie passte sich bald dem Rhythmus Noris an.

Als sie zum Stehen kamen, applaudierte die Menschenmasse, die sich gebildet hatte. Die beiden Mädchen verbeugten sich, schwer atmend, aber grinsend.
 

Am Ende klimperten tatsächlich einige Yuan in der Dose und sogar ein paar Scheine befanden sich darunter. Nori´s Vorstellung musste wohl einiges an Aufsehen erregt haben.

Kaum waren die beiden Mädchen um die nächste Ecke gebogen, wurde Nori rot. „Herrje, war das peinlich.“ Shinri sah sie an. „Dir war das peinlich?“ Die Feuerbändigerin nickte. Die Erdbändigerin grinste schief. „Dafür hast du das aber gut überspielt. Mir haben die ganze Zeit über die Knie geschlottert.“ Raku bettelte solange, bis das Mädchen ihn auf den Arm nahm. „Aber... gegen Ende war es sogar beinahe...spaßig.“ Nori lächelte. „Stimmt. Und jetzt...“ Sie schüttelte das Geld in ihre Hand. „Gehen wir was Feines Essen.“
 

Gemeinsam gingen die beiden in ein kleines Lokal am Rande Republicas. Es war nicht völlig heruntergekommen, aber auch nicht so schick, dass sie fürchten mussten, schon vom Keller heraus geschmissen zu werden. Die bekamen einen Tisch in einer stillen Ecke und genau am Fenster. Sie bestellten sich etwas zu Trinken und während sie auf ihr Hauptgericht warteten, bekam Raku sogar eine kleine Schale Fleisch und eine mit Wasser. „Sag mal...“, fragte Shinri nach einer Weile in die Stille hinein, „Was sollte das eigentlich mit dem Apfel und den Messern?“ „Mh?“ Nori hatte die ganze Zeit aus dem Fenster gesehen und wandte ihren Blick nun der Erdbändigerin zu. „Ich hätte dich treffen können.“, meinte diese. Die Feuerbändigerin lächelt unbekümmert. „Ich habe darauf vertraut, dass du den Apfel triffst und nicht mich.“ Ein verschmitzter Ausdruck machte sich auf ihrem Gesicht breit, „Ich habe es jedenfalls gehofft.“ Shinri blinzelte kurz, ehe sie in lautes Gelächter ausbrach und Nori schloss sich ihr an. Einige der wenigen Gäste sahen sie empört an, sodass sie sich mit leisem Kichern begnügten, ehe sie laut durchatmeten und sich angrinsten. „Alles klar. Wenn das kein Vertrauensbeweis ist.“ „Hast du noch einen Beweis gebraucht?“, fragte Nori schelmisch. Der Kellner kam und brachte beiden Mädchen ihre Reisteller. „Ich wünsche den Damen einen guten Appetit.“ „Danke.“ Mit diesen Worten lies er die Mädchen alleine. Nori lächelte Shinri an. „Das haben wir uns jetzt aber redlich verdient.“ „Schätze schon. Lass es dir schmecken.“ „Und ob ich das werde. Du dir auch.“
 

In einem wahnsinnigen Tempo gelang es beiden Mädchen die Teller völlig zu leeren und dem Eis, welches es als Nachtisch gab, erging es auch nicht besser. Sie lehnten sich in ihren Stühlen zurück und Shinri legte beide Hände auf ihren Bauch. „Puh.“, machte sie, „Das war wahnsinnig lecker.“ „Stimmt.“ Die Erdbändiger legte den Kopf schief, sodass sie unter den Tisch schauen konnte. „Und bei dir auch alles klar, Raku?“ Dieser blickte auf und maunzte kurz. „Das heißt sicher ja.“, behauptete die Feuerbändiger. „Klar.“, bestätigte Shinri. Der zufriedene Ausdruck auf dem Gesicht der Wolfskatze sprach Bände. Nori bezahlte die Rechnung und gab sogar noch ein Trinkgeld dazu, dann verliesen die drei das Lokal.
 

Das Klirren einer zerspringenden Fensterscheibe lies die Drei herumfahren. Das Schaufenster des Ladens nur wenige Meter entfernt war eingeschlagen worden und ein älterer Mann wurde von drei finster aussehenden Typen bedroht. Sofort machte Shinri mit Raku auf der Schulter kehrt, um den alten Mann zu Seite zu stehen und zu ihrer geminderten Überraschung folgte Nori ihr auf dem Fuße. „Lasst ihn in Ruhe!“, rief das schwarzhaarige Mädchen, als sie zum Stehen kam. Die drei Männer wandten sich den Neuankömmlingen zu. „Sonst was, Kleine? Seht lieber zu, dass ihr verschwindet, wenn ihr keinen Ärger wollt.“ Der Größte von ihnen schlug die rechte Faust in seine flache Hand. „Könnte sonst ziemlich unangenehm werden, ihr Süßen.“ Die beiden anderen traten vor. Einer von ihnen bändigte eine Flamme in seine Hand, der andere lies die Fingerknöchel knacken. Die Mädchen bewegten sich nicht vom Fleck. „Ich glaube ihr wisst nicht, mit wem ihr es zu tun habt.“, meinte der Anführer der Schläger, „Wir sind Mitglieder der Agni Kai Triade.“

Drittes Kapitel

„Wir sind Mitglieder der Agni Kai Triade.“, lies der Anführer sie wissen, „Und ihr seid in unserem Gebiet und dabei euch in Dinge einzumischen, die euch nichts angehen, Mädchen.“ Natürlich war den beiden Mädchen sehr wohl bewusst, wer da vor ihnen stand. Es gab vier bekannte Triaden in der Vereinten Republik und vermutlich auch auf der gesamten Welt: Der Rote Monsun, die Terra Triade, die Agni Kai und die Triade der Dreifach Gefahr. Bis auf letztere hatten sich alle Triaden auf eines der vier Elemente spezialisiert. Logischerweise gab es keine Luftbändigertriade, schließlich gab es seit Avatar Aangs Tod nur noch dessen Sohn und dessen Kinder und die waren nicht drauf und dran eine Triade zu Gründen. War auch weniger ein Luftbändigerding. Von wegen Konfliktscheu und so. Jedenfalls beherrschten die Triaden den schmutzigen Untergrund Republicas. Illegale Wetten, schmutzige Geschäfte, das volle Programm. Und das hierbei handelte es sich um den klassischen Fall der Schutzgelderpressung. Die Triaden heimsten sich Geld bei den Ladenbesitzer ein und liesen sie dafür einigermaßen in Ruhe. Und natürlich gingen die meisten auf diesen unfairen Deal ein, da sie um ihre Existenz fürchten mussten. War nicht selten vorgekommen, dass Triaden ganze Läden verlegten und Mord war auch keine große Sache. Kurzum: Die Triade hatte Macht und genoss sie in vollen Zügen. Das Lächeln des Anführers wurde etwas breiter, da er glaubte die Mädchen eingeschüchtert zu haben. „Ist schon in Ordnung...“, kam es leise von dem Ladenbesitzer, der eine Eskalation fürchtete, „Ich zahle...“ „Sehr schön. Gut zu wissen, dass du endlich zur Vernunft gekommen bist. Leider... muss ich auf eine kleine... Gehaltserhöhung bestehen.“ „Und ich bestehe darauf, dass ihr ihn in Ruhe lasst.“, sagte Nori deutlich. „Ihr seid ja immer noch da...“, meinte der Anführer und wedelte mit der Hand, als wollte er eine Fliege verscheuchen, „Jungs... Schafft uns den Abschaum aus dem Blick.“ „Aber mit Vergnügen.“ Seine beiden Schläger traten vor und liesen die Fingerknöchel knacken. „Macht euch keine Sorgen. Wir gehen nicht ganz so hart ran.“ „Mach dir darüber mal keine Gedanken.“, konterte Shinri, welcher das Verhalten der Gangster langsam ziemlich auf den Senkel ging. „Lasst mal sehen, was ihr drauf habt.“, forderte Nori. Die Gelassenheit der Mädchen schien den beiden Männern gar nicht zu schmecken und sie stürmten mit wütendem Aufschrei los. Eine Felsbrocken im Magen, stoppte den ersten und warf ihn zu Boden. Der zweite holte mit einer Flammenfaust nach Nori aus, diese rammte ihr Knie in seinen Bauch und auch er taumelte zurück. Knurrend erhoben sich beide Männer. „Jetzt machen wir ernst.“, zischte einer und lies mehrere Feuersalven auf die Mädchen nieder gehen. Nori stellte sich vor Shinri und wehrte diese souverän ab und konterte mit mehreren Feuerschüben. Shinri ergänzte den Angriff durch mehrere kleine, schnelle Steingeschosse, welche wie ein Hagel auf die Männer niederprasselte. Diese versuchten sich mit ihren Händen zu schützen, doch verloren immer mehr am Boden. Als sie blindlings rückwärts taumelten, bändigte Shinri die Erde, sodass die beiden Männer sich am Hosenboden wiederfanden. Noch einige Faustbewegungen und steinerne Fesseln hielten Füße und Arme der Männer am Boden fest. „Das ist alles was die Triade zu bieten hat?“, meinte Shinri, „Enttäuschend. Wirklich.“ Im Nachhinein war es wohl nicht schlau gewesen, die Triade zu provozieren, aber sie hatte einen solchen Prast auf diese Männer, die sich einen wehrlosen Mann vornahmen um diesen auszunehmen. Der Anführer wirbelte herum, als er sah, dass seine Männer geschlagen waren. Er rümpfte die Nase über deren Unfähigkeit und fixierte die Mädchen. „Na wartet.“ Der Feuerstoß, der nun folgte, durchbrach Shinris Steilwall, den sie zum Schutz erschuf und lies sie Schutz hinter ihren Unterarmen suchen. Nori war zum Glück schnell genug zur Stelle, um das schlimmste zu verhindern. Sie duckte sich unter dem Strahl weg, rutschte über den Boden und stand hinter dem Mann wieder auf. Ehe dieser reagieren konnte, platzierte das Mädchen gut gezielte Schläge und der Anführer der Triade sackte zu Boden. Die Bewegungen liesen Shinri darauf schließen, dass Nori mehr als nur Bändiger erprobt war. Sie musste einmal Kampfsport trainiert haben. Und nicht nur das, als der Mann aufstand und versuchte das Mädchen mit einem Feuerstoß zu erwischen, Shinri unterdrückte einen warnenden Aufschrei und wollte ihrer Freundin zur Hilfe eilen, doch keine einzige Flamme kam aus der ausgestreckten Faust des Mannes. „Wa...“, machte dieser irritiert, „Du miese, kleine... Du wagst es mein Chi zu blocken?“ „Das geht vorüber und jetzt nimm deine Männer und geh.“, sagte Nori entschlossen. Shinri löste die Fesseln und die Männer flohen zu ihrem Wagen und brausten davon. Erst jetzt kam Shinri der Gedanke, dass sie hätten die Polizei rufen können und auch Nori schien des bewusst zu werden. Hinter Gittern wären sie besser aufgehoben gewesen. Nori ging lächelnd zu dem armen Mann, der immer noch perplex auf dem Boden saß. „Sind Sie verletzt?“, fragte die Schwarzhaarige und Shinri streckte ihm die Hand hin, um ihm beim Aufstehen behilflich zu sein. „Nein...“ Er zögerte, nahm ihre Hilfe aber schließlich an „Danke... Aber... sie werden wieder kommen... Und wütend werden sie sein. Ohje.“ Der Mann zitterte bei dem Gedanken. Shinri sah ihn mitleidig an. Er hatte Recht. Erfreut war die Triade sicher nicht. Vielleicht hatten sie die Situation für den Mann sogar noch verschlimmert. „Machen Sie sich keine Sorgen.“, meinte Nori beruhigend. Die Erdbändigerin sah ihre Freundin an. Wie konnte sie so etwas sagen? „Wenn Sie wollen, helfen wir Ihnen, sich die Triade vom Hals zu halten.“ Der ältere Mann sah sie groß an, dann fasste er sich. „Ich habe nicht viel Geld.“, meinte er schließlich und beäugte sie kritisch, als sei sie kurz davor ihm die Geldbörse zu entreißen. Nori schüttelte den Kopf. „Wir wollen kein Geld...“ Shinri ergriff das Wort: „Wir mögen es nicht, wie die Triade andere unterdrückt um sich zu bereichern. Die Genugtuung einigen Menschen zu helfen reicht uns.“ Dann kratze sie sich verlegen am Hinterkopf. „Naja.. Etwas Nahrung wäre nicht schlecht... Also nur wenn... Sie wollen... und können... Also ich meine...“ Der Mann überlegte lange. Sein Blick wandere über die Straße. Dort standen schon viele Schaulustige, darunter die anderen Ladenbesitzer dieses Viertels. „Ich bin mir sicher, die anderen wüssten das zu schätzen...“, meinte der Alte langsam, „Also gut. Ich rede mit den anderen, aber wenn ihr uns helft wird bestimmt etwas zu Essen für euch drinne sein.“ „Das wäre klasse.“, meinte Shinri begeistert, die Gefahr die sie sich dabei aussetzte vor lauter Freude über die Nahrung völlig vergessend. „Wir würden uns sehr freuen, Ihnen allen eine Hilfe zu sein.“ Nori verbeugte sich höflich und Shinri tat es ihr nach kurzem Zögern gleich. „Wenn es Ihnen Recht ist kommen wir morgen Vormittag und Sie erzählen uns, was die anderen von dieser Idee halten.“ Der Mann nickte und die Mädchen lächelten, verabschiedeten sich und machten sich auf den Rückweg in ihr vorübergehendes Zuhause.
 

„Das nenne ich mal Verdauungssport.“, meinte Shinri, als sie sich auf den kalten Betonboden des Abriss gefährdeten Gebäudes fallen liesen. Nori lächelte. „Allerdings.“ Die beiden blieben lange stumm und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. „Glaubst du... das war richtig?“, fragte die Feuerbändigerin nach einer Weile. Shinri hatte den Kopf auf ihre angezogenen Knie gelegt und sah auf. „Natürlich. Wir konnten den armen Mann doch nicht seinem Schicksal überlassen.“ Nori lächelte. „Ich wusste, dass du auch so denkst. Und stell dir mal vor wir könnten den Menschen in dem Viertel wirklich helfen.“ Shinri grinste. „Dann wären wir wirklich wie Superhelden. Das passt. Ich wollte schon immer ein Superheld sein.“ „Dann hast du jetzt vielleicht die Chance.“, meinte die Schwarzhaarige grinsend. „Aber erst mal müssen wir abwarten, was sich ergibt.“, lenkte Shinri ein. Das andere Mädchen nickte zustimmend. „Aber irgendwie wird es sich schon ergeben.“ Die Erdbändigerin nickte zerstreut. „Klar.“, kam es schneller aus ihrem Mund, als ihre Gedanken überhaupt folgen konnten. Das passierte ihr nur allzu häufig. Sie gab vorschnelle Antworten von sich, nur um dann im Nachhinein Stunden, oder gar Tage darüber nachzudenken. Shinri war nicht optimistisch. Sie war eigentlich eine Realistin, eine Analytikerin. Dennoch versuchte sie die Hoffnung nicht völlig zu verlieren und wenn sie dazu nur etwas die Realität verklärte, verdrehte, ignorierte, oder einfach über irgendwas anderes nachdachte. Die Welt war traurig genug und gab genügend Stoff zum Grübeln. Deshalb dachte sie lieber nicht über die Zukunft oder das unangenehme Hier und Jetzt nach und lies ihre Gedanken irgendwo ganz weit weg treiben. „Du bist ziemlich stark.“, meinte Nori plötzlich und lächelte ihr Gegenüber an. „Ach was.“, winkte die Erdbändigerin ab, „DU warst der Wahnsinn. Ich meine wie du diesen Kerl fertig gemacht hast.“ Ihre Augen strahlen vor Begeisterung, „Das war stark.“ Sie machte eine kurze Pause, ehe sie fragte: „Wo hast du das gelernt? Das mit dem Kämpfen und das Chiblocken?“ Nori zuckte gelassen mit den Schultern. „Ich habe bereits als Kind Selbstverteidigungskurse genommen, damit ich mich selbst verteidigen kann. Und es zahlt sich augenscheinlich aus.“ Die Feuerbändigerin zögerte, ehe sie sich an Shinri wandte: „Darf ich das was fragen?“ „Klar.“ Nori zog die Knie etwas näher an den Oberkörper. „Wie... ich meine... warum lebst du auf der Straße?“ Raku sprang seiner Besitzerin auf den Schoß. „Entschuldige. Es ist eine sehr persönliche Sache und wenn du nicht antworten möchtest, dann verstehe ich das.“, beeilte sich das schwarzhaarige Mädchen zu sagen. Shinri schüttelte den Kopf und grinste Nori an. „Ist schon in Ordnung.“ Sie legte den Kopf wieder auf ihre Knie und kraulte Raku, welchen sie nun gegen ihre Brust gedrückt hatte. „Mein Vater war General bei den Vereinten Streitkräften, nach seiner frühen Pensionierung –krankheitsbedingt- lebte er mit meiner Mutter und mir zusammen in Republica. Du musst wissen, mein Vater war nie ein besonders großer Fan des Stillsitzen und Nichtstun. Für ihn gab es nur die Arbeit. Also begann er hier und da in der Stadt und Umgebung verschiedene Jobs anzunehmen. Er half jemanden beim Hausbau aus, dann half er bei der Viehzucht. Alles mögliche. Als er einem Großgrundbesitzer, der viel Land und eine Laden besaß half, dessen Farm aufzubauen und dessen Tiere zu pflegen, muss wohl die Triade einen Streit angezettelt haben. Mein Vater schlug sie vernichtend.“ Bei diesen Worten grinste das Mädchen schief und stellte sich vor, wie ihr Vater in alter Stärke über den besiegten Verbrechern stand und diese zum Teufel jagte. „Jedenfalls hat sich die Triade das nicht gefallen lassen. Eines Nachts brachen sie in unser Haus ein... und... nunja...“ Sie sprach den Satz nicht zu Ende und zuckte mit den Schultern. „Ich war spazieren. Sterne beobachten. Als ich zurück kam, war es bereits zu spät.“ Sie stupste Rakus Nase sanft an, ehe sie fortfuhr: „Ich habe keine näheren Verwandten, zu denen ich hätte gehen können... Also... Ende der Geschichte.“ Nori sah sie traurig an. Ihre Augen waren voller Mitgefühl. Sie rückte etwas näher und legte ihren Arm um das Mädchen. „Es tut mir so Leid.“ Shinri sah unsicher zwischen ihr und dem Boden hin und her. „Ist in Ordnung.“, meinte sie, „Du kannst ja nichts dafür.“ Raku war empört zu Boden gesprungen und suchte sich eine eigene Ecke, in der er sich zusammen rollte. „Und... wie ist es bei dir gewesen?“, fragte Shinri schließlich nach einer Weile, die sie dort gesessen hatten, Noris Arm um ihre Schulter gelegt. „Ich habe meinen Vater nie richtig kennen gelernt.“, erzählte die Feuerbändigerin und zog ihren Arm vorsichtig wieder zurück, „Meine Eltern haben sich getrennt, bevor ich fünf wurde. Meine Mutter starb an einer Krankheit, als sich zwölf wurde. Verwandte nahmen mich bei sich auf. Doch...“ Sie zögerte und ihr Blick wanderte in eine unbestimmte Ferne. „Ich bin weggelaufen.“ „Haben sie dir etwas getan?“ Shinri suchte den Blick ihrer Freundin. Nori nickte nur beklommen. Ihre Finger krallten sich in ihre Oberarme, ganz so als sei ihr kalt, oder suchte sie Schutz. Diesmal umarmte Shinri die Feuerbändigerin. Sie konnte spüren, wie sich ihr Herz aus Mitgefühl zusammen zog. Tränen der Wut, oder der Trauer schlichen sich in ihre Augen. Auch in Nori´s smaragdgrünen Augen funkelten einige Tränen und sie schmiegte sich näher an den Körper ihrer Freundin.
 

Shinri legte sich auf den Boden, den Rücken dem schwarzhaarigen Mädchen zugewandt. „Danke, dass du für mich da bist.“, murmelte sie. Nori lächelte nur. „Gern geschehen. Und ich danke dir auch, Shinri. Danke für Alles.“

Viertes Kapitel

4.
 

Shinri erwachte, als Raku sich dicht neben ihrem Gesicht neben sie kuschelte und sein Schwanz über ihr Gesicht fuhr und sein Fell auf ihrer Haut kitzelte. „Hey, Kleiner.“, meinte sie sanft und kraulte die Wolfskatze hinterm Ohr. Sie hob etwas den Blick und sah, dass Nori noch schlief. Also lies den den Kopf wieder auf ihr Oberteil sinken, welches sie als behelfsmäßiges Kissen für die Nacht nutzte. Vorher hatte sie aber dafür gesorgt, dass sie nicht bald noch sämtliche Fellhaare ihres Begleiters im Mund hatte. Sie lies sich auf den Rücken rollen und hob den Kater auf ihren Bauch. Nachdenklich legte Shinri die Stirn in Falten und versuchte die Bruchstücke ihres Traumes zu ordnen. „Ich glaube... du bist in meinem Traum vorgekommen...“, erklärte sie Raku und sah weiterhin grübelnd an die Decke, „Und meine Eltern.... Ich glaube irgendwie war der Traum dem Tag ähnlich, an dem wir uns getroffen haben...“, murmelte sie, während sie alles in ihrem Kopf ordnete. In der Tat war der Traum ein wildes Durcheinander aus Erinnerungen und etwas Traumspinnerei. Die Erdbändigerin hob Raku etwas hoch und stupste mit ihrer Nase gegen seine kleine.
 

Sie hatte Raku kennengelernt und aufgenommen nur wenige Tage nachdem sie nach dem Tod ihrer Eltern auf der Straße gelandet war. Ihr war es zum ersten Mal gelungen, etws zu ergaunern. Stolz war sie nicht darauf gewesen, aber sie hatte Nahrung benötigt. Kaum hatte sie sich in Sicherheit gebracht, auf den Boden fallen lassen und begonnen das Fleisch von dem Spieß zu glauben, hatte etwas neben ihr kläglich miaut. Sie hatte den Kopf umgewandt und da hatte diese kleine, zerzauste Wolfskatze gesessen und mit bettelndem Blick zu ihr aufgesehen. Shinri hatte immer schon sehr viel für Tiere übrig gehabt und dachte nicht lange darüber nach, dass sie selbst alleine kaum satt wurde und hatte der Katze die Hälfte des Fleisches überlassen. So hatten sie es herunter geschlungen und der Kleine hatte sofort wieder klagend angefangen zu betteln. Shinri hatte gegrinst. „Sorry, mehr habe ich nicht.“ Sie kraulte das Tierchen unter dem Kinn, welches glückselig die Augen schloss und die Krallen wohlig aus- und ein fuhr.Dann hatte sich der Kleine auf ihren Schoss gelegt und war eingeschlafen. Das Mädchen war sitzen geblieben, ihren knurrenden Magen ignorieren und hatte die Wolfskatze ab und an gekrault und gewartet, bis sie von sich auf aufstand. Es schien für beide selbstverständlich, dass sie nun Freunde waren und seitdem wich die kleine Wolfskatze dem Straßenmädchen nicht mehr von der Seite. Rein pragmatisch gesehen war es dämlich gewesen, sich ein Haustier anzulächeln. Noch ein Maul, welches es zu stopfen galt. Doch das war Shinri egal. Sie schätzte die Gesellschaft des kleinen Tieres, beinahe weit mehr als die Gesellschaft von Menschen. Oder vielleicht nicht einmal beinahe. Raku war ein unersetzlicher Freund geworden und würde hoffentlich so lange als möglich an ihrer Seite bleiben.
 

Shinri hatte ins Nichts gestarrt und war ihren Gedanken nachgehangen. Blinzelnd tauchte sie aus ihren Erinnerungen wieder auf, als sie bemerkte,wie sich Nori allmählich regte und wach wurde. Sie lächelte sanft. Und jetzt hatte sie auch noch das Feuerbändigermädchen an ihrer Seite und hoffte ebenfalls ihr Band war ebenso stark wie das zwischen ihr und der Wolfskatze. „Guten Morgen.“, begrüßte Nori sie mit einem strahlenden Lächeln. Das Mädchen war unglaublich stark, fand die Erdbändigerin. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass sie jammerte, oder niedergeschlagen war. Sie kam sich im Gegensatz zu dem feurigen Mädchen beinahe klein und nichtig vor. Aber nein, eigentlich fühlte sie sich in der Gegenwart des Mädchens stark und sicher. „Morgen.“, erwiderte Shinri sanft lächelnd. Es war jetzt schon einige Wochen her, dass sie das Drachenviertel schützten. Sie bekamen dafür regelmäßig Entlohnungen in Form von Naturalien. Natürlich war es auch anstrengend und nicht gerade ungefährlich, aber sie bekamen Essen, hatten nette Menschen um sich und taten sogar noch etwas Gutes. Die Agni Kai Triade traute sich inzwischen kaum noch in das Viertel und schienen dieses ziemlich aufgeben zu wollen. Das waren ihnen die mickrigen Lädchen und die mickrigen Einnahmen wohl nicht wert. Dennoch machten Shinri, Nori und Raku dort weiterhin regelmäßig ihre Kontrollen. Und wenn sich keine Triadenmitglieder blicken liesen, gab es öfters Diebe, die es zu verscheuchen galt. Oder sie halfen den Verkäufern und Anwohnern bei diversen Kleinigkeiten. Ob sie für diese die Straße kehrten, für die Älteren einkaufen gingen, die Wohnung reinigten, oder sonst was. Es gab immer Arbeit und anschließend üppiges Essen. Es war beinahe, als seien den Anwohner die beiden Mädchen so sehr ans Herz gewachsen, dass sie sie wie Enkel oder Kinder in ihrer Mitte aufgenommen hatten. Und auch Shinri und Nori hatten viel für die freundlichen Leute des Viertels übrig. Man hatte ihnen schon mehrmals eine Übernachtungsmöglichkeit angeboten, welche sie auch bei sehr schlechtem Wetter angenommen hatten, aber ansonsten wollten die Mädchen den Anwohnern keine Unannehmlichkeiten bereiten. Sie fraßen sich ja quasi schon bei ihnen durch.
 

An diesem Tag war es auch wieder sehr ruhig, sodass die Mädchen bei Putz- und Reparaturarbeiten an den Häusern halfen. Die Sonne schien und kleine, weiße Wölkchen waren am Himmel zu sehen. Sanft fuhr der Wind durch ihr Haar und sorgte für eine angenehme Abkühlung. Shinri hatte gerade die Straße fertig gefegt, als sie Nori dabei half ein Brett festzuhalten, welches die Feuerbändigerin mit festen Hammerschlägen an seine vorgesehene Stelle befestigte. Sie waren gerade fertig geworden und hatten sich breit angegrinst, als ein Satomobil laut prausend in das Viertel einbog. Es bremste scharf und eine Staubwolke breitete sich aus. Drei Männer sprangen aus dem Wagen und sahen sich um. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragte Yugo, der alte Mann, dem Shinri und Nori an ihrem ersten Tag in diesem Viertel geholfen hatten. Der Mann, welcher bläuliche Kleidung trug fixierte den Mann grinsend. „Ich hoffe doch.“ Nori und Shinri hatten gleich, als das Satomobil um die Kurve gedriftet war, ihre Arbeit fallen lassen und waren an die Seite des alten Mannes getreten. „Wir sind die Triade der Dreifachgefahr.“, erklärte der Mann mit Hut und der blauen Kleidung, „Und da wir gehört haben, dass dieses Viertel... so ganz ohne den Schutz der Triaden ist, dachten wir uns, wir helfen Ihnen aus. Ich bin mir sicher sie kennen das Spiel. Sie geben uns eine Kleinigkeit und wir...“ Er nickte zu seinem Kumpel in rot, welcher augenblicklich eine Flamme in seiner Handfläche erschienen lies, „Sorgen dafür, dass in diesem Viertel nichts Unschönes geschieht.“ „Von wegen.“ Mutig trat Nori vor und schaute dem Anführer direkt in die Augen. „Aah.“, machte der Mann gedehnt und blickte abwechselnd die Feuerbändigerin und Shinri an, „Ihr müsst die beiden Mädchen sein, die sich hier als Schutzengel aufspielen und die schwächliche Agni Kai vertrieben haben. Keine große Kunst, wenn ihr mich fragt.“ Er lachte hämisch und seine beiden Kumpanen stimmten in sein Gelächter mit ein. „Aber ich sag euch was. Ein Angebot zur Güte sozusagen.“, meinte er nach einer Weile, „Wie wär´s?“, fragte er und hob eine Hand, ehe er fortfuhr: „Ihr könnt bei euch einsteigen. Ein bisschen was müsst ihr ja auf dem Kasten haben und ein paar Bändiger können wir immer gebrauchen.“ Shinri sah dem Mann direkt in die Augen. Sie war sich sehr wohl bewusst, wie gefährlich die Triade der Dreifachgefahr war. Doch kein Mensch sollte seine Kräfte und seine Macht ausnutzen, um sich über andere zu stellen. Selbstsicher trat Nori vor. „Nein, danke.“, antwortete sie dem Mann klar verständlich und erwiderte dessen Blick ohne ein Anzeichen von Furcht. Der Mann grinste und schüttelte den Kopf. „Ich habe euch vor schlauer gehalten, Mädchen. Aber ich gebe euch noch ein faire Chance.“ Er winkte seinen Männern zu und die drei wandten sich ab und liefen zu ihrem Satomobil zurück. „Ich gewähre euch eine kleine Gedenkzeit. Vielleicht kommt ihr dann zur Vernunft.“
 

Das Satomobil brauste um die Ecke und verschwand im geschäftigen Straßenverkehr Republicas.

Lange sahen die versammelten Menschen dem Wagen hinterher. Yugos Blick wanderte zu den beiden Mädchen. „Das sind echt üble Burschen.“, meinte er schließlich. „Das war die Agni Kai auch.“, meinte Shinri. „Die Triade der Dreifach Gefahr hat beinahe 70 % Republicas übernommen. Die Agni Kai, die Terra Triade und der Rote Monsun kommen nicht gegen sie an.“ Er sah bedrückt zu Boden. „Vielleicht solltet ihr...“ Der alte Mann hob den Blick. „Euch zurück ziehen. Ich sage ja nicht, dass ihr euch ihnen anschließen sollt.“, beeilte er sich zu sagen, „Aber es wäre sicherer für euch, wenn ihr sie gewähren lasst. Ihr seid den Typen nicht gewachsen, glaubt mir. Mit den Steuern kommen wir schon klar, aber bitte, legt euch nicht mit der Triade an.“ Yugo´s besorgter Blick ruhte auf den beiden Mädchen. Er meinte es ernst. Er machte sich wirklich Sorgen um sie.
 

„Was meinst du?“ Nori und Shinri waren in ihre Unterkunft zurück gekehrt. Shinri lag auf dem Rücken, die Hände hinter dem Kopf verschränkt und grübelnd an die Decke starrend. „Mh?“ Nori drehte sich auf die Seite und sah ihre Freundin an, ehe sie wiederholte: „Was meinst du, was wir tun sollen? Sollen wir der Triade nachgeben?“ Die Erdbändigerin sagte lange nichts. „Nein... Aber ich würde mich auch ungern mit ihnen anlegen. Versteh mich nicht falsch, aber ich ziehe es vor Konflikte zu vermeiden.“ Die Feuerbändigerin setzte sich auf und studierte das Gesicht des braunhaarigen Mädchens. „Also sollen wir kampflos das Feld räumen?“ Lange schwieg Shinri bedrückt, ehe sie durch ihren Haarvorhang murmelte: „Das habe ich nicht gesagt.“ „Ich werde jedenfalls nicht zulassen, dass die Triade wieder das Viertel tyrannisiert.“, rief Nori mit funkelndem Blick aus. Shinri sah, dass das Mädchen es ernst meinte. Ihr Blick war Feuer und Flamme und ihre Fäuste hatten sich entschlossen geballt. Egal was sie sagte, sie würde sie nicht umstimmen können. Natürlich konnte sie nicht gutheißen, was die Triade tat doch... Mehr Angst als alles andere machte ihr, was die Männer mit Nori anstellen konnte. Was sie mit ihr selbst taten, war dem Mädchen egal, doch sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Nori etwas zustieß. Natürlich war sie keine hilflose Prinzessin und war gut in der Lage sich zu verteidigen, doch die Triade der Dreifach Gefahr war ein harter Brocken und würde sich nicht kampflos zurück ziehen. Neben ihren zahlreichen Mitgliedern hatten sie auch noch alle drei Elemente zur Verfügung, was einen Kampf gegen sie deutlich erschweren würde. Langsam drehte sich Shinri zu ihrer Freundin um, nur um zu bemerken, dass diese eingeschlafen war. Sie lächelte sanft und drehte sich ebenso auf die Seite.

Füntes Kapitel

5.
 

Die Hitze der Flammen. Die schmerzhaften Gesteinsbrocken. Die eiskalten, spitzen Geschosse. All diese Bändigerattacken schienen gleichzeitig von allen Seiten zu kommen. Für die beiden Mädchen gab es keinen Ausweg. Kein Entrinnen. Hektisch sah sich Shinri nach Nori um, welche noch tapfer kämpfte und Feuerstoß um Feuerstoß bändigte und versuchte einen aus der Bande zu erwischen. Sie selbst konnte nur die Arme schützend vor den Körper halten und hoffen, dass es bald vorbei war. Plötzlich schlängelte sich das wabernde Wasser um ihre Knöchel, ihre Knie hinauf, bis zu ihren Becken und hoch zu ihren Schultern, ehe es eiskalt gefror und das braunhaarige Mädchen nicht mehr in der Lage war sich zu bewegen. Hilflos musste sie dabei zusehen, wie Nori zu Boden gestoßen wurde und ihrem unausweichlichen Schicksal in die Augen sah. „Nori!“ Ein verzweifelter Schrei löste sich aus Shinri´s Kehle.
 

Das Mädchen schreckte schwer atmend hoch. Sofort wanderte ihr Blick zu Nori, welche noch zu schlafen schien. Erleichtert atmete Shinri aus und kraulte Raku um die durch ihr plötzliches Erwachen alarmierte Wolfskatze zu beruhigen. Es war nur ein Traum gewesen. Es war alles in Ordnung.
 

„Guten Morgen.“ Nori sah Shinri mit schief gelegtem Kopf an, als diese aufwachte und schon etwas zum Frühstück hergerichtet vorfand. „Morgen.“ Prüfend wanderte der Blick der Feuerbändigerin über das Gesicht ihrer Freundin. „Alles in Ordnung? Du siehst ziemlich müde aus.“ Die Braunhaarige winkte locker ab. „Geht schon. Habe nur etwas schlecht geschlafen.“ Nori erlaubte sich ein keckes Grinsen. „Nichts für ungut, aber das sieht man.“ „Wäre erstaunlich wenn nicht.“, erwiderte Shinri grinsend. So saßen die beiden Mädchen und sahen sich über das Feuer an, welches Nori auf einem kleinen Haufen Äste und Zweige, die Shinri gesammelt hatte, entzündet hatte. „Also was tun wir?“, fragte Nori nach einer Weile. Shinri schwieg lange. Ihre Meinung war unverändert und der Alptraum lies sie nicht los. Unterbewusst schlang sie die Arme etwas fester um ihren eigenen Körper. Sie wollte Nori nicht verlieren. Sie betrachtete das Gesicht des Mädchens, als sah sie dieses zum ersten Mal. Ihr tiefschwarzes Haar glänzte im Feuerschein und ihre smaragdgrünen Augen funkelten voller Selbstvertrauen. Ihre vollen Lippen waren grübelnd verzogen und auch ihre Augenbrauen zogen ihre Stirn in Falten. Nach einer Weile, die der Feuerbändigerin wie eine Ewigkeit vorkommen musste, zuckte Shinri mit den Schultern. „Ich... habe keine Ahnung....“, antwortete sie schleppend, „Ich will Yugo und den anderen genauso gerne helfen, wie du. Ich will der Triade zeigen, dass sie nicht machen können, was sie wollen aber...“ Ich habe Angst um dich. Diese Worte brachte sie nicht über die Lippen. Stattdessen schwieg sie. Nori erwiderte ihr Schweigen lange, ehe sie nickte. „Ich verstehe. Ich weiss wie du dich fühlst.“, sagte sie, „Mir ist auch nicht ganz wohl dabei aber... Ich glaube man muss etwas gegen das Unrecht in der Welt tun, sonst ändert sich nichts.“ Shinri sah sie lange an. Sie hatte Recht. Das wusste sie. Aber dennoch war die Realität grausam. Die Taten einzelner bewirkten beinahe nichts. Man konnte die Welt nicht von heute auf morgen ändern. Man konnte höchstens auf seine nähere Umgebung Einfluss nehmen, aber nicht alles Böse auf der Welt im Alleingang vernichten. Zerstreut nickte die Erdbändigerin. Die Feuerbändiger würde sich nicht aufhalten lassen. Das konnte sie in ihrem Blick sehen und spüren. „Es ist egal, was ich sage...“, begann Shinri, „Du wirst ja doch gehen, oder?“ Nori lächelte. Eine Mischung zwischen Schalk und Trauer zierte ihren Blick. Shinri schüttelte langsam den Kopf, dann grinste sie. „Naja, dann bleibt mir nichts übrig auf dich aufzupassen, nicht wahr?“ Mit diesen Worten erhob sie sich schwerfällig. Unerwartet schlang Nori die Arme um ihre Freundin, ehe sie einen Schritt zurück trat und deren Hände umfasste. „Wir schaffen das.“ Ihr Blick war entschlossen und ihren Worten nach zu schließen glaubte sie fest daran. Shinri nickte. „Machen wir sie fertig.“, bestätigte sie. Ob Nori spürte, dass sie selbst daran Zweifel hegte? Wenn, lies sie es sich nicht anmerken, denn sie nickte lächelnd, ehe sich die beiden Mädchen auf den Weg machen. Raku sah ihnen lange nach.
 

„Einen wunderschönen Morgen, die Damen.“ Der Anführer der Triade der Dreifachgefahr lächelte sie spöttisch an. Er und seine Kumpanen hatten bereits auf die Beiden gewartet. „Habt ihr euch unser großzügiges Angebot noch einmal durch die hübschen Köpfe gehen lassen?“, fragte er und löste sich von dem Satomobil, gegen das er sich gelehnt hatte und kam auf sie zu. Er mochte ja schöne Worte verwenden, aber der Hohn und Spott passte den beiden Mädchen gar nicht. Dennoch antwortete ihm Nori: „Das haben wir.“ „Und?“, fragte der Mann und kam einige Schritte näher. Seine Kumpanen taten es ihm gleich. „Wir haben beschlossen, dass wir Ihr...“ Sie verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln, „...Großzügiges Angebot leider ausschlagen müssen.“ „So.“, meinte der Anführer der Bande knapp und es war kaum zu übersehen, dass ihn diese Antwort ärgerte, „Ich hatte euch für klüger gehalten.“ Er lächelte herablassen und wedelte mit der rechten in der Luft, als wollte er eine lästige Bienenfliege verscheuchen. „Aber ich gebe euch noch eine sportliche Chance. Haut ab, lasst euch hier nicht mehr blicken und wir ziehen in Erwägung euch ungeschoren davon kommen zu lassen.“ Die beiden anderen Männer knackten bedrohlich mit den Fingerknöchel. Nori erwiderte trotzig den Blick des Anführers und ballte die Fäuste. „Wir lassen uns nicht vertreiben und werden auch nicht zulassen, dass ihr die Bürger dieses Viertels unterdrückt.“ Shinri trat an die Seite ihrer Freundin. „Kampflos werden wir nicht aufgeben.“ „So ist das also.“ Der Mann in Blau lüftete etwas seinen Hut und sein spöttisches Lächeln wurde noch breiter. „Nun gut.“ Er setzte seine Kopfbedeckung wieder auf und schob die Hände in seine Hosentaschen. „Ihr hab es nicht anders gewollt.“ Mit einer plötzlichen Bewegung schnellten seine Hände nach vorne und zwei Wasserschwälle schossen auf die Mädchen zu. Beide rollten sich zur Seite und erwiderten die Attacke mit Feuer- und Gesteinssalven. Nun schritten auch der Erd- und der Feuerbändiger der Triade ein und attackierten die Mädchen.
 

Erschrocken hatten die Bewohner in ihren Häusern Schutz gesucht und beobachten das Schauspiel mit wachsender Angst. Die Elemente prallten aufeinander und die Straße hüllte sich in einen gefährlich wirkenden Dunst. Yugo lugte voller Sorge durch seinen Vorhang und sah besorgt auf die beiden Mädchen herab, die tapfer ihren Stand verteidigen. „Passt auf euch auf und viel Glück, Mädchen.“, murmelte er leise.
 

Weder Nori noch Shinri waren ungeübte Bändiger. Beide wussten ihr Element geschickt anzuwenden und sowohl im Angriff, als auch in der Verteidigung wussten sie sich zu behaupten. Allerdings spürten sie schnell, wie der Kampf an ihren Kräften zerrte. Ob es an ihrer mangelnden Erfahrung im Kampf gegen starke Bändiger lag, oder an ihrer geringen Ausdauer, herbeigeführt durch schlaflose Nächte und Nahrungsmangel der letzten Monate. Shinri warf Nori einen Seitenblick zu, als die beiden Mädchen hinter der von ihr geschaffenen Gesteinsmauer hockten und warteten, bis die Attacken der Gegner erstarben. Die schwarzen Strähnen klebten ihr an der vom Schweiß getränkten Stirn und ihr Atem hatte sich beschleunigt. Doch sie erwiderte selbstsicher den Blick ihrer Freundin und nickte entschlossen. Dann sprangen beide Mädchen synchron auf und erwiderten artig das Feuer auf die Gegner. Getroffen taumelten der Erd- und der Feuerbändiger zu Boden, doch der Wasserbändiger nutzte seine Chance und wischte Nori mit einem gezielten Wasserschwall von den Füßen. Wütend lies Shinri mehrere Gesteinsbrocken auf den Anführer sausen, deren Deckung sie nutzte, um ihrer Freundin zur Hilfe zu eilen. Sie half ihr beim Aufstehen und schaffte es gerade noch, sich selbst und Nori aus der Schussbahn des Feuerbändigers zu bringen. Sie spürten die Hitze der Flammen, die über ihren Kopf hinweg fegten. Shinri schluckte trocken hinter ihrer schützenden Mauer. Die Kerle waren echt hartnäckig. Plötzlich traf etwas den Gesteinswall. Ein schwerer Angriff lies den Schutz zerbersten und die Mädchen wurden zu Boden geschleudert und rutschten einige Meter weit über den Teer. Als sich Shinri erhob trafen sie mehrere Attacken des Erdbändigers. Ehe Shinri angemessen reagieren konnte, wurde sie erneut zu Boden geschleudert. Ein durchdringender Schrei drang zu ihr durch. Shinri blieb keine Zeit nach ihrer Freundin zu schauen, denn in diesem Augenblick kam der Erdbändiger auf die zu gesprungen und drohte mit einem gewaltigen Faustschlag, welcher die gesamte Straße in Mitleidenschaft zog. Ihr gelang es gerade mal, dem Angriff durch eine ungeschickte Rolle zu entgehen, doch das Beben verhinderte, dass sie gerade stehen konnte. Sie schwankte, da traf sie der Wasserbändiger. Er schickte wütend Salve, um Salve, ehe er grausam langsam das Wasser ihren Körper hinauf bändigte. Wie eine kalte Schlange schlängelte sich die Flüssigkeit zunächst um ihre Fußgelenke, dann um ihre Knie, Oberschenkel, Hüfte, Arme und Bauch, beinahe bis zu ihrem Kinn hinauf, ehe es gefror. Es war als wurde das Mädchen von mehreren Messerstichen gequält. Keuchend versuchte sie sich aus ihrem eisigen Gefängnis zu befreien und sie wand verzweifelt den Kopf mal auf die eine, dann auf die andere Seite. „Pech, Kleine.“, meinte der Wasserbändiger grinsend.
 

Sein Kopf fuhr herum, als in diesem Augenblick die ohrenbetäubende Sirene des Zeppelins der Metallbändiger Polizei ertönte. Auch die Blicke seiner Kumpanen wanderten zum Himmel hinauf, wo das Gefährt schwebte. „Hier spricht die Polizei von Republica. Bleiben Sie stehen. Sie sind verhaftet.“ „Verflucht.“, fluchte der Anführer der Triade, erteilte seinen Kumpanen einen hastigen Wink, ehe er zu seinem Satomobil stürzte und mit seiner Bande davon brauste.
 

Shinri war es in der Zwischenzeit gelungen sich zu befreien und sie taumelte einige Schritte voran. Die Straße hatte sich mit Schaulustigen gefüllt. Die meisten Menschen standen im Kreis. Um was? Im plötzlichen Begreifen stürzte Shinri voran, stieß mehrere Leute aus dem Weg, bis sie zu Nori kam, welche schwer atmend auf dem Boden lag. Ihre Augenlider flackerten, ihr Blick wanderte ziellos umher und ihre rechte Hand lag auf ihrer Brust, die sich mühsam hob und senkte. „Nori. Nori!“ Verzweifelt rief Shinri nach ihrer Freundin, während sie deren freie Hand ergriff. Die Lippen der Feuerbändigerin teilten sich zu einem leichten Lächeln. „Shinri...“, hauchte sie und ihr Blick versuchte das braunhaarige Mädchen zu fixieren. „Es... tut mir... Leid...“, murmelte die Schwarzhaarige, „Ich war...überzeugt... wir schaffen das...aber...“ Sie unterbrach sich, als sie von einem Hustenkrampf geschüttelt wurde. „Nori!“ Shinri nahm die Menschen um sich herum war nicht mehr wahr. Mittlerweile mochten auch die Polizisten eingetroffen sein, aber das war ihr egal. Sie blendete alles aus. Ihre Aufmerksamkeit galt einzig und allein ihrer Freundin. „Spar dir deine Kräfte. Ein Heiler....“, versuchte sie, doch die Feuerbändiger schüttelte den Kopf. „Du brauchst... nicht zu... lügen...“, meinte sie lächelnd, als etwas Blut aus ihrem Mundwinkel floss, „Ich... werde es nicht schaffen.“ Tränen brannten in den Augen des braunhaarigen Mädchens. „Nein.“ Es war mehr wie ein verzweifeltes Kreischen. „Du... wirst nicht... Du darfst nicht... Ich...“, stammelte sie. Ihr Hirn war nicht in der Lage die Situation zu verarbeiten. „Ist schon gut...“, sanft strich Nori´s Hand ihre Tränen nasse Wange. „Weist du....“ Ihr Blick flog über den blauen Himmel. „Die Zeit mit dir... war... die aller...schönste in meinem ganzen Leben...“ Auch in ihren smaragdgrünen Augen sammelten sich Tränen, „... Wünschte...länger... mit dir... Entschuldige...“ Die Worte kamen immer schleppender über ihre Lippen und es wurde immer schwerer deren Bedeutung zu erfassen. Verzweifelt legte Shinri die Arme um den Oberkörper ihrer Freundin und drückte sie an sich. „Nein. Nein....“, schluchzte sie, „Nori... Du... Ich...“ Sie hatte das Gefühl ihrer Freundin noch so viel sagen zu müssen, doch ihr fiel nicht das Richtige ein. Ihre Worte fühlten sich leer und verschwendet an. „Bitte, weine...nicht...um mich...“, bat Nori und ihr Blick klärte sich etwas, als sie das weinende Mädchen ansah, „Du bist...ein wunderbares...einzigartiges Mädchen... Ich ... wünschte...wir hätten noch mehr....Zeit... Es.. tut...“ „Hör auf dich ständig zu entschuldigen.“ Shinri packte die Hand ihrer Freundin noch fester. Durch ihren Tränen verschleierten Blick konnte sie das andere Mädchen kaum noch wahrnehmen. Ihre Lippen bebten und sie zitterte am gesamten Körper. Plötzlich war es ihr, als strömte ein wohliger Schauer durch ihren Körper. Es dauerte eine Ewigkeit, bis sie begriff, was diese Empfindung in ihr auslöste. Nori hatte ihre Lippen aus Shinri´s Lippen gelegt und küsste sie sanft. Als sich die beiden wieder voneinander lösten, teilten sich Nori´s Lippen zu einem schelmischen Lächeln. „Das...wollte...ich schon... eine ganze Weile....tun....“ Shinri schluchzte verzweifelt auf. Ihr Herz quoll über vor Zärtlichkeit und unendlicher Trauer, als sie Nori dabei zusah, wie diese ihren letzten Atemzug tat. Dann erschlaffte der Körper des Mädchens und ihr Kopf fiel zur Seite.
 

Raku sah sie fragend an, als sie zurück kam. Das Mädchen schüttelte nur den Kopf. Es war aus. Vorbei. Nori war von ihnen gegangen und sie würde nie wieder zurück kehren. Sie nahm die Wolfskatze in ihre Arme und verlies das Gebäude. Wohin war ihr egal. Sie wollte nur fort. Den Erinnerungen entfliehen.
 

Wie viel Zeit war wohl vergangen, seit... diesem Vorfall? Shinri saß auf dem schmutzigen Boden in einer dunklen Seitengasse. Regentropfen prasselten vom grauen Himmel und hinterließen ihre dunklen Spuren. Sie konnte es immer noch nicht fassen. Der Regen fiel auf ihr Gesicht und vermischte sich mit ihren Tränen. Vielleicht war das ein Traum. Ja genau. Das ganze war nur ein wahnsinniger Alptraum. Sie musste nur aufwachen. Nori konnte nicht... Sie konnte doch nicht einfach fort sein. Tot. Sie schreckte vor diesem Wort zurück. Nein... nein. Nein! Ihre Fingernägel hinterließen blutige Krater auf ihren Oberarmen. Raku sah seine Herrin traurig an und er maunzte, doch seine Stimme vermochte das Mädchen nicht zu erreichen, welche ihren Kopf auf ihre Oberarme gelegt hatte und sich völlig ihrer Verzweiflung ergab.
 

Als der Regen sich gelegt hatte, schien die Sonne am Himmel. Shinri bemerkte dies kaum. Für sie war die Welt nach wie vor grau und leer. Eine Welt ohne Nori war keine Welt in der sie leben wollte. Ein Schatten legte sich über sie und sie sah ohne jedes Interesse auf. Vor ihr stand ein hochgewachsener Mann. Seine dunkle Kapuze hatte er sich tief ins Gesicht gezogen. Darum war die weiße Maske, die er trug kaum zu erkennen. Es dauerte eine Weile, die der Fremde dazu genutzt hatte das Mädchen lange schweigend zu betrachten, ehe er die Stimme erhob, sich etwas zu dem schmutzigen kleinen Mädchen herab beugte und fragte: „Willst du mir nicht helfen, eine gerechte Welt zu erschaffen, in der alle in völliger Gleichheit leben?“



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  fahnm
2016-07-26T18:58:44+00:00 26.07.2016 20:58
Ein Tolles Kapitel
Mach weiter so
Antwort von:  Yumiko_Youku
26.07.2016 21:35
Awww. Danke schön! *.*
Von:  fahnm
2016-07-08T23:00:34+00:00 09.07.2016 01:00
Ein Super Anfang.
Freue mich aufs nächste kapitel
Antwort von:  Yumiko_Youku
09.07.2016 07:56
Vielen, vielen Dank! :)


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