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Luna Plena

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe euch gefällt meine erste Kurzgeschichte :) Komplett anzeigen

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Schon wieder Regen

An einem stürmischen, regenverhangenen Tag, sah eine junge, siebzehnjährige Frau aus dem Fenster. Sie lag auf ihrem Bett und beobachtete, wie die Regentropfen an der Scheibe hinunter rannen. Es regnete schon mehrere Tage durch. Der Fluss, der ganz in der Nähe war, trat schon über seine Ufer und den Weg, welcher von der Straße zu ihrem Haus führte, konnte man kaum noch erkennen.

Es klopfte an der Tür und sie vernahm ein leises: „Schwester, das Essen ist fertig.“ Es war ihr älterer Bruder Alvalong. Ein neunzehnjähriger Junge mit strohblondem längerem Haar und muskulösem Körperbau.

„Ich komme ja schon.“, antwortete die junge Frau und sprang lächelnd vom Bett. Er lauerte ihr hinter ihrer Tür auf und fing an, seine kleine Schwester auszukitzeln. Diese wehrte sich, indem sie ihrem Angreifer vors Schienbein trat und ihm die Frisur zerstörte. Er schüttelte sie lässig ab und warf sie über seine Schulter. Dann trug er sie die Treppe hinab, währenddessen sie verzweifelt versuchte sich freizukämpfen.

Ihre Eltern warteten am gedeckten Esstisch auf die Geschwister. Es gab gebratenen Reis mit knusprig gebratenem Hünchenfleisch, welches vorher in einer Currysoße eingelegt wurde und frischem Gemüse.

"Ihr vertragt euch, ja?“, fragte die Mutter.

„Alles bestens.“, versicherte ihr Alvalong, der seine kleine Schwester vorsichtig absetzte.

„Natürlich vertragen wir uns.“, erwiderte diese und versetzte ihm mit ihrem Ellenbogen einen Schlag in den Bauch.

„Na, Na‚’ meldete sich ihr Vater freundlich,’ jetzt hört doch auf zu streiten. Was hast du die ganze Zeit gemacht, Liebes, wir hatten dich mehrmals gerufen?“

„Sie hat ganz gedankenversunken aus dem Fenster geschaut“, sagte Alvalong. Die junge Frau mit den langen, kupfernen Haaren trat ihn unter dem Tisch und er zuckte zusammen: “ Ich hab den Regen an meiner Scheibe betrachtet und überlegt, welch lustige Sachen ich mit meinem Bruder unternehmen könnte, wenn es endlich aufhören würde zu regnen.“

„Und was würdet ihr schon wieder anstellen? Lasst mich raten: ihr würdet unserer Nachbarin Frau Bold ein Geschenk durchs offene Küchenfenster schieben, wo drauf steht: „Für meine geliebte Annemarie. In Liebe ihr heimlichen Verehrer. Und wenn die arme Frau das Geschenk erwartungsvoll öffnet springen ihr hunderte Sternfrösche ins Gesicht. Dann lässt sie den Karton fallen und gepunktete Flussschlangen schlängeln sich über den Küchenboden. Währenddessen ihr euch in dem Busch unter dem Fernster das Lachen verkneifen müsst.“

„Ja, das kommt der Wirklichkeit doch erstaunlich nahe. Aber das ist nicht alles. Danach würden wir uns auf den Weg machen, den Wald weiter zu erforschen.“

„Aber dafür müsste es erstmal aufhören zu regnen.“, grummelte ihr Bruder mit finsterem Blick. „Du sagst es.“

„Was gedenkt ihr zu finden?“, fragte der Vater.

„Naja, wir haben das Gerücht gehört, dass sich in unserem Wald seltene Wesen ab und an blicken lassen und …“ erwiderte die junge Frau, doch ihr Vater unterbrach sie zornig: „ Wer hat das denn gesagt? Hier lief noch nie etwas Selteneres als Regenbogenfeen herum!“

„Aber der alte nette Herr drei Häuser weiter meinte …“

„Hab‘ ich euch nicht gesagt, dass ihr ihm nicht alles glauben sollt? Er ist ein alter, einsamer und verrückter Greis, der nur Aufmerksamkeit sucht.“

„Woher willst du das wissen?“

„Das sieht man doch auf den ersten Blick!“

„Wie, dass sieht man?“

„Ja, man sieht es ihm einfach an, dass er nicht alle Tassen im Schrank hat.“

„Wie kannst du so etwas sagen? Du hältst meinem Bruder und mir stundenlange Predigten, von wegen, wir dürfen keine voreiligen Schlüsse ziehen, niemanden nach seinem Äußeren bewerten und wir dürfen keine Vorurteile haben, aber du hältst dich selber nicht dran? Hast du dich jemals mit ihm unterhalten?“

„Sag mir nicht was ich zu tun und zu lassen habe, junges Fräulein. Ja, ich habe mit ihm gesprochen und da habe ich gemerkt, dass bei ihm einige Sicherrungen durchgebrannt sein müssen!“

„Ist das so? Wir haben schon oft mit ihm gesprochen und mein Bruder und ich sind uns sicher, dass er noch ganz frisch im Kopf ist!“

„Habt ihr das wirklich gemacht? Alvalong wenigstens von dir hätte ich mehr erwartet.“

Da meldete sich der blonde Junge wütend zu Wort: „Eiju und ich sind keine Kinder mehr, Dad! Wir können selber entscheiden mit wem wir reden und wem wir glauben und wem nicht.“

„Das stimmt ihr seid keine Kinder mehr. Ihr seid aufsässige Teenager geworden.“

„Falls du es noch nicht gemerkt oder es vergessen hast, ich bin neunzehn und somit erwachsen. Mir kannst du nichts mehr vorschreiben und was meine kleine Schwester betrifft, sie ist erwachsener als du. Sie verschränkt ihren Geist nicht wie du. Sie beherzigt das, was du uns beigebracht hast!“

Nun brachte sich die junge Frau wieder ins Gespräch ein: „Wir verlangen nicht von dir, das du an das selbe glaubst wie wir, wir möchten nur das du uns selber entscheiden lässt, an was wir glauben wollen. Vor zwei Tagen waren wir wieder bei ihm und da hat er uns seine wertvollsten Bücher gezeigt. Darin wurden viele magische Geschöpfe detailliert aufgezählt…“

„Das sind alles nur Legenden.“

„Aber was ist, wenn er recht hat? Wenn es wirklich Wesen wie Harpyien oder Nymphen gibt. Oder mächtige Infrith und Frostwölfe.“

„Das sind wie gesagt nur Legenden.“

„Jetzt hat jeder seinen Standpunkt dargestellt und damit ist Schluss!“, mischte sich sein Sohn erneut ein, „denk du an das, was du denken willst, und lass Eiju und mich an das denken, was wir wollen. Früher oder später werden wir ja sehen, wer Recht hat!“

„Wir sollten mit dem Essen anfangen, sonst wird es noch kalt.“, mahnte die Mutter und schaute ihren Mann beschwichtigend an, „Außerdem sollten wir uns wegen solchen Kleinigkeiten nicht streiten. Lass den Kindern ihre Freiheiten.“ Der Vater nickte wiederwillig. So aßen sie gemeinsam zu Abend.

Die Eltern unterhielten sich über ihre Arbeit. Das rothaarige Mädchen wandte sich von dem todlangweiligem Gespräch ab und ihrem ebenfalls gelangweiltem Bruder zu. Der fing ihren Blick auf und zwinkerte ihr zu. „Wir werden trotzdem weitermachen egal was die Alten sagen.“, flüsterte er. Sofort hellte sich ihre Miene auf. Nachdem sie fertig waren, gingen die Kinder auf ihre Zimmer, denn es war spät geworden und sie alle waren müde. Während die Eltern noch den Tisch abräumten, hörten sie ihre Kinder lachend und sich neckend die Treppe hoch laufen. Dann gingen auch sie ins Bett.
 

Eijumy wälzte sich unwohl in ihrem Bett hin und her. Sie hatte aus unerklärlichen Gründen ein ungutes Gefühl, doch die Müdigkeit überfiel sie und sie schlief rasch ein.

Der Schrecken der Nacht

Der Schrecken der Nacht
 

Mitten in der Nacht schreckte die junge Frau aus ihrem Schlaf hoch. Sie hatte ein lautes Geräusch gehört, als mache sich jemand an ihrem Fenster zu schaffen. „War das nur Einbildung?“, überlegte sie. Doch auf einmal tauchte ein großes, gelb glühendes Auge vor ihrem Fenster auf. Der Puls des Mädchens schoss in die Höhe und sie fing an hektisch zu atmen, rührte jedoch keinen Finger. Wie versteinert saß sie da und starrte das gelbe Auge an. Seine schlitzförmige Pupille war auf sie gerichtet, schwankte aber nach ein paar Minuten, die ihr wie Stunden vorkamen, aus ihrem Zimmer heraus und fing an die Fassade zu mustern. Langsam bewegte sich Eijumy in Richtung Tür. Das Auge schwankte wieder zu ihr. Erneut erstarrte sie zu einer Salzsäule. Da sie sich nicht mehr bewegte war sie anscheinend uninteressant und das Wesen schaute wieder weg. Langsam, ganz langsam schob sich das verängstigte Mädchen die Wand entlang - jederzeit bereit, direkt in ihrer Bewegung zu stoppen, bis sie bei ihrer Zimmertür angekommen war. Das unheimliche Wesen sah sie wieder an. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie direkt in das gelbe Auge starrte, welches das komplette Fenster ausfüllte. Die Kreatur vor dem Haus fing an zu knurren. Eijumy erschrak. Es fühlte sich an, als ob ihr Herz jeden Moment zerspringen würde. Das Wesen bewegte den Kopf und sie sah einen Teil seines Maules. Es war schneeweiß und mit messerscharfen Zähnen bespickt. Durch die leicht geöffnete Schnauze konnte sie erahnen, wie lang die Zähne waren, die Kleinsten schienen so groß wie ihr Unterarm zu sein, die Eckzähne waren allerdings ein vielfaches größer. Da züngelte es mit seiner, langen, schlanken, schneeweißen, gespaltenen Zunge, fauchte noch einmal furchteinflößend und verschwand.

Die junge Frau atmete mehrmals tief durch und rannte aus der Tür in den Flur auf das Zimmer ihres großen Bruders zu. Sie stolperte panisch in den Raum und fand Alvalong friedlich in seinem Bett schlafend vor. Seine Schwester sank erleichtert zu Boden, kroch zu ihm hin und küsste ihn auf die Stirn. Er murmelte etwas im Schlaf und drehte sich auf die Seite. Eijumy stand auf uns verließ sein Zimmer. Im Flur stehend dachte sie: „Warum hat keiner etwas gehört? War … war das alles etwa nur ein Albtraum?! Aber … aber diese Augen … und … und diese Zunge und überhaupt … die Geräusche alles … alles wirkte so real…. Ich glaub ich sollte mich wieder schlafen legen.“

Doch plötzlich hörte sie etwas, wieder ein merkwürdiges Kratzen und Schaben. Dann klirrte Glas.

Es hörte sich an, als käme es aus der Küche unter ihr. Sie schlich die Treppe hinunter. Im düsteren Wohnzimmer sah alles wie immer aus. Sie ging weiter in Richtung Küche. Plötzlich durchfuhr ein stechender Schmerz ihren Körper und sie fiel auf die Knie. Am liebsten hätte sie geschrienen, doch sie unterdrückte es und sah an sich hinunter. Sie keuchte leise, als sie ihren Fuß sah. Mehrere kleine Scherben steckten in ihm. Sie sah sich um und bemerkte weitere Glasscherben am Boden. Die junge Frau fing an die Scherben aus ihrem Fuß heraus zu ziehen. Sie hatte Glück im Unglück, ihr Fuß blutete nur leicht, sie hatte ihn schnell genug weggezogen. „Woher kommen all diese Scherben?“, fragte sie sich und sah die Wand neben sich hoch. Die junge Frau erschrak als sie das zerbrochene Fenster sah und bekam es mit der Angst zu tun. Sie stand auf und stellte sich flach an die Wand und horchte. Hinter ihr auf der anderen Seite der Hauswand hörte sie jemanden oder etwas tief atmen. „Ist das etwa das Wesen von vorhin?“, überlegte sie panisch, “oder etwa ein Dieb? Vielleicht sind es ja zwei, ein Dieb, dem dieses weiße Wesen gehorcht …“ Sie zitterte am ganzem Leib und wollte zu ihren Eltern rennen, doch ihre Beine gehorchten ihr nicht mehr. So blieb sie vor Angst gelähmt stehen und hörte dem bedrohlichen Atem des Wesens weiter zu. Sie erschrak, als es auf der anderen Seite anfing laut zu fauchen, und dann mit einer seiner Krallen besetzten Klaue genau auf die Stelle, wo Eijumy stand, zu trat. Um Haaresbreite verfehlten die vier gigantischen, messerscharfen Krallen die junge Frau und sie schmiss sich auf den Fußboden. Panische Angst befiel ihren Körper und sie krabbelte auf dem Boden zur Haustür, die halb aus den Angeln geschlagen worden war und von da aus nach draußen.

Sie schmiss sich hinter zwei große Blumentöpfe, in denen Goldbambus wuchs, und wartete.

Ein ohrenbetäubendes Geräusch ertönte. Das Wesen hatte die Wand eingeschlagen und kletterte nun auf das Dach. Eijumy wollte wieder zu ihren Eltern laufen, aber die Angst war immer noch zu groß. Vorsichtig spähte sie durch die Stämme des Bambusses und versuchte den Angreifer in der riesigen Staubwolke zu erkennen, doch alles was sie sah, waren die schemenhaften Umrisse eines langen, weißen Dinges, welches von den Trümmern der Wand aus bis auf das Dach reichte. Ein weiteres Krachen war zu vernehmen und ein Schrei. Es war ihre Mutter, die aus vollem Leibe schrie, als sie das große Wesen durch die Decke kommen sah. Dann fauchte die weiße Kreatur und nun konnte sie auch die Stimme ihres Vaters hören. Er rief merkwürdige Worte, welche sie noch nie zuvor gehört hatte. Dann war ein gleißend, heller Lichtstrahl zu sehen. Die weiße Kreatur brüllte zornig auf. Der Lichtstrahl verblasste und ihre Mutter schrie erneut auf. Dann war alles wieder still.

Nachdem sich die Augen des Mädchens vom gleißend hellen Lichtblitz erholt hatten, sah sie sich weiter um und erkannte eine gigantische, geflügelte, weiße Echse auf dem Dache. Das, was sie für ein langes weißes Ding gehalten hatte, war der Schweif des Drachen. Der erste Gedanke, der ihr durch den Kopf schoss war, dass es ein Lichtdrache sein müsste. Grauenerfüllt sah sie zu, wie die Riesen-Echse weiter in das Haus kletterte.

Da hörte sie ein zweites furchterregendes Brüllen und ein Feuerball flog auf das Haus zu. Die gewaltige Kraft des Aufpralls und des Feuers setzte das ganze Haus im Nu in Brand. Der weiße Drache fauchte wutentbrannt und versuchte, aus dem Haus zu kommen, als ein zweites geflügeltes Wesen auf ihn herab schoss. Das weiße Wesen hechtete von dem Haus aus in den Garten. Die zweite Kreatur landete direkt vor der Ersten. Jetzt konnte Eijumy erkennen, dass es ein weiterer Drache war. Diese Mal handelte es sich allerdings um einen Feuerdrachen. Beide Drachen standen sich Zähne fletschend gegenüber. Keiner machte Anstalten, den Anderen anzugreifen. Es schien so, als hätten beide vor einem Konterangriff des Anderen Furcht. Doch da spie der rote Drache erneut einen Feuerball auf den kleineren weißen Artgenossen. Dieser jedoch wehrte den Angriff mit seinem Schweif mit spielerischer Leichtigkeit ab und setzte sofort zum Gegenangriff an. Der Lichtdrache schnellte hervor und biss ihn mit seinen rasiermesserscharfen Zähnen in den gepanzerten Hals. Eijumy hörte wie der Panzer zwischen dem Kiefer des Lichtdrachens anfing zu knirschen. Bis es ein lautes Knacken gab. Der rote Drache brüllte vor Schmerz auf und versuchte den weißen Gegner irgendwie abzuschütteln. Doch der weiße Drache hatte sich festgebissen. Blut sickerte aus der Bisswunde. Dann wirbelte der rote Drache herum und schlug seinen Angreifer mit seinem gezackten Schweifende einige Meter weit weg. Aus beiden Wunden sickerten Unmengen an Blut, doch das störte sie nur wenig, die Drachen stürzten sich wieder aufeinander und fingen an sich zu zerfetzen. Wie gebannt starrte Eijumy auf die beiden kämpfenden Echsen. „Was machen denn zwei Drachen hier in dieser Gegend. Ich dachte das wären längst ausgestorbene Legenden und warum bekämpfen sie sich?“ Plötzlich erhoben sich beide Blut triefend in die Lüfte um dort ihren erbitterten Kampf fortzusetzen. Die Wesen fauchten sich gegenseitig an und fügten sich weitere erhebliche Wunden zu. Keiner zeigte Anzeichen von Schwäche oder Erschöpfung, denn keiner wollte sich vor dem Anderen eine Blöße geben. „Es sieht aus, als seien sie gleich stark, “ dachte die junge Frau, „Der Feuerdrache ist größer und hat wesentlich mehr Kraft, verlässt sich aber nur auf seine Stärke und seine Panzerung. Er versucht, den Kleineren immer wieder mit seinen mächtigen Klauen zu treffen, aber der Lichtdrache weicht den meisten Angriffen aus. Er ist eindeutig schneller und agiler. Dafür sind seine Schuppen weicher. Er bekommt zwar insgesamt weniger Schläge ab, dafür bohren sich die Krallen des Feuerdrachen teilweise bis auf seinen Knochen durch. Die rote Echse hat unzählige Biss- und Kratzspuren am gesamten Leib, die allerdings nicht so tief waren. Aber wer von Beiden wird gewinnen?“ Vor Wut, dass er den schneeweißen Gegner immer noch nicht zu Asche verwandelt hat, brüllte der rote Drache auf und feuerte viele Feuerbälle auf einmal ab. Geschickt wich der Lichtdrache dreien aus der vierte traf ihn allerdings am Flügel und riss ein großes Loch hinein. Er brüllte vor Schmerz auf und landete wieder im Garten, da er sich so unmöglich länger in der Luft halten konnte. Der in die Enge getriebene Drache sammelte seine letzten Kräfte für seinen stärksten Angriff, genauso wie der fliegende Feuerdrache. Das letzte, woran sich Eijumy erinnern konnte war, wie ein gleißendheller Lichtball auf eine feuerrote Kugel traf und es zu einer Explosion kam, welche alles, was sich in ihrer Nähe befand, wegdrückte.

Die Einhörner

Auf einer Lichtung, nicht weit von dem Unglücksort entfernt, war eine kleine Herde gehörnter Pferde. Sie bestand aus vier strahlend weißen Einhörnerstuten. Sie hatten sich auf der kreisrunden Lichtung verteilt. Ein etwas älter Wirkendes lag friedlich im Gras und beobachtete, wie sich zwei Lärchen um einen Bandwurm stritten. Zwei der Stuten grasten zufrieden das besonders saftige Gras und das vierte fraß Moos von einer alten Birke.

Als sich jedoch ein fünftes Einhorn dazugesellen wollte, schreckten sie hoch. Es trug einen Menschen auf dem Rücken. Ein junges, schlankes Mädchen, dessen Haare in der aufgehenden Sonne rot schimmerten, was allerdings auch von der Platzwunde an ihrem Hinterkopf kommen konnte. Eins der grasenden Einhörner wieherte: „Was soll das, Lichtschweif?! Was hast du mit dem Menschen vor?“

Das neu dazugekommene pferdeartige Wesen erwiderte: „Sie wurde schwer verwundet. Ich konnte sie doch wohl kaum zurück lassen!“ Das Einhorn namens Lichtschweif trabte zu der murrenden Gruppe. Sie sahen, dass der Mensch sehr schwer verletzt wurde, ihr Körper war mit Schürf- und Kratzwunden übersäht, sie hatte eine große Platzwunde am Hinterkopf und eine handgroße Tonscherbe steckte in ihrem Bauch. Zudem war sie bewusstlos, dennoch wollte keins der Einhörner zur Hilfe eilen.

„Wir sind die einzigen, die ihr noch helfen können“, sagte die Stute.

„Wenn das Inari erfährt, dann …“, erwiderte eine der anderen Stuten.

„Er wird es nicht erfahren und wenn doch … werde ich das allein mit ihm regeln. Keinem von euch wird etwas passieren. Dafür werde ich sorgen, wenn ihr mir helft und mir nicht in den Rücken fallt“, unterbrach sie die anderen. Vorsichtig legte sich das Einhorn auf den Boden und lies das verwundete Mädchen behutsam neben sich gleiten. Die übrigen Vierbeiner bildeten leise schnaubend einen Kreis um die zwei. Eins von ihnen legte sich dazu. „Ich gehe kühles Wasser holen, damit wir die Wunden reinigen können“, sagt eins mit grauen Strähnen in Schweif und Mähne.

„Und wir hohlen etwas vom weißen Moos“, sagten die anderen.

Sie reinigten die Wunden mit dem kühlen Wasser aus einem Kelchblatt, trauten sich jedoch nicht, die Tonscherbe zu entfernen. Doch trotz der besonderen Heilfähigkeiten der Einhörner schlossen sich ihre Wunden nicht. So hofften sie, dass wenigstens das Moos die Blutungen stoppen oder zu mindestens lindern würde. Doch das schneeweiße Moos färbte sich nach wenigen Minuten blutrot. Die Herde wieherte traurig und eines der Einhörner murmelte hilflos:

„Was sollen wir nur tun? Keines der uns bekannten Mittel wirkt.“

„Wir dürfen nicht aufgeben … uns wird bestimmt noch was einfallen … wie wäre es mit …“, Lichtschweif verstummte, denn der Leithengst der Gruppe, Inari, näherte sich ihnen. Als er den Menschen sah, fragte er mit eisiger Stimme: “Wisst ihr, wen ihr da grade versucht zu retten?“ Lichtschweif antwortete kühl: “ Das ist mir durchaus bewusst. Eine junge Menschenfrau.“

„Hast du etwa vergessen was uns die Menschen angetan haben?!“

„Nein, dennoch können wir nicht über alle Menschen vorurteilen!“

„Sobald sie wieder laufen kann, wird sie zu Ihresgleichen fliehen und unseren Aufenthaltsort verraten. Dann werden wir wieder gejagt werden. Du weißt doch noch, warum wir ursprünglich aus diesem Gebiet vertrieben wurden? Sie wollten an das weiße Moos, um es zu erforschen. Dadurch vernichteten sie fast das gesamte Moos. So sahen sich unsere Vorfahren zum Handeln gezwungen. Denn die Menschen wollten nicht einsehen, dass das Moos sehr selten ist und seine besonderen Fähigkeiten nur mit unserer Heilkraft aktiviert werden kann. Sie waren überzeugt, dass es einen anderen Weg geben würde, aber wir hatten keine andere Wahl, dieses Moos wächst nur an sehr wenigen Orten und wir mussten uns beeilen, soviel wie möglich davon einzusammeln und es zu ihm zu bringen, damit er nicht starb. Also griffen unsere Vorfahren die Menschen an, damit sie aufhörten. Seitdem herrscht Krieg zwischen uns und den Menschen. Wir haben viele unserer Gefährten verloren.“

„Du brauchst mir nicht mit dieser Geschichte zu kommen. Sie ist mir sehr wohl bekannt!“

„Wusstest du, dass er wieder von selbstsüchtigen Menschen angegriffen wurde? Und er dadurch erneut schweren Schaden erlitten hat?“

„Es gab noch einen Kampf?“, fragte die Stute. Sie wirkte nachdenklich. Dann antwortete sie: „Dennoch wir sind zu sechst. Es wird reichen, wenn sich fünf von uns um ihn kümmern. Ich werde versuchen diesem Mädchen zu helfen!“ „Wenn du sie nicht sofort sterben lässt, dann werde ich …“

„Ja? Was wirst du dann machen? Mich angreifen? Das würde die Sache nicht besser machen …“

„Zum letzten Mal, lass den Menschen sterben!“

„Nein!“

„Du hast es wohl nicht anders gewollt! Mach dich bereit, für deinen Verrat zu bezahlen!“, sagte der Hengst wütend und mit gesenktem Horn stürmte er auf sie zu, bereit die junge Frau aufzuspießen. Die Herde brach panisch auseinander und rannte ein paar Meter von der Verwundeten weg, alle, außer Lichtschweif. Sie sprang auf und stellte sich schützend vor die junge Frau. So kam es zum Kampf zwischen den sonst so friedlichen Wesen.

Von Anfang an hatte die Stute keine Chance, gegen den Hengst anzukommen. Er stach mit seinem Horn in ihr linkes Vorderbein. Lichtschweif knickte ein, rappelte sich nach wenigen Sekunden wieder auf, um den Menschen vor dem nächsten Angriff zu schützen. Inari griff sie weiter an fügte ihr weitere schmerzhafte Wunden am gesamten Leib zu. Trotz all den Bemühungen der Stute war es für den Hengst ein Leichtes, sie in Schach zu halten. Da seine Gegnerin nicht die junge Frau und sich selbst verteidigen konnte.

„Gib schon auf“, sagte er, „ ich habe dich schwer verwundet, in diesem Zustand kannst du unmöglich weiter machen. Willst du wirklich für diesen Menschen sterben? Du weißt, ich kenne keine Gnade!“

„Oh ja, das weiß ich … dennoch werde ich dir diesen Menschen nicht ausliefern! Von ihr geht etwas Besonderes aus, spürst du das denn nicht?! Sie ist nicht wie die anderen Menschen. Ich vermute sie ist …“

„Schweig! Mir ist es egal, was du vermutest. Sie ist ein Mensch und wird dafür bezahlen, was ihre Rasse uns angetan hat!“ Er machte sich für einen erneuten und letzten Angriff bereit, als plötzlich die Stute mit den grauen Strähnchen dazwischen ging: „Ich bitte dich, hör auf!“

„Wieso sollte ich? Sie muss ihre gerechte Strafe erhalten“

„Ich gebe zu, sie hat einen unverzeihlichen Fehler begangen, aber es gibt im Moment Wichtigeres als ihre Strafe! Müssen wir nicht auf schnellstem Wege das Moos zu ihm bringen? … In ihrer Verfassung kann Lichtschweif nicht fliehen, du kannst dich also später noch um sie kümmern.“

„Du hast Recht. Er geht vor. Um dich kümmere ich mich später!“, sagte der Hengst und verschwand mit der restlichen Herde im Schlepptau.
 

Auf der Lichtung war es still geworden. Das Einhorn hatte sich neben das verwundete Mädchen gelegt.

Traurig betrachtete die blutüberströmte Stute den zunächst blauen Himmel mit den kleinen Schäfchenwolken.

Die Minuten vergangen und die Wolken verdichteten sich und nahmen allmählich die Farbe von Stahl an. Das Rauschen der Bäume wurde lauter und bedrohlicher.

Ein Sturm zog auf.

„Es tut mir leid, dass ich dir nicht helfen konnte“, sagte Lichtschweif bedrückt, die neben dem Mädchen lag. Die ersten Regentropfen fielen vom dunkelgrauen Himmel und das rot in ihrem Fell breitete sich aus. Die Stute vernahm ein leises Stöhnen. Der Mensch neben ihr erlangte sein Bewusstsein wieder und fragte mit zittriger Stimme: „W- Wo… Wo … bin ich? W-Was … Was ist passiert?“

„Du bist im wispernden Wald von ‚was weiß ich’. Ich hab dich am Rande dieses Waldes bewusstlos aufgefunden und wollte dich retten. Was allerdings davor passiert ist oder warum du so stark verletzt bist, kann ich dir nicht sagen … Kannst du dich bewegen?“

„I-Ich … Ich weiß nicht … ich kann es versuchen … alles tut weh … jeder einzelne Knochen in meinem Körper brennt …“

„Hm … wenn du es schaffst dich auf meinen Rücken zu rollen, könnte ich uns in Sicherheit bringen …“

„Gut, ich versuch’s“, antwortete die junge Frau schmerzerfüllt. Sie drehte sich langsam um und war verwirrt, ein weißes Pferd neben sich zu finden, aber sie tat was ihr gesagt wurde und schob sich unbeholfen und vor Schmerzen wimmernd auf das Pferd. „Halt dich gut fest. Ich versuche aufzustehen.“ Das Einhorn nahm seine verbliebene Energie zusammen und schaffte es aufzustehen. Mit allerletzter Kraft konnten Beide bis unter die schutzbietenden Bäume gelangen.

Lichtschweif brach zusammen und die junge Frau rutschte mit einem Schmerz erfüllten Schrei von ihrem Rücken. „Alles in Ordnung“, fragte das Einhorn heftig schnaubend. „Einigermaßen“, keuchte die junge Frau, dessen Stimme vor Schmerzen verzerrt war, “Seit wann können Pferde sprechen?“, fragte sie mit zusammen gekniffenen Augen.

„Sie konnten noch nie in der Sprache der Menschen sprechen.“

„Aber … du sprichst doch mit mir? Oder bilde ich mir das nur ein?!“

„ Du bildest dir so viel ein, wie ich ein Pferd bin“

„Häääh? Wie jetzt?“

„Ganz einfach … ich spreche mit dir, bin aber kein Pferd, sondern ein Einhorn.“

„Was ein Einhorn? Das ist jetzt ein Scherz, oder? Ich muss wohl ganz schön viel abbekommen haben.“

„Nein, ich bin wirklich eines. Du bildest dir mich nicht ein. Ich würd’ dir gerne mehr von mir erzählen, aber ich denke, dafür haben wir nicht genug Zeit. Du musst mir jetzt gut zuhören! Als erstes wirst du so tief in den Wald hinein laufen wie es deine verbliebenen Kräfte zulassen. Danach suchst du weißes Moos und legst es auf deine Wunden, das sollte Schmerz und Blutung ein wenig lindern. Und zuletzt wartest du, bis dir jemand zu Hilfe kommt! Hast du verstanden?“

„Ja, aber …“

„Kein aber! Los geh!“

„Ist ja schon gut …“, sagte die junge Frau beschwichtigend, „ich geh ja schon. Beantworte mir nur noch eine einzige Frage.“

„Und die wäre?“

„Wie heißt du?“

„Lichtschweif, und du?“

„Eijumy“

„Nun gut, Eijumy, du musst jetzt unbedingt verschwinden, bevor Inari zurückkommt!“

„Okay, ich weiß zwar nicht wer dieser Inari ist, aber ich schließe aus deinem Tonfall, dass ich ihn auch nicht unbedingt kennen lernen möchte. Werden wir uns jemals wiedersehen, Lichtschweif?“

„Nein, ich denke nicht.“

„Leb wohl, Lichtschweif und danke für alles.“

„Keine Ursache.“

Das verwundete Mädchen kroch langsam davon, währenddessen das Einhorn vor Erschöpfung und Schmerzen ohnmächtig wurde.

Begegnung

Eijumy schleppte sich keuchend weiter durch den Wald. Sie hatte schon einen guten Abstand zwischen sich und der Lichtung gebracht, wo das verwundete Einhorn lag, als sie eine Pause einlegte, um zu Atem zu kommen. Langsam sank sie auf den inzwischen aufgeweichten Boden. „Hoffentlich bin ich jetzt weit genug weg … Was meinte Lichtschweif doch gleich, nachdem ich die Lichtung verlassen habe sollte ich weißes Moos suchen.“ dachte die junge Frau. „Aber hier ist weit und breit kein Moos zu finde und die Wunde blutet immer stärker. Lange werde ich das nicht mehr aushalten. Es ist ein Wunder, dass ich noch bei Verstand bin. Mein ganzer Körper fühlt sich an als sei er mit tausenden Nadeln gespickt.“ Da fiel ihr Blick auf den Stamm eines nahegelegenen Busches. Der Stamm war komplett weiß und sah weich und flauschig aus. „Könnte das das Moos sein?“, überlegte die junge Frau und sie kroch zu dem Strauch. Tatsächlich, es war die weiße Flechte, von der das Einhorn gesprochen hatte. Mit zitternden Händen zupfte sie das Moos ab und legte es vorsichtig auf die stechenden Wunden. Nach einiger Zeit fühlte sich Eijumy wieder besser. Sie schaffte es sogar aufzustehen und so hinkte sie weiter in den Wald hinein.

In der Ferne rauschte eine Quelle und sie erinnerte sich an die Worte von Lichtschweif und wollte zum Geräusch gehen.

Doch plötzlich gaben ihre Beine nach. Der stechende Schmerz kam mit voller Wucht zurück und lähmte ihren ganzen Körper. Stöhnend und nach Luft schnappend lag sie da und hörte durch ihren stoßartigen Atem das leise Knacken von getrockneten Blättern und Zweigen. Das Knirschen und Knacken wurde immer deutlicher, so als ob sich etwas auf sie zu bewegte. Die junge Frau versuchte sich hinzusetzen, damit sie besser sehen konnte, aber es gelang ihr nicht. So sah sie nur den unteren Teil der Büsche und Bäume, die sie umgaben.

Plötzlich fing der dichte Strauch direkt vor ihr an zu wackeln und sie hörte ein leises, zittriges Fauchen. Eijumy hielt die Luft an. In ihr stiegen panische Gedanken auf: „Oh mein Gott. Es hat mich gefunden. Was mag da angekrochen kommen? Eine Schlange? Eine Riesen-Echse? Oder vielleicht sogar ein gefürchteter Basilisk? Will es mich fressen?“

Die Geräusche hatten aufgehört, alles war wieder ruhig, die junge Frau hörte wieder nur ihren Atem und Puls.

Plötzlich sprang ein pechschwarzes Wesen mit einem lauten Fauchen und Zischen aus dem Gestrüpp. Eijumy zuckte vor Schreck zurück, die stechenden Schmerzen in der Magengegend und in ihrem Kopf fing wieder an heftig zu pochen.

Vor ihr war ein kleiner schwarzer Drache, der in etwa so groß wie eine Hauskatze war. Er bäumte sich Flügel spreizend vor ihr auf, versuchte sich so groß wie möglich zu machen und fauchte bedrohlich. Nachdem er sich zu seiner gesamten Größe aufgerichtet hatte, fiel er wieder in sich zusammen, wie ein Häufchen Elend und wimmerte vor Schmerz. Das Wesen schüttelte es am ganzen Leib. „Ein Schattendrache?! Was macht ein solch seltenes Geschöpf hier?“, dachte sie sich. Sie sah sich die Wunden der kleinen Echse an. Sie waren sehr tief und schwarzes Blut quoll heraus.

„Du bist verletzt. Lass mich deine Blutung stillen“, sagte Eijumy und kroch auf ihn zu. Der Drache zischte leise weiter. Machte jedoch keine Anstalten sie anzugreifen. Als sie das Moos auf die Wunde legen wollte, bäumte er sich wieder auf und fuhr mit seinen spitzen Krallen über ihren Handrücken. Sie schreckte zurück und schrie: „Ich wollte dir nichts anhaben. Dieses Moos wird dir helfen. Also lass mich …“

„Bleib mir bloß fern mit diesem Gewächs. Wenn du mir noch einmal zu nahe kommst, reiß ich dich in Stücke.“, fauchte er schaurig. Die junge Frau blieb wie angewurzelt liegen und ein eiskalter Schauer durchzog ihren Körper. „Warum reagiert er so aggressiv? Ich will ihm doch nur helfen?“, dachte sie. Noch während sie überlegte, brach die kleine Echse wieder zusammen und blieb regungslos liegen.

Was soll ich jetzt machen? Wegrennen? Aber ich kann den Kleinen doch nicht einfach so seinem Schicksal überlassen. Andererseits kann ich ihm mit dem Moos anscheinend nicht helfen.

Eine neue Woge aus Schmerz über kam sie und sie krümmte sich keuchend.

Dann wurde alles schwarz.

Der Mann am Weiher

Ein kleiner Wasserfall rauschte leise in einen kristallklaren Weiher. Sein Ufer war reich bewachsen mit den merkwürdigsten Pflanzen und ein paar große Steine schmückten es. Die Bäume ringsherum flüsterten ihr leises, beruhigendes Lied und Vögel sangen mit. Es war ein friedlicher und einladender Ort.

Wäre da nicht eine bewusstlose Gestalt gewesen. Sie war schwer verwundet und gehörte einer jungen Frau, deren Hinterkopf eine große Platzwunde aufwies und deren Blut das Gras und die Erde rot färbte. Sie lag auf dem Bauch und ihr Kopf war nach links gedreht. Ein grauenvoller Anblick.
 

Langsam kam wieder Leben in die junge Frau. Ihre Finger zuckten, ihr Atem wurde stärker und sie stöhnte, als sie versuchte, den Kopf zu drehen, schaffte es aber nicht. So blieb sie unverändert liegen und versuchte, Stückchen für Stückchen ihr Umfeld zu erfassen. Sie wusste, dass sie auf weichem Gras lag und irgendwo in ihrer Nähe befand sich ein Wasserfall. Plötzlich durchfuhr sie ein stechender Schmerz, als hätte sie jemand mit einem Baseballschläger niedergeschlagen. Noch gerade so konnte sie einen Aufschrei unterdrücken. Als sie es geschafft hatte, den Schmerz zu überwinden, fing sie an zu horchen. Die junge Frau hörte die Bäume und Vögel, das Rauschen des Weihers und das sich in dem sanften Windhauch wiegende Schilf und … Schritte.

Sie waren kaum hörbar, aber sie waren da und sie kamen näher. Panik machte sich in ihr breit. Was sollte sie tun? Bewegen konnte sie sich nicht. Also sollte sie um Hilfe schreien? Oder würde das nur die Aufmerksamkeit auf sie lenken? dachte sie und entschied sich, erstmal nach der Lage zu schauen. Trotz schwerer Lieder öffnete sie das linke Auge einen Spalt breit, sah aber nur eine graue Wand und ein paar längere Grashalme, und sie schloss es wieder. Die Schritte wurden deutlicher.

Dem Klang nach zufolge handelte es sich um ein kleines Wesen, welches bedacht auf zwei Beinen durchs Gras schlich. Dann verstummten sie abrupt und alles hörte sich wieder friedlich an.

Doch plötzlich spürte sie, wie sich eine große Hand auf ihren Rücken legte, sie spürte die Wärme, die von ihr aus ging. Eijumys Herz fühlte sich an, als wolle es ihren Brustkorb durchbrechen, doch kein Laut entwich ihren Lippen.

Eine zweite Hand legte sich neben ihren Kopf und sie merkte, wie sich etwas zu ihr herunter beugte. Sie spürte den warmen Atem des Wesens an ihrem Hals. „Jetzt ist alles vorbei. Es wird mir die Kehle durchbeißen und das war’s.“, dachte sie. Die junge Frau kniff die Augen vor dem erwarteten Schmerz zu.

Doch er blieb aus.

„Du brauchst dich nicht zu fürchten“, sagte eine weiche, männliche Stimme, „ich werde dir nichts tun.“ Vor Schreck, dass das Wesen ein Mensch war, öffnete sie ihre Augen. Doch das einzige was sie sah, war die graue Wand vor ihr. Also versuchte sie ihren Kopf zudrehen. Eine der Hände legte sich vorsichtig auf ihre Wange. Sie war groß und hatte lange Finger. Der Mann sagte: „Das würde ich an deiner Stelle lassen. Du bist schwer verwundet. Wenn du dich jetzt auch nur ein kleines bisschen anstrengst, stirbst du.“

„Was soll ich dann deiner Meinung nach machen?“, fragte sie mit zusammen gebissenen Zähnen.

„Ahh. Du kannst also wieder sprechen. Du sagst mir jetzt erstmal woher du diese Wunden hast.“

„I-Ich … ich weiß es nicht mehr.“

„Wie du weißt es nicht mehr?! Bei einem Kratzer würde ich diese Antwort gellten lassen, aber das sind nicht nur Kratzer!“

„Aber wenn ich’s doch sage. Ich habe keinen blassen Schimmer mehr, woher ich sie habe…“

„Was ist das letzte, woran du dich erinnern kannst?“

„Ich bin durch den Wald gekrochen … und habe etwas gesucht …. Weißes Moos …“

„Weißes Moos?!“, unterbrach er sie abrupt.

„Ja … um die Blutung zu stoppen.“

„Woher weißt du davon?“, fragte er erstaunt.

„Lichtschweif hat es mir gesagt.“

„Und wer ist was?“

„Ein Einhorn.“

„Was? Du bist einem Einhorn begegnet, welches dich nicht umgebracht sondern geholfen hat? Erzähl mir genau, wie das abgelaufen ist!“

„Ich kann mich an keine Einzelheiten erinnern. Alles ist so verschwommen.“

„Gut, dann sag mir sofort Bescheid, wenn du dich erinnern kannst. Dass du einem Einhorn begegnet bist, erklärt immer noch nicht, woher du die Wunden hast. An was erinnerst du dich noch?“

„An eine Explosion.“

„Was ist explodiert?“

„Mein Haus …“

„Wo stand es?“

„Am Ende der Birkenstraße … Ich muss sofort zurück.“, schrie sie und versuchte sich aufzurichten. Doch der Fremde hinderte sie daran, indem er sie sanft aber bestimmt auf den Boden drückte. „Lass mich los!“, brüllte sie.

„Was ist denn in dich gefahren?“, fragte er erstaunt.

„Ich muss zurück.“

„Warum?“

„Ich muss zu meinen Eltern und meinem Bruder!“

„Waren sie mit dir im Haus, als es explodiert ist?“

„Nicht ganz, sie waren im Haus und ich war draußen im Garten.“

„Dann werden sie es höchstwahrscheinlich nicht überlebt haben.“

„Wie kannst du so etwas sagen! Natürlich werden sie es überlebt haben!“

„Wie lange ist das ungefähr her?“

„Vermutlich ein bis zwei Tage… denke ich.“

„Dann kannst du nicht mehr davon ausgehen, dass sie noch da sind.“

„Aber wenn sie noch da sind, dann muss ich zu ihnen und ihnen helfen!“

„Nehmen wir an, sie sind da. Wie willst du ihnen helfen? Du kannst dich nicht mal bewegen.“

„Ich muss doch was unternehmen…“

„Lass deine Wunden erstmal heilen und dann sehen wir weiter.“

„Aber …“

„Keine Wiederrede! Da deine Wunden anscheinend nicht vergiftet sind oder von speziellen Kreaturen kommen, müssten sie schnell heilen, solange du dich genau an meine Anweisungen hältst.“

„Okay“, murmelte sie leise.
 

Sie hörte Wasser plätschern und kurze Zeit später spürte sie, wie der Fremde ihre Kopfwunde reinigte. Es ziepte ein wenig, wenn er ihre angeklebten Haare löste, aber Schmerzen empfand sie nicht. Er legte etwas auf die Wunde und sie spürte, dass es sich an ihre Haut klebte.

Dann nahm er ihren linken Arm und legte ihn sich über seine Schulter. „Ich werde dich jetzt aufrichten. Bleib bitte ganz ruhig.“, sagte er.

Vorsichtig drehte er sie um und legte dabei seine rechten Arm um ihre Taille, dann griff er mit dem anderen Arm unter ihre Beine und hob sie ein kleines Stückchen von Boden. Dabei bemerkte die junge Frau, dass es sich um einen starken Mann handeln musste. Er legte sie wieder auf den Boden, nachdem er sie um 90° Grad gedreht hatte und ließ sie langsam zurück gleiten, bis sie etwas Hartes an ihrem Rücken merkte. Es war der Stein, den sie gesehen hatte.

Die Tonscherbe war aus ihrem Bauch entfernt worden und ein grüner Verband war an ihrer statt. Während er sich um ihre zerschundenen Füße kümmerte, musterte sie ihn gründlich.

Er war groß, sie schätzte ihn auf 1,90 Meter, und trug merkwürdige Kleidung. Über den Kopf hatte er eine Kapuze gezogen, die ihm tief ins Gesicht ragte. Er trug eine metallisch glänzende Kette um den Hals. Der Anhänger schimmerte in einem kräftigen smaragdgrün. Sein Mantel war ärmellos. Der Hauptteil war in einem dunkelgrün und die Nähte waren dunklen grau. Um die starken Oberarme Trug er jeweils ein dunkelbraunes dickeres Lederband mit verschlungenen, kryptischen, grünen Zeichen. Die großen Hände des Mannes waren dünn bandagiert. Seine ebenfalls grün graue Hose besaß viele Taschen und Schlaufen, in denen verschiedene Waffen steckten. Seine Schuhe waren aus massivem, schwarzen Leder mit einer dicken Sohle.

Als sie wieder zu ihm aufsah, merkte sie, dass er sie stumm beobachtete. Sie fuhr kaum merklich zusammen, ihre Wangen färbten sich leicht rötlich und sie schaute betreten zur Seite.

„Tut dir sonst noch was weh?“, fragte der Mann.

„Soweit ich es bis jetzt beurteilen kann, nein.“, murmelte sie leise.

„Hast du Hunger oder Durst?“

„Ein wenig Wasser könnte ich durchaus vertragen.“

„Gut, warte hier.“

Er ging zum Weiher und schöpfte etwas von dem kristallklaren Wasser in ein großes, geschwungenes Blatt ab. Dann wollte er es ihr reichen, doch als die junge Frau ihre Arme heben wollte, keuchte sie und sie sanken zu Boden.

„Anscheinend tut dir doch noch was weh.“, stellte er fest.

Sie murmelte etwas mit zusammen gebissenen Zähnen.

„Also muss ich dir selbst dabei helfen.“, murrte er.

„Du kannst es da auch einfach abstellen und sobald ich meine Arme wieder bewegen kann, trinke ich selber.“, fauchte sie zurück. Er sah sie verdutzt an, setzte sich vor sie hin, legte das gefüllte Blatt ab und strich die Kapuze nach hinten. Seine eisblauen Augen sahen in ihre grün-grauen. Rasch griff er nach ihrer rechten Hand, drückte sie sanft und meinte: „Mein Name ist Akatash und ich streife seit kurzem durch diese Wälder.“ Sie sah in ungläubig an, fing sich dann aber wieder und entgegnete: „Ich heiße Eijumy und liege hier unbeweglich auf dem Boden.“

„Hast du immer noch Durst?“

„Denkst du er verschwindet so einfach, ohne dass man was trinkt?“

Er seufzte, griff nach dem mit Wasser gefülltem Blatt und hielt es ihr an die Lippen. „Dann trink“, sagte er. Und sie trank die erfrischende Flüssigkeit.

„Danke.“, murmelte sie und sah ihn wieder an.

Akatash hatte ein schönes Gesicht, markante Augen mit einem durchdringenden kaltem Blick, einer geraden Nase und einem wohlgeformten Mund. Er hatte längere leicht gewellte schwarze Haare die ihm strähnenweise ins Gesicht vielen. Der Mann schien nicht älter als 25 Jahre zu sein.

„Als sie mich gefunden hatten“, fing sie an, doch er unterbrach sie.

„Du kannst ruhig du zu mir sagen.“

„Gut, kannst du mir sagen, ob bei mir ein kleiner schwarzer Drache lag?“

„Du musst wohl ziemlich viel abbekommen haben.“, meinte er lachend, „Hier gibt es keine Drachen und schon gar keine schwarzen!“

„Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass bei mir Einer war. Er hat zu mir gesprochen.“

„Ausgeschlossen!“

„Aber wenn ich es doch sage, ich hab es mir nicht eingebildet!“

„Ich denke, du solltest dich erstmal ausruhen. Wenn du wieder wach bist, kannst du wieder klar denken.“, meinte er beschwichtigend.

„Ich muss zu ihm und ihm helfen. Er war schwer verwundet.“

„Du gehst nirgendwo hin!“

„Dann trag mich!“, erwiderte die junge Frau prompt.

„Wenn du dann endlich Ruhe gibst.“, stöhnte er.

„Das werde ich.“

Akatash kniete sich seufzend neben sie. Sofort schwang Eijumy einen Arm um seinen Hals, er griff mit einer Hand unter ihre Kniekehlen und mit der anderen stützte er ihren Rücken.

„Wo soll’s hingehen?“, fragte er genervt.

„Dahin wo du mich gefunden hast.“



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