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Zwillinge

von

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Die Dunkelheit, die ihn für Stunden, Tage, Wochen umgeben hatte und der er sich letztendlich ergeben wollte, begann sich zu lichten. Etwas war da. Wie Rauch, der langsam verflog, konnte Pietro plötzlich etwas wahrnehmen. Ein grauer Schleier hing noch immer über seinen Augen, aber die Silhouette vor ihm war eindeutig menschlich.
 

„Er ist wach.“. Die raue, weibliche Stimme bahnte sich einen Weg in sein Bewusstsein. Wach? Er versuchte sich zu erinnern, was geschehen war. Die Avengers. Ultron. Und dann die Schüsse. Er war sich sicher gewesen, dass er tot war, aber was war dann das? Ein Piepen holte ihn aus seinen Gedanken. „Alexis! Nicht!“ wieder eine Frauenstimme, heller, freundlicher.

„Der Schmerz wird ihn schneller aufwecken.“ Sie hatte Recht. Ein Schmerz fuhr durch jede Faser seines Körpers und er wollte sich krümmen. Er war festgeschnallt. Panik wallte auf. Er schüttelte den Schleier ab, keuchte vor Schmerz. „Was?!“ seine Stimme war nur ein Krächzen aus seiner wunden Kehle.
 

Wieder lehnte sich die Frau über ihn. Schwarze Haare, dunkelblaue Augen, kein freundliches Gesicht. Sie schnippte vor seinem Gesicht, wahrscheinlich um seine Reaktion zu testen. „Ja wach, du kannst gehen Kitty.“. „Aber Alexis…!“ Sie winkte sie streng hinaus. Im Augenwinkel erkannte Pietro nur die blonden Locken.

„Weißt du, wo du bist?“ Sie fuhr das Kopfende seines Bettes in eine aufrechte Position, damit er sie ansehen konnte. Der Schmerz lenkte ihn ab, er zerrte an den Fesseln. „Wenn du so weiter machst, war Kittys Arbeit umsonst und die Wunden gehen wieder auf.“ Trocken, fast gelangweilt. Der junge Mutant zwang sich, sich wieder zusammen zu reißen. Er sah sie jetzt an, gab aber keine Antwort, da er die Frage schon wieder vergessen hatte.

„Man hat dich erschossen.“ Er nickte. Daran erinnerte er sich. „Man hat dich zu uns gebracht – um mal wieder ein Wunder zu bewirken.“ Sie machte eine Geste, die ihm ihre Arroganz beweisen sollte. „Tadaa. Da ist dein Wunder. Du lebst.“

Er atmete schwer, noch immer musste er die Dinge in seinem Kopf sortieren. „Wanda..?“ stieß er zwischen den Zähnen hervor. „Sie wird informiert, sobald du stabiler bist.“ Endlich ließ sie ihm die Zeit, zu verstehen. Demonstrativ sah sie sich um und ignorierte ihn für einige Minuten.
 

„Wer bist du?“ sein Atem hatte sich normalisiert, er versuchte die verkrampften Muskeln zu entspannen. „Alexis.“

Er hatte den Namen schon einmal gehört. Ganz entfernt. Aber es wäre schon ein großer Zufall, wenn ausgerechnet dieses Mädchen, die besagte Alexis wäre.

Sie stand auf, lehnte sich über ihn. Sofort verkrampfte er sich wieder. Genervt sah sie ihm ins Gesicht, bevor sie fortfuhr. Eine Strähne fiel aus ihrem streng zusammengebundenen Haar. Er roch Zigaretten und Menthol. Plötzlich ließ der Druck auf seine Gelenke nach. Sie hatte ihn los gebunden.

„Wenn du gehen willst –oder kannst- , ich werde dich nicht aufhalten.“ Sie machte eine Pause und wartete seine Reaktion ab. „Aber wenn nicht, kannst du bleiben, bis du wieder völlig hergestellt bist.“

Das war keine Gastfreundschaft. Wahrscheinlich bezahlte sie jemand für diesen Dienst. „Meine… Institution… wird dafür sorgen, dass du keine bleibenden Schäden zurück behältst. Dafür verlange ich nur, dass du dich an meine Regeln hältst.“

Wieder nickte er schweigend. Alles hier war so bizarr. Alexis wirkte wie ein Roboter. Der Raum war weiß und steril, ohne Fenster. Er kämpfte gegen die alten Erinnerungen an. Die Narben auf seiner Seele würden nie verheilen, aber er durfte nicht zulassen, dass sie die Kontrolle übernahmen.
 

Mit einem Zischen öffnete sich wieder die Tür und Pietro zuckte alarmiert zusammen. Jetzt, nicht mehr festgebunden, hielt ihn nichts in der Position, so dass er durch die tatsächliche Bewegung an den Nähten zog. Die Welle von Schmerz, die ihn überkam, raubte ihm fast das Bewusstsein. Befriedigt stellte er fest, dass auch ihre Gesichtszüge nicht regungslos geblieben waren. Offensichtlich war Miss Arrogant auch angespannter als sie wirken wollte.

Der „Eindringling“ war ein großgewachsener Mann, vielleicht Anfang dreißig, mit ebenso schwarzen Haaren wie das Mädchen. „Blackbird.“ begrüßte sie ihn eindeutig gereizt. Der Rest der Konversation fand ausschließlich nonverbal statt, aber man musste keine Gedanken lesen können, um zu sehen, dass sie wütend war und er nicht viel drauf gab.

Trotzdem stellte er sich hinter sie und legte ihr sanft die Hand auf die Schulter, dabei beruhigend über Wange streichend. „Pietro, du bist wach!“ der Mann schien sich ehrlich zu freuen und streckte dem Verletzten die Hand hin. „Mein Name ist Blackbird.“. Pietro sah in die fast schwarzen Augen, konnte aber keine Gefahr ausmachen, also hob er unter Schmerzen seinen Arm und erwiderte die Geste „Quicksilver.“
 

Blackbirds Gesicht spiegelte erst Besorgnis, dann Entsetzten wieder, als er hastig wieder die Schmerzmittel in Pietros Tropf hochdosierte. „Alexis, was hast du dir dabei gedacht?!“ fuhr er sie wütend an. Sie sah nicht auf, die blauen Augen noch immer auf ihren „Patienten“ gerichtet. „Quicksilver ist unser Gast und du solltest ihn so behandeln!“ Noch immer regte sie sich nicht. Wütend seufzte der Mann und fuhr sich durch die Haare, während er gereizt ein paar Schritte auf und ab ging.

Als er wieder zu einer weiteren Beschwörung ihrer Menschlichkeit ansetzen wollte, hob sie die Hand und brachte ihn damit sofort zum Schweigen.

Sie erhob sich wieder, kam näher und setzte sich zu Pietro aufs Bett. Ihre Ablehnung ihm gegenüber strömte aus jeder Zelle. „Wo sind nur meine Manieren?“ Ihr Tonfall war noch immer monoton. „Sei mein Gast, Pietro Maximoff.“ Der Angesprochene sah einen Moment zu dem Mann an der Wand, der offensichtlich nicht mehr den Mut oder die Kraft hatte, das Mädchen zu ermahnen.

 

„Die Regeln sind ganz einfach. Alles hier ist meins.“ Irritation spiegelte sich in den eisblauen Augen wieder. Klang sie gerade wie ein trotziges Kind?

Die Tür zischte, diesmal zuckte keiner. Nur Alexis‘ Arm schoss in einer –für normale Menschen- unglaublichen Geschwindigkeit in die Luft. Wieder die flache Hand erhoben. Wer auch immer gerade eintreten wollte, erstarrte sofort.

„Du hast alle Freiheiten hier. Tu was immer dir gerade in den Sinn kommt, nur widersprich mir nicht, hör ohne Zögern auf meine Anweisungen und komm niemals – ich wiederhole- niemals auf die Idee dich mir auf mehr als einen Meter zu nähern.“

Sie wartete keine Reaktion ab, sondern sprang von seinem Bett auf, durchquerte den Raum mit wenigen Schritten und verschwand im Flur.

 

Die Blondine, noch immer in der Tür, ächzte, da sie die ganze Zeit die Luft angehalten hatte. Pietro erkannte die Locken wieder. Ihrer Kleidung nach zu urteilen, war sie die Ärztin. Blackbird ging auf sie zu, zog sie in den Raum und nahm ihr dabei das Tablett, das sie gebracht hatte ab. „Es tut mir so…“ setzte sie an. Gequält von irgendetwas machte sie einige Schritte hinter dem Mann her, der das Tablett neben das Krankenbett auf einen kleinen Tisch stellte. „Hier.“ Er reichte Pietro ein Glas Wasser. Da das Schmerzmittel schnell wieder angefangen hatte zu wirken, konnte er es ohne große Probleme entgegen nehmen. Er hatte nicht bemerkt, wie durstig er war und leerte das Glas in zwei Schlucken. „Es war richtig mich zu holen.“ beruhigte derweil Blackbird die junge Frau. Er zog sie mit einem Arm an seine Schulter. „Du kennst Alexis. Sie will uns nur vor jeder möglichen Bedrohung schützen.“ Bei den letzten Worten hatte er Pietro mit einem entschuldigenden Blick angesehen. Insgeheim fragte dieser sich, ob Blackbird und Alexis ebenfalls Geschwister waren. Ihr Verhältnis war nicht annähernd so herzlich wie seines zu Wanda, aber er hatte eine Vertrautheit gesehen, die nur Liebe sein konnte – aber die beiden ein romantisches Paar?

Die aufgelöste Frau wischte sich einige Tränen aus dem Gesicht, eine schwarze Spur Mascara auf ihrem weißen Ärmel hinterlassend. „Wie geht es dir, Quicksilver?“ Ihr Gesicht war voller Wärme. „Eh… okay…“ seine Stimme war noch immer mehr ein Krächzen. „Oh wie schön!“ quietschte sie, scheinbar ehrlich erfreut und damit tänzelte sie zu einem Pult am anderen Ende des Raums. Blackbird schüttelte grinsend den Kopf.
 

Er zog sich den Stuhl heran, auf dem vorher Alexis gesessen hatte. „Das ist ShizoKitty, oder einfach nur Kitty, unsere Ärztin. Naja, mehr noch.“ Er kratzte sich etwas verlegen am Kopf. „Sie ist ziemlich genial, weißt du? Sie hat dich wieder zusammengeflickt, nachdem alle dich aufgegeben hatten.“ Er deutete auf Quicksilvers Brust. Ungläubig, aber neugierig schob dieser sein Hemd hoch, um zu sehen, ob dieses Wunder wirklich war. Er ließ vor Erstaunen das Glas, das er noch in der anderen Hand gehalten hatte, fallen. Blackbird fing es in weiser Voraussicht auf.

Pietro hatte einen narbenübersähten Flickenteppich erwartet, aber alles, was er sah, waren einige wenige Nähte. Sogar alte Narben waren verschwunden.
 

Die blonde Ärztin stand wieder neben seinem Bett und lächelte sehr zufrieden. „Neues Gewebe zu generieren ist nicht einfach – für andere.“ Sie strahlte wie ein kleines Kind an Weihnachten. „Das… das ist…“ Pietro sah abwechselnd in ihre rehbraunen Augen und wieder auf seinen Oberkörper. „Es tut nur so weh, weil der Körper, nun, sozusagen umprogrammiert wurde. Das dauert immer seine Zeit.“ fragend sah sie zu Blackbird, der nickte zufrieden.

 

„Ich habe deine Schwester schon informiert. Auch wenn wütend eine Untertreibung für Alexis‘ Reaktion sein wird, dachte ich, ihr wollt euch sicher schnellst möglich wieder sehen.“ Er reichte ihm ein weiteres Glas Wasser. Pietro nahm es, trank aber nicht sofort. Wanda. Er war sich sicher gewesen, sie nie wieder zu sehen. Die Gefühle, die in ihm aufwallten waren kaum zu bremsen. Er brachte nur ein gepresstes „Danke“ hervor, dann starrte er schweigend auf das Glas, voll darauf konzentriert, nicht hier in Tränen auszubrechen, wie ein kleines Kind. Blackbird drückte ihm freundschaftlich die Schulter und verließ den Raum.

Ein Blick in die andere Richtung verriet Pietro, dass Kitty mit ihrem großen Kopfhörern und so vertieft in die Arbeit absolut nichts mitbekam. Sofort brachen die Tränen aus ihm heraus. Leise, kein Schluchzen, aber quälend ehrlich.

 

Alexis, die verborgen hinter einer einseitig verspiegelten Glasscheibe neben der Tür stand, knirschte mit den Zähnen. Blackbird hinter ihr, wieder die Hand auf ihrer Schulter. „Er ist keine Gefahr für dich.“ flüsterte er einfühlsam. Ihre Schultern versteiften sich. „Ich aber für die beiden.“ Sie wandte sich um, die Hand von ihrer Schulter abschüttelnd und ging.

 Das nächste Mal, das Pietro erwachte, weckte ihn die Stimme seiner Schwester. Noch war sie nur in seinem Kopf. Pietro, Pietro bist du wirklich am Leben?

Er lächlte. Das hoffe ich doch, soră, dachte er, in dem Wissen, dass sie es hören würde.

 

Keine Viertelstunde später zischte die Tür auf und seine Schwester sprang ihm in die Arme. So aufgelöst in Tränen, dass sie kein Wort herausbrachte.

Die abrupte Belastung hatte an seinen Nähten gezogen und trotz der Schmerzmittel hatte er sich einen Schmerzenslaut verkneifen müssen. Aber die Arme seiner Schwester wieder um ihn geschlungen zu spüren, ihr Haar, das ihm in der Nase kitzelte, ihr süßer Geruch, all das war jeden Schmerz wert.

Aus den oberen Stockwerken drang ein Grollen, ein Schrei, wie von einem Raubtier. Wanda zuckte und wollte schon aus der Umarmung hochschrecken, doch Pietro hielt sie wohl wissend, wer das Raubtier war, fest an sich gepresst.

Alles ist gut.
 

Wanda beruhigte sich etwas, nur um dann wieder unkontrolliert in Tränen auszubrechen. „Ich dachte du… ich würde dich nie… und dann… der Junge…“ Schluchzer schüttelten ihren zarten Körper. Sanft strich er ihr über’s Haar, bis sie sich einigermaßen gefangen hatte. „Der Junge, den ihr gerettet habt.“ sie musste noch immer schwer atmen, um die Worte hervor zu bringen. „Er hat uns von ihr, von dem hier erzählt. Es war nur… nur eine Geschichte… aber Clint und Natascha haben sie gefunden. Noch vor SHIELD.“ fügte sie mit dem Hauch eines Grinsens hinzu. Auch Pietro musste Grinsen. Dann erschütterte etwas, das sich anfühlte wie ein Erdbeben den Raum.

„Was geht hier vor sich?“ Wanda hatte sich mittlerweile halb auf ihrem Bruder zusammengerollt und zog die Decke über ihnen hoch.

„Naja…“ er vergrub sein Gesicht im weichen Haar seiner Schwester. Er wollte wirklich nicht an die schreckliche Hexe denken, die ihm wahrscheinlich das Leben gerettet hatte und der er somit zu Dankbarkeit verpflichtet war.

Das Zischen der Tür würde ihn wohl niemals kalt lassen und auch Wanda war so angespannt gewesen, dass sie sofort ihre in Rot gehüllten Hände zum Angriff bereit erhob, als jemand eintrat.
 

Es war Blackbird. Sofort sprangen seine aufgeplatzte Lippe und der geschwollene Wangenknochen ins Auge. Aber er lächelte. Was die beiden Maximoffs wirklich bis aufs Blut erschrak, war die Gestalt, nur ein, zwei Meter hinter ihm. Pietro erkannte sie sofort, aber Wanda hatte sie wohl noch nicht getroffen – ShizoKitty hatte ihr den Weg zu ihrem Bruder gezeigt. Nur mit Mühe konnte sie einen Schrei unterdrücken. Alexis sah aus, wie eine dieser Gestalten aus asiatischen Horrorfilmen. Das Haar hing ihr ins Gesicht, aber die Augen waren hasserfüllt auf die Zwillinge gerichtet. Trotzdem blieb sie vor der Tür, die sich hinter Blackbird schloss.
 

Dieser ließ sich überhaupt nichts anmerken und kam strahlend auf die beiden zu. „Du musst Wanda sein! Ich bin Blackbird, wir kennen uns vom Telefon.“ Er reichte ihr die Hand. Ein warmer, aber bestimmter Händedruck.

Wandas Blick ging wieder zur Tür, aber der Mann schüttelte sanft den Kopf. Alexis würde nicht herein kommen. Offenbar eine Abmachung, die ihre Fäuste entschieden hatte.
 

„Wie du siehst, hat unser Team hervorragende Arbeit geleistet.“ Plötzlich hieß es Team? Nicht mehr ShizoKitty allein? Pietro legte den Kopf schief, wollte aber seine Schwester nicht noch mehr beunruhigen. Blackbird ermutigte den schnellen Maximoff-Zwilling ihr den Beweis zu bringen und willigt hob er erneut sein Shirt. Wanda verschluckte sich und musste husten, so erstaunt war sie. Die beiden Männer mussten herzlich lachen, was die Situation ungemein entspannte.

Der schlaksige Mann mit den schwarzen Haaren erklärte den beiden die weitere Vorgehensweise und als er erwähnte, dass Pietro in etwa einer Woche das Bett verlassen könnte, verschluckte Wanda sich fast erneut.
 

Als Blackbird Wanda vorschlug, auch zu bleiben, sah sie ihn schief an. „Ich weiß ja nicht…“ Sie projizierte Bilder des Gebäudes in Pietros Bewusstsein und er schnaubte erschrocken. „Was ist das für eine Bruchbude?“ fragte er seine Schwester. Die, noch immer Blackbird musternd „So sieht es hier aus, wenn man nicht gerade den High-Tech Keller erlebt.“

Blackbird zuckte entschuldigend die Schultern. „Ich gebe mir alle Mühe, es in Schuss zu halten.“
 

Scheinbar waren die oberen Stockwerke nur zur Hälfte bewohnbar. Die Form des Gebäudes war ein umgedrehtes T. Mit zwei langen Flügeln, die wohl zum Großteil vernagelt und abgesperrt waren. Der Turm, der direkt über dieser Krankenstation knapp 13 Stockwerke in den Himmel ragte, war hingegen nur in den unteren drei Stockwerken von außen vernagelt. Die oberen Zehn schienen in Benutzung zu sein.

„Alexis hält das Erdgeschoss im Falle eines Überfalls für zu angreifbar.“

„Oh!“ Das weckte Wandas Interesse. „Alexis! Wann kann ich sie treffen! Ich muss ihr danken!“ Blackbird und Pietro tauschten eindeutige Blicke aus.
 

„Wanda, soră, das ist vielleicht…“ setzte der weißblonde Mann an, aber Blackbird fiel ihm ins Wort. „Wanda, weißt du, Alexis wird eine Weile nicht da sein, aber du brauchst ihr auch nicht sofort danken. Sie kann sich denken, was es dir bedeutet, dass dein Bruder lebt. Deswegen ist auch gar kein Problem, wenn ich dir hier ein Bett her bringe.“ Er deutete direkt neben Quicksilvers Bett.
 

Wanda, jetzt beruhigt, nickte zustimmend, obwohl klar war, dass die beiden Zwillinge sich sowieso ein Bett teilen würden.

 Die Freude über seine „Wiederauferstehung“ machte sie unvorsichtig, dachte Pietro, darum bemüht, den Gedanken schnell wieder zu verdrängen, damit seine Schwester ihn gar nicht erst mitbekommen würde, aber die Sorge, ob er sie im Zweifelsfall beschützen könnte, nagte doch an ihm.

Mit jedem Fortschritt den Quicksilver machte, rückte der Moment näher, da sie Alexis nicht länger vor Wanda verstecken konnten. Es war jetzt schon eine unheimliche Herausforderung, das Mädchen aus ihren Gedanken zu verbannen, ohne das es Wanda auffiel. Ihr einziger Vorteil war, dass Wanda überhaupt keinen Verdacht schöpfen wollte, da sie sich voll und ganz auf ihr Glück, ihren Zwilling doch nicht verloren zu haben, konzentrierte.

 

Pietro und Blackbird, die sich mittlerweile angefreundet hatten, hatten Wanda davon überzeugen können, dass sie ein paar „Männerdinge“ zu besprechen hatten. Es war das erste Mal, dass Pietro eine so weite Strecke zurück legen konnte. Er vermisste den Wind im Gesicht, seine Geschwindigkeit und wie alles um ihn herum so unendlich langsam wurde. Aber er hatte akzeptiert, dass er sich gedulden musste – auch wenn es ihn alle Kraft kostete.

Blackbird hatte ihm versprochen, ihm den schönsten Ort der gesamten Anlage zu zeigen. „Manchmal, wenn mir die anderen zu viel werden, komme ich hier her.“ Er hielt dem Angeschlagenen die Tür zur Terrasse auf – die Blackbird mit eigenen Händen gebaut hatte. Die milde Luft drang wie eine Welle in das stickige Gebäude ein und die beiden Männer lechzten nach Sonne.
 

Der Garten war noch schöner, als Pietro ihn sich vorgestellt hatte. Große Bäume, saftiges Grün überall. Die Jahre hatten ihn gelehrt, dass dies unmöglich natürlich entstanden sein konnte und Blackbird bestätigte seine Vermutung, indem er auf eine entfernte Gestallt unter den großen Eichen zeigte. Ein kindliches Kichern schwang zwischen den Bäumen hervor. Offensichtlich spielten dort Kinder ausgelassen. Ein absolut unvorstellbares Bild, dachte Pietro, an den sterilen Keller und das verwüstete Erdgeschoss erinnernd.

Sie ließen sich auf eine Bank nieder, Blackbird zündete sich eine Zigarette an, Quicksilver lehnte dankend ab. Niemals würde er seine Fähigkeiten für so etwas gefährden. Einige Minuten lauschten sie den Spielenden.
 

„Ich habe das mit Alexis geregelt.“ brach der Schwarzhaarige das Schweigen. Pietro schaute nur ungläubig. „Nennen wir es einen Rückkampf“ Er deutete auf sein blaues Auge und lachte. Pietro war sich nicht sicher, was genau daran zum Lachen war. „Ich glaube, sie mag Wanda.“ Er blies den Rauch zwischen seinen schmalen Lippen hervor und deutete in Richtung Wald.

Die Spielenden waren näher gekommen und jagten einander über die Wiese. Pietro wäre wohl die Kinnlade herunter gefallen, wenn er seinen Kopf nicht gerade auf seinen Händen abgestützt hätte. Was er für spielende Kinder gehalten hatte, waren keine. Denn eine der beiden Figuren, die sich da lachend ins Gras fallen ließ und mit der blonden Gestalt Purzelbäume schlug, war ganz eindeutig Alexis.
 

„Alexis liebt ihre Familie.“ Blackbirds Stimme war warm und liebvoll. „Sag mir, dass du Wanda nicht ebenso beschützen würdest. Komme was da wolle.“ Pietro konnte seine Augen nicht von dem ausgelassenen Mädchen wenden. Der blonde Mutant hatte seinen –oder ihren- Kopf im Schoß der anderen und hatte angefangen Gänseblümchen in die schwarzen Locken zu flechten. Alexis strahlendes Lächeln war erfüllt vom Stolz einer Mutter. „Familie?“ fragte er, endlich zu Blackbird gewandt. Diesem schien erst jetzt aufzugehen, dass anderen Leuten diese Form der Familie unbekannt war.  Beschwichtigend hob er seine Hände. „Oh nein, wir sind alle nicht verwandt, außer Eden und Siren. Wir sind mehr so eine Wahl-Familie.“

 

Als Pietro sich jetzt wieder Alexis zudrehte, hob auch sie gerade ihren Kopf. Der Schock war ihr deutlich anzusehen. Sofort zog sie Eden an sich, unsicher was sie von der Situation halten sollte. Da Blackbird keine Anstalten machte, sich zu bewegen, entspannte auch Quicksilver sich. Der Rauchende hatte Recht. Er würde alles für seine Schwester tun, aber eine geliebte Person zu beschützen, war schon eine Lebensaufgabe. Er wollte sich nicht vorstellen, welche Verantwortung Alexis sich selbst auflud, wenn sie alleine die drei Personen beschützen wollte, die er bisher kennengelernt hatte. Trotz allem Verständnisses würde er ihr weiterhin nicht trauen.
 

Die beiden anderen standen von der Wiese auf, Alexis ihren Arm schützend um die Schultern Edens gelegt. Die weißen Blüten in den wippenden Locken passten so gar nicht, zu dem ernsten Gesicht, das Alexis jetzt machte. Sie stellte sich neben Blackbird, der immer noch völlig entspannt auf der Bank lungerte. „Eden, das ist Pietro Maximoff. Er und seine Schwester Wanda werden einige Zeit bei uns bleiben.“ Sie gab das androgyne Wesen aus ihrer Umarmung frei und es kam freudig auf den Speedster zu, die Hand schon ausgestreckt, fast wie es Blackbird getan hatte. „Setz dich zu ihm. Ich möchte nicht, dass du jemals rauchst.“ Wies sie ihn/sie streng an, während sie Blackbirds Zigarettenschachtel hoch hielt. Dieser hatte nicht mitbekommen, wie sie die Schachtel wendig aus seiner Hemdtasche gefischt hatte. Quicksilver hingegen war eher enttäuscht über das lahme Reaktionsvermögen seines neuen Freundes.

Bevor sie sich allerdings die Zigarette anzündete, wartete Alexis auf Pietros Aufmerksamkeit. Als ihre Augen sich endlich trafen formte sie tonlos das Wort „armistițiu“ – Waffenstillstand. Dann schwang sie sich auf die Bank, gierig ihre Zigarette anzündend. Das Klicken des Zippos ließ Blackbird zusammenzucken, so als hätte er Schmerzen. Die junge Frau legte ihre Füße in seinen Schoß, provokant noch immer das Zippo in der Hand. Es war silbern, bis auf die Karikatur eines Haikopfs am Deckel. Irgendwas daran störte den jungen Mann, aber Pietro hatte nicht die leiseste Ahnung, was das sein könnte.
 

Da meldete sich auch schon Eden zu Wort. „Ich hätte nicht gedacht, dass Alexis nach Pyro noch mal hübsche Jungs ins Team lässt.“ sagte es verträumt. „Eden!“ Blackbird hatte das feenhafte Kind nicht mehr davon abhalten können, die Dinge auszusprechen. Hektisch schob der Schwarzhaarige Alexis‘ Füße von sich und zog Eden mit sich „Komm, ich stelle dir Wanda vor. Du wirst sie mögen.“ Und damit verschwanden sie und ließen Pietro in der unangenehmen Situation, alleine mit der immer noch rauchenden Alexis zurück zu bleiben.
 

„Wanda wird mich mögen.“ setzte Alexis an, als Pietro sich gerade überlegte, auch zu gehen. Er schnaubte verächtlich. „Meinst du?“ Sie sah ihn nicht an, zündete sich eine zweite Zigarette an. „Ich weiß, wie man sich vor Mutanten wie ihr verbirgt – ohne, dass sie Verdacht schöpfen.“ Sie gab ihm einen ebenso verachtenden Blick aus dem Augenwinkel. „Ich muss euch weder mögen, noch vertrauen, um euch hier zu beherbergen.“ Er schüttelte fast angewidert den Kopf. „Wer bezahlt dich hierfür? Die Belohnung muss ja unglaublich sein.“ Das erstaunte sie. „Du denkst, ich werde bezahlt?“ Beide hatten ihre Haltung korrigiert und saßen sich nun direkt gegenüber, dem anderen ohne zu zögern in die Augen sehend. „Was soll es sonst sein, dass dich dazu bringt, zwei Menschen zu versorgen, die du so offensichtlich nicht erträgst?“

Sie schnippte die Asche ihrer Zigarette in einen Aschenbecher. „Ganz einfach: Du bist ein Mutant.“ Verständnislosigkeit spiegelte sich in seinem Blick „Ich weiß?!“

„Oh!“ Alexis musste fast ein wenig lachen. „Hat Blackbird dir nicht schon meine ganze, ach so tragische Geschichte erzählt? Dazu neigt er doch sonst so.“ Obwohl er sich wirklich bemühte, war Pietro nicht mit sonderlich viel Geduld gesegnet und so rutschte er noch weiter auf der Bank vor, die Knie der beiden berührten sich fast. „Warum hast du mir geholfen?“
 

Offensichtlich amüsiert über ihr Spielchen, lehnte sich jetzt auch Alexis zu ihm. Ein Gänseblümchen glitt aus ihrem Haar und landete auf seinem Knie. Er nahm es zwischen Daumen und Zeigefinger und wollte es gerade nach ihr Schnippen, als er eine allzu bekannte Aura wahrnahm. „Wanda!“ Er sprang auf, Alexis‘ Bein streifend. Während er, so schnell er konnte, -was natürlich sehr langsam für ihn war- auf seine Schwester zu lief, bekam er nicht mit, wie die andere Frau ihr Gesicht nur Sekunden in Schmerz verzehrte. Wanda hingegen sah es sehr wohl.
 

Schnell wieder zusammen gerissen, stand nun auch Alexis auf um die fremde Mutantin zu begrüßen. „Du musst Wanda sein, ich habe schon so manches von dir gehört.“ Sie hatte ihr schon halb die Hand entgegen gestreckt, als sie entschuldigend lächelte und sie wieder zurück zog. „Oh ich… nun… ich mache sowas“ sie deutete auf ihre Hand „nicht.“ Wanda nickte. „Du bist also die sagenhafte Alexis!“ Sie wollte der anderen am liebsten um den Hals fallen, aber ihr Bruder hielt sie zurück. Was war das nur zwischen den  beiden? Sie konnte nur schwer in Alexis lesen und ihren Bruder wollte sie nicht unnötig anstrengen, indem sie ihre Fähigkeiten bei ihm einsetzte. Sie bemerkte, dass er noch immer das Gänseblümchen in der Hand hielt. Eine leise Panik stieg in ihr auf. Dies, gepaart mit der unendlichen Dankbarkeit, löste eine Verwirrung in Wanda aus, der sie nicht Herr werden konnte.

 

Als wäre es nicht schon genug auf einmal gewesen, registrierte Wanda plötzlich zwei weitere Personen, die sich vorher nicht auf dem Gelände aufgehalten hatten. Besorgt sah sie sich um. Blackbird seufzte. „Prinz und Prinzessin sind wohl zurück.“ „Damit ist mein Team wieder komplett.“ Endlich konnte Wanda etwas in Alexis lesen: Erleichterung. „Wenn ihr wollt, stelle ich euch den beiden gleich vor.“

Das angekommene Duo war schneller als sie gewesen und befand sich schon in einem oberen Stockwerk, wahrscheinlich im Esszimmer. Es bereitete Pietro immer noch Probleme, die baufällige Treppe alleine hinauf zu kommen, also war Eden vorgelaufen, Blackbird und Wanda stützten den Angeschlagenen, Alexis folgte ihnen als letztes mit den Worten „Irgendwer muss euch ja auffangen, wenn ihr die Stufe verfehlt.“

Einerseits hatte sie gegen Pietro sticheln wollen, aber Wanda hatte auch gesehen, dass Alexis sich tatsächlich als Gentleman verstand und deshalb niemals vor ihnen die Treppe hinauf gegangen wäre. Die Gänseblümchen fielen nach und nach aus ihrem Haar und Wanda musste gestehen, dass dieses Mädchen auf eine sonderliche Weise unbeschreiblich schön war. Ihre Haut war so weiß, dass man das Gefühl hatte, hindurch gucken zu können; ihre Haare waren Pechschwarz, aber nicht von Natur aus und ihre blauen Augen hatten immer etwas, das Wanda als sehr intim empfand, direkt und ungeschönt ehrlich. Sie war nicht das zarte Elfenwesen mit den großen Kulleraugen, das man lieben und beschützen wollte. Ihre Nase war eindeutig schon gebrochen gewesen, ihre Schultern waren etwas zu breit, aber ihr Becken auch. Sie scheute die Berührung der meisten Menschen, der Reaktion auf Quicksilvers Berührung nach, war es vielleicht eine Krankheit, die ihr Schmerzen bereitete?

 

Als sie den Weg ins zweite Stockwerk endlich geschafft hatten, überholte sie Alexis und stellte sich vor die drei, als sie die Tür zum Esszimmer öffnete.

„Liebe meines Lebens!!!!“ brüllte eine männliche Stimme mit asiatischem Akzent. Ohne mit der Wimper zu zucken, hob sie die Hand und bließ einen Schneewirbel los. Der aufgeregte Mann wurde sofort in einem Schneeberg begraben. „Wann lernst du es?“ mit den Augen rollend stieg sie über ihn hinweg und deutete ihrem Gefolge, es ihr gleich zu tun.

Sie war also ein Eis-Mutant, dachte Pietro. Bisher hatte ihm niemand von seinen Fähigkeiten erzählt, aber er hatte auch nicht gefragt.

In der Küche saßen zwei Blondinen mit Eden am Esstisch und diskutierten lebhaft. Eine von ihnen kannte Pietro schon, die Ärztin ShizoKitty. „Das ist ShizoKitty, oder einfach nur Kitty. Sie ist die Ärztin und wenn du jemandem danken willst, dann ihr. Sie hat deinen Bruder gerettet, nicht ich.“ Stellte Alexis sie vor. Kitty war nur empört. „So stimmt das gar nicht!“, wollte sie gerade korrigieren, aber Alexis fuhr unbeirrt fort. „Ihre Fähigkeit ist es, sich zu multiplizieren, oder zu klonen. Wie man es auch nennen will.“ Dann zeigte sie auf die neu hinzugekommene Blondine. „Siren ist Edens Schwester. Sie war bis eben auf einer Mission für mich. Ihre Fähigkeit ist die Manipulation von Wasser.“

Siren hatte glatte, blonde Haare, die ihr bis über die Hüfte fielen. Sie war im Gegenteil zu Alexis genau das Bild, das in den Medien als Schön propagiert wurde. Groß, schlank, perfekte Proportionen. Sie winkte fast überschwänglich und grüßte alle herzlich. Neben ihnen hatte sich jetzt auch der Asiate wieder aus dem Schnee befreit. Alexis‘ Abfuhr hatte seinem Ego nicht den geringsten Kratzer verpasst. Auch er grinste breit und stellte sich laut selbst vor.

„Hi, Voltero. Größter Albtraum der modernen, auf Maschinen angewiesenen Welt.“ prahlte er, sich selbst auf die Brust schlagend. Alexis verdrehte erneut die Augen. „Voltero ist ein menschlicher Akku. Er kann ganze Städte lahm legen, indem er einfach auf einer Starkstromleitung sitzt und den ganz Strom abzapft.“ Obwohl sie tatsächlich genervt vom großspurigen Verhalten Volteros war, erkannte sie seine Fähigkeiten an. Wanda fühlte sich in ihrer Vermutung, dass Alexis ungeschönt ehrlich war, bestätigt.
 

„Eden habt ihr ja schon kennen gelernt. Falls ihr euch immer noch nach dem Geschlecht fragt, das ist variabel.“ Eden kicherte. „Heute fühle ich mich doch sehr weiblich.“ Alexis lächelte wieder ihr mütterliches Lächeln. Warum versetzte das ihm so einen Stich? Pietro wusste es nicht.

„Sie kann die Natur beher…“ Eden zischte belehrend. „Sie kann mit der Natur kommunizieren und die ganze Flora ist ihr Freund.“ Alexis konnte noch immer nicht aufhören zu grinsen. „Unser Garten war komplett ihr Werk.“
 

Voltero hielt das Herumstehen nicht länger aus und drückte sich an allen vorbei zum Kühlschrank. „Noch jemand hungrig?“

Alexis seufzte und deutete dem Jungen, sich zu setzen. „Setzt euch, ein paar Snacks können nicht schaden um sich besser kennen zu lernen.“ Alle setzten sich brav und Alexis bewies ihre Gastgeberqualitäten indem sie nach allen Benimmregeln, die Wanda einfielen, das Essen auftrug. Als sie schließlich alle versorgt hatte, war die Unterhaltung schon in vollem Gange. Wanda hatte die ganze Zeit über Alexis beobachtet, Pietro dagegen hatte nur Augen für seine Schwester. Er hatte sehr an der herrischen Frau gezweifelt, als sie behauptet hatte, dass Wanda nichts merken würde, sie gar mögen würde, aber vielleicht waren seine Zweifel tatsächlich unberechtigt gewesen. Seine Schwester aß jetzt gedankenverloren Weintrauben, stöberte sie in den Gedanken der anderen? Zumindest schien sie sich einigermaßen wohl zu fühlen.
 

Alexis hatte sich immer noch nicht zu ihnen gesetzt, sie lehnte abseits am Kühlschrank. Die letzten Tage waren anstrengend für sie gewesen. Niemals hätte sie Voltero und Siren alleine los geschickt, eine Lieferung für sie abzuliefern, aber mit den zwei Fremden im Haus, hatte sie es nicht riskieren können, eine andere Konstellation zu wählen. Blackbird hatte ihr viele Vorwürfe gemacht, sie hatten sich gestritten, als er ihr an den Kopf geworfen hatte, dass sie aufhören müsse, immer alles kontrollieren zu wollen, hatte sie ihn geschlagen. Er hatte sich gewehrt, sie hatten ihr komplettes Zimmer zerlegt. Die anderen hatten angenommen, dass sie nur ihn verprügelt hätte, da man nur seine Verletzungen sah, aber würde sie ihren Eispanzer nur einen Moment aufgeben, könnten die anderen sehen, dass Blackbird sich ihre Wutanfälle nicht einfach gefallen ließ. Aber es war auch eine Form des Beschützens, das sie sich selbst als die Böse darstellte. Es half dem Team in schlechten Zeiten einen Sündenbock zu haben, jemanden, der all die Schuld hatte und all ihren Frust ertragen konnte.

Sie würde sich auch Pietro und Wanda gegenüber nicht anders verhalten – wobei sie bei jedem nur gerade so verletzend war, wie die Person es ertragen konnte. Wanda würde sie wohl noch einige Zeit schonen, aber beide Maximoffs waren eine größere Bedrohung für Alexis persönlich, als die anderen am Tisch ahnen konnten.
 

„Wirst du jetzt auch bei Wanda und Pietro schlafen, Lexi?“ quietschte Eden quer über den Tisch und zwang die Angesprochene so, sich am allgemeinen Gespräch zu beteiligen. „Eden!“ ermahnte sie das blonde Kind. „Warum?“ Sie lehnte unruhig mit beiden Ellbogen auf dem Tisch, um genauso groß wie die anderen zu sein. „Das hast du doch bei uns allen so gemacht.“ Wanda und Pietro tauschten Blicke, wahrscheinlich in Gedanken miteinander redend, bevor zumindest Wanda Alexis fragend ansah. Endlich bequemte sie sich dazu, sich einen Platz am Tisch zu suchen.

„Die meisten hier habe ich aus schwierigen Situationen rausgeholt. Ich teilte mir dann immer ein Zimmer mit ihnen, damit sie nicht alleine waren, falls irgendwas war.“ Sie nickte Wanda zu und ließ sie einige Szenen in ihrem Kopf finden: Eden, der von seinen Eltern fast ertränkt worden wäre, Siren, die gefesselt und halb tot geschlagen zusehen musste oder ShizoKitty, die sie aus einem Kellerloch befreit hatte, bevor man an ihr experimentiere konnte. Wanda war entsetzt und schlang hilfesuchend ihre Arme um die Hüfte ihres Bruders. Dieser zog sie sofort schützend an sich und warf Alexis einen wütenden Blick zu. Lass das, formte er tonlos. Alexis verschloss ihren Geist wieder.
 

„Ich denke die beiden brauchen meinen Beistand nicht, Eden. Wenn du aber willst, kannst du bei mir schlafen?“. Eden wusste nicht, wie er Alexis das eigentliche Problem beibringen sollte, also sprang Kitty ein. „Wir werden dein Schlafzimmer nicht bis heute Nacht hinkriegen…“ murmelte sie so  leise, dass man es kaum hören konnte. Wäre Alexis nicht von Kopf bis Fuß in eine dichte Schicht Eis gehüllt, wäre sie vielleicht rot geworden, aber so sah man ihr keine Regung an.

„Wanda und Pietro werden sich nicht unserem Team anschließen.“ unterband Alexis das nächste Argument, das Eden bringen wollte, etwas barsch. Sie wusste, dass Eden sich wünschte, neue Mitglieder für ihre Familie zu finden, um Alexis den Verlust des letzten Mutanten zu erleichtern, aber er verstand nicht, dass gerade dieser Verlust nicht durch neue Mutanten wieder gut zu machen war.

„Ehrlich gesagt,…“ meldete sich Wanda zu Wort, „wollte ich deswegen noch mal mit dir reden.“ Sie lag noch immer halb auf ihrem Bruder, der nun mehr als verwundert zu ihr herunter sah, wieder im Geiste mit ihr redend. „Soră!“ rief er aus. Was auch immer sie ihm gesagt hatte, gefiel ihm offenbar gar nicht.

Alexis, wie immer ihre Familie beschützend, griff sich erneut Blackbirds Zigaretten. „Wir gehen rauchen.“ Wies sie die Zwillinge an, bevor sie ihre Streitigkeiten diskutieren konnten. Beide gehorchten willig und folgten

Alexis führte die beiden in ein leeres Zimmer, ein paar Türen weiter. „Redet.“

Während die Zwillinge sich einen Moment schweigend anstarrten, ging Alexis zum Fenster, öffnete es und lehnte sich über den Rahmen hinaus, um nicht ins Zimmer zu rauchen. Das Klicken ihres Feuerzeugs wirkte wie ein Startschuss für die beiden hinter ihr.

„Und wann wolltest du das mit mir besprechen? Vielleicht will ich gar nicht hier bleiben?!“ ungeachtet seiner Schmerzen stampfte Quicksilver auf und ab. Die Arme wütend erhoben.

„Hier sind wir sicher! Sie kann uns beschützen. Sie ist der einzig gute Mensch, der uns aufnehmen wollte!“ beschwor sie ihren Bruder um Einsicht.

„Alexis? Ein guter Mensch?“ Sowohl Alexis als auch Pietro hatten bei Wandas Aussage laut ausgeatmet. Sie warfen sich einen Blick aus dem Augenwinkel zu, dann wandten sie sich wieder von einander ab.

„Ich dachte, das hättest du schon vor mir herausgefunden!“ Wanda hielt das Gänseblümchen hoch, das Pietro vorhin unbewusst in der Hand behalten hatte.

„Was willst du da andeuten?“ Seine Augen verengten sich. Wie konnte seine Gedankenleserin von einer Schwester die Situation so falsch verstanden haben?

 

Jetzt drehte Alexis sich den beiden zu, wohl wissend, dass die Situation schnell ungemütlich werde würde, wenn sie es nicht aufklären würde. „Wanda.“ Die rot leuchtenden Augen fixierten sie verärgert. „Wenn du wirklich willst, dann könnt ihr bleiben. Aber du solltest deinem Bruder vielleicht erst mal erklären, warum du denkst, dass das nötig ist.“

Die Scarlet Witch holte tief Luft. „Die falschen Leute haben Wind davon bekommen, dass du lebst, dass wir leben. Sie haben bereits zwei Mal versucht mich von den Avengers zu entführen und soweit ich weiß, waren sie auch schon hier.“

Alexis zuckte mit den Schultern, als beide sie fragend ansahen. „Ich habe schon stärkere Männer zum Weinen gebracht.“

Ihr unangebrachter Humor machte Pietro jedes Mal wütend. „Das ist nicht zum Lachen.“ Alexis stieß den Rauch in seine Richtung aus. „Das hat er auch gesagt, als ich ihn im Keller eingesperrt habe.“

Sie fischte ein Smartphone aus ihrer Tasche, tippte zwei, drei Mal darauf herum und hielt es den beiden hin. Es war die Aufzeichnung einer Überwachungskamera. Dort saß ein Mann auf dem Boden. Die Uniform gehörte zu einer militärischen Organisation. Pietro verstand diese Frau wirklich nicht.

„Du bist ein Mutant.“ antwortete sie, als hätte sie seine Gedanken gelesen. „Auf irgendwen müssen sich Mutanten bedingungslos verlassen können, meinst du nicht?“ Bei diesem Worten deutete sie theatralisch auf sich selbst.

„Da hörst du es!“ Wanda mochte diese Art von Alexis genau so wenig wie ihr Bruder. Aber sie verstand, dass Alexis einfach keine große Anerkennung für ihre Arbeit wollte. Sie ergriff Pietros Hand und zeigte ihm, wie in einem Schnelldurchlauf die Dinge, die sie über Alexis in Erfahrung bringen konnte.

Sie war bei jeder großen Schlacht dabei gewesen, man schrieb ihr die Entwicklung eines Gegenmittels gegen die Heilung zu, sie rettete jedem Mutanten das Leben, wenn sie konnte, manchmal auch nur, um sie dann einem fairen Prozess auszuliefern.

Als Wanda endlich fertig war, drückte Alexis ihre Zigarette aus und machte einen Schritt auf die Zwillinge zu. „Jetzt zeig ihr, wie du mich erlebt hast. Wir wollen doch mit offenen Karten spielen, oder wollen wir beide weiterhin unser kleines Geheimnis hüten?“ spielerisch zog sie eine Augenbraue hoch.

„Tu nicht so, als wäre da mehr als Ablehnung!“ raunte er und ergriff fast ein bisschen grob den Arm seiner Schwester und ließ sie so alles sehen, was er vorher verschlossen gehalten hatte.

Alexis sah Wanda an, dass das Bild, das die jüngere Maximoff von ihr gehabt hatte, einen Riss bekam. Hätte sie sich getraut, sie zu beruhigen, hätte sie es vielleicht getan, aber Wandas Kräfte machten ihr zu große Sorgen. So zuckte sie nur mit den Schultern und sagte „Alles hat seinen Preis.“

Wanda hatte im Kopf ihres Bruders mehr gesehen, als der sich bewusst war. Insbesondere jetzt, da sie beide so viele Informationen ausgetauscht hatten, war vieles von dem, was Alexis tat, für die Zwillinge viel verständlicher geworden. Die beiden fielen sich plötzlich in die Arme, Alexis drehte sich weg, als hätte sie etwas Unanständiges gesehen. Der Speedster räusperte sich, „Wir bleiben.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich habe mich bei Wandas und Pietros Muttersprache für Rumänisch entschieden. Ich mag den Klang. Ja tatsächlich gibt es nicht mehr Gründe. Soweit ich es in Erfahrung bringen konnte, haben die beiden einen Hintergrund als "Sinti und Roma" (sagt man heutzutage noch fahrendes Volk?) , aber ich spreche kein Wort Romanes... also bitte verzeiht mir diese willkürliche Wahl.

soră = Schwester Komplett anzeigen

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