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Das Medaillon der Götter

NaNoWriMo Projekt November 2015
von

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Vorbereitungen

Eigentlich war es ein Tag wie jeder andere auch. Vielleicht nicht ganz, da heute ihr sechzehnter Geburtstag war. Ansonsten aber war alles wie immer. Latoya lächelte. Noch nicht einmal eine einzige Vision, hatte sie bisher gehabt und dabei war es schon Nachmittag. Das war äußerst ungewöhnlich, hatte sie doch fast jeden Tag welche und das seit sie denken konnte. Allerdings war das Fehlen der Visionen heute gut denn in wenigen Stunden würden alle ihre Freunde da sein um gemeinsam mit ihr ihre Volljährigkeit zu feiern. Wie lange hatte Latoya diesen Tag herbei gesehnt! Von nun konnte Rina, ihre Mutter, ihr nicht mehr vorschreiben was sie zu tun und lassen hatte. Und das allerbeste war: Sie durfte sogar endlich alleine ohne Begleitung in die Hauptstadt. Darauf freute sie sich ganz besonders. Nun konnte sie sich alleine die Paraden und Feste ansehen und musste Rina nicht jedes Mal anflehen mit ihr hin zu gehen. Sogar heiraten war nun möglich ohne das Einverständnis ihrer Mutter...
 

„Latoya! Du hast Besuch!“, schallte auf einmal die Stimme von Rina. Latoya runzelte die Stirn. Es war unüblich, dass die Gäste kamen ehe das Fest anfing. Sehr unüblich. Latoya seufzte leise, dann ging sie zu ihrer Mutter. „Wer...?“, sie wollte noch mehr fragen, ließ es jedoch bleiben als sie sah wer da breit grinsend neben Rina stand. „Toban!“, ein Freudenschrei entwich Latoya.
 

Toban war ihr Cousin. Der älteste von zwei Söhnen, der Schwester von Latoyas Mutter. Toban und Latoya waren gemeinsam aufgewachsen und sie beide verband eine tiefe Freundschaft. Dass er sieben Jahre älter war als sie hatte bisher niemals ein Problem dargestellt. Im Gegenteil. Wenn es etwas getan hatte, dann eher ihre Freundschaft unterstützt.
 

Latoya musterte ihren Cousin. Wann auch immer sie ihn sah, sah er auch jetzt überaus attraktiv aus. Seine dunkelbraunen, halblangen Locken reichten ihm bis knapp auf die Schultern. Seine grünblauen Augen funkelten Latoya übermütig, sowie auch amüsiert, an. Latoya liebte seine Augen. Sie wusste, je nachdem wie er gelaunt veränderte sich die Farbe von ihnen. Ein Umstand, der ihr es stets leichtgemacht hatte herauszufinden wie er gelaunt war. Jetzt hatte er definitiv sehr gute Laune. Aber um das zu wissen bedurfte es keiner großen Menschenkenntnis. Das würde sogar ein Blinder erkennen, dachte Latoya. Sie ließ ihren Blick weiter wandern. Auf der Uniform die er trug, war an der Schulter das Wappen von Aranica, ein Adler mit ausgebreiteten Flügeln auf dunkelblauem Grund. Darunter angebracht waren das Rangabzeichen und das Abzeichen welches anzeigte welcher Einheit Toban angehörte. Nämlich der Stadtwache. Latoya wusste, dass Toban, trotz seiner guten Stellung noch nicht zufrieden mit sich war. Sein großes Ziel war es in der persönlichen Reitereinheit des Königs zu dienen. Latoya war sich mehr als sicher, dass er es irgendwann auch erreichen würde.
 

„Was ist los? Werde ich nicht von dir begrüßt?“, fragte Toban Latoya neckend. Diese überbrückte nun auch die letzten paar Schritte die zwischen ihnen lagen und umarmte ihn stürmisch. „Ich hab dich so vermisst!“, sagte sie vorwurfsvoll. „Ja ich weiß. Ich dich auch“, meinte Toban. Er schob Latoya, nach der Umarmung, ein wenig von sich um sie besser betrachten zu können. Ihre langen, dunkelbraunen Haare hatte sie, in einem wohl verzweifelten Versuch sie zu bändigen, zusammen gebunden. Trotzdem hingen ihr gut sichtbar einige Strähnen ins Gesicht. Ihre Augen funkelten übermütig und im Moment wirkte Latoya auf ihn geradezu wie ein Leuchtfeuer. Das Kleid, welches sie gerade trug war weinrot und aus groben Leinen gewebt. Für die Feier hatte sie sich also noch nicht umgezogen. Aber wäre das der Fall gewesen, hätte ihre Mutter sie wohl auch kaum ihn treffen lassen, überlegte Toban. Ganz sicher war er sich darüber allerdings auch nicht, denn seine Freundschaft zu Latoya war schon immer, und das wusste hier jeder, besonders gewesen. Oft war es sogar so, dass sie sich auch ohne Worte verstanden und in ihren Handlungen ergänzten.
 

„Wie lange bleibst du dieses Mal?“, riss Latoya Toban plötzlich aus seinen Gedanken. Er sah sie zerknirscht an. „Leider nur heute“, Toban verzog das Gesicht. „Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein?“, erkundigte Latoya obwohl sie es besser wusste. Toban seufzte. „Es tut mir Leid. Wirklich“, versicherte er ihr. „Du warst das letzte Mal vor vier Monaten hier und jetzt bist du wieder da, pünktlich zu meiner Volljährigkeitsfeier aber willst nicht bleiben?“, es klang bitter, wusste Latoya doch darum kümmerte sie sich nicht. Toban sollte ruhig merken, dass sie enttäuscht war.
 

"Hör mal", setzte Toban schließlich an "ich wäre auch gerne dabei aber...“, er brach ab, als er bemerkte wie sie ihn ansah. „Dann bleib doch einfach! So viel Ärger würdest du dir doch bestimmt nicht einhandeln, oder? Außerdem wirst du, so wie ich dich kenne, ansonsten ein schlechtes Gewissen haben und darauf habe ich keine Lust. Ebensowenig wie du vermutlich“, wandte Latoya energisch ein. Toban seufzte resigniert. „Vermutlich wird es zu verkraften sein“, gab er zu. Natürlich hätte er auch lügen können, aber darin war er noch nie besonders gut gewesen. Vor allen Dingen nicht Latoya gegenüber. Und sie hatte Recht. Er würde ein richtig schlechtes Gewissen haben, wenn er sie jetzt einfach wieder verlassen würde. Abermals seufzte Toban. „Na schön. Aber kurz nach Sonnenaufgang reite ich zurück in die Stadt“, stellte er klar. Latoya nickte breit grinsend. „Danke Toban. Du bist der Beste! Wirklich!“, versicherte sie ihm. Toban verzog das Gesicht. „Ich werde dich bei gegebener Zeit nochmal daran erinnern, wenn du das Gegenteil von mir denkst“, murmelte er möglichst missmutig. Gelingen tat es ihm jedoch nicht besonders gut.
 

Der Tag, den sie mit Toban verbrachte, verging schneller als Latoya gedacht hatte. „Ich glaube, so langsam wird es Zeit für dich“, meinte Toban mit Blick zum Himmel, welcher sich langsam aber sicher rot färbte. Latoya nickte. „Wir sehen uns dann später, ja?“, fragte sie. Toban nickte ebenfalls. „Ja, das habe ich dir doch gesagt. Also geh jetzt und mach dich schick“, entgegnete er amüsiert. „Das habe ich vor. Und beschwere dich ja nicht, wenn nachher auch andere Männer mit mir tanzen wollen“, Latoya lachte. Toban dagegen verdrehte die Augen. „Mit dir Zausel? Du hast ja wirklich ganz schön große Hoffnungen!“, witzelte er und fing sich dafür einen unsanften Stoß in die Rippen ein.„Bis später“, verschmitzt sah Latoya Toban an, drückte ihm ein Kuss auf die Wange und ließ ihn damit einfach stehen. Toban konnte nicht anders als ihr verdutzt hinterher zu sehen.
 

„Du bist spät dran!“, wurde Latoya, kaum dass sie wieder zuhause war, von Rina begrüßt. „Ja ich weiß, aber...“, sie wollte noch mehr sagen, doch Rina fiel ihr ins Wort. „Das ist jetzt nicht wichtig. Wichtig ist, dass du nachher halbwegs präsentabel aussiehst“, stellte sie klar und musterte ihre Tochter. „Ich denke wir fangen am besten mit deinen Haaren an. Hoffen wir mal, dass wir sie heute wenigstens einigermaßen gebändigt bekommen. Leicht wird das jedenfalls nicht“. Latoya nickte. Dann fügte sie sich in die Anweisungen die Rina ihr gab.
 

„Wie es aussieht werden wir diese Nacht doch noch hier verbringen. Das heißt du kannst dich noch ein wenig ausruhen bevor es zurück in die Stadt geht. Allerdings so wie es aussieht nur du“, redete Toban auf seinen jungen Fuchswallach ein während er ihn absattelte.
 

„Heißt das, dass die Kleine dich überredet hat zu ihrer Volljährigkeitsfeier zu bleiben?“ertönte auf einmal eine dröhnende Stimme. Toban musste sich nicht umdrehen um zu wissen wem sie gehörte. Er wusste es auch so. „Falls du von Latoya redest, dann ja Vater“, antwortete Toban missmutig. „Du bist schlecht gelaunt“, stellte Tobans Vater fest. „Nein, bin ich nicht“, entgegnete Toban genervt. „Doch bist du. Und ich frage mich warum. Schließlich versteht ihr beide euch wirklich gut. Also was ist los?“, erkundigte sein Vater sich. „Muss ich dir das wirklich erklären Ranef?“, wollte er wissen. Ranef zuckte mit den Schultern. „Müssen tust du gar nichts. Dennoch würde ich mich darüber freuen. Außerdem wäre es wohl kaum angebracht, wenn du mit einem solchen Gesicht wie du jetzt eines machst auf ihrer Volljährigkeitsfeier auftauchst. Das wäre nicht nur unhöflich sondern würde ihr wahrscheinlich auch den Abend ruinieren. Du bist ihr bester Freund. Also bemühe dich wenigstens ein bisschen. Schließlich ist dies ein wichtiger Abend für sie“, redete Ranef auf Toban ein. Der verzog das Gesicht. „Ja. Schon gut. Aber bitte lass deine Moralpredigt nicht noch ausführlicher werden“, bat Toban seinen Vater. „Sehr schön“, Ranef grinste. „Dann mach dass du hier fertig wirst. Deine Mutter und ich wollen in zehn Minuten los. Und wir gehen auf jeden Fall. Mit oder ohne dir“, stellte er klar. „Geht ruhig schon einmal ohne mich. Ich muss da nämlich noch was erledigen...“, entgegnete Toban. „Du wirst mir wohl nicht verraten was, oder?“, fragte sein Vater. „Allerdings“, Toban grinste. „Denn das geht weder dich noch die anderen an. Außer vielleicht Latoya selbst“. Dann sah er Ranef auffordernd an. „Schon gut. Ich verschwinde schon wieder. Auch wenn ich zugeben muss, dass es mich wirklich interessieren würde, was du dir da hast einfallen lassen“, brummte Ranef vor sich hin. Tobans Grinsen wurde noch ein Stück ein breiter. „Ob du davon erfährst liegt ganz allein bei Latoya. Sie soll darüber entscheiden, wenn sie davon weiß und das bleibt mein letztes Wort. Also: Wir sehen uns dann nachher auf dem Fest“, sagte Toban. „Ja, bis gleich“, verabschiedete Ranef sich sehr zu Tobans Erleichterung.
 

Kaum dass Ranef gegangen war, griff Toban in eine seiner Satteltaschen und zog einen kleinen ledernen Beutel hervor. Er war der Einzige, der den Inhalt kannte. Zumindest wenn man mal von seinem besten Freund Meril aus der Stadt absah. Er hatte ihn schließlich auch darin bestärkt das hier durchzuziehen und das Geschenk gemeinsam mit ihm ausgesucht. Alleine hätte er das vermutlich nicht geschafft. Geschweige denn sich dazu überreden können. Wenn er wieder in der Stadt zurück war musste er sich wirklich nochmal ordentlich bei Meril bedanken. Toban atmete tief durch. Konnte er das hier wirklich durchziehen? Er war kein Feigling. Bei weitem nicht. Aber wenn es um Latoya ging, dann neigte sein Verstand dazu anders zu handeln als er es eigentlich sollte. Aber ein Zurück gab es nun nicht mehr. Denn wenn er jetzt doch noch umkehren würde, würde Latoya dies ihm nie verzeihen. Und er sich selbst, da war er sich ganz sicher, noch weniger. Er würde es also machen. Vorsichtig schob Toban den Beutel in seine Hosentasche, hing seinem Pferd noch einen Beutel Heu hin und ging dann ins Wohnhaus um sich umzuziehen. Der Abend konnte kommen. Und je eher er begann desto früher würde er auch enden. Vielleicht.
 

„Bist du dir wirklich sicher, dass ich so gehen kann?“, fragte Latoya und sah prüfend an sich herunter. Es war nicht so, dass sie sich unwohl fühlte. Nein, das war es nicht. Vielmehr unsicher. Irgendwie hatte sie gerade das Gefühl dass, wenn sie so auf ihr Fest gehen würde, die anderen sie auslachen würden. Aber vielleicht war das ja ganz normal. Vielleicht fühlten sich alle jungen Frauen so. Für diese war die Volljährigkeitsfeier schließlich schon immer bedeutender. Das nächste große Ereignis danach war die Hochzeit. Die anderen Geburtstage wurden eher in kleinem Rahmen mit dem engsten Teil der Familie und Freunde gefeiert. Das war schon immer Tradition in dieser Gegend in der sie lebte und aufgewachsen war.
 

„Du bist wunderschön. Ich bin mir sicher Toban wird genau dasselbe zu dir sagen“, versicherte Rina ihrer Tochter. „Kann sein“, entgegnete Latoya. Sie zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Aber ich glaube er ist mir böse“, überlegte sie nachdenklich. „Wieso das denn? Ihr habt euch doch nicht etwa gestritten?“, überrascht sah Rina Latoya an. „Natürlich nicht. Aber er wollte eigentlich sofort in die Stadt zurück reiten. Weil ich ihn überredet habe heute Abend zu bleiben wird er mit Sicherheit Ärger wegen mir bekommen“, meinte Latoya. Rina winkte ab. „Glaub mir: Wenn diese Nacht vorbei ist, ist es nicht der Ärger den er sich eingehandelt hat an den er sich später erinnern wird“, prophezeite sie Latoya. Diese runzelte die Stirn. „Das verstehe ich nicht. Wovon redest du?“, erkundigte sie sich. Rina lächelte geheimnisvoll. „Das wirst du schon selbst heraus finden müssen“, Rina zupfte eine Falte aus Latoyas Kleid. „Das Wichtigste ist jedoch, dass dir dieser Abend immer in guter Erinnerung bleibt denn er kommt nie wieder“. „Trotzdem. Ich würde mich wesentlich besser fühlen wenn ich wenigstens so ungefähr wüsste worauf ich mich vorzubereiten habe“, meinte Latoya. „Glaub mir, ich kenne das Gefühl. Aber darauf kann man sich nicht vorbereiten. Genauso wie auf so vieles anderes im Leben. Und jetzt komm. Wir, vor allem natürlich du, werden bestimmt schon sehnsüchtig erwartet“, versuchte Rina ihre Tochter aufzumuntern. „Du hast Recht“, stimmte Latoya ihr zu. „Also los“, dieses Mal schaffte sie es sogar trotz ihrer großen Aufregung zu lächeln.
 

Prüfend sah Toban an sich herunter. Normalerweise lege er nicht besonders viel Wert auf Kleidung. Zumindest außerhalb seines Dienstes nicht. Was Kleidung anging war er eher praktisch veranlagt. So lange ihm die Sachen passten trug er sie auch. Das Aussehen kam meistens an zweiter Stelle. Doch heute würde er diese Gewohnheit mal ignorieren. Dummerweise waren die besten Sachen, die er dabei hatte, seine Uniform welche schon ein wenig staubig vom Ritt war. Da er jedoch nichts anderes hatte musste sie wohl herhalten. Toban seufzte. Irgendwie würde er diesen Abend schon hinter sich bringen, so viel war sicher. Fragte sich nur wie. Und sollte der Abend wirklich zum totalen Desaster werden gab es immer noch die Möglichkeit sich später zu betrinken. Obwohl er eigentlich jemand war der so gar nicht dazu neigte. Im Gegenteil. Meist war er derjenige, der seine Kumpel später aus den Wirtshäusern schleppte damit sie nicht Ärger von ihren Vorgesetzten bekamen. Auch was seine Kindheit hier im Dorf betraf war meist er der Vernünftige gewesen. Latoya dagegen neigte schon immer dazu die Dinge ohne nachzudenken anzugehen. Etwas was ihr oft nicht wenig Ärger eingebracht hatte. Doch gerade dieses impulsive mochte er so an Latoya. Was er ebenfalls sehr an ihr bewundern tat war, dass sie stets ihre Meinung vertrat. Egal wie sehr und wen sie damit vor den Kopf stieß. Er selbst hatte gar nicht den Schneid dazu. Noch einmal klopfte Toban den vermeintlichen Staub von seiner Uniform. Dann ging er runter zur Festwiese.

Die Volljährigkeitsfeier

Als Latoya die Festwiese erreichte, hatte sich dort bereits das halbe Dorf versammelt. Zumindest kam es ihr so vor. Ohne es zu wollen suchte sie mit den Augen die Menge nach Toban ab. Entdecken tat sie ihn jedoch nicht. Latoya seufzte leise. „Keine Sorge, er wird kommen“, ertönte auf einmal eine Stimme neben ihr. „Ranef!“, Latoya wirbelte herum und umarmte ihren Onkel. „Ich freu mich so, dich zu sehen! Mit den anderen habe ich ja eher wenig zu tun“, sie lächelte. Latoya mochte Ranef. Und das nicht nur weil er der Vater von Toban war. Das war nicht der einzige Grund. Denn Ranef mochte auf jemand fremdes vielleicht, aufgrund seiner Größe und muskulösen Körperbau, einschüchternd wirken doch Angst brauchte man vor ihm wirklich nicht zu haben. „Sind Daria und Logan denn auch schon da?“, erkundigte Latoya sich nach ihrer Tante und ihrem zweiten Cousin. Latoya mochte Logan zwar auch doch mit Toban verband sie eine weitaus tiefere Freundschaft. Dies lag vielleicht daran, dass Logan, im Gegensatz zu seinem Bruder, alle Dinge viel kritischer anging. Toban dagegen ließ sich auch mal zu Dingen überreden bei denen klar war, dass es später Ärger geben würde. Das war schon immer so gewesen. Das war auch etwas, dass Latoya sehr viel bedeutete.
 

Toban brauchte nicht lange um Latoya zu finden. Im Gegenteil. Er fand sie genau dort, wo er gedacht hatte. Am Rande der Festwiese. Das war nichts was ihn groß verwunderte, denn Latoya mochte große Menschenmassen nicht besonders und vermied es, zumindest wenn das möglich war, in einer zu sein. Das Dorf war vielleicht nicht besonders groß mit seinen gerademal dreihundert Einwohnern, im Vergleich zur Hauptstadt, doch Toban verstand warum sie nicht direkt im Geschehen sein wollte. Aber allein war sie trotzdem nicht. Denn sie unterhielt sich gerade fröhlich mit seinem Vater. Doch dann geschah plötzlich etwas Seltsames. Ein Aufschrei entwich Latoya und sie wich zurück. Ohne auch nur einen Augenblick zu zögern rannte Toban zu ihr.
 

„Du wirst mir diese Nachricht aushändigen - und zwar sofort!“, ein Mann in dunkelblauer Robe streckte die Hand nach der versiegelten Schriftrolle aus, die Ranef in der Hand hielt. Ranef schüttelte den Kopf. „Das werde ich nicht tun. Denn diese Nachricht ist für niemand anderen als für meinen Sohn bestimmt“, knurrte Ranef und funkelte seinen Gegenüber wütend an. „Es interessiert mich nicht an wen dieser Brief gerichtet ist. Zumindest nicht im Moment. Viel wichtiger ist von wem er geschrieben wurde. Und da er von ihr ist, geht das nicht nur mich etwas an sondern das ganze Königreich. Also gebt ihn mir! Und zwar auf der Stelle!“, es war mehr als deutlich, dass Ranefs Gegenüber langsam die Geduld verlor. „Niemals! Nicht so lange ich es verhindern kann!“, Ranefs Stimme klang nun deutlich schriller. „Nun, wenn du mir diese Nachricht nicht so geben willst habe ich wohl keine andere Wahl“, seufzte er. Dann stieß er Ranef von hinten einen Dolch zwischen die Rippen. Ohne einen laut stürzte Ranef in sich zusammen. Die Augen vor Überraschung weit aufgerissen.
 

Bevor sie es verhindern konnte entwich ein Schrei Latoyas Lippen. Erst als sie mitbekam, dass jemand sie an den Schultern packte und schüttelte kam sie wieder halbwegs zu sich. Jetzt erkannte sie auch wer es war und sie mehr als erschrocken ansah. Es war Toban. Latoya sah ihren Cousin an. „Es tut mir Leid. Ich...“, begann sie doch es war zu spät. Denn schon überkam sie die nächste Vision und trug sie wie eine Welle davon.
 

Vor den Kasernen standen drei Leute. Bei näherem Hinsehen erkannte Latoya Toban, sich selbst und einen Mann mit einer ausgeprägten Geiernase. „Geht weg von ihr Toban. Oder muss ich Euch wirklich noch einmal erklären, dass sie die größte Gefahr für Aranica darstellt, die es seit zweihundert Jahren gab?“, erkundigte Geiernase sich alles andere als höflich. Toban schüttelte den Kopf. „Ganz gewiss nicht. Das habt Ihr mir und vor allen Dingen ihr schließlich schon oft genug vorgehalten. Allerdings scheint er da wohl etwas zu vergessen. Sie ist eine der engsten Vertrauten unseres Königs und er schätzt sie sehr. Was glaubt Ihr wohl was passieren würde, wenn Latoya auf einmal nicht mehr da wäre. Man würde sofort auf Euch und Euren Meister kommen. Schließlich ist dem ganzen Hof bekannt, wie sehr ihr beide sie verabscheut und hasst“, gab Toban zu bedenken. Er räusperte sich. „Und davon mal ganz abgesehen würde ich es niemals zulassen, dass ihr Latoya auch nur einen einzigen Kratzer zufügt“, sagte Toban und seine Stimme klang gefährlich ruhig doch daran, dass er es ernst meinte bestand kein Zweifel. Geiernase verzog das Gesicht, was sehr grotesk aussah. „Ich sage es noch einmal Toban. Geht weg von dieser Person. Sonst ist nicht allein sie diejenige die zu Schaden kommt. Und das wollt Ihr doch nicht wirklich“, seine Stimme klang so scharf wie die Klinge eines Schwertes. Toban erwiderte den Blick von Geiernase scheinbar ungerührt und Latoya fragte sich wie er das schaffte. Denn sie verspürte die Angst als ob sie ein körperliches Wesen wäre, welches neben ihr stand und nach ihr griff.
 

„Ich werde Euch Latoya niemals überlassen. Nicht so lange ich lebe. Dafür verdanke und liebe ich sie zu sehr!“, das war wieder Toban. „Wie romantisch. Und das obwohl Eure Liebe bisher noch nicht einmal erhört wurde. Liebt sie doch einen anderen. Oder sind es doch zwei?“, erkundigte Geiernase sich sarkastisch. Nur um kurz darauf fortzufahren: „Womit wir wieder beim Thema wären. Schließlich könnte genau das der Untergang unseres Königreichs sein. Das und ihre Fähigkeiten!“
 

Toban funkelte Geiernase wütend an. "Wenn dieses Königreich untergeht dann liegt es einzig und allein an Euch und Eurem Meister. Schließlich seid ihr diejenigen die unseren König wie eine Marionette behandeln und ihn zu eigenen Gunsten auspresst wo es nur geht!", warf er ihm vor. Geiernase lachte. "Eins muss ich Euch lassen Toban. Ihr seid wirklich scharfsinnig. Allerdings ist das nicht etwas, dass Euch zu Eurem Vorteil gereichen wird. Im Gegenteil", entgegnete er.
 

„Warum tust und sagst du nichts?“, schleuderte Latoya ihrem zweiten Ich entgegen. Doch dieses zeigte noch immer keinerlei Reaktion. Natürlich nicht. Schließlich war dies einzig und allein eine Vision. Wenn auch eine, die ungewöhnlich lang andauerte und viel intensiver war als sonst. Sogar intensiver als die, die sie vorher von Ranefs Tod hatte.
 

Geiernase verschränkte die Arme vor der Brust. „Es muss nicht darauf hinauslaufen, dass Toban sich für Euch opfert. Oder wollt Ihr wirklich Euren Jugendfreund, der Euch liebt, in den Tod treiben. Denn er wird sterben müssen wenn er mir weiter im Weg steht. Und auch wenn man es mir vielleicht nicht ansieht: Meine Geduld ist nicht unendlich!“, sprach Geiernase nun Latoyas anderes Ich an. Dieses schien zu überlegen. „Nein! Sag es nicht! Bitte!“, Latoya schrie verzweifelt auf, doch natürlich hörte niemand sie. „Allein die Götter kennen und bestimmen unser Schicksal“, entgegnete das andere Ich von Latoya Geiernase. Der nickte. „So sei es“, sagte er und fügte hinzu: „Nichts anderes habe ich von dir erwartet Wächterin“.
 

„Latoya! Latoya! Ist alles in Ordnung mit dir?“, das war die Stimme von Toban erkannte Latoya.

„Na ganz offensichtlich nicht. Sonst wäre sie wohl kaum vor deinen Füßen zusammengebrochen!“

„Jetzt entschuldige mal Ranef. Ich werde doch wohl...“

„Bitte redet etwas leiser, ja?“, Latoya richtete sich stöhnend auf. Ihr Kopf dröhnte, als ob jemand ihr voller Wucht einen Schlag auf denselben verpasst hätte.
 

Latoya sah um sich. Nur langsam kehrten die Erinnerungen zurück. Nur langsam realisierte sie was passiert war und wo sie sich im Moment befand. Nämlich bei sich zuhause in oder besser auf ihrem Bett. Davor standen Ranef und Toban, die sie beide anblickten. Der einzige Unterschied war, dass Toban seine Besorgnis nicht so gut verbergen konnte wie Ranef. Diese sah auch jetzt eher schlecht gelaunt als besorgt aus. Doch das verwunderte Latoya nicht. Im Gegenteil. Außerdem hätte sie es auch nicht anders gewollt. Denn das Toban besorgt war, reichte ihr schon völlig aus. Umständlich setzte Latoya sich auf. Das heißt, sie versuchte es denn Toban drückte sie sanft aber bestimmt zurück in die Kissen.
 

„Du denkst doch wohl nicht daran jetzt einfach so aufzustehen?“, erkundigte Toban sich entgeistert.

„Hast du damit etwa ein Problem?“, fragte Latoya zurück.

„Das ist doch wohl nicht dein Ernst! Hast du nicht gesagt was Ranef gesagt hat? Du bist mir vorhin quasi vor die Füße gefallen! Und ganz davon abgesehen siehst du mehr tot als lebendig aus“

Latoya seufzte. Sie hatte schon geahnt, dass Toban so etwas sagen würde. „Denkst du nicht, dass ich alt genug bin um selbst entscheiden zu können was für mich das Beste ist?“

„Im Moment lässt du mich stark daran zweifeln“, gab Toban vollkommen unbeeindruckt zurück.

Latoya seufzte abermals. „Wieso bist du eigentlich noch hier? Musst du nicht zurück in die Stadt?“
 

Verwundert sah Toban Latoya an. Diese jedoch wich, sehr zu seinem Erstaunen, seinem Blick aus. Das hatte sie bisher noch nie getan. Warum sie jetzt damit anfangen sollte, war ihm absolut schleierhaft. Toban wandte sich an seinen Vater. „Ranef. Wäre es wohl in Ordnung, wenn du kurz nach draußen gehen würdest?“, bat er ihn. Ranef grummelte etwas vor sich, von dem Toban sicher war, dass er nicht wissen wollte was es war, dann verließ er das Zimmer.
 

„Also, was ist los mit dir?“, wollte Toban wissen. Latoya schüttelte den Kopf. „Muss ich wirklich mit dir darüber reden?“, sie wollte es eigentlich nicht so sagen, doch es war zu spät. Ihre Zunge war mal wieder schneller als ihr Verstand. „Toban. Es tut mir Leid. Ich...“

„Nein. Ist schon gut. Ich gehe dann auch mal“, entgegnete Toban bitter, drehte sich um, doch gerade als er den Raum verlassen wollte hielt Latoya ihn zurück.

„Bitte lass mich mit dir in die Stadt kommen!“
 

Toban wirbelte herum. Hatte er sich das nur eingebildet oder bat Latoya ihn tatsächlich mit ihm reisen zu dürfen? Das konnte doch nicht wirklich wahr sein, oder? Und was sollte er davon halten? Wäre es wirklich richtig es ihr zu erlauben? Wobei, falls er es nicht sie wohl kaum einfach so hier bleiben würde. Vermutlich war eher das Gegenteil der Fall. So wie er sie kannte würde Latoya ihm sicher folgen und zwar ohne an die Konsequenzen, die es vielleicht hätte, zu denken. Was also sollte er tun?

Damian

Bei Damian gab es nur zwei Arten von Tagen wie sie sein konnten. Entweder sehr gut oder richtig schlecht. Der Tag heute zählte definitiv zu letzteren. Nicht nur, dass es schon seit dem frühen Morgen unablässig begonnen hatte zu regnen, was noch zu ertragen gewesen wäre, nein. Begonnen hatte es damit, dass sein Pferd plötzlich lahmte. Aus einem Grund den er, selbst jetzt wenn er daran zurück dachte, nicht verstand. Denn er war zwar schon seit geschlagenen fünf Tagen unterwegs, aber sein Pferd überanstrengt hatte er, zumindest seiner Meinung nach, nicht. Damian seufzte. Selbst sein lahmendes Pferd, welches er nun seit fast dem ganzen Tag neben sich her führte, anstatt darauf zu reiten, hätte ihm nicht die Laune vermiesen können. Doch dann wurde er, während er sich eine noch nicht einmal zehnminütige Pause gegönnt hatte, ausgeraubt. Ausgeraubt. Einfach so. Damian konnte es noch immer nicht fassen. Man raubte ihn nicht aus. Normalerweise war es eher umgekehrt. Also so, dass er die anderen um ihr Hab und Gut erleichterte. Doch nicht das machte ihn wütend - sondern dass er nichts bemerkt hatte. Absolut gar nichts. Dabei war sein Gehör sehr gut und seine Reflexe ausgezeichnet. Zornig ballte Damian die Hände zu Fäusten.
 

Doch auch wenn Damian richtig schlechte Laune hatte, so war er dennoch auch erleichtert. Denn die Diebe mochten ihm vielleicht sein Geld gestohlen haben, nicht aber das was für ihn noch viel wichtiger war. Das was er mit seinem Leben beschützen musste. Sicherheitshalber tastete Damian noch einmal danach in seiner Umhangtasche. Der Brief befand sich noch in seinem Besitz. Mehr als beruhigt atmete Damian tief durch. Als man ihn beauftragte den Brief zu überbringen war er alles andere als begeistert gewesen. Doch dann hatte, wie so oft, seine Neugier gesiegt. Den Inhalt des Briefes kannte er nicht. Selbst wenn er ihn öffnen würde, würde es ihm nicht viel bringen da der Brief, wie man ihm lang und breit erklärte, codiert war. Wie fast jede wichtige Nachricht. Die Geduld, sich hinzusetzen und den Code zu entschlüsseln besaß er nicht. Zumal das vermutlich auch eine mehr als dumme Idee wäre denn der Adressat dieser Nachricht war niemand anderes als König Zacharias von Aranica höchstpersönlich. Gewöhnliche Diebe mochten das nicht erkennen, doch für Damian war das von Anfang an klar gewesen - und das nicht nur will man es ihm gesagt hatte. Sondern vor allem weil sich die persönlichen Initialen darauf befanden. Der Absender war nicht angegeben.

Wenn er sich richtig an die Karte des Königreich Aranica erinnerte, dann müsste hier in der Nähe ein Dorf sein. Kein großes, sondern eines das zu den unbedeutenden zählte. Für seine Zwecke jedoch mochte es wahrscheinlich genau das richtige sein.
 

Als Damian das Dorf erreichte, war die Dunkelheit längst herein gebrochen. Wieder alle seine Erwartungen war das ganze Dorf noch auf den Beinen. Anscheinend wurde ein großes Fest gefeiert. Damian verzog das Gesicht. Er gehörte nicht gerade zu den Menschen, die gerne feierten. Im Gegenteil. Obwohl er sich natürlich ganz gerne mal einen Schluck Bier oder manchmal auch Wein genehmigte. Doch dabei hatte er ganz gerne seine Ruhe. Er hasste diese neunmalklugen, gehirnamputierten Vollpfosten, die ihn immerzu nur ausfragen wollten.
 

„Ihr seid wohl nicht von hier, was?“, begrüßte ein junger Mann ihn in genau diesem Augenblick. Damian schnaubte. Na toll. Großartig. So hatte er sich das wirklich nicht vorgestellt. Wieso konnten die Menschen um ihn herum ihn nicht einfach in Ruhe lassen? Konnte das denn tatsächlich zu viel verlangt sein? Aber diese eine Tatsache schien wohl in jedem Reich oder Land gleich zu sein. Egal was man selbst wollte, die Leute würde immer versuchen etwas über einen heraus zu finden. Und sie würden reden. Das konnte er absolut gar nicht gebrauchen. Denn Damian gehörte nicht zu den unbekannten Leuten. Hier in Aranica kannte man ihn nicht oder kaum - doch in Otharas. Jenes Königreich in dem er lebte und das direkt an Aranica grenzte, war auf seinen Kopf eine hohe Belohnung ausgesetzt. Der einzige Grund weshalb er nicht schon hing, war dass er Beziehungen hatte. Beziehungen die nicht nur in die Unterwelt sondern auch in die höchsten Kreise des Adels reichten. Denn es war nun einmal eine Tatsache, dass der Adel sich nicht gern selbst die Finger schmutzig machte. Also übernahm er diese Aufgabe. Es gab Zeiten, in denen ihm das nicht besonders gefiel. Überwiegend jedoch war er stolz darauf wie er lebte. Und das schloss seinen Beruf mit ein. Denn er war nicht nur ein gewöhnlicher Dieb oder Mörder. Nein. Er war etwas viel gefährlicheres...
 

Logan begutachte den Fremden, der ihm mit seinem Pferd am Zügel, gegenüberstand mit einer Mischung aus Interesse und Misstrauen. Wobei letzteres deutlich mehr ausgeprägt war. Schließlich kam es so gut wie nie vor, dass sich mal Leute aus der Stadt hierher verirrten. Die Ausnahme war sein Bruder, Toban, aber der war hier aufgewachsen. Ansonsten jedoch war ihr Dorf eher unbekannt. Quasi wie ein weißer Fleck auf der Landkarte. Hier gab es keine Intrigen, Verschwörungen, Gelage oder was sonst so in den großen Städten passierte. Auch mit dem König Zacharias, der in der Hauptstadt residierte, hatte ihr Dorf herzlich wenig zu tun. Sie mochten seine Untertanen sein aber mehr auch nicht. Und das war gut so. Denn sich mit wichtigen Leuten abzugeben konnte einem nichts als Ärger einbringen. Dieser Meinung war jedenfalls Logan - und er wusste, dass er nicht als Einziger so dachte. Genau aus diesem Grund wollte Logan eigentlich auch nichts mit diesem Fremden zu tun haben. Allerdings konnte er sich trotzdem nicht dazu überwinden, ihn einfach so ziehen zu lassen. Denn eines war sicher: Mit der Ankunft dieses Fremden würde es Ärger geben. Nicht nur weil die meisten, was Logan miteinschloss, keine Fremden mochten. Sondern vor allem weil der Fremde, der ihm hier gegenüber stand, alles andere als vertrauenserweckend aussah. Logan verschränkte die Arme vor der Brust. „Also wer seid Ihr denn nun?“, wollte er wissen.
 

Damian schnaubte abfällig. „Ich sehe keinen Grund das näher zu erläutern“, meinte er schlecht gelaunt.

„Oh da kann ich Euch gerne auf die Sprünge helfen“, bot der junge Mann, der Damian gegenüberstand, an.

„Danke, ich verzichte. Ich will ohnehin nur eine Nacht hier bleiben und plane nicht hier zu wohnen“

„Eine Nacht? Egal was Euer Ziel ist: Euer Pferd bräuchte mindestens eine Woche Ruhe“, stellte der junge Mann nüchtern fest.

Damian fluchte leise. Dann aber riss er sich zusammen. „Was seid Ihr von Beruf? Tierarzt?“, erkundigte er sich barsch. Sein Gegenüber schüttelte den Kopf. „Ich bin der Sohn des Dorfschmied“, erklärte er knapp.
 

Damian nickte. Es überraschte ihn nicht. Tierärzte gab es in Dörfern nur selten. Wenn es in Dörfern Ärzte gab, dann ausschließlich für Menschen. Schmiede dagegen waren in jedem zu finden. Und falls nicht gab es noch immer Schmiedemeister die von Ort zu Ort zogen und ihre Dienste anboten. Da die Leute in der Schmiede fast täglich Pferde beschlugen, wussten sie natürlich auch wie sie mit ihnen umgehen mussten. Die einen taten es besser, die anderen schlechter. Damian verdrehte innerlich die Augen. Ob es ihm passte oder nicht, er würde wohl Hilfe brauchen. Dabei konnte er es absolut nicht ausstehen auf andere angewiesen zu sein. Damian räusperte sich. „Nur um Euch zu warnen. Ich wurde ausgeraubt und benutze keinen einzigen Silberling, denn ich Euch als Lohn zahlen könnte“, stellte er klar. „Das können wir sicher irgendwie anders regeln“, meinte Damians Gegenüber. Dann lächelte er aufmunternd. „Mein Name ist übrigens Logan“, stellte er sich vor. Damian nickte. „Damian“, entgegnete er. Logan nickte. „Da heute, wie Ihr sicher bemerkt habt, gefeiert wird kann ich mir Euer Pferd erst morgen ansehen. Das Gasthaus findet ihr nicht weit von hier. Dort gibt es auch ein Stall wo ihr Euer Pferd bis morgen unterbringen könnt“, schlug Logan vor. Damian nickte. „Dann bis morgen“, meinte er knapp und ließ Logan damit stehen. Noch länger mit diesem freundlichen Kerl zu reden, würden seine Nerven garantiert nicht aushalten - da war er sich ganz sicher.
 

„Und was machen wir jetzt mit dem angefangen Abend?“, erkundigte sich Latoya bei Toban. Der jedoch zuckte nur mit den Schultern.

„Solltest nicht du darüber entscheiden? Schließlich ist es dies ein Abend, den wir für dich veranstalten“, sagte er.

Latoya nickte zögernd. „Wie wäre es wenn wir erst einmal etwas trinken gehen, uns aufwärmen und dabei nachdenken? Mir wird hier draußen nämlich so langsam kalt“, um es zu verdeutlichen rieb Latoya sich die Arme.

Obwohl er es versuchte, konnte Toban sich ein kleines Lachen nicht verkneifen, welches er aber gleich durch ein Räuspern verbarg. Dann nahm er seinen Umhang von den Schultern und hielt ihn Latoya hin.

„Es ist zwar nicht weit, doch wenn du willst kannst du ihn ruhig haben. Ich will schließlich nicht, dass du erfrierst“

„Danke“, Latoya grinste und nahm den Umhang entgegen.
 

Es dauerte nicht lang bis sie das Wirtshaus erreichten, welches sich nur unweit des großen Platzes befand. Und obwohl die meisten auf dem Dorfplatz feierten war auch im Wirtshaus deutlich mehr los als sonst. Dennoch gefiel es Latoya mehr hier zu sein als draußen. Hier wurden zwar auch laute Gespräche geführt und zusätzlich roch es nach den verschiedensten Mahlzeiten, doch das störte sie nicht besonders. Im Gegenteil. Es sorgte, seltsamerweise wie Latoya fand, sogar dafür, dass sie sich entspannte doch vielleicht lag das auch einfach nur an der angenehmen Wärme hier drinnen. Denn da die Dunkelheit inzwischen hereinbrach wurde es auch spürbar kälter. Vor allen Dingen wenn man so ein dünnes Kleid trug wie sie, überlegte Latoya während Toban sie beide an den vollbesetzten Tischen vorbei schleuste.
 

Als Damian hörte wie die Tür des Wirtshauses, in dem er sich jetzt befand, geöffnet wurde hob er den Kopf und sah zum Eingang. Herein traten ein Mädchen, welches vielleicht sechzehn oder siebzehn Jahre alt sein mochte, gefolgt von einem jungen Mann der einige Jahre älter schien. Anfang oder Mitte zwanzig möglicherweise. Außerdem trug er eine Uniform. Die Uniform, eines Wachtposten aus der Hauptstadt. Damian runzelte die Stirn. Konnte es wirklich sein, dass man in der Hauptstadt in den Brief erwartete. Das war eigentlich unmöglich. Es sei den Aranica hatte wirklich gute Spione von denen sein Auftragsgeber nichts wusste. Dies jedoch war eigentlich ausgeschlossen. So wie der junge Mann mit dem Mädchen umging, lag die Wahrscheinlichkeit näher dass sie sich kannten und zwar sehr gut. Allerdings eher als Geschwister oder beste Freunde. Wobei beste Freunde vielleicht auf sie zutraf, doch wenn Damian sich den jungen Mann näher ansah kam er immer mehr zu der Meinung, dass dies bei ihm nicht so zu sein schien. Und noch etwas fiel Damian auf: Er sah Logan sehr ähnlich.
 

Damians Blick glitt nun hinüber zu dem Mädchen, welches sich gerade an einen freien Tisch setzte. Sie war hübsch. Das weiße Leinenkleid reichte bis zu ihren Fußknöcheln. Die Ärmel des Kleides reichten bis zu den Handgelenken wo sie weit auseinander fielen. Um die Hüfte hatte das Mädchen einen geflochtenen Gürtel mit einer Kupferschnalle, jedenfalls nahm Damian an dass es Kupfer war, befestigt. Ihre dunkelbraunen Haare, die im Licht leicht rötlich schimmerten, waren kunstvoll hochgesteckt - dennoch hingen ihr ein paar Strähnen ins Gesicht. Stören schien sie das jedoch anscheinend nicht besonders.
 

Das Mädchen besaß eine zierliche Statur, doch Damian war in seinem Leben genug Frauen begegnet, um zu wissen, dass man von der Statur einer Frau nicht auf ihren Charakter schließen durfte. Man tat gut daran, so zu denken. Was natürlich auch für Männer galt. Damian nahm einen Schluck von seinem Met und verzog das Gesicht. Lauwarm. Er stelle den Becher beiseite und sah wieder zu ihr hinüber.
 

Damian wusste nicht was es war, doch dieses Mädchen nahm ihn auf irgendeine Art gefangen die er selbst nicht erklären konnte. Das ärgerte ihn. Ihm war es lieber wenn er die Menschen um sich einschätzen konnte um sich auf das was geschehen konnte vorbereiten zu können. Doch irgendwas war da bei ihr, dass anders war. Anders als bei jedem anderen Menschen, den er bisher kennen gelernt hatte. Und dies wiederum ließ ihn einfach nicht los. Eine Art innere Stimme drängte ihn regelrecht dazu herauszufinden was so besonders an ihr war. „Verdammt“, fluchte Damian. Er sah noch einmal zu dem Becher Met, welcher mit Sicherheit jetzt absolut nicht mehr schmecken tat. Nun fiel ihm auch wieder ein, dass er ja eigentlich kein Geld zum bezahlen hatte. Das hatte er beim bestellen ganz vergessen. Damian stand auf und zuckte mit den Schultern. Wahrscheinlich war es sowieso egal. Schließlich würde es bei dieser Menge von Gästen wohl kaum auffallen. Vielleicht später, er jedoch würde dann längst nicht mehr da sein. Und im Moment gab es deutlich wichtigere Dinge um die er sich zu sorgen hatte als um ein unbezahltes Met. Schließlich wartete noch sein, lahmendes, Pferd auf ihn. Und dann war da noch dieses Mädchen. Damian seufzte. Er musste herausfinden wer oder was sie war. Konnte es sein, dass sie so wie er war? Damian schüttelte den Kopf. Nein, das war ausgeschlossen. Vollkommen unmöglich. Er würde es wissen wenn er jemanden seiner Art vor sich sehen würde. Dennoch war es eine Tatsache, dass es ihn magisch zu ihr hin zog. Das gefiel ihm nicht. Ganz und gar nicht.
 

„Wir werden beobachtet“, sagte Toban plötzlich und riss damit Latoya aus ihren Gedanken.

„Beobachtet?“, sie sah ihn an, als ob sie an seinem Verstand zweifeln würde.

Toban nickte. „Dort drüben am Tisch in der Ecke sitzt ein Fremder. Er sieht schon die ganze Zeit zu uns hinüber“

„Bist du sicher? Ich sehe keinen“, Latoya runzelte die Stirn.
 

Toban war verwirrt. Latoya hatte Recht. Dort wo der Fremde gerade noch saß, war jetzt niemand zu sehen. Allein ein Krug machte deutlich, dass dort jemand gesessen und er sich nicht alles eingebildet hatte. „Latoya“, begann Toban „ich glaube es ist besser wenn wir zu dir nach Hause gehen. Irgendwas stimmt hier nicht...“, Toban wollte noch mehr sagen, doch er wurde unterbrochen. „Das sehe ich genauso“, war plötzlich jemand zu hören. Und es war nicht Latoya die sprach. Ohne es kontrollieren zu können, sprang Toban auf. Seine Hand glitt instinktiv an den Griff seines Schwertes. Der Mann der ihm nun gegenüber stand, oder besser der Fremde der sie bis vorhin noch beobachtete, wich ein paar Schritte zurück. Allerdings, wie Toban annahm, nicht aus Angst sondern eher aus Überraschung über Tobans schnelle Reaktion. Das Schwert noch immer nicht gezogen, doch bereit es jeden Moment zu tun, musterte Toban den Fremden. „Wer seid Ihr und was wollt Ihr von uns?“, erkundigte er sich. Der Fremde lachte. Toban konnte es nicht fassen.

Eine neue Bekanntschaft

Damian lachte. Er konnte einfach nicht anders. Der junge Mann war so plötzlich aufgesprungen, Damian war wirklich überrascht gewesen und sogar deswegen zurück gewichen. Obwohl dieser junge Mann natürlich zu keiner Zeit eine wirkliche Gefahr für ihn darstellte. Natürlich nicht. Was selbstverständlich nicht hieß, dass er allmächtig oder unsterblich war. Das waren nur die Götter. Wenn es sie denn gab. Denn da zweifelte er schon länger daran. Aus den verschiedensten Gründen. Damian verzog innerlich für einen Moment das Gesicht. Würde sein Lehrmeister, der einzige der mächtiger war als er, wissen dass er so dachte hätte vermutlich ziemlichen Ärger am Hals. Und sein Lehrmeister war einer der wenigen mit denen selbst Damian sich nicht anlegen wollte. Zumindest wenn es nicht auch anders ging. Aber darum ging es hier schließlich jetzt auch gar nicht. Jetzt ging es darum wer die beiden, vor allem das Mädchen, waren. Damian verschränkte entschlossen die Arme vor der Brust. Er wollte herausfinden wer die beiden waren - und das würde er auch. Egal ob die beiden es ihm freiwillig erzählten oder nicht. Er hatte da seine Methoden. Diese waren gut erprobt und sehr wirksam. Damians Blick glitt zu dem Mädchen, welches nun auch aufgestanden war. Er bemerkte, dass sie, vielleicht sogar ohne es zu merken, seinen Blick erwiderte. Allerdings hatte sich der Ausdruck in ihren Augen im Vergleich zu vorhin, als er sie noch beobachtet hatte, verändert. Nun war er unsicher und es schlich sich sogar so etwas wie Verwirrung und vielleicht sogar Schrecken hinein. Ihr selbst fiel das anscheinend nicht auf. Wohl aber ihrem Begleiter. Sehr zu Damians Missfallen.

„Du bist immer noch sehr blass. Ich glaube es ist wirklich besser wenn wir gehen“, wandte der junge Mann sich an das Mädchen. Sie aber schüttelte den Kopf.

„Nein. Es ist in Ordnung Toban“, sie machte eine wegwerfende Handbewegung und machte dann zögernd einen Schritt auf Damian zu. „Wer seid Ihr?“

„Mein Name ist Damian“, stellte Damian sich höflich vor und verneigte sich sogar leicht. Eigentlich hielt er nicht viel von höflichem Geplänkel, doch in diesem Fall machte er eine Ausnahme. Denn wenn er jetzt sofort seine, für ihn, normalen Methoden anwendete würde ihn das wohl nicht besonders weit bringen. Zumal das hier im Gasthaus auch sehr leichtsinnig und geradezu fahrlässig wäre. Damian liebte zwar das Spiel mit dem Feuer, ein Leben, welches mit Risiko verbunden war, war schließlich nichts neues für ihn, doch manchmal war es eben einfacher den normalen Weg zu beschreiten. Allerdings konnte es natürlich trotzdem noch sehr interessant werden, überlegte Damian.
 

Latoya sah den Fremden, der sich als Damian vorgestellt hatte, an. Es war nicht so, dass sie Angst hatte doch er verunsicherte sie. Vorhin als sie Ranef und dann Toban etwas länger ansah waren sofort Visionen gekommen. Hier geschah nichts. Absolut nichts. Eigentlich hätte sie sich darüber freuen müssen oder können. Doch dem war nicht so. Vielmehr verwirrte es sie zusehends. Eigentlich war sie auch der gleichen Meinung wie Toban: Es wäre vermutlich besser diesen Fremden einfach hier stehen zu lassen, sich nicht weiter um ihn zu kümmern. Doch irgendwas hielt sie davon ab. Ein Gefühl, oder vielleicht auch ein Instinkt, welchen sie noch nicht einmal sich selbst erklären konnte. Es war einfach nur seltsam. Doch wenn sie wirklich herausfinden wollte wer denn nun war und woher er kam, blieb ihnen nichts anderes übrig als mit ihm zu reden. Sie lächelte ihn an und hoffte dabei so wenig gezwungen wie möglich zu wirken. „Mein Name ist Latoya. Ich freue mich euch kennenzulernen. Wollt Ihr Euch zu uns setzen?“, bot sie mit einer einladenden Handbewegung an. Dem missfälligen Blick von Toban schenkte sie erst einmal keine Beachtung.
 

Natürlich war ihr klar, dass das nicht gerade freundlich war doch sie konnte einfach nicht anders. Sie wusste selbst nicht genau woran es lag, doch Damian faszinierte sie. Es war ihr unmöglich zu sagen woran es lag oder gar zu erklären. Doch Tatsache blieb, dass dies der Fall war. Latoya musterte ihn. Gekleidet hatte Damian sich von Kopf bis Fuß in dunkelgrau und schwarz. Dennoch erkannte man gut wie kampferprobt er war. Latoya war kein Profi was dies anging, doch allein sein Verhalten Toban gegenüber reichte ihr aus um ihr dies zu zeigen. Gewiss Damian war überrascht gewesen doch, doch das war auch schon alles. Und genauso schnell wie Toban ihn überrascht hatte, war diese Überraschung auch wieder fort gewesen. Jetzt im Moment wirkte Damian eher belustigt. Latoyas Blick wanderte zu Damians Gesicht, welches kaum zu erkennen war da er sogar hier drinnen die Kapuze des Umhangs ins Gesicht gezogen hatte. Ungewöhnlich aber nicht wirklich seltsam. Sogar einige hier aus dem Dorf taten das wenn sie ihre Ruhe haben wollten. Aber mal ganz davon abgesehen: Wenn man seine Ruhe wollte, ging man eigentlich nicht in ein Wirtshaus in dem sich viele Leute befanden. Doch darum ging es schließlich nicht. Latoya räusperte sich. „Und Ihr reist in die Hauptstadt, nehme ich an?“, erkundigte sie sich freundlich.
 

Damian runzelte die Stirn. Er wohl gut daran vorsichtig zu sein, denn Latoya, wie sie sich vorgestellt hatte, schien jemand zu sein dem nicht viel verborgen blieb. Entweder war sie aufmerksamer als viele andere oder sie hatte eine besondere Gabe. Vielleicht auch beides. Jedenfalls musste er gut aufpassen mit allem was er sagte. Denn dass man in kleinen Dörfern so Menschen wie sie antraf, durfte ihn nicht zu vertrauensselig machen. Nur gut, dass er niemand war der dazu neigte. Dennoch konnte es auch genauso gut nach hinten losgehen wenn er nur wenig erzählte. Schließlich hatte er die beiden angesprochen. Es hieß also die goldene Mitte zu finden. Doch das sollte ihm eigentlich nicht besonders schwer fallen. Und was den Begleiter von ihr anging: Der würde sich vermutlich solange ruhig verhalten wenn er mit Latoya redete. Und selbst wenn nicht. Damian durfte sich auf keinen Fall reizen lassen. Das war etwas was ihm nicht leicht fallen würde. Denn Geduld war einer der Tugenden die er so absolut gar nicht besaß. Damian zwang sich zu einem Lächeln, was jedoch wahrscheinlich mehr aussah als ob er das Gesicht verziehen würde.
 

Dann nickte er. „Ja, die Hauptstadt ist tatsächlich mein Ziel“, bestätigte er schließlich und fügte hinzu: „Woher habt Ihr das gewusst?“

Das wollte er tatsächlich gerne wissen. Wenn er ganz ehrlich war, wollte er sogar so viel wie möglich über sie wissen. Denn wenn er von einem vollends überzeugt war dann davon, dass sie anders als die anderen Menschen hier im Dorf sein musste. Es gab einfach keine andere Möglichkeit. Und das machte sie gefährlich. Gefährlich ihm gegenüber, zumindest so lange er nicht wusste was oder wer sie genau war, was sie noch nicht einmal zu wissen schien. Ob das nun für ihn von Vorteil war würde sich wohl erst noch heraus stellen müssen. Für den Moment jedenfalls galt es erstmal ein unverfängliches Gespräch zu führen - und wenn er dadurch etwas über sie und ihren Begleiter erfahren würde war das natürlich umso besser.
 

Latoya musterte Damian erneut. Es fiel ihr schwer zu sagen was er gerade dachte. Aber wollte sie das denn wirklich wissen? Ja, sie wollte. Denn er gab ihr Rätsel auf. Rätsel auf die sie eine Antwort haben wollte. Egal zu welcher Art von Antworten sie gehören mochte. Ohne es steuern zu können sah sie nun wieder Toban an. Als dieser ihren Blick bemerkte zuckte er jedoch nur kurz mit den Schultern. Scheinbar wusste er auch nicht weiter. Also antwortete sie, so selbstbewusst und gut sie konnte, auf Damians Frage: „Ich habe meine Mutter ab und an begleitet, wenn sie in die Hauptstadt gefahren ist. Ihr seht nicht wie einer der Menschen aus, die man dort antrifft. Also habe ich daraus geschlussfolgert, dass Ihr wohl aus einem anderen Reich oder vielleicht sogar vom Kontinent kommt“. Dass sie erst zweimal in der Hauptstadt war ließ Latoya unerwähnt. Das spielte schließlich im Moment absolut keine Rolle. Latoya räusperte sich. Doch gerade als sie noch etwas sagen wollte, fiel Toban ihr ins Wort. „Ich will nicht unhöflich sein“, merkte er an „aber weshalb seid Ihr eigentlich hier? So weit von unserem Dorf ist die Hauptstadt nicht mehr entfernt. Wenn Ihr die Nacht durchgeritten hättet, wäret Ihr vielleicht schon gegen früher Mittag da gewesen“.
 

Damian wandte seine Aufmerksamkeit nun wieder Latoyas Begleiter zu. Scheinbar war er gut beraten, wenn er auch diesen nicht aus den Augen ließ.

„Und Ihr seid?“, erkundigte Damian sich trotzdem so freundlich wie möglich.

„Mein Name, der Euch im Übrigen eigentlich nichts angeht, lautet Toban. Ich gehöre dem oberen Wachdienst der Hauptstadt an“, stellte ihr Begleiter sich vor.

Damian zog eine Augenbraue in die Höhe und pfiff leise durch die Zähne. „Des oberen Wachdienst der Hauptstadt von Aranica? Wie beeindruckend“, entgegnete er.

„Ich rate Euch, Euch nicht lustig über mich zu machen. Das könnte für Euch ins Auge gehen“

Damian lachte und verneigte sich bemerkbar spöttisch. „Dann lasst mich Euch ebenfalls einen Rat geben: Unterschätzt mich lieber auch nicht“.
 

„So jetzt ist aber wirklich Schluss. Ich habe keine Lust auf Hahnenkämpfe. Außerdem ist das hier schließlich mein Abend“, mischte sich Latoya ein.
 

Doch es war bereits zu spät. Toban hatte, die Hand zur Faust geballt, ausgeholt und einen präzisen und sehr schmerzhaften Schlag sauber auf Damians Nase platziert. Kurz darauf war ein kurz leises Knacken zu hören.
 

„Bei allen Teufeln und Dämonen! Du hast mir die Nase gebrochen!“, Damian fluchte wütend. Dieser ganze Tag wurde ja wirklich immer besser.

„Und du mir den Abend mit Latoya versaut!“, kam es fast im selben Moment von Toban ohne das geringste Zögern zurück.
 

Eine Weile starrten sich die beiden jungen Männer einfach nur zornig an dann, praktisch wie aus dem Nichts, verpasste Damian Toban einen Kinnhaken. Dies mit solch einem kraftvollen Schwung, dass Toben zurückstolperte, kurz darauf in die Knie ging und hustete.

„Verdammte Scheiße. Das kam echt unerwartet Mann“, keuchte Toban, nachdem sein Husten sich gelegt hatte.

„Das war nur die Revanche für vorhin“, knurrte Damian.
 

Latoya funkelte die beiden wütend an. „Also gut. Nachdem das dann geklärt wäre, wäre einer von euch bitte so freundlich mir das zu erklären?“, erkundigte sie sich gereizt. Und fügte hinzu: „Auf so einen Bockmist von euch habe ich nämlich wirklich keine Lust. Nun ich höre?“ Mittlerweile hatte sie ihre beste Gewittermiene aufgesetzt. Die einzige Antwort die sie jedoch bekam war, zumindest vorerst, ein abfälliges Schnauben. Dann sagten beide synchron: „Ich kann ihn nicht leiden!“

„Sagt mal ihr beide tickt wohl nicht mehr ganz richtig, wie?“, beschwerte sich Latoya. Damit drehte sie sich um und verließ ohne ein weiteres Wort zu sagen das Gasthaus.
 

„Scheiße!“, nun fluchte auch Toban. Er warf ein paar Münzen auf den Tisch, dann lief er ihr nach. Was hatte ihn nur dazu gebracht so etwas zu tun? Aber da war dieses Gefühl gewesen. Dieses eine Gefühl welches ihn immer beschlich wenn Ärger im Anmarsch war. Doch dieses Mal hatte es ihm nicht geholfen sich zurück zu halten. Im Gegenteil. Es hatte ihn rasend gemacht. Nein das stimmte nicht. Dieser Damian war der Grund gewesen, weshalb er sich so aufregte und der ihn so sehr zur Weißglut trieb. Toban seufzte und beschleunigte seine Schritte. Er musste zu Latoya. Er musste sie einholen. Unbedingt. Schließlich hatte er noch etwas was er ihr geben wollte. Was sie vielleicht sogar besänftigen würde. Er hoffte es jedenfalls. Toban erinnerte sich daran was Latoya gesagt hatte. Sie wollte ihn am Morgen in die Stadt begleiten. Eigentlich stellte das für ihn kein besonders großes Problem dar. Blieb nur noch abzuwarten was Rina davon hielt. Obwohl Latoya wahrscheinlich genau an dieser Stelle sagen würde, dass ihn das gar nichts anging weil es eine Sache zwischen Rina und ihr war. Oder aber, überlegte Toban, sie würde ihm vorhalten, dass sie jetzt nach ihrer Volljährigkeitsfeier auch alleine in die Stadt reisen konnte. Warum machte ihm das ganze eigentlich so viel aus? Toban seufzte. Er hatte absolut keine Ahnung.
 

Schließlich konnte er sie gut leiden. Dennoch war es eine Tatsache. Seine Gedanken drehten sich darum was wohl passieren würde wenn Latoya mit ihm in die Stadt reiste. Würde das Ärger geben? Und wie wollte sie sich überhaupt über Wasser halten können? Schließlich wäre es absolut keine Lösung wenn sie auf der Straße leben würde. Ewig in Gasthäusern würde sie auch nicht leben können und das nicht nur wegen dem Geld. Aber vielleicht war es am besten erst einmal mit Latoya zu reden. Ruhig. Oder so ruhig wie möglich jedenfalls. Obwohl es natürlich auch keinesfalls so war, dass er sie nicht bei sich in der Nähe haben wollte. Im Gegenteil. Er wollte schon nur konnte er sie sich in der großen Hauptstadt, in der selbst er sich noch nicht so gut auskannte, rein gar nicht vorstellen. Toban seufzte und beschleunigte seine Schritte.
 

Latoya, die inzwischen beschlossen hatte doch nicht direkt zu Rina nach Hause zu gehen, ließ sich undamenhaft auf dem kleinen Hang nieder, der sich in der Nähe des Dorfausgang befand. Oder Eingang. Je nachdem von wo man kam. Das hier war ein Ort, welcher vor Erinnerungen nur so sprühte. Wenn sie wütend oder traurig war zog es sie immer hierhin. Das war schon immer so gewesen. Es war ein Ort, der ihr klar machte, dass dieses Dorf vielleicht bis jetzt ein großer Teil ihres Lebens war sie das aber ändern konnte. Denn da draußen - da war die Welt. Nicht hier. Doch Latoya wollte die Welt sehen. Denn hier wo sie aufgewachsen war, kannte sie alles und jeden. Und das wurde ihr definitiv so langsam langweilig. Sie wollte etwas erleben. Das jedoch war hier so gut wie unmöglich. Es sei denn es kam, so wie heute Abend überraschender Weise zum Beispiel, ein Fremder. Ohne es zu wollen knirschte Latoya mit den Zähnen. Toban und Damian waren die letzten an die sie jetzt denken mochte.

Der König von Aranica

Die Bibliothek des Palastes war einer seiner liebsten Rückzugsorte um zwischen den vielen ihm auferlegten einmal kurz Luft schnappen zu können. Es gab mindestens zwei Geheimgänge aus seinen Privatgemächern hierher, einige andere aus dem Thronsaal und dann natürlich noch den offiziellen Eingang. Der junge Mann lächelte und setzte sich in einen großen Ohrensessel an einen Kamin, in dem ein Feuer brannte und angenehm den Raum wärmte. Es hatte auf jeden Fall Vorteile der König von Aranica zu sein. Denn genau das war er. Zacharias, rechtmäßiger König von Aranica. Sanft ließ er seine Hände über die unzähligen Buchrücken gleiten bis er schließlich fand was er suchte. Vorsichtig zog Zacharias den großen Foliant aus dem Regal, schlug ihn auf und blies den Staub vieler Jahrzehnte von den Seiten herunter.
 

Als er das gesuchte Kapitel aufschlug entdeckte er, dass an manchen Stellen die Buchstaben kaum lesbar waren. Darüber hinaus war dieses Buch, was es zusätzlich verkomplizierte, in einer Sprache verfasst die er selbst nicht beherrschte. Sein Bruder hatte ihn jedoch darum gebeten ihm dieses Buch zu bringen. Zacharias konnte damit absolut nichts anfangen. Um genau zu sein wusste er bis heute früh noch nicht einmal, dass sich ein solches Buch in seinem Besitz befand. Normalerweise schaffte sein Bruder, der immerhin sein oberster Berater in allen Fragen des Reiches war, natürlich auch seine eigenen Informationsquellen zu beziehen doch diesmal war das anders. Warum danach hatte sich Zacharias bisher auch noch nicht erkundigt. Geschweige denn danach wonach sein Bruder dieses Mal forschte. Manchmal, das hatte Zacharias nach seiner Thronbesteigung als erstes auf unschöne Weise gelernt, war es eben besser nicht so genau zu wissen was um einen herum passierte. Was natürlich nicht hieß, dass Zacharias sein Volk und Reich egal war. Geschweige denn, dass er mit sich machen ließ was andere wollten. Im Gegenteil. Schon sehr oft hatte er sich mit dem Kronrat und auch den anderen Beratern angelegt. Da sein Bruder jedoch zu seinen engsten Vertrauten zählte, was nicht selbstverständlich war, und ihm bisher stets loyal und treu diente war Zacharias bereit gewesen ihm zu helfen. Auf die ein oder andere Art half er immer jenen die Hilfe brauchten und vor allen Dingen denen, die ihm treu zur Seite standen. Auch wenn seine Hilfe nicht immer gleich wahrgenommen wurde. Ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, dann ließ er seinen Blick durch die von ihm so geliebte Bibliothek schweifen.
 

Die Bibliothek war sehr groß. Ungefähr zweimal so groß wie der Thronsaal was an und für sich schon ein Kunststück war. Die Größe der Bibliothek kannte Zacharias allerdings nur aus dem Grund, weil er mal vor längerer Zeit die Baupläne des Palastes studiert hatte. Ansonsten wäre ihm das gar nicht aufgefallen, so viele Bücher gab es hier. Auch standen sie nicht nur in den Regalen, nein. Sie türmten sich, im wahrsten Sinne des Wortes, vom Boden bis zur Decke. Ein einheitliches Ordnungssystem gab es nicht. Oder um es genau zu nehmen es gab mehrere verschiedene. Je nachdem in welchem Bereich man sich befand. So waren zum Beispiel Fachbücher und Lexika anders geordnet als Bildbände. Diese wiederum anders als Landkarten und so weiter und so fort. Von wem aus dies ging war allerdings noch nicht einmal Zacharias klar. Vermutlich wusste es auch sonst keiner mehr. Außerdem war die Bibliothek in vier Etagen aufgeteilt, die man über große, aus dunklem Holz geschnitzte, Treppen erreichte. Am Geländer der Treppen waren einige Verzierungen angebracht. Trotzdem wirkte es auf keine Weise protzig. Ebenso wie die großen Regale nicht klobig wirkten. Hier in der Bibliothek zu sein war etwas Besonderes. Egal wie oft man schon hier war. Vielleicht lag es daran, dass stets nur dämmriges Licht hier drin herrschte, da zumeist, warum auch immer, die schweren, langen roten Vorhänge fast ganz zugezogen waren. Nur an und auf den Tischen standen Kerzen um lesen zu können. Oder aber man tat es wie Zacharias und setzte sich in einen Sessel an den Kamin. Die Kamine, es gab zwei auf jedem Stockwerk, waren ein fast ebenso wichtiger Bestandteil der Bibliothek wie die Bücher hier. Denn oft kamen Forscher hierher und blieben hier mehrere Tage oder manchmal sogar Wochen hinter den Büchern versteckt. Da waren die Kamine die zu jeder Tages und Nachtzeit befeuert wurden eine wirkliche Erleichterung, die man zu schätzen lernte. Vor allem im Winter wenn es draußen eiskalt war. Dann zählte dieser Ort hier zu den bestbeheizten Räumen im ganzen Palast. Zumindest wenn man mal von seinen persönlichen Gemächern absah. Sogar der Thronsaal hier im Palast wurde nicht regelmäßig beheizt, obgleich es durchaus einen Kamin gab. Allerdings machte das nicht viel aus, denn wenn man diesen anfeuerte war es meistens entweder heiß oder stickig. Woran das lag war einfach. Das Belüftungssystem im Thronsaal funktionierte nicht wirklich gut, doch wenigstens hier klappte das einwandfrei. Dabei war die Bibliothek um einige Jahrhunderte älter.
 

Zacharias lächelte glücklich. Er konnte einfach nicht anders. Denn wann immer er hier war fühlte er sich ganz normal und nicht wie jemand, dem schon in der Kindheit beigebracht worden war über Menschen zu herrschen. Was er jetzt ja auch schon seit acht Jahren, seit er sechzehn war, tat. Damals war er allerdings noch Mitregent seines Vaters gewesen. Dann zwei Jahre später, kurz nach seinem achtzehnten Geburtstag, starb sein Vater und nun lag es an ihm die Geschicke von Aranica zu lenken. Anscheinend machte er es gut, denn bisher hatte sich noch niemand beschwert. Trotzdem hätte sich Zacharias über ein paar zusätzlich Jahre in Freiheit gefreut. Nach dem Tod seines Vaters war alles sehr schnell gegangen. Eine Woche nach der Beerdigung hatte auch schon die Krönung von Zacharias stattgefunden. Beinahe etwas zu schnell, wie er fand. Doch beschwert hatte er sich nicht. Was er allerdings den Beratern die man ihm zur Seite stellte schnell klar gemacht hatte war, dass er nicht gleich alles abnicken tat. Er war nicht jemand der zu allem ja sagte, denn er wusste um die Verantwortung die nun auf seinen Schultern lag. Ein Volk, und dann noch so ein großes wie Aranica, zu regieren war nichts was leicht war - doch das erwartete er auch gar nicht. Was er jedoch erwartete oder worauf er geradezu bestand war Loyalität. Loyalität dem gegenüber wer er war. Nämlich der König von Aranica. Obwohl er es natürlich auch gerne sah wenn seine Berater oder auch die Menschen um ihn herum ihre eigene Meinung zu den Dingen äußerten die er tat. Wie sollte er sonst wissen ob er in den Augen der Anderen richtig handelte oder nicht? Doch obwohl er immer viel Wert darauf legte die Wünsche der anderen zu berücksichtigen, so konnte er trotzdem auch selbst sehr stur sein. Vor allen Dingen wenn es um Sachen ging, für die er sich persönlich einsetzte. Wenn dann mal was nicht klappte wie er wollte konnte er schnell die Geduld verlier obwohl er eigentlich jemand ruhiges war. Zumeist zog er es vor Streit und anderen ähnlichen Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen. Jedenfalls so lange das möglich war. Denn wenn es wirklich nötig war sich mit jemandem auseinanderzusetzen dann tat er das auch. Das war schließlich seine Aufgabe. Oder um es ganz genau zu nehmen: Dies empfand er als seine Pflicht und Aufgabe. Besonders leicht war dies nicht. Denn es kam auch oft vor, dass die Wünsche der Menschen sich widersprachen und dann musste er eine Lösung finden. Um diese Pflicht gut zu erfüllen hatte Zacharias einen zusätzlichen Gerichtstag ins Leben gerufen und seine Berater dazu verdonnert zu erscheinen. Es sei denn sie hatten einen Grund nicht zu kommen, der ihm rechtzeitig mitgeteilt werden musste. Es waren allerdings nicht seine Berater die entschieden, dass der Grund gut genug war um nicht zu erscheinen. Sondern er entschied darüber. Natürlich wusste Zacharias, dass seine Berater die Gerichtstage und die Anwesenheit dort als ein notwendiges Übel sahen. Zacharias jedoch empfand es ganz anders. Er liebte es sich unter das einfache Volk zu begeben und es machte ihm wirklich Spaß an diesen Tagen dort zu sein. Wenn es nach ihm gehen würde, würde es die Tage nicht nur zweimal im Monat, am ersten und letzten Tag, geben. Besonders gefiel es ihm weil er es schon immer gemocht hatte Menschen zu helfen und auch weil ihm die Probleme die jene hatten die zu ihm kamen meist klein waren. Zumindest wenn man sie mit denen verglich mit denen er sich herum schlagen musste. Doch daran wollte er nicht denken. Nicht jetzt und vor allen Dingen nicht hier. Dafür war ihm seine freie Zeit definitiv viel zu schade. Zacharias stand auf, ging zu einem kleinen Bücherregal um ein weiteres Buch, welches er nun lesen wollte, herauszusuchen. Gerade als er eines heraus zog wurde die Tür geöffnet und jemand trat ein.

Zacharias brauchte er einen Moment um sich zu erinnern wer der Junge war, der dort unten in der Eingangshalle der Bibliothek stand. Es war einer der Laufburschen seines Bruders. Zacharias seufzte und verabschiedete sich im Geiste schon einmal von seiner freien Zeit. Dann klemmte er sich beide Bücher unter den Arm und ging die Treppe hinunter.
 

„Kann ich dir helfen?“, erkundigte Zacharias sich freundlich bei dem Jungen, als er bei ihm angekommen war.

„Majestät!“, als der Junge entdeckte wer dort vor ihm stand ließ er sich sofort, alles andere als elegant was Zacharias ein Schmunzeln entlockte, auf die Knie fallen.

Zacharias versuchte vergeblich ein Grinsen zu unterdrücken, was der Junge zum Glück nicht mitbekam. Zacharias räusperte sich. „Du kommst von meinem Bruder, richtig? Hat er eine Nachricht für mich?“

„Ja, Herr“

„Und vermutlich lässt sich das auch nicht aufschieben?“

„Ja, Herr“

„Und natürlich ist er zu beschäftigt um selbst zu kommen?“

„Ja, Herr“

„Das war eine rhetorische Frage. Kannst du noch etwas anderes sagen außer ja Herr?“

„Ja, mein König“

„Ist gut. Gib die Nachricht schon her“, Zacharias seufzte.
 

Als Zacharias in die Räume seines Bruders wenig später eintrat fand er sie wie sonst auch vor. Auf dem Boden verstreut lagen Landkarten, verschiedene beschriebene und unbeschriebene Pergamentstapel und die Regale waren vollgestopft mit Büchern und Schriftrollen. Außerdem roch es wie immer nach Tinte und Wachs. Kein unangenehmer Geruch, dennoch einer den Zacharias persönlich nicht immer um sich haben wollen würde. Seinem Bruder schien das jedoch nicht besonders viel auszumachen. Oder aber er nahm den Geruch da er ständig davon umgeben war gar nicht mehr wahr. Was wohl ziemlich nahe im Bereich des Möglichen lag. Überhaupt schien dieser Geruch seinen Bruder immer und überall hin zu verfolgen und nicht nur das: Noch nie in seinem ganzen Leben hatte Zacharias seinen Bruder mal ohne Buch oder Schriftrollen unter dem Arm oder in der Tasche gesehen. Zumindest konnte er sich nicht daran erinnern. Manchmal ließ ihn das sogar darüber nachdenken, ob sein Bruder nicht aus diesem Grund ein besserer König für Aranica wäre. Als Zacharias das einmal, als sie allein waren natürlich, erwähnte hatte sein Bruder ihn ausgelacht. Erst war Zacharias deswegen etwas beleidigt gewesen, doch dann hatte er eingesehen, dass es närrisch war so etwas zu sagen. Oder vielleicht nicht närrisch, doch ihm stand es nicht zu so etwas zu sagen. Das hatte er inzwischen auch selbst beschlossen. Zumal es selbstverständlich auch nichts brachte sich darüber Gedanken zu machen was wäre wenn... Zacharias verzog kurz das Gesicht. Dann sah er zu seinem Bruder der sich, wie üblich an seinem Schreibtisch, irgendwelche Notizen machte. Zacharias schüttelte resigniert den Kopf. War sein Bruder mal mit etwas beschäftigt bekam er nichts mehr um sicher herum mit. Oder jedenfalls so gut wie nichts. Zacharias räusperte sich um sich bemerkbar zu machen. Eine Reaktion seitens seines Bruders blieb jedoch aus.

„Da du das Buch anders als erwartet nun doch nicht zu benötigen scheinst kann ich es ja wieder zurück bringen“, meinte Zacharias schließlich halb verärgert, halb amüsiert.

„Um der Götter Willen nein! Lege es doch bitte da drüben auf den Stapel, mein König“, kam es sofort zurück.

„Könntest du bitte etwas genauer sein, Solras? Hier liegen oder stehen, wie auch immer du es nennen magst, dutzende Stapel. Und ich werde der letzte sein, der daran geht!“
 

Solras, seines Zeichens oberster Berater und Bruder des Königs von Aranica, verdrehte die Augen. Dann stand er auf und ging zu Zacharias, der ein wenig verärgert zu sein schien. Was der Grund war konnte Solras sich nur zu gut denken.

„Sei versichert, dass ich dich nicht eingespannt hätte wenn es nicht anders gegangen wäre“, versprach Solras.

„Na immerhin. Würdest du mir dann also bitte erklären wozu diesen Wälzer hier brauchst?“

„Dazu komme ich gleich. Ist es in Ordnung für dich zu stehen? Ich merke gerade die Sitzgelegenheiten sind alle belegt...“

„Macht nichts. Also würdest du jetzt bitte zur Sache kommen?“, bat Zacharias und reichte Solras das Buch.

„Danke. Es war gut von dir es zu holen, mein König“, bedankte sich Solras und schlug behutsam die erste Seite auf. „Das wird ein gehöriges Stück Arbeit, sollte aber zu schaffen sein“, murmelte er gedankenverloren vor sich hin.

„Solras! Hörst du mir eigentlich zu?“, erkundigte Zacharias sich leicht gereizt.

„Natürlich“, Solras lächelte. Dann aber wurde er wieder ernst. „Du willst wissen warum ich dich habe rufen lassen“

„Du hast mich nicht rufen lassen, Solras. Du hast mich gebeten zu kommen. Ich hätte auch einfach in meine Gemächer gehen können und wenn ich so darüber nachdenke wäre das wohl gar nicht so dumm gewesen“, meinte Zacharias und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Aber das hast du nicht“, Solras schmunzelte kurz. Jedoch nur für einen kleinen Augenblick. „Pass auf Zacharias: Das was ich dir gleich sagen werde, sage ich dir nicht als dein Berater oder dein Bruder. Sondern aus einer rein neutralen Sicht“ Solras räusperte sich. „Dieses Buch hier, welches du mir gebracht hast, darf niemals in die falschen Hände fallen. Niemals. Und an dir ist es als König von Aranica zu entscheiden wer das ist“.
 

Zacharias runzelte die Stirn. „Woher soll ich wissen wer...“, setzte er an, wurde jedoch von seinem Bruder unterbrochen.

„Das kann ich dir nicht sagen“, sagte er „allerdings kann ich dir erklären worum es hier geht“.

„Dann tu das bitte“, es hörte sich vielleicht an wie eine Bitte, doch es war ein eindeutiger Befehl.
 

Solras nickte und winkte Zacharias näher zu sich heran. Dieser stieg, so vorsichtig wie möglich, einen Weg durch die Pergamente und Bücher. Wäre das Thema nicht so ernst gewesen, hätte es Solras irgendwie amüsant gefunden.

„Das hier ist, was du wahrscheinlich nicht weißt, eines der ältesten Bücher die es in der Bibliothek überhaupt gibt“, begann Solras schließlich.

Zacharias nickte. „Das habe ich mir schon gedacht. Das sieht nämlich sogar für mich wie ein alter Schmöker aus...“

„Du bist ein Kunstbanause, weißt du das Zacharias? Ist dir denn gar nicht klar was das für eine Arbeit gewesen sein muss, dieses Buch anzulegen? Allein diese filigranen Zeichnungen! Es muss Jahre gedauert haben das anzufertigen und selbst die Randnotizen sind in ordentlicher Schrift verfasst und...“

„Darum geht es jetzt doch gar nicht. Außerdem lese ich Bücher nur dann wenn ich auch die Sprache verstehe in der sie verfasst sind“, schnappte Zacharias zurück.

Erst jetzt fiel Solras auf, dass er vom Thema abgekommen war. Er verzog schuldbewusst das Gesicht. „Entschuldige, du weißt aber doch was passiert wenn ich so wunderschöne Bücher um mich habe...“
 

Zacharias seufzte leise. Oh ja, er kannte diese Seite an seinem Bruder nur zu gut. Es war schon immer so gewesen, dass dieser schon allein beim Anblick eines, aus seiner Sicht, wunderschönen Buches ins Schwärmen geriet wie andere Männer bei einer gutaussehenden Frau. Auch war Solras, das war jedenfalls Zacharias Meinung, eine Art wandelndes Lexikon. Egal zu was man ihn fragte er hatte immer eine Antwort parat. Und wenn er einem dann antwortete leierte er auch nicht einfach nur Fakten herunter, wie manch anderer, sondern hatte auch immer eine eigene Meinung dazu. Genau dies war es auch weswegen Solras so wertvoll für ihn war.
 

Am Anfang hatte es ziemlichen Ärger unter Zacharias Beratern gegeben als er Solras ohne zu zögern zu seinem obersten Ratgeber ernannt hatte. Doch weiter darum kümmern musste Zacharias sich nicht, da Solras jeglichen Protest durch allein seine Handlungen im Keim erstickte. Doch mit nichts anderem hatte Zacharias gerechnet. Sein Bruder war eben für sich eine ganz besondere Persönlichkeit. Selbst wenn Solras manchmal an Zacharias Nerven riss. Doch das nahm dieser gerne in Kauf. Denn so sehr Solras ausschweifende Reden über die Einzigartigkeit von Büchern Zacharias manchmal geradezu langweilen tat, oder ab und an beinahe in den Wahnsinn trieben, so sehr wusste er auch zu schätzen was Solras quasi im Verborgenen tat.
 

Zacharias sah seinen Bruder abschätzend an. „Du hast heute Morgen erwähnt, dass dieses Buch in einer Geheimschrift verfasst ist. Stimmt das tatsächlich?“, erkundigte er sich nachdenklich.

Solras zuckte mit den Schultern. „Wissenschaftlich gesehen nein. Es wäre korrekter es Code zu nennen. Eine geheime Schrift gibt es schließlich nicht. Du kannst dir dieses Buch wie eine verschlüsselte Nachricht vorstellen. Um es richtig lesen zu können muss man die Werte kennen durch die der Inhalt für Außenstehende unkenntlich gemacht wurde“.

„Klingt plausibel. Und kennst diese Werte natürlich?“

„Ich habe eine ungefähre Ahnung, ja“, wich Solras aus.

„Soll heißen?“

„Das es nicht so einfach ist wie du es dir vielleicht vorstellst. Nur eines kann ich dir jetzt schon einmal sagen. Dieses Buch darf niemals jemandem in die Hände fallen, der sich auf Magie versteht. So viel kann ich dir jetzt schon einmal sagen“, erklärte Solras und es war zu hören, dass er das Thema damit abschließen wollte.

„Nur eine Frage noch. Warum bist du nicht persönlich das Buch holen gegangen?“, wollte Zacharias dann doch noch wissen.

„Das ist nicht wichtig“, kam es unerwartet knapp zurück.

„Nicht wichtig?“, Zacharias zweifelnd eine Augenbraue in die Höhe.

„Ich. Möchte. Nicht. Darüber. Reden“, Solras betonte jedes Wort.

„Schon gut. Ich möchte dich nur noch einmal dran erinnert haben, dass du deinen König wegen einem Buch durch die Gegend geschickt hast. Das ist zwar nicht als Vorwurf gemeint aber...

„Dann muss ich mir ja keine Sorgen machen. Würdest du dann bitte gehen und mich arbeiten lassen? Du hast doch sicher auch noch zu tun?“

„Ja schon...“

„Dann ist das wohl geklärt“

„Aber...“

„Ach ja, und noch etwas Zacharias“

„Was denn?“

„Danke. Du hast nicht nur mir einen wirklich großen Gefallen getan“
 

Zacharias nickte. Er wusste, dass es im Moment zwecklos war mit Solras zu reden. „Also dann, wir sehen uns“, verabschiedete Zacharias sich und kletterte über die Bücherstapel und Pergamente zurück zur Tür.

Aufbruch I

„Ich weiß noch nicht was Ihr mit Eurem schönen Tier gemacht habt, dass es so lahmt aber das hier wird vermutlich eine Weile dauern“, lautete am nächsten Tag die Diagnose des Dorfschmieds. Damian fluchte. Warum überraschte ihn das eigentlich nicht?

„Wie alt ist er eigentlich? Drei Jahre?“, erkundigte sich der Schmied.

„Vier“, antwortete Damian ungeduldig.

„Dann hattet Ihr wohl einen guten Ausbilder. Ich hatte selten ein Pferd hier welches so ruhig ist“, überlegte der Schmied.

„Ich habe ihn ausgebildet und Ihr könnt mir glauben, dass das ganz anders aussähe wenn ich nicht hier wäre“

„Darf ich ihn mal kurz draußen führen?“

Damian zuckte mit den Schultern. „Auf eigene Gefahr“, meinte er und reichte dem Schmied die Zügel. Anders als Damian gedacht hatte führte der Schmied den Hengst nicht sofort los sondern nahm ihm erst einmal das Zaumzeug ab, band ein Seil zur Schlaufe und legte ihm diese locker um den Hals.

„Wie heißt er?“, wollte der Schmied dann von Damian wissen.

„Nanras“

„Wie Nanras mit dem Feuerhaar, hm? Ein Name der ihm gerecht wird“

„Ja“, antwortete Damian und fragte sich gleichzeitig woher dieser Schmied die Legende kannte, die in Aranica eigentlich so gut wie niemand kannte. Irgendwie schienen alle Leute hier, die ihm bisher begegnet waren, irgendein Geheimnis und er war sich nicht sicher ob ihm das gefiel.
 

. Worin er sich jedoch ganz sicher war, war das hier etwas nicht stimmte. Und zwar ganz gehörig nicht...
 

„Ranef, hast du kurz Zeit?“, gerade als Ranef den Hengst aus der Schmiede führen wollte kam Toban auf ihn zu. Ranef seufzte. „Eigentlich nicht. Ich bin gerade damit beschäftigt das Pferd von einem Fremden zu untersuchen, der seit gestern Abend in der Stadt ist. Logan hat mich darum gebeten“, entgegnete Ranef.

„Woher kennt Logan Damian?“

„Wer ist Damian?“

„Der Fremde“

„Ach so. Hast du eigentlich gestern noch einen über den Durst getrunken?“

„Was? Nein natürlich nicht. Wieso fragst du?“, verwirrt sah Toban seinen Vater an.

„Du siehst echt mies aus“

„Herzlichen Dank auch Vater. Das war genau das was ich hören wollte!“, sagte Toban missmutig.
 

In der Hoffnung, dass die beiden nicht bemerkten dass sie beobachtet wurden sah Damian zu den beiden hinüber. Wenn die zwei Vater und Sohn waren, war Logan mit Sicherheit der Bruder von Toban. Es konnte gar nicht anders sein. Allerdings warf das natürlich als nächstes die Frage auf, ob Toban denn dagegen war wenn Ranef, wie der Schmied wohl hieß, sein Pferd behandelte. Hinzu kam, dass Damian, wenigstens im Moment, kein Geld hatte. Obwohl wenn Toban tatsächlich der Sohn des Schmieds war, würde er wohl kaum ein Pferd, welches Hilfe brauchte, einfach ignorieren. Überhaupt war es Damian ein Rätsel wie Logan Ranef überredet hatte, dass er sich das Pferd ansah. Damian runzelte die Stirn. Logan hatte am Abend zuvor irgendwas von sich schon irgendwie einig werden gesagt. Was zum Henker hatte er damit gemeint?
 

„Na wie war dein Abend?“, mit einem breiten Grinsen sah Rina ihre Tochter.

„Absolut unvergesslich“, knurrte Latoya und zog sich die Decke über den Kopf. Das heißt sie versuchte es, doch wie immer war Rina schneller.

„Nichts da! Oder willst du etwa, dass Toban ohne dich los reitet?“, lachte Rina.

„Toban ist schon weg?“, innerhalb von wenigen Sekunden war Latoya hellwach und aus dem Bett gesprungen. Ohne zu überlege griff sie in den Schrank.

„Er ist bei Ranef. Du sollst hinkommen wenn du fertig bist“, Rina lächelte amüsiert über das Verhalten ihrer Tochter.

„Das ist nicht witzig Rina!“, empörte sich Latoya „Und überhaupt woher willst du das wissen? Es ist ja nicht so, dass er nicht allein los reiten könnte!“
 

Rina seufzte und nahm Latoya das was sie ohne nachzudenken aus dem Schrank gefischt hatte aus der Hand. „Toban hat ein richtig schlechtes Gewissen. Das hätte letzte Nacht sogar ein Blinder gemerkt. Ihr habt euch doch nicht etwa gestritten?“, Rina war nun ebenfalls an den Schrank getreten und hatte für Latoya etwas passenderes rausgesucht.

„Naja Streit kann man es wohl nicht nennen, denke ich. Aber da war dieser Fremde, Damian, der in die Hauptstadt reisen wollte und... Geht es dir gut Rina?“

Rina nickte. „Natürlich. Mir ist nur gerade etwas unliebsames eingefallen. Und jetzt zieh dich an“.

Latoya verdrehte die Augen, was ihr einen ermahnenden Blick von Rina einbrachte, bevor diese das Zimmer verließ. Manchmal war Rina wirklich seltsam.
 

„Eine Entzündung? Ist das Euer Ernst?“, Damian sah Ranef an. Dieser sah jedoch aus, als ob er tatsächlich keine Scherze machen würde. „Schon gut. Ihr meint es ernst“, Damian seufzte resigniert. „Wie lange wird es dauern bis es verheilt ist?“

„Eine Woche. Vielleicht auch mehr“, entgegnete Ranef.

„Eine Woche? Das darf doch wohl nicht wahr sein!“, Damian fluchte.

„Nun natürlich könnt Ihr auch so reiten wenn Ihr unbedingt wollt. Empfehlen würde ich es allerdings nicht“, fuhr Ranef fort.

„Das habe ich schon verstanden. Verdammter Mist. Dabei habe ich eigentlich gar nicht die Zeit mich mit so etwas auseinander zu setzen“, knurrte Damian missmutig.
 

„Weshalb müsst Ihr denn in die Hauptstadt?“, war auf einmal, sehr zu Damians Erstaunen, Toban zu hören. Damian knirschte unwillig mit den Zähnen. Es war nicht gut wenn andere außer ihm von der Nachricht wussten. Allerdings schien es wohl keine andere Möglichkeit zu geben. Er zog den Brief aus der Innentasche seines Umhangs und hielt ihn Toban hin, welcher ihn entgegen nahm. „Ich wurde beauftragt eine Nachricht zu überbringen. Und zwar an...“

„Den König von Aranica“, murmelte Toban halblaut.

„Ihr kennt sein Siegel?“, erkundigte Damian sich verblüfft.

„Selbstverständlich. Jeder Soldat von Aranica, egal aus welcher Einheit, kennt das offizielle und persönliche Siegel des Königs. Auch wenn das kaum einer in der Bevölkerung weiß“

„Interessant“, sagte Damian und meinte es wirklich so.

„Möglich. Für mich und meine Kameraden war es allerdings immer eher eine Selbstverständlichkeit, die zu wissen einfach dazu gehörte. Etwas das man sich einprägt aber worüber man nicht viel nachdenkt. Wenn Ihr es wünscht und die Nachricht so schnell wie möglich überbracht werden muss kann ich das gerne für Euch tun. Denn wie es aussieht sitzt Ihr hier wohl noch eine Weile fest“, Toban nickte zu Ranef hinüber, der beruhigen auf Damians Hengst einredete.
 

Damian musterte Toban nachdenklich. Er konnte sich nicht erklären wieso dieser ihm helfen sollte. Außer aus Loyalität zu seinem König natürlich. Aber war es das wirklich? War das tatsächlich der Grund? Plausibel wäre es jedenfalls. Zu plausibel. Es musste noch etwas anderes geben was ihn dazu bewog. Oder sah er Gespenster wo keine waren? Bildete sich einfach nur etwas ein? Unmöglich wäre das natürlich nicht. Denn Misstrauen war bei ihm schon immer sehr ausgeprägt gewesen und sozusagen eine Art Nebenwirkung seines Berufes. Das war schon immer so und würde vermutlich auch immer so bleiben. Außerdem so ein Risiko konnte es eigentlich gar nicht darstellen wenn er Toban den Brief gab, da dieser verschlüsselt war. Zudem wusste Damian in welcher Einheit Toban seinen Dienst tat. Es wäre also ein leichtes für ihn ihn aufzuspüren. Damian nickt entschlossen.

„Also gut“, sagte er „ich bin mit Eurem Vorschlag einverstanden. Wann beabsichtigt Ihr loszureiten?“

„Sobald Latoya eingetroffen ist“

„Latoya? Ach ja! Ihr redet von dem Mädchen, welches gestern bei Euch war, richtig?“

„Korrekt“, beschied Toban Damian knapp und seine Miene verfinsterte sich für einen kurzen Augenblick.
 

„Sagt bloß, ihr fangt an euch zu verstehen? Das ist ja gruselig!“, ohne dass sie es bemerkt hatten war Latoya zu ihnen getreten.

„Verstehen? Also übertreiben muss du nun wirklich nicht“, meinte Toban und drehte sich zu Latoya um.

„Ganz meine Meinung!“, stimmte Damian ihm ohne zu zögern zu.

„Gut. Mir soll das recht sein. Zumindest solange ihr euch nicht wieder wie zwei bekloppte Idioten die Köpfe einschlagt. Wie zum Beispiel gestern“, missmutig sah Latoya die beiden abwechselnd an.

Toban nickte Latoya entschuldigend zu. Dann lächelte er. „Können wir dann jetzt los? Es wäre schön wenn wir heute noch einen Großteil des Weges hinter uns lassen könnten“, schlug er vor.
 

"Das ist eine überaus gute Idee"“, stimmte Latoya ihm zu „und wenn es nach mir geht können wir auch sofort los“. Sie grinste. Toban erwiderte es ohne zu zögern. „Dann wollen wir mal“, entgegnete er. Dann wandte sich noch einmal an Damian. „Ranef und mein Bruder Logan werde sich um Euer Pferd kümmern. Und ich rate Euch auf sie zu hören, denn sie wissen sehr gut was sie tun“.

Eine unerwartete Begegnung

Als Latoya und Toban wenige Tage später in der Hauptstadt eintrafen gab es kaum ein Durchkommen. Überall waren Menschen. Selbst die Seitengassen waren verstopft. Toban seufzte. Hatte er irgendwas verpasst? Stand ein Staatsbesuch eines Botschafter aus den angrenzenden Reichen oder gar des Kontinents an oder etwas in der Art? Gab es vielleicht eine unangemeldete Parade? Anders konnte er sich das alles nicht erklären. Es sei denn...
 

Toban schwang sich von dem Rücken seines Pferdes und bedeutete Latoya es ihm gleich zu tun. Durch die Straße zu reiten grenzte an ein Ding der Unmöglichkeit. Selbst die Pferde durch die Menschenmasse führen würde schwierig werden. „Wenn es wenigstens ein Platz geben würde wo wir die Pferde anbinden könnten“, überlegte Toban, ohne es zu bemerken, laut.
 

„Oh den gibt es“, war mit einem Mal eine Stimme zu vernehmen.

Toban wirbelte herum. „Und wo ist das, wenn Ihr mir die Frage gestattet?“, wollte er wissen.

Der Mann der ihnen gegenüber stand lachte. Es war ein angenehmes Lachen, weder übertrieben noch hysterisch oder aufgesetzt, fand Latoya und musterte den jungen Mann neugierig. Seine haselnussfarbenen Haare waren kurz und seine Augen funkelten amüsiert. Ebenso wie Toban trug auch er einen Umhang auf dem das Wappen von Aranica gut zu erkennen war. Nur die Abzeichen von Rang und Einheit fehlten seltsamerweise. Dennoch konnte man aufgrund dessen wie aufwendig sein Schwert und seine ganze Kleidung gearbeitet war daraus schließen, dass sein Rang nicht der eines einfachen Soldaten war. Toban hatte Latoya mal erzählt, dass es eine besondere Einheit gab die dem König unterstand, vielleicht gehörte er ja dazu. Unmöglich war das jedenfalls nicht.
 

Zacharias lächelte dem jungen Mädchen, welches nicht viel älter als sechzehn oder siebzehn sein konnte, charmant zu. Dies brachte ihm zwei Reaktionen ein. Das Mädchen errötete auf einen Schlag, ihr Begleiter jedoch schenkte ihm einen überaus finsteren Blick. Zacharias berührte dies kein bisschen. Er war daran gewöhnt, dass nicht immer alle das gut fanden was er tat und er hatte gelernt damit umzugehen. Er nahm es zur Kenntnis, doch mehr war da auch nicht.

„Im Hof des Königspalast“, sagte er schließlich.

„Wie bitte?“, der Begleiter des Mädchen sah ihn irritiert an.

„Ich glaube er meint, dass wir die Pferde dort abstellen können“, mischte sie sich jetzt ungeduldig ein.

Zacharias schmunzelte. Auf den Kopf gefallen war sie jedenfalls nicht, so viel war schon einmal ganz klar.
 

„Aber das können wir nicht machen!“, widersprach der Begleiter des Mädchens heftig.

Zacharias runzelte die Stirn. „Was oder wer sollte euch daran hindern?“, wollte er wissen.

„Zum Beispiel der den wir bekommen wenn die Bediensteten oder der König höchstpersönlich davon erfährt?“, schlug der Begleiter des Mädchens ihm vor.

Zacharias grinste. Er konnte es einfach nicht verhindern. „Glaubt mir das wird nicht geschehen...“

„Toban. Und das ist meine langjährige Freundin Latoya“

„Also Toban. Es wird nicht geschehen, dass ihr Ärger bekommt. Zumindest dann nicht wenn Ihr erklärt, dass ich es war der Euch das vorgeschlagen hat“

„Und Ihr seid wer?“

„Zacharias, König von Aranica“, Zacharias Grinsen wurde noch ein Stück breiter. Dann geschah mit einem Mal etwas womit er nicht gerechnet hatte und was ihn für einen Moment zutiefst erschreckte. Latoya die kalkweiß, um nicht zu sagen leichenblass, geworden war wich vor ihm zurück. Einen Grund weshalb das so war, und dann auch noch so plötzlich, verstand er nicht. Er konnte es sich einfach nicht erklären.

Zacharias wandte seinen Blick nun Toban zu. Auch dieser schien nicht so ganz zu verstehen was los war.

„Geht es Eurer Freundin nicht gut, Toban?“, erkundigte er sich trotzdem.

„Scheint so...“, murmelte Toban, der nicht genau wusste was er von all dem was gerade geschah halten sollte. Geschweige denn was er tun sollte.
 

Die Ratlosigkeit der beiden Männer bekam Latoya selbst gar nicht mit. Das einzige was in ihrem Kopf ungefähr tausendfach wiederhallte war wie der junge Mann sich vorgestellt hatte. Nämlich als Zacharias, König von Aranica. Kaum hatte er dies getan überkam Latoya eine schier unbändige Angst. Nicht direkt Angst vor ihm als Person, nein. Eher davor eine Vision zu bekommen. Eine Vision in der ihr gezeigt wurde wie der König sterben würde. Sie wollte es nicht wissen. Was sie vor allem anderen auf keinen Fall wollte war schuld daran zu sein. Das wäre etwas was sie sich niemals würde verzeihen können. Dabei würde sie ihn gerne näher kennen lernen. Denn er erschien ihr nett, um nicht zu sagen sehr nett. Und so ganz anders als sie sich einen Herrscher bisher vorgestellt hatte. Doch ein Gefühl, welches sie nicht benennen konnte, riet ihr nicht seine Nähe zu suchen. Vielleicht war es auch nur ein Bauchgefühl. Trotzdem. Wie aber sollte sie es ihm erklären? Wie konnte sie ihm klar machen was in ihr vorging ohne sich und Toban lächerlich zu machen? Gut, Toban wusste dass sie ab und an Visionen bekam aber von denen die sie zuletzt hatte, hatte sie selbst ihm nichts erzählt. Wie also sollte ein Fremder ihr glauben? Wohl eher würde er sie der Lüge bezichtigen und...
 

Zacharias wusste nicht was er tun sollte. Also tat er eben das erste was ihm einfiel. Er fasste Latoya bei den Schultern und schüttelte sie kräftig. Das schien sie wieder ein wenig zur Besinnung zu bringen was ihn ziemlich erleichterte.

„Wenn Ihr Euch nicht wohlfühlt, solltet Ihr vielleicht mit mir mitkommen“, schlug Zacharias Latoya vor. Dann wandte er sich an Toban: „Und was Euch angeht: Ihr meldet Euch am besten erst einmal bei Eurem Vorgesetzten“.

Toban nickte zustimmend. „Es wäre eine große Erleichterung für mich wenn Ihr Euch kurz um Latoya und die Pferde kümmern könntet, Majestät“, sagte er und verneigte sich knapp.

Zacharias lächelte und verbeugte sich ebenfalls. „Es wäre mir eine Ehre“, entgegnete er. Und fügte noch hinzu: „Zumal mir diese ganze Menschenmenge auch auf den Geist geht“.

„Was ist hier eigentlich los?“, erkundigte sich Toban nun doch.

„Darüber bin ich leider selbst noch nicht so richtig informiert“, antwortete Zacharias und ihm war anzusehen, dass ihm das nicht besonders gefiel.

Zacharias räusperte sich. „Also wir machen es wie folgt Toban: Ihr meldet Euch auf der Wache und dann kommt Ihr zur Abendstunde zu mir in den Palast. Ich werde meinem Bruder und Dienern Bescheid geben. Dann können wir alles weitere gemeinsam besprechen“.

Toban nickte erneut und verneigte sich ein weiteres Mal. „Ganz wie Ihr wünscht, mein König“, meinte er und ließ die beiden damit stehen um zur Wache zu gehen.
 

Als sie allein waren nahm Zacharias sich endlich die Zeit Latoya zu mustern. Im Gegensatz zu vorhin wirkte sie nun etwas verschüchtert. Die Augen hatte sie auf ihre Stiefel gerichtet, fast so als wolle sie um jeden Preis verhindern ihn anzusehen. Doch das war natürlich unsinnig. Oder war er etwa so furchteinflößend Mädchen gegenüber, dass sie sich nicht trauten ihn anzusehen. Nun gut, er war der König eines großen Reiches, doch wollte er doch immer nur das Beste für sein Volk. In diesem Fall ganz speziell für sie. Zacharias seufzte leise. „Wenn ich dir irgendwie helfen kann, sage mir bitte wie“, bat er sie schließlich. Zacharias konnte nicht genau erklären warum, doch es war tatsächlich so. Er wollte ihr helfen. Sie erschien ihm im Moment so verloren, wie er noch nie jemanden gesehen hatte. Jedenfalls bis jetzt niemanden.

„Nein“, war plötzlich ihre Stimme zu vernehmen.

„Nein?“, verwundert sah Zacharias sie an.

„Nein Ihr könnt mir nicht helfen, Majestät“, sagte Latoya zu ihm. „Jedenfalls in dieser einen Sache nicht. Das heißt vielleicht schon... Doch ich möchte es nicht. Das Risiko, dass etwas passiert, ist zu groß“.

„Wovon redet Ihr?“, nachdenklich, sowie auch mit einem gewissen Anteil Neugierde, musterte er sie nun genau.

„Es würde nichts bringen wenn ich es Euch sage, Majestät“.

„Dies zu entscheiden überlasst bitte mir“.

„Majestät, glaubt mir. Je weniger Ihr wisst, desto besser ist es für Euch“, versuchte Latoya ihm klar zu machen. Allerdings ohne nennenswerten Erfolg, wie sie kurz darauf feststellte.

„Also jetzt bin ich wirklich neugierig“, Zacharias grinste.

„Das habe ich befürchtet“, murmelte Latoya resigniert.

Zacharias zwinkerte ihr aufmunternd zu. „So schlimm kann es doch gar nicht sein, oder?“, wollte er wissen.

„Doch für mich ist es das schon, Majestät“, sagte sie leise.

Zacharias verstand sie dennoch. „Also?“, hakte er freundlich nach.

„Ich habe Visionen“, sagte Latoya schließlich.

„Visionen? Visionen, so wie die Magier welche haben?“, Zacharias blinzelte überrascht. Mit allem hatte er gerechnet nur nicht hiermit. Zu unglaublich hörte sich das in seinen Ohren an. Zu unglaublich, als dass er es überhaupt in Betracht ziehen würde. Jedenfalls wäre es sonst so gewesen. Doch irgendwas an ihrer Haltung, ihrem Blick oder was auch sonst es war machte ihm klar, dass sie keinesfalls scherzte. Dennoch war da irgendwas, was ihm zuflüsterte, dass sie die Wahrheit sagte.

„Was für Visionen?“, hörte Zacharias sich plötzlich sehr zu seinem eigenen Erstaunen fragen.

Latoya zuckte mit den Schultern. „Bis vor ein paar Tagen war es nichts Besonderes. Alltägliches eben, zumindest für mich, doch seit meinem letzten Geburtstag, sehe ich wie die Menschen denen ich begegne sterben werden. Und das kann ich seit wenigen Tagen immer sehen wenn ich meinem Gegenüber für längere Zeit in die Augen blicke“, erklärte sie.
 

Zacharias nickte. Dann kannte er wenigstens schon einmal den Grund, weswegen sie immer noch ihre Fußspitzen betrachtete als sei dort etwas sehr interessantes. Sie tat es um nicht sehen zu müssen wie er starb. Zumindest wenn ihre Geschichte der Wahrheit entsprach. Doch wenn er sich ganz ehrlich gegenüber war, so zweifelte er keine Sekunde daran, dass sie ihn nicht belog. Im Moment war er so sehr von dem Gehalt der Wahrheit in ihren Worten verwundert, dass es ihn selbst überraschte. Normalerweise war es nämlich nicht so, dass er zu besonders voreiligen Entschlüssen neigte oder sich sofort auf etwas festlegte. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund war das jedoch bei ihr anders. Und sie war schließlich nicht die erste junge Frau mit der er sich umgab. Ebenso wenig wie sie jetzt, ohne es böse zu meinen, besonders auffallend oder schön. Sie besaß natürlichen Charme. Das wäre es wohl wie man ihr Äußeres am besten beschreiben könnte, überlegte Zacharias. Dann räusperte er sich.

„Und du hast also Angst, dass du sehen könntest wie ich sterbe“, sagte Zacharias und musste sie nicht ansehen um zu wissen, dass sie nickte. Also redete er auch gleich weiter. „Aber warum denn? Der Tod holt uns schließlich alle irgendwann zu sich“, gab er zu bedenken.

„Das stimmt. Aber ich möchte nicht dass es meine Schuld ist. Ich möchte nicht dafür verantwortlich sein wenn jemand stirbt“

„Die meisten Menschen denken so. Was ja auch nur natürlich ist. Aber nur weil du Visionen davon hast wie die Menschen sterben, ist es doch noch längst nicht deine Schuld wenn es auch so eintritt“

„Ich kann nicht genau sagen warum, doch ich glaube da irrt Ihr Euch, Majestät!“, widersprach Latoya Zacharias unerwartet heftig.
 

Zacharias zog eine Braue in die Höhe. Er gestand es sich nur ungern ein, doch dieses Mädchen faszinierte ihn. Nicht weil sie von Visionen und dergleichen sprach sondern ganz allgemein. Nun erschien sie ihm auch wieder etwas gefasster zu sein. Vielleicht hat es ihr ja das Reden geholfen darüber zu reden, spekulierte Zacharias. Doch was brachte es ihm schon jetzt darüber nachzudenken? Nichts. Dennoch nahm er sich in genau diesem Moment vor sie besser kennen zu lernen. Oder vielleicht wäre es besser zu sagen: Sie interessierte ihn. Er wollte wissen wer sie war und vor allem wie er ihr helfen konnte. So manch eine Hilfe war nun einmal mit einem gewissen Risiko verbunden. Und was er dann machen würde, würde er entscheiden wenn es so weit war. Was brachte es schließlich sich vorher den Kopf zu zerbrechen? Nichts.

„Also würdet Ihr mich jetzt begleiten?“, erkundigte Zacharias sich schließlich, nachdem er die beiden Pferde beim Zügel gefasst hatte.

„Ihr bringt mich zum Palast, oder?“

„Ja. Ich würde mich nämlich sehr darüber freuen, dich als Gast bei mir begrüßen zu dürfen. Natürlich nur dann wenn es auch für dich in Ordnung ist“, Zacharias lächelte.

„Ihr seid seltsam“

Zacharias lachte. „So direkt hat mir das, außer meinem Bruder wie ich zugeben muss, noch keiner gesagt. Vor allen Dingen keine Frau“

„Es gibt für alles ein erstes Mal“

„Das merke ich auch gerade. Allerdings wäre es vielleicht besser wenn wir das alles nicht hier weiter besprechen“, Zacharias hielt ihr seinen freien Arm hin. „Wenn du mich also begleiten willst, darfst du dies gerne tun“, sagte er.
 

Latoya hob den Blick und sah Zacharias nun noch einmal ganz direkt an. So langsam fand sie ihn wirklich sympathisch und es machte ihr Spaß mit ihm zu reden. Besonders gefiel ihr seine Offenheit, die nicht aufgesetzt wirkte sondern ganz natürlich war. Auch erschien er ihr mit keinem Stück überheblich oder eingebildet, sondern eher verschmitzt und schlagfertig. Und das keinesfalls auf eine negative Art. Was sie jedoch ganz besonders beeindruckte, oder sie vielmehr dankbar sein ließ, war dass er ihr Glauben schenkte. Dass er sie nicht auslachte, als sie ihm von ihren Visionen erzählte sondern er ihr aufmerksam zuhörte. Schließlich war das nicht selbstverständlich. Zumindest sah sie es so. Sie atmete tief durch und hakte sich dann, wenn auch zögernd, was Zacharias ein erneutes Lächeln entlockte wie sie bemerkte, unter. Ohne es verhindern zu können erwiderte sie es.

„Danke“, meinte sie dann.

Er sah sie einen Augenblick verwirrt an. „Wofür?“

„Dafür dass Ihr mir so gut zugehört habt. Was dieses Thema angeht können das nicht viele“

„Ich freue mich immer wenn ich helfen kann. Besonders bei so schönen Frauen...“, er beendete den Satz nicht.

Latoya schüttelte lächelnd den Kopf. „So etwas solltet Ihr nicht sagen“, meinte sie schließlich.

„Warum denn nicht?“, Zacharias blieb stehen.

„Weil... Ist ja auch egal. Jedenfalls seid Ihr so ganz anders als ich mir Euch vorgestellt habe“

„Das kann ich nur zurückgeben“

„Aber Ihr kennt mich doch gar nicht!“

„Eben drum. Allein das und die Gespräche mit dir wecken in mir den Wunsch dich näher kennen zu lernen“

Latoya errötete. „Ihr beliebt zu scherzen“, war alles was sie heraus brachte.

Nun war er es der den Kopf schüttelte. „Nein. Keinesfalls. Ich amüsiere mich zwar gerne doch niemals auf Kosten andere, das kann ich dir versichern“
 

Latoya konnte nicht sagen was es war, doch da war etwas an ihm was sie glauben ließ, dass er es tatsächlich ernst meinte. Irgendwas an seiner Ausstrahlung, seiner ganzen Körperhaltung sagte ihr, dass er wollte dass sie ihm vertraute. Und sie wollte es auch. Dennoch war sie noch immer etwas verunsichert. Wenn gleich auch nicht mehr so sehr wie noch zuvor, als er sie gebeten hatte zu erzählen was mit ihr los war. Auch schaffte er es, scheinbar ohne jede Mühe, ihre trüben Gedanken einfach so zu treiben. Indem er ihr lediglich nur zuhörte oder wenige Worte mit ihr wechseln tat. Das war etwas was sie nicht erwartet hatte. Genauso wenig wie sie überhaupt nicht erwartet hatte ihn hier zu treffen. Schließlich stammte er aus einer ganz anderen Welt. Einer Welt von der bisher nicht einmal im Traum daran gedacht hatte sie einmal betreten zu können und dürfen. Natürlich nicht. Es war also schon ein kleines Wunder, dass sie jetzt eingehakt bei ihm zum Palast ging. Und ein noch viel größeres, dass er sie eingeladen hatte sein Gast zu sein. Zusätzlich hatte es sich als er sie fragte so angehört als ob er befürchten würde, dass sie ablehnen würde - worüber sie ehrlich gesagt auch kurz nachgedacht hatte. Doch natürlich siegte auch in diesem Fall, wie so oft, ihre Neugierde. Schon immer war diese eine ihrer Charaktereigenschaften gewesen, welche sie des Öfteren in Schwierigkeiten oder unangenehme Situationen gebracht hatte. Doch was sollte schon groß passieren? Doch warum jetzt darüber nachdenken? Im Moment schien alles gut zu sein und allein das zählte. Was Toban anging - auch hierüber würde sie sich erst später Gedanken machen. Und vorwerfen konnte man ihr das schließlich nicht, oder?
 

Toban ärgerte sich gerade ziemlich über sich selbst. Und zwar insbesondere deswegen weil er nun doch immer noch den Brief bei sich trug, den er doch abgeben sollte. Dabei wäre die Gelegenheit vorhin so gut gewesen! Aber dadurch, dass es Latoya nicht gut ging war er mit seinen Gedanken ganz woanders. Überhaupt war alles so komplett anders gekommen als er es sich vorgestellt hatte. Noch nicht einmal das Geschenk von ihm hatte er Latoya geschafft zu geben. Erbärmlich. Und wieso war er eigentlich auf die Idee gekommen diesem seltsamen Kerl, Damian, vorzuschlagen dass er die Nachricht für ihn überbrachte. So etwas hatte ihn doch nun wirklich nicht zu interessieren. Toban fluchte leise. „Kann es nicht einfach mal ganz normale Tage geben“, ihm fiel gar nicht auf, dass er laut dachte.

„Also das wäre nun wirklich zu langweilig!“, hörte er plötzlich jemanden sagen.

„Meril!“, Toban wirbelte herum als er die Stimme seines besten Freundes erkannte.

„Ebenfalls schön dich zu sehen“, Meril grinste breit. „Und wie hat es geklappt? Was hat sie gesagt? Du hast es ihr doch gegeben?“

„Können wir bitte über etwas anderes reden?“

„Oh, das hört sich nicht gut an. Sag bloß du hast die ganze Sache in den Sand gesetzt?“

„So würde ich es nicht zwingend nennen aber ja: Es ist etwas dazwischen gekommen“

„Ich glaube es ist besser wenn ich dir nichts weiter dazu sage, habe ich nicht recht?“,Merils Grinsen wurde noch eine Spur breiter.

„Sehr gut, dann weißt du ja Bescheid“, Toban verschränkte die Arme vor der Brust. „Was ist hier eigentlich los? Als ich mit Latoya angekommen bin sind wir kaum durch die Stadt gekommen. Ist irgendetwas besonderes passiert?“

Zu Gast im Palast I

Kaum hatten Latoya und Zacharias den Hof des Palastes erreicht kam auch schon einer der Stallburschen herbei geeilt, verneigte sich vor Zacharias und nahm ihm die Zügel der Pferde aus der Hand.

„Ich werde mich sofort um die Pferde kümmern, mein König“, versprach der Junge voller Eifer.

„Ich danke dir“, Zacharias lächelte freundlich. Dann runzelte er die Stirn, als er bemerkte, dass der Junge noch immer da stand und ihn fragend ansah. „Gibt es noch was?“, erkundigte Zacharias sich daher.

„Soll ich Bescheid geben, dass Ihr einen Gast mitbringt?“, wollte der Junge wissen.

Zacharias schnalzte ungeduldig mit der Zunge. „Wenn du denkst, dass das nötig ist“, sagte er.

Der Junge nickte. „Ihr könnt Euch auf mich verlassen, Majestät“, dieses Mal verneigte er sich auch vor Latoya.
 

Latoya sah dem Jungen nach, bis er mit den Pferden in den Ställen verschwunden war. Sie runzelte nachdenklich die Stirn. Dann blickte sie Zacharias fragend an. „Wieso hat er Euch nicht gefragt wer ich bin? Interessiert ihn das nicht?“

„Oh doch darauf kannst du wetten“, Zacharias schmunzelte „und mit Sicherheit wirst du heute das Tagesgespräch bei meiner gesamten Dienerschaft sein. So viel ist schon einmal sicher“.

„Aber wieso hat er mich dann nicht nach meinem Namen gefragt?“, erkundigte Latoya sich.

Zacharias zuckte mit den Schultern. „Weil es ihm nicht ansteht Fragen zu stellen, vor allen Dingen wenn ich einen Gast persönlich mit bringe. Obgleich natürlich wild darüber spekuliert werden wird wer du bist“, erklärte er als es das natürlichste auf der Welt. Zacharias räusperte sich und fügte hinzu: „Und natürlich wird man auch von mir erwarten, dass ich dich vorstelle“.
 

„Wie kompliziert“, Latoya verdrehte die Augen. „Dabei hätte es doch eigentlich gereicht wenn ich mich einfach nur mit meinem Namen vorgestellt hätte“, sie seufzte. Das alles begann sie immer mehr zu überfordern uns sie fühlte sich als ob sie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen hätte. Zacharias dagegen schien das Ganze mehr zu erheitern.

„Wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat, ist es gar nicht mehr so verwirrend oder kompliziert, glaub mir“, versicherte er ihr. „Außerdem werde ich dich natürlich so gut unterstützen wie ich kann und dir helfen wann immer du meine Hilfe brauchst“

Latoya sah Zacharias mit weitaufgerissenen Augen an. Sie konnte einfach nicht anders. Zu sehr hatte er sie überrascht. Vor allen Dingen mit seinen letzten Worten. „Was soll das heißten? Wollt Ihr etwas, dass ich bei Euch im Palast bleibe? Das kann nicht Euer Ernst sein!“

„Sagen wir es mal so: Es ist ein ernst gemeinter Vorschlag. Obgleich ich dich natürlich zu nichts zwingen werde. Allerdings halte ich es, nur um das noch hinzuzufügen, für eine gute Idee da du wohl hier, meines Erachtens nach, besser aufgehoben bist als in irgendeiner Schenke“, entgegnete Zacharias.

„Ihr seid wirklich seltsam“

Zacharias lachte. Dann zwinkerte er ihr zu. „Ich glaube wir beide sollten uns wirklich mal für einen ganzen Tag zusammensetzen um zu klären, was denn so seltsam an mir ist. Interessieren würde es mich jedenfalls“

„Ich bin mir nicht sicher ob Ihr Euch über diesen Tag freuen würdet“, Latoya konnte ein Grinsen nicht länger verhindern.
 

Zacharias zog eine Braue in die Höhe. Sie war sich nicht sicher ob er sich darüber freuen würde? Was meinte sie damit? Schließlich war er fast überall als jemand bekannt der nicht nur seine eigene Meinung vertrat, sondern sich auch anhörte was andere zu sagen hatten. Er musterte sie kurz. Wo kam Latoya eigentlich her? Das hatte er sie bisher gar nicht gefragt. Es war ihm bisher einfach nicht wichtig erschienen. Auch im Moment spielte es für ihn keine besondere Rolle. Und was er sagte stimmte. Er würde sich wirklich gerne mal lange mit ihr unterhalten. Heute allerdings würde das wohl eher nicht mehr möglich sein. Denn heute war einer der Tage die er nicht besonders mochte. Seine Berater, darunter natürlich auch Solras, traten heute zusammen und hatten ihn gebeten hinzuzukommen. Er hatte zugestimmt. Denn er wusste inzwischen, dass es besser war wenn man seine Berater, obwohl Solras natürlich immer ein Auge auf sie hatte, nicht machen ließ wie sie wollten. Denn es war bisher nicht selten vorgekommen, dass sie ausgetestet hatten ob noch immer es war, der die Fäden hier sicher in der Hand hielt.
 

Zacharias schnaubte missfällig. Vermutlich würde es heute nicht viel anders ablaufen als sonst auch. Seine Berater würden versuchen inwieweit sie seine Geduld strapazieren konnten ohne Ärger zu bekommen und er würde ihnen einen Schuss vor den Bug verpassen wenn sie zu weit gingen. Es war wirklich ein ewiges hin und her welches ihm so langsam wirklich auf die Nerven fiel. Damals, als sein Vater noch lebte, war das alles noch viel einfacher gewesen. Denn zu dieser Zeit ging sein Vater persönlich zu allen Ratssitzungen und überließ es ihm ob er mitkam oder nicht. Natürlich hatte er sich ab und an blicken lassen, doch erst nach dem Tod seines Vaters wurde es auch seine Pflicht. Eine die er zu den unliebsameren zählte die sein Amt mit sich brachte. Einfach ohne Vorwarnung wegbleiben konnte er jedoch nicht. Zacharias seufzte. Am besten war es wohl wenn er das einfach alles hinter sich brachte. So ungern das auch tat. Allerdings war da noch eine Sache die er vorher klären wollte. Zacharias räusperte sich. Dann sah er Latoya an, welche seinen Blick fragend erwiderte.

„Dürfte ich dich vielleicht um etwas bitten?“, erkundigte er sich bei ihr.

„Ihr fragt mich ob Ihr mich um etwas bitten dürft? Kommt Euch das nicht komisch vor?“

Zacharias schüttelte den Kopf. „Nein. Es ist schließlich ein Akt der Höflichkeit. Und ein gewisses Maß an Höflichkeit sollte für alle selbstverständlich sein, oder?“

„Schon aber… Egal. Das können wir später noch klären. Worum wolltet Ihr mich denn bitten?“, wollte Latoya wissen. Bildete sie sich das nur ein, oder funkelten seine Augen tatsächlich? Und wenn ja, was war das für ein Funkeln? Wollte er sie etwa herausfordern? Aber wozu?

„Es ist etwas, dass nur du machen kannst“, fing Zacharias an.

„Nur ich? Ich weiß nicht ob ich das gut finden soll…“, entgegnete Latoya stirnrunzelnd.

„Nun ich persönlich fände es jedenfalls schön“, verschmitzt lächelte er ihr zu.

„Also?“, erwartungsvoll, sowie auch ungeduldig, sah Latoya ihn an.

„Ich würde mich sehr freuen, wenn wir vernünftig miteinander reden könnten“

„Vernünftig? Wie meint Ihr das?“

„Entschuldige, ich hätte mich wohl besser anders ausgedrückt. Was ich meinte war: Ich würde mich sehr freuen wenn du aufhörst so förmlich mir gegenüber zu sein und mich stattdessen, zumindest wenn wir alleine sind, einfach nur bei meinem Vornamen ansprichst“
 

Eine Weile sagte niemand etwas. Dann aber als sie das Schweigen einfach nicht mehr aushielt meinte Latoya: „Ihr seid nicht nur seltsam, sondern definitiv auch verrückt“.

Zacharias verzog das Gesicht. „Ich glaube wir müssen uns wirklich mal zusammensetzen und unterhalten“, scherzte er, doch dieses Mal klang es beinahe aufgesetzt. Dann fügte er hinzu: „Du willst mir also nicht diesen Gefallen tun?“

„Nur wenn Ihr bereit seid für den ganzen Ärger, der bestimmt dadurch folgen wird, gerade zu stehen“, stellte Latoya ohne Umschweife klar.

„Gerne“, Zacharias grinste.

„Nun gut. Also dann… Zacharias. Ich denke dir für dein Angebot, welches ich mit Freuden annehme“, Latoya erwiderte das Grinsen nun doch.
 

Zu Anfang hatte sie sich ihm gegenüber nicht wohl gefühlt, da er auf sie so einnehmend gewirkt hatte. Doch ihre Furcht war nun vollends gewichen. Er machte ihr keine Angst mehr. Im Gegenteil. Obwohl er der König von Aranica war, fühlte sie sich als ob sie ihm alles sagen konnte was ihr auf dem Herzen lag. So als würde sie ihn schon viele Jahre kennen und nicht erst seit ein paar Stunden. Nicht so, dass Welten zwischen ihnen lagen. Was ohne Zweifel der Fall war. Denn wer war sie schon im Vergleich zu ihm? Einfach jemand den niemand kannte und in einem Dorf aufwuchs, welches die Welt scheinbar vergessen hatte. Er würde sie lediglich so lange bei sich als Gast behalten, wie es ihm genehm war und dann nach einer Woche, früher oder später, einfach vor die Tür setzen weil er ihrer überdrüssig wurde. Sie war nämlich, wie sie sich selbst eingestehen musste, nicht gerade jemand mit einem besonders umgänglichen Charakter. Oder vielleicht wäre es besser zu sagen: Es gab nicht viele die mit ihrem verdrehten Charakter, ihre Laune wechselte so schnell wie ein Aprilwetter, klar kamen. Nur Toban war bisher derjenige gewesen, der sie auch aushalten konnte wenn sie richtig schlechte Laune hatte. Das war schon immer eine der Seiten an ihm, die Latoya ganz besonders geschätzt hatte, was er natürlich auch wusste. Auch war dies ein Grund weshalb sie in ihrem Dorf immer als seltsam und eben anders empfunden worden war. Und dann wusste natürlich jeder, schließlich konnte man dies kaum geheim halten, von ihren Visionen. Sie hatten sie nicht ausgelacht. Nein. Das nicht. Aber da war immer dieses eine Gefühl gewesen. Das Gefühl nicht richtig dazuzugehören. Es war so präsent gewesen wie ein bitterer Nachgeschmack nach einer nicht gut oder falsch gewürzten Mahlzeit. Jedenfalls war es bisher nie so gewesen, dass sie sich einmal so gefühlt hatte als ob sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort wäre. Aber natürlich hatte sie trotzdem auch Spaß gehabt. Dennoch war sie froh dass sie jetzt hier sein konnte. Fast kam es ihr vor, als hätte dieser Ort, diese Stadt, schon immer nach ihr gerufen. Sie dazu bringen wollen, dass sie hierher zog. Nun gut, es war hier wirklich viel los, doch machte nicht gerade das den ganzen Reiz dieser Stadt aus? Latoya war zwar kein besonders großer Freund von Menschenmengen, doch aus irgendeinem Grund machte ihr das im Moment nicht besonders viel aus. Und so lange sie hier sein durfte, so lange würde sie auch hier sein. Schließlich war er es der sie eingeladen hatte. Aufgedrängt hatte sie sich ihm schließlich nicht. Ganz und gar nicht. Eher hatte er sie damit überrascht. Was ja auch nur selbstverständlich war. Zumindest sah sie es so. Also würde sie dieses Spiel genießen und mitspielen solange es ihr denn möglich war.
 

„Wer ist sie?“, war das erste womit Solras Zacharias begrüßte nachdem dieser Latoya auf ihr Zimmer gebracht hatte und dann zum großen Sitzungssaal gegangen war.

„Von wem redest du?“, ohne eine einzige Regung in seinem Gesicht zu zeigen, sah Zacharias seinen Bruder an.

„Ich habe keine Ahnung wovon du redest“

„Stell dich nicht dumm Zacharias. Du weißt genau wovon ich rede!“, beinahe aufgebracht erwiderte Solras seinen Blick.

„Sieh dich vor Solras. Alles muss ich auch dir nicht sagen. Zudem werde ich sie euch bald schon vorstellen“

Solras seufzte. „Natürlich, mein brüderlicher König. Ich freue mich schon sie kennenzulernen“

„Spar dir deinen Sarkasmus Solras. Sie ist anders“

„Natürlich. Wie konnte ich das nur übersehen?“

„Nun gut Solras. Ich wollte das nicht tun, aber es ist deinem Spott geschuldet, dass ich es nun doch mache. Sie ist mein Gast und du wirst sie daher in Frieden lassen und ihr den nötigen Respekt erweisen, klar? Das ist ein Befehl!“, Zacharias Stimme klang schneidend.
 

Überrascht sah Solras seinen Bruder an. Er war nicht besonders erstaunt gewesen als ihm zu Ohren gekommen war, dass er eine junge Frau mitgebracht hatte. Denn selbst wenn Zacharias im Vergleich zu ihrem Vater oder den anderen Königen nicht gerade ein Frauenheld war, so war er doch nicht gerade das was man ein unbeschriebenes Blatt nennen konnte. Dass Zacharias ihm jedoch befahl eine dieser Frauen in Ruhe zu lassen, war bisher nie vorgekommen. Vor allen Dingen nicht, dass er diese Frauen als Gast bezeichnete. Das war höchst ungewöhnlich. Entgegen seiner Gewohnheiten wäre es dann wohl äußerst interessant, morgen früh bei der Besprechung der Tagespunkte dabei zu sein. Dazu musste er zwar sehr früh aufstehen, etwas was er hasste, doch diesmal konnte es sich wohl durchaus lohnen. Und seine Neugierde wer diese Person sein mochte war definitiv angefacht. Denn wenn Zacharias ihn derart zusammen stauchte dann musste etwas dahinter stecken. Denn Zacharias war nicht jemand der leichtfertig Befehle erteilte und schon gar nicht sinnlose. Diese junge Frau musste jemand Besonderes sein. Etwas anderes war einfach nicht möglich. Wahrscheinlich war er auch nicht der einzige der so urteilen würde, eher wusste schon der gesamte Hofstaat samt Diener Bescheid. Morgen würden also mit Sicherheit viele da sein. Irgendwie tat ihm das junge Ding jetzt schon Leid...

Die Ratssitzung

„Können wir jetzt bitte anfangen? Ich möchte ehrlich zu euch sein: Ich will das hier schnellstmöglich hinter mich bringen“, stellte Zacharias, nachdem sich der letzte seiner Berater gesetzt hatte, ohne Umschweife klar. Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Zudem wäre es die Pflicht des Beraterstabs gewesen mir anzukündigen, dass eine Spontansitzung einberufen werden soll. Ich habe schließlich auch noch andere wichtige Dinge zu tun“, fügte er ungeduldig hinzu.

„Verzeiht, wenn ich das sage Majestät, aber eines Eurer Mädchen dürfte wohl kaum wichtiger sein als unsere Sitzungen“, das war Oric, ein Alchimist und Magier.

Zacharias verengte die Augen zu Schlitzen, was niemals ein gutes Zeichen war. So auch in diesem Fall. „Ich habe es Solras schon gesagt. Alle hier an diesem Hof werden ihr den nötigen Respekt erweisen, wenn ich sie euch morgen vorstelle. Sollte es auch nur einer von euch wagen sie zu beleidigen oder in Verlegenheit zu bringen und ich davon erfahren... So wird sich derjenige vor mir zu verantworten haben!“

Oric deutete eine Verbeugung an. „Selbstverständlich, mein König“.

„Gut“, Zacharias nickte zufrieden. „Um also jetzt direkt zum wichtigsten Punkt zu kommen: Was war heute Mittag los?“
 

Ein geradezu peinliches Schweigen entstand auf Zacharias Frage hin. „Würde sich bitte einer wiederholen? Ich befürchte ihr habt zu leise gesprochen!“, es war nicht zu übersehen oder zu überhören, dass Zacharias, zumindest im Moment äußerst schlecht gelaunt war. Er räusperte sich vernehmlich. „Zudem möchte ich daran erinnern, dass nicht ich es war der diese Sitzung einberufen hat. Ebensowenig wie mir erklärt wurde, was der Grund für dieses ganze Theater ist. Also warum seid ihr so überrascht, dass ich wissen will was hier los ist? Außerdem wäret ihr wohl äußerst schlechte Berater wenn ihr mir die Erklärung vorenthalten würdet!“, stellte Zacharias ohne Umschweife klar und sah nicht nur Solras ermahnend an. „Also zum letzten Mal: Was war los, dass so eine Menschenmasse entstehen konnte? Und warum habe ich nicht sofort davon erfahren, als dies bekannt wurde?“, Zacharias Stimme klang gefährlich leise. Wieder blickte er Solras an. Der jedoch zuckte nur mit den Schultern. Zacharias Blick verfinsterte sich zusehends, noch mehr als ohnehin schon was beinahe an ein Ding der Unmöglichkeit grenzte, da er so schon aussah als ob der nächste Zornausbruch, zu denen er eigentlich nicht neigte, nicht mehr weit entfernt war. Und wenn eines wirklich bekannt war über den König von Aranica, dann war es dieses: Seine Zorn- und Wutausbrüche mochten zwar selten sein, waren dafür allerdings auch umso heftiger. Es war für keinen besonders schön sich dann in seiner Gegenwart wieder zu finden. Vor allen Dingen wenn man den Streit selbst provoziert hatte oder höchstpersönlich dafür verantwortlich war. Was hier durchaus auf jedes einzelne Ratsmitglied zu traf.
 

Zornig schlug Zacharias mit der Faust mit der Faust auf den Tisch. So sehr, dass die gefüllten Weinkelche für einen Moment umzufallen drohten. „Wenn mir jetzt sofort niemand erklären wird was eigentlich los ist, wird das ein Nachspiel haben! Und zwar eines, dass keinem von euch gefallen wird!“, Zacharias schrie fast.

„Mein König, dürfte ich wohl etwas dazu sagen?“, meldete sich eines der jüngeren Ratsmitglieder vorsichtig zu Wort.
 

Anerkennend blickte Solras ihn an. Es brauchte schon einen ziemlichen Mut um Zacharias in solch einer Situation anzusprechen. Eine Selbstverständlichkeit war es jedenfalls nicht. Vor allen Dingen nicht, wenn er so mies gelaunt war, wie es im Moment der Fall war.

„Habe ich mich etwa nicht klar genug ausgedrückt?“, erkundigte sich Zacharias giftig.

„Nein, mein König“

„Dann redet endlich!“
 

Was Zacharias dann erfuhr kam ihm mehr wie ein schlechter Witz, denn eine ernst gemeinte Tatsache vor. Um es kurz zu machen: Er konnte und wollte einfach nicht glauben was er da erfuhr.

„Und was bringt Euch auf den Gedanken, mir das nicht alles sofort zu berichten?“, Zacharias Stimme klang schneidend und die Miene seines Gesichts war finsterer als jeder Gewitterhimmel.

„Weil es nichts gebracht hätte, Majestät- Schon Eure Vorfahren haben das Gesetz festgelegt und geachtet, dass jeder die alten Götter anbetet bestraft und hingerichtet werden muss“
 

„Soll das heißen, dass ihr alle euch ohne mich zu fragen nach den Gesetzen meiner Vorfahren richtet, statt nach meinen Befehlen und Anordnungen?“, die Lautstärke mit welcher Zacharias sprach, war nun wieder kontinuierlich gestiegen. Er ballte die Hände zu Fäusten. „Und sollte sich erweisen, dass dies der Fall ist würde ich gerne wissen, ob ihr auf den alten Gesetzen bestehen bleibt, weil ihr mich für unfähig haltet ein Volk wie Aranica zu führen“.
 

Solras hatte sich die ganze Zeit eher zurück gehalten, doch so langsam sah er sich gezwungen einzugreifen. Zumindest dann, wenn er nicht wollte dass das hier in einem Desaster endete. Allerdings fiel ihm auch so auf die Schnelle nicht ein, wie er dem entgegen wirken konnte. Nicht, dass er keinen Mut hatte. Doch war Zacharias derart schlecht musste man sich zweimal überlegen was man sagte. Denn tat man dies war Ärger zu erwarten und das nicht zu knapp. Vor allen Dingen was das Thema anging von welchem Zacharias eben gesprochen hatte. Nämlich, dass er ihnen vorwarf, dass sie sich an die, wie Zacharias gerne sagte, verstaubten Gesetze hielten und nicht an das was er befahl. Das galt zwar nicht für Solras, doch dieser wusste, dass es nichts bringen würde dies jetzt zu erwähnen. Zumindest nichts außer noch mehr Ärger. Denn dieser Vorwurf war durchaus berechtigt. Besonders was die anderen Ratsmitglieder betraf, so viel war schon einmal sicher. Und Solras tat auch schon sein bestes um das zu ändern, doch obwohl er der Bruder war von Zacharias und der oberste Ratgeber, und das was er sagte durchaus Gewicht hatte, war dies nicht gerade leicht. Im Gegenteil. Es war sogar richtig schwer. Doch

Solras hatte sich immer bemüht. Nicht nur weil er wusste, dass Zacharias auf ihn zählte sondern auch weil er das von sich selbst erwartete. Es war eines der Dinge die er zu seinen Pflichten zählte. Doch nicht nur zu seinen Pflichten, sondern auch zudem was er Zacharias schuldete. Denn wie oft schon hatte dieser ihm geholfen, ohne sich auch nur mit einem Wort bei ihm zu beschweren? Dabei hätte er nicht nur einmal guten Grund dazu gehabt. Doch Zacharias vertraute ihm. Vielleicht nicht blindlings, was auch nicht professionell gewesen wäre, aber weit mehr als diesen Einfaltspinseln. Wobei Einfaltspinsel nicht ganz passend war. Richtiger wäre es zu sagen, dass sie alte Sturköpfe waren, die sich an nichts Neues wagten und deshalb an verstaubten Traditionen und Gesetzen fest hielten. Sturköpfe, die es zu überzeugen galt dass Zacharias Politik besser war als die von vor hundert Jahren oder gar noch länger. Doch dies war leichter gesagt als getan. Auch wusste er schon jetzt, dass er sich nachher noch würde mit seinem Bruder unterhalten würde müssen. Dessen Laune dann hoffentlich besser war als jetzt. Er täuschte sich nicht.
 

„Bleib bitte noch einen Moment da Solras!“, es hörte sich vielleicht wie eine Bitte an, die Zacharias äußerte, doch war es ganz klar ein Befehl. Um das zu verstehen musste man kein Hellseher sein.

„Natürlich“, Solras verneigte sich knapp vor seinem Bruder. Schon jetzt ahnte er dass das Gespräch nicht besonders schön werden würde. Auch wenn Zacharias nicht mehr ganz so wütend wie zuvor zu sein schien. Womit sich wenigstens ein Hoffnungsschimmer auftut, dass man vernünftig mit Zacharias reden kann, überlegte Solras.

„Wir unterhalten uns in meinen Gemächern Solras. Wenn ich noch einen Moment länger hier bin dann...“, Zacharias brach ab, doch Solras war auch so klar was sein Bruder ihm sagen wollte.
 

„Wieso hast du mir nichts von alledem erzählt, als ich bei dir war?“, fragte Zacharias Solras dann auch wenig später. Solras setzte sich auf einen der freien Sessel in Zacharias Gemächern.

„Weil ich persönlich auch nichts davon wusste“, versicherte Solras seinem Bruder.

„Was soll das heißen?“, Zacharias verengte die Augen zu Schlitzen.

„Exakt das was ich gesagt habe“

Zacharias fluchte leise und Solras war überaus glücklich darüber, dass er nicht verstand was sein Bruder sagte.

„Komm mit“, meinte Zacharias dann.

„Wohin?“

„In den Thronsaal. Ich habe etwas zu erledigen und du musst dabei sein“

„Zacharias, ich weiß du bist wütend aber denkst du nicht...“

„Wütend? Oh nein, ich bin nicht wütend. Für die Laune, in die mich diese steinalten Lackaffen versetzt haben gibt es keinen Ausdruck glaub mir“, knurrte Zacharias.

„Aber gerade dann solltest du nicht...“

„Willst du dich mir etwa ebenso wiedersetzen?“

Solras seufzte. „Nein, natürlich nicht“ und hängte schnell ein „mein König“ dran.
 

Es dauerte nicht lange bis Zacharias mit Solras den Thronsaal erreichte. Ohne zu zögern, stieß er die großen Flügeltüren auf und trat mit energischen Schritten ein. Kaum hatte er dies getan, verstummten die Gespräche die bisher geführt wurden. Alle Augen richteten sich auf Zacharias, dann verneigten die Anwesenden sich höflich vor ihm. Ungeduldig winkte Zacharias ihnen zu, zum Zeichen, dass sie aufstehen konnten.

„Sind die wichtigsten da?“, Zacharias warf einen Blick in die Runde. „Gut“
 

Entgegen aller Gewohnheiten, zumindest sahen das wohl die meisten so, setzte sich Zacharias nicht auf den Thron am Ende der Halle sondern baute sich vor den Anwesenden auf.
 

„Einige von euch, oder vielleicht sogar alle das vermag ich im Moment noch nicht zu sagen, scheinen zu glauben, dass ich für mein Amt untauglich bin“, begann Zacharias mit ungewohnter Schärfe in seiner Stimme. „Doch das wäre noch etwas was ich akzeptieren würde, so lange man dies persönlich mitteilt und auch begründet. Was ich allerdings nicht, um nicht zu sagen niemals, dulden werde ist dass man sich über meine Befehle hinwegsetzt. Mich nicht in Dinge einweiht die in, ich will es mal drastisch ausdrücken, meiner Hauptstadt geschehen. Dass man nicht meine Befehle abwartet sondern sich nach den alten und teilweise überholten Gesetzen meiner Vorfahren richtet. Das werde ich keinen Tag länger dulden. Jeder der irgendwelche Beschwerden vorzubringen hat, soll diese mir persönlich mitteilen. Ich hoffe das wurde verstanden. Und noch etwas: Ich habe eine Ankündigung zu machen. Morgen werde ich den Beraterstab neu besetzen, da mein Vater es anscheinend versäumt hat mir loyale und taugliche Berater zur Seite zu stellen. Also muss ich wohl selbst dafür sorgen. Das wäre es fürs erste von mir. Hat noch irgendjemand was dazu zu sagen oder sind irgendwelche Fragen offen geblieben?“, Zacharias sah alle der Anwesenden der Reihe nach an. Keiner rührte sich oder sagte auch nur ein Wort. Wäre vermutlich auch überflüssig gewesen, denn jeder wusste was Zacharias im Thronsaal äußerte war nicht einfach nur daher gesagt. Doch nicht nur daran lag es, dass es keiner wagte ihm zu widersprechen. Es war etwas in seiner Ausstrahlung, dass selbst Solras bestimmen konnte.

„Bist du sicher, dass du das wirklich tun willst?“, fragte Solras seinen Bruder dann aber doch leise.

„Sehe ich aus als ob das Gegenteil der Fall wäre?“

„Natürlich nicht, mein König“
 

Zacharias nickte zufrieden. Normalerweise legte er nicht besonders viel Wert darauf, dass Solras ihn mit seinem Titel ansprach, doch jetzt war das nicht der Fall. Denn nur zu gut wusste er, wenn die anderen mitbekommen würden, dass Solras ihn normal ansprach hatte er verloren. Die warteten doch nur auf einen guten Grund um ihm sagen zu können, dass er ungeeignet war, das Amt seines Vaters fortzuführen. Obgleich nie darüber Zweifel aufkommen lassen, dass er Zacharias für geeignet hielt. Um meinem Vater auf die Nase zu binden, dass ich nicht geeignet bin hätte es auch wirklich viel Mut gebraucht, überlegte Zacharias einen Moment. Dann räusperte er sich. Und nur mit diesem Räuspern hatte er wieder die Aufmerksamkeit aller. „Morgen um acht Uhr werde ich euch die neue Zusammensetzung des Beraterstabes verkünden. Und danach werde ich euch einen Gast von mir vorstellen und ich erwarte dass ihr meinen Gast mit dem ihm zustehenden Respekt behandelt“, fuhr Zacharias schließlich fort. Und fügte hinzu: „Das wird wohl kaum zu viel verlangt sein“.
 

„Zacharias! Ist dir eigentlich klar was du da gerade getan hast?“, wollte Solras als sie wieder allein waren wissen.

„Voll und ganz. Deshalb gibt es auch keinen Grund mich anzuschreien“, entgegnete Zacharias stoisch.

„Das erscheint mir aber nicht so! Weswegen um aller Götter Willen willst du dieses Mädchen dem ganzen Hof vorstellen? Das wird ein Skandal!“

Zacharias schnaubte missfällig. „Ein Skandal? Es soll ein Skandal sein wenn ein König sich dazu entschließt seinen Beraterstab neu zu besetzen?“

„Wenn er es auf diese Weise tut, dann ja!“

„Und was hättest du an meiner Stelle getan? Du glaubst doch wohl nicht wirklich, dass das androhen von Strafen hier noch ausreicht?“

„Jedenfalls hätte ich nicht so impulsiv gehandelt! Sondern wäre es mehr überlegt angegangen!“

„Du meinst wohl, dass du alles mehr wie Vater angegangen hättest!“, Zacharias Stimme klang nicht vorwurfsvoll, auch war sie nicht besonders laut, doch Solras zuckte zusammen.

„Zacharias nicht. Wir haben schon oft darüber gesprochen. Sehr oft. Wir müssen dieses Thema nicht wieder aufwärmen. Ich jedenfalls kann gut darauf verzichten. Meine Meinung habe ich dir bereits häufig genug dazu gesagt und diese hat sich seit Vaters Tod nicht verändert. Also sag es bitte nicht. Ich habe keine Lust mich mit dir zu streiten. Vor allen Dingen nicht wegen so einem Anlass“, sagte er warnend.

„Ich auch nicht. Aber dann akzeptiere bitte auch meine Entscheidungen. Und damit meine ich alle, die ich treffe“

„Natürlich“, Solras nickte und ließ ihn ohne ein weiteres Wort zurück.
 

Zacharias seufzte schwer. Es war nicht das erste Mal, dass er sich mit Solras stritt. Bei weitem nicht. Und es war auch nicht so, dass er ein schlechtes Gewissen gegenüber seinem Bruder hatte, nein. Doch es brachte nichts darüber nachzudenken. Zudem hatte er wirklich ganz andere Probleme als ein Streit mit Solras. Denn schließlich galt es den Beraterstab neu zu besetzen. Eine Aufgabe die nicht leicht werden würde.

„Herr? Darf ich eintreten?“, fragte plötzlich jemand von der Tür her.

„Wenn es nicht allzu lange dauert“, knurrte Zacharias.

Der Junge der an der Tür stand, nahm das als ein Ja, ging zu Zacharias und hielt ihm einen Brief hin. „Der wurde für Euch abgegeben“

„Danke. Von wem ist er?“

„Keine Ahnung. Es steht ja kein Absender darauf, mein König“

Blitzmerker, dachte Zacharias verkniff sich allerdings den Kommentar. Stattdessen sagte er bemüht freundlich: „Das ist mir auch schon aufgefallen. Also nochmal: Wer hat dir diesen Brief gegeben?“

„Toban, von der Hauptwache. Er sagte es wäre dringend und ihr würdet ihn kennen“

Zacharias nickte zerstreut. Was kann der Begleiter von Latoya wohl von mir wollen? Er runzelte die Stirn und öffnete dann geschickt den Brief aus dem ein weiterer Brief und ein zusammengefalteter Zettel fiel.
 

An Zacharias, König von Aranica. Ich grüße Euch und möchte Euch noch ein weiteres Mal für vorhin danken. Insbesondere dafür, dass Ihr Latoya unter Eure Fittiche genommen. Es sei darauf jedoch auch hingewiesen, dass ich weder der Verfasser noch der eigentliche Überbringer des zweiten Briefes bin. Mit diesen Nachrichten habe ich nichts zu tun.
 

Mit hochverehrtem Gruß an Eure Majestät

Euch treu ergeben in Leben und Tod

Toban
 

Zacharias runzelte die Stirn. „Hat er noch irgendwas sonst gesagt?“, erkundigte er sich.

„Leider nein. Ich wollte ihn auch selbst noch darauf ansprechen, doch da war schon verschwunden“, der Junge zuckte mit den Schultern.

„Da kann man wohl nichts machen. Zumindest vorerst“, murmelte Zacharias und öffnete den nächsten Brief. Er war verschlüsselt.

„Junge, kannst du bitte nachher wieder kommen?“, bat Zacharias ihn. Der Junge nickte.
 

Zacharias setzte sich an den Schreibtisch. Den Brief zu entschlüsseln fiel ihm leicht denn es gab nur zwei Männer die ihm, zugegeben sehr selten, auf diese Art schrieben. Dass er gerade jetzt ein solcher Brief kam konnte kein Zufall sein.
 

An Zacharias, den König und Herren von Aranica, in ewiger Treue in Leben und Tod verbunden, ich grüße Euch. Mögen die Tage Eurer Herrschaft von Erfolg gekrönt sein.
 

Zacharias seufzte leise. Wenn er etwas nicht leiden konnte, dann war es diese förmliche Anrede, mit denen er so gut wie immer in Briefen bedacht wurde. Aber was sollte er schon dagegen tun? Nichts. Vor allem nicht jetzt. Zacharias las den Brief weiter und während er das tat wurden seine Augen immer größer und größer.
 

Ich, Enba, Spion in Euren Diensten um Eure Macht, Herrschaft und Euren Glanz zu stärken, muss Euch sehr zu meinem Bedauern und Missfallen schlechte Neuigkeiten melden. Wie Ihr wisst, Herr, bin ich zur Zeit in Otharas stationiert. Der König von Otharas, Mariv, möge er nie mehr Glanz und Ruhm ernten als Ihr, lässt verbreiten, dass er durch Quellen erfahren hat, dass Ihr nicht Eures Vaters wahrer Sohn seid sondern Eurem verehrten Bruder Solras der Thron von Aranica zu steht. Mein König, ich möchte weder Euren Bruder einer Tat beschuldigen, die er nicht getan hat noch möchte ich Euch in Sicherheit wiegen. Denn Sicherheit ist etwas was kein Mensch jemals ganz von sich behaupten kann zu besitzen. Mir ist jedoch zu Ohren gekommen, Majestät, dass einige Eurer Berater Kontakte zu wichtigen Leuten in Otharas pflegen. Und zwar regelmäßig. Daher sehe ich mich gezwungen Euch zu raten, mein König, besetzt Eure Berater neu. Selbstverständlich müsst Ihr meinen Rat nicht annehmen. Doch es wäre schön wenn Ihr mir den Gefallen tätet darüber nachzudenken. Solltet Ihr dies jedoch in Erwägung ziehen, sei es wegen meinen Informationen oder etwas anderem nur dies noch: Der Überbringer dieser Nachricht ist jemand dem ihr zwar nicht in seiner Ehrlichkeit vertrauen könnt, doch auf jeden Fall was seine Fähigkeiten angeht. Er ist äußerst präzise in dem was er tut und führt jeden Auftrag sorgfältig und ohne Fehler aus. Und wenn ich sage, jeden Auftrag dann meine ich das auch, mein König. Sein Name ist Damian. Ich persönlich hoffe dennoch, dass Ihr seine Dienste niemals werdet in Erwägung ziehen müssen. Doch das obliegt wie so vieles andere allein Eurer Entscheidung.

Mit treuen und für immer ergebenen Grüßen

Enba
 

Zacharias starrte auf den Brief. Er konnte noch nicht so ganz fassen was er da gerade gelesen hatte. Der König und Rat von Otharas zweifelte seine Herkunft an und wollte statt seiner Solras auf dem Thron. Zacharias schnaubte. Solras jedoch bestand auf seinem Leben mit seinen Büchern. Ein bitteres Lächeln huschte über sein Gesicht. Und mal ganz davon abgesehen hatte Solras Zacharias höchstpersönlich oft genug klar gemacht, dass er absolut nicht daran interessiert war König zu sein oder zu werden. Das war eines der Dinge, die Zacharias auch ohne Vorbehalt glaubte. Vielmehr beunruhigte ihn was Enba ansonsten noch berichtet hatte. Vor allem, dass einige seiner Berater Kontakt zu wichtigen Leuten aus Otharas pflegten. Zwischen Otharas und Aranica herrschte zwar kein Krieg und auch das Friedenabkommen war, zumindest nach Zacharias Einschätzung, sicher. Dennoch gab es zwischen den beiden Reichen noch immer einen großes Konkurrenzverhalten in allen Belangen. Man beäugte sich misstrauisch, analysierte das Verhalten eines jeden auf den Punkt genau und handelte entsprechend. Das alles geschah natürlich nicht offiziell, sondern inoffiziell. Dennoch war es, obwohl man es niemals laut aussprach, sogar den Bürgern in beiden Reichen bekannt. Zacharias sah noch einmal auf den Brief. Der morgige Tag würde mit Sicherheit anstrengend aber auch sehr interessant werden.

Entscheidungen

Als Latoya am nächsten Morgen aufwachte, brauchte sie einen Moment um sich zu erinnern wo sie war und weshalb. Dann aber fiel es ihr wieder ein. Sie war zu Gast und zwar bei dem König von Aranica. Dem Menschen, der so anders war als sie sich ihn je vorgestellt hatte. Und ebenso der Mensch, von dem sie als letztes geglaubt hatte ihn jemals kennenlernen zu können. Latoya seufzte und setzte sich langsam auf.
 

„Du wirst dir noch den Tod holen, wenn du hier draußen bleibst. Willst du wirklich nicht mit hinein kommen? Ich vermisse dich, weißt du?“, fragte Zacharias und sah Latoya an. Die schüttelte den Kopf. „Es wäre keine gute Idee wenn du bei mir bleibst. Oder ich bei dir“, wehrte sie ab. Ein spitzbübisches Grinsen stahl sich auf Zacharias Gesicht. „Das hast du mir schon gefühlte tausend Male gesagt. Schon bei unserem Kennenlernen. Und habe ich jemals auf dich gehört?“, wollte er wissen. Latoya schüttelte abermals den Kopf. Dieses Mal energischer. „In dieser Sache nicht“, entgegnete sie. „Siehst du. Also warum sollte ich jetzt meine Meinung ändern?“, fragte er sie und zog sie an sich. „Weil alles andere Wahnsinn wäre. Du weißt schließlich gut genug was passieren könnte, wenn du den Kontakt zu mir nicht unterbrichst und mich nicht gehen lässt“, antwortete Latoya weniger überzeugend als sie es eigentlich wollte. Zu sehr zog er sie in ihren Bann und das wusste er ganz genau.

„Dir ist aber schon klar, dass ich das nicht tun kann? Schließlich bist du die Person, die ich am meisten liebe. Daran kann niemand etwas ändern. Am allerwenigsten du und genau deshalb werde ich...“
 

„Lady! Lady Latoya! Ist alles in Ordnung? Geht es Euch gut?“, riss eine Stimme Latoya plötzlich aus ihren Gedanken.

„Was?“, fragte Latoya zerstreut und blinzelte verwirrt.

„Den Göttern sei Dank! Ihr wart schon so lange weggetreten in Gedanken, dass ich glaubte den Arzt rufen zu müssen“, das Mädchen, welches vor Latoya stand, sah sichtlich erleichtert aus.

„Mir geht es gut“, murmelte Latoya und hoffte möglichst überzeugend zu klingen. Das Mädchen schien es ihr, jedenfalls für den Moment, zu glauben.

„Sehr gut. Dann kann ich Euch ja helfen, Euch fertig zu machen? Ihr seid nämlich zu der Audienz heute früh geladen worden. Und zwar vom König höchstpersönlich!“

„Das ist ein Witz, oder?“

„Nein. Und da es in einer Stunde schon so weit ist müssen wir uns beeilen. Aber keine Sorge, das kriegen wir schon hin!“

„Und dein Name ist?“

„Ada, Mylady“
 

Einen Moment lang überlegte Latoya ob es wohl klug wäre Ada darauf hinzuweisen, dass sie alles andere als eine Lady war. Dann aber entschloss sie sich dagegen. Viel wichtiger weshalb sie eingeladen wurde an einer Audienz teilzunehmen. Und das auch noch von Zacharias. Er hatte ihr zwar irgendwas davon erzählt, dass er sie selbst vorstellen musste - oder wollte. Konnte es wirklich nur das sein? Sie konnte es nicht sagen, verstand einfach nicht was in seinem Kopf vorging. Doch schließlich musste sie das auch gar nicht. Und was ihre Vision anging, darüber konnte sie sich auch später noch Sorgen machen. Hinzu kam, dass sie außerdem ziemlich froh war, dass Ada sie ins hier und jetzt zurück geholt hatte. Denn sie wollte nicht wissen wie es weitergegangen wäre. Wirklich nicht. Denn dann würde sie sich verpflichtet fühlen es ihm zu sagen und dann... Aber daran wollte sie jetzt ebenfalls nicht denken. Latoya zwang sich zu einem Lächeln und blickte Ada entschuldigend an. „Ich fürchte die Kleider mit denen ich angekommen bin, sind nicht gerade passend“, gab sie zu bedenken. Ada grinste. „Darüber müsst Ihr euch nun wirklich keine Sorgen machen“.
 

„So hier wären wir“, Ada, die Latoya zum Thronsaal geführt hatte, lächelte Latoya aufmunternd zu. Diese sah Ada unsicher an. „Du kommst nicht mit?“, wollte sie wissen. Ada schüttelte den Kopf. „Nein. Die Angestellten und Diener werden nur über Dinge benachrichtigt, die sie auch etwas anzugehen haben“, erklärte sie, als wäre das eine Selbstverständlichkeit. Latoya seufzte leise und beschloss es erstmal dabei bleiben zu lassen. „Also dann bis nachher schätze ich?“, fragte sie. Ada nickte lächelnd.

Kaum dass Latoya eingetreten war, wandten sich mit einem Mal alle Blicke ihr zu und mit einem Mal fühlte sie sich komplett verloren. Als ihr dann auch noch jemand auf die Schulter tippte fuhr sie erschrocken zusammen.
 

„Ihr seid nicht zufällig Lady Latoya?“, erkundigte sich ein junger Mann, der nur wenige Jahre älter als sie sein konnte.

„Bitte nur Latoya“

„Lieber nicht. Denn dann würde ich nicht nur von meinem Bruder Ärger bekommen, sondern ihn auch bloß stellen und darauf lege ich keinen Wert. Ihr solltet Euch also schon einmal an diese Anrede gewöhnen“

„Aber...“

„Dennoch möchte ich Euch warnen Lady Latoya. Ich habe keine Ahnung weswegen mein Bruder so vernarrt in Euch ist, falls Ihr jedoch irgendwelche Pläne gegen ihn habt werde ich kein Erbarmen zeigen“

„Aber ich...“

„Nun wie dem auch sei“, er hielt ihr seinen Arm hin „bitte begleitet mich zu ihm“.
 

Zacharias hatte durchaus bemerkt, dass Solras mit Latoya gesprochen hatte und auch wie was ihn alles andere als begeisterte. Dennoch würde er das später klären. Jetzt im Moment waren andere Dinge wichtiger. Zacharias war einen Blick über die Menschen im Thronsaal. Sämtliche Würdenträger, natürlich alle Ratsmitglieder, sowie Fürsten waren anwesend und es waren so viele da wie schon seit langem nicht mehr. Es schien also doch nicht allen egal zu sein was er zu sagen hatte. Ein selbstzufriedenes Lächeln huschte, wenn auch nur kurz, über sein Gesicht. Dann räusperte er sich vernehmlich. Kaum hatte er es getan herrschte augenblicklich Stille. Aufmerksam und abwartend richteten sich sämtliche Augenpaare auf ihn. Zacharias verschränkte die Arme vor der Brust. Nun war es also so weit. Er hatte absolut keine Ahnung was passieren würde, aber es ging nicht anders. Und für einen Rückzieher war es jetzt sowieso zu spät.
 

„Ich grüße Euch alle“, begann Zacharias schließlich „und möchte mich schon einmal dafür bedanken, dass ihr erschienen seid“. Abermals räusperte er sich und suchte währenddessen den Saal mit den Augen nach Latoya ab. Als er sie entdeckte ging er zu ihr, ergriff sie bei den Händen und führte sie dann in die Mitte des Saals, was ihr sichtlich unangenehm zu sein schien. Darauf jedoch konnte er jetzt erst einmal keine Rücksicht nehmen. Später würde er sich deswegen bei ihr entschuldigen.
 

„Bevor ich zu den eher unangenehmen Dingen komme, möchte ich euch eine junge Frau vorstellen die seit gestern meine Gastfreundschaft genießt und damit auch euren Respekt verdient“, Zacharias lächelte verhalten.

„Lady Latoya, ich freue mich sehr Euch hier bei mir begrüßen zu dürfen“

„Danke, mein König. Dennoch bin ich es wohl die sich bei Euch bedanken muss. Denn niemals hätte ich es gewagt zu glauben, dass mir jemals die Ehre zukommen würde hier zu Gast zu sein. Oder Euch gar kennenzulernen“

Zacharias lächelte und dieses Mal war es ein Lächeln, das er durchaus ehrlich meinte und auch alle anderen, bis auf Solras, schienen wie er erleichtert feststellte Latoya fürs erste zu akzeptieren. Fragte sich nur ob das auch so blieb, wenn er seine weiteren Beschlüsse mitgeteilt hatte. Doch darüber würde er sich jetzt nicht den Kopf zerbrechen.

„So nachdem das nun erledigt wäre, komme ich nun zum wichtigsten Thema des Tages, weswegen ich euch eigentlich herbestellt habe. Einige wissen es schon“, für einen winzigen Augenblick verfinsterte sich Zacharias Miene „doch ich habe gestern einen Entschluss gefasst. Und zwar werde ich den Beraterstab neu besetzen“.
 

Einen Moment lang herrschte eine Stille, dass man sogar eine Stecknadel hätte fallen hören doch dann brach ein Stimmengewirr sondersgleichen los.

„Ruhe!“, donnerte Zacharias nach einer Weile als es ihm zu viel wurde. Sofort verstummten alle.

„Falls sich jemand fragt warum ich dies tue solltet ihr lieber mal in Euch hinein hören, als mich zu fragen. Und wer weiß, vielleicht kommt ihr ja sogar zu einem Ergebnis. Davon abgesehen würde ich es begrüßen, wenn ihr mir wieder euer Gehör schenken würdet damit ich die neue Zusammenstellung verkünden kann“

„Die neue Zusammenstellung steht schon fest? Denkt Ihr nicht dass das etwas übereilt ist, Majestät?“, wagte einer der Lords einzuwerfen.

„Selbstredend nicht. Sonst würde ich es wohl kaum machen. Gibt es sonst noch irgendwelche Fragen?“, fragte Zacharias leicht gereizt. Er schätzte es nicht besonders wenn man ihn unterbrach. Allgemeines Kopfschütteln.

„Sehr schön. Also es wird so manche Änderung geben“, fuhr Zacharias fort „die erste davon ist, dass Lady Latoya von nun an zu meinen Beratern zählen und damit an jeder Versammlung teilnehmen wird“.

„Eine Frau?“, kam es von irgendjemandem.

Zacharias ignorierte den Einwurf gekonnt und redete einfach weiter. „Des Weiteren wird nicht mehr mein Bruder den Vorsitz übernehmen, sondern ich persönlich. Jede Kleinigkeit, jede Entscheidung und Frage, in was für Dingen auch immer, wird mir daher sofort mitgeteilt“

„Aber mein König...“, dies war Solras.

„Oric wird seinen Sitz behalten, schließlich ist er mein oberster Alchimist und Magier, herzlichen Glückwunsch also“, Zacharias Stimme war nicht anzuhören was er dachte. „Hinzu kommen als neue Ratsmitglieder mein guter Freund Enba, der leider jetzt nicht anwesend sein kann, der General meiner königlichen Hauptwache und ein von ihm gewählter Vertreter, den er mir schnellstmöglich vorzustellen hat. Alle übrigen die sind mit Dank aus dem Rat entlassen“.
 

Latoya sah Zacharias mit allergrößtem Erstaunen an. Ihr wurde klar, dass sie sich in ihm getäuscht hatte. Sie hatte Zacharias nicht durchschaut. Keineswegs. Denn zu ihr mochte er vielleicht freundlich, zuvorkommend, ja sogar charmant gewesen sein, doch jetzt sah sie eine ganz andere Seite von ihm. Und ihr wurde klar dass er, selbst wenn er zuerst nicht so auf sie gewirkt hatte. Doch das was sie jetzt sah, war nicht einfach nur ein junger Mann, der wusste was er wollte, nein. Hier neben ihr stand ein, zugegebenermaßen gutaussehender, Mann welcher wirklich und wahrhaftig dazu geboren war ein Herrscher zu sein. Jemand der wusste wie und mit welchen Mitteln er sich durchsetzen konnte um zu bekommen was er wollte und dessen Zorn man lieber nicht herausforderte. Vor dem es jedoch auch nicht klug war sich einfach niederzuwerfen.
 

„Ich würde mich gerne mit dir unterhalten. Hättest du kurz Zeit für mich?“, riss sie plötzlich Zacharias Stimme aus ihren Gedanken.

„Natürlich. Ihr müsst mich deswegen doch nicht fragen“, gab Latoya zurück.

Zacharias lachte. Es war ein schönes Lachen. So mitreißend, dass man beinahe verführt wurde miteinzustimmen. Außerdem ließ es ihn strahlen, als ob jemand in seinem Inneren eine Laterne angezündet hätte.

„Gut, dann würde ich mich freuen wenn du mich jetzt begleiten würdest“

„Geht das denn in Ordnung?“

„Ja, die meisten hier haben schließlich genug über das sie nachdenken können“, meinte Zacharias und grinste spitzbübisch.

Latoya erwiderte das Grinsen nach einigem Zögern. „Wenn Ihr meint...“, sie hakte sich bei ihm unter und gemeinsam verließen sie den Saal.
 

„Götter! Bin ich froh, dass ich das jetzt hinter mir habe!“, rief Zacharias erleichtert nachdem er mit Latoya in seinen Räumen angekommen war. Dann fügte er hinzu: „Jetzt brauche ich auch erst einmal was zu trinken. Du zwar etwas starkes!“

Er wandte sich an Latoya. „Entschuldige, ich habe dich natürlich nicht vergessen. Willst du auch irgendwas? Wir müssen schließlich feiern!“

„Feiern? Weswegen?“

Er zwinkerte ihr zu. „Zu deiner Ernennung in den Rat, zum Beispiel? Oder gerne auch einfach nur, dass wir diese Hölle heil überstanden haben. Obwohl der wahre Kampf wahrscheinlich jetzt gerade erst los geht...“

„Ich bin nicht sicher ob ich das alles verstehe...“

„Und wieder muss ich mich entschuldigen, weil ich dich einfach in alles mit hineingezogen habe“, er verzog scheinbar zerknirscht das Gesicht.

„Nun wenigstens kommen wir dann zu unserem Gespräch, nicht wahr?“

„Das ist allerdings wahr. Aber trotzdem, es war nicht gerecht von mir dich einfach so damit zu überraschen. Mein Bruder wird mir das vermutlich nicht verzeihen. Oder zumindest lange nicht“

„Aber wieso habt Ihr mich dann...?“

„Weil ich erstens einen Freund und zweitens eine neutrale Meinung unter meinen Beratern brauche“, Zacharias Miene verfinsterte sich.

„Das hört sich so an, als ob du deinen Beratern nicht vertrauen würdest“

„Oh nein, da liegst du falsch“, widersprach Zacharias „ich vertraue meinen Beratern durchaus. Aber auch nur darin, dass sie mir eigennützige Ratschläge erteilen“

„Was?“, mehr fiel Latoya erst einmal vor lauter Überraschung nicht ein.

Zacharias nickte. „Und aufgrund einiger weiterer Dinge von denen ich vor kurzem erfahren habe, konnte ich gar nicht anders als so zu handeln“

Latoya runzelte die Stirn. „Aber wieso ernennst du gerade mich? Wir kennen uns schließlich gerade erst einen Tag!“

„Und dennoch habe ich das Gefühl als würde ich dich schon eine Ewigkeit kennen. So als ob du die einzige Person bist, die mich wirklich versteht und...“

„Nein, nicht. Bitte“, unterbrach Latoya ihn. Erst als sie zu Ende gesprochen hatte, fiel ihr auf, dass ihre Stimme ungewöhnlich schrill war und leicht zitterte.
 

„Was ist los mit dir?“, besorgt sah Zacharias sie an. Eigentlich hatte er auf seine Eröffnung ihr gegenüber eine ganz andere Reaktion erwartet. Vielleicht nicht gerade, dass sie sich um seinen Hals warf, dafür war sie einfach nicht der Typ. Aber am allerwenigsten, dass sie mit einem Mal so erschrocken, ja geradezu verstört aussah. Einen Grund dafür konnte er jedenfalls dafür nicht finden.

„Was ist los?“, wiederholte er also seine Frage noch einmal.

Latoya zögerte kurz. Dann sagte sie: „Ich habe dir doch gestern schon gesagt, dass es besser ist wenn du dich von mir fern hältst, oder?“

Zacharias nickte. Das war es also. „Ja“, antwortete er.

„Und warum hörst du dann nicht auf mich?“

„Ich weiß nicht genau. Vielleicht, weil ich dich gerne um mich habe?“, überlegte er laut.

„Das wirst du noch bereuen, glaub mir und ich ebenso“, ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

„Hattest du etwa wieder eine Vision?“, Zacharias wusste nicht warum er das fragte doch es erschien ihm das logischste zu sein. Obwohl er immer noch kaum glauben konnte, dass eine junge Frau wie Latoya solch eine Gabe besaß.

„Du glaubst mir nicht, oder?“

„Nein, das ist es nicht“, widersprach Zacharias „ich bin mir nur noch nicht so ganz sicher was ich von all dem halten soll“
 

Latoya sah Zacharias an. Wenn er ihr eben im Thronsaal noch strahlend wie ein wahres Leuchtfeuer erschienen war, so sah er mit einem Mal unglaublich müde aus. Bestimmt ist es ihm nicht leicht gefallen das zu tun, was er eben gemacht hat, überlegte sie und legte eine Hand auf seinen Arm. Warum sie das tat konnte sie selbst nicht so genau sagen. Vielleicht um ihm zu zeigen, dass er nicht der Einzige war welcher gerade nicht wusste was jetzt zu tun war.

„Ich bin niemand der von sich behaupten kann, gute Ratschläge geben zu können“, begann Latoya schließlich „doch wenn du mich als Freund brauchst bin ich gerne für dich da“

„Was?“, fragte Zacharias ungläubig.

„Ich habe gesagt...“

„Danke!“, rief Zacharias, nahm ihre Hand von seinem Arm und umarmte Latoya stattdessen.

„Ähm...“, setzte diese an und hoffte dass er nicht bemerken würde wie verlegen sie war. Sie hatte Glück.

„Ich fürchte, ich muss mich noch einmal entschuldigen“, Zacharias verzog das Gesicht, doch seine Augen funkelten belustigt.

Latoya befreite sich aus seiner Umarmung. „Irgendwie scheint sich das häufen“, bemerkte sie knapp.

„Na das wollen wir doch nicht hoffen“, gab Zacharias belustigt zurück. „Allerdings bin ich wirklich froh und mehr als erleichtert, dass du mir zugestimmt hast. Bisher war mein Bruder die einzige Person im Rat der ich trauen konnte...“, er unterbrach sich.

„Und das ist jetzt nicht mehr so?“, hakte Latoya vorsichtig nach.

Zacharias schwieg einen Moment dann sagte er: „Doch natürlich. Ich würde Solras, ohne zu zögern, mein Leben anvertrauen. Das Problem ist jedoch dass er, als einer meiner Berater, meist nur den Blick auf das Königreich an sich wirft. Nicht aber auf die einzelnen Menschen“

„Es wird niemals möglich sein es jedem recht zu machen“, gab Latoya zu bedenken.

„Das weiß ich. Trotzdem kann ich es versuchen, oder? Ich möchte jedenfalls nicht, dass man später von mir sagt dass ich ein Herrscher war der nur darauf aus war mächtig zu sein. Jemand dem egal war, was andere von ihm denken“

„Ich glaube ich verstehe was du meinst“, Latoya nickte „und es ist ein wirklich nobles Ansinnen, denke ich“

„Danke. Auch wenn nobel wohl nicht gerade das Wort ist, welches ich dafür wählen würde“, Zacharias räusperte sich.

„Doch das ist es durchaus“, widersprach Latoya „du möchtest mich also auch dabei haben weil mein Blickwinkel ein anderer ist“

„Genau das habe ich gemeint. Und, wie gesagt, weil ich das Gefühl habe, dass ich dich schon ewig kenne und dir alles anvertrauen könnte“

„Danke. Ich fühle mich geehrt. Wirklich“, sagte Latoya zu Zacharias „also auf gute Zusammenarbeit“.

Neuigkeiten

Missmutig sah sich Damian um. Hier in der Hauptstadt war es genauso wie er es erwartet hatte - und hasste. Laut, stickig und überall verschiedene Gerüche, von denen er nicht wissen wollte wozu sie gehörten. Mal ganz abgesehen von den vielen Menschen überall, die wie ein aufgescheuchter Haufen Hühner durch die Gassen eilten. Überhaupt, so stellte Damian fest, schienen es die meisten hier ziemlich eilig zu haben. Deutlich eiliger jedenfalls als es in der, nicht viel kleineren, Hauptstadt von Otharas zu geht, überlegte Damian. Er runzelte die Stirn. Wie es schien würde er erst noch seinem Beruf nachgehen müssen um was Ordentliches zu essen und ein Bett zu bekommen. Denn wenn eines klar war, dann dass er hier nichts geschenkt bekommen würde. Das allerdings machte nichts. Denn in dieser riesigen Menschenmenge würde es ein leichtes für ihn sein, was das anging Abhilfe zu schaffen. Schließlich war das sozusagen seine Spezialität, eines der Dinge die er nach mehr als zehn Jahren perfektioniert hatte. Sich deswegen Sorgen zu machen war also definitiv nicht nötig. Warum hatte er eigentlich nicht früher schon daran gedacht? Es nicht in diesem Dorf getan? Er kannte die Antwort. Weil er erstens sofort verdächtigt worden und damit noch mehr aufgefallen wäre und zweitens bestahl er keine Leute die selber nicht besonders viel Geld hatten. Das gehörte zu seinen Prinzipien. Allerdings waren das auch schon die einzigen. Damian lächelte grimmig. Dann begab er sich zu dem nächsten Wirtshaus das er fand und trat ein. Erwartungsgemäß war dieses fast ebenso voll wie die Straßen und Gassen.
 

„...Und ich sage euch, sie ist die Geliebte des Königs“, vernahm Damian, als er sich gerade an einen Tisch setzen wollte, eine aufgebrachte Stimme. „Deshalb ist es ja auch so ein Skandal, dass er sie in den Rat einberufen hat!“

„Du redest dummes Zeug Ben, wie immer. Und du bist betrunken. Ich habe etwas ganz anderes gehört. Sie soll die Heiratskandidatin für ihn sein!“

„Ach ja? Und warum ist es dann solch ein Skandal Fred?“

„Weil sie eben die erste Frau ist die je in den Rat von Aranica einberufen wurde. War doch klar, dass damit nicht alle einverstanden sind. Mir persönlich ist das jedenfalls egal“

„Ihr seid beide Schwachköpfe! Ich habe gehört, dass sie wohl ein Mädchen aus dem Volk ist, dem unser König wegen ihrer Hexerei sofort verfallen ist“

„War ja klar, dass du noch mit so etwas anfängst Phil“, Fred seufzte genervt.

„Aber echt“, das war Ben.
 

Langsam aber sicher wurde Damian neugierig. Normalerweise gab er nicht besonders viel auf Klatsch und Tratsch, doch das hier schien ausnahmsweise mal interessant zu sein. Er erhob sich von dem ungemütlichen Stuhl auf den er sich kurz zuvor erst gesetzt hatte und ging dann zu den drei Streithähnen hinüber.
 

„Ich habe durch Zufall zugehört und würde gerne wissen worum es geht. Hier scheint ja in letzter Zeit ziemlich viel los zu sein, was?“, sprach Damian die drei, als er sie erreicht hatte, sofort an.

„Wer bist du denn?“, kam sofort die Frage von Ben.

„Jemand den euer Thema brennend interessiert“, gab Damian knapp, sowie nicht gerade besonders freundlich, zurück.

„Na von hier bist du jedenfalls nicht“, stellte Ben fest.

Damian biss sich auf die Lippen um nicht lachen zu müssen.
 

Vermutlich ist diesem Typ gar nicht aufgefallen, dass ich meinen Namen gar nicht genannt habe, überlegte er amüsiert.

„Also um zum Thema zurück zu kommen, wir haben über die junge Frau unseres Königs geredet...“, erklärte Ben.

„Halt die Klappe Ben! Du verdrehst schon wieder alles!“, fiel Fred ihm ins Wort. Dann sah er Damian an.

„Es ist so: Unser König hat seit vorgestern eine junge Lady zu Besuch und sie sogar in den Rat einberufen, nachdem er den vollkommen neu aufgestellt hat. Und keiner hat sie je zuvor gesehen. Wir diskutieren jetzt darüber wer sie ist“
 

Einen Moment lang wusste Damian nicht ob er die Augen verdrehen oder Lachen sollte. Denn das was er vorhin zwischen den drei Männern, die hier saßen, mitbekommen hatte war mit Sicherheit keine Diskussion gewesen. Und wenn doch, schien das Wort hier in Aranica wohl eine ganz andere Bedeutung zu haben.

„Und wer ist sie denn jetzt?“, erkundigte Damian sich.

„Das ist ja das worum es die ganze Zeit geht. Es weiß eben keiner. Naja bis auf den König eben“, sagte Fred in einem Ton der sich anhörte als müsse er einem kleinen Kind etwas erklären was eins plus eins ist.

Es kann nicht sein, dass sie es ist. Das ist unmöglich, dachte Damian und mit einem Mal schlug sein Herz schneller. „Und sie ist also die Geliebte des Königs, ja?“, erkundigte er sich bei den drei Männern.

„Ganz sicher!“, das war wieder Ben.

„Unmöglich. Oder eher unwahrscheinlich“, entgegnete Fred und Phil nickte zustimmend.

„Weshalb das denn?“, neugierig blickte Damian die beiden an.

„Zugegebenermaßen, ist unser König nicht gerade enthaltsam was Frauen angeht aber er ist auch nicht das was man einen unverbesserlichen Weiberheld nennen kann. Und vor allem würde er niemals eines dieser Mädchen in den Rat einberufen. Schließlich...“, Fred redete nicht weiter. Aber das brauchte er auch gar nicht. Damian verstand ihn auch so.

Schließlich ist er nicht wahnsinnig. Er wird es sich wohl gut überlegt haben was er tut und warum...

„Und was ist mit der Heiratskanditen-Theorie“, hakte Damian nach.

„Schon wahrscheinlicher. Allerdings hat bisher kein König von Aranica seine Gemahlin dazu verpflichtet im Rat dabei zu sein. Oder um ganz genau zu sein: Es wurde noch nie eine Frau in den Rat einberufen. Deshalb ist es ja auch so ein Skandal. Was allerdings gegen diese Theorie spricht ist, dass der Vater die Braut festlegt. Das ist immer ein junges Mädchen aus einem anderen Königshaus und wie so jemand sah sie nicht aus“

Sie kann es nicht sein. Unmöglich. Woher sollte sie auch den König von Aranica kennen. Es ist ja nicht so, dass man ihn einfach mal eben so auf der Straße kennen lernt, Damians Gedanken rasten nur so. Er brauchte etwas zu trinken. Etwas starkes am besten. Und zwar jetzt sofort. Denn war es tatsächlich so wie er befürchtete, stand das war er vorhatte mächtig auf der Kippe. Zumal er noch nicht einmal genau wusste warum sie sich damals so seltsam verhalten hatte. Und genau das war etwas was zu den Dingen zählte die er hasste. Er hasste es keine Kontrolle zu haben. Genau dies war aber jetzt der Fall.

„Hey du! Kann es sein vielleicht sein, dass du eine Ahnung hast wer sie ist?“, riss Fred Damian aus seinen Gedanken.

„Kann sein“, murmelte Damian missmutig und stand auf, nicht ohne Ben unbemerkt die Brieftasche zu entwenden. Ohne ein weiteres Wort der Erklärung ließ er die drei einfach zurück. Er hatte jetzt wichtigere Dinge zu erledigen als sich mit den drei zu unterhalten. Deutlich wichtigere Dinge.
 

Draußen angekommen zählte er erst einmal das Geld. Es war nicht viel, eine Unterkunft für diese Nacht und etwas Warmes zu essen am nächsten Morgen würde er jedoch damit problemlos bezahlen können. Morgen würde er sich dann außerdem noch um ein Pferd kümmern müssen. Seinen Hengst hatte er schließlich im Dorf gelassen und war stattdessen mit einem Pferd, welches er ausgeliehen hatte her gekommen. Daran, dass er sein eigenes Pferd auf die ein oder andere Weise wiedersehen würde zweifelte er nicht. Absolut nicht. Denn auch wenn der Schmied ein gutes Händchen mit Pferden bewiesen hatte, reiten würde seinen Hengst wohl kaum können. Das war eines der Dinge, die im Bereich des unmöglichen lagen. Jetzt jedoch hieß es erst einmal von hier zu verschwinden, denn wenn er noch länger hier stand könnte das womöglich noch böse für ihn enden und darauf hatte er nun wirklich keine Lust. Am besten wäre es wohl wenn ich diese Nacht in irgendeiner Spelunke am Hafen verbringe, da werden wenigstens keine Fragen gestellt, überlegte Damian grimmig.
 

Die Hauptstadt von Aranica galt zwar als eine der sichersten Städte, doch wie in jeder anderen Stadt auch, gab es selbst hier Freudenviertel und Gasthäuser in denen Menschen verkehrten, die erst bei Nacht aus ihren Verstecken heraus kamen. Sie wurden geduldet, so lange sie keinen größeren Schaden anrichteten, dies jedoch war auch alles. Was nicht hieß, dass der ganze Hafen solches Gelichter beherbergte. Das war keineswegs der Fall. Denn im Hafen von Aranica herrschte immer ein reges kommen und gehen. Tagtäglich liefen beinahe ein dutzend Schiffe ein oder aus. Oft waren es Handelsschiffe die von benachbarten Inseln oder manchmal sogar vom Kontinent kamen. Und deshalb war es auch genau dieser Vorteil gewesen, der Aranica in dem Krieg, vor achtzig Jahren, gegen Otharas zum Sieg verholfen hatte. Denn Otharas besaß zwar auch einen Hafen, doch dieser stand in keinem Verhältnis zu dem von Aranica, der beinahe einer Festung glich. Hier durfte kein Schiff einfahren, welches bei der Hafendirektion nicht bekannt oder nicht gemeldet war und das war eine der Regeln an die man sich strikt zu halten hatte. Und es zeigte Wirkung. Jeder wusste wann welches Schiff kommen und auszulaufen hatte. Die Finanzbücher der Hafendirektion wurden peinlichst genau geführt und jede Ladung wurde exakt genau verzeichnet. Das galt für das einladen der Schiffe sowie auch für das ausladen in die Kontore. Jedes halbe Jahr wurden die Bücher, inzwischen nur noch als Formalität, dem Rat vorgelegt. Oder um es ganz genau zu nehmen: Sie wurden dem königlichen Sekretär gebracht und dieser legte sie vor. Auch konnte jeder, der wollte, darum bitten die Bücher unter Aufsicht einzusehen. Und auch wenn es auf den ersten Blick aussah wie ein ungeordnetes und chaotisches Gedrängel, so hatte doch jeder seine ihm zugeteilte Aufgabe und man konnte den Hafen von Aranica daher durchaus als einen Ameisenberg bezeichnen. Es war viel los aber es ging geordnet und, zumindest meistens, sehr gesittet zu.
 

„He Süßer, na hast du Lust?“, sprach eine sehr leicht bekleidete Frau, mit einem weit ausgeschnittenem Dekolleté, Damian an. Der blieb stehen und ließ ohne jegliche Scham seinen Blick über sie gleiten. Hübsch war sie, so viel stand schon einmal ganz klar fest. Die feuerroten Haare hatte sie, mit Hilfe eines Lederbandes, zu einem Knoten gebunden. Wahrscheinlich damit sie nicht den Ausschnitt verdecken, überlegte Damian amüsiert. Ihr Gesicht war schmal, aber nicht abgemagert oder unansehnlich. Im Gegenteil. Sie hatte rote Wangen, auch wenn sie vermutlich mit Puder etwas nachgeholfen zu haben schien. Dies deutete wiederum darauf hin, dass das Geschäft gut lief. Der bunte Rock den sie trug, war so knapp, dass sie ihn eigentlich gleich auch hätte auslassen können. Damian Blick wanderte wieder zu ihrem Dekolleté, wo er hängen blieb. Verdient hätte ich es mir ja durchaus nach den ganzen Strapazen, überlegte er und konnte ein Grinsen nicht länger unterdrücken.

„Wieviel kostest du denn?“

„Zwanzig Silberstücke nachts, vierzig tagsüber“, kam es ohne jegliches Zögern zurück.

Damian pfiff durch die Zähne. „Nicht schlecht“, meinte er und fügte hinzu: „Ich glaube mein Frühstück fällt aus“.

Tobans Entschluss

„Du bist ein Idiot! Das ist dir doch wohl hoffentlich klar Toban?“, erkundigte Meril sich bei Toban. Der zuckte jedoch lediglich mit den Schultern. „Ändern lässt es sich sowieso nicht mehr. Also warum es noch behalten?“, fragte er und musste sich regelrecht dazu zwingen ruhig zu bleiben. Er wusste, dass Meril Recht hatte und trotzdem...

„Es geht einfach nicht mehr. Nicht nach dem was jetzt geschehen ist!“, konterte Toban.

„Gerade deswegen solltest du sie fragen. Und zwar jetzt!“, fuhr Meril seinen Freund scharf an. „Ansonsten kannst du sie nämlich wirklich vergessen“

„Du verstehst das nicht Meril!“, Toban war der Verzweiflung nahe. Doch wenn er eines nicht wollte, dann vor seinem besten Freund in Tränen ausbrechen.

„Oh doch das tue ich sehr wohl. Du traust dich nicht ihr deine Liebe zu gestehen weil ein anderer Mann dabei ist, dir einen Strich durch die Rechnung zu machen“

„Aber er ist der König!“, mit einem Mal klang Tobans Stimme, selbst in seinen Ohren, sehr schrill.

„Ja, der König. Genau. Und er wird dir wohl kaum den Kopf abreißen wenn du ihm alles erklärst“

„Natürlich“, Toban schnaubte spöttisch. „Du hast sie nicht gesehen Meril. Sie war fasziniert von ihm. Ich habe noch nie einen solchen Ausdruck in ihren Augen gesehen. Niemals“

„Es ist nun wirklich nicht schwer von unserem König fasziniert zu sein“, gab Meril zu bedenken.

„Du hast sie nicht gesehen. Sie war so anders... Ich weiß nicht wie ich es sonst beschreiben soll“

„Fasziniert eben“, kam es jetzt spöttisch von Meril.

„Willst du mich nicht verstehen und tust du es wirklich nicht?“, sichtlich wütend funkelte Toban ihn an.

„Beides?“, schlug Meril unbeeindruckt vor. Dann räusperte er sich vernehmlich. „Hör zu, falls es so rüberkommt als ob ich mich über deine Situation lustig machen will tut mir das leid. Das will ich wirklich nicht. Allerdings bin ich tatsächlich der Meinung, dass du wenigstens mit ihr reden solltest. Sonst kannst du nämlich wirklich gleich vergessen.“

„Diese Entscheidung überlass bitte mir selbst“

„Du bist ein verdammter Dickschädel Toban!“

„Und du eine Nervensäge Meril!“

„He ihr zwei Labertaschen! Reden könnt ihr in eurer freien Zeit, jetzt wird erstmal geschafft oder glaubt ihr, dass ihr etwa dass ihr besser als die anderen seid?“, rief mit einem Mal jemand zu ihnen herüber. Toban und Meril zuckten zusammen. Zum Glück war es jedoch nicht der General, der sie zurecht gewiesen hatte, sondern nur der Leutnant.
 

Die beiden Freunde wechselten einen schnellen Blick mit einander der so viel hieß wie „wir reden später weiter“ und machten sich dann ohne Einwände zurück an ihre Arbeit. Denn auf eine Strafarbeit hatte keiner von ihnen Lust. Besonders nicht auf so kreative, wie ihr Leutnant oder General sich immer welche ausdachten. Darauf konnten sie mit Freuden verzichten.

„Wir reden aber nachher weiter!“, zischte Meril Toban trotzdem noch zu.

„Das habe ich leider befürchtet“, sagte Toban missmutig.
 

Nach Ende ihres gemeinsamen Wachdienstes, der heute zum Glück nur bis Nachmittag andauerte, gingen die beiden Freunde gemeinsam in ein Wirtshaus. Es war eines der Wirtshäuser, welche fast nur von den Soldaten von Aranica besucht wurden da es in der Nähe der Kasernen lag. Trotzdem war es immer gut besucht. Auch wenn die meisten Soldaten jammerten, dass ihr Sold nicht hoch genug war. Davon bemerkte man allerdings kaum etwas, wenn man erst einmal in der Schankstube angekommen war. Das hatte auch einen guten Grund, denn der Wein der hier ausgeschenkt wurde war fast nicht verwässert wie in so manch anderem Gasthaus. Auch kannte der Wirt, woher auch immer, nicht nur jeden sondern auch stets die neuesten Klatschgeschichten und erzählte sie natürlich liebend gerne. Egal ob auf Aufforderung oder aus eigenem Antrieb. Eine war man, meist auch aus purer Höflichkeit damit man es sich nicht mit ihm verscherzte, mindestens gezwungen sich anzuhören. Gerne auch mit Ausschmückungen, so dass man nicht immer wusste was denn jetzt eigentlich tatsächlich passiert war oder nicht. Aber das interessierte die meisten Gäste auch gar nicht.
 

Meril stieß Toban seinen Ellenbogen in die Seite. „Sollen wir ihn mal um seine Meinung fragen?“, wollte er wissen und deutete mit einem Nicken hinüber zum Wirt.

Toban seufzte und verdrehte die Augen. „Bitte nicht. Oder hast du schon vergessen was beim letzten Mal passiert ist, Meril? Wir saßen hier zwei Stunden fest. Zwei Stunden! Und hätten deswegen beinahe die Wachablösung verpasst“, erinnerte er seinen Freund.

„Stimmt. Aber jetzt ist unser Dienst ja bereits um“

Toban murmelte etwas vor sich hin dass Meril weder richtig verstand, noch wirklich verstehen wollte. Manchmal ist es eben einfach besser still zu sein, beschloss er nachdenklich. Und Toban hatte es natürlich bei allem was geschehen war, nicht besonders leicht gehabt. Dennoch konnte Meril nicht begreifen warum Toban einfach so schnell aufgab. Schließlich neigte er eigentlich so gar nicht dazu. Doch jetzt...

„Geht es dir gut Meril?“

„Ja. Klar. Wieso fragst du?“

„Weil du mich nicht mit nervigen Fragen bombardierst oder mich dazu drängst mich mit Latoya zu unterhalten“, schlug Toban vor.

Meril grinste. „Da du es ja gerade erwähnst scheint es dir ja doch nichts auszumachen. Dann können wir ja weiter reden wo wir eben gezwungenermaßen aufgehört haben. Zuerst aber brauche ich ganz klar was zu trinken“

„Hätte ich dich doch bloß nicht wieder darauf angesprochen“

„Tja das ist dann wohl deine Schuld“, meinte Meril amüsiert und bestellte sich Toban dann zwei Bier.

„Das stimmt wohl leider“, Toban seufzte.

„Ich weiß du willst das eigentlich nicht hören aber was ist wenn Latoya mit dir reden möchte?“

„Wovon redest du?“, Tobans Augen verengten sich zu Schlitzen.

Meril zuckte jedoch lediglich mit den Schultern. „Ich meine ja nur...“

„Dann sag mir auch was du meinst!“, forderte Toban seinen Freund ungeduldig auf, was bei diesem Heiterkeit verursachte.

„Nun vielleicht sage ich es mal so: Sie will unseren König unterstützen würde aber dennoch gerne mit dir darüber reden, findet aber keine Gelegenheit dazu“, schlug Meril vor.

„Das meinst du doch wohl nicht etwa ernst?“, wollte Toban ungläubig wissen, obgleich er ahnte was die Antwort war.

„Todernst. Aber sicher sein kann ich mir natürlich auch nicht. Zumal ich sie ja noch nicht einmal kenne. Nach deinen bisherigen Erzählungen scheint deine Latoya eine äußerst nette und pflichtbewusste junge Frau zu sein“

„Oh ja das ist sie“, Toban grinste „manchmal sogar beides“

Meril erwiderte sein Grinsen. „Schön dass du wieder Witze reißen kannst. Dann hast du also einen Entschluss gefasst?“

„Ja“, stimmte Toban zu. „Bei der nächsten Gelegenheit werde ich es ihr sagen und geben“
 

Für einen Moment lang sah es so aus, als ob Meril etwas sagen wollte. Dann aber nahm er einen Schluck von dem Bier, welches man ihnen gebracht hatte.

„Wirklich gut“, befand er dann und fügte hinzu: „Du solltest deines auch mal trinken, denn was gibt es schlimmeres als warmes Bier?“

„Da hast du allerdings Recht!“, gab Toban zu und nahm ebenfalls einen großen Schluck. „Ja nicht schlecht. Und vor allen Dingen deutlich besser als die gesamte letzte Woche“, befand er dann.

Meril schüttelte sich. „Erinnere mich bloß nicht daran. Ich bin nämlich gerade dabei es zu verdrängen“, erklärte er. „Wirklich. So schlechtes Bier wie letzte Woche habe ich schon ewig nicht mehr getrunken“

Für einen Moment tauschten sie ein Verschwörer Grinsen und beinahe war es so wie in alten Zeiten. Wie in der Zeit als sie beide sich kennengelernt hatten und sie sich über ganz andere Themen unterhielten. Themen, die absolut nichts mit Latoya zu tun hatten. Wann hatte sich das eigentlich geändert? Eine dumme Frage. Es war genau dann gewesen als ich ihn um Hilfe gebeten habe, erinnerte Toban sich. Ab dann hatte sich alles geändert. Denn auch wenn Meril meist wusste wann es besser war, so neigte er nicht selten dazu dies zu ignorieren und ihm dennoch ganz unverblümt seine Meinung mitzuteilen. Das war einer der Charakterzüge von Meril die ihn schon des Öfteren in so manchen Ärger gebracht hatten. Toban dagegen war von ihnen beiden der Vernünftigere und meistens gelang es ihm sogar seinen Freund aus dem Ärger hinaus zu manövrieren oder aber, doch das war eher weniger der Fall, er wurde ungewollt zum Mitschuldigen. Dann hieß auch schon einmal gemeinsam Strafarbeiten verrichten. Und die Strafarbeiten die vom Leutnant oder sogar von ihrem General waren meist sehr kreativ. Genau dies war auch einer der Gründe, weshalb vor allen Dingen ihr General respektiert wurde. Denn die Strafarbeiten mochten zwar kreativ sein, doch ungerecht waren sie eigentlich nie und das wusste wirklich jeder der Männer zu schätzen. Hinzu kam, dass die Strafen die man mit Meril abzusetzen hatte einem eigentlich gar nicht wie Strafen vor kamen. Wie Freizeit allerdings auch nicht. Sondern die meistens mehr wie eine lästige Pflicht. Aber auch das war einer der Dinge die zu Merils Charakter gehörten. Er nahm alles wie es kam und wenn er dafür bestraft wurde was er getan hatte, hieß das noch lange nicht dass er das dann bereute. Im Gegenteil.

„Genau darin liegt dich die Würze, die einem das Vorhaben schmackhaft macht!“, hatte Meril vor nicht langer Zeit einmal zu ihm gesagt.

„Du setzt deinen eigenen Kopf nur durch um Strafen zu bekommen?“, war Tobans verwunderte Antwort gewesen.

„Trottel! Natürlich nicht! Es ist nur so, dass man dann den noch mehr den Reiz bekommt es zu versuchen“
 

Damals hatte Toban nicht richtig verstanden was Meril ihm damit sagen wollte, jetzt allerdings schon. Meril machte es nicht, wie Toban anfangs glaubte, um Strafen zu bekommen - was ja auch dämlich wäre. Im Gegenteil er machte es um keine zu bekommen. Denn wenn es Meril dann mal gelang seinen Kopf durchzusetzen, bei was auch immer, ohne erwischt zu werden dann hatte er die Aufmerksamkeit seiner Kameraden sicher. Und das war etwas was für Meril so wichtig war wie für einen anderen Menschen die Luft zum atmen.

„...Also was sagst du? Machst du es?“

„Was? Ja klar“, murmelte Toban. Dann zuckte er zusammen. „Warte. Einen Moment. Bei was habe ich gerade meine Zustimmung gegeben?“

Meril grinste breit. „Morgen ist Gerichtstag“, antwortete er vage „und wir haben keinen Dienst...“

„Sag nicht du redest davon, dass ich...“

„Ganz genau. Morgen ist der perfekte Tag. Denn es wird der neue Rat festgestellt. Und sie wird mit Sicherheit dabei sein. Wir werden es bestimmt irgendwie schaffen, sie nach dem Abschluss abzufangen“

Toban fluchte leise. „Also schön“, sagte er schließlich „aber wenn es schiefgeht übernimmst du drei Nachtwachen von mir“

„Klaro“, stimmte Meril ihm ohne zu zögern zu.

Der Gerichtstag

„Sehe ich dich heute Abend wieder?“, fragte die junge Frau, welche, wie Damian nun wusste, Isabelle hieß. Und so einiges anderes wusste er nun ebenfalls. Zum Beispiel, dass sich die zwanzig Silberstücke durchaus gelohnt hatten. Mehr als nur gelohnt, dachte Damian zufrieden, zog Isabelle an sich und küsste sie lange wogegen sie sich rein gar nicht wehren tat. Natürlich nicht. Schließlich macht es ihr genauso viel Spaß.

„Wir werden sehen. Wenn der Tag gut läuft komme ich mit Sicherheit vorbei“, antwortete er schließlich auf ihre Frage und ließ dabei seine Hand langsam unter ihren Rock gleiten.

„Dann hoffe ich mal, dass du heute gut verdienst“, Isabelle kicherte.

Damian verzog das Gesicht. „Glaub mir, es liegt nicht an dem Geld ob ein Tag gut läuft oder nicht. Außerdem wirst du mit Sicherheit wenn ich nicht da bin nicht gerade verarmen“

Sie lachte und schob nun doch, beinahe energisch, seine Hand zurück. „Das stimmt allerdings. Und jetzt scher dich davon. Du weißt ja: Am Tag koste ich vierzig Goldstücke und wenn das mit dir so weiter geht, werde ich sie wohl noch berechnen müssen“

„Ich habe es nicht vergessen“, sagte Damian, küsste sie aber trotzdem noch einmal.

„Und ich bin mir trotzdem sicher, dass ich dich hier nicht das letzte Mal bei mir gesehen habe“

„Oh ja das glaube ich auch“, meinte Damian und fügte hinzu: „Vielleicht sinkt dein Preis ja für Stammkunden?“

„Tja, wer weiß? Du wirst es feststellen wenn du öfter da warst“, sie grinste verwegen.

„Scheint so“, grummelte Damian.

Doch was Damian nach der Nacht mit Isabelle wusste war natürlich nicht nur, dass sich das Geld auszugeben gelohnt hatte und ihr Name sondern noch so einiges mehr. Und zwar folgendes: Isabelle war am Hafen sehr bekannt. Sie galt als das reichste Freudenmädchen der Stadt und das obwohl sie schon seit einigen Jahren, sechs wie sie ihm verraten hatte, selbstständig in diesem Milieu arbeitete. Auch war sie gleichzeitig die Besitzerin des Gasthauses, beschäftigte allerdings auch noch Mädchen und zwar nicht zum kellnern. In ihrem Haus wurde ein strenges Regiment geführt an die sich jeder zu halten hatte und sogar auf Diskretion und Hygiene wurde, was nicht überall selbstverständlich war, sehr großen Wert gelegt. Auch war der Preis bei den Mädchen die Isabelle beschäftigte deutlich niedriger, wie er erfuhr dennoch war ihm eines klar geworden. Wenn er wieder käme, und das würde er auf jeden Fall, dann musste es wieder Isabelle sein. Nur sie. Keine andere. Und so wie es aussah wollte sie es auch. Nein, zu fragen ob ich wieder zu ihr komme hätte sie mich wirklich nicht brauchen, überlegte er grimmig.
 

Nachdem Damian zwei Brieftaschen, die beide reichlich gefüllt waren, gestohlen hatte, was nicht besonders schwer war unter den vielen Menschen, ließ er sich von der Menge treiben. Als der ganze Pulk sich aufteilte stellte Damian fest, dass er sich auf dem großen Stadtplatz befand, auf dem normalerweise, wie in jeder Stadt, der Markt abgehalten wurde. Heute aber hatte man, statt der Marktstände, eine große Tribüne aus Holz aufgebaut. Über den Plätzen hing das Wappen von Aranica und das persönliche des Königs. Gerichtstag. Nun werde ich also sehen was hier los ist...

Damian kämpfte sich, so gut es ihm möglich war, bis nach vorne durch so, dass er auch gut sehen konnte was dort vor sich ging. Es waren außergewöhnlich viele Leute anwesend. Mehr als er es jemals auf den Gerichtstagen in Otharas erlebt hatte, doch das hing vermutlich auch mit der Neubesetzung des Rates zusammen. Dem Skandal, von dem jeder hier wusste und zu dem alle was anderes zu sagen hatten. Doch nun würde jeder erfahren was wirklich hier vor sich ging.

Sie kann es nicht sein, sie darf es nicht sein, Damian betete es beinahe wie ein Mantra vor sich hin bis ihn irgendwann die Fanfaren in die Gegenwart zurückbrachten. Die Fanfaren, die die Ankunft des Königs von Aranica und dem Rat ankündigten.
 

„Na aufgeregt?“, Zacharias sah Latoya lächelnd an. Diese brachte, sehr zu seinem Erstaunen, das Kunststück fertig zu nicken und fast gleichzeitig den Kopf zu schütteln. Schließlich zuckte sie mit den Schultern.

„Schon ein wenig, ja“, gab sie leise zu.

„Keine Sorge, es wird dir keiner den Kopf abreißen“, sagte Zacharias aufmunternd „und schlimmsten Fall dauert es auch nur eine Stunde“. Dass er sich da nicht ganz sicher war und es schon Gerichtstage gab, die deutlich länger gedauert hatten, verschwieg er ihr lieber.

„Also gut. Ich werde sowieso nicht besonders viel machen müssen, oder? Schließlich ist es überwiegend deine Aufgabe das alles was vorgebracht zu regeln“, meinte Latoya.

Zacharias nickte. „Das ist richtig“ er zwinkerte ihr zu „und jetzt komm. Wir wollen doch keinen warten lassen“.

Sie ist es tatsächlich. Damian starrte ungläubig zu der Tribüne auf die gerade der König und sein neubesetzter Rat betraten. Und damit auch Latoya. Damian fluchte leise. Wer ist dieses Mädchen? Oder sollte ich fragen was? Das was in letzter Zeit alles passierte lief definitiv zu sehr aus dem Ruder. Viel zu sehr. Wieso bei allen Göttern, sollte der König von Aranica ein unbedeutendes Mädchen aus einem ebenso unbedeutenden Dorf zu sich holen? Das ergab einfach keinen Sinn. Damian spürte wie langsam aber sicher wie er wütend wurde. Wie die Wut sich in seinem Körper ausbreite, so wie ein schleichendes Gift es tat. Mit einem Mal wusste er eines ganz genau: Wenn es hier kein Unglück geben sollte musste er hier weg. Sofort. Und er wusste auch schon wohin er gehen würde.
 

Als Isabelle ihren Gast von letzter Nacht wiedersah wusste sie sofort, dass etwas nicht stimmte. Noch verstärkt wurde dieses Gefühl als er ihr zwei Goldstücke in die Hand drückte.

„Für dich. Dafür wirst du mir zwei Tage und Nächte Gesellschaft leisten“, sagte er.

„Was ist passiert?“, normalerweise fragte sie so etwas niemals, das war eine unumstößliche Regel in ihrem Beruf, doch jetzt konnte sie es sich nicht verkneifen. Außerdem wollte sie wissen, mit was sie es zu tun hatte.

„Nimm. Das. Geld“, forderte er sie äußerst schlecht gelaunt auf.

Isabelle nickte und nahm, ohne etwas weiteres zu sagen, das Geld. Dann fasste sie ihn an der Hand und führte ihn in ihr persönliches Zimmer.
 

Dieses Mal ging alles viel schneller als in der letzten Nacht. Das Hemd, unter dem sie nichts trug, hatte Damian ihr bereits direkt nachdem er mit ihr das Zimmer betrat über den Kopf gezogen. Kurz darauf folgte ihr Rock und ihre Unterhose. Dann stand sie auch schon vollkommen nackt vor ihm. Zwischen mehreren gierigen Küssen zog auch er sich sein Hemd aus und machte sich dann an seiner Hose zu schaffen.

Nachdem Damian es endlich, nach viel zu langer Zeit wie er fand, schaffte sie auszuziehen schleuderte er sie achtlos zur Seite und zog Isabelle, nicht gerade sanft, zu dem großen Bett. Nachdem sie auf dem Bett lag, nahm Damian sich doch noch einen Moment Zeit zu betrachten. Allerdings nur kurz, denn dann zog sie ihn auch schon zu sich herunter und schlang ihre Beine um ihn.

„Jetzt komm schon“, forderte sie ihn ungeduldig auf.

Das ließ Damian sich nicht zweimal sagen und während er sie abermals gierig küsste und seine Hände über ihre Brüste gleiten ließ drang er in sie ein. Er tat es nicht sanft, ruhig oder geduldig. Nein. Sondern hart und schnell. Er konnte einfach nicht anders. Zu viel Wut steckte noch immer in ihm drin. Wut, zum Teil auf sich selbst weil er nicht wusste was das für ein Mädchen war, welches auf einmal im Rat von Aranica saß.

Als Damian hörte wie Isabelle zu stöhnen begann und sich ihm entgegen streckte lächelte er grimmig und beschleunigte seinen Rhythmus immer mehr. Erst jedoch als ein Aufschrei ihren Lippen entwich und sie beide auf dem Höhepunkt kamen, breitete sich wieder so etwas wie Zufriedenheit in ihm aus. Aus ihr zurückziehen tat er sich trotzdem nicht sofort. Sie schien das allerdings nicht besonders zu stören.
 

Zacharias verzog das Gesicht. Er war genervt. Es war jede Menge los, doch kaum einer hatte etwas vorzutragen. Geschweige denn etwas wichtiges. Alle sind nur gekommen um Latoya zu begaffen wie eine Attraktion im Zirkus, dachte er missmutig. Aber warum wundert mich das eigentlich? Sie ist eben etwas ganz besonderes! Zacharias sah zu Latoya, die neben ihm saß. Ihre Aufregung schien sich gelegt zu haben, denn als sie bemerkte, dass er sie ansah wandte sie sich zu ihm um und lächelte ihn ohne Scheu an. Zacharias erwiderte es ohne zu zögern und es war ihm dabei egal, was sein Bruder oder die anderen Ratsmitglieder, sowie die Leute aus der Stadt sagen würden. Sollen sie doch sehen, dass ich sie mag. Dann wissen sie auch gleich wohin sie gehört und rühren sie nicht an.

„Herr?“, wurde Zacharias plötzlich aus Gedanken gerissen.

„Ich fragte, ob es in Ordnung ist für heute Schluss zu machen. Es wird wohl nichts mehr vorgetragen werden“

„Natürlich“, Zacharias nickte der Wache zu. Dann fiel ihm jedoch jemand ins Auge. „Einen Augenblick noch“, hielt er die Wache zurück.

„Ja Herr. Was ist denn?“

„Der junge Mann dort drüben. Sein Name ist Toban, richtig?“

„Ja, mein König. Das ist Toban. Er gehört zu der oberen Hauptwache der Stadt“

Zacharias nickte. „Richtet ihm bitte aus, dass ich ihn erwarte nachdem das hier vorbei ist. Er soll im Palasthof auf mich warten“

„Natürlich“, die Wache salutierte vor Zacharias, was der schon gar nicht mehr richtig mitbekam, und ging dann zu Toban um den Befehl auszuführen.
 

„Am besten ist es wohl, wenn ich euch ganz direkt frage: Was für einen Scheiß habt ihr denn jetzt schon wieder angestellt?“, die Wache die zuvor mit Zacharias gesprochen hatte sah Meril und Toban deutlich verärgert an.

„Was soll das denn bitte heißen?“, erkundigte sich Toban verwundert.

„Das soll heißen, dass unser König dich bittet auf ihn im Palasthof zu warten“

„Was?“, es klang mehr wie ein Krächzen als eine Frage.

„Ich hab gesagt...“

„Das weiß ich selbst!“, fuhr Toban ihn ungewollt scharf an und sah zu Meril der ihn breit, um nicht zu sagen über das ganze Gesicht, angrinste.

„Na das trifft sich doch super“, meinte er.

„Sollte ich wissen von was ihr beide redet?“, meinte die Wache.

„Lieber nicht, Dorian. Zu deinem und unserem besten“, auch wenn Toban geglaubt hatte, dass dies unmöglich war so wurde Merils Grinsen doch noch eine Spur breiter.

Dorians Gesicht verfinsterte sich. „Euch beiden ist aber schon klar, dass ich Meldung machen muss?“

„Melde doch einfach was du weißt“, schlug Meril vor.

„Und das wäre?“

„Toban wird sich wie angeordnet jetzt mit König Zacharias treffen. Ich bleibe hier und bin weiterhin auf Posten. Ende der Geschichte“

„Ende der Geschichte? Na ihr habt vielleicht Nerven!“, Dorian seufzte „Aber gut vorerst ist es wahrscheinlich tatsächlich besser wenn wir das ganze so angehen“.

„Na bitte“, Meril lächelte ihn unschuldig an.
 

Als Toban im Palasthof eintraf, stellte er, sehr zu seinem Unbehagen, fest dass Zacharias, nein, König Zacharias von Aranica schon auf ihn wartete. Toban beschleunigte seine Schritte etwas, blieb dann vor ihm stehen und verneigte sich formvollendet.

„Ihr habt nach mir schicken lassen, mein König?“, fragte er.

„Ja das ist richtig. Ich wollte mich mit Euch unterhalten“, Zacharias. „Ihr dürft Euch übrigens wieder erheben“, ein kurzes Grinsen huschte über sein Gesicht.

„Danke“, war alles was Toban dazu sagte.

„Interessiert Ihr Euch denn gar nicht worüber ich mit Euch reden möchte?“, kam es ehrlich verblüfft von Zacharias.

„Ich möchte nicht anmaßend sein, mein König, doch ich denke ich weiß worum es Euch geht“

Zacharias quittierte das mit einem Stirnrunzeln. „So?“

Toban nickte. „Ihr wollt mit mir wegen Latoya reden“

„Und Ihr nicht? Davon abgesehen, ist es nicht das einzige worüber ich mit Euch sprechen wollte“

„Ich verstehe nicht...“

„Das glaube ich Euch sofort Toban“
 

Zacharias musterte Toban. Der junge Mann konnte nicht viel älter oder jünger als er selbst sein. Und dennoch waren sie komplett verschieden.

„Ich muss Euch wohl ziemlich überrumpelt haben, wie?“, sagte Zacharias schließlich.

„Nicht nur mich, mein König“, entgegnete Toban, der sich wohl nicht gerade wohl in seiner Haut zu fühlen schien.

Zacharias nickte. „Ja scheint so“, er räusperte sich.

„Als erstes möchte ich mich bei Euch entschuldigen. Ich bin mir sicher, dass ich Euer Leben ein wenig durcheinander gebracht habe. Schließlich seid Ihr und Latoya lange befreundet“, fuhr Zacharias dann fort.

„Kann man so sagen, Majestät“

„Ist das alles was Ihr dazu zu sagen habt?“, wollte Zacharias wissen.

„Da mir nicht ansteht über Eure Taten zu urteilen, bitte ich Euch inständig mir die Antwort zu erlassen“

„Aber was wäre wenn es anders wäre? Wenn ich Euch gestatten würde frei zu sprechen. Ihr mir einfach sagen dürftet was ihr denkt“
 

Toban sah Zacharias einen Moment lang einfach nur an. Mit einem Mal begann er zu verstehen, weshalb Latoya so fasziniert war. Dieser Mann, der hier vor ihm stand, musste kein königliches Gehabe an den Tag legen. Denn er war ein König und zwar mit jeder Faser. Das war unübersehbar. Und noch etwas bemerkte Toban. Das was er sagte meinte er ernst. Er bot Toban an zu sagen was er dachte und zwar ohne, dass er dafür irgendeinen Ärger bekommen würde. Ohne, dass er ihn verurteilen würde. Es war ein verlockendes Angebot...

„Ihr mögt Latoya sehr, habe ich nicht recht?“, riss Zacharias Toban mit einem Mal aus seinen Gedanken.

„Ja“, es war ein einziges Wort, das Toban irgendwie zwischen den Zähnen hervor presste.

Zacharias nickte als wäre das selbst selbstverständlich. Als hätte er nichts anderes erwartet. Einen Augenblick lang schien er weit in Gedanken fort zu sein. „Ich würde Euch gerne etwas frage, Toban. Wenn Ihr Euch entscheiden müsstet zwischen Aranica und Latoya, was würdet Ihr vorziehen?“

„Wie bitte?“, Toban starrte Zacharias ungläubig an. „Majestät, Ihr habt doch nicht etwa vor...?“

„Antwortet auf meine Frage!“

Toban schluckte. „Vermutlich sollte ich an dieser Stelle mit Aranica antworten, doch das kann ich nicht. Nicht mit reinem Gewissen, mein König. Denn in Wahrheit ist es Latoya für die mein Herz schlägt“

„Ja das habe ich mir schon gedacht“

„Und wie steht es um Euch? Für was würdet Ihr Euch entscheiden wenn Ihr wählen müsstet? Für Aranica oder Latoya?“, eigentlich wollte Toban wissen.

Zacharias lächelte abermals. Dieses Mal jedoch war es ein Lächeln, welches Toban melancholisch erschien. „In dieser Sache muss ich Euch bitten, dass Ihr mir die Antwort erlasst“, meinte er schließlich.

„Natürlich Majestät. Verzeiht mir. Ich wollte nicht unhöflich sein“, sagte Toban. Außerdem hat mir deine Antwort so auch schon gereicht. Du liebst sie. Das sieht ja sogar ein Blinder. Und du wirst sie mir wegnehmen. Da bin ich mir sicher.

„Es ist eben so, dass Latoya und zusammen aufgewachsen sind. Ich kenne sie schon ihr ganzes Leben lang und jetzt... Ich hätte niemals gedacht, dass das alles so passieren würde“, meinte er.

„Das verstehe ich“, sagte Zacharias und Toban kam es so vor, als würde es tatsächlich so sein.

„Ich wollte sie eigentlich gar nicht mitnehmen. Nicht schon jetzt. Aber mir hätte klar sein müssen, dass ich sie nicht davon abhalten würde können. Dazu ist sie ein zu großer Dickschädel“, ohne es zu wollen schmunzelte Toban.

„Warum nicht?“

„Weil...“, Toban stockte. „Ihr Vater kommt aus der Hauptstadt“, erklärte er.

„Ihr Vater? Wer ist er?“, es interessierte Zacharias wirklich.

Toban jedoch konnte nur mit den Schultern zucken. „Keine Ahnung. Ihre Mutter hat nie darüber geredet. Niemals. Außer mit meiner Mutter, die ihre Schwester ist müsst Ihr wissen, doch ansonsten weiß es keiner“

„Seltsam“

„Ja, in der Tat“, Toban nickte. Dann sah er Zacharias ganz direkt an. „Majestät, würdet Ihr mir erlauben frei zu sprechen?“

Zacharias runzelte die Stirn. „Selbstverständlich. Ich war bisher ausgegangen, dass Euch klar ist dass ihr das dürft. Ich hatte es doch eben extra erwähnt“

Abermals nickte Toban. Jetzt aber ernst. „Ich möchte dass Ihr eines wisst, Majestät. Ihr mögt zwar vielleicht der König von Aranica sein aber ich liebe Latoya. Ich hatte vor ihr, vor ein paar Tagen, an ihrer Volljährigkeitsfeier einen Antrag zu machen, doch wie es scheint ist das Schicksal nicht auf unserer sondern auf Eurer Seite. Und wer wäre ich, dass ich dem Glück von Latoya und dem meines Königs im Weg stehen würde? So selbstsüchtig bin ich dann auch wieder nicht“, es klang bitter, beinahe verzweifelt sogar. Das jedoch war Toban herzlich egal.

„Ich danke Euch für Eure Ehrlichkeit Toban. Und das meine ich wirklich ernst. Das könnt Ihr mir glauben. Allerdings kann ich Euch vielleicht etwas beruhigen, was Euren Antrag an Latoya angeht. Fragt sie ruhig, wenn Ihr wollt. Dagegen habe ich nichts einzuwenden, auch wenn Ihr das, wie mir scheint, bisher gedacht habt. Denn wenn man von dem jetzigen Zeitpunkt ausgeht werde ich Latoya nicht heiraten. Dafür steht zu viel für mich auf dem Spiel. Ich habe ja so auch schon ziemlich viel mit ihrer Einberufung in den Rat riskiert“, entgegnete Zacharias.
 

Toban hätte am liebsten geschrien vor lauter Wut und Verzweiflung. Fragt sie ruhig, wenn Ihr wollt. Dagegen habe ich nichts einzuwenden, auch wenn Ihr das, wie mir scheint, bisher gedacht habt. Denn wenn man von dem jetzigen Zeitpunkt ausgeht werde ich Latoya nicht heiraten, hallte das was Zacharias gesagt hatte tausendfach in seinem Kopf wider. Zu diesem jetzigen Zeitpunkt nicht, aber zu einem anderen? Ja, genau so ist es, Toban ballte wütend die Hände zu Fäusten und ihm war es egal, ob Zacharias es mit bekam oder nicht.

„Majestät?“

„Ja?“

„Darf ich mich entfernen?“

Zacharias zögerte einen Moment, dann aber sagte er: „In Ordnung. Aber haltet Euch bereit Toban. Es könnte sein, dass ich demnächst noch einmal nach Euch schicken lasse“

Toban nickte zu mir war gerade nicht in der Lage. Dann verneigte er sich noch einmal und ging raschen Schrittes zurück zu Meril, der vermutlich schon in den Kasernen auf ihn wartete.

Veränderungen I

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Veränderungen II

Stirnrunzelnd sah Damian seinen Gegenüber, oder besser die Gestalt die ihm gegenüber saß, an. „Ich halte nicht besonders viel davon bei meinem Spaß gestört zu werden. Außer es gibt einen guten Grund“, stellte er äußerst schlecht gelaunt klar und obwohl sein Gegenüber die Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte, konnte Damian ganz deutlich ein verwegenes Lächeln erkennen.

„Nun dieser gute Grund dürfte Euch doch wohl bekannt sein, oder?“

„Wäre er mir bekannt würde ich wohl kaum fragen“, Damian funkelte die Gestalt wütend an.

Die lachte auf. „Nun wenn Ihr es wünscht sofort zum Thema zu kommen, können wir das gerne tun. Dann schickt aber bitte eure Belustigung weg. Sie geht das schließlich nichts an!“

„Seine Belustigung?“, war nun Isabelle deutlich empört zu hören, die bis dahin schweigend, sowie obendrein unbekleidet, auf Damians Schoß gesessen hatte.
 

Damian seufzte genervt, verdrehte die Augen und drückte ihr einen schnellen Kuss auf die Lippen. „Wir machen nachher weiter an dieser Stelle“, versprach er ihr dann ungeduldig und schob sie dann von seinem Schoß herunter. Nachdem Isabelle den Raum verlassen hatte, blickte er die Gestalt an.

„Entweder Ihr seid außergewöhnlich mutig oder einfach nur strohdumm mich in einer solchen Situation zu stören“, überlegte Damian laut.

„Wir werden sehen. Darüber urteilt Ihr wohl am besten nachdem Ihr mich angehört habt“, schlug die Gestalt vor.

„Dann fangt besser mal endlich an“
 

„Lady Latoya? Darf ich reinkommen?“, erklang von der Tür her eine Stimme, die Latoya als die von Ada erkannte. Das junge Dienstmädchen hatte Latoya inzwischen, in den zwei Wochen die sie sie jetzt schon kannte, richtig ins Herz geschlossen. Denn sie war nicht nur freundlich und hilfsbereit bei allem was sie tat, sondern auch sehr diskret. Vor allen Dingen ihr war es zu verdanken, dass das Verhältnis, welches zwischen Latoya und Zacharias herrschte noch nicht im ganzen Palast bekannt war. Zacharias besuchte sie zwar nicht jede Nacht, doch trotzdem kam er nicht selten zu ihr. Und auch wenn sie sich mit Zacharias wenn er kam auch unterhielt über die verschiedensten Dinge, endete es doch immer auf dieselbe Art und Weise. Nämlich, dass sie in seinen Armen das, zumindest für sie vorstellbar, höchste Glück erfahren durfte. Auch diese letzte Nacht war es nicht anders gewesen. Und Zacharias war ein Liebhaber der sich wirklich sehen lassen konnte. Was nicht nur sein Aussehen an sich betraf. Widerwillig löste sie sich aus seinem Arm, den er, während er schlief, um sie gelegt hatte. Dann stand sie auf und zog sich das Nachtkleid über den Kopf.

„Ja komm ruhig rein“, rief Latoya laut genug, dass Ada sie hörte aber dennoch so, dass sie Zacharias nicht damit wecken tat.
 

„Es tut mir Leid, wenn ich Euch um diese Zeit störe aber es geht nicht anders“, erklärte Ada.

„Mach dir keine Sorgen. Ich war sowieso schon wach“, versuchte Latoya das Mädchen zu beruhigen, welches geradezu aufgelöst zu sein schein. „Ist etwas schlimmes passiert?“, hakte sie dann aber noch einmal nach.

Ada nickte. „Die gesamte Bibliothek steht Kopf. Es wurde eingebrochen. Ob etwas fehlt ist allerdings noch nicht bekannt“, berichtete sie und fügte hinzu: „Bitte, könnt Ihr das seiner Majestät erzählen?“
 

„Was soll Latoya mir erzählen?“, erkundigte sich Zacharias, ein Gähnen unterdrückend, welcher, nur mit einem Morgenmantel bekleidet, zu ihnen hinzu gestoßen war.

„Majestät!“, Ada versank hektisch in einem tiefen Knicks.

„Also?“

„Es wurde in die Bibliothek eingebrochen“, antwortete Latoya für Ada.

„Es wurde was?“, rief Zacharias. „Wie ist das möglich?“, mit seinen Augen, die sich zu Schlitzen verengt hatten, schien er Ada in Grund und Boden starren zu wollen.

„Eingebrochen in die Bibliothek. Euer Bruder ist schon vor Ort um sich den Schaden anzusehen“, sagte Ada ohne den Blick, den sie seit Zacharias dazu gestoßen war, fest auf den Boden gerichtet hatte, zu heben.
 

„Du kannst gehen“, sagte Latoya schließlich um Ada aus dieser misslichen Situation zu helfen. „Stimmt doch, oder?“, sie sah Zacharias auffordernd an.

„Natürlich“, presste Zacharias zwischen seinen Zähnen hindurch.

„Danke“, kam es fast tonlos von Ada und kurz darauf hatte sie auch schon das Zimmer verlassen.
 

Zacharias sah Latoya entschuldigend an. „Es tut mir Leid, mein Herz. Aber ich muss gehen. Es wird alles drunter und drüber gehen“, sagte er zu ihr und berührte sie sanft an ihrer Wange. „Dabei würde ich wirklich gerne noch bei dir bleiben“, Zacharias zog sie an sich und küsste sie. Dann sammelte er seine Sachen zusammen und verließ eiligen Schrittes Latoyas Räume.
 

„Wie konnte das passieren?“, fragte Zacharias kaum, dass er die Bibliothek, in der Solras schon auf ihn wartete, betreten hatte.

„Wenn wir das wüssten, Majestät...“

„Ist etwas gestohlen worden?“

Solras schüttelte den Kopf. „So wie es aussieht nicht. Es scheint eher so zu sein, dass etwas gesucht aber nicht gefunden wurde...“, er sah Zacharias bedeutungsvoll an.

„Du redest doch nicht etwa von...“, wollte dieser wissen, doch Solras unterbrach ihn.

„Nicht hier und jetzt!“, wies Solras seinen Bruder scharf zurecht.

„Ich weiß“, entgegnete Zacharias im selben Tonfall und fügte hinzu: „Ratsversammlung! In dreißig Minuten! Jeder hat zu kommen!“
 

„Du hast eine Ratsversammlung einberufen?“, erkundigte Latoya sich erstaunt, als er ihr wenig später davon erzählte.

„Ja, es ging nicht anders“, entgegnete ihr Zacharias.

„Und ich soll wie von Beginn an geplant dabei sein?“

„Deshalb bin ich hier, ja. Um dich zu dem Sitzungssaal zu begleiten“, bestätigte er.

Latoya nickte. „Dann lass uns gehen“
 

Damian sah die Gestalt fassungslos an. „Ist das wirklich sicher?“, erkundigte er sich und seine Stimme kam ihm seltsam fremd in seinen Ohren vor.

„Wäre es das nicht, dann würde ich Euch garantiert nicht aufsuchen. Schließlich ist auch meinem Meister Euer Ruf nur zu bekannt“, bekam Damian zur Antwort.

„Verdammt!“, voller Wut schlug Damian mit der Faust auf den Tisch. So sehr, dass einer der Becher umkippte und zu Boden fiel was Damian ein erneutes Fluchen entlockte. „Und der König von Aranica? Weiß er da etwa auch von?“

„Noch nicht. Aber vermutlich dauert das nicht mehr allzu lange. Deshalb will mein Meister ja auch, dass Ihr möglichst schnell handelt. Wenn Zacharias von Aranica von dieser Sache erfährt, müssen wir ihm schon mindestens zwei Schritte voraus sein. Das versteht Ihr doch sicher?“

„Natürlich. Was ist mit dem Mädchen? Wie hieß sie? Latoya? Weiß sie davon?“

„Selbstverständlich nicht. Sonst wüsste es ja auch der König von Aranica...“

„Was wollt Ihr damit andeuten?“

„Muss ich das wirklich sagen?“, die Gestalt seufzte. „Mein Meister hat durch verschiedene Quellen erfahren, dass seine Majestät sie fast jede Nacht besucht und sie erst spät morgens wieder verlässt. Was das heißt muss ich Euch hoffentlich nicht erklären...“, es klang ungeduldig.

„Wer hätte das gedacht?“, murmelte Damian spöttisch.

„Wovon redet Ihr?“

„Nichts. Also gut ich werde mich umhören wegen dieser Kette und auch was das andere angeht. Doch Bezahlung gibt es bei mir immer im Voraus“
 

Toban wollte seinen Augen kaum trauen als er sah, wer da ganz in der Nähe der Kasernen stand. Es war Damian. „Was hast du hier zu suchen?“, blaffte Toban ihn an.

Damian zuckte mit den Schultern. „Ich habe gedacht, ich schau mal kurz vorbei, da ich jetzt auch die Stadt erreicht habe“, meinte er lässig und vollkommen unbeeindruckt.

Toban zog eine Braue in die Höhe. „Und warum sollte mich das interessieren?“

„Weil ich etwas von deiner kleinen Freundin weiß, dass du bestimmt nicht einmal ahnst“, Damian grinste.

„Ich weiß, dass sie als Gast im Palast des Königs ist!“

„Oh, ich würde das ehrlich gesagt anders bezeichnen“

„Wovon redest du?“, Toban machte drohend einen Schritt auf Damian zu. Der lachte.

„Ich rede davon, dass deine Freundin vertraulichen Umgang zum König pflegt. Sehr vertraulichen Umgang und zwar fast jede Nacht“
 

Toban fühlte sich als ob er einen Schlag in den Magen bekommen hätte. Damian konnte nicht wirklich davon reden, dass Latoya... Das war unmöglich. Das konnte und durfte einfach nicht wahr sein.

„Das würde sie mir niemals antun“, entgegnete er mit zittriger Stimme.

„Ach ja? Wie gesagt die Informationen sind aus wirklich sehr sicheren Quellen“

„Und warum sagt du mir das alles?“

„Weil ich dich unterstützen möchte und nicht will, dass du dich in dein Unglück stürzt“, sagte Damian scheinbar ernst. „Sieh mal, schließlich gibt es schöne Frauen wie Sand am Meer und die meisten Frauen davon sind ersetzbar. So ist das nun einmal. Oder hast du etwa gedacht deine Latoya wird da eine Ausnahme sein? Doch nicht wirklich, oder?“, fügte er hinzu.

„Latoya...“, mehr brachte Toban erst einmal nicht heraus.

„Ja Latoya. Sie hat dich verraten mein Freund. Und zwar ohne darüber nachzudenken. Obwohl ihr mit Sicherheit klar ist, dass sie Zacharias niemals wird heiraten können bleibt sie bei ihm. Und wer weiß was da noch alles geschehen kann zwischen den beiden...“

„Sie hat mich verraten?“

„Ganz eindeutig. Oder glaubst etwa, dass es, so oft wie er sie besucht, ausbleibt, dass sie irgendwann ein Kind von ihm bekommt? Das wird mit Sicherheit geschehen früher oder später. Und dann wird sie ganz sicher nicht mehr zurück zu dir kommen. So viel steht schon einmal ohne Frage fest“
 

Toban konnte es kaum glauben. Latoya würde ein Kind bekommen. Ein Kind, von dem König von Aranica. Sie war fast jede Nacht mit Zacharias zusammen. Wie kann sie mir das nur antun? Zählt unsere Vergangenheit für sie denn gar nichts? Weiß sie denn gar nicht was ich fühle? Nein, natürlich wusste sie nicht was er fühlte. Schließlich hatte er es ihr nie gesagt. Doch hätte das wirklich etwas grundlegend geändert? Wäre dann das alles nicht passiert? Toban wusste es nicht. Und vermutlich würde er es auch nie erfahren. Mit einem Mal war er sich nur in einer Sache ganz sicher. Er musste hier weg. Die Stadt verlassen. „Was soll ich nur tun?“, flüsterte er ratlos und sah Damian an.
 

So wie Zacharias es sich insgeheim erhofft hatte, waren er und Latoya die ersten die den Sitzungssaal, in dem der Rat tagen würde, betraten. Zacharias warf Latoya einen Blick von der Seite aus zu. Sie wirkte verunsichert, was natürlich nur verständlich war. Ihr musste es so vorkommen, als ob er sie Tablett den Ratsmitgliedern präsentierte. Eben jene würden sich mit Sicherheit auch das Maul über ihre Anwesenheit nach Beendigung der Sitzung zerreißen. Davon war jedenfalls auszugehen. Zacharias fasste sie an der Hand und führte sie an einen der beiden Stühle die neben ihm standen.

„Es gibt keinen Grund sich wegen irgendetwas zu fürchten, mein Herz“, versprach er ihr, woraufhin Latoya, die sich gesetzt hatte, nickte.
 

Eine viertel Stunde später, als endlich auch alle anderen eingetroffen waren, herrschte betretenes Schweigen. Als es Zacharias irgendwann zu lange andauerte erhob er sich schließlich.

„Ich danke euch allen, dass ihr erschienen seid. Die meisten wissen worum es geht, wie ich annehme - nämlich um den Einbruch in der königlichen Bibliothek“, begann Zacharias. Dann wandte er sich an Solras: „Gibt es irgendwelche neue Erkenntnisse?“

Solras schüttelte bedauernd den Kopf. „Leider nicht, mein König. Ihr wisst ja selbst wie groß die Bibliothek ist. Allerdings sieht es wie ich Euch gegenüber schon heute morgen erwähnte mehr danach aus als ob man etwas gesucht hat. Ob dies jedoch auch gefunden wurde lässt sich noch nicht sagen. Aber wir arbeiten daran“

„Sehr gut“, Zacharias nickte zufrieden „egal was passiert, unterrichtet mich davon. Habe ich mich klar ausgedrückt?“

„Selbstverständlich“, bestätigte Solras ohne zu zögern.

„Gut. Des weiteren möchte ich wissen wer Wachdienst hatte. Ist das schon bekannt?“

„Die zwei Männer die Wache hatten sind gerade dabei vernommen zu werden“, meldete sich jetzt der General der Hauptwache zu Wort, welcher ebenfalls seit kurzem ein Teil des Rates war.

„Berichtet mir wenn das Verhör abgeschlossen wurde sofort von dem Ergebnis“, befahl Zacharias.

„Natürlich, Majestät“, der General nickte.
 

„Majestät, dürfte ich mich kurz zu Wort melden?“, erkundigte sich Oric plötzlich, sehr zu Zacharias Überraschung.

„Sprecht“, forderte dieser ihn auf.

Oric nickte. „Danke, mein König“, er lächelte. „Was ich noch anzumerken habe wegen der Bibliothek ist, dass wir unsere Aufmerksamkeit nicht nur allein auf die richten sollten. Schließlich hat schon Euer Urgroßvater dort mächtige Artefakte von unschätzbarem Wert aufbewahrt. Genauso wie jeder andere Eurer Vorgänger. Auch wenn diese Artefakte wohl so gut wie nie benutzt wurden“

„Artefakte? Wovon genau redet Ihr?“

„Artefakte sind Gegenstände mit besonderen Eigenschaften, die man sich zu Nutze machen kann wenn man über das Wissen verfügt wie man sie anwenden kann“, erklärte Oric. „Nur sehr wenige verfügen über dieses Wissen, selbst ich kenne mich in diesem Bereich nicht besonders gut aus. Was ich jedoch weiß ist, dass man viel Unheil damit anrichten kann wenn man sie falsch einsetzt. Genau dies ist auch mit ein Grund weshalb sie nie von jemandem Eurer Vorfahren benutzt wurde. Die Gefahr, dass etwas schief gehen kann dabei ist einfach zu groß“

„Das ist doch Unsinn. Alle Objekte, die sich in der Bibliothek dienen sind allein für Forschung und Wissenschaft dort. Magie hat damit nichts zu tun. Hinzu kommt, dass diese kaum noch von jemandem beherrscht wird. Abgesehen von Euch Oric“, warf Solras ein.

„Magie ist nichts anderes als Forschung und Wissenschaft. Auch wenn Ihr das wohl kaum glauben mögt“, konterte Oric gereizt.
 

Latoya beobachtete die zwei Männer. Sie verstand nicht ganz worum es ging, doch trotzdem mischte sie sich jetzt ein, bevor das Ganze in einen ausgewachsenen Streit ausarten konnte.

„Ich will nicht vermessen sein, aber dürfte ich vielleicht einen Vorschlag machen?“, fragte sie.

Solras musterte sie abschätzig. „Sprecht Lady Latoya“, es klang nicht besonders freundlich, aber auch nicht richtig unfreundlich.

„Eine Sache würde mich interessieren. Gibt es von diesen sogenannten Artefakten eine Auflistung? Was ist das mächtigste und was kann es bewirken? Vielleicht würde es so leichter fallen festzustellen ob und was fehlt“, schlug Latoya vor.
 

Zacharias war sprachlos. Anders ließ es sich nicht sagen. Er war sprachlos über den Vorschlag von Latoya. Eigentlich hatte er sie von Anfang an als Stütze, als Freundin im Rat haben wollen, da ihr Blickwinkel ein ganz anderer war und er wusste, dass er ihr vertrauen konnte. Doch das sie sich wirklich ernsthaft einbrachte hatte er nicht erwartet. Doch gleichzeitig erfüllte es ihn auch mit Stolz. Und auch ein wenig Schadenfreude. Schadenfreude, weil es bisher keinem anderen eingefallen war, an diese Möglichkeit zu denken.
 

„Das mächtigste Artefakte, welches wir besitzen ist fraglos das Medaillon der Götter. Es heißt Artefakt der Götter, da die Macht die man durch es gewinnt, wenn man es denn richtig einzusetzen weiß, unglaublich groß sein soll. Was für eine Macht es allerdings genau ist, vermag ich leider nicht zu sagen“, antwortete Oric.

„Interessant“, sagte Zacharias und meinte es wirklich so.

„Fragt sich nur was ein einfacher Einbrecher damit anstellen will. Jemand der dieses nicht kennt wird wohl kaum wissen wie es aussieht, geschweige denn wie man es benutzt und so jemanden gibt es in Aranica wohl kaum“, wandte Solras ein.

„Das ist allerdings richtig“, stimmte Oric zu.

„Was nicht heißt, dass gar keinen gibt der über dieses Wissen verfügt“, mischte sich nun der General der Hauptwache ein. „Ich will selbstverständlich keinen beschuldigen aber dennoch anmerken, dass es in Otharas einen sehr fähigen Zweig von Wissenschaftlern, Forschern und auch Magier sowie Alchimisten gibt. Deutlich mehr als in Aranica. Hier bei uns gibt es, verzeiht Magister Oric, kaum fähige Leute in dieser Berufsgruppe. Stattdessen liegt der Schwerpunkt bei mehr auf dem Militär“, erklärte der General.

„Das ist richtig“, Oric ihm wenig begeistert zu „zu uns kommen eher die Menschen, die eine Karriere in militärischen Kreisen anstreben. Diejenigen die in den wissenschaftlichen Zweig wollen geht fast alle, bis auf sehr wenige Ausnahmen, nach Otharas“

Zacharias sah ihn nachdenklich an. „Und was ist der Grund dafür?“ wollte er dann wissen.

„Meine Kollegen und ich arbeiten eher konservativ. Das heißt, dass wir an den alten Lehren festhalten und unsere Versuche und Forschung darauf aufbauen. In Otharas dagegen wird frei gearbeitet...“, erklärte Oric. Und ohne Sinn und Verstand, sagte er zwar nicht, doch trotzdem hing es geradezu greifbar in der Luft.

„Aber ist es nicht viel besser wenn man frei und ohne Vorgaben forschen kann?“, erkundigte Latoya sich vorsichtig.

„Darum geht es hier doch gar nicht!“, brauste Oric auf. „Wenn Otharas sich tatsächlich an diesem Einbruch beteiligt und das Medaillon entwendet hat, wäre das Verrat. Und zwar nicht nur Vertrag sondern ein Zuwiderhandeln des Friedenvertrages den Otharas mit Aranica geschlossen hat!“

„Genau aus diesem Grund werden wir auch nicht kopflos oder überstürzt handeln. Sondern erst wenn wir sicher sagen können wie es dazu kommen konnte“, Zacharias sprach ruhig aber eindringlich. „Jeder der dem zuwider handelt hat mit einer Strafe zu rechnen“, stellte er klar. Dann stand er auf wandte sich an Solras und den General. „Solras, versucht so viel wie möglich über dieses Medaillon herauszufinden und teilt mir die Ergebnisse schnellstmöglich mit. General, ich berichtet mir auf jeden Fall heute was aus dem Verhör der diensthabenden Wachposten heraus gekommen ist“, befahl Zacharias „und nun dürft ihr alle euch entfernen“.
 

„So beginnt es nun also“, flüsterte Damian und betrachtete das Kleinod, welches auf seiner Handfläche lag. So klein und unschuldig und dennoch so mächtig...

„Händigt Ihr es mir bitte aus? Mein Meister wartet schon ungeduldig darauf“, sagte die Gestalt, die Damian schon am Morgen aufgesucht hatte.

„Was hat er denn jetzt vor? Jetzt nachdem er Zacharias von Aranica verraten hat?“

„Das hat Euch nichts anzugehen!“

Damian schloss die Faust um den Gegenstand. „Oh doch, das hat mich etwas anzugehen. Schließlich habe ich dieses Schmuckstück für Euch besorgt. Und Euch einen unliebsamen Schnüffler vom Hals geschafft“, gab er zu bedenken.

„Wofür Ihr ja auch bezahlt wurdet!“

„Es gab eine Vorauszahlung, das ist richtig. Doch glaubt Ihr tatsächlich für so einen geringen Betrag würde ich Euch das hier überlassen?“

„Wie viel wollt Ihr denn noch?“, die Gestalt sah Damian missbilligend an.

„Zweihundert Goldstücke“

„Was?“, Damian sah die Gestalt unter Kapuze erbleichen.

„Zweihundert Goldstücke“, wiederholte er lässig.

„Hundert“, entgegnete die Gestalt mit krächzender Stimme.

„Hundertfünfzig“, Damian lächelte gespielt freundlich „manches hat eben seinen Preis. Und wenn Euer Meister das hier so dringend haben will dann wird er doch sicher auch dafür zahlen“

„Ihr seid ein Halsabschneider!“

„Allerdings“, Damian lachte. „Da habt Ihr wirklich Recht. Das bin ich tatsächlich“.
 

„Mein König, darf ich reinkommen? Es gibt Neuigkeiten!“, nur eine halbe Stunde nachdem Zacharias sich in seine Gemächer begeben hatte, war schon wieder jemand an der Tür zu hören.

„Natürlich, tretet ein“, rief Zacharias wenig begeistert.

„Danke“, war es ein zweites Mal zu hören und kurz darauf stand der General der Hauptwache vor Zacharias. Der General verneigte sich und sank dann auf ein Knie. „Majestät, es gibt dringliche Neuigkeiten zu besprechen!“, teilte er Zacharias mit.

„Sprecht“, bat dieser und bedeutete ihm, dass er aufstehen durfte.

„Die Verhöre der zwei Wachen wurden soeben beendet. Beobachtet wurde nichts außergewöhnliches, allerdings ist tatsächlich jenes Medaillon der Götter gestohlen worden, wie gerade festgestellt wurde“, berichtete der General der Hauptwache.

„Verdammt!“, Zacharias fluchte. Er räusperte sich. „Ihr geht also davon aus, dass tatsächlich Otharas dahinter steckt?“

Der General der Hauptwache nickte finster. „Das oder jemand will uns in einen Krieg mit Otharas treiben“, antwortete er.

„Ich verstehe nicht wieso Otharas so etwas tun sollte“, gab Zacharias zu und fast gleichzeitig fiel ihm der Wortlaut des Briefes von Enba ein: Der König von Otharas, Mariv, möge er nie mehr Glanz und Ruhm ernten als Ihr, lässt verbreiten, dass er durch Quellen erfahren hat, dass Ihr nicht Eures Vaters wahrer Sohn seid sondern Eurem verehrten Bruder Solras der Thron von Aranica zu steht.

„Ich verstehe es auch nicht, mein König. Tatsache ist jedoch, dass Otharas damals das Friedensabkommen auch nur sehr widerwillig akzeptiert hat“, gab der General zu bedenken „und das geplante Band, die Hochzeit von Euch mit der Prinzessin von Otharas, wurde ebenfalls seit mindestens einem Jahr nicht mehr zur Sprache gebracht“

„Ich verstehe was Ihr mir sagen wollt. Ich gestatte es Euch also unsere Armee kampfbereit zu machen“, Zacharias seufzte.

„Danke, mein König“, der General verbeugte sich noch einmal, dann verließ er den Raum.
 

„Ich finde es nicht gut, dass du persönlich gehst. Das ist viel zu gefährlich. Außerdem werde ich dich vermissen“, sagte sie und Zacharias zog sie an sich und küsste sie. „Ich werde dich auch vermissen, mein Herz“, versicherte er ihr. „Aber es geht nun einmal nicht anders. Schließlich bin ich für dieses Land, dieses Königreich verantwortlich“, erinnerte er sie. „Das weiß ich aber das kannst du doch von hier aus genauso gut sein“, eine einzelne Träne bahnte sich den Weg über ihre Wange. „Weine nicht, mein Herz. Ich werde wiederkommen und wenn wir dann wieder zusammen sind bringt mich so schnell nichts mehr fort von dir“, er lächelte. Ein fröhliches Lächeln war es jedoch nicht. „Versprich mir bitte, dass du wiederkommen wirst“, bat sie ihn. „Ich schwöre es dir. Und ich werde versuchen dir zu schreiben“, entgegnete er. Sie nickte. „Ich würde mich sehr darüber freuen“, sie lächelte ebenfalls, doch auch ihr Lächeln wollte nicht so recht funktionieren. Zacharias küsste sie noch einmal. Dieses Mal länger und viel leidenschaftlicher als zuvor. Seine Hände vergrub er in ihren Haaren und ließ sie von dort ihren Nacken hinunter wandern, während sie sich an ihn kuschelte und den Kuss erwiderte. „Götter! Wie ich dich vermissen werde, ahnst du ja nicht“, keuchte Zacharias als er den Kuss beendet hatte und ließ langsam seine Hand unter ihren Rock wandern. „Nur einmal noch, mein Herz“, flüsterte er ihr zu.
 

Latoya erschrak. Was war passiert? War sie eingeschlafen? Und was war das für eine Vision gewesen? Wieso wollte Zacharias in den Krieg ziehen? Bei der Zusammenkunft des Rates hatte es nicht so ausgesehen, als ob er es darauf anlegen würde. Im Gegenteil. Schließlich hatte er sogar darauf hingewiesen, dass er nichts überstürzen wollte, überlegte Latoya nachdenklich. Was also war passiert? Natürlich mussten ihre Visionen sich nicht zwangsläufig erfüllen, dennoch waren sie meist ziemlich nah an dem dran was tatsächlich geschehen würde. Doch Zacharias würde doch sicher nicht nur wegen dem Medaillon der Götter einen Krieg mit Otharas anfangen? Zugegeben, sie kannte Zacharias erst seit zwei Wochen, was wirklich nicht lange war, doch dass er so etwas tat, ohne ersichtlichen und guten Grund, konnte sie sich ganz und gar nicht vorstellen. Und noch weniger, dass er persönlich mit ins Feld ziehen würde. Sie bezweifelte zwar nicht, dass Zacharias kämpfen konnte, das nicht nein. Vermutlich hatte er sogar eine ziemlich gute Ausbildung durchlaufen, aber bisher war er ihr einfach mehr als jemand erschienen, der sich erst nach allen Seiten absicherte bevor er etwas tat. Der redete bevor er zuschlug. Dass sie sich geirrt hatte, konnte sie sich nur sehr schwer vorstellen. Oder sollte ich mich tatsächlich in ihm getäuscht haben? Latoya biss sich auf die Lippe. Doch dann lächelte sie. „Immerhin habe ich nicht gesehen, dass er stirbt“.
 

„Hat er es dir gegeben?“, Oric sah seinen Gehilfen an. Der nickte. „Natürlich Meister. Allerdings hat er mir dafür hundertfünfzig weitere Goldstücke abgeknöpft“, knurrte er, woraufhin Oric schallend lachte.

„Meister? Was ist mit Euch?“

„Nichts Dareb. Es ist nur so, dass dieses Artefakt locker zweitausend Goldstücke wert wäre. Wenn nicht sogar noch mehr“

„Zweitausend Goldstücke?“, Dareb riss die Augen weit auf.

„In der Tat. Man sieht ihm diesen hohen Wert gar nicht an, nicht wahr?“

Dareb nickte. „Es sieht aus wie eine ganz normale Kette mit azurblauem Anhänger“

„Medaillon“, verbesserte Oric gedankenverloren und fügte hinzu: „Dieses Medaillon stammt von einer uralten mystischen Insel namens Avashtar. Dort lebten vor sehr langer Zeit Priester und Priesterinnen, die, zumindest laut Legende, die sechs Gaben der Götter bewachen. Eine dieser Gaben ist dieses Medaillon“

„Das verstehe ich nicht. Was ist damit gemeint? Was sind diese Gaben der Götter?“, wollte Dareb irritiert wissen.

Oric seufzte. „Ich erkläre es dir“, meinte er schließlich. „Wie du weißt gibt es sechs Hauptgötter“, begann Oric „jeweils einen für Friede, Glück, Harmonie, Liebe, Hoffnung und einen letzten für Kampfgeist“

Dareb nickte abermals. „Die Höchsten sechs“

„Genau. Die Höchsten sechs. Laut altem Glauben auch noch verschiedene Elementargeister aber das tut hier nichts zur Sache. Jedenfalls gibt es eine Legende in der es heißt einer jungen Priesterin namens Leia machten die Götter, weil sie so von ihrem sanften und wunderschönen Wesen gerührt waren, Geschenke. In jedes Geschenk, das sie der Priesterin schenkten, legten sie einen Teil ihrer göttlichen Macht. Befreit man alle Gaben gleichzeitig, so heißt es, geht die gesamte Kraft die versiegelt war auf einen über. Das Medaillon ist sozusagen der Schlüssel zu diesen Gaben“

„Unglaublich!“, staunte Dareb. „Aber Meister wie kommt man zu dieser Insel?“

„Das mein lieber Junge ist ein Problem, welches es noch zu lösen gilt. Denn wie dir bestimmt aufgefallen sein dürfte, gibt es auf keiner Landkarte eine Insel die so einen Namen trägt“

Dareb nickte. „Ist mir aufgefallen. Und was machen wir jetzt, Meister?“

„Als erstes werde ich das Medaillon an einen sicheren Platz bringen und du wirst dich um die Bücher kümmern, die bei dem letzten Versuch Schaden genommen haben“, ordnete Oric streng an.
 

„Und du willst wirklich gehen?“, erkundigte Meril sich wohl zum tausendsten Mal bei seinem besten Freund.

„Ja. Ich wüsste nichts was mich hier noch halten sollte. Da hat Damian schon recht. Jetzt da Latoya mich verraten hat...“

„Bei allen Göttern, Teufeln und Dämonen! Toban! Hörst du dich eigentlich reden? Jetzt da Latoya dich verraten hat? Spinnst du? Du hast ihr noch nicht einmal gesagt was du fühlst! Und jetzt beschwerst du dich, dass sie mit unserem König zusammen ist... Langsam fange ich wirklich an zu glauben, dass sie damit das bessere Los gezogen hat!“, rief Meril. Dann fügte er noch hinzu: „Außerdem würde ich diesen Damian nur zu gerne mal kennen lernen. Der scheint ja wohl einen ganz ordentlichen Schaden zu haben, wenn er glaubt sich über dieses Thema eine Meinung bilden zu können!“

„Wieso tust du doch auch“, kam es knapp von Toban.

„Ich bin ja auch dein bester Freund. Es ist quasi eine meiner Hauptaufgaben dir den Kopf zurecht zu rücken“, stellte Meril klar.

„Na schönen Dank auch“

„Ja, bedanken könntest du dich wirklich“, stimmte Meril zu.

„Irgendwie witzig wenn man bedenkt, dass ich wegen dir schon viel öfter in Schwierigkeiten geraten bin“

„Dafür heulst du mir die Ohren voll wegen deinem Mädchen“, konterte Meril ohne mit der Wimper zu zucken.

„Ist sie eben nicht“, knurrte Toban zwischen zusammengebissenen Zähnen.

„Weil du nicht mit ihr redest“, sagte Meril noch einmal „und weil du statt um sie zu kämpfen einfach den Schwanz einziehst“

„Wie bitte?“

„Du hast mich schon verstanden. Außerdem selbst wenn du jetzt abhaust, wohin auch immer, dann wirst du sie ja doch nie vergessen. Zumindest wenn du sie tatsächlich so aufrichtig liebst wie du immer sagst“, meinte Meril.

„Was soll das heißen?“

„Das soll heißen, dass du am besten jetzt sofort deinen Hintern zu Latoya bewegst und ihr alles sagst!“, forderte Meril Toban auf „Aber wenn du weglaufen willst kann ich dich natürlich nicht abhalten. Du musst wissen was das Beste für dich ist. Auf mich hörst du schließlich nicht“



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