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All You Deliver

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Ein Blick.

 

Ein einzelner Blick

 

Beladen mit so viel Vergangenheit, die all die Jahre nicht gesehen werden wollte.

Ein vertrauter und zugleich längst fremd gewordener Blick.

Unverfänglich, rein, unbeschrieben und doch verdorben durch alles, was geschehen war.

Bloß ein einzelner Blick.

 

Ein Blick, der das Kartenhaus aus Verdrängung und Gleichgültigkeit mit federleichter Eleganz zum Einsturz brachte.

 

 

Eigentlich wollte er bloß verfrüht ein Weihnachtsgeschenk für Satsuki auf diesem dämlichen Rummel holen, weil er wusste, dass sie auf so einen Kram stand. Aber von all den Menschen, die Aomine Daiki hätten an diesem Tag begegnen können, zwischen all den unnötig überladenen Ständen und begeisterten Teenagern, zwischen all den bodenlos verliebten Pärchen, zwischen all den Turbulenzen der anrückenden Menschenmassen musste es ausgerechnet Kise Ryōta sein.

 

In einem Meer aus fröhlichen Gesichtern jemand Unverwechselbares.

Ein Lächeln von früher. Ein selbstbewusstes Strahlen. Der goldenen Schimmer des blonden Haares.

 

Von all den Leuten, die Aomine Daiki seit Ewigkeiten nicht gesehen hatte, musste es ausgerechnet  einer sein, den er am wenigsten treffen wollte. Einer, den er am wenigsten leiden konnte.

Der nervigste, der dümmlichste, der fröhlichste.

 

 

Ein Blick.

 

 

Kise Ryōta nahm ihn nicht sofort wahr. – Eine Chance sich einfach auf dem Absatz umzudrehen, es gar nicht erst zu einem Treffen kommen zu lassen, nie da gewesen zu sein.

Er zögerte nur einige Sekunden. Dann war es zu spät. Zu nah stand Daiki bereits dran.

Selber Stand voller Edelsteine, die nach Sternzeichen sortiert waren.

Knappe anderthalb Meter entfernt.

Unübersehbar.

 

Kise Ryōta hob leicht verwirrt den Kopf, strich sich eine hartnäckige Strähne hinters Ohr, sah zu ihm.

Und dann war es vorbei.

Kein Rückzug mehr möglich.

Als hätte irgendwo in Daikis Brust eine Falle zugeschnappt.

Seine Lunge verweigerte ihm den Dienst. Seine Kehle – trocken und rau.

Als wäre die Zeit stehengeblieben verschwamm die Umgebung in einem einzigen, bewegungslosen bunten Moment.

Bilder, Stimmen, Gerüche – alles unwichtig.

 

Wenn ein Blick mehr als tausend Worte sagen konnte, dann wäre das wohl der richtige Moment dafür. Doch er war so nichtssagend, so frei von jeglicher Absicht und jeglichem Sinn, dass nur noch Worte diesen Moment füllen konnten.

 

„Aomine?“, fragte Kise. „Aomine Daiki? – Aominecchi?!“

 

Daiki öffnete den Mund, wollte irgendetwas sagen, aber jemand unterbrach ihn.

 

„Papa, wer ist das?“

 

Sein Blick riss sich von den hellbraunen Augen Kises los, glitt zur Quelle der zarten Stimme.

Ein kleines Mädchen klammerte sich an Kises Hosenbein. Ein kleines Kind, dem Kise gerade noch die bunten Edelsteine gezeigt hatte. Es schaute mit denselben hellbraunen Augen zu Daiki empor.

Dasselbe blonde Haar, das unter einer flauschigen, weißen Mütze in zwei geflochtenen Zöpfen hervorlugte. Dieselbe Schönheit der feinen Gesichtszüge.

 

„Wow, was für ein Zufall, Aominecchi!“ Erst nach der Äußerung seiner Überraschung richteten sich Kises Worte an das Mädchen. „Das ist ein alter Schulkamerad von mir, Natsu-chan, wir waren zusammen auf derselben Mittelschule und haben uns bestimmt schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen!“ Er sah wieder auf und penetrierte Daiki mit einem derart neugierigen und strahlenden Blick, dass es schwer werden würde, sich davon loszureißen. „Was machst du hier?“

 

Stille breitete sich aus, als hätte Kise Ryōta sein Gegenüber gar nicht angesprochen. Was sollte Daiki dazu auch sagen? Wohl kaum, dass er keine Zeit für einen Plausch hatte, weil er zu beschäftigt war. Das würde sich viel zu sehr nach einer gekünstelten Ausrede anhören. Und diese Blöße wollte sich Daiki definitiv nicht geben. Nicht bei Kise und seiner – er sah fast ungläubig wieder zu dem kleinen Mädchen runter – Tochter.

„Ist es dein Ernst?“, fragte er stattdessen, unbewusst darüber wie dumm das klingen mochte. „Du hast ein Kind?“

„Was ist das denn für eine Frage, Aominecchi? Wir sind doch keine 16 mehr“, bekam er nur zur Antwort.

Er konnte sich der unleugbaren Ähnlichkeit zum Trotz nicht vorstellen, dass Kise Ryōta eine Tochter hatte. Der quirlige, kindische Kise von damals, der nie wusste, wann man den Mund halten sollte. Wie konnte so einer ein Kind haben?

Daiki sah weiterhin unbeirrt skeptisch hinunter zu dem Geschöpf. Das kleine Häufchen Mensch, das seinem Vater knapp bis zur Mitte des Oberschenkels reichte, schaute mit unverblümter Reinheit zu ihm zurück. Es war, als würden die hellbraunen Augen geradewegs Daikis Seele infiltrieren, ohne dass er dem entgegenwirken konnte. Ihm wurde ganz mulmig zumute und er hätte nie gedacht, dass Kises Stimme einmal irgendwie rettend sein würde.

„Na los, lass uns doch ein Eis essen gehen“, schlug Kise vor, sodass seine Tochter ihren Blick von Daiki abwandte um plötzlich wie ein kleiner Stern ihren Vater anzustrahlen. „So zur Feier unseres Wiedersehens, meine ich. Na?“ Dieser beugte sich ein wenig runter, strich dem Mädchen liebevoll über den Kopf und nahm es anschließend bei der winzigen Hand.

 

 

Daiki wusste nicht, warum er überhaupt mit den beiden mitgegangen war und auch nicht, warum Kise Ryōta darauf bestanden hatte. Letzterer hatte zielstrebig ein offenes Eiscafé ausfindig gemacht und nun saßen sie um einen kleinen, runden Tisch, nur um sich in aller Seelenruhe anzuschweigen, während sie auf das Eis warteten. Zumindest wartete Kises Tochter auf ein Eis. Ihr Vater hatte sich einen Latte Macchiato bestellt und Daiki rührte in seinem Espresso mit dem Löffel herum, in der Hoffnung, dass das Treffen aufgrund des unangenehmen Schweigens bald vorbei ging. Allerdings schien es nur für Daiki unangenehm zu sein, denn die Kleine beschäftigte sich eifrig mit dem Bekritzeln eines Notizblocks, den Kise ihr für diesen Zweck gereicht hatte, während er selbst gelassen hin und wieder zu ihr rüber sah. Entgegen jeder Erwartung hatte er nicht die Absicht Daiki vollzuquasseln, wie er es früher immer getan hätte.

Das Kind schien ebenfalls die Ruhe in Person zu sein, anstatt hibbelig auf dem Stuhl herumzurutschen und irgendeinen Bullshit zu erzählen, den Kinder so von sich gaben, wenn der Tag lang war. Es kam der Situation zugute, weil Daiki sich deswegen nicht bemühen musste, das Ganze zu ignorieren. Er mochte Kinder nicht sonderlich, wusste nicht, wie er mit ihnen umgehen sollte. Darüber hinaus wollte er es auch gar nicht wissen, genauso wie er diverse Sachen aus Kises Leben nicht wissen wollte. Es war also außerordentlich entspannend (wenn auch sehr überraschend), dass Kises Balg keine besondere Aufmerksamkeit verlangte. Trotzdem schwebte eine seltsame Anspannung in der Luft, als müsste etwas gesagt werden, und je länger Kise in der Ruhe der Dreisamkeit aufging, desto unruhiger rührte Daiki in seinem Getränk. In der Tat rührte er mehr, als dass er es trank.

Eigentlich mochte er Kaffee nicht einmal. Er war niemals seine erste Wahl und auch weit davon entfernt, sein Lieblingsgetränk zu sein, aber er hatte ihn sich eher einfachheitshalber bestellt, um sich nicht rechtfertigen zu müssen, warum er sich stattdessen so ein Kindergesöff wie Kakao bestellte. So was konnte er sich auch zu Hause anrühren, wenn er überhaupt noch was da hatte.

Es war vielleicht kindisch, aber aus unerfindlichen Gründen hatte Daiki das Bedürfnis, keine Grundlage für Fragen zu liefern. Und schon gar nicht bei Kise, welcher schließlich doch noch die Stille zwischen ihnen durchbrach.

„Man hört nicht viel von dir“, sagte er feststellend und nippte am Schaum seines Getränks. Das Geräusch, das dabei entstand, störte Daiki in etwa so sehr, wie jemanden ein unsittliches Schmatzen beim Essen stören würde. Er verzog leicht das Gesicht und wandte den Blick zu seinem bitteren Gebräu abwärts.

„Es gibt halt nicht viel zu hören“, erwiderte er knapp.

Ein leises Lachen war die Antwort darauf.

„Du klingst ein bisschen so, als wärst du tot, Aominecchi. Aber das bist du ja nicht, also gehe ich davon aus, dass irgendetwas in deinem Leben abgeht.“

 

Tot.

 

Ein Stichwort, das verstörenderweise durchaus zutraf.

 

„Was machst du momentan? Hast du eine Freundin? Wie geht es dir? Ist doch irgendwie klar, dass ich so was wissen will, wenn man sich jahrelang nicht gesehen hat.“

Daiki nahm augenblicklich zurück, was ihm einige Minuten vorher noch durch den Kopf gegangen war. Die Intention ihn zuzulabern hatte Kise einfach nur bis zu diesem Moment aufgeschoben.

Bist DU vielleicht eine ekelhafte Nervensäge. Das war alles, was Daiki sich gerade dachte.

„Du hast dich echt kein Stück verändert, Kise.“ Er seufzte mit genervtem Unterton, nahm einen Schluck von seinem Kaffee, um ein wenig Zeit zu schinden und räusperte sich leise, weil die Bitterkeit seinen Geschmacksnerven zusetzte.

„Mir geht’s gut. Nein, ich habe keine Freundin. Und ich mache nichts, was für dich spannend zu erfahren wäre“, fuhr Daiki aufzählend fort. Er leierte die Antworten beinah runter, als hätte ihn ein Lehrer in der Schule aufgefordert, das Alphabet aufzusagen. Als Kises Tochter den Kopf hob und neugierig zu ihm sah, versuchte er krampfhaft nicht hinzusehen, als würde er sich schämen vor jemandem, der so rein und unschuldig war, genervt zu sein. Aber er war es nun mal. Allein schon weil Kise ihm nur zulächelte und keine Fragen mehr stellte. Diese Unverbindlichkeit übte noch viel mehr unangenehmen Druck auf ihn aus.

 

Daiki trank die letzten Schlucke seines Kaffees auf ex, zog den Reißverschluss seiner Jacke zu, die er nicht einmal ausgezogen hatte und nickte dann zum halbherzigen Abschied.

„Okay, ich mach mich dann los. Muss Satsukis Geschenk kaufen und dann noch Zeug erledigen“, sagte er. Dass er in leichter Eile war, hier wegzukommen, war nicht zu überhören. „Danke für den Kaffe. Bis dann.“

„Auf Wiedersehen“, gab das Kind höflich von sich und winkte ihm zu.

„Ja, wir sehen uns“, stimmte Kise mit ein. Auf seinem Gesicht tänzelte ein seltsam wissender Ausdruck, als stünde es nicht zur Debatte, dass sie sich bald wieder begegnen würden.

 

Sicher nicht, antwortete Daiki in Gedanken.

 

 

Tot.

 

Innerlich war er es wirklich schon lange.

 

On The Verge Of Success


 

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Und nun eine Exklusivreportage über unsere fast vergessenen Freunde aus Schulzeiten.
 

Was haben wir damals mit ihnen mitgefiebert? Kein einziges Basketballspiel wurde ausgelassen!

Wir haben sie verehrt und respektiert, angehimmelt und beneidet!

Bei jeder Interhigh zerkauten wir unsere Fingernägel vor Spannung und Ehrfurcht, und jubelten immer wieder aufs Neue bei ihren unverwechselbaren Siegen.
 

Die sogenannte „Generation der Wunder“!
 

Na, erinnern Sie sich?

An die sechs tapferen Jungs aus der Teikō Junior High? – der Nummer Eins unter den Elite-Mittelschulen?

Wie könnte man sie auch vergessen?

Ein einziges Team, das uns so in den Bann zu ziehen vermochte, wie kein anderes.

Sie waren nicht nur stark – sie waren herausragend!

Jeder auf seinem Spezialgebiet.

Eine perfekte Aufteilung der Positionen, ausgereifte Handhabung des Balls, bahnbrechende Punktestände weit über 100. Und das schon in der Mittelschule!

Seitdem gab es kein Team, das Ähnliches vollbracht hatte!
 

Gern helfe ich Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge, denn mit der Mittelschule ging ihr Ruhm nicht zu Ende.

Aufgeteilt auf verschiedene Oberschulen, setzte sich der Kampf fort.

Sie waren nicht länger Verbündete, sondern Rivalen, sodass all ihre Spiele kriegerischen Schlachten glichen, bei denen wir noch gespannter auf die Ergebnisse waren, als zur glorreichen Teikō-Zeit.

Ein weiterer, talentierter junger Mann kämpfte sich in die Ränge der „Generation der Wunder“ und somit wurden es sieben.
 

Sieben Schüler, sieben Talente, sieben Wunder im Kampf um den Titel „Stärkste Mannschaft der Highschool-Zeit“!
 

Und nun in der heutigen Retrospektive, wollen wir nach über zehn Jahren nicht länger verheimlichen, was aus diesen mutigen Jungs geworden ist!
 

Schalten Sie nicht ab, denn nach der Werbeunterbrechung geht’s weiter!
 

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Die Musik wurde lauter, die Bilder bunter.

Selbst bei einer live übertragenen Sendung immer dasselbe Prinzip.

Lustige Werbespots, sinnlose Sprüche, Gesichter mit irgendeinem Wiedererkennungswert.

Nichts davon war von großer Bedeutung.

Nur der Pathos von süßen Häschen, die sich nach dem Nippen an einer Cola-Flasche in sonderbare Muskelprotze verwandelten, schreienden Babys, die mit der neuartigen Stillflasche zur sofortigen Ruhe gebracht wurden, und einigen Trailern zu neuerscheinenden Free-TV-Prämieren sickerte schleimig aus der Oberfläche des uralten Röhrenfernsehers.
 

Aomine Daiki nutzte die Zeit, um seinem vor Ewigkeiten das letzte Mal gereinigten Klo einen Besuch abzustatten.

Die Fotos, mit denen der Anfang der live-Reportage vollgestopft worden war, flackerten vor seinem geistigen Auge, als er mit einer Hand lethargisch seine Hose öffnete, während er mit der anderen über seinen markanten Nacken fuhr.
 

Bilder aus einer längst vergessenen Zeit, als er noch jung und gedankenlos war.
 


 

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Im Jahr 2000 ereignete sich an der berühmten Teikō-Junior-High ein Wunder.

Fünf meisterhafte Basketballspieler fanden ihren Weg in ein Team, das drei Jahre in Folge den Topplatz bei allen Meisterschaften belagerte, ohne eine einzige Niederlage!

Mit dem mysteriösen sechsten Mitglied brüstete sich der Teikō-Basketballklub an der Spitze des Erfolgs so lange, bis sich nach dem Übergang in die Oberstufe die Wege der Sechs wieder trennen mussten.

Viele Fans waren verzweifelt, doch selbst dann hörte das zauberhafte Schauspiel nicht auf, denn die unbezwingbaren Talente spielten von nun an in separaten Teams gegeneinander. Das sorgte nicht minder für höchste Spannung.
 

Nach vielen Jahren der Ungewissheit lüften wir nun für Sie das Geheimnis der „Generation der Wunder“!
 

Der Kopf der Teikō-Mannschaft, Akashi Seijūrō.

Ein Captain, wie er im Buche steht.

Berühmt durch sein sogenanntes „Emperors Eye“, das jeden Gegner zu durchschauen vermochte, und durch seine Position als „Point Guard“ hatte Akashi Seijūrō alle Asse im Ärmel.

Mit Bedacht hielt er den Hebel der Matches fest in seinem Griff und verlor nie die Übersicht über sein Team.

[…]

Als Sohn eines großen Unternehmers, hatte sich Akashi Seijūrō schon im jungen Alter sehr hohe Ziele gesetzt. Er gab einem potentiellen Scheitern niemals eine Chance.

Auch Jahre Später stand dies außer Frage.

Akashi Seijūrō überflog die Oberstufe in nur zwei Jahrgängen, um anschließend an der renommierten Universität für Rechtswissenschaften in Tokyo zu studieren.

Durch sein exzellentes Engagement war ihm ein schneller Erfolg gesichert.

[…]

Jetzt findet man ihn als Kopf der aufstrebenden Anwaltskanzlei „Akashi-Corporation“. Und da das Scheitern in Akashi Seijūrōs Leben seit jeher ein Fremdwort ist, hatte es sich bislang noch kein einziges Mal zugetragen, das er einen Fall verlor.

[…]

An seiner Seite glänzt die engagierte Kauffrau Hawajima Akito – Akashis treue Verlobte.
 

Ein weiteres Mitglied der „Generation der Wunder“ ist der „Shooting Guard“ Midorima Shintarō. Jahrelanger Freund Akashi Seijūrōs und bekannt durch seine äußerst treffsicheren Dreipunkte-Würfe in seiner Schulzeit.

Die Treffsicherheit verlor auch hinter der Mittellinie nicht an Intensität und durch den hohen Winkel des Wurfes, war das Verhindern des Korbes beinah unmöglich.

Schon damals waren Midorima Shintarōs Ehrgeiz und seine berühmte linke Hand verehrt worden. Selbstzweifel war nie seine Stärke, dafür seine Zielstrebigkeit umso mehr! Der Hang zu Esoterik brachte ihm stets Glück.

[…]

Als Facharzt für Herzchirurgie rettet Midorima Shintarō heute vielen Menschen das Leben. Nach wie vor hilft ihm dabei seine präzise linke Hand, mit der er Wunder zu vollführen scheint.

[…]
 

Mit seiner enormen Körpergröße war der auffällige „Center“ des Teikō-Basketballclubs, Murasakibara Atsushi, stets ein Hindernis für jeden Gegner auf dem Spielfeld. Allein seine Präsenz reichte oftmals aus, um die gegnerische Mannschaft einzuschüchtern. Und obwohl er nie sehr involviert zu wirken schien, wirkte es sich keinesfalls auf seine spieltechnischen Leistungen aus.

[…]

Das unstillbare Verlangen nach Knabbereien, das uns damals oft ein Schmunzeln auf die Lippen trieb, brachte ihn letzten Endes zu seinem Traumberuf aus Kindertagen, den er heute mit vollstem Engagement ausübt.

Die Konditorei „Sweet Dreams“ findet man als Besuchsempfehlung in jedem Stadtführer. Mit viel Liebe zum Detail verziert Murasakibara Atsushi jede noch so aufwendige Hochzeitstorte, deren Geschmack unvergesslich bleiben wird. Versprochen!

Wie er uns selbst beichtete, entsprang der Name seiner Konditorei keineswegs seinem eigenen Kopf.

„In solchen Dingen bin ich nicht gut, weil sie mich kaum interessieren“, erzählte uns Murasakibara im Vertrauen. Für den heute sehr geschätzten Namen war ihm die Idee von einer guten Freundin zugeworfen worden.

[…]
 

Kuroko Tetsuya – der mysteriöse sechste Mann des Teikō-Basketballclubs – war stets unauffällig und zurückhaltend. Sein Talent äußerte sich in einzigartigen Pässen, die sich nach den anderen Spielern perfekt ausrichteten.

Die Tatsache, dass er oftmals in Sportmagazinen aus Gründen seiner Unauffälligkeit vergessen wurde zu erwähnen – wie er unseren Reportern erzählte – machte ihm nie etwas aus. Stattdessen konzentrierte er sich hartnäckig auf die Ausarbeitung seiner Techniken und strebte nie Berühmtheit an.

Diesmal haben wir ihn selbstverständlich nicht außer Acht gelassen, denn seine Künste waren für das Team und auch darauffolgend in dem Basketballclub der Privatschule Seirin unentbehrlich.

[…]

Er ist als Bibliothekar ein bedeutender Gründer des Literaturvereins „Daitan na Hatsugen“ und fand sein Liebesglück mit der wunderschönen Managerin des Teikō-Basketballclubs – Momoi Satsuki, die vor vier Jahren stolz den Nachnamen „Kuroko“ angenommen hat. Außerdem ist bereits Nachwuchs unterwegs!

Trotz des reichlich gewölbten Bauches, ist Kuroko Satsuki als Verlegerin des berühmten Sportmagazins „Sections Of Actions“ tätig. Ihr Ehemann unterstützt sie tatkräftig.

[…]

Kuroko Tetsuya pflegt außerdem eine treue Freundschaft zu seinem ehemaligen Mitschüler Kagami Taiga.
 

Um diesen handelt es sich nach der Werbepause!

Bleiben Sie dran!
 

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Daiki blieb diesmal auf seiner Couch sitzen und legte den Kopf in den Nacken.

All die Videos, mit denen der Bericht gespickt war, weckten unwillkürlich Erinnerungen.

Schöne und auch unschöne, fröhliche und traurige. All diesen Fetzen, die durch seinen Kopf flogen, schenkte er keine Begeisterung. Auch kein Nostalgiegefühl keimte in ihm auf.

Nur eine Leere breitete sich irgendwo in seinem Brustkorb aus.

Er konnte sich diese Leere nicht erklären, konnte sie nicht greifen, aber er beabsichtigte es auch nicht.

Was vergangen war, war vergangen und nichts davon würde jemals zurückkehren.
 

Der Leere folgte ein unangenehmes Gefühl der Frustration.

Irgendwann hatte auch er die Möglichkeit gehabt, sich zu etwas zu entwickeln, aus sich jemanden zu machen, auf den er stolz sein könnte. Doch das war längst passé.

Die Zeiten hatten sich geändert und in seinem Alter waren die Träume über Erfolg nicht mehr realistisch.
 

Wer war er schon?
 

Die Gegenwart war weder gut noch schlecht. Nichts, was durch Erfolg glänzte, aber auch nichts Verwerfliches.

Immerhin war er nicht in irgendwelche zwielichtigen Machenschaften abgerutscht, als er die Möglichkeit dazu gehabt hatte. Doch jetzt, mit 33 war auch nicht mehr an irgendeinen großartigen Fortschritt zu denken.
 

Es war schlicht und ergreifend zu spät.
 


 

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Kagami Taiga war nicht von vornherein Mitglied der „Generation der Wunder“. Diesen Titel ergatterte er erst in der Highschool, die er gemeinsam mit Kuroko Tetsuya besuchte.

Nach einem langen Aufenthalt in Amerika, kam er erst mit 16 Jahren zurück nach Japan und brachte damit auch die Basketballkenntnisse zu uns, die er sich auslands angeeignet hatte.

Wenn Sie denken, dass dies umsonst war – schließlich hören die meisten mit dem Sport nach der Schule auf, oder widmen sich wichtigeren Sachen – dann liegen Sie falsch!

Kagami Taiga hatte sein Ziel nie aus den Augen verloren, denn bereits mit Neun hatte er sich fest vorgenommen ein professioneller Basketballer zu werden.

[…]

Wir finden ihn aufgrund seiner unerschütterlichen Bemühungen und seines harten Trainings inzwischen in der Profiliga, in der Nationalmannschaft!

[…]
 

Das einzige Mysterium bleibt allerdings Aomine Daiki.

Mit seiner Position als „Power Forward“ brachte er unzählige Fans immer wieder zum Staunen. Auf dem Spielfeld konnte ihm niemand das Wasser reichen. Jeder Wurf – so unvorhersehbar, wie die Launen einer Frau und gleichzeitig so unaufhaltsam, wie das Wetter!

Schon im jungen Alter pflegte Aomine Daiki auf den Straßen Tokyos Streetball zu spielen. Seine Erfahrungen sind seit jeher tief verankert und haben den Matches immer das gewisse Etwas verliehen.

Mit enormer Leichtigkeit und der beinah unglaubwürdigen Schnelligkeit bewegte er sich über das Spielfeld. Doch er war nicht nur geschickt und flexibel in Sachen Angriff und Verteidigung – nein – er besaß auch die Gabe sich in den Zustand der höchsten Konzentration zu begeben, wann auch immer ihm danach war. Befand er sich erst einmal in diesem Zustand – genannt „Zone“ – war es keinem Gegenspieler möglich, an ihn heranzukommen – ein unglaubliches Talent mit unerschöpflichen Möglichkeiten!

[…]

Unsere Reporter haben recherchiert, tief gegraben und dennoch nicht herausfinden können, was Aomine Daiki momentan macht!

Können Sie sich das vorstellen?

– Ich auch nicht!

Nun, nicht alle Rätsel können so einfach gelöst werden, aber ich verspreche Ihnen, dass wir nicht aufgeben werden, solange dieses Geheimnis ungelüftet ist!

Sobald Näheres bekannt ist, werden wir ganz gewiss eine Zugabe liefern und sie darüber aufklären, wie es um Aomine Daiki – die unschlagbare Nummer eins der „Generation der Wunder“ – steht.
 

Bleiben Sie am Ball!
 

Hmm?

Haben wir etwa jemanden vergessen?

Niemals! Heute wird niemand ausgelassen!
 

Einer der wichtigsten Mitglieder des Teikō-Basketballclubs und das Allround-Talent – Kise Ryōta – sitzt exklusiv für Sie heute hier im Studio!
 

Applaus!
 

Schon damals war seine rasend schnelle Lernfähigkeit ein hinreißendes Wunder!

Es dauerte nicht lange, bis er sich in die ersten Ränge der Teikō-Basketballmannschaft vorgearbeitet hatte.

Er war berühmt durch seine – man könnte schon sagen – perfide Technik mit dem Namen „Perfect Copy“ und besetzte die Position „Small Forward“.

Manch einer mag es belächeln, doch was steckt wirklich hinter dieser ausgefeilten Taktik?

Nicht etwa bloßes Kopieren der gegnerischen Spielzüge – nein – es ist die Gabe innerhalb von Sekunden, die Bewegungen eines Sportlers wahrzunehmen, zu verinnerlichen und binnen nächster Minuten originalgetreu widerzugeben!

Wer das versucht, wird schnell feststellen, dass das gar nicht so einfach ist, nicht wahr, Kise-san?
 

Jaaa, dafür lieben wir ihn – für dieses unwiderstehliche Schmunzeln und das unerschütterliche Selbstbewusstsein!
 

Aber nicht nur dafür!

Viele Frauenherzen sind durch seine Modelkarriere erobert worden. Schon in der Mittelschule hatte er sich in diesem Bereich engagiert und erfreute sich großer Beliebtheit!

Auch immer noch ist sein sonniges Lächeln und der herzschmelzende Körper in vielen Fashion-Magazinen zu finden!
 

Oho, höre ich da etwa wohliges Seufzen von unseren weiblichen Zuschauern?
 

Ja – darauf sind wohl viele Männer neidisch.

Dennoch gehört das der Vergangenheit an.
 

Oh, seien Sie unbesorgt – hin und wieder werden Sie immer noch Zeugen seines großartigen Sexappeals! Doch hauptberuflich ist Kise Ryōta schon seit sieben langen Jahren ein erfolgreicher Tänzer und Choreograph.

Und glauben Sie mir – auf bewegten Bildern oder auf der Bühne lässt sich Kise Ryōtas Sexappeal umso besser bestaunen!

Da schmunzelt er wieder – aber an dieser Stelle werde ich ihn nicht länger davon abhalten, uns weitere Geheimnisse aus seinem Leben ganz persönlich zu erzählen.
 

Schön, dass Sie da sind, Kise-san, wie fühlen Sie sich heute?
 

[…]
 

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On The Verge Of Ruin

 

 

Dem blonden Trottel im Fernsehen wurde keine Chance mehr gelassen, zum Sprechen anzusetzen, da das Programm mit knappem Zappen schon gewechselt wurde.

Zwar konnte man Aomine Daiki nicht gerade als den herzlichsten Soap-Fan bezeichnen, aber in diesem Moment war ihm selbst dieser Schund lieber, als den Lebenserfolg seines früheren Teamkameraden unter die Nase gerieben zu bekommen. Nicht, dass er sich sonderlich mit den Gedanken über sein Leben beschäftigte, aber in Anbetracht dessen, dass es wohl jeder aus der Generation der Wunder zu etwas gebracht hatte – und sei es auch nur eine ordentliche Familie zu gründen – wurde Daiki damit konfrontiert, dass er versagt hatte.

 

Einige Augenblicke lang hielt er es noch aus, mit ausgestelltem Ton die dramatischen Tiefen der Seriencharaktere unverwandt zu verfolgen, da schlich sich auch schon ein müdes Gähnen aus seinem Mund.

Wenn er so die Vergangenheit revuepassieren ließ – er lehnte sich dabei einem Sack Kartoffeln gleich auf der Couch zurück – bekam er fast schon Lust, mal wieder die Oberfläche eines Basketballs an den Fingern zu fühlen, doch allein bei dem Gedanken daran, konnte sich Daiki kein genervtes Seufzen mehr verkneifen. Es müsste schon Jahre her sein, seit er das letzte Mal gespielt hatte. Ein Wunder, dass er körperlich noch ziemlich fit aussah, wenn auch weniger muskulös als früher. Die Ausdauer ließ sicherlich auch zu wünschen übrig.

 

Vielleicht lag es an Akashis Beruf, dass das frühere Ass der Generation der Wunder von den Medien nicht weiter bedrängt wurde. Die große Geheimniskrämerei, was Daikis 34. Lebensjahr anging, war aber in erster Linie auf seinem eigenen Mist gewachsen. Nicht, dass er sich schämte, oder Ähnliches – er hatte bloß keine Lust, sich mit Unterlagen, Interviews und sonstigen Lappalien auseinanderzusetzen. Deswegen hatte er das Ganze schnell unterbunden, als sich ein Reporter bei ihm gemeldet hatte. Dass es da auch nicht viel zu erzählen gab, hatte er allerdings verschwiegen und am Telefon einfach aufgelegt, als der Reporter ihn versuchen wollte, doch noch dafür zu begeistern.

Tja – was hätte Daiki ihm auch erzählen können?

Den Grund, warum er die Oberschule damals abgebrochen hatte? Oder dass er sich mit einem mickrigen Job in einer Pizzeria über Wasser hielt, um seine Miete bezahlen zu können? Oder sollte er lieber erzählen, dass seine nächtliche Geliebte schon jahrelang seine rechte Hand war, weil sie sich nicht darüber beschwerte, dass er zu wenig Zeit fürs Vorspiel nahm? Na ja, und weil er sich nicht die Mühe machen wollte, jemanden aufzureißen …

Darauf wären viele Fragen wie „warum?“ und „weshalb?“ vom Reporter gekommen, aber gerade das war etwas, womit Daiki sich auseinanderzusetzen weigerte.

Er hatte sich noch nie viel im Leben vorgenommen. Damals war er ja doch nur ein Basketballfreak gewesen und wollte eigentlich groß herauskommen, aber diese Ziele scheiterten genauso wie seine groß geschwungenen Reden davon, dass er eines Tages Mai-chan heiraten würde – das Modelidol mit großem Vorbau und Liebe seiner feuchten Träume.

 

Daikis Blick glitt träge durch den Raum und blieb auf dem verstaubten und vermutlich inzwischen schlappgewordenen Basketball hängen, der auf einem Regal den obersten Platz zierte. Gleich neben einer uralten Auszeichnung für ein vortreffliches Match damals in der Oberstufe.

Vielleicht sollte er doch noch mal rausgehen und ein paar Körbe werfen. War doch besser, als hier in kompletter Untätigkeit zu versinken, oder nicht?

Daiki seufzte und erhob sich mühselig von seinem Platz, um nach einer Ballpumpe irgendwo in den Untiefen einer Schublade zu suchen.

 

Man konnte getrost annehmen, dass gerade Kise Ryōta Daiki an dem heutigen Samstag mitten im ausnahmsweise sonnigen November dazu gebracht hatte, sich doch nochmal aufzuraffen, das Haus zu verlassen. Immerhin war dieser Blondschopf früher derjenige gewesen, der ihm hinterhereiferte, stets darauf bedacht, ihn zu übertreffen. Dass es nun überall sonst, außer wahrscheinlich beim Basketball der Fall war, hatte in Daiki irgendeinen unbefriedigend sensiblen Nerv getroffen, der ihm einfach keine Ruhe lassen wollte. Und das nicht einmal, wegen der Tatsache des Erfolges an sich. Nein – viel eher flackerte da dieses eine Treffen auf dem Rummel in Daikis Kopf auf.

Kise war glücklich wie ein Honigkuchenpferd; hatte alles, was man brauchte und dazu auch noch gute Verhältnisse mit Freunden, die er im Gegensatz zu Daiki nicht vernachlässigte. Genauer genommen konnte man nicht einmal sagen, dass Daiki Freunde hatte. Da war vielleicht Satsuki, die sich jedoch ganz ins Familienleben mit Tetsu gestürzt hatte und daher auch nicht mehr die Energie aufbringen konnte, sich um ihren Sandkastenfreund zu kümmern. Er war ihr deshalb auch nicht böse.

Ab und zu besuchte Daiki seine Mutter in der betreuten Wohngemeinschaft, wo es ihr prächtig zu gehen schien. Und dann waren da noch äußerst selten kleine Treffen mit Kagami Taiga, der inzwischen bei seinem Training in der Nationalmannschaft viel zu tun hatte.

Zugegeben – irgendwie hatte Daiki das Gefühl, ziemlich einsam zu sein, auch wenn er wusste, dass er es selbst zu verantworten hatte. Schließlich war er es, der früher wenig Initiative zeigte, mit irgendwem im Kontakt zu bleiben.

 

Jetzt war es wahrscheinlich auch viel zu spät dafür.

 

 

Der Basketballplatz um die Ecke im kleinen Park war nicht besonders herausstechend durch seine Gepflegtheit. Man würde eher sagen, dass er ziemlich verwahrlost war und dringend eine Sanierung gebrauchen könnte. Die Netze waren schon teilweise abgerissen und die Farbe an den Metallbrettern abgerieben. Auch die Linien auf dem Boden waren kaum mehr zu erkennen, aber das würde schon für ein paar Körbe reichen, dachte sich Daiki mit einem matten Seufzen.

Er betrat den Innenraum des peripheren Gitters, stellte seine mitgenommene Trinkflasche an den Rand des Spielfeldes und zog den Reißverschluss seines Sweatshirts auf, um es dann auszuziehen.

Der Platz war nicht leer. Ein paar Kids kickten jubelnd einen Gummiball hin und her, ließen aber noch genügend Raum für ein Streetball-Spiel auf der gegenüberliegenden Seite, wo ein kleiner Junge gerade vergebens versuchte, die Korbstange hinaufzuklettern, um seinen steckengebliebenen Basketball runterzuholen. Mit einem knappen Wurf erledigte Daiki es kurzerhand für den Knirps und der Ball hopste davon, während der von Daiki vom Ring abprallte, um wieder aufgefangen zu werden. Viel mehr Aufmerksamkeit gab es seinerseits allerdings nicht, obwohl der Junge ein „Thanx!“ verlauten ließ, während er die Stange runterrutschte und seinem flüchtenden Spielzeug anschließend hinterherlief.

Daiki konzentrierte sich jetzt auf den Korb, machte ein paar Würfe, von denen jeder selbstverständlich reinging, aber nur so vor Lieblosigkeit strotzte, und stellte dann fest, dass es ihm absolut keinen Spaß machte. Natürlich hatte er es sich auch nicht erhofft, aber dass nicht einmal ein einzelner Funke von Begeisterung in ihm aufblitzte, war schon sehr frustrierend. Deswegen nahm sich Daiki vor, noch zehn Mal zu treffen, ehe er sich auf dem Weg nach Hause irgendwas zu Essen besorgen würde.

Nach sieben Körben wäre ihm sein Vorhaben auch geblieben, wenn da nicht der kleine Junge wieder aufgetaucht wäre, der mit unschlagbarem Ehrgeiz jeden weiteren von Daikis Wurfversuchen vereitelte. Es war, als würde die Rotzgöre absichtlich immer dann werfen, wenn er es tat, und auch exakt so, dass es seinen Ball vom Korb verdrängte.

„Mann!“, brummte der inzwischen ziemlich genervte Daiki unzufrieden in Richtung des kleinen Jungen „Drei Körbe, okay? Ich will diese dämlichen drei Körbe machen, mehr nicht, verdammt nochmal.“ Aber dann bemerkte er das freche Grinsen des Burschen und wusste sofort, dass es tatsächlich dessen Absicht gewesen war.

„Versuch‘ doch trotzdem zu treffen, Onkelchen!“, rief ihm der Junge mit begeisterter Dreistigkeit zu und Daiki fühlte sich dezent verarscht. – Von einem dummen, kleinen Frechdachs, dessen Mama gestern einen Gutenachtkuss zu wenig verteilt haben musste.

„Zieh‘ Leine“, zischte Daiki zur Antwort und setzte wieder zum Wurf an. Allerdings wurde der Korb auch dieses Mal geblockt.

 „Sag mal, hackt’s?! Gleich hast du den Ball in der Fresse, wenn du das noch einmal machst!“ Für seine Vorliebe für kleine Kinder war Daiki alles andere als berüchtigt. Aber noch weniger konnte er es ab, von Kleinkindern auf den Arm genommen zu werden. Nur, dass es auch mit dem nächsten misslungenen Wurf kein Ende nehmen wollte.

„So, jetzt reicht‘s“, sagte Daiki mit kalter, bedrohlicher Stimme. Er war noch nie der Meister großer Geduld, stand aber zu seinem Wort, wenn es sich um eine Drohung handelte. Er holte aus und schmetterte den Ball rücksichtslos (wenn auch nicht so stark, dass es dem Bengel das Gehirn aus der Rübe pusten würde) in Richtung des kleinen Kopfes. Damit, dass der Junge den Ball aber souverän fangen würde, hatte Daiki nicht gerechnet. Zwar musste der Kleine von der Wucht des Wurfes einen Schritt nach hinten machen, aber er hielt den Ball fest und sicher mit beiden Händen auf. Das zum Vorschein kommende Gesicht mit einem fast schon fröhlichen Frechdachsgrinsen ließ eine von Daikis Augenbrauen in die Höhe wandern.

 

War es Zufall, oder erinnerte der kleine Junge ihn an irgendwen?

 

„Wenn du mich loswerden willst, musst du mir erst zeigen, wie du die Dreipunktwürfe machst!“, gab der Kleine rotzfrech von sich und schritt auf einmal vollkommen furchtlos auf Daiki zu, der nicht ganz wusste, was er davon halten sollte.

Völlig überzeugt von sich, blieb der Junge vor ihm stehen und reichte ihm den Ball.

„Nenn mich Hiro“, stellte er sich gleich vor, ohne darauf zu achten, dass sein Gegenüber schon zum „Hey, das interessiert mich nicht!“ angesetzt hatte, und nachdem der Ball sich wieder in Daikis Obhut befand, streckte der Junge doch tatsächlich sein kleines Fäustchen für eine Bro-Fist aus. „So werden mich auch die Leute nennen, wenn ich der größte Basketballer aller Zeiten geworden bin!“

Pause.

 

Was hatte der Junge da gerade gesagt?

 

Und dann konnte Daiki einfach nicht anders, als laut loszulachen und statt die Bro-Fist zu erwidern, Hiro erst einmal ordentlich gegen die Stirn zu schnipsen.

 

Wirklich – er wurde das Gefühl nicht los, als würde er diesen Jungen irgendwoher kennen.

 

„Aua!“ Schmollend rieb sich Hiro die Stirn. „Was ist so witzig daran?“

„Du, Rotzgöre, willst Basketballer werden? Ist dir überhaupt klar, dass du dafür erstmal mindestens anderthalb Meter wachsen musst? Du gehst mir noch nicht mal bis zum Nippel. Wie alt bist du, fünf, sechs?“

„Ich bin zehn! Und ich trinke auch ganz viel Milch! Und meine Korbleger sind einwandfrei!“

„Ja, ja, what ever.“ Daiki wank ab und seufzte theatralisch genervt. „Lass mich meine letzten drei Würfe machen und üb‘ dann deine Korbleger, sonst tust du dir noch weh und bringst deine Mama zum Weinen.“

„Dafür, dass deine Spiele früher echt cool waren, bist du aber echt ein alter, frustrierter Sack geworden!“, sagte Hiro, ohne auf die Beleidigung einzugehen.

Daiki hielt inne. Diese Aussage erzürnte ihn genauso, wie sie ihn überraschte.

„Noch irgendein letzter Wunsch, bevor deine Überreste vom Krankenwagen abgeholt werden?“

„Nö“, antwortete die Kröte trotzig, „von so ‘nem Vollpfosten brauch‘ ich mir nichts zu wünschen. Und ich dachte noch, du wärst cool.“ Damit drehte sich Hiro um und schlug die Richtung zu seinem eigenen Ball ein. Aber für Daiki war es damit nicht gegessen. Viel mehr wallte sich in ihm die Neugierde auf, woher dieser Knirps seine Spiele kennen konnte. Immerhin waren sie schon eine ganze Weile her. Um genau zu sein – verfluchte 15 Jahre! Der Kleine war damals noch nicht einmal auf der Welt!

 

„Du bluffst doch!“ Er ließ seinen Ball auf den Boden fallen und davonrollen.

„Nope – du bist dieser Aomine Daiki. Das Ass der Generation der Wunder. Ich informiere mich eben. “, erwiderte der Junge und man konnte deutliche Enttäuschung in seiner Stimme höre. Daiki hatte zwar schon lange kapituliert, einen Scheiß darauf zu geben, wenn jemand von ihm enttäuscht war, aber das hier ging nicht spurlos an ihm vorbei. Hiro löste wahrlich ein seltsames Gefühl in ihm aus.

„Sag mir nicht, du schaust dir den uralten Teikō-Schund an! Guck lieber die JBA, wenn dich Basketball wirklich interessiert. Oder zumindest den aktuellen Winter Cup.“

„Mach ich ja auch, aber ich werde halt auf die Teikō gehen und da darf ich mich ja wohl mit den Hintergründen beschäftigen.“

„Was denn, Teikō Junior High?“ Ein seltsam nostalgisches Gefühl machte sich in Daiki breit. Der Groll auf den Jungen verflog irgendwie nach und nach.

„Ganz genau. Am Tag der offenen Tür haben sie die Videos gezeigt und seitdem will ich auf jeden Fall dahin.“ Hiro hob seinen eigenen Basketball auf und begann ihn zu dribbeln, ohne noch länger auf Daiki zu achten. Offenbar hatte er den Spaß daran verloren, ihn zu piesacken. Aber entgegen jedweder Erwartung war Daikis Neugierde geweckt. Zumindest ein kleines Bisschen.

„Fehler Nummer eins“, sagte dieser und seufzte dann mit einem gequälten Laut, „glotz‘ nicht die ganze Zeit auf den Ball.“

„Spinnst du? Das weiß ich doch!“, zischte der Junge, aber eher er weiterdribbeln konnte, hatte Daiki ihm den Ball mit Leichtigkeit gestohlen.

„Dann setz‘ das auch um, Idiot“, knurrte er, während er, ohne wirklich hinzusehen, einen Korb warf. Der Ball fegte durchs kaputte Netz und als sich Daiki wieder Hiro zuwandte, sah er, wie sich etwas in dessen Blick aufgehellt hatte.

„Das Dribbeln musst du im Schlaf beherrschen, also üb‘ das jeden Tag von mir aus stundenlang. Und was das Werfen angeht“, fuhr er unbeirrt fort, „ich plane so was nicht. Ich bin kein Stratege“

„Echt?“, fragte Hiro plötzlich wieder unglaublich begeistert.

Daiki verdrehte die Augen. „Du bist eh noch nicht so weit, um groß Körbe zu werfen, wenn du noch nicht einmal die Grundlagen aus‘m Stehgreif beherrschst.“

„Doch! Klar, beherrsche ich die! Ich habe nur nicht damit gerechnet-“, fing der Kleine an, wurde aber von Daiki unterbrochen.

„Pft – glaubst du allen Ernstes, dass im Spiel jemand drauf warten wird, bis du nen Geistesblitz hast?“, erklärte er und fühlte sich irgendwie, wie ein alter, weiser, aber viel zu cool geratener Lehrmeister einer Kampfkunst, dem bloß nur noch der lange, weiße Bart fehlte, den er bedeutungsschwanger zwirbeln konnte.

„Aber-“

„Kein ‚Aber‘ – einfach mal die Klappe halten“, fügte er noch hinzu. „Versuch jetzt mal ‘nen Korb.“

Hiro wollte sich schon in Bewegung setzen, um seinen Ball zu holen, der wieder einmal den Abgang in irgendeine beliebige Richtung gemacht hatte, aber Daiki ließ ihn nicht passieren. Genauso wie beim nächsten und auch dem übernächsten Mal.

„Fehler Nummer zwei – nicht zögern“, kommentierte er und blockte Hiro nach allen Regeln der Kunst. Da er mindestens drei Köpfe größer war als der Junge, war das kein sonderlich schwieriges Unterfangen.

„Ich setze immer auf Geschwindigkeit und Flexibilität, wenn ich spiele. Und das mache ich nicht, indem ich lange rumüberlege, sondern mich auf meine Reflexe verlasse. Deshalb musst du sozusagen mit deiner Umgebung verschmelzen. Jeden Freiraum nutzen.“ Bevor er jedoch groß weiterreden konnte, hatte sich der Kleine prompt geduckt und kroch zwischen Daikis Beinen durch, um schnellstmöglich zum Ball zu gelangen. Etwas verwundert sah er, wie Hiro voller Stolz mit dem Ball und einem zufriedenen Grinsen wieder zu ihm angerannt kam. „Okay, gut.“ Daiki massierte sich genervt die Schläfen mit Zeigefinger und Daumen einer Hand. „Der Gedankengang ist nicht unbedingt verkehrt, die Körpergröße als Bonus zu nutzen, aber wenn du später mal mindestens eins siebzig bist, wirst du das nicht mehr so einfach machen können. Besonders nicht, wenn dich drei Kerle auf einmal decken.“ Hiro war schon dabei, sich für einen Dreier-Wurfversuch aufzustellen, da kam von Daiki bereits das nächste Seufzen.

„Fehler Nummer drei – was ist das denn bitte für ‘ne Ballhaltung? Sind wir hier im Kindergarten, oder was? Bullshit – schon in der Krippe lernt man heute, wie man’s richtig macht. Talentloser Bengel.“

Lustigerweise erwiderte Hiro darauf keineswegs beleidigt, sondern ließ sich von Daiki konzentriert in die richtige Stellung bringen und warf dann den Ball aus der veränderten Position in Richtung Korb. Als er reinging, sprang der Junge vor Freude in die Luft!

„Er war drin, er war drin! Hast du das gesehen?!“

„Ja, ja, mach mal halblang. Im Spiel wird dich keiner erstmal richtig aufstellen, klar? Üb‘ das also, wenn du-“ Bevor Daiki weitersprechen konnte, landete ein weiterer Ball im Korb und als sie beide aufschauten, bemerkten sie, wie eine Gruppe Jugendlicher von geschätzt 16 oder 17 Jahren das Spielfeld betrat.

„Wie rührend, und jetzt verzieht euch, wir wollen mal ein ernsthaftes Spiel spielen“, sagte einer der Ankömmlinge, welcher mittig der siebenköpfigen Bande vorweglief. Seine Kumpels lachten auf und Daiki konnte nicht anders, als wieder genervt zu seufzen. War die Jugend von heute immer so drauf?

„Na los – ihr könnt euer Training ja im Sandkasten fortsetzen. Hier wird jetzt professionell gezockt, klar?“, meldete sich ein anderer Bursche zu Wort.

„Professionell, ja?“ Daiki lachte auf, während er sich so die für Basketballer viel zu schmächtigen Gestalten ansah. „Sicher, dass ihr nicht selbst den Platz verwechselt habt? Die Qigong-Anfänger halten sich im westlichen Teil des Parks auf.“

„Alter, ich sag’s nicht nochmal. Verpisst euch, aber ‘n bisschen plötzlich!“, hörte man wieder den ersten Typen, der jetzt an Daiki herantrat und sich vor ihm aufbaute, ohne Erfolg, größer zu wirken. Hiro stand etwas eingeschüchtert neben seinem selbsternannten Sensei und bekam kein Wort raus. Vermutlich war es nicht das erste Mal, dass diese Jungs hier auftauchten und den Platz mit ihrer übermäßigen Coolness für sich beanspruchten.

„Und was, wenn nicht? Ziehst du dir dann den Stock aus’m Arsch, um mich damit zu verdreschen?“

„Sieh einer an, da versucht ein Opa einen auf cool zu machen! Tse, ich brauch keinen Stock, um dich fertig zu machen!“, knurrte der Typ mit aufsteigender Aggressivität.

„Nicht?“, fragte Daiki scheinheilig, obwohl man aus seiner Tonlage deutlich heraushören konnte, dass ihm die Bezeichnung ‚Opa‘ nicht gefiel. Er war noch lange davon entfernt so alt zu sein, verdammt nochmal! „Dann klären wir das doch mit ‘ner kleinen Partie. Sieben gegen einen – wird für euch, Pro‘s ja nicht so schwer sein, oder?“

In Wirklichkeit war sich Daiki da nicht so sicher, ob er es mit ganzen sieben Typen (auch wenn sie mehr grün hinter den Ohren waren, als alles andere) problemlos aufnehmen könnte, aber irgendetwas reizte ihn daran es einfach zu versuchen. In seiner Blütezeit wäre das ein Kinderspiel gewesen. Jetzt hingegen, nach jahrelanger Pause, wusste Daiki nicht so recht, ob er es noch genauso draufhatte wie früher, und das war der Grund, weshalb es ihn anfing heftig in den Fingern zu jucken.

Schon immer war es so gewesen – Herausforderungen waren ganz sein Ding.

Die Truppe ihm gegenüber lachte ausgiebig über diese schiere Selbstüberschätzung und irgendwas in Daiki schrie geradezu danach, sie ausgerechnet deshalb in Grund und Boden zu stampfen; sich wieder zu beweisen.

„Na, was meint ihr, Jungs – machen wir dieses Großmaul noch fertig, bevor wir loslegen?“

Gegenseitiges Einvernehmen unter den Jugendlichen.

„Nice!“, sagte Daiki mit vorfreudigem Grinsen. „Hiro hier wirft den Tip Off. Ich will ja schließlich, dass es fair bleibt und ihr auch ‘ne Chance habt.“

„Pft, für wen hältst du dich – Michael Jordan, oder was?“

„Weniger reden, mehr spielen, ihr Banausen. Wer zuerst drei Körbe wirft, gewinnt.“ Schon bedeutete Daiki Hiro, seinen guten alten Lederball zu holen und ging selbst zur Mitte des Feldes.

Die Bande positionierte sich um den Herausforderer und der Größte von ihnen stellte sich ihm gegenüber auf. An ihrer Seite stand etwas verschüchtert Hiro mit dem Ball bewaffnet und schien etwas unsicher darüber, ob er ihn überhaupt hoch genug werfen konnte. Aber genauso hatte er das Gefühl, Teil von etwas Spannendem zu sein, weshalb er keine Anstalten machte, den Schwanz einzuziehen.

 

Ja, der Junge erinnerte Daiki definitiv an jemanden.

An jemanden, den er früher ziemlich gut kannte.

 

Nämlich an sich selbst.

 

Mit einer Hand wuschelte er über Hiros Kopf und grinste ihn überlegen an. „Sieh gut zu, Rotzgöre, vielleicht lernst du ja was“, sagte er noch, während er die Hand zurückzog und kaum hatte er es getan, lächelte Hiro aufgeregt, zählte begeistert bis drei, um dann den Ball in die Höhe zu werfen und das Spiel zu starten.

 

 

 

 

Something About You

 

 

„Weißt du was ziemlich scheiße ist?“

 

Es war mal wieder soweit.

Aomine Daiki stand vor einem kleinwüchsigen Italiener, der Daumen, Zeige- und Mittelfinger in einer seiner typisch italienischen Handgesten zusammengeführt hatte und diese in der Luft vor Daikis Nase vor und zurück schwang. Es war sein Chef, von dem er gerade einen Waschechten Anschiss bekam, was vor allen Dingen immer dann passierte, wenn Daiki überhaupt keine Schuld daran trug. Aber heute ließ er das Lispeln des Pizzameisters relativ entspannt über sich ergehen.

 

„Ich sag‘ dir, was scheiße ist! - DU bist scheiße! - Deine ganze Lebenseinstellung ist scheiße!

Glaubst du, du bist ein Superheld, dass du unsere Kunden warten lässt? Was zur Hölle treibst du auf‘m Lieferweg?! Das Verbrechen bekämpfst du ja wohl nicht gerade, also kannst du auch schneller liefern! Leute rufen an und fragen ständig, wann ihr Essen endlich ankommt!“

 

Daiki verdrehte die Augen und verschwieg die Tatsache, dass sein Liefermoped, das für ihn eh viel zu klein war, auf dem Weg wegen jeder Kleinigkeit ständig abwürgte und er deswegen die bestellten Gerichte im Schnitt etwa 30 Minuten später brachte. Das Moped wollte sein Chef allerdings partout nicht reparieren lassen.

Eigentlich war Daiki niemand, der sich anblaffen ließ. Auch wenn es sein Chef war, der die Stimme erhob, aber er bekam ausreichend Kohle und wollte die nächsten paar Monate noch hier verbringen. Nur deswegen hielt er die temperamentvolle Meckerei seines lispelnden Chefs aus und sagte nicht groß etwas dazu. Außerdem war er seit gestern sehr ausgeglichen. Daher juckte ihn der Anschiss herzlich wenig. Vielleicht lag es ja daran, dass er wieder Basketball gespielt hatte.

Als er gestern in den Park gegangen war, um ein paar Körbe zu werfen, hatte er nicht damit gerechnet, dass es interessant werden könnte. Eigentlich hatte er nicht einmal damit gerechnet, dass er überhaupt gegen jemanden spielen würde, doch als die sieben Jugendlichen den Sportplatz für sich beanspruchen wollten und Daiki sich in der Heldenrolle gesehen hatte, ihnen mal ordentlich ‚die Leviten zu lesen‘, wenn auch auf eine eher spezielle Art und Weise, wurde es sogar richtig spannend. Von wegen, er war kein Superheld! Den pubertierenden Hosenscheißern hatte er es so richtig gezeigt!

 

Rausch.

Es war wie ein Blutrausch gewesen.

Sogar noch einen Tag später spürte Daiki den Nachhall seiner Aufregung in seinem Körper pulsieren.

Seit einer Ewigkeit hatte er so etwas nicht mehr gespürt. Und verdammt – es fühlte sich ziemlich gut an! Sein Körper brauchte offenbar diesen Ausgleich und dankte ihm nun damit, dass er – von dem Muskelkater mal abgesehen – beinah tiefenentspannt war. Daiki war seit langem sogar so etwas wie „gut drauf“! Zumindest so gut, dass er sich ohne weiteres einfach anmeckern ließ.

 

„Mach mal halblang, Chef. Ich hab’s schon kapiert“, antwortete Daiki gelassen und verstaute die frischgebackenen, dampfenden Pizzen in den dazugehörigen Pappkartons. „Wohin soll’s jetzt gehen?“

Der kleine Mann warf ihm noch irgendwelche italienischen Flüche an den Kopf, ehe er sich zum Tresen begab, um die Bestellungen auf dem Monitor des Computers zu checken.

„Heute ist dein Glückstag, sonst hätte ich dich nach diesem Spruch gefeuert“, murrte er missbilligend. „Im Extrawunsch steht nämlich, dass der ‚berühmte‘ Aomine Daiki liefern soll.“

Ja, ja, red‘ nur weiter. Als ob du mich wirklich gefeuert hättest, dachte Daiki bei sich und linste über den Kopf seines Chefs hinweg auf den Bildschirm, während er sich mit einer Hand auf der Oberfläche des Tresens abstützte.

Straße so und so, Hausnummer dies und das, Bezirk XYZ, Name- Daiki stutzte und weitete die Augen.

„WAS ZUR HÖLLE?!“, war das einzige was Daikis Mund dann verließ. Er verzog vor negativer Überraschung sein Gesicht, denn wenn ihn seine Augen nicht trogen – und das taten sie äußerst selten – dann war der Name des Bestellers ‚Kise Ryōta‘.

„Beschwerst du dich jetzt auch noch? Der Typ hat dir den Arsch gerettet, capisce?“

 

Da flog sie hin – Daikis Ausgeglichenheit.

Bye, bye.

 

Es war definitiv kein unglückliches Versehen, sondern eine nahezu streng kalkulierte Absicht! Das stand schon mal fest. Aber wie hatte Kise Ryōta bitte herausgefunden, wo genau Daiki arbeitete? Und warum musste er ausgerechnet nach ihm verlangen? Hatte es ihm denn nicht gereicht, im Eiscafé Daikis Nerven zu strapazieren? Mehr als deutlich hatte Daiki ihm vor einer Woche mit seinem Verhalten klargemacht, dass er auf weiteren Kontakt mit Kise verzichtete. Aber dieser hatte es offenbar nicht ernst genommen.

Spätestens jetzt wäre Daiki froh gewesen, wenn sein Chef ihn doch noch feuern würde. Und zwar bevor er diese beschissenen Pizzen abliefern musste. Leider war die Hoffnung vergebens. Er gab kein weiteres Wort von sich, sondern packte die beiden Kartons in die quadratische Mopedtasche und begab sich damit nach draußen in den späten, kalten Herbstabend.

So schnell konnte einem die gute Laune verdorben werden.

Zu allem Übel verschwor sich sogar das blöde Ding von Moped gegen ihn. Wenn es jetzt den Geist aufgegeben hätte, hätte der Tag noch gerettet werden können, aber es brachte Daiki krächzend und jauchzend zur notierten Adresse, ohne dass der Motor auch nur ein einziges Mal Probleme bereitete.

 

Wow – dieses Universum musste Daiki wirklich hassen …

 

 

Um 22:57 Uhr – das war ein Rekord der Pünktlichkeit – klingelte Daiki widerwillig an der Tür eines Hauses. In dieses Viertel hatte er noch nie einen Fuß gesetzt, weil es zu fancy war, als dass hier irgendjemand Pizz bestellen würde. Und von alleine würde Daiki auch nicht hierher kommen. Lauter Designer-Neubauten mit ruhigen familiären Innenhöfen, wo jeder wohl jeden beim Vornamen kannte und tagtäglich mit überschwänglicher Höflichkeit grüßte. Wie hielt es Kise hier bitte aus?

„Passwort?“, flötete ihm die nervigste Stimme aller Zeiten durch die Gegensprechanlage fröhlich zu.

„Pizza“, brummte er missgelaunt und ließ sich öffnen. Vor dem typischen Summen der Tür war noch ein leises Gelächter zu hören, das Daiki dazu trieb, sich sein Lieferantenkäppi tief ins Gesicht zu ziehen. Das war ja mal peinlich bis zum Gehtnichtmehr! Peinlich und erniedrigend! Aber gegen diese Situation ließ sich einfach nichts mehr ausrichten.

Er stieg die Treppen empor und schaute nicht einmal zur offenen Tür, als er das übliche Abrechnungsprozedere ablaufen ließ.

„Macht dann 2600 Yen“, murmelte er eintönig, während seine Finger die Summe in das Rechungsgerät eintippten.

„Ach komm schon, Aominecchi! Sei kein Spielverderber!“, hörte er Kise sagen. „Du könntest uns wenigstens ordentlich begrüßen!“ Doch bevor Daiki etwas Grimmiges darauf erwidern konnte, warf sich ihm jemand voller Freude um den Hals.

„Dai-chan! Oh Gott, ich habe dich sooo vermisst!“

Damit löste sich die ominöse Frage auf, woher Kise seine Arbeitsstelle kannte und ein regelrecht entrüstetes Schnaufen entwich Daikis Nase.

„Satsuki, du erdrückst mich gerade“, zischte er der Frau zu, die sich mit ihrem großen Vorbau an ihn schmiegte. Allerdings nicht nur mit ihrem Vorbau, sondern auch mit dem schwangeren Bauch.

„Oder besser gesagt, dein Walross da unten“, warf Daiki noch mit rachsüchtigem Jähzorn hinterher. „Gib’s zu – das mit der Pizza war deine Idee, damit du dich ungeniert vollfressen kannst.“ Dafür kassierte er einen zickigen Schlag auf den Oberarm und die angenehmen Rundungen von Momoi Satsukis Busen sowie des nicht ganz so angenehmen Schwangerenbauches entfernten sich rasch wieder.

„Idiot! Ich esse schließlich für zwei!“, quiekte die junge Frau eingeschnappt und streichelte ihre pralle Kugel, bei der sich Daiki immer fragte, wie sie nicht einfach aufplatzte. Das Ganze ließ Kise wieder auflachen. Er kramte Bargeld hervor und reichte es Daiki.

„Wie wär’s? Komm doch für ein paar Minuten rein und iss was mit uns“, schlug er vor.

„Genau! Essen umsonst, Dai-chan! Das kannst du nicht abschlagen!“, pflichtete Satsuki dem Blonden bei. Wie zu Befehl meldete sich Daikis leerer Magen mit einem Grummeln und auch wenn er liebend gern abgelehnt hätte, so musste er letzten Endes doch noch einwilligen. Sogar sein eigener Körper hatte sich scheinbar gegen ihn verschworen.

„Trinkgeld will ich trotzdem haben“, sagte er genervt, krallte sich die Scheine aus Kises Hand und ließ sich anschließend in das Innere der Wohnung geleiten.

Scheiß drauf, dass er nicht rechtzeitig zurück zur Arbeit kommen würde. Sollte er gefeuert werden, würde seine neue Arbeitsstelle geheim bleiben und das in erster Linie vor Satsuki.

 

 

Obwohl Daiki sich hier völlig fremd fühlte, hatte Kise Ryōtas Wohnung etwas Heimeliges an sich. Entgegen seiner Erwartung war es nicht vollgestopft mit irgendwelchem Kitsch, sondern war durchaus minimalistisch gehalten. Es lagen keine überflüssigen Gegenstände auf den Regalen. Das Mobiliar war durchaus geschmackvoll gewählt. Nur ein paar Kindersachen waren hier und da verstreut. Einige Spielzeuge und Malutensilien, sowie Kleidungsstücke, die eindeutig Kises Tochter gehören mussten. An den Wänden hingen ein paar Bilder, die Stillleben und Landschaften zeigten. Das Licht war gemütlich gedimmt.

Er drückte Kise die Pizzakartons in die Hand und zog sich unwirsch die Schuhe aus, die er in die offensichtliche Schuhecke im Flur warf. Währenddessen quasselte ihn Satsuki bereits über dies und jenes zu.

Tetsu hier, Tetsu da, Baby wird nicht mehr lange auf sich warten lassen. Daiki soll bei der Geburt auch dabei sein (Pft, als ob er es sich antun würde!) … bla, bla, bla. Satsuki prahlte mit ihren selbstgestrickten Babyschühchen und so weiter. Nichts, was Daikis Aufmerksamkeit wirklich beanspruchte. Stattdessen pflanzte er sich auf die helle Ledercouch in Kises Wohnzimmer hin und zog sich das lästige Käppi und die Jacke aus, um es sich wenigstens bequem zu machen.

Zu seinem Glück übernahmen Kise und Satsuki den Part mit dem Reden, während Daiki sich über die Pizza hermachte. Wenn am Ende für die eigentlichen Besteller kaum was übrig blieb, war das nicht sein Problem. Das hat man eben davon, wenn man sich so eine ‚lustige‘ Frechheit erlaubte.

Ohne groß hinzuhören, worüber die beiden tratschten, ließ er beim Essen den Blick wider umherschweifen.

In einer Ecke glühte ein Räucherstäbchen. Auf der Fensterbank gediehen ein paar Pflänzchen. Drüben auf dem Regal waren einige Fotos aufgestellt, von denen Daiki sogar mehrere wiedererkannte, weil sie aus dem vergangenen Jahrzehnt stammten. Die Pizza schmeckte fade. Aber das hielt Kise nicht davon ab, sich ein Stück zu nehmen und davon zu naschen, während Satsuki aus dem Erzählen nicht mehr rauskam. „Und dann sagte er … und Tetsu-kun meinte darauf nur … Kannst du dir das vorstellen, Ki-chan?“ Typisch Satsuki – wenn sie sich erst einmal in den Eifer geredet hat, machte sie erst Halt, wenn sie Informationen für ihr VIP-Insiderwissen über ihre Freunde in Erfahrung bringen wollte. Daher schaltete Daiki ganz ab. Stattdessen blieben seine Augen an Kises Gesicht hängen. Er schien wirklich aufmerksam zuzuhören, wenn auch sehr gelassen und entspannt, aber der Pizzakrümel an seiner Wange passte einfach nicht in das Bild. Eigentlich sollte Kises gepflegtes Äußeres so etwas nicht zulassen und doch saß er da, ohne es zu merken.

 

Wirklich – er hatte sich kein Bisschen verändert.

Oder?

 

Vielleicht mochte ihn das alter etwas reifer und erwachsener wirken lassen, aber die Mimik und Gestik waren fast die gleichen geblieben. Ganz zu schweigen von der Art sich in einem trauten Menschenkreis zu entspannen und Dinge zuzulassen, die in Situationen wie der Sendung gestern im Fernsehen niemals zum Vorschein gekommen wären: Tollpatschigkeit, Dummheit, Naivität, Schlampigkeit. Alles, was seine Fans auf den Covern der Illustrierten nie sahen und auch nie sehen würden.

Ein Krümel auf der Wange? Nein – so ein Bild blieb nur Freunden vorbehalten.

Und trotzdem war irgendwas anders.

Kise war zwar schon immer ausschweifend in interaktiver Kommunikation gewesen, zeigte auch jetzt noch theatralische Gesichtsausdrücke, lachte auffällig laut oder gestikulierte etwas wilder als normale Menschen, weil er es sich leisten konnte, ohne dabei völlig bescheuert auszusehen, aber jetzt schien das alles auf ein gewisses Minimum heruntergeschraubt worden zu sein. Es war Teil der neuen, etwas fremdartigen Ausstrahlung. Daiki konnte nicht ganz erfassen, was genau diese Wirkung erzeugte. Vielleicht lag es an der Art wie Kise lächelte, wenn es nicht gestellt und für die Öffentlichkeit gedacht war. Es machte einen leicht müden Eindruck. Vielleicht auch leicht geheimnisvoll a la Mona Lisa.

Oder war es die sonderbare, ungewohnte Ruhe in seinem hellen Blick? Nicht vernebelt oder mit längst erloschenem Funken, nein – man konnte eher gelassene Durchdringlichkeit darin erkennen. Vielleicht auch die Tatsache, dass er mehr zuhörte, als selbst zu reden, ganz im Gegensatz zu früher, wenn er sich ständig versuchte in den Mittelpunkt zu drängeln.

Oder war es die Art sich zu bewegen? Grazil, elegant, statt kindlich und burschikos stumpf? Jede Handgeste, wie ausladend sie auch sein mochte, war weich, fließend, wenn auch in keiner Weise weiblich.

Alles eine Anhäufung von dezenten Kleinigkeiten und Feinheiten, die man nur bemerkte, wenn man ganz genau hinsah.

Daiki war eigentlich kein guter Beobachter und ein genauer schon gar nicht, weil er Gegebenheiten stets intuitiv erfasste, wenn es etwas Relevantes zu erfassen gab. Dennoch konnte er gerade nicht wirklich aufhören hinzusehen.

Eine geschlagene Ewigkeit beobachtete er diesen nervigen Krümel auf Kises Wange …

 

 
 

~

 

 

„Alter, dir klebt dein halber Burger auf der Fresse.“

Kise zieht auf die Bemerkung hin genervt die Augenbrauen zusammen.

„Bitte, was?“

Aomine verdreht die Augen und deutet sich selbst mit dem Zeigefinger auf die Wange.

„Da. Merkst du‘s nicht?“

Es ist erheiternd wie tollpatschig Kises Versuche sind, sich die komplette Krümelkolonie von der Wange zu wischen. Seine Finger sind vom Essen noch ganz fettig, weshalb er die Stelle direkt mit dem Handgelenk zu ertasten versucht. Das sieht so bescheuert aus, dass es völlig unmöglich für Aomine ist ihn dafür nicht auszulachen.

„Aominecchi! Du bist echt das Letzte!“, zischt Kise und wendet sich Kuroko zu, damit dieser ihm hilft. Leider ist von Letzterem auf dem Sitzplatz nichts mehr übrig. Er hat sich auf seine sehr typische Art in Luft aufgelöst. Kise lässt den Kopf kurz hängen, grummelt etwas und beginnt die lange Prozedur, sich zunächst mit dem Berg an Servietten, die er mitgenommen hat, die Finger trockenzurubbeln, um dann in seiner Tasche nach dem Handy zu fischen. Die Handy-Kamera als Spiegel zu benutzen würde aber auch nur einem Mädchen einfallen. Oder einem Model.

Aomine kann nicht mehr aufhören zu lachen.

 

Sie sind 14, sie sind Freunde und sie stehen sich nah.

Vielleicht nicht unbedingt so nah wie Momoi und Aomine sich nahstehen, da diese sich seit dem Kindergarten kennen, aber Midorima bringt selbst Murasakibara manchmal Lucky Items mit, wenn er gelesen hat, dass sein Sternzeichen unter Bedrohung des Unglücks steht. Und Akashi lädt sie alle öfters auf eine Runde Eis ein, weil er Geld ohne Ende zu haben scheint. Kise klebt nervig an allen dran, wie eine hartnäckige Klette und belästigt jeden mit seinen neuen Magazinausgaben. Nur Kuroko weiß, wie man ihm richtig entkommen kann, aber er lässt es viel öfter einfach zu. Murasakibara schenkt Momoi Süßigkeiten, damit sie mit ihrer anstrengenden Mädchenstimme bloß nicht so viel quatscht. Er kann ihre Schwärmereien über Kuroko nicht mehr hören. Dabei findet sie, dass Murasakibara neben Midorima der Vertrauenswürdigste in dem Freundeskreis ist, weil er dazu neigt, alle erzählten Geheimnisse zu vergessen. Er hat zum Beispiel vergessen, dass Aomine Momois erster, total peinlicher Kuss war. Außerdem vergisst er immer, wer Kise ist, obwohl sie dieselbe Klasse besuchen. Midorima findet das albern und sucht immer einen Rat bei Akashi, der sich indes gerne ausmalt, wie Kuroko schon bald eine noch wichtigere Rolle in dem Team spielen wird.

 

Wenn der Teikou Basketball-Club so was wie ein Königreich wäre, dann wäre Akashi zweifelsohne der König und Midorima – na ja – die Königin. Momoi wäre der Spion und Kuroko der Sekretär. Kise wäre der Narr, Murasakibara der Henker, Aomine der Ritter.

Jeder hat seinen Platz in der Gruppe. So stellt sich Momoi das immer mit einem verträumten Schmunzeln auf den Lippen vor, wenn sie nicht gerade Informationen über die feindlichen Teams sammelt.

 

Sie sind furchtbar jung, sie sind Freunde und sie stehen sich so nah, dass es für Aomine keinen Umstand bereitet, sich über den Tisch zu lehnen und Kise die Krümelansammlung grob von der Wange zu wischen, bevor dieser sich vor dem ganzen Fastfood-Restaurant mit dem Handy zum Affen macht.

 

„Du bist echt bekloppt, Kise.“

„Schnauze! Selber bekloppt, Aominecchi!“

 

 

~

 

 

„Du hast da was auf der Wange, Ki-chan“, sagte Satsuki und riss Daiki aus seinen Gedanken heraus.

„Oh…!“ Kise wischte sich rasch mit der Handfläche über die Stelle und lächelte verlegen. „Wie ungeschickt.“

Noch bevor der Krümel endlich verschwand, hatte Daiki seinen Blick auch schon wieder weggelenkt. Die Erinnerung, die ihm gerade durch den Kopf geflogen war, fühlte sich fremdartig und fern an. Als ob sie gar nicht stimmte und bloß Einbildung war.

Hatten sie früher wirklich so eine Art von Beziehung? War es früher wirklich so ungezwungen und einfach?

Daiki konnte es sich gar nicht mehr vorstellen. Er konnte es sich ja noch nicht einmal vorstellen, wie Satsuki es schaffte ihn immer noch als einen essentiellen Teil ihrer Familie zu sehen. Sie trafen sich vielleicht einmal im Monat, wenn es hochkam.

 

Du bist immer bei uns willkommen“, hatte Tetsu vor etwa einem halben Jahr gesagt. Auf seinen schmalen Lippen ein typisch unscheinbares Schmunzeln, das mit den Jahren irgendwie sanfter geworden war, was nicht hieß, dass er seinen trockenen Sarkasmus verlernt hatte.

Aber die Wahrheit war, dass nicht der Rest der Welt Daiki von sich gestoßen hatte, sondern er selbst sich irgendwie immer mehr zurückzog. Er merkte das nicht einmal bewusst, schließlich war er auch früher nicht gerade sehr kommunikativ gewesen. Zumindest nicht, seit er 15 Jahre alt geworden war. Die Welt zog an ihm seitdem vorbei, aber aus unerfindlichen Gründen hatten ihn einige Menschen nicht einfach vergessen.

Satsuki, Tetsu, ja – selbst Taiga.

Nur dass es trotzdem nicht mehr dasselbe war.

Sie waren keine Teenager mehr.

Sie waren erwachsen.

Und von der Nähe, an die er sich gerade erinnert hatte, war nichts mehr übrig.

 

„Ach, passiert doch jedem mal“, sagte Satsuki und wank ab, nur um gleich darauf fortzufahren. „Jedenfalls habe ich deswegen sogar mit Akashi-kun telefonieren müssen. Gut, dass Tetsuya und ich noch den Kontakt zu ihm haben. Er war eine unglaubliche Hilfe.“

„Verstehe.“ Kise nickte verständnisvoll und goss Satsuki irgendeinen Traubensaft nach. Sich selbst gönnte er noch einen Schluck Rotwein, mit dem er danach auch Daikis leeres Glas befüllte. “ Aber vielleicht wäre es das nächste Mal wirklich angebracht, gleich die Polizei zu rufen. Pressefreiheit hin oder her.“

Jetzt kam Daiki nicht mehr so richtig mit, weil er so ziemlich alles, worüber Satsuki und Kise redeten, bisher einfach ignoriert hatte.

„Hä?“, machte er mit vollem Mund etwas verwirrt.

„Dai-chan.“ Satsuki seufzte mit hörbarer Empörung. „Wenn du an dem Gespräch teilhaben willst, dann hör doch das nächste Mal einfach hin.“

„Jetzt zick‘ schon nicht rum. Der Inhalt deiner Monologe ist meistens langweilig. Woher soll ich denn wissen, wann ich aufpassen muss und wann nicht?“, erwiderte Daiki genervt darauf und erntete einen beleidigten Blick von seiner Kindheitsfreundin.

„Wir haben nur über die Belästigung gesprochen. Du weißt schon – von den Journalisten, die Infos für diese dämliche Sendung gesammelt haben“, meldete sich jetzt Kise zu Wort, um die aufkommende leichte Spannung zu beschwichtigen.

„Die Sendung fandest du wohl nicht ganz so dämlich, wenn du für die deinen special Auftritt hingelegt hast. Also tu mal nicht so.“

„Na ja, Ich gehöre inzwischen etwas zur Publicity. Das Live-Interview war quasi mein Job.“ Daiki hatte erwartet, dass in so einer Aussage eine vorwurfsvolle Note mitschwingen würde, aber das war nicht der Fall. Die erklärende Eigenverteidigung von Kises Seite aus war neutral, ruhig und überhaupt nicht feindselig gesagt. Irgendwie entwaffnend.

„Ja, ja, whatever.“ Wenn es eins gab, das Daiki wirklich gut konnte, dann war es so auszusehen, als wäre er völlig unbeeindruckt und desinteressiert. Aber auch das schien ihm Kise nicht böse zu nehmen.

„Die Wichser sind echt hartnäckig gewesen, stimmt schon. Dachte, die würden nie mit ihren beschissenen Anrufen aufhören.“

„Daiki, könntest du bitte-“ Die etwas verärgerte Satsuki wollte wohl auf die unangemessene Nutzung von Kraftausdrücken anspielen, als sie hörbar die Luft einzog und sich die Hand auf den Mund legte. Sowohl ihr als auch Kises Blick waren in Richtung Flur gerichtet, zu dem Daiki mit dem Rücken gekehrt saß. Etwas verwundet drehte er sich herum und sah über seine Schulter auch dahin. Seine Augen weiteten sich leicht und seine Lippen glitten auseinander, als wollte er etwas sagen, aber selbst wenn er gewusst hätte, was er sagen sollte, war es nicht seine Aufgabe. Stattdessen hatte sich Kise erhoben und eilte in Richtung Flur, wo seine kleine Tochter im zuckersüßen rosa Kätzchen-Pyjama stand.

 

„Natsumi, Hase – haben wir dich geweckt? sind wir zu laut?“, fragte er besorgt und ging vor ihr in die Hocke.

 

Egal wie man es drehte und wendete – das Bild war verstörend und Daiki konnte immer noch nicht wirklich begreifen, dass Kise ein Kind hatte. Um ehrlich zu sein, hatte er es sogar schon wieder verdrängt.

 

Die Kleine nickte darauf und sah anschließend zu Daiki, dem sie wieder diesen offen neugierigen, ein bisschen vorsichtigen, aber völlig urteilsfreien Blick schenkte, den er gar nicht verdiente.

Warum sah sie ausgerechnet ihn an? Hatte er irgendwas im Gesicht?

Wollte sie ihn ihrer Puppensammlung vorstellen?

Zwang sie ihn gleich dazu, sie zu ‚heiraten‘?

Sie wollte ihm doch kein Feenkostüm andrehen, oder?

Wie alt war sie überhaupt?

 

„Tut mir leid, meine Süße, wir werden leiser sein, okay? Na komm, ich bringe dich wieder ins Bett“, gab Kise indes von sich und platzierte seine Hände sanft an den Seiten einer Tochter, um mit ihr gemeinsam aufzustehen und sie auf die Arme zu heben. Es sah völlig natürlich und gelassen dabei aus, aber Daiki hielt es dennoch für eine Illusion.

„Bin gleich wieder zurück“, sagte Kise noch über seine Schuler lächelnd und verschwand mit der Kleinen im Flur.

Genau in diesem Moment traf Satsukis Handfläche Daikis Oberarm.

„Sag mal, spinnst du?!“, zischte sie ihm leise zu. „Du kannst doch nicht so fluchen vor Kindern!“

„Was denn, soll ich riechen, dass sie wach ist?“ Diese Ausrede war für die Außenwelt zumindest nachvollziehbarer als die Wahrheit. Als würde ihm eine angehende Mutter abkaufen, dass man die Existenz eines Kindes im Haus verdrängen konnte. Mit Müttern diskutierte man nicht. Und mit solchen, die Satsuki hießen, erst recht nicht.

„Es geht doch nicht nur um Natsumi-chan! Das war ja wirklich nur ein Zufall. Aber glaubst du, mein Bauch ist schallisoliert? Mein Sohn muss solche Ausdrücke auch nicht mitkriegen. Ja, auch im Mutterleib nicht! Daiki, du bist kein Teenager mehr und vor allem bist du auch nicht von Teenagern umgeben. Es wird Zeit endlich mal erwachsen zu werden!“

Die Predigt ging noch eine gefühlte Ewigkeit lang, bis Kise leise zurückkehrte. Auf seinem Gesicht tänzelte ein entschuldigendes Lächeln und er legte sich den Zeigefinger gegen die Lippen, um zu signalisieren, dass sie ab jetzt leise sein sollten. Die Erwartung, dass von ihm zumindest ein Vorwurf kommen würde, hing in der Luft, aber auch das blieb aus und Daiki kam nicht umhin zu bemerken, dass er diese andere, erwachsene Art von Kise Ryōta sehr mochte … Zumindest im direkten Vergleich mit Satsukis erwachsener Ich-bin-jetzt-Mutter-Art, die wohl ihre Nervigkeit legitimieren sollte.

„Ernsthaft, wie hält es Tetsu aus mit dir?“, stichelte Daiki und verdrehte dabei die Augen.

Unwillkürlich hatte er seine Stimme gesenkt.

„Wie du siehst, hält er es sehr gut mit mir aus!“ Und während Satsuki ausdrucksvoll gestikulierend zu einer neuen Moralpredigt ansetzte, lehnte sich Kise leicht zu Daiki rüber.

Misdirection“, sagte er hinter leicht vorgehaltener Hand und wenn Daiki je daran gezweifelt hatte, dass er von einem Wort zum Lachen gebracht werden konnte, dann bewies spätestens das hier das absolute Gegenteil. Der Begriff, den er schon eine Ewigkeit lang nicht mehr gehört hatte und den Kise im passenden Augenblick von sich gegeben hatte, kam so unerwartet, dass es Daiki sofort ein unterdrücktes Prusten entlockte. Er erstickte es schnell mit seiner Hand, nur um darauf gleich einzugehen. „Wahrscheinlich verpisst er sich immer, ohne dass sie es merkt, hahaha!“

„Das war schon damals sein größtes Talent“, stimmte Kise zu, aber schon war Satsukis aufmerksames Ohr zur Stelle und sie blies schmollend die Wangen auf.

„Was tuschelt ihr da?! Ich zeige euch beiden gleich mal mein größtes Talent!“

„Oh!“, machte Daiki mit gespielter Ehrfurcht „Wir haben wohl den Kraken erweckt.“

Kise lachte leise auf, Daiki hielt sich die Hand vors Gesicht und dann stimmte auch Satsuki mit ein.

„Passt bloß auf, ihr beiden – der Kraken holt euch noch“, zischte sie kichernd.

 

Was war das hier?

Warum fühlte es sich plötzlich danach an, als wäre alles ein bisschen wie früher?

Irgendwie warm.

Sorgenfrei.

Ein Bisschen so als wären sie wieder 14 und allesamt unschuldige Kinder, die nichts als Blödsinn in ihren Köpfen hätten.

Dabei waren doch nicht einmal irgendwelche besonderen Worte gesagt worden. Nur ein einziger Witz war gefallen. Eine Gemeinsamkeit. Etwas, das sie alle miteinander verband und unwillkürlich die Stimmung lockerte. Sie war vorher ja nicht einmal wirklich angespannt gewesen, aber Daiki hatte sich fremd gefühlt. Nicht zugehörig. Distanziert. Er hatte es auch nicht gewollt, in diesen sanften Sog der Willkommenheit gezogen zu werden. Aber es bedurfte nur dieses einen Witzes, um ihn einzuladen. Der Rest kam von alleine.

 

Sie saßen nicht mehr lang beieinander. Nur bis die Pizzen aufgegessen waren. Sie redeten über ein paar Belanglosigkeiten, bei denen Daiki nicht viel zu sagen hatte. Hin und wieder gab er einen kleinen Spruch von sich, wie er es immer tat. Und schließlich war es an der Zeit zu gehen. Satsuki war diejenige, die sich zuerst meldete. Man sah ihr an, dass sie müde geworden war. Daiki hatte sich ebenfalls erhoben. Kise brachte sie beide zur Tür. Satsuki umarmte ihn herzlich, wechselte ein paar Abschiedsworte mit ihm, während er im Türrahmen stand. Ein letztes, leises Kichern. Ein „Gute Nacht, kommt gut nach Hause“ und der Abend endete so leicht und unverfänglich wie er angefangen hatte.

Daiki beobachtete den vertrauten Ablauf, blickte ein abschließendes Mal zu Kise – der zu ihm zurücksah und dabei auf geheimnisvolle Art irgendwie zufrieden wirkte – und hob dann die Hand zum Abschied, ehe er sich herumdrehte.

 

Irgendwas sagte ihm, dass mit diesem Tag sein Leben einen anderen Lauf genommen hatte. Vielleicht einen anstrengenden, einen unvorhersehbaren, einen ungeregelten. Aber auf jeden Fall einen angenehmeren.

 

 

 



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Sylvanas_Windrunner
2019-03-12T23:29:44+00:00 13.03.2019 00:29
ich mache es ganz kurz....
ich will mehr davon lesen!!!
Von:  KageyamaTobio
2017-07-20T15:24:56+00:00 20.07.2017 17:24
GOTTHEIT,
ich bin verblüfft, wie leicht du es dem Leser machst, in die Geschichte einzutauchen. Das Setting ist toll beschrieben und mit wenigen Zeilen schaffst du es, eine emotionale Bind zu Aomine zu kreiieren. Zugegeben, einer beiden absoluten Lieblingscharaktere des Fandoms. Hier deutlich gealtert, erscheint er mir in seinen typischen Verhaltensmustern toll aufgegriffen. Die dazugekommene Unzufriedenheit gipfelt im Treffen mit Kise. Ich war nicht minder überrascht diesen als Vater wahrzunehmen, eine faszinierende Idee! Die Wortwechsel finde ich sehr authentisch und gut nachvollziehbar, dazu mag ich den Einblick in Aomines Psyche und seine beschriebene Wahrnehmung. Ich mag deinen Schreibstil, der auch mit saloppen Bemerkungen (wie Aomines Einschätzung von Kindern) besticht. Ein toller Auftakt, der neugierig macht!
Die Zusammenfassung im zweiten Kapitel empfand ich als recht angenehm, vor allem für Leser, die nicht gänzlich mit dem Fandom vertraut sind. Das macht es leicht, eine Einschätzung der Charaktere zu gewinnen. Spannend fand ich die unterschiedlichen und sehr passenden Entwicklungen und damit verbundenen Laufbahnen! Sehr kreativ und gut erklärt. Das Aomine ein Geheimnis geblieben ist, hatte ich fast vermutet. Hier und da fand ich einige Satzkonstellationen unglücklich gewählt, was dem Lesefluss aber keinen großen Abbruch getan hat.
Kapitel Drei endet mit einem absolut ideal inszenierten Cliffhanger. Du hast Aomine genau richtig gepackt, um seinen Charakter glaubhaft wieder herauszukehren. Auch wenn es mir ein bisschen an optischen Beschreibungen fehlt (weder Hiro, noch die Jugendbande haben irgendwelche optischen Merkmale, was es schwer macht, sie zu visualisieren), bin ich vom Verlauf der Geschichte sehr begeistert. Wie einfach Aomine von Genervt zu besserwisserisch und wieder zurück zu genervt wechselt, ist toll umschrieben. Das 'Opa' fand ich dezent hart, es ist schon erschreckend, wie sehr Jugendliche auf Krawall gebürstet sein können (was du nachvollziehbar umgesetzt hast).
Ich kann gar nicht erwarten, wie es weitergeht und freue mich auf Folgekapitel :-)

KageyamaTobio
☆ Helfer der KomMission
Antwort von:  GOTTHEIT
06.08.2017 21:34

Oh mein Gott, hätte ich nicht nach älteren Interaktionen auf meiner pers. Seite gesucht, hätte ich nie mitgekriegt, dass du mir einen Kommentar hinterlassen hast. So wenig Zeit momentan, um auf Animexx aktiv zu sein ;_;
Was für ein glücklicher Umstand, dass ich das mitgekriegt habe. Gerade zu dieser Story brauchte ich nämlich dringend Feedback, weil sie irgendwie kaum gelesen wird. :'D
Generell gibt es gerade auf Animexx zu wenige Fanworks zu KnB und diese werden auch irgendwie kaum beachtet, was schade ist, da das Fandom dadurch irgendwie immer weiter ausstirbt.

Danke für den Lob und die Kritik. Gerade dass du mich auf die fehlenden visuellen Aspekte im 3. Kapitel aufmerksam gemacht hast, ist für mich tatsächlich super hilfreich! Die habe ich tatsächlich echt völlig vergessen irgendwie. Wird aber auf jeden Fall nachgeholt! Vor allem da kein Charakter irgendwie nur mal eben ein Kapitel lang vorkommen soll, um dann nie wieder angesprochen zu werden. Jeder Charakter ist bei der Story nämlich wichtig, daher muss das mit den visuellen Sachen dringend geändert werden :)

Falls es dir nicht zu viele Umstände macht, würde ich gern nochmal nachhaken, welche Satzkonstellationen du als unglücklich gewählt empfandest, damit ich sie überfliegen kann und vielleicht naochmal ausberssern kann! :3

Nochmals vielen Dank.
Das 4. Kapitel ist übrigens fast fertig, allerdings warte ich noch ein bisschen mit der Veröffentlichung, da ich allgemein extrem lahmarschig bin und dann zumindest schon mal für das 5. Kapitel was fertig haben möchte x'''D


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