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Der Gesang eines Vogels

von

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Prolog

Vorgaben der Göttin:

- Du findest einen leuchtend-roten Vogel und versuchst ein Foto von ihm zu machen

- Du kletterst auf dem Baum und stürzt ab

- Als du aufwachst, befindest du dich in einem Wald, deine Kamera ist unversehrt geblieben
 


 

Heute war wieder einer dieser Tage, an denen man nicht einfach in der eigenen Bude hocken konnte und die Sonne beobachtete, wie sie außerhalb der Fensterscheibe an einem vorbeizog und das Licht die Wolken in sattes Orange hüllen würde. Es war Sommer und die trockene Luft vermischte sich mit dem kondensierten Wasser des Sees an dem ich gerade entlanglief. Die dunkle Umhängetasche bewegte sich leicht und strich immer wieder gegen meine dunkelgrüne Capri-Hose und klapperte leise, wenn die Schatulle mit meinen Stiften gegen meinen Oberschenkel prallte. Lange Zeit hatte ich nicht mehr richtig gezeichnet. Nur ab und zu ein paar Skizzen, aber keine wirklichen Bilder von der Natur und der Landschaft um mich herum. Vielleicht lag es an dem guten Wetter, dass ich spontan spazieren gegangen bin, mir Zeichenblock, Stifte und Kamera geschnappt hatte und los gelaufen war. Selbst mein Portemonnaie und mein Handy ließ ich heute Zuhause. Eine Seltenheit bei mir, aber dafür fühlte ich mich in diesem Moment umso freier. Es tat gut, mal wieder abzuschalten und nicht immer nur vor dem Laptop zu sitzen. Die schwarze Kamera baumelte um meinen Nacken und warf einen starken Schatten auf mein blaues T-Shirt, sodass ich sie mit einer Hand festhalte, damit sie mir nicht andauernd gegen den Bauch klopfte. Ich hatte nicht wirklich die weiblichsten Klamotten an, doch genauso fühlte ich mich wohl. Die knabenhafte Figur und meine kurzen blonden Haare unterstrichen diese Einstellung umso mehr. Einige Menschen hatten mich schon mal mit einem Jungen verwechselt und es hatte mich nicht im Geringsten gestört. Eher im Gegenteil. Es machte mir Spaß, die Grenze zwischen Mann und Frau ein bisschen zu lockern und der Gesellschaft zu zeigen, dass es manchmal keine Rolle spielte, welches Geschlecht man hatte, sondern dass man einfach ein Mensch war. Wie alle.
 

Der Weg gabelte sich vor mir in zwei Richtungen. Kurz überlegte ich und entschied mich für den rechten Pfad, der sich vom See entfernte und dem angrenzenden Fluss folgte. Es dauerte nicht lange, da entdeckte ich auch schon die erste Entenfamilie auf der glitzernden Wasseroberfläche und einen Schatten spendenden Baum direkt am Wegesrand. Froh, den Sonnenstrahlen für einige Zeit zu entkommen, setzte ich mich an den breiten Stamm und atmete durch. Es war eine alte Buche, die wahrscheinlich schon mehrere Jahrzehnte hinter sich hatte und sich ein breites Blätterkleid angelegt hatte, das mir nun Schatten schenkte. Meine Tasche legte ich neben mich und die Kamera vorsichtig darauf. Ich hörte neben dem leisen Plätschern des Flusses noch das Zirpen von mehreren Grillen und das Rascheln der Blätter, wenn eine leichte Brise ankam und mir kühlend durchs Gesicht strich. Ich schnappte mir den Block, drehte das Deckblatt um und begann grob die Landschaft vor mir zu skizzieren. Ich war kein Naturtalent, aber auch kein hoffnungsloser Fall, wenn es um Kunst ging. Manche Dinge konnte ich besser, andere schlechter. Also eigentlich ziemlich normal.
 

Das Bild nahm langsam Form und Gestalt an, als mich ein lautes, sehr nah klingendes Gezwitscher aus der Trance riss. Meine Sinne konzentrierten sich wieder auf die Umgebung, als ob sie die letzten Minuten geschlafen hätten und nun wach wurden. Mein Kopf hob sich, blickte zum Fluss, dann den Weg entlang und schließlich nach oben. Zwischen den ganzen Ästen und Blättern sah ich einen bunten Vogel. Zuerst dachte ich, es wäre ein Papagei, bei so einem starken Rotton, doch ich irrte mich. Das war kein Papagei, schließlich gab es dir wohl kaum in freier Wildbahn hier in Deutschland. Auch der Gesang des Vogels war anders. Sehr melodisch und hell. Als ob er mich begrüßen wollte.

Meine Hand griff zur Kamera und meine Beine hoben meinen Körper wieder auf die Füße. Ich musste ein Foto von diesem seltsamen Tier machen! Aber er war so hoch im Baum, dass ich ihn unmöglich durch das ganze Geäst richtig vor die Linse bekommen würde. Also überlegte ich nicht lange und blickte zum Stamm. Es würde eine ganz schöne Kletterei werden, aber die Neugier überwog diesen Gedanken und brachte meinen Körper in Bewegung. So leise, wie ich nur konnte bestieg ich die alte Buche unbemerkt von Mensch und Tier. Niemand anders war zu hören, oder zu sehen, als ich und dieser rotleuchtende Vogel.

Der Aufstieg war wesentlich anstrengender, als ich gedacht hatte, doch es lohnte sich! Auf perfekte Höhe legte ich meinen Oberkörper der Länge nach auf einen der Äste in der Hoffnung, dass er mich tragen würde. Er knatschte und ächzte bedrohlich. Der Vogel war nun direkt vor mir. Nicht einmal mehr zwei Meter, dann säße ich mit ihm Aug in Aug.

Leise und mit erschöpften, aber unterdrückten Atmen platzierte ich die Kamera vor mein Gesicht und sah auf das Display. Der Gesang erklang erneut in meinen Ohren und schnell drückte ich den Auslöser. Eine Welle der Erleichterung überflutete mich, als ich mein Ziel erreicht hatte. Ein lautes Knacken schoss in meine Ohren, wie ein Pistolenschuss und ließ mich zusammenzucken. Ich spürte, wie der Ast unter mir nachgab und mich in die Tiefe stürzen ließ. Ein erstickter Schrei kam aus meiner Kehle und meine Augen kniffen sich reflexartig zu. Doch ein Aufprall kam nicht. Alles wurde still, als ob jemand den Stecker gezogen hätte. Keine Geräusche mehr, kein Licht mehr, dass durch meine Augenlider drückte und auch kein Fallen mehr. Alles wurde schwarz und ich versank in der Tiefe eines unendlichen Loches.

War es das? Keine Erinnerungen an meine Vergangenheit? Kein Flashback bevor es zu Ende ging?

Die Angst war das Letzte, was ich spüren konnte, bevor ich die Augen wieder öffnete…
 

Laub knisterte unter meinem Kopf, als ich mir vorsichtig bewegte. Mein Körper fühlte sich merkwürdig taub an, als ob ich schon stundenlang hier liegen würde. Tat ich es vielleicht auch? Aber…wo war ‚hier‘? Der Geruch von feuchter Erde und Moos stieg in meine Nase und die vielen Baumstämme in meinem Sichtfeld verrieten mir, dass ich inmitten eines Waldes lag. Langsam bewegte ich meinen Kopf, sodass ich nach oben blickte. Baumkronen verdeckten mir die Sicht in den blauen Himmel.

„Wo…?“ Meine Stimme klang heiser und kratzig. Ich räusperte mich und setzte mich auf. Kein einziger Schmerz durchfuhr meine Nerven und brachte mich zum Aufschreien. Mir ging es gut. Doch etwas zog in meinem Nacken. Ich fasste hin und spürte etwas Raues. Das Band meiner Kamera! Sofort bemerkte ich, wie sie noch immer an meinem Hals herab baumelte. Ohne einen einzigen Kratzer und völlig intakt.

Irgendwie musste ich diesen Sturz heil überstanden haben. Doch wie bin ich hier her gekommen?

Mein Blick schweifte umher, erfasste Bäume, Sträucher und…einen See. Ich saß direkt am Ufer eines schönen Sees, dessen Oberfläche mit einigen Blättern verziert war.

„Okay…wo bin ich…?“, fragte ich mit der vollen Gewissheit, dass niemand antworten würde. Ich stand auf, klopfte mir den Dreck von der Kleidung und ging einige Schritte. Mein Körper war zittrig und die Beine glichen einem einzigen Wackelpudding, aber nach und nach gewöhnte ich mich dran und schaffte es, durch das Unterholz zu gehen. Fragen wirbelten durch meinen Kopf, wie das Laub im Wind. Wo war ich? Wie war ich hier her gekommen? Was machte ich hier? Wie hatte ich überlebt?

…Und was war das für ein Vogel gewesen…?

Ich besah mir das Bild des Tieres genauer an. Rotes Gefieder, ein schwarzer, glatter Schnabel und einen gelben Punkt auf dem Kopf.

„Bist du dafür verantwortlich…?“

Das Haus am Fluss

Vorgaben der Göttin

- Du findest ein Haus an einem Fluss, wo du bleiben kannst

- Du realisierst, in welcher Welt du dich befindest
 

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Der Waldboden war uneben und wegen den Wurzeln und Steinen musste ich aufpassen mich nicht der Länge nach hinzulegen. Er glich unruhigen Wellen im Meer, die in der Zeit stehen geblieben waren und mit frischem Laub bedeckt wurden. Ich war mir nicht sicher, wie lange mich meine Beine schon durch das Unterholz getragen hatten, aber plötzlich lichtete sich der Wald und spendete dem Boden mehr Sonnenlicht und Raum. Meine Haut spürte die angenehme Wärme, die sich wie ein Schleier auf mein Gesicht und meine Unterarme legte. Büsche und Blumen präsentierten mir das Ende meiner Wanderung und zeigten eine riesige Wiesenlandschaft, die sich an den Seiten eines großen Flusses befand. Es erinnerte mich an einen der Bildschirmhintergründe auf meinem Computer und ließ mich staunen.

„Wahnsinn!", sagte ich und ging über die grüne Landschaft. Der Fluss zog sich von mir aus von links nach rechts und plätscherte fröhlich vor sich hin, eine Bergkette war in der Ferne zu sehen und davor entdeckte ich ein alleinstehendes Haus, weiter flussabwärts. Mein Kopf drehte sich suchend nach einer Brücke um, doch mit einem Seufzen musste ich feststellen, dass hier noch keine erbaut wurde. Sollte ich springen? Aber das waren bestimmt über vier Meter! Zu riskant. Ich hatte keine Lust, dass meine Kleidung und meine Kamera nass we-

„Meine Kamera!" Sofort griff ich nach ihr und fotografierte das wunderschöne Panorama, das mir die Natur offenbarte. Nachdem ich ein Bild geschossen hatte sah ich mich weiter um. Vorsichtig ging ich am Uferrand umher und grinste triumphierend, als ich ein paar Felssteine entdeckte, die wie lauernde Krokodilrücken aus dem Wasser ragten. Summend sprang ich von einem Stein zum nächsten und landete schließlich am anderen Ufer.

„Hopp! Geschafft!", sagte ich zufrieden und eilte durch das Gras, direkt auf das Haus zu. Es sah aus wie ein typisches altes Bauernhaus. Mit eigenem Gemüsegarten, frei herumlaufenden, pickenden Hühnern, einem Wasserrad und einem hohen Stapel Feuerholz an der Hauswand. Es weckte in mir ein Gefühl der Harmonie und Ruhe. Hier lebte mit Sicherheit ein altes Ehepaar, deren Enkelkinder in den Sommerferien immer zu Besuch kamen und auf der Wiese herumtollten. Ob ich hier wohl fragen könnte, wo ich war? Vielleicht irrte ich mich auch und dort lebte nur ein alter Opa mit Jagdgewehr und mieser Laune.

„Naja. So schlimm wird's schon nicht werden", munterte ich mich selber auf und schritt zur Tür. Sie war aus altem, dunklem Eichenholz und mit einem aufgehängten Blumenkranz verziert worden. Einmal tief durchgeatmet drückte ich die Klingel und trat einen Schritt zurück. Erst hörte ich gar nichts außer dem Rauschen des Wassers und das leise Gackern der Hühner, doch dann ertönte das schnelle Klopfen von Schuhen auf Holzboden. Ich richtete mir noch schnell meine Haare und legte mir Sätze im Kopf bereit, damit ich gleich nicht ganz so planlos vor dem Hausbesitzer stand, wie ich mich eh schon fühlte. Irgendwie war das alles viel zu bizarr...
 

Als die Tür geöffnet wurde, blickte ich in das Gesicht einer jungen Frau, ungefähr Mitte zwanzig mit braun-orangenen Augen und kastanienbraunen Haaren, die ihre sanften Gesichtszüge umrahmten und zu einem bezaubernden Gesamtbild machten. Sie trug eine beige Schürze und darunter ein waldgrünes Kleid mit langen Ärmeln. Ihr Lächeln hielt ihre Zähne zwar verborgen, aber es strahlte trotzdem zu mir herüber, sodass meine Mundwinkel von alleine die freundliche Geste erwiderten.

„Hallo~." Ihre Stimme war feminin und ein bisschen zu hoch für meinen Geschmack, aber das störte mich nicht weiter.

„Hallo, entschuldigen Sie die Störung, aber ich habe mich leider im Wald verlaufen und Ihr Haus gerade entdeckt. Können Sie mir bitte sagen, wo die nächste Stadt ist?", fragte ich und entschied mich dafür, lieber nicht zu sagen, dass ich keine Ahnung hatte, wie zum Teufel ich hier her gekommen war. Schließlich sollte sie nicht von mir denken, dass ich verrückt geworden war. Mit leicht besorgter Miene musterte die junge Frau mich kurz und sah mir dann entschuldigend in die Augen.

„Oh je. Ich kann dir den Weg zwar zur nächsten Stadt sagen, aber heute wirst du dort leider nicht ankommen. Es ist zu weit weg zu Fuß", sagte sie mit ehrlichem Bedauern. Auf einmal hörte ich eine alte, krächzende Stimme aus dem Inneren des Hauses, die mich an einen alten Raben erinnerte.

„Wer ist da?", rief die Stimme. Ich schätzte den Ursprung der Stimme auf mindestens sechzig Jahre, weiblich und offenbar schwerhörig. Die Frau vor mir drehte den Kopf nach hinten

„Hier hat sich jemand im Wald verirrt und sucht den Weg zur nächsten Stadt, Oma!" Leise, schlurfende Schritte waren zu hören, als die alte Dame mit den asphaltgrauen Haaren und der Strickjacke aus dem Wohnzimmer trat und zur Tür ging. Ich hatte selten eine so klischeehafte Oma gesehen, wie diese hier. Es fehlten nur noch die Katzen, die um ihre Beine schlichen und schnurrten und der angefangene Baumwollpullover für die Enkel in den Händen mit Wollknäul und Nadeln. Doch ich war mir sicher, dass sie ihn nur im Wohnzimmer hat liegen lassen. Ich entgegnete ihr ebenfalls mit einem Lächeln. Tja, was nun? Ich würde garantiert nicht die komplette Nacht bis zur Stadt latschen, wobei ich sowieso weder Handy noch Portemonnaie bei mir trug. Ich war also auf Deutsch gesagt im Arsch...

„Ah, lass das junge Ding bloß nicht in der Dunkelheit bis zur Stadt laufen, Lia. Das ist zu gefährlich", sagte sie zu ihrer Enkelin mit lauter Stimme, ehe sie mich wieder mit weisen, hellen Augen ansah. „Wie heißt du? Und wo kommst du her?"

„Ich bin Finny. Ähm...ich komme...ehrlich gesagt...weiß ich nicht, wie ich hier her gekommen bin. Plötzlich war ich im Wald. Kurz nachdem ich von einem Baum am Flussufer gefallen bin." Die Peinlichkeit stand mir ins Gesicht geschrieben. Aber dennoch wusste ich genau, dass ich nicht ansatzweise in der Nähe meiner Heimat war. Die Landschaft passte nicht und mein Bauchgefühl bestätigte mir das ungute Gefühl, weit…weit weg zu sein...

Doch die Oma und Lia schienen mich allen Anschein nach nicht für verrückt zu halten. Dabei würde ich mir selbst gerade den Vogel zeigen! Es klang total absurd. Was war nur los?! Träume ich das alles nur und liege noch bewusstlos unter dem Baum? Oder im Krankenhaus im Koma? Wow... eine Möglichkeit besser als die andere.

„Dann bleib über Nacht hier und iss mit uns zusammen zu Abend. Wir hatten lange keinen Besuch mehr gehabt und mein Enkel freut sich immer über Gäste. Lia, bereite eine Suppe und etwas Brot vor. Das Mädchen ist ja nur Haut und Knochen!" Die Oma musterte meine schlanke Silhouette und schlurfte dann wieder in kaum erkennbarer Geschwindigkeit in das Wohnzimmer. Ihr Enkel nickte freudig und strahlte mich an, als ob ich hier erwartet wurde. Mit so einer Gastfreundschaft hätte ich im Leben nicht gerechnet! Essen und eine Unterkunft! Der Tag ist erst einmal gerettet.

„Vielen Dank! Das ist sehr nett von Ihnen." Ich trat in den Eingangsflur, Lia schloss die Haustür hinter mir und winkte kichernd ab. Sie fand es für selbstverständlich, jemanden zu helfen, der in Not war und sagte, dass wir ruhig per du sein könnten.

„Wir sind ja fast gleich alt, oder? Da passt er besser und ich komme mir nicht so alt vor", lachte sie. Ich nickte und konnte mich genauer umschauen, als ich mir die Schuhe auszog und die Augen schweifen ließ.
 

Holz und helle Brauntöne bildeten den ersten Gesamteindruck und gaben mir ein Gefühl der Wärme und Nostalgie. Es war Ewigkeiten her, seitdem ich in einem Bauernhaus war. Der Flur war offen und man konnte direkt in das Wohnzimmer schauen, welches von einem großen, weinroten Teppichs eingenommen wurde, der sich bis zum Kamin zog und dort eine nackte Stelle frei ließ, die von beigen Fliesen geziert wurde, auf der sich einige Aschereste, Holzstaub und Kohlekrümel wiederfanden. Auf dem Sessel direkt vor der prasselnden Feuerstelle hatte sich die alte Dame gepflanzt und häkelte tatsächlich in aller Ruhe einen blau-karierten Wollpullover. Lia Schritt an ihr vorbei und durch eine Tür, die anscheinend zur Küche führte.

„Du kannst das Zimmer meines Enkels benutzen! Das steht momentan leer", krächzte die Oma und ich gab mit einem lauten und klarem „Okay!" zu verstehen, dass ich sie gehört hatte, ehe ich auf der anderen Seite des Wohnzimmers eine Treppe entdeckte.
 

Mit leichter Neugier betrat ich das Obergeschoss und entdeckte erst das kleine, aber niedlich eingerichtete Badezimmer. Die Handtücher waren farblich mit dem Duschvorhang abgestimmt, auf dem ich einen pinken Flamingo ausmachte, der auf einem Bein zwischen ein paar Gräsern im Wasser stand. Ich verließ das Bad wieder und blickte nun zu einer nur angelehnten Zimmerpreise und riskierte einen Blick.

„Hui. Der Enkel muss ein Bücherwurm sein!", sprach ich meinen ersten Gedanken laut aus. Ein riesiges Pentagramm prangte an der Wand genau vor meinen Augen und aberhunderte von alten Büchern stapelten sich auf den Regalen, Schränken und Tischen und zwängten sich in jede Ecke des Raumes. Ich konnte kaum noch den Boden sehen! Das Bett stand direkt neben dem Fenster und war als einziges Möbelstück nicht komplett von den Büchern zugestapelt worden. Es sah sogar frisch gemacht aus. Anscheinend hatte hier schon seit einiger Zeit keiner mehr geschlafen, doch Lia schien hier immer trotz des Chaos sauber zu machen. Ich konnte keine verstaubten Oberflächen ausmachen, als ich durch das Zimmer ging und mich schließlich auf die Matratze setzte.

„Au!“ Sofort griff ich unter die Decke und schob ein Buch hervor, auf dessen Kante ich mich eben gesetzt hatte. Meine Augen weiteten sich, als sie den Titel erblickten. Mein Körper wurde durch einen Adrenalinstoß durchströmt und ließ mein Puls rasen.

„Die Geschichte….von Fiore…? I-ist das nicht…?“ Konnte das wahr sein? So ein Buch gab es nicht einfach so und schon gar nicht so vergilbt und alt, dass die Seiten in meinen Fingern schon anfingen zu bröseln. Vorsichtig blätterte ich durch und konnte es kaum fassen. Quatsch! Ich konnte es überhaupt nicht fassen! Fiore gab es nicht. Es war ein fiktiver Ort von ‚Fairy Tail‘!

„Ich bin im falschen Film…scheiße…oder etwa in der falschen Welt…?!“ Und in diesem Zeitpunkt bemerkte ich, warum das alles hier so seltsam fremd erschien…

Die Landschaft, das Haus und dieser Zimmer hier waren nicht von dieser Welt. Und ich...?
 

„Wie zum Teufel komme ich hier her?! …Ah! Und wie komme ich wieder zurück?!“

Magnolia

Vorgaben der Göttin:

- Du gelangst nach Magnolia
 

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Das Abendessen verlief ruhig und ich erfuhr einige Dinge, die ich immer noch nicht recht glauben konnte. Ich hatte Lia auf die vielen Bücher angesprochen und dem Pentagramm an der Wand. Sie hatte mir über ihren Bruder erhält, dass er ein Mitglied der Magiergilde Blue Pegasus gewesen war, aber wegen einer Verletzung einen sichereren Job gesucht hatte. Nun arbeitete er in der Stadtbibliothek von Magnolia. Die ganze Zeit über habe ich nur ab und zu genickt und mir den Weg beschreiben lassen, wie man dort hinkam. Innerlich hingegen pochte mein Herz vor Aufregung und mein Kopf war gefüllt von Hilfe- und Freudenschreien zugleich. Lias Großmutter zeigte mir eine große Landkarte von Fiore und meinte, dass man zu Fuß von hier aus etwa vier Stunden benötigte. Das würde eine Laufarbeit werden! Aber sobald ich in Magnolia sein würde, fände ich bestimmt einen Weg, erst einmal Geld und ein Dach über den Kopf zu finden. Und vielleicht würde ich auch Fairy Tail finden... Natürlich würde ich sie finden! Wenn ich schon mal hier war, dann könnte ich auch gleich mal bei der berühmten Magiergilde vorbeischauen, von der ich schon so viel gelesen hatte.
 

Als die Sonne die Wiese in saftiges Orange hüllte und wie ein Meer aus Gräsern aussehen ließ, das durch den Wind leichte Wellen schlug, zog ich die Vorhänge zu und legte mich aufs Bett. Doch an Schlafen war nicht zu denken. Ich war viel zu aufgeregt und meine Gedanken auf den morgigen Tag summten wie ein Bienenschwarm in meinem Kopf herum.

„Ich werde Natsu und die anderen treffen! Wahnsinn! Ob sie mich wohl mögen...hmm...Magie ist echt was Tolles...will auch...", murmelte ich und konnte mir selbst nichts vormachen. Wie sehr würde ich der Gilde beitreten und mit den anderen Leuten Abenteuer erleben. Das würde diesen Traum perfekt machen!

Es dauerte noch einige Stunden, bis ich endlich einschlafen konnte und der festen Überzeugung war, in meinem normalen Bett Zuhause wieder aufzuwachen. Doch ich irrte mich.
 

Der Morgen begann für mich mit einer warmen Dusche und einem leckeren Frühstück mit Brot, Tomaten und Schinken. Die Großmutter schlief noch, als mir Lia noch ein paar Sandwiches für meine Reise machte und ich mir die Schuhe anzog.

„Hier sind die Brote. Du musst nur dem Fluss folgen und Richtung Norden gehen. Pass auf dich auf", sagte Lia mit einem Lächeln, das ich gerne erwiderte.

„Danke! Und vielen Dank für alles! Auf Wiedersehen!" Ich verabschiedete mich von der jungen Frau und machte mich auf den Weg.
 

Das Wetter war wunderbar und steigerte meine Laune noch mehr. Summend und mit meiner Kamera um den Hals spazierte ich flussabwärts und tankte etwas Sonnenlicht. Nach einiger Zeit zogen sich die Wolken allerdings wie ein Schleier vor die Sonne und verhinderten bei mir einen Sonnenbrand. Als ich die Wiesenlandschaft verließ und den Fuß des Berges erreicht hatte, atmete ich durch und machte eine kleine Pause, ehe ich mich dem ansteigenden Pfad widmete und in einen Nadelwald tauchte. Hier war es etwas schattiger und eine Gänsehaut zog sich über meine Unterarme, als ein Windstoß durch das Geäst wehte und mir fast einen Tannenzapfen auf den Kopf warf.

Schließlich überkam mich der Hunger und ich suchte einen passenden Platz zum Rasten. Neugierig sah ich mich um und entdeckte ein paar Felssteine, die wie Pilze aus dem Boden ragten und einen guten Rastplatz für mich hergaben.

„Puh...die Hälfte müsste ich jetzt hoffentlich geschafft haben", murmelte ich vor mich hin, während der Geruch der Sandwiches meine Nase verwöhnte, als ich sie ausgepackt und den ersten Bissen genossen hatte. Um mich herum war es ruhig und nur einige Vögel zwitscherten in der Ferne, während die Baumkronen leise rauschten, wenn der Wind durch sie schlich. Meine Gedanken waren wieder bei Magnolia und Fairy Tail. Egal, wie das hier passieren konnte...eine Hälfte in mir schrie danach, hier zu bleiben und die andere wollte wissen, wie ich wieder zurückkam. Mein einziger Anhaltspunkt war der rote Vogel…Vielleicht war es ein magischer Piepmatz, der mich in diese Welt teleportiert hatte?

...Alter...das klingt so bescheuert in meinem Kopf! ‚Magie‘, ‚teleportieren‘ und dann auch noch die Tatsache, dass ich mich gerade so sehr freue, obwohl ich hier komplett pleite, obdachlos und nur mit meinen jetzigen Klamotten rumsaß und ein Sandwich aß.

„Irgendwie pack ich das schon. Erst mal brauche ich eine Bleibe und einen Job." Aber was für ein Job? Solange ich nicht wusste, ob ich seit meiner 'Teleportation' plötzlich Magie beherrschte oder nicht, fiel dieses Kriterium vorerst weg. Ich könnte irgendwo den Haushalt machen...oder auf Kinder aufpassen und ihnen Nachhilfe geben. Oder ich arbeitete als Kellner.

Aber erst einmal musste ich dort ankommen! Also beendete ich meine Mittagspause und schritt voran, weiter durch den Wald, den Berg hinauf und Richtung Meer. Die Sonne hatte sich inzwischen ganz hinter den dicken, flauschigen Wolken versteckt und ich hoffte inständig, dass es nicht regnen würde.
 

Ich beeilte mich und konnte nach einer gefühlten Ewigkeit endlich die Spitze des Hügels erreichen und auf das blaue, glitzernde Meer blicken, das leichte Wellen schlug, während Magnolia zusammen mit dem riesigen Gildengebäude wie ein Fels in der Brandung stand. Die Stadt war wunderschön und wirkte von weitem so friedlich und heimisch, als ob hier noch nie etwas passiert wäre, was diese Idylle hätte zerstören können. Verträumt nahm ich die Kamera und schoss ein schönes Panorama der Stadt.

„Woah..." Der Anblick raubte mir den Atem. Sofort war ich wieder voller Energie und stürzte mich den Hügel runter, durch den Wald und hinein in die Gassen.
 

Der Asphalt war etwas ungewohnt nach der ganzen Wanderung, aber ich ließ mich von meinen jammernden Fußsohlen nicht abhalten und ging vorbei an Lebensmittelläden, Buchhandlungen, Cafés und Wohnhäuser, bis ich den Kanal entdeckte, an dem Lucy immer entlang balancierte, wenn sie nach Hause ging. Ob hier irgendwo ihre Wohnung war? Mit Sicherheit, aber jetzt war sie bestimmt in der Gilde, oder auf einem Auftrag. Also stand es für mich fest: Mein erster Besuch der Gilde! Ich könnte sie beauftragen, herauszufinden, wie ich wieder zurückkam! Oh...aber ohne Geld…

„Arg! Das darf doch wohl nicht wahr sein! Kein Geld! Keine Klamotten! Kein Schlafplatz! Ich ende hier noch auf der Straße, wenn mir nicht bald mal was einfällt!", fluchte ich und raufte mir meine zerzausten, kurzen Haare. Ein Blick auf die spiegelnde Wasseroberfläche brachte mich jedoch wieder zum Schmunzeln. Ich sah aus wie ein schmollend, kleiner Junge, der gerade einen Stromschlag bekommen hatte. Es brachte nichts, sich nun aufzuregen und Panik zu schieben. Ohne kühlen Kopf würde ich nur planlos durch Magnolia wuseln und verzweifelt nach einer Bleibe suchen.

„Vielleicht könnte ich irgendwo schnell einen Aushilfsjob finden...oder ich frag Fairy Tail, ob sie mir auch ohne Geld helfen würde...Oh Mann...! Heute ist echt nicht mein Tag", sagte ich und blickte in den Himmel. Ein dicker Wassertropfen landete genau in mein linkes Auge und ließ mich leicht zusammenzucken. Na toll! Jetzt regnete es also doch! Schnell blickte ich mich um, rieb mir das Auge und rannte los in Richtung Gilde. Meine Hände umschlossen die Kamera, während der Regen immer stärker wurde und mich noch schneller rennen ließ, als ein Kaninchen auf der Flucht.
 

Endlich! Die Gilde war direkt vor mir. Ich öffnete die große Eingangstür, um endlich ins Trockene zu gelangen. Bis auf meine Kamera war ich komplett nass und mein Sport-BH - der meine Brust zwar so gut wie vollends abflachte, aber sehr bequem war - klebte an meiner Haut wie zäher Kaugummi auf Asphalt. Meine Atmung beruhigte sich langsam wieder.

Die Gilde war ziemlich groß und kaum einer hatte mein Kommen durch den ganzen Lärm gehört. Es wurde gelacht, getrunken, Karten gespielt und ab und zu entstanden ein paar Raufereien, die aber niemanden störten. Es roch nach Bier, frischem Essen und etwas Verbranntem, woran mit Sicherheit Natsu schuld war. Ich war also ohne Zweifel bei Fairy Tail. Umgeben von Figuren...Menschen, bei denen ich dachte, dass sie nur Fiktion waren. In einer Welt, die mir so fremd und vertraut zugleich war, dass ich dachte, mein Verstand hätte sich verabschiedet.

„Fairy Tail..." Mein überaus konstruktiver Beitrag zu dem ganzen Geschehen war fast nur ein leises Flüstern im Gegensatz zu dem belebten Geschehen vor mir, jedoch fasste es meine Gedanken am besten zusammen. Es war wie im Märchen...

Fairy Tail

Vorgaben der Göttin:

- Versuche die Gilde zu überzeugen, dir zu helfen wieder in deine Welt zu gelangen

- Finde eine Bleibe

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Nun war ich tatsächlich in der berühmten Gilde 'Fairy Tail' und stand, vom Wetter klitschnass, unter dem großen Türbogen des Eingangs. Meine kurzen Haare klebten an meiner Stirn und an den Wangen, während meine Kleidung durch den Regen schwerer geworden war. Nicht gerade das eleganteste oder schönste Erscheinen, aber daraus machte ich mir nichts. Hauptsache ich konnte hier einen Weg finden, eine Bleibe für die Nacht zu bekommen. Und natürlich wieder nach Hause zu finden!

Vorsichtig schritt ich durch das Durcheinander von verschiedenen Gildenmitgliedern, Tischen und Bänken. Erstaunt und verträumt blickte ich mich um. Doch kurz bevor ich die Theke erreichen konnte, hinter der die weißhaarige und sehr hübsche Mirajane stand und freundlich Alkohol ausschenkte, wurde ich von den Füßen gerissen. Hätte ich das 'Achtung!' kurz vorher gehört, wäre ich jetzt wahrscheinlich nicht krachend auf dem Boden gelandet, begraben von einem gewissen Dragonslayer mit pinken Haaren. Natsu hatte sich höchst wahrscheinlich mit Gray, dem schwarzhaarigen Eismagier, wieder angelegt, was in einer Rangelei geendet hatte, die wiederum dafür gesorgt hatte, dass der Feuermagier nun auf mir lag.

"Oh, Sorry!", sagte Natsu zu mir, grinste entschuldigend und zeigte spitze, drachenähnliche Zähne. Ich wollte gerade einen coolen Spruch wie 'Kein Thema. Bin ich bequem?' von mir geben, als mein Mund sich jedoch schon geöffnet hatte.

"Ah...Hi", antwortete ich etwas verwirrt und überrumpelt. Und schon flog mein cooler Spruch in die Luft und verschwand wie eine Staubwolke lautlos in der Atmosphäre. Natsu stand mit einem Sprung auf und reichte mir die Hand. Ich nahm sie dankend an, lächelte etwas unvorbereitet und stand wieder auf den eigenen Füßen. Wie sollte ich ihm in die Augen sehen, ohne innerlich vor Fassungslosigkeit zu zerspringen? Vor mir stand eine fiktive Figur, leibhaftig!

"Besorg dir beim nächsten Mal 'n Flugschein, Flammenwerfer!" Eine tiefere Stimme erklang hinter dem pinkhaarigen Jungen. Gray stand auf dem Tisch, mit freiem Oberkörper und schon gelockertem Gürtel. Und doch noch etwas zivilisierter am Tisch sitzend waren Lucy, Juvia - die ihre roten Wangen hielt und zu dem Eismagier hinaufblickte - und Wendy zusammen mit den beiden Katzen Happy und Shalulu. Sie sahen alle neugierig an Natsu vorbei und zu mir. Etwas nervös, von den ganzen Augenpaare betrachtet zu werden, hob ich die Hand zum Gruß und grinste.

"Hey. Kann ich ähm...den Master sehen?", sprach ich die erste Frage in meinem Kopf aus, der momentan viel zu viele Gedanken in sich herumschwirren hatte. Fairy Tail. Natsu. Magie. Welt. Fremd. Wow. Habe ich auch Magie? Wie komme ich hier her? Kann ich in meine eigene Welt zurück? Ist das Kaugummi in Natsus Haaren?

"Hm? Du willst den Alten sprechen?", hakte Natsu nach und schien mich irgendwie zu beschnuppern. Ich versuchte diese Geste zu ignorieren und nickte einfach.

"Ich hole ihn, einen Moment!", sagte die blonde Stellargeistmagierin, stand auf und verschwand hinter einer Tür. Gray hatte sich derweil ahnungslos die Hose ausgezogen und ging nun, nur in dunkelblauen Boxershorts, auf mich zu. Das Gildensymbol schimmerte auf seiner Brust und ich musste zugeben, dass sein Körper wirklich sehr gut gebaut war. Doch weder stieg mir Röte ins Gesicht, noch hielt ich mir die Augen vor Scham zu. Schließlich hatte ich schon oft genug Jungs und Mädels in Unterwäsche gesehen und da ich zehn Jahre Kampfsporterfahrung hinter mir hatte, war Körperkontakt auch nie ein Problem für mich gewesen.

"Wer bist du überhaupt?", fragte der Halbnackte und musterte mich. Juvia flüsterte leise Liebeserklärungen hinter seinem Rücken und rückte ihm immer näher, bis Gray endlich seine Blöße bemerkt hatte, seine Sachen zusammensuchte und wieder anzog. Ein Schmunzeln zeichnete sich langsam auf meinen Lippen ab, während ich das Schauspiel beobachtete. Diese Truppe war wirklich unterhaltsam!

"Ach ja! Ich bin Finny. Und naja... es ist etwas kompliziert...Ich bin gestern in einem Wald hinter den Bergen aufgewacht und habe keine Ahnung, wie ich dort hingekommen bin", sagte ich und zuckte zum Schluss mit den Schultern. Wenn der Master wüsste, wie das Alles hier passieren konnte, würde ich endlich Klarheit bekommen. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass dieses Geheimnis noch eine Weile im Verborgenen bleiben würde. Außerdem klang meine volle Geschichte sehr verrückt. Am besten würde es sein, wenn ich nur die wichtigsten Dinge erzählen würde. Es wäre nicht von Vorteil, wenn sie erfahren würden, dass ich diese Welt nur aus gezeichneten Bildern kannte. Und bevor sie mich in eine Anstalt stecken würden, sollte ich mir genau überlegen was ich Natsu und den anderen erzählen sollte.

"Ich bin Natsu! Und das da sind Gray, Wendy, Juvia, Shalulu und Happy. Und das Mädchen, das gerade den Master holt, heißt Lucy!" Der Dragonslayer lächelte breit und zeigte auf die mir schon längst bekannten Personen. Es war seltsam, dass sie sich mir vorstellten... In allen Ansichten war es seltsam!

"Freut mich!", sagte ich lächelnd und alle erwiderten die Geste mit freundlicher Miene. Dass Juvia mich nicht 'Liebesrivalin' nannte, überraschte mich zwar etwas, aber gleichzeitig war es auch eine Erleichterung, nicht gleich in das Visier der Wasseemagierin zu geraten.
 

Kurze Zeit später saß ich im Nebenraum der Gildenhalle dem kleinen alten Mann namens Markarov gegenüber. Der Master von Fairy Tail sah nachdenklich auf den kleinen Kotatsu vor sich und schien meine Geschichte in Gedanken zu ordnen. Wie oft hörte man schließlich schon, dass jemand durch einen Sturz vom Baum in eine fremde Welt gelangt war?

"Kannst du mir das Foto des Vogels einmal zeigen, Finny?", fragte er. Ich reichte ihm die Kamera mit dem Bild auf dem Display herüber. Einige Minuten verstrichen und nichts geschah. Doch dann hob er den Kopf, holte auf einmal einen Pinsel heraus, strich damit über das Display und danach auf ein weißes Blatt. Auf einmal erschien das Bild des roten Vogels auf dem Papier und Markarov gab mir meine Kamera wieder zurück.

"Wahnsinn!", entkam es mir mit einem erstaunten Ausatmen. Meine Augen wurden bei dem Anblick größer und funkelten ihn begeistert an. Der Master stand auf und pinnte das Foto an die Wand, ehe er seine Hände hinter dem Rücken verschränkte und mir erneut tief in die Augen sah.

"Ich habe leider überhaupt kein Geld, um einen Auftrag zu stellen, aber wäre es irgendwie möglich, dass Sie herausfinden können, wie ich zurück in meine Welt gelangen kann? Ich bitte Sie!" Ich verbeugte mich mit den Händen auf meinen Knien und blickte auf das Kissen, auf dem ich noch im Schneidersitz saß.

"Schon gut, Finny. Du brauchst dir keine Sorgen mehr machen. Fairy Tail ist eine Gilde der Güte und Ehrlichkeit. Wenn jemand wirklich Hilfe bei uns sucht, dann soll er sie auch bekommen. Über eine Bezahlung können wir immer noch später reden. Zuerst einmal solltest du dich von deiner Reise ausruhen und dich stärken. Hast du eine Bleibe für die Nacht?"

"Ähm, nein. Hab ich nicht", antwortete ich während mir ein riesiger Stein vom Herzen gefallen war. So viel Freundlichkeit und Hilfe hatte ich mir so sehr erhofft. Und Fairy Tail hatte mir genau diese Hoffnung gegeben.

Markarov nickte und zeigte aus dem Fenster, auf einen Hügel.

"Dort liegt unser Gildenwohnheim 'Fairy Hills'. Ich bin mir sicher, dass du dort für eine Weile bleiben kannst. Aber du solltest dir eine Arbeit suchen. Die Vermieterin ist nicht gerade die Netteste, wenn es ums Geld geht. Okay?"

"Vielen Dank, Master! Sie retten mir das Leben!" Ich war völlig außer mir! Endlich zu wissen, was ich tun und wo ich bleiben konnte, erleichterte mich ungemein.

Der kleine Mann grinste geschmeichelt und ging mit mir hinaus, zurück in die Eingangshalle. Natsu und die anderen warteten schon auf uns und rannten auf Markarov zu.

"Und? Wie kam Finny hier her?!"

"Übernehmen wir den Auftrag?"

"Darf er der Gilde beitreten? Hat er Magie in sich?!"

Wow. Die anderen belagerten den Master regelrecht! Aber es war schon süß mit anzusehen, wie sie über mich sprach-... hat Natsu gerade 'er' gesagt? Oh... Ach, egal. Was soll's.

Fairy Hills

Vorgaben der Göttin:

- Finde einen Job, um Geld zu verdienen
 

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Nachdem meine Bleibe für die nächsten Nächte gesichert war und mir eine wunderbare Mahlzeit gebracht wurde, saß ich mit vollem Bauch am Tisch der Chaos-Truppe und entspannte mich etwas. Ich lauschte den Konversationen der anderen und zwinkerte Wendy vergnügt zu, die mit einem leichten Rotschimmer bemerkte, dass ich ihre Blicke vernahm. Sie war so ein niedliches Mädchen!

"Wisst ihr zufällig, was man so für Jobs hier bekommen kann? Also ohne Magie", fragte ich schließlich in die Runde, da ich mir schon seit einigen Minuten den Kopf darüber zerbrach. Meine bisherigen Minijobs früher waren in der Bücherei und einem Nachhilfezentrum. Also nichts, was mich in dieser Welt wirklich weiterbringen konnte.

Lucy war die erste, die ihren Zeigefinger nachdenklich an die Wange klopfte und schließlich zu mir sah.

"Wie wäre es als Aushilfe in einem kleinen Laden in der Stadt? Regale einräumen, die Kasse bedienen und so", schlug sie vor und wartete auf meine Meinung. Ehrlich gesagt hatte ich kein besonders großes Interesse an so einer langweiligen Arbeit, aber in der jetzigen Situation würde mir keine andere Wahl bleiben.

"Hmm... wäre einen Versuch wert. Aber nicht besonders reizvoll. ..", gab ich zu und stützte meinen Kopf auf eine Hand. Wenn ich doch nur Magie hätte...dann könnte ich hier arbeiten...

"Und wenn du die Zeitung ausliefern würdest?" Gray Vorschlag erschien für mich auf dem ersten Blick ganz gut, doch dann schüttelte ich den Kopf. Ohne Ortskenntnisse würde man mich nie im Leben einstellen. Die Hälfte der Zeit würde schon alleine für die Suche nach den richtigen Straßen draufgehen. Also grübelten wir alle weiter. Natsu schlug mir dann auch noch vor, als Tellerwäscher in einem Restaurant zu arbeiten, während Happy immer irgendwas von 'Fisch-Verkäufer' murmelte und Shalulu ihm dafür an den Ohren zog.

Wir grübelten noch eine ganze Stunde über mögliche Jobs für mich weiter, ehe ich mich entschloss in die Stadt zu gehen und dort mein Glück zu versuchen. Die anderen folgten mir freundlicherweise, aber leider ohne Hilfe. Bei der Post wurde ich, wie zu erwahrten, abgelehnt und auch in den Restaurants wurde keine Aushilfe gesucht. Ich holte mir eine Ablehnung nach der anderen und seufzte resigniert auf als ich den Himmel sah, der schon in tiefes Rot getaucht war. Ein Blick auf die Kirchturmuhr verriet uns, dass wir schon seit fast drei Stunden hier herumliefen. Erschöpft machten wir uns auf den Weg zur Gilde zurück. Mit einem deprimierenden Gesichtsausdruck fuhr ich mir durch die Haare und musterte meine Kamera.

"Meine Füße bringen mich noch um. Lasst uns hinsetzen und ausruhen", sprach Lucy die Gedanken aller laut aus. Wir nickten, gesellten uns zu einem freien Tisch und verfielen erneut ins Grübeln. Leise hörte ich das Läuten der Kirche sieben Mal. Kurz bevor Juvia ihre Idee von 'Liebestrank-Testobjekt' weiter ausführen konnte, meldete sich Wendy mit einem leisen Räuspern zu Wort.

"A-also...warum arbeitest du hier nicht als Kellner für die Gilde? Mirajane würde sich bestimmt freuen, Unterstützung zu bekommen", sagte sie und deutete zum Tresen. Die Weißhaarige führte gerade eine Unterhaltung mit Elfman, der sich ein großes Glas Bier gönnte. Als sie unsere Blicke bemerkte, lächelte sie uns freundlich zu und winkte. Grinsend winkte ich zurück und sah mit strahlenden Augen zu der kleinen Wendy.

"Das ist eine super Idee, Wendy! Ich frage sie mal!", sagte ich, erhob mich und eilte zu Mirajane.

"Möchtest du auch etwas trinken?"

"Ah, nein danke. Ich habe da eine Frage. Könnte ich hier eventuell als Kellner arbeiten? Ich könnte dir helfen." Schon fast flehend blickte ich ihr in die Augen. Ob ich auch ohne Mitgliedschaft hier arbeiten könnte...?

"Eine tolle Idee! Wenn der Master sein OK gibt, sollte es kein Problem sein", meinte sie und drehte den Kopf zum anderen Ende der Theke. Dort saß Markarov mit einem Glas in der Hand und trank in Ruhe vor sich hin. Ohne zu uns zu blicken, hob er den Kopf und setzte das Glas von seinen Lippen.

"Du kannst hier arbeiten. Aber mach dich auf was gefasst. Hier ist es nicht immer so friedlich, wie heute."

"Wuhu! Danke Master! Ich werde mein Bestes geben!", rief ich vor Freude, den letzten Satz problemlos überhörend. Egal was für ein Chaos hier sein sollte, solange ich bei Leuten war, die ich kannte, wäre ich zufrieden. Auch wenn ich nicht so bewandert als Kellner war, würde ich das schon irgendwie schaukeln.

"Oh! Ein neuer männlicher Kellner! Männlich!", sagte Elfman laut und ballte die Hände zu Fäusten. Ein amüsiertes Lächeln machte sich in meinem Gesicht breit. Ich hatte eine Unterkunft und einen Job! Und beides auch noch bei Fairy Tail! Wenn nicht die Tatsache gewesen wäre, dass ich hier eigentlich gar nicht hin gehörte, würde ich vor Freude losschreien. Aber mein Herz zog sich leicht zusammen, als ich an Zuhause dachte. An meine Familie und meine Freunde...

"So. Unterschreib einmal hier und hier." Plötzlich hielt mir Markarov ein paar Zettel vor die Nase, während ich noch in meinen Gedanken versunken war. Etwas perplex blinzelte ich, nickte dann und unterschrieb den Arbeitsvertrag und Wohnvertrag von Fairy Tail. Leider gab es für mich keinen magischen Stempel, aber ich war jetzt schon zufrieden von den Ereignissen heute.

"Du fängst morgen um 8 Uhr hier an. Mirajane wird dich dann in alles einarbeiten."

"Vielen Dank!", sagte ich noch einmal und schritt mit einem breiten Grinsen auf den Lippen zum Tisch zurück. Natsu und die anderen blickten mich erwartungsvoll an, während ich den erhobenen Daumen ihnen entgegensteckte und stolz nickte.

"Ich hab den Job!"

"Glückwunsch!", gratulierte mir die blonde Stellargeistmagierin lächelnd, als Natsu auf den Tisch sprang und die Arme in die Luft warf.

"Das schreit nach Party! Los geht's, Leute!", rief er durch die große Halle und wenige Augenblicke später ertönte fröhliche Musik, zu der getrunken und getanzt wurde. Hier und da flogen ein paar Gegenstände herum, was aber niemanden zu stören schien. Lachend amüsierte ich mich, als ich auf einmal am Arm gezogen wurde und mich auf der Theke wiederfand. Natsu hielt meinen rechten Arm in die Luft und pfiff einmal laut mit den Fingern.

"Auf Finny!", jubelte der pinkhaarige Junge, gefolgt von Gläserklirren und Glückwünschen. Jetzt wurde es mir doch etwas zu viel. Ein leichter Rotschimmer erschien auf meinen Wangen und brachte meine Mundwinkel noch weiter zum Lächeln. Also hob ich meine freie Hand ebenfalls nach oben und legte den rechten Arm um Natsus Schulter.

"Auf Fairy Tail!" Jedes Mitglied stimmte mit ein und die Musik wurde wieder lauter.
 

Noch nie hatte ich so eine Party miterlebt. Selbst Wendy war nach einigen Stunden am Wanken und vor sich hin träumend. Und da ich selber schon ziemlich müde und erschöpft war, schlug ich vor, dass wir ins Bett gehen sollten. Gray ging mit uns, gefolgt von Juvia, die wie zweite Haut an ihrem Schwarm klebte und vor sich hinsäuselte. Die kleine Windmagierin hatte ich huckepack auf meinen Rücken sitzend, damit sie auf dem Weg nicht stolperte. Und da Shalulu nichts sagte, schien sie nichts dagegen zu haben.
 

"Willkommen bei Fairy Hills!", präsentierte Gray mir das gigantische Gebäude auf dem Hügel, das wie ein Wächter über der Stadt stand. Wir passierten das Eingangstor und traten ein. An den Wänden hatten lange Vorhänge, alte Gemälde der vorherigen Master und große Fenster Platz gefunden. Als sich der Gang teilte, verabschiedeten wir uns von Juvia, Wendy und Shalulu, die sich in ihre Zimmer begaben und schlafen gingen.

"Hier lang, Finny." Der Schwarzhaarige führte mich eine breite Treppe hoch in den ersten Stock. Dort standen ordentlich in einer Reihe einige Ritterstatuen und Skulpturen, die den Eindruck erweckten, zu einem alten Schloss zu gehören. Ganz im Kontrast dagegen war das Zimmer eingerichtet. Kaum hatte Gray mir den Schlüssel für die Nr. 221 überreicht, öffnete ich die Tür neugierig und blickte in ein modernes Wohnzimmer mit Couch, Tisch, einer Pflanze neben dem Fenster und einem Regal neben einer weiteren Tür. Cremefarben und helle Töne machten das Zimmer noch freundlicher und ich hatte mich sofort verliebt. Es sah sehr gemütlich aus! Direkt am Eingang befand sich eine weitere Tür, die zu einem kleinen Bad mit Toilette, Waschbecken und einer Dusche führte.

"Im Untergeschoss gibt es ein Gemeinschaftsbad, wenn du nicht gerne duschst", erklärte mir Gray nur noch halb angezogen. Ich nickte verstehend und erkundete eine winzige Kochnische mit einem Kühlschrank in der Größe eines Schulschließfachs, gefolgt vom Schlafzimmer, dessen leerer Kleiderschrank mich daran erinnerte, dass ich hier keine einzigen Sachen besaß. Ich legte meine Kamera auf den verzierten Nachtisch, der von meiner Oma hätte kommen können, und blickte zu Gray.

"Gefällt's dir? ", fragte er. Sofort nickte ich begeistert.

"Es ist super! Aber ich bin hundemüde und werd jetzt sofort schlafen gehen und mich morgen genauer umsehen", meinte ich und gähnte ausgiebig, was mir ein paar Tränen in die Augen brachte. Gray verabschiedete sich daraufhin von mir, wünschte mir eine gute Nacht und verschwand schließlich.

Ich atmete tief durch und streckte mich einmal. Was für ein Tag! Selten hatte ich so viel auf einmal erlebt. Kein Wunder, dass ich so erschöpft war. Deswegen wusch ich mir im Badezimmer kurz das Gesicht, stellte begeistert fest, dass eine neue, ungebrauchte Zahnbürste mit Zahnpasta für mich bereit stand, und machte mich fertig fürs Bett. Kurze Zeit später fiel ich wie ein Stein in die Matratze, stellte den Wecker, der auf dem Nachtisch stand auf sieben Uhr und wickelte mich in die weiche Decke. Meine schweren Augenlider schlossen sich wie von selbst, während meine Gedanken immer zäher und langsamer wurden. Ich war hier... bei Fairy Tail

Willkommen!

Vorgaben der Göttin:

- Leb dich ein

- Du triffst auf Erza

- Eine Party findet statt
 

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Der Wecker war heute morgen meine Erlösung gewesen. Das nervige Klingeln hallte in meinem Ohren, sodass ich mich mit müden Gliedern aufraffen musste und mit einem Griff zum Nachttisch die Uhr endlich zum Schweigen brachte. Ich hatte in dieser Nacht ziemlich schlecht geschlafen. Oft, wenn ich an einem fremden Ort schlief und zu aufgeregt war, konnte ich nachts nicht ruhig unter der Decke liegen. Immer wieder hatte ich mich herumgewälzt, versucht meinen Kopf zu beruhigen, oder etwas Wasser getrunken. Doch nichts hatte geholfen. Somit saß ich nun wie ein zerrupftes Huhn auf der Bettkante und gähnte ausgiebig. Nach kurzem Strecken stand ich schließlich auf, schritt zum Vorhang und zog ihn hoffnungsvoll beiseite, um von warmen Sonnenstrahlen umhüllt zu werden.

Der Nieselregen vermischte sich mit dem blassen Neben am Hafen zu einer melancholischen, grauen Masse. Dunkle Wolken verdeckten den Himmel wie abgelaufene Zuckerwatte und ließen keinen einzigen Lichtstrahl hindurch, wodurch der Tag noch wie ein kalter Wintermorgen wirkte.

"Na toll...Dir auch einen guten Morgen, liebes Shit-Wetter", grummelte ich und seufzte leise auf. Vielleicht würde der Tag noch besser werden, wenn ich erst mal in der Gilde sein würde. Nachdem ich mich kurz geduscht und gefrühstückt hatte, machte ich mich fertig für meinen ersten Arbeitstag und verließ mein Zimmer mit leisen Schritten, um niemanden zu wecken.

Da ich weder eine Jacke, noch einen Regenschirm besaß, musste ich wohl oder übel durch den Regen rennen. Das Wasser klebte an meiner Haut, wie ein dünner Film aus Seife. Schon zum zweiten Mal in dieser Welt kam ich nass und außer Atem bei Fairy Tail an. Dieses Mal zum Glück aber nicht allzu hilflos und vom Wasser getränkt wie gestern.
 

"Guten Morgen!" Eine freundliche Stimme begrüßte mich und ich sah die weißhaarige Mirajane durch die Halle gehend und die Tische säubern. Ich erwiderte das Lächeln, das sie mir entgegen brachte und ging zu ihr.

"Guten Morgen. Kann ich dir helfen?"

"Nicht nötig, Finny. Am besten bereitest du hinter der Bar den Kaffee vor und spülst die restlichen Tassen und Gläser. Wenn die anderen kommen, wollen sie meistens einen schönen starken Kaffee zum wach werden", erklärte sie mir und wischte mit einem grauen Tuch, das mit Sicherheit einmal weiß gewesen war, über die Oberfläche des Holztisches. Etwas peinlich berührt lächelte ich, da ich kein Kaffee trank und somit auch nicht genau wusste, wie man eine Kaffeemaschine überhaupt bediente. Mirajane schien meinen Blick direkt verstanden zu haben und kicherte leicht.

"Tut mir Leid", sagte ich, doch die Weißhaarige winkte ab und zeigte mir geduldig, wie man Kaffee kochte. Ich verstand und begann damit, zwei Maschinen mit Kaffeepulver und Wasser zu füllen und den Kaffee kochen zu lassen. Währenddessen war Mirajane mit dem Putzen fertig und kam auf mich zu.

"Du bist also gestern in einem Wald aufgewacht?", fragte sie mich neugierig und setzte sich auf einen der Barhocker, die an der Theke standen. Zuerst wunderte ich mich über die plötzliche Frage, konnte es aber auch verstehen, dass man meine Geschichte sehr seltsam fand und nachhaken wollte.

Ich nickte und begann damit, nebenbei ein paar Tassen zu spülen. Das heiße Wasser wärmte meine Hände und ließen mich etwas entspannen.

"Ja. Ich hatte gerade einen Vogel auf einem Baum fotografiert, als der Ast unter mir brach und ich nach unten gefallen bin. Doch statt auf den Boden zu knallen, wachte ich hier auf. Keine Ahnung, wie das passieren konnte."

"Woher wusstest du, dass du hier bei Fairy Tail Hilfe bekommen kannst? Es wirkte so, als ob du uns kennen würdest. Normalerweise würde man sich doch viel vorsichtiger in einer fremden Welt bewegen, oder nicht?" Ihre Worte und aufmerksamen Augen brachten mich in Verlegenheit. Sie ahnte, dass mehr hinter dieser Geschichte steckten musste. Sollte ich ihr die Wahrheit sagen? Doch es würde mit Sicherheit nur noch mehr Fragen aufwerfen. Aber wenn ich log, könnte mir auch nicht richtig geholfen werden. Ich atmete einmal tief durch und stellte eine gewaschene Tasse neben die Spüle. Der restliche Schaum rutschte langsam das Porzellan herunter.

"Nun ja... Stell dir vor, du liest ein sehr langes und ausführliches Buch, sodass die Charaktere immer lebendiger werden und man richtig in das Geschehen eintauchen kann. Und plötzlich befindest du dich inmitten dieser Geschichte, bevor du das Ende herausfinden konntest." Es war der erste Vergleich, der mir eingefallen war. Denn wenn ich von Manga und Anime anfangen würde zu sprechen, gäbe es nur unnötige Erklärungen und ich wollte nicht, dass sich diese Geschichte hier wegen mir ändern würde. Wenn sie es nicht schon getan hatte...

Mirajane schwieg eine Weile und stand schließlich auf.

"Du kennst diese Welt hier, aber in deiner Welt ist sie nur...eine Geschichte?"

"Genau", antwortete ich und räumte den erledigten Abwasch in ein Regal hinter mir, "In meiner Welt gibt es keine Magie. Und deswegen frage ich mich, wie zum Teufel mir etwas 'magisches' passieren konnte. Vielleicht ist die Geschichte von Fairy Tail irgendwie mit meiner Welt verknüpft. Ich weiß es nicht..." Ich senkte meinen Blick und sah zu Boden, als mir die Weißhaarige auf einmal eine Kellnerschürze um die Taille band. Verwundert drehte ich mich um und sah in das lächelnde Gesicht von Mirajane. Danach schien unser Gespräch beendet. Ich wusste nicht, ob sie mir die Erzählung glaubte, oder nicht, aber solange ich hier bleiben konnte, war ich zufrieden.
 

Die Tür schwang auf und nach und nach kamen die Gildenmitglieder herein. Und an der Spitze Erza Scarett. Die stärkste Kriegerin Fairy Tails mit leuchtend roten Haaren und einem selbstbewussten, eisernen Blick, der jedem das Fürchten lehren konnte, wenn man sie als Feind hatte. Sie trug ihre weiße Bluse mit dem marineblauen Rock und dunklen Stiefeln. Mirajane begrüßte sie und wünschte allen Kommenden einen guten Morgen. Erza erwiderte die Geste und fasste mich dann ins Visier. Ein dicker Kloß machte sich in meiner Kehle breit und als ich versuchte zu schlucken, schnürte es mir fast die Kehle zu. Jetzt verstand ich, warum Natsu und die anderen so viel Respekt vor ihr hatten. Noch nie hatte ich so eine starke Ausstrahlung gesehen. Als sie auf mich zu kam, übergoss sich ein kalter Schauer über mir und verpasste mir eine Gänsehaut, die sich über meinen ganzen Körper verteilte. Ich versuchte zu lächeln, merkte jedoch schnell, dass meine Mundwinkel nervös zuckten und beließ es bei einer kurzen Verbeugung.

"Guten Morgen", sagte ich, wobei sich meine Stimme am Ende überschlug und ich mich wie ein eingekesseltes Kaninchen fühlte, das gleich von einem Wolf verspeist werden würde. Ihre Augen musterten mich von oben bis unten, während ich wie ein Rekrut stocksteif hinter der Theke stand und mich nicht wagte zu bewegen. Der Saal füllte sich nach einer Weile und alle sammelten sich im Halbkreis um Erza, als ob sie etwas Wichtiges zu sagen hatte. Warteten sie etwa auf ihre Reaktion bei mir? Wie bei einem Testobjekt, ob es gut oder schlecht war? Aus den Augenwinkeln erkannte ich Gray und die anderen, wobei Lucy, Natsu und Happy noch fehlten.

"Wie alt bist du?" Erzas Stimme war sachlich und ich hatte das Gefühl, dass ihre Autorität im Moment noch stärker zu sein schien, als sonst. Kein Wunder, dass ich sie immer bewundert hatte. So eine Stärke war echt der Wahnsinn!

"Einundzwanzig." Froh darüber, nicht ins Stottern gekommen zu sein und noch einen relativ klaren Kopf behalten zu haben, entspannte ich mich ein wenig. Sie war kein Wolf, der hungrig seine Beute fang, sondern ein Wolf, der das neue Lebewesen in seinem Revier kennen lernen wollte. Ich hoffte es zumindest.

Erza hob etwas überrascht eine Augenbraue, was ich ihr nicht verdenken konnte. Ich sah jünger aus, als ich es in Wirklichkeit war.

"Der Meister hatte mir gestern Abend erzählt, dass wir ein neues Mitglied haben. Du bist also Finny?"

"Ja. Aber ich kellnere ab heute nur hier. Ein richtiges Mitglied bin ich also nicht", erklärte ich ihr kurz, woraufhin sie nickte und mir ihre Hand hinhielt. Ich schüttelte ihre Hand und schaffte es endlich wieder zu lächeln.

"Freut mich!"

"Ebenfalls. Willkommen bei Fairy Tail", begrüßte sie mich und erwiderte das Lächeln. Daraufhin fingen auf einmal alle an zu jubeln, als ob ich einen schwierigen Test bestanden hätte. Anscheinend wollte Erza sich vergewissern, dass ich keine Gefahr darstellte. Und solange ich nichts verdächtiges machen würde, könnte ich hier bestimmt ein paar Freunde finden.
 

Der Andrang an der Theke war heftiger, als ich gedacht hätte und innerhalb weniger Minuten waren schon zwanzig Tassen Kaffee über den Tisch gegangen. Mirajane war dann so freundlich, mit mir den Platz zu tauschen, sodass ich nun mit dem Tablett in der einen und einer vollen Kanne Kaffee in der anderen Hand durch die Gilde schritt, Kaffee nachfüllte und leere Tassen auf mein Tablett stellte. Eine wirkliche Routine hatte ich nicht, aber es machte mir Spaß zu sehen, wie von verrückten Träumen erzählt wurde, einige laute Stimmen lachend die Halle erfüllten und mir ab und zu ein freundliches Lächeln geschenkt wurde.

Die Stimmung ließ auf einmal einen warmen Schauer durch meinen Körper fließen. Meine alten Probleme waren so fern, dass ich sie vergaß und für einige Augenblicke genoss ich diese Freiheit, weit weg von meiner Welt zu sein...nie wieder zurückzukehren...

Der erste Auftrag

Vorgaben der Göttin:

- Du übernimmst mit Natsu, Happy, Gray und Lucy einen Auftrag

- Spiele deine Stärken dabei aus
 

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Die Kirchturmuhr läutete die Mittagszeit ein und einige Mitglieder von Fairy Tail hatten sich auf den Weg gemacht, ihre neuen Aufträge zu erledigen. Ich atmete entspannt durch, als ich mich hinter der Theke um das Geschirr kümmerte. Nun war es endlich ruhiger geworden und ich konnte die ganzen Eindrücke meines Arbeitstages bei der Magiergilde verarbeiten. Wendy und Shalulu verabschiedeten sich gerade von ihren Freunden und gingen ihrem Auftrag nach. Ich hörte gerade Juvias tägliche Liebesgeständnisse für Gray, als ich aufblickte und die bekannten Gesichter von Natsu und dem Eismagier sah. Die beiden Jungs gingen, Juvia gekonnt ignorierend, zum schwarzen Brett und schauten sich die noch hängenden Zettel an. Happy schwebte über Natsus Kopf und zeigte auf einen der Aushänge.

„Guck mal! Wie wäre der da?“, fragte die blaue Katze. Der Drachenbändiger nahm den Zettel von der Wand und grinste breit, wodurch er seine spitzen Zähne entblößte.

„Hey! Das wäre was für dich, Lucy!“, ruft er über seine Schulter. Lucy kam neugierig auf die beiden zu. Ich wusch den letzten Teller ab und trocknete mir die durchweichten Hände mit einem Handtuch ab, ohne den Blick von den Vieren zu nehmen.

„Für mich?“, fragte die Stellargeistmagierin und blinzelte verwundert.

„Ja! Hier. ‚Suche sexy Magierin für private Abendunterha-‘“

„Vergiss es!“, schrie Lucy empört, bekam rote Wangen und ballte die Hände zu Fäusten, „Ich bin doch nicht für die Belustigung irgendwelcher Schnösel da!“

„Aber die Belohnung ist total hoch“, konterte Natsu und schien gar nicht zu verstehen, warum sich das Mädchen so aufregte. Ich musste unweigerlich schmunzeln und hängte das Handtuch wieder an den Haken zurück. Amüsiert lauschte ich weiter der Unterhaltung der jungen Magier.

„Und was ist mit dem hier? ‚Suche lustigen Clown für die Geburtstagsfeier meiner Tochter‘. Das ist was für dich, Natsu“, grinste Gray frech und hielt ihm den Zettel direkt vor die Nase. Plötzlich fing das Papier Feuer und verwandelte sich nur wenige Sekunden später in ein Häufchen Asche.

„Halt die Fresse, du dämlicher Eiswürfel!“

„Huh?! Willst du Ärger, pinkes Streichholz?!“ Und damit war die Prügelei eröffnet. Happy flog in Sicherheit und Lucy gab ein lautes, resigniertes Seufzen von sich, ehe Natsu und Gray anfingen sich gegenseitig zu verbrennen und einzufrieren.

Ich beugte mich über den Tresen und besah mir das Schauspiel eine Weile an, ehe mein Blick auf das schwarze Brett fiel. Es hingen noch fünf Anzeigen dran. Suche nach entlaufenem Haustier. Gartenarbeit. Entführung von Kindern. Suche nach…Moment. Kindesentführung?! Meine Augen blieben an der Überschrift hängen und huschten über das Papier.

„‘Seit einer Woche verschwinden nachts Kinder zwischen 8 und 13 Jahren und tauchen nicht mehr auf. Meine Bürger sind in Angst und Sorge. Bitte helfen Sie mir. Belohnung: 80 000 Jewels. Bürgermeister von Oshibana‘“, las ich murmelnd vor und zog die Augenbrauen hoch. Das klang ziemlich ernst. Wer hatte denn die Absicht, junge Teenager zu kidnappen? 

„Gute Idee. Der Auftrag klingt interessant!“, kommt es auf einmal von Lucy und reißt mich aus meinen Gedanken. Sie nimmt sich den Zettel und liest es sich noch einmal durch, ehe sie mit einem Pfiff die Jungs auf sich aufmerksam machte. Natsu und Gray, die sich gerade gegenseitig am Kragen hochzogen, blickten zu ihr. 

„Wie wäre es hiermit? Finny hat es vorgeschlagen“, sagte sie. Hatte ich das? Eigentlich hatte ich doch nur das vorgelesen, was mir ins Auge fiel. 

„Oh. Entführung? Und nicht weit weg von hier. Wenig Zugfahrt, juhu!“, rief Natsu erleichtert und stimmte Lucy mit einem Grinsen zu. Auch Gray schien mit der Entscheidung zufrieden zu sein und richtete sein Oberteil wieder zurecht. Nun blickten mich alle auf einmal an. Happy schwebte hinter den Dreien hervor.

„Willst du auch dabei sein?“

„Was? Ich? Ähm…“, gab ich etwas überfordert von mir, „Ich bin ja kein richtiges Mitglied, sondern nur Kellner. Aber…“ Ich hatte Riesenlust. Das konnte ich nicht abstreiten. Bei einem Auftrag von Fairy Tail dabei sein zu dürfen, war wie Weihnachten und Geburtstag zusammen! Und dann auch noch mit Natsu, Happy, Gray und Lucy. Das würde chaotisch, lustig, gefährlich und spannend zugleich werden. Meine Augen funkelten, doch mein Kopf sagte mir, dass ich meine Arbeit hier nicht einfach vernachlässigen konnte. Und prompt bei diesem Gedanken klopfte mir jemand auf die Schulter.

„Ich denke, dass das für dich eine tolle Erfahrung sein wird. Und einen Tag kannst du ruhig auf einen Auftrag gehen. Schließlich verdienst du dann auch Geld und kannst so die Miete schneller bezahlen“, sagte Mirajane hinter mir mit einem sanften Lächeln auf den Lippen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, starrte sie für eine Weile an, ehe ich wieder reden konnte.

„Wirklich? Also…geht das okay?“

„Ja. Du solltest dich hier einleben und da ist ein Auftrag mit der Chaos-Truppe genau das Richtige.“ Ich nickte dankend und wandte mich wieder zu Lucy. Ob es eine gute Entscheidung wäre, ohne Magie so einen Auftrag anzunehmen? Aber die anderen sind schließlich auch da. Sie würden mit Sicherheit nicht zulassen, dass mir etwas Schlimmes passieren würde. Oder?

„Komm schon, Finny! Das wird cool!“ Natsu hielt mir seinen erhobenen Daumen entgegen, lächelte und nahm mir somit die Zweifel von der Seele, nur eine Last beim Auftrag zu sein. Vielleicht könnte ich wirklich helfen. Auch wenn es nur bei einer Kleinigkeit wäre. Ich holte tief Luft, atmete durch und grinste ihn an.

„Okay. Dann bin ich dabei.“
 

Da die Vorfälle der Entführungen bis jetzt immer nachts stattgefunden hatten, machten wir uns erst am Abend auf den Weg zum Bahnhof von Magnolia. Lucy war so nett, mir die Zugfahrt zu bezahlen und ich versprach ihr, das Geld sofort zurückzugeben, sobald ich welches bekommen würde.

„Es eilt nicht. Du hast ja noch nicht einmal Klamotten zum Wechseln hier“, sagte sie und winkte ab, als wir uns in ein Abteil niederließen. Ich setzte mich ans Fenster und seufzte auf. Stimmt. Ich hatte außer meiner Kamera keine persönlichen Gegenstände bei mir. Mein einziges Mitbringsel in diese Welt hatte ich heute nicht mitgenommen, da ich Angst hatte, sie würde dabei zu Schaden kommen. Ich blickte an mir herab und dann wieder zu Lucy. Ich könnte unmöglich immer mit den gleichen Klamotten rumlaufen. Irgendwann würde ich stinken wie ein Pferdestall!

„Ich könnte dir ein paar Sachen ausleihen. Die könnten dir aber etwas zu groß sein“, sagte Gray und lehnte sich zurück, während Natsu plötzlich blau anlief, als sich der Zug in Bewegung setzte. Happy tätschelte seinem Kameraden aufmunternd auf den Kopf.

„Das wäre meine Rettung, Gray“, sagte ich und kratzte mich am Hinterkopf,
 

Die Reise dauerte nicht lange. Draußen ging die Sonne hinter den Bergen unter und färbte den Himmel in tiefes Orange, bis es lila und schließlich dunkelblau wurde. Der Mond schien auf die Felder, an denen wir vorbei fuhren, während ein paar Wolken den Blick auf die Sterne verhinderten. Es war gerade halb acht, als wir am Bahnhof von Oshibana hielten und ausstiegen. Die Stadt schien wie ausgestorben, so ruhig war sie. Die meisten Menschen waren anscheinend schon Zuhause.

„Den Bürgermeister können wir auch nach dem Auftrag aufsuchen. Wir sollten die Gelegenheit nutzen, und uns umsehen“, schlug Gray vor und ging die Straße entlang. Ein paar Laternen beleuchteten den Asphalt. Ich spürte, wie mich Natsu anstarrte. Verwirrt blickte ich zurück.

„Was ist?“

„Ich habe ‘ne Idee!“, sagte er triumphierend und packte mich an den Schultern. Verwirrt legte ich die Stirn in Falten, während Lucy, Happy und Gray zu uns blickten.

„Eine Idee?“

„Was denn für eine?“, wollte Happy wissen. Der Feuermagier zog mich vor sich und präsentierte mich wie eine Neuentdeckung. Okay? Natsus Idee hatte etwas mit mir zu tun. Das war kein gutes Zeichen.

„Finny geht bestimmt noch als 13 durch!“

„Soll ich etwa den Köder spielen?“, fragte ich perplex. Eigentlich sollte ich jetzt protestieren, ihm eine Kopfnuss verpassen und nie so einer Idee zustimmen. Aber meine nicht ganz kluge Angewohnheit, keine Angst vor bekloppten Ideen zu haben, stand mir im Weg. Denn die Idee war gar nicht so schlecht. Als Lockvogel könnte ich die Entführer aus der Reserve kriegen und herausfinden, wo die anderen Kinder stecken. Außerdem wäre ich dann von Nutzen und die anderen wären immer in meiner Nähe.

„Genau!“, bestätigte mir Natsu meinen Gedanken und stieß beinahe auf Gegenargumente seitens Lucy und Gray. Doch noch bevor sie etwas sagen konnten zuckte ich mit den Schultern und nickte.

„Okay. Klingt nach einem Plan.“

„Was?! Hast du sie nicht mehr alle!“ Gray zog die Augenbrauen hoch und stutzte. Kein Wunder. Er konnte nicht wissen, dass ich so ein großes Vertrauen in ihnen hatte. Auch Lucy war fassungslos, während Happy auf Natsus Seite war. Somit wurde nicht mehr lange diskutiert und ich ging einige Minuten später allein durch die Stadt, während mir die Magier heimlich folgten, damit sie nicht entdeckt werden würden. Gelassen summte ich vor mich hin und nutzte meine Schauspielfähigkeit, um möglichst naiv und kindlich zu wirken. In dem Moment erinnerte ich mich wieder an mein letztes Theaterstück zurück. Es hatte mir riesigen Spaß gemacht und musste mir eingestehen, dass ich es liebte, auf der Bühne zu stehen und die Hauptrolle zu spielen. Und da ich jetzt wieder mein Können zeigen konnte und gleichzeitig mit den anderen Verbrecher überführen konnte, machte es mir Spaß, den Köder zu spielen. Das hörte sich ziemlich dämlich an, oder? So leichtsinnig durch dunkle Straßen zu wandern und zu hoffen, auf Entführer zu treffen. Jap. Es hörte sich in meinem Kopf verdammt bekloppt an.
 

Ich spazierte mit Sicherheit schon eine Stunde lang in Oshibana herum, als ich auf einmal einen Schatten in einer Seitengasse bemerkte. Ich blickte mich um, war aber nicht so blöd, dem Schatten zu folgen. Denn in der Dunkelheit könnten mich die anderen schnell aus den Augen verlieren. Also blieb ich in der Nähe der Straßenlaternen und summte weiter leise vor mich her. Plötzlich hörte ich Schritte vor mir. Ich kniff die Augen zusammen, um zu erkennen, wer da auf mich zukam. 

„Hallo~? Wer ist da?“, rief ich nach vorne. Es kam keine Antwort, also überlegte ich kurz, ehe ich wieder etwas sagte.

„Können Sie mir helfen~? Ich hab mich verlaufen.“ Dadurch würde ich es den Entführern leicht machen, mit mir in Kontakt zu treten. Und tatsächlich hörte ich die Stimme eines erwachsenen Mannes. Er kam aus dem Schatten der Laterne auf mich zu. Er trug dunkle Kleidung und hatte einen Hut tief ins Gesicht gezogen, sodass ich nicht in seine Augen blicken konnte. Im Grunde war dieser Mann vor mir die Verkörperung von ‚Du darfst nicht mit Fremden reden oder mitgehen‘-Menschen. 

„Du hast dich verlaufen, Kleiner?“, fragte er mich. Ich nickte und sah ihn mit großen, naiven Augen an. Hoffentlich ist er wirklich der Entführer und kein… lieber nicht dran denken!

„Ja. Ich weiß nicht, wo mein Zuhause ist. Wir wohnen erst seit ein paar Tagen hier. Kennen Sie sich hier aus?“

„Natürlich“, sagte er und zeigte mir ein äußerst gruseliges Lächeln, „Soll ich dir helfen?“ Ich bekam eine Gänsehaut. Leichtsinn hin oder her, meine Fluchtreflexe waren in diesem Moment auf dem Level ‘scheues Kaninchen‘ angelangt. 

„Naja…Mama hat gesagt, ich darf nicht mit Fremden mitgehen“, sagte ich leise. Doch der Mann beugte sich zu mir runter und lächelte weiter. Sein Atem roch nach Tabak und altem Käse. Igitt!

„Aber du kommst ja nicht mit mir mit. Ich komme mit dir mit.“

„Hm…“, ich tat so, als würde ich überlegen und lächelte dann, „Okay! Dankeschön, dass Sie mir helfen!“

„Kein Problem. Ein Kind sollte doch nicht so spät nachts noch draußen sein. Deine Eltern machen sich bestimmt Sorgen“, sagte er und ging los. Ich folgte ihm und nickte zustimmend. 
 

Wir bogen in eine Seitenstraße, in der kaum Licht brannte. Mein Puls beschleunigte sich innerhalb weniger Schritte auf das Doppelte. Es fiel mir immer schwerer, in meiner Rolle zu bleiben und mir die Aufregung nicht ansehen zu lassen. Ich schluckte und sah kurz nach hinten. Ob mich die anderen hier noch sehen konnten? 

„Was ist?“, fragte der Mann. Ich lächelte kurz und spürte, wie meine Mundwinkel nervös zuckten.

„Ich hab nur ein bisschen Angst im Dunkeln.“

„Und dann gehst du um diese Uhrzeit noch raus?“ Mist! Ich hatte mich verplappert! Meine Gedanken rasten und mir schlug das Herz bis in den Kopf. Das Pochen dröhnte in meinen Ohren und meine Hände wurden kalt und schwitzig. Inzwischen war ich mir sicher, dass die Angst bald komplett meinen Körper übernehmen würde. Ich hatte meinen Mut und Leichtsinn doch überschätzt. Verdammt! Mir musste etwas einfallen.

„Naja…als ich losgelaufen bin zum Spielen, war die Sonne noch da.“

„So so…“ Der Mann schien nicht überzeugt, hakte aber zum Glück nicht weiter nach. Wir bogen noch ein weiteres Mal ab. Hier war die Straße nun komplett finster und kein Haus war mehr in Sicht. Es war der Stadtrand. 

„Hier wohne ich nicht. Können wir umdrehen, bitte?“, fragte ich und musste mich danach räuspern, als meine Stimme sich überschlug. Der Mann grinste wieder.

„Bist du dir sicher? Ich glaube, wir sind hier ganz richtig.“

„N-nein. Also…“ Ich hörte das Rascheln von Kleidung und weitete meine Augen, als mich fünf weitere Männer umzingelten. Ob sie bewaffnet waren, konnte ich nicht erkennen, aber inzwischen war mein Fluchtlevel auf ‚Opossum‘ angestiegen. Ich konnte mich nicht mehr bewegen und war in einer regelrechten Schockstarre. Ruhig…ganz ruhig… Natsu und die anderen waren in meiner Nähe. Meine Tarnung würde mir jetzt nichts mehr nützen.

„Das wievielte Kind bin ich? Wie viele habt ihr schon entführt und auf diese Weise aus der Stadt gelockt?“, fragte ich den Mann direkt und blickte ihn ernst an. Dieser lachte nur und kam einen Schritt auf mich zu. Automatisch wich ich zurück. Doch hinter mir war keine Fluchtmöglichkeit. Nur die uns umkreisenden Männer.

„Du weißt es also. Schlaues Bürschchen. Wolltest wohl Detektiv spielen und deine Freunde retten, huh? Doch da muss ich dich enttäuschen. Du kommst jetzt mit uns.“

„Wohin bringt ihr mich? Euer Versteck ist nicht in der Stadt, richtig? Vielleicht dort drüben? Im Wald?“ Ich nickte zu den dichten Bäumen. Die Baumkronen schluckten das Mondlicht und ließen den Waldrand wie ein tiefschwarzes Loch aussehen. Der Mann kam wieder einen Schritt auf mich zu, doch dieses Mal blieb ich stehen und sah zu ihm auf. Da war der alte Käse schon wieder…

„Du stellst aber ganz schön viele Fragen.“

„Ich bin neugierig. Und ihr bringt mich doch eh hin.“

„Richtig“, brummte er und kam noch näher, sodass sich unsere Oberkörper fast berührten. Mein Brustkorb schien fast zu explodieren. Das Adrenalin in meinem Körper versuchte mich von ihm wegzuzerren. Doch ich musste erfahren, wo die Kinder waren. 

„Der Wald wird dir gefallen.“ Ich hatte also Recht! Die Kinder waren wirklich im Wald versteckt. 

„Und was, wenn ich nicht mitkommen will?“, fragte ich ihn leider nicht ganz so cool, wie ich geplant hatte. Doch anstatt einer Antwort, spürte ich eine große Hand auf meinem Gesicht. Sie drückte mir den Mund zu und umschlang meine Taille mitsamt meinen Armen. Ich weitete die Augen. Panik stieg in mir auf und ließ meine Gedanken wild durch den Kopf sausen, wie auf einer Autobahn. Hand. Schreien. Geht nicht. Wehren. Geht nicht. Treten. Fuß. Feuer. Feuer? Natsu!!

Die Flammen erhellten die Nacht und trafen die Männer am Oberkörper. Ich spürte, wie sich der Griff um mich herum lockerte. Sofort riss ich mich los und sah Natsu mit feurigen Fäusten hinter uns stehen. Gray hatte sich schon in Position gebracht, Lucy zog ihre Peitsche hervor und Happy flog auf mich zu.

„Ihr seid spät dran!“, rief ich zu ihnen herüber und atmete erleichtert aus. Mir fiel ein ganzes Gebirge vom Herzen, als ich die anderen erblickte.

„Finger weg von unserem Freund!“

„Ice Make…“

„Finny! Alles okay?“ Lucy sah zu mir. Ich nickte und schenkte ihr ein dankendes Lächeln. Aber nun war keine Zeit zur Wiedersehensfreude. Ich eilte auf sie zu, als sich die Männer von dem Überraschungsangriff wieder erholten.

„Die Kinder sind im Wald!“, sagte ich aufgeregt und zeigte zum Dickicht. Lucy nickte und sah dann zu den Jungs.

„Geht ihr los! Wir kümmern uns um die hier!“ Natsu und Gray stürmten los, sodass wir ungehindert an den Männern vorbeirennen konnten und in den Wald liefen. Meine unterdrückte Aufregung ließ mich so schnell rennen, wie ich konnte, während wir uns hektisch nach einem Versteck umsahen. 

„Da vorne!“ Happy flog plötzlich über uns und den Baumkronen und zeigte nach vorne links. Wir nickten und schlugen uns einen Weg durchs Unterholz. Erschöpft und mit brennender Lunge kamen wir vor einem alten Bunker an, der inzwischen von der Vegetation so stark befallen wurde, dass sich das Moos fast komplett über den Stein gezogen hatte. Ich rüttelte an der Tür.

„War ja klar“, keuchte ich und versuchte meine Atmung zu kontrollieren. Die Stellargeistmagierin atmete durch und zog einen ihrer goldenen Schlüssel hervor. Ich wartete gespannt darauf, wen sie gewählt hatte.

„Öffne dich, Tor der Jungfrau! Virgo!“, rief sie, streckte den Schlüssel vor sich aus und ließ eine junge Frau im Hausmädchenoutfit mit lila Haaren erscheinen. Der Stellargeist blickte zu ihrer Herrin.

„Sie haben gerufen, Prinzessin?“

„Grab uns einen Tunnel in diesen Bunker hinein. Schnell!“

„Verstanden. Bestrafen Sie mich dann?“, fragte Virgo und salutierte. 

„Nein. Quatsch!“ Lucy seufzte ein wenig genervt und stemmte die Hände in die Hüfte. Ich schaute dem Geschehen zu und sah, wie Virgo sich in null Komma nichts in die Erde grub. Verblüfft darüber, endlich so etwas live zu sehen, hob ich die Augenbrauen und sah zu dem blonden Mädchen.

„Wahnsinn!“

„Beeilung.“ Wir stiegen das Loch hinab und kamen im Inneren des Bunkers heraus. Virgo kehrte wieder in die Stellarwelt zurück, als wir uns umschauten und im kargen, kalten Raum insgesamt ein Duzend Kinder auf alten Matratzen entdeckten. Gefesselt, geknebelt und mit verweinten Augen sahen sie uns an und machten große Augen. 

„Habt keine Angst! Wir helfen euch.“

„Gleich seid ihr frei und könnt nach Hause“, sagte die Magierin beruhigend und kniete sich vor die Kinder. Einige hatten sofort wieder Tränen in den Augen und schluchzten los. Als ich die alten Lappen, die als Knebel gedient hatten, lösten, rangen die Kinder nach Atem und schauten uns ängstlich an.

„Wir wurden entführt!“

„Sie haben gesagt, sie wollen uns verkaufen!“, sagte ein Mädchen, das ich auf ungefähr 11 oder 12 Jahre schätze. Ihr Haar war ganz durcheinander und die Lippen waren vom Wassermangel aufgeplatzt und trocken. Lucy und ich schauten uns sprachlos an. Die Entführer wollten die Kinder wie Sklaven verkaufen?! Wie kann man nur so herzlos sein? Ich strich dem Mädchen beruhigend über den Unterarm und machte mich gerade dabei, ihre Fesseln zu lösen, als ich hinter uns das Knarren einer Tür hörte. Lucy und ich wirbelten herum und erblickten im schwachen Licht der Glühbirne einen stämmigen, großen Mann mit eisblauen Augen.

„Nicht so schnell. Niemand klaut mir meine Ware“, sagte er mit tiefer Bassstimme und holte ein Schwert hervor. Die Kinder wimmerten. Lucy stand auf und stellte sich schützend vor die Kinder. Beeindruckt von ihrem Mut gesellte ich mich zu ihr und breitete die Arme aus.

„Das sind keine Ware, sondern Kinder! Und wir sind hier, um sie zu retten!“ 



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  CelestialMage
2016-01-05T12:22:38+00:00 05.01.2016 13:22
Ich finde deinen Schreibstil sehr schön :)
Lässt sich super flüssig lesen.
Antwort von:  Finnyan
05.01.2016 13:44
Dankeschön~ :3


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