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Kapitel 11. Erlösung

Eine Stunde bis zum Morgen
von

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Basis

In dem verzweifelten Versuch sich von der Klaue loszureißen, die seinen Kopf fest umklammert, greift er nach allem in seiner Reichweite. Sein Atem rast, obwohl er sich nach jeder verpassten Gelegenheit einen der größeren Steine zu packen zu bekommen, und damit eine weitere Gelegenheit sich in Sicherheit zu ziehen, fühlt als würde er ertrinken. Alles, was er zu fassen bekommt, ist die kalte Luft, die erbarmungslos durch seine Finger rinnt. Scharfkantige Steinchen kratzen Furchen in seine nackte Haut während seine Fingernägel endlich etwas finden, an dem sie sich festhalten können, obwohl sich allein die Berührung mit der sehnigen Hand, die viel zu groß war, als dass sie hätte menschlich sein können, unwirklich anfühlt.
 

Wie eine leblose Puppe hatte dieses Ding ihn aus dem Wasser gehoben und zieht ihn nun Schritt für Schritt durch die dunklen Schächte der Mine. Er hatte versucht sich mit den Füßen dagegen zu stemmen, aber alles, was er damit erreicht hatte, war ein schmerzendes Knie.
 

Als er zusammen mit Mike ins Wasser gesprungen war, hatte er sorgfältig darauf geachtet nicht völlig im Wasser unterzugehen. Nasse Füße zu haben war schon schlimm genug, da wollte man nicht auch noch nasse Klamotten am ganzen Körper haben. Doch als er angegriffen wurde hat ihn das Ding unter Wasser gedrückt bevor es ihn erbarmungslos durch das Nass mit sich zog.
 

Sofort, als er in Kontakt mit dem Wasser gekommen war, hatte die Kälte seinen Atem geraubt. Josh hatte noch nie gut mit dem eisigen Gefühl umgehen können, welches sich während der Wintermonate in die Knochen schlich. Eigentlich müsste er solche Temperaturen gewohnt sein, lebte er doch in Alberta. Vor ein paar Jahren hat es einen Winter gegeben, während dem es nie wärmer  als -20°C geworden ist, aber für Josh war nicht einfach nur der Winter das Problem. Mehr als einmal, selbst während den heißesten Tagen des Jahres an denen die anderen die warme Brise genossen, zitterte er unkontrolliert, völlig unfähig sich selbst warm zu bekommen. Wenn er alleine war, war es am schlimmsten. Er hasst es alleine zu sein. Wenn er alleine war, gab es nur die Kälte, die nach ihm griff, und die Stimmen.
 

Ein weiterer, scharfer Stein erinnert ihn daran, dass er jetzt, in diesem Moment, nicht alleine ist.
 

"Nein, du bist nicht real. Du kannst nicht real sein", murmelt er immer wieder vor sich hin wie ein Gebet. Er hatte aufgeschrien vor Schmerz, als sein Kopf von der Klaue mit gezogen wurde und sein Schicksal damit besiegelte, weshalb seine Stimme nun nur noch ein Röcheln ist. All der psychische Stress und die Anstrengungen der letzten Stunden haben ihn an den Rand der Erschöpfung gebracht. Immer wieder verliert er für wenige Sekunden das Bewusstsein, wobei er jedes Mal beinahe den Halt an der Hand verloren hätte, doch er schafft es immer sich noch mit den Nägeln festzukrallen, bevor er ganz abgerutscht wäre. Seine Füße hängen nutzlos in dem völlig durchnässten Overall. Nur ein kaltes Brennen geht von ihnen aus, wenn er es wagt, sie zu bewegen.
 

Warum ist er so nass? Für einige Sekunden ist er plötzlich völlig desorientiert und kann sich nicht erklären, weshalb in seinen Schuhen das Wasser steht. Mit einem Mal sieht er das Gesicht von Mike in den Schatten, der mit der Faust in seine Richtung ausholt. Josh verkrampft sofort seinen ganzen Körper in Erwartung an das, was gleich folgen würde.
 

"Nicht. Nicht schlagen!", schreit er mit weit geöffneten Augen, wobei er zu ängstlich ist um seine Hände von der Klaue zu bewegen. So plötzlich, wie Mike in seinen Gedanken erschienen war, ist er auch schon wieder verschwunden. Mike ist nicht hier. Er war bei ihm gewesen, sie sind zusammen durch die Minen gelaufen auf der Suche nach einem Ausgang, nachdem sie sich von Sam verabschiedet hatten. Aber jetzt ist er fort. "Er muss doch da sein", wundert sich Josh.
 

"Mike? Mike! Wo bist du Kumpel? Komm schon, erschreck' mich nicht so. Es ist Jessica, hab' ich Recht?" Während er spricht versucht er seinen Kopf nach hinten zu drehen und so eine bessere Sicht auf seine Entführerin zu bekommen, doch der Griff hält ihn auf Position. Röchelnd entgleitet ihm ein leises Lachen.
 

"Jessica ist in einem Kostüm!", atmet er schwer aus. "Jess! Jess, du hast mich erwischt. Lass mich bitte los. Sam, bitte. Sag' denen sie sollen aufhören!"
 

Sam wird ihm helfen, redet er sich ein. Sam ist immer auf seiner Seite. Sie war da, zusammen mit Mike, also kann sie nicht weit weg sein. Das Gefühl wieder allein in der Höhle zu sein überrollt ihn und verdreht seinen Magen. Er bekommt kaum Luft.
 

"Sie war hier." Sam's Worte hallen von den Wänden wieder.
 

"Wer war hier?", fragt er heiser.
 

"Sie hat Beth ausgegraben und –"
 

"Du hast Jessica umgebracht."
 

"Nein! Ich WAR es nicht!", schreit er den Anschuldigungen Mikes entgegen, bis ihm die Stimme bricht.
 

"Josh, sie war hier unten. Wochen … einen Monat."
 

" – hat Beth ausgegraben und –"
 

Plötzlich glaubt er sich übergeben zu müssen. Das Bild eines schlichten, gleichzeitig aber auch vertrauten Schmetterlings erscheint vor seinem inneren Auge. Er erinnert sich, wie Hannah ihn nach seiner Meinung zu einem möglichen Tattoo gefragt und wie er sie ungläubig angestarrt hatte. Ein Tattoo war nichts, was er seiner schüchternen, kleinen Schwester zugetraut hätte. Am Ende hatte er über ihre Alternative statt sich ein Tattoos stechen zu lassen einfach fortzurennen gelacht und sich für das kleinere Übel entschieden. Die Szene schien Äonen her zu sein.
 

Denselben Schmetterling hat er auf dem Arm der Kreatur hinter ihm gesehen. Die andern würden nicht mit seinen Erinnerungen an seine Schwestern spielen nur um ihm einen Streich zu spielen. Das würden sie nie tun.  
 

"Du bist allein." Wieder einmal erinnert ihn die Stimme seines Doktors daran, dass er seine Freunde verloren hatte und dass sie durchaus in der Lage wären, ihm wehzutun.
 

"Nein! Verschwinden Sie!" Egal was passiert, die anderen würden nie derart mit ihm spielen, setzt er in Gedanken nach.
 

Ein lautes Kreischen durchbricht die Stille der Mine. Die ganze Zeit über hatte er nur seinen eigenen Atem und das Rauschen seines Blutes in den Ohren hören können, zusammen mit dem Schlurfen, das sein eigener Körper verursacht, der über Stein und Geröll gezogen wurde. Dieser plötzliche Ausbruch an Lärm lässt ihn zwar zusammenfahren, aber er bringt seinen Verstand auch zurück in die Realität.
 

"Hannah." Das Wort ist nur ein Flüstern, doch Josh selbst ist so klar wie seit Stunden - vielleicht sogar wie seit Monaten - nicht mehr. "Han", ruft er ein zweites Mal.
 

Ein scharfer Schmerz durchzieht seinen Nacken, als er hochgehoben wird. Einen kurzen Moment erwartet er das Gesicht seiner Schwester zu sehen, doch stattdessen spürt er, wie er durch die Dunkelheit geschleudert wird nur um kurz darauf etwas Hartes zu treffen. Dumpf kommt sein Körper auf dem kalten Boden zum Stillstand, doch der Aufprall hat jegliche Luft aus seinen Lungen gepresst, weshalb Josh erneut hustend nach Sauerstoff keucht.
 

Es dauert ein paar Momente, bis er sich gesammelt hat, soweit es ihm möglich ist. Wie ein Kind rollt er sich auf dem harten Untergrund zusammen und umklammert seine Knie. Dabei sickert unter dem Druck seiner Finger etwas Wasser aus dem Stoff seiner Kleider, was etwas von dem getrockneten Blut und Schmutz von ihm wäscht. Während der letzten Stunden wurde er geschlagen, angebrüllt, herumgeschleift und mental attackiert sowohl von seinen Freunden als auch von seinen eigenen Albträumen.  Er hat nun einen Punkt erreicht, an dem sein Körper und sein Geist vor dem Zusammenbruch stehen.
 

"Tief einatmen, Josh. Tief einatmen", ermutigt er sich selbst in den Boden hinein pustend um sich zu beruhigen, aber jeder Atemzug schickt Wellen des Schmerzes über seinen Rücken. All das Ziehen und der Wurf haben quälende Spuren hinterlassen. Als er den harten Stein mit dem Rücken zuerst getroffen hat, hat er sich aus Versehen in die Lippe gebissen. Während er das metallische Blut herunterschluckt hört er ein unangenehmes Knirschen direkt in seinem Kopf gefolgt von einem ekligen Gefühl auf seinen Zähnen. Etwas Staub und Dreck hat den Weg in seinen Mund gefunden, allerdings kommt Josh nicht auf die Idee auszuspucken, um sich dadurch vom bitteren Geschmack auf der Zunge zu erlösen.
 

Während er auf dem Boden liegt rechnet er damit, dass Hannah in irgendeiner Weise reagieren würde – handeln würde -, aber der erwartete Angriff bleibt aus. Hannah würde ihn langsam umbringen, anstatt sein Genick innerhalb von Sekunden zu brechen, was ihm damit einen schnellen Tod bescheren würde. Sie würde ihn quälen wie seine Albträume es tun, da ist er sich sicher.

Er kann nicht mehr. Er hatte geglaubt, wenn er ihnen erst ihre Fehler vorgezeigt hätte und sie alle im Laufe des Prozesses dadurch geheilt sein würden, dann würden sie ihn verstehen. Seine Gedanken hatten ihnen gegolten, der Gruppe, die er wieder zusammenbringen wollte, aber alles ist schief gelaufen.
 

"Es war doch nur ein Spiel. Ich wollte niemandem weh tun." Wieder droht er abzudriften, als ein Schrei in der Ferne davon abhält das Bewusstsein zu verlieren. Ohne den festen Griff am Kopf kann er sich endlich wieder frei bewegen und damit seine Umgebung begutachten. In der Dunkelheit sieht er allerdings noch nicht einmal die eigene Hand vor seinen Augen. Als er sich nach etwas leuchtenden umschaut um sich besser orientieren zu können, entdeckt er zwei bleiche, aber leuchtende Punkte nicht weit von ihm.
 

Josh streckt langsam seine Füße aus, während er versucht, sich selbst vom Boden hoch zu drücken. Stück für Stück kämpft er sich laut stöhnend nach oben, bis er schließlich fast aufrecht in der Höhle steht. Er fühlt sich, als hätte er eines dieser verdammten Schweine hochgehoben, anstatt seinen eigenen Körpers. Zuerst glaubt er, seine Knie sind einfach zu schwach um ihn sicher auf den Beinen zu halten, doch als er den unnatürlichen Zug der Schwerkraft bemerkt wird ihm schnell klar, dass das eigentliche Problem das zusätzliche Gewicht der mit Wasser vollgesogenen Kleider ist. In seinen Schuhen schmatzen seine durchnässten Socken unangenehm hin und her, als er ein paar unsichere Schritte geht, und bringen ihn damit beinahe wieder zu Fall.
 

Jede Sekunde, in der er sich nach oben gekämpft hatte, war sein Blick auf die schwebenden Punkte fixiert gewesen. Seit er sie zuerst gesehen hatte, hatten sie sich noch nicht bewegt. Noch immer den Blick auf die einzige Lichtquelle gerichtet, streckt er unsicher die Arme aus in der Hoffnung, irgendetwas zu fassen zu bekommen. Seine Finger streichen über feuchten Untergrund, was er als Höhlenwand identifiziert, gegen die er sich sofort lehnt, um seine Beine zu entlasten. Statt normal zu laufen zieht er seine Beine eher nur hinterher. Zunächst fühlt er sich besser, als er beinahe eine Position gefunden hat, die seinen Körper schont, als er plötzlich gegen etwas Hartes stößt. Der Schock bleibt ihm im Hals stecken, während es passiert.
 

In der Dunkelheit hat er einen großen Felsen übersehen, der aus dem Boden ragt und ist gegen ihn gerempelt. In der Hoffnung das Gleichgewicht zu halten wedelt er wild mit den Armen, kann seinen Fall aber nicht verhindern. Zusammen mit seinem eigenen Gewicht hört er mehrere dumpfe Aufschläge, gefolgt von einem lauten Getöse. Während seines Sturzes und seines kläglichen Versuches sich noch aufzufangen hat er mehrere kleinere Steine, die auf dem größeren gelegen hatten, mitgerissen. Josh muss seine Ohren bedecken, da er den plötzlichen Lärm zu viel für ihn ist. Beinahe sofort kommt auch Hannahs wütendes Gekreische dazu, das wieder und wieder von den Wänden zurückgeworfen wird.
 

Wie ein Blitz kommen ihm die Punkte entgegen.
 

1.     "Rede mit Hannah."
 

2.     "Verteidige dich."
 

 

2A Rede mit Hannah

Im selben Moment, in dem das Geräusch von aneinander schabenden Kiesel in seine Ohren drang, hat er seinen Rücken gegen die Wand hinter sich gepresst. Er starrt nun in die Dunkelheit vor ihm, die Hände in den Boden neben sich gegraben. Mit einer derart plötzlichen Reaktion, zu schnell um ihr mit den Augen folgen zu können, hatte er nicht gerechnet, weshalb sein Körper erstarrt.

Kalter Wind bläst ihm entgegen, der ihm einen Schauer über den Rücken laufen lässt, als ihm auch schon die Worte ungewollt über den Mund kommen.

 

"Han, ich bin's. Josh." In seinen Ohren klingt seine Stimmer höher als sonst, aber er trägt ein Grinsen im Gesicht, ohne zu wissen, wieso.

Ihre Hände kratzen über den Boden und kommen schließlich neben ihm zum Stehen. Obwohl er nichts sehen kann, so kann er dennoch ihre Bewegungen spüren, als ob ihr Körper die Luft um sie herum zusammenpresst.

 

Langsam dreht er seinen Kopf in die Richtung, in der er seine Schwester vermutet – oder besser das, was einmal Teil seiner Familie gewesen ist. Sofort starrt er in die weißen, strahlenden Perlen, die er nur Sekunden zuvor aus seiner Sicht verloren hatte. Es ist um einiges einfacher gewesen ihren Blick zu halten, als sie noch in einigem Abstand gestanden hatte. Doch nun trennen sie nur wenige Zentimeter. Sie steht ihm so nahe, dass Josh die einst so schönen, braunen Augen seiner Schwester erkennen kann. Wie ein Schatten ihrer früheren Person sind dort sogar noch die dunklen Sprenkel um ihre Pupille verteilt, die nun jedoch von einem weißen Schleier überzogen sind. Wie in Trance beobachtet er, wie diese fleischgewordene Ironie seiner Albträume näher kommt.

 

Seit Monaten wird er schon von ihren toten, weißen Augen angestarrt. Sie beurteilen ihn, unterstellen ihm ein Versager zu sein und quälen ihn jede Minute seines Lebens. Er hatte geglaubt, sie würden endlich verschwinden, sobald er alle zusammengebracht hätte, aber nun muss er erfahren, dass seine Albträume eigenständig atmen und hier unten in den Minen leben.

"Wo bist du, Josh?" Selbst jetzt ist er nur deren Gespött.

 

Ihr fauliger Atem streicht ihm als warme Brise über die Wange, wenn sie endlich aufhört sich ihm zu nähern. Allerdings nimmt sie einen tiefen Atemzug, als ob sie Witterung aufnehmen wolle, und bringt damit die Luft zum Vibrieren. Er wagt es nicht zu blinzeln, doch das Stechen seiner trockenen Augen zwingt ihn schließlich dazu. Es dauert nur einen Bruchteil einer Sekunde, doch wenn er seine Augen wieder öffnet, sind ihre verschwunden. Überall regnet es kleine Steine und Kiesel, die dumpf auf den Boden oder auf ihm selbst aufschlagen. Doch dann ist es still.

Für ein paar Herzschläge bewegt er keinen Muskel, sondern hört nur auf seine Umgebung. Irgendwo muss Wasser von der Decke tropfen; etwas, das er vorher noch nicht bemerkt hatte. Je länger er da sitzt, desto lauter scheint das Tropfen zu werden. Nervös knabbert er an der Wunde auf seiner Lippe und macht damit den Riss nur umso größer. Er erträgt es nicht dem sich wiederholenden Takt des Wassers zuzuhören, weshalb er seine Hände über den Boden gleiten lässt, um mit dem Kratzen den nervigen Rhythmus zu übertönen.  

"Guten Tag! Guten Tag! Hallo! Wie geht's? Hallo, wie geht's?" Während er nach Bewegungen Ausschau hält, beginnt er mit leiser Stimme eine einfache Melodie zu singen. Er murmelt denselben Vers wieder und wieder, bis er sich etwas beruhigt hat und er zuversichtlich ist, alleine zu sein. Zuversichtlich alleine zu sein. Er würde über diesen Gedanken spotten, wenn er nicht gerade seine tot geglaubte Schwester als Monster gesehen hätte.

 

Nach einer Weile, in der er nur seinen eigenen Gesang im Ohr hatte, begutachtet er seine eiskalten Füße und zieht sie langsam zu sich heran. Seine nassen und schweren Kleider spannen sich um seine Beine und Knie, was ihn zum Erschauern bringt. Aus Angst erneut mental abzurutschen er hört jedoch nicht auf zu singen.

 

Dank des beruhigenden Effekts seiner Hände, die im gleichen Rhythmus über den Boden rutschen, ist er momentan bei klarem Verstand. Er ist sich sicher, dass die Höhle echt ist. Der Dreck ist echt, genauso wie der Schmerz, der sich über all die kleinen Kratzer auf seinem Körper verteilt oder das Brennen, das sich durch seine kalten Gliedmaßen zieht, sobald er sie bewegt.

"Ich vertraue dir. Ich vertraue dir." Als er sich an das Tattoo auf dem Arm des Monsters erinnert, ersetzten neue Worte die kindischen Fragen in seinem Gesang. Bevor er gefangen wurde konnte er nur einen kurzen Blick auf die Kreatur werfen. Er sah nicht zum ersten Mal seltsame Dinge, daher hat er beim Anblick des sich bewegenden Skelettes mit dünnen, jedoch messerscharfen Zähnen sofort an seinem Verstand gezweifelt. Wenn er nicht das Tattoo am Arm entdeckt hätte, würde er es noch immer für ein Gespinst seines schwachen Geistes halten. Er glaub an seine Freunde, dass sie nicht so weit gehen würden, nur um ihm einen Streich zu spielen. Wenn er zusätzlich diesem Vertrauen seinem eigenen Gedankengang Glauben schenken kann, dann bleibt nur eine Möglichkeit übrig: Dieses Ding ist real und es ist irgendwann einmal Hannah gewesen.

 

Obwohl er mit jeder Bewegung neue Wellen des Schmerzes durch seinen Körper schickt, ist er dennoch plötzlich glücklich. Er hat seine Schwester gefunden und sie ist noch am Leben.

 

"Ich bin hier!", brüllt er in die Dunkelheit hinein. "Dein Bruder! Ich bin hier, Hannah!" Seine Glieder beginnen zu zittern, sodass er seine Hände nicht mehr kontrollieren kann. Mit aller Kraft versucht er sich wieder aufzurichten, aber jedes Mal geben seine Beine nach, unfähig sein Gewicht zu tragen. Nach mehreren Anläufen kniet er nun schwer atmend auf allen vieren.    

 

"Ich komme." Etwas wackelig, aber dennoch ohne um zufallen, schafft er es sein rechtes Bein nach vorne zu ziehen. Er nutzt den Schwung um sich schließlich völlig aufzurichten. Schwindlig von der schnellen Bewegung in die Höhe schließt er seine Augen und wartet, bis das unangenehme Kribbeln in seinem Magen ein wenig abebbt.

 

Aufzustehen war um einiges anstrengender als noch wenige Minuten zuvor. Ihm wird klar, dass langsam aber sicher sein Adrenalinspiegel fällt. Ohne den chemischen Mix in seinem Körper wird das Laufen um einiges schwieriger werden. Nicht, dass er allzu erpicht darauf ist, ein Potpourri an chemischen Substanzen durch seine Venen fließen zu lassen. Nicht mehr. Dennoch bevorzugt er nun die natürliche Droge gegenüber dem "Nichts".

 

Er erlaubt sich selbst ein paar Minuten um Kraft zu sammeln, ohne sich vom Fleck zu bewegen. Noch immer erwartet er, dass etwas – oder jemand – plötzlich aus den Schatten auftaucht und sich auf ihn stürzt, aber das einzige Geräusch ist sein eigener Atem; und diese verdammten Wassertropfen irgendwo dort draußen im Dunkeln. Um das Zittern loszuwerden, schüttelt er seine Hände und als er sicher genug ist, nicht umzufallen, wiederholt er dasselbe mit den Beinen.

 

"Ich vertraue dir. Ich vertraue dir", sagt er sich immer wieder, damit er die Realität nicht vergisst. Außerdem hört er lieber seiner eigenen Stimme zu als etwas anderes, Fremdes. Als ob dieser Gedanke etwas in Erinnerung gerufen hätte, wird die Stille plötzlich durchbrochen.

 

"Jooosh. Hallo! Hallo! Wie geht's?" Die Stimmen singen ein und denselben Vers, den er noch vor Kurzem auf den Lippen hatte. Sie singen sogar in derselben Melodie. Josh hat nicht die Absicht zu antworten, sondern schüttelt weiterhin seine Glieder. Er kann es sich nicht leisten den Bezug zur Realität erneut zu verlieren. Anstatt auf die Stimmen zu reagieren, rezitiert er ein und dieselben drei magischen Worte unermüdlich wie eine gebrochene Schallplatte, als zusätzlich zum Gesang helles Lachen erschallt, es ist das Lachen von Kindern.

 

"Komm' mit uns, Josh. Steh da nicht so rum." Trotz seines Vorsatzes nicht auf die Stimmen in seinem Kopf zu reagieren sucht er seine Umgebung nach dem Ursprung der Geräusche ab. Das Gelächter scheint von überall zu kommen. Sogar von irgendwo hinter ihm. Ein lächerlicher Gedanke, schließlich hat er soliden Fels im Rücken. In dem Versuch seine Halluzinationen zu verleugnen schließt er die Augen und lässt mit einem tiefen Atemzug den Kopf hängen.

 

"Bist du traurig? Wieso schaust du nicht einfach etwas mit uns an?" Was für eine seltsame Frage, wundert sich Josh, obwohl sie ein nostalgisches Gefühl in seiner Brust hervorruft. Hannah hat es geliebt TV zu schauen, als sie noch jünger war. Er erinnert sich daran, wie er sie ständig davon abhalten musste, sich die Filme ihres Vaters anzuschauen. Stattdessen hat er wohl oder übel diese entsetzlichen Cartoons laufen lassen, wie den einen über das Innenleben eines Computers. Er hat immer nachgegeben und sich zu ihr gesetzt, um mit ihr zusammen Fern zu schauen, weil es sie glücklich gemacht hat.

 

Ohne es wirklich wahrzunehmen entweicht seinem Mund ein zartes Flüstern. "W-wir haben k-kein Fernseher hier."

Kaum ist die letzte Silbe gesprochen, durchbricht ein gleißendes Licht die Dunkelheit, was mit einem Schlag die Höhle erhellt und Josh beinahe erblinden lässt. Nach all der Zeit im Dunkeln haben sich seine Augen bereits sensibilisiert, weshalb das plötzliche Licht nun seine Augen quält und ihn laut stöhnen lässt.  

 

"Du musst dich mehr anstrengen!" Die Kinder haben aufgehört zu lachen und beginnen nun stattdessen zu schreien. Obwohl die Stimmen nun lauter sind, kann er sie nicht so deutlich hören wie zuvor, als ob sie etwas dämpfen würde.

 

Noch immer geblendet streckt er eine Hand aus, während er mit der anderen versucht seine Augen zu schützen. Seine mit Schmutz und Erde verschmierten Finger stoßen gegen eine unnatürlich glatte Oberfläche, die im Gegensatz zum harten Felsen Wärme abzugeben scheint. Neugierig öffnet er vorsichtig seine Lider, muss aber noch immer seine Augen gegen das Licht zusammenkneifen. Langsam erkennt er seine Hand nicht weit von ihm, die scheinbar in der Luft schwebt, ohne etwas zu berühren, doch er ist sich sicher etwas unter seiner Handfläche zu spüren.

 

Um das Material zu testen, legt er seine zweite Hand neben die erste. Kurz fällt sein Blick auf seine fahle Haut, die über und über mit von Blut und Dreck verklebten Schnitten übersät ist, jedoch richtet er seine Aufmerksamkeit schnell wieder auf das mysteriöse Material vor ihm. In dem Moment, in dem er sich gegen die unsichtbare Mauer stützt, schmettert etwas hart dagegen direkt auf Höhe seiner Augen und lässt ihn vor Schreck nach hinten taumeln. Der Atem setzt ihm für eine Sekunde aus als er erkennt, was sich auf der anderen Seite an die Glaswand klammert. Es ist Hannah, wie er seine Schwester kennt. Ihre Brille ist gesprungen und ihr Gesicht ist zerkratz, doch abgesehen davon sieht sie gut aus – gesund. Sie spiegelt seine eigene mit beiden Händen dagegen gepresste Pose an der Glaswand wider und den Blick starr auf ihn gerichtet. Er geht ein paar Schritte nach vorne, um ihre Hände mit seinen zu bedecken.

 

"I-ich versuche es ja. Ich h-habe es versucht. Hab mein bestes getan, Sis'", antwortet er der Forderung, die nun schon eine Weile in der Luft hängt. Sie sieht so zerbrechlich aus, stellt er fest. Er hätte sie beschützen sollen. Als er gerade Luft holt um etwas zu sagen, beginnt Hannah, die bisher dagestanden ist wie eine Statue, sich zu bewegen. Sie rollt ihren Kopf herum, bis ihr die Brille von der Nase rutscht und sie schließlich ihren Rücken krümmt. Josh beobachtet sie verwundert und fragt sich, was los ist als er erkennt, dass sie sich nicht einfach bewegt, sondern dass sie sich verändert.

 

Ihre Finger werden länger bis ihre Hand die seine um das doppelte überragt. Er hört, wie Kleidung zerreißt und etwas bricht, als ob jemand ganze Holzstücke mit purer Gewalt spaltet.

"Nein. Nein. Nein. Nein. VERSCHWINDE!"

 

Ihre Glieder wachsen in die Länge und ihr Haar sinkt in Strähnen zu Boden. Einige verheddern sich in ihren nadelartigen Zähnen, die aus ihrem ausgerenkten Kiefer entwachsen, sodass es aussieht, als hätte sie ein Tier mit Haut und Haaren verschlungen. Wie ein Reißverschluss dehnt ihr immer größer werdendes Gebiss ihren Mund auseinander, bis ihre blutigen Lippen zu einer Kluft in ihrem völlig deformierten Gesicht verschwinden. Ihre gerade noch strahlenden Augen trüben sich zu den milchigen, toten Kugeln aus seinen Albträumen.

 

"Dein bestes ist nicht genug", spricht sie mit ihrem unmenschlichen Äußeren und einer verzerrten Stimme, die Josh wie ein Tinnitus im Ohr bleibt. Sie drückt ihren Körper an das Glas, das sofort unter ihren Klauen Risse bildet.

 

"Es war nie genug. Du bist ein Versager, Josh. Eine Störung."

 

Gnadenlos kommt sie mit ihrem nun skelettartigen Körper immer näher und weitet dadurch die Brüche im Glas, bis sie ihre Nägel hindurchschieben kann.

 

Der Tinnitus hallt ihn in seinem Kopf und wird lauter, bis er schließlich zu dem Schrei einer Frau wird. Er kann nicht entkommen. Das Glas, das einzige, was zwischen ihm und Hannah steht, umschließt ihn wie eine Box. Hilflos und in Panik muss er zuschauen, wie Hannah nach und nach seinen einzigen Schutz niederreißt.

 

"Du verdienst es nicht. Du verdienst gar nichts."

 

"Halt die Klappe!" In dem Versuch alles auszublenden bedeckt er seine Ohren, aber es hat keinen Zweck. Er kann noch immer jedes Wort hören; und jeden neuen Bruch.

 

"Ich habe dich gebraucht und du warst nicht da. Wo bist du? Wo warst du, als ich dich gebraucht hätte? Du bist ein Versager." Einmal am Reden wollte die verzerrte Stimme nicht mehr aufhören ihn zu peinigen.

 

"Ich war allein, Josh. Für Wochen war ich alleine und du warst nicht da."

Er weiß, wie es ist, alleine zu sein. Der Gedanke seine Schwester müsse dieselben Qualen durchleben, wie er es seit Jahren tut, ist beinahe zu viel für ihn.

 

"Es tut mir leid. Es tut mir so leid." Speichel sammelt sich in seinem Mund, als er erneut das Gefühl hat sich übergeben zu müssen. Die Worte kommen nur undeutlich über seine Lippen, verzerrt durch eine wässrige Zunge, da er nicht schnell genug schlucken kann. Der Tinnitus kehrt zurück, lauter denn je, bis er alles und jeden übertönt.

 

Als das Glas beinahe nachgibt, reißt sie triumphal ihren Mund auf, doch anstatt ihren schutzlosen Bruder anzufallen, zieht sie sich zurück in die Schatten und verschwindet. Das grelle Licht scheint mit ihr zu gehen, als plötzlich wieder dunkel um ihn herum ist.

 

"Was wirst du tun, Josh?" Einzig ihre Stimme sickert bis zu ihm durch. "Wirst du ein Versager sein?"

 

"Ich habe es versucht, Hannah!" Wieder hat er das Gefühl sich entschuldigen zu müssen, doch bevor er weiter sprechen kann, unterbricht ihn ein Kreischen laut genug, um die Barriere endgültig zum Einsturz zu bringen.

 

"Hannah?" Er ist sich sicher, dass sie es war, die geschrien hat. "Was soll ich tun? Was soll ich tun?" Nervös läuft er umher und seine Augen zittern panisch ohne etwas in der Dunkelheit fixieren zu können. Immer wieder stößt er gegen etwas, doch er läuft weiter, bis er in der Ferne endlich etwas Helles entdeckt. Dorthin muss Hannah gegangen sein.

 

"Was soll ich tun? Hannah!"

 

1. "Bleib hier."

 

2. "Geh Hannah hinterher."

 

2B Verteidige dich

Wie in Zeitlupe sieht er die Augen auf ihn zu kommen. Mit schnellen Fingern sucht er den Boden in seiner Reichweite nach etwas ab, was er als Waffe benutzen könnte. Endlich berührt er einen großen Stein, der wohl zusammen mit den anderen herunter gerollt sein muss, als Josh gefallen ist. Er ist zu groß für seine Hand, doch er hat keine Zeit die Zweite zur Hilfe zu ziehen.

 

Mit aller Kraft reist er am Stein und lüpft ihn in die Höhe. Das Gewicht spannt an seinen Fingern und Schulter, aber er weigert sich loszulassen. Mit einer Drehung seines Oberkörpers wirbelt er das schwere Objekt herum, bis es schließlich mit etwas kollidiert. Josh spürt den Impuls des Aufpralls durch seinen Arm wandern bis hinein in seine Brust. Durch die anschwellende Panik sind seine Sinne zum Bersten gespannt, weshalb der Laute Aufschrei der Kreatur ihn zusammen zucken lässt. Er hat sein Ziel tatsächlich trotz Dunkelheit gefunden - wenn auch nur durch dummes Glück. Nichtsdestotrotz ist der Schlag hart gewesen. Bedauerlicherweise hat er deshalb auch den Halt an seiner Waffe verloren, die nun irgendwo verloren in der Höhle liegt.

 

Hannah schien ebenso überrascht vom Schlag gewesen zu sein, als Josh selbst, allerdings erholt sie sich schneller davon. Er mag blind sein, doch er kann sie spüren, wie sie sich ihm nähert. Sein kurzes Aufbäumen hat ihm nur etwas Zeit verschafft.

 

Der Schrei einer wütenden Hannah in unmittelbarer Umgebung lässt sein triumphierendes Grinsen zur Fratze erstarren. Obwohl es vermutlich vergeblich ist, öffnet er trotzdem seinen Mund, um etwas zu sagen. Er kommt jedoch nicht dazu.

 

Bevor er auch nur das erste Wort formen kann, wird sein Kopf in einen allzu bekannten Griff genommen. Während er noch versucht irgendeinen Laut von sich zu geben, wird sein Gesicht mit brutaler Gewalt gepackt und zusammengepresst, was seine Haut zusammenschiebt. Das letzte, was er wahr nimmt, ist ein Reißen an seinem Nacken, als er mit seiner ohnehin schon geschwärzten Sicht völlig das Bewusstsein verliert.

Ein langsamer Rhythmus dringt zu seinem Verstand vor, doch sein Geist schwebt schwerelos durch den leeren Raum. Nach all dem Schmerz, den er ertragen musste, fühlt sich dieser Zustand, wie der Himmel an; wäre da nicht dieses irritierende Getrommel.

 

Don.

 

Don.

 

Don.

 

Wieso kann es nicht einmal still sein, damit er den Frieden genießen kann? Ruhe. Alles was er will, ist Ruhe.

 

Don.

 

Dop.

 

Dop.

 

Das Geräusch wird lauter, bis sein Verstand realisiert, was es ist; Wasser. Der Rhythmus fallender Tropfen wird von einem gedehnten Stöhnen unterbrochen, als Josh beginnt sich zu bewegen. Er weiß nicht, wie lange er hier gelegen ist. Lange kann es nicht gewesen sein, da seine Kleider noch immer glitschig nass sind. Seine Gliedmaßen sind taub, was er dem stechenden Schmerz bevorzugt. Wenn er jedoch länger bewusstlos hier gelegen hätte, hätte er tot sein können. Im Moment ist er sich nicht so sicher, ob Letzteres nicht vielleicht die bessere Wahl wäre.

 

Ohne an mögliche Konsequenzen zu bedenken beugt er langsam seine Finger und das Genick. Vorsichtig bedeckt er sein Gesicht mit seiner verschmutzten Hand, zischt jedoch sofort beim ersten Kontakt in Qualen auf. Sein Mund ist mit einer zähen Substanz überzogen und von seiner Nase und Stirn geht ein unangenehmes Brennen aus. Die Wunde über seinem linken Auge muss aufgesprungen sein, als sein Kopf auf den Boden geschmettert wurde. Da er kaum atmen kann versucht er Luft durch seine pochende Nase zu blasen, doch er ist zu schwach um sie völlig frei zu bekommen. Nun ist er sich sicher, dass es besser wäre, tot zu sein.

 

"Also hast du letztendlich aufgegeben." Josh ist irritiert die dunkle, ihm aber sehr gut bekannte Stimme zu hören. Er war gezwungen ihr wochenlang zuzuhören, doch er hat erwartet, sie nie wieder vernehmen zu müssen.  

 

"Ich dachte, Sie wollten verschwinden. Wieso sind Sie immer noch hier?" Sein Mund ist trocken, sodass er etwas Speichel sammeln muss um die Worte ansatzweise deutlich aussprechen zu können und trotzdem klingt er betrunken.

 

"Ich bin es, der hier die Fragen stellt, Joshua. Das solltest du wissen. Andererseits, was weißt du schon?" Jemand schlurft mit schweren Schritten umher, als hätte er alle Zeit der Welt. Der Spott des Doktors ist Josh egal. Alles, was er will, ist hier zu liegen und sich so wenig wie möglich zu bewegen, um jeden Schmerz zu vermeiden. Immer dieser Schmerz. Wie es ihn ankotzt.

 

"Für deine Situation bist du alleine verantwortlich. Jede Wahl die du getroffen hast, jeder Weg, den du eingeschlagen hast, hat dich zu diesem Moment geführt. Du hast Schmerzen, weil du es verdient hast." Nach jedem weiteren Wort, das die Luft verpestet, gräbt Josh sein Gesicht nur tiefer unter seiner Hand ein.

 

"Hören Sie auf mit mir zu spielen!", zischt er jede Silbe einzeln durch seine verengten Lippen. "Sie sind nicht REAL!"

Ein heiseres Glucksen verhöhnt ihn irgendwo aus den Schatten heraus. "Natürlich bin ich das nicht. Ich dachte, das hätten wir längst geklärt. Du musst besser zuhören, Junge."

 

"Ich habe zugehört. Sie wollten gehen. Gehen Sie einfach, verschwinden Sie und lassen Sie mich alleine, wie all' die ander'n auch", erwidert er leise.

 

"Du bist alleine, weil du es königlich vermasselt hast. Das hatten wir ebenfalls bereits besprochen. Die Frage ist, was wirst du jetzt deswegen tun?"

Alles, was er will, ist die Stimme des Doktors ignorieren, aber Hill verlangt stumm nach einer Antwort. Also gibt Josh nach.

 

"Das Spiel ist vorbei. Ich habe verloren. Was gibt es da schon zu tun?" Mutlos schaffte er es die Wahrheit nur zu flüstern.

 

"Exakt. Du hast verloren." Die ganze Zeit über hat Dr. Hill ihn umkreist, doch als er das letzte Wort regelrecht ausspeit, bleibt er stehen. "Wie dem auch sei. Du magst das eine Spiel verloren haben, doch du bist immer noch eine Figur des Spielbrettes." Nach Stunden des Redens mit dem Mann hat Josh gelernt, dass alles, was aus seinem Mund kommt eine Lehre oder ein Rat ist. Der Doktor hat die Gabe seinen Patienten eine Idee einzupflanzen, sodass sie glauben, sie hätten die Lösung alleine gefunden, wenn sie in Wahrheit nur zu dem Schluss geführt wurden, zu dem der Doktor sie haben wollte. Das Spiel ist seine Idee gewesen. Er hat Josh geraten wieder mehr Nähe zu seinen Freunden zu suchen. Alles, was Josh getan hat, ist die Idee sich selbst zu heilen auszuweiten und alle anderen im Laufe des Prozesses ebenfalls zu heilen. 

Nun passiert es schon wieder. Dr. Hill will irgendetwas in seinen Verstand pflanzen. Soll er es akzeptieren?

 

"Wir sind nicht auf einem Spielbrett. Das ist kein Spiel."

 

Er hört Dr. Hill in Verachtung mit dem Fuß aufstampfen, sodass kleine Steine umherfliegen. "Ist denn nicht das Leben selbst das größte Spiel? Jedes Insekt, jede Pflanzen ist eine ständig spekulierende Figur auf dem Spielbrett des Lebens. Du hast gespielt und du hast dich mit deinen Taten selbst ins Aus gesetzt. Wirst du deine Figur zurück bringen? Oder wirst du deine Niederlage akzeptieren und die Regeln verfluchen, wie ein verzogenes Kind?"

Illusionen über Illusionen. Worte gesprochen von einer Illusion. Sie sollten ihn überhaupt nicht kümmern, das weiß er. Und doch weigert er sich ihnen Recht zu geben. Langsam löst er sich aus seiner verkrampfen, eingerollten Haltung und streckt sich, die Stiche in seinen Gliedern ignorierend, bis er schließlich auf dem Rücken liegt. Seine Hand liegt hingegen noch immer über seinem Gesicht.  

 

"Könnte ein Kind tun, was ich getan habe? Ich habe alles geplant und –"

 

"Und doch kriechst du hier vor mir wie ein Baby. Die Zeit, in der wir deine Vergangenheit diskutiert haben, ist vorbei. Was geschehen ist, ist geschehen. Wichtig ist deine Zukunft. Was wird deine Zukunft sein, Joshua? Wird diese Höhle deine Zukunft werden?"  

Keine Antwort kommt über seine Lippen, aber er denkt über die Worte nach.

 

"Willst du leben?" Eine beiläufig gestellte Frage, und doch ist es die wichtigste. Ein weiteres Talent von Dr. Hill.

 

"Ja", nuschelt er undeutlich. Sagt er die Wahrheit? Will er leben? Dr. Hill scheint es jedenfalls nicht zu interessieren, ob Josh es ernst meint, oder nicht.

 

"Das wollte ich hören." Plötzlich spürt Josh einen festen Druck an seinem Handgelenk, der seine Hand zwingt das Gesicht frei zugeben. Er hat noch nicht einmal Zeit zu reagieren, als ein Zug durch seinen Körper geht. Ein wenig schwindelig von der schnellen Bewegung nach oben ist er nun wieder zurück auf den Beinen. Ungläubig starrt er auf seine Hand, an der er soeben in den Stand gezogen wurde, aber in der Dunkelheit ist nichts zu sehen. Trotzdem tastet er sich durch seine unmittelbare Umgebung, aber auch hier trifft er auf nichts. Er ist allein.

 

"Ich schaff das. Ich schaff das", spricht er sich selbst Mut zu, obwohl er nicht genau weiß, was genau er schaffen kann. Trotz einem pochenden Kopf und auch wenn er noch immer kaum Luft bekommt, stolpert er ein paar Schritte nach vorne, bis er gegen etwas stößt. Unter seiner Berührung fühlt es sich feucht, aber wärmer, als die Felswand an. Er identifiziert es als eine Art Holzplanke und folgt ihr mit den Fingern in der Hoffnung dadurch den Ausgang zu finden.

 

In Gedanken leckt er sich über die Lippen, woraufhin sich sofort wieder ein Geschmack nach Metall und Erde in seinem Mund verteilt. Dieses Mal schluckt er jedoch nicht, sondern spuckt die Fremdkörper sofort aus. Er verschmiert  gerade das restliche Blut unter seiner Nase mit dem Ärmel seines Hemdes, als er endlich ein schwaches Licht in der Ferne entdeckt.

 

"Wird diese Höhle deine Zukunft werden?", ertönen die Worte des Doktors in seinen Gedanken. Nach ein paar Sekunden des Zögerns lässt er die Planke los und läuft hinaus in eine weitläufigere Umgebung. Auch hier ist es stockfinster, doch irgendwo über ihm müssen kleine Löcher im Gestein sein, durch die wenigstens ein bisschen Mondlicht dringt. Dadurch kann er zumindest den Boden direkt vor ihm ausmachen und damit sehen, wo er läuft.

 

Während er nach Anhaltspunkten Ausschau hält die ihm helfen könnten den Weg heraus zu finden, passiert er mehrere verschieden große Tropfsteine. Nach kurzer Zeit, es können nicht einmal zehn Minuten gewesen sein, spürt er jedoch bereits wie sich seine Lungen verengen und er heftig nach Luft schnappen muss. Mit gesenktem Kopf läuft er stolpernd weiter, als er seltsame Rillen im Staub entdeckt, die nicht natürlichen Ursprungs sein können. Vorsichtig will er sich hinab beugen, um sie besser untersuchen zu können, als er jedoch beinahe vorn über kippt, besinnt er sich eines Besseren. Auch von weiter oben sehen die Rillen aus, wie alte Schienen; ein Überbleibsel der ehemaligen Minenarbeiter.

Von irgendwo hört er plötzlich etwas brechen und schwer aufs Wasser fallen, was ihn nervös herumfahren lässt. Doch er kann nicht ausmachen, von wo genau das Geräusch kommt. Hier unten in diesen verdammten Minen scheint von überall Lärm zu kommen.

 

"Alles ist gut. Alles ist gut", in dem Versuch sich abzulenken von was auch immer er gerade vernommen hat redet er laut mich sich selbst. Zumindest scheinen seine Illusionen sich entschieden zu haben, sich zurückzuziehen. Während er beginnt den Schienen zu folgen, summend er eine einfache Melodie.

 

Immer wieder gerät er ins Straucheln, aber er schafft es jedes Mal sich rechtzeitig an der Wand zu heben. Mike und Sam waren hergekommen, also muss es einen Ausgang geben. Dieser Gedanke hält ihn in Bewegung. Er hatte nie das Bedürfnis gehabt hinunter in die Minen zu steigen. Er erinnert sich, dass Beth einmal vorgeschlagen hatte, dass sie alle hier unten eine Mutprobe machen könnten, aber ihre Mutter hat sie schwören lassen, niemals in die Schächte zu steigen. Seiner Meinung nach waren die Minen sowieso kein guter Ort um eine Mutprobe abzuhalten. Mit diabolischem Grinsen hatte er stattdessen das Sanatorium vorgeschlagen.

 

Alles war geplant gewesen. Zuerst wollte Hannah so tun, als sei sie entführt worden. Beth hätte währenddessen die anderen mit ihrem Gerede nervös gemacht. Er selbst hatte einige Aufnahmen von Gekreische und unheimlichen Aufnahmen vorbereitet, die er während ihrer Wanderung durch das Gebäude abspielen wollte. Es hätte letztes Jahr passieren sollen, doch dann kam der Schneesturm, der sie dazu verdammt hatte ihre Zeit stattdessen in der Lodge zu verbringen.

 

Er stoppt in seiner Bewegung und inhaliert durch seinen Mund. Momentan kann er es sich nicht leisten gedanklich abzudriften. Er muss sich auf das hier und jetzt konzentrieren.

 

Mittlerweile wagt er es nicht mehr seine Stütze an der Wand aufzugeben aus Angst umzukippen. Sein ganzer Körper zittert unkontrollierbar, wobei er sich noch nicht einmal sicher ist, ob durch die Kälte oder ob durch Erschöpfung. Doch er geht weiter.

 

Langsam verengt sich der Schacht und er befürchtet bald auf eine Sackgasse zu treffen, als er endlich ein gelbes, warmes Licht in der Ferne entdeckt. Auf das neue Ziel fixiert, das er lieber früher als später erreichen will, beschleunigt er seinen Schritt. Das bernsteinfarbene Licht der Fackel brennt in seinen an die Dunkelheit gewöhnten Augen, doch das nimmt er gerne in Kauf. So nah es geht presst er seinen Körper an die Wärmequelle und nimmt so viel Hitze auf, wie er kann. Genießerisch schließt er die Augen und riskiert sogar sich zu verbrennen.

 

Kurze Zeit später stochert er an der Halterung, um die Fackel frei zu bekommen. Ein heiseres Lachen entfleucht ihm, als er es schafft die Fackel von der Wand zu nehmen. Mit seiner neuen Errungenschaft setzt er seine Wanderung summend fort. Ihm ist egal, wer die Fackel entzünden haben kann oder wer sie dort überhaupt erst angebracht hat. Hauptsache, er hat eine Lichtquelle, die nebenbei auch Wärme spendet. Leider ist sein kleiner Sieg nur von kurzer Dauer, da das zusätzliche Gewicht der Fackel nur umso mehr an seinen Kräften zehrt. Als er das Feuer beinahe aus den Händen verliert entscheidet er, sich auszuruhen.

 

Den Schacht hat er bereits seit einiger Zeit hinter sich gelassen. Nun steht er wieder in einer größeren Höhle, die übersät ist mit verschiedenen Felsformationen. Er steuert die nächst Beste an und lässt sich schwer atmend an ihr herunter gleiten. 

 

In diesem Moment erregt etwas in seinem Augenwinkel seine Aufmerksamkeit. Im Licht seiner Fackel scheint auf dem Boden etwas silbern zu schimmern. Als er blinzelt ist das Licht verschwunden, sodass er glaubt, er hätte sich den Schein nur eingebildet. Doch dann sieht er es zum zweiten Mal. Neugierig gräbt er in der Erde und hält die Luft erschrocken an als er erkennt, was er gerade gefunden hat. Vorsichtig streichen seine Finger den nassen Sand von der Oberfläche.

 

"Beth", stöhnt er leise. Mit dem Daumen fährt er liebevoll über die kleinen Kugeln am Band und über die Metallplatte daneben. Sein Blick wandert zu dem beinahe identischen Armband an seinem eigenen Handgelenk. Manche der blauen Kugeln von Beth's Band haben Risse, doch ansonsten ist es noch in einem Stück. Es nach all der Zeit in Händen zu halten fühlt sich beinahe so an, als würde er seine Schwester wieder umarmen. Er schließt seine Finger um das wertvolle Objekt und lehnt den Kopf an den Stein hinter ihm. Sein Blick verliert sich in der Ferne.

 

1. "Nimm das Armband mit."

 

2. "Lass es zurück."

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Der Schmetterling: Wenn Josh mit Hannah reden soll bitte lies Kapitel 2 weiter. Wenn er sich stattdessen verteidigen soll, Kapitel 3. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Der Schmetterling: Josh ist hiergeblieben und ist unverletzt. Er hat Visionen seiner Schwester gesehen und die Beziehung zu Hannah gestärkt.

Wenn Josh hierbleiben soll fahre bitte mit Kapitel 4 fort, wenn er stattdessen Hannah hinterhergehen soll, lies Kapitel 5.


Hallo liebe Leser. Als nächstes muss ich vier Kapitel gleichzeitig schreiben, das heißt es könnte mindestens zwei Wochen dauern, bis die Geschicht fortgeführt wird. Daher bitte ich um Geduld. Seid ihr bisher mit eurer Entscheidung zufrieden? .) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Der Schmetterling: Josh hat sich verteidigt und wurde von Hannah am Kopf verletzt. Er hatte Visionen von Dr. Hill, die ihm einen Lektion erteilt hat.

Wenn Josh das Armband behalten soll, lies bitte Kapitel 6 weiter. Wenn er das Armband stattdessen liegen lassen soll, fahre mit Kapitel 7 fort.


Hallo liebe Leser. Als nächstes muss ich vier Kapitel gleichzeitig schreiben, das heißt es könnte mindestens zwei Wochen dauern, bis die Geschichte hier fortgeführt wird. Daher bitte ich um Geduld. Seid ihr bisher mit eurer Entscheidung zufrieden? .) Komplett anzeigen

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