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Assassin's Creed Unity: Nothing is True

Pairs 1774 | Pierre Bellec | Charles Dorian | Shay Patrick Cormac | OC
von

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The hard Cell

Paris 1774 – Pierre Bellec – 34 Jahre
 

Es war ein stürmischer Tag im Mai. Im pariser Sanktuarium verließen die Assassinen geordneten Schrittes den zeremoniellen Räumlichkeiten. Einer ihrer Brüder wurde vor wenigen Augenblicken in den Rang des Meisterassassinen erhoben. Von nun an gehörte Pierre Bellec also dem Rat der Assassinen an und nahm den Platz von Hervé Quemar als Ausbilder ein.

Pierre verließ ebenfalls den Raum und schlug den gleichen Weg, wie die anderen Ratsmitglieder, ein. Er gelangte in einen still gelegenen Nebenraum. Dort zog er die zeremonielle Kutte endlich aus. Das graue Ding war ihm über seiner Assassinen Montur sowieso viel zu warm und er empfand sie als unnötig. Für ihn war es viel zu viel Drumherum. Eine Zeremonie solchen Ausmaßes hatte er nicht erwartet, wo die Assassinen doch für ihr lautloses Vorgehen bekannt waren. Übertrieben, dachte er.

„Bellec“, riss ihn unerwartet eine Stimme aus seinen Gedanken. Es war Hervé Quemar, der das Gespräch mit ihm suchte.

„Meister Quemar.“, antwortete er und wandte sich ihm zu.

„Es war eine gute Entscheidung, dass Ihr mein Amt als Ausbilder übernommen habt. Ich gebe es nur ungern zu, aber ich komme nun in die Jahre. Meine Gicht quält mich jeden Morgen beim Aufstehen und am darauffolgenden Abend beim Einschlafen. Ich bin nicht mehr in der Lage, unseren Novizen eine hochwertige Ausbildung zu gewährleisten. Doch Ihr habt euch im letzten Jahr sehr bewährt. Charles Dorian macht gute Fortschritte. Unter Eurer Leitung werden unsere künftigen Novizen frischen Wind in die Bruderschaft bringen. Euch gebührt mein Dank.“

Das Alter hinterließ bei Meister Quemar seine Spuren. Eine Herzschwäche trug er lange schon mit sich herum, doch nun suchte ihn die Gicht heim und es war eine Qual für ihn, auf die Dächer Paris' zu steigen. Viele Jahre kümmerte er sich um die Ausbildung der Novizen. Im letzten Jahr aber, ging es ihm zunehmend schlechter. Dem Rat fiel das Können von Pierre Bellec schon lange auf. Sie wussten, dass er durch seine Zeit in der kolonial Bruderschaft in Neu Frankreich, viele Erfahrungen gesammelt hatte und diese sich bezahlbar machten. So waren sie sich schnell einig, ihm probehalber einen Novizen zuzuweisen, um den er sich während dessen zweijähriger Ausbildung kümmern sollte. Meister Quemar fiel es anfangs nicht leicht, sich damit abzufinden, dass er fortan einen ruhigeren Part im Rat annehmen musste, doch je mehr Fortschritte Charles Dorian unter der Leitung von Pierre Bellec machte, desto gewissenhafter war er, dass er die Ausbildung fest in die Hände von seinem Nachfolger geben konnte.

Doch das war nur die eine Seite der Medaille. Vor drei Monaten begann eine junge Novizin die Ausbildung unter Meister Quemars Leitung. Er sagte ihr zwar zu Beginn, dass er nicht wüsste, ob er sie bis zur Abschlusszeremonie begleiten könne, doch er wollte sie auch nicht fort schicken. Ihr Vater, Bernard Moreau, war einst einer seiner besten Schüler und war außerdem einer der wenigen, der in der Lage gewesen war, einzelne Templer für einen Waffenstillstand zu besänftigen. Es tat ihm in der Seele weh zu erfahren, dass er vor einem halben Jahr bei einem Auftrag ums Leben kam. Und als kurz darauf seine Tochter unerwartet im Sanktuarium auftauchte und mit einer großen Verneigung um eine Ausbildung bat, damit sie das Andenken ihres Vaters zu wahren, willigte er ein. Es lag ihm nicht im Blut, einen ehrgeizigen Menschen wieder nach Hause zu schicken, auch wenn er wusste, dass es gegenüber seiner Gesundheit keine gute Idee gewesen war.
 

„Ich erzählte Euch bereits von meiner Schülerin.“, fuhr Meister Quemar fort.

„Das tatet ihr“, Pierres Blick strahlte ein Desinteresse aus. Mit Charles kam er wunderbar zurecht, vor allem, da er nun ein Level erreicht hatte, mit dem auch für ihn die Aufträge wieder spannender wurden. Zu Beginn von Charles' Ausbildung, fühlte Pierre sich unterfordert und oft gelangweilt. Er liebte die Herausforderung, das war wohl seiner Zeit als Soldat geschuldet. Er schmiedete tagein, tagaus Pläne, wie er den Templern einen Schritt näher kommen und seiner Bruderschaft einen Vorteil verschaffen konnte. Lange Zeit wusste er nicht, ob er den Posten als Ausbilder wirklich annehmen sollte, denn er glaubte, so würde er als Assassine nun gar nichts mehr erreichen können. Und jetzt sollte er sich zusätzlich noch einer Novizin widmen, von der er nicht einmal wusste, wie weit ihr Können ausreichte. Nach drei Monaten Ausbildung sicherlich nicht weit genug für die Aufträge, die er künftig im Auge hatte. Er wusste, sie würde ihn behindern und das schmeckte ihm ganz und gar nicht.

„Das hier ist ihr Ausbildungsbrief, in dem Ihr alle Informationen über den bisherigen Verlauf findet. Bitte nehmt ihn an Euch und führt sie als Ausbilder weiter an. Sie hat Talent, doch noch viel liegt vor ihr. Wenn Ihr nichts dagegen habt, werde ich sie in drei Tagen zu Euch schicken.“, Meister Quemar reichte Pierre einen einen Umschlag. Dieser hätte ihn am Liebsten gar nicht erst in die Hand genommen, doch nun hatte er neben Charles eine weitere Novizin am Hals.

„Kann ich mich auf Euch verlassen?“, fügte Quemar noch hinzu.

Mit einem aufgesetztem Lächeln antwortete Pierre „Selbstverständlich.“ Dann wandte sich sein Gegenüber ab von ihm und die Wege der beiden trennten sich.

Er hatte Glück, die anderen drei Ratsmitglieder beließen es bei Glückwünschen und er konnte endlich, ohne weiteres Brimbamborium verschwinden. Er mochte es nicht, im Mittelpunkt zu stehen. War doch ätzend...
 

Pierre verließ den Raum und ging den Flur entlang Richtung Ausgang. Die anderen Assassinen machten sich bereits wieder an die Arbeit und nur vereinzelt waren noch welche von ihnen im Sanktuarium zu sehen.

Eigentlich bedeutete es ihm nicht so viel, dass er nun einen Stuhl im Rat der Assassinen besetzte, doch dass er sich nun Meisterassassine nennen konnte, erfüllte ihn schon mit einem Gewissen Stolz. Das war seit seiner Aufnahme in die Bruderschaft vor vielen Jahren sein Ziel gewesen. Damals, als er nichts ahnend der Armee in Neu Frankreich beitrat und durch Zufall herausfand, dass Assassinenblut durch seine Venen fließt, wurde er von dem Meister der kolonialen Bruderschaft ausgebildet und agierte bald als unverzichtbarer Schatten für die Assassinen im Kampf gegen die Templer. Tagsüber war er Soldat und sammelte Informationen über das Vorhaben der Templer. Es fiel ihm schwer, sein Können zu verbergen, so heißblütig er doch war. Doch er durfte auf gar keinen Fall in seinem Rang steigen, denn ein Aufstieg und eine damit verbundene Versetzung, hätte die Mission völlig zunichte gemacht. In der Nacht aber, konnte er seinen Enthusiasmus vollkommen ausleben; nachts war er Assassine und bediente sich der am Tage beschaffenen Informationen über Aufenthaltsorte der Templer, ihrer Pläne und schaffte es immer wieder, ihnen zuvor zu kommen. Das ging so lange gut, bis vor zwölf Jahren die Säuberung der kolonial Bruderschaft angeordnet wurde. Den Befehl gab Templer Großmeister Haytham Kenway. Um Haaresbreite kam er da irgendwie raus, doch für die meisten seiner Brüder wurde der Überraschungsmoment der Templer zum Verhängnis.

Manchmal suchten ihn Erinnerungen im Traum heim. Manchmal fragte er sich, was passiert wäre, wenn er zur falschen Zeit, am falschen Ort gewesen wäre, wenngleich er die Antwort doch kannte. Alles, was ihm aus dieser Zeit blieb, war eine Narbe, die sich so weit durch sein Gesicht zog, wie die Verwüstung der Templer durch Neu Frankreich. Eine Narbe, die ihn jeden Morgen, wenn er in den Spiegel blickte, daran erinnerte, dass es niemals eine Waffenruhe mit den Templern geben würde. Frieden mit den Templern ist nur ein Ammenmärchen.
 

Am Ende des Flures wurde er bereits erwartet.

„Meinen Glückwunsch, Meister Bellec“, sagte der Mann, der auf ihn wartete. Er schien sich zu freuen, denn er strahlte über beide Ohren.

„Lass den Unsinn, Pisspott.“, gab Pierre mit einer leicht grinsenden Miene wieder.

Es war Charles Dorian, der seinen Meister mit gratulierenden Worten empfing. Die beiden waren lange mehr als Lehrer und Schüler. Sie waren Freunde. Eigentlich mied Pierre so etwas wie Freundschaften, denn für ihn gab es ohnehin nur das Leben in der Bruderschaft. Alles andere behinderte ihn nur. Doch zu Beginn von Chalres' Ausbildung kristallisierte sich schnell heraus, dass die beiden auf einer Wellenlänge waren. Also gingen sie nach getaner Arbeit gerne mal Einen heben. In einer Kneipe, nicht weit vom Notre Dame de Paris, waren sie bereits bekannt und der Wirt musste nicht einmal fragen, was sie trinken wollten. Wenn sie die Kneipe betraten, stand bereits der beste Wein des Hauses serviert für sie bereit. In Mitten von Brutalität und Konflikten war dann alles so unbeschwerlich für die beiden. Und das war auch bitter nötig, seit sich Charles' Frau vor einiger Zeit wortlos aus dem Staub machte und ihn mit seinem Sohn ganz allein zurückließ. Nun musste er schauen, wie er Kind und Assassinen Ausbildung unter einen Hut bekam, doch Pierre war lange nicht so herzlos, wie er manchmal schien. Er drückte häufig ein Auge zu, nahm ihn dann aber beim nächsten Training härter ran. Alles musste einen Ausgleich finden, von Nichts kam schließlich Nichts.
 

„Wir sollten auf deinen Aufstieg anstoßen, meinst du nicht auch, mon ami?“, Charles klopfte Pierre lachend auf die Schulter und schloss sich seinem Gang Richtung Ausgang an.

„Dein Junge wartet. Willst ihn doch nicht länger aus dem Fenster starren lassen, als nötig - was, Pisspott?“, antwortete Pierre, wenngleich er gern mit seinem Freund angestoßen hätte.

Charles schloss die Augen und lächelte, „natürlich nicht.“

Sie kamen zur Türe und Pierre öffnete sie. Es war den ganzen Tag lang schon stürmisch und das Laub wehte sogar von den Bäumen bis zu dem versteckten Eingang. Recht ungewöhnlich, wo doch erst Mai war. Solch ein Wetter erwartete man in Paris doch frühsten im Oktober.

„Sag ich ja. Dann mach dich mal aus dem Staub, bevor ich doch noch durstig werde.“

„Hab Dank, dann schaffe ich es noch rechtzeitig, mit ihm das Feuerwerk in Saint-Thomas-Dáquin anzuschauen.“

„Bist morgen besser pünktlich, Pisspott.“

„Selbstverständlich, mon ami.“
 

Die Wege der beiden Männer trennten sich. Pierre sah Charles noch ein Weilchen hinterher, wie er eiligen Schrittes mit der Menschenmasse eins wurde. Dann machte er sich auf den Weg nach Hause. Er hatte es nicht weit. Sein Haus war im östlichen Teil von Île de la Cité. Es war eine ruhige Ecke, etwas ab vom Schuss. Nicht viele Menschen gingen hier entlang, nur ein paar. Dort war er ungestört und fühlte sich wohl. Sein Haus lag direkt an der Seine. Und manchmal, wenn er zur Ruhe kommen wollte, lauschte er, an einen Mauer gelehnt, dem Wasser. Wenn es nicht so furchtbar dreckig wäre, könnte er es als schön bezeichnen. Doch da er die Augen ohnehin geschlossen hielt, konnte ihm der Zustand des Flusses auch egal sein.

Er überlegte, ob er am Café Théâtre Halt machen sollte. Ihm knurrte der Magen, aber er hatte keine Lust, selbst etwas zu kochen. Das war schließlich Weibersache. Anders sah das bei Charles aus – früher zumindest. Wenn er sich auf den Heimweg machte, wartete seine Frau mit gedecktem Tisch auf ihn. Darum beneidete er ihn. Nicht um die Frau – die war nun ohnehin über alle Berge - , sondern um das Festmahl, dass sie jedes Mal zauberte. Doch ganz stimmte das auch nicht. Manchmal fühlte er sich einsam und so, als hätte er etwas verloren. Doch meist verdrängte er dieses Gefühl mit einem Glas Wein. Der Alkohol löste viele seiner Probleme. Jahrelang schon.

Gerade als er entschied, am Café vorbeizugehen, fiel ihm auf, dass er noch immer den Umschlag von Quemar in der Hand hielt.

„Gottverdammich...“, seufzte er vor sich hin und ging nun doch direkt nach Hause.
 

Der Wind pfiff ihm ganz schön um die Ohren. Sein Haar wehte im unkontrollierten Takt des Windes und so tat es ihm sein Umhang gleich. Er griff nach dem Schlüssel seiner Haustüre in einer seiner Manteltaschen und war froh, als er endlich seine Stube betreten konnte. Wieder stieß er ein Seufzen aus und warf den Schlüssel mitten auf den Tisch, eigentlich dorthin, wo er nicht hingehörte, doch aus Ordnung machte er sich genau so viel, wie aus Frauen.

Er zog seinen Handschuh aus und nahm die Versteckte Klinge von seinem Handgelenk. Sein Florett hing er an die Wand. Alles, was mit der Bruderschaft zu tun hatte, fand trotz allem seinen geordneten Platz. Schließlich war das Assassinen Dasein alles, was er hatte.

Er knöpfte seinen Mantel auf und entledigte sich ihm. Er warf ihn über einen Stuhl und ging dann zu seinem Sofa. Dort ließ er sich entspannt nieder und atmete tief durch. Seine Stiefel blieben auch nicht mehr lang an seinen Beinen. Jetzt ein schönes Bad, dachte er sich... Doch sofort fiel ihm der Umschlag wieder ein und er rollte die Augen.

„Merde“, schimpfte er leise, „bringen wir es hinter uns.“

Pierre öffnete den Umschlag und holte drei Blatt Papier hervor. Das erste las sich wie folgt:
 


 

Novize

Renée Moreau

Weiblich

Geboren am 01. August 1749

Herkunft: Pairs – Bezirk: Ventre de Paris

Eintritt in die Bruderschaft: 15. Februar 1774

.....


 

Dann folgte auf der zweiten Seite das übliche Ausbildungs Prozedere, der Plan, eine Strichliste, usw. Besonders viel stand dort noch nicht. Immerhin trat sie der Bruderschaft erst vor drei Monaten bei. Er überflog die Seite fix und blätterte weiter zur dritten. Auf dieser befand sich ein Bild von Renée Moreau. Sie war hübsch. Zumindest auf dem Papier, das musste er zugeben. Und trotzdem wusste er, dass er sie bereits jetzt schon nicht ausstehen konnte.
 

Er lehnte sich zurück in seinen Sitz und hielt das Blatt Papier mit ihrem Bild vor sich.

„Vielleicht fällt mir noch ein schöner Name für euch ein, Mademoiselle.“, sagte er sarkastischen Blickes.

Dann legte er den Papierkram zur Seite, lief zu einem Schrank, aus dem er eine angebrochene Weinflasche entnahm und widmete ihr seine volle Aufmerksamkeit. Auf seinen Erfolg heute, stieß er ganz allein an. Im Schatten seiner Stube saß er, bis der Sturm draußen zu später Stunde verstummte.

Books of Grievances

Versailles 1773 - Charles Dorian – 31 Jahre
 

05. Juni 1773

Ich glaube, Marie bemerkt langsam, das etwas nicht stimmt. Sie wird jeden Tag abweisender zu mir. Doch was hätte ich anderes tun sollen? Ich musste der Bruderschaft beitreten. Es war das Erbe meiner Familie. Assassinenblut fließt durch meinen Venen. Hätte ich mich nicht der Bruderschaft angeschlossen, wäre es Verrat an meinen Vorfahren gewesen. An ihnen und an ihren Erfolgen und Verlusten.

Ich habe es lange Zeit verdrängt. Ich wollte ein normales Leben führen, eine Familie gründen und meinem Sohn beim Heranwachsen zusehen. Ihn begleiten, in jeder Lebenslage. Sein erstes Mädchen kennenlernen und so vieles mehr. Ich hatte nun eine Familie, aber ich war nun auch Assassinen. Es lief längst nicht so, wie ich es mir erträumte.

Arno ist nun fünf Jahre alt und schlau wie ein Fuchs. Er lernt schnell und ich ertappe mich oft bei dem Gedanken, zu hoffte, dass er eines Tages in meine Fußstapfen treten würde, doch eigentlich war das fast schon lächerlich. Welche Fußstapfen? Ich war Novize und mitten in meiner Ausbildung. Ich war noch lange nicht so weit, als dass ich große Reden schwingen könnte. Und doch... die Vorstellung erfüllte mich mit Stolz, wenngleich ich wusste, dass Marie das nie zulassen würde. Unser Sohn würde niemals einer Bruderschaft, wie die der Assassinen beitreten. Dafür würde sie sorgen.

Ich frage mich, was sie sagen würde, wenn ich sie offen mit meiner Ordens Zugehörigkeit konfrontieren würde. Würde sie mich hassen? Würde sie unter Tränen zusammenbrechen? Ich nahm mit der Aufnahme vieles in Kauf, doch der Gedanke, sie zu verlieren, schmerzte und er wurde jeden Tag unerträglicher. Ich beschloss, meine Bruderschaft geheim zu halten, doch ich war mir sicher, dass sie es bemerkte. Ich kam oft viel zu spät nach Hause, manchmal war ich sogar mehrere Tage unterwegs und konnte ihr keine Nachricht schicken – sie musste Verdacht geschöpft haben. Ihr Verhalten war so eindeutig und meines so falsch.

Und doch konnte ich es ihr nicht sagen. Nicht jetzt. Vielleicht, wenn ich die Abschlusszeremonie hinter mir hatte, vielleicht dann. Doch noch war es zu früh und alles, was ich tun konnte, war zu hoffen, dass sie meine Briefe nie finden würde.
 

Charles legte die Feder aus der Hand und klappte sein Buch zu. Es war spät und seine Kerze kündigte mit flackerndem Leuchten an, jeden Moment zu erlöschen. Er sollte zur Ruhe kommen, morgen stünde ihm ein harter Tag bevor. Sein Mentor war hart; fair zugleich, aber hart. Sehr hart. Das Training empfand er fast schon als unmenschlich, doch als Pierre ihm erzählte, dass er seine Methoden noch aus Armeezeiten Inne hatte, wusste Charles, warum es so immer so anstrengend gewesen war. Tagein, tagaus, Fechttraining bis zum Umfallen, Tagelang die höchsten Kirchen erklimmen – die Ausbildung als Assassine war alles andere als einfach. Eigentlich war sie ziemlich monoton. Im Moment zumindest. Nach den Grundlagen, sollten die ersten Aufträge erfolgen, so sagte man zumindest. Vielleicht war es eine seltsame Konstellation mit den beiden. Charles war nur drei Jahre jünger als sein Mentor und wurde von ihm vollends wie ein Schüler behandelt. Und doch konnte er Pierre gut leiden. Seine sarkastische Ader amüsierte ihn. Sie verstanden sich gut und sie gewöhnten sich bald schon an, den harten Trainingstag bei einem Gläschen Wein ausklinken zu lassen.
 

Charles lockerte seine Kleider und entledigte sich ihnen. Er ging zum Schrank und holte sein Schlafgewand hervor. „Gleich viel besser.“ , murmelte er.

Er überlegte, ob er zu Marie ins Bett steigen sollte, oder ob er sich einfach – so wie er es die letzten Nächte tat – in einem der Gästezimmer niederlassen sollte. Nun, da sie so abweisend zu ihm geworden war, fürchtete er, es wäre besser, ihr nicht zu nahe zu kommen. Er glaubte, ihr aus dem Weg zu gehen, würde die Probleme irgendwann verfliegen lassen, doch er wusste haargenau, dass er falsch lag. Er spürte eine Sehnsucht. Alles, was er wollte, war sie in seinen Armen zu halten und ihre Lippen zu schmecken. Doch die Furcht schien zu überwiegen. Liebe kann manchmal so ungerecht sein, dachte er oft.

Er setzte sich wieder an seinen Schreibtisch. Die Kerze war längst erloschen und er saß im Dunkeln.

Manchmal fragte er sich, ob er sich die Schuld an der Situation geben sollte. War es so falsch gewesen, seinem Erbe zu folgen und für eine gute Sache einzustehen? Er kannte die Antwort nicht. Er dachte oft darüber nach, doch kam zu keinem Entschluss. Seine Bruderschaft lehrte ihn, dass nichts wahr sei. Vielleicht gab es deshalb keine passende Antwort auf seine Frage. Und doch, sei alles erlaubt, sagten sie ihm.

Er stand auf und verließ sein Zimmer. Er zündete auf dem Flur keine Kerze, denn er kannte den Weg in das Ehe Schlafgemach blind. Er verlangte nach ihr, sie fehlte ihm. Er wollte bei ihr sein und so ging er zu ihr, auch wenn sie womöglich längst schlief. Seine Schritte waren kaum hörbar, das hatte er nicht zuletzt seiner Ausbildung zu verdanken.

Er griff leise nach der Türklinke und öffnete den Eingang zum Schlafgemach klanglos. Natürlich schloss er sie, sobald er den Raum betrat. Und er schloss auch die Augen, in dem ohnehin schon dunklen Raum, und suchte im Stillen den Klang ihres Atems. Ein Schauer überkam ihn, als er ihn hörte. Er lauschte ihm weiter und ließ sich zu ihrem Ehebett leiten. Sie war alles, was er wollte. Behutsam tastete er sich zu ihrem Haar und dann zu ihrer Wange. Ihre Haut war so warm und so schön geschmeidig. Er kniete sich neben das Bett und streichelte ihr sanft den Kopf. Es tat ihm alles so furchtbar Leid und in diesem Moment fühlte er Reue. Er bereute es für einen Augenblick lang, den Assassinen beigetreten zu sein und den Pfad seiner Vorfahren eingeschlagen zu haben. So viele Gefühle überkamen ihn.

Dann beugte er sich über ihren Kopf und küsste ihre Stirn. Doch das war ihm nicht genug. Seine Finger fuhren sanft die Konturen ihrer Lippen nach. Er musste sie schmecken. Nur ein einziges Mal. Er vermisste sie so sehr.

Plötzlich spürte er, wie ihre Hand ganz zart sein Gesicht berührte. Sofort griff er nach ihr und umschlang sie. Wärme durchfuhr ihn, als er ihre Hand fühlte und Hitze überkam ihn, als sie ihn zu sich zog. Jede Stelle ihres Körpers wollte er mit seinen Lippen beschenken. Sie verdiente so viel mehr. Sie küssten sich lieblich und dann wurden sie eins. Sie krallte sich tief in sein Fleisch und er fühlte, wie sehr sie ihn liebte. Er wollte ihr noch viel mehr Liebe zurückgeben. In ihrer Stimme hörte er ihr Verlangen und in seinen Bewegungen fühlte sie seine Leidenschaft. Sie liebten sich die ganze Nacht.
 

Vor Tagesanbruch kam er zu sich und er fror. Ihm war bitterkalt.

Eine Träne lief ihm die Wange hinunter und er brachte es nicht fertig, seine Augen zu öffnen. Mutlos vergrub er sein Gesicht in seinen Händen.

Sie war fort und er wusste, sie würde nicht wieder zurückkehren.
 

17. November 1773

Arno ist nun bald über dem Berg, glaube ich. Er fragt nicht häufig nach seiner Mutter. Der Junge scheint jeden Tag pfiffiger zu werden und einzusehen, dass sie nicht zurückkommen wird. Es ist traurig, doch gleichzeitig muss ich zugeben, dass diese Einsicht vieles erleichtert...
 

Ich bin nicht in der Lage, ihn selbst zu unterrichten, also stelle ich ihm die besten Lehrer Versailles zur Seite, die das für mich übernehmen. In letzter Zeit bekomme ich ihn kaum zu Gesicht, obwohl er alles war, was mir blieb. Seit Marie gegangen war, war ich glücklich über jeden Tag, den ich nicht auf unserem Anwesen verbringen musste. Manchmal überlege ich, ob Arno und ich nicht einfach nach Paris ziehen sollte - unser altes Leben hinter uns lassen, und dort neu beginnen. Es ist eine schöne Vorstellung, doch ich komme immer wieder zu der Einsicht, dass ich ihm das Leben damit noch schwerer machen würde, als es für ihn im Moment ohnehin schon ist. Er überspielt seine Traurigkeit. Ich als sein Vater wusste das natürlich. Doch es fiel mir schwer, ihm Trost zu spenden, weil ich mich so schuldig fühle. Vielleicht sollten wir mal wieder verreisen; nur er und ich. Vielleicht würde es uns beiden gut tun.
 

Meine Assassinen Ausbildung geht gut voran. Pierre und ich bestreiten nun gemeinsam die ersten Aufträge. Ich kann nicht viel darüber schreiben, das verbietet mir mein Orden. Doch die Ziele waren Templer, die sich korrupt unter die Politik gemischt hatten. Pierre ist der Meinung, dass sie alle ausgerottet gehören, doch ich ertappe mich oft dabei, wie sich in meinem Kopf ein Bild von einem friedlichen Miteinander aufbaut. Die Templer sind keine ungebildeten Leute. Sie besitzen großes Wissen und im Grunde scheinen unsere Ziele gar nicht mal so weit auseinander zu liegen - unsere Herangehensweisen aber schon. Doch könnte man einen gemeinsamen Nenner finden, könnten wir dann nicht die Welt verbessern? Es ist wohl längst nicht so einfach, ....
 

Charles saß an seinem Schreibtisch und seufzte. Die Sonne stand bereits tief und erhellte sein Zimmer in einem warmen Orangeton. Noch immer konnte er nicht glauben, dass Marie fort war. Noch immer fühlte er ihre Hand auf seiner Wange, doch er wusste, er hatte loszulassen. Er durfte nicht in der Vergangenheit leben. Und noch weniger durfte Arno das mitbekommen.

Seine Gedanken wurden unterbrochen, als er plötzlich eine Stimme hörte.

"Wohnst nicht schlecht hier, Pisspott." Es waren die vertrauten Worte seines Meisters, Pierre Bellec.

Pierre stieg durch das Fenster in das Arbeitszimmer von Charles ein und letzterer wunderte sich, warum er nicht einfach durch die Eingangstüre kam.

„Mein Freund, hat es einen bestimmten Grund, warum du mich wie einen Einbrecher heimsuchst? Du hättest auch einfach durch den Eingang kommen können.“

Pierre spazierte durch das riesige Arbeitszimmer und sah sich nicht schlecht staunend um. Das edle Mobiliar war mit der Ausstattung in seinem Heim kaum vergleichbar. Goldene Verzeihungen, wohin das Auge reichte. Gemälde, die Charles bestimmt nicht aus Frankreich hatte, weil sie eine ganz andere Kultur widerspiegelten. Figuren aus Glas, die es ihnen gleich taten – der Mann kam viel in der Welt rum. Der Adel eben...

„Dann hätte ich mich ja mit deinem Personal herumschlagen müssen.“ mürrisch sah Pierre drein.

„Oh nein, wie furchtbar, sie hätten dir die Türe geöffnet und dich bis zu mir geleitet.“ Ironie war nicht Charles' Stärke und schon gar nicht, wenn er niedergeschlagener Laune war, wie heute.

Er ließ sich in seinen Sitz zurückfallen und schloss sein Buch. In einer im Schreibtisch eingebauten Schublade, verstaute er dieses. Es waren seine privaten Gedanken, niemand sollte sie je erfahren. Dann kramte er in seiner Hosentasche nach einem Schlüssel, fand ihn aber nicht.

„So etwas blödes aber auch.“, gab er unruhig von sich.

„Siehst ganz schön blass aus.“ begann Pierre das Gespräch, „hier, hab dir was mitgebracht, Pisspott.“ Er holte eine Flasche Wein hervor und ging zu einem gläsernen Regal. Dort griff er nach zwei vergoldete Kelchen und befüllte sie mit dem Alkohol. Dann trat er auf seinen Schüler zu und reichte ihm einen der Kelche.

„Tchin“, stieß Pierre an.

Dann genossen sie. Als Charles' Wein gänzlich getrunken war, stand er auf und ging um den Tisch herum. Er griff nach der Flasche, die Pierre in seiner Hand hielt, nahm sie wortlos an sich und schenkte beiden jeweils erneut ein.

„Hab Dank, mon ami“, sagte er beruhigten Gemütes.

„Schon gut, Pisspott.“, antwortete Pierre bescheiden.

„Nein - dir gebührt mein Dank. Wenn du nicht wärst, wäre ich womöglich längst in meinem Selbstmitleid ertrunken.“ Charles klopfte Pierre freundschaftlich mit der Hand auf den Oberarm, dann zeigte er auf das edle Sofa in der Mitte des Raumes.

„Möchtest du dich setzen?“, bot er seinem Gegenüber an, doch dieser lehnte mit einem Kopfschütteln das Angebot ab „Danke, aber ich muss weiter. Hab noch ein bisschen was zu erledigen heute. Behalt den Wein. Er löst deine Probleme. Zumindest für diesen Tag.“ Pierre wandte sich bereits ab, um die Villa von Charles erneut durch das Fenster zu verlassen, bis ihm noch etwas einfiel.

„Bevor ich es vergesse“, Pierre drehte sich nochmal um, „kann sein, dass wir bald in trauter Dreisamkeit unterwegs sein werden.“

Charles sah auf. „Du übernimmst einen weiteren Novizen?“, fragte er überrascht.

„Nicht freiwillig.“

„So?“

„Quemar wird alt und will im nächsten Jahr seinen Ausbilderposten abgeben.“

„Und da dachte er ausgerechnet an dich, mon ami?“, sagte Charles in einer Tonlage, die Pierre zu überlegen gab, ob der Wein bei seinem Schüler vielleicht schon anschlug.

„Erzähle ich dir ein anderes Mal. Muss jetzt los, Pisspott. Triff mich morgen früh am Palais De Justice, ich hab einen Auftrag für dich.“

Charles sah ihm hinterher, doch ehe er etwas sagen konnte, war Pierre auch schon wieder verschwunden.

„Nimm das nächste Mal die Türe...“, murmelte er lächelnd vor sich hin.
 

Und so verging ein Jahr...

Welcome to the Brotherhood

 

Paris, Januar 1774 – Renée Moreau – 25 Jahre

 

Bernard Moreau war tot, seit fast drei Monaten schon. Seine Frau Elaine verlor sich selbst in Trauer, fiel in ein tiefes Loch aus Verzweiflung aus dem sie es nicht mehr heraus schaffte. Alle, die ihre helfen wollten, wies sie von sich ab. Auch die Hilfe ihrer Tochter war ihr nicht willkommen.

Renée hatte mit dem Verlust ihres Vaters arg zu kämpfen, doch gab sie sich in der Nachbarschaft und vor ihrer Mutter stark. Sie glaubte nicht, dass es ihr besser ginge, wenn sie der Welt zeigen würde, wie sehr sie ihren geliebten Vater doch vermisste. Sie wusste, dass sie sich selbst keinen Gefallen tun würde, würde sie es ihrer Mutter gleichtun. Also blieb ihr nur der Weg nach vorne.

 

Letztes Jahr - am 04. November - klopfte an einem kalten Nachmittag unerwartet ein Mann an die bescheidene Haustüre der Familie Moreau. Sein Name war Hervé Quemar und er stellte sich als Ordensbruder von Bernard vor. Elaine schien ihn zu kennen, Renée jedoch nicht. Doch Renée wusste um die Bruderschaft ihres Vaters Bescheid. Sie ließ sich gern Geschichten aus dem Alltag der Assassinen von ihm erzählen. Viel preisgeben durfte Bernard nicht, daher hielt er seine Erzählungen so diskret wie möglich. Doch er liebte es zu sehen, wie sich die Augen seiner Tochter mit Stolz erfüllten, je mehr sie seinen Worten lauschte. Sie war sehr stolz auf die Taten ihres Vaters. Er sollte bald in den Rang des Meisterassassinen gehoben werden, doch dazu kam es nicht. Betroffen teilte

Monsieur Quemar ihr und ihrer Mutter mit, dass Bernard bei einem Auftrag ums Leben kam. Er durfte kein genaueres Wort um die Gründe verlieren, doch er versicherte der Witwe und ihrer Tochter, dass er nicht ermordet wurde.

Elaine verfiel in große Trauer, sie stand von ihrem Stuhl auf und lief durch das Haus. Sie suchte panisch jedes Zimmer nach ihrem Mann ab, in der Hoffnung, Quemar war ein Lügner, doch sie fand ihn nicht. Er war nicht mehr da und er würde nicht zurückkommen. Dann kniete sie vor ihrem Ehebett und ihr bitterliches Weinen schallte durch das ganze Haus.

 

Renée und Quemar saßen sich gegenüber am Tisch. Sie schwiegen sich an. Der Schmerz dieser Nachricht durchfuhr Renée immernoch. Dann brach Quemar das Schweigen und übergab ihr einen Brief. Er sagte, ihr Vater bat ihn darum, den Brief seiner Tochter zu übergeben, für den Fall, dass ihm eines Tages etwas zustoßen sollte. Quemar war der alte Lehrmeister von Bernard und dieser war seinerzeit einer seiner besten Novizen gewesen. Sie hatten immer großes Vertrauen ineinander.
 

Quemar verließ das Haus Moreau, wissend, dass seine Worte Schaden hinterließen.

 

Renée war nicht imstande, ihre Mutter zu beruhigen. Ihre Trauer wurde zu Wut und je näher Renée ihr kam, desto aggressiver wurde sie. Bis der Verlust sie schließlich so zerfraß, dass sie mit einem Glas nach ihrer Tochter warf und ihr hinterher schrie, sie solle gefälligst nach draußen gehen und ihren Vater suchen.

Renée sah ein, dass sie ihrer Mutter nicht helfen konnte; zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls nicht. Also ging sie die Treppen hinauf auf ihr Zimmer und setzt sich auf den kalten Boden. Einen Moment lang hielt sie Inne und schloss die Augen. Dann öffnete Renée sie wieder und griff nach dem Umschlag, den sie von Monsieur Quemar erhielt. Eine Träne kullerte der jungen Frau die Wange hinunter. Sie hoffte, die Nachricht ihres Vaters war keine sentimentale Abschiedsrede, denn das würde sie vermutlich völlig zerstören. Sie holte ein Blatt Papier aus dem Umschlag heraus, betrachtete verwundert die leere Vorderseite und danach die ebenso unbeschriebene Rückseite.

„Was ist das?“, murmelte sie verdutzt vor sich hin. Ihr Vater hinterließ ihr als letzte Botschaft ein unbeschriebenes Stück Papier? Sie war so sauer, dass sie den Brief samt Umschlag zerknüllt und wuchtig in die Ecke warf. Dann setzte sie sich auf ihr Bett und weinte im Stillen.

 

Einige Tage vergingen. Schon längst holte Renée den Brief wieder hervor. Vielleicht war er mit Tinte geschrieben, die nur durch bestimmtes Licht erkennbar war? Sie war oft draußen unterwegs gewesen und versuchte im Freien ihr Glück. Sie hielt das Papier am Tage gegen das Sonnenlicht; in der Nacht gegen das Mondlicht, sie versuchte es außerdem Zuhause bei Kerzenschein, doch noch immer war nichts sichtbar. Enttäuscht ging sie wieder nach Hause. Als sie die Eingangstüre ihres bescheidenen Hauses öffnen wollte, hörte sie in der Ferne den Schrei eines Adlers. Sie drehte sich überrascht um, suchte am Firmament nach dem Tier und glaubte, weit oben seine Silhouette erkennen zu können. Doch er war viel zu weit weg. Sie konzentrierte sich völlig auf ihre Augen und das Tier am Himmel. Sie wollte den Vogel mit ihrem Blick einfangen und plötzlich war ihre Umgebung in ein Licht getaucht. Sie schreckte kurz auf und ihre Konzentration löste sich.

„Schon wieder dieses merkwürdige Licht. Jedes Mal, wenn ich versuche mich zu konzentrieren. Ätzend.“, fluchte sie leise vor sich hin.

Als Kind und als Heranwachsende hatte sie des Öfteren solche Phasen. Ganz besonders, wenn sie am Lernen gewesen ist. In der Schule haben alle Kinder bespaßt drein geschaut, wenn sie sagte, sie sähe plötzlich ein Licht und wirre Symbole. Niemand glaubte ihr. Auch ihre Mutter redete ihr immer wieder ein, dass sie sich das nur einbildete. Doch ihr Vater, er wusste darum Bescheid...

Es fiel Renée wie Schuppen von den Augen. Des Rätsels Lösung trug sie die ganze Zeit bei sich.

„Wie töricht konnte ich nur sein. Vergib mir, Vater.“

Dann öffnete sie die Haustüre und lief hastigen Schrittes die Treppe hinauf auf ihr Zimmer, holte den Brief hervor und legte diesen auf ihren Schreibtisch. Sie nahm Platz und atmete tief durch. Eine Kontrolle über diesen Blick hatte sie nicht. Es geschah immer zufällig, wenn sie sich stark auf etwas konzentrierte. Also holte sie tief Luft um ihren Kopf klar und ihre Gedanken frei zu machen. Dann sah sie eindringlich auf den Brief ihres Vaters und es geschah erneut: sie konnte plötzlich die Handschrift ihres Vaters auf dem Papier erkennen. Eine Gänsehaut überkam sie und ihr wurde warm. Sie war so froh, dass sich ihre Augen nässten. Dann nahm sie den Brief in die Hand und begann zu lesen.

 

Meine geliebte Tochter,

 

ich schreibe dir diese Zeilen am Abend deines zwölften Geburtstages.

Du bist so schnell groß geworden und du erstaunst mich jeden Tag aufs Neue. Dein Enthusiasmus und deine Neugierde sind die Räder, dich antreiben und deine stärkste Waffe ist deine Zielstrebigkeit. Ganz gleich, wie sehr dich die Kinder aus der Nachbarschaft wegen deines Adlerblickes aufziehen, du hältst stur daran fest, schleichst dich heimlich in mein Arbeitszimmer und suchst in Büchern nach Antworten – du hattest schon immer deinen eigenen Dickkopf und das erfüllt mich mit großem Stolz.

 

Auch in dir fließt das Blut der Assassinen. Dieses seltsame Licht, dass dir erscheint, wenn du dich stark konzentrierst, ist ein Geburtsrecht und wird von uns Assassinen als Adlerblick bezeichnet. Es ist ein sechster Sinn, der nur der Blutlinie der Ersten Zivilisation vorbehalten ist. Doch das ist alles viel zu komplex, um es dir auf einem einfachen Blatt Papier zu erklären.

Ich konnte dir nichts davon erzählen, ich gab deiner Mutter das Versprechen, dich nicht in die Angelegenheiten meiner Bruderschaft hineinzuziehen, doch wenn du diesen Brief liest, ist mir bereits etwas zugestoßen und in dem Moment, in dem Hervé dir den Umschlag übergeben hat, habe ich das Versprechen, das ich einst deiner Mutter gab, gebrochen.

 

Renée – ich war nicht immer ehrlich zu meinen Brüdern. Ich wusste, die Bruderschaft ist auf der Suche nach den Edensplittern, doch ich konnte nicht preisgeben, dass sich der Schlüssel die ganze Zeit in meinem Besitz befand.

Von Generation zu Generation wird er in unserer Familie weitergereicht. Ich bekam ihn von meinem Vater und er von seinem. Jetzt, wo meine Zeit gekommen ist, vererbe ich ihn an dich weiter. Hüte ihn wie einen Augapfel. Versuche unbemerkt das Tor zu finden, hinter dem sich alle Antworten befinden und wenn du das geschafft hast, wirst du in der Lage sein, diesen Jahrhunderte alten Krieg zu beenden.

Doch vergiss eines nicht: Erzähle niemals irgendwem von dem Schlüssel. Nicht einmal deinen engsten Verbündeten; auch nicht deiner Mutter. Es ist ein Geheimnis, das ich an dich weitervererbe, mein letzter Wille. Wahre ihn mit Stolz.

Du findest den Schlüssel in dem du konzentriert dein Adlerauge benutzt. Suche in unserem Haus danach. Ein Versteck hütet das Geheimnis.

 

Ich habe Vertrauen in dich. In der Bruderschaft wirst du die Ausbildung finden, die ich dir nicht bieten konnte. Nutze dein Wissen und halte dir dein Erbe vor Augen.

 

Gib acht auf deine Mutter.

 

In Liebe,

Dein Vater.

 

 

Renée sah verdutzt auf den Brief ihres Vaters, ehe sie die Konzentration verlor und die Buchstaben im Adlerblick verschwanden. Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und begann langsam zu begreifen, welche Verantwortung ihr Vater ihr nun auferlegte. Die Assassinen Bruderschaft.... ein geheimer Schlüssel... eine Lösung für sämtliche Probleme... Das klang für sie alles so surreal und doch fühlte sie, wie sich in ihrer Brust langsam eine Flamme zu entfachen schien. Ihr Wissbegierde stieg und stieg. Vielleicht war es falsch, die Sache von einer abenteuerlichen Perspektive zu betrachten, doch es klang nach einer Herausforderung, und so etwas liebte sie. Besonders jetzt, da ihr Vater nicht mehr da war und sie die letzten Wochen und Monate von Traurigkeit geplagt war. Es klang wie ein Neuanfang. Sie wollte das Erbe antreten und war fest entschlossen.

 

Renée schloss die Augen und konzentrierte sich erneut. Mit dem Adlerblick lief sie aufmerksam durch das Haus. Im oberen Stockwerk entdeckte sie nichts, also ging sie die Treppe hinab und tatsächlich, vor dem Kamin konnte sie ein Zeichen auf dem Holzfußboden erkennen. Eine der Holzlatten war mit einem Kreuz markiert. Nach dieser griff sie und bemühte sich, das so lautlos wie möglich zu tun, immerhin bewohnte ihre Mutter ebenfalls das Haus und sie durfte davon auf gar keinen Fall etwas mitbekommen. Die Holzlatte war schnell gelöst. Kaum zu glauben, dass ihr Vater solch einen wichtigen Gegenstand an einem simplen Ort wie diesen aufbewahrte. Es wäre vermutlich kein Einbrecher darauf gekommen, dort zu suchen, weil es viel zu unspektakulär ist, dachte sie. Unter der Holzlatte entdeckte sie eine kleine Schatulle. Sie nahm sie an sich und brachte den Fußboden wieder in Ordnung, ehe sie leisen Schrittes zurück auf ihr Zimmer ging. Dort öffnete sie die Schatulle und erblickte den Schlüssel und unerwarteter Weise ein Medaillon. Sie kannte das Muster...

 

 

Paris, 15. Februar 1774

 

Die Assassinen Bruderschaft war in Unruhe. Eine fremde, ihnen unbekannte Person stolzierte in das Sanktuarium. Zwei vermummte Assassinen stellten sich ihr in den Weg und sie machte Halt.

„Ich möchte zu Monsieur Quemar sprechen. Würdet Ihr mir bitte aus dem Weg gehen?“, sagte die junge Frau selbstbewusst und schlängelte sich elegant an den beiden Assassinen vorbei. Sie blieben sprachlos stehen und sahen sich verwirrt an. Doch ein Dritter ließ nicht lang auf sich warten.

„Wie bist du hier reingekommen, Weib?“ Es war Pierre Bellec.

Doch sie antwortete ihm nicht. Stattdessen fuhr ihr Blick durch den großen Saal, in dem sich zwei Treppenaufgänge verziert nach oben wanden.

„Monsieur Quemar?“, rief sie so laut, dass es durch den ganzen Saal hallte. „ich möchte mit Euch sprechen, seid ihr da?“

„Hast du den Verstand verloren?“, fuhr Pierre sie mürrisch an „hör auf so rumzuplärren, das ist ein heiliger Ort. Wer bist du und wie hast du den Weg ins Sanktuarium gefunden?“

Nun wandte sie sich einen kurzen Blick lang hinüber „Ich spreche nicht mit unfreundlichen Menschen“, und lies den Mann, der sie anfuhr, links stehen. Ehe dieser etwas erwidern konnte, trat auf der Treppe bereits der Rat zum Vorschein und die Assassinen im Saal wurden ruhig.

„Mademoiselle.“, sprach Quemar.

„Monsieur Quemar, ich würde gern das Gespräch mit Euch aufsuchen.“

Quemar blickte in die Runde des Rates. Niemand hatte etwas daran auszusetzen. Sie schienen zu ahnen, dass sich die beiden kannten.

„Geleitet Ihr mich in das Besprechungszimmer, Mademoiselle?“ Quemar machte eine einladende Handbewegung und sie ging die Treppe hinauf. Gemeinsam liefen sie den kurzen Weg in besagtes Zimmer und führten unter vier Augen das Gespräch.

„Ich vermute, Ihr erinnert euch noch an mich. Mein Name ist Renée Moreau und ich bin die Tochter von Bernard Moreau.“

„Wie könnte ich Bernards einzige Tochter vergessen.“, in Quemars Blick spiegelte sich Traurigkeit. „Hat er Euch ein Medaillon hinterlassen?“

„So ist es. Ich fand den Weg hier her durch den Adlerblick und durch das Medaillon öffnete ich die geheime Tür in der Saint-Chapelle.“

„Euer Vater erzählte oft, wie klug seine Tochter sei. Er übertrieb mit keinem seiner Worte.“, lächelte Quemar. „Was kann ich für Euch tun?“

Renée verbeugte sich tief, „Ich bitte um eine Ausbildung unter Eurer Leitung. Ich weiß, dass Ihr meinen Vater vor vielen Jahren ein guter Lehrmeister gewesen seid. Bitte lehrt mich, was Ihr ihm lehrtet. Ich möchte der Assassinen Bruderschaft beitreten und das Erbe meines Vaters antreten.“

Quemar seufzte bedrückt. Natürlich würde er sie ausbilden wollen. Dass sie an ihn herantrat, erfüllte ihn mit großer Freude. Doch seine Gesundheit ließ es nicht zu.

„Ich fürchte, Euer Anliegen kommt Jahre zu spät. In drei Monaten werde ich den Ruhestand aufsuchen und meinen Posten als Ausbilder an jemand anderen weitergeben. Es tut mir Leid, aber Ihr müsst Eure Ausbildung unter den wachsamen Augen meines Nachfolgers antreten.“

Noch immer war Renée nach vorn geneigt. Mit einem Nein gab sie sich nicht zufrieden. Das tat sie nie.

„Dann widmet mir Eure letzten drei Monate als Ausbilder, Monsieur. Meinem Vater wäre es wichtig, dass ich unter Eurer Leitung meinen Weg in die Bruderschaft finde. Ich bitte Euch.“

Einen Moment lang kehrte Stille ein und Quemar dachte nach. Er konnte sie unmöglich auf drei Monate vertrösten. Dann schaltete er seinen Verstand aus, der ihm nein sagte, und gab sanften Blickes seinem Bauchgefühl nach „na gut. Bernard war mein Freund. Ich kann seine Tochter nicht einfach fortschicken.“

Renée sah begeistert auf.

„Wirklich?“

„Drei Monate. Gebt Euer Bestes, wir haben viel vor uns, und zu wenig Zeit, Mademoiselle.“

„Ich danke Euch, Meister.“

 

Assassin's Swagger

 

Paris, Mai 1774
 

Es war wohl der stürmischste Mai, den Paris je erlebt hatte. Das Laub der Bäume ließ die Menschen der Stadt in einem Rauschen verstummen und die Seine war heute besonders unruhig. Quemar und Renée gingen die Straßen in Ventre de Paris entlang und letztere glaubte, es würde bald anfangen zu regnen, so dunkel die Wolken doch waren.

„Ihr hättet mich nicht begleiten müssen. Das Wetter schlägt um, wahrscheinlich steht ihr nachher sogar im Regen“, sagte Renée besorgt.

„Sorgt Ihr Euch, weil ich ein gebrechlicher Mann bin, Mademoiselle?“, antwortete Quemar scherzhaft, doch Renée verstand es falsch.

„So habe ich das nicht gemeint, Meister.“, beteuerte sie Ihre Unschuld.

„Ab morgen bin ich nicht mehr Euer Meister, Ihr solltet---“

„Ihr werdet immer mein Meister sein“, unterbrach sie ihn, „glaubt nicht, ich würde die letzten drei Monate Eures Training einfach so vergessen. Ich weiß, was Ihr für mich getan habt, ich werde es immer wertschätzen.“

„Ihr schmeichelt mir“, Quemar lächelte, „ich hoffe, Ihr wisst meinen Nachfolger genau so zu schätzen.“

Renée erinnerte sich daran, wie sie vor drei Monaten mit dem Medaillon ihre Vaters den Weg in das Sanktuarium fand und von diesem unfreundlichen Kerl angeschrien wurde. Und jener unfreundlicher Mann, wurde vor ein paar Stunden zum Meisterassassinen und Nachfolger von Hervé Quemar ernannt. Es passte Renée überhaupt nicht in den Kram, dass ausgerechnet er nun ihr neuer Meister werden würde und dass sie ihre Ausbildung unter seiner Leitung weiterführen musste.

„Wird sicher die Zeit meines Lebens.“, grinste sie aufgesetzt ironisch. Quemar schwieg.

Die beiden erreichten das Haus Moreau und blieben einige Meter davon entfernt stehen. Dann unterbrach er das Schweigen, denn ihm lag etwas auf dem Herzen.

„Habt Ihr es Eurer Mutter erzählt?“

Was?“, fragte Renée bescheiden, obwohl sie es schon ahnte.

„Ihr wisst genau, was ich meine.“

Renées Lippen bewegten sich, doch Quemar vernahm kein Wort.

„Also nicht.“, stellte er fest, wenngleich er es so erwartete.

„Ich...“, stotterte Renée, „Ich kann es ihr nicht sagen. Nicht ihn ihrem Zustand. Das würde sie nicht verkraften, Meister.“

Quemar sah sie an. Er verstand ihre Entscheidung, doch er dachte auch an Elaine. Sie war die Frau seines Freundes. Sie litt durch seine Worte, die er ihr vor einem halben Jahr überbrachte. Wenn er ehrlich war, wünschte er sich manchmal, er hätte Renée den Eintritt in die Bruderschaft verwehrt. Doch er war zu neugierig, was Bernards disziplinierte Tochter erreichen könnte. Und er wusste auch, wie sehr sich sein Freund wünschte, dass sie eines Tages in seine Fußstapfen tritt.. Quemar hatte also überhaupt keine andere Wahl, als zuzustimmen und sie auszubilden. Drei Monate lang zumindest. Jetzt setzte er seine Hoffnungen in Pierre Bellec. Die junge Frau hat Talent, das stellte er immer wieder fest. Ihre Zielstrebigkeit und ihre disziplinierte Ader können sie weit bringen. Und er war sich sicher, dass Bellec ihm ein guter Nachfolger sein würde, doch er wusste auch, dass Renée das überhaupt nicht gefiel.

„Tut, was Ihr für das Richtige haltet, Mademoiselle.“, sagte Quemar.

Nachdenklich nickte Renée ihm zu. Dann wandte er sich zum Gehen.

„Ich mache mich besser auf den Weg. Ihr hattet Recht, da zieht etwas auf.“

„Danke fürs... Nachhausebringen....“, die junge Frau sah auf und war etwas überfordert mit der Situation, „und für alles …. und...... eigentlich.... weiß ich gar nicht so Recht, was man in einem Moment, wie diesen, am besten sagt, Meister.“

Quemar lachte. Neben ihrer bestimmten Art, war sie manchmal so unschuldig naiv. Er wusste, sie würde ihm in Zukunft sicherlich fehlen. Es waren drei unbeschwerliche Monate. Ganz anders, als mit ihrem Vater, dem Hitzkopf.

„Bis morgen im Sanktuarium – wäre eine Möglichkeit. Meister Bellec erwartet euch in der Früh. Macht es gut.“, lächelte Quemar und ging.

Das hatte sie sich viel komplizierter vorgestellt.

 

Renée betrat das Haus und ging die Treppe hinauf. Ihre Mutter schien zu ruhen, das tat sie in letzter Zeit immer früher am Abend. Das Schlafgemach ihrer Eltern stand offen und sie wagte einen Blick hinein. Tatsächlich lag ihre Mutter auf dem Bett und schlief. Renée betrat das Zimmer und griff nach einer Decke. Behutsam legte sie diese über ihre Mutter und sah sie nachdenklich an. Noch immer besserte sich weder ihr Zustand, noch ihr Verhältnis zueinander und deswegen konnte sie ihr wohl kaum erzählen, dass sie in den Orden der Assassinen aufgenommen wurde, denn das würde nur zu weiteren Problemen führen, dachte sie. Dann verließ sie den Raum und ging in ihre eigenes Zimmer.

Vielleicht sollte sie zukünftig nicht mehr in voller Montur nach Hause kommen, dachte sie. Ihre Mutter würde Verdacht schöpfen. Die letzten drei Monate konnte sie es noch verbergen, aber das konnte nicht immer so bleiben. Während sie den langen, blaufarbenen Mantel ihrer Montur auszog, betrachtete sie sich im Spiegel.

„Tja Vater, … genau, wie du es dir immer gewünscht hast.“, sprach sie zu ihrem Spiegelbild.

Sie lockerte den Chignon, der ihr Haar am Hinterkopf zusammenhielt, und die hellbraune Pracht fiel ihr auf den Schultern entlang den Rücken herunter. Vorsichtig strich sie sich die Strähne, die tagsüber ihre linke Wange versteckte, aus dem Gesicht und betrachtete im Spiegel das Brandmal auf ihrer Wange. Sie hasste diesen Anblick und zog ihr Haar schnell wieder vors Gesicht. Dann wandte sie sich ab vom Spiegel und setzte sich an ihren Schreibtisch. Sie holte den Schlüssel hervor und erinnerte sich, dass ihr Vater die Edensplitter kurz erwähnte und wie sie versuchte, an Informationen über diese Gegenstände zu kommen. Zunächst konnte sie nämlich nicht viel mit diesem Begriff anfangen. In seinem Arbeitszimmer fand sie ein paar Notizen. Daraus entnahm sie, dass es anscheinend mächtige Waffen seien, die einst von der Ersten Zivilisation hergestellt wurden – der Blutlinie, von der auch sie abstammte. Und genau diese Gegenstände sollte sie finden, hinter einem Tor versteckt. Doch wo sollte so ein Tor überhaupt stehen? Bestimmt nicht mitten in Paris.

Es klang für sie alles wie ein schlecht geschriebenes Theaterstück.

 

Am Morgen – drei Tages später, - hielt sich Bellec bereits am Gang im Sanktuarium auf und wartete ungeduldig auf Charles und seine neue Novizin. Er stand an einer Wand gelehnt im Dunkeln und verharrte dort schon eine ganze Weile. Er wartete darauf, dass sich die Eingangstüre öffnete und er seine Schüler endlich los scheuchen konnte. Und tatsächlich, sie öffnete sich. Es war Charles, der hastigen Schrittes hineintrat und völlig außer Atem war.

„Guten Morgen, mon ami. Gerade noch rechtzeitig“, begrüßte er seinen Freund schnaufend.

„Zu spät, Pisspott!“

Charles erkannte sofort an Pierres Tonlage, dass etwas nicht stimmte.

„Was ist dir denn über die Leber gelaufen?“, versuchte er herauszufinden.

„Du bist zu spät und du weißt, wie gerne ich sowas habe.“

Clever wie er war, holte Charles aus seiner Tasche eine kleine Uhr hervor und öffnete sie. Dann hielt er Pierre diese präsentabel vor die Nase.

„Hier“, er deutete auf den Minutenzeiger, „Fünf vor Sechs!“

Dafür kassierte er den bösen Blick seines Meisters.

„Schon gut, schon gut. Ich komme das nächste Mal früher. Aber was hast du denn nun, dass du schon so früh am Morgen mit einer schlechten Laune glänzt?“

Das hätte er besser nicht fragen sollen, denn es fiel ihm gerade wieder selbst ein.

„Oh.... hast du nicht etwas von trauter Dreisamkeit erzählt? Wie war noch gleich ihr Name?“, Charles überlegte, doch es war wohl einfach nicht seine Tageszeit.

„Unwichtig.“, gab Pierre mürrisch von sich.

„Wo ist sie denn eigentlich?“, der Novize sah sich um, konnte aber niemanden erblicken.

„Zu spät“, brummte sein Meister.

Dann zeigte Charles nochmal auf seine Taschenuhr und war versucht, etwas zu sagen, ehe ihm Pierre zuvor kam.

„Lass den Unsinn, Pisspott.“

Der Zeiger der Taschenuhr sprang auf die volle Stunde und prompt öffnete sich die Türe. Herein trat eine junge Frau, die selbstbewusst den Flur entlang lief. Sie erblickte zwei Männer am anderen Ende des Ganges. Den einen kannte sie, und erfreute sich ganz und gar nicht seines Anblicks, den anderen kannte sie nicht.

Pierre löste sich von der Wand und ging ein paar Schritte auf sie zu. Er war sauer.

„Am ersten Tag zu spät kommen, ist nicht die feine Assassinen Art. Zur Strafe sollte---“

Geschwind trat Charles vor ihn und unterbrach sein Tadeln ohne Vorwarnung.

„Bonjour Mademoiselle“, er begrüßte die junge Frau mit Handkuss, „es ist mir eine Freude, Euch kennenzulernen. Mein Name ist Charles Dorian.“

„Dorian? Die Adelsfamilie aus Versailles?“, antwortete Renée überrascht.

„Ich hänge das eigentlich nicht zu sehr an die große Glocke.“ Charles, so bescheiden wie immer.

„Und doch merkt man es an Eurer zuvorkommenden Art. Ich heiße Renée Moreau. Sehr erfreut, Monsieur.“, lächelte sie ihrem Gegenüber zu.

„Wart ihr schonmal in Versailles?“

„Bisher bot sich leider noch keine Gelegenheit.“

„Vielleicht reist Ihr einmal dort hin. Das Schloß darf Euch dabei nicht entgehen.“, erzählte Charles voller Begeisterung.

„Das werde ich mir merken, Monsieur.“

Bellec lief währenddessen unruhigen Schrittes hin und her.

„Habt ihr's bald?“, brummte er.

Mit einer vorstellenden Handbewegung, wandte sich Charles zu ihm.

„Der gute Mann ist---“

„Jemand, der keinen Schimmer von Höflichkeit und Anstand hat.“, kam Renée ihm zuvor „Wir kennen uns bereits.“, fuhr sie dann fort, „die Freude ist ganz meinerseits.“

Renée versuchte ihren neuen Meister freundlich anzulächeln, doch das gelang ihr eher schlecht als recht. Er ging an Charles vorbei und trat nah an Renée heran. Er war gut einen Kopf größer und sah hinab auf sie.

„Kann mich nicht erinnern, dich schonmal getroffen zu haben, Püppchen.“

„Unbedeutende Begegnung.“, antwortete sie, während sie unbeeindruckt zu ihm auf sah.

„So unbedeutend, wie der Grund für dein spätes Auftauchen hier?“

„Punkt Sechs betrat ich das Sanktuarium. Vielleicht solltet ihr Eure Uhr mit jemandem vergleichen, Meister.“

Um Schlimmeres zu vermeiden, unterbrach Charles galant das ihm gebotene Schauspiel, in dem er seinen Freund vorsichtig von ihr wegschob und sich zwischen die beiden stellte „Nun, ich denke der Rat wartet. Wollen wir dann?“

Pierre wandte sich stumm von Renée ab, doch sein Blick heftete noch eine ganze Weile an ihr. Ihr war das egal, sie wandte sich Charles zu. Immerhin war er deutlich umgänglicher.
 

Der Rat erwartete die drei bereits und Renée freute sich, Quemar wieder zu sehen. Sie hoffte, er würde nun verkünden, dass er dem Rüpel das Amt des Ausbilders wieder entziehen würde, wenngleich sie ganz genau wusste, dass es sich dabei leider nur um eine unrealistische Wunschvorstellung handelte. Pierre hingegen, erwartete sehnlichst die Ankündigung, dass er seine Novizin irgendwie wieder losbekäme, doch auch er wusste, dass die Chancen dafür kaum vorhanden waren. Charles sah die beiden abwechselnd an und lief bewusst zwischen ihnen, denn alles, was er so früh am Morgen gebrauchen konnte, war bestimmt kein dramatisches Theater und erst recht nicht vor den Ratsmitgliedern.
 

„Mademoiselle Moreau, wie ich sehe, habt Ihr schon Bekanntschaft mit Eurem neuen Meister und Mitnovizen gemacht.“ Es war Honoré Mirabeau, der Mentor der Bruderschaft, der das Wort ergriff. Pierre Bellec lief an das andere Ende der Besprechungskammer und verschränkte die Arme. Renée sah ihm nach und blieb gemeinsam mit Charles am Bogen stehen.

„Freundliche Gesellschaft, in der ich mich befinde, Mentor.“, antwortete sie Mirabeau. Sofort schielte Pierre argwöhnisch zu ihr hinüber und ihre Blicke trafen sich, doch nicht im Guten. Quemar betrachtete die Situation und wusste sofort, was los war. Die anderen drei Ratsmitglieder schienen jedoch nicht Wind davon zu bekommen.

„Das freut mich, Mademoiselle. Die Situation ist recht außergewöhnlich, auch für uns, aber Quemar war guter Dinge, dass es klappen würde. Das scheint sich ja zu bewahrheiten.“

„Wir werden sehen, ob es sich bewahrheitet.“, unterbrach Pierre den Mentor, „also, womit beginnen wir?“

„Voller Tatendrang, wie immer, Bellec. Nun gut“, der Rat erhob sich von seinen Sitzen, „Geht zur Place des Vosges in Le Marais. Uns ist zu Ohren gekommen, dass Extremisten, die große Sympathien mit den Templern pflegen, eine Kiste fanden. Angeblich soll sie das Symbol unserer Bruderschaft eingraviert tragen. Die Templer bezahlen sie gut für das Aufbewahren und Bewachen. Wir vermuten, die Kiste könnte den Schlüssel innehaben, oder eine Karte, die den Verbleib der Splitter aufklärt. Wir wissen es nicht. Die Kiste wird vermutlich in einer der Villen verwahrt, natürlich versteckt und gesichert. Es ist keine einfache Mission, denn selbstverständlich befinden sich überall Wachposten. Ein falscher Schritt löst die Alarmglocken aus und dann habt Ihr die Nachhut am Hals. Ihr müsst sowohl schnell, als auch lautlos agieren. Doch wir sind zuversichtlich, ihr seid schließlich zu zweit.“

„Zu zweit?“, sah Bellec erstaunt auf.

Mirabeau zeigte auf Renée, „zu zweit.“

Bellec gefiel das ganz und gar nicht „Mit Verlaub, aber ich halte das für keine gute Idee. Charles sollte das allein machen. Sie ist noch nicht so weit. Das ist eine Nummer zur groß für sie.“

Renée fuhr der Magen zusammen. Was sollte das? Sie glaubte nicht, was sie da hörte. Gerade, als sie den Mund öffnete und ihm gehörig die Meinung sagen wollte, mischte sich Quemar ein und riss sie aus ihrer innerlichen Wut.

„Mademoiselle.“

„Ja, Meister?“, antwortete sie und versuchte einen ruhigen Ton bei zu behalten.

„Was habt Ihr heute morgen zwischen fünf und sechs Uhr gemacht?“

Verdutzt sah sie ihn an und sprach dann.

„Fünf Runden durch Ventre und Marais; zehn Mal den Notre-Dame rauf und runter. Wie jeden Morgen“, Renée war verwundert. „Aber das wisst ihr doch. Wieso fragt Ihr?“

Quemar schielte nun zu Bellec und sah in seinem Gesicht einen erstaunten Ausdruck.

„Wenn Ihr mir einen Assassinen in der Bruderschaft nennen könnt, der in weniger als einer Stunde fünf Mal Ventre und Marais umlaufen kann, dann zeigt ihn mir und ich werde mich persönlich dafür einsetzen, dass er Charles Dorian anstelle von Mademoiselle Moreau bei der Mission begleiten darf.“, fügte Quemar hinzu.

„Ich bin beeindruckt, Mademoiselle“, flüsterte Charles zu René, „so fleißig, wie Ihr seid.“

„Arbeit ist das halbe Leben.“, gab sie leise zurück.

„Wie Ihr wünscht“, Bellec gab nach und nahm gerade Haltung ein, „ich schnapp' mir den Pisspott und das Püppchen und passe auf, dass sie nicht draufgehen.“ Er ging auf Charles und Renée zu, „und ihr beide holt besser die Kiste da raus.“

„Natürlich, mein Freund.“, antwortete Charles.

Renée sah stumm zur Seite und drehte sich verärgert von Bellec weg. Ihr gefiel es nicht, dass er sie von der Mission ausschließen wollte. Sie verstand nicht, was sein Problem war. Doch das sollte nur ein nebensächliches Erschwernis sein. Sie wusste, dass diese Mission wahrscheinlich reine Zeitverschwendung war, da schließlich sie den Schlüssel bei sich trug. Noch immer verstand sie nicht, warum es ihrem Vater so wichtig war, den Schlüssel selbst vor der Bruderschaft geheim zu halten. Bedeutete das, dass man nicht jedem trauen durfte? Obwohl es ihre Brüder und Schwestern waren? Sie verstand es nicht. Trotzdem wollte sie ihr Bestes geben – wie immer.
 

Das Dreiergespann verließ die Besprechungskammer und Quemar warf ihnen einen kritischen Blick hinterher. Er wusste, dass man seine ehemalige Schülerin nicht unterschätzen durfte und dass Bellec es doch tat.
 


 

 

Silent Approach

 

Renée war sauer. Ihr neuer Meister hatte ihr Können vor dem gesamten Rat infrage gestellt. Sie fühlte sich gedemütigt, schließlich kannte er sie nicht einmal, daher war es ihr ein Rätsel, wie er schon über sie urteilen konnte. Einerseits war sie froh, dass Quemar sich rechtzeitig einmischte, andererseits hätte sie diesem Rüpel gern selbst die Meinung gesagt, doch dafür war es nun zu spät. Sie musste sich auf die Mission konzentrieren, denn sie waren bereits auf dem Weg zur Place des Vosges.

Die Stadt war so friedlich am Morgen. Es waren kaum Menschen auf den Straßen unterwegs, denn die Sonne ging gerade erst auf. Hinter der Bastille leuchtete sie goldfarbenen und ließ die Schatten der drei Assassinen größer werden.

An Renées Hüfte baumelten ihr Florett und ihre Pistole. Charles war ähnlich ausgestattet und gemeinsam schwingen sie sich von Dach zu Dach. Bellec blieb einige Meter hinter ihnen und beobachtete still. Renée war gewillt, sich umzudrehen und ihm einen Blick zuzuwerfen, doch Charles hielt sie davon ab

„Nicht, Mademoiselle“, sprach er freundlich.

Sie sah überrascht zu ihm auf.

„Ich kann verstehen, dass Ihr sauer seid. Doch jetzt ist ein ungünstiger Zeitpunkt. Pierre ist ein Mann, den man durch Taten überzeugen kann. Zeigt, was Ihr könnt, und er wird schon selbst merken, dass er vielleicht einen Fehler gemacht hat - hm?“, er lächelte ihr zu.

Charles war das vollkommene das Gegenteil von Bellec; zuvorkommend, freundlich und ruhigen Gemütes. Renée fragte sich, wie er es bereits seit einem Jahr mit ihm aushalten konnte.

„Ihr habt Recht.“, antwortete sie, „sagt, Monsieur, gibt es eine Karte des Platzes?“

„Die Bruderschaft besitzt viele Karten. Wenn ich nicht irre, sollte es vor einiger Zeit auch eine des Platzes in unseren Besitz geschafft haben. Und so, wie ich Pierre kenne---“

„Ich verstehe.“, unterbrach Renée ihn.

Ehe Charles noch etwas sagen konnte, schloss Bellec zu ihnen auf und ließ von sich hören „Dort vorn sind die Dächer der Pavillons. Macht Halt auf sicherer Entfernung, dann sehen wir uns das Ganze mal genauer an.“

Es dauerte nur wenige Augenblicke und Charles und Renée fanden einen geeigneten Platz zwischen zwei Dächern. Sie waren sich schnell einig, dass hier der beste Platz sein würde, und sie niemand bemerken würde.

Renée hockte sich auf einen Vorsprung und studierte wachsamen Auges ihre Umgebung. Der Platz war umgeben von vielen Pavillons, die ein großes Quadrat um eine bewieste Fläche zogen. Eine Fontäne schoss in der Mitte empor und das Wasser glänzte im Licht der Sonne. Gleichzeitig erblickte sie zwei Alarmglocken; die eine im nördlichen Teil und die andere im Süden – ganz in ihrer Nähe.

Bellec holte eine Karte hervor. Die beiden Novizen stellten sich rechts und links neben ihn und betrachteten die Karte gemeinsam.

„36 Pavillons – jeder davon besitzt drei Stockwerke. Die Wenigsten wissen aber, dass einige der Gebäude auch ein Untergeschoss besitzen. Platziert sind hier zwei Alarmglocken. Ihr solltet sie zunächst sabotieren, genug Deckungsmöglichkeiten bietet dieser Ort ja und in der Zwischenzeit sollte euer Blick so wachsam bleiben, dass ihr eine Gelegenheit zum Einstieg in eines der Gebäude ausmachen könnt, denn glücklicherweise, sind sie stellenweise miteinander verbunden. Es muss alles ziemlich schnell vonstatten gehen – und lautlos.“, er sah zu Renée, „Quemar hat deine Schnelligkeit in den Himmel gelobt. Du wirst dich darum kümmern, dass die Kiste da so schnell wie möglich rauskommt, habt ihr sie erstmal gefunden.“, dann ließ er seinen Blick zu Charles fahren, „und du hälst dem Püppchen den Rücken frei. Versuche dich an deiner neuen Phantomklinge. Sie ist äußerst praktisch für lautlose Attentate. Genau richtig für den Auftrag.

Ich werde euch nicht das Händchen halten, aber wenn es brenzlich wird, gebt ihr besser ein Zeichen. Wollt sicher in einem Stück zurückkehren, was?“

Dann erhoben sich die drei und die Novizen blickten auf den Platz.

„Wachposten, wohin das Auge reicht“, stellte Charles fest.

„Monsieur Mirabeau hat mit keinem Wort übertrieben, der Platz ist gut gesichert.“, fügte Renée hinzu.

Bellec trat vor sie, „noch kannst du wieder umkehren, Püppchen.“

Doch Renée war anderer Meinung, „damit ich Euer Gesicht verpasse, wenn ich triumphierend mit der Kiste unter'm Arm rausspatziere? Vergebt mir, doch ich muss Euer großzügiges Angebot leider ablehnen.“

Charles unterdrückte sein Grinsen und räusperte sich.

„Tu, was immer du für richtig hälst“, und Bellec wandte sich ab.

Die beiden Novizen brachten sich in Position. Charles hatte bereits einen Plan geschmiedet. „Ich werde mich der nördlichen Alarmglocke widmen, kümmert Ihr Euch um die südliche hier vorne und haltet Ausschau, nach einer Einstiegsmöglichkeit?“

Renée nickte ihm stumm zu und streifte sich ihre Kapuze über den Kopf. Daraufhin trennten sich die Wege der beiden.

Charles eilte über die Dächer zum anderen Ende des Platzes, Renée hangelte sich vom Vorsprung hinunter auf festen Boden. Sie nahm eine hockende Haltung an und erblickte eine Wache im Torbogen stehen. Sie schlich eng an der Hauswand gepresst der Wache entgegen und kam ihr lautlos so nahe, dass sie ihr die Hand vor den Mund stieß und sie mit einer ruckartigen Bewegung hinter die Wand zog. Dort ließ sie sie durch ihre Versteckte Klinge verstummen, ehe sie durch den Torbogen weiter sanfte Schritte trat.

Sie erblickte direkt die nächsten Wachen, doch sie wusste, es waren zu viele für einen offenen Kampf. Die Alarmglocke stand nur fünfzig Meter von ihr entfernt und sie ließ ihren Blick bewusst durch ihr Umfeld gleiten, bis sie ein gutes Versteck ausmachen konnte. Hinter dem Sockel einer Statue ließ sie sich nieder und kramte aus ihrer Beuteltasche eine Kirschkernbombe heraus. Sie warf sie wuchtig in den westlichen Teil des Platzes, weit von sich entfernt; das sollte nun selbst Charles einen Vorteil verschaffen, denn sofort schreckten die Männer auf und bewegten sich bewaffnet in die Richtung, aus der sie den Knall hörten. Renée ergriff die Chance, holte ein Messer hervor und eilte zur Glocke. Schnell schlug sie ihr den Klöppel ab und schielte in den nördlichen Teil – Charles tat es ihr gleich. Nun blieben ihr noch wenige Augenblicke, ehe die Wachen wieder zurück in Position kommen würden. Noch immer konnte sie keinen Einstieg ausmachen und Charles schien dasselbe Problem zu haben. Für das Knacken von Schlössern war nun wahrlich nicht der richtige Zeitpunkt, also musste eine andere Lösung her. Unerwartet hörte sie oberhalb von sich ein kurzes Pfeifen und sah überrascht auf.

Den konnte sie gerade gebrauchen – es war Bellec. Argwöhnisch war ihr Blick doch ihr Meister hielt sich nicht lange dort auf. Er warf ihr einen handgroßen Brocken hinab und sie fing das schwere Ding auf. Dann verschwand er wieder. Wollte er, dass sie damit eine Scheibe zertrümmerte?

Auf einmal hörte sie ein lautes Schreien aus der Richtung der Wachen. Sie waren völlig in Aufruhr, denn einer von ihnen fuchtelte wie wild mit seinem Schwert herum. Sogleich landete Charles auf Samtpfoten neben ihr.

„Gift, damit sind sie noch eine Weile beschäftigt. Schnell jetzt, werft noch eine Kirschkernbombe hinterher, das dämmt das Klirren der Scheibe noch ein wenig.“

Charles nahm den Brocken an sich und Renée holte noch eine Bombe hervor.

„Jetzt!“, rief Charles; Brocken und Bombe flogen beide auf ihr Ziel in einer perfekten Zeitabstimmung.

Die Bombe schlug auf, während der Brocken die Scheibe in viele Teile zerberstete.

„Nach Euch, Mademoiselle“

Und die beiden stiegen eilig in das Fenster ein. Sie hatten Glück, auf dem Gang vernahmen sie keine Wachen, doch sie wussten auch, dass das bedeuten musste, dass die Kiste nicht hier sein konnte – nicht hier, in einem unbewachten Zustand.

„Wir müssen ins Untergeschoss“, gab Renée sicher von sich.

Charles sah sie überrascht an.

„Ich habe auf der Karte gesehen, dass das Untergeschoss mit einem Weg zu den Katakomben verbunden ist. Wenn ich etwas verstecken würde, dann auf jedenfall an einem Ort, in dem mir die Flucht im Zweifelsfall schnell möglich wäre.“, erklärte sie, „Im Ost- und West Flügel befinden sich zwei Treppenabgänge. Wir befinden uns südlich und der Aufruhr im Westen. Besser wir wenden uns nach Osten.“

Charles staunte nicht schlecht. „Mademoiselle, Ihr beeindruckt mich.“

„Meister Quemar war ein guter Lehrer.“, beteuerte sie.

„Ihr mögt Euren neuen Lehrer nicht besonders.“, Charles wagte es, das Thema anzuschneiden. Er wusste nicht, wie sie zu dritt die nächsten Monate bestreiten sollten, wenn ständig die Fetzen flogen.

Verwirrt sah Renée auf.

„Ich lege einfach nur großen Wert auf einen höflichen Umgangston.“

„Er ist ein bisschen eigen, da habt Ihr Recht. Aber,----“

„Er hat mich vor dem Rat bloßgestellt. Unnötiger Weise. Er hätte sich wenigstens dafür entschuldigen können.“, Renée fiel ihm ins Wort.

„Es ging ihm um Eure Sicherheit, Mademoiselle.“

„Er hat mich unterschätzt, weil es ihm nicht in den Kram passte, dass er mich nun an der Backe hat, das ist alles.“, Renée wandte sich zum Gehen. „Können wir dann?“

Charles sah ein, dass er sie besser nicht darauf hätte ansprechen sollen. Er tippte ihr auf die Schulter und nickte stumm. Hastig, aber bedacht, machten sich die beiden auf den Weg in den östlichen Flügel. Das Glück war auf ihrer Seite, bis zum Treppenabgang begegneten sie keiner einzigen Wache. Nun stiegen sie vorsichtigen Schrittes Stufe für Stufe hinab und erblickten im Dunkeln gleich einige. Sie wurden durch die Flammen von Fackeln erhellt.

„Je mehr Wachen, desto näher kommen wir der Kiste - was meint Ihr Mademoiselle?“

„Ganz Eurer Meinung.“

„Wie weit ist es bis zu den Katakomben?“

„Nicht besonders weit. Wenn ich mich richtig erinnere, sollte der Eingang nördlich von hier liegen. Gut fünfhundert Meter, würde ich sagen.“

„Ich kümmere mich um die Wachen und eile voraus. Wartet auf mein Zeichen und dann lauft los. Wir treffen uns auf dem Dach, auf dem wir die Mission begonnen haben“, Charles erinnerte sich an Bellecs Plan und war fest entschlossen, ihn durchzuziehen. Im Gegensatz zu Renée hatte er großes Vertrauen in ihn und wusste, dass er seine Entscheidungen immer mit Bedacht fällte.

Er feuerte einige Berserkerpfeile ab, die die Wachen durch ihr Gift völlig benebelten. Wie auch schon am Tageslicht auf dem Platz, gingen sie aufeinander los. Alles verlief so, wie Charles es sich vorgestellt hatte und er schoss aus seinem Versteck hervor und suchte den offenen Kampf mit den Männern, die nun geschwächt waren. Unmittelbar danach gab er Renée das Zeichen und sie rannte los. Jetzt war der Augenblick gekommen, da sie sich beweisen konnte. Sie wusste, dass Ihre Stärke das Laufen war. Sie tat es, so schnell sie es konnte, bis sie Charles nicht mehr sehen konnte und schließlich um die Ecke schoss und weitere Wachen erblickte. Schnell bremste sie ab und verbarg ihre Anwesenheit zurück hinter der Mauer. Es war knapp, denn eine der Wachen bemerkte etwas. Der bewaffnete Mann kam vorsichtig auf sie zu, sah sich um und entschied sich doch wieder dazu, zurück auf seine Position zu gehen. Renée passt das gar nicht, denn schließlich musste sie irgendwie an ihm vorbeikommen. Sie gab ein Pfeifen von sich und hatte seine volle Aufmerksamkeit. Er drehte sich um und ging nochmal auf sie zu. Diesmal passierte er ihre Höhe und sie stieß im richtigen Moment mit der Versteckten Klinge zu. Seinen leblosen Körper fasste sie, ehe er auf den Boden aufschlug und legte ihn behutsam auf. Nun waren noch drei Wachen übrig. Viel konnte nicht passieren, denn Charles hielt ihr den Rücken frei. Also Beschloss sie, den Dienst einer Rauchbombe in Anspruch zu nehmen und warf diese geradewegs in die Mitte der drei Extremisten. Sie schreckten auf und begannen zu husten. Der Moment der Ablenkung war geglückt und Renée bohrte ihnen nacheinander ihre Klinge durchs Herz.

„Hier muss die Kiste irgendwo sein“, sagte sie zu sich selbst. Rasch sah sie ich um, doch erblickte nichts. Dann erinnerte sie sich an Mirabeaus Worte; die Kiste soll das Symbol der Bruderschaft tragen. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich. Der Adlerblick würde ihr helfen, da war sie sich sicher. Sie atmete tief in den Bauch und machte ihre Gedanken frei. Dann öffnete sie die Augen und war des Adlerblickes mächtig. In einer Ecke, voll von Gerümpel, leuchtete etwas auf. Es war die Kiste und ungewollt verschwand der Blick schon wieder. Doch sie hatte, was sie brauchte, also konnte sie von hier verschwinden.

Sie lief den Weg zurück, den sie gekommen war. Die Schreie der Wachen verstummten längst und ihre leblosen Körper pflasterten ihren Weg. Charles war schon nicht mehr hier, er musste sich bereits zum Treffpunkt aufgemacht haben. Sie wollte es ihm gleichtun, doch als sie die Treppe hinaufstieg, hörte sie plötzlich Stimmen aus beiden Richtungen. Auf dem Flur gab es weit und breit keine Deckungsmöglichkeiten. Ihr blieb also nichts anderes übrig, als in den ersten Stock zu flüchten. Leisen Schrittes ging sie die Treppe hinauf und ihre Augen fuhren vorsichtig durch den oberen Flur. Nichts zu sehen – die Luft war rein - so dachte sie. Eine Türe tat sich auf und ein Schwung neuer Extremisten kam heraus gelaufen, ihre volle Aufmerksamkeit galt Renée.

„Heda, sofort stehen bleiben!“, rief einer der Männer.

 

In der Zwischenzeit erreichte Charles den Dachvorsprung, auf dem sich vorhin ihre Wege trennten. Bellec wartete bereits ungeduldig auf seine Schüler. Er erblickte Charles, der sich außer Puste die Wand hoch hangelte.

„Da bist du ja, Pisspott. Ihr hab euch ganz schön Zeit gelassen.“

Charles schnaufte und hatte Mühe, das Dach hinauf zu kommen.

„Habt Ihr die Kiste gefunden, Mademoiselle?“

Bellec schaute verärgert drein „Pisspott - Sehe ich neuerdings aus wie eine Mademoiselle?“

Dann blickte Charles überrascht auf und konnte Renée nirgends sehen. „Oh nein...“, sprach er zu sich.

„Was? Ist sie nicht bei dir?“, erkundigte sich Bellec. Dann sah er, dass nach Charles niemand mehr die Wand hochkam. „Hast du sie da drin vergessen?“, sein Ton nahm an Lautstärke zu.

„Wir haben uns an den Plan gehalten und eigentlich--“, versuchte er zu erklären, doch sein Meister ließ ihn nicht ausreden.

„Das ging ganz offenbar nach hinten los, Pisspott.“, er war angefressen, „Merde“, fluchte er, „ich geh' rein.“

Renée dachte nicht im Traum daran, einfach stehen zu bleiben. Sie sauste mit der Kiste unter dem Arm los, sie wusste nicht, wohin, doch sie wusste, dass sie da erstmal verschwinden musste. Sie eilte und sprintete, die Männer kamen nicht hinterher, sie war zu schnell für die schwerbewaffneten Extremisten.

Ihr Blick fuhr um, sie fand keine Treppe und hatte keinen Schimmer, wie sie da wieder rauskommen sollte. Ihr fiel ein, wie sie und Charles den Weg hier rein fanden. Die Idee, den selben Weg wieder herauszunehmen, gefiel ihr ganz und gar nicht, doch sie hatte keine bessere Idee, denn die Pavillons glichen einem Labyrinth.

Ein edler Stuhl auf dem Flur, sie vermochte den Wert nicht zu schätzen, musste herhalten. Sie krallte sich das Mobiliar und warf es kraftvoll gegen eine Fensterscheibe. Klirrend zerbrach diese in viele Teile. Dann sprang sie mit einem Satz nach vorne und ab nach draußen.
 

Auf dem gegenüberliegenden Dachvorsprung, hörten die beiden Assassinen den Bruch von Glas und sahen eine Silhouette.

„Das darf nicht wahr sein....“, brummte Bellec.
 

Renée war im freien Fall und wurde sofort von verdutzten Wachen begrüßt. Sie griff geschwind in ihren Beutel und warf eine Rauchbombe. Die Wachen sahen nichts mehr, doch sie konnte verzerrt noch etwas erkennen, also zog sie ihre Pistole und schoss auf jede Wache, die sie sah, fünf – sechs – sieben – ein achtes Mal, dann rollte sie sich auf dem Boden ab, warf sicherheitshalber noch eine Rauchbombe und machte sich auf zum Treffpunkt.

Die Wände nach oben sprang sie atemlos und hangelte sich hinauf. Sie glaubte, ihr würde niemand folgen. Dann sah sie bereits Charles, der ihr eine helfende Hand reichte, in die sie danken einschlug. Er zog sie mit nach oben und sie richtete sich auf, klopfte sich den Staub von ihrer Kleidung und räusperte sich, „Was habe ich verpasst?“

„Wohl eher „Wie erkläre ich dieses Chaos Mirabeau?“, Püppchen! Du---“

„Hier!“, Renée warf Bellec locker die Kiste zu, ehe er zu Ende sprechen konnte, „Nur für Euch, Meister.“ Sie grinste ihn selbstsicher an

Charles klopfte seinem Freund auf die Schulter, „Mission geglückt, mon ami.“ und lächelte beruhigt.
 

 

 

What we have in Common

Die Sonne stand hoch im Zenit und kündigte mit ihrem mittaglichen Licht die Mitte des Tages an. Charles und Renée erledigten die Mission, doch Bellecs Begeisterung schien auszubleiben. Er musste Mirabeau das Chaos erklären, dass seine beiden Schüler hinterließen und er wusste genau, wie gut der Mentor das heißen würde.
 

Die drei waren auf dem Weg zurück ins Sanktuarium, um dem Rat Bericht zu erstatten und die Kiste in ihre Hände zu geben. Sie passierten das Café Theatre und liefen eine Treppe hinunter zum Ufer der Seine. Am Eingang des Hauptquartiers kamen ihnen zwei Assassinen entgegen, die sich auf den Weg zur einer Mission machten. Sie nickten ihnen grüßend zu und schienen kurz angebunden. Ein Dritter stürmte aus der Tür und rief ihnen etwas nach. Er war so in Eile, dass er mit Renée zusammenstieß und sie das Gleichgewicht verlor. Bevor sie jedoch am Boden aufschlug, griff der dunkelhaarige, junge Mann ihres Alters nach ihrem Arm und zog sie wieder auf die Beine.

„Pardon, Mademoiselle! Ich hoffe, Ihr habt Euch nichts getan.", entschuldigte er sich.

„Ich habe mich nur etwas erschrocken, alles in Ordnung.", antwortete sie ein bisschen neben der Spur.

„Kann ich das bei einem Glas Wein wieder gut machen? Es ist peinlich, solch eine Schönheit über den Haufen gerannt zu haben."

„Also---", stotterte die junge Frau. Schönheit? Niemand nannte sie vorher eine Schönheit. Das überforderte sie.

„Dann sehe ich Euch später im Café Theatre, tres bien.“, der ihr unbekannte Mann verabschiedete sich mit Handkuss, „ich muss los, bis dann!" Eilig waren seine Schritte, doch er schaffte es, schnell zu seinen Begleitern aufzuholen. Renée stand immernoch neben sich, doch es dauerte keinen Augenblick und sie wurde zurück auf den Boden der Tatsachen geholt.

„Brauchst du eine schriftliche Aufforderung, Püppchen? Nun komm endlich, ich halt dir nicht den ganzen Tag die Türe auf.", Bellec brummte.

„Hab Euch nicht drum gebeten, Meister", antwortete sie selbstsicher und betonte besonders das Meister so provokant, wie sie es den ganzen Tag schon tat. Sie sah zu gern, wie sich Bellecs Augen mit einem wütenden Glanz füllten - sie genoss den Anblick.

In diesem Moment ließ Bellec die Türe los und trat selbst hinein. Renée huschte schnell hinter her, ehe die Türe zufiel. Genervt sah er sie an und zänkisch blickte sie zurück. Charles betrachtete die beiden und rollte die Augen. Dann liefen die drei nebeneinander her in Richtung Besprechungskammer.

„Du gehst da nachher nicht hin. Halt dich fern von dem Kerl." In Bellecs Stimme war ein warnender Ton zu vernehmen.

Renée runzelte die Stirn, was ging es ausgerechnet ihn an, mit welchen Männern sie ausging?

„Sagt wer?", antwortete sie trocken.

"Ich", erwiderte er bestimmt.

„Ach - und wer seid Ihr, dass Euch mein Leben außerhalb der Bruderschaft etwas angeht?"

„Dein Meister, der keine Lust hat, sich morgen früh dein Gejammer anzuhören, wenn er dich heute Nacht mit gebrochenem Herzen von der Bettkante schubst." Mit diesen Worten verließ er das Dreiergespann und beschleunigte seine Schritte. Er hatte keine Zeit für so etwas, er musste sich nun überlegen, wie er Mirabeau die Situation an der Place des Vosges erklären würde.

Renée war gereizt. Sie legte ebenfalls an Geschwindigkeit zu und wollte zu ihm aufholen, doch Charles griff nach ihrer Schulter und versuchte, sie zu besänftigen.

„Nicht, Mademoiselle." Seine Stimme war so friedlich wie immer.

Mit ihm wollte Renée sich ganz und gar nicht streiten, also gab sie nach, doch sie wusste, dass Bellec ihnen trotz seiner Gedanken noch zuhörte.

„Seid Ihr eigentlich der einzig Vernünftige hier, Monsieur Dorian?", fragte sie bewusst laut genug, damit ihr Lehrer auch Wind davon bekam.

„Er denkt nur an Eure Sicherheit."

„Oh, schon wieder? Das tut er aber ziemlich häufig. Ich sollte mich wohl geehrt fühlen, richtig? Schließlich habe ich hier so etwas wie meinen persönlichen Leibwächter."

„Maxime ist bekannt für seine Frauengeschichten.", wandte Charles ein, "sehr böse zum Teil. Mir ist es ein Rätsel, wie jemand wie er vom Rat geduldet werden kann. Es geht mich nichts an, Mademoiselle, aber ich bin ebenfalls der Meinung, Ihr solltet besser nicht hingehen. Vielleicht möchtet Ihr uns stattdessen heute Abend in die Taverne beim Notre-Dame geleiten?"

Als Bellec das hörte, blieb er abrupt stehen. Es war die Stammkneipe von Charles und ihm. Renée konnte er da absolut nicht gebrauchen.

„Ihr meint, zusammen mit ihm hier?", die junge Frau zeigte mit dem Finger auf Bellec. Er hörte das und wandte ihr einen argwöhnischen Blick zu.

Erwartungsvoll war Charles' Nicken. "Genau, zusammen mit Pierre und meiner Wenigkeit."

„Na Danke", Renées Blick war skeptischer denn je, "aber ich bin heute Abend im Café Theatre verabredet."

„Und ich sagte, du wirst heute Abend keinen Fuß in das Café setzten“, fuhr Bellec nun gereizt um.

Der Mann mischte sich in Angelegenheiten ein, die ihn nichts angingen. Das widerte Renée an. Sie wurde zornig und ihre Stimme lauter.

„Und wer glaubt Ihr, seid Ihr? Ich bin erwachsen und ob Ihr es mir zutraut, oder nicht, ich kann sehr gut auf mich selbst acht geben! Ich brauche keinen Leibwächter, nur weil ich eine Frau bin!“

„Im Moment verhältst du dich wie ein kleines Kind, das genau das will, was man ihm verbietet!“ Bellecs Stimme hallte durch das gesamte Sanktuarium.

„Genug!“ ertönte es mahnend vom Treppenaufgang. Es war Mirabeau. „Das hier ist ein heiliger Ort, würdet Ihr Euch bitte auch dementsprechend verhalten?“, er war sauer, doch im Gegensatz zu Renée und Bellec war er in der Lage, dabei nicht gleich den Verstand zu verlieren.

„Brilliant,...“, murmelte Bellec zornig vor sich hin.

„Begebt euch umgehend in die Besprechungskammer. Der Rat erwartet euch bereits.“, fügte Mirabeau hinzu, ehe er sich abwandte.

Die drei schwiegen sich den Rest des Weges an, bis sie schließlich die scheinbar endlose Reise meisterten.
 

"Tretet herein", bat Mirabeau und setzte sich an seinen Tisch, neben ihm Meister Beylier. An dem gegenüberliegenden Tisch sahen Meisterin Trenet und Meister Quemar gespannt auf.

„Also, was habt Ihr zu berichten, Bellec?", begann Mirabeau.

Bellec holte die Kiste hervor und brachte sie zum Schreibtisch des Mentors. Beylier und er erhoben sich von ihren Sitzen und betrachteten sie erwartungsvoll.

„Wie verlief denn die Mission?" Meister Quemar war es nun, der das Wort ergriff. Bellec wusste genau, worauf sein Vorgänger abzielte.

„Chaotisch", antwortete er knapp.

„So?" Jetzt erhob sich auch Quemar von seinem Stuhl, „dann erzählt doch mal."

„Die Place des Vosges ist übersät mit Leichen und Blutlachen. Während der Einstieg in die Pavillons noch leise vonstatten ging, hat der Ausstieg ein völliges Chaos verursacht. Jeder Volltrottel wird nun wissen, dass wir Assassinen die Kiste in unserem Besitz haben."

Erschüttert lief Quemar um seinen Tisch und konfrontierte Bellec. „Was hielt Euch davon ab, besagtes Chaos zu verhindern? Es war doch genaustens abgesprochen, dass die Mission diskret und völlig lautlos ausgeführt werden sollte."

„Kriegt er jetzt die ganze Schuld zugeschoben?", flüsterte Renée überrascht zu Charles.

„Nun, er ist unser Ausbilder, ich denke ja...", antwortete Charles leise.

„Obwohl ich es verbockt habe?", Renée sah ungläubig zu ihm auf.

„Ich fürchte,..."

Sie konnte ihren Ausbilder nicht ausstehen, aber noch weniger mochte sie Unrecht. Es war ihre Schuld, dass die Mission mit solch einem Aufsehen endete, nicht Bellecs, also biss sie in den sauren Apfel.

„Meister Quemar, ähm..", sie trat hervor und erlangte sofort seine Aufmerksamkeit, „es ist meine Schuld. Ich hab das ausgefressen, es tut mir---"

„Ihr seid nur eine Novizin, die die Lehren eines Meister Assassinen aufgesucht hat. Die Verantwortung für den Verlauf einer Mission liegt nicht bei Euch."

Mit diesen Worten Quemars, trat sie ehrfürchtig wieder zurück zu Charles. Ihr Mitnovize hatte wohl Recht gehabt.

„Alle Achtung Mademoiselle, damit hätte ich nicht gerechnet", flüsternd teilte er seine Begeisterung mit ihr, doch sie sagte nichts.

„Nun, der Rat wird sich jetzt der Kiste wegen beraten. Monsieur Dorian, Mademoiselle Moreau, wenn ich bitten dürfte.", mit einer Handbewegung bat Mirabeau die beiden Novizen freundlich, den Raum zu verlassen, "wir sehen uns dann morgen. Guten Tag."

„Natürlich, Mentor", gab Charles nickend wieder und verließ gemeinsam mit Renée die Kammer.
 

Der Himmel war heute wolkenlos und die Sonne schien warm vom Firmament herab. Renée und Charles verließen vor einiger Zeit schon das Sanktuarium, denn die Besprechung schien länger zu dauern, als sie anfangs glaubten. Die beiden lauschten der Seine, dort, wo Renée vor wenigen Stunden von Maxime über den Haufen gerannt wurde. Auf einer länglichen Kiste ließen die beiden sich nieder. Charles holte seine kleine Taschenuhr hervor und runzelte die Stirn.

„Es ist fast Drei Uhr nachmittags"

„Was glaubt Ihr, wird sich in der Kiste befinden?" Renée interessierte das ganze besonders. Wenn es etwas war, das mit dem Aufenthaltsort der Edensplitter zu tun hatte, musste sie es irgendwie herausbekommen.

„Ich habe keinen Schimmer. Der Rat vermutete der "Eden" Schlüssel, oder so ähnlich."

Der wird da sicherlich nicht drin sein, dachte Renée. Schließlich befand er sich in ihrem Besitz. Sie trug ihn in einer kleinen Schattulle in der Innentasche ihres Mantels. Wenn der Rat nur wüsste, dass der Schlüssel tagein, tagaus das Sanktuarium passierte, würden sie sich sicherlich hochkant rauswerfen. War sie eigentlich eine Verräterin? War es ihr Vater? Sie hatte keine Antwort darauf und seufzte.

„Die Uhr ist hübsch", versuchte sie sich, aus ihren Gedanken zu befreien. Es half ja doch nichts.

„Wollt Ihr wissen, woher ich sie habe?", grinste Charles unschuldig und doch schelmisch zugleich.

„Das klingt, als würdet Ihr mir gleich eine unglaubliche Geschichte erzählen, Monsieur."

„Oh ja, das ist sie wirklich", lachte er, "sie ist gestohlen."

Renée fuhr überrascht um. War Charles nicht adelig? Geldsorgen dürfte er eigentlich keine haben, dachte sie.

„Da habe ich Euch wohl wirklich überrascht, Mademoiselle."

„Das kann man wohl sagen. Ich hätte einem Mann Eures Standes nicht unbedingt einen Diebstahl zugetraut, wenn ich das so sagen darf."

„Nun, eigentlich habe ich sie nur geschenkt bekommen, ich habe mit dem Diebstahl so gesehen gar nichts zu tun."

Das machte es nicht unbedingt besser, dachte Renée.

„Pierre und ich hatten anfangs ähnliche Startschwierigkeiten. Zwei Welten, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Er mit seiner militärischen Ader, die er in seine Ausbildung einfließen lässt und ich mit meiner strukturierten, wie es eine typische Adelsfamilie eben inne haben. Die Uhr hat er auf unserer ersten, gemeinsamen Mission mitgehen lassen. Wir haben einen Palast infiltriert, um einen wichtigen Geschäftsmann sicher zu eskortieren. Der Kerl war die Pest, unfreundlicher, als alles, was wir je gesehen haben. Als wir den Mann in Sicherheit geleitet hatten, beschwerte er sich darüber, dass es so lang gedauert hatte. Statt dankender Worte, erfuhren wir seine schlechte Laune. Ich konnte Pierre gerade noch davon abhalten, ihm eine zu verpassen. Stattdessen entledigte er ihn unbemerkt seiner wertvollen Taschenuhr und warf sie mir später zu. "Hast du gut gemacht, Pisspott", sagte er."

Renée schaute skeptisch drein. „Der? Lobende Worte?"

„Ich sagte ja bereits, er ist ein bisschen eigen, doch er ist nicht der, für den Ihr ihn haltet, Mademoiselle. Ihr könnt ihm vertrauen.", wandte Carles ein „Heute ist der erste Tag, wartet mal bis Morgen.“

Renée antwortete nicht. Charles sah ihr an, dass es nicht das richtige Thema war, über das er hätte sprechen sollen. Er glaubte, er könnte so die Spannungen zwischen den beiden etwas lösen, aber er begriff, dass er sich da besser nicht einmischen sollte. Mit der Zeit würden die beiden schon vernünftiger werden, dachte er.

„Ihr kommt also aus Ventre, Mademoiselle?“ , er beschloss das Gespräch in eine andere Richtung zu leiten.

„Wir sind vor vielen Jahren nach Ventre de Paris gezogen. Ursprünglich kommt meine Familie aus Saint-Denis.“

„Ein großer Schritt.“, staunte Charles.

„Bei einem Brand haben wir all unser Hab und Gut verloren.... und darüber hinaus.“ Renées Stimme wurde leiser und ihr Blick wandte sich nachdenklich gen Boden.

„Ich hoffe doch, es war keine Brandstiftung“, erschrocken sah Charles sie an.

„Nein.“ Sie wurde nervös und vergewisserte sich schnell, dass ihre Haarsträhne das Brandmal in ihrem Gesicht verdeckte. „Mein Vater wollte nicht in Saint-Denis bleiben. Er konnte nicht mitansehen, wie meine Mutter an der Tatsache zerbrach, dass ihr einziger Sohn bei einem Feuer ums Leben kam.“ Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn und unbewusst ballte sie mit der linken Hand abwechselnd eine Faust und ließ wieder locker, sodass die Versteckte Klinge raus- und reinfuhr. Sie suchte in dem klickenden Geräusch einen Rhythmus, der sie davon abhalten sollte, sich zu tief in ihre Erinnerungen zu verstricken.

Charles sah sie betroffen an „Verzeiht mir, Mademoiselle. Ich hätte nicht danach fragen sollen.“

„Ist schon in Ordnung. Ich hätte nicht davon sprechen sollen.“

Das Klicken Renées Klinge stoppte, als urplötzlich jemand kraftlos von der Mauer über ihnen wenige Meter entfernt auf dem Boden aufschlug. Sofort sprang Charles von der Kiste auf und lief zu der Person. Auch Renée fasste sich wieder und tat es ihm gleich. Es war eine männliche Statur, die eine Assassinen Kutte trug. Charles erkannte sofort, wer es war.

„Maxime, was ist passiert?“ Er drehte Maximes Körper auf den Rücken, doch dieser schien das Bewusstsein verloren zu haben. Seine Kleider waren rot. Erst jetzt sah Charles, dass Maximes rechter Oberarm nicht aufhörte zu bluten. Er wurde nervös und verlor den Überblick. Als hätte er alles vergessen, saß er tatenlos vor Maxime. Renée merkte das und sprang ein. „Zur Seite“, sie schob Charles von Maxime werg. Die junge Frau entknotete das Tuch um ihre Lende, das sie über ihrer Montur zur Zierde trug – egal wie, sie musste die Blutung stoppen, also legte sie ihm einen Druckverband an und ihr Blick suchte nach Charles. Er saß völlig überfordert neben ihr.

„Monsieur?“, sprach sie hektisch, doch Charles war nicht bei sich.

„Monsieur Dorian, ihr müsst Hilfe holen, sonst verblutet er.“ - Wieder keine Antwort.

Nun schrie sie ihn an, „Charles!“ und er schreckte auf. Renée griff nach seiner Hand und presste sie gegen den Druckverband. „Drauf drücken und zwar so fest du kannst, verstanden?“ Dann stand sie auf und lief selbst die wenigen Meter zum Sanktuarium, um Hilfe zu holen. Sie griff die Klinke der Türe gewaltvoll und drückte dagegen um sie zu öffnen. In diesem Moment zog von der Innenseite jemand an der Klinke.

„So stürmisch wie eh und je.“, es war Bellec. Sein Gesicht war von Stress gezeichnet und die Besprechung schien ihm den letzten Nerv geraubt zu haben „Wo ist Charles? Ich brauche Wein. Geh du mal zu deiner Verabredung, das ist Männersache.“

„Meine Verabredung liegt gerade auf dem Boden und krepiert.“, wandte Renée hektisch ein, „wenn der Wein also noch einen Moment warten könnte?“

„War Charles nicht bei dir?“, wunderte sich der Meister Assassine.

„Der liegt wahrscheinlich längst neben Maxime.“

„Der Pisspott hat einfach zu schwache Nerven“, sprach Bellec genervt, „Komm, wo liegt er?“

„Gleich da vorne, er fiel verletzt von der Mauer.“

Bellec erblickte die beiden Männer schnell und lief eiligen Schrittes auf sie zu.

„Da bist du ja endlich, mon ami“, begrüßte Charles seinen Meister mit zittriger Stimme, während nun auch seine Finger die Farbe von Maximes Blut trugen.

„Krieg den Kopf endlich aus dem Arsch, das ist nur Blut.“, tadelte Bellec.

„Zu viel Blut“, nun hielt Charles sich die Hand vor den Mund und die Schweißperlen standen ihm im Gesicht.

„Das darf nicht wahr sein“, sagte der Meister leise zu sich, „wenigstens hast du den Druckverband perfekt angelegt, Pisspott, das muss man dir lassen.“

„Das war Mademoiselle Moreau.“

„Aha.“, entfuhr es Bellec ernüchternd.

„Du kannst ihr das Lob ruhig genau so mitteilen“

„Ein Befehl aus deinem Mund, Novize?“

„Ich,---“

„Jetzt mach Platz, der Junge muss erstmal hier weg. Sieh du mal nach, ob du die beiden anderen ausfindig machen kannst, die mit ihm unterwegs waren. “

"Natürlich." Charles richtete sich auf und kletterte die Mauer hinauf.

Bellec schnappte sich den bewusstlosen Maxime und trug ihn ins Sanktuarium. In einer kleinen Kammer hatte Renée bereits Besteck vorbereitet, denn sie erkannte schon beim ersten Anblick, dass die Wunde unbedingt genäht werden musste. Bellec platzierte den Verletzten auf einer Liege und Renée begann sofort die Wunde freizulegen. Es war eine tiefe Schnittwunde. Ein Schwert oder ein größeres Messer mussten Schuld daran gewesen sein. Vielleicht war es auch eine Axt. Er war in einem Kampf verwickelt gewesen, so viel stand fest.

„Nicht, dass es um den Kerl schade wäre, aber du bist sicher, dass du das kannst, Püppchen?“, gab Bellec skeptisch wieder.

„Meister Quemar war ein guter Lehrer", sagte sie, ohne näher auf seine Stänkereien einzugehen.

Sie desinfizierte die Wunde. Der Druckverband schien die Blutung wenigstens ein bisschen gelindert zu haben.

„Dann zeig mal, was du kannst", entfuhr es Bellec, während er sich an die Wand gegenüber lehnte und Renée genau auf die Finger starrte. Ihr gefiel das gar nicht, doch sie ignorierte es und griff nach einer Nadel. Sie hatte noch nie eine richtige Wunde genäht, zwar hatte Quemar es ihr beigebracht, doch zu einem Ernstfall kam es nie. Es war also die erste Feuerprobe und sie war sichtlich nervös. Bellec stand noch immer in der Ecke und die beiden schwiegen sich an.

Viele Minuten verstrichen, bis sie sich endlich dem Ende näherte. Sie ging so präzise vor, wie es ihr möglich war, bis sie die Wunde schließlich vernäht hatte und mit dem Ergebnis ganz zufrieden war. Renée wandte sich von Maxime ab und wusch ihre Hände sorgfältig mit klarem Wasser. Es dauerte etwas, bis sie das Blut vollständig abbekam. Währenddessen betrachtete Bellec das Resultat mit seinen kritischen Augen. Er fand nichts, was er an Renées Arbeit hätte aussetzen können.

„Hast du das schon öfter gemacht?", fragte er neugierig. Renée bemerkte nicht, dass sich Bellec ihr Ergebnis ansah und drehte sich überrascht zu ihm hin.

„Nein, ausschließlich in der Theorie.", antwortete sie, seine Meckereien erwartend.

Doch ehe Bellec etwas sagen konnte, wurde ihr Gespräch unterbrochen. Maxime öffnete die Augen und kam zu sich.

„Was'n hier los...?", murmelte er benommen und richtete sich langsam auf.

„Du musst vorsichtig sein, ich habe deinen Arm noch nicht verbunden." Renée trocknete sich die Hände mit einem Tuch und griff nach dem Verbandsmaterial. Maxime sah an seinem Arm hinab und betrachtete skeptisch die genähte Wunde.

„Was ist das denn?", entfuhr es ihm.

„Du warst schwer verletzt. Es musste genäht werden, sonst wärst du verblu--"

„Merde! Das kann nicht dein Ernst sein. Warst du das?"

„Ja, ich ---"

„Hättest du das nicht besser machen können?", unterbrach Maxime sie furios. „Mein Körper wird entstellt sein von dieser Narbe! Hast du eine Vorstellung davon, wie unattraktiv mich das macht? Keine Frau wird mich mehr ranlassen. Merde!"

Bellec und Renée waren beide gleichermaßen überrascht. Doch Renée war sauer zugleich.

„Was erwartest du jetzt von mir? Dass ich mich bei dir entschuldige, weil ich dir das Leben gerettet habe?"

Zornig sah Maxime sie an. „Das ist ja wohl das Mindeste! Oder glaubst du, ich will so aussehen, wie du?"

Das traf Renée mitten ins Herz. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie ihr Haar vor der Operation, ohne nachzudenken, zurücksteckte und ihr Brandmal frei zu sehen war. Bellec sprach sie nicht darauf an, daher bemerkte sie es die ganze Zeit über nicht. Reflexartig löste sie die Strähne und lies sie wieder in ihr Gesicht fallen, sodass das Mal verdeckt wurde. Dann trat sie vor Maxime, der aufgerichtet auf der Liege saß und gerade die nächste Beschwerde loslassen wollte. Sie drückte ihn brutal zurück auf den Rücken, sodass ein lautes Krachen zu vernehmen war.

„Was soll das, bist du jetzt völlig übergeschnappt?!", schrie er sie regungslos an.

„Nicht die Narbe wird dich entstellen. Dein verdorbener Charakter tut das bereits. Du brauchst dir also keinerlei Sorgen zu machen, mein Freund", sprach sie herablassend, ehe sie ihn losließ, um die Liege herum ging und zornig den Raum verließ.

„Wo sie Recht hat, hat sie Recht.", bestätigte Bellec ihre Aussage, doch sie war längst fort und Maxime richtete sich erneut auf.

„Also bitte, nur weil sie dich jetzt zum Meister Assassinen ernannt haben, bist du noch lange nichts Besseres, Bellec."

Das hätte Maxime vielleicht nicht von sich geben sollen. Bellec trat an die Liege heran und drückte Maxime seine Hand mitten ins Gesicht. Er stieß ihn brutal zurück auf die Liege und hielt ihm seine Hand gewaltvoll vor den Mund. Dann ließ er seine Versteckte Klinge durch seine Finger fahren und drohte ihm. „Was meinst du, sollen wir die Wunde nochmal aufschneiden? Vielleicht kannst du sie selbst ja besser wieder zusammennähen... das heißt, wenn du fähig genug bist, so viel Blut zu stoppen und nicht vorher ins Gras beißt."

Maxime sah Bellec Klinge und versuchte sich zu lösen, doch er konnte sich nicht regen. Zu schwach war er gewesen nach all dem Blutverlust. Sein Gesicht wurde rot und schwitzig. Er hatte Angst.

„Na, was hältst du davon? Dann kannst du deinen Frauen ein paar spannende Geschichten erzählen. Wäre doch was, nicht wahr du kleiner Kotzbrocken?"

Winselnd bangte Maxime um sein Leben. Sein Atem wurde hastig und unkontrolliert. Dann ließ Bellec ihn endlich los und machte seine Klinge wieder unsichtbar.

„Ich bin heute mal so gnädig und lasse dir eine Wahl. Entschuldige dich bei dem Püppchen und ändere dein Verhalten, oder setze keinen Fuß mehr in das Sanktuarium. Du bist kein Assassine, du bist peinlich und taugst nichts."

Maximes Atem schien sich langsam zu beruhigen, doch er zitterte am ganzen Körper. Nach all dem wollte er nichts mehr mit der Bruderschaft zu tun haben.
 

„Er hat die Bruderschaft verlassen? Was ist denn vorgefallen?" Charles konnte nicht ganz glauben, was sein Meister ihm da erzählte. Die beiden waren am Abend auf dem Weg zur Taverne. Es dämmerte bereits und der Tag kostete sie beide viele Nerven.

„Ich hab ihm gedroht.", kam es Bellec über die Lippen.

„Du hast ihm gedroht?", entwischte es Charles lautstark.

„Sie hat seine Wunde einwandfrei genäht, ich hätte es nicht sauberer hinbekommen."

„Madame Moreau? Und was hat Maxime dazu gesagt? Ist er ihr zum Dank direkt an die Wäsche gegangen?"

„Er hat sie fertig gemacht."

„Was hat er?"

„Sie hat im Gesicht eine Verbrennung, darauf ritt er ziemlich herum. Dann ist sie ausgerastet, hat ihm die Meinung gesteckt und ist von Dannen gezogen.", erklärte Bellec und erinnerte sich an Renées Worte über Maxime Charakter. Er schmunzelte.

„Mir ist gar nicht aufgefallen, dass sie eine Verbrennung im Gesicht hat. Deswegen achtet sie also so sorgfältig darauf, dass ihr Haar immer an Ort und Stelle sitzt.", sprach Charles zu sich. „Sag mal", fuhr er dann fort, „ist das richtig, du hast ihm gedroht, weil er sie verletzt hat, ja?"

„Wovon träumst du nachts, Pisspott?“, wandte Bellec sofort ein. „Der Kerl war mir schon seit seiner Aufnahme in den Orden ein Dorn im Auge. Es bot sich einfach an."

„Aha", gab Charles von sich und glaubte seinem Freund kein Wort.

„Naja, wie auch immer, den Volltrottel sind wir wenigstens los. Was ist mit den beiden, die bei ihm waren. Hattest du sie finden können?", Bellec schwank um. Eigentlich hätte er gern in Erfahrung gebracht, was das für ein Mal war, schließlich war es sehr auffällig, doch es ging ihn nichts an, daher spekulierte er nicht weiter darüber.

„Ihnen geht es gut. Sie sind bei einem Auftrag heute Mittag überrascht und gefangen genommen worden. Ein paar Extremisten hatten sie niedergestreckt. Maxime soll wohl der einzige gewesen sein, der da rauskam. Er bekam den Schlag einer Axt ab, konnte sich aber mit einer Rauchbombe retten. Seine Blutspur führte mich direkt zu ihnen und ich konnte sie befreien. Die Extremisten sind auch keine weitere Gefahr mehr, dafür habe ich gesorgt", erklärte Charles die Situation.

„Gut gemacht, Pisspott. Darauf stoßen wir jetzt erstmal an."

Bellec und Charles kamen an der Taverne an und traten herein. Wie gewohnt wurden sie vom Wirt begrüßt. „Guten Abend die Herren."

„Hallo Frederic, mein Guter. Wie geht es dir?", grüßte Charles ihn zurück.

„Hervorragend und bei dem Anblick eurer reizenden Begleitung, sogar noch besser!", stieß er voll von Euphorie aus.

„Begleitung?", brummte Bellec bang.

„Na dort drüben, die reizende Mademoiselle wartet schon eine ganze Weile auf euch." Mit der Hand deutete Frederic auf den Stammtisch der beiden Assassinen. Bellec seufzte genervt und die beiden traten an den Tisch heran.

„Ihr kommt reichlich spät.", kritisierte Renée, die mit verschränkten Armen seit bereits einer Stunde auf die beiden Männer wartete. Sie schnappten sich beide jeweils einen Stuhl und setzten sich zu ihr an den Tisch. Charles freute sich, dass sie sein Angebot vom Mittag angenommen hatte, Bellecs Begeisterung hielt sich dabei in Grenzen. „Was willst du hier, Püppchen?"

„Alkohol", antwortete sie geradewegs.

Er sah verblüfft auf. "Gut.", antwortete er dann herausfordernd. "Dann schauen wir doch mal, wie viel du verträgst."

„Schauen wir doch mal, wie viel ihr beide vertragt.", nahm sie provokant an und verschmitzt lächelnd an.

Der Wirt brachte seinen Stammgästen und seiner neuen Kundin den Wein und schenkte ihnen ein. „Zum Wohl, Mademoiselle, Messieurs."

Fast gleichzeitig schnell griffen Renée und Bellec nach ihren Weingläsern und kippten das Zeug hinunter. Charles hingegen nippte genussvoll an seinem Glas. Dann stellten die beiden Streithähne ihre leeren Gläser nach wenigen Sekunden schwungvoll und synchron wieder auf den Tisch und ihre Blicke trafen sich streitsüchtig.

„Mademoiselle Moreau, ihr müsst genießen.", tadelte Charles.

„Hör auf mit diesen Förmlichkeiten, Pisspott. Wir sind hier beim Saufen und nicht bei irgendeinem Abendessen unter Adeligen.", wandte Bellec ein.

„Was ist? Trinken wir weiter, oder was?", kam es von Renée.

„Traust du dir das denn zu, Püppchen?", dann von Bellec.

„Renée." fügte die junge Frau hinzu. Der Wirt schenkte nach.

„Pierre. Tchin", ließ Bellec ertönen und hob das Glas. Renée stieß mit ihm an und die beiden tranken noch viele, weitere Gläser Wein.

„Na wenigstens seid ihr euch dabei mal einig", runzelte Charles die Stirn.
 


 

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So, es geht weiter mit meiner Fanfic. Falls jemand von meinen lieben Lesern doch ein bisschen Feedback da lassen möchte, freue mich sehr ^__^

Under your Control

„Nochmal!"

In der Hitze eines sonnigen Junitages, kreuzten sich die Floretts von Bellec und Renée. Renée musste zugeben, dass sie mit dem Schwert längst nicht so flink war. Ihre Stärke lag im Laufen und Klettern, außerdem kannte sie sich gut im medizinischen Bereich aus, aber der offensive Kampf lag ihr nicht und das ließ Bellec sie schon seit Stunden spüren. Immer und immer wieder ertönte ein raues „Nochmal!“ aus seiner Lunge.

Über dem Café Theatre lag der Trainingsraum der Assassinen, dort hielten sie sich seit einigen Wochen täglich auf, um an Renées Nahkampf Fähigkeiten zu feilen, denn das hatte die junge Frau bitter nötig. Auch Charles sollte normalerweise mittrainieren und für sie als Trainingspartner herhalten, doch heute war er erstaunlich spät.

Die Wände des Raumes wurden geziert von glanzvollen Klingen und Schilden. Renée sah solche Waffen noch nie und glaubte, sie mussten aus einer anderen Zeit stammen - lange vor ihrer Zeit.

Der Parkettfußboden bot sich als gute Trainingsfläche. So oft, wie Renée von Bellec zu Boden gefegt wurde, war sie froh, dass sie dies nicht auf hartem Stein verkraften musste.

„Gib dir ein bisschen mehr Mühe, so wirst du auf dem Schlachtfeld keine fünf Minuten überleben.", fauchte Bellec sie an. Er hatte lange Geduld mit ihr, doch er wartete darauf, dass sie endlich einen Fortschritt machen würde – er blieb aus.

Renée sah ihn skeptisch an "Ich bin Assassine und nicht Soldat. Ich meuchle im Schatten. Du tust so, als müsse ich in den Krieg ziehen."

„Konzentrieren sollst du dich!" und prompt traf sein Florett ihre Hand und ihr Schwert wurde einige Meter weggeschleudert.

„Sei froh, dass die Dinger stumpf sind, im direkten Kampf hättest du jetzt eine Hand weniger, Püppchen."

Frustriert sah sie drein. Ihre Motivation flog zusammen mit ihrem Schwert davon. „Können wir mal eine Pause machen?"

„Eine Pause?", fragte Pierre ungläubig nach.

„Eine Pause", entgegnete Renée bestimmt. "Irgendetwas mache ich falsch. So hat das keinen Zweck, ich kann mich nicht konzentrieren."

„Na von mir aus", brummte Bellec einsichtig.
 

Das Verhältnis der beiden war nach einem Monat der Zusammenarbeit immernoch chaotisch. Sie waren nie einer Meinung, manchmal stritten sie, aber meist holte Charles die beiden wieder zurück auf den Boden der Tatsachen. Anders war es, wenn es ums Trinken ging. Zumindest da konnten sie sich zusammenreißen und mehr oder weniger gut miteinander auskommen - erstaunlicher Weise. Und wenn sie mal wieder einen Wettstreit veranstalteten, wer von ihnen mehr Alkohol vertragen konnte, endete das zumindest nicht im Streit, auch wenn sie in Charles' Augen beide verloren hatten und er sehen musste, wie er sie nachhause bekam. Aber Charles erkannte auch Fortschritte; ihre Förmlichkeiten legten sie längst bei Seite und pflegten einen persönlichen Umgangston zueinander. Ihm selbst fällt es zwar hin und wieder schwer, und dann wechselt er automatisch zurück zu 'Mademoiselle', doch insgesamt war er guter Dinge.
 

Renée war erschöpft. Ihre Muskeln schmerzten und die Kraftlosigkeit war ihr mit Schweißperlen ins Gesicht geschrieben. Stundenlang trainierten sie bereits, doch sie erzielte keinerlei Erfolge. Sie brauchte frische Luft und so lief sie durch den Raum und öffnete eines der drei großen Fenster. Eine warme Prise stieß ihr ins Gesicht und die Vorhänge wehten sanft vor siche her. Sie schloss die Augen. Wenn sie sich von all dem, was sie umgab löste, hörte sie plötzlich das ungestüme Rauschen der Seine und die Lieder der Vögel. Die Menschenmassen nahm sie überhaupt nicht mehr wahr. Es war ein angenehmes Gefühl, dachte sie. Wenn sie doch nur im Kampf selbst auch so ruhig sein könnte. Doch stattdessen war sie jedes Mal nervöser als zuvor, wenn sie den Griff eines Schwertes in ihrer Hand spürte. Würde sie es diesmal schaffen? Würde Pierre sie weiterhin anschreien? Das alles machte sie so nervös, dass die geforderte Konzentration ausblieb.

Und dann wurde sie unerwartet aus ihren Gedanken gerissen:

„Schlaf bloß nicht ein", Bellec klopfte ihr unerwartet auf die den Rücken. Sie stieß einen lauten Seufzer aus „Du störst auch immer, oder?"

„Kommt drauf an. Aber für ein Nickerchen sind wir bestimmt nicht hier. Und da der liebe Charles heute reichlich spät ist, bekommst du auch sein ganzes Trainingspensum zugeteilt. Übung schadet dir ja nicht, wie wir heute mal wieder festgestellt haben."

Renée rollte nichts sagend die Augen. Er hatte gar nicht mal so unrecht, dachte sie. Mehr Übung konnte sie wirklich gebrauchen. Es frustete sie, dass ein Fortschritt ausblieb.

„Wo ist Charles eigentlich?", schwank sie auf ein anderes Thema, um seinen Stänkereien aus dem Weg zu gehen. „Ist doch eigentlich nicht seine Art, so spät aufzuschlagen."

„Wenn er heute überhaupt noch aufschlägt.", fügte Bellec hinzu und erweckte den Eindruck, als würde er gar nicht damit rechnen, dass Charles noch kommt.

„Meinst du, er ist krank?", hakte Renée besorgt nach.

„Er würde selbst krank hier aufschlagen; vielleicht ist etwas mit seinem Bengel, ich weiß es nicht",

„Seinem was?"

„Die Pflichten eines Vaters eben."

„Er ist Vater?!" Das haute Renée nun aber von den Socken.

„Hat er dir das nicht erzählt? Ihr seid doch so dicke." Stichelte Bellec sie an. Wie sehr sie das nervte, erfuhr er in ihrer Antwort.

„Würde ich sonst fragen?", schoss sie zurück.

„Naja, du musst ja auch nicht alles wissen, Püppchen." In seinen Worten lag pure Provokation. Er genoss es, sie zu provozieren, sie zur Weißglut zu bringen, zu sehen, wie sich ihre glänzenden Augen mit Wut füllten. Es machte ihm Spaß. Doch dieses Mal fiel das Ergebnis ernüchternd aus. Renée sorgte sich um Charles und ging überhaupt nicht auf sein Spiel ein.

„Ist das nicht schwer? Familie und Bruderschaft. Ich meine---"

„Und deshalb sollte man sich niemals binden.“ Unterbrach er sie. „Familie, Verpflichtungen, so etwas behindert nur. Entweder man lebt nach dem Kredo, oder man gründet eine Familie. Beides funktioniert nicht."

„Klingt ziemlich altbacken", wandte Renée ein „Und wenn du mal willst?"

„Was soll ich wollen?" Entgeistert warf er ihr einen Blick zu. Er wusste genau, was sie ihm damit gedenkte zu sagen – haargenau. Aber er rechnete nicht damit, dass sie so eine Dreistigkeit von sich geben würde.

„Sex. Du weißt schon. Das ist das, was alle Männer immer mal brauchen, um zu entspannen, oder weil sie es wollen, oder weil---"

Renée erntete für diese indiskrete Frage einen tödlichen Blick und ließ ihre Aufzählung abrupt abbrechen. Sie wusste, dass sie doch besser die Klappe gehalten hätte, doch sie konnte es sich nicht verkneifen, ihn aufzuziehen. Schließlich war das bei den beiden eben so – sie ärgerten einander, immer und immer wieder. Alles andere wäre auffällig unnormal.

„Keine Sorge", antwortete Bellec gelassen und trat an sie heran. Er berührte mit seiner Hand behutsam ihre Wange. Sie fühlte seine warmen Fingerspitzen sanft auf ihrer Haut. Eigentlich war er ein grober Kerl, doch gerade war er zärtlich.

Er traf noch nie auf eine Frau mit solch einer großen Klappe und doch solch einer zarten Aura.

„Wenn ich mal will, dann komme ich ganz bestimmt nicht zu dir.", ergänzte er hauchend in ihr Ohr.

Er fühlte ihr verschwitztes Gesicht, dass der Wind nicht schnell genug trocknen konnte. Sie gab sich während des Trainings alle Mühe, strengte sich an und tat alles, um das Schwert zu meistern, das musste er zugeben. Trotzdem erfuhr sie keine lobenden Worte von ihm, denn das brachte ihr ja doch keinen Fortschritt.

Bellec wandte sich von ihr ab und lief gelassenen Schrittes zurück auf die Trainingsfläche.

Renée war ein bisschen verdutzt. Mit solch einem raffinierten Konter rechnete sie nicht. „Da habe ich ja nochmal Glück gehabt, Pierre."

„Hast du. Können wir dann weitermachen?", forderte Bellec sie dann auf, sodass sie zu ihrem Schwert spazierte und es trotzig vom Boden aufhob.

„Und dieses Mal strengst du dich besser an, verstanden?", murrte er.

„Und wenn ich einen validen Treffer lande, verrätst du mir endlich, was in dieser Kiste war, die wir vor einem Monat in der Place de Vosges gestohlen haben."

Noch immer wusste Renée nicht, was der Inhalt der Kiste war, die sie gemeinsam mit Charles vor einem Monat erbeutete. Es blieb ihr ein Rätsel, wie sie jemals herausfinden sollte, was sich darin befand. Vielleicht war ja tatsächlich nichts in der Kiste, denn wenn der Rat den Eden Schlüssel vermutete, konnten sie nur falsch liegen, denn der befand sich in ihrem Besitz. Aber was, wenn es zwei Schlüssel gab? Daran hatte sie noch gar nicht gedacht.

„Ich habe dir schonmal gesagt, dass das Angelegenheit des Rates ist und dich nichts angeht. Du bist ganz schön hartnäckig, Püppchen." Er riss sie aus ihren Gedanken.

„Soll das ein Kompliment sein?", staunte sie.

„Gewiss nicht.", runzelte er die Stirn.

„Dachte ich mir. " Mit einem verschmitzten Lächeln grinste sie ihm zu, frei nach dem Motto > Du kannst mich mal <

„Also Püppchen,“, lenkte er ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Wesentliche, „konzentriere dich und greife mich an. Denk an die Grundlagen, sonst triffst du mich nie im Leben."

Das musste er ihr nicht zwei Mal sagen. Sie wollte endlich einen Treffer landen und sich selbst beweisen, dass sie ein Schwert führen konnte. Außerdem wollte sie nicht länger schwach vor ihrem Ausbilder darstellen.

Sie rannte auf ihn zu, holte mit ihrem Schwert aus und zielte auf seinen rechten Arm. Doch Bellec realisierte haargenau, was sie vorhatte. Seine langjährige Erfahrung ließ ihn nie im Stich. Er preschte in ihren Angriff, krallte sich ihre linken Schulter und den rechten Arm und fegte sie federleicht zu Boden.

Renée fiel unsanft und rollte noch einige, wenige Meter weiter. Verärgert blieb die junge Frau am Boden liegen und ließ in ihren Gedanken den Angriff Revue passieren; was machte sie nur falsch?

„Das wars, wir sind fertig für heute.“ Mit diesen Worten stürmte Bellec aus dem Trainingsraum und ließ Renée zurück. Ob er sauer war?

Niedergeschlagen blieb sie am Boden liegen. Immer und immer wieder suchte sie nach dem Fehler, doch sie wurde nicht fündig. Es war wohl Zeit, nachhause zu gehen, dachte sie. Und so tat sie es auch.
 

Die Bruderschaft überließ ihr einen der Räume über dem Café, damit sie ihre Montur und ihre Waffen nicht mit nachhause nehmen musste. Quemar wusste um die Situation ihrer Mutter Bescheid, also legte er beim Rat ein gutes Wort für sie ein und sie bekam ein Zimmer.

Aus einem hölzernen Schrank holte sie ihre schneeweiße Bluse hervor, die von Rüschen geziert war. Ihr Vater brachte sie ihr vor einigen Jahren aus einem Nobelviertel von Paris mit. Sie trug sie gern, zum einen, weil sie sehr schön war und zum anderen, weil sie die Bluse eben von ihrem Vater bekam.

Nachdem Renée in ihre Alltagskleider geschlüpft war, verließ sie das Café Theatre und ging auf dem direkten Wege nach Hause. Ihrer Mutter erzählte sie, dass sie eine Arbeitsstelle als Kellnerin gefunden hatte und deswegen kaum daheim zugange war. Sie brachte es nicht übers Herz, sie wissen zu lassen, dass sie in die Fußstapfen ihres Vaters trat und sich den Assassinen angeschlossen hatte. Seit der Nachricht über den Tod von Bernard Moreau sind acht Monate vergangen. Renée gewöhnte sich langsam daran, dass ihr Vater fort war, doch ihre Mutter weinte weiterhin bitterlich. Erst verlor sie ihren Sohn, dann ihren Mann. Wenn sie jetzt noch ihre Tochter verlieren würde...

Deshalb schwieg Renée, doch sie wusste, dass es ohnehin eines Tages ans Licht kommen würde, wenngleich sie betete, dass dieser Tag weit in der Zukunft läge.

Oft dachte sie über Quemars Worte vor acht Monaten nach. Vater sei nicht getötet worden, doch woran er starb, konnte Quemar ihr bis heute nicht sagen. Vielleicht war es eines von vielen Geheimnissen der Bruderschaft. Vielleicht würde sie es nie erfahren und vielleicht war es auch besser so.
 

Es war bereits Mitternacht.

Bellec saß auf seinem Stuhl zurückgelehnt im schwachen Kerzenschein. Er wusste nicht, was er in Renées Ausbildungsbericht schreiben sollte, denn seit Wochen trat sie auf der Stelle. Ratlos klopfte er mit seinem Stift auf das Blatt Papier und runzelte nachdenklich die Stirn. Sein Blick glitt durch den kaum erhellten Raum. Sein Mobilar war als solches in der Dunkelheit nicht erkennbar und das Flackern der Kerze lies die Silhouetten seiner Schränke tanzen. Fast schon sah es aus, als würden sie nicht tanzen, sondern miteinander kämpfen. Und beinahe schon erinnerten ihn diese Tänze an die Bewegungen seiner Novizin: unkontrolliert, zu kurz und völlig falsch. So führte man kein Schwert und so würde sie es nie lernen; nein, viel mehr noch: Renée Moreau kann kein Schwert führen.

Er hatte zu viel getrunken, dachte er, doch das hielt ihn nicht davon ab, noch einmal zur Flasche auf seinem Tisch zu greifen. Seine Lippen umschlossen die Flaschenöffnung, doch kein Tropfen Wein floss ihm den Rachen hinunter.

„Leer", murrte er vor sich hin.

Dann stand er auf, warf sich seinen Mantel um und lief in der nächtlichen Ruhe zum Sanktuarium.
 

In der morgendlichen Dämmerung fand Renée eine ruhige Ecke in Ventre. Heute drehte sie keine Runden durch Paris und auch die Kathedrale Notre-Dame musste ausnahmsweise auf ihre Klettereien verzichten.

Einen alten Baum machte sie stattdessen zu ihrem Trainingspartner.

In der Früh holte sie bereits ihre Ausrüstung aus dem Café Theatre und übte. Ihr war es lästig, vor ihrem Ausbilder als unfähig da zu stehen. Sicher hielt er sie für völlig nutzlos und das passte ihr nicht. Also übte sie heimlich in der aufgehenden Sonne vor dem eigentlichen Training, um ihn nachher überraschen zu können.

Doch es kam, wie es kommen musste: nicht einmal den Baum traf sie effektiv und so entfuhr ihr ein lautstarkes „Merde!", ehe sie merkte, dass sie nicht allein war.

„Vergebliche Liebesmüh, spar dir den Atem."

Es war Pierre - es konnte nur er sein, dachte sie. Es war ihr so unangenehm, dass sie sich nicht zu ihm umdrehte.

„Wie lang hockst du da schon?", rief sie stattdessen.

Auf einem Mauervorsprung saß er und beobachtete sie seit einer ganzen Weile.

„Lang genug um Bestätigung zu erlangen."

„Bestätigung über was?

„Über das, was ich mir die ganze Zeit schon dachte."

Jetzt rollte Renée die Augen. Gleich würde er es sagen. Sagen, dass sie unfähig und talentfrei sei. Und wenn ihm diese Worte über die Lippen gingen, würde er sich darüber lustig machen und sie würde vermutlich das Handtuch werfen. Dann hätte er gewonnen und wäre sie los.

„Du bist nicht fürs Schwert gemacht, Püppchen."

Da ging es los.

Sie stieß einen großen Seufzer aus; sie musste es nun einfach über sich ergehen lassen. Noch immer stand sie mit dem Rücken zu ihm und er hüpfte nun die Mauer hinab.

„Du könntest wenigstens so viel Anstand besitzen und mich ansehen, wenn ich mit dir rede."

„Damit du die Erniedrigung in meinen Augen sehen kannst? Damit es dich amüsiert und du deinen Spaß hast? Vergiss es", gab Renée trotzig von sich.

„Sturrkopf", brummte er. „In der Waffenkammer der Bruderschaft habe ich mir die Nacht für dich um die Ohren geschlagen. Ein bisschen Dankbarkeit wäre angebracht."

Was hat er? Renée war perplex. Vielleicht hatte sie sich verhört, doch das fand sie nur heraus, wenn sie sich zu ihm wandte. Also tat sie es, drehte sich langsam um und erblickte Bellec mit einer länglichen Waffe bei sich.

„Hier, versuch es mit der Lanze.", sprach er dann und drückte sie der jungen Frau in die Hand.

Ungläubig musterten Renées Augen die Situation.

„Ich weiß doch gar nicht, wie man so ein Ding überhaupt richtig hält", stotterte sie vor sich hin, überwältigt davon, dass nichts von dem, was sie sich gerade ausgemalt hatte, eintrat.

„Du nimmst sie in die Rechte Hand", begann Bellec, doch Renée nahm die Lanze in die Linke. „In die Rechte sagte ich."

Sie stand neben sich und realisierte nicht, dass sie ihm gar nicht richtig zuhören konnte.

„Was ist denn heute mit dir los? Bist doch sonst nicht so zimperlich.", brummte er und schnappte sich ihre rechte Hand und führte sie an den Griff der Lanze.

„Festhalte. Und jetzt nimmst du eine gebeugte Haltung ein, stellst dich seitlich; den linken Fuß vor den recht und die Lanze auf Schulterhöhe mit angewinkelten Arm."

Diesmal tat sie, was er von ihr verlangte und stellte sich in kampfbereite Haltung. Es war neu und ungewöhnlich, aber es fühlte sich im ersten Moment nicht schlecht an, wenngleich es ihr doch ein Rätsel war, wie sie in dieser Haltung vorpreschen sollte. Sie fühlte sich wie angewurzelt und so sah es in Bellecs Augen tatsächlich auch aus.

„Wenn du angreifst, wechselst du den Stand der Füße. Der rechte Fuß tritt vor den linken und gibt deiner Lanze einen kraftvollen Antrieb. Versuch es mal", sagte er, während er auf den Baum zeigte.

„Und du glaubst, dass es mit der Lanze besser funktionieren wird, als mit dem Schwert?", runzelte Renée ihre Stirn. Vielleicht war das auch nur ein weiterer Akt von ihm, der zu seinem Amüsement dienen sollte - sie war skeptisch und traute ihm nicht.

„Deine Bewegungen mit dem Florett in der Hand haben einfach nicht zur Waffe gepasst. Du hast das Schwert geführt wie eine Waffe mit variabler Reichweite. Das habe ich in deinen Bewegungen erkannt. Aber ein Schwert hat nun mal keine Reichweite dieser Art, sie ist fix, daran ist nichts zu ändern. Das ist ungewöhnlich. Normalerweise lernt man erst den Umgang mit dem Schwert, weil es der einfachste ist und dann widmet man sich dem restlichen Spektrum des Waffenarsenals. Naja, aber du bist auch alles andere als normal, Püppchen."

Bellec lief nun zum Baum und ritzte mit seiner Versteckten Klinge ein Kreuz in den Stamm - eine Zielfläche.

"Versuch es jetzt."

Wortlos tat Renée, was er wollte und nahm die ungewohnte Haltung ein, die sie eben lernte. Bevor sie zustach, übte sie trocken die Bewegung vor sich hin, denn sie wollte nicht schon direkt beim ersten Versuch wieder daneben treffen. Den rechten Fuß nahm sie nach vorn, während sie mit der Lanze zustach. Es fühlte sich befremdlich für sie an.

„Das muss schwungvoller sein."

Bellec stellte sich hinter sie und fasste ihre rechte Hand.

„Festhalten, habe ich gesagt.

Deine Hand ist viel zu locker, so wirst du in wenigen Sekunden entwaffnet." Er umklammerte ihre Finger unlösbar und ließ sie die Lanze umschließen. Dann legte er seine linke Hand um ihre Lende.

Unter seiner rauen Schale kam erneut eine sanfte Seite zum Vorschein. Renée wunderte sich, wie das zusammenpassen konnte. Er stand ihr so nah und in seinen Händen war so viel Wärme, während er sonst doch kalt wie Stein war und er ihr das Gefühl gab, sie zu hassen. Wieso hing er sich so sehr ins Zeug?

„Und jetzt pass genau auf, wie es geht.", sagte er und ließ ihren Körper den Angriff tödlich ausführen.

Er hatte die volle Kontrolle über sie; er bestimmte jede ihrer Bewegungen und sie konnte nichts anderes tun, als sie auszuführen. Wäre er ein Feind, wäre sie in seinen Händen verloren. Doch auch, wenn die beiden sich oft wie Feinde an die Gurgel gingen, zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, er sei ein Freund und ließ sich selbstlos, ohne darüber nachzudenken, in seine Führung fallen.

„Hast du das verstanden?"

In ihrem Nacken kitzelte sein Atem und holte sie zurück in die Realität.

„Ähm...ja", stotterte sie.

„Gut", er ließ von ihr ab und all die Wärme schwand. Fast schon wehmütig stellte Renée das fest.

„Jetzt gehst du zu dem Baum und triffst die Markierung."

Beinahe automatisch tat sie, wie er verlangte und stellte sich in Kampfhaltung vor den Baum. Sie fühlte immernoch seine Hände, obwohl er sie längst von ihr genommen hatte. Und sie spürte immernoch die Kontrolle, die sie einen treffsicheren Angriff ausführen ließ. Sie gab sich diesem Gefühl hin, konzentrierte sich vollends darauf und stach zu.

Getroffen.

Einen kurzen Moment lang zweifelte sie daran, doch es stimmte, sie traf perfekt und ihr schoss ein Lächeln auf die Lippen.

„Ich habs geschafft", rief sie von Freude erfüllt und drehte sich abrupt zu ihm um.

Nie hatte sie ihn angelächelt, jetzt tat sie es voller Herzlichkeit. Er wusste nicht, wann ihm ein Mensch das letzte Mal solch ein Geschenk machte. Er hatte lange schon vergessen, wie wertvoll ein Lächeln ist, dass einen Körper mit so viel Wärme füllen konnte. Es war wie ein Stich, der ihn melancholisch durchbohrte. Glücklich und doch heimgesucht von Kummer, so fühlte er sich.

Renée glaubte für einen kleinen Augenblick lang, ein verstecktes Lächeln auf Bellecs Lippen zu erkennen, ehe er wieder der raue Mann wurde, mit dem sie ständig stritt.

„Ich sehe dich in einer Stunde im Trainingsraum. Bis dahin machst du dir die Waffe vertraut, Püppchen"

Er kehrte ihr den Rücken und kletterte die Mauer hoch. Es dauerte nur Sekunden und er war fort.

Wie gern hätte sie ihm gedankt.

X-Mas Special: Red

Halli Hallo und fröhliche Weihnachten allerseits!
 

Dieses Chapter ist eine kleine Weihnachtsepisode zu Renée und Bellec und spielt von den aktuellen Geschehnissen aus betrachtet, ein paar Monate in der Zukunft.

Das nächste reguläre Kapitel, knüpft dann wieder direkt an Kapitel 7 an.
 

Viel Spaß beim Lesen und Kommentieren!
 

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X-Mas Special: Red
 

Die Glöckchen der Ladentüre verabschiedeten Renée, als sie den Textilladen verließ. Sie konnte immer noch nicht glauben, was sie da eben tat. Das Geld, das sie bei der letzten Eskortierung eines Adeligen dankend erhalten hatte, gab sie nun für Wolle und Stricknadeln aus. Wenn ihr mal jemand gesagt hätte, dass sie das Stricken lernen würde, hätte sie diesen jemanden bestimmt für verrückt erklärt. Renée konnte kochen und war für Medizin zu begeistern, aber das war es dann auch schon an typischen Frauensachen, die sie ausmachten. Sie lernte lieber das Kämpfen, statt dem Stricken und nun fand sie sich selbst in einer Situation wieder, die sie nie für möglich gehalten hatte.

Doch ständig erinnerte sie sich an den Eskortierungsauftrag vor einigen Tagen. Bellec und sie verließen das Sanktuarium, um sich auf den Weg zum Adleshaus zu machen. Kaum waren sie an der frischen Luft, begrüßte die beiden das kalten Kleid des Winters. Bellec entfuhr ein promptes „Was für 'ne Saukälte heute" und er zog sich die Kapuze wärmesuchend über. Dann faselte er etwas davon, wie sehr er Charles beneiden würde, denn der war gerade mit seinem Bengel im warmen Ägypten zu Gange.

Renée errötete, als sie sich selbst dabei ertappte darüber nachzudenken, dass bald Weihnachten war und sie für Bellec doch einen Schal stricken könnte, der ihn an bitterkalten Tagen wärmen würde. Sie wusste, dass es sich dabei um eine total bescheuerte Idee handelte und dass er ihr Geschenk sicher niemals annehmen würde, doch trotzdem lief sie gerade mit einem Bündel Wolle unter dem Arm geklemmt nach Hause. Wie naiv sie doch war, dachte sie.
 

Madame Flamenc aus der Nachbarschaft, die Renée kannte, seit sie damals mit ihrer Familie von Saint-Denis hier her nach Ventre de Paris gezogen war, zeigte ihr am Abend die Grundlagen des Strickens. Bei ihr ging es so leicht und so schnell von der Hand, dachte sie. Renée selbst hatte mit dem erforderlichen Fingerspitzengefühl zu kämpfen. Eine Wunde konnte sie problemlos nähen, aber jeder Versuch, sich auf das Stricken zu fixieren, schlug fehl. Und als Madame Flamenc sie dann auch noch fragte, ob es einen bestimmten Grund gäbe, warum Renée so urplötzlich das Stricken lernen wollte, war es vollkommen vorbei mit der Konzentration. Doch sie war zum Glück nicht auf den Kopf gefallen und übte fleißig zu Hause weiter. Es schien wohl einfach eine Übungssache zu sein.
 

Die nächsten drei Tage eilte Renée nach getaner Arbeit direkt nach Hause. Sie hatte nicht mehr viel Zeit, ehe Weihnachten vor der Türe stand. Aber nach und nach, nahm der Schal Formen an. Sie entschied sich im Geschäft für eine dunkelrote Wolle, denn sie vermutete, dass die Farbe gut zu seiner Montur passen würde. Bestimmt würde ihm solch ein freundlicher Farbton besser stehen, als das triste Braun, das ihm den Rücken herunterfiel.

Am letzten Abend vor dem großen Tag, saß Renée noch bis spät in die Nacht mit einer Kerze an ihrem Schreibtisch. Die Uhr schlug zwölf, als sie fertig wurde und ihr Werk mit stolzen Augen begutachtete. Es war weit davon entfernt, als professionelle Arbeite gewertet zu können, aber sie gab sich die größte Mühe. Jetzt musste sie sich nur noch überlegen, ob sie ihm den Schal überhaupt geben würde.

Die letzten Stunden der Nacht verbrachte sie wach im Bett. An Schlaf war nicht zu denken, denn sie grübelte und versuchte eine Antwort auf ihre Frage zu finden.
 

Am Morgen des 24. Dezembers klopfte es an der Haustüre der Moreaus - Es war Hervé Quemar. Freundlich bat Renée ihren alten Meister hinein und ihre Mutter setzte Teewasser auf.

„Ich will mich gar nicht lange aufdrängen", begann er bescheiden, doch Elaine ließ ihn spüren, dass er herzlich willkommen war.

Ihr Mann war nun seit über einem Jahr tot und sie war längst nicht darüber hinweg. Renée aber glaubte, dass ihre Mutter das Schlimmste nun überstanden hätte. Immerhin redeten sie wieder miteinander und ihre Mutter suchte wieder Tätigkeiten im Haus, die sie verrichten konnte. Es ging aufwärts, dachte sie.

Als Elaine die drei Tassen mit Kamillentee befüllte, fragte sie neugierig nach dem Grund seines überraschenden Besuches.

„Ich möchte Euch beide heute Abend auf mein Anwesen in Le Louvre zum Weihnachtsessen einladen."

Quemar war ein wohlhabender Mann, der ganz allein in einer riesigen Villa lebte. Seine Frau starb vor vielen Jahren an hohem Fieber und Verwandtschaft hatte er nicht. Er würde sich über die Gesellschaft der beiden Damen freuen, schließlich war Weihnachten und auch ein Jahr später, fühlte er sich verantwortlich für das Leid, dass er besonders Elaine mit den Worten über Bernards Tod antat. Vielleicht, so dachte er, würde es den beiden gut tun, wenn sie an Weihnachten nicht allein sein müssten. Wenn Renée das dritte Gedeck, dass Elaine aus Gewohnheit auftischte, nicht heimlich wieder wegräumen müsste. Er wollte ihnen einen schönes Fest schenken.

Die Einladung Quemars ließ Elaine verlegen strahlen.

„Kind, ich muss sofort mein feines Kleid zu Madame Flamenc bringen und abändern lassen", flüsterte sie voller Tatendrang ihrer Tochter ins Ohr und verschwand auf ihr Zimmer.

„Ich muss mich entschuldigen"

„Wofür? Dass Eure Mutter wieder zurück ins Leben findet?"

Renée lächelte zufrieden und sie war sehr froh über die Einladung. Lange hatte sie ihre Mutter nicht so elanvoll gesehen. Quemar hatte Recht.

„Habt Dank, Meister. Der Abend wird ihr gut tun."

„Ich hoffe, Euch auch, Mademoiselle.", antwortete er und legte seine Hand väterlich auf ihre Schulter und schaute sie verwundert an „Heute keine Runde durch Ventre?"

Renée sah auf.

„Ausnahmsweise nicht. Hab nicht so viel geschlafen.", antwortete sie und schaute beschämt zur Seite.

„So? Hat Bellec Euch wieder gescheucht?" Fürchtete Quemar.

„Ja, ähm... also nein! Ich, war, ähm, einfach nur beschäftigt."

„Wie kommt ihr denn eigentlich mittlerweile miteinander zurecht?"

„Besser.", entfuhr es ihr knapp.

„Das beruhigt mich."
 

Renée entschied sich dafür, ihm den Schal zu geben. Schließlich hatte sie sich die Nacht dafür um die Ohren geschlagen und wenn er ihn nicht wollte, würde sie ihn einfach selbst anziehen. Sie verpackte ihn hübsch und ließ ihn in einer Umhängetasche verschwinden - es musste ja nicht jeder wissen, was sie vorhatte.

Angekommen im Sanktuarium hielt sie Ausschau nach ihrem Meister, doch ihre Augen erspähten ihn nirgends. Vielleicht, so dachte sie, war er beim Rat zu Gange und so lief sie den Treppenaufgang den roten Teppich entlang nach oben und betrat das Konferenzzimmer, doch außer Mirabeau und Beylier war niemand anwesend.

„Ah - Mademoiselle Moreau, da seid ihr ja!" begrüßte Beylier sie.

„Wo ist denn Bellec?" Ihr Augen durchforsteten jeden Winkel des Zimmers.

„Kurzfristig haben wir ihn auf eine Mission geschickt. Sein Können ist bei dem Auftrag unabdingbar“, antwortete Beylier.

Verwundert sah sie auf

„Und wann kommt er zurück?"

„Das ist schwer zu sagen. Vielleicht heute Abend, vielleicht auch erst morgen. Für den Fall, dass es länger dauert, hat er mir eine Liste mit Eurem Trainingspensum für euch hinterlassen."

Beylier reichte Renée einen Umschlag. Sie ahnte nichts Gutes, als sie ihn öffnete und ihre Sorge wurde auch schon im nächsten Moment bestätigt.
 

Damit du dich nicht langweilst,

P.
 

Vollidiot, dachte sie. Dann wandte sie sich zum Gehen, als ihr wieder einfiel, dass sie noch den Schal bei sich trug. Heute Abend hatte sie keine Zeit, da war sie schließlich bei Meister Quemar eingeladen und morgen früh wollte sie ihm den Schal auch nicht mehr geben, da war sie zu stur.

Mirabau und Beylier führten ihr Gespräch fort und wandten sich der großen Tafel zu, die mit Notizen gespickt war. Renée holte den verpackten Schal hervor und legte ihn heimlich auf Bellecs Platz. Der Stuhl war unter den Tisch geschoben, so würde niemand bemerken, dass dort etwas liegt. Dann verließ sie das Sanktuarium und klapperte Bellecs Liste ab. Training allein - irgendwie hatte sie sich den Tag anders vorgestellt.
 

Am Abend machte Renée sich auf ihrem Zimmer zurecht. Sie zog ihr edelstes Kleid an. Es war grün und verbarg ihre Beine gänzlich. Ihre Schultern waren frei und eine gelbfarbene Schleife zierte ihre schmale Taille. Sie ließ ihre Haarpracht lockig den Rücken hinabfallen, ihre Augen setzte sie glänzend in Szene und ihre Lippen schminkte sie rot. Sie betrachtete sich selbstkritisch im Spiegel und war sich nicht sicher, ob ihr Kleid schön genug für das Anwesen von Quemar sein würde. Für ihre bescheidenen Verhältnisse in der Nachbarschaft, war es sicherlich in Ordnung, aber in Louvre würde man sie bestimmt anstarren. Wahrscheinlich würde sie sogar der Kutscher, den Quemar losgeschickt hatte, um sie und ihre Mutter abzuholen, schief ansehen.

Sie bürstete ihr Haar und stieß einen großen Seufzer aus, ehe sie eine Gänsehaut auf den Schultern überkam und fühlte, wie ein Luftzug in ihr Zimmer pustete.

„Hast dich ja ganz schön rausgeputzt, Püppchen."

Geschwind fuhr Renée um und glaubte nicht, was sie da sah. Bellec stieg ein in ihr Fenster und hopste kurzerhand in ihr Zimmer. Zumindest seine Silhouette, denn mehr als das konnte sie im halbdunklen Raum nicht von ihm erkennen.

„Du bist nicht gerade wirklich in mein Haus eingebrochen?"

Vielleicht.“

„Wir haben so etwas wie Türen, du Vogel!"

„Dann hätte ich ja so einiges verpasst“, neckte er sie.

„Warte... wie lang hast du vor meinem Fenster gesessen?", entfuhr es ihr furios.

„Willst du das wirklich wissen?", grinste er schelmisch.

Renée griff nach einem Kissen und warf nach ihm. Mit einer kurzen Bewegung nach Rechts, wich er dem Geschoss aus. Dann drehte sie sich um und lief rot an. Bellec spatzierte durch ihr Zimmer und sah sich um. „Nett hast dus hier."

„Was fällt dir ein", murmelte sie stotternd vor sich hin.

„Hätte ich reinkommen sollen, als du nackt warst?"

„Perversling!",schimpfte sie, drehte sich schwungvoll um und knallte ihm eine.

„Oh Püppchen, an deiner Schlagkraft müssen wir noch feilen." In Wahrheit lügte er.

Jetzt, wo er direkt vor ihr stand, sah sie erst, dass er gar nicht seine übliche Montur anhatte, sondern einen feinen Anzug trug. Ihr Blick fuhr über den schwarzen Stoff, die wunderschönen, goldfarbenen Knöpfe, bis sie plötzlich überraschend den Schal erblickte, den er um seinen Hals trug - ihren Schal. Er sah an ihrem überraschten Blick, dass sie ihn bemerkte.

„Kannst du dir erklären, wie dieser Schal auf meinen Platz gekommen ist?", begann er dann.

„Absolut keine Ahnung." Renée fiel nicht im Traum ein, sich die Blöße zu geben.

„Wer auch immer den gemacht hat, hat keine Ahnung vom Stricken."

„Das stimmt wohl. Sieh dir doch nur mal an, wie ungleichmäßig die Wolle gestrickt wurde. Furchtbar“, antwortete sie dann.

„Aber Ahnung, wie man mich beeindrucken kann, die hat dieser jemand."

Diesmal fiel ihr keine passende Antwort ein, um seine Stänkereien zu kontern. Wieder lief sie rot an. Ihm gefiel der Schal und er wusste genau, dass er von ihr kam. Peinlicher konnte es kaum werden, dachte sie.

„Aber dieser jemand hat keine Ahnung, was mir gefällt." Bellec strich Renée die Strähne aus dem Gesicht und ließ seinen Blick von ihrer Kinnspitze, über ihre Lippen bis hin zu ihren unsicheren Augen fahren. Sie wurde nervös. Alles, woran sie denken konnte, war das Brandmal, das ihr Gesicht seit Jahren entstellte und er sah es. „Du weißt doch genau, dass ich das nicht mag.", brachte sie dann leise heraus und starrte zur Seite.

„Und du weißt gar nicht, wie klein du dich machst.“ Bellec holte eine Haarspange aus seiner Anzugstasche hervor. Sie war bestückt mit einem jadefarbenen Edelstein. Er klemmte damit behutsam Renées Haar zurück.

Angetan von der Spange, vergaß sie im nächsten Moment, was ihr vor einigen Augenblicken noch Sorgen bereitete. „Die ist schön, wo hast du sie her?"

„Willst du das wirklich wissen?", grinste er.

„Besser nicht", schaute sie skeptisch drein. „Ist die für mich?“

Er antwortete nicht.

„Die kann ich doch unmöglich annehmen.“

„Gefällt sie dir nicht?“, sah Bellec überrascht drein.

„Du spinnst. Natürlich tut sie das.“, konterte Renée und tappte direkt in seine Falle. Das wollte er doch hören, das sah sie in seinem siegessicheren Lächeln – Idiot. Doch was er kann, konnte sie schon lange.

"Also ich will dich ja nicht vor den Kopf stoßen, aber ich habe heute leider keine Zeit für dich." Renée wandte sich von ihm ab und holte ihren Mantel aus dem Schrank hervor.

„Was habt Ihr denn so Wichtiges vor, Mademoiselle?", stichelte er.

„Meister Quemar hat meine Mutter und mich auf sein Anwesen eingeladen. Du kommst denkbar ungünstig", prahlte sie stolzierend.

„Quemar?", jetzt war er doch verblüfft.

„Quemar“, bestätigte sie ihn stolz.

Einen Moment lang schaute er planlos durch ihr Zimmer, doch dann:

„Das tut mir aber Leid für ihn, du hast heute leider keine Zeit."

Argwöhnisch blickte sie ihn an. Was sagte er da?

„Ich habe Hunger, der Tag war verdammt lang.", brummte er.

„Und was habe ich damit zu tun? Ich werd' mich wohl kaum für dich in die Küche stellen, du Träumer.“

„Bloß nicht. Ich will den morgigen Tag noch erleben“, flachste er und wieder flog ein Kissen in seine Richtung.

Renée warf sich ihren schwarzen Mantel über.

„Ich bin dann mal weg. Wenn du gehst, mach das Fenster hinter dir zu.“

„Ich geh' doch nicht allein in 'nem Nobelschuppen essen!", wandte er lautstark ein.

„In einem was?“, blickte sie auf.

Doch wieder erneut blieb er stumm und sah befangen zur Seite.

„Hör zu, ich kann Meister Quemar jetzt nicht einfach absagen. Also, ich meine-"

„Tust du auch gar nicht. Ich breche bei dir ein, ich entführe dich - du hast im Grunde genommen keine Schuld daran."

„Du machst was?"

Jetzt war Renée nun aber doch erstaunt und ehe sie sich versah, fand sie sich auf seinen Armen wieder. Wie machte er das, ohne dass ihr Gelegenheit zur Gegenwehr blieb? Er trug sie bis zum Fenster, dann wurde sie panisch.

„Du springst doch jetzt nicht mit mir da runter, oder?"

Bellec grinste.

„Pierre? Das machst du nicht!" Appellierte sie.

„Angst, Püppchen?" Er ging mit ihr auf einen Vorsprung und zog hinter sich das Fenster zu.

„Blöde Frage, natürlich nicht!" Entgegnete sie ihm.

„Gut.", gab er von sich und machte einen Satz nach vorn.

Renée krallte sich in seinen Anzug und versuchte, ihr Schreien zu verkneifen. Das konnte nicht ein Ernst sein.

Wie auf Samtpfoten landete er mir ihr auf einem Nachbardach.

„Lass mich runter, du Vollitiot. Auf der Stelle."

„Zeig mir mal, wie du mit dem Kleid über die Dächer fliegen kannst“, provozierte er.

„Merde", schimpfte sie einsichtig, „Meister Quemar wird kein Wort mehr mit mir sprechen.“

„Du bist doch sein Liebling, natürlich wird er das.“

„Na du musst es ja wissen.“, gab sie trotzig wieder.

„Halt dich fest, es geht weiter."

Sie schlang schreckhaft ihre Arme um seinen Nacken. Es war ihr fast schon ein bisschen peinlich und ihre Wangen wurden rot.

Eine Weile lang sprang er von Dach zu Dach mit ihr und je länger sie unterwegs waren, desto vertrauter wurde sie und verlor schließlich gänzlich die Angst. Er würde nicht zulassen, dass sie fällt - sicher nicht.

Dann brach er das Schweigen.

„Rot steht dir."

„Dir auch“, erwiderte sie zaghaft.

„Ich meine übrigens dein knallrotes Gesicht, nicht den Lippenstift“, forderte er sie selbst in dieser sternklaren Nacht heraus. Ihre Antwort war das, was er sich erhofft hatte.

„Und ich meine deine rot geschwollene Wange, bestimmt nicht den Schal."

Catacomb

Paris, 10. Juni 1774
 

Renée war spät dran.

Beim Üben mit ihrer neuen Lanze vergaß sie gänzlich die Zeit. Schnaufend riss sie die Türe zum Trainingsraum über dem Café Theatre auf und betete, nicht den Ärger ihres Lebens zu bekommen. Sie wusste genau, wenn es etwas gab, dass ihr Lehrer nicht leiden konnte, dann war es Unpünktlichkeit.

Auf alles vorbereitet, ließ sie ihren Blick durch das Zimmer schweifen und erblickte die neugierigen Augen von Charles.

Von Bellec keine Spur.

„Mademoiselle Moreau, guten Morgen!“ Begrüßte er sie.

„Ach Charles, wir waren doch schon lange beim „Du“, nicht?“, entgegnete sie ihm.

Charles verfiel immer wieder zurück zu alten Förmlichkeiten. In der Welt, aus der er kam, war eine höfliche Anrede Alltag und nicht weg zu denken. Es fiel ihm schwer, sich daran zu gewöhnen.

„Verzeih“, begann er, ehe seine Augen die neue Waffe erspähten. „Was hast du denn heute Schönes dabei – eine Lanze?“

Stolz hielt Renée ihm die Lanze entgegen und erzählte, wie gut sie damit umgehen konnte. Den Teil mit der Hilfestellung seitens Bellec, ließ sie heraus, es war schließlich peinlich genug, dass er ihr überhaupt so intensiv zeigen musste, wie man die Waffe richtig hält und benutzt, dachte sie.

Charles war völlig von den Socken, als er hörte, dass Renée die passende Waffe für sich gefunden hatte. Ehrgeizig demonstrierte sie ihr neues Können, wenngleich sie wusste, dass es noch Bedarf zum Üben gab und sie lange nicht soweit war zu behaupten, sie würde die Waffe beherrschen. Doch er war sowohl beeindruckt, als auch erstaunt, denn er selbst konnte mit der Lanze nie wirklich etwas anfangen. Für Charles war ein Rapier, gepaart mit einer Schusswaffe, der beste Begleiter.

„Was ist mit Pierre, kommt der heute nicht?“, wunderte Renée sich.

„Um ehrlich zu sein, weiß ich es nicht.“

Charles lief durch den Trainingsraum und holte vom Waffenständer eine Holzlanze und ein Holzflorett.

„Üben wir, bis er kommt. Ich habe noch eine Strafe abzuarbeiten“, gab er dann freundlich fordernd wieder und Renée betrat die Trainingsfläche.  

„Eine Strafe?“, blickte sie verwirrt drein, ehe es ihr von selbst wieder wie Schuppen von den Augen fiel.

„Du meinst, weil du letzten Monat drei Tage lang nicht zum Training erschienen bist?“, hakte sie trotzdem neugierig nach.

„Genau deshalb. Es gab wichtige Dinge, um die ich mich kümmern musste.“ Nickte er, als würde er der Sache aus dem Weg gehen wollen.

„Pierre sagte, deinem Sohn ginge es damals nicht so gut. Ich wusste gar nicht, dass du Vater bist.“ So direkt wie immer, forschte Renée nach den Dingen, die sie interessierten. Doch alles, was sie fand, war der konfuse Blick von Charles, der mit einer gewissen Fassungslosigkeit gefüllt war. Sie realisierte, dass etwas nicht stimmte. Charles' Gesicht verriet ihr, dass es nicht in Ordnung für ihn gewesen sein musste, dass sie solch eine private Angelegenheit ansprach. 

„Entschuldige. Ich vermute, diese Information war nicht für mich bestimmt.“

„Das war sie tatsächlich nicht.“

„Ich hoffe, ich habe damit keinen Unannehmlichkeiten losgetreten.“, beschämt sah sie zur Seite. Wieso musste Bellec ihr auch erzählen, dass Charles einen Sohn hatte, obwohl er offenbar wusste, dass es ihm nicht Recht war, dass andere davon erfuhren. Und wieso um alles in der Welt, musste ausgerechnet sie sich jetzt schlecht und schuldig für etwas fühlen, von dem sie eigentlich gar keine Ahnung hatte?

„Fürwahr ist es eigentlich ein Geheimnis zwischen Pierre und mir. Aber die Tatsache, dass er Euch davon erzählt hat, lässt mich vermuten, dass er Euch so großes Vertrauen entgegenbringt, dass er Euch sogar von unseren engsten Geheimnissen erzählt.“

Renée wusste nicht, worüber sie sich als erstes beschweren sollte. Charles' höflicher Umgangston oder über die Aussage, Bellec würde ihr vertrauen. Der Kerl war die Pest und für ihn war sie die Pest. Daran änderte sich nach wie vor nichts. Jedenfalls war sie nun verwirrter als vorher und die Tatsache, dass er plötzlich weiter aus dem Nähkästchen plauderte, machte es nicht besser.

„Er war krank.“, fuhr Charles dann bedrückt fort. „Hohes Fieber; drei Tage lang.“

Renée hatte den sonst so positiven Charles noch nie so antriebslos gesehen.

„Aber nun geht es ihm doch hoffentlich wieder besser“, wollte sie in Erfahrung bringen.

„Glücklicherweise. Aber es ist nicht so einfach, sein Kind großzuziehen und dabei sicher zu stellen, dass es von der Bruderschaft ferngehalten wird. Ich möchte nicht, dass er da mit reingezogen wird. Wenn er alt genug ist, werde ich ihm davon erzählen, aber nicht jetzt.“

Renée erinnerte sich an ihren eigenen Vater. Sie wusste schon früh, dass er einem Orden namens „Assassinen“ beigetreten war und genoss als kleines Mädchen, wenn er ihr Geschichten aus seinem Alltag erzählte. Doch nie war ihr bewusst gewesen, welch eine Bürde das eigentlich für ihn sein musste.

„Mein Vater war auch Assassine. Ich glaube ich fange an zu begreifen, was du damit meinst.“

„Er war ein guter Mann.“, wandte Charles überraschend ein.

Renée blickte verdutzt auf. „Du kanntest ihn?“

„Ich bin ihm hin und wieder im Sanktuarium über dem Weg gelaufen. Er war kurz davor, Meisterassassine zu werden und ich war gerade mal ein frischgebackener Novize. Er war in Gesellschaft andere Leute.“

„Achso“, kam es ihr dann enttäuscht über die Lippen.

Für einen kurzen Moment schwiegen sie sich an. Dann war es Charles, dem etwas auf der Seele brannte.

„Sag mal...“ 

Er hielt Inne, unsicher, ob er seine Frage stellen sollte, als ihn plötzlich eine Welle der Sehnsucht überkam.

„Würdest du jemanden, den du liebst verlassen, wenn es einen Grund dafür gäbe?“

Bekümmert waren seine Augen. Renée schien allmählich zu begreifen, was Charles bedrückte.

„Hmm... wenn der Grund das Leben anderer beeinflussen und zum positiven wenden kann, vielleicht ist es dann notwendig, dass Wege sich spalten. Ich weiß es nicht...“

„Ich verstehe.“

Renée legte ihrem niedergeschlagenen Freund die Hand tröstend auf den Rücken. 

„Hab keine Angst“, sagte sie dann, „bei mir ist dein Geheimnis sicher. Im Gegensatz zu anderen Personen verstehe ich es, wenn mir jemand etwas als top secret anvertraut und behalte es für mich", kicherte sie.

Charles lächelte voller Wehmut. Er wusste, er konnte ihr vertrauen. „Daran habe ich keinen Zweifel, Mademoiselle.“

„Renée“, korrigierte sie ihn.

„Ich werde daran üben.“

„Ich will euch ja nur ungern bei dem stören, was ihr da gerade treibt, aber es gibt Arbeit.“

Geschlagene drei Stunden ließ Bellec seine Schüler auf sich warten. Renée zuckte kurzzeitig zusammen, als ihr Lehrer plötzlich mit einem großen Satz durch das Fenster hinein in den Trainingsraum sprang und ihr Gespräch mit Charles abrupt beendete.

„Du bist echt spät“, bäumte sie sich auf.

„Und du bist ganz schön vorlaut.“ , konterte er.

„Mein Freund, möchtest du uns verraten, ob es einen Grund für deine Abwesenheit gab?“, wandte Charles ein.

„Ratsbesprechung. Mirabeau war heute wieder besonders gesprächig“, erklärte Bellec. 

Dieser gesellte sich zu seinen Schülern und holte eine Karte aus seiner Manteltasche hervor.

„Sind das etwa....?“, murmelte Renée, als sie einen Blick auf die Karte warf. Sie sah nicht aus, wie normale Landkarten, doch die Umrisse schienen ihr nicht fremd.

„Es sind die Katakomben, ganz richtig. Heute geht es tief unter die Erde. Zwischen dem Pantheon und dem Observatorium scheinen sich ein paar Templeridioten aufzuhalten. Einer unserer Männer wurde vor ein paar Tagen überfallen und verschleppt. Heute Morgen haben wir den ausschlaggebenden Hinweis auf den Aufenthaltsort bekommen und sollten uns besser schleunigst auf den Weg machen. Wenn sie ihn foltern, plappert er vielleicht.“

„Sind das deine einzigen Sorgen? Was ist, wenn sie ihm etwas antun?“, wandte Renée entsetzt ein.

„Damit musst du rechnen, wenn du dich dazu entscheidest, Assassine zu werden.“, antwortete Bellec kalt. „Aber keine Sorge“, fuhr er fort, „Quemar hat sich persönlich dafür stark gemacht, dass du bei der Mission dabei sein wirst. Du kannst unseren Kameraden also eigenhändig da raus holen.“

Ehe Renée sich weiter dazu äußern konnte, schaltete sich Charles ein.

„Wir sollten wohl besser keine Zeit verlieren und dafür sorgen, dass es nicht so weit kommt.“

„Gut mitgedacht, Pisspott. 

Geht zum Sanktuarium und füllt eure Waffenvorräte auf. Öllampen wären auch von Vorteil. Das Ganze kann einige Zeit in Anspruch nehmen, also deckt euch gut ein. 

Ich sehe euch dann in dreißig Minuten am Pantheon.“ 
 

****
 

Renée war noch nie in den Katakomben unterwegs. Ihr Vater erzählte manchhmal davon, doch sie wusste nicht, was sie dort erwarten würde. Gespannt ging sie Bellec und Charles auf der steinernen Treppe in die Dunkelheit nach. Das erste, was ihr ins Auge sprang, waren Totenschädel die überall platziert waren - an den Wänden, zu ihren Füßen - Totenschädel, so weit das Auge reichte.  Obwohl es sie interessierte, woher sie kamen, wollte sie es besser nicht in Erfahrung bringen. 

Nun, da das letzte Fünkchen Tageslicht im Schatten der Katakomben verschwand, ließ sie ihre Öllampe den Weg erhellen. Den beiden Männern schien das einzelne Licht ihrer Lampe auszureichen, sie zündeten ihre eigenen nicht. 

Sie gingen eine Weile durch den Tunnel und hielten die Augen offen.

„Wäre es nicht besser gewesen, hätten wir uns aufgeteilt?", wunderte sich Renée dann. 

„Im Prinzip wäre es das. Nur ist das hier wohl der falsche Ort dafür. Die Karte ist nicht ganz vollständig."

„Aber hast du nicht gesagt, die Katakomben enden am Observatorium?"

„Einer der Ausgänge liegt dort, das ist richtig. Aber es gibt weitere, die nicht auf der Karte verzeichnet sind. Stell es dir wie ein Labyrinth vor, wenn du einmal falsch abbiegst, kannst du ganz wo anders landen."

„Ich verstehe.", sah sie dann ein.

„Und wir wollen ja nicht, dass dich die Geister der Totenschädel heimsuchen, was Püppchen?"

„Machst du dich lustig?", grummelte sie dann.

„Das würde ich nie tun."

Vollidiot, dachte sie. Dann gingen sie weiter, eine Zeit lang sprachen sie kein Wort. Renée setzt ihre Schritte mit Bedacht voraus, die beiden Männer hingegen, liefen weiter, ohne sich große Gedanken zu machen. Offenbar waren sie nicht das erste Mal in den Katakomben zu Gange. Und auch, wenn das eigentlich bedeuten sollte, dass sie sich sicher fühlen konnte, war ihr ganz unwohl hier unten. Sie präferierte das Tageslicht und den Himmel über ihr - nicht Gestein. Außerdem schien ihr die Luft ganz stickig. Lange wollte sie nicht hier verweilen.

Immer, wenn die drei an eine Weggabelung kamen, holte Bellec seine Karte hervor, die Renée mit ihrer Öllampe erhellte. Bevor er den beiden Novizen mitteilte, welcher Weg der richtige war, versank er für einen kurzen Moment in seinen Gedanken und wägte alle Möglichkeiten genaustes ab. Wenn er allein unterwegs wäre, würde er vollkommen anders an die Mission herangehen. Doch es lag ihm fern, seine Schüler in Schwierigkeiten zu bringen und so nahm er sich die Zeit für Kalkulationen. Er wusste, dass sie derzeit sicher waren. Kein Templer war in Sicht, das musste jedoch ebenfalls bedeuten, dass ihr Ziel noch in weiter Ferne lag. Er sah in die erschöpften Gesichter seiner beiden Begleiter und ließ sich auf eine kurze Pause ein. Aus einem Stück Holz, das herumlag, machte er kurzerhand eine Fackel, die ihnen die Ecke, in der sie sich niederließen, erhellen sollte, damit sie das Öl ihrer Lampen aufsparen konnten.

Renée war nicht wohl bei dem Gedanken, mitten unter der Erde Halt zu machen, doch es war von Nöten. Sie hatte den ganzen Tag über noch nichts gegessen und ließ sich für einen Moment auf einem Stein nieder. 

„Hast du Hunger, Charles?"

„Ich würde jetzt viel für etwas zu Essen geben", antwortete er erschöpft.

Renée kramte in ihrer Tasche, holte ein paar Stücke Brot hervor und reichte ihrem Freund eines herüber.

„Bitteschön", grinste sie.

„Du bist ja bestens vorbereitet.", lächelte er und nahm das Brot dankend an.

„Das Brot habe ich kurz vor Aufbruch schnell auf dem Markt um die Ecke besorgt. Wenn ich gewusst hätte, dass wir heute so eine Strecke laufen, hätte ich am Morgen etwas Besseres zubereitet.", erklärte sie. 

Dann hielt sie ein weiteres Stück Brot in die Richtung von Bellec und fragte ihn, ob er nicht auch etwas davon haben möchte.

Doch Bellec brummte. "Wir sind doch nicht zum Picknick hier."

„Gut - dann esse ich es eben selbst", antwortete Renée dann trotzig.

Unerwartet knurrte Bellecs Magen und er verdrehte die Augen. Dann hielt er die Hand auf. „Gib schon her. Musst schließlich auf deine Linie achten, Püppchen."

„Natürlich", grinste sie dann schadenfroh. „Darf ich mir mal die Karte ansehen?", fügte sie hinzu.

An seinem Brot knabbernd, reichte Bellec ihr stumm die Karte. Wenn er ehrlich war, hatte er fürchterlichen Hunger. Die ganze Nacht über hielt er sich im Waffenarsenal der Bruderschaft auf, um eine passende Waffe für seine Schülerin zu finden und gleich danach strapazierte auch noch der Rat seine Nerven. Und nun war er hier, in den Katakomben und alles, was er zwischen die Zähne bekam, war ein Stück Brot. Fast schon ein bisschen nostalgisch, dachte er. Seine Zeit bei der Miliz in Neufrankreich sah ähnlich aus. Auf dem Schlachtfeld im Dreck gab es häufig nicht mehr als Brot und irgendeinen scheußlichen Schleim. Alles, an das man sich in der Dunkelheit klammerte, war das Leben. Und genau vor jenem Leben floh er damals, doch nun saß er wieder hier, im Dreck mit einem Stück Brot in der Hand. Er fühlte sich verdammt, vielleicht war dieser Kreislauf sein Schicksal. 

„Das ist ja interessant", stieß Renée nachdenklich aus. Doch in Gedanken versunken hörte Bellec ihr nicht zu. Viel mehr hämmerten Kanonenkugeln durch seine Gedanken und rissen die Siedlungen nieder, an die er sich allmählich erinnerte. 

„Hallo?", bat Renée um seine Aufmerksamkeit, doch bekam sie nicht.

Aus dem Augenwinkel sah Bellec die Flamme seiner Fackel und hörte die Schreie der Menschen, deren Leben im Feuer verendeten. 

„Pierre?"

Noch immer erhielt sei keine Antwort. 

Seine leeren Augen starrten wortlos auf die Flamme. Renée trat vor ihn und fühlte mit ihrer Hand seine Stirn.

„Also Fieber hast du keines.", riss sie ihn schlussendlich aus seinen Gedanken.

„Bist du blöd? Kann man hier nicht mal in Ruhe essen?", fauchte er und streifte ihre Hand abweisend von seiner Stirn.

„Ja ja, hier schau mal.", begann Renée dann und zeigte auf die Karte. „Wir sind hier. Das Pantheon da drüben und dort hinten sollte eigentlich das Observatorium liegen."

„Und weiter?", wandte Bellec ein.

„Siehst du den dunklen Fleck dort drüben - südlich des Observatoriums? Könnte eine Kammer sein. Für wie wahrscheinlich hältst du es, dass die Templer dort sind?" 

„Sehr wahrscheinlich."

„Dann müssten wir eine andere Route nehmen, um dort hin zu gelangen." Fügte Charles hinzu.

„Richtig. Allerdings hätte euch das direkt zu Beginn der Mission auffallen müssen. Wärt ihr allein auf euch gestellt, wärt ihr vielleicht längst geschnappt worden."

„Das war ein Test?" Überrascht sah Charles auf.

„War es. Ihr übt besser das Kartenlesen nochmal genauer." 

Charles und Renée sahen sich überrascht an. Sie hatten sich beide zu sehr auf ihren Mentor verlassen, ohne die Situation selbst richtig abzuschätzen. In einem Ernstfall, wäre das vielleicht fatal gewesen.

„Nun lasst uns weitergehen. In einem Kilometer kommt eine neue Weggabelung. Diesmal entscheidet ihr, welchen Weg wir nehmen." Forderte Bellec die beiden auf.

Sie erhoben sich uns setzten ihren Weg fort.
 

„Nun - Rechts oder Links?"

Ratlos sahen die Novizen auf die Karte. Bellec hielt sich diesmal gänzlich raus und ließ seine beiden Schüler die Entscheidung tragen. Sie mussten eigene Entscheidungen fällen und mit den Konsequenzen ihrer Wahl zu leben lernen. Deshalb würde er sich nicht einschalten, selbst wenn sie den falschen Weg wählen würden. Doch er hoffte insgeheim, sie würden sich für den rechten Weg entscheiden, wenngleich der linke der richtige war. Doch das Holz, das den linken Gang offen hielt, war so marode, dass er glaubte, es könnte mit nur einem Luftstoß in sich zusammenfallen.

„Was hällst du von links?", schlug Renée vor und Charles willigte ein. Er schien noch ratloser als Renée und war sichtlich erleichtert, dass sie die Entscheidung zu Tage brachte. 

„Gut, gehen wir nach links", sprach er dann und ging voran. Er steckte die Karte wieder ein. Bellec unterdrückte sein Seuftzen.

Renées Lampenlicht war längst verbraucht und so holte Charles seine Öllampe hervor und erhellte den Tunnel. Bellec seufzte nun doch. Seine Augen hielt er stets auf die Holzlatten gerichtet. Er würde die beiden tadeln - nicht jetzt, aber später. Diesmal lasen sie die Karte richtig, doch verloren ihre Umgebung gänzlich aus den Augen. Sie bemerkten die Gefahr nicht. 

Charles passierte den Torbogen zu erst und Renée wollte es ihm gleichtun. Unachtsam trat sie auf einen Schädel und verlor unerwartet das Gleichgewicht. Haltsuchend klammerte sie sich an eine der Holzstützen, die den Torbogen offen hielt und ahnte nicht, was sie damit auslöste. Mit einem lauten Krachen, brach die marode Holzstütze und ließ Gestein hinabfallen. Eine Wand aus Staub wirbelte auf, sie sah nichts mehr und das Atmen fiel ihr schwer. Bellec zog Renée nach hinten, weg von dem Eingang und sie ging erschrocken zu Boden. Beinahe hätten sie die Steine getroffen. Charles sprang reflexartig in den Tunnel hinein verschwand hinter einer Mauer aus Geröll. Als sie endlich wieder etwas sehen konnte, erblickte sie das Chaos. 

„Charles!", stieß sie besorgt aus, als sie ihn nirgends erblickte. „Wo bist du?"

„Alles in Ordnung, Pisspott?" Bellec lief zu dem eingestürzten Torbogen.

„Alles noch dran. Die Frage ist nur, wie ich hier wieder rauskomme.", ertönte es schwach von der anderen Seite. 

Renée atmete erleichtert auf.

„Lass bloß die Finger von dem Geröll. Damit schaufelst du dir dein eigenes Grab.", bemerkte Bellec.

„Das dachte ich mir fast", seufzte der Novize.

„Lies die Karte und warte vor der Kammer auf uns. Renée und ich nehmen einen anderen Weg.", forderte Bellec ihn auf.

Charles willigte ein, doch Bellec betonte ausdrücklich, dass er sich den Templern keinesfalls allein stellen dürfe.

Renée war nicht ganz klar, wie sie und Bellec ohne die Karte den richtigen Weg finden sollten. Vielleicht war das auch wieder ein Test. Vielleicht wollte Bellec sehen, wie gut sie sich die Karte eingeprägt hatte, doch jedes Fünkchen Erinnerung daran war längst verblasst.

Charles machte sich auf den Weg. Bellec und Renée nahmen die andere Route und liefen drauf los.

„Hör mal, ich habe keine Ahnung, wo es lang geht.", betonte sie ausdrücklich.

„Weiß ich. Komm.", antwortete Bellec und holte seine Öllampe hervor. Damit erhellte er den ganzen Gang und sie liefen schweigsam nebeneinander her. 
 

Einige Stunden verstrichen und Renée fühlte langsam, wie sie die Kräfte verließen. Ob sie wirklich in die richtige Richtung liefen? Es kam ihr alles so lang vor. Würde man an der Oberfläche vom Pantheon zum Observatorium laufen, würde man bestimmt nicht so lang brauchen. Renée gefiel das gar nicht und sie ahnte bereits, dass auch Bellec keinen Schimmer hatte, wo sie waren. 

„Laufen wir wirklich noch zum Observatorium?"

„Wohl eher nicht", antwortete er dann knapp.

„Hast du eine Idee, wo wir hier rauskommen?"

„Du stellst zu viele Fragen."

„Und du gibst nutzlose Antworten."

Auch Bellec wurde müde. Auch wenn er lange Fußmärsche bei der Miliz gewohnt war, die schlaflose Nacht zuvor zeichnete Spuren. Allerdings wusste er, dass sie hier keine Pause einlegen konnten. Das letzte Bisschen Öl seiner Lampe würde bald verbraucht sein und dann säßen sie mitten in den Katakomben ohne Licht. Die Situation könnte nicht unvorteilhafter sein. Also liefen sie weiter und hofften, bald einen Ausgang zu finden. 

„Mir knurrt der Magen.", stöhnte Renée.

„Du hast doch eben erst etwas gegessen."

„Das war vor Stunden!" Plädierte sie dann verständnissuchend.

„Du bist verdammt anstrengend. Beim Militär wärst du längst-"

„Ich bin aber nicht bei Militär", wandte sie dann genervt ein. „Das habe ich dir doch schonmal gesagt."

Bellec antwortete nicht. Etwas anderes erregte plötzlich seine Aufmerksamkeit. Er glaubte, ein Licht sehen zu können - einen Ausgang. Je näher sie dem Licht kamen, desto kühler wurde es. 

„Endlich können wir raus, aus diesem Scheißloch", stieß er seufzend aus.

„Ist das der Ausgang?"

„Was glaubst du, könnte es sonst sein?"

Renée rollte die Augen und konzentrierte sich dann nur noch auf den Ausgang. Ihre Schritte wurden zunehmend schneller, je näher sie kamen. Sie wollte endlich raus aus diesem stickigen Tunnel und nach Charles suchen. Sie hatte ein schlechtes Gewissen. Schließlich musste er nun wegen ihrer Dummheit allein durch die Katakomben wandern. 

Bellec und Renée passierten einen Torbogen, der sie zurück an die frische Luft brachte, doch letztere schien sichtlich überrascht, als der blaue Himmel längst im Schatten der Nacht versank. 

„Wir sind heute Mittag gestartet - waren wir wirklich so viele Stunden unterwegs?"

„Dass du kein Zeitgefühl hast, haben wir ja schon an deinem ersten Tag festgestellt.", gab Bellec wieder. „Aber du hast gut durchgehalten, alle Achtung."

Renée nahm dieses Lob überhaupt nicht ernst. Sie glaubte, er würde nur wieder Streit suchen. Stattdessen sah sie sich um. Doch mehr als Sträucher und Bäume konnte sie nicht erblicken. Kein Fünkchen Licht - nur die schwarze Nacht und die leuchtenden Sterne, die hinter einer Wolkenwand verschwanden. Sie hatte keine Vorstellung, wo sie sich befanden.

„Nun, wo genau sind wir?"

„Du solltest deine Umgebung besser studieren, Püppchen. Dreh dich mal um und mach die Augen auf", tadelte Bellec.

Als Renée sich umdrehte, wurde ihr plötzlich klar, warum ihre Reise so lange dauerte.

„Die Stadtmauer von Paris. Hab ich nicht gesagt, die Katakomben gleichen einem Labyrinth?", erklärte Bellec dann.

„Und du hast mit keinem Wort übertrieben", stellte sie überrascht fest. Es kam nicht oft vor, dass sie ihrem Lehrer Recht gab und sie wünschte, es wäre anders, doch sie waren wirklich außerhalb von Paris.

„Du solltest es dir bequem machen. Hast hoffentlich kein Problem damit, im Freien zu schlafen."

„Wie meinst du das? Suchen wir nicht nach Charles und den Templern?"

„Habe ich dir nicht eben gesagt, du solltest deine Umgebung besser studieren?"

„Hast du Angst vor ein bisschen Natur?"

„Denk doch mal nach. Hier gibt es nichts, was darauf hin deutet, dass wir uns in der Nähe eines Stadttores befinden. Selbst wenn wir auch nur den Hauch einer Idee hätten, welcher Bezirk sich hinter dieser Mauer befindet, wüssten wir immer noch nicht, ob wir auf- oder abwärts laufen sollten, um zu einem Tor zu gelangen. Und wenn es ganz blöd läuft, sind wir länger als in den Katakomben unterwegs. Und sag mir, wie viel Kraft hättest du dann noch, um unseren Assassinen aus den Templerhänden zu befreien? Und außerdem", Bellec hielt seine Öllampe hoch, die jeden Moment zu erlöschen drohte, „sitzen wir in wenigen Augenblicken im Dunkeln." 

Night

Die Mission hätte schlimmer nicht laufen können, dachte Renée.

Erst liefen sie in die falsche Richtung, dann wurde Charles von ihnen getrennt und nun sitzten sie außerhalb der Stadtmauern im Dunklen, ohne zu ahnen, wo sie sich befanden. Und wäre der Schein des Mondes nicht, könnte die junge Assassine wohl die Hand vor Augen nicht erkennen.

Bellec lehnte sich schweigend an die Mauer und verschränkte in Gedanken versunken die Arme. Das Licht seiner Lampe erlosch vor einiger Zeit und seitdem wechselten die beiden kein Wort mehr miteinander. Seine Schülerin tat es ihm gleich. Die Nacht war kalt, doch der Wind erschien Renée außerhalb der Stadt viel frischer und gesünder. Aber ganz gleich, für wie angenehm er ihr erschien, nichts wünschte sie sich gerade sehnlicher, als ein Feuer, an dem sie sich wärmen konnte. Denn sie wusste, je weiter die Nacht voranschreitet, desto kühler wird es. Und heute sollte es für den siebten Monat des Jahres eine ganz besonders kühle Nacht werden, denn der Boden wurde bereits feucht und am Horizont, so glaubte sie, konnte sie Nebel sehen, der sich allmählich leise und verheißungsvoll über die weiten Wiesen legte.

„Du solltest reingehen und dich schlafen legen", murrte Bellec, für seine Verhältnisse ruhig.

Renée blickte überrascht auf „In die Katakomben? Keine zehn Pferde bringen mich da rein. Und schon gar nicht mitten in der Nacht und ganz allein."

„Wenn ich dich daran erinnern darf, die Mission läuft nicht besonders gut. Wenn du dich hier noch erkältest, macht es die Situation nicht leichter."

„Und was ist mit dir? Bist du etwa zu männlich, um dich zu erkälten?"

„Ich schiebe Wache."

„Wovor denn? Ein paar Füchsen? Sollen sie doch kommen, dann kann ich mir aus ihren Fellen eine warme Decke machen."

Renée bibberte. Ihre Vorhersage über das Wetter schien leider wahr zu werden. Sie schlang ihre Hände um ihren Körper und warf einen vorsichtigen Blick zum Eingang der Katakomben. Dort drinnen war es sicher wärmer als hier. Die Kälte des Windes würde sie bestimmt nicht erreichen, würde sie dort sein.

Bellec blieb stumm und Renée ahnte schon, dass ihr Meister nicht in Stimmung war, zu streiten. „Na gut", gab sie schließlich einsichtig von sich, „du hast Recht. Ich gehe besser rein. Versprich mir nur bitte, dass du mich rächst, falls die Geister der Toten mich holen kommen.", scherzte sie.

„Wenn ich mir den Arsch schon abfriere, lass mir wenigstens den Rest Wein hier", murrte Bellec.

„Ich hab dir doch heute Mittag schon gesagt, dass ich keinen Alkohol bei mir habe." Dann kramte sie in ihrer Tasche

„Du kannst das letzte Stück Brot haben, ich kriege jetzt ohnehin nichts runter", sagte sie, doch ehe sie ihm das Stück reichen konnte, lehnte er bereits ab. Renée sah ihren Meister stumm an und wandte sich dann ab. Sie war zu müde und beschloss nachzugeben. Der Mond erhellte die wenigen Stufen des Eingangs, die sie vorsichtig hinabging. Sie wollte nur so weit in die Katakomben gehen, wie es nötig war. Aufmerksam tastete sie sich voran, bis sie schließlich am Stufenende ankam. Ihr Herz pochte wie wild, alles war in Schwarz gehüllt. Hier sollte sie schlafen? Sicher war sie sich da noch nicht. Und doch merkte sie, wie sie die Kälte allmählich verließ und ihr warm wurde. An einem ebenen Plätzchen ließ sie sich nieder. Ihre Lanze drückte sie fest an sich, immer bereit für einen Angriff, obwohl ihr klar war, dass keine Menschenseele hier vorbeikommen würde. Kampfbereit blieb sie in der Dunkelheit sitzen und Stunden verstrichen.
 

Der Wind pfiff ihm ganz schön um die Ohren und sein Umhang wirbelte umher. Bellec sah nervös dem Nebel beim Aufsteigen zu. Wenn der Mond hinter einer Wolkendecke hervorkam und direkt darauf schien, sah es aus, als würde der Nebel tanzen. Doch für Bellec war es kein Nebel, der seinen stillen Schleier ausbreitete, für ihn war es ein Feuer, das zornig sein Kleid über die Welt legte und drohte, immer näher zu kommen. In seinem Kopf verdrängte er das hilflose Geschrei. Je leidenschaftlicher das Feuer tanzte, desto lauter wurden die Hilfereufe. Immer wieder redete er sich ein, dass es nur Einbildung sei, dass seine Augen ihn täuschten und doch hörte er Schreie, die im Feuer verendete. Er zwang sich, den Blick von den Flammen abzuwenden, doch er fürchtete, sie würden kommen und auch ihn verschlingen, so wie damals und so wie jede Nacht. Reflexartig fuhr seine Hand nach Rechts, in der Hoffnung, er würde nach einer Flasche greifen können, doch da war nichts. Kein Alkohol, der ihn erlösen konnte. Nicht dieses Mal. Er ließ sich verdutzt die Wand hinunter auf den Boden gleiten und seine Augen fuhren nervös herum. Seine Finger krallten sich in die klamme Wiese. Er atmete schnell und eine Hitze schien ihn von Innen zu verschlingen. Schweißperlen nässten sein Gesicht in Windeseile. Wenn er nur ein Tröpfchen Alkohol hätte, könnte er alldem standhalten, das wusste er. Doch er hatte keinen und der neue Tag würde noch lange nicht anbrechen.
 

Renée war noch immer hellwach. Sie gab die Hoffnung einzuschlafen längst auf. Viel zu furchteinflößend waren die Katakomben und der Boden einfach zu hart.

„Mich hier reinzuverfrachten, war die dämlichste Idee, die dieser Kerl je hatte", fluchte sie und stand genervt auf. Sie klopfte sich den Dreck von ihrer Kleidung und ging vorsichtigen Schrittes zurück zum Treppenaufgang. Unerwartet hörte sie den unruhigen Atem jemandes. Erschrocken sah sie sich um, sie konnte nicht sagen, aus welcher Richtung er kam. Langsam ging sie weiter, der frische Wind begrüßte sie mit einem kühlen Pfeiffen und ein Schauer durchfuhr sie. Einen Moment lang dachte sie darüber nach, vielleicht doch wieder zurück in die Katakomben zu gehen, doch plötzlich hatte etwas ganz anderes Renées Aufmerksamkeit. Sie linste behutsam hinter der Mauer hervor und dann wurde ihr klar, der unruhige Atem gehörte Bellec, der zusammengekauert auf dem Boden saß. Sie wusste sofort, dass etwas nicht stimmte. Vorsichtig näherte sie sich ihm. Er schien sie gar nicht zu bemerken. Sie kniete sich neben ihn und legte ihm ihre Hand auf die Schulter. Bellec schreckte auf, riss sie über seine Schulter, warf sie zu Boden und ließ seine Versteckte Klinge an ihre Kehle sausen. Bevor ihm das Mondlicht verirrt, dass sie kein Feind war, stoppte er den Angriff. Renée realisierte nur sehr langsam, was gerade passiert war. Ihr stockte der Atem und ihre großen Augen sahen panisch drein. Bellec ließ erschöpft seine Klinge verschwinden und ließ sich zurück gegen die Mauer fallen. Seine Augen waren gläsern und verwirrt. Die beiden sagten kein Wort. Renée richtete sich langsam wieder auf. Ihr Rücken schmerzte und in ihrem Oberarm fühlte sie noch immer seine mörderischen Krallen, die sich verschwitzt in ihr Fleisch gebohrt hatten und das erste Mal glaubte sie zu verstehen, was Assassinen wirklich waren: Killer.

„Hab ich dir was getan?", brach Bellec dann mit zerbrechlicher Stimme hervor, zu verwirrt um sie anzusehen.

„Es geht mir gut." Es ging ihr überhaupt nicht gut.

„Wieso bist du hier? Du sollst doch drinnen schlafen."

Sie setzt sich zu ihm an die Mauer „Ich hab mich gefürchtet."

„Es ist kalt hier oben. Geh."

Renée hörte nicht auf ihn, sie blieb stumm und glaubte, das Rasen seines Herzens vernehmen zu können. Seinen Kopf ließ er schmerzerfüllt nach unten fallen. Sein Haar und seine Kleider waren verschwitzt und durchnässt. Wenn er noch länger hier oben in der Kälte sitzen würde, wäre er derjenige, der sich erkältet, nicht sie.

„Komm mit mir nach drinnen, dort ist es warm", flüsterte sie ihm leise zu.

„Geh einfach", gab er forsch zurück.

Renée verstand, dass es kein guter Zeitpunkt für große Diskussionen war. Sie hatte ihn noch nie so aufgebracht gesehen und wusste nicht, was sie tun sollte. Sie stand auf und lief schweigend zurück in die Katakomben. Wissend, dass ihr ganzer Körper schmerzte. Sie taumelte die Stufen hinab und ließ sich nieder. Nur wenige Augenblicke später schlief sie ein.
 

Wenig später brannte das Feuer aus - der Nebel verzog sich allmählich und im Osten dieser Welt ging irgendwo die Sonne auf, die mit ihrem schwachen Licht die Nacht zu verdrängen schien. Endlich, dachte er erleichtert. Viele Jahre war es schon her, seit ihn die Nacht in solch eine Angst versetzte. Die Nacht war sein schlimmster Feind, das Einzige auf dieser Welt, dass ihn in die Knie zwingen konnte. Doch nun verlischt sie und mit ihr auch seine Angst. Er konnte sich kaum noch daran erinnern, wann er sich das letzte Mal so verlor. Er erhob sich und lief leise die Treppen der Katakomben hinab. Renée schlief friedlich. Nur der zerrissene Ärmel ihrer Montur erinnerte daran, dass ihre Nacht nicht so friedlich war, wie es den Anschein hatte. Bellec kniete sich neben die junge Frau und sah in ihr unschuldiges Gesicht. Er versuchte die Wut in seinem Bauch zu unterdrücken. Niemand sollte ihn jemals in seiner schwächsten Stunde sehen. Er war zu stolz, als dass er sich eingestehen könnte, von Ängsten in der Nacht heimgesucht zu werde - von Erinnerungen. Und nun war da seine Schülerin, die auf ihn hinabsah, als er schwach war. Es demütigte ihn bis auf die Knochen.

Bellec erhob sich wieder und ging zurück nach draußen. Das Sonnenlicht wurde allmählich heller und zunehmend erkannte er seine Umgebung. Die Mauer war sehr hoch, doch das hinderte ihn nicht daran, sich an ihren kalten Steinen hinauf zu hangeln. Oben angekommen blickte er suchend in die Ferne. Aber nichts Bekanntes konnte seinen Blick erhaschen. Er wusste nicht, wo sie waren und so konnte er keinen neuen Plan schmieden. Sie mussten also wieder durch die Katakomben stapfen und sich einen Weg zu Charles suchen. Bellec wusste, dass das ohne den Schein einer Öllampe schier unmöglich war. Lange lief er über die schmale Mauer Richtung Osten. Weiter und Weiter, bis er irgendwann einen Steinbruch entdeckte, unter dem er einen weiteren Eingang zu den Katakomben vermutete. „Geht doch", dachte er und machte sich auf den Rückweg.
 

Renée lief nervös auf und ab. Sie hatte Bellec seit letzter Nacht nicht mehr gesehen und nun war er verschwunden. Seit einer Stunde wartete sie in der Morgensonne und erblickte ihn nirgends. Sie fasste sich nachdenklich an den zerrissenen Ärmel und erinnerte sich an seine verwirrten Augen. Vielleicht ging er letzte Nacht allein los. Sie wusste nicht, was sie von all dem halten sollte. Er hätte ihr fast die Kehle durchgeschnitten. Sie hätte tot sein können. Ob er wohl Fieberträume hatte? Doch Renée wusste, dass es Bellec am Mittag noch gut ging und eine Krankheit nicht so schnell ausbrechen würde. Es musste etwas anderes sein, dass ihn letzte Nacht so verdutzte. Sie begann sich Sorgen zu machen. Nicht nur um ihn, sondern auch um sich selbst. Wo sollte sie allein hingehen? Sie würde in ein paar Tagen verhungern, wenn sie sich ziellos auf den Weg machen würde. Es blieb ihr also nichts anderes übrig, als geduldig zu warten und zu hoffen, dass Bellec wiederkommen würde. Geduld war nie Renées Stärke, also schnappte sie sich ihre Lanze und beschloss, mit morgendlichem Tatendrang ihre Kampfkünste zu schulen.
 

Bellec kam zurück an den Ausgangspunkt und sah Renée üben. Er ging in die Hocke und hoffte, sie würde ihn nicht so schnell entdecken. Ganz genau sah er ihren Bewegungen zu. Jeden noch so kleinen Fehler wünschte er zu korrigieren und doch wäre er am Liebsten gar nicht zurückgekommen, wäre am Liebsten ohne sie weitergezogen und hätte einen anderen Assassinen nach Beendigung der Mission losgeschickt, um sie wieder einzusammeln. Er war im Stolz gekränkt, doch er war professionell genug um zu wissen, dass ihn diese Gefühle nicht an der Ausführung der Mission hindern durften. Trotzig kletterte er die Mauer hinunter bis zur Mitte und sprang dann auf Samtpfoten landend auf die Wiese ab. Renée bemerkte ihn und fuhr um, doch ehe sie etwas sagen konnte, nahm er ihr die Waffe aus der Hand und demonstrierte ihr noch einmal, wie man diese zu führen hatte.

„Die Lanze steiler stechen, sonst spießt du damit nicht mal eine Kartoffel auf, Püppchen."

„Wo warst du?", fragte Renée entsetzt, ohne darauf zu achten, was Bellec ihr gerade übers Kämpfen erklärte.

Er warf ihr die Lanze locker zurück, „hast wohl gedachte, ich bin über alle Berge."

„Allerdi---", bäumte sie sich auf doch er unterbrach sie.

„Ich hab unser Ziel gefunden, eine Stunde östlich von hier. Setz dich in Bewegung, ich wäre gern am Nachmittag wieder zuhause."

Und schon kehrte er ihr den Rücken und lief nach Osten. Renée war überrumpelt und überfordert mit der Situation. Er verlor kein Sterbenswörtchen darüber, dass er sie letzte Nacht fast getötet hätte. Sie erwartete keine Entschuldigung, Klarheit würde ihr genügen. Doch da kannte sie ihren Lehrer besser. Er würde nicht zugeben, dass er einen Fehler gemacht hatte. Und sie würde nicht danach fragen. Er war sichtlich gereizt, alles was sie nun gebrauchen konnte, war ganz sicher keine Auseinandersetzung. Also holte sie schweigend zu ihm auf, auch wenn sie sich unwohl an seiner Seite fühlte. Sie waren nie gute Freunde. Doch diesmal war irgendetwas anders. Sie war verängstigt. Und in diesem Augenblick wünschte sie sich nicht sehnlicher, als Charles in ihrer Mitte zu wissen.



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  Blue_StormShad0w
2016-08-14T06:13:49+00:00 14.08.2016 08:13
Guten Morgen.
Ich habe gerade mal in Animexx geschaut und bei Assassin's Creed mal reingeschaut. Dann das Cover deiner FF mir angesehen und mir gedacht, mal rein zu gucken.
Und dabei habe ich mich gefragt, warum ich das nicht schon eher gemacht habe?
Dein Schreibstil ist echt klasse! Man konnte es sich alles Lebhaft vorstellen. Auch die Gedankengänge Bellec hast du wirklich gut rüber gebracht. Sein Charakter spiegelt sich echt gut in deiner Story wieder.
Interessant war auch, seine mögliche Vergangenheit in den Kollonien im Amerika, wo Shay, der ehemalige Assassine und letztenendes Templer und Assassinen-Jäger, die dortige Assassinen-Bruderschaft ausmerzte.
Ja, auch ich mochte Bellec ein weing, obwohl er letzten Endes Mirabeau ermordete und von Arno zur strecke gebracht wurde. Schon traurig das Ganze.
Jedoch was ich in diesen Text schon gelesen habe, ist es auch kein Wunder, dass er den Templern so wenig Vertrauen schenkte.
Ich bin mal gespannt, wie dieser Weg von Bellec weiter verlaufen wird, bis zu seinen letzten uns bekannten Atemzug. Vor allem aber bin ich auch neugierig, ob es auch eine Begegnung von Bellec und Shay geben wird. Immerhin wenn Arnos Vater Bellecs Schüler und Freund war, so kann ich nur vermuten, dass er Shay diese Tat nicht gestraft lassen wird. Zudem man ja auch nicht genau weiß, was am Ende von Rogue mit Shay passiert.
So, lese irgendwann hier mal weiter.
Bis dahin auf bald und ciao!
Antwort von:  MlleBellec
14.08.2016 17:47
Hey! Danke für deinen lieben Kommentar. Freue mich <3


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