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Through the Seasons

Angela x Jin ~ Deine Tierparade One-Shot-Sammlung
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Der Shot basiert lose auf dem Event mit dem Vogel, das es in-game wirklich gibt. Komplett anzeigen

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Frühling ~ Du wirst dich auch gut um ihn kümmern, oder?

Bevor Angela nach Kastagnette gekommen war, mit der Aussicht auf eine günstige eigene Farm, war sie bereits an vielen Orten gewesen. Jeder von ihnen war in gewisser Weise einzigartig gewesen, sei es wegen der Landschaft, dem Essen, den Festen oder natürlich den Einwohnern. Manche Orte waren auch Schnittmengen einzelner Qualitäten gewesen – aber noch keinem war es gelungen, wirklich alles zu vereinen, so wie es in Kastagnette geschah.

Die Landschaft bot atemberaubende Ausblicke, mit dem Meer auf der einen Seite und den Bergen mit ihrem wunderschönen weißen Gestein auf der anderen. Das Essen bestand zum größten Teil aus Fisch, was sich mit dem Ozean natürlich anbot, aber Colleen, Yolanda und Chase kochten die leckersten Fischgerichte, die sie jemals irgendwo gekostet hatte. Die Feste schafften es auf überragende Weise sämtliche Einwohner vom Kantaten-Viertel und den Flöten-Feldern zusammenzurufen, auf dass sie alle lernten, eine Gemeinschaft zu werden und sich auch gegenseitig so zu betrachten. Jeder der Einwohner war freundlich gewesen und hatte sie mit offenen Armen aufgenommen – und selbst die wenigen Ausnahmen, bei denen es nicht so gewesen war, hatten sich ihr bald geöffnet. Die einzigen Ausnahmen bildeten die Besitzer der Korallen-Klinik, aber sie war auch noch nicht oft genug dort gewesen, um das zu ändern. Immerhin hatte man als Bäuerin normalerweise immer gut zu tun.

An diesem Tag im Frühling nahm sie sich allerdings einmal die Zeit, auf dem Kirchplatz innezuhalten und die zart-rosa Blüten der umliegenden Kirschbäume zu betrachten. Es war ihr zweites Jahr in Kastagnette und damit war sie noch nicht so oft in den Genuss gekommen dass dieser langweilig werden könnte. Noch fühlte sie sich, als könne sie Stunden auf diesem Platz verbringen und nur beobachten, wie die Blüten zu Boden schneiten und dort einen wundervollen natürlichen Teppich bildeten. Gepaart mit den wärmenden Sonnenstrahlen und dem angenehmen warmen Windzug, fühlte sie sich wie in einem Paradies. Selbst der große weiße Pyrenäenhund, der auf dem Kirchplatz zu leben schien, bevorzugte es, zu schlafen, statt noch etwas zu machen.

Doch die wunderbare Ruhe endete abrupt, als Angela ein leises Zwitschern hörte. Es klang nicht wie das normale Lied eines Vogels, sondern mehr wie das Klagen eines Jungtiers.

Es gelang ihr nicht, dieses Leid zu ignorieren, also folgte sie dem Klang zu dem kleinen Friedhof an der Klippe hinab.Erst am Fuß der Treppe angekommen, löste Finn, ihr kleiner, persönlicher Erntewichtel, sich von ihrer Schulter, um einen genaueren Blick umherzuwerfen.

„Ich dachte, ich hätte hier etwas gehört“, kommentierte er dabei.

„Ich auch.“ Ihre Augen wanderten über die Grabsteine, die Bäume, das Gebüsch – und genau von dort erklang das klägliche Zwitschern noch einmal.

Angela kniete sich vor das Gebüsch, schob einige der Zweige beiseite und stieß ein leises Seufzen aus, als sie den Vogel entdeckte, der dort lag. Es war doch kein Jungtier, sondern bereits ein ausgewachsenes Tier mit dunkelblauen Federn. Sein linker Flügel stand von seinem Körper ab und schien gebrochen. Er blickte sie mit großen schwarzen Augen an, ein wenig ängstlich vielleicht, aber gleichzeitig wusste er auch selbst, dass er allein nichts tun konnte.

„Du armer kleiner Vogel“, sagte Angela sanft. „Kannst du nicht mehr fliegen?“

Finn schwebte um das Tier herum, dann setzte er sich wieder auf Angelas Schulter. „Wir sollten ihn in die Klinik bringen.“

Nach diesen Worten zog sie erst einmal die Augenbrauen zusammen. „Kümmern sich Irene und Jin überhaupt um Tiere?“

Bislang war sie davon ausgegangen, dass es eher Cains Spezialität war, immerhin war er doch der Besitzer der Horn-Ranch und von dort bekam sie auch stets Medizin, wenn eines ihrer Tiere krank wurde.

„Finden wir es heraus“, schlug Finn vor.

Sein Enthusiasmus ließ Angela ihre Vorbehalte vergessen. Da sie ihre Handschuhe bereits trug, hob sie den Vogel so vorsichtig wie möglich nach oben. Das Tier ließ es sich gefallen, aber sie spürte, wie heftig sein Herz schlug, weswegen sie sogleich beruhigend auf ihn einzusprechen begann.

Das setzte sie fort, nachdem sie sich aufgerichtet hatte und sie den kurzen Weg in die Klinik zurücklegen konnte. Jin stand bereits im Empfangsbereich, wie üblich trug er seinen makellos weißen Arztkittel, sein schwarzes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Er blickte mit strengem Gesicht auf sein Klemmbrett, während er mit einem Stift gleichzeitig etwas darauf schrieb.

„Ich habe gleich Zeit für dich“, bemerkte er dabei, ohne Angela anzusehen.

Sie wagte nicht, ihre Stimme zu erheben, immerhin war er der Arzt – und sie hatte normalerweise nicht sonderlich viel mit ihm zu tun. Auch der Vogel schwieg, als spüre er die angespannte Atmosphäre und wisse genau, was es zu bedeuten habe.

Schließlich beendete Jin die Notizen, hob den Blick und sah Angela an. Durch seine Brille wirkte er stets noch um einiges strenger und unnahbarer als ohnehin schon. Sie musste erst schlucken und dann tief durchatmen, um ihr wild schlagendes Herz wieder zu beruhigen.

„Ich habe diesen Vogel gefunden“, sagte sie rasch, als Jin bereits, scheinbar ungeduldig, den Mund öffnete. „Kannst du ihn untersuchen?“

Sie fürchtete, dass er gleich das Gesicht verziehen und ihr sagen würde, dass er kein Tierarzt sei und sie gefälligst mit dem Vogel den langen Weg auf die Flöten-Felder zurücklegen sollte – doch seine Miene wurde sogar sanft. „Bring ihn in den Behandlungsraum. Ich sehe ihn mir gleich an.“

Angela folgte dieser Anweisung und legte den Vogel vorsichtig auf einem der Betten ab. Jin folgte ihr bereits und begann auch sofort mit der Untersuchung, so dass ihr nur blieb, es zu beobachten.

Zu ihrer Überraschung huschten Jins Finger äußerst sanft über den Körper des Vogels, fast schienen sie ihn gar nicht zu berühren, was Angela sich wundern ließ, wie es sein konnte, dass er ihn wirklich untersuchte. Aber zumindest schien das Tier sich sicher zu fühlen. Er wirkte nicht mehr so ängstlich wie noch zuvor.

Aber selbst Angela fühlte sich nun wesentlich ruhiger in Jins Gegenwart, nachdem sie ihn bei dieser Untersuchung hatte beobachten dürfen. Vielleicht war er ja doch nicht so schlimm und unnahbar, wie sie bislang angenommen hatte. Aber nur vielleicht.

Schließlich nickte Jin, vermutlich mehr für sich selbst, und wandte sich dann Angela zu. „Er hat sich den Flügel nur verstaucht. Ich behalte ihn heute Nacht hier. Kommst du morgen noch einmal vorbei?“

„Ja, natürlich“, sagte sie, zögerte dann noch einmal kurz und brachte dann doch ihre Besorgnis vor: „Du wirst dich auch gut um ihn kümmern, oder?“

Offenbar hörte er das nicht gern, denn er hob eine Augenbraue. Statt einer Predigt nickte er allerdings. „Natürlich. Ich kümmere mich immer gut um Patienten.“

Dass er sogar einen Vogel als seinen Patienten bezeichnete, ließ ihr Herz einen Sprung vollführen. Das hätte sie ihm auf jeden Fall nicht zugetraut.

„Okay“, versicherte sie lächelnd. „Ich komme morgen wieder~.“
 

Wie versprochen fand sie sich am nächsten Morgen, um zehn Uhr, wieder in der Klinik ein. Eigentlich hätte sie das nicht mehr als Morgen bezeichnet, aber sie hatte sich erst um die Farm kümmern müssen, ehe sie sich wieder dem Vogel widmete.

Irene, Jins Mutter, die am Empfang saß, musterte sie mit strengem Blick, auch als sie Angelas Begrüßung erwiderte. Glücklicherweise musste sie sonst keine Worte mit Irene wechseln, da Jin bereits aus dem Behandlungsraum kam – mit dem Vogel in seinen Händen. Er blickte aber nach wie vor neutral, fast ein wenig streng. „Guten Morgen, Angela.“

„Guten Morgen. Geht es ihm wieder gut?“

Der Vogel zwitscherte leise, als wüsste er genau, dass sie von ihm sprach. Vorsichtig strich sie ihm über den Kopf, was ihm zu gefallen schien. Dann widmete sie sich aber doch wieder dem Arzt, der auf ihre Frage hin nickte. „Ja. Wir sollten ihn wieder fliegen lassen.“

„Ist er schon bereit dafür?“, fragte sie erstaunt.

Als wollte er das demonstrieren, flatterte der Vogel bereits probehalber mit den Flügeln. Sie funktionierten beide genau wie sie sollten. Es war also wirklich Zeit, ihn wieder zu entlassen.

„Deine Pflege muss wirklich Wunder bewirkt haben~.“

Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte sie, einen Rotschimmer auf Jins Wangen zu sehen. Aber er war derart schnell wieder verschwunden, dass sie der Überzeugung war, es sich nur eingebildet zu haben.

„Wir sollten ihn dann langsam gehen lassen“, beharrte Jin und ging auf die Tür zu.

Draußen blieb er dann sofort wieder stehen. Zuerst glaubte Angela, er überlege noch, welchen Platz er sich aussuchen sollte, um den Vogel wieder freizulassen, aber stattdessen hob er die Arme und öffnete die Hände. „Na los, flieg nach Hause.“

Erst noch unsicher, blickte der Vogel sich in alle Richtungen um, zwitscherte noch einmal, was mit viel Fantasie Sicher? hätte bedeuten können. Angela nickte darauf direkt. „Wenn es dir wieder gut geht, solltest du zu deiner Familie zurück. Sie vermissen dich bestimmt schon.“

Und im Gegensatz zu ihr war er nicht in der Lage, Briefe mit seiner Familie auszutauschen.

Der Vogel wagte einen Sprung an den Rand von Jins Händen, dieser wartete derweil mit einer erstaunlichen Geduld, es war weder zu sehen, noch zu spüren, dass er eigentlich lieber ganz andere Dinge täte.

Dann fasste das Tier sich ein Herz und sprang in die Luft. Zuerst sackte er nach unten, Angela wollte ihn instinktiv auffangen, doch dann flatterte er mit den Flügeln, hielt sich so erst noch in der Schwebe und schaffte es schließlich zwitschernd fortzufliegen.

Lachend winkte Angela ihm nach. „Mach's gut~!“

Sie winkte so lange, bis der Vogel nicht mehr zu sehen war und auch sein Zwitschern von der Meeresbrandung verschluckt wurde. Dann wandte sie sich Jin zu, der immer noch dastand, statt sofort wieder hineinzugehen. „Danke für deine Hilfe.“

Er wandte sich ihr zu, eine Augenbraue wieder leicht angehoben. „Hm?“

„Na, danke, dass du dem Vogel geholfen hast“, erklärte sie. „Was schulde ich dir dafür?“

Er winkte langsam ab. „Gar nichts. Ich habe gern geholfen.“

Nach diesem Satz brachte er sogar ein kleines Lächeln zustande, das ihr Herz seltsamerweise noch einen Sprung machen und auch ihr Gesicht erhitzen ließ. Aber sie hoffte, dass er nicht darauf achtete, jedenfalls nicht im Moment. Um das zu bewerkstelligen, sprach sie hastig weiter: „Dann danke ich dir sehr dafür. Wenn ich mal wieder einen verletzten Vogel finde, bringe ich ihn dir.“

„Du kannst auch gern selbst einmal zu einer Untersuchung vorbeikommen“, erwiderte er mit einem tadelnden und gleichzeitig besorgten Unterton. „Ich bin seit dem letzten Sommer hier, aber du warst noch kein einziges Mal in der Klinik. Jemand, der so hart arbeitet wie du, und so viel Verantwortung trägt, sollte ab und an auch mal auf seine Gesundheit achten.“

Der Blick, der diese Worte begleitete, sagte ihr, dass er es vollkommen ernst meinte und er noch dazu keinen Widerspruch akzeptierte. Also nickte sie sofort. „Okay! Das werde ich tun!“

Sie wollte ihm nicht erst erklären, dass sie bislang zu viel Respekt vor ihm und Irene besessen hatte, um dem wirklich nachzugehen, stattdessen blickte sie doch lieber in die Zukunft. Und nachdem sie nun wusste, dass auch er einen weichen Kern besaß, fiel die Berührungsangst nicht nur weg – sie wollte auch unbedingt mehr von dieser herzlichen Seite an Jin sehen.

Sommer ~ Wir müssen die Stacheln entfernen.

Der Sommer in Kastagnette begann angenehm genug. Dadurch, dass dieser Landstrich direkt am Meer lag, gab es stets eine wohltuende Brise – und wenn es doch zu heiß wurde, ging Angela einfach schwimmen. Warum auch nicht? Das Meer hier war sicher, es gab keine Raubfische.

Aber davor stand natürlich die Arbeit an. Früh morgens, bevor es zu heiß wurde, kümmerte sie sich um die Pflanzen auf ihrem Hof, danach um die Tiere im Stall. Besonders frisches Wasser war in diesen Tagen wichtig für sie, außerdem wollten sie auch gebürstet werden.

Aber nachdem sie das an diesem Tag erledigt hatte und alle Tiere zufrieden waren, konnte sie endlich an den Strand gehen. Zu ihrem Glück erstreckte sich dieser direkt südlich von ihrer Farm. Manchmal stellte sie sich einfach nur an die Klippe, sah auf den Horizont und lauschte den Wellen, denen es immer wieder gelang, sie zu beruhigen, egal wie aufgeregt sie zuvor gewesen war.

Als Angela an den Strand kam, stellte sie fest, dass sie nicht als einzige auf die Idee gekommen war, heute schwimmen zu gehen. Auch Kathy und Selena standen bis zu den Knöcheln bereits im Wasser und unterhielten sich lachend miteinander.

Angela konnte sich ein neidisches Seufzen nicht verkneifen. Keine der beiden anderen arbeitete auf einem Hof, das war deutlich zu sehen. Ihre Körper waren derart anmutig und elegant und sie stellten das in ihren Bikinis derart passend zur Schau, dass sie einfach ein wenig eifersüchtig sein musste, wenn sie das mit ihrem eher durchtrainierten verglich. Aber sie arbeitete eben hart, es gab keinen Grund, sich zu schämen.

Deswegen zögerte sie nicht, sich ihrer Kleidung zu entledigen und diese dann neben die der anderen zu legen. Im Gegensatz zu den beiden anderen trug Angela einen grünen Badeanzug.

Kathy war auch endlich auf sie aufmerksam geworden und winkte sie zu sich. Beide begrüßten Angela lächelnd, als sie bei ihnen ankam. „Hast du dich auch entschieden, dich abzukühlen?“

„Ja~. Ich hab erst versucht, nur die Füße in den Teich auf meiner Farm zu stecken. Aber richtig zu schwimmen ist sicher besser.“

Selena nickte. „Auf jeden Fall. Aber das werden wir nie erfahren, wenn wir nur hier stehenbleiben.“

Nach dieser indirekten Aufforderung stürzten sie sich gemeinsam ins tiefere Wasser. Es war überaus erleichternd, den Schweiß der Arbeit abzuwaschen, dabei gleichzeitig die Hitze zu vergessen und auch alles andere. In diesem Moment waren sie wieder Kinder, die einfach nur Spaß hatten, ohne die Pflichten, die das Leben als Erwachsene mit sich brachte.

Aber das alles endete abrupt, als plötzlich ein stechender Schmerz durch Angelas Fuß fuhr. Zuerst glaubte sie, sich nur an einem scharfkantigen Felsen geschnitten zu haben, aber als sie den Fuß erneut bewegte, flammte der Schmerz noch einmal heftiger auf und fraß sich bis in ihren Unterschenkel hinauf.

„Alles okay?“, fragte Kathy besorgt.

Erst als Angela sich ihr zuwandte, bemerkte sie, dass ihre eigenen Augen zu tränen begonnen hatten. „Mein Fuß …“

Kathy sah ins Wasser hinunter, ihr Gesicht verlor sofort jegliche Farbe. „Ich glaube, du bist auf einen Seeigel getreten.“

Panik wollte sich Angela bemächtigen. Sie musste sich selbst beruhigen und sich ins Gedächtnis rufen, dass Seeigel nicht giftig waren, nur schmerzhaft. Es half ein wenig, damit sie keine panischen Bewegungen durchführte, die ihre Situation vielleicht verschlimmert hätten.

Kathy und Selena halfen ihr an den Strand zurück. Dort hüpfte sie wenige Meter auf einem Bein, um sich vom Wasser zu entfernen, ehe sie sich in den Sand fallen ließ. Dann erst warf sie selbst einen Blick auf ihren Fuß, bereute es aber sofort. Lange schwarze Stacheln ragten daraus hervor. Instinktiv wollte sie diese herausziehen, aber sie hielt sich selbst zurück, indem sie sich weiter sagte, dass die Stacheln zerbrechlich waren, und sie wollte keine Infektion riskieren.

Ihre Freundinnen knieten sich neben sie, strichen ihr über das Haar und versicherten ihr, dass alles gut werden würde. Angela fand es fast schon … putzig, schließlich fühlte sie sich nicht im Mindesten in Gefahr. Solange sie einfach so dasaß, spürte sie nicht einmal Schmerzen.

„Was sollen wir jetzt tun?“, fragte Kathy überfordert.

Selena betrachtete den Fuß ebenfalls genauer. „Wir müssen die Stacheln entfernen. Aber dafür brauchen wir eine Pinzette.“

Kurzentschlossen sprang Kathy auf. „Ich hole eine!“

Doch noch bevor sie sich in Bewegung setzen konnte, erklang eine ruhige Stimme: „Das musst du nicht. Tritt zurück.“

Sie gehorchte diesem ruhigen Befehl. Jin kniete sich nun neben Angela. Er trug seinen Arztkittel, aus dessen Tasche er eine Pinzette fischte. „Du hast Glück, dass ich gerade hier unterwegs war.“

Es klang wie ein Tadel, erschuf in Angela das Bedürfnis, sich zu entschuldigen, aber sie presste die Lippen aufeinander. Es war nicht ihre Schuld, dass sie auf einen Seeigel getreten war, so etwas geschah hin und wieder. Da war sie nicht die einzige. Sie musste sich nicht entschuldigen.

Jin bat Selena und Kathy, Angelas Bein festzuhalten, nachdem er den Fuß selbst gemustert hatte. Die beiden taten genau das, dann begann er damit, die Stacheln zu entfernen. Dabei ging er so behutsam und langsam vor, dass Angela ihn nur erstaunt ansehen konnte. Seine Stirn lag in Falten, seine Augen konzentrierten sich nur auf ihre Sohle, aber dennoch waren seine Hände vollkommen ruhig. Er schien genau den richtigen Druck auszuüben, um die Stacheln nicht zu zerbrechen, wenn er nach einer griff und sie dann vorsichtig herauszog.

Sein Anblick hielt sie derart gefangen, dass sie kaum den Schmerz spüren konnte. Schon als er im Frühling den Vogel für sie gepflegt hatte, war sie in dem Glauben gewesen, dass er doch nicht derart schlimm war, wie sie zuerst angenommen hatte, aber in diesem Moment konnte sie es regelrecht fühlen. Er war ein guter Mann, dessen Ernst nur seine Sorge um andere verbarg.

Nachdem er die großen Stacheln herausgezogen hatte, wischte er mit einem Tuch über ihre Fußsohle. Der weiße Stoff färbte sich rasch rot. „Ich kann keine weiteren Stacheln spüren, aber vielleicht sind noch kleine Bruchstücke im Fuß.“

„Und was jetzt?“ In Gedanken sah Angela sich bereits auf einem Operationstisch, was bedeutete, ihre Farm für Tage vernachlässigen zu müssen. Sie wollte schon schwer seufzen.

Jin griff in eine weitere Kitteltasche und zog eine Salbentube heraus. „Ich werde dir das auftragen und den Fuß verbinden.“

Kaum hatte er das gesagt, brachte er die Salbe bereits auf ihrem Fuß auf. Sie war überraschend kalt, so dass sie zusammenzuckte. Der Griff von Kathy und Selena um ihr Bein festigte sich sofort. Angela entschuldigte sich verlegen lachend und rührte sich nicht mehr. Jin fischte auch noch einen Verband aus seiner Tasche und verwendete diesen für ihren Fuß. Was trug er nur alles mit sich herum? War er gerade auf dem Weg zu einem anderen Krankheitsfall gewesen? Sie fragte nicht nach, sondern ließ ihn seine Arbeit beenden.

Nachdem der Verband saß, ließen Kathy und Selena ihr Bein wieder los. Jin steckte die Salbentube in seine Kitteltasche zurück. „Ich bringe dich jetzt am besten nach Hause. Du solltest den Fuß für heute nicht mehr zu sehr belasten.“

Kathy klatschte in die Hände. „Dann bringe ich dir nachher etwas zu essen vorbei, da sparst du dir das Kochen, Angela.“

Selena neigte den Kopf ein wenig. „Hoffentlich kochst du nicht selbst.“

„Ich koche sehr gut.“ Kathy runzelte die Stirn.

Mit einer einzigen Handbewegung brachte Jin die beiden zum Schweigen, bevor es zum Streit kommen konnte. „Für dein Essen ist jedenfalls gesorgt, Angela. Denkst du, du schaffst es, dann einfach mal eine Weile nichts zu tun?“

Für ihre Farm hatte sie bereits gesorgt. Es sah auch nicht so aus, als stünde ein Unwetter bevor, auf das sie ihr Grundstück vorbereiten müsste. Also sprach nichts dagegen. Sie könnte sogar mal wieder ein Buch lesen. „Ja, kein Problem.“

„Ich bringe deine Sachen zurück“, bot Selena sich sofort an.

Angela bedankte sich lächelnd bei ihr. „Leg sie einfach auf die Bank neben der Tür. Ich hole sie dann morgen rein.“

Normalerweise stahl hier in der Gegend niemand etwas, also dürften die Sachen dort sicher sein – falls überhaupt irgendjemand Interesse daran hätte, ihre Kleidung an sich zu nehmen.

Selena hastete davon. Jin half Angela wieder auf die Füße – gut, auf einen Fuß –, und bedeutete ihr, sich an ihm festzuhalten, damit sie nicht aus Versehen stürzte. Im Sand war es nicht sonderlich einfach, hüpfend voranzukommen, weswegen sie sich sehr an Jin festhalten musste. Er störte sich nicht daran, sein Gesicht blieb vollkommen unbewegt. Bei dieser erzwungenen Nähe stellte sie fest, dass er nach einer Mischung von Desinfektionsmitteln und Kräutertee roch. Das war äußerst ungewohnt, gleichzeitig aber auch angenehm. Deswegen atmete sie unbewusst tiefer durch als zuvor.

Als sie den Strand verließen, verabschiedete Kathy sich von ihnen und ging in Richtung der Stadt zurück. Angela war bereits gespannt, was es zu essen geben sollte. Jin und sie bewegten sich weiter auf ihre Farm zu. Wieder einmal war sie froh darum, dass sie so nah am Meer lebte. Die anderen Farmen lagen noch ein ganzes Stück weiter entfernt.

„Wenn du zukünftig an den Strand gehst, solltest du vorsichtiger sein“, mahnte Jin. „Um diese Jahreszeit gibt es viele Seeigel in Strandnähe.“

„Ganz schön gemein. Sie sollten sich irgendwo hinlegen, wo sie weniger Schaden anrichten können.“

Sie glaubte, dass Jins Mundwinkel sich ein wenig hoben, aber sie sanken sofort wieder in ihre übliche Haltung zurück. „Morgen früh kannst du den Verband dann entfernen.“ Er ging nicht einmal auf ihren Satz ein. „Sofern du keine Schmerzen hast, kannst du dann auch deiner Arbeit nachgehen. Aber wenn es schmerzt-“

„Komme ich sofort zu dir“, beendete sie seinen Satz. „Bis ich dann zu dir gehüpft bin, hat die Klinik auch schon offen.“

Er stieß ein humorloses Lachen aus. „Ruf mich einfach an. Ich komme dann zu dir.“

Das klang tatsächlich besser. Sie müsste sich das dann nur trauen, wenn es soweit war.

„Wenn du keine Schmerzen hast, möchte ich dich in der Klinik sehen, sobald du deine Farm versorgt hast. Nur zur Sicherheit.“

„In Ordnung, das mache ich.“

Angela war schon lange nicht mehr so froh gewesen, zu Hause zu sein, wie an diesem Tag. Vor der Tür hielten sie beide wieder inne, und sie ließ Jin los. Erst in jenem Moment wurde ihr bewusst, dass ihr sein Geruch fehlte. Nicht einmal der vertraute Duft ihrer Farm konnte etwas daran ändern. Sie sollte Irene in der Klinik einmal vorschlagen, ein Parfum in der Klinik zu verkaufen. Vielleicht mochten auch noch andere diese ungewöhnliche Mischung.

Sie neigte den Oberkörper vor Jin. „Danke, dass du dich so gut um mich kümmerst~.“

Er runzelte seine Stirn. „Ich kümmere mich um jeden, der Hilfe benötigt. Und außerdem war ich nur zufällig in der Gegend, wie gesagt.“

„Aber du warst es immerhin, genau rechtzeitig. Ob Zufall oder nicht, ist mir da egal.

„Wenn du dich das nächste Mal aus fehlender Umsichtigkeit verletzt, werde ich dir die Behandlung in Rechnung stellen.“

Angela lachte. „Hoffentlich bleibst du Kastagnette noch sehr lange erhalten.“

Seine Mundwinkel hoben sich tatsächlich wieder ein wenig. „Wenigstens kann ich mir sicher sein, dass es dir gut geht. Das ist doch schon mal was. Ich muss jetzt aber weiter. Wir sehen uns auf jeden Fall morgen.“

Er nickte ihr noch einmal zu, ehe er sich umdrehte und dann den Weg hinunterging, der von ihrer Farm wegführte. Sie sah ihm lächelnd hinterher. Mit jemandem wie ihm hatte Kastagnette wirklich das große Los gezogen – hoffentlich blieb er wirklich noch sehr lange bei ihnen.



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