Zum Inhalt der Seite

Babylon-6 - 03

Gegenangriff
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Der Flüchtling

 G´Rykas Augen funkelten wie flüssiges Feuer, als sie aus dem Maschinenraum des ehemaligen Prototypen eines schnellen Angriffskreuzers kam. Ehemalig deshalb, weil G´Ryka, die lange Zeit für die Regierung der Narn gearbeitet hatte, es verstanden hatte den Verantwortlichen im Kha´Ri Glauben zu machen, dass dieses neue Typenschiff - eines von sieben Testschiffen - eine Fehlkonstruktion sei die für das Militär der Narn absolut ungeeignet wären.

Wütend deswegen, weil der Chefingenieur des Schiffes sich alle Mühe gab dies mehr als glaubhaft unter Beweis zu stellen - obwohl die Fakten ganz andere waren. G´Ryka wusste, dass dieser leichte Angriffskreuzer ein tödliches Instrument sein würde wenn es nur die richtige Besatzung bekam. Doch davon war die NE´VAR momentan so weit entfernt wie ihr vorläufiges Ziel, die Transferstation LOOKOUT.

Ihr Vater hatte ihr den guten Rat gegeben zuerst einmal dorthin zu reisen, sollte sie nicht weiterwissen. Auf dem Weg zur Kommandozentrale des über 500 Meter langen Angriffskreuzers, der von zwei überschweren Ionenstrahl-Triebwerken angetrieben wurde die eigentlich einem Raumschiff mit wesentlich größerer Zelle zugestanden hätten, versuchte sich die hochgewachsene Narn wieder etwas zu beruhigen.

Dasselbe, wie für die Triebwerke, traf auf die beiden vorderen Plasmakanonen zu, die es im Notfall mit Kreuzern aufnehmen konnten die doppelt so groß waren. Im Gegensatz zu früheren Versionen ähnlicher Schiffe, besaß dieser Leichte Kreuzer künstliche Gravitation - eine Meisterleistung der Ingenieure die dieses Schiff entwickelt hatten.

Bei diesem Gedanken grinste die Narn verschlagen, wobei sie ihrem Vater verblüffend ähnelte. Durch ihre Machenschaften hatte sie es erreicht, dass man ihr dieses Raumschiff - eigentlich zum Verschrotten gedacht - überlassen hatte. Angeblich waren die Waffensysteme untauglich, doch auch das war eine gezielte Desinformation an den Kha´Ri gewesen. Einige Helfershelfer hatte die Systeme lediglich funktionsunfähig gemacht. Mittlerweile funktionierten diese Systeme wieder einwandfrei und so wäre es wenig ratsam gewesen der NE´VAR und ihrer Besatzung in die Quere zu kommen.

Zudem hatte sie nur drei der sechs FRAZI-Jäger, die zur ursprünglichen Bestückung des Kreuzers gehörten, wieder dem Depot zugeführt - die Frachtpapiere hatte sie geschickt manipuliert, so dass man dort der Meinung war, dass alle sechs Raumjäger wieder den Weg zurück zum Depot gefunden hätten.

Als die, trotz ihres bereits etwas vorgerückten Alters, athletisch gebaute Narn, in ihrer blutroten Robe die von einem Gürtel um den schlanken Hüften gerafft wurde, was ihre schlanke Figur zusätzlich betonte, in den Hauptgang einbog ballte sie die Hände zu Fäusten. Enttäuscht vom Kha´Ri, der in ihren Augen im letzten Jahrzehnt korrupt geworden war, hatte sie keinerlei Hemmungen gehabt sich dieses Schiff zu erschwindeln. Sie hatte lange und aufopfernd für das Regime gearbeitet - und sie war der Meinung, dass man ihr dafür etwas schuldete.

Schon vor einem Jahr hatte sie erkannt, dass ihre Arbeit von Mitgliedern des Kha´Ri gezielt diskreditiert wurde. Vermutlich war sie mit ihren kritischen Fragen und ihrer energischen Art und Weise einigen wichtigen Leuten innerhalb des inneren Kreises unbequem geworden. Schließlich, nachdem sich G´Ryka klargemacht hatte wohin dies führen musste, hatte sie begonnen für ihre eigenen Ziele und Vorhaben zu arbeiten - und dieses Kampfschiff war eines davon.

Um die unlauteren Elemente im Kha´Ri bekämpfen zu können würde sie Geld benötigen. Viel Geld. Denn Geld bedeutete auch auf Narn Macht. Und sie brauchte diese Mittel schnell denn in wenigen Jahren schon würde es vermutlich zu spät sein, sprich: Der neue Kha´Ri würde zu fest im Sattel sitzen um mittelfristig etwas gegen ihn auszurichten. Sie hatte es nie beweisen oder durch begründete Verdachtsmomente untermauern können, doch ihr Instinkt sagte ihr, dass der Kha´Ri von Elementen angeleitet wurde, die sie nicht kannte und deren Drahtzieher keine Narn sein konnten. Aber sie wusste weder wo sie nach solchen Elementen suchen musste, noch wer sie waren, oder welche Ziele sie verfolgten. Aber sie war sich sicher, dass es diese Elemente gab und so mussten sie auch zu finden sein. Irgendwo...

Die Narn, der man ihr wirkliches Alter von bereits mehr als fünfzig Erdjahren kaum ansah, näherte sich dem Schott des Kommandoraums. Dabei wurde ihr bewusst, wie schwer es werden würde, auch nur eine halbwegs vernünftige Besatzung für dieses Schiff zu finden. Momentan bestand die Besatzung gerade mal aus einem guten Dutzend Männern und Frauen, von denen nur die Hälfte von ihrer Heimatwelt stammten. Die Anderen hatte sie auf dem Flug, weg vom Machtbereich der Narn, auf verschiedenen Welten der blockfreien Völker aufgelesen - darunter sogar eine Gaim, der sie eben den Marsch geblasen hatte. Und da hieß es diese Insektoiden besäßen ein besonderes technisches Talent...

Am Schott zur Kommandozentrale angekommen blieb die Narn stehen und atmete tief durch. Das Feuer in ihren glutroten Augen wirkte nun eher gefährlich denn wütend und ein unvoreingenommener Beobachter hätte ihr Alter in diesem Moment auf bestenfalls Mitte bis Ende Dreißig geschätzt. Sie glaubte nicht, dass man auf LOOKOUT wusste wer ihr Vater gewesen war, und sie selbst würde es keinem auf die neugierige Nase binden. Er hatte vor mehr als einem Jahrzehnt bereits sein wichtigstes Shon´Kar – seinen Blutschwur Londo Mollari betreffend – erfüllt und er war selbst dabei ums Leben gekommen; seinerzeit auf Centauri-Prime.

G´Ryka hoffte inständig, dass er dabei seinen Seelenfrieden gefunden hatte. Er hatte gerade noch die Fertigstellung von LOOKOUT miterlebt vor seinem Tod.

Die Narn schüttelte diese Gedanken ab und rief sich innerlich zur Ordnung. Je weniger sie demnächst auf der Transferstation der Erd-Allianz auffiel desto besser für sie. Sie war guten Mutes auf dieser Station genau den Schlag Leute zu finden, den sie suchte. In dieser Hinsicht ähnelte LOOKOUT verblüffend der legendären Station BABYLON-5, die es seit kurz vor Indienststellung dieser Transferstation nicht mehr gab.

Das Funkeln ihrer Augen wurde um eine Spur intensiver, als sie ihre Hand auf den Öffnungskontakt legte, und gleich nachdem sich das Schott geöffnet hatte in die Zentrale eintrat.

Hier, im funktionell aussehenden Nervenzentrum des Raumschiffes, das kleiner war, als man es bei einem Raumschiff dieser Größe vermuten würde, waren ganze vier Lebewesen dabei, die Instrumente zu überwachen und gegebenenfalls einzugreifen. Für gewöhnlich verliefen Flüge durch den Hyperraum ziemlich ruhig, um nicht zu sagen langweilig. Nur wenige Eingaben waren zu tätigen bis das Raumschiff sein Ziel erreichte und in den Normalraum wechseln würden.

G´Ryka blickte auf den Hauptbildschirm im Frontbereich der in zwei Stufen angeordneten Bedienelemente und geriet beim Anblick des Hyperraums ins Sinnieren. Ungeachtet seiner Herkunft, ungeachtet welcher Abstammung, das ewige und unendliche Universum wirkte auf fast alle Wesen gleich ehrfurchtgebietend. Zumindest solange man sich im Normalraum aufhielt und nicht, so wie die NE´VAR momentan, im Hyperraum.

Hier, so überlegte die Narn, fanden die meisten Raumfahrenden Lebewesen ganz andere Worte für das Universum, als da waren: Chaotisch, Bedrohlich, Unwirklich.

Jedoch wirkte er auf Wesen, die sich länger mit diesem Kontinuum befassten, auch auf eine gewisse Weise erhaben und geradezu ästhetisch. Um nicht zu behaupten ätherisch.

G´Ryka lächelte ironisch bei diesen Überlegungen. Bis zu einem gewissen Grad hatte sie die Angewohnheit ins Philosophieren zu geraten von ihrem Vater geerbt – so wie seine Eloquenz. Wenn auch nicht in vollem Umfang. Genügend jedenfalls um sich im Kha´Ri lange Zeit behaupten zu können, so wie auch er. Doch diese Zeit lag nun endgültig hinter ihr. Irgendetwas hatte sich im höchsten Gremium der Narn signifikant verändert, und sie, G´Ryka, würde schon sehr bald herausfinden warum. Immerhin war sie die Tochter ihres Vaters und auch er hätte keine Ruhe gegeben, um diesem Mysterium, das sie nun umgab, auf den Grund zu gehen. Sie spürte dabei einen schweren, unheimlich gefährlichen Hauch, der sie unsichtbar zu umgeben schien. Eine neue Macht sammelte seine Kräfte und holte zu einem Schlag aus, das fühlte G´Ryka beinahe körperlich. Doch noch konnte sie nicht sagen um wen es sich handelte, oder aus welcher Richtung der erste Schlag erfolgen würde. Dass dieser erste Schlag bereits ausgeführt worden war ahnte die Narn dabei zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

 
 

* * *

 

Eireene Connally schlug die Augen auf, atmete tief durch und blickte sich dann gehetzt um. Ihr Blick wanderte suchend von Rechts nach Links. Kisten, Fässer und Frachtcontainer war jedoch das einzige was sie erkennen konnte. Keine Spur von irgendwelchen Verfolgern oder den Mördern an ihren Kameraden. Doch der blonden Frau in der mitgenommenen Uniform eines Lieutenants der Erd-Allianz war sich nicht sicher, ob diese Verbrecher ihre Spur wirklich verloren hatten.

Ungemütlich ist es hier nicht, dachte Eireene und rieb die Hände an einander. Aber verdammt noch mal viel zu kalt.

Es war dunkel, dreckig und verlassen dazu, doch Letzteres war der blonden Frau gerade recht. Im Grunde konnte sie, angesichts der Fährnisse die hinter ihr lagen, froh sein, dass sie überhaupt noch lebte. Denn bereits das war schon so etwas wie ein kleines Wunder.

Dumpf vor sich hin grübelnd strich sich die zierliche Frau eine Strähne ihrer schulterlangen Haare aus dem Gesicht hinter das rechte Ohr und berührte dabei versehentlich die frische Wunde an ihrer Schläfe. Augenblicklich zuckte sie zusammen und stöhnte unterdrückt auf.

Verdammtes Piratengesindel!

Sie horchte diesen Gedanken nach, die ihr durch den Kopf jagten und sie lachte lautlos und verzweifelt auf. Was sie erlebt hatte das konnte, je länger sie darüber nachdachte, kaum das Werk von typischen Piraten sein. Unbekannte, unter ihnen Telepathen, hatten sieben betagte Kreuzer der ALPHA-KLASSE gekapert. Betagt aus der Sicht der Erd-Allianz und ihrer neueren hochmodernen Einheiten – in den Händen verbrecherischer Wesen aber nicht zu unterschätzen. Sie war gefoltert worden, physisch sowie psychisch, und zwar durch Menschen. Ein hagerer Telepath hatte ihr Bewusstsein beinahe auseinander gerissen und in jedem Winkel ihres Gedächtnisses nach den Informationen gesucht, von denen dieser Verbrecher angenommen hatte sie würde über diese verfügen. Doch sie hatte rein gar nichts gewusst was diesen verbrecherischen Piraten und Mördern weitergeholfen hätte. Zum Glück. Genau deshalb hatte ihr Peiniger auch irgendwann von ihr abgelassen. Später hatte sie fliehen, und mit Hilfe zweier Kameraden, die nun vermutlich tot waren, den Kreuzer, an Bord eines ausgedienten Shuttles welches an Bord der KLOTHO verblieben war, fliehen können. Gerade noch, bevor das Schiff, zusammen mit allen anderen überfallenen Kreuzern, in den Hyperraum wechselte.

Vier Tage lang war die blonde Frau mit Unterlicht durch das All geflogen bis sie, beinahe völlig entkräftet, in dem Sternensystem mit der Kolonie der Brakiri angekommen war. Von dort aus schmuggelte sie sich, nachdem sie sich auf einem belebten Markt etwas Essen und Fruchtsaft gestohlen hatte, schließlich als Blinder Passagier in dieses altersschwache Transportraumschiff, auf dem Weg zu einer irdischen Transferstation im Vrintana-System. Sie war müde und sie zitterte erbärmlich, und irgendwann wurde ihr geschwächter Körper von einer gnädigen Ohnmacht erlöst die sie für die nächsten Stunden wenigstens etwas zur Ruhe kommen ließ.

 
 

* * *

 

G´Ryka saß im Pilotensessel jenes alten Drazi-Landungsbootes, das man baulich so verändert und zudem auf klapperig getrimmt hatte, dass man es nicht mehr ohne weiteres als solches identifizieren konnte, und wartete im Haupthangar auf die Startfreigaben. Nach fast zwei Wochen hatten sie es schließlich doch in das Vrintana-System geschafft.

„Raumfenster öffnet sich in wenigen Zeiteinheiten direkt über Vrintana-7“, meldete die Drazi-Pilotin der NE´VAR, von den Steuerkontrollen der Kreuzer-Brücke. Der Pilotin behagte ihre momentane Aufgabe nur wenig, was G´Ryka am Klang ihrer Stimme erkannt hätte, wäre ihr dieser Umstand nicht längst bewusst gewesen.

G´Ryka verstand dies, denn die Drazi hatte bis vor kurzer Zeit doch nur Erfahrung mit kleineren Transportschiffen gehabt. So wurde jeder Hyperraumsprung - zumindest war das G´Rykas Ansicht - zu einem Risikoeinsatz. Auch was die Navigation betraf, denn dasselbe traf auf jenen Narn mittleren Alters zu, der diese Aufgabe momentan ausübte. Bisher war es gutgegangen.

Die Kommandantin des Kreuzers rief sich ins Gedächtnis, was sie über das Sternensystem wusste, dass die Transferstation LOOKOUT beherbergte.

Der siebte Planet, den sie nun bald erreichen würden war, ebenso wie der sechste, ein Gasriese. In einem mittleren Abstand von knapp 500.000.000 Kilometern umlief er den gelben Hauptreihenstern vom Typ G-5. Da die Bahn des vierten Planeten extrem ellipsoid verlief, war er momentan jedoch nur etwa 387.000.000 Kilometer von seiner Sonne entfernt. Zudem näherte sich der dritte Planet, jener in dessen Orbit LOOKOUT errichtet worden war, der nächsten Annäherung. Ideal also, um unbemerkt im Ortungsschatten des Gasriesen in den Normalraum einzutauchen. Kurz vorher würde G´Ryka den Kreuzer verlassen und ganz offiziell durch das Sprungtor, am LaGrange-Punkt L-5, dicht bei LOOKOUT, vor der Station aufkreuzen und, als Händlerin getarnt um Andockerlaubnis bitten.

Gleich darauf meldete sich die Stimme der jungen Drazi.

„Kommandantin: Noch zwanzig Sekunden. Ausschleusen Ihres Beibootes in fünf... vier... drei... zwei... eins... JETZT!“

G´Ryka startete das Beiboot und schoss hinaus in das rötliche Wabbern des Hyperraums. Kurze Zeit später verschwand die NE´VAR planmäßig von den Anzeigen ihrer Instrumente. In Gedanken grimmig nickend nahm G´Ryka Kurs auf das Sprungtor, dass sie in weniger als einer Minute erreichen würde. Was würde sie auf der Station erwarten?

Ein Summton riss die Narn aus ihren abschweifenden Gedankengängen. Das Shuttleschiff hatte sein Ziel erreicht und G´Ryka gab, beinahe wie in Trance, eine Codereihenfolge ein um das Hyperraumsprungtor zu aktivieren. Vor dem Schiff bildete sich ein bläulich glühender Hyperraum-Vortex, in dessen Zentrum ein gähnendes, schwarzes Loch sichtbar wurde - ein sichtbarer Ausschnitt des normalen Weltraums, in den hinein der Hyperraum das kleine Schiff gleich ausspeien würde.

G´Rykas Shuttle hielt darauf zu und wurde beim Passieren des bläulichen Tunnels signifikant verzögert, wovon die Narn nicht das Geringste spürte, da innerhalb des Tunnels noch immer nicht die physikalischen Gesetzmäßigkeiten des Normaluniversums galten.

Die Narn starrte wenig später, mit brennendem Blick, durch die gepanzerte Cockpitscheibe, auf die Andocksektionen der Station, die in diesem Abstand wie ein Kinderkreisel aussah. Beeindruckend war sie zweifellos wenn auch längst nicht so imposant wie BABYLON-5 damals, als die Station noch existierte, auf anfliegende Besucher gewirkt hatte.

Eine unpersönlich klingende, menschliche Stimme ertönte aus den Lautsprechern der Konsole, kurz nachdem sie um Einflugerlaubnis gebeten hatte. G´Ryka vermutete anhand des sonoren Klanges, dass es sich bei ihrem Besitzer um einen Mann handelte.

„Hier LOOKOUT-Kontrolle: Reihen sie sich bitte in die Warteschleife ein. Wir sagen Ihnen Bescheid, wenn sie zum Einflug in einen der unteren Stationshangars freigegeben werden. Danke.“

G´Ryka bestätigte und gestattete sich ein genervtes Seufzen angesichts der sichtbaren Ansammlung von Raumschiffen vor der Station. Es würde vermutlich einige Zeit dauern, bis ihr Shuttle einem der Hangars zugewiesen werden würde.

 
 

* * *

 

Ein lautes Rumpeln ließ Eireene Connally aufschrecken. Sie hatte sich auf dem Boden zusammengekauert. Wie lange sie dort ohnmächtig gelegen hatte konnte sie nicht sagen und auch ob sie währenddessen geträumt hatte war ihr nicht bewusst. Ihr kam es nicht so vor.

Noch etwas benommen versuchte sie wieder vollkommen zu sich zu kommen, und sich, noch etwas wackelig auf den Beinen, zu erheben. Kaum aufgestanden lenkte die junge Frau ihre Schritte zu einem der kleinen Fenster im hinteren Teil des Frachtraumes. Der Blick hinaus war, während der Zeit des Fluges die Eireene wach verbracht hatte, ihre einzige Abwechslung gewesen. Obwohl man das rotglühende Chaos des Hyperraums nicht wirklich als Abwechslung bezeichnen konnte, war es doch immerhin etwas gewesen.

Kaum am Fenster angelangt schnürte das was sie dort sah ihr die Kehle zu. Stahl - überall. Andere Schiffe, Lichter und Personen überall um sie herum.

Eireene Connally unterdrückte ein panisches Schreien, als ihr klar wurde was das alles zu bedeuten hatte. Panik entdeckt zu werden, von der Crew des Schiffes, stieg in ihr auf. Hastig huschte sie zwischen einigen Kisten hindurch und fiel fast hin als sie versuchte sich zu verstecken. Hinter einem Stapel Transportkisten gekauert atmete Eireene erst einmal tief durch und spähte um die Ecke. Sie hatte immerhin LOOKOUT erreicht - jetzt stellte sich nur noch die Frage, wie sie unerkannt, und möglichst auch unbemerkt, auf die Station gelangen konnte. Sie hatte Zeit gehabt zu überlegen, während ihrer abenteuerlichen Odyssee, und ihr war klar geworden, dass ein Überfall, wie der auf sieben Kreuzer der Erdstreitkräfte die zur Demontage überführt werden sollten, nicht ohne Informanten in hohen Positionen durchgeführt werden konnte. Wem konnte sie also trauen, und wem nicht?

Irgendwie musste sie es schaffen unbemerkt auf die Station zu kommen, wenn sie überleben wollte, dessen war sie sicher, auch wenn sie nur einen groben Plan von dem hatte, was danach passieren und wie es dann weitergehen sollte. Langsam formte sich in den Gedanken der jungen Frau ein Plan. Er war risikoreich aber mit sehr viel Glück und einer guten Portion Unverfrorenheit würde er vielleicht klappen.

Sie eilte in Richtung Ausgang. Ihre heruntergekommene Kleidung versteckte sie unter einem langen, schwarzen Kapuzenumhang, den sie irgendwo entwendet hatte. Ihre blonden Haare band sie dabei hastig nach Hinten und verbarg sie unter der weiten Kapuze. Sie schlich hinter einigen Frachtkisten geduckt in Richtung Schott. Kaum hatte sich der Zugang geöffnet warf sie einen schnellen Blick durch die Öffnung und huschte dann unauffällig hindurch, als sie für einen Moment unbeobachtet war. Dabei bemerkte sie nicht, dass eine Narn, die gerade dabei war die Sicherheitssperre zu durchschreiten, ihr Tun sehr interessiert beobachtete.

 
 

* * *

 

G´Ryka stellte ironisch fest, dass die Bürokratie auf LOOKOUT schon mal wie erwartet funktionierte. Eine geschlagene halbe Stunde hatte sie der zuständige Operations-Offizier von LOOKOUT warten lassen, bevor er ihr Einflugerlaubnis gab. Einerseits stellte diese halbe Stunde ihre Geduld auf eine harte Probe - andererseits war es nicht ungünstig zu einem Zeitpunkt zu erscheinen, wo hier verstärkter Frachterverkehr herrschte. Um so weniger aufdringliche Fragen würde man ihr hier auf der Station stellen.

Nachdem sie sich in den Strom der verschiedensten Wesen eingereiht hatte, die beim Betreten der Station kontrolliert wurden, schritt sie langsam auf die Sicherheitsbeamten zu. Ihre ID-Card wurde problemlos anerkannt. Sie wurde lediglich von dem menschlichen Beamten freundlich darauf hingewiesen, dass ihre Identicard ein Update vertragen könne.

Noch während sie die Karte von dem jungen Beamten zurück bekam fiel ihr etwas auf, ohne zunächst sagen zu können was es genau gewesen war. Vielleicht war es etwas, dass sie aus den Augenwinkeln beobachtet hatte, also blickte sie nun forschend über den breiten Gang hinweg zum Ausgang der nächsten Andockrampe. Offensichtlich gingen die Beamten dort recht lässig zu Werke, denn, im Gegensatz zu ihr, fiel beiden nicht auf, dass ihnen eine unauffällige verhüllte Gestalt gerade entwischt war. Die Person war scheinbar darum bemüht unbemerkt auf die Station zu gelangen, und in G´Ryka erwachte ein seltsames Interesse daran, warum. Möglicherweise nur deswegen, weil auch sie selbst nicht gerade erpicht auf ungeteilte Aufmerksamkeit war.

Sie dankte dem Beamten flüchtig und bog dann schnell in den Gang ein, um der verhüllten Gestalt, die einen recht schlanken Eindruck auf sie machte, zu folgen. G´Ryka wusste nicht zu sagen warum, aber irgendeine innere Stimme riet ihr dazu.

Währenddessen lief Eireene Connally, ahnungslos, dass sie die Aufmerksamkeit einer Narn erregt hatte, einen, von der Andockbucht wegführenden, weniger zentralen Korridor der Station entlang. Obwohl ihr Gang eher an den schleichenden Gang eines Raubtieres erinnerte als an einen normalen, menschlichen Schritt. Als sie sich nach einigen Minuten sicher war, dass ihr kein Mitglied des Sicherheitspersonals gefolgt war, wurde Eireene zusehends langsamer. Mit einer schnellen Handbewegung langte sie in die Tasche ihres Mantels und holte eine silbern glänzende Flasche hervor, öffnete den Verschluss und nahm einen großen Schluck. Die kalte, klare Flüssigkeit brannte leicht in ihrer Kehle. Sie hatte auch diese Flasche irgendwo im Frachtraum des Schiffes, das sie hergebracht hatte, aufgetrieben und nicht gefragt was ihr Inhalt war. Sie hatte etwas trinken müssen. Im Gehen strich sich die Blondine ihre zerschlissene Kleidung grade und steckte die Flasche zurück in die Seitentasche.

Schnelle Schritten hinter ihr ließen Eireene aufmerksam werden. Mit ungutem Gefühl in der Magengrube drehte sie sich um und bemerkte, dass sie wohl schon seit einiger Zeit verfolgt wurde. Sie erkannte das scharf-geschnittene Gesicht einer Narn. Die kräftig gebaute, außerirdische Frau, deren Alter Eireene Connally auf etwa Ende Dreißig bis Mitte Vierzig, nach irdischer Zeitrechnung, schätzte, war ebenfalls stehen geblieben, vielleicht drei Meter von Eireene entfernt, und musterte sie mit offensichtlichem Interesse.

Warum war dieses Wesen ihr gefolgt? War sie Eireene überhaupt gefolgt oder war das alles nur Zufall? Zu viele unbeantwortete Fragen hatten die sprunghafte Blondine schon als Kind verwirrt. Vielleicht sollte ich einfach nur hier stehen bleiben und abwarten? dachte sie.

Für einen langen Moment standen die beiden so unterschiedlichen Frauen fast regungslos da und starrten einander an. Doch dann siegte Eireenes Paranoia der letzten Tage über ihre Ratio. Sie machte plötzlich auf dem Absatz kehrt und lief schnurstracks in die entgegengesetzte Richtung davon. Dabei suchte Eireene nach einer Lösung, denn auf einen Kampf einlassen wollte sie sich nicht mit der Unbekannten, da ihr durchaus klar war, dass diese ihr körperlich überlegen war, und einfach weiter rennen konnte sie auch nicht.

Mit ihrer Verfolgerin auf den Fersen bog sie um eine Ecke und erschrak, denn am Ende dieses Ganges erspähte sie eine Gruppe von Sicherheitsoffizieren.

Sich endgültig von ihrer Ratio verabschiedend schrie die Blondine plötzlich aus Leibeskräften um Hilfe.

Aufmerksam werdend drehten sich die vier Männer in Eireene Connallys Richtung.

Sie rannte schnell auf die etwas verdutzt wirkenden Männer zu. „Hilfe! Bitte, helfen sie mir, diese Narn verfolgt mich!“

Kaum bei den Männern angekommen tat die junge Frau ihr Bestes um möglichst hilflos zu erscheinen, wobei sie erneut schrie: „Hilfe! Sicherheit! Diese Frau stellt mir nach!“

Das ängstliche Zittern in ihrer Stimme hörte sich geradezu verblüffend real an. So real, dass ihr das Sicherheitspersonal die Rolle der armen Überfallenen sofort abnahm.

Innerhalb kürzester Frist hatten sich drei der vier Männer um die, etwas überrascht dreinblickende, Narn gescharrt.

G´Ryka hob beschwichtigend ihre Hände und erklärte, dass sie überhaupt nichts getan hatte, um eine solche Reaktion der Blondine herauszufordern.

„Stellvertretender Chef der Sicherheit Craig Hiller“, stellte sich indessen der Mann bei Eireene Connally vor.

Ein Lächeln kam über Eireenes Lippen.

„Ich bin froh, dass Sie zufällig in der Nähe waren“, flüsterte die Blondine leise, wobei sie um den Oberkörper des Mannes herum der Narn einen kurzen, hämischen Blick zuwarf. „Halten sie diese Stalkerin bitte von mir fern.“

„Wir kümmern uns darum“, versprach Hiller ernst und wandte sich zu der Narn, was Eireene Connally die Gelegenheit verschaffte unauffällig in der Menge unterzutauchen. Das letzte was sie mitbekam war, dass sich Hiller zu der Narn begab und sie dazu aufforderte, ihm und seinen Leuten zu folgen.

Im Grunde tat der Blondine diese Narn leid. Vielleicht wollte sie ihr wirklich gar nichts Böses, und nun steckte sie in diesem Schlamassel, nur wegen ihr. Momentan war jedoch nicht der richtige Zeitpunkt für uneingeschränkte Nächstenliebe und außerdem hatte sie das ja nicht aus böser Absicht getan, sondern aus reiner Selbsterhaltung – das redete sie sich zumindest ein während sie schnell diesen Ort hinter sich ließ.

 
 

* * *

 

Der Mensch in der Uniform des Sicherheitschefs von LOOKOUT verdrehte die Augen und musterte die Narn vor ihm mit grimmiger Miene. „Also noch einmal, Miss G´Ryka. Was genau wollen Sie?“

G´Rykas Augen funkelten in einem gefährlich wirkenden Feuer, während sie schnippisch erwiderte: „Von Ihnen?“

Chief Rory Ogalvie Christopher Kilkennan, von seinen Freunden oft nur Rock genannt, beugte sich etwas vor und hielt dem Blick der attraktiven Narn stand. Er hatte von seinem ehemaligen Chef gelernt, dass die meisten Wesen dadurch nervös wurden. Früher hätte sich Kilkennan dies niemals getraut, gerade zu der Zeit nicht, als er noch Alkohol- und Drogen-Abhängiger gewesen war. Doch mittlerweile hatte er diese Phase seines Lebens weit hinter sich gelassen. Zwar glaubte Rory Kilkennan, aufgrund seiner Vergangenheit immer noch, dass er nicht sehr gebildet war, aber er wusste gleichzeitig, dass er einen messerscharfen Verstand besaß. Besonders wenn es um seine Arbeit als Sicherheitsoffizier ging - und dieser Verstand sagte ihm nun, dass diese Narn nicht aus purem Vergnügen auf der Station war. Aber das waren wohl die wenigsten Personen auf LOOKOUT.

Als es dem, in Irland geborenen, Chef der Stationssicherheit zu bunt wurde, beugte er sich noch etwas weiter vor und meinte ernst: „Hören Sie, Miss G´Ryka: Mir ist bewusst, dass ich Ihnen letztlich nichts beweisen kann, denn dann hätte ich Sie längst in eine Zelle geworfen. Also sagen Sie mir schon, was Sie von der jungen Frau wollten, ist das klar?“

Auch G´Ryka beugte sich etwas über den Tisch, so dass sich ihre Nasenspitze nur noch eine Handbreit von der des Menschen befand.

„Ich sagte Ihnen bereits, dass diese Person völlig wirr anfing zu schreien. Offensichtlich war sie nicht ganz bei sich, und wenn Ihr Stellvertreter wichtigeres zu tun gehabt hätte, als sich gleich auf mich zu stürzen, dann hätte er wohl denselben Schluss gezogen. Vielleicht hat sie aber auch noch nie zuvor eine Narn gesehen.“

G´Ryka behielt bewusst für sich, dass die Unbekannte durch das Kontrollnetz der Sicherheit an Bord geschlüpft war. Es würde sicherlich einen Grund dafür geben, und mehr denn je war die Narn entschlossen den Grund dafür herauszufinden.

Sicherheitschef Rory Kilkennan durchschaute einerseits die fadenscheinige Erklärung der Narnfrau, aber er konnte sie andererseits auch nicht widerlegen. Darum seufzte er schwach und entspannte sich bevor er ermahnend zu ihr sagte: „Sie können gehen, G´Ryka. Aber hüten Sie sich davor, heute noch mehr Fremde zu erschrecken, sonst sperre ich Sie am Ende doch noch ein.“

„Ich bedanke mich“, antwortete G´Ryka sarkastisch. Dann erhob sie sich geschmeidig von ihrem Stuhl und marschierte mit grimmiger Miene zum Ausgang hinaus. Erst als sie den Bereich der Sicherheitszentrale hinter sich gelassen hatte, verlangsamte sie ihre Schritte. Dabei überlegte sie, dass das Verhalten der jungen Frau, die ihr dieses Verhör eingebrockt hatte schon ziemlich seltsam war. Da war für einen Moment dieser gehetzte Ausdruck in ihrem Blick gewesen, der bei ihr fast so etwas wie Mitleid geweckt hatte. Dann aber rief sie sich diesen unerhört hämischen Blick im Gang wieder in Erinnerung und ihr Temperament begann erneut zu kochen.

Mit einem der zahlreichen Lifts fuhr G´Ryka in den Freizeitsektor. Es wurde Zeit sich um ein angemessenes Quartier zu bemühen. Und danach würde sie den Haupthandelsplatz der Station aufsuchen. Ihr Vater hatte ihr von diesem Ort erzählt und sie wahr neugierig ihn mit eigenen Augen zu sehen.

Die Narn lächelte grimmig und ballte dabei die Hände zu Fäusten. Und danach würde sie sich auf die Suche nach einer ganz bestimmten Person machen. Wie hatte ihr Vater so oft gesagt: Man sieht sich immer öfter als nur einmal im Leben…

 
 

* * *

 

Der Fremde an der Bar schien sie erst in dem Moment bemerkt zu haben, als sie unauffällig neben ihn getreten war. Als er das Glas in seiner Hand fallen ließ und sie dabei erschrocken musterte fragte sich G´Ryka, was bei den Märtyrern sie sich zuschulden kommen lassen hatte, dass jedes Wesen plötzlich nervös zu werden schien, sobald sie auftauchte.

G´Ryka ignorierte ihn und wandte sich ab, um sich einen Drink zu bestellen, als unverhofft eine, ihr nur allzu gut bekannte, Person in ihr Blickfeld geriet. Jedoch fielen ihr dabei gleichzeitig zwei baumlange Brakiri auf, die sich in diesem Augenblick von ihren Barhockern erhoben.

Die Narn erkannte die verräterischen Bewegungen unter ihre Gewänder um sich darüber klar zu werden, dass sie zu irgendwelchen verborgenen Waffen griffen. Zugegeben, sie mochte diese Menschenfrau, die sie in Schwierigkeiten gebracht hatte, nicht sonderlich, aber sie wollte auch nicht, dass sie ermordet wurde. Zumindest nicht bevor sie selbst sie zur Rede gestellt haben würde.

Die Narn erhob sich daher geschmeidig von ihrem Platz, kaum dass sie sich gesetzt hatte, und umrundete langsam den Tresen.

In diesem Moment hatte sie die Menschenfrau erkannt und zwei große, grün-graue Augen blickten sie erschrocken an.

„Sie...!!“, knurrte die Narn, als sie die Frau beinahe erreicht hatte und fixierte Eireene mit ihren rot funkelnden Augen, und der weibliche Lieutenant begann zu ahnen, dass das den Beginn zusätzlicher Schwierigkeiten bedeuten würde.

Währenddessen war die Narn-Frau für einen Moment mit sich selbst uneins, was sie nun tun sollte, als die Blonde auf dem Absatz kehrt machte und versuchte in der Menge unterzutauchen.

Typisch, dachte G´Ryka und warf einen Blick auf das seltsam konturlosen Gesicht der blonden Frau - so empfand wenigstens sie als Narn es. Fliehende Nase, fliehendes Kinn, fliehende Stirn - und wenn man nicht aufpasst, dann haut der Rest auch noch ab.

Bevor die Unbekannte endgültig verschwinden konnte rief sie, beinahe wütend: „Stopp!“ Dabei blickte sie die junge Frau beinahe hypnotisierend an. Die Tatsache verwünschend, dass sich auch einige andere Wesen nun ihr zuwandten, drängelte sie sich zu der jungen Frau und zischte ihr gefährlich leise zu: „Ich möchte mit Ihnen reden - an einem Ort, der weniger öffentlich ist, als dieser hier. Falls sie wieder flüchten wollen, so seien Sie versichert, dass ich weiß wie Sie auf diese Station gelangten. Es sollte Ihnen vorerst genügen zu wissen, dass ich dem Sicherheitsdienst der Station diese Tatsache nicht bekanntgegeben habe.“

Trotz der gedämpften Stimme klangen die Worte der Narn eher wie ein Befehl, denn wie eine Bitte für Eireene Connally. Sie blickte sie in Richtung des Durchgangs, der zu verschiedenen anderen Etablissements dieses Sektors führte. Schließlich nickte sie.

Der Blick der Narn, die nun dicht vor ihr stand, wanderte immer wieder unruhig zwischen ihr und den beiden Brakiri, die gerade in einem der Gänge untertauchten, hin und her.

Die Blonde war zwar nur ungern bereit so schnell die Flagge zu streichen, nur weil diese Narn es ihr befahl. Doch dann erblickte sie an einem der Zugänge eine schwarz gewandete Gestalt, in Begleitung einiger Sicherheitsoffiziere. Sie hatte dabei plötzlich das unbestimmte Gefühl, dass er irgendetwas von ihr wollte, so dass sie kaum eine andere Wahl besaß.

Schnell schlug Eireene ihre Kapuze noch weiter über und neigte den Kopf weg, so dass ihr niemand ins Gesicht schauen konnte. Sie folgte der energischen Narn.

Beide Frauen bahnten sich einen Weg durch die Masse von Leibern fremder Lebewesen. Im Halbdunkel des Ganges, der zu den Außensektoren führte, blieb sie jedoch stehen und die Narn ergriff das Wort, während sie gleichzeitig ihren Oberarm packte.

„Kommen Sie weiter“, mahnte die Narn und blickte sich in alle Richtungen um. Es schien so, als sei ihnen niemand gefolgt, doch die Brakiri waren, nach G´Rykas Geschmack etwas zu schnell aus ihrem Sichtbereich verschwunden. Und das lag nach ihrer Meinung nicht nur daran, dass die Stationssicherheit auf dem Haupthandelsplatz Präsenz gezeigt hatte.

Während die Frau ihr zu ihrer Rechten folgte, sagte G´Ryka zischend zu ihr: „Hören Sie zu: Ich weiß nicht warum sie ohne Kontrolle auf die Station wollten und es interessiert mich auch nicht. Aber sie erwecken den Eindruck, als wären Sie auf der Flucht vor Etwas oder Jemanden. Möglicherweise könnte ich Ihnen einen Ausweg bieten. Momentan bin ich eigentlich auf der Suche nach weiteren Anwärtern für meine Crew. Ich habe ein eigenes Schiff und Sie wären erst einmal in Sicherheit. Sollten Sie entscheiden, dass das Bordleben nichts für Sie ist dann könnte ich Sie immerhin auf einem entfernten Außenposten absetzen wo Sie keiner kennt.“

Sie bogen um die Ecke in Richtung der Andockbuchten. Hier war die Beleuchtung schummerig und nur wenige Wesen hielten sich hier auf. G´Rykas Blick wurde starr, als sie am Ende des Ganges die Brakiri entdeckte, die ihr auf dem Haupthandelsplatz bereits aufgefallen waren. Und sie hatten sich Unterstützung besorgt, denn sieben weitere Männer und Frauen, ausschließlich derselben Spezies, standen bei ihnen.

Noch hatten diese Gestalten sie nicht entdeckt, und G´Ryka deutete nach vorne. „Verdammt, denen sollten wir nicht unbedingt in die Arme laufen, fürchte ich. Das riecht nach Ärger, wie die Menschen so gerne sagen.“

In diesem Moment entdeckte einer der Brakiri sie und alarmierte seine Freunde.

G´Ryka und ihre Begleiterin bemerkten neben breiten Klingen auch Schockstäbe, welche die Brakiri unter ihren Jacken und Umhängen hervorholten, und die Narn fluchte erbittert: „So hatte ich mir den Besuch hier nicht vorgestellt. Los schon – zurück, das müssen Sklavenhändler sein! Wenn die uns einholen, dann wird der Tag ziemlich übel enden, schätze ich!“

Damit rannten die beiden so verschiedenen Frauen eben den Weg zurück, den sie eben erst gekommen waren und bogen in einen unbelebten Seitengang ab, über den die Narn gedachte, zu ihrem Shuttle zu kommen.

 
 

* * *

 

Von neun Bewaffneten verfolgt, an der Seite einer unbekannten Narn geschah etwas mit Lieutenant Eireene Connally. Sie mochte ansonsten ein beherrschtes Wesen haben, aber in Situationen wie dieser siegte ihre Ausbildung als Offizier der Erdstreitkräfte. Unvermittelt blieb sie stehen und wandte sich zu den Verfolgern um. Entschlossen warf sie den Umhang ab und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. Die Angst in ihrem Gesicht wich blanker Wut und Angriffslust. Nicht einmal die blitzenden Messer und die Schockstäbe in den Händen ihrer Verfolger konnten sie jetzt noch beeindrucken.

Eireene Connally hatte eine Ausbildung im waffenlosen Nahkampf genossen. Ihre Bewegungen erfolgten fast mechanisch. Als der erste Verfolger sie erreichte, schwang dieser sein langes Messer in ihre Richtung.

Sie unterlief den Schlag und entwaffnete den Mann.

Die übrigen Angreifer waren überrascht stehengeblieben, hatten sie doch mit einer solchen Gegenwehr nicht gerechnet. Dennoch waren sie immer noch in der Überzahl und Eireene hatte nur die Narn an ihrer Seite. Hinter sich hörte sie die Narn irgendetwas rufen. Gleichzeitig fielen vom Ende des Ganges Schüsse.

Als der erste Schuss krachte nutzte G´Ryka, die bereits wieder bei der Menschenfrau war, den Moment und schickte einen der Angreifer mit einem Fausthieb in die Magengrube zu Boden.

„Komm endlich mit, du Halbwahnsinnige!“, fluchte die Narn erbittert und zerrte die wild gewordene junge Offizierin mit sich. Erst jetzt erkannte sie anhand ihrer Kleidung, dass sie zu den Erdstreitkräften gehörte, was eine ganze Menge neuer Fragen aufwarf. „Verflucht, jetzt haben wir auch noch die Sicherheit der Station am Hals. Einmal an diesem Tag reicht, finde ich!“

Gemeinsam nahmen sie ihre Flucht wieder auf.

Im Vorbeirennen erkannte G´Ryka an einer der Wandtafeln, dass sie sich auf Höhe der Andockrampe-11 befanden. Sie wusste, dass die Andockrampen unter einander verbunden waren. Hoffentlich schafften sie es zu ihrem Schiff. Ansonsten würden sie sich etwas Drastisches einfallen lassen müssen. Einen schweren Diebstahl zum Beispiel, um mit einem gestohlenen Raumschiff diese Station zu verlassen.

Hinter sich hörte die Narn, dass es einen Tumult gab. Offensichtlich war die Sicherheit der Station heftig mit den Brakiri an einander geraten. Nun, das gab ihnen einen kleinen Vorsprung. Hoffentlich würde er reichen.

Während sie rannten erkannte Eireene, dass sie sich durch ihr unüberlegtes Handeln in neue Schwierigkeiten gebracht hatte, und folgte nun wieder bereitwillig der Narn. Zumindest schienen ihre Verfolger jetzt ihrerseits durch die Sicherheitsbeamten abgelenkt zu sein.

Durch die Gänge schrillten die Alarmsirenen ihre misstönende Begleitung zu ihrer Flucht. Eireene kannte sich auf der Station nicht aus, sah jedoch anhand der Schilder, dass sie in Richtung Andockbuchten rannten. Eine letzte Biegung, dort vorne war das große Schleusentor - welches sich in dieser Sekunde mit einem Grollen vor ihren Augen schloss.

Die Narn fluchte etwas in ihrer Sprache denn die Menschenfrau wäre beinahe dagegen gerannt. Kurzentschlossen schob G´Ryka sie zur Seite und kramte ein unscheinbares Werkzeug aus ihrem Gewand. Mit wenigen Handgriffen hatte sie das Schaltpaneel neben dem Tor aufgehebelt und verursachte ebenso geschickt einen Kurzschluss, nun ließ sich das Tor zumindest durch Muskelkraft ein Stück weit öffnen und die zwei so ungleichen Wesen schlüpften hindurch. Vor ihnen im Hangar stand ihr Shuttleschiff.

Eireene Connally kannte diesen Shuttletyp nicht, erkannte jedoch, dass es sich um eine modifizierte Version des ursprünglichen Typs handeln musste. Vermutlich ein Beiboot.

Sie hetzten die Rampe empor ins Innere des Schiffes. Die Blondine sackte er in sich zusammen, als sie im Innern des Shuttles waren. Die linke Hand presste sie auf eine Stelle an ihrer Hüfte, an der sie von einer Klinge getroffen worden war. Die Verletzung war nicht schwer, aber überaus schmerzhaft. Vermutlich hervorgerufen von einem Lähmungsgift.

„Wer sind Sie eigentlich?“, rief sie der Narn schwach zu.

„Mh´L´Hach!“, fluchte G´Ryka lautstark als sie die Verletzung der Frau bemerkte. „Dafür ist später Zeit – zuerst müssen wir weg von hier.“

Jetzt ging es um Sekunden. Der Narn war klar, dass ihnen LOOKOUT-Kontrolle keine Startfreigabe erteilen würde, und deshalb mussten sie einen Ausbruch ohne versuchen.

Die Narn half der Frau in den Sessel des Co-Piloten. Sie blutete, doch im Moment war nicht die Zeit um großartig darauf zu achten.

Kaum im Pilotensitz aktivierte sie die Aggregate ihres Schiffes und verschaffte sich einen schnellen Überblick.

Als das Schiff bereits abhob, krachte eine männliche Stimme aus dem Funkempfänger, die sie dazu aufforderte, das Manöver abzubrechen.

Mit einem schnellen Griff schaltete G´Ryka ab und beschleunigte das Schiff. Einen Moment später fluchte sie erbittert, während die Menschenfrau fast aus dem Co-Pilotensitz glitt.

„Sie schließen das innere Panzerschott dieser Sektion“, erklärte G´Ryka, die nicht einmal Zeit hatte zur Seite zu schauen, kurz ab. Dann konzentrierte sie sich wieder, wobei ihr klar wurde, wie knapp es werden würde. Sie musste das Schiff um 90 Grad rollen und es gab ein schrammendes Geräusch, als sie das sich schließende Panzerschott passierten. Dann lag die Ausflugsöffnung vor ihnen, deren energetische Sperre Gaspartikel im Innern der Station hielt, feste Materie jedoch ungehindert passieren ließ.

Im nächsten Moment schossen sie aus der Station hinaus, und G´Ryka flog eine scharfe Kehre nach rechts. Weiter beschleunigend blickte sie auf die Anzeigen und murmelte: „Sollte mich wundern, wenn es wirklich so einfach ist.“

Sie beschleunigte das Shuttle mit Maximalwerten. Zwei Minuten später fluchte sie erneut und erklärte ihrer unfreiwilligen Co-Pilotin: „Sie schicken uns zwei Starfury-Jäger hinterher.“

Glücklicherweise reichte ihr Vorsprung aus, um die NE´VAR eine halbe Minute vor den Jägern zu erreichen. Bereits zuvor, als das Schiff hinter dem Planeten zum Vorschein kam, hatte sie Kontakt zum Schiff aufgenommen und befohlen ihnen entgegen zu fliegen.

Die Menschenfrau blickte G´Ryka erstaunt an, als sie den Angriffskreuzer entdeckte. Sie beobachtete atemlos, wie die Narn zwischen dem Doppelrumpf in den rötlich illuminierten Fronthangar einflog. Nur unbewusst nahm sie wahr, dass es schwere FRAZI-Jäger im Hangar gab.

Gleich nach ihrem Einflug wendete die NE´VAR und nahm Fahrt auf, und zehn Sekunden, bevor die schwer bewaffneten Jäger der Station in Schussweite kamen, öffnete das Schiff ein Hyperraumfenster um in einem gelb glühenden Wirbel aus Licht im Hyperraum zu verschwinden.

 
 

* * *

 

G´Ryka hatte versucht zu ruhen, viel Schlaf hatte sie allerdings nicht gefunden. Zu viele Dinge gingen ihr im Kopf herum. Sie hatte ursprünglich höchst unauffällig nach LOOKOUT kommen wollen - und dann geriet sie unversehens in eine Schießerei, ein Handgemenge, und konnte sich erst einmal dort nicht mehr blicken lassen. Dabei hätte sie dort wohl die größten Aussichten gehabt, eine Kommandocrew aufzutreiben.

Die Narn stand schließlich auf und beschloss zu duschen.

Während das heiße Wasser über ihren nackten, gefleckten Körper rieselte und sie sich dabei mit einer fango-ähnlichen Masse einrieb, die sich mit dem Wasser verband und zunächst einen bräunlich-grünen Film bildete, dachte sie daran, was sie statt dessen hatte:

Eine Menschenfrau, die in einer zerschlissenen Uniform der Erdallianz herumrannte und nach der Meinung ihres Bordarztes die Anzeichen körperlicher Folter zeigte. Und wohl nicht nur der körperlichen, soweit G´Ryka das in dem Verhalten der Frau feststellen konnte. Noch wusste sie nicht was der blonden Frau widerfahren war, doch das würde sie herausfinden. War sie desertiert? Kam sie aus einem Kampf? Was hatte sie auf der Station zu suchen?

„Wahnsinn!“, entfuhr es G´Ryka, während sie die Masse auch auf ihrem kahlen Kopf verteiltem wobei sie den hinteren Hautknoten, der als erogene Zone galt, sehr vorsichtig behandelte. Es gab nur wenige Nicht-Narn, die wussten, warum Narn selten auf dem Rücken schliefen.

Sie rieb, mit einer Sanftheit, die man einer Narn nicht ohne weiteres zutraute, ihre Brüste ein, deren Fleckenmuster etwas feiner war, als das des restlichen Körpers, wobei sich die Spitzen ihrer fast schwarzen Brustwarzen wohlig kribbelnd aufrichteten.

Während ihre Hände weiter hinunter glitten, überlegte sie, dass sie es mit etwas mehr Ruhe und sorgsamer Suche wohl ein paar fähige Leute auf der Station gefunden hätte. Aber das konnte sie zunächst vergessen, dank der Menschenfrau.

Erneut brandete Wut auf diese Frau in ihr auf. Nach einer Weile jedoch mahnte sie sich zur Ordnung. Irgendetwas von dem was diese Frau erlebt hatte schien mit größeren Ereignissen zusammenzuhängen, da war sich die Narn fast sicher. Vielleicht war es gut erst einmal das Gespräch abzuwarten, das sie mit der Blondine zu führen gedachte sobald sie wieder aus ihrer momentanen Bewusstlosigkeit erwachte. Zumindest war die Tatsache, dass man sie nun offiziell suchen würde - daran zweifelte G´Ryka nicht - ein Vorteil. Es würde ihr kaum etwas Anderes übrig bleiben als sich ihr anzuvertrauen und die Wahrheit zu sagen. Vielleicht konnte sie selbst dadurch noch etwas aus ihrer misslichen Lage machen. Grübelnd überlegte G´Ryka wer einem Lieutenant der EA derart zugesetzt hatte und warum. Was wusste diese blonde Frau oder was hatte sie gesehen oder erlebt, das nicht allgemein bekannt werden sollte?

Nachdem der grün-braune Film sich auflöste und kleine Bläschen zu werfen begann, wusch G´Ryka ihn von ihrem Körper, wobei nicht nur sämtliche Verunreinigungen der Hautporen vom Körper gespült, sondern auch ein angenehmer, wenn auch für andere Humanoide etwas herber Duft freigesetzt wurde. Ihre Hände bewegten sich dabei zum Schluss an ihren langen Beinen, mit den durchtrainierten Fesseln, und den etwas blasser gefleckten Füßen hinunter.

Eine Weile blieb sie noch unter dem heißen Wasser stehen und schloss sinnend die Augen, bevor sie das Wasser abdrehte und die Trockenvorrichtung aktivierte. Eine leichte Ultraschallmassage unterstützte dabei die anregende Wirkung der Masse, die sie beim Duschen benutzt hatte. Mit federnden Schritten verließ sie die Nasszelle und schritt zum Wohnbereich.

Nachdem sie eine dunkelbraune Lederhose, gleichfarbige Stiefel und ein schwarzes, dehnbares Lederhemd angezogen hatte, das sich eng um ihre fraulichen Formen schmiegte, warf sie sich eine leichte Lederjacke mit hochgestelltem Kragen über, die etwa denselben Farbton, wie Schuhe und Hose besaß und machte sich dann auf den Weg zum Lazarett. Sie wollte gerne dabei sein, wenn ihre Patientin erwachte, und sie unter vier Augen sprechen. Sie hatte den unbestimmten Eindruck, dass sie dabei neue Erkenntnisse gewinnen würde. Man würde sehen.

Als sie die Krankenstation erreichte war außer der Menschenfrau nur der Bordarzt, ein Narn der auf den Namen Va´Kar hörte, anwesend. G´Ryka gab ihm einen Wink, damit er sie beide allein ließ. Sie musterte die Frau im Bett und setzte sich zu ihr. Es dauerte jedoch noch eine geraume Weile, bis die Frau erwachte und die Augen aufschlug.

Als Eireene Connally aus ihrer Bewusstlosigkeit erwachte blickte sie direkt in das gefleckte Gesicht jener Narn die sie nur allzu gut in Erinnerung hatte und die sie mit ernster Miene ansah. Für einen Moment lang ging der blonden Frau die sarkastische Frage durch den Sinn, ob Narn überhaupt zu einem anderen Gesichtsausdruck fähig waren. Dann überfiel sie wieder die Erinnerungen an die Tage ihrer Flucht. Ein wenig orientierungslos blickte sie sich um und fragte leise: „Wo bin ich?“

G´Ryka verdrehte kurz die Augen. „Warum fragen Menschen immerzu?“

Sie räusperte sich und meinte dann: „Um Ihre Fragen zu minimieren: Sie befinden sich auf einem Narn-Kreuzer der TH´NOR-KLASSE. Er gehört mir, könnte man sagen, und eigentlich war ich auf LOOKOUT um eine Kommandocrew anzuheuern. Wir mussten, dank einer etwas sehr merkwürdigen Menschenfrau, ziemlich überstürzt von der Station verschwinden, wie sie sicherlich noch wissen werden, nicht wahr?“

Die Narn-Frau beugte sich etwas nach vorne und machte ein ernstes Gesicht. „Nun, die gute Nachricht ist, dass wir, mehr oder weniger, wohlbehalten auf der NE´VAR angekommen sind - die schlechte ist: Durch unseren überstürzten Aufbruch von der Station und den Verwicklungen dort, werden wir vermutlich von der Erd-Allianz gesucht.“

G´Ryka bemerkte den drängenden Ausdruck in den Augen der Frau und fügte beruhigend hinzu: „Das muss uns nicht weiter kümmern, und...“

Eireene Connally unterbrach die Narn und meinte drängend: „Es tut mir leid dass Sie in diese Angelegenheit hinein gezogen wurden, aber ich konnte es auf der Station nicht riskieren erkannt zu werden. Hören Sie – es ist möglicherweise eine Verschwörung auf Regierungsebene der Erd-Allianz im Gange und ich muss mich dringend mit einem Offizier einer ganz bestimmten Einheit treffen. Dazu müssen Sie mich in die Nähe eines Raumsektors bringen, der sich etwa einhundertfünfzig Lichtjahre entfernt befindet.“

Die Narn blickte erstaunt über das eben gehörte. Dann verlangte sie: „Erzählen Sie mehr.“

„In Ordnung, aber aus dienstlichen Gründen darf ich Ihnen gewisse Details nicht preisgeben. Mein Name ist Eireene Connally. Ich bin First-Lieutenant der Erd-Allianz und war zuletzt auf dem Kreuzer EAS KLOTHO stationiert. Der alten KLOTHO, die ich, unter dem Kommando von Commander Jason Hrrurfuhruhurr, als Teil einer Überführungscrew, zusammen mit sechs weiteren Kreuzern der ALPHA-KLASSE, zur Demontage ins Sonnensystem bringen sollte. Wir wurden auf dem Weg dorthin von einer uns unbekannten Macht überfallen. Mir gelang die Flucht, um von diesem Überfall berichten zu können. Was aus meinen Kameraden und den Schiffen geworden ist, das weiß ich nicht. Nur dass die Unbekannten Menschen sind und Telepathen in ihren Reihen haben. Sie haben mich auf physische und psychische Art gefoltert um mich zu brechen, doch ich wusste nichts von dem, was sie interessierte.“

Ein gefährliches Feuer begann in G´Rykas roten Augen zu leuchten. Was sie soeben erfahren hatte passte zu dem unbehaglichen Gefühl, das sie selbst schon seit geraumer Zeit nicht mehr loslassen wollte.

Die Narn nickte nachdenklich und erklärte ihrerseits: „Zunächst sollten Sie wissen, dass ich auf meiner Heimatwelt zum Zweiten Kreis gehört, und lange Jahre für den Kha´Ri gearbeitet habe. Dabei bin ich, im Laufe der Zeit, einigen Leuten des Ersten Kreises, welche die Regierungsspitze stellt, unbequem geworden, ohne es zunächst bemerkt zu haben. Doch dann, vor einigen Monaten, habe ich erkannt, dass meine Arbeit von Mitgliedern des Kha´Ri gezielt diskreditiert wird. Mir fielen zuvor Unregelmäßigkeiten im Finanz-Haushalt, besonders beim Militärbudget auf, und ich begann kritische Fragen zu stellen. Oftmals mit einigem Nachdruck. Schließlich realisierte ich wohin diese Kampagne gegen mich führen würde und ich begann, meine eigenen Ziele zu verfolgen, solange es sich machen ließ. Auf diese Weise kam ich zu einem Angriffskreuzer der neuen TH´NOR-KLASSE. Doch um die unlauteren Elemente im Kha´Ri bekämpfen zu können, werde ich mehr benötigen, als nur ein Kampfschiff und ein paar Jäger - nämlich Geld. Viel Geld, dass ich unmöglich nur mit Handel verdienen kann. Und ich brauche diese Mittel schnell, denn in wenigen Jahren schon wird es vermutlich zu spät sein, sprich: Der neue Kha´Ri wird zu fest im Sattel sitzen, um mittelfristig gegen ihn etwas auszurichten zu können. Und nach Ihren Worten vermute ich fast, dass die von Ihnen erwähnte Verschwörung weitreichender sein könnte, als wir beide es im Moment ahnen.“

Die Narn sah, dass die Menschenfrau noch nicht ganz wusste, worauf sie eigentlich hinaus wollte. Kein Wunder, denn bisher hatte sie sich noch keiner Person anvertraut.

Ernst fuhr sie fort: „Als Diplomatin im auswärtigen Dienst, und später in der Regierung, hatte ich Einblicke in das, was meine Kollegen auf anderen Welten bewegt. So fiel mir auf, dass den Welten der Blockfreien gewaltige Geldbeträge über diverse Bankengruppen verschoben wurden. Das bringt mich zu dem Schluss, dass etwas sehr Großes im Gange ist. Denn irgendwohin müssen die enormen Geldmittel geflossen sein. Und das über längere Zeit. Wenn ich einen Verdacht aussprechen darf, auch wenn es ungeheuerlich klingt: Eine geheime Organisation ist dabei seine Kriegskasse aufzufüllen. Die große Frage ist: Warum? Wer will losschlagen und gegen wen will man losschlagen? Wenn ich auf die Erde blicke, die zusammen mit der ISA momentan der einzig wirklich ernstzunehmende militärischer Machtfaktor ist, neben den Narn, fällt es schwer das Offensichtliche zu übersehen.“

Die Narn verstummte und überließ es nun der jungen Frau, das Gesagte zu verdauen und die Schlüsse daraus zu ziehen.

Eireene Connally sah G´Ryka intensiv in die Augen. Sie war keine Telepathin aber sie hatte gelernt, andere Wesen einzuschätzen. Diese Narn sagte offenbar die Wahrheit, und mehr noch, sie war von ihren Worten überzeugt. Mit einer solchen Kraft, wie sie die Blondine nur selten erlebt hatte in ihrem jungen Leben. Sie beschloss, den Worten ihrer Gastgeberin zu glauben. Daher brauchte sie nicht lange um zu der selben Erkenntnis zu kommen wie die Narn: „Sie reden nicht von den Minbari. Dieses Volk ist ebenfalls ein größerer Machtfaktor in der Galaxis, sowohl was die Anzahl von Schiffen angeht, als auch die Technologie. Warum also sollte es denn nicht gegen die Minbari gehen?

G´Ryka lächelte schwach. „Man legt sich nicht mit einer solchen Großmacht an, ohne zuvor ihre potenziellen Verbündeten ausgeschaltet zu haben. Während sich die Minbari sicherlich heraushalten werden, wenn die Menschen angegriffen werden, würden die Menschen den Minbari zu Hilfe kommen. Das ist ein bemerkenswerter Unterschied.“

„Aber was ist mit der Interstellaren Allianz?“, gab Eireene Connally zu bedenken. „Die würden doch bestimmt ebenfalls mitmischen.“

„Nicht wenn die Erd-Allianz als Aggressor dastehen würde. Was glauben Sie denn, was die Leute vorhaben, welche die Kreuzer gestohlen haben?“

Erschrocken blickte die Blondine in die Augen der Narn. „Sie haben Recht. Wenn mit diesen Kreuzern Überfälle auf andere Völker verübt würden, dann...“

G´Ryka nickte zustimmend.

„Aber warum glauben sie, es würde genügen den Kha´Ri aufzuhalten? Unabhängig davon das mir noch nicht klar ist wie sie das tun wollen? Außer das sie dafür viel Geld brauchen.“

Bei den Worten der Frau nickte die Narn und erklärte dann: „Ich kann es nicht mit allen gleichzeitig aufnehmen, und ich habe nur ein Kampfschiff mit einigen Jägern der FRAZI-KLASSE. Mir bleibt also lediglich eine Partisanentaktik - und muss mich dabei auf eine Partei konzentrieren um mich nicht zu verzetteln. Ich kenne den Kha´Ri und auch seine Schwachstellen. Zudem bin ich im Besitz einiger Computer-Codes meines Volkes und ich kenne die Flugrouten und die Orientierungspunkte, an denen die Handelsschiffe von und nach Narn Positionsbestimmungen vornehmen. Zudem ist das Narn-Regime nach den Minbari und der Erde momentan die drittstärkste Kraft im bekannten Universum, die Allianz nicht mit eingerechnet. Darum konzentriere ich mich auf diesen Bereich.“

Sie blickte die Menschenfrau offen an und überwand sich dann dazu hinzuzufügen: „Noch etwas zu meiner Person: Ich bin G´Ryka, die Tochter des ehemaligen Botschafters G´Kar. Meine Mutter, Da´Kal besitzt noch immer gute Verbindungen zum Ersten Kreis.“

Die Blonde lächelte schwach. „Wenn Sie mich in den Vac´Tar-Sektor fliegen, dann werde ich Verbindung zu Leuten aufnehmen können, von denen ich annehme, dass man ihnen noch uneingeschränkt vertrauen kann, und die erfahren müssen was ich weiß, G´Ryka. Ich will Ihnen dabei nicht verschweigen, dass man Sie möglicherweise in diesem Fall ebenfalls verhören möchte.“

Nachdenklich antwortet G´Ryka nach einer Weile: „Ich bin einverstanden. Aber Ihre Vorgesetzten sollen sich hüten dabei zu weit zu gehen. Ich rechne fest mit Ihrer Fürsprache.“

Die Menschenfrau nickte schwach, zum ersten Mal erleichtert, seit ihrer abenteuerlichen Flucht von der KLOTHO. „Das verspreche ich. Wie genau sind Sie übrigens an ein Kriegsschiff der Narn gekommen?“

G´Ryka grinste hintergründig: „Die NE´VAR ist ein Experimentalkreuzer von 500 Metern Länge. Als ich noch für den Kha´Ri tätig war, sorgte ich dafür, dass dieses Schiff als Fehlkonstruktion eingestuft wurde, aber das Schiff ist alles Andere als das. Es ist, trotz seiner geringen Größe, schwer bewaffnet, besitzt Hypersprungkapazität, und kann es mit Schiffen aufnehmen, die mindestens doppelt so groß sind. Trotzdem ist es sehr schnell und wendig im Unterlichtflug. Außerdem haben wir drei FRAZI-Jäger. Das Beste daran ist: Man überließ mir das Schiff, da es zum Verschrotten vorgesehen war, und die drei Jäger werden dank geschickter Manipulation meinerseits nicht vermisst. Man glaubt auf Narn, dass die NE´VAR gerade mal so fliegt - kurz vor dem Auseinanderfallen - und dass die Waffensysteme nicht funktionieren. Beides ist allerdings nicht der Fall, obwohl mir die Wartung des Antriebs Sorge bereitet und einen fähigen Waffenoffizier brauchen wir auch noch. Abgesehen von ein paar raffinierten Jagdpiloten, die mit den FRAZI´s umzugehen verstehen.“

Während die blonde Frau diese Informationen interessiert aufnahm, erklärte G´Ryka weiter: „Wenn ich Sie mit Ihren Leuten in Kontakt gebracht habe, so werden wir die Heimatwelt der Gaim ansteuern um einige medizinische Güter dort gewinnbringend gegen Duftstoffe und Biogrundstoffe einzutauschen. Danach plane ich, mit dieser Fracht Centauri-Prime anzusteuern, wo sie hohe Gewinne abwerfen wird. Danach brauchen wir noch einige Ersatzteile für den Antrieb und Nachschubgüter, die wir günstig auf dem Mars bekommen hätten, wären Sie nicht gewesen. Das zwingt mich zu einem Umweg zur Heimat der Drazi.“

Eireene Connally musterte die Narn anerkennend: „Die Konfiguration der NE´VAR dürfte damit ungefähr den Schiffen der Whitestar-Flotte entsprechen, Ihnen aber taktisch unterlegen sein, weil hier Vorlonentechnologie fehlt. Dennoch ein gutes Schiff für schnelle Vorstöße.“

Das Gesicht der Narn verzog sich merkwürdig und nur Eingeweihte wussten, dass sie nun schmunzelte. Dann fragte sie: „Könnten Sie das bitte für sich behalten, wenn wir Sie zu ihren Leuten bringen, Lieutenant?“

Die Blondine lächelte: „Natürlich - und entschuldigen Sie bitte mein paranoides Verhalten auf der Station. Ich bedauere, wenn sie dadurch Schwierigkeiten haben.“

G´Ryka nickte verständnisvoll. Es schien eine universelle Geste zu sein, die bei vielen humanoiden Völkern verstanden und benutzt wurde. Beinahe geschwisterlich legte sie kurz ihre gefleckte Hand auf den Oberarm der jungen Frau. „Ruhen Sie sich jetzt etwas aus, wir werden etwa drei Tage brauchen, bis wir den Vac´Tar-Sektor erreichen. Bis dahin wird Sie unser Bordarzt wieder auf die Beine bekommen haben, denke ich.“

Die Narn erhob sich und verließ den Raum mit federnden Schritten.

Eireene Connally blickte ihr nach und Tränen der Erleichterung rannen über ihre Wangen, ohne dass sie es verhindern konnte. Sie war vorerst gerettet.

Fragen

Als sich die NE´VAR drei Tage später den Vac´Tar-Sektor erreichte, stand Eireene Connally neben G´Ryka an der Kommunikationskonsole und blickte auf den großen Hauptbildschirm.

Noch wallte das düstere Rot des Hyperraums darauf, doch das würde sich bereits in wenigen Augenblicken ändern.

In den letzten drei Tagen hatte die blonde Frau auch den Rest der recht kleinen Besatzung kennengelernt. Neben fünf weiten Narn gab es an Bord noch drei Drazi, einen Brakiri, einen Menschen und eine Gaim. Letztere war Eireene Connally immer noch etwas unheimlich. Es gab manche Dinge, an die sich selbst der moderne Mensch nur sehr langsam gewöhnte. Die Blondine hatte G´Ryka von Generalmajor Hayes erzählt, und dass er siebzehn Schiffe unter seinem Kommando hat. Mehr preiszugeben war sie bislang nicht bereit gewesen. Sie hoffte nur, dass der General die Narn anhören würde, denn mittlerweile empfand sie so etwas wie Achtung gegenüber dieser energischen Narn, von der Eireene mittlerweile erfahren hatte, dass sie älter war, als gedacht.

G´Ryka ihrerseits hatte ihren anfänglichen Ärger auf die junge Menschenfrau begraben. Im Zuge weitere Unterhaltungen mit ihr hatte sie in den letzten Tagen erfahren, wie übel ihr während des Überfalls auf die KLOTHO mitgespielt worden war. Obwohl es die Narn nicht unmittelbar betraf fand sie diese Ereignisse ziemlich beunruhigend, denn sie kannte die Kampfkraft dieser Kreuzer-Klasse und ihr schwante nichts Gutes für die Chance auf Frieden, in der näheren Zukunft. Hauptsächlich deshalb hatte sie sich darauf eingelassen, diesen verlassenen Sektor des Weltalls anzufliegen und per Hyperfunk eine Nachricht in einem Erdcode verschlüsselt zu senden, den sie nach Eireene Connallys Anweisungen, selbst eingegeben hatte. Als sie ihren Finger von der Sendetaste nahm blickte sie zu der blonden Frau auf und erklärte: „Soweit zum Thema Unauffälligkeit der NE´VAR.“

Eireene lächelte fast entschuldigend. „Sie haben das Richtige getan, G´Ryka.“

Der Gesichtsausdruck der Narn drückte nur allzu deutlich aus, was sie von der Meinung der Menschenfrau hielt, doch sie widersprach nicht sondern grummelte leise: „Abwarten.“ Dann fügte sie etwas freundlicher hinzu: „Ich hoffe nur, dass es nicht Wochen dauert, bis ein Kontakt zustande kommt. Einige der medizinischen Güter in meinem Laderaum besitzen ein Verfallsdatum.“

Lieutenant Connally erwiderte: „Ich denke nicht, dass es sehr lange dauern wird, bis der zuständige Verbandsleiter handelt. Er gehört nicht zu den zögerlichen Typen, wie es heißt.“

G´Ryka nickte. „Hoffentlich haben Sie Recht, Lieutenant Connally, und hoffentlich gehört dieser Mann nicht zu den Flaggoffizieren, die alle Zivilisten, die sich widerrechtlich einen schwer bewaffneten Kampfkreuzer verschaffen, ohne Ausnahme als Verbrecher ansehen.“

 
 

* * *

 

„Ich soll mich nicht darüber aufregen, was Sie eben vom Stapel gelassen haben, Sir?!“

Mit vor Zorn lodernden Augen stand Commander Irina Zaizewa vor dem ausladenden Arbeitstisch im Büro von Generalmajor Lynden Benjamin Hayes und funkelte ihn wütend an. Sich mit ihren schlanken Händen auf der Kante der glatten Tischplatte abstützend beugte sie sich halb über den Tisch zu ihm und fuhr heftig fort: „Sie scheren mal wieder alle Telepathen über einen Kamm mit ihrer Bemerkung, dass Sie mit dieser, wie sagten Sie doch gleich, Mörderbande am liebsten kurzen Prozess machen würden, und ich soll darüber nicht wütend werden?! Vielleicht wollen Sie ja gleich mit mir anfangen?!“

Der kräftige Zweiundfünfzigjährige lehnte sich seufzend in seinem Sessel zurück und verschränkte seine Finger über dem, durch die Uniformjacke kaum zu bemerkenden Bauchansatz. Aber Commander, Sie wissen doch genau, dass ich nicht Sie persönlich damit gemeint habe. Es ist aber doch so, dass...“

„Ach, weiß ich das?!“, schnitt Irina Zaizewa ihrem Vorgesetzten das Wort ab. Der Anblick seiner im Moment geradezu aufreizend sanft schauenden, braunen Augen machte die Russin nur noch wütender und heftig ergänzte sie: „Ich kenne Sie nicht gut genug, um immer ganz genau zu wissen, was Sie gerade meinen, Generalmajor Lynden Benjamin Hayes!“

Hayes Augen musterten die schlanke Frau für einen langen Moment – ihr glänzendes, braunes Haar, dass ihr in einer weichen Welle, wie am Tag ihrer ersten Begegnung auf der Station MFB-VI-023, über die linke Schulter bis über den gold-silbernen Kommando-Streifen ihrer Uniform fiel. Heute, wie vor über vier Wochen, verdeckte es das kleine PSI-Symbol darauf, welches sie als Telepathin auswies. Ihre grün-braunen, oft golden wirkenden Augen, in denen nun ein lauernder Zug lag – fixierten den Mann, auf ein falsches Wort von ihm wartend, bei dem sie anschließend explodieren können würde.

Doch der Generalmajor war momentan nicht dazu aufgelegt sich zu streiten, besonders nicht mit Irina Zaizewa – was vor fünf Wochen noch ganz anders gewesen war. Darum lächelte er etwas nachsichtig, fast amüsiert und sagte sanft: „Es tut mir leid, wenn ich durch einige unbedachte Worte Ihre Gefühle verletzt haben sollte, Commander. Ich versichere Ihnen, dass ich nur die wirklich verbrecherisch handelnden Telepathen mit meiner Äußerung gemeint hatte. Übrigens, es klang irgendwie sehr nett, wie sie meinen Zweitnamen betont haben. Mögen Sie ihn?“

Die Russin presste, etwas überrumpelt wegen des abrupten Themenwechsels, die Lippen zusammen, bevor sie konterte: „Nicht die Spur, Sir.“

„Auch nicht schlimm“, erwiderte der General gleichmütig und deutete auf die beiden Sessel vor seinem Tisch. Etwas energischer meinte er dann: „Setzen Sie sich bitte, Commander. Ich möchte mit Ihnen den Rotationsplan für die Jagdverbände der Station nochmal durchgehen. Mir ist aufgefallen, dass Sie die Piloten momentan sehr stark ran nehmen. Natürlich müssen wir im Moment auf der Hut sein, aber allzu scharf macht schartig heißt es. Darum schlage ich vor, dass wir die Kampfübungen von jedem Tag auf alle zwei Tage zurückschrauben, wenn Sie damit einverstanden sind. Ich will das nicht im Alleingang entscheiden, Commander.“

Während die Frau sich geschmeidig in den rechten Sessel setzte warf Hayes einen schnellen Blick durch die großen Fenster, gegenüber seines Arbeitstisches, unter denen eine gemütliche Sitzgruppe, für Besprechungen im engsten Kreis der Führungsoffiziere, angeordnet war. Durch die Fenster blickte er auf einen Teil des Innenbereichs der Rotationssektion. Nachdem Irina Zaizewa sich im Sessel zurechtgesetzt hatte, blickte der Grauhaarige sie wieder direkt an.

Die Russin räusperte sich, bevor sie, etwas weniger emotional den Faden wieder aufnahm und meinte: „Aber das könnten Sie jederzeit tun, Sir.“

Hayes beugte sich im Sessel vor und legte seine Hände auf die Tischplatte, unterhalb der eingelassenen Monitorsektion. Ruhig erklärte er: „Sicherlich, das könnte ich tun, Commander. Aber das würde Ihnen doch nur vermitteln, dass ich Sie nicht als meinen Ersten Offizier auf dieser Station akzeptiere, und weiter entfernt von den Tatsachen könnten Sie damit gar nicht sein. Denn ich respektiere Sie und Ihre Meinung sehr, Commander. Sie haben auf dieser Station bisher sehr gute Arbeit geleistet. Abgesehen vom ersten Abend den ich auf der Station zugebracht habe.“

Bei seinen letzten Worten zwinkerte der Mann verschmitzt und nahm ihnen die Spitze.

Irina Zaizewa hatte sich inzwischen weitgehend wieder beruhigt und erstaunt stellte sie nun fest, dass ihr der Generalmajor mit seinen Worten förmlich den Wind aus den Segeln genommen hatte. Die Wut über seine vorherigen, verletzenden Worte war verraucht. Sie zögerte etwas, bevor sie sein Friedensangebot annahm und ruhig antwortete: „Ich bedanke mich für das Lob, Sir. Das bedeutet mir sehr viel, denn ich liebe das was ich hier tue.“

Hayes nickte und lehnte sich wieder zurück. „Nun, was meinen Sie zu meinem Vorschlag?“

Die Russin überlegte kurz. „Mittelfristig halte ich Ihren Vorschlag für gut. Die Ergebnisse der Gefechtsübungen sollten zuvor aber noch um fünf Prozent steigen, würde ich sagen.“

Hayes lächelte zufrieden und machte eine zustimmende Geste. „Dann wäre das entschieden, Commander.“ Er suchte nach den richtigen Worten, bevor er geradeheraus sagte: „Commander, bevor ich das letzte Mal von der Station aufbrach, da wollte ich...“

Der Meldeton des Hand-Kommunikators unterbrach den Redefluss des Generals. Entsagungsvoll die Augen rollend, aktivierte der Mann das kleine Gerät auf seinem rechten Handrücken, führte es zum Mund und meldete sich energisch: „Hayes hier, was gibt es?“

Funkleitstand, Ensign Ralf Larsen spricht. Sir, wir haben einen, nach dem neuesten Code der Erdstreitkräfte verschlüsselten Hyperfunkspruch empfangen. Keines unserer Schiffe. Der Ruf wurde von einer Narn namens G´Ryka gesendet, die, laut ihres Spruchs, einen Leichten Kreuzer der TH´NOR-KLASSE namens NE´VAR kommandiert. Sie hat, nach eigenen Angaben, einen unserer Offiziere, mit Namen: Eireene Connally, an Bord, und sie bittet nun darum, dass wir ein Raumschiff schicken und diesen Lieutenant abholen.“

Mit leichter Bestürzung blickte Commander Zaizewa ihren Vorgesetzten an, der ebenfalls eine erstaunte Miene machte. Wer wusste davon, dass sie in dieser Gegend waren?

Der General fasste sich schnell und erwiderte: „Danke, Ensign. Der Offizier vom Dienst soll Alarm geben. Welche Schiffe sind momentan auf Alarmstatus?“

„Außer der SHERIDAN und der THALIA, wie vor vier Tagen angeordnet, die HERAKLES, die ARTEMIS und die AGLAIA, Sir.“

Hayes lächelte und erwiderte dann: „Danke, Ensign Larsen. Informieren Sie Captain Esposito, dass ich in spätestens zwanzig Minuten an Bord sein werde. Hayes, Ende.“

Der Generalmajor schaltete den Kommunikator auf Stand-By und blickte fragend zu Irina Zaizewa. „Könnte das vielleicht jener Offizier sein, der noch vermisst wird, Commander? So weit könnte das Ganze passen.“

„Vielleicht ist es aber auch eine Falle, Sir“, gab die Russin zu bedenken. „Sollen die übrigen Schiffe auf Alarmbereitschaft gehen?“

Hayes erhob sich, straffte seine Gestalt und nickte zustimmend. „Ja, aber alarmieren Sie nur die Crews der fünf WARLOCK-Zerstörer. Die sollten als zusätzliche Unterstützung reichen, falls uns wirklich einer an den Kragen will. Veranlassen Sie das bitte, Commander.“

Die Russin bestätigte und blickte Hayes sinnend nach der rasch zum Ausgang des Büros eilte. Sie fragte sich dabei ironisch, wann sie nun endlich erfahren würde, was der General ihr bereits vor zwei Wochen hatte sagen wollen.

Erstkontakt

Bereits siebzehn Minuten später stand Lynden B. Hayes hinter dem Platz des Captains im Kommandozentrum der SHERIDAN und blickte in die Runde. Hier herrschte das übliche Durcheinander eines bevorstehenden Alarmstarts. Der spanische Kommandant des Trägerraumschiffs hatte auf der anderen Seite des Sessels Aufstellung genommen und gab über einen Kommunikator, den er am linken Ohr trug, schiffsweit letzte Anweisungen. Wie immer würde er nach dem Start darauf bestehen, dass sein Vorgesetzter im Sessel Platz nahm. In dieser Hinsicht hatte sich Esposito von Beginn an als erstaunlich stur erwiesen, wenn Hayes an Bord des Flaggschiffes der Kampfgruppe-Epsilon weilte.

Hayes hatte diese Marotte des Spaniers mittlerweile akzeptiert und er wusste sie als Zeichen des Respekts zu würdigen. Esposito hatte bereits jahrelang, als Erster Offizier im Rang eines Commanders, an Bord der ANDROMEDA, dem früheren Flaggschiff des Verbandes, zusammen mit ihm gedient. Nachdem dann im Herbst letzten Jahres das neue Trägerschlachtschiff SHERIDAN in Dienst gestellt worden war, hatte Hayes ihn zum Captain befördert und persönlich als Kommandant dieses neuen Kriegsschiffs vorgeschlagen. Zusammen mit Esposito hatte der General gleichzeitig Lieutenant-Commander Melanie Sterling auf die SHERIDAN übernommen und sie zum Commander befördert. Zuvor als Kommandantin des Bordgeschwaders der ANDROMEDA dienend, hatte die zierliche Australierin nun, neben der Funktion als Geschwaderkommandantin der 48 Jäger und ebenfalls 48 Jagdbomber, nun zusätzlich die Position des Ersten Offiziers an Bord inne. Bisher hatte die oft ernst wirkende Frau diese Doppelfunktion hervorragend ausgefüllt. Zudem bestand zwischen Esposito und der Schwarzhaarigen ein besonderes Vertrauensverhältnis, das sich jedoch auf den rein dienstlichen Bereich beschränkte. Beide waren im Laufe der gemeinsamen Dienstjahre zu guten Freunden geworden - mehr nicht, aber auch nicht weniger.

Zwei Minuten später wandte sich Fernando Esposito an seinen Vorgesetzten und meldete: „Der Verband ist klar zum Start, General. Bitte nehmen Sie Platz.“

Hayes grinste beinahe verzweifelt und setzte sich in den Kommandosessel. Dabei raunte er dem Spanier amüsiert zu: „Nur damit Sie Ihren Seelenfrieden finden, Captain.“

Esposito grinste offen, sagte aber nichts dazu. Er wusste, dass Hayes der Meinung war, der Kommandantensessel würde ausschließlich dem Schiffskommandanten zustehen, und das war im Grunde nicht Hayes, sondern er selbst. Hayes nutzte die SHERIDAN lediglich als Flaggschiff und legte die strategischen Richtlinien für den Verband fest. Die Schiffsinterna unterlagen allein seiner Kommandogewalt, als Captain des Schiffes und natürlich wusste und akzeptierte Hayes das. Andererseits empfand es Esposito als unmöglich, den Kommandeur des Verbandes im Kommandozentrum herumstehen zu lassen, während er selbst gemütlich im Sessel saß. Während des letzten Einsatzes hatte es sich so ergeben, dass sie sich den Sessel geteilt hatten, wenn sie beide längere Zeit im Kommandozentrum weilten, womit Esposito notfalls auch diesmal würde leben können.

Auf dem Bildschirm erkannte Hayes, wie das Schiff langsam Fahrt aufnahm, nachdem Esposito den Befehl dazu erteilt hatte. Der General wusste, auch ohne es zu sehen, dass dem Flaggschiff zwei Zerstörer der NOVA-KLASSE und zwei Schiffe der ALPHA-II-KLASSE folgten. Zusammen mit den Bordgeschwadern sollten diese fünf Schiffe ausreichen um nicht in Verlegenheit zu geraten, falls jene Unbekannten, die unter noch ungeklärten Umständen, offenbar sieben alte ALPHA-KLASSE Kreuzer gestohlen hatten, erneut zuschlagen wollten. Im Gegensatz zu den sieben verloren gegangenen Kreuzern waren diese fünf Kriegsschiffe voll bemannt, auf dem höchsten Stand der Technik, und in Alarmbereitschaft. Ein eventueller Aggressor würde also eine riesengroße Überraschung erleben, falls er einen Angriff riskieren sollte.

Vor den fünf Raumschiffen wurde in diesem Augenblick, von der Station aus, die im Sprachgebrauch ihrer Besatzung schlicht nur BABYLON-6 genannt wurde, einhundert Kilometer entfernt, ein gelb leuchtender Vortex von fünf Kilometern Durchmesser etabliert, durch den ein Eindringen in den Hyperraum möglich war.

In geschlossener Formation drangen die fünf Kriegsschiffe der Erdstreitkräfte in den Hyperraum ein, der sie mit seinem gewohnt düsterroten Wallen und Wabbern aufnahm.

Im Kommandozentrum der SHERIDAN stand Lynden B. Hayes abrupt auf und wandte sich zu Esposito: „Captain, nach den Koordinaten, die von der Narn übermittelt worden sind, liegt der Sektor in dem wir auf ihr Raumschiff treffen werden, etwa einen Flugtag von hier entfernt. Ich werde mein Quartier aufsuchen. Melden Sie mir jede Unregelmäßigkeit, die sich möglicherweise ereignen könnte.“

Damit wandte der General sich ab und verließ das Kommandozentrum, das sich ziemlich genau im Achsenquerschnitt des Trägerschlachtschiffes befand. Zielstrebig durch die Gänge schreitend erreichte er eine halbe Minute später sein Quartier. Dort angekommen begab sich der Mann zum Computerterminal und aktivierte das Gerät. Nachdenklich sagte er: „Computer, liste alle Fakten zu einer Narn namens G´Ryka auf, die sich in der Datenbank befinden.“

„Bitte warten“, kam die Reaktion des Computers und Hayes fragte sich, wer auf die Idee gekommen sein mochte, die Stimmausgabe für Computer an eine einschmeichelnde Frauenstimme anzupassen. Im nächsten Moment fügte die Stimme hinzu: „Auftrag ausgeführt. Daten erscheinen auf dem Bildschirm.“

Hayes beugte sich neugierig etwas vor und blickte angestrengt auf den Text des eingeblendeten Dossiers. Laut dieser Angaben handelte es sich bei der besagten Person um die Tochter von G´Kar und Da´Kal. Beide Namen waren Hayes ein Begriff. G´Kar war einst Botschafter auf BABYLON-5 gewesen. Später hatte er ein religiöses Buch verfasst, das so etwas wie ein Bestseller unter gläubigen Narn geworden war. Über sein späteres Schicksal wusste Hayes nur sehr wenig, außer dass ihm vereinzelt Gerüchte zu Ohren gekommen waren, sein Tod, im Jahr 2278 hätte mit dem des damaligen Imperators der Centauri-Republik, Londo Mollari, in enger Verbindung gestanden. Seine Frau, Da´Kal, hatte viele Jahre lang zum Ersten Kreis gehört, zu dem nur eine Handvoll Narn gehörten, welche die Regierungsgewalt innerhalb des Narn-Regimes ausübten. Auch heute, so sagte man, hielt sie noch Verbindungen zum Ersten Kreis.

Und nun hatte ausgerechnet deren Tochter, die lange Jahre zum Zweiten Kreis gehört hatte, welcher quasi den Senat innerhalb des neuen Kha´Ri darstellte, Verbindung aufgenommen und behauptete, einen der vermissten Offiziere der verschwundenen sieben Kreuzer, gerettet zu haben. Das alles klang reichlich mysteriös für den Grauhaarigen. Es war jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass jener Lieutenant Eireene Connally, von der in G´Rykas Nachricht die Rede gewesen war, unzweifelhaft an Bord eines der Kreuzer gewesen war. Woher sollte die Narn diesen Namen kennen, wenn sie nicht tatsächlich diese Frau an Bord hatte? Die einzig vorstellbare Alternative wäre gewesen, dass sie selbst an dem Überfall beteiligt gewesen war. Doch Hayes verwarf diese Möglichkeit sehr schnell wieder. In diesem Fall Verbindung mit ihm aufnehmen zu wollen wäre reichlich dumm gewesen. Außerdem: Woher sollte die Narn ihn ausgerechnet in diesem Sektor vermuten?

Hayes lehnte sich im Stuhl zurück. Natürlich konnte man diese Nachricht vorher aus dem Lieutenant herausgepresst haben, doch der Gedanke schien Hayes zu abwegig. Außerdem hatte er Erfahrung damit bei Dossiers auch zwischen den Zeilen zu lesen, und das von G´Ryka erweckte nicht den Verdacht in ihm zu einer Verbrecherin unterwegs zu sein.

Für einen Moment bedauerte er, nicht Irina Zaizewa dabei zu haben denn eine Telepathin wäre notfalls in der Lage Licht ins Dunkel zu bringen. Nach einer Weile lächelte der General unbewusst. Nein, die Telepathin würde ihm bestenfalls erneut die Hölle heiß machen wenn er sie dazu drängte ein Wesen gegen seinen Willen zu scannen, ohne ausreichende Verdachtsmomente.

Sich seufzend aus dem Stuhl schälend überlegte Hayes, was für ein menschliches Verhältnis ihn und Irina Zaizewa momentan verband. Eines war sicher: In den letzten Wochen hatte sich mehr entwickelt zwischen ihnen beiden, als eine normale Kameradschaft. Aber was es genau war, das konnte Hayes nicht sagen und das verwirrte ihn. Rastlos schritt er im Arbeitsraum hin und her. Er wusste ja nicht einmal zu sagen was er selbst für diese Frau empfand. War es Freundschaft, Kameradschaft, oder war es mehr als das? Er wusste momentan nur, dass seine Gefühle für Irina, ganz gleich welcher Art, ziemlich zwiespältiger Natur waren.

Eine Verwünschung zwischen den Zähnen zerquetschend setzte er sich schließlich wieder an das Computerterminal und las die Fakten erneut. Dabei überlegte er, wie eine Narn, die den offiziellen Quellen nach nicht zum Militär der Narn gehörte, zu einem bewaffneten Kreuzer gekommen sein mochte. Noch vor ihrem bevorstehenden ersten Kontakt befand der Generalmajor, dass diese Narn wohl kaum weniger imponierend sein konnte als ihr Vater. Nun, spätestens in knapp vierundzwanzig Stunden würde er wohl schlauer sein.

 
 

* * *

 

Die letzten dreiundzwanzigeinhalb Stunden waren geradezu sensationell ereignislos verlaufen und so brannte Lynden B. Hayes, der nun wieder neben Captain Esposito im Kommandozentrum der SHERIDAN stand, um so mehr darauf endlich im Zielgebiet einzutreffen und mit der Narn reden zu können.

Der Generalmajor atmete hörbar ein und aus, als sein kleiner Verband endlich den Hyperraum verließ und auf dem Bildschirm die ewige Schwärze des Weltalls sichtbar wurde. Bereits wenige Augenblicke später meldete der Ortungsoffizier: „Kontakt in 037.121, Sir. Der Größe nach handelt es sich um das Schiff welches uns kontaktiert hat. Entfernung: Knapp zwei Millionen Kilometer.“

„Wir gehen heran und fliegen ein Anpassungsmanöver“, wies Captain Fernando Esposito die Pilotin der SHERIDAN an. Danach wandte er sich zum Funkoffizier und befahl: „Rufen Sie das Schiff über einen gesicherten Kanal an.“

Während die Anweisungen des Spaniers ausgeführt wurden trat Hayes an seine Seite und meinte leise: „Ich bin bereits sehr gespannt auf diese Kontaktaufnahme. Von G´Rykas Vater, G´Kar, habe ich in meiner Jugendzeit die tollsten Dinge gehört, wobei ich glaube, dass einige der Anekdoten wohl etwas ausgeschmückt wurden. Nun, wir werden ja sehen.“

Esposito, der in diesem Moment erst erfuhr wessen Tochter G´Ryka war, blickte etwas verblüfft seinen Vorgesetzten an und erkundigte sich raunend: „Reden wir hier von dem G´Kar, Sir? Mir war nicht bewusst, dass dieser Narn überhaupt eine Frau hat, geschweige denn ein Kind.“

Bereits im nächsten Moment wechselte das Bild auf dem Hauptschirm und es wurden zwei Wesen darauf erkennbar.

Lynden B. Hayes erkannte zwei Frauen; eine davon ohne jeden Zweifel eine Narn. Die andere Frau war menschlich, blond, und man sah ihr an dass die letzten Tage nicht ganz spurlos an ihr vorbei gegangen waren. Der Hintergrund wurde orangerot beleuchtet, was typisch für Raumschiffe der Narn war da ihre Sonne denselben Farbton aussandte. Der General räusperte sich und wandte sich an die Menschenfrau, welche eine Uniform der Erd-Allianz mit den Insignien eines First-Lieutenants trug: „Nennen Sie Ihren Namen, Lieutenant.“

„Eireene Connally. Zuletzt unter Commander Jason Hrrurfuhruhurr, auf dem ALPHA-KLASSE Kreuzer EAS KLOTHO im Dienst. Sir, was ich zu berichten habe ist dringender Natur, und ich möchte das nicht über Funk verlauten lassen.“

Der General nickte knapp und wandte sich etwas nach Rechts um nun mit der Narn zu reden. „Sie sind G´Ryka?“

Die Narn legte ihre beiden Fäuste vor die Brust und verbeugte sich leicht. Dabei drückten ihre roten Augen eine Mischung aus Tatendrang und Neugier aus als sie mit rauer Stimme antwortete: „Das ist richtig, General. Lieutenant Connally ist mir auf der Transferstation LOOKOUT über den Weg gelaufen. Ich habe mich ihrer angenommen und bot ihr meine Hilfe an, da sie zu diesem Zeitpunkt in Schwierigkeiten steckte.“

Hayes versuchte im Gesicht der Narn auszuloten was ihre Beweggründe dafür gewesen sein mochten – ohne großen Erfolg wie er sich missmutig eingestehen musste. Fordernd erklärte er: „Ich würde auch Sie gerne sprechen, Miss G´Ryka. Mir wäre es lieb, wenn Sie und Lieutenant Connally mit einem Shuttle an Bord meines Flaggschiffs, die EAS SHERIDAN, kämen, damit wir uns unterhalten können.“

Die Narn erweckte kurzzeitig den Eindruck als wäre sie mit dem Vorschlag des Generals nicht einverstanden. Doch dann sagte sie schließlich: „In Ordnung, General. Ich nehme an, das von Ihnen erwähnte Flaggschiff ist dieser beeindruckende Riesenkasten, den wir in der Ortung haben?“

Der Flaggoffizier erlaubte sich ein Schmunzeln. „Sie vermuten richtig. Bitte benutzen Sie beim Anflug den oberen rechten Hangar - dort werde ich Sie erwarten. Hayes, Ende.“

„Lieutenant Connally und ich werden zu Ihnen übersetzen. G´Ryka, Ende.“

Die Verbindung wurde unterbrochen und Hayes wandte sich an Esposito. „Bestellen Sie vier Leute der Sicherheit zu Hangar-1. Sicher ist sicher. Ach und Captain: Halten Sie die Augen offen, solange wir uns in diesem Sektor aufhalten. Ich mag keine Überraschungen, wenn Sie verstehen was ich meine.“

„Ich halte den Verband gefechtsbereit, Sir“, bestätigte Esposito mit etwas enttäuschter Miene. Er hatte gehofft, dass der General ihn mitnehmen würde. Doch er verstand andererseits die Vorsicht seines Vorgesetzten. In einer nicht überschaubaren Situation wie dieser war sein Platz im Kommandozentrum seines Schiffes. So blickte er Hayes missmutig nach, als dieser die Zentrale verließ um den Hangar, im Frontsektor des gut drei Kilometer langen Trägerschlachtschiffes, aufzusuchen.

Der General indessen nutzte das Steuerbord-Röhrenbahnsystem der SHERIDAN, um in den Frontbereich des Trägerschlachtschiffes zu fahren. Auf Raumschiffen vom Rang der SHERIDAN hatte sich ein solches System als unabdingbar erwiesen, denn es dauerte im Allgemeinen zu lange ein so gewaltiges Raumschiff zu Fuß zu durchqueren. Auf der SHERIDAN gab es zwei solcher Transportsysteme, bestehend aus jeweils sechs Röhrenbahnen, die von den mittleren drei Decks erreicht werden konnten, und deren Trassen durch die gesamte Länge des Schiffes führten. Haltestationen gab es insgesamt fünf, und zwar im Hangarsektor, dem Kommandobereich, dem Antriebssektor, und den beiden jeweiligen Bereichen zwischen diesen drei Hauptsektoren. Strecken, die kürzer waren als jene zwischen diesen fünf Bereichen konnten zeitnah weiterhin zu Fuß durchquert werden.

Während Hayes in den Frontsektor des Schlachtschiffes fuhr überlegte er, dass sich ein solches Transportsystem zum ersten Mal an Bord der beiden, fast drei Kilometer langen, Raumkreuzer der VICTORY-KLASSE bewährt hatte. Kein Wunder also, dass die um 52 Meter längere SHERIDAN ebenfalls mit einem Transportsystem ausgestattet worden war, welches sich jedoch in seiner Konstruktion signifikant von dem dieser beiden ISA-Kreuzer unterschied. Hauptsächlich war es platzsparender konstruiert worden.

Wenig später hatte der Generalmajor den Endpunkt des Röhrenbahnsystems erreicht und er verließ das Gefährt, das bis zu fünfzig Menschen gleichzeitig transportieren konnte.

Im Wartebereich des Hangars stieß Hayes auf die vier Sicherheits-Soldaten. G´Ryka und Lieutenant Connally waren bereits zugegen und blickten abwartend zu ihm, als er sich näherte. Der General gab den vier Soldaten ein Zeichen ihm zu folgen. Etwa drei Schritt vor den beiden so unterschiedlichen Frauen blieb er stehen und sah der Narn direkt in die Augen, während diese ihre Geste wiederholte, die er bereits auf dem Bildschirm hatte beobachten können, als sie sich über Bildfunk unterhalten hatten. Um nicht unhöflich zu sein legte Hayes seinerseits die Fäuste an seine Brust wobei aus der Verbeugung eher ein angedeutetes Kopfnicken wurde. Dann sagte er mit sonorer Stimme: „Willkommen an Bord der SHERIDAN, Miss G´Ryka.“ Erst dann blickte er zu der Menschenfrau und meinte: „Ich heiße auch Sie willkommen, Lieutenant Connally. Sie werden verstehen, dass ich sehr gespannt auf Ihren Bericht bin. Bitte kommen Sie und G´Ryka mit mir, ich möchte keinerlei Zeit vergeuden.“

Er wandte sich um und ging voran, während die vier Soldaten der Sicherheit die beiden Frauen zwischen sich nahmen. Bei einem flüchtigen Blick über die Schulter bemerkte Hayes, wie sich die Narn sehr aufmerksam umsah, offensichtlich beeindruckt von dem, was sie sah. Der Generalmajor schmunzelte leicht. Selbst ihm war es so ergangen, als er zum ersten Mal das Schiff inspiziert hatte.

Als sie endlich den Mittelsektor erreicht, und einen der kleineren Konferenzräume betreten hatten, brach die Narn das Schweigen und erkundigte sich, mit einem schnellen Blick zu den vier Sicherheitsleuten, die sich rechts und links des Schotts, entlang der Wände postiert hatten: „Ich lege Wert darauf festzustellen, dass ich nicht als Ihre Gefangene hier bin, sondern als freie Narn, General Hayes. Ansonsten wird dies ein sehr einseitiges Gespräch werden.“

Der General bot den beiden Frauen Platz an dem einfachen Tisch, mit dem eingeprägten Symbol der Erd-Allianz, an und erwiderte, zu G´Ryka gewandt, während er sich selbst an das Kopfende des Tisches setzte: „Sie ihrerseits werden sicherlich verstehen, dass ich mich absichern muss. Ich kenne Sie nicht, Miss G´Ryka, und mich beunruhigt die Tatsache, dass Sie von unserem Hiersein wissen.“

„Sir, Sie müssen der Narn vertrauen“, schaltete sich an dieser Stelle Eireene Connally ein. „Sie hat mir geholfen, als...“

„Zu Ihnen komme ich gleich noch, Lieutenant, Connally!“, donnerte der General mit lauter Stimme, wobei er die blonde Frau, die, G´Ryka gegenüber, zu seiner Linken am Tisch saß, mit finsterer Miene musterte. „Sie haben nicht nur eine Zivilperson in die Nähe unseres geheimen Aufmarschsektors geführt, sondern Sie haben Ihr auch noch die Anwesenheit unserer Einheit verraten, die so lange, wie nur möglich, geheim bleiben soll!“

Verblüfft über diesen plötzlichen Ausbruch des Mannes schwieg die Blondine betreten.

Inzwischen wandte sich der Generalmajor erneut der Narn zu. „Miss G´Ryka, ich möchte nicht, dass Sie mich für undankbar halten. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie einem Offizier der Erd-Allianz geholfen haben, doch allein der Umstand, dass Sie von der Präsenz der Erdstreitkräfte in diesem Raumsektor wissen, bringt mich in eine unangenehme Situation. Sie können nicht von mir erwarten, dass ich einer mir vollkommen fremden Person vorbehaltlos vertraue.“

Die Narn beugte sich im Stuhl nach vorne und blickte den Generalmajor mit zusammengepressten Lippen an. Nur in ihren Augen, die in diesem Moment beinahe zu glühen schienen erkannte man, wie sehr es in ihr arbeitete. Nach einigen Augenblicken entspannte sich ihre Haltung etwas und mit einem schnellen Blick auf die vier Wachen erklärte die Narn, mühsam beherrscht: „Nun gut, ich kann Sie nicht daran hindern, mich und die Besatzung der NE´VAR zu inhaftieren, aber es wäre bestimmt ein Fehler, General. Wenn ich finstere Absichten hätte, dann wäre ich doch sehr dumm gewesen, Lieutenant Connally hierher zu bringen, anstatt mein Wissen anderweitig zu Geld zu machen, finden Sie nicht?“

„Genau das wäre mein Argument, um mich in Sicherheit zu wiegen“, hielt Hayes dagegen. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und musterte die Narn scharf, bevor er sich an die Wachen wandte und zu ihrem Sergeant sagte: „Begleiten Sie und ihre Leute Lieutenant Connally für einen Moment auf den Gang hinaus, ich möchte etwas allein mit G´Ryka besprechen.“

Hayes erkannte das Unbehagen im Blick des Angesprochenen und erklärte: „Ich werde mich zu wehren wissen, falls die Narn mir an den Kragen will. Aber das glaube ich nicht.“

Eireene Connally verstand den Wink. Sie erhob sich schnell und verließ mit den vier Sicherheitsbeamten den Raum.

Nachdem sich das Schott hinter den fünf Personen geschlossen hatte, und der Generalmajor mit G´Ryka allein im Raum war, legte er seine Fingerspitzen gegen einander, atmete tief durch und erklärte ruhig: „Was ich zunächst von Ihnen möchte, G´Ryka, ist zu erfahren, was Lieutenant Connally Ihnen erzählt hat, bevor ich sie selbst dazu befragen werde.“

Die Narn blickte einige Momente in die Augen des Generalmajors. Dann nickte sie und gab wieder, was Eireene Connally ihr an Bord der NE´VAR erzählte.

Nachdem sie geendet hatte, nickte der Flaggoffizier ernst und erklärte: „Ich glaube, dass Sie die Wahrheit gesagt haben, G´Ryka. Mein Problem ist, dass Sie zu viel wissen, als dass ich Sie einfach so vom Haken lassen könnte.“ Hayes erkannte das Unverständnis der Narn-Frau, bei seinen letzten Worten und erklärte, was er mit „vom Haken lassen“ gemeint hatte. Danach fuhr er fort: „Aus diesem Grund möchte ich Ihnen ein Angebot machen, das vielleicht für uns beide von Vorteil wäre, Miss G´Ryka. Sie sagten, dass die NE´VAR erschreckend unterbesetzt ist. Ich könnte dafür sorgen, dass sich diese Tatsache ändert, indem ich Ihnen mit kompetenten Freiwilligen aushelfe, darunter auch einige ausgezeichnete Jagdpiloten, die einen FRAZI-Jäger fliegen können. Im Gegenzug dafür arbeiten Sie für mich. Sie können zu Orten fliegen, an denen meine Einheiten zu auffällig wären, und sich dort Informationen beschaffen, die wichtig für mich sein könnten. Die Alternative wäre, Sie, Ihre Mannschaft und Ihr Schiff zu kassieren. Was also sagen Sie?“

G´Ryka gab vor zu überlegen. Insgeheim gefiel ihr der Plan, doch sie hatte einige Bedingungen, die sie nun vorbrachte. Ernst erwiderte sie: „Wenn ich mich auf Ihren Vorschlag einlasse, General, dann nur, wenn ich dabei meine eigenen Pläne weiterverfolgen darf. Ich kann es mir nämlich nicht leisten, diese zu vernachlässigen. Irgendetwas Seltsames geht vor sich, im Kha´Ri und mittelfristig werde ich große finanzielle Mittel benötigen, um einer drohenden Gefahr aus dieser Richtung entgegentreten zu können. Wenn Sie also ein paar tüchtige Geschäftsleute in Ihren Reihen haben, dann wären die von Interesse für mich. Wir machen es also auf meine Art, oder wir machen es gar nicht, General.“

In Hayes Gesicht arbeitete es. Dann nickte er und antwortete: „Also gut, Miss G´Ryka. Sie gehen Ihren Geschäften nach, aber Sie halten Ihre Augen und Ohren offen. Ich vermute ohnehin, dass sich unsere Interessen decken, da möglicherweise dieselbe Organisation die mir momentan zu schaffen macht hinter dem stecken könnte, was Sie vermuten. Ihnen werden Techniker, Piloten und sonstiges Personal zugeteilt, das Sie benötigen. Ich werde Ihnen ein Gastquartier zuweisen lassen und Sie machen mir bitte innerhalb der nächsten halben Stunde eine Aufstellung dessen, was Sie an Personal und Nachschubgütern brauchen. Ich selbst werde mich in dieser Zeit eingehend mit Lieutenant Connally unterhalten.“

Der Generalmajor erhob sich und G´Ryka tat es ihm nach. Nachdem Hayes sich am Schott von Ihr verabschiedet, und den Sergeant darum gebeten, hatte sie zu einem der Gästequartiere zu bringen, bat er Eireene Connally zu sich.

Wieder am Tisch Platz nehmend begann die blonde Frau mit ihrem Bericht, nachdem sie der Generalmajor dazu aufgefordert hatte.

Hayes hörte während der gesamten Zeit sehr aufmerksam zu und stellte nicht eine einzige Zwischenfrage. Erst nachdem Eireene Connally geendet hatte, forderte der Ergraute die Frau nachdenklich auf: „Berichten Sie mir noch einmal genau, wie sich der unfreiwillige Übergang, vom Hyperraum zum Normalraum ereignet hat. Dieser Teil Ihres Berichtes klingt beinahe fantastisch.“

Eireene Connally erwiderte beinahe beschwörend den Blick des Generals und erwiderte: „Es hat sich so ereignet, wie ich es sagte, Sir. Zuerst stellten wir einen seltsamen Energieanstieg im Hyperraum fest, etwas, das bisher einmalig gewesen ist. Kurze Zeit später blähte sich vor unseren Kreuzern eine Kugel aus düsterroten bis grell orangenen Blitzen auf. Als die Kreuzer von ihr erfasst wurden da wurden die Kreuzer wild durchgeschüttelt und danach befanden sie sich plötzlich im Normalraum. Einen optischen Effekt, wie den eines Vortex gab es dabei nicht, soweit ich mich an die Ereignisse zurückerinnern kann. Den Rest habe ich bereits erzählt. Die Kreuzer wurden geentert, und die Besatzungen ermordet.“

Die Hände des Generalmajors ballten sich auf dem Tisch zu Fäusten. Tonlos fragte er schließlich: „Es war also mehr ein aus dem Hyperraum heraus phasen, als ein heraus springen wollen Sie damit sagen, ist das richtig?“

Die Frau überlegte kurz und nickte dann. „Das wäre wohl der passende Vergleich, Sir.“

Generalmajor Hayes schluckte und fragte Lieutenant Connally nach einem langen Moment: „Wissen Sie, welches Volk eine solche Technik beherrscht hat?“

Die Blonde wurde aschfahl im Gesicht. „Die Schatten, Sir. Aber das...“

Hayes nickte. „Die Schatten sind fort, aber sie hatten Helfer. Allen voran die Drakh. Wir dachten bisher, sie besiegt zu haben, doch möglicherweise ist diese Ansicht falsch, Lieutenant. Die Art, wie man die Kreuzer aus dem Hyperraum holte, scheint einen fürchterlichen Verdacht zu bestätigen. Raiders, Telepathen, und Drakh die noch immer über die Machtmittel der Schatten verfügen, die nun zusammenarbeiten. Das ist eine schreckliche Vorstellung.“

Eireene Connally blickte den General fragend an. „Was haben Sie nun mit mir vor, Sir?“

Hayes erwiderte den Blick der Frau und antwortete: „Ich nehme an, Sie möchten umgehend auf Ihren Posten zurückkehren. Leider ist das momentan nicht möglich. Sie wissen zu viel.“

„Sir, mit Ihrer Erlaubnis würde ich mich gerne als Erste freiwillig für den Einsatz an Bord des Narn-Raumschiffes melden. Mit Verlaub, G´Ryka könnte eine fähige Navigatorin, wie mich, ganz gut gebrauchen.“

Der Generalmajor zögerte mit der Antwort. Er war sich nicht ganz darüber im Klaren, ob sich die Blonde wirklich aus den richtigen Gründen zu dieser Mission meldete. Geradeheraus sagte er: „Eine private Vendetta kommt nicht in Frage, Lieutenant. Wenn ich mein Einverständnis gebe, dann werde ich G´Ryka anweisen dahingehend ein wachsames Auge auf Sie zu haben, damit Sie klarsehen, Lieutenant.“

„Vollkommen klar, Sir.“

Der Mann blickte Eireene Connally forschend an und nickte schließlich. „Also schön, Miss Connally. Sie werden dabei sein. Auf diese Weise sind Sie vorerst aus der Schusslinie Ihrer Verfolger. Aber geben Sie acht – Sie könnten schneller wieder mittendrin sein, als Sie denken. Vielleicht wäre es eine gute Idee etwas an ihrem Äußeren zu arbeiten. Vielleicht ein anderer Haarschnitt und eine andere Farbe als Tarnung.“

„Ja, Sir“, entgegnete die Frau wenig begeistert zurück und verzog das Gesicht.

Beinahe verschmitzt grinsend erklärte der Generalmajor: „Dann wäre das geklärt, Lieutenant Connally, und nun werde ich mir die Aufstellung von G´Ryka ansehen.

Im Brennpunkt

Eine Woche später saß Eireene Connally im Kommandozentrum der NE´VAR, fuhr sich mit der Hand durch das noch immer ungewohnt kurze, nun schwarz gefärbte, Haar und ließ die Ereignisse in ihren Gedanken Revue passieren, während sich der Narn-Kreuzer im Hyperraum befand – auf dem Weg zu einer der maßgeblichen Kolonialwelten der Drazi. Sie hatten die medizinischen Güter zur Heimatwelt der Gaim gebracht und befanden sich nun mit den dort eingehandelten Duftstoffen und Luxusgütern auf dem Weg nach Centauri-Prime, mit einem kleinen Umweg zu einer Drazi-Kolonie um auf dem dortigen Handelsposten einige der dringend benötigten Ersatzteile für die NE´VAR zu kaufen.

Im Anschluss ihrer Unterhaltung mit Generalmajor Hayes hatte Eireene Connally sich gemeinsam mit G´Ryka wieder an Bord der NE´VAR begeben. Hayes hatte Wort gehalten und siebenundvierzig Freiwillige seines Flaggschiffes zum Narn-Kreuzer abkommandiert, darunter auch drei Jagdpiloten für die FRAZI-Jäger der NE´VAR, unter der Führung von Lieutenant Isani Mbane, einer schlanken, hochgewachsenen Senegalesin. Diese Pilotin hatte Hayes während des ersten Kampfeinsatzes der SHERIDAN als Flügelpilotin zur Seite gestanden und seitdem hielt der General große Stücke auf sie, wie man munkelte.

Die Techniker, die der Generalmajor abgestellt hatte, waren seit ihrer Zeit an Bord kontinuierlich dabei, die Systeme des Kreuzers optimal instand zu setzen. Zusätzlich hatten sie ein erst kürzlich entwickeltes Zusatzsystem installiert und an die Zentrale-Kontrollen angeschlossen. Es handelte sich dabei um einen leistungsstarken Hypersender, der in der Lage war, einen Funkspruch so zu zerlegen, dass jemand, der nicht über ein passendes Dekodiersegment verfügte, nichts weiter auffing, als ein Hintergrundrauschen, wie es für den Hyperraum üblich war. Zudem sendete dieses Gerät auf keiner der üblichen Hyper-Frequenzen. Generalmajor Hayes wollte auf diese Weise sicherstellen, dass die NE´VAR jederzeit Kontakt mit ihm aufnehmen konnte, ohne Gefahr zu laufen, dass die Existenz seines Verbandes dadurch dem Feind mitgeteilt wurde. Zusätzlich hatten die terranischen Techniker ein Freund-Feind-Erkennungssystem an das Bordnetz angeschlossen, welches gewährleistete, dass die NE´VAR fortan in der Lage war, frühzeitig zu erkennen ob sich ihr Schiffe der Kampfgruppe-Epsilon näherten. Das System sorgte gleichfalls dafür, dass andere Kampfschiffe der Erd-Allianz als neutral, und die sieben gestohlenen Alpha-Kreuzer, sowie diverse andere als vermisst geltende Kriegsschiffe, als feindliche Einheiten angegeben wurden. Ein Erweiterungssegment, bei dem Hayes sichtlich gezögert hatte, es der Narn zu überlassen, war eines, das die Signaturen der gestohlenen sieben Erdkreuzer gespeichert hatte und sie, mit Hilfe der angeschlossenen Schiffssysteme, selbst im Hyperraum verfolgen konnte. Doch der General hatte beschlossen das es an der Zeit war gewisse Risiken einzugehen um der Organisation auf die Spur zu kommen die sieben Kreuzer der Erd-Allianz entführt hatte, und dazu gehörte, dass er G´Ryka ein gewisses Grundvertrauen entgegen brachte.

Eireene Connally warf der schräg hinter ihr sitzenden G´Ryka einen fragenden Blick zu. Sie wunderte sich immer noch darüber, welches Vertrauen ihr Hayes entgegen brachte. Die Frau fragte sich zum wiederholten Mal, was den General dazu bewogen haben mochte. Vielleicht musste man General werden, um solche gewagten Entscheidungen treffen zu können, überlegte sie. Eireene Connally lächelte bei diesem Gedanken, denn auch sie spürte tief in ihrem Innern ein gewisses Vertrauen zu der Narn.

G´Ryka bemerkte den Blick der Frau. Sie ging jedoch nicht darauf ein sondern erkundigte sich: „Wann werden wir das Kolonie-System der Drazi erreichen, Lieutenant Connally?“

Eireene Connally warf einen Blick auf ihre Instrumente, die ihr im Laufe der vergangenen Woche vertraut geworden waren. „Noch etwa sieben Minuten und wir haben den Drazi-Außenposten Grendolla-VII erreicht, Kommandantin. In weniger als fünfzehn Minuten sollten wir dann an der Handelsstation angedockt haben.“

G´Ryka nickte bestätigend und erwiderte dabei: „Wird auch Zeit. Wir haben Duftstoffe an Bord, die sehr empfindlich sind, und die will ich nicht noch länger durch das halbe Universum spazieren fliegen. Außerdem brauchen wir bald den Erlös dafür. Momentan frage ich mich ernsthaft, welcher der Märtyrer mich geritten hat, auf das Angebot von General Hayes einzugehen.“

„Ich schätze, die Alternative wäre unangenehmer gewesen“, erwiderte Connally und erntete einen finsteren Blick der Narn dafür.

„Erinnern Sie mich gelegentlich mal daran, durch wen ich überhaupt erst in diese Lage gebracht worden bin“, konterte G´Ryka ironisch. Nicht mit einer Erwiderung rechnend blickte die Narn wieder auf den Hauptbildschirm, auf dem sich das gewohnte rote Wallen des Hyperraums abzeichnete, ohne es wirklich wahrzunehmen. Ihre Gedanken eilten den Dingen voraus und sie überschlug bereits, wie hoch ihr Gewinn sein würde und welche weiteren wichtigen Ersatzteile für die NE´VAR sie danach zuerst besorgen würde.

Schneller als gedacht waren die sieben Minuten um und das Raumschiff wurde von der Drazi-Pilotin, die auf den Namen Drenis hörte, in den Normalraum gebracht.

Bereits einen Moment später brach um das Raumschiff herum das Chaos los.

Rote Partikellaserstrahlen fegten dicht an dem Narn-Raumschiff vorbei. Einem weiteren Energiestrahl entging die NE´VAR knapp, weil Drenis den Kreuzer, beinahe in bester Manier einer Jagdpilotin, entlang der Längsachse, um neunzig Grad kippte und den Strahl so an der Unterseite der NE´VAR passieren ließ.

„Was geht hier vor!“, donnerte G´Rykas Stimme durch das entstehende Chaos in der Zentrale. „Wer, bei G´Quon, schießt da auf uns?“

„Das gilt nicht uns!“, erwiderte Eireene Connally nicht weniger laut und ließ ihre Finger über die Sensortasten der Instrumente huschen. „Mir scheint, dass die Handelsstation der Drazi das Ziel dieser Attacke ist!“

G´Ryka nahm die Meldung mit einem Knurren zur Kenntnis. Ihre Befehle kamen in einem schnellen Stakkato: „Maschinenkontrolle: Kraftwerke auf Maximum. „Taktik: Geben Sie Vollalarm für alle Abteilungen! Alle Waffensysteme und das Schutzgitter hochfahren. Feuern auf mein Kommando! Pilotin: Bringen Sie uns hier weg!“

Ein spürbares Vibrieren erfüllte das gesamte Raumschiff, als die Systeme durch den Narn an den Maschinenkontrollen auf Maximalwerte hochgefahren wurden. Fast zeitgleich sah G´Ryka zwei große Schatten an der NE´VAR vorbeiziehen. Sie erkannte, dass es sich um zwei ALPHA-Kreuzer handelte, und ihr war noch vor Eireene Connallys Identifizierung klar um was für Schiffe es sich handeln musste. Sie reagierte blitzschnell, indem sie sich an die Pilotin wandte. „Drenis, sobald die beiden Schiffe an uns vorbei sind schwenken Sie auf den linken Kreuzer ein, so dass wir mit unseren beiden Hauptwaffen seinen Antrieb unter Feuer nehmen können!“

Bei ihren Worten blickte die Kommandantin fragend zur Navigatorin, und Connally nickte ihr zu. „Es sind definitiv zwei der gestohlenen Kreuzer. Offensichtlich sind wir mitten in einen Überfall auf die Handelsstation geraten.“

„Aber warum diese Station?“, meldete sich der ansonsten eher wortkarge Narn von der Taktik. „Die ist weder besonders wichtig, noch besonders groß.“

„Denen geht es momentan darum Schrecken zu verbreiten, G´Ral“, erwiderte die Kommandantin grimmig. „Dazu ist es ihnen im Moment noch egal, welche Ziele sie attackieren. Es ist nicht vorhersehbar gewesen, und darum wird es den Verbrechern momentan hauptsächlich gehen, würde ich vermuten.“

„Die NE´VAR liegt auf Kurs!“, unterbrach Drenis die Betrachtungen der Narn und blickte dabei kurz über die Schulter.

„Ich habe den Antrieb des Kreuzers im Visier!“, meldete G´Ral und wartete gespannt auf weitere Befehle.

„Feuer!“, wandte sich G´Ryka an den Taktischen Offizier.

Im nächsten Moment schüttelte sich der Kreuzer und zwei leuchtend rote Energiestrahlen standen zwischen dem Schiff und dem gestohlenen Erdkreuzer, den Eireene Connally mittlerweile als die EAS AGLAIA identifiziert hatte. Beim zweiten Kreuzer handelte es sich um die KLOTHO.

Anders als G´Ral, der seine Instrumente hatte, erkannte G´Ryka den Erfolg ihres spontanen Angriffs erst, als auf dem Hauptbildschirm ein greller Energieball am Heck der AGLAIA aufleuchtete und rasend schnell größer wurde. Bereits im nächsten Moment wurde das Erdschiff durch mehrere Folgeexplosionen förmlich zerrissen und G´Ryka brüllte: „Ausweichkurs!“

Drenis tat, mit Hilfe von Eireene Connally, die ihr laufend die günstigsten Fluchtvektoren durchgab, ihr Bestes, doch mehrere Trümmerstücke des vernichteten ALPHA-KLASSE Kreuzers kollidierten mit der NE´VAR und schwere Erschütterungen durchliefen den Narn-Kreuzer.

Auf G´Rykas fragenden Blick hin erklärte G´Ral fast entschuldigend: „Offensichtlich haben wir ein kritisches System des Kreuzers getroffen, Kommandantin!“

„Was Sie nicht sagen!“, erwiderte G´Ryka ironisch.

Im nächsten Moment krachte die, durch den Translator mechanisch klingende, Stimme der Gaim-Technikerin der NE´VAR aus dem Lautsprechersystem der Zentrale. „Kommandantin, eines der Trümmerteile hat unseren Hauptreaktor in Mitleidenschaft gezogen. Wir müssen ihn sofort um etwa vierzig Prozent herunterfahren und ihn reparieren lassen, oder dieses Schiff wird explodieren!“

„Verstanden!“, gab G´Ryka kurz angebunden zurück, ballte ihre Fäuste und gab Ta´Ran, an den Maschinenkontrollen einen entsprechenden Wink. Dann wandte sie sich nach Vorne. „Lieutenant Connally: Fluchtvektoren errechnen. Drenis, wir müssen aus der Kampfzone heraus. Mit nur sechzig Prozent der Leistung sind wir für sechs Erdkreuzer eine leichte Beute.“

Allein am Tonfall der Kommandantin erkannte Eireene Connally, wie sehr es die Narn wurmte, sich zurückziehen, und dem Kampf nun ausweichen zu müssen. Bereits mit ihren nächsten Anweisungen schien sich die Narn jedoch wieder im Griff zu haben. „Taktik: Setzen Sie einen Spruch an den Generalmajor ab und berichten Sie in knapper Form von diesem Überfall!“

„Ja, Kommandantin!“

Der Narn nahm einige Schaltungen an den neu installierten Systemen vor und setzte danach einen entsprechenden Funkspruch ab, der nur auf den Schiffen von Lynden Benjamin Hayes entsprechend entschlüsselt werden konnte.

Aus der Hangarsektion rief Isani Mbane zur Zentrale durch um die Erlaubnis zum Start zu bekommen, doch Eireene Connally bekam unterbewusst mit, das G´Ryka dieses Ansinnen ablehnte, mit der Begründung, dass die Kreuzer sehr schnell wieder aus dem System verschwinden konnten, und dass sie in diesem Fall unbedingt die Verfolgung aufzunehmen gedachte.

Connally lächelte flüchtig, als sie die Jagdpilotin noch kurz fluchen hörte, bevor G´Ryka die Verbindung unterbrach. Natürlich wollte die Senegalesin zeigen, dass sie nicht umsonst an Bord gekommen war. Jedoch verstand die momentane Navigatorin der NE´VAR den Standpunkt der Narn sehr gut. Hier ging es um weitreichendere Interessen.

Die gesamte Zentralebesatzung wurde aufmerksam, als der Taktische Offizier meldete: „Die sechs übrigen Zerstörer greifen die Station und die angedockten Handelsschiffe direkt an.“

Auf dem Hauptbildschirm zeichnete sich die sich anbahnende Tragödie ab. Sechs ALPHA-Kreuzer griffen aus drei verschiedenen Vektoren den Handelsposten an. Grellrote Strahlenbündel erfassten die angedockten Handelsschiffe und rissen sie förmlich in grellen Energieorgien auseinander. Explosionen von abgefeuerten Raketen überzogen die gesamte Handelsstation, die schließlich in fünf verschiedene Teile zerbrach, die in verschiedene Richtungen davon wirbelten. Handelsschiffe, die der Zerstörung bisher entkommen waren, wurden von ihnen erfasst und zerstört.

„Ich empfange mehrere Notrufe!“, meldete Eireene Connally schließlich. „Sie alle berichten von Kriegsschiffen der Erd-Allianz, die diesen Angriff zu verantworten haben!“

„Die wissen es ja auch nicht besser“, mahnte G´Ryka. „Wüssten wir selbst es nicht besser, so würden wir ebenfalls auf einen verbrecherischen Vertragsbruch der Erd-Allianz schwören.“

„Aber was ist mit den Notrufen, Kommandantin?“

G´Rykas Miene erstarrte zur Maske. „In dieser Situation ist es wichtiger, dass wir Kontakt zu den Kreuzern halten, Miss Connally. Oder in anderen Systemen wird es zu ähnlichen Massakern kommen, das wissen Sie so gut wie ich. Verfolgen Sie die Kurse der Erd-Kreuzer.“

Eireene Connally nickte frustriert. „Verstanden.“

Für eine Weile konzentrierte sich die Terranerin wieder auf ihre Instrumente und bekam unterbewusst mit, wie der Narn-Ingenieur G´Ryka meldete, dass die beschädigten Systeme weitgehend überbrückt oder repariert waren, so dass die NE´VAR mit zunächst wieder rund siebenundachtzig Prozent ihrer Maximalleistung operieren konnte. Im nächsten Moment schlugen ihre Instrumente an und sie wandte sich zur Narn-Kommandantin: „Die Kreuzer öffnen Hyperraumfenster. Sie verlassen dieses System.“

„Verfolgen!“, wies G´Ryka Connally und Drenis knapp an.

Die beiden so verschiedenen weiblichen Wesen handelten und nachdem der letzte der gestohlenen Kreuzer den Sektor verlassen hatte, aktivierte Drenis die Hypertriebwerke. Vor dem schnittigen Narn-Kreuzer mit den auffällig rot-schwarzen Markierungen entstand ein gold-gelb leuchtender Vortex-Wirbel, durch den die NE´VAR den flüchtenden Erd-Kreuzern in den Hyperraum folgte.

Noch bevor dieser Vorgang richtig abgeschlossen war hatte Eireene Connally bereits das Freund-Feind-Erkennungssystem aktiviert und mit dem Hauptbildschirm gekoppelt. Grün leuchtende Kursbahnen und die Zahlenwerte für die Flugvektoren und Entfernungen der sechs flüchtenden Kreuzer erschienen auf dem Bildschirm.

„Bleiben Sie außer Scannerreichweite der Kreuzer, Drenis“, verlangte G´Ryka. „Lieutenant Connally, Sie geben Drenis einen ausreichenden Sicherheitsfaktor an und achten mit darauf, dass er nicht unterschritten wird. Wir wissen nicht, ob die Systeme der Kreuzer von ihren Entführern verbessert wurden. Ich glaube, ob des schnellen Einsatzes seit dem Diebstahl, zwar nicht daran, aber wir werden trotzdem vorsichtig agieren. Unsere Scanner sind moderner und besitzen eine höhere Reichweite, wir können uns diese Taktik also leisten.“

Die Terranerin bestätigte und arbeitete Hand in Hand mit der Drazi-Pilotin.

Mehr als siebzehn Stunden vergingen. In dieser Zeit ruhte die bisherige Besatzung der Zentrale reihum. Eireene Connally war wieder auf dem Posten, als sich die Lage immer noch unverändert darstellte. Nur wenige Worte wurden in der Zentrale gewechselt. Irgendwann, nach einer nicht enden wollenden Zeitspanne, fragte G´Ryka mürrisch: „Wohin, bei G´Quon, wollen die? Bis in die Randzone?“

So als wären die Worte der Narn das Stichwort gewesen verzögerten die sechs Erd-Kreuzer und Eireene Connally gab eine entsprechende Warnung an Drenis weiter. Danach meldete sie angespannt: „Kommandantin, die Kreuzer werden langsamer. Ich vermute, dass sie in Kürze den Hyperraum verlassen werden.“

„Wo sind wir?“, erkundigte sich die Narn prompt.

„Nach ihren Sternenkarten in der Nähe von M5-986. Eine rote Riesensonne, die bei der Erd-Allianz den Namen Queralin trägt und die von sechzehn Planeten umlaufen wird.“

„Wir verlassen den Hyperraum“, entschied die Narn. „Sofort danach werden Sie den General per Funk unterrichten, wo der Feind zu finden ist.“ Dann wandte sie sich an den Taktischen Offizier. „Offensiv- und Defensiv-Systeme in Bereitschaft halten. Geben Sie Gefechtsalarm und informieren Sie die Jagdpiloten. Sie sollen ausschwärmen und Flankenschutz fliegen.

Durchdringende Alarmsignale erfüllten die NE´VAR, als sie den Hyperraum verließ, und eine mürrische Narn fragte sich insgeheim, wohin dies alles noch führen mochte.

Der Angriff

Im Kommandozentrum der EAS SHERIDAN standen Generalmajor Hayes und Captain Esposito neben einander und blickten sich mit gleichermaßen entschlossener Miene an, als sie, nach der zweiten Meldung von der NE´VAR, kurz vor dem Einsatz standen.

Nach der ersten Meldung vor mehr als siebzehn Stunden hatte Lynden B. Hayes seine Kampfgruppe-Epsilon umgehend alarmiert und war, abzüglich zweier NOVA-KLASSE Zerstörer und zweier ALPHA-II-KLASSE Kreuzer, die zur Sicherung von BABYLON-6 zurückgeblieben waren, an Bord des Flaggschiffs mit dem Verband losgeflogen. Zunächst in Richtung von Grendolla-VII. Dort hatte er, weit außerhalb des Systems, den Verband aus dem Hyperraum fallen lassen. Es passte dem Generalmajor gar nicht, doch er durfte die Anwesenheit seines Verbandes unter keinen Umständen preisgeben, so lautete der noch immer stehende Befehl der Erdzentrale.

Hayes hatte in den letzten Stunden versucht etwas zu schlafen, doch mehr, als drei Stunden unruhigen Halbschlafes waren nicht dabei herumgekommen. Dem entsprechend war er gelaunt, als endlich die zweite Nachricht des Narn-Kreuzers eintraf. Außerdem war er vor der Alarmierung des Verbandes durch G´Rykas Nachricht einmal mehr dabei unterbrochen worden, mit Commander Zaizewa über etwas zu reden, dass ihm nun schon seit einiger Zeit auf der Seele lag, und das frustrierte ihn momentan zusätzlich. Ihm war, als habe sich irgendeine übergeordnete Macht gegen ihn verschworen und würde jedes mal, wenn er das besagte Thema bei Zaizewa anschnitt, damit beginnen ihr perfides Spielchen mit ihm zu treiben.

„Queralin, das liegt ganz hübsch weit Draußen, Sir“, riss Esposito den General aus seinen Überlegungen. Scheinbar abwesend kratzte sich der Spanier dabei am Kinn.

„War doch zu erwarten“, gab Hayes knurrig zurück und setzte sich in den Kommandantensessel, was der Captain wohlwollend vermerkte. „Ohne die zufällige Begegnung der NE´VAR mit den gestohlenen Schiffen hätten wir lange nach diesen Verbrechern suchen können, bevor wir sie dort gefunden hätten. Unglaublich, diese Narn dreht sich hingegen nur einmal um, und schon taucht sie dort auf, wo die gestohlenen Kreuzer zum Angriff ansetzen.“

Esposito machte ein fragendes Gesicht. „Glauben Sie, dass...?“

„Nein!“, fuhr Hayes, der ahnte, was der Spanier zu fragen gedachte, dem Captain in die Parade. Meine Menschenkenntnis sagt mir, dass diese G´Ryka keine Verräterin ist. Wir haben einfach unglaubliches Glück, dass ein seltsames Schicksal Lieutenant Connally hat überleben lassen, und dass sie G´Ryka auf ebenfalls ungewöhnliche Art und Weise begegnete.“

Espositos Miene verriet, dass er selbst nicht so sehr davon überzeugt war.

Hayes, der es bemerkte erlaubte sich ein flüchtiges Schmunzeln und erklärte nachsichtig: „Kriegsglück nutzt man, Captain, aber man hinterfragt es nicht.“

„Wurde das zu Ihrer Zeit an der Akademie gelehrt?“, erkundigte sich Esposito launig.

„Nein, das ist die Art von Erfahrungswert, die den Unterschied zwischen einem Captain und einem General ausmachen“, konterte Hayes trocken. Danach wurde er übergangslos ernst und fragte mit etwas angehobener Stimme: „Wie lange werden wir noch bis Queralin brauchen, Captain?“

Es sprach für Esposito, dass er sofort wieder bei der Sache war. „Noch zwei Minuten, Sir. Unsere Jagd-und Jagdbomberpiloten sind in höchster Alarmbereitschaft und brennen auf den Einsatz, wie mir Commander Sterling versichert hat.“

„Wir halten uns an die Regeln der Kriegsführung“, mahnte Hayes obwohl er sicher war, dass Commander Melanie Sterling die ihr untergebenen Piloten und Pilotinnen bereits dahingehend instruiert hatte. Hayes wusste jedoch, wie schnell aus einem Kampfeinsatz persönliche Rache werden konnte. Er erinnerte sich unbewusst daran, wie sehr er viele Jahre lang alle Telepathen gehasst hatte, für das Verbrechen eines einzelnen von ihnen. Erst vor wenigen Wochen war ihm bewusst geworden, wie töricht dies gewesen war, und das ausgerechnet durch eine Telepathin. Erst sein Aneinandergeraten mit Commander Irina Zaizewa hatte ihm vor Augen geführt, wie dumm sein Hass auf alle Telepathen, nur weil sie Telepathen waren, gewesen war.

Hayes riss sich von diesen Gedanken los, als der Navigator der SHERIDAN meldete, dass der Verband noch zehn Sekunden vom Ziel entfernt war. Mit einer schnellen Geste gab er Esposito zu verstehen, dass er dessen Erwiderung, dass Melanie Sterling die Situation im Griff haben würde, registriert hatte. Auch er spannte sich nun spürbar an. Hayes konnte nicht sagen warum, aber ein seltsames Gefühl breitete sich in seiner Magengegend aus. Er hatte während seiner bisherigen Dienstzeit stets versucht, nicht zu viel auf solche Gefühle zu geben da sie im Kampf ablenkend sein konnten. Andererseits hatte ihn die Erfahrung gelehrt, dass solche Gefühle mitunter ihre Berechtigung hatten.

Der Verband von insgesamt dreizehn Kriegsschiffen verließ den Hyperraum und die gewohnte, sternengesprenkelte Schwärze des Weltalls breitete sich vor dem Generalmajor auf dem Hauptbildschirm des Kommandozentrums aus. Um ihn und Esposito herum verfiel die Besatzung der weitläufigen Zentrale des Trägerschlachtschiffs in betriebsame Hektik. Nur Augenblicke später meldete der Zweite Offizier, der per Kommunikator mit allen Stationen des Kommandozentrums in Verbindung stand, da Melanie Sterling im Moment das Kommando über die Trägerwaffen inne hatte, mit tragender Stimme: „Sir, wir habe einhundert Millionen Kilometer außerhalb des Queralin-Systems den Hyperraum verlassen. Wir schließen zur NE´VAR auf und werden den Kreuzer in etwa zwei Minuten erreicht haben. Lieutenant Connally meldet soeben, dass sechs der sieben gestohlenen ALPHA-KLASSE Kreuzer den vierten Planeten des Systems, der laut unseren Sternenkarten den Eigennamen Merakan trägt, angesteuert haben. Einer der Kreuzer, die AGLAIA, ist nach ihren Angaben von der NE´VAR zerstört worden.“

Hayes dankte und wechselte einen schnellen Blick mit Esposito, bei den letzten Worten des Zweiten Offiziers.

Der nickte mit einem Anflug von Anerkennung und meinte trocken: „Wie der Vater, so die Tochter, hat es den Anschein. Mit der Dame werde ich keinen Streit anfangen, General.“

„Da der ALPHA-Kreuzer ohnehin verschrottet werden sollte, haben wir zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen“, erwiderte Hayes in einem Anflug von Zynismus. „Die Narn scheinen da eine ziemlich schlagkräftige Schiffsklasse entwickelt zu haben. Ich weiß momentan noch nicht, ob ich das begrüßen oder besser verfluchen sollte.“

„Im Augenblick wäre die NE´VAR eine willkommene Verstärkung für uns.“

Hayes machte ein nachdenkliches Gesicht. „Kein schlechter Gedanke, Captain, allerdings werde ich sie nicht in die vorderste Front beordern.“

Der General wandte sich spontan an den Kommunikationsoffizier: „Lieutenant, antworten Sie der NE´VAR, dass ich das Schiff als Nachhut einsetzen möchte. Miss G´Ryka soll mit Ihnen in Kontakt bleiben und sich hinter unseren Verband einreihen. An den Verband geben Sie die Anweisung in loser Angriffsformation aufzufächern, die WARLOCK-Zerstörer etwas vorgeschoben am Rand der Formation. Sobald sie steht, werden wir erneut in den Hyperraum gehen und zehn Millionen Kilometer vom vierten Planeten entfernt in den Normalraum zurückfallen.“

Der Lieutenant bestätigte und beeilte sich, die Anweisungen an die Schiffe des Verbandes weiterzuleiten.

Inzwischen hatte Captain Esposito mit Commander Sterling Kontakt aufgenommen und in knapper Form davon unterrichtet welche Taktik Hayes zu verfolgen gedachte und gab zusätzlich die Anweisung, alle Jäger und Jagdbomber des Trägerschlachtschiffs sofort zu starten, sobald der Rücksprung in den Normalraum erfolgt war. Nachdem Commander Sterling bestätigt hatte wandte sich der Südländer zum Generalmajor und meldete volle Einsatzbereitschaft des Schiffes.

Kurz darauf bekam der Zweite Offizier vom Kommunikationsoffizier die Meldung, dass der Verband die von Hayes erteilten Befehle bestätigt hatte. Als auch der Taktische Offizier seine Klarmeldung gegeben, und bestätigte, dass alle Schiffe die vorgeschriebenen Positionen eingenommen hatten, gab der Kommandeur den Befehl in das System einzufliegen.

Dreizehn Kriegsschiffe der Erd-Allianz samt Jagdeskorte und ein Narn-Kreuzer schickten sich an, in das Queralin-System einzufliegen um die sechs gestohlene Kriegsschiffe der Erde, und die Mörder ihrer Besatzungen, zu stellen…

 
 

* * *

 

Die NE´VAR flog einige zehntausend Kilometer hinter der Kampfgruppe-Epsilon und scannte die Umgebung – besonders den Bereich direkt hinter dem Kampfverband. Doch die empfindlichen Instrumente des Narn-Kreuzers fingen, nach wie vor, lediglich die Signaturen der sechs ALPHA-KLASSE Kreuzer auf, die sie bis zu diesem System verfolgt hatte.

In der Zentrale stand G´Ryka vor ihrem Sitz und verlagerte in regelmäßigem Abstand das Gewicht von ein Bein auf das andere. Etwas an der Situation gefiel ihr nicht. Bereits in ihrer Jugendzeit hatte sie gelernt, dass viele Dinge im Universum oft anders waren, als sie zunächst zu sein schienen. Ihr Vater hatte ihr gegenüber diese Tatsache von Zeit zu Zeit erwähnt, und während ihrer Zeit als Mitglied des Kha´Ri hatte sich diese Lehre nur allzu oft bestätigt. Vor wenigen Augenblicken hatte sie Isani Mbane und ihre beiden Flügelpiloten vor der NE´VAR ausschwärmen lassen, damit sie notfalls unangenehme Überraschungen von dem Kreuzer fernhalten konnten.

Währenddessen näherten sich die vierzehn Kriegsschiffe unaufhaltsam dem vierten Planeten des Systems, eine Wüstenwelt die über eine Sauerstoffatmosphäre verfügte, die es humanoiden Lebensformen erlaubte sich längere Zeit dort ohne Atemmaske bewegen zu können. Auch wenn nach einer Weile eine gewisse Kurzatmigkeit einsetzen konnte. Inzwischen hatte sich erwiesen, dass die sechs noch aktionsfähigen, gestohlenen Erdkreuzer über einem bestimmten Bereich des Planeten in Stellung gegangen waren.

G´Ryka vermutete an dem betreffenden Punkt des Planeten einen Stützpunkt, sonst konnte sie sich keinen Grund vorstellen, weshalb sich die Kreuzer dorthin zurückgezogen hatten. Wenn sie mit dieser Vermutung Recht hatte, so würde es dort zweifellos auch planetare Verteidigungsstellungen geben, die ungünstigstenfalls dem Kampfverband übel zusetzen konnten. Die Narn hoffte in diesem Fall, das Generalmajor Hayes die Lage richtig einschätzen würde. Er hatte zwar einen kompetenten Eindruck auf sie gemacht, aber dieser Eindruck musste nicht zwangsläufig stimmen.

Als sich der Verband nur noch fünftausend Kilometer vom Planeten entfernt befand fächerten die voran fliegenden Jäger und Jagdbomber der Kampfgruppe-Epsilon auf und schwenkten auf die sechs ALPHA-KLASSE Kreuzer ein.

Gerade, als G´Ryka sich fragen wollte, worauf der Feind wartete eröffneten die sechs Feindschiffe ein mörderisches Abwehrfeuer aus ihren Partikelkanonen und Raketenabschussrohren. Vor dem Anfliegenden Verband entstand ein Gewirr aus rötlich leuchtenden Kampfstrahlen und die ersten Explosionen der Raketensprengköpfe leuchteten in der Schwärze des Weltalls auf.

Bereits im nächsten Moment registrierten die Energiescanner der NE´VAR einen massiven Energieanstieg auf dem Planeten. Dort wurden unverkennbar Systeme hochgefahren, die in den Kampf über Merakan mit eingreifen sollten.

Doch bevor dies geschah war die SHERIDAN in Feuerreichweite des Planeten und die Zentrale-Besatzung des Narn-Kreuzers kam in den grausigen und gleichzeitig faszinierenden Genuss, das Trägerschlachtschiff in Aktion zu erleben.

Während die Geleitschiffe der SHERIDAN sich um die sechs Kreuzer zu kümmern begannen und mit ihren gewaltigen Geschützen in den Kampf eingriffen feuerte das Flaggschiff des Verbandes ihre mächtigen Fusionsraketen ab. Zusätzlich feuerten die beiden starren, in Flugrichtung installierten, überschweren Partikelgeschütze und die sechs schweren Turmgeschütze an den Bug-Panzerschilden und an den Seiten der beiden Raketenbehälter auf die Planetenoberfläche hinunter. Gleichzeitig hielten die verbleibenden 16 mittleren Geschütze anfliegende Feindjäger in Schach.

Nachdem bereits zwei der gestohlenen Kreuzer dem Partikelfeuer von Hayes´ Verband zum Opfer gefallen waren, meinte G´Ryka grimmig: „Wenn nicht bald etwas passiert, dann kann der General diese Aktion als Spaziergang in sein Tagebuch ansehen.“

Bereits die gesamte Zeit über war ihr ungutes Gefühl nicht geschwunden, und als sich wenige Minuten später zwei Hyperraumfenster weit über der Kampfgruppe-Epsilon öffneten, da sah die Narn diese Gefühle bereits bestätigt. Doch lediglich zwei kapitale Schiffe, die der Narn seltsam anmuteten, mit drei Startringen für Jagdmaschinen, verließen den Hyperraum um in den Kampf über dem Planeten einzugreifen. Offensichtlich war diese Verstärkung in einem verzweifelten Versuch, die Abwehr des Planeten rechtzeitig zu verstärken, in Marsch gesetzt worden, doch dazu erschienen sie, nach G´Rykas Einschätzung zu spät auf dem Plan.

Diese Einschätzung sollte sich bald schon als richtig herausstellen.

Sowohl die Delta-Jäger, wie auch deren Trägerschiffe, die dem Design nach von Raiders gelenkt wurden, erlitten nach einem kurzen aber erbitterten Kampf die restlose Vernichtung, was überwiegend der Tatsache geschuldet war, dass sich der Gegner nicht einmal dann ergeben wollte, als die Lage bereits hoffnungslos für ihn geworden war.

Während im Weltall über Merakan die letzten Feindschiffe verglühten blieben auf dem Planeten nur rauchende Trümmer des Feindstützpunktes übrig.

Der Generalmajor würde zweifellos Landetrupps zu der Oberfläche senden und dort Nachforschungen anstellen, auch wenn die Spuren mehr als dürftig ausfallen dürften, nach einem derart mörderischen Bombardement.

Als für G´Ryka feststand, dass der Gegner besiegt war, ließ sie die drei FRAZI-Jäger ihres Kreuzers zurückrufen. Danach ließ sie eine Verbindung zur SHERIDAN herstellen.

Als das Konterfei des Generalmajors auf dem Bildschirm erschien, grüßte G´Ryka knapp und fragte ohne Einleitung: „Wird die NE´VAR in diesem Sektor noch benötigt, Generalmajor, oder kann ich mein Schiff endlich Kurs auf den nächsten Handelsposten nehmen lassen? Einige der Duftstoffe in den Lagerräumen der NE´VAR halten nicht ewig müssen Sie wissen, und ich benötige dringend den Erlös zur weiteren Instandsetzung meines Schiffes.“

Hayes grinste beinahe jungenhaft als er seufzend erwiderte: „Sie können die Formation verlassen, Miss G´Ryka. Hier wird sich in absehbarer Zeit nichts Weltbewegendes mehr ereignen. Aber denken Sie an unseren Pakt und halten Sie weiterhin die Augen und Ohren auf. Unsere Gegner werden noch mehr in der Hinterhand haben, als nur diesen einen Stützpunkt und eine Handvoll gestohlener ALPHA-Kreuzer, fürchte ich.“

Die Narn legte ihre Fäuste vor die Brust und verneigte sich leicht. „Das denke ich auch. Ich bedanke mich vorerst und melde mich, sobald wir etwas Ungewöhnliches erfahren.“

Der Generalmajor nickte zur Erwiderung knapp und schloss das Gespräch mit den Worten: „Passen Sie auf sich und auf Ihre Crew auf – es sind gute Leute und ich würde sie alle gerne wiedersehen, Miss G´Ryka.“

Gleich darauf wurde die Verbindung unterbrochen und die Narn befahl, dass die NE´VAR umgehend das System verlassen sollte sobald die drei Jäger des Kreuzers an Bord waren.

Zwei Minuten später bestätigte der Taktische Offizier, dass die drei schweren FRAZI-Jäger wieder an Bord gelandet waren. Sie hatten während der Schlacht nicht in das Geschehen eingegriffen und in einem Anflug von Ironie dachte G´Ryka daran, dass dieser Umstand die senegalesische Führerin des kleinen Jagdverbandes der NE´VAR vermutlich wurmte.

Wenig später steuerte Drenis die NE´VAR aus dem System heraus und der Kreuzer verschwand kurz darauf in den Hyperraum wobei die Narn-Kommandantin inständig hoffte, dass der nächste Handelsposten wenigstens so lange intakt blieb, bis sie ihre verdammte Ladung endlich gelöscht hatte.

 
 

* * *

 

Im Kommandozentrum der EAS SHERIDAN gab Generalmajor Hayes die Anweisung bewaffnete Landetrupps zusammenzustellen und mit Atmosphären-Shuttles auf dem Planeten zu landen um die Überreste des feindlichen Stützpunktes zu untersuchen. Hayes gab sich zwar nicht der übertrieben starken Hoffnung hin, dort unten noch brauchbare Hinweise zu finden, doch vielleicht hatte man ja, wider Erwarten, Glück.

Zwischenzeitlich nahm er die Meldung von Fernando Esposito zur Kenntnis, dass es lediglich zum Verlust von sieben Jägern der STARFURY-KLASSE und vier Jagdbombern der THUNDERBOLT-KLASSE gekommen war.

Nach einer Weile kamen auch die Meldungen der Großkampfschiffe herein und der Spanier sagte zu Generalmajor Hayes: „Einer der WARLOCK-Zerstörer ist mittelschwer beschädigt worden, einer der neuen ALPHA-II-Kreuzer hat ein paar leichte Schäden davongetragen, und der Rest hatte den üblichen Kleinkram abbekommen, den wir in weniger als einem Tag wieder instandsetzen können. Darüber hinaus haben wir eine Handvoll Feindpiloten gefangen nehmen können. Zumeist jene, die nicht die Gelegenheit hatten sich selbstmörderisch auf unsere Schiffe zu stürzen, nachdem ihre Jäger beschädigt wurden. Verdammte Fanatiker. Alles in Allem war dieser Einsatz eine sehr erfolgreiche Aktion würde ich sagen, Sir. Auch deshalb, weil die Verstärkung unserer Gegner viel zu spät hier war.“

Hayes nickte zustimmend und erklärte: „Sie mögen Recht haben, Captain. Ich wünschte mir nur, wir hätten eine ungefähre Ahnung, wie stark unser Feind insgesamt ist. Vielleicht haben wir einen Schlag gelandet, der uns Zeit verschafft, vielleicht aber auch nur einen Nadelstich setzen können. Diese Ungewissheit macht mich verrückt. Die wichtigste Regel im Krieg lautet: Kenne deinen Feind – aber genau diese Kenntnis fehlt uns momentan noch zu einem großen Teil.“

Esposito nickte zustimmend. Dann wechselte der Spanier das Thema und meinte: „Sir, Sie haben sich etwas Ruhe verdient und sollten versuchen etwas Schlaf zu bekommen. Ich bleibe auf dem Posten und unterrichte Sie, sobald wir etwas wichtiges durch unsere Landeteams erfahren.“

Zur gelinden Überraschung des Captains widersprach Hayes ausnahmsweise nicht seiner Empfehlung sich auszuruhen sondern er nickte und gab zurück: „Sie haben Recht, Captain. Lassen Sie die Hälfte der Schiffe auf Distanz zum Planeten gehen und Außensicherung fliegen. Ich rechne zwar nicht ernsthaft damit, dass noch mehr Gegner hier auftauchen werden, aber man weiß ja nie.“

Damit verließ Hayes das Kommandozentrum des Trägerschlachtschiffes.

Auf seinem Weg durch die Gänge der SHERIDAN tauchten vor seinem geistigen Auge die Gesichter von drei Frauen auf. Zuerst das von G´Ryka, der Narn, die ihn durch ihr selbstbewustes Auftreten, aber auch durch ihre kämpferische Qualität, beim Zusammentreffen der NE´VAR mit den sieben gestohlenen Kreuzern, beeindruckt hatte. Danach das von Lieutenant Eireene Connally, die nur knapp ihren Häschern entkommen war, mit Hilfe der Narn. Schließlich drängte sich das Abbild von Commander Irina Zaizewa in den Vordergrund und unbewusst seufzte der Grauhaarige leicht. Er hoffte es irgendwann zu schaffen ein bestimmtes Thema mit ihr zu besprechen, ohne dass ihm der nächste Einsatz dabei erneut in die Quere kam. Er fragte sich, wohin sein Weg, gemeinsam mit der Russin, zukünftig führen würde.

Als er schließlich sein Quartier betrat verdrängte er all dies und suchte seinen Schlafraum auf. Er spürte eine bleierne Müdigkeit und er brauchte dringend ein paar Stunden Schlaf, alles Weitere hatte diese paar Stunden ganz bestimmt Zeit.

EPILOG

Zwei Tage später registrierten die Scanner eines OMEGA-KLASSE Zerstörers den Abzug der Kampfgruppe-Epsilon. In der Zentrale dieses schwer bewaffneten Zerstörers, der den martialischen Namen TORMENTOR trug und dicht bei dem roten Riesenstern durch den Weltraum glitt um einer eventuellen Ortung zu entgehen, blickte Galen Kilrain zu Cameron Grant, dessen brutale, blaue Augen eigentümlich funkelten.

Kilrain erinnerte sich an das, was sich erst wenige Tage zuvor auf Merakan abgespielt hatte, Stunden bevor der Kampfverband der Erd-Allianz aufgekreuzt war. Grant hatte den Verbindungsmann zu den Drakh und den zu den Raiders zu sich bestellt, zusammen mit seinem Kollegen, Laurent Garnier. Trotz Garniers Gedankenblockade hatte Grant herausgefunden, dass Garnier gelogen hatte und eine Frau von Bord der sieben gestohlenen Erd-Kreuzer hatte flüchten können. Kilrain hatte damit gerechnet, dass Grant, da durch diese Lüge dieser Stützpunkt hatte aufgegeben werden müssen, Laurent Garnier zur Rechenschaft ziehen würde. Dass Cameron Grant aber auch die beiden Verbindungsleute ermorden würde hatte Kilrain überrascht und bis zu einem gewissen Grad sogar entsetzt, da er zuerst an eine psychopathische Reaktion gedacht hatte. Grant hatte ihm jedoch erklärt, dass eventuelle Landekommandos der Erd-Allianz fraglos deren Leichen finden würden und möglicherweise falsche Schlüsse daraus ziehen würden. Er hoffte, vielleicht nicht zu Unrecht, ihre Feinde würden annehmen, der Schlange den Kopf abgeschlagen zu haben.

Doch es gab Dinge an Grants Plan, die Kilrain noch immer nicht ganz begriff. Trotz seiner Bedenken deswegen fragte Kilrain darum nach einer Weile: „Warum haben Sie die ALPHA-Kreuzer geopfert und zusätzlich zwei unserer eigenen Schiffe samt Jägern?“

Cameron Grant ballte die linke Faust und hob sie leicht an, als er grimmig erklärte: „Unsere Gegner würden jetzt bereits vermuten, dass sie nur einen kleinen Erfolg errungen hätten. Durch das Opfer der sechs verbliebenen ALPHA-Kreuzer ist das vielleicht nicht so. Zudem erweckt der verspätete Einsatz unserer beiden Trägerschiffe, dass wir den Stützpunkt unter allen Umständen halten wollten, und das ist mir sehr wichtig. Wir werden uns nun zunächst auf einen anderen Sektor konzentrieren und der gegnerische Kommandeur wird sich inzwischen Fragen stellen und Zweifel hegen, was er wirklich erreicht hat. Besonders da wir uns für einige Monate ruhig verhalten werden, Galen. Wir werden ihn in dem Glauben bestärken uns entscheidend getroffen zu haben. Wir, im Gegenzug, werden Zeit haben, uns etwas einfallen zu lassen, um diesen Kampfverband in eine Falle zu locken und zu neutralisieren.“

Galen Kilrains Augen weiteten sich. „Cameron, Sie haben diese neue Trägerklasse der Erde jetzt im Einsatz erlebt. Was für Mittel haben wir gegen dieses übermächtige Schiff?“

„Ich denke mir etwas aus!“, versetzte Grant kalt. „Gegen alles gibt es ein Gegenmittel, auch gegen diese neue Schiffsklasse. Was ich zu gerne wüsste ist, wer diesen Verband kommandiert und wo er stationiert ist. Die waren verdammt schnell hier, nachdem wir diesen kleinen Narn-Kreuzer geortet hatten. Die Art, wie die Schiffe auf einander eingespielt sind lässt auf einen sehr fähigen Kommandeur schließen. Ich habe meinen Kontakt auf dem Mars bereits beauftragt herauszufinden, wen der Generalstab als Kommandeur dieser Einheit eingesetzt hat.“

„Die Erd-Allianz hat viele erfahrene und fähige Captains“, warf der Ire ein und fuhr sich grübelnd mit der Hand durch das dunkelblonde Haar.

Grant schüttelte leicht den Kopf. „Ich glaube nicht, dass einer von deren erfahrenen Captains diesen Verband führt, Galen. Nein, das gesamte Vorgehen dieser Einheit lässt mich vermuten, dass wir es mindestens mit einem Brigadier zu tun haben. Vielleicht führt sogar ein Generalmajor diese Einheit, und von denen schwirren nicht mehr als eine paar Wenige durch die Weiten des Weltalls. Falls ich damit Richtig liege, dann steht uns ein sehr mächtiger Gegner gegenüber, Galen. Um so wichtiger wird es für uns werden ihn aus dieser Gleichung zu nehmen.“

„Was werden wir unseren Verbündeten erzählen, wegen ihrer Verbindungsleute?“

Cameron Grant lachte beinahe amüsiert und seine markante Narbe unter dem rechten Auge verlieh ihm dabei etwas Verwegenes. „Wir fordern sie dazu auf, uns neue Repräsentanten zu schicken. Ihre Leute als Kriegsopfer hinzustellen wird sie zusätzlich gegen die Erd-Allianz aufbringen und sie noch stärker als bisher an uns binden. Verstehen Sie?“

Die Kälte und Brutalität, mit der Grant solche Dinge ins Kalkül zog überraschte Galen Kilrain einmal mehr. Grant fragte nicht danach welche Opfer seine Pläne kosteten. Er plante sie ein und zögerte nicht, zu tun, was er für angemessen hielt. Kilrain hoffte in diesem Moment nur, dass niemals er selbst eine solche Rolle in Grants Plänen spielen würde.

Währenddessen gab Cameron Grant Weisung, die TORMENTOR aus dem Ortungsschatten des Riesensterns zu fliegen und Kurs auf sein neues Hauptquartier zu nehmen. Wenige Augenblicke später nahm das gewaltige Kriegsschiff Fahrt auf und verschwand Minuten später durch einen gold-gelben Hypervortex aus dem System. Zurück bleib ein Sonnensystem in dem es keinerlei intelligentes Leben mehr gab – nur ausgeglühte Trümmer.

 

 

ENDE


Nachwort zu diesem Kapitel:
BABYLON-6 wird demnächst fortgesetzt mit der Episode 04: ALTE FEINDE Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück