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REM-SLEEP Disorder

So lange bis er aufhört zu existieren
von

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Memoriam

„Sir? Darf ich Ihnen eine Frage stellen?“

Unzählige Minuten der Überwindung hatte es ihn gekostet diese Bitte auszusprechen. Zuvor hatten sich lediglich seine Fingernägel tiefer in die Handflächen gebohrt, je größer seine innere Anspannung wuchs. Zitternd ruhten die geballten Fäuste auf seinen Oberschenkeln. Er konnte spüren, dass die halbmondförmigen Abdrücke, die sich in seine Haut gegraben hatten, Spuren hinterlassen würden.

Mit einer gehobenen Augenbraue löste der Mann, der ihm gegenüber hinter einem wuchtigen Schreibtisch saß, seine Augen vom Monitor und richtete sie auf ihn. Mit einer kleinen Bewegung schob der alte Mann seine Brille zurück, die ihm beim Lesen etwas vom Nasenrücken gerutscht war.

„Nur zu, mein Junge“, antwortete er, ohne den Hauch des Interesses in seiner Stimme. Eren konnte nicht anders, als seine Krawatte ein Stück zu lockern, die ihm im Augenblick die Kehle zu schnürte. Ein Teil in ihm wehrte sich mit gewaltiger Inbrunst diese Frage zu stellen, doch der andere Teil glaubte ohne eine Antwort nie wieder auch nur Nacht in Frieden schlafen zu können.

„Haben Sie es damals gewusst?“ Unweigerlich nachdem Eren dies aussprach hielt er inne. Er musste sich korrigieren. „Hat es Sibyl gewusst?“ Dem Alten perlte ein nachdenklicher Laut von den Lippen, als er sich in seinem Drehstuhl zurücklehnte und mit der Hand über den längst ergrauten Bart fuhr.

„Sibyl ist nicht allmächtig, aber unfehlbar. Wir können seinen Verlust nur betrauern.“

Eren bedankte sich leise für die Antwort – Auch wenn es genau das war, was er nicht hören wollte. Die ganzen letzten Nächte hatte er schlaflos in seinem Bett gelegen oder mit leerem Blick vor seinem Schreibtisch gesessen und die Tastatur seines Computers angestarrt. Sein Kopf konnte nicht begreifen, dass die Zeit nach der „Stunde 0“ einfach weiter tickte. Der Mann ihm gegenüber schnalzte mit der Zunge, riss Eren somit aus seinen Gedanken.

„Um auf deinen Bericht zurück zu kommen“, waren die letzten Worte des Alten, bevor das Rauschen in Erens Ohren lauter wurde. In seinen Gehörgängen dröhnten nur die Fressgeräusche der Erinnerungen, die an seinem Verstand nagten. Wie viel konnte ein Mensch ertragen bis er vollends gebrochen war? Wie lange konnte man eine Seele schinden und schlechten bis kein Funke der eigentlichen Menschlichkeit mehr übrig war? Wie lange dauerte es bis ein Monster geschaffen war? Eren hatte sich einen Mentor gewünscht, der ihm all diese Fragen beantwortete. Stattdessen war er selbst auf die Antworten gestoßen und verfluchte sich nun für seine Neugierde.

Er war einem Mann begegnet, der auf nackten Füßen durch die Hölle gegangen war. Und dieser Mann war verantwortlich dafür, dass er seinen Glauben an das Sibyl-System verlor. Man konnte Kriminelle nicht von gutbürgerlichen Menschen unterscheiden. Man konnte sie einfach nicht anhand einer Zahl beurteilen oder verurteilen. Er hatte alles dafür getan, um einen Platz beim Ministry of Welfare's Public Safety Bureau zu bekommen. Denn die Bösen zu jagen, war für ihn eine Art Bestimmung gewesen. Nun wusste er allerdings, dass das Böse keine Zahl war. Das Böse war der Abgrund, in welchem sich jeder Mensch verlieren konnte.

Als der Alte sich räusperte, stieß Eren ein leises Seufzen aus. Vorsichtig blickte er von seinen Händen auf und schaute in die kalten, grauen Augen, welche ihn wieder forschend betrachteten.

„Du bist noch sehr jung, Eren, aber du hast ein bemerkenswertes Potential. Ich dachte, dass ich vor sechs Jahren die erste und einzige Ausnahme gemacht hätte, als ich die Devision 1 in die Hände zweier Frischlinge legte. Sie waren damals in deinem Alter. Wusstest du das?“

Eren presste seine Kiefer so hart aufeinander, dass er für einen Moment glaubte seine Zähne würden unter dem Druck zerspringen. Ohne ein Wort zu sagen, rang er sich ein Nicken ab.

„Man hat mir davon erzählt, Sir.“ Und nun war er Senior Inspector der Devision 1. Als könnte man die Dinge ungeschehen machen, indem man sie einfach ersetzte.

„Morgen wirst du deinen neuen Partner in Empfang nehmen. Zusammen begebt ihr euch zur Isolation Facility und holt die neuen Enforcer ab, die Sibyl für euch ausgesucht hat.“

Kaum hörte er das Wort „Enforcer“ sprang Eren vom Stuhl auf. Sein Gesicht hatte binnen weniger Sekunden jegliche Farbe verloren.

„Sir! Ich weiß, dass ist eine ungewöhnliche Bitte, aber gäbe es die Möglichkeit, dass wir-“

„Unter keinen Umständen. Er wird nicht noch einmal eingesetzt.“ Die Worte waren unmissverständlich. Dann senkte Zackly jedoch seine Stimme. „Glaub mir, es ist besser, wenn er niemals mehr das Tageslicht erblickt.“ Auch die letzte Hoffnung war somit im Keim erstickt worden. Es machte keinen Sinn noch länger zu versuchen oder darauf zu beharren. Eren mussten es einsehen: Sie würden ihn nie wiedersehen.

Eren verbeugte sich angemessen, eh er seine ausgestreckte Hand zu einem kurzen, aber ehrfürchtigen Salut an die Schläfe hielt. „Verstanden!“
 

Leise zog er hinter sich die Bürotür ins Schloss, als er dieses verlassen hatte. Auf einem Stuhl, der neben mehreren anderen an der Wand stand, saß Jean. Vorgebeugt, die Unterarme auf seine Knie gestützt und das Gesicht zum Boden gewandt. Eren war nicht überrascht, den Enforcer hier zu sehen. Die ganze Zeit hatte er die Vorahnung im Nacken gespürt, dass Jean vor der Tür warten und ihn abfangen würde.

„Was hat Zackly gesagt?!“ Jeans Stimme war rau und kalt. Eren hatte mit ansehen müssen, wie auch aus diesem Mann das letzte Quäntchen einer menschlichen Emotion gewichen war.

„Er hat gesagt-“ Eren konnte es nicht aussprechen. Wenn er in das ausgezehrte, zermürbte Gesicht des Enforcers blickte, wollte sich sein Magen herum drehen. „Er sagte, wir können nichts anderes machen als seinen Verlust zu betrauern. Es tut mir leid, Jean.“

„Ausgerechnet dir tut es leid? Du warst der Einzige, der ihn hätte aufhalten können, als es noch nicht zu spät war! Verdammte scheiße, du hättest alles verhindern können!“ Jean schaute mit einmal auf. „Ich mach dich kalt“, fügte er leise hinzu. Eren hatte kaum die Kraft standzuhalten, als sich das Gesicht des Anderen zu einem Grinsen verzog, das er schon einmal gesehen hatte.
 

Als Eren an seinem ersten Arbeitstag zum ersten Mal einen Dominator in seinen Händen gehalten hatte, wusste er nicht was ihn erwarten würde. Doch jetzt wurde ihm bewusst, es wäre besser gewesen wenn er es nie herausgefunden hätte.

The Beginning

Der Regen, der vom Himmel stürzte, als würde er für jeden Menschen auf dieser Welt eine Träne vergießen, erinnerte ihn an jenen Tag. An den Tag vor zehn Jahren, der ihn zum Waisen machte.
 

Doch er hatte keine Zeit, um eine solche Erinnerung lange zu zulassen und in seinem Gedächtnis zu forschen. Vor etwa einer Stunde war Eren unsanft aus dem Schlaf gerissen worden. Zuerst war er der Annahme gewesen, dass er seine Haushälterin, Candy, falsch programmiert und diese ihn zu früh geweckt hatte, doch Candy machte ihn energisch auf die Nachricht aufmerksam, die sein Wristcom ihm gemeldet hatte. Das Gerät war ihm am Tag zuvor zugeschickt worden. Eren hatte sich noch nicht daran gewöhnt es zu tragen, trotzdem erfüllte es ihm mit einem gewissen Stolz. Kurz nach seinem Abschluss waren ihm die Türen zu jeder Position in der Regierung offen gewesen, doch er hatte sich dafür entschieden seinem Traum ein Stück näher gekommen. Das Ministry of Welfare's Public Safety Bureau hatte ihn mit offenen Armen empfangen, doch nun war er sich nicht mehr sicher, ob er für diesen überhaupt Job geeignet war. In der Nachricht hatte nur eine Angabe der Adresse und der Name seines Vorgesetzten gestanden, genauso wie die Zusätze „dringend“ und „unverzüglich“ in rotleuchtenden Lettern. Und genau diese waren es, die jähe Zweifel in Eren aufsteigen ließ, während er über den, vom Regen glitschig gewordenen, Bürgersteig rannte. Erst seit Mitternacht konnte er sich offiziell Junior Inspector nennen und wurde dennoch direkt zu seinem ersten Einsatz beordert. Eren hatte nicht die geringste Vorstellung darüber, was ihn erwarten würde.
 

„Hier spricht das Criminal Investigation Department des Public Safety Bureaus. Um die Sicherheit zu gewähren ist jeglicher Zugang zu diesem Block zurzeit untersagt. Anwohner umgrenzender Gebäude werden gebeten diese sofort zu verlassen. Ich wiederhole!“
 

Schon von weitem konnte er die Durchsagen der Drohnen hören. Es musste nicht mehr weit sein. Eren mobilisierte seine letzten Kräfte und rannte so schnell er konnte. Fast wäre er ausgerutscht, als er am Ende der Straße um die Ecke bog und durch das offen stehende Tor in einen gewaltigen Innenhof lief. Eine Menschenmasse hatte sich bereits zusammen gefunden, die mit besorgten Blicken an der Barrikade der Komissa vorbei starrten. Die Nacht wurde hier lediglich von den wenigen Leuchtstrahlern und dem Blaulicht der Komissa-Drohnen durchbrochen. Sie tauchten den Hof in eine seltsam an wirkende Szenerie, welche die Nervosität in Eren zusätzlich schürte. Mit entschuldigenden Worten drängte er sich zwischen den Leuten hindurch. Als er endlich die Komissa erreicht hatte, beugte er sich keuchend nach vorne und rang einige Momente lang nach Atem. Das Taxi, das er sich genommen hatte, um schnellst möglichst hier hin zu kommen, blieb schon nach kurzer Strecke im Verkehr stecken, weswegen er die letzten fünf Kilometer wie ein Besinnungsloser gerannt war. Hastig begann Eren in der Tasche seines Jacketts zu kramen, eh er seinen Ausweis hervor zog und sie dem Hologramm vor die Nase hielt. Sofort begann die Drohne, welche sich hinter dem Komissa versteckte, seine I.D. zu scannen. Erst nachdem er hindurch gelassen wurde, spürte Eren wie sehr sich die Nässe und Kälte in seine Knochen gefressen hatte. Mit schnellen Schritten eilte er zu dem Pavillon, der mit hellen Flutstrahlern ausgeleuchtet wurde. Eine einzige Person stand darunter und wartete. Eren hoffte innerlich, dass er nicht zu spät war. An seinem ersten Arbeitstag nicht den Zeitpunkt der Vereinbarung einhalten zu können, würde gewiss kein gutes Licht auf ihn werfen.
 

„Entschuldigung!“, rief der Junge noch bevor er den Pavillon erreicht hatte. „Sind Sie Senior Inspector Bodt?“ Völlig außer Atem kam er zum Stehen und wischte sich die gröbste Feuchtigkeit von seinen Schultern. Ohne zu zögern gab er einen strammen Salut von sich. Der Mann, der nicht mehr als ein paar Jahre älter sein musste als er, blickte von seinem Wristcom auf, dessen Interface sich sofort zusammen klappte. Bei dem Anblick seines Gegenübers fuhr Eren innerlich vor Schreck zusammen. Nur wenn man genau hinschaute, konnte man zwischen den Brandnarben, welche die komplette rechte Gesichtshälfte des Mannes verunstalteten, ein paar jugendlich anzuschauende Sommersprossen noch erkennen.

Der Inspector sagte kein Wort, stattdessen kräuselten sich seine vernarbten Lippen zu der Andeutung eines Lächelns. Doch was einst eine warmherzige Geste gewesen sein musste, war nicht mehr als eine kühle Notwendigkeit. Ausdruckslose Augen musterten Eren von oben bis unten. Der Junge schluckte harsch und lockerte seinen Salut schlussendlich. Man hatte ihm nur den Namen seines neuen Vorgesetzten verraten, aber nicht wie er aussehen würde. Eren hatte sich eine Vielzahl der unterschiedlichsten Bilder ausgemalt, doch mit dem Mann, ihm gegenüber hatte er nicht gerechnet. Von der ersten Sekunde an fragte sich Eren was dem Älteren widerfahren sein musste. Er wirkte seltsam verzerrt. Als versuchte er die Person aufrecht zu erhalten, die er einst gewesen war, jedoch kläglich daran scheiterte. Etwas in seinen Augen schien immer in Bewegung zu sein. Wärme und Kälte reichten sich im Wechsel einander die Hand wie Sonne und Mond. Eren lief ein kalter Schauer über den Rücken, bevor der Andere endlich das unangenehme Schweigen durchbrach.
 

„Du musst Eren Jäger sein. Man hat mich informiert.“

„Jawohl, Sir!“

Eren schaute auf die Hand, die ihm gereicht wurde. Kurzweilig war er sich nicht sicher, ob er sie nehmen oder sich lieber angemessen verbeugen sollte. Jetzt wo er angekommen war, hatte seine Anspannung einen unermesslichen Punkt erreicht. Eren nahm tiefen Atem, bevor er die Hand zum Gruß nahm.

„Marco reicht vollkommen aus.“ Es waren nicht die Worte des Inspectors, die ihn wieder erschaudern ließen, sondern die Hand aus Metall, die sich unter dem Handschuh befand, den er drückte. Langsam entzog sich Eren und lächelte nervös.

„Tut mir leid, dass dein erster Arbeitstag gleich mit einer Geiselnahme beginnt“, sagte Marco und zum ersten Mal passte die Emotion in seinem Gesicht auch zu seinen Worten. Anscheinend schien es ihm wirklich leid zu tun, was Eren ein wenig die Angst nahm. „Ich würde dich gerne wie einen Neuling behandeln, aber der Devision 1 fehlt es nun einmal an Personal.“ Darauf wusste Eren nun wirklich keine Antwort zu geben. Weit und breit waren keine weiteren Mitglieder des MWPSB zu sehen. Als er hörte wie sein Name ausgesprochen wurde, flog ihm eine Jacke entgegen, die er im letzten Augenblick mit beiden Armen fangen konnte.

„Die solltest du anziehen. Sie schützt uns vor dem Gröbsten.“ Dem Gröbsten. Fragend schaute er die dunkelblaue Jacke an. Auf beiden Ärmeln war auf weißem Untergrund die Zahl Eins aufgenäht, wie einige Zusätze, die ihn eindeutig als Inspector kennzeichnen würden. In aufwallender Aufregung begann sein Herz wieder zu schlagen, als er in die Uniform schlüpfte, die zu seinem schwarzen Anzug nicht so richtig passen wollte. Aber zumindest wärmte sie ihn ein wenig und der Wind hörte auf an seiner nassen Kleidung zu zerren. Gerade wollte er fragen, was der Inspector mit „Dem Gröbsten“ meinte, als ein fast ohrenbetäubendes Warnsignal über den Innenhof dröhnte. Eren wirbelte herum. Durch das Tor zum Innenhof fuhr ein schwarzer Sicherheitstransporter. Solche hatte er schon einige Male gesehen, doch nie hatte ihm jemand sagen können, was sich in dessen Innern befand. Der Transporter kam mit quietschenden Reifen vor dem Pavillon zu stehen.
 

„Die Menschen, die du gleich treffen wirst, sind nicht wie wir“, sagte Marco im gleichen Augenblick, als die Hochsicherheitsverriegelung des Transporters sich unter einem lauten Zischen der Hydraulik öffnete. „Ihr Psycho-Pass Crime Coefficient übersteigt weit die genehmigte Regulierung. Normalerweise sind sie Kriminelle. Eingesperrt und isoliert von der Außenwelt.“ Eren verstand, was der Ältere ihm sagen wollte. Einige Ausgewählte, wurden von der Regierung benutzt, um Kriminelle wie sie zu jagen. Sie wurden Enforcer genannt. „Sie sind nichts weiter als Jagdhunde. Ein gesellschaftlicher Abschaum, die ihresgleichen zur Strecke bringen.“

Der Junge bemerkte erst jetzt, dass er die ganze Zeit die Luft angehalten hatte, als er sah wie drei Leute aus dem hinteren Teil des Wagens über eine Rampe ausstiegen. Den Worten des Inspectors konnte er im ersten Augenblick keinen Glauben schenken. Diese Leute sahen völlig normal aus.

„Entschuldige, wir sind etwas spät“, rief ihnen die rothaarige Frau zu und winkte mit nach oben ausgestrecktem Arm. Dabei trug sie, für Eren, ein schon fast erschreckend fröhliches Grinsen auf ihren Lippen. „Ist das unser Neuzuwachs, von dem du erzählt hast?“ Marco schnaubte und hob sein Handgelenk an um das Interface wieder zu aktivieren.

„Wir haben keine Zeit uns erst vorzustellen, Petra“, gab er bestimmend von sich. Eren konnte die Blicke nicht von den Dreien nehmen, die sich neben ihn gestellt hatten. „Um mich kurz zu fassen, unser Täter befindet sich irgendwo in diesem Komplex. Er ist leer stehend, doch man sagt, dass er voller Obdachloser wäre.“

„Also die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Na klasse“, raunte der Blondhaarige, der direkt neben Eren stand und seine Hände tief in den Taschen seines Mantels vergraben hielt.

„Ich fürchte ja, Jean“, seufzte Marco, eh seine Finger über das Interface glitten und einige Informationen über den Fall aufgerufen wurden. „Die Scanner, die ihn erfasst haben, stuften seinen Hue als Dunkelgrün ein. Den Meldungen zu Folge haben wir es zusätzlich mit einer Geiselnahme zu tun. Ich habe die Informationen euch zugeschickt.“

„Machen wir es wie immer?“, fragte Mann, den Marco mit Jean angesprochen hatte und in etwa dessen Alter sein musste. Eren stand vollkommen perplex daneben. Mit einmal fühlte er sich in einer völlig neuen Welt gefangen.

„Nein“, lautete die prompte Antwort des Inspectors. „Mike wird dieses Mal mit mir kommen. Petra und du, ihr werdet Eren unter eure Fittiche nehmen.“ Jean schnalzte lediglich mit der Zunge, während sich Petra lauthals über diese Entscheidung aufzuregen schien. Was Eren jedoch am Meisten Angst einflößte, war der fast 2 Meter große Mann, der leise und zustimmend brummte. Alles, was Eren an seiner Mimik ablesen konnte, war Ausgeglichenheit und Ruhe. Wie sollte so jemand jemals eine Straftat begangen haben?

„Gut, schnappen wir uns das Schwein“, sagte Marco zum Abschluss, bevor er ebenfalls die blaue Schutzjacke überzog.

Paint him black

„Ich hoffe, du weißt wie man einen Dominator benutzt.“

Eren würdigte den Blondhaarigen nur eines Seitenblickes, eh sich seine Kiefer vor Nervosität aufeinander pressten. In dem Carrier, der vor ihm stand, fehlten bereits zwei der schwarzen Schusswaffen. Der Senior Inspector und der Enforcer namens Mike waren ihnen bereits einige Minuten voraus.

„Natürlich“, antwortete Eren. Er hatte ein drei jähriges Training erhalten und das notwendige Wissen über die Benutzung eines Dominators hatte man ihm selbstverständlich auch beigebracht. Sofort, nachdem sich seine Finger um den Griff schlossen, ertönte in seinen Ohren sie sanfte, melodische Stimme des Sibyl Systems.
 

„Dominator Portable Psychologial Diagnose Surpression System has been activated.“
 

Als die weibliche, melodische Stimme im Innern seines Gehörgangs ertönte und das Interface sich vor seinen Augen aufbaute, kurz nachdem seine Finger den Griff der Waffe umschlossen, konnte er spüren, wie sich sein Magen zusammen zog – Ob vor Aufregung oder lauer Angst davor, was ihn erwarten würde, er konnte es in dieser Sekunde nicht einmal genau deuten.
 

„User authentification, Inspector Eren Jäger. Affiliation: Public Saftey Bureau, Criminal Investigation Department. Dominator usage approval confirmed. You are a valid user. Current enforcement mode is Non-Lethal Paralyzer. Aim calmly and disable the target.”
 

Eren musste sich widerwillig eingestehen, dass das Training ihn dennoch nicht auf die wahre Realität vorbereitet hatte. Als würde er das Interface zum ersten Mal erblicken, dass ihn über seine eigenen vitalen Werte, sowie den Zugangs- und Informationsdaten über seine eigene Person, und eine Liste über seine Teamkameraden informierte, zum ersten Mal in seinem Leben erblicken. Mit seiner freien Hand versuchte er nach den Hologrammen zu greifen, bis er merkte, dass sich vor ihm nichts weiter als Luft befand. Erst als die rothaarige Frau, namens Petra, ihm auf den Schulter klopfte und nah an seinem Ohr zu Lachen begann, löste sich Eren von der Faszination, die ihn ergriffen hatte.

„Keine Sorge, irgendwann gewöhnt man sich daran. Auch an die nervige Stimme im Ohr, die einem ständig mit Anweisungen nervt“, versuchte Petra ihm Mut zu machen, doch Eren spürte lediglich wie er vor Scham die Schultern nach oben zog. Entnervt schnalzte Jean mit der Zunge. Eren konnte aus dem Augenwinkel sehen, wie der Enforcer mit dem Kopf schüttelte.

„Auch noch ein blutiger Anfänger“, seufzte der Blondhaarige, was dazu führte, dass Eren sich mit einem Satz zu diesem herum drehte und harsch seine Kiefer aufeinander drückte, als er das hämische Lächeln des Enforcers erblicken konnte.

„Was hast du gesagt?“ Der Junior Inspector konnte nicht anders, als bei diesen Worten aus der Haut heraus zu fahren. Jeans Augen verengten sich. Nachdem ihm die herausfordernden Worte zu Ohren gekommen waren, drehte er Eren jedoch nur die Schulter zu.

„Ich sagte, dass du ein scheiß blutiger Anfänger bist“, wiederholte Jean dabei noch einmal seine Worte, ohne Eren dabei anzublicken. Der Jüngere wollte etwas sagen, doch Petra unterbrach seine aufwallenden Worte, indem sie einen Arm vor Eren hob und einen Schritt auf ihren Partner zu machte, der weiterhin stur geradeaus starrte.

„Wir haben alle einmal angefangen, Jean“, redete sie auf den Enforcer ein, um die Diskussion nicht weiter eskalieren zu lassen. „Oder soll ich dich daran erinnern, dass du dir bei deinem ersten Fall beinah in die Hose gemacht hast?“ Anstatt darauf zu antworten, schüttelte der Enforcer erneut mit dem Kopf und hob ergeben seine Hände an.

„Dann nimm den Kleinen eben in Schutz, Petra. Mir ist es gleich“, waren die letzten Worte des Blondhaarigen, bevor dieser sich von der Gruppe entfernte. Normalerweise war es gegen die Regeln, dass sich ein Enforcer ohne die Erlaubnis eines Inspektors fortbewegte, doch Eren war zu erstarrt von der Wut, die sich in seinem Magen zusammen geballt hatte. Das also sollten seine neuen Arbeitskollegen sein? Mit dunklem Blick schaute er Jean hinterher, der bereits hinter der Ecke des Gebäudekomplexes verschwunden war. Erst als Petra seufzte und sie ihm am Ärmel zog, wurde ihm wieder bewusst, was er hier eigentlich tat. So gut es ging versuchte Eren die Beleidigung zu vergessen, die er soeben über sich hatte ergehen lassen müssen und schlug die gleiche Richtung ein, in die der Enforcer soeben verschwunden war. Die Frau gab sich dabei alle Mühe mit seinen schnellen Schritten mitzuhalten und musste die letzten Meter sogar im Laufen überwinden.
 

„Ich muss mich für sein Verhalten entschuldigen… Er war schon immer so ein Sturkopf!“

Eren nahm mit einer simplen Handbewegung ihre Worte entgegen, bevor er diese wieder fest um den Griff seines Dominators schloss. Wenigstens die Waffe konnte ihm ein wenig die Sicherheit zurückgeben, von der er sich geraubt fühlte. Während seiner Ausbildung hatte man ihm ergiebig darüber geschult, was diese Enforcer für Menschen waren, und die Erklärung seines Vorgesetzten machten es nicht wirklich leichter, mit diesen Leuten so etwas wie Mitgefühl oder Sympathie zu empfinden. Obgleich sie nicht aussahen, als hätten sie eine größere Straftat begangen, die dazu führte, dass ihr Crime Coefficient über die Norm hinaus anstieg. Petra wirkte wie eine ganz normale Frau, während Jean den Eindruck eines fast jugendlichen Mannes erweckte… Der Einzige, der vom Äußeren her in das Schema eines Enforcers passte, war Marco Bodt selbst.

Nachdenklich zog Eren die Brauen zusammen, während er und seine Begleiterin mit schnellen Schritten den Blondhaarigen einholten, der ihnen weiterhin unbekümmert den Rücken zudrehte. Eren wusste, dass er sich von Äußerlichkeiten nicht beeinflussen lassen durfte, doch diese unendlich freundliche Art, die Petra ausstrahlte, ließ ihn an seinen eigenen Gedanken zweifeln. Mit einem seichten Kopfschütteln brachte er sich selbst dazu, von seinen Überlegungen abzulassen, die ihn ohnehin in keine Richtung führen würden. Doch auch wenn er aktiv aufhörte seine Gedanken über dieses Thema kreisen zu lassen, arbeitete es in ihm weiter und lenkte von der Angst ab, die sich in seinen Gliedmaßen zusammen zog.
 

Es dauerte eine ganze Weile bis sie den Eingang zum Inneren des Gebäudekomplexes fanden. Unzählige kleine, verwinkelte Gassen, die hell erleuchtet waren von rostigen Glühbirnen, flackernden Neonröhren oder anrüchigen, grell leuchtenden Reklametafeln, ließen die herunter gekommene Gegend, durch welche sie sich vorsichtig und lauernd bewegten, wie eine Kleinstadt für sich wirken. Eine Stadt, die auf engstem Raume zusammen gepfercht war, doch keiner der Leute, die sie hier antrafen, schien sich für ihre Anwesenheit zu interessieren, obwohl Eren als Einziger unmissverständlich zu erkennen war.

Mit jedem Meter, den sie zurücklegten, stieg die Anspannung in ihm. Mehr und mehr verlor er das Zeitgefühl um sich herum. Eren konnte sich nicht einmal mehr daran erinnern, wann sie ausgemacht hatten sich zumindest räumlich ein wenig voneinander zu trennen, um das Suchfeld zu erweitern. Jean war auf der Karte, die er mittels des Wristcoms öffnen konnte, nur wenige Nebenstraßen von ihnen entfernt und hielt sich in etwa auf gleicher Höhe mit ihnen.

„Für deinen ersten Arbeitstag wirkst du aber ziemlich entspannt.“ Petra, die ihn bis zu diesem Zeitpunkt mit eher unwichtigen Fragen gelöchert hatte, grinste ihn breit an und ließ sich auch von Erens verwirrtem Blick nicht beirren.

Tatsächlich brauchte er eine Sekunde, um abzuwägen wie er auf diese Frage reagieren sollte. Es war ihm sein Glück, dass die Enforcerin nicht wissen konnte, wie panisch schnell das Herz ihm in der Brust schlug oder den feinen Schweiß gemerkte, der sich bereits auf seinen Handflächen gebildet hatte. Wenn er ehrlich war, wusste er nicht einmal genau was überhaupt zu tun war. Dem älteren Inspector hatte seine Bitte nach einem Plan oder wenigstens einem detaillierterem Briefing egal gewesen. Ohne viele Worte fallen zu lassen, waren ihm ein paar Anweisungen zugeteilt worden und kurz darauf hatte Marco sich auch mit dem hünenhaften Enforcer von der Gruppe entfernt.
 

Vor einer stählernen Schiebetür, wie sie für Lagerhäuser eingesetzt wurden, versammelten sich die Drei wieder und gingen auf Position. Bisher war ihnen nichts vor die Füße gelaufen, das einen Anschein auf kriminelle Aktivitäten geliefert hätte. Da die anderen Beiden aus ihrem Team den restlichen Teil des Komplexes untersuchten, blieb ihnen dieses Lager als letzte Möglichkeit den Täter endlich aufzuspüren. Eren konnte spüren, wie ihm mittlerweile der Schweiß selbst auf der Stirn stand. Der Gedanke, dass eine Geisel noch bei diesem Mann war, bereitete ihn am meisten Sorge. Was war, wenn sie die Frau nicht rechtzeitig retten konnten?

„Überlass die Arbeit uns. Ein Inspector ist ohnehin nur dazu da, auf unsere Vorgehensweise ein wachsames Auge zu werfen“, sagte die Rothaarige, als hatte sie die ganze Zeit seine Gedanken mitlesen können, und zwinkerte ihm dabei aufmunternd zu. Eren verwunderte es nicht, dass Jean bei dieser Aussage nur mit der Zunge schnalzte. Der Enforcer musste sich allerhand Mühe geben, um seinen Kommentar darauf laut auszusprechen. Doch jetzt eine Diskussion anzufangen, hielt Eren in diesem Augenblick für vollkommen unangebracht.

„Und, Herr Inspector? Wie möchten Sie nun vorgehen?“, murrte der Größere, dessen sarkastischer Unterton unüberhörbar war.

„Ich würde sagen, ihr Beide geht voran und ich werde euch den Rücken decken“, antwortete Eren nach einiger Überlegung und gab sich die größte Mühe so autoritär wie nur möglich dabei zu klingen. Allerdings rollte Jean lediglich mit den Augen.

„Was für eine weise Entscheidung“, seufzte der Enforcer leise und riss mit einer ausladenden Bewegung die angerostete Tür zur Seite, die mit lautem Quietschen die Stille ihrer Umgebung durchbrach. Eren fuhr bei diesem Geräusch zusammen, sammelte sich jedoch wieder, als die Beiden voran gingen.
 

Das Innere des Lagers lag in vollkommener Dunkelheit. Gezwungenermaßen mussten sie die Stabtaschenlampen einschalten, die sie für solche Fälle dabei hatten. Eren hatte seine vorher von Marco erhalten, der ihm diese mit den Worten „Die wirst du noch brauchen“ überreicht hatte – Als hätte er geahnt, dass sie auf diesen Ort stoßen würden.

Während er die Lichtkegel ihrer Taschenlampen umher glitten, bekamen sie einen ungefähren Eindruck über ihre Umgebung. Das Lager schien seit etlichen Jahren nicht mehr benutzt worden zu sein. Von den deckenhohen Stahlregalen waren die meisten leer oder nur mit verrotteten Kartons oder anderen, eher undefinierbaren Teilen zugestellt. Schmutz benetzte den Boden wie ein endloser Teppich, während überall Metallteile, Unrat oder Rohre durcheinander lagen. Die Stille, die sich zwischen ihnen ausbreite, wurde mit jeder Minute angespannter. Es klang nicht danach, als würde sich hier jemand verstecken. Auch das Interface seines Dominators zeigte ihm keine Veränderung des Stresslevels in ihrer Nähe. Trotzdem hatte Eren das ungute Gefühl, dass sich hier etwas verbarg. Doch wo?
 

„Hier Shepherd One, wir haben den Bastard gefunden und ausgeschaltet.“

Es war Marcos Stimme, die über den Funk direkt in sein Ohr schallte und dennoch kein Gehör fand. Vollkommen erstarrt, war es für Eren eine Unmöglichkeit die Augen von der Wand abwenden, obwohl die Übelkeit bereits seine Speiseröhre empor kletterte. Der Schein seiner Taschenlampe zuckte mit dem Zittern seiner Hand hin und her, tauchte die Szenerie vor seinen Augen in die Kakofonie des Horrors. Mit den fünf Litern Blut, die ein menschlicher Körper besitzen konnte, war auf dem schwarzen Stahl der vier Meter hohen Wand eine Frage geschrieben, die ihm mit einem eiskalten Schauer das nackte Grauen über die Schulter laufen ließ: Warum verdunkelt er sich nicht?
 

Nur langsam hob Eren seine Hand zum Ohr und betätigte die Sprachaktivierung seines Headsets: „Wir haben die Überreste der Geisel scheinbar gefunden und-“

Grob wurde seine Hand von seinem Kopf weggerissen, was dazu führte, dass Eren sich endlich aus seiner Starre lösen konnte. Hastig versuchte er sich aus Jeans Griff zu befreien, doch der Enforcer hielt ihn eisern fest.

„Marco darf unter keinen Umständen hier hinkommen!“, grollte der Blondhaarige. Erst als Eren keinen Widerstand mehr zeigte, wurde er losgelassen.

„Und warum nicht?“, fragte er lauthals, entfernte sich dabei ein paar Schritte rückwärts, um nicht zu seinem Untergeordneten hinauf schauen zu müssen.

„Und was?“, ertönte wieder die Stimme in seinem Ohr, welche auch die anderen gehört haben mussten, denn Jean wirkte mit einmal wesentlich nervöser.

„Du beorderst jetzt die Untersuchungsdrohnen und sagst dem Senior Inspector, er solle beim Transporter auf uns warten, während wir uns um die lästige Spurensicherung kümmern! Hast du verstanden?“ Jean betonte fast jedes einzelne Wort, um endlich bei Eren auf Anklang zu treffen, doch dieser schüttelte bloß völlig verstört mit dem Kopf.

„Seit wann nimmt ein Inspector Befehle von einem niederen Jagdhund, wie dir, entgegen?“

„Das reicht, Jungs!“, rief Petra dazwischen und versuchte die Beiden auseinander zu bringen. Jean kam ihr allerdings zuvor und packte den Kleineren mit voller Wucht am Kragen, sodass man das Knacken der Nähte nicht überhören konnte. Mit dem Versuch sich zu befreien, stieß Eren einen erschrockenen Laut aus, und verlor beinah den Boden unter seinen Füßen, als der Enforcer ihn zu sich zog.

„Du scheinst es wohl nicht begriffen zu haben. Wenn Marco das hier“, dabei zeigte die Hand seines freien Armes mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Wand, dessen plakativer Ausruf mit einer grausigen Fratze beinah höhnisch auf sie hinab zu grinsen schien, „zu Gesicht bekommt, würden die Ausmaße dessen weitaus deine eigenen Vorstellungen übersteigen, Kleiner!“

Eren konnte nur mit Mühe den Kloß hinunter schlucken, der sich bei Jeans todernstem Tonfall in seiner Kehle gebildet hatte. So langsam begann er zu verstehen, dass hierbei nicht mit seiner Autorität gespielt wurde.

„Shepherd Two? Gibt es Probleme?“

„Glaubst du, er kämpft immer noch damit, Jean?“, fragte Petra besorgt, als der Enforcer sich wieder langsam von seinem Vorgesetzen löste und diesen mit einem Stoß unsanft von sich wegschubste.

„Natürlich tut er das“, erfolgte wie aus der Pistole geschossen die Antwort des Angesprochenen, der sich entnervt mit beiden Händen durch die kurzen Haare fuhr.

„Und womit?“, schaltete sich der Braunhaarige wieder mit ein, der verwirrt den Augenkontakt zu seinen Teampartnern suchte. Er hasste das Gefühl, wenn die Leute um ihn herum mehr wussten, als er selbst.

„Hound One?“
 

Mit einer regelrecht blitzschnellen Bewegung langte Jean nach seinem Headset: „Hier Hound One, wir hatten Schwierigkeiten die Untersuchungsdrohnen hierhin zu bestellen. Anscheinend stören die Stahlwände unser Signal.“

Eren konnte nicht sagen, ob er angewidert oder fasziniert von dieser unverschämten Eleganz war, mit welcher Jean seinen Vorgesetzten anlog, ohne dabei auch nur den Hauch eines Schuldgefühls auszustrahlen. Natürlich, wie sollte er auch das Bewusstsein für jegliche Formen der Justiz besitzen. So fühlte es sich also an, wenn man mit Kriminellen arbeitete. Unweigerlich musste er sich daran erinnern, was der Senior Inspector vor weniger als zwei Stunden ihm über diese Leute erzählt hatte: Er durfte ihnen nicht trauen. Doch der Blondhaarige strahlte etwas aus, das ihn spüren ließ, sich in diese Sache lieber nicht mit einzumischen oder es gar zu hinterfragen. Ohne es zu wollen, festigte sich sein Griff um den Dominator ein wenig – Als könnte dieser ihm ein klein wenig Sicherheit schenken. Eigentlich war es seine Aufgabe seinen nächst höher gestellten über das Verhalten der Enforcer zu informieren oder selbst direkt einzuschreiten, wenn es keine andere Lösung gab; so hatte er es zumindest während seiner Ausbildung gelernt, doch Eren spürte, dass er in diesem Augenblick keine Macht ausüben konnte. Völlig ergeben, wandte er sich selbst an sein Headset.

„Hier Shepherd Two, wir haben die Situation unter Kontrolle. Wir werden noch die nötigen Informationen vom Tatort sammeln. In der Zeit könnt ihr beim Transporter warten. Wir werden nachkommen, sobald wir hier fertig sind“, meldete sich Eren und hoffte die Ungeduld stillen zu können, die sie zuvor in Marcos Stimme hören konnten.

„Gut, aber beeilt euch. Shepherd One out.“

Die beiden Enforcer gaben gleichzeitig eine Geste der Erleichterung von sich, während Eren nicht glauben konnte, in was für eine Intrige er sich an seinem ersten Arbeitstag hatte hineinziehen lassen. Innerlich hoffte er darauf, so souverän wie möglich zwischen all dem Gestotter geklungen zu haben. Vielleicht tat sein Vorgesetzter sein Verhalten als simple Nervosität ab, die man an seinem ersten Arbeitstag hatte.

„Warum mache ich das eigentlich?“, murmelte Eren leise zu sich selbst, während er die monströse Szenerie betrachtete. Die aufgeschnittene, wie ein Tier auf einer Schlachtbank ausgeblutete Leiche befand sich nur wenige Meter von ihren Füßen entfernt. Der Braunhaarige versuchte seinen Atem zu beruhigen und sich nicht von der Übelkeit einnehmen zu lassen, die sich bei dem Anblick in seinem gesamten Körper ausbreitete.
 

Während sie darauf warteten, dass die Untersuchungsdrohnen mit mechanischer Präzision ihre Arbeit erledigten und die nötigen Spuren sammelten, herrschte zwischen den Anwesenden eiserne Stille.

„Glaubst du, er hat es geschluckt, Jean?“, fragte Petra aus dem Nichts heraus, unbekümmert dessen, dass sie umgeben waren von dem Gestank nach Verwesung und Blut.

„Wir können nur darauf hoffen.“

Schweigsam lauschte Eren, der im respektablen Abstand an einer Wand sich hingesetzt hatte, um seinen zittrigen Beinen ein wenig Ruhe zu gönnen, dem Gespräch der beiden Enforcer. Sie wirkten fast wie zwei Störche die im seichten Wasser nach Nahrung forschten, während sie zwischen den Drohnen auf und ab gingen und scheinbar deren Arbeitsvorgänge kontrollierten.

„Es ist unglaublich, dass er uns nach wie vor so vertraut… In letzter Zeit wurde sein Kontrollzwang schon ein wenig penetrant“, ließ die Enforcerin beiläufig fallen, hockte sich dabei neben den toten Körper der verstümmelten Frau und begutachtete diese mit regelrecht kindlicher Neugierde.

„Marco vertraut niemandem. Er geht nur seiner Arbeit nach“, korrigierte Jean sie tadelnd und blies den blauen Dunst seiner Zigarette, der im Halbdunkeln der Industriehalle kaum zu erkennen war, in die Luft. Die Frau seufzte schwer, stützte ihr Kinn dabei in die Hände. Eren versuchte sich noch immer ein Bild davon zu machen, wer der Senior Inspector überhaupt war. Wenn er niemandem vertraut, so wie die Beiden es eben sagten, warum war er dann hier nicht aufgetaucht? Das ergab alles keinen Sinn…

„Warum… Ist er dann nicht hier?“, sprach Eren laut seine Gedanken aus, „Hat dieser… Fund… irgendetwas mit Marco zu tun?“

„Es gibt Dinge, die fragt man nicht!“, schrie die Frau ihn an und sprang dabei auf. Einen solchen Gefühlsausbruch hatte er am ehesten von Jean erwartet, der jedoch lediglich mit einer beschwichtigenden Geste versuchte die Enforcerin zu beruhigen, welche mit geballten Händen und zitterndem Körper da stand. Ohne den Blick von ihr zu nehmen, rappelte sich Eren wieder auf und richtete fahrig die leicht verrutschte Krawatte. Er wollte etwas sagen, doch der Blondhaarige ließ ihn nicht einmal zu Wort kommen.

„Sie hat Recht, Eren – Das hier ist kein Ort für Diskussionen… Außerdem solltest du vorsichtiger mit deiner Neugierde sein.“

Mit langsamen Schritten näherte er sich wieder den Beiden. Nachdem er die Leiche aus einiger Entfernung die ganze Zeit über beobachtet hatte, glaubte er nun, den Anblick auch aus der Nähe besser ertragen zu können.

„Deshalb hasse ich Inspektoren…!“, zischte die Rothaarige zwischen ihren zusammen gepressten Zähnen hervor. Eren blieb wie angewurzelt stehen, als der Enforcer an ihrer Seite mit flacher Hand über ihre Wange schlug. Der Schlag hallte noch danach von den Wänden wieder.

„Pass gefälligst auf was du sagst, Petra!“, herrschte Jean sie mit geballter Stimme an. Der Ausdruck der schieren Wut auf seinem Gesicht, wollte so gar nicht zu dem Status passen, den er in dieser Gruppe hatte. Schniefend rieb Petra sich die brennende Haut, wandte sich dabei von dem Größeren ab, der noch immer mit erhobener Hand dastand – Dazu bereit, zu einem zweiten Schlag ausholen zu können, wenn dieser von Nöten sein würde. Für einen Augenblick fragte sich Eren, wer von ihnen beiden hier der anwesende Inspector war…

„Nur weil du selbst einer gewesen bist, denkst du, du kannst machen was du willst“, sagte die Enforcerin so leise, sodass Eren nur die Hälfte verstehen konnte.

„Wenigstens habe ich keine Menschen mutwillig umgebracht…“, konterte Jean und ließ seine Hand wieder sinken, bevor sein Blick zu Eren glitt, der versuchte die Situation zu verstehen. Hatte er das richtig gehört? Jean war ein Inspector gewesen? „Ich denke, wir sind hier fertig“, fügte dieser noch bemerkend hinzu und deutete auf die Drohnen, die stillstehend auf den nächsten Befehl warteten. Nickend gab Eren zu verstehen, dass es Zeit war zu den anderen zurückzukehren.
 

Als sie den Gebäudekomplex verließen und hinaus in die Dämmerung, die endlich angebrochen war, preschte der Regen nach wie vor unermüdlich vom Himmel auf sie herab, doch Eren sah keinen Sinn jetzt noch die Kapuze über seine ohnehin nassen Haare zu ziehen. Auf der einen oder anderen Weise fühlten sich die kühlen Tropfen, die auf seine Kopfhaut trommelten, brachten eine gewisse Wohltat in seinen Körper, der sich geschwunden und ausgelaugt anfühlte. Noch immer wurde er in Gedanken von diesem Anblick verfolgt, der ihn wohl auch in den nächsten Tagen nicht loslassen würde. Im Halbdunkeln zuckten noch immer die Lichter der Sicherheitsdrohnen umher, die versuchten die Menschenmasse zurück zu drängen. Eren konnte mittlerweile nicht mehr sagen, ob diese, seit sie losgegangen waren, größer oder kleiner geworden war – Aber wenn er ehrlich war, interessierte er sich nicht mehr dafür. In seinem Kopf drehten sich die Fragen, die ihm keiner beantworten konnte oder vielmehr, die ihm keiner beantworten wollte.

Schon von weitem wurde ihre Ankunft von dem strengen Blick des Senior Inspectors begleitet, der eine Hand tief in seiner Manteltasche vergraben hielt.

„Was macht er da?“, flüsterte Eren zu sich selbst und musste schlucken, als das Bild klarer wurde, je näher sie dem Zelt kamen. Neben Marco hockte der große Mann, der mit ihm gegangen war, und schien es sichtlich zu genießen wie sein Haar von dem Inspector gekrault wurde.

Jagdhunde… Das war das Erste, was dem Braunhaarigen dazu in den Sinn kam… Sein größter Wunsch war dieser Beruf gewesen, doch mittlerweile fragte er sich ernsthaft, in was er überhaupt hinein geraten war.

„Hat er sich während der Jagd gut benommen?“, fragte Jean, der seinen zynischen Unterton nicht einmal versuchte zu verbergen. Marcos Augen verengten sich und wollten so gar nicht zu seinem Lächeln passen, das seine Zähne entblößte. Demonstrativ strich er durch die Haare des Enforcers, von welchem er kurz darauf abließ und die drei Ankömmlinge zum Carrier begleitete. Während Jean und Petra ihre Dominators zurück in die Halterung legten und aus dem System ausgeloggt wurden, tauschten sie einander einen unauffälligen Blick aus, der vor Eren jedoch nicht verborgen blieb.

„Ich erwarte in deinem Bericht eine ausführliche Erklärung über dein Verhalten, Eren.“

Dadurch, dass der Senior Inspector ihn so unerwartet von der Seite ansprach, ließ Eren vor Schreck beinah seine Waffe fallen. Allerdings fasste er sich wieder schnell und verstaute auch seinen Dominator in dem Carrier, der daraufhin mit einem mechanischen Zischen sich wieder schloss.

Jean warf ihm dabei einen Blick zu, dessen Warnung unmissverständlich war: Er sollte bloß nichts darüber verraten, was sie entdeckt hatten.

On my Own

Die Stille im Wageninneren war regelrecht greifbar.

Gleichzeitig raubte sie Eren die nötige Luft zum Atmen, gab ihm das Gefühl zu ersticken je länger er schweigend neben dem Senior Inspector saß, dessen Gesicht zur Straße gewandt war.

Vorsichtig wagte er es den Älteren aus dem Augenwinkel zu betrachten, der den Wagen auf Autopilot gestellt hatte und somit mit regem Desinteresse den üppigen Verkehr verfolgte. Entweder bemerkte der Ältere seinen forschenden Blick nicht oder er ignorierte ihn schlichtweg. Eren konnte sich vorstellen, dass sein Gegenüber sich damit abgefunden hatte auf Grund seines vernarbten Gesichtes ständig beobachtet und angestarrt zu werden – Doch genau diese entstellte Gesichtshälfte war nun von Eren abgewandt und er glaubte in diesem Augenblick die Möglichkeit zu haben, die wahre Persönlichkeit zu betrachten.
 

„Stimmt es, dass Jean ein Inspector war?“, fragte Eren nach einer Ewigkeit in die Stille hinein, nur um diese zu durchbrechen.

„Hat er dir das also erzählt?“

„Nein, Petra hatte nur eine Andeutung gemacht.“

Eren seufzte innerlich. Aus irgendeinem Grund hatte er bereits damit gerechnet, dass sein Vorgesetzter ihm keine ehrliche Antwort geben würde. Doch gleichzeitig musste der Jüngere auch daran denken, wie er an diese Tatsache überhaupt gelangt war und sein Herz vollzog einen nervösen Sprung in seiner Brust. Mittlerweile zweifelte er daran, dass sie ihren Fund lange genug vor Marco geheim halten konnten, zumindest nicht so lange wie Jean es sich anscheinend wünschte. Eren fragte sich noch immer, warum es scheinbar derartig wichtig war den Senior Inspector zu belügen.
 

„Tja, anscheinend verplaudert sie sich immer noch gerne“, sagte Marco eher zu sich selbst und verzog angewidert seinen Mund, als hätte er mit einmal einen bitteren Geschmack auf der Zunge.

Eren wusste nicht, was er darauf antworten sollte, also schwieg er.

„Aber, ja, es stimmt. Und er war ein großartiger noch dazu—“

Eren schaute von seinen Händen wieder auf. Die Verwirrung war ihm ins Gesicht geschrieben. „Und was ist dann passiert?“

Aus Marcos Kehle drang ein Lachen, das amüsierter nicht hätte sein können.

„Menschen verändern sich nun einmal, Eren. Du glaubst, sie seien deine Freunde, aber letzten Endes kannst du ihnen nur vor den Kopf schauen.“
 

---
 

Die gesamte Autofahrt über hatten sie kein weiteres Wort mehr mit einander gewechselt.

Unablässig hatte Eren den Transporter im Seitenspiegel beobachtet, der dicht hinter ihnen gewesen war, gefolgt von einem regelrechten Rattenschwanz aus unzähligen Sicherheitsdrohnen.

Als sie die Brücke des Highways passierten, der als Schnellstraße quer durch die Stadt führte, konnte Eren einen Blick auf das Hauptgebäude des [style type="italic"]Ministry of Welfare's Public Safety Bureau[/style] werfen. Auch von dem Fenster im Zimmer des Waisenhauses aus, das er seit seiner frühen Kindheit sein zu Hause genannt hatte, hatte er dieses Gebäude sehen können. Seit er denken konnte, war dies ein Mahnmal für seine Zukunft gewesen.

Er hatte alles dafür getan um dort eines Tages einen Fuß fassen zu können. Es war nicht der Mord an seinen Eltern gewesen, der ihn dazu getrieben hatte, sein Leben dafür zu geben, um die Sicherheit in dieser Stadt zu gewährleisten — Vielmehr war die Begegnung mit einem Mann dieser exekutiven Einrichtung des Sybil Systems gewesen, wodurch er diesen Weg für sich selbst gewählt hatte. Eren konnte sich nicht mehr sein Gesicht oder seinen Namen ins Gedächtnis rufen, doch er würde wohl nie die „01“ auf der Jacke des Inspectors vergessen.
 

Erens Blick wanderte neugierig von einer Seite zur anderen, während sie den langen Flur hinunter gingen. Immer wieder stieß er fast mit einer Drohe oder einem Carrier zusammen, doch die Büros und Meeting Räume, die er hinter den Glasscheiben erkennen konnte, waren zu spannend.

Für einen Moment lang konnte er die kreisenden Fragen in seinem Kopf vergessen, sowie die Bilder des Mordfundes, denn die Aufregung wurde in seinem Körper immer größer. Das Herz in seiner Brust begann zu flattern, nebenbei versuchte er mit dem schwarzhaarigen Inspector Schritt zu halten und stolperte dabei mehrfach fast über seine eigenen Füße.

Nie hätte Eren es sich träumen lassen, eines Tages das Innere dieses respekteinflößenden Gebäudes zu Gesicht zu bekommen. Durch die unzähligen Gänge und Räume kam es ihm vor, als wäre es hier drinnen wesentlich größer. Doch der Schein mochte trügen. Von außen betrachtet erinnerte ihn die pechschwarze Fassade des Hauptverwaltungsgebäudes an den Lauf eines Gewehres, der aus dem Boden herausragte. Selbst wenn er am Haupteingang stand und hinauf schaute, war es gänzlich unmöglich nur mit dem bloßen Auge die Anzahl der Etagen zu zählen.

Eren hatte das Gefühl, es würde lange dauern, bis er sich die alltäglichen Arbeitswege eingeprägt hatte. Wiederum fiel ihm nebenbei auf, dass die wichtigsten Räume durch farbliche Markierungen an den Wänden gekennzeichnet waren; aber dennoch fühlte er sich in den endlosen Fluren verloren.
 

„Wie viele Devisions gibt es hier eigentlich?“, fragte Eren beiläufig. Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, wie Marco etwas belustigt lächelte.

„Ab Dreißig habe ich aufgehört zu zählen“, antwortete ihm der Senior Inspector. Petra holte mit einmal in schnellen Schritten auf, ging dabei nun direkt neben Eren.

„Also ich glaube, ich habe mal jemanden mit einer Hundert auf der Jacke gesehen.“ Auch Mike gab wohl seine Zustimmung für diese Aussage, denn er schnaubte leise. Eren schaute kurz über die Schulter und betrachtete den Hünen, den er noch nicht ganz einschätzen konnte.

Bisher hatte der Hochgewachsene noch kein einziges Wort gesagt und trotzdem machte er auf Eren einen völlig friedfertigen Eindruck. Als dieser jedoch einen Laut von sich gab, der fast dem gequälten Winseln eines Hundes gleichkam, weiteten sich seine Augen und er löste seinen Blick von dem Enforcer. Erst jetzt bemerkte er, dass Marco und die Anderen angespannter waren.
 

Ein Schatten legte sich über das Gesicht des Senior Inspectors.
 

Anscheinend blieb sein Drang zum Stehen bleiben nicht unentdeckt, denn Eren spürte einen unsanften Stoß in seinem Rücken, der ihn vorwärts stolpern ließ.

„Geh einfach weiter—“, zischte ihm Jean von hinten, ohne ihm die Option für eine Gegenfrage zu bieten.

Inmitten des Flures stand ein Mann, der nicht minder kleiner war als Mike. Die harschen Gesichtszüge und das raubtierhafte Glitzern in den Augen, machten es Eren unmöglich das genaue Alter einzuschätzen. Seine Körperhaltung war zwar lässig, aber trotzdem versprühte er eine gewisse, dunkle Dominanz, die Erens Magen schmerzend zusammen krampfen ließ. Er wusste nicht warum, doch er hatte das Gefühl dieses Gesicht schon einmal irgendwo gesehen zu haben. Sachte bewegte er seinen Kopf, um diesen Gedanken abzuschütteln. Bestimmt war er das schon einmal. Wenn man es nicht wusste, begegnete man in der Stadt immer irgendeinmal Inspector oder Enforcer. Doch meistens, bevor man sie wirklich als solche erkannte, wurden die Passanten aus der Umgebung schnellst möglichst evakuiert, wenn der Stresslevel einen Areals zu steigen drohte. Letzten Endes bedeutete es allerdings nicht, dass er diesem Mann, der sie lediglich betrachtete während sie näher kamen, schon einmal irgendwo gesehen hatte.

Schweigend gingen sie an dem Mann vorbei; Eren spürte, wie sein Blick auf der Gruppe lastete, aber er traute sich nicht ihn lange anzusehen. Lediglich Marco konnte man ansehen, wie dieser sich wieder zu entspannen schien, als sie an dem Fremden vorbei gegangen waren.
 

„Wie mir zur Ohren gekommen ist, wurde dein Antrag für einen Platz im Therapiezentrum mal wieder abgelehnt?“

„Das geht dich nichts an, Smith“, entgegnete Marco mit schneidendem Unterton, ohne sich dabei zu dem Inspector der Devision 2 herum zu drehen. Der Anflug eines weitaus dunklen, amüsierten Lachens drang aus Erwin hervor, bevor er die Arme vor der Brust verschränkte.

„Dann ist es also wahr?“ Erwins Augenwinkel kräuselten sich, lächelte dabei weiterhin in sich hinein. „Wann gibst du die Hoffnung endlich auf, Marco? Klammerst du dich etwa noch immer an deine Hirngespinste?“
 

Therapiezentrum?
 

Erens Blick wanderte zwischen den Beiden umher. Ohne verstehen zu können worüber sie sprachen, witterte er die Spannung, die zwischen den beiden Männern die Luft elektrisierte.

Unauffällig schaute er zu Armin herüber, der seine Hände in den Jackentaschen vergraben hatte und dem Ganzen lediglich teilnahmslos zuschaute oder mit dem Blick eine Drohne verfolgte, die ihren Weg durch die Gruppe suchte. Eren fragte sich, wie der Blonde nur so ruhig bleiben konnte.

„Was ist das für eine Patientenakte?“ Ohne auf das Thema weiter einzugehen, deutete Marco mit dem Kopf auf die hellbraune Akte, die Erwin unter seinem Arm geklemmt hielt und Eren zuvor nicht aufgefallen war. Der hochgewachsene Inspector hob eine Augenbraue und schaute an sich hinunter, während er demonstrativ den Unwissenden spielte. Kurz darauf überzog sich sein Gesicht mit einem boshaften Schmunzeln.

„Ich muss doch sehen, wie es der Überlebenden meines letzten Falls mit ihrer Therapie voran schafft“, antwortete Erwin und gab sich nicht einmal die Mühe seinen sarkastischen Tonfall zu verstecken.

„Seit wann besitzt du so etwas wie Anteilnahme?“

„Marco, es reicht“, drängte Jean warnend und fasste seinen Vorgesetzten an der Schulter, mit dem Versuch ihn weg zuziehen, doch Marco schüttelte ihn beiläufig ab.

„Mit welchem Recht beleidigst du mich.“ Erwin überwand mit wenigen kurzen Schritten die Distanz zwischen ihnen und drückte den Anderen gegen die Wand, nachdem er ihn harsch am Kragen gepackt hatte. Eren konnte sehen, dass Marco einen kleinen Moment lang Mühe hatte den Blickkontakt aufrecht zu erhalten, als Erwin sich vor ihm zu seiner vollen Größe aufbaute.

Gerade als Marco seinen Mund öffnete und etwas sagen wollte, durchbrach Armin mit einem simplen Schnalzen seiner Zunge die bedrohliche Stille, die sich zwischen den beiden Rivalen aufgebaut hatte.
 

Elegant schaute Armin, der sich unbemerkt zur Gruppe gesellt hatte, von seinem Wristcom auf und deutete mit dem Daumen den Flur hinunter.

„Wir sollten gehen, Sir. Hanji hat unsere Analyse fertiggestellt“, sagte er zu Erwin gewandt; spielte geschickt über die ganze Situation hinweg.

Eren konnte den Stich in seiner Brust zunächst nicht zu ordnen, doch ihm wurde klar, dass er in diesem Augenblick seinen besten und wohl einzigen Freund nicht mehr wieder erkannte, der sich mit vollkommenem Desinteresse zum Gehen abwandte.

Er hatte ihn seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gesehen, aber nun war es ihm als stünde er einem völlig anderen Menschen gegenüber.
 

Erwins Gemüt verwandelte sich von einer Sekunde auf die andere in das genaue Gegenteil. Trotzdem ließ er nur langsam von Marco wieder ab, dessen Blick sich nicht von dem Älteren abwandte. Der freundliche Tonfall, mit welchem er sich von den Anderen verabschiedete, bescherte Eren einen kalten Schauer, der ihm wie tausend Ameisen über die Schultern hinab lief und ihn zusammen zucken ließ.

Marco stieß einen rauen Ton aus, als er sich von der Wand löste und mit ein paar wenigen Handgriffen seine verrutschte Kleidung sortierte.

„Du darfst ihn nicht ständig herausfordern. Ansonsten wird er nie aufhören dich zu provozieren“, gab Jean mit einem Seufzen von sich, doch Marco schüttelte nur mit dem Kopf.

„Ich weiß!“ Marcos Antwort klang gepresst. Eren konnte spüren, dass der Ältere in Wirklichkeit etwas ganz anderes sagen wollte. „Hey, Mike! Mike—“ Der Senior Inspector hob seine rechte Hand und schnipste mehrfach, um den Enforcer aus der Trance zu wecken, in welcher der Hüne in die Richtung starrte in welcher Erwin zuvor verschwunden war. Obwohl es die behandschuhten Finger waren, die bei dem wiederholten Schnipsen, gegeneinander trafen, konnte Eren darunter einen leisen, metallischen Ton vernehmen.
 

Fragend zogen sich seine Brauen zusammen, doch er verkniff sich die Worte, die in ihm aufkamen. Jetzt war nicht der passende Zeitpunkt dafür seiner Neugierde wieder ein Stück freien Lauf zu lassen, obwohl er wenigstens einen groben Überblick darüber bekommen wollte, was gerade geschehen war.
 

„Eren, wir gehen!“ Marcos barscher Tonfall war dabei nicht zu überhören.

Der Junge blinzelte mehrere Male, spürte dann eine gewisse Hektik in sich aufkommen.

„Sir, dürfte ich mich kurz mit Jemandem treffen?“

„Und mit wem?“, der Schwarzhaarige gab ein leises Seufzen von sich, „Marco reicht völlig—“

„Der Junge, der eben hier war—“

„Ein Freund von dir?“

Eren stutzte. Er konnte es nicht fassen mit was für einem Talent sein Vorgesetzter es schaffte, stets ins Schwarze zu treffen; doch was sollte er auch anderes erwarten von jemandem, der ein Inspector war und eine wohl geübte Spürnase besaß.

Allerdings traf ihn das Wort [style type="italic"]Freund[/style] tiefer, als ihm lieb war. Seine Hände ballten sich vor Nervosität zu Fäusten bis er spürte, wie sich die Nägel in seine Haut gruben. Zögernd bejahte er die Frage mit einem Nicken.
 

---
 

„Kannst du mir erklären, was das vorhin sollte?“

Eren fand nicht die Kraft von seinem Kaffee aufzuschauen, den er wärmend zwischen seinen Händen hielt. Erst jetzt spürte er, wie der fehlende Schlaf an ihm zerrte, und durch all die offenen Fragen, die in ihm verzweifelt nach einer Antwort gierten, stand sein Kopf kurz vor dem Zerbersten.

„Wie meinst du das?“, entgegnete Armin, der nervös auf seinem Stuhl herum rutschte. Der Ältere, der ihm zuvor plötzlich so fremd vorgekommen war, schien nun völlig wieder der Alte zu sein. Seit sie sich kannten bewunderte Eren ihn für seine Wissbegierde und sein Können, doch Armin schien stets etwas auszustrahlen, als zweifelte dieser permanent an seinen eigenen Fähigkeiten.

„Die Beiden gehen sich fast an die Gurgel und du tust so, als sei nichts passiert!“

Armin seufzte, während seine Hand nervös an seinem Wristcom nestelte.

„Das machen sie immer“, sagte er, doch Eren glaubte ihm nicht.
 

Für ihn war das kein normaler Streit gewesen oder eine Meinungsverschiedenheit, die man unter Kollegen gerne mal haben konnte, sondern vielmehr etwas wesentlich größeres, das er sich selbst nicht beschreiben konnte.
 

„Glaub mir“, fuhr Armin fort und ertränkte das flache Zittern in seiner Stimme mit einem Schluck Kaffee, „Ich kenne sie jetzt schon ein Jahr lang und das ist wirklich ganz normal. Du solltest es nicht zu sehr hinterfragen, Eren. Das wird dich hier nicht weiter bringen oder dich nur in Dinge verstricken, von denen du lieber nichts wissen willst.“

Eren stieß entnervt die Luft aus und schaute seinem Freund zum ersten Mal seit Beginn ihres Gesprächs ins Gesicht. „Das habe ich schon mitbekommen. Neugierde ist hier anscheinend nicht wirklich gefragt, was?“

„Nein, absolut nicht.“
 

Die direkte Antwort des Blonden irritierte ihn mehr, als er wahrhaben wollte.

Armin war einer der neugierigsten Leute, die er kannte. An der Akademie hatte der Ältere ihm oft von seinen Plänen erzählt und hatte alles dafür gegeben, um seinen Horizont zu erweitern. Nicht selten hatte Eren ihn deswegen schlafend in der Bibliothek vorgefunden, doch jetzt musste er feststellen, dass Armin ihm bisher nicht eine einzige Frage gestellt hatte. Früher war es normal gewesen, dass der Blond ihn förmlich mit Worten durchlöcherte, aber nun saß er ihm gegenüber und hinterließ einen vollkommen distanzierten Eindruck.

Ein Wiedersehen hatte er sich anders vorgestellt.

Kurz nachdem er Armin die Ergebnisse seiner Abschlussprüfungen zugeteilt hatte, waren viele aufgeregt verfasste Briefe von dem Älteren bei ihm eingetroffen. Mit unzähligen Worten und Formulierungen hatte er ihm geschrieben, wie sehr er sich darauf freute, endlich mit ihm zusammen arbeiten zu können.

Eren hatte angenommen, sie würden sich einander in die Arme fallen, wenn sie sich trafen. Doch stattdessen saßen sie auf einer Aussichtsplattform der mittleren Etagen und führten ein Gespräch, das befremdlicher nicht hätte sein können - umgeben von einem kühlen Wind und den Geräuschen der wohl nie schlafenden Stadt, die sich hinter der Brüstung unter ihnen erstreckte.
 

„Haben die dir irgendeine Gehirnwäsche verpasst? Verdammt nochmal! So kenn ich dich gar nicht!“, brach es aus Eren hervor, der mit der flachen Hand auf den Tisch schlug, sodass sich auf seiner Haut ein feuriges Brennen direkt ausbreitete. Um ihn zu beruhigen, hob Armin in einer kleinen Geste seine Hände und lächelte ihn nervös an.

„Glaub mir, das habe ich auch auf die harte Tour lernen müssen. Man gewöhnt sich irgendwann daran, dass jeder hier ein wenig seltsam ist… Ich meine… Eren, mal ehrlich. Wir arbeiten hier mit Kriminellen zusammen! Da ist es doch wohl normal, wenn man nicht gerade sein Privatleben ausplaudern möchte, oder?“

„Das nennst du arbeiten?“, stieß Eren mit Nachdruck aus und konnte sich nicht mehr auf dem Stuhl halten, als Armin auch noch mit den Schultern zuckte. „Hör zu, ich habe noch keine Ahnung was ich hier überhaupt machen soll, finde dann heute Morgen eine Leiche und einer der Enforcer zwingt mich auch noch es vor Marco geheim zu halten. Findest du das etwa lustig?“

„Geheim halten—was? Moment, sag das nochmal!“ Von einer unbestimmten Neugierde gepackt, lehnte sich Armin über den Tisch, die Ellenbogen aufgestützt. Die Augen des Blonden waren weit geöffnet, als habe er selbst gerade den schrecklichen Fund gemacht, von dem Eren ihm soeben berichtet hatte.
 

Seufzend ließ sich Eren zurück auf den Stuhl fallen, von welchem er in seinem Gefühlsausbruch halb aufgestanden war. Mit einer Hand rieb er sich die Stirn, die wie im Arbeitsakt zweier Schmiede, verloren zwischen Taktgeber und Vorschlaghammer, pochte.

„Ich habe das ungute Gefühl, diese Leiche hatte irgendetwas mit Marco zu tun. Jean will nicht, dass ich etwas darüber erzähle. Meine Güte, Armin… Ich kann ihn doch nicht anlügen!“ Doch der Angesprochene war mit einmal kreidebleich. Eren musste zweimal hinsehen, um sich sicher zu sein, dass er sich das blutleere Gesicht nicht einzubilden. „Armin?“

„Jean hat Recht!“, brach es aus dem Älteren hervor, nachdem er sich wie im Schock von seinen Gedanken wieder gelöst hatte.

„Was—?“

„Ich sagte, er hat Recht. Marco sollte das lieber nicht sehen—“

Dieses Mal war es Eren, der sich wieder von seinem Stuhl erhob und weit über die Tischplatte lehnte. Mit festem Griff schlossen sich seine Finger um den Krawattenknoten des Anderen, den er daran nah zu sich zog.
 

„Sag mir endlich was hier gespielt wird!“, grollte Eren leise. Er konnte fühlen, dass er kurz davor stand vollends die Nerven zu verlieren. Ihm kam es vor, als wären die Zusammenhänge und Dispute zwischen den Mitarbeitern hier von weitaus größerer Tragweite als die Mörder und Vergewaltiger, die dort draußen noch unentdeckt herumliefen. Eren schaute forschend in die Augen seines Gegenübers, um dort die ersten Anzeichen für eine ehrliche Antwort entdecken zu können, doch stattdessen fand er etwas anderes. Da war er wieder… dieser Ausdruck.

Kalt, berechnend.

Eren machte es Angst diesen Ausdruck bei jemandem zu sehen, den er einen Freund nannte.
 

„Egal, wie gut man sie zu kennen scheint—“
 

Kontinuierlich musste er an Marcos Worte denken, die er im Auto zu ihm gesagt hatte. Sie wollten ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen.
 

„—Man weiß nicht, ob in ihnen ein Krimineller steckt oder nicht.“
 

Als würde er damit eine stumme Warnung aussprechen, legte sich Armins Hand um Erens Handgelenk. Der Griff des Braunhaarigen blieb beständig.
 

„Jeder von uns hat das Potential dazu.“
 

„Eren—“ Armins Stimme war bestimmt.
 

„Auch Freunde können sich dir abwenden.“
 

„Es ist dein erster Tag. Du bist müde, hattest einen schrecklichen Fall und bist verwirrt von den ganzen neuen Eindrücken. Du musst erst einmal zur Ruhe kommen. Denke über das Wesentliche nach, nicht über einen sinnlosen Machtkampf, verstanden?“
 

Langsam lösten sich Erens Finger von der Krawatte, die er so fest umschlossen gehalten hatte, dass seine Knöchel weißlich hervor getreten waren. Sein Körper reagierte wie von selbst, als er zur Bestätigung sachte nickte und sich wieder auf den Stuhl gleiten ließ.

Armin stieß ein leises Räuspern aus, löste sich dabei aus der unbequemen Haltung und richtete sich wieder auf. Er schenkte Eren ein Lächeln – Eines von dieser Sorte, das den Jüngeren durch viele traurige Zeiten damals auf der Akademie geholfen hatte, doch Eren hatte auf einmal nicht den Ansporn es zu erwidern.
 

Mit wenigen Worten verabschiedete sich der Blonde von ihm, entschuldigte sich dafür, dass die Arbeit ihn wieder rief und er nicht länger hier bleiben konnte.

„Ach, bevor ich es vergesse.“ Armin blieb stehen und wandte sich wieder zu Eren herum, richtete sich dabei die verrutschte Krawatte. „Einen guten Tipp bezüglich Senior Inspector Bodt kann ich dir wohl doch geben… Vielleicht auch mehr eine Art Warnung, ich weiß es nicht…“
 

Fragend neigte Eren seinen Kopf zur Seite. Eine Warnung?
 

„Sollte er während der Arbeit einschlafen“, der Blonde holte etwas zittrig Luft, „Weck ihn sofort wieder auf.“

Als er das hörte, waren seine Gedanken wie weggewaschen. Armin war schon halb aus der Tür verschwunden, bevor Eren sich wieder sammelte.

„Armin, warte—“

„Was denn jetzt noch?“, genervt wandte sich der Angesprochene ein letztes Mal zu ihm, hob dabei sein Handgelenk, wodurch das Wristcom unter seinem Ärmel hervorrutschte und Eren symbolisierte, dass es für ihn wirklich dringend war zu gehen.

„Wie hoch ist dein Crime Coefficient?“ Eren brachte die Frage kaum über seine Lippen.

„Etwas über siebzig. Warum?“

Die Worte durchschnitten sein Innerstes wie Stacheldraht.

„Nur so.“
 

Er war gestiegen.

Evidence

Das grelle Licht des Bildschirms brannte stechend in seinen müden Augen. Nur langsam lösten sich seine Finger von der Tastatur, um den unerträglichen Drang nachzugeben sich die Lider zu reiben.
 

Eren hatte das Gefühl in der letzten Nacht keine ruhige Minute geschlafen zu haben. Selbst im Traum waren die Bilder des Tatortes und die vielen Gespräche, in die er geraten war, seine ständigen Begleiter gewesen. Seitdem bäumte sich in seinem Bauch die Vorahnung auf, dass er in der alten Lagerhalle irgendetwas übersehen hatte. In der Verbildlichung seines Unterbewusstseins war er nicht in seinem eigenen Körper gewesen. Wie ein Schatten, der sich zwischen den rostigen und halb gefüllten Regalen hin und her bewegte, hatte er die Situation noch einmal von außen betrachten können. Und egal wo er während des Traumes hingeschaut hatte, war dieser in blutgeschriebene Schriftzug nicht von seiner Seite gewichen.
 

Warum verdunkelt er sich nicht?
 

Verdunkeln.

Irgendetwas hatte er übersehen. Nur was?
 

Ein unangenehmes Pochen durchzog seine Schläfen. Seufzend legte er seinen Kopf in beide Hände, um seine Augen in der Dunkelheit etwas zu entspannen, eh er zurück auf den Monitor starrte. Kaum da er das Büro vor einigen Stunden betreten hatte, um seinen zweiten Tag anzutreten, war er vom Senior Inspector wieder darauf Aufmerksam gemacht worden, seinen Bericht zu schreiben. Vorsichtig wagte er es einen Blick über die Schulter zu werfen.

Der Schreibtisch seines Vorgesetzten befand sich in seinem Rücken. Ohne vorher hingeschaut zu haben, konnte Eren sagen, dass Marco in den letzten Stunden nicht ein einziges Mal seine Körperhaltung gewechselt hatte; den Kopf stützte er in die linke Hand und nur ab und an löste sich die rechte Hand von der Computermaus, um nach Kaffeetasse zu greifen.

Der Inspector wirkte noch ausgezehrter als gestern. Eren fragte sich, ob dieser überhaupt seinen Arbeitsplatz verlassen hatte. Marcos Lidschlag war langsam. Nur unter großem Kraftaufwand konnte der Inspector anscheinend seine Augen offen halten und doch studierten sie aufmerksam die Zeilen der unendlich vielen Akten, welche er zu kontrollieren hatte. Wieder einmal konnte sich Eren nicht erklären, durch welche Energie der Ältere vorangetrieben wurde. Alles in Marcos Körperhaltung schrie danach sich endlich eine Pause zu gönnen, doch in den Augen des Schwarzhaarigen stach der Ausdruck eines Besessenen hervor, der manisch seiner Arbeit nachging.
 

Seufzend lauschte Eren dem Brummen der Lüftungsanlage, die ihr Büro mit frischer Luft versorgte und das Dröhnen seiner Gedanken wenigstens etwas überlagerte. Das unfertige Dokument seines Berichts schaute ihn vom Bildschirm heraus mit einem höhnischen Grinsen an. Eren fuhr sich durch die Haare, eh er seine Hände wieder auf die Tastatur legte und quälend langsam weiterschrieb. Seine Frustration stieg mit jedem Wort, das er aus sich würgte. Oftmals löschte er einen gesamten Absatz, nur um diesen wieder vom Neuen zu beginnen – Seit seiner Ankunft hatte sich dieses Spiel permanent widerholt.

Ihm war klar, dass es nicht leicht sein würde den Senior Inspector mit seinen Worten zu überzeugen. Mehrere Male schaute er zu Jean herüber, der einige Meter von ihm entfernt an seinem Arbeitsplatz saß. Petra und Mike hatten heute einen freien Tag, weswegen Jean der Einzige war, der ein wachsames Auge auf die Straßenscanner werfen konnte. Ab und an konnte man ihn seufzen hören, bevor dieser sich eine neue Zigarette anzündete. Als könnte der Enforcer seine Blicke wahrnehmen, drehte dieser seinen Kopf. Lange schaute Jean ihm in die Augen, bevor er fast ermutigend nickte und sich seinem Bildschirm wieder zuwandte. Eren tat es ihm gleich. Bisher hatte er das Dokument nur bis zur Hälfte füllen können. Ihm fehlten einfach die passenden Worte, mit denen er ihre perfekte Lüge abrunden und vergolden könnte.

Leise und vor Frust murrend schlug sich Eren beide Hände gegen die Wangen, auf denen sich durch den Schlag sofort eine gewisse Wärme ausbreitete. Für wenigstens einen kleinen Moment trat etwas Klarheit in seinem Kopf ein.

„Müde?“

Eren wandte sich ruckartig zu dem Senior Inspector herum, als er aus dem Nichts heraus angesprochen wurde. Marco verweilte noch immer in gleicher Haltung, doch nun hatte er sich mit seinem Drehstuhl leicht zu ihm gewandt. Ein warmes Lächeln breitete sich auf den vernarbten Lippen aus, als Eren ihn irritiert anschaute. Mit einem peinlich berührten Räuspern nahm er wieder die Hände von den Wangen.

„Ein wenig“, antwortete der jüngere Inspector kleinlaut, da ihm nichts Besseres auf die Frage einfiel.

„Geht mir genauso.“ Marcos Worte wurde von einem herzhaften Gähnen unterstrichen. Die Erinnerung an Armins Warnung durchglitt Erens Brust mit einem gleißenden Schlag.

„Möchtest du dich nicht lieber ein wenig ausruhen?“, fragte der Braunhaarige vorsichtig, doch Marco winkte ab.

„Nicht nötig.“

„Dieser Typ schläft nie“, mischte sich Jean mit einmal in den Smalltalk mit ein, der nur schleppend voran ging. Marco bedachte den Enforcer mit einem Blick, den Eren nicht deuten konnte. Langsam, wie ein Raubtier, das kurz davor stand auf seine Beute zu zuspringen, richtete sich der Inspector auf. Das zuvor noch warme Lächeln in seinem Gesicht gefror und erlosch so schlagartig, wie die Flamme einer Kerze, die man mit seinen Fingern ausdrückte.

„Das will ich nicht noch einmal von dir hören.“ Der Zorn, der sich in Marcos Stimme legte, war beinahe mit den Händen greifbar. Eren stockte für einen Moment der Atem, als er diesen schweren Hauch der Bedrohung unweigerlich in sich aufnahm. Jean seufzte, machte dann mit seiner Hand eine unwirsche Geste.

„Beruhig dich… Du weißt, wie ich das meine.“

Ein Muskel zuckte herrisch unter Marcos Auge.

„Gerade deswegen“, zischte der Schwarzhaarige, ehe er sich zu Eren wandte und einen vollkommen anderen Gesichtsausdruck trug, der das völlige Gegenteil zu vorher war. Der Grad der Faszination, mit der Eren seinen Vorgesetzten anstarrte, erreichte eine ungeahnte Höhe unbekannter Perversionen. Zögernd stotterte er ein paar Worte, weil er nicht sagen konnte, was der auffordernde Blick des Älteren zu bedeuten hatte.
 

„Wie kommst du mit deinem Bericht voran?“, fragte Marco aus dem Nichts heraus, als hätte der Wortwechsel zuvor gar nicht stattgefunden. Hörbar stieß der Junior Inspector die Luft aus den Lungen, als eine Welle der Erleichterung ihn überkam. Kurz hatte er die Befürchtung gehabt, dass er erneut Zeuge eines Gespräches wurde, dem er eigentlich nicht beiwohnen durfte. Sein Blick glitt einmal zwischen dem Bildschirm und seinem Vorgesetzten hin und her, bevor sich seine Schultern vor Ratlosigkeit sachte anhoben.

„Nicht sehr gut, um ehrlich zu sein.“ Was musste man auch für ein Mensch sein, dem eine derartig gewaltige Lüge so locker von der Hand ging wie der Trumpf bei einem Kartenspiel?

„Hmm…“ Marco rieb sich das Kinn, während er nachdachte. Eren versuchte angestrengt den Kloß herunter zu schlucken, der sich in seinem Hals gebildet hatte. Diese Besorgnis, welche in den Augen des Älteren lag, schürte die Nervosität, die sich schmerzhaft in den Adern des Braunhaarigen ausbreitete. Nach Halt suchend verkrampfte sich seine Hand um die Computermaus, nach der er hilflos getastet hatte. Am liebsten hätte Eren hier und jetzt die Wahrheit ausgesprochen, doch im Hintergrund konnte er Jean sehen, der stumm mit seinen Lippen noch einmal die Warnung vom Vortag formte.

„Lass mich mal sehen.“ Die Worte des Senior Inspectors rissen ihn mit harscher Gewalt aus seinen Gedanken. Und ebenso gewaltsam musste Eren den Drang unterdrücken, sich nicht gewaltsam vor seinem Arbeitsplatz aufzubauen, als Marco von seinem Drehstuhl aufstand und sich neben ihn mit beiden Händen auf den Tisch stützte. Aus Höflichkeit rollte der Jüngere mit seinem Stuhl ein wenig zur Seite.

Marcos Lippen bewegten sich stumm in dem Takt, in welchem er die Worte auf dem Bildschirm las. Mit jeder Minute, die verstrich, spürte Eren wie sich seine Nackenhaare vor Nervosität sträubten. Bisher hatte er gerade einmal das Stück bewältigt, wo er mit seinen zugeteilten Enforcern die Lagerhalle entdeckt gehabt hatte. Seitdem waren ihm die Worte wie aus dem Kopf gefegt.

„Ihr wart in dieser Lagerhalle, oder?“ Mit einmal saß Eren kerzengerade in seinem Stuhl, als der Ältere ihm diese Frage stellte.

„Ja“, gab er leise von sich und senkte den Blick auf seine Hände, die in seinem Schoß ruhten, als wäre er ein kleiner Junge, der gerade von seinem Vater für ein namenloses Vergehen getadelt wurde. Marco gab einen Laut des Verständnisses von sich und wandte seinen Blick zurück zum Dokument.

„Gut, ich verstehe. Du musst nicht jedes kleinste Detail beschreiben, das Material der Untersuchungsdrohnen werde ich dann im Labor einsehen. Ich möchte nur eine ausgiebige Erklärung zu deinem Verhalten.“

Eren blinzelte erschrocken und schnappte nach Luft, als seien die Worte seines Vorgesetzten nur aus seiner Fantasie entsprungen. Mit einem heftigen Nicken versuchte er sich aus seinem Zögern zu retten. Marco schenkte ihm ein flaches Lächeln, ehe er ihm ermutigend auf die Schulter klopfte.

Schweres Metall traf in diesem Augenblick seinen Knochen und Eren zuckte merklich zusammen. Ohne, dass der Senior Inspector etwas davon bemerkte, starrte der Junge auf den Handschuh des Mannes, der sich wieder an seinen Arbeitsplatz zurückzog. Mit einmal traf die Erinnerung an den Händedruck des Vortages in seinem Kopf ein mit der Wucht eines Hammers, der gegen seinen Schädel geschmettert wurde. Er erinnerte sich daran, dass sich die Hand des Älteren nicht menschlich angefühlt hatte – oder längst nicht mehr menschlich war.
 

Dieser Gedanke verweilte allerdings nicht lange. Vielmehr wuchs eine Freude in seiner Brust, die sich nicht beschreiben ließ und nur wenig später sich mit grenzenloser Sorge vermischte. Zum einen würde Marco die Wahrheit nicht durch ihn erfahren und es beruhigte ihn, doch zum anderen gab es nun keine andere Möglichkeit mehr den Senior Inspector aufzuhalten. Früher oder später würde er Einsicht in die Ergebnisse erhalten und Eren verlor jegliche Hoffnung, dass sie Marco noch länger hinhalten könnten. Noch immer hatte ihm niemand in dieses Geheimnis eingeweiht, über welches augenscheinlich keiner reden durfte – trotzdem spürte er allzu deutlich die Bedrohung, die davon ausging. Irgendwie mussten sie einen Weg finden, damit Marco den Tatort nicht sehen würde. Was sich allerdings vorher so leicht angehört hatte, wurde nun zu einer unüberwindbaren Mauer.
 

„Marco?“
 

Das holografische Bild des internen Kommunikationsmoduls auf Marcos Schreibtisch öffnete sich mit einmal und verzerrte die Helligkeit des Raumes mit bläulichem Neonlicht. Eine Braue des Senior Inspectors wanderte nach oben, als dieser sich herum drehte. Noch bevor Marco auf den eingehenden Anruf reagierte, wurde Eren anders.

„Ah, Hanji! Wir haben gerade von dir gesprochen.“
 

Hanji.
 

Eren hörte diesen Namen nicht zum ersten Mal. Er entsann sich, dass er während des Streites der beiden Devisionleiter gefallen war und Marco aus einer unangenehmen Situation gerettet hatte, aber nicht nur das. Armin hatte etwas davon erzählt, dass Hanji die Ergebnisse fertiggestellt gehabt habe… Das Labor?

Mit einmal saßen Jean und er kerzengerade im Stuhl. Seine Beine begannen unter der nervösen Anspannung zu zittern, die sich allmählich mit der Angst in seiner Brust vermischte. Die Luft im Büro wirkte mit einmal staubig und abgestanden. Jeder Atemzug brannte in Erens Lunge und er hatte Mühe diese überhaupt mit Sauerstoff zu versorgen, während er zusehen musste, wie sich der schaurige Ausdruck der Zufriedenheit auf Marcos Gesicht ausbreitete.
 

„Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Ich weiß, du hörst es nicht gerne, aber Erwin war leider in der Warteschlange über dir.“
 

Ein bleiernes Knacken durchdrang die angespannte Stille des Büros, als Marco knurrend seine Kiefer gegeneinander malmte. Das Geräusch der scharrenden Zähne jagte dem Junior Inspector einen Schauer die Wirbelsäule hinab und verweilte einige Momente lang unter seiner Haut. Eren konnte sehen wie sich die Hand des Schwarzhaarigen zu einer Faust zusammen gezogen hatte und wenn nicht der Handschuh gewesen wäre, so war er sich sicher, wären die Knöchel unter der Haut weißlich hervor getreten.

„Ich komme sofort zu dir“, antwortete Marco gepresst hervor und schien sich nur kaum beherrschen zu können. Jean, der sich in seinem Drehstuhl zu den beiden Inspectoren gedreht hatte, räusperte sich und machte eine unbestimmte Geste mit seiner Hand, als könne er allein damit seinen Vorgesetzten vom Gehen abhalten.

„Kannst du nicht“, meldete er sich knapp zu Wort. Ohne ein Wort zu sagen, richtete sich Marco schweigend hinter seinem Schreibtisch auf. Nur seine Hände ruhten an der schwarzen Tischkante; von seinem Standpunkt aus konnte Eren sehen, wie die Nägel der linken Hand langsam über das Furnier kratzten. Noch immer konnte er die Reaktionen des Älteren in so vielen Momenten nicht verstehen. Marco hatte tausende unterschiedliche Facetten und jede wirkte bedrohlicher als die Andere.

„Und warum?“, hakte der Ältere nach, nachdem er einen tiefen Atemzug der Beruhigung genommen hatte.

„Du musst in ein paar Minuten los zur Besprechung mit Zackly. Schon vergessen?“

Marcos Körperhaltung lockerte sich, eh er eine Hand hob und sich seufzend damit die Stirn rieb.

„Ach, stimmt…“, stieß der Senior Inspector frustriert und sichtlich lustlos aus – dennoch schien die Wut, die dieser vor wenigen Sekunden ausgestrahlt hatte, spurlos verschwunden zu sein. „Eren?“

„Ja, Sir?“ Vor lauter Schreck, dass man ihn so urplötzlich aus seinen Gedanken gerissen hatte, sprang Eren aus seinem Stuhl auf. Der Schwarzhaarige bedachte ihn doch nur mit einer kurzen Geste, um endlich von seiner Förmlichkeit abzulassen, während er sein Jackett von der Stuhllehne nahm und es langsam überzog, um dann ein paar wichtige Akten auf seinem Tisch zusammen zu suchen.

„Normalerweise lasse ich Hanji nicht auf Frischlinge los, aber in diesem Fall…“, der Inspector seufzte, „würdest du die Besprechung im Labor übernehmen? Jean muss leider hier bleiben und die Scanner im Auge behalten.“ Mit wenigen Schritten ging der Schwarzhaarige auf den Jüngeren zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Du wirst das schon schaffen. Hanji wird dir schon alles erklären.“ Marco schenkte seinem Gegenüber eines dieses Lächelns, die unsagbar falsch und boshaft aussahen, aber in seinem Gesicht trotzdem eine Art von Ruhe und Gelassenheit ausstrahlten. Eren schluckte, eh er dem Inspector nachsah, der das Büro verließ.
 

Verzweifelt fuhr sich der Junior Inspector mit seinen Händen durch die Haare. Erst dann bemerkte er Jean, der ihn mit strengem Blick taxierte.

„Eren, dir ist klar was das zu bedeuten hat, oder?“ Die Worte des Enforcers trafen ihn mit schmerzhafter Gewalt. Eren rang sich ein Nicken ab. Es machte ihm mit einmal keine Angst mehr einem neuen Menschen in dieser Einrichtung zu begegnen oder sich einem Aufgabenbereich zu stellen, den er zuvor noch nie betreten hatte. Vielmehr war es die wachsende Angst vor der Zeit, die ihnen davon lief und sie nicht fähig waren sie aufzuhalten.

„Wir können es ihm nicht ewig verschweigen, Jean“, drängte der Braunhaarige und umrundete seinen Schreibtisch. Mit einigen wenigen Schritten ging er zu dem Blonden, der sich in seinem Stuhl zurück gelehnt hatte, und setzte sich auf einen freien Platz ihm gegenüber.

„Ich weiß.“

„Du hast selbst gesagt, Marco dürfe davon nichts erfahren. Aber wie stellst du dir das vor? Ich habe bisher noch nicht einmal verstanden, worum es überhaupt geht.“ Eren konnte die wachsende Verzweiflung in seiner Stimme nicht verbergen.
 

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Obwohl der erste Eindruck von dem Enforcer nicht der Beste gewesen war, musste Eren seine Meinung allmählich ändern. Jean hatte sich mehrfach bei ihm entschuldigt, ihn nicht zum Analysis Department begleiten zu können, bevor Eren das Büro verlassen hatte.

Nun funkelten ihm zwei Brillengläser entgegen.

Für Eren sahen sie so aus, wie das leuchtende Augenpaar eines Raubtieres bei Nacht. Die Frau ihm gegenüber hatte sich weit herunter gebeugt, um ihn von unten ins Gesicht zu blicken. Die Luft im Raum war schwer vom Qualm unzähliger Zigaretten. Doch gerade im Moment war der Geruch der Nudelsuppe, dessen Becher die Frau in ihren Händen hielt, unbeschreiblich intensiver.

„Dein Name ist also Eren, richtig?“

„Ja“, antwortete er zögernd.

„Mhm…“ Schweigend nahm die Frau, welche sich ihm zuvor mit einem gewaltigen, herzhaften Lachen als „Hanji“ vorgestellt hatte, ein paar weitere Nudeln mit ihren Stäbchen auf und schob sie sich in den Mund. Nachdenklich kaute sie eine Weile darauf herum.

„Sag mal, wie groß bist du, Kleiner…“

Fragend zogen sich Erens Brauen zusammen, während er zögernd nach einer Antwort suchte. Es war nicht zu übersehen, dass sie beide die gleiche Größe hatten.

„1,70… schätze ich…“, antwortete er dennoch.

Wieder brummte die Frau interessiert und schob sich eine neue Portion in den Mund.

„Und wie schwer bist du?“

„Etwa Dreiundsechzig Kilo… schätze ich…“

Wieder ein Brummen und eine neue Portion fand ihren Weg zwischen die Lippen der Frau, welche sich daraufhin wieder aufrichtete und Eren aus dem peinlichen Schweigen befreite.

„Sag mal, Eren… Dürfte ich dich mal-“

Doch weiter kam Hanji nicht, als die Tür zum Analysis Department sich auf einmal öffnete.
 

„Du bist also der Neuling, der die Devision 1 endlich wieder einsatzfähig macht?“

Bevor er überhaupt wahrnahm, dass man ihn angesprochen hatte, legten sich von hinten zwei Hände auf seine Schultern und ließen Eren zusammen zucken. Unweigerlich und mehr aus Reflex drehte er sich sofort aus dem Griff heraus und schaute zu dem hochgewachsenen Mann auf, der regelrecht sanftmütig auf ihn herab lächelte. Im ersten Augenblick erkannte er den Senior Inspector nicht, dem er am Vortag bereits schon einmal begegnet war.

„Sie sind Mr. Smith, richtig?“, stammelte der Jüngere peinlich berührt, weil er mit einmal nicht wusste, wie er sich dem Anderen gegenüber zu verhalten hatte. Das Lächeln wurde ein wenig breiter, eh der Angesprochene ihm die Hand reichte und Eren diese etwas verhalten schüttelte.

„Senior Inspector der Devision 2, aber du brauchst nicht so höflich zu sein“, entgegnete ihm der Ältere. Auf Eren machte er einen vollkommen normalen Eindruck. Die düstere Aura, die Erwin bei ihrer ersten Begegnung umgeben hatte, war vollkommen verschwunden. „Wie ist dein Name?“

„Eren Jäger!“, antwortete er prompt. Wieder wurden seine Worte von einem weichen Lächeln bedacht, ehe der Größere seine Hand der Geste entzog. „Wie meinst du das? Die Devision wieder einsatzfähig machen?“, forschte Eren nach.

Der Blondhaarige lachte amüsiert und auch Hanji, welche er für einen Augenblick vergessen hatte, stimmte mit ein – jedoch sichtlich aus einem anderen Grund als der Inspector.

„Der gute Marco ist seit gut zwei Jahren an seinen Schreibtisch gefesselt. Zwar leitet er die wohl wichtigste Devision des Safety Bureaus, doch ohne einen zweiten Inspector besitzt man nicht die Vollmacht mit der kompletten Einheit auszurücken. Hin und wieder bekommt er ein paar kleinere Fälle. Meistens jedoch nur Delikte, wo er einen Enforcer mitnehmen darf. So lauten die Regeln…“, erklärte ihm der Ältere, ohne lange über seine Worte nachdenken zu müssen. All das waren Dinge, über die man Eren zuvor nicht aufgeklärt hatte.

„Und warum gab es vor mir keinen Anwärter für den Junior Inspector?“, fragte Eren und räusperte sich etwas nervös. Noch vor seinem ersten Arbeitstag hatte er sich gefragt, warum er eine so hohe Position bekommen hatte. Es konnte unmöglich ausschließlich an seiner Abschlussbenotung der Akademie gelegen haben! Doch scheinbar waren an anderen Stellen kein weiteres Personal von Nöten gewesen.

„Zum einen liegt es in Zacklys Obligation das Personal zu verteilen und zum anderen… nun ja… mein Junior Inspector hatte eben diese Position letztes Jahr abgeschlagen.“
 

Das passte zu Armin… Lieber trat er einen Schritt zurück, anstatt sich seines vollen Potentials bewusst zu werden.
 

„Aber um zum Grund meines Besuchs zurück zu kommen“, fuhr Erwin fort und ging souverän an Eren vorbei, um auch Hanji zum Gruß die Hand zu reichen, „Weshalb genau hattest du mich gerufen, Hanji?“

Die Brillengläser der Frau blitzten schelmisch im Licht der Neonröhren auf, als diese sich das Gestell zurück auf den Nasenrücken schob. Ihr weites Grinsen, das ihre Lippen benetzte, wirkte furios und wild. Hanji klatschte in ihre Hände und deutete mit ihren Händen quer durch den Raum auf eine Tür, die nur halb zugeschoben war. Als sich der Rauch in der Luft langsam legte, konnte Eren den stechenden Duft von Akohol und Desinfektionsmitteln wahrnehmen, der allen Anscheins nach von dem Raum hinter der Schiebetür ausging.

„Wenn die Herren mir bitte folgen würden“, flötete Hanji mit aufgeregter Stimme, als wäre sie kurz davor ihnen ihren größten Schatz zu präsentieren. Eren schaute den Inspector etwas unsicher an, der ihm jedoch andeutete ihr ruhig zu folgen.

„Herzlich willkommen!“, grinste Hanji strahlend, als sie dir Tür vollends aufschob und den Blick in den Obduktionsraum eröffnete. Noch konnte Eren keine genauen Gegenstände erkennen, außer den Stahltisch, auf dem ein Körper lag, welcher vollends mit einer Decke verhüllt war. Allerdings reichte der Geruch im Innern vollkommen aus, dass er den Handrücken gegen seine Nase hob, um sich etwas davon abzuschirmen. Die Schritte, mit denen er Erwin folgte, waren eher langsam.

„Es wundert mich, dass du unseren Neuling noch nicht sezieren wolltest“, sagte Erwin belustigt. Protestierend stemmte Hanji die Hände in ihre Taille und öffnete den Mund mehrere Male um sich zu verteidigen, doch scheinbar fiel ihr nichts ein, sodass sie mehrere Momente in dieser Haltung verharrte.

„Sezieren?“, murmelte Eren ratlos hinter seiner Hand hervor, doch seine Befürchtungen verflogen in dem Augenblick, in welchem Erwin ihm aufmunternd auf die Schulter klopfte.

„Hanji ist nur hier, weil wir sie aufgegriffen haben… Ich frage mich noch immer, wie sie es geschafft hat, aber sie hat über Jahre hinweg unerkannt Menschenkörper gesammelt… Für Anschauungszwecke, wie sie immer so schön sagt“, erklärte ihm der Ältere salopp, als stünde die Frau gar nicht in unmittelbarer Hörweite.

„Natürlich! Wie soll man aus Büchern auch all das lernen! Am menschlichen Körper direkt kann man um einiges besser studieren“, begann die Brillenträgerin sich sofort zu rechtfertigen. In ihren Augen glitzerte dabei etwas Irres auf, das Eren die Gänsehaut auf die Arme trieb.

„Aber nicht an lebenden!“, erwiderte Erwin barsch und Hanji verstummte tatsächlich einen Moment lang, „Wie dem auch sei… Hanji ist und bleibt unsere beste Forensikerin und Leiterin des Analysis Departmens… Du solltest ihr nur nicht zu nahe kommen.“ Den letzten Satz sprach Erwin mit einem Zwinkern aus und Eren wurde klar, dass er es nicht allzu ernst nehmen sollte. „Also, Hanji… Weshalb sind wir hier?“
 

Als wäre es das Natürlichste der Welt trat Erwin an den Obduktionstisch heran, während sich Eren lieber im höflichen Abstand sicher wägte. Noch bevor er überhaupt den toten Körper gesehen hatte, schmeckte er die bittere Galle, die sich langsam unter seiner Zunge ansammelte.

„Die Frau gehört zu der Geiselnahme, die Marco gestern bearbeitet hat“, erklärte Hanji dem Senior Inspector und legte dabei auf einmal einen völlig sachlichen Tonfall an den Tag. Während sie sprach verteilte sie auch an die beiden Männer jeweils ein Paar Latexhandschuhe, bevor sie in einer gekonnten Bewegung ihre eigenen über die Finger zog.

„Und?“, hakte Erwin nach.

„Nun ja… Erinnerst du dich an die Frau, welche ihren Ehemann brutal ermordet hat, weil ihr Crime Coefficient plötzlich außer Kontrolle geriet?“

Erwin nickte.

„Ja, seit einer Woche suchen wir bereits nach ihr… Sag mir nicht…“ Der Inspector stockte, als Hanji lediglich das Tuch zur Seite zog um ihm zu antworten. Eren vergaß die Übelkeit, die sich beißend in seinem Magen festsetzte und trat aus lauter Neugierde näher an den Tisch heran. Bilder des Vortages durchzogen seinen Kopf, als er das Gesicht der Frau erkannte. Ihre Haut war reingewaschen worden und die schrecklich vielen Blutrückstände verschwunden. Für den Braunhaarigen wurde es somit umso leichter mit dem Anblick fertig zu werden. Doch mit einmal machte das Herz in seiner Brust einen schmerzhaften Sprung. In dem schäbigen Licht der Lagerhalle war es ihm nicht aufgefallen…
 

Sein Verdacht wurde plötzlich bestätigt – er hatte etwas am Tatort übersehen. Und diese Erkenntnis raubte ihm regelrecht den Boden unter seinen Füßen. Er vergaß jegliches Schamgefühl, als er der ermordeten Frau auf das Brustbein starrte. In der fahlen, weiß-blauen Haut, unter welcher sich deutlich ein paar blutleere Äderchen abbildeten, waren ungeschickt mit einem Messer vier Buchstaben eingeritzt worden.

„Mako…“, flüsterte Eren leise, als er die Buchstaben entzifferte, „Was soll das heißen?“

Hanji drehte unwissend ihre Handflächen nach außen.

„Deshalb hab ich euch hier hergeholt… Das ist euer Job… Ich bin nebenan, falls ihr mich sucht“, sagte sie mit schnellen Worten und verschwand aus dem Raum. Eren, der ihr nachgeblickt hatte, konnte nur langsam wieder seinen Kopf zur dem Stahltisch drehen. Mehrere Male schluckte er, doch der bittere Geschmack nach Galle verharrte in seinem Mund.
 

„Ich hätte da eine Frage, Eren.“

Verwirrt blickte der Jüngere mit einem leicht zur Seite geneigtem Kopf auf. In seinem Magen brannte eine Ansammlung unterschiedlichster Fragen, die er niemandem stellen konnte – Deutlich erinnerte er sich an Armins Worte, der ihn gewarnt hatte, in dieser Einrichtung nicht allzu neugierig zu sein. Es überraschte ihn, dass er nun derjenige war, dem man eine Frage stellte. Mit einem Nicken gab er dem Hochgewachsenen zu verstehen, dass er sich nicht zurückhalten sollte.

„Wie kommst du mit Marco zurecht?“

Für einen Moment war Erens Kopf frei von jeglichen Gedanken, lediglich diese eine Frage schwebte in der Schwärze, die sich hinter seiner Stirn ausbreitete.

Er wusste es selbst nicht – Das war das Einzige, was ihm in den Sinn kam.

Vorsichtig blickte er sich zu allen Seiten um – Eren wollte sicherstellen, dass Erwin der Einzige war, der ihn hören konnte.

„Ich weiß es nicht…“, antwortete er ehrlich und stieß dabei schwermütig die Luft aus seiner Lunge. Obwohl sein Senior Inspector in irgendeinen weit zurückliegenden Streit mit Erwin verwickelt war, so verspürte Eren keine Abneigung gegenüber diesem. Vielmehr kam es dem Braunhaarigen vor, als sei der Inspector aus der Devision 2 hier der Erste, der ihm ein offenes Ohr lieh und ihn, trotz seiner Unerfahrenheit in dem Beruf, behandelte als stünden sie einander auf einer Ebene. Eren fuhr innerlich zusammen, als der Hochgewachsene mit einmal in einer väterlichen Geste ihm eine Hand auf die Schulter legte. Selbst durch seine Kleidung konnte er die Wärme spüren, die von ihr ausging. Nur unter großer Kraftanstrengung konnte er den Blick von der Leiche abwenden, an der er die klaffende Wunde am Hals unentwegt angestarrt hatte, als könne er in dem fauligen, fahlen Fleisch eine Antwort auf all seine Fragen finden.
 

„Irgendetwas bedrückt dich doch… Habe ich recht?“

Ohne es wirklich zu wollen, musste Eren bei diesen Worten auflachen. Es war unbegreiflich wie jeder hier ihm einen Schritt voraus war.

„Es hat mit deinem Vorgesetzten zu tun, oder?“

Die heisere Stimme, die sich in Erens Kehle zu einem verzweifelten Lachen geformt hatte, versiegte. Die Worte führten dazu, dass er sich an seinem eigenen Speichel verschluckte, der sich in seinem Rachen angesammelt hatte. Ungläubig schaute er zu Erwin auf.

„Woher-?“

„Armin hat es mir erzählt“, unterbrach der Blondhaarige ihn, noch bevor Eren in der Lage gewesen war zu Ende zu reden. Der Junior Inspector stützte sich mit beiden Händen auf dem Stahltisch auf. Er fühlte sich verraten. Von seinem eigenen Freund hintergangen. Dass Armin, dem er schon so vieles aus seinem Leben anvertraut hatte, direkt zu seinem Vorgesetzten laufen und ihm alles erzählen würde, hätte er sich niemals erträumt.

„Hat er dir alles von dem Fall erzählt?“ Erst jetzt fiel Eren auf, dass es ihm bei dem Mann um einiges leichter fiel jegliche Art der Höflichkeitsfloskeln fallen zu lassen. Wenn er Marco gegenüber stand, so verspürte er nach wie vor den Drang ihm den nötigen Respekt zu zollen. Wider seiner Erwartung schüttelte Erwin jedoch mit dem Kopf und beugte sich noch einmal über den Leichnam der Frau. Eren konnte nicht anders, als das Tuch, mit welchem der Körper nur halb bedeckt war, wieder ein Stück höher zu ziehen.

„Keine Details. Zugegeben, es war meine persönliche Neugierde gewesen, etwas mehr über dich zu erfahren. Armin hatte mir lediglich gesagt, dass ihr Zwei euch schon lange kennt“, erklärte sich Erwin und schaute Eren dabei über die Schulter. Dem Braunhaarigen war es unangenehm das Wort Neugierde zu hören, doch der Ältere ging nicht weiter darauf ein, sondern streckte seinen Arm aus und griff an Eren vorbei. Seine langen Finger umschlossen fast zärtlich den Saum des Tuches, welches er noch einmal ein Stück tiefer zog und in die Haut geschnittene Inschrift studierte. Erwin schnalzte leise mit der Zunge, während er das Brustbein der Frau wieder verhüllte. Nachdenklich zog er die sterilen Handschuhe aus und warf sie in einen dafür vorgesehen Mülleimer neben dem Obduktionstisch.
 

„Findest du es nicht auch merkwürdig, wie die beide Fälle anscheinend mit einander verknüpft sind?“, fragte Erwin, der seine Arme nun vor der Brust verschränkte. Es war eine berechtigte Frage, die sich Eren vorher noch nicht gestellt hatte.

„Warum wird eine von Sibyl als kriminell eingestufte Person als Geisel genommen und dann umgebracht?“, sprach der Jüngere leise vor sich hin und schien Erwins Gedankengänge zu teilen.

„War der Mörder noch vor Ort?“, erkundigte sich Erwin, der sich von der Ablage Hanjis Unterlagen genommen hatte und sie eher beiläufig durchblätterte.

„Nein“, antwortete Eren langsam. Seine Augen starrten in die Leere, die sich vor ihm offenbarte. Der Senior Inspector eröffnete ihm eine Richtung, in die er zuvor nicht nachgedacht hatte. „Marco hat ihn wo anders gefunden zusammen mit Mike.“ Eren konnte nicht sehen, wie der Andere zusammen zuckte, als er den Namen aussprach.

„Und ist Marco später zu euch gekommen, um sich ein Bild zu verschaffen?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

Eren seufzte leise, bevor er einen kurzen Augenblick lang abwog, was er dem Älteren alles verraten konnte und was nicht. Ohnehin musste er ständig darüber nachdenken, wie sein Vorgesetzter reagieren würde, wenn er von diesem Gespräch Wind bekäme.

„Jean war der Meinung, es könnte ihn an etwas erinnern, an das er sich aber nicht erinnern soll. Also haben wir ihn nicht hinzugezogen.“

„So?“ Erwin lächelte geheimnisvoll, eh er sich mit gemächlichen Schritten wieder zum Stahltisch gesellte. Er fasste Eren leicht am Ärmel und zog den Jüngeren ein Stück zur Seite. „Sagt dir der Name Levi etwas?“
 

Mit großen, runden Augen starrte er den älteren Inspector an, wie ein Kind, das von einem Moment auf den Anderen jegliche Hoffnung in seinem Leben verloren hatte. Er hatte diesen Namen tatsächlich noch nie gehört und doch breitete sich in seiner Brust eine unbarmherzige Kälte aus, die mit düsterer Gemächlichkeit von seinem ganzen Körper Besitz ergriff. Eren spürte ein leichtes Zittern in den Knien, als sich sein Mund öffnete um etwas zu sagen, doch die Worte wollten nicht ihren Weg über seine Lippen finden. Allein von diesem Namen ging eine Präsenz aus, die sich nicht unter normalen Maßstäben messen ließ. Vielleicht war es aber auch lediglich die Art gewesen, mit welcher Erwin ihn ausgesprochen hatte.

Ohne zu wissen, was er sagen sollte, schüttelte Eren mit dem Kopf und verneinte die Frage. Erwins Mundwinkel verzogen sich vor Enttäuschung.

„Sollte ich ihn kennen?“, fragte Eren vorsichtig und machte sich innerlich bereits darauf gefasst, keine vernünftige Antwort zu erhalten. Der Ausdruck im Gesicht des Senior Inspectors wandelte sich schlagartig.

„Nein, das ist nicht nötig. Es war ohnehin dumm von mir das Thema anzusprechen, wenn du nichts davon weißt.“

„Hat es etwas mit Marco zu tun?“, hakte Eren nach, doch der Ältere hob nur unwissentlich seine Schultern.

„Ich kann es dir nicht sagen, Eren. Ich war damals selbst nicht dabei“, erwiderte Erwin mit knappen Worten. Der Braunhaarige witterte die Lüge, die sich dahinter verbarg, doch er schluckte sie ohne etwas dagegen machen zu können. Er konnte nichts anderes tun, als die Informationen in sich aufzusammeln und zu verwahren, denn sie reichten nicht aus um sich ein genaues Bild zu schaffen. Lediglich das stark pochende Herz, das schmerzhaft gegen sein Brustbein schlug, sagte ihm, dass hier etwas nicht stimmte. Eren wandte sich ab, um das Labor zu verlassen. Frische Luft war im Augenblick das, was er am meisten benötigte.

„Ich möchte dir keine Angst machen, aber…“, begann Erwin, zwang den Jüngeren somit noch einmal stehen zu bleiben und sich herum zu drehen. Der sonst so warmherzige Ausdruck, der die Augenwinkel des Mannes sonst umspielten, erlosch, kaum dass sich ihre Blicke trafen, „Marco ist nicht der Mensch, der er zu sein scheint. Pass bitte auf dich auf.“
 

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Sein Gesicht war noch immer kühl von dem Wind, dem er sich eine halbe Ewigkeit lang ausgesetzt hatte. Eren konnte nicht einmal sagen, ob es letzten Endes Minuten oder Stunden gewesen waren, die er auf einem der freibegehbaren Balkone verbracht hatte. Während er krampfhaft darauf gewartet hatte, dass die Übelkeit in seinem Magen endlich nachließ, war sein Blick über die Stadt geglitten, die sich unter ihm wie ein grauer hohler Zahn erstreckt hatte. Noch nie hatte er daran gezweifelt, dass es richtig war was er tat. Wenn er ehrlich zu sich war, dann hatte er in seinem bisherigen Leben nie einen Gedanken daran verschwendet. Mittlerweile breitete sich in ihm jedoch die Vorahnung aus, dass dies nicht der Weg war, den er für sich ursprünglich gewählt hatte. Allein auf dem Weg zum Balkon waren ihm mehrere Inspektoren und Enforcer entgegen gekommen, die sich bemühten einen neuen Fall aufzuklären oder einem neuen Einsatz hinterher jagten – Ganz im Gegensatz zu seiner Devision.

Seufzend ging er zurück zu ihrem kleinen und nur mit dem Nötigsten eingerichteten Büro. Verwundert blieb er jedoch inmitten des Türrahmens der Glasschiebetür stehen und stockte ein wenig.
 

„Wo ist Jean?“, fragte er den Senior Inspector, der durch den Monitor vor sich halb verborgen wurde. Marco blickte auf und bewegte kurz seinen Kopf, als fiele es ihm nicht leicht sich von seiner Arbeit zu trennen und seine Gedanken auf die Frage zu richten. Tiefe, schwarze Schatten prangerten unter den Augen, die Eren eine Weile völlig desillusioniert anstarrten. Marco wirkte als wäre er fernab seiner selbst.

„Er… Ich glaube, er wollte nur einen Kaffee trinken oder dergleichen“, antwortete der Schwarzhaarige schleppend, rieb daraufhin mit beiden Händen über seine brennenden Augen. Erst als er die Finger wieder auf seine Tastatur legte, konnte Eren sehen wie rotunterlaufen sie waren. Nur mit langsamen Schritten durchquerte Eren das Büro und bewegte sich auf seinen Arbeitsplatz zu. Als er Marcos Schreibtisch passierte, fiel sein Blick auf das Schreiben, welches neben dem Älteren lag. Und obwohl Marco mit einer fast hektischen Bewegung seine Hand auf das Papier legte, um seine Privatsphäre zu bewahren, konnte er einen Blick auf einen Teil der Kopfzeile erhaschen.
 

Das Schreiben war adressiert an das Therapiezentrum.

Carry that Weight

Nicht mehr als eine Woche hatte es gedauert bis die Ruhe, die über ihnen schwebte wie die eiserne Klinge einer Guillotine, von einem Orkan verschluckt worden war. Obwohl Eren seinen Bericht fertiggestellt und dieser von seinem Vorgesetzten mit vollster Zufriedenheit gelesen worden war, hatten sie das Unausweichliche nicht verhindern können. Egal, wie groß ihre Bemühungen gewesen waren, letzten Endes hatte Marco alles herausgefunden.
 

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„Wie konnte das nur passieren?“, sagte Jean, der den blauen Dunst seiner Zigarette in die salzige Luft des Hafens stieß.

„Ich weiß es nicht…“

Ihre Blicke lagen auf dem Senior Inspector, der seit unzähligen Minuten am Rande des Piers stand und geistesabwesend in den Himmel starrte, der mit seinem strahlenden Blau wie eine höhnische Fratze auf sie hinab schaute. Eren vergrub seine Hände ein wenig tiefer in die Jackentaschen.

„Erwin muss es ihm erzählt haben. Anders kann ich es mir nicht erklären“, sagte der Braunhaarige ehrlich. Aus dem Augenwinkel konnte er das Nicken des Enforcers sehen, von dem er eine andere Reaktion erwartet hätte. Nur noch wage konnte sich Eren daran erinnern, dass der Leiter der Devision 2 ihren Senior Inspector kontaktiert hatte. Was danach passiert sein mag, vermochte niemand zu sagen.
 

Marco war nur noch einmal in das Büro zurückgekommen, um seine Jacke zu holen und war danach gegangen – ohne ein Wort zu sagen. Drei Wochen lang war der Ältere nicht wieder aufgetaucht. Niemand hatte ihn erreichen können. Eine Zeit lang war es gewesen, als habe diese organisierte Welt diesen Mann vollkommen verschluckt.

Als Marco wieder aufgetaucht war, hatte er ihn auf dem ersten Blick kaum wieder erkannt. Sein Gesicht war ausgezehrt, schwarze Schatten lagen unter seinen Augen und sein ganzer Körper schien übersäht zu sein mit Pflastern und Verbänden. Eren bekam dieses Bild nicht mehr aus seinem Kopf, doch keiner der anderen hatte etwas zu dem Zustand des Senior Inspectors zu sagen, also schwieg er ebenso. Mittlerweile hatte er seine Lektion gelernt, dass er von diesen Leuten keine Antwort auf seine Fragen bekommen würde.
 

Obwohl Eren nicht rauchte, verspürte er den quälenden Durst nach einer Zigarette. Wohlmöglich lag es an dem permanenten Geruch, der ihn umgab, während Jean neben ihm stand und sich in unablässig eine Neue anzündete.

„Rauchst du nicht etwas zu viel?“, fragte Eren und sah den Enforcer dabei aus dem Augenwinkel an.

„Jeder hat seine Form von Stressbewältigung“, antwortete Jean und blies den fahlen Dunst demonstrativ aus. Er wusste nichts Besseres darauf zu entgegnen als ein knappes Seufzen. Es strengte ihn merklich an seinen Blick von Marco loszureißen, der noch immer still abseits von ihnen stand und sich nicht gerührt hatte. Doch noch größer war die Überwindung zu dem Bild des Schreckens zu schauen, der diesen Ort wie ein dunkler Mantel überragte.
 

Vor ein paar Stunden hatte sie lediglich eine Meldung ereilt, dass das Stresslevel in diesem Bereich drohte außer Kontrolle zu raten. Als sie ausgerückt waren, hatte Eren selbst nicht damit gerechnet, diesem Schreckensbild gegenüber treten zu müssen.

Auf dem Vorplatz des Piers war eine Leiche gefunden worden. Noch bevor er sich ein genaues Bild von der Situation geschaffen hatte, war Eren etwas verdächtig bekannt vorgekommen. Der tote Körper des Mannes, welchen er ungefähr auf Ende vierzig schätzte, war nur noch mit der nötigen Kleidung bedeckt. Und wie auch bei der Frau zuvor, die er bei seinem ersten Einsatz gefunden hatte, fehlte dem Mann sein rechter Arm. Direkt am Schultergelenk war er mit einer Säge unsauber abgetrennt worden, denn der Saum der klaffenden Wunde lag in Fetzen. Eren war auf dem ersten Blick klar geworden, dass dies nicht die Todesursache gewesen war.

Mit mehreren Schnitten waren dem Toten alle Punkte sämtlicher, wichtigen Arterien durchtrennt worden. Unter dem Körper hatte sich über den gesamten Vorplatz das Blut des Mannes ausgebreitet. Es war eine riesige Lache, die Eren allerdings größer vorkam, als sie tatsächlich war. Doch es gab zwei Dinge, die schlimmer waren, als er beißende, eiserne Gestand des bereits geronnenen Blutes:

Zum einen war es das Gesicht des Toten, welches brutal entstellt worden war. Dem ersten Eindruck nach ließ sich vermuten, dass eine aggressive Säure verwendet worden war. Noch immer lag der Gestank verfaulter Eier in der direkten Nähe des Leichnams in der Luft.
 

„Schwefelsäure?“, fragte Jean.
 

Eren warf noch einmal einen knappen Blick zu dem Tatort, den sie bereits für die Untersuchungsdrohnen freigegeben hatten. Die kleinen Roboter gingen mit kontrollierter Hast ihrer Arbeit nach.

„Vermutlich…“, antwortete Eren und musste schlucken. Das war bei weitem nicht das, was ihn eigentlich erschütterte. Es war die zweite Sache, die diesen Ort in ein wahres Massaker verwandelte. In der Blutlache, die den Schlieren und Streifen nach zu urteilen von einem Besen oder ähnlichem absichtlich ausgeweitet worden war, hatte man einen Schriftzug hinein gezogen, der Eren förmlich den Magen herum drehte.
 

Warum verdunkelt er sich nicht?
 

Jeans Seufzen riss ihn aus den Erinnerungen, die unweigerlich in Eren hochkochten.

„Anscheinend haben wir es hier mit einem Serienmörder zu tun… Verfluchte Scheiße!“, stieß der Enforcer aus und warf den Zigarettenstummel zu den Anderen auf den Boden, eh er ihn wütend mit dem Schuh zerdrückte.

„Vermutlich…“, wiederholte Eren noch einmal, eh er den Ellenbogen des Blondhaarigen in seinen Rippen spürte.

„Wir sollten uns um Marco kümmern“, sagte Jean und deutete mit seinem Kinn in die Richtung des Senior Inspectors. Eren nickte, bevor die Beiden in seine Richtung gingen.

Sachte legte Jean eine Hand auf Marcos Schulter, um ihn aus seiner Trance zu wecken.

„Wir sollten los. Die Drohnen sich fertig und ich hab keine Lust mehr auf diese stinkende Luft hier“, sagte der Enforcer, eh er mit Eren einen wissenden Blick austausche. Die Luft war nicht ihr Problem. Durch die seichten Wellen, die unten gegen den Pier schlugen, strömte ständig eine gewisse Frische zu ihnen. Doch Eren verstand, dass der Senior Inspector große Probleme haben musste an diesem Ort zu sein.
 

„Marco, ich möchte dich nicht stören, aber-“ Unter verhaltenem Zögern näherte sich ihnen Petra. Ihre Finger nestelten dabei unsicher an dem Saum ihres schwarzen Jacketts. Auf einmal bewegten sich die Augen des Senior Inspectors, der starr auf die künstlich angelegte Bucht hinaus geschaut hatte. Sein Blick war kalt. Eren glaubte, die Temperatur um ihn herum fiel plötzlich um einige Grade. Augenblicklich begann er zu frösteln.
 

„Aber was?“, hakte Marco nach, um ihr Stottern zu beenden. Sein Tonfall klang gestresst, beinah schon beißend. Petra war sichtlich abgeschreckt von dem Klang seiner Stimme, sodass sie einen Moment zögerte und ihre Worte neu zu Recht legte. Vorsichtig streckte sie ihre Hand aus, deutete zu dem verstümmelten Körper, der nun von zwei Drohnen nach Beendigung ihrer Arbeit mit einem schwarzen Tuch vorerst nur sporadisch bedeckt worden war. Marco machte kurz Anstalten in die Richtung zu schauen, verharrte dann jedoch starr mit seinem Blick auf Petra.

„Es sieht fast aus wie bei dir, Marco. Als wäre—“ Der Angesprochene sog harsch die Luft zwischen seinen Zähnen ein, als die Enforcerin erneut verstummte.

„Als wäre was?“

„Naja, es sieht aus als wäre es seine Handschrift.“

Marco würgte augenblicklich, nachdem er ihren Gedankengang verstanden hatte. Augenblicklich presste er sich eine Hand vor Mund und Nase, während er zu dem Leichnam schaute. Seine Augen weiteten sich. Unzählige Gedanken mussten durch den Kopf des Mannes rasen, denn wurde kalkweiß. Voller Besorgnis legte ihm Jean eine Hand auf den Rücken und beugte sich leicht vor, um Marco anblicken zu können, der sein Gesicht zu Boden gewandt hatte.

„Hey… Alles in Ordnung?“

Hinter dem Handschuh, den Marco sich gegen den Mund drückte, drang rasselnd sein gequälter Atem in kleinen Stößen hervor. Der Senior Inspector stützte sich auf seine Knie. Instinktiv streckte Eren seine Hände aus und fasste den Mann am Arm, um ihn zu stützen. Sofort riss sich Marco wieder los und stieß die Beiden sachte von sich.

„Das ist nicht möglich“, sagte er und starrte Petra dabei entgeistert an.

Unter sanfter, kraftloser Gewalt kämpfte sich Marco zwischen den Umstehenden hindurch. Zittrig atmete er durch und fuhr sich mit beiden Händen durch das Gesicht. Kurz darauf stockte er, drehte sich daraufhin sofort wieder zu den Anderen um.

„Aber natürlich. Das ist es…“, gab Marco im Flüsterton von sich, hielt mit seinem ganzen Körper inne. Man konnte ihm förmlich ansehen wie er seinen Gedanken verfolgte und der Erkenntnis mit jedem Herzschlag näher kam.

„Was ist was?“, fragte Jean nach, der noch immer besorgt aussah. Marco schnappte nach Luft und bewegte unbestimmte seine Hände, als könnte er die Antworten aus der Atmosphäre greifen.
 

„Seine Handschrift“, sagte Marco und wirkte plötzlich vollkommen klar. Schlagartig richtete er sich wieder auf und zog den Ärmel ein Stück zurück, bevor er das Interface seines Wristcoms öffnete. Hektisch durchforstete er das Kontaktregister.

„Ich war die ganze Zeit so blöd“, sprach er vor sich hin, während er das Modul wechselte und einen Katalog von Anträgen durchblätterte. „Und ich habe mich von Anfang an gefragt, warum mir alles so bekannt vor kommt. Es ähnelt seinem gottverdammten Werk wie ein Haar dem Anderen…“ Während er sprach glitten seine Finger über das Interface und füllten mit knappen Bewegungen ein Formular aus, das Eren auf dem ersten Blick nicht erkennen konnte. Keine Sekunde danach wählte Marco eine Nummer an.

„Marco…“, stieß Jean drohend aus, der zu ahnen schien worauf Marco hinaus wollte. Erst jetzt konnte Eren auf dem rotblickenden Interface erkennen, dass Marco direkt die Durchwahl des Direktors angewählt hatte.

„Mr. Bodt?“

Schweigend schauten die Enforcer, wie auch Eren, dabei zu wie Marco sein Handgelenk leicht anhob.

„Mr. Zackly, ich habe Ihnen gerade einen Revisionsantrag zugestellt. Wie schnell können Sie ihn bearbeiten?“, fragte Marco. Eren gefiel das schmale Lächeln nicht, das die Lippen des Mannes umspielte.

„Sobald Sie zurück sind, kommen Sie in mein Büro… Ich verlange eine Erklärung von Ihnen.“

Daraufhin erlosch das Interface, als der Direktor persönlich das Gespräch unterbrach.

„Das ist nicht dein Ernst“, sagte Jean, der seine vor Wut zitternden Hände zu Fäusten geballt hatte. Anstatt etwas sofort zu entgegnen, baute sich Marco triumphierend vor dem Enforcer auf.

„Und wie das mein Ernst ist“, antwortete Marco düster. In einer ruppigen Bewegung schnellte Jeans Hand zu dem Kragen seines Gegenübers. Kurz bevor seine Finger sich jedoch um den Stoff schlossen, entschied der Enforcer sich dagegen und ließ seine Hand kraftlos sinken.

„Ich hol ihn ins Team zurück!“, fügte Marco voller Entschlossenheit hinzu und machte Anstalten zu gehen, nachdem er Eren angewiesen hatte mit ihm mitzukommen.

„Marco, das ist Wahnsinn!“, brüllte Jean ihnen hinterher, doch der Senior Inspector tat es mit einem Wink seiner Hand ab.
 

„Ich weiß, aber es ist unsere einzige Chance, diesen Mörder endlich zu finden!“
 

__________________________________________________
 

Mit schnellen Schritten stürmte Marco in das Büro des Direktors, welches Eren bisher nur einmal von innen gesehen hatte. Nur mit Mühe konnte er mit seinem Vorgesetzten Schritt halten, der er erst kurz vor dem wuchtigen Schreibtisch stehen blieb. Zacklys Miene war vollkommen ruhig und entspannt, im völligen Kontrast zu Marcos aufgewühltem Gemüt.

„Haben Sie meinen Antrag bekommen?“, platzte Marco direkt mit seinem Anliegen hervor. Nicht einmal die Zeit, um dem Direktor den angemessenen Respekt zu zollen, nahm er sich. Nur Eren salutierte knapp, blieb dann aber unschlüssig neben dem Senior Inspector stehen, dessen Augen vor Erwartung förmlich glühten.

„Ich habe nicht viel Zeit, Mr. Bodt“, sagte Zackly, der sich in seinem Drehstuhl zurück lehnte und seine ineinander gefalteten Hände auf dem Bauch ruhen ließ.

„Entschuldigen Sie die Störung, Herr Direktor, aber es ist wirklich dringend“, versuchte Eren die Situation zu entkräften, die seit Anfang an gespannt wirkte. Marco ging jedoch direkt über seine Worte hinweg.

„Haben Sie ihn bekommen, ja oder nein?“

„Das habe ich, aber ich sehe keinen Grund meine Unterschrift darunter zu setzen“, entgegnete Zackly ihm gelassen. Damit hatte Marco gerechnet, dennoch knirschte er ungehalten mit den Zähnen.

„Und warum? Hören Sie, wir stecken in dieser Sache fest. Ich habe Ihnen vor einer Weile die gesammelten Daten zukommen lassen. Sie können mir also nicht erklären, dass Sie die Parallelen nicht erkennen!“, startete der Senior Inspector sofort einen neuen Versuch, den Direktor zu überzeugen. Eren versuchte einen Blick auf das ausgefüllte Dokument zu erhaschen, das vor dem Direktor auf dem Schreibtisch lag und danach gierte als Gültig abgezeichnet zu werden. Aus der Entfernung allerdings konnte Eren nicht erkennen, was genau dort geschrieben stand.

„Das streite ich auch nicht ab, Mr. Bodt. Aber ich halte es für recht bedenklich ihn als Enforcer in ihre Devision zurückzulassen. Ich kann es nicht verantworten, dass Sie in Ihrem Zustand seine Leitung übernehmen“, erklärte der Direktor mit sachlichem Tonfall, in welchem dennoch der leise Hauch der Besorgnis herauszuhören war.
 

„In welchem Zustand?“, fragte Marco verärgert nach.
 

„Seit dem letzten Vorfall mit ihm, sind Sie nicht mehr der Gleiche. Ich kann es nicht verantworten, sollte sich Ihr Hue verdunkeln—“

Voller Zorn schlug Marco aus heiterem Himmel mit beiden Händen auf den Schreibtisch.

„Okay! Machen Sie einen Scan, Zackly! Kommen Sie! Scannen Sie mich hier und jetzt! Sie wissen ganz genau, was dabei herauskommen wird!“ Mit der theatralischen Bewegung eines anmutigen Tänzers breitete Marco seine Arme aus, als würde er seine Brust darbieten um einen Schuss direkt in sein Herz zu empfangen. Immer und immer wieder drängte der Schwarzhaarige den Direktor, veränderte dabei seine Haltung nicht im Geringsten. Erst als Zackly nach einigen Sekunden keinerlei Regung zeigte, lockerte Marco seine Haltung. Seine Arme hingen wie zwei Schläuche schlaff an seinem Körper hinunter, trug dabei jedoch ein kleines Lächeln des Triumphes in seinem Gesicht.

„Oder haben Sie Angst?“

Zackly runzelte die Stirn, eh er die Ellenbogen wieder auf dem Tisch aufstützte und dabei fließend seine Hände ineinander faltete. Obgleich es nur Sekunden waren, in denen sich die Beiden schweigend anstarrten, glaubte Eren die Zeit um sie herum wäre nichts weiter als eine zähflüssige Masse, die sie langsam zu erdrücken drohte.

„Eren?“ Der Angesprochene erstarrte. Er konnte spüren, wie ein Ruck durch seinen Körper ging, als er bemerkte, dass die grauen Augen des Direktors direkt auf ihn gerichtet waren. „Wärst du so freundlich und würdest Senior Inspector Bodt scannen?“

Die Bitte brauchte tatsächlich eine Weile bis sie in Erens Bewusstsein hindurchgesickert und verarbeitet war. Unschlüssig darüber was er machen sollte, schaute er zwischen den Beiden hin und her. Noch immer verstand er nicht, warum Marco darauf beharrte sich kontrollieren zu lassen… Eren räusperte sich als Entschuldigung für sein Zögern und zog den Dominator aus der Halterung, die er an seinem Gürtel befestigt hatte. Es war üblich ihn zurück in den Carrier zu legen, um einem etwaigen Missbrauch – der in dieser Welt und dem kontrollierten Staat eh nicht möglich war – vorzubeugen. Nachdem jedoch Marco so überstürzt vom Hafen aufgebrochen war, hatte er keine Zeit mehr gehabt sich darum zu kümmern. Eren spürte wie seine Hand zitterte, als er den Arm ausstreckte, welcher sich unsagbar schwach und taub anfühlte.

Sibyl reagierte sofort, als er den Dominator auf seinen Vorgesetzten richtete und die quadratische Markierung den Älteren ins Visier nahm. Es dauerte keine Sekunde bis das grün-blau der Markierung auf Rot umsprang und vor seinem geistigen Auge sich die Metadaten des Inspectors aufbauten. Der Scan war innerhalb weniger Sekunden abgeschlossen und durch das Wirrwarr aus Zahlen und Informationsfeldern hindurch konnte Eren erkennen, wie der Ältere ihn kalt anlächelte.
 

Crime Coefficient is under 60.

Inspector registered at CID.

Not a target for enforcement action.

Trigger will be locked.
 

„Nun?“, sagte Marco leise und hob siegessicher seine Schultern an, als hätte er Erens Interface einsehen können. Die Augen des Braunhaarigen weiteten sich, nachdem er all die Informationen durchgelesen hatte.
 

Einen solchen Psycho-Pass hatte er in seinem ganzen Leben noch nie gesehen. In einem Staat, der der absoluten Kontrolle eines ausgereiften Sicherheitssystems unterlag, war es kaum möglich, dass jemand sich außerhalb der Richtlinien bewegen konnte. Eren musste die Augen zu zwei Schlitzen zusammen kneifen, damit er in dem strahlend weißen Hue überhaupt die blass-blaue Farbe erkennen konnte.

„Sein Crime Coefficient liegt momentan bei 10,8.“ Nur mit belegter Stimme konnte er aussprechen, was vor seinen Augen im Interface geschrieben stand. Mit jedem Lidschlag schien sich die Zahl sogar ein wenig zu verändern. Auch wenn es nur minimale Veränderungen nach oben und unten waren, in denen Marcos Crime Coefficient permanent pendelte, brannten sie sich vor Erens geistigem Auge ein. Der normale Standartwert eines jeden Menschen lag um die Dreißig. Das war eines der wenigen Dinge, die während einer Vorlesung an der Akademie, sich sofort in sein Gedächtnis vertieft hatte.

Ein schallendes Lachen drang aus dem Senior Inspector hervor, in dessen Augen ein leiser auch des Wahnsinns funkelte und gar nicht zu seinem Psycho-Pass passen wollte. Trotzdem schwang in der Stimme des Braunhaarigen mit, das von tiefster Müdigkeit und Erschöpfung sprach.

„Sehen Sie, Zackly…“, mit wenigen Schritten überwand Marco die Distanz zum Schreibtisch des Direktors und stützte sich auf, „Es gibt niemand anderen auf dieser Welt, der mit ihm zusammen arbeiten könnte, als mich.“

Zackly unterbrach ihn jedoch, indem er sich die Brille zu Recht rückte.

„Sie haben ihn damals selbst in die Facility bringen lassen. Nennen Sie mir einen Grund, warum ich Ihren Antrag rückgängig machen sollte.“

„Genau das meine ich, Herr Direktor. Es war mein Antrag gewesen. Soll ich Sie an ihre eigenen Worte erinnern? Sie haben mir damals die Dev 1 gegeben, weil ich asymptomatisch bin. Er hat schon mehr als einen Inspector verdorben, verstehen Sie? Aber egal, was auch passiert ist. Egal, was er getan hat… Ich werde nicht das gleiche Schicksal erleiden wie mein Vorgänger. Verstehen Sie?“ Marco fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen, als wolle er sich für seine finalen Worte rüsten. „Mein Team hat sowieso noch einen Platz frei und ich brauche ihn wieder im Einsatz-“

Der Direktor unterbrach seine wortgewandten Bemühungen mit einem Kopfschütteln.

„Ich kann das nicht erlauben, Mr. Bodt.“ Ein leises Seufzen untermauerte seine Worte, die Marco wirklich zu treffen schienen. Herrisch fuhr sich dieser mit den Händen durch das Gesicht. Der Senior Inspector war wie ein Fisch, der sich mutwillig an dem Köder des Hakens verbissen hatte, um den Angler von seinem Boot herunter zu reißen. Zappelnd kämpfte er mit Leibeskräften, während der Haken sich immer tiefer in seine Kiemen rammte und ihn durch die klaffende Wunde langsam im Wasser ausbluten ließ.

„Wir können uns nicht erlauben, dass er noch einmal außer Kontrolle gerät.“

„Können wir uns es denn erlauben, dass dort draußen ein Mörder frei herum läuft, der bisher von noch keinem Straßenscan erfasst wurde?“, schnaubte Marco säuerlich. Damit traf er bei Zackly einen wunden Punkt, denn die Haltung des Direktors spannte sich merklich an. „Er ist uns immer einen Schritt voraus.“

Bleierne Stille lag zwischen ihnen. Sie hörte sich in Erens Ohren an, wie das gequälte Knirschen einer Bogensehne, die gespannt wurde. Und sie war kurz davor zu reißen.

„Gut“, sagte Zackly, „allerdings unter einer Bedingung.“ Das siegessichere Leuchten in Marcos Gesicht verebbte und ein Stück seiner Leibeskraft wich aus ihm. Eren konnte es sehen, da der Senior Inspector seine Schultern hängen ließ.

„Sie übernehmen die volle Verantwortung für alles was passiert, Mr. Bodt.“
 

Eren spürte, wie schwer es Marco fiel die Tür hinter sich nicht ins Schloss zu schlagen und seiner brennenden Wut den nötigen Ausdruck zu verleihen, wie ein trotziges Kind, das nicht auf seine Eltern hören wollte. Nachdem sich die Hand des Inspectors von der Türklinke löste, atmete Marco einmal durch. Doch die Luft schien ihm förmlich im Hals stecken zu bleiben, als sein Blick auf Erwin fiel, der sich von der Wand abstieß.

„Läufst du mir neuerdings schon hinterher?“, sagte Marco entrüstet, noch bevor eine flüchtige Begrüßungs-Floskel gefallen war. Der Blondhaarige lächelte etwas verschmitzt, eh er die Arme vor seiner Brust verschränkte.

„Wenn ich mich aufrichtig für dich interessieren würde, dann vielleicht ja, Marco“, antwortete er und Eren konnte den boshaften Unterton nicht überhören. Der Angesprochene schnalzte nur verächtlich mit der Zunge.

„Du willst ihn also zurückholen?“, fragte Erwin in einem Versuch das Thema zu wechseln, doch schien Marco damit nur noch mehr zu reizen.

„Bist du hier her gekommen, um uns zu belauschen?“, entgegnete Marco stattdessen, um der Frage auszuweichen. Erwin gab zunächst nur eine beschwichtigende Geste von sich.

„Nein“, stieß er mit einem Seufzen aus und wedelte etwas unwirsch mit seiner Hand, „Ich habe nur gleich einen Termin mit dem Direktor.“

Marco verdrehte die Augen.

„Und das soll ich dir glauben?“

„Es war leider nicht zu überhören, worüber ihr geredet habt“, erklärte Erwin sachlich. Mit einigen wenigen Schritten trat er auf Marco zu, dessen Körperspannung sich merklich verstärkte. Einen Moment lang zögerte Erwin, eh er seine Hand ausstreckte und auf Marcos Schulter legte. Eren konnte sehen wie dieser mit sich rang die Geste auszuharren.

„Bitte beantworte mir diese Frage ehrlich“, sagte Erwin. Etwas in der Spannung zwischen den Beiden veränderte sich, doch Eren konnte es nicht deuten. Höflich entfernte sich der Junior Inspector mit einem Schritt und konnte somit das Bild besser betrachten. Die Beiden machten den Eindruck, als würde ein Lehrer seinem Schüler einen väterlichen Rat erweisen.

„Bist du dir sicher, dass du das Richtige tust?“, fragte Erwin nachdem er lange einen intensiven Blick in die Augen seines Gegenübers geworfen hatte. Marco lachte verächtlich auf. Ihm war klar, dass der Ältere seine Frage wirklich ernst gemeint hatte und doch konnte er nicht anders, als darüber hinweg zu lachen.

„Selbstverständlich“, entgegnete Marco, schon fast eingeschnappt. Beiläufig wischte er die Hand von seiner Schulter. Sofort wurden die Beiden wieder von einer Aura der Feindseligkeit umhüllt. Beim Aufschauen bemerkte Marco die Akte, die Erwin bei sich trug. Erst jetzt fiel sie auch Eren auf.

„Schon wieder ein Patient?“, fragte Marco mit gekünstelter Höflichkeit. Seine Neugierde war nicht zu überhören, auch wenn sein Tonfall der gleiche Verächtliche war wie zuvor. Gespielt erstaunt, als würde Erwin die Akte gerade zum ersten Mal in seinem Leben sehen, schaute er an sich hinunter und musste lächeln. Von dem roten Umschlag, auf welchem groß der Aufdruck Vertraulich stand, ging eine Bedrohung aus, die Eren mit seinem ganzen Körper spüren konnte. Als Erwin seine Finger etwas bewegte, konnte Eren die Aktenkennzeichnung sehen.
 

M.5-7-8
 

Etwas begann in Erens Kopf zu klingeln. Irgendwo war ihm diese Bezeichnung in den vergangenen Tagen schon einmal über den Weg gelaufen. Allerdings konnte er sich nicht daran erinnern wo und in welchem Zusammenhang.

„Der Direktor hat mich um einen Gefallen gebeten“, sagte Erwin und riss ihn somit aus seinen Gedanken heraus. In Marcos Gesicht konnte Eren erkennen, dass dieser ihm kein Wort glaubte.

Ohne ein weiteres Wort ließ Erwin die Beiden stehen. Nur mit einer knappen Geste verabschiedete er sich von ihnen. Vor der Bürotür blieb er jedoch noch einmal stehen.

„Ach, noch eines“, sagte Erwin mit gedämpfter Stimme und ließ seine Hand auf der Klinke ruhen, „Mach nicht den gleichen Fehler wie ich, Marco.“ Daraufhin verschwand der Senior Inspector.
 

„Von wem sprechen wir eigentlich die ganze Zeit?“, fragte Eren, dem aufgefallen war, dass selbst im gesamten Verlauf der letzten Gespräche nicht einmal der Name der Person gefallen war.

„Dem wohl grausamsten Kriminellen, den diese Welt je gesehen hat.“

Die Tatsache, dass Marco direkt auf seine Frage antwortete war äußerst alarmierend. Er machte nicht einmal die geringsten Anstalten ihm auszuweichen.

„Und wie ist sein Name?“

Eren spürte wie eine schreckliche Vorahnung mit Eiseskälte in ihm erblühte, als das Licht in den Augen seines Vorgesetzten erlosch. Die Lippen des Mannes bewegten sich, doch erst beim dritten Anlauf kam ein Ton hervor.

„Levi Ackermann.“

Isolation Facility

M.5-7-8
 

Je länger er darüber nachdachte, desto bewusster wurde es Eren wo er dieses Aktenzeichen schon einmal gesehen hatte. Es war in der Zeit von Marcos Abwesenheit gewesen, die ihn recht beunruhigt hatte. Jeder schien zu wissen warum, doch keiner war gewillt gewesen darüber zu sprechen. Die Stille im Büro hatte ihn wahnsinnig gemacht. Auch wenn Marco nie viel redete, so füllte seine Anwesenheit die gesamte Luft ihres Büros. Und je länger dieser weg gewesen war, desto bewusster war ihm auch geworden, dass er die Enforcer nicht kontrollieren konnte wie Marco. Niemand hatte ihn gefragt was er zu tun hatte. Jeder war gekommen und gegangen wann er wollte. Und wenn es zu einem Einsatz gekommen war, so war es eher Eren gewesen, der von den Anderen gelernt und in ihrem Schatten gestanden hatte.
 

Nur aus reiner Wut, über seine eigene Unfähigkeit nicht der Inspector zu sein, der er zu sein hatte, war er sich tiefer in die interne Datenbank vorgedrungen, als er vielleicht durfte.
 

„Ich muss mich bei dir entschuldigen.“ Eren versuchte so souverän wie möglich zu klingen. Bisher hatte niemand sich getraut das Thema anzusprechen. Wenn er ehrlich zu sich war, dann hatte er eigentlich ebenso wenig den Mut Marco direkt damit zu konfrontieren. Der Senior Inspector warf ihm nur einen knappen Blick zu, eh er sich wieder auf die Straße konzentrierte. Im Gegensatz zu den letzten Malen machte Marco nicht Gebrauch vom Autopiloten, sondern steuerte das Fahrzeug selbst. Das Lenkrad, das er mit festem Griff umklammerte, wirkte dabei jedoch nur wie eine Hilfe sich an irgendetwas festzuhalten. Anscheinend war Marco genauso schlecht darin seine Anspannung zu verbergen, wie Eren das leichte nervöse Zittern in seiner Stimme nicht ausblenden konnte.
 

„So?“
 

Eren druckste einen Moment lang herum. Noch kurz bevor er den Mund aufgemacht hatte, waren ihm die passenden Worte eingefallen, doch jetzt war sein Kopf völlig leer. Auch wenn Marco ihn nicht direkt anblickte, spürte Eren wie dieser auf eine Erklärung wartete.

„Es tut mir leid, dass du es durch Erwin erfahren musstest. Es stand mir nicht zu, es vor dir geheim zu halten“, stieß Eren aus, um es so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. In vollster Demut neigte er seinen Kopf so tief wie möglich, um den Älteren seinen Respekt zu erbringen. Das flache, dünne Auflachen des Anderen ließ ihn jedoch wieder aufblicken.

„Schon gut. Ich bin nicht böse auf dich“, antwortete Marco und entspannte sich im Fahrersitz. „Aber genau das ist der Grund, warum man sich nicht mit Enforcern anfreunden sollte.“

Auch wenn er Marco nicht einzuschätzen vermochte, hatte er eher damit gerechnet, dass dieser aus der Haut fahren würde. Das genaue Gegenteil dessen verwirrte Eren nun.

„Ich weiß, dass Jean dich dazu angestiftet hat“, fuhr der Schwarzhaarige fort, lächelte dabei geheimnisvoll.

„Aber, woher—?“

„Wir waren einmal Freunde, verstehst du? Ich kenne ihn genauso gut wie mich selbst.“

Eren sackte in seinem Sitz ein wenig zusammen und wusste nichts darauf zu sagen. Schweigend richtete er seinen Blick aus dem Seitenfenster, wo die Stadt an ihm vorbei glitt. Jegliche Geräusche wurden im Innern des Wagens abgeschirmt, als würden sie lautlos durch Raum und Zeit gleiten.

„Wie hast du herausgefunden, dass es Erwin war?“ Marcos Worte lockten ihn in die Realität zurück. Einen kurzen Augenblick lang hielt Eren inne und dachte über diese Frage nach, bevor er die Schultern hob.

„Ich weiß nicht… Ich hatte es einfach im Gefühl…“, antwortete er dabei.

„Aus dir wird einmal ein guter Senior Inspector werden.“

„Ich wusste nicht, dass Jean und du Freunde gewesen wart. Was ist passiert?“, fragte Eren zurückhaltend. Es schien einer der wenigen Momente zu sein, in denen Marco seine Neugierde einen gewissen Grad akzeptierte und zuließ. Viel mehr war es eine Chance, die Eren sich nicht entgehen lassen durfte.
 

„Wir sind da“, sagte Marco knapp, ohne auf seine Worte einzugehen, und schaltete den Motor aus. Unruhig glitten seine Hände an dem Lenkrad entlang, den Blick starr auf das Gebäude neben ihnen gerichtet.

„Eren, ich muss dich warnen“, fuhr der Senior Inspector fort und schaute Eren direkt an, eh er den Sicherheitsgurt löste. „Er ist—“

„Hochgefährlich, ich weiß“, unterbrach Eren ihn. „Ich habe mir sein Profil in der Datenbank angeschaut.“

Die Augenbrauen, die Marco fragend zusammen gezogen hatte, lösten sich wieder.

„Du warst das also“, sagte Marco mit gesenkter Stimme. Augenblicklich überkam Eren das Gefühl etwas falsch gemacht zu haben. Schweigend stieg Marco aus dem Wagen, ohne ihm zu erklären, woher es wusste. Keine Sekunde später schlug sich Eren mit der flachen Hand vor die Stirn. Er hatte völlig vergessen, dass jede seiner Handlungen im System im Zugriffsprotokoll aufgezeichnet wurde. Höchstwahrscheinlich hatte Marco längst bemerkt, dass er auch versucht hatte auf Daten und Personalakten zuzugreifen, die Sibyl als vertraulich kategorisierte.

Seufzend stieg er aus dem Fahrzeug, neben welchem Marco bereits auf ihn wartete. Eren konnte allerdings nicht anders als seinen Blick an der Fassade des Gebäudes hinauf gleiten zu lassen.
 

Die Isolation Facility sah nicht so aus, wie er es sich vorgestellt hatte. Genauer genommen sah das Gebäude von außen aus wie ein normales städtisches Krankenhaus oder eine andere öffentliche Einrichtung, die sich in dieser Stadt eh wie ein Ei dem anderen glichen. Auch die Größe der Facility ließ sich von ihrem Standpunkt aus nicht genau einschätzen. Es machte eher den Eindruck eines mittelständigen Bürogebäudes, anstatt den eines Hochsicherheitstraktes für potentielle Kriminelle und bereits registrierte Schwerverbrecher. Trotzdem wurde Eren anders zu Mute, als sie sich dem Haupteingang näherten.
 

„Liegt sein Crime Coefficient wirklich über 300?“, fragte Eren, während sich die Glastür vor ihnen zur Seite schob und ihnen den Eingang gewährte. Mit einem Kopfnicken bejahte Marco seine Frage, eh er sich im Eingangsbereich der Facility zunächst einmal orientierte.

„Es ist einer der höchsten CC’s mit denen wir jemals zusammen gearbeitet haben.“

Eren musste schlucken. Im gesamten letzten Monat war er den unterschiedlichsten Menschen begegnet, deren Hue sich gefährlich verdunkelt hatten oder ihre Crime Coefficient über die gesetzliche Marke von 100 gestiegen waren. Bei allen gab es allerdings gute Chancen, dass sie und ihr Psycho-Pass sich wieder erholen würden. Ganz im Gegenteil zu den Leuten, die ihrer Devision zugeteilt waren.
 

Doch es gab etwas, das Eren in diesem Moment unsagbare Angst bereitete: Er wusste nicht, wem er an diesem Tag gegenüber treten würde.
 

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Er wusste ganz genau, wer ihn am heutigen Tag besuchen würde.
 

Er hatte vergessen wie viele Stunden, Tage, Wochen er auf diesen Zeitpunkt bereits wartete. Voller Geduld hatte er sich nach diesem Augenblick gesehnt. Nie waren in ihm die geringsten Zweifel aufgekommen, dass sein Wunsch nicht in Erfüllung ginge. Ein Sprichwort besagte, dass die Geduldigen belohnt werden würden – und er wusste, dass seine Stunde nun gekommen war.

Fast lautlos öffnete sich die schwere Stahltür am anderen Ende des Raumes, der sich hinter der Glasscheibe befand. Schon einmal war er in dieser Position gewesen. Mit den Füßen an zwei Verankerungen am Boden festgekettet, mit gerade so viel Bewegungsfreiraum um aufzustehen. Den Oberkörper so fest in eine Zwangsjacke geschnürt, als wäre ihm nicht mehr erlaubt als zu atmen. Die Haut blass vom mangelnden Sonnenlicht, der in seiner kleinen Zelle herrschte, die zu jeder Tageszeit ununterbrochen überwacht wurde. Der einzige Unterschied war nun, dass bei jener Begegnung damals ein anderer Mann zu ihm gekommen war.

Der dunkle Raum auf der anderen Seite der Scheibe machte es unmöglich sofort zu erkennen, wer durch den Lichtkegel trat, der durch die halbgeöffnete Tür ins Innere drang. Nur unter größter Selbstbeherrschung konnte er seine Mundwinkel ruhig halten, die unter der Vorfreude zitterten. Die Aufregung begann mit einmal in seinem ganzen Körper zu brennen und jede Zelle auseinander zu reißen, als die beiden Männer der Scheibe näher kamen und endlich im Licht ihre Gesichter zeigten. Erst, als sie nah vor ihm standen, hob er sein Kinn und schaute sie an. Durch die Lautsprecher, über welche der Ton auf der anderen Seite der Verhörkammer zu ihm übertragen wurde, konnte er ihren nervösen Atem hören. Es klang wie Musik in seinen Ohren. Langsam begann er mit dem Fuß wippend dieser unbestimmten Melodie zu folgen.
 

„Hallo, Levi…“, sagte Marco tonlos und schaute auf ihn herab.
 

Wie gebannt starrte er in die Augen des Senior Inspectors. Auf seine eigene Art und Weise hatte er sie vermisst. Erst jetzt spürte er, wie das Herz in seiner Brust schwer zu schlagen begann, je länger er die braunen Iriden betrachtete, die ihm vertrauter nicht hätten sein können. Seit jenem Tag an waren diese Augen ihm im Schlaf erschienen. Immer und immer wieder hatte er von ihnen geträumt. Und seit er wieder hier war, noch mehr als jemals zuvor. Beinah hatte er es für unmöglich gehalten diese braunen, glänzenden Augen noch einmal in Fleisch und Blut vor sich zu sehen.
 

„Es ist eine Schande, was ich mit deinem Gesicht angerichtet habe. Findest du nicht auch?“, sagte Levi, ohne den leisesten Hauch von Mitleid oder Reue in seiner Stimme. Ein zufriedenes Lächeln folgte seinen Worten und legte sich über sein gesamtes Gesicht. Er konnte ihn sehen – den Horror in Marcos Augen. Er konnte die Erschütterung fühlen, die durch die Brust des Anderen bebte und das Herz des Mannes abermals in Stücke riss. Ein lautloses Lachen voller Zufriedenheit bildete sich in Levis Rachen, dessen angenehme Vibration der Vorfreude nur er wahrnehmen konnte. Sachte lehnte er sich gegen die Rückenlehne und schaute auffordernd zu dem Senior Inspector auf, der wie versteinert da stand.
 

„Warum bist du hier?“, fragte er gelassen.

„Du weißt warum…“, antwortete Marco.
 

Natürlich wusste er das, doch er wollte es aus Marcos Mund hören. Er wollte hören, dass endlich die Zeit gekommen war sein Werk zu vollenden.

Let of the Leash

„Ich muss also zurück in den Einsatz?“, sagte Levi und verdrehte dabei gelangweilt die Augen. Das Gespräch dauerte noch nicht lange, dennoch konnte Eren dem Senior Inspector bereits ansehen, wie dieser mit sich rang die Nerven zu behalten. Marco antwortete nur mit einem knappen „Ja!“, als er die Hände auf die Ablage vor sich aufstützte.

„Und was ist, wenn ich mich weigere?“, fragte Levi, hob dabei herausfordernd eine Augenbraue. Marco schnalzte genervt mit der Zunge und lehnte sich nah an die Glasscheibe heran.

„Es ist ein Befehl, Hound 2“, zischte er zwischen seinen zusammengepressten Zähnen hervor. Der Angesprochene verdrehte erneut die Augen, als Marco das von Zackly unterzeichnete Entlassungsschreiben hochhielt.

„Ich habe aber keine Lust darauf. Mir gefällt es hier drinnen“, sagte Levi mit einem Schulterzucken, während er desinteressiert seinen Blick schweifen ließ. Sein trotziger Tonfall war nicht zu überhören. Aus dem Augenwinkel konnte Eren sehen, wie sehr die Wut in Marco hochkochte und kaum mehr zu beherrschen war. Dennoch gab der Senior Inspector alles um seine Fassade nicht fallen zu lassen.

„In der Unterkunft wartet dein Anzug auf dich. Du wirst ihn anziehen“, Marco lehnte sich so weit vor, dass seine Stirn beinah die Scheibe berührte, „und du wirst gehorchen.“ Mit Nachdruck vollendete er seinen Satz, bevor er sich wieder aufrichtete und auf den Insassen hinab blickte. Levi schwieg beharrlich. Nur kurz hob er wie ein trotziges Kind seine Schultern und ließ sie wieder fallen.

„Hast du verstanden?“, forschte Marco grollend nach, als Levi nach etlichen Momenten weiterhin keine Regung von sich gab. Eren blickte zwischen den Beiden hin und her, blieb letzten Endes bei Levi hängen, dessen dunkler Blick sich auf den Senior Inspector gerichtet hatte. Mit einmal umspielte ein boshaftes Lächeln die Mundwinkel des Insassen. Kurz darauf stieß er ruckartig einen Laut aus, mit welchem er das Bellen eines Hundes imitierte.
 

Frustriert aufseufzend warf Marco seine Hände in die Luft, eh er das Dokument zurück auf die Akte knallte, die Eren vor sich abgelegt hatte.

„Ich habe keine Zeit für diese Kinderspiele“, fluchte Marco entrüstet, „Entschuldige, Eren, ich muss kurz etwas frische Luft schnappen.“ Herrisch wandte sich Marco ab und verließ mit schnellen Schritten den Raum. Eren stockte. Es war ihm, als hätte er Tränen in den Augen des Senior Inspectors gesehen.

Unschlüssig blieb Eren auf dem Stuhl sitzen, schaute Marco wie gebannt hinterher. Er vermochte kein Wort heraus zu bringen. Unsicher darüber, ob er Marco folgen oder hier bleiben sollte, um das vermeintliche Gespräch zu Ende zu führen, rutschte Eren auf dem Stuhl herum.
 

Schweigend blieb er sitzen, schaute dabei noch immer in die Richtung, in welcher sein Vorgesetzter verschwunden war. Langsam senkte er den Blick, fixierte dabei einen unbestimmten Punkt auf dem Boden, der nicht in dieser Dimension zu existieren schien. Eren konnte spüren, wie Levi ihn musterte, doch er konnte nicht den Mut aufbringen den Mann anzuschauen.

Er konnte sich nicht einmal erklären, warum er sich gerade so hilflos und schwach fühlte. In ihm konnte er noch immer die Worte des Insassen hören. Es lief ihm kalt den Rücken herunter, je länger er daran dachte. Vorsichtig schaute er aus dem Augenwinkel zu Levi und betrachtete ihn verhalten. Das Herz in seiner Brust schlug ihm bis zum Hals.

Obwohl Levi nicht in seine Richtung schaute, hatte er das Gefühl, der andere würde seinen neugierigen Blick genau bemerken. In der Aura des Mannes lag etwas, das Eren nicht beim Namen nennen konnte. Sie waren von einer Sicherheitsscheibe voneinander getrennt und dennoch spürte Eren den eisigen Hauch, der zu ihm herüber drang. Die Luft im Raum wurde schwer zu atmen und sie brannte in seiner Lunge wie die schwarzen Rauchschwaden eines allesverzehrenden Feuers.
 

Noch einmal schaute er zur Tür, nur um sich zu vergewissern, dass Marco nicht wohlmöglich doch zurückkehrte. Eren gab bereits die Hoffnung auf, dass sein Vorgesetzter zurückkommen würde, als jemand den Raum betrat. Wegen des Gegenlichtes vom Flur konnte er die Person im ersten Augenblick nicht erkennen.

„Sir? Entschuldigen Sie die Störung. Mr. Bodt sagte zu mir, dass Sie noch hier seien“, sagte der Wärter, den Eren kurz darauf an dessen dunklen Uniform erkannte. Sein Mund öffnete sich, um etwas sagen zu wollen, schloss sich daraufhin jedoch wieder, als ihm keine passende Antwort einfiel.

„Soll ich Sie zurückbringen?“, fragte der Mann, doch Eren winkte ab. „N-Nein, ich bin hier noch nicht fertig“, entgegnete der Junior Inspector. Nervös rieb sich Eren die Hände an seinen Hosenbeinen trocken, als sein Blick zu Levi glitt, der ihm nur ein dünnes, fahriges Grinsen schenkte.

„Gut, geben Sie mir Bescheid sobald sie zurück wollen. Ich werde Sie zum Ausgang führen“, sagte der Wärter mit einstudierter Höflichkeit, eh er verschwand und Eren mit der gleichen Unsicherheit zurückließ.

„Es muss etwas tolles sein, Inspector sein zu dürfen…“, hörte er Levi hinter seinem Rücken sagen, als er dem Wärter hinterher sah. Kurz erinnerte sich Eren daran, dass Marco und er von diesem durch die Facility geführt worden war.

„Was soll daran toll sein?“, stellte Eren die Gegenfrage und konnte den hoffnungslosen Klang in seiner Stimme nicht verbergen. Levi lachte auf. Es war ein fürchterliches Geräusch, welches dem Braunhaarigen kalt am Rücken hinunter lief. Egal wie viel der Insasse lächelte, grinste oder sogar lachte, es klang nie aufrichtig oder gar amüsiert. Es war ein Ton voller Boshaftigkeit. Der Schwarzhaarige antwortete nicht sofort auf seine Frage, sondern schaute ihn eine Weile lächelnd an, als hätte dieser seine Gedanken gehört und setzte ihn mutwillig diesem Anblick aus.

„Ihr seid nicht an Sibyls Ketten gelegt“, sagte Levi schließlich, beugte sich dabei ein Stück vor. „Ihr könnt frei entscheiden, was ihr machen wollt. Ihr müsst nur darauf aufpassen, dass euer Psycho-Pass in der Norm bleibt, aber im Grunde genommen seid ihr nicht besser als die Leute in der Facility. Hast du dich schon mal gefragt, ob Sibyl wirklich das Richtige für dieses Land ist?“

Eren runzelte die Stirn.

„Natürlich ist es das“, antwortete er, ohne lange darüber nachzudenken. „Sibyl sorgt dafür, dass solche Leute wie du keinen Schaden anrichten können. Es hat nichts mit Freiheit zu tun, sondern mit Sicherheit.“

„Bist du dir da ganz sicher?“, schnaubte Levi entrüstet. Einen knappen Moment lang schauten sie sich nur einander an, eh der Insasse auf dem Stuhl ein Stück nach vorne rutschte. Über die Lautsprecher konnte Eren hören, wie schwere Eisenketten über den Boden scharrten.
 

„Vor ungefähr fünfzehn Jahren“, fuhr Levi fort, „habe ich einen kleinen Jungen getroffen. Ich hatte mich nie gefragt, warum Sibyl mich bei dem Kontrolltest als einen potentiellen Kriminellen eingestuft hatte. Ich hatte immer gedacht, dass es eben so war, auch wenn ich nie etwas Schlimmes getan hatte. Aber weißt du was? Dieser Junge hatte seine Eltern verloren… Wären wir einen kleinen Moment früher da gewesen, hätte er jetzt vielleicht noch eine Familie…“
 

Eren spürte wie sein Mund schlagartig trocken wurde und er sich unweigerlich der Scheibe näherte. „Ich hatte Mitleid mit ihm, aber… Als ich in seine Augen sah, konnte ich seinen Zorn sehen. In diesem Moment fragte ich mich, ob wir nicht vielleicht einen Kriminellen gerettet hatten.“

„Was ist aus dem Jungen geworden?“, fragte Eren tonlos.

„Ich weiß es nicht“, entgegnete der Schwarzhaarige ehrlich und hob seine Schultern dabei ein wenig an, „aber damals erkannte ich, dass in jedem von uns das Böse schlummert. Hast du dich schon mal gefragt, ob du nicht ausversehen jemanden Unschuldiges in diese Einrichtung gebracht hast, nur weil Sibyl es so wollte?“
 

Erens Augen weiteten sich. Nein, das konnte nicht sein…
 

Mit einem Kopfschütteln verwarf er den Gedanken sofort und griff nach der Akte, um sie vor sich auszubreiten.

„Weshalb wir eigentlich hier sein…“ So schnell er konnte wechselte er das Thema und begann Levi darüber zu informieren, warum sie eigentlich hier waren.

„Beide Opfer hatten auf ihrer Brust das Wort Mako stehen“, endete Eren schließlich und hielt das Foto hoch, welches Hanji währender der Obduktion von dem Fund gemacht hatte. Levi würdigte es nur eines knappen Blickes, eh er kurz auflachte und Eren damit völlig aus dem Konzept brachte.

„Er hat sich nicht verändert, wie?“

„Wie bitte?“ Mit einem verwirrten Blinzeln starrte Eren sein Gegenüber an, eh er das Foto wieder sinken ließ und der Stuhlkante aufgeregt ein wenig näher rutschte.

„Marco wird immer der unsichere, kleine Junge bleiben. Er weiß nicht, ob er das Richtige macht. Er sucht ständig nach Anerkennung und ich glaube, mittlerweile ist er sogar bereit alles dafür zu tun.“

Eren zog fragend seine Brauen zusammen, drehte sich auf dem Stuhl langsam zu Levi, der seinen Kopf leicht zur Seite geneigt hatte und wie in Erinnerung schwelgend in die Luft schaute.

„In einem gewissen Punkt sind wir beide gleich… Aber das will er anscheinend immer noch nicht wahrhaben“, sprach Levi weiter vor sich hin, vollkommen sicher darüber, dass Eren ihm genau zuhörte und förmlich an seinen Lippen hing. Nachdenklich beugte sich der Junior Inspector auf seinem Stuhl vor, stützte die Unterarme auf seinen Knien ab, während er Levi taxierte.

„Was meinst du damit?“, fragte Eren herausfordernd. Marco hatte ihn gewarnt, dass die Person ihm gegenüber gefährlich sei, doch Eren hatte nicht das Gefühl, dass dieser gerade die Unwahrheit sprach. Im Gegenteil, eher glaubte er, zum ersten Mal etwas über seinen Vorgesetzten zu erfahren, von dem ihm niemand bisher etwas erzählen wollte.
 

„Ich erkenne einen Kriminellen, wenn er vor mir steht. Ich bin selbst einer…!“
 

Eren schlug hart die Kiefer aufeinander. Plötzlich spürte er eine ungeahnte Wut in sich, die nicht zu erklären war.

„Er ist ein Inspector, verdammt!“, stieß Eren aus und verlieh jedem seiner Worte den nötigen Nachdruck.

„Der Teufel, Eren…“, unterbrach ihn Levi mit einmal und richtete sich auf. Obwohl er wesentlich kleiner war als Eren, wirkte er, als würde er den Jüngeren wie eine Mauer überragen, „ist nicht so, wie man ihn sich vorstellt… Hörner, Pferdehufe… Nein! Der Teufel hat die Gestalt, die er will…“

„Es ist unmöglich, dass er etwas damit zu tun hat!“, platzte es zornig aus Eren heraus, der sich vom Stuhl erhoben hatte und seinem Gegenüber mit flammendem Blick in die Augen schaute. Voller Wut schlug er die Akte dabei auf die Ablage vor sich. Wieder stieß der Kleinere dieses perverse Lachen aus, von dem er allen Anscheins nach nicht genug bekommen konnte. Plötzlich verstummte der Insasse jedoch und drückte seine Stirn gegen die Scheibe.

„Bist du dir da ganz sicher?“
 

„Marco ist asymptomatisch!“, brüllte Eren so laut, sodass die Lautsprecher auf der anderen Seite zu knistern begannen. Levis Nasenflügel bebten, eh sich die schmalen Mundwinkel zu einem weiten Grinsen auseinander zogen. „Genau das meine ich“, flüsterte Levi und legte für den Bruchteil des Momentes einen gespielt erstaunten Ausdruck auf. „Eine hübsche kleine Zahl… Eine hübsche Zahl, die nicht steigen kann…“
 

Eren Gesichtszüge entglitten, als er verstand worauf der andere hinaus wollte.
 

„Ein Hue, der sich nie verdunkelt… Ein Hue, so rein wie eine Lilie… Was glaubst du, wie viele Türen stehen einem damit offen?“
 

„Alle…“, hauchte Eren und spürte die Erschütterung dieses Gedankens in seinem gesamten Körper.

Turn the blind Eye

Die Sonne traf unangenehm grell auf seine Netzhaut, als er durch die Schiebetür des Eingangs trat. Eren hob seinen Arm, um sich von den hellen Strahlen etwas abzuschirmen. Es war nicht sonderlich warm draußen, doch erst jetzt bemerkte er, wie kalt es tatsächlich in den Tiefen der Isolation Facility gewesen war. Noch immer fühlte sich Eren schwach auf seinen wackeligen Beinen, die ihn nur langsam nach vorne trugen. Egal wie sehr er versuchte sich davon abzulenken, er bekam diesen einen Gedanken nicht aus seinem Kopf, der ihm regelrecht den Magen herum drehte.
 

Als sich seine Augen ausreichend an die Helligkeitsunterschiede gewöhnt hatten, fiel sein Blick auf Marco, der an der Motorhaube ihres Einsatzwagens lehnte und einen unbestimmten Punkt in der Luft fixierte.
 

Was glaubst du, wie viele Türen stehen einem damit offen?
 

Eren beschleunigte mit einmal seine Schritte und überwand die wenigen Meter, die zwischen ihnen lagen. Eine ungeahnte Wut ballte sich in seinem Magen zusammen, als er mit der Hand ausholte.

„Was sollte das?“, stieß er fassungslos aus, nachdem er dem Älteren die Zigarette aus der Hand geschlagen hatte. Noch nie hatte er Marco rauchen gesehen und es machte ihn unbeschreiblich wütend, dass dieser Mann zu solch einem Laster überhaupt fähig war. Der Senior Inspector reagierte nicht sofort, sondern zuckte nur zusammen, als der Schlag ihn plötzlich aus den Gedanken riss. Marco regte sich nicht, senkte nur seinen Blick und lächelte in sich hinein.

„Ich weiß nicht, was du meinst“, antwortete der Senior Inspector auf seine Frage. Eren musste den Drang unterdrücken nicht vor Zorn gegen den Kotflügel des Wagens zu treten, um seinem Ärger Luft zu machen.

„Du bist vorhin einfach rausgegangen, Marco!“, grollte Eren und zog die marineblaue Jacke aus, in der es ihm zu warm wurde. „Ich habe gesehen, dass du Tränen in den Augen hattest!“ Forschend blickte Eren sein Gegenüber an. Es mussten nicht nur ein paar Tränen gewesen sein. Marcos Augen sahen seltsam verquollen aus und warten rot unterlegt.

„Marco!“, versuchte er weiterhin auf seinen Vorgesetzten einzureden, der ihn keines Blickes würdigte, „Wenn dir irgendetwas über den Kopf wächst, dann lass dir doch helfen…“

„Mir geht es ausgezeichnet, Eren“, erwiderte Marco mit einem Lächeln, das jedoch aufgesetzter nicht hätte sein können.

„Levi sagte mir, dass-“
 

Ihr Gespräch wurde an diesem Punkt unterbrochen, als ein schwarzer Polizeitransporter auf sie zu kam und direkt neben ihrem Wagen stehen blieb. Der Transporter war wesentlich kleiner als diejenigen, die Eren für gewöhnlich kannte. Vermutlich waren sie dazu ausgelegt nur ein oder zwei Personen zu transportieren. Der Junior Inspector musste nicht lange darüber nachdenken, wer sich wohl im Innern befinden mochte.

„Wir sollten los. Die anderen warten auch schon“, sagte Marco und beendete somit die Diskussion, die noch nicht einmal zu einem wirklichen Anfang gekommen war. Schweigend ging Marco an Eren vorbei und glitt auf den Fahrersitz.

 
 

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Als die Fahrstuhltüren sich öffneten und der Blick auf das große, offene Appartement frei wurde, verstand Eren was Levi zuvor gemeint hatte. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass sie tatsächlich in Freiheit leben konnten.

Die Unterkunft der Enforcer befand sich zehn Stockwerke unterhalb der Erdoberfläche. Hier unten gab es keine Fenster. Die Wände waren größtenteils karg, nur bei dem Fernseher gab es ein paar nichtssagende Poster, die den Raum schmückten. Es waren Plakate von Filmtiteln, die Eren nichts sagten und wahrscheinlich aus einer Zeit stammten, wo Sibyls Zensur über die Fernsehprogramme und die Filmindustrie noch nicht eingegriffen hatte.

Einige wenige Pflanzen, die wahllos im Raum verteilt standen, schöpften den Eindruck, dass der Sauerstoff nicht nur über die Lüftungsanlage kam. Erdige und graue Farben tauchten die Möbel in ein tristes Antlitz, während der staubige Geruch nach Beton und Stein, der in der Luft vorherrschte, sich bleiern auf Erens Lunge legte.
 

Für ihn war es jedoch das Schlimmste, das nicht einmal ein paar holografische Fenster den Eindruck schöpften, keinen Blick auf die Außenwelt zu haben. Die Menschen, die hier in Freiheit zu leben schienen, waren durch Sibyl nur in einen weiteren Käfig gesperrt worden, der ein wenig besser als die Isolation Facility zu sein schien. Eren wusste, dass sie sich im Headquarter genauso frei bewegen konnten wie die Inspectoren oder die Angestellten im öffentlichen Dienst – Allerdings war es den Enforcern nur vergönnt frische Luft auf ihren Gesichtern zu spüren, wenn sie für einen Einsatz in den Transporter gekarrt wurden.
 

Mit einem herrischen Stoß in den Rücken befahl Marco tonlos dem Schwarzhaarigen den Fahrstuhl zu verlassen.

„Wie ich mein zu Hause vermisst habe“, seufzte Levi theatralisch, als dieser voran ging und in der Mitte des Raumes stehen blieb. Der Ausdruck in seinem Gesicht sah förmlich zufrieden aus, als er die Augen schloss und mit ausgestreckten Armen einen tiefen Atemzug nahm.

„Wir haben keine Zeit“, drängte Marco, welcher die Arme fest vor der Brust verschränkt hielt. Levi würdigte ihn nur eines unbestimmten Blickes, eh er den Anzug griff, den man auf dem abgewetzten Ledersofa für ihn bereit gelegt hatte. Wenig später hörten sie aus einem der Nebenräume Wasser rauschen. Erst jetzt trat Eren unsicher neben seinen Vorgesetzten, der sich auf einen Barhocker an der erhöhten Küchentheke niedergelassen hatte.
 

„Leben hier auch die anderen?“, fragte Eren verhalten, eh sein Blick auf den gefüllten Aschenbecher fiel. Erst jetzt bemerkte er den vertrauten Duft einer bestimmten Zigarettenmarke der in der Luft hing. Marco folgte seinem Blick und nickte daraufhin nur. Den Rest der Zeit brachten sie schweigend hinter sich. Es dauerte jedoch nur wenige Minuten bis das Wasser in der Dusche aufhörte zu rauschen und Levi zu ihnen trat. Mit den Händen wischte er sich die noch feuchten Haare zu einem ordentlichen Scheitel zu Recht, eh er sich den Kragen seines Hemdes richtete, dessen oberste Knöpfe er offen gelassen hatte. Die Krawatte baumelte dabei locker an seinem Hals herab.
 

Eren musste schlucken als er den Enforcer anblickte. Unweigerlich glitt seine Hand zu seinem eigenen Krawattenknoten, an welchem er nervös nestelte. Die weiße Kleidung der Facility und die enge Zwangsjacke hatten die Statur des Mannes regelrecht verschluckt. Gefangen in den schweren Eisenketten, hatte Levi fast schon einen ungefährlichen, wenn auch wahnsinnigen, Eindruck gemacht – Doch jetzt hatte Eren das Gefühl dem Anwalt des Teufels persönlich gegenüber zu stehen.

Levi grinste dünn, als er mit den Händen die Außentaschen seines Jacketts abklopfte. „Nicht einmal Zigaretten?“

„Später“, antwortete Marco lediglich, eh er sich erhob und den beiden zu bedeuten gab ihm zu folgen.

„Ich dachte, so als kleines Begrüßungsgeschenk“, hakte Levi weiterhin nach, doch der Senior Inspector ignorierte seine Worte.
 

Etwa eine viertel Stunde darauf fanden sie sich in dem Gang vor ihrem Büro wieder. Eren konnte nicht sagen wie lange die Fahrt mit dem Fahrstuhl über die knapp vierzig Stockwerke hinweg gedauert hatte. Vor der offenstehenden Glastür des Büros blieben sie noch einmal stehen. Marco streckte seine Hand aus und würdigte Levi eines dunklen Blickes.

„Willkommen zurück“, sagte der Senior Inspector etwas gepresst, versuchte jedoch so gut es ging darüber hinweg zu spielen. Levi ging nicht darauf ein, sondern betrat ohne ein Wort zu sagen das Büro.

„Du weißt, wo dein Schreibtisch ist“, fügte Marco noch hinzu, durchquerte daraufhin den Raum und ließ sich auf seinem eigenen Platz nieder. Eren folgte ihm mit unschlüssigen Schritten, während er jedoch die Szenerie beobachtete. Eiskaltes Schweigen herrschte mit einmal und selbst das stetige Rauschen der Lüftungsanlage schien nach Levis Eintreten kaum noch hörbar zu sein.
 

Der Enforcer hatte am Ende der Schreibtischreihe einen Platz eingenommen, den bisher niemand wirklich beachtet hatte. Es war eines der wenigen Arbeitsplätze, die mit einer dünnen Staubschicht überzogen war und auch sonst schien sich seit langer Zeit niemand um diesen Platz gekümmert zu haben.

Eren konnte sehen wie Levi säuerlich das Gesicht verzog und mit der Hand über die Sitzfläche des Drehstuhls wischte, bevor er darauf platznahm. Niemand der Anderen zollte Levi eines Blickes. Eren bemerkte lediglich wie angespannt die restlichen Enforcer mit einmal wirkten und verkrampft auf ihren Tastaturen tippten.
 

„Wisst ihr, was ich mich frage…“ Levi wandte sich von dem Schreibtisch ab und verschränkte die Arme vor dem Oberkörper. Nachdenklich lehnte er sich gegen die Rückenlehne seines Drehstuhls und schien darauf zu warten bis er die Aufmerksamkeit aller Anwesenden für sich gewann.

Nur das stätige Klappern von Marcos Tastatur war das Einzige, was die angespannte Stille durchbrach. Eren, der sich selbst etwas von seinem Schreibtisch abgewandt hatte, warf einen knappen Blick zu dem Senior Inspector, dessen Augen fest auf dem grellen Bildschirm lagen. Er konnte nicht genau sehen, woran sein Vorgesetzter arbeitete, aber etwas an dessen Körperhaltung verriet, dass seine Ohren auf den Enforcer gerichtet waren.
 

Aus dem Augenwinkel nahm Eren das seichte Schmunzeln Levis war, der sich zeitgleich von Marco abwandte und begann mit den Fingern seinen Arbeitsplatz von der seichten Staubschicht zu befreien.

„Wir suchen einen Mörder, der sich fragt warum sich ein bestimmter Hue nicht verdunkelt“, fuhr Levi fort und zog langsam seine Fingerkuppe durch die einzelnen Rippen seiner Tastatur, „Worauf spielt dieser wohl an?“

Jean schnaubte entrüstet. Bevor er die Schachtel mit den Zigaretten in die Hand nahm, tauschte er einen skeptischen Blick mit Petra aus. Die Enforcerin verzog das Gesicht, was wohl an dem beißenden Geruch des Zigarettenrauches lag, den Jean in die Luft blies.

„Ja, worauf wohl“, fragte er daraufhin gespielt unwissend, „Auf jemanden, dessen Hue sich nur schwer oder gar nicht verdunkeln kann.“
 

„Ganz genau“, antwortete Levi beinah lobend, während er den Staub an seinen Fingerspitzen mit dem Daumen verrieb. Leise sog er die Luft zwischen seinen Zähnen ein, als hätte er an seiner Hand mit einmal die Antwort gefunden. Ruckartig blickte Levi auf und wandte sich an Mike, welcher sich sofort in seinem Stuhl aufrichtete als der Blick ihn traf. „Schreib es mal auf das Whiteboard.“

Der Hüne reagierte direkt. Mit wenigen Schritten bahnte er sich seinen Weg zwischen den beiden Schreibtischreihen hindurch zum anderen Ende des Raumes. Aus der Schiene unterhalb des Whiteboards nahm er den schwarzen Stift heraus und begann die gesammelten Informationen auf die Tafel zu übertragen.

Eren musste seine Augen ein wenig zusammen kneifen, um von seinem Platz aus die Schrift entziffern zu können. Er bemerkte nicht einmal, wie er dabei mit seinem Drehstuhl ein Stück nach vorne rückte, um die schmierige und unbeholfene Handschrift erkennen zu können.
 

„Sehr gut“, ließ Levi beiläufig fallen, als er ein Taschentuch aus der Packung zog und begann den Bildschirm vor sich damit zu reinigen. Mike sagte wie immer kein Wort, nur ein zufriedenes, flaches Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus.

„Das macht keinen Sinn“, sagte Petra, die ihrerseits von wenig zur Seite gerückt war um das Whiteboard besser betrachten zu können.

„Wieso?“, wollte Levi wissen, unterbrach dafür extra seine Arbeit und würdigte sie mit gehobener Augenbraue eines Seitenblickes.

„Weil damit unzählige Personen in Frage kämen“, antwortete Jean an ihrer Stelle, „Nur weil ein bestimmter Hue gesucht wird, heißt es nicht, dass der Kreis der Verdächtigen kleiner wird… Wir haben noch nicht einmal jemanden bestimmten im Visier.“ Der blondhaarige Enforcer warf frustriert die Hände in die Luft, eh er sich zurück in seinen Drehstuhl fallen ließ und einen kräftigen Zug an seiner Zigarette nahm. „Dort draußen gibt es tausende… nein, unzählige Menschen, die ihren Hue einigermaßen unter Kontrolle haben. Die Stressbewältigung heutzutage ist wesentlich leichter und effizienter geworden, weshalb die wenigsten sich noch ernsthaft verdunkeln!“

„Das klingt plausibel…“

Eren fuhr zusammen, als Levi seinen Gedanken gelassen aussprach. Doch der Blick des Enforcers sprach von etwas ganz anderem.
 

„Aber das ist leider nicht genug, Jean“, fügte Levi noch hinzu, warf dabei in einer fließenden Bewegung das benutzte Taschentuch in den Mülleimer, der neben Jeans Stuhl stand. Während der Angesprochene einen genervten Laut von sich gab, spürte Eren wie er sich ungewollt anspannte.

Etwas in ihm sagte, dass er wusste worauf Levi hinaus wollte; aber das konnte nicht sein. Eren lächelte nervös, wagte es einen kurzen Blick zu Marco zu werfen, der jedoch weiterhin teilnahmslos auf sein Dokument starrte und die Finger über die Tastatur gleiten ließ.

„Wir reden hier nicht von irgendeinem Hue. Wir reden von jemandem, der scheinbar etwas machen kann wozu normale Menschen nicht im Stande sind und trotzdem sich nicht verdunkelt. Klingelt da nicht irgendetwas?“, warf Levi fragend in die Runde. Keine Sekunde später lagen alle Augen auf Marco, dessen harsche Anschläge langsam versiegten. Der Senior Inspector, der wohl ohne aufblicken gemerkt haben musste, dass jeder ihn ansah, lachte mit einmal auf. Es war ein Laut der verächtlicher nicht hätte klingen können.
 

„Du willst doch wohl nicht sagen, dass ich etwas mit dieser Sache zu tun habe“, stieß Marco mit düsterem Amüsement aus.  

„Der Mörder hinterlässt auf der Brust seines Opfers das Wort Mako. Was könnte das wohl bedeuten?“

„Es könnte ein Anagramm für etwas sein“, antwortete Jean sichtlich erbost auf Levis Frage.

„Oder jemand hat Marco einfach falsch geschrieben“, antwortete dieser und machte eine unbestimmte Handbewegung. Eren zog nachdenklich die Brauen zusammen. Wenn er ehrlich zu sich war, dann war sogar dies das erste was ihm durch den Kopf gegangen war, als Erwin ihn daraufhin gewiesen hatte.

„Vielleicht wurde es auch absichtlich falsch geschrieben“, sprach er schließlich die Vermutung aus, die er die ganze Zeit schon in sich trug, aber nicht getraut hatte auszusprechen.

„Warum sollte jemand einen Hinweis auf Marco geben? Ich glaube nicht, dass es jemand auf einen Inspector abgesehen hat“, warf Petra verärgert in die Runde.

„Eren hat es genau richtig erkannt“, unterbrach Levi sie und beugte sich vor, sodass er die Unterarme auf seinen Oberschenkeln abstützen konnte. „Warum verdunkelt er sich nicht ist eine Frage zu einem bestimmten Hue. Egal wie gut die Stressbewältigung und Gesundheitsmaßnahmen sein mögen, ab einem bestimmten Grad versagt die psychische Barriere eines gesunden Menschen. Nur bei einer bestimmten Personengruppe nicht. Wir sprechen hier von asymptomatischen Leuten. Wenn ich mich recht erinnere wurden bisher nur drei Fälle datiert in denen der Hue und der Crime Coefficient nicht gestiegen ist. Einer davon war ein alter Mann, der verstarb kurz nachdem das Sibyl System gestartet wurde. Ein weiterer war eine Kindergärtnerin, die ihre Anomalie ausnutzte um ihren Ärger über die Gesellschaft an ihren Schützlingen ausließ und nun als Sonderfall in der Facility sitzt. Und der letzte Fall… Nun… Dieser Mann ist heute Senior Inspector.“
 

Levis Erklärung führte dazu, dass lange Zeit niemand etwas zu sagen vermochte.

„Der Mörder möchte also Marco herausfordern?“ Eren war der Erste, der mit seiner Frage sich traute die Stille zu durchschlagen. Forschend las er noch einmal die Informationen, die Mike während Levis Erklärung wie ein Gerichtsschreiber auf dem Whiteboard notiert hatte.

„In der Tat! Und ich glaube, dieser jemand befindet sich auch hier in der Nähe“, antwortete Levi, der sich in seinem Stuhl wieder zum Schreibtisch drehte und eine Weile lang etwas zu suchen schien. Erst als er die unterste Schublade des Rollcontainers aufzog, wurde er fündig. Ein Ausdruck vollster Zufriedenheit legte sich auf das Gesicht des Mannes, als er sich eine Zigarette anzündete und in seinem Drehstuhl wieder zurücklehnte. Genüsslich stieß er den fahlen Dunst in die Luft. Man konnte ihm ansehen, dass es die erste Zigarette nach Jahren sein musste und er den bitteren Geschmack sichtlich vermisst hatte.
 

„Wie kommst du darauf?“, fragte Jean, der angespannt mit seinem Zeigefinger gegen die Armlehne des Drehstuhls klopfte und dem unbestimmten Takt seiner Nervosität folgte.

„Denkt doch mal nach…“, fuhr Levi fort, der mit verklärtem Blick den Rauch verfolgte, „Beginnen wir bei dir, Jean. Du bist sein bester Freund. Seit ihr euch kennt bist du dazu verdammt seinen Rücken frei zu halten. Als ihr hier angefangen habt, wurdet ihr direkt als Senior und Junior für diese Devision eingeteilt. Marcos Abschlussnote mochte zwar besser sein als deine, aber du warst eifersüchtig. Dein Freund, der schon immer mental instabil gewesen war, bekam einen wesentlich höheren Rang als du. Hat er sich einmal dafür bedankt, was du alles für ihn getan hast? Wegen ihm hast du deinen Posten verloren. Wegen ihm ist dein Crime Coefficient über die Norm gestiegen und wegen ihm gehörst du zum sozialen Abschaum, der sich Enforcer nennt. Aus Neid und Rache richtest du nun alles hinter seinem Rücken ein, in der Hoffnung, der Fall macht ihn wahnsinnig genug, dass er von seinem Posten abtritt.“

„Schwachsinn!“, entgegnete der Enforcer wie aus der Pistole geschossen, „Ich würde Marco so etwas nie antun!“
 

„Und Mike?“, fragte Eren interessiert.

„Ohh, Mike…“, Levi lachte leise in sich hinein, eh er das kleine, boshafte Schmunzeln mit einem weiteren Zug an seiner Zigarette verbarg. „Ein Mensch, der als kleiner Junge von seinen Eltern auf die Straße geworfen wurde und zwischen einem Rudel streunender Hunde großgeworden ist. Aus Hunger und Instinkt verschleppte er junge Erwachsene, die sich in den dunklen Gassen verliefen… Aufgegriffen von der damaligen Devision 1, machte er durch seine Einzigartigkeit auf Erwin aufmerksam, der daraufhin zu seinem Herrchen wurde. Was macht also ein treuer Hund und Gefährte, wenn man ihm seines Herrn beraubt, weil zwei Jungspunde die Devision von Erwin übernahmen? Auch so jemand wie er verspürt das Gefühl der Rache und würde alles dafür tun, um zu seinem rechtmäßigen Besitzer zurück zu kommen.“
 

Erens Augen weiteten sich, als sein Blick zu dem Hünen hinüber glitt. Der sonst so stille und wachsame Ausdruck in Mikes Augen hatte sich in etwas Trauriges verwandelt, das man nicht übersehen konnte. Betrübt schaute der Enforcer zu Boden und scharrte mit der Spitze seines Schuhs vor sich herum. Erst als er seine Lippen wieder schloss, bemerkte Eren wie ihm der Mund aufgeklappt war.

Mit einmal ergab das Verhalten des Enforcers einen Sinn. Die ganze Zeit hatte sich Eren gefragt, warum Mike stets eine Belohnung bekam, wenn er etwas gut machte. Es erklärte, warum Marco ihm den Kopf gestreichelt hatte und warum Mike generell eher auf Kommandos anstatt auf normale Worte reagierte. Genauso wie er sonst eher teilnahmslos seine Zeit im Büro fristete.
 

„So jemand wie er hat nicht genügend Grips, um so etwas zu inszenieren.“ Petras helle Stimme, die mit einem wirren, gekünstelten Lachen durchzogen war, riss Eren aus seinen Gedanken.

„Du unterschätzt ihn also immer noch?“ Levi rollte mit den Augen, drückte dann die Zigarette in dem überquellenden Aschenbecher aus. „Mike ist weitaus klüger, als er auf dem ersten Blick zu sein scheint. Aber kommen wir zu dir, Petra. Eine junge Frau, die jahrelang ihren unbegründeten Hass gegen Männer auslebt. Oder soll ich eher sagen, ihren Hass gegen das Sibyl System? Für dich wäre es ein Triumph, wenn du beweisen könntest, dass das System nicht so vollkommen sei wie die Gesellschaft behauptet, oder? Auch für dich wäre es ein gefundenes Fressen, wenn du Marco in den Wahnsinn treiben könntest, nicht wahr?“
 

„Und was ist mit Eren?“, versuchte sich Petra zu verteidigen, die während Levis Worten in ihrem Stuhl immer kleiner geworden war. Dieses Mal war es Eren der verwirrt in die Runde blickte.

„Unser kleiner Junior Inspector…“, Levi lächelte dieses Mal nicht, sondern klatschte kurz in seine Hände, „noch ahnt er nichts davon, was in dieser Devision alles vorgefallen ist und wird auf dem blutigen Spielbrett wie eine Schachfigur hin und her geschoben… Aber sicher. Er musste ansehen wie seine Eltern sterben. Mit bewundernswerten Noten schloss er an der Akademie ab, trat in der höchsten Devision ein. Nachdem er herausfand, was für ein gebeutelter Mensch sein neuer Vorgesetzter doch ist, glaubte er eine perfekte Möglichkeit gefunden zu haben seinen Ärger endlich abzulassen.“

Eren erstarrte unter den Worten. Es war unmöglich, dass Levi in so kurzer Zeit so vieles über ihn herausgefunden hatte.

„Du hast Marco vergessen…“, stotterte der Junior Inspector, ohne über seine Worte nachzudenken.
 

„Achja… Marco. Unser großer Maestro. Abgänger von der Akademie mit der höchsten Benotung, die es jemals gegeben hatte.“

Der Fingerbewegungen auf der Tastatur stoppten erneut abrupt, als der Angesprochene den Blick von seinem Bildschirm abwandte. Marcos Gesichtsausdruck wirkte wie versteinert, als er Levi taxierte, der seinen Blick mit einem fahrigen Lächeln erwiderte.

„Jung, naiv und vollkommen ängstlich. Seine Eltern gaben ihn in ein Heim, aus lauter Angst vor seiner Asymptomanie. Es kann kein gutes Zeichen sein, einen Sohn zu haben, dessen Hue sich einfach nicht verdunkelt oder einen Crime Coefficient, den er willentlich beeinflussen kann. Verstoßen, unsicher und von Sibyl selbst mit Argwohn betrachtet. Anfang zwanzig und schon Senior Inspector. Eine Aufgabe, die er sich allein nicht stellen möchte. Ein Unfall, der sein Leben verändert. Enforcer, die ihn überfordern. Ein Rivale, der ihn an seine Unfähigkeit erinnert. Jemand wie er weiß, wie man einen Mord begeht, ohne dass einer etwas davon bemerkt. Jahrelang schreit er nach Hilfe, doch niemand möchte ihn hören… Warum sollte er nicht seiner Verzweiflung den nötigen Ausdruck verleihen?“

„Du hast jemanden vergessen, Levi.“ Marcos Stimme klang völlig ruhig, dennoch angespannt. Eren sah seinen Vorgesetzten forschend an, doch dieser wirkte mit einmal wie eine steinerne Wand, hinter die man nicht blicken konnte. Der angesprochene Enforcer sah sich gespielt verwirrt im Raum um und zählte die Anwesenden an seinen Fingern ab.

„Wen?“

„Dich selbst“, sagte Marco, konnte Levi jedoch nur ein heiseres Lachen entlocken. Die Stimme des schwarzhaarigen Enforcers versiegte, nachdem er merkte, dass niemand mit ihm lachte. Schweigend erhob er sich aus seinem Stuhl und durchquerte den Raum. Direkt vor Marcos Schreibtisch blieb er stehen und vergrub seine Hände in den Hosentaschen, während er zu dem Senior Inspector mit leicht erhobenem Kinn hinabschaute.
 

„Die letzten zwei Jahre habe ich dank dir im Hochsicherheitstrakt eingesessen. Tagtäglich an Ketten gefesselt. Überwacht von unzähligen Kameras und mit gerade so viel Essen, dass ich nicht verhungerte. Wie soll ich so in der Lage gewesen sein einen Mord zu begehen?“

Rem-Sleep

Forschend glitt ihr Blick über die Kanister und Behältnisse, die sie in einer trockenen Ecke dieser heruntergekommenen Industriehalle aufgebaut hatten. Sie waren nicht beschriftet, aber das blondhaarige Mädchen wusste ganz genau was sich darin befand. Schließlich war sie dafür verantwortlich gewesen, das alles zu besorgen.
 

Salpetersäure, Salzsäure, hochkonzentrierte Natronlauge, Flusssäure, Königswasser.
 

Es war nicht leicht gewesen die Käufe unerkannt und legal durchzuführen. Sie erinnerte sich daran, wie viele Male sie beinah erwischt worden waren, doch es war für sie keine unangenehme Erinnerung. Für sie war es eine unerwartete Spannung, die sie in ihrem Leben nicht mehr missen wollte. Auch wenn sie von ihrem Ziel noch so weit entfernt waren, sah sie es in greifbarer Nähe – Es war ihr egal, ob sie eventuell ihr Leben bei diesem Vorhaben verlor.

„Bist du dir sicher, dass wir auch das Richtige machen, Annie?“

Die Angesprochene wandte ihren Blick von den Kanistern ab, eh sie sich herumdrehte. Im Zwielicht der spärlich erleuchteten Lagerhalle konnte sie im ersten Augenblick nur die Konturen des jungen Mannes ausmachen, der im Schneidersitz auf dem Boden saß und zu ihr aufblickte. Ein fahriges Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus, doch der entschlossene Blick aus ihren stechend blauen Augen überwiegte jegliche Freude in ihrem Gesicht.

„Natürlich“, antwortete Annie lediglich. Sie vertraute dem Mann, der ihnen den Auftrag für die Morde gab. Von Anfang an glaubte sie seinen Worten, dass ihnen dabei nichts zustoßen würde und sie der Gesellschaft etwas Gutes taten. Mit heller Stimme lachte die Blondhaarige auf, hielt sich dabei mit verschränkten Armen den Bauch. „Berthold, sag mir nicht, du zweifelst!“

Nervös rieb sich der Dunkelhaarige den Nacken. Er rang sich ein Lächeln ab, doch es versiegte schon nach wenigen Sekunden. Annie hatte ihn erwischt. Es war nicht direkt, dass er zweifelte, doch er hatte Angst.
 

Angst vor dieser Gesellschaft.

Angst vor dieser Welt.

Angst vor dem was sie taten.
 

„Er hat es uns versprochen, dass niemand etwas über uns herausfinden wird“, versuchte Annie ihn aufzumuntern und Berthold nickte zustimmend.

„Er ist ein Inspector. Er sollte am besten wissen wie man das Sibyl-System hintergeht“, beteuerte Berthold.

„Richtig. Und von dem, was er über sich erzählt hat, ist er wohl auch der einzige, der das kann“, fügte Annie hinzu und löste ihre Haare aus dem Zopf, um es neu zusammen zu binden.

„Und die Straßenscans?“, fragte Berthold daraufhin, legte dabei den Laptop zur Seite und rieb sich die brennenden Augen. Sie hatten hier zumindest eine spärliche Unterkunft gefunden, aber konnte sich noch immer nicht daran gewöhnen, dass sie hier kaum Licht hatten. Annie lachte erneut auf.

„Mach dir mal darüber keine Sorgen“, sagte sie und setzte sich zu ihm auf die Decke, die sie wenigstens etwas vor dem kalten Betonboden schützte, „wir haben doch die Karte mit den Straßenscans von ihm bekommen.“
 

„Kennt ihr Levi Ackermann?“, mischte sich mit einmal der blondhaarige Junge ein, der aus dem Schatten heraus auf wie zukam. Berthold sagte nur ein knappes „Willkommen zurück“, eh er mit dem Mädchen einen fragenden Blick wechselte.

„Wer ist das, Reiner?“, fragte er schließlich an seinen Freund gewandt, der sich neben ihn auf den Boden setzte.

„Dieser Enforcer. Erinnerst du dich? Der Inspector sagte doch zu uns, dass er zurückkommen wird“, beantwortete Annie seine Frage. Voller Erstaunen hoben sich Bertholds Brauen, als er sich wieder daran erinnerte.

„Ich habe noch ein paar Informationen bekommen“, begann Reiner zu erzählen, nachdem er einen Schluck von dem abgestandenen Wasser genommen hatte. Der Junge verzog das Gesicht und stellte die Flasche wieder zur Seite. Er hasste diese abgestanden Lebensmittel, die sie bekamen. Doch er war froh darüber überhaupt etwas zu hatten. Anfänglich waren diese Morde nicht einfach für sie gewesen, aber wenigstens wurden sie damit entlohnt, dass sie am Leben bleiben konnten.

„Es scheint, als wäre er gar kein richtiger Krimineller. Zwar wurde er als Kind schon als latent eingestuft, aber er hat nie einem Menschen etwas angetan. Sein CC soll mittlerweile über 300 liegen. Und wisst ihr warum?“, demonstrativ hob Reiner seine Schultern an, tippte sich dann mit dem Zeigefinger gegen die Stirn, „weil der Typ krank im Kopf ist. Als Kind war er schon einmal in der Facility und man hat bei ihm eine Störung der Rem-Schlafphase festgestellt.“

„Was ist das?“, fragte Annie ungehalten dazwischen.

„Das ist die Traumphase“, erklärte Berthold verhalten, „sie tritt direkt nach dem Einschlafen ein. Allerdings wissen die Forscher nicht, warum sich die Augen in dieser Phase schnell hin und her bewegen. Rapid Eye Movement, daher der Name. Aber man geht davon aus, dass hierbei die psychische Erholung stattfindet während sich der Körper bei der Tiefschlafphase erst erholt.“

„Richtig“, stimmte ihm Reiner zu, „allerdings kann es zu einer Störung kommen, sodass die Muskeln sich während dieser Phase nicht richtig verkrampfen. Man durchlebt also mit dem ganzen Körper noch einmal den ganzen Traum.“

Annie zuckte mit den Schultern, während sie dabei ein starkes Seufzen von sich ließ.

„Und was soll dieser Typ jetzt damit zu tun haben?“

„Bei dieser Störung kann es auch dazu kommen“, Reiner beugte sich etwas vor und senkte dabei seine Stimme, „dass der Schlafende seine Träume noch intensiver und realer durchlebt. Dieser Levi soll in seinen Träumen angeblich Menschen umbringen und das habe dazu geführt, dass sein CC derartig angestiegen ist.“

„Du willst also sagen, seine Träume hätten ihn zu einem Kriminellen gemacht?“, sagte Annie, die mit einmal Interesse für das Thema bekommen hatte. Reiner nickte lediglich um ihre Frage zu beantworten.

„Hast du schon jemanden Neues gefunden?“, fragte Reiner mit einmal an Berthold gewandt.

Berthold bejahte seine Frage leise und drehte den Laptop herum, sodass die beiden auf den Bildschirm schauen konnten.

„Ein Ehepaar. Sie arbeiten beide in einem Waisenhaus, aber Gerüchten zufolge misshandeln sie die Kinder.“

Reiner und Annie grinsten sich an.

„Perfekt!“, stieß der blondhaarige Junge aus und stand auf, die Hände gegen die Hüfte gelegt. Nachdenklich schaute er zu den Kanistern herüber. „Was nehmen wir dieses Mal?“

Nightmare

„Sir, um ehrlich zu sein verstehe ich nicht warum ich das machen soll.“

Zackly blickte ihn durchdringend an. Er wartete darauf, dass Eren seine Meinung änderte, doch das würde er nicht.

„Es ist eine einfache Aufgabe, mein Junge. Daran gibt es nicht viel zu missverstehen“, antwortete der Direktor mit ruhiger Stimme. Der Junior Inspector zog die Augenbrauen zusammen.

„Marcos Crime Coefficient überwachen?“, fragte Eren noch einmal nach, um sicher zu gehen, dass er richtig gehört hatte. In seinen Augen gab es daran vieles falsch zu verstehen. „Ich glaube nicht, dass das notwendig ist, Sir.“

Zackly stieß leise ein Seufzen aus, während er sich zum wiederholten Male die Brille auf der Nase zu Recht rückte.

„Es ist notwendig“, entgegnete Zackly gelassen, jedoch mit Nachdruck, „gerade jetzt wo Levi zurück ist.“

Eren wollte etwas sagen, doch er schloss seinen Mund direkt wieder. Nur um sich direkt mit aller Kraft auf die Zunge zu beißen. Leicht senkte er seinen Kopf und nahm einen tiefen Atemzug, wodurch sich die Frustration in seiner Brust wenigstens ein bisschen löste.

„Sir, dürfte ich fragen was Marco und Levi für ein Geheimnis haben? Niemand möchte mir etwas über die beiden erzählen“, fragte Eren vorsichtig. Den Hauch des Ärgernisses in seiner Stimme konnte er nicht verbergen. Auch wenn er sich darum bemühte so höflich wie möglich dem Direktor gegenüber zu sein, er konnte nicht aufhören mit den Zähnen zu knirschen, als dieser ihm seine Frage lediglich mit einem leichten Kopfschütteln verneinte.

Er hatte es geahnt. Jede Richtung in die er lief, um ein Quäntchen darüber herauszufinden was hier gespielt wurde, führte ihn in eine neue Sackgasse. Das seichte Räuspern des Direktors ließ ihn allerdings aufblicken. Zackly suchte nach den richtigen Worten, während er die wenigen Bleistifte auf seinem Schreibtisch ordentlich und symmetrisch neben seinen Papieren arrangierte.

„In jungen Jahren erlitt Marco ein Traumata“, begann Zackly mit einmal zu erzählen. Im ersten Augenblick glaubte Eren seinen eigenen Ohren nicht trauen zu können und sich die leisen Worte einzubilden.

Der Direktor hatte jedoch binnen weniger Sekunden seine vollste Aufmerksamkeit erlangt. Mit unsicheren Schritten näherte sich der Junior Inspector dem Schreibtisch, als könnten sie jeden Augenblick von jemandem belauscht werden, für dessen Ohren dieses Gespräch nicht geschaffen war. „Er verlor seine Eltern. Die Psychologen gaben ihr Bestes und er kam so gut es ging darüber hinweg. Levi, allerdings, hatte es beinah geschafft ihn davon zu überzeugen, Schuld an dem Verlust seiner Eltern zu sein.“

„Deshalb wollten Sie auch nicht, dass er Levi zurückholt“, sagte Eren niedergeschlagen. Es erklärte nicht alles, aber einiges. Zackly nickte zustimmend.

„Ganz richtig, mein Junge.“

Eine Weile lang sah Eren dabei zu, wie der Direktor von neuem die Unterlagen auf seinem Tisch sortierte. Er interessierte sich nicht daran, was Zackly da tat, doch er wusste einfach nicht was er machen sollte.

Als er Marco zum ersten Mal begegnet war, hatte er bereits angenommen, dass irgendetwas mit dem Mann nicht stimmte. Anfänglich hatte er es auf sein Äußeres bezogen und dem irren Funkeln in seinen dunklen Iriden, in denen trotzdem permanent der leise Hauch der Müdigkeit mitschwang. Mittlerweile verstand Eren den Grund für dieses Bedürfnis nach Schlaf.

Es war ein endloser Schlaf. Ein schwarzer Traum, der nie enden würde, welchen Marco sich wahrscheinlich tief in seinem Innersten wünschte. Eren konnte bloß eine Vermutung aufstellen, aber er begann zu erstehen was das Wort „Freiheit“ eigentlich zu bedeuten hatte.
 

„Wir glauben, dass der Mörder hinter Marco her ist“, sagte Eren mit einmal, wodurch Zackly wieder zu ihm aufblickte. Ein dünnes, fahriges Lächeln breitete sich auf den schmalen Lippen des Direktors aus, der seine Unterarme auf den Tisch lehnte und die Hände ineinander faltete.

„Umso wichtiger ist es auf ihn aufzupassen, findest du nicht auch?“, fragte Zackly, während das Lächeln ein wenig breiter und in Erens Augen gehässiger wurde. Der Junior Inspector musste schluckten.

„Ja, Sir“, sagte er knapp. Innerlich verfluchte er sich dafür, dass er es überhaupt angesprochen hatte. Ohne es zu wollen, bestätigte er dadurch nur Zacklys Auftrag den Crime Coefficient von Marco im Auge zu behalten.

„Hast du noch etwas zu sagen, Eren?“

„Nein, Sir“, entgegnete er, „ich werde ihn überwachen und Ihnen regelmäßig die Berichte zukommen lassen.“ Mit einer angemessenen Verbeugung verabschiedete er sich vom Direktor und verließ das Büro.
 

Erst als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, konnte Eren wieder durchatmen. Die Luft im Büro war stickig gewesen. Der Direktor hatte eine Präsenz, die alles Lebende um ihn herum zu fressen schien. Nachdenklich schaute Eren auf den Boden zu seinen Füßen, als könne er dort eine Antwort auf seine Fragen finden.

Er wusste nicht, warum er diese Aufgabe überhaupt akzeptiert hatte. Nach wie vor machte es seiner Meinung nach keinerlei Sinn einen Crime Coefficient zu überwachen, der nicht einmal die Durchschnittsgrenze der Normalbevölkerung erreichte.

Langsam setzte sich Eren in Bewegung, versuchte dabei keinen Blick über seine Schulter nach hinten zu riskieren. Erst jetzt wurde er sich auch über die Müdigkeit bewusst, die seinen Körper bleiern anfühlen ließ. Er wurde das Gefühl nicht los, Marco hintergangen zu haben.

Zwar verstand er diesen Mann nicht, aber genauso wenig wollte er diesem etwas mutwillig Böses zutrauen. Zumindest wehrte er sich mit aller Macht gegen diesen Gedanken. Genau diese Gegenwehr war es, die ihm wiederrum seine letzte Kraft raubte.

Er wollte endlich die Wahrheit darüber herausfinden, warum sein Vorgesetzter einen Enforcer wie Levi freiwillig zurückgeholt hatte, obwohl durch diesen einige Dinge passiert waren, die ihn zu dem geformt hatte was er nun war. Die Antwort zu dieser Frage war der letzte Schlüssel um seinen eigenen Verstand zu wahren. Alles drehte sich nur noch um Marco. Er wurde das Gefühl nicht los, dass sich dadurch jeder von ihrer eigentlichen Aufgabe abwandte.

Eren rieb sich über die Augen, die vor Müdigkeit entsetzlich brannten. Ein Blick auf seine Armbanduhr verriet ihm, dass er mittlerweile seit mehr als zwölf Stunden im Einsatz war. Er sehnte sich nach einer Pause. Körperlich, als auch geistig. Sein Kopf wollte ihm aber keine Sekunde Ruhe geben. Unablässig dachte er über seine neue Aufgabe nach. Unweigerlich musste er sich an die Worte seines Dozenten erinnern, die ihm mit einmal die Augen öffneten.
 

(„Die Antwort liegt meist direkt vor dir—“)
 

Ruckartig blieb Eren stehen und starrte in den leeren Flur vor sich, nachdem er aus dem Fahrstuhl gestiegen war.

„Natürlich…“, flüsterte er leise zu sich selbst.

Es gab eine Möglichkeit den Crime Coefficient eines asymptomatischen Menschen zu überwachen. Schwungvoll schlug sich Eren mit der flachen Hand gegen die Stirn. Er war die ganze Zeit so blind gewesen. Jeder konnte vom Sibyl-System überwacht werden, also konnte auch ein Mensch wie Marco eine Art der Veränderung beherbergen. Zwar würde es nicht leicht werden, aber bestimmt nicht unmöglich.

Ohne einen guten Grund würde Marco auch nicht voller Verzweiflung um einen Platz im Therapiezentrum betteln. Normalerweise wurde man als Inspector einem Psychologen zwangsverwiesen, wenn es zu auffälligen Veränderungen im Hue oder Crime Coefficient kam. Selten ging ein Inspector von sich aus in die Einrichtung.

Sowohl auf die Enforcer, die auch eine beschützende Position für den geistigen Zustand ihres Vorgesetzten hatten, als auch auf den Inspector selbst warf es kein gutes Licht. Marco jedoch schien keine andere Lösung zu sehen. Ihm war das Licht egal. Er wollte nur endlich etwas anderes außer der Dunkelheit in sich selbst sehen.

„Dunkelheit in einem strahlenden Hue“, sprach Eren seinen Gedanken aus, ignorierte dabei die Leute, die an ihm vorbei kamen. „Auch Marcos Crime Coefficient musst Veränderungen haben.“

Laut nachzudenken hatte ihm schon immer mehr geholfen, als die Probleme in seinem Kopf zu lösen. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er in der letzten Zeit viel zu still gewesen war und alles über sich ergehen ließ.

Nachdenklich ließ er seinen Blick über die Tafel gleiten, die an der Wand angebracht war und über die Räumlichkeiten des Stockwerkes informierte. Nach einer Weile wandte er sich wieder ab, ohne den Informationen große Aufmerksamkeit zu schenken. Eren musste sich ein Gähnen unterdrücken, als er nun mit schnelleren Schritten zurück zum Büro ging. Sein Körper sehnte sich nach einer Pause. Seit Stunden wollte er bereits zu Hause sein, doch er musste noch einmal in die Datenbank schauen.
 

„Eren, warte!“

Der Angesprochene fuhr zusammen, als er mit einmal harsch aus seinen Gedanken herausgerissen wurde. Keuchend blieb Armin vor ihm stehen, stützte sich auf die Knie.

„Was ist los?“, fragte Eren alarmiert und legte seinem Freund eine Hand auf die Schulter. Der Blondhaarige versuchte ein paar Worte herauszubringen, rang jedoch erst einmal nach Atem, eh er sich wieder aufrichtete.

„Ich will, dass du deinen Dienst quittierst“, sagte der Ältere ernst, „Ich will nicht, dass Levi dir etwas antut.“

„Was?!“, stieß Eren erschrocken aus. Er wünschte, sich verhört zu haben, doch der Blick seines Gegenübers sprach das Gegenteil. Armin wiederholte noch einmal seine Worte.

„Das kann nicht dein Ernst sein“, entgegnete der Braunhaarige völlig entgeistert. Die Aufforderung seines Freundes überrannte ihn förmlich. „Dieser Beruf ist mein Traum, Armin! Ich kann doch nicht alles aufgeben, weil irgendein Enforcer zurück ist!“

„Dann lass dich von Zackly wenigstens in eine andere Devision versetzen, aber er wird deinen CC genauso steigen lassen und das kann ich nicht zulassen!“

Eren wollte etwas erwidern, doch sein eigener Atem blieb ihm in der Kehle stecken, als ein markerschütternder Schrei durch die nächtliche Stille des Flures donnerte.
 

Die beiden schreckten zusammen und wandten ihren Blick zu dem Büro der Devision 1, das nur wenige Meter von ihnen entfernt lag. Ohne darüber nachzudenken, rannten sie los. Es konnte nur von einer Person stammen, denn alle anderen waren seit neun Uhr zur Nachtruhe geschickt worden und durften die Unterkunft nicht mehr verlassen.

„Marco?“, aufgebracht rief Eren den Namen seines Vorgesetzten, noch bevor er durch die offen stehende Tür stürmte. Das Büro war völlig leer, aber Eren witterte die Gefahr, die in der Luft lag.

Ein wimmernder Laut erregte seine Aufmerksamkeit. Erst jetzt sah er, dass der Drehstuhl des Senior Inspectors nicht mehr aufrecht stand. Mit schnellen Schritten näherte er sich dem Arbeitsplatz des anderen.

„Scheiße…“

Eren konnte sich nicht rühren, als er den Älteren sah, der in der Ecke zwischen Wand und Schreibtisch kauerte und sich selbst wiegte. Zitternd streckte er eine Hand aus, um Marco sachte an der Schulter zu berühren, doch dieser Schlug seine Hand weg und jauchzte gequält, eh Marcos Stimme in ein lautes Schluchzen überging.

„Er muss eingeschlafen sein!“, stieß Armin hinter seinem Rücken aus. Ruckartig drehte sich Eren zu diesem herum. Ein eiskalter Schauer breitete sich auf seinem Nacken aus, als er sich an Armins Warnung erinnerte.

„Hol Jean!“, befahl Eren, ohne lange darüber nachzudenken.

„Wo ist er?“

„Er muss in der Unterkunft sein. Er weiß bestimmt was zu tun ist.“

Armin schaute ihn unschlüssig an und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen.

„Beeil dich, verdammt!“, brüllte Eren und hörte die Angst in seiner eigenen Stimme. Der Blondhaarige nickte, bevor er sich auf den Fersen herum drehte und aus dem Büro stürmte.
 

„Beruhig dich! Jean wird gleich hier sein. Er wird dir helfen können“, redete Eren weiter auf den Senior Inspector ein, der noch immer unverständliche Sätze vor sich hin stammelte. Immer wieder streckte Eren sich ein wenig aus seiner Hocke heraus und sah über den Schreibtisch hinweg zur Glasfront des Büros.

Armin war erst seit ein paar wenigen Minuten verschwunden. Für ihn fühlte es sich allerdings an, als wartete er hier seit einer Ewigkeit auf Jean.

Bis zur Unterkunft der Enforcers musste man über vierzig Stockwerke zurücklegen. Der Fahrstuhl war zwar schnell, doch nicht so schnell wie Eren es sich in diesem Augenblick gerade wünschte. Wegen des hohen Ranges ihrer Devision lag die Unterkunft nur ein paar wenige Stockwerke weit in den Kellergeschossen. Aber was war, wenn Armin den Enforcer erst einmal wecken müsste. Was war, wenn dieser ihm nicht glaubte?
 

Mit einem halben Ohr lauschte er den Sätzen des Senior Inspectors, die einem längst vergangenen Gespräch gehören mussten. Wachsam hielt Eren weiterhin Ausschau nach Jean. Innerlich wünschte er sich, der Sekundenzeiger auf seiner Uhr würde so schnell ticken wie das pochende Herz in seiner Brust. Pures Adrenalin presste sich durch seine Blutbahn. Eren wagte es nicht einen genauen Blick auf seine Uhr zu werfen, denn er wollte nicht wissen wie lange er hier bereits wartete.

Er schluckte, in der Hoffnung seine trockene Kehle, die sich langsam zusammen schnürte, etwas befeuchten zu können. Doch sein eigener Speichel blieb ihm förmlich im Hals stecken, als er mit einmal den festen Griff an seinem Oberarm spürte. Marcos Stimme war in ein unablässiges Wimmern übergegangen, während er sich mit der freien Hand den Kopf hielt und sich wiegte.

Eren betrachtete ihn lange. Er wusste nicht, was er machen sollte. Wenn er ehrlich zu sich war, überforderte ihn diese Situation. Der Ältere klammerte sich immer stärker an ihn, lag schon fast vollends in Erens Armen. Sachte strich er Marco über die Schultern, während er selbst versuchte so ruhig wie möglich zu atmen. Er hatte die Hoffnung, dass der Senior Inspector darauf einging und sich somit etwas beruhigte. Eine Weile lang schien es auch zu funktionieren. Marcos rasender Atem wurde tatsächlich wieder gleichmäßiger und ruhiger, doch er ließ sich noch immer nicht von Eren ansprechen.

„Jean ist gleich hier“, sagte der Junior Inspector noch einmal. Dabei hatte er das Gefühl sich mit den Worten lediglich selbst beruhigen zu wollen.
 

„Ich habe es getan…“
 

Eren fuhr zusammen. Die ganze Zeit hatte er sich so sehr auf den Flur vor dem Büro konzentriert, dass er plötzlich aus seinen Gedanken gerissen wurde. Er horchte auf, denn ihm war als hätte er eine Stimme ganz in seiner Nähe gehört.
 

„Ich habe es getan! Ich allein! Warum glaubt mir niemand?“, stieß Marco gellend aus. Der gequälte Laut, den Marco von sich gab, fuhr Eren durch Mark und Bein. Er war wie versteinert, als der Senior Inspector sich die Fingernägel in die Wangen rammte und in seine Handflächen bitter wimmerte.

So fest er konnte, packte Eren den Senior Inspector an seinen Handgelenken. Marco wehrte sich mit ungeheurer Kraft, sodass es Eren nicht leicht fiel ihn davon abzuhalten sich weiter zu verletzen. Der Ältere schluchzte herzzerreißend, als er sich dem Griff ergab. Seine Augen sahen vollkommen leer aus.

Eren spürte, dass Marco gerade in diesem Moment weder hier noch im jetzt war. Er verlor zusätzlich die Hoffnung, dass der Senior Inspector überhaupt seine Stimme erkannte. Die feinen Härchen in seinem Nacken richteten sich vor Entsetzen auf, als der andere sich zusammen kauerte und nur noch weinte.

Mit einmal musste er sich jedoch an Zacklys Worte erinnern. Langsam löste Eren eine Hand und versuchte dem Senior Inspector beruhigend über den Kopf zu streichen. Der Mensch vor ihm war in diesem Augenblick für ihn kein erwachsener Mann, sondern nichts mehr als ein verstörtes Kind, das sich nach Schutz sehnte.

„Gar nichts hast du gemacht, Marco. Es ist nicht deine Schuld, dass seine Eltern gestorben sind“, sprach Eren leise auf den Älteren ein, der mit einmal verstummte.

„Doch… Und weißt du, was ich gemacht habe?“, flüsterte Marco so leise, dass Eren Probleme hatte ihn im ersten Moment zu verstehen, „Ich habe sie mit Benzin übergossen… und dann angezündet.“ Erens Augen weiteten sich, als die Worte in ihm einschlugen wie ein Peitschenschlag.
 

„Eren!“ Jean stürmte in das Büro und riss beinahe mehrere Drehstühle mit sich, als er den Weg zwischen den Schreibtischen hindurch bahnte. Direkt neben Eren ließ er sich auf die Knie fallen, welcher vor Schreck Marco vollends los ließ.

„Hey, Kleiner… Ganz ruhig… Nichts ist passiert. Hattest du wieder einen Alptraum?“

Marco nickte.

„Hast du deine Tabletten wieder nicht genommen?“ Jean schaute den Senior Inspector immer besorgter an.

Marco nickte erneut. Scheinbar versuchte der Enforcer es so gut wie möglich zu verstecken, doch Eren konnte aus dem Augenwinkel genau beobachten wie der Blondhaarige bei dieser kaum erkennbaren Bewegung leicht zusammen zuckte. Jean biss sich harsch auf die Unterlippe bevor er weitersprach.

„Du musst sie nehmen. Das weißt du…“

„Ich will sie nicht…“, unterbrach Marco ihn.

Jean stieß drohend Marcos Namen aus, wurde jedoch direkt von diesem abermals unterbrochen.

„Eren?“ Die ausdruckslosen Augen des Senior Inspectors schauten ihn mit einmal an. „Sollte irgendetwas passieren… Halt die anderen da raus. Versprich es mir!“

Insights

„Schluck endlich die verdammten Pillen, Marco!“, stieß Jean herrisch aus. Seine linke Hand presste er zusätzlich die Nasenflügel des Mannes zusammen, der mit Leibeskräften gegen den Schluckreflex ankämpfte. Gefangen zwischen dem Wunsch zu atmen, als Marco allmählich die Luft ausging, und zu Würgen, füllten sich die Augen des Senior Inspectors erneut mit bitteren Tränen.
 

„Komm schon!“, drängte Jean ein weiteres Mal, während die Sekunden ins Land strichen. Eren hatte Schwierigkeiten seinen Vorgesetzen festzuhalten, der sich gegen seinen Griff wehrte, wie ein Tier, das nicht zur Schlachtbank gebracht werden wollte.
 

Drohend stieß Jean den Namen des Inspectors aus, der im Kampf gegen das Ersticken bereits die Augen verdrehte. Doch es war ein Kampf, den Marco nicht gewinnen konnte. Seine Niederlage machte sich mit einem lauten, verkrampften Schlucken hörbar. Kurz darauf erschlaffte der Körper des Älteren in Erens Armen. Es fiel ihm schwer nicht zusammen mit Marco auf den Boden zu fallen, als der Größere sich plötzlich kaum mehr auf den Beinen halten konnte. Marco gab nicht mehr als einen gequälten Laut von sich. Etwas Speichel tropfte ihm von den Lippen, nachdem Jean seine Hand von Marcos Mund löste. Ohne zu zögern wischte der Enforcer ihm den Speichelfaden mit dem Ärmel weg, eh er Marcos Gesicht mit beiden Händen umfasste.
 

„Das hast du gut gemacht“, lobte Jean den Senior Inspector. Eren musste sich vor lauter Nervosität und Angst ein aufkommendes Lachen unterdrücken. Der Tonfall des Enforcers machte den Eindruck als würde er mit einem verängstigten Kind sprechen, anstatt eines erwachsenen Mannes.
 

„Marco, möchtest du dich hinlegen?“ Jean sprach liebevoll und voller Fürsorge. Es war eine Stimmfarbe, den Eren bei dem Enforcer nie für möglich gehalten hatte, doch er löste in seiner Brust ein heftiges Ziehen aus. Marco nickte mit schwacher Zustimmung. Noch immer liefen Tränen an seinen Augenwinkeln herab, aber sie waren längst nicht mehr so verzweifelt wie zuvor. Eren wünschte sich, dass die Bilder der vergangenen Minuten bald aus seinem Kopf verschwinden würde. Allerdings befiel ihn jetzt schon das Gefühl, dass der Anblick des verzweifelten Senior Inspectors ihn noch in vielen Alpträumen ein stetiger Begleiter sein würde.
 


 

Eine halbe Ewigkeit hatte es gedauert bis sie Marco aus dem Büro in den Fahrstuhl verfrachtet hatten. Bittere Tränen waren dem Mann dabei über das Gesicht gelaufen. Eren hatte seinen Vorgesetzten nicht wieder erkannt. Auch jetzt war Marcos Gesichtsausdruck völlig apathisch. Die Augen waren leer und die schwarzen Schatten, die darunter prangerten, sprachen von den düsteren Abgründen, die in Marco tobten. Jean hatte mehrere Male versucht ihn anzusprechen, etwas mehr von dessen Alptraum zu erfahren. Marco hatte sich als einzige Reaktion jedoch nur noch mehr die Lippen blutig gebissen, bei dem Versuch diese Bild auf Verderb und Gedeih für sich zu behalten.
 

Sprachlos schaute Eren dabei zu, wie Jean den Größeren am Arm fasste und durch den Raum führte. Mit einmal gehorchte Marco jeglicher Außeneinwirkungen und jeden Worten, die man zu ihm sprach. Mehrere Mal beteuerte Jean, dass es nicht schlimm war, wenn Marco nicht sofort reden wollte. Jedoch ließen eine Worte durchscheinen, dass Marco es ihm nicht lange verheimlichen konnte. Sachte ließ er den Senior Inspector sich auf das Sofa setzen, eh Jean zu einer Packung mit Taschentüchern griff.
 

„Du musst deine Tabletten nehmen“, sagte Jean während er vorsichtig seinem Gegenüber die Tränen aus dem Gesicht wischte.
 

„Ich will sie nicht“, gab Marco mit einem Hauch von sich, bewegte dabei kaum seine Lippen. Der Enforcer seufzte. Eren konnte ihm ansehen, dass Jean so vieles sagen wollte, doch stattdessen für sich behielt. Anscheinend war es eine Diskussion, die schon seit Ewigkeiten zwischen den Beiden bestand. Jeans Gesichtsausdruck war frustriert. Scheinbar gelang es ihm nicht immer dem Senior Inspector seinen Willen aufzuzwingen.
 

„Wir reden da später drüber. Jetzt schlaf erst einmal“, sagte Jean lediglich dazu und griff nach der Decke, die über dem Sofa lag. Mit einem sachten Nicken breitete sich Marco auf dem Sofa aus, drehte sich jedoch mit dem Gesicht von ihnen weg. Der Enforcer wartete, eh er die Decke über Marco ausbreitete. Ein langes Seufzen verließ seine Lunge, als Jean auf den Senior Inspector hinab schaute, eh er sich abwandte und zu Eren ging.
 

„Ich hasse es, wenn ich ihm das antun muss“, sprach der Enforcer leise seine Gedanken aus, eh er das Gesicht für einen Moment in den Händen bettete.

„Jean, darf ich dir eine Frage stellen?“

„Nur zu.“

Einen Moment lang fand Eren keine Worte. Viel zu erstaunt darüber war er, dass der Enforcer dieses Mal keinen Widerstand leistete oder seinen Status in Frage stellte, sondern mit ruhiger, fast ergebener Stimme ihm ein offenes Ohr gewährte.
 

„Wer genau ist Levi?“, fragte Eren so leise wie möglich, immer noch unsicher darüber, ob der Senior Inspector nun wirklich schlief oder ihnen zuhören konnte.

„Es gibt Dinge, die fragt man nicht, Eren.“

Der Angesprochene seufzte. Er hatte befürchtet, dass ihm diese Antwort wie ein Stein in den Weg gelegt werden würde. Doch bei allem, was in der letzten Zeit passiert war, wuchs die Neugierde in seiner Brust — so wie eine Blume ihre noch geschlossene Knospe der Sonne zuwandte damit sie sich öffnen konnte.

Erst nach einer Weile bemerkte Eren, dass der Ältere ihn aus dem Augenwinkel beobachtete. Innerlich schreckte er jedoch vor dem Ausdruck in den hellbraunen Iriden zurück, aus denen bitterer Schmerz sprach – Sie erinnerten Eren an die unergründlichen, schwarzen Tiefen des Ozeans, bei denen man nicht wissen wollte, was sich an dessen Grund verbarg. Und erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er die ganze Zeit diese Miene bereits bei Marco hatte sehen können, wenn dieser auf den Bildschirm seines Computers starrte und sich unbeobachtet fühlte.

„Und wenn ich dir diese Frage als Befehl stelle?“, versuchte der Braunhaarige es erneut und glaubte den Anflug eines Lächelns auf Jeans Lippen sehen zu können.

„Du kannst es ja einmal versuchen“, entgegnete ihm der Enforcer, fast wie eine Aufforderung zum Kartenspiel.

„Erzähl mir von Levi“, sagte Eren, verlieh seinen Worten dabei den nötigen Nachdruck, indem er sich seinem Gegenüber zuwandte. Dieses Mal hörte er ein tiefes Seufzen von Jean, welcher jedoch keinen Augenblick zögerte um ihm zu antworten.

„Er war hier ein Enforcer. Bis vor zwei Jahren, um genau zu sein.“ Jean sah aus, als könnte er allein diesen Satz nur unter größten Qualen hervorbringen. Die ganze Zeit wirkte das Gesicht des Enforcers jedoch seltsam versteinert. Seine Entscheidung, jemanden darüber zu fragen wer dieser Mann war, erschien Eren wie einer der größten Fehler, den er überhaupt hätte begehen können. Ihm wurde bewusst, dass er sich auf eine Ebene begab, die nicht für sein Wissen bestimmt war und dennoch gab es keinen Weg daran vorbei. Seine Nackenhaare hatten sich aufgestellt, als er diesen Namen zum ersten Mal gehört hatte, und jetzt wo er Jean sah, der sonst verschlossen und abweisend war, verfluchte sich Eren für seine eigene Wissbegierde.
 

„Und warum war er in der Isolation Facility?“, hakte Eren widerstrebend nach.

Die Augen des Enforcers trübten sich ein wenig, während er sprach. „Er ist außer Kontrolle geraten.“

„Er hat Marco angegriffen.“

Jean atmete schwer durch die Nase aus, als würde er ein Lachen unterdrücken wollen, das jedoch voller Bitterkeit gewesen wäre. Sein Blick glitt zum Schlafenden auf dem Sofa.

„Du bist anscheinend klüger, als ich dachte.“

Eren wollte ihn korrigieren, doch er schwieg stattdessen. Nein, man war nicht automatisch ein schlauer Mensch, wenn man Eins und Eins zusammen zählte, dachte er sich. Er hatte lediglich die unzähligen Andeutungen und Hinweise zu einer logischen Kausalkette zusammengefasst. Das war kein großes Talent, mit welchem man hausieren oder sich schmücken konnte.

„Wie lange bewirbt sich eigentlich Marco schon beim Therapiezentrum?“, fragte Eren, nachdem sie einige Zeit lang den schlafenden Senior Inspector beobachtet hatten. Die Frage beschäftigte ihn schon seit längerem, doch erst jetzt glaubte er den richtigen Zeitpunkt gefunden zu haben sie auch jemandem zu stellen. Unruhig knetete er dabei seine Hände, die er sich hin und wieder an seinen Hosenbeinen abwischen musste. Auf einmal wandte sich Jean zu ihm und schenkte ihm ein weites, bitteres Grinsen, das er zuerst nicht deuten konnte.

„Seit ungefähr zwei Jahren“, antwortete der Enforcer, eh das groteske Lächeln wieder verschwand und er sich seufzend mit den Ellenbogen gegen die Theke lehnte.

„Was ist mit Marco los? Ich will Antworten und zwar sofort!“, sagte Eren barsch, der seine Hände zu Fäusten ballte.

Jeans einzige Antwort war ein heiseres Auflachen. Ein Geräusch, das nicht in diese Welt zu passen schien, und Eren doch sofort in seinen Bann zog. Fassungslos starrte er den Enforcer an, der sich mit dem Zeigefinger über den Augenwinkel strich.

„Das ist nicht witzig, Jean!“, stieß Eren aus. Dabei versuchte er seine Stimme zu beherrschen, um den Senior Inspector nicht wieder zu wecken.
 

„Entschuldige“, sagte Jean leise, nachdem er sich wieder beruhigt hatte, „Du hast mich nur gerade an Marco erinnert. Als er noch nicht so war...“
 

Eren zog fragend seine Augenbrauen zusammen. Er spürte wie die Wut in ihm aufstieg und sich in seinem Magen festsetzte. All diese Fragen, die aufkamen und ihm nicht beantwortet wurden, legten sich schwer auf seine Schultern. Sein ganzer Kopf dröhnte von den Informationen, von denen er nicht wusste welche wahr und welche frei erfunden war.
 

„Wie lange hat er nun schon diese Alpträume?“, fragte Eren. Mittlerweile hatte er es zwar geschafft ein paar richtige Puzzlestücke aneinander zu setzen, doch er hatte noch nicht einmal komplett den Rahmen des unfertigen Bildes zusammengelegt. Er wusste lediglich, dass Jean zu den wenigen Leuten gehörte, die ihm helfen konnten dieses Rätsel zu lösen. Eren wollte ehrlich Antworten, weshalb er erneut nachhakte.
 

Jean unterbrach ihn jedoch sofort: „Marco, er—“

„Sieht er nicht bezaubernd aus, wenn er schläft?“
 

Eren zuckte zusammen. Er war so sehr auf das Gespräch mit Jean konzentriert gewesen, dass er nicht mitbekommen hatte wie Levi in den Raum getreten war. Ruckartig wandte der Junior Inspector seinen Blick zum Sofa, wo der Schwarzhaarige stand und Marcos Decke ein wenig höher zog. Erens Pulsschlag schnellte in ungeahnte Höhen, als Levi seine Hand ausstreckte und mit den Fingern sachte durch Marcos Haar fuhr.
 

„Lass ihn in Ruhe!“, zischte Jean mit zusammen gebissenen Zähnen. Der dunkle Klang seiner Stimme sprach davon, dass er schreien wollte, doch Marco zur Liebe hielt er sich zurück. Der Angesprochene richtete sich wieder auf und hob desinteressiert seine Schultern, während er wie in Unschuld badend seine Handflächen nach Außen drehte.
 

„Ich habe nichts gemacht“, entgegnete Levi mit unschuldiger Miene. Ein regelrecht warmherziges Lächeln umspielte seine Lippen, als er sich noch einmal zu Marco wandte und dem Senior Inspector beinah provokativ über die Haare strich. Jean stieß einen drohenden Laut aus, als Marco im Schlaf einen kläglichen Laut von sich gab. Reflexartig stand Eren auf und hob seine Hand, um den Enforcer zurück zu halten.
 

„Was machst du hier?“, fragte Eren, versuchte damit die Situation wieder unter Kontrolle zu bringen. Die Beiden schauten sich einander an und die Spannung die zwischen ihnen in der Luft lag war förmlich mit den Händen greifbar. Levi löste jedoch den Blickkontakt, als er mit der Zunge schnalzte und etwas auf Eren zukam.
 

„Ich konnte nicht schlafen“, lautete Levis prompte Antwort, dessen Augenmerk wieder unablässig auf Marco lag. „Vor allem nicht bei diesem Krach.“
 

„Halt deine Schnauze!“, platzte es aus Jean heraus, den Eren nun am Kragen packte und wieder zurück zum Hocker zog. Beschwichtigend stellte sich Eren zwischen die Beiden, eh er sich zu Levi umdrehte und auf den Mann zuging.
 

„Wenn du schon wach bist, kannst du mir jetzt auch im Büro helfen!“, raunte Eren — Innerlich suchte er jedoch lediglich nach einer Lösung die beiden auseinander zu bekommen. Er wollte nicht mit Levi alleine sein, doch er sah im Augenblick keine andere Möglichkeit. Harsch packte er Levi am Arm, um ihn mit sich zu ziehen. Der Enforcer wehrte sich halbherzig gegen seinen Griff, befreite sich allerdings wieder von Erens Hand, als sie in den Flur traten.
 

Eren spürte wie sich sein Hals zusammen schnürte. Sein Blickfeld verklärte sich durch die Tränen, die langsam in seinen Augen aufstiegen. Harsch biss er sich auf die Unterlippe. Er versuchte sich zu beherrschen, doch es wollte ihm nicht gelingen.
 

„Wir suchen einen Mörder... Aber seit ich hier bin dreht sich alles nur um Marco", sagte Eren gebrochen. Das Zittern seiner Stimme entlarvte ihn. All die offenen Fragen tobten in seinem Kopf und er war nicht mehr in der Lage sich noch länger gegen sie zu wehren.
 

Selbst der Name seines Vorgesetzten hallte in seinen Ohren nach wie ein endloses Echo. Er begleitete ihn im Schlaf. Alles was Marco betraf und Marco selbst wollte ihn nicht mehr loslassen. Eren musste sich von ihm lösen. Er musste dieses Geheimnis herausfinden, wenn er nicht seinen Verstand verlieren wollte!
 

„Das verstehe ich“, entgegnete Levi und brachte den Junior Inspector somit zum Stocken. Mit diesen Worten hatte er nicht gerechnet. „Schließlich bin ich schuld daran.“
 

Dankend nahm Eren das Taschentuch an, welches der Ältere ihm anbot, und wischte sich damit über die Augen. Er wusste nicht recht was er darauf antworten sollte. Leicht zögernd nickte er.

„Ich frage mich sowieso warum du der Einzige bist, der mich nicht zu hassen scheint“, sagte Levi daraufhin voller Ehrlichkeit. Langsam nahm er dabei seine Hand von der Schulter des Junior Inspectors und wischte sie an seinem Hosenbein ab. Eren blickte auf, eh er sich mit dem Taschentuch ein weiteres Mal über das Gesicht fuhr.
 

„Ich…“ Eren unterbrach seine Worte mit einem Schniefen. Vorsichtig warf er einen Blick zu Levi, eh er sich mit dem Taschentuch die Nase schnäuzte. Unsicher hielt er es in der Hand, während er sich einen Moment lang sammelte. „Ich weiß, dass du nicht Enforcer geworden bist, weil du Menschen umgebracht hast. Dein Hue hat sich wegen etwas anderem verdunkelt. Warum weiß ich nicht genau. Ich weiß, dass du Marco etwas Unverzeihliches angetan hast. Warum weiß ich ebenfalls nicht… Aber ich weiß, dass ich dich brauche.“
 

Levi hob eine Augenbraue. „So?“
 

Der Schwarzhaarige hob lediglich seine Schultern und lächelte unschuldig. Eren nahm einen tiefen Atemzug, den er langsam wieder ausstieß. Noch immer hörte er in seinen Gedanken die Warnung die Zackly ausgesprochen hatte. Allmählich fragte er sich, warum der Direktor überhaupt seine Einwilligung gegeben hatte – Schließlich hatte er ahnen müssen wie sehr sich Marcos Zustand verschlechtern würde. Es war der Mann neben ihm, der für alles verantwortlich war und den Senior Inspector in diese Lage gebracht hatte. Genau aus diesem Grund musste Eren einen Entschluss fassen.
 

„Sag mir, wie ich an die Patientenakte m.5-7-8 komme.“

„Warum?“, entgegnete Levi. Ihm entging jedoch nicht das kleine Zögern des Enforcers.

„Ich muss Marco helfen. Ich muss die Wahrheit herausfinden.“

„Auf diese Worte habe ich schon lange gewartet“, entgegnete Levi mit einem dünnen Grinsen, eh er sich von der Wand abstieß und den Klingelschalter am Fahrstuhl betätigte.

Access denied

„Ich habe ein kleines Geschenk für dich.“
 

Eren blickte zunächst verwirrt auf die Karte, die sich in sein Blickfeld schob, dann in den leeren Raum ihres Büros. Seit dem nächtlichen Vorfall waren zwei Tage vergangen. Es war nicht leicht gewesen für Marco eine Beurlaubung zu bekommen. Eren hatte für seinen Vorgesetzten einige Hebel bei Zackly in Bewegung setzten müssen. Der Direktor war anfänglich nicht damit einverstanden gewesen, doch sie hatten sich auf eine vorübergehende Zwischenlösung einigen können. Es war für Eren jedoch eine große Überraschung gewesen, dass Marco ohne große Widersprüche der Beobachtung auf der Krankenstation zugestimmt hatte.
 

Regelmäßig wurde Eren über dessen Zustand informiert. Dennoch konnte sein Gemüt großartig nicht erhellt werden, dass Marco freiwillig wieder Essen zu sich nahm und seine Medikamente neu einstellen ließ. Innerlich wusste er, dass das Schlafmittel unangetastet bleiben würde. Es wollte ihm nicht aus dem Kopf gehen, dass Marco wieder bei klarem Verstand war, den Dingen wie ein Lamm zustimmte und sich dennoch mit Haut und Haaren dagegen weigerte. Eren hatte sich erhofft, dass der Scanner, der in ihrem Büro angebracht war, eine Veränderung in Marcos Crime Coefficient aufgezeichnet hatte, als dieser seinen psychischen Zusammenbruch erlitt, doch die Werte waren vollends unverändert geblieben. Es frustrierte ihn. Seine Hoffnung war gewesen dadurch einen kleinen Beweis für seine Vermutung finden zu können, um auch endlich den Direktor davon zu überzeugen, aber letzten Endes blieb er am gleichen Ausgangspunkt stecken.
 

Eren stieß ein leises Seufzen aus, als sein Blick wieder zu dem Enforcer glitt, der an seinem Schreibtisch stand. Levis Gesicht wirkte ausdruckslos, doch in der Mimik des Enforcers ließ sich eine gewisse dunkle Zufriedenheit ausfindig machen. Zögernd nahm der Junior Inspector die Karte entgegen.

„Und was soll ich damit?“, fragte er ratlos, erntete sofort eine unbestimmte Geste des Schwarzhaarigen.

„Dreh sie um.“

Eren konnte mit der Aufforderung zunächst nichts anfangen, als er sie jedoch tatsächlich herumdrehte stockte ihm der Atem.
 


 

Record Vault – Identification Card

Mr Erwin Smith, Senior Inspector Devision 2

Security Level: High
 


 

„Levi, wo hast du den her?“

„Ich habe Ihn auf dem Flur gefunden“, entgegnete der Angesprochene, als wäre es das normalste auf der Welt, „und? Was hältst du davon?“

Fassungslos schaute er den Enforcer an, der seine Hände in die Hosentasche schob und den Eindruck erweckte, als wartete er auf eine Belobigung für seinen Fund. Erens Gesicht verlor jegliche Farbe, während er erneut den Ausweis von beiden Seiten betrachtete.
 

„Wir müssen ihn zurückbringen!“, sagte Eren entschlossen und machte Anstalten aufzustehen. Allerdings hielt ihn Levi mit einem Kopfschütteln zurück.

„Es ist der Schlüssel für all deine Fragen.“

„Wenn du ihn gestohlen hast—“

„Du wolltest doch, dass ich dir helfe. Oder nicht?“, entgegnete Levi gelassen und zuckte mit den Schultern. Eren stieß ein raues Seufzen aus, eh er den Ausweis in seinen Händen noch einmal betrachtete. Natürlich hatte er um Hilfe gebeten, aber nicht in dieser Art und Weise. Er war Inspector, er wollte nicht in etwas Illegales verwickelt werden, das ihn seinen Job kosten könnte. Seine Hände zitterten, als er sich zu seinem Computer wandte und die Karte in das angeschlossene Lesegerät schob. Eren konnte spüren wie ihm der Mund vor Aufregung austrocknete, als er das Kontrollmenü öffnete und auf die Datenbank zugriff. Von Unruhe getrieben, flatterte das Herz in seiner Brust hin und her. Keine Sekunde darauf blieb es jedoch für einen Augenblick stehen. Eren konnte nicht verhindern, dass er zusammen zuckte, als eine rot leuchtende Fehlermeldung auf seinem Bildschirm auftauchte.
 


 

Access denied.

Your Security Level is too low.
 


 

Voller Frustration fuhr sich Eren mit beiden Händen durch die Haare. Es war nicht der richtige Schlüssel. Egal wie er es drehte und wendete, es wollte nicht in das Schloss passen, das er zu knacken versuchte. Eren warf einen Blick über die Schulter. Auf Marcos Schreibtisch herrschte wie immer die gleiche, penible Ordnung.
 

Wenn das Sicherheitslevel mit jeder Devision anstieg und im Datenarchiv dadurch eine Barriere nach der anderen niedergerissen wurde. So durfte es innerhalb des Ministry of Welfare's Public Safety Bureau nur zwei Leute geben, die mit dem höchsten Level ausgezeichnet waren. Langsam schob Eren sich mit dem Drehstuhl rückwärts an den Rollcontainer seines Vorgesetzten heran. Er wollte sein Glück nicht herausfordern. Genauso wenig wollte er den Senior Inspector hintergehen. Dennoch zog er neugierig eine der Schubladen auf.
 

"Was zum—?"
 

Die Schublade war randgefüllt mit den unterschiedlichsten Medikamentenverpackungen. Ohne dass er einen genauen Blick auf die Beschriftungen geworfen hatte, lief es ihm kalt den Rücken herunter. Es war genau das gleiche Schlafmittel, welches Jean in der Unterkunft benutzt hatte. Doch Eren musste sich eingestehen, dass er sich im Innern der Schublade erhofft hatte den Archiv-Ausweis des Senior Inspectors zu finden. Forschend glitt sein Blick zur Glasfront des Büros, um sich zu vergewissern, dass ihn niemand erwischte. Hastig schob er die Schublade wieder zu, nur um in die anderen schauen zu können.
 

„Gut, dass du noch da bist!“
 

Eren war viel zu tief in Gedanken gewesen, um zu bemerken, dass sich jemand dem Büro genähert hatte. Auch Levi, der zwar keine Regung von sich gab, wirkte leicht erschrocken, als der Senior Inspector der Devision 2 plötzlich im Türrahmen auftauchte. Während Eren hastig die Schublade wieder schloss und sich in seinem Drehstuhl aufrichtete, lehnte sich der Enforcer rittlings gegen den Schreibtisch und blockierte sich somit den Blick auf den Bildschirm. Mit kühlem Blick schaute Erwin die beiden an.
 

„Störe ich euch?“, fragte der Blonde mit gekünstelter Freundlichkeit. Ein Tonfall, den er sonst nur gegenüber Marco benutzte. Eren verneinte sofort die Frage, wobei er versuchte so gelassen wie möglich zu klingen. Unauffällig glitt sein Blick zum Bildschirm, auf welchem noch immer das rote Warnsignal der Zugriffsverweigerung flackerte. Schwerfällig schluckte Eren seine Nervosität mit trockener Kehle herunter, als er aufstand und seinen Stuhl wieder zum Schreibtisch schob. Ohne, dass es Erwin mitbekam, wechselte er einen kurzen, wissenden Blick mit Levi.
 

„Ich habe nur einen Systemfehler verursacht“, sagte Eren beschwichtigend. Aus dem Augenwinkel konnte er wahrnehmen, wie Levi seine Hand zur Tastatur schob und die Datenbank schloss. Wie das Fahrwerk einer alten, ächzenden Dampflock hämmerte das Herz gegen seinen Rippenbogen, während Eren dem forschenden Blick von Erwin standhielt. Selbst in seinen Schläfen konnte er seinen rasenden Puls schmerzhaft spüren.
 

„Und wo ist Marco?“, hakte Erwin weiterhin nach, deutete mit einer kleinen Kopfbewegung in die Richtung des leeren Schreibtisches. Eren verfolgte die Geste nur mit flüchtigem Blick. „Normalerweise übernimmt er die Nachtschicht.“ Die Worte ließen das Herz des Junior Inspectors für eine Sekunde aussetzen.
 

„Er ist unten in der Unterkunft. Er sagte, er müsse noch etwas mit Jean besprechen, deshalb wurde ich raufgeschickt“, mischte sich Levi mit einmal ein, nachdem Erens Suche nach einer Antwort zu lange dauerte. Obwohl er nicht damit gerechnet hatte, dass der Enforcer ihn verteidigen würde, entspannte sich Eren innerlich ein wenig. Der Anflug eines düsteren Grinsens auf Erwins Lippen, hinterließ in Eren jedoch einen bitten Nachgeschmack. Erwin schien zu wissen, dass er soeben belogen worden war.
 

„Schade, ich hatte gehofft ihn noch anzutreffen“, erwiderte der blondhaarige Mann mit einem Seufzen, „hat Marco dich eigentlich schon informiert?“
 

„Worüber?“, stellte Eren die Gegenfrage, sichtlich verwirrt vom plötzlichen Themawechsel.
 

„Die Sicherheitslücke im Archiv wurde noch nicht behoben. Pass also auf, wenn du es benutzt“, sagte er. Eren entgegnete ihm mit einem Lächeln, als wüsste er schon darüber Bescheid. „Bitte richte Marco von mir aus, dass ich ihn dringend sprechen muss.“
 

Eren schaute dem Senior Inspector hinterher, der nach einer kurzen Verabschiedung das Büro wieder verließ. Erst als Erwin außer Sichtweite war, wandte er sich wieder zu seinem Computer und zog den Ausweis aus dem Kartenleser.
 

Es war keine Warnung.

Es war eine Aufforderung.
 

„Komm mit“, sagte Eren ungewohnt streng, als er aufstand.
 

„Wohin gehen wir?“, fragte Levi gespielt unwissend. Das Lächeln, das seine Mundwinkel sachte umspielte, zeugte jedoch davon, dass er ganz genau wusste was Eren nächstes Ziel war.
 

„Ins Archiv.“
 

Der Enforcer hinterfragte seine Entscheidung nicht, sondern folgte ihm. Der Flur in welchen er trat, fühlte sich ungewohnt leer an. Nur das leise Surren der Neonröhren an den Decken durchbrach die nächtliche Stille des Ministry of Welfare's Public Safety Bureau. Obwohl niemand zu sehen war, schaute sich Eren zunächst zu beiden Seiten um, eh er den Flur entlang ging und sich dem Fahrstuhl näherte. Sein Blick glitt dabei zu der Uhr, die an der Wand über der Fahrstuhltür angebracht war, eh ein leises Gähnen seinen Mund verließ. Eren konnte es nur halb unterdrücken, bevor er sich mit beiden Händen über die Augen fuhr. Seit Marco auf der Krankenstation war, hatte er unzählige Überstunden einlegen müssen. Erst jetzt verstand er die harte Arbeit, die sein Vorgesetzter in den letzten zwei Jahren durchlitten haben musste. Stets musste ein Inspector anwesend sein, um die Aktivität und Einsatzfähigkeit der Devision aufrecht zu erhalten. Mittlerweile hatte Eren keinen Überblick mehr darüber wie viele Stunden er bereits die Straßenscans im Auge behielt.
 

„Ich hoffe, du bist dir bewusst, dass wir an Erwins Büro vorbei müssen.“ Levi durchbrach das Schweigen, das sich zwischen ihnen im Fahrstuhl ausgebreitet hatte, mit dunkler Stimme. Harsch sog Eren die Luft zwischen seinen Zähnen ein, wandte seinen Blick von der Etagenanzeige ab.
 

„Du hast recht“, sagte er leise und müsste dem Drang wiederstehen den Fahrstuhl sofort zum Stehen zu bringen und seine Entscheidung auf der Stelle zu revidieren. Nach Rat suchend schaute er Levi an, welcher an der Fahrstuhlwand lehnte und seine Arme vor der Brust verschränkt hielt. Kommentarlos zuckte er mit den Schultern. Eren hatte nicht bedacht, dass die Devision 2 auf dem Gang lag, der zum Archiv führte. Spontan fielen ihm ein paar Ausreden ein, warum sie beide ausgerechnet jetzt das Archiv aufsuchen wollen. Eren rechnete jedoch damit, dass Erwin ihm hinterher gehen würde. Er wurde das Gefühl nicht los, dass dieser Mann ihnen stets einen Schritt voraus war.
 

„Wir müssen diesen Versuch einfach wagen“, sagte Eren entschlossen, als das seichte Klingeln des Fahrstuhls ertönte und ihnen die Ankunft bei der gewünschten Etage angab. Der Junior Inspector nahm einen tiefen Atemzug und straffte seine Schultern, während die Tür aufglitt. Der Gang vor ihnen war in ein fahles Licht getaucht. Eren erkannte sofort, dass er sich von der Etage unterschied, auf welcher sie ihr Büro hatten. Vor ihnen lag ein endloser, grauer Flur, dessen Ende nur spärlich in der Ferne ausfindig zu machen war. Mit zusammen gekniffenen Augen konnte Eren schwach die Stahltür des Archivs erkennen. Leise trat er aus dem Fahrstuhl heraus, gefolgt von Levi, der seinen Blick über die kargen Wände gleiten ließ. Anders als auf ihrer Etage gab es hier keine Fenster. Raues, einsames Neonlicht erhellte die triste Umgebung nur um das Nötigste. Hier gab es keine Pflanzen, die mühselig den Eindruck eines kläglichen Komforts erweckten. Weder auf dem Boden, noch an den Wänden gab es bunte Farblinien, die normalerweise im gesamten Gebäude die Orientierung zu den einzelnen Räumen und Abteilungen erleichterten. Hier hatte man sich nicht einmal die Mühe gemacht den abgeblätterten Putz zu erneuern oder die dunkelgraue Wandfarbe zu ersetzen und einen freundlicheren Eindruck zu erwecken. Es war einfach nicht nötig. Eren wurde schnell bewusst, dass die Leute hier meistens nur ein und aus gingen, wenn sie zum Archiv wollten. Doch der Anblick erschreckte ihn, denn er hatte es nie für möglich gehalten, dass Erwin in einer solch trostlosen Umgebung arbeitete. Eren hatte es nicht einmal gewagt daran zu denken, dass die Devision 2 derartig isoliert lag.
 

Mit einem Wink seiner Hand gab er Levi zu verstehen ihm zu folgen. Langsam wagten sie sich an das Büro heran. Das kalte Licht im Innern des Raumes fiel durch die Glaswände und erhellte somit den Flur, wie ein Mahnmal. Erens Puls beschleunigte sich mit jedem Schritt. Kurz bevor sie das Büro passierten, verlangsamten sie ihre Schritte. Gerade als Eren durch die Glasscheiben schauen wollte, spürte er eine Hand auf seiner Schulter, die ihn zurück hielt. Mit einem Zeigefinger gegen die Lippen gelegt, um ihm zu bedeuten leise zu sein, schob sich Levi an ihm vorbei. Eren gab ein seichtes Nicken von sich. Augenblicklich verstand er, dass es weniger gefährlich war wenn Levi entdeckt wurde als er. Der Enforcer riskierte einen schnellen Blick in das Innere des Büros. Die Anspannung in Eren wuchs, da er den angestrengten Ausdruck im Gesicht des anderen nicht deuten konnte. Lautlos drängte er sich gegen Levis Rücken, riskierte einen Blick über die Schulter des Enforcers hinweg. Eren atmete erleichtert auf, als das Büro vollkommen leer war. Die Enforcer der Devision 2 schienen ebenfalls in der Unterkunft zu sein oder sich zumindest im Gebäude aufzuhalten. Doch es verwunderte ihn, dass nicht einmal Armin anwesend war. Die Glastür hatte Erwin offen stehen gelassen. Scheinbar ging der Senior Inspector davon aus, dass niemand hier hinkommen würde. Er hatte selbst seinen Computer aktiviert gelassen, denn die Wand am Ende des Raumes wurde von einem schwachen, künstlichen Licht erhellt.
 

Sie passierten das Büro, beschleunigten dann ihre Schritte um die letzten Meter zum Archiv hinter sich zu bringen. Hastig griff Eren in die Innentasche seines Jacketts und zog seinen eigenen Ausweis hervor. Sie hatten sich im Fahrstuhl darauf geeinigt. Obwohl das Terminal im Innern des Archivs mit einer Sicherheitslücke verseucht war, kontrollierte und protokollierte Sibyl am Eingang welcher Beamter ein- und ausging. Eren konnte spüren wie seine Handflächen feucht wurden, als er den Ausweis gegen den Scanner hielt, der an der Wand angebracht war. Mit einem leisen Ton wurden seine Daten in das System aufgenommen, bevor das schwere Schloss der Stahltür sich entriegelte und zur Seite glitt.
 

Nachdem sie das Innere betraten, schloss sich die massige Tür hinter ihnen und verriegelte sich durch eine automatische Vorrichtung wieder. Doch Eren erinnerte dieser Klang und das seichte Beben, welches dabei durch den Boden ging, als würde sie in einem Gefängnis eingeschlossen werden, aus dem es kein Zurück mehr gab.

One step ahead

Der Raum roch steril. Zu ihrer linken und rechten erstreckten sich endlose Eisenregale. Sie gingen bis unter die Decke, deren Höhe in dem wenigen Licht des Archivs kaum einzuschätzen war. Eren blickte sich zu allen Seiten um, aber die tatsächliche Größe des Raumes ließ sich nicht einschätzen. Die Regale erdrückten ihn von allen Seiten, als sie den mittleren Hauptgang entlang gingen. Schweigend übernahm Levi die Führung. An den Nebengängen, gaben die Markierung der Aktenzahlen einen wagen Einblick darüber wie tief sie in das Archiv vordrangen. Ab der dritten oder vierten Regalreihe, waren Stahlschränke aufgereiht, deren einzelne Fächer und Schubladen mit massiven Türen verschlossen waren. Wie eine magische Grenze, ab welcher die vertraulichen Dokumente begannen.
 

Mühsam riss Eren seinen Blick von den Schränken los und folgte Levi. Sie bogen nach rechts und folgten dem schmalen Gang. Am Ende weitete er sich zu einer kleinen Lichtung inmitten der Regale aus. Eine einzelne Deckenlampe erhellte die kleine, quadratische Nische, in welcher nichts weiter stand außer ein Terminal. Die Bauart verriet, dass es sich um eine ältere Generation handeln musste. Im Gegensatz zu den freizugänglichen Computern, die auf jeder Etage des Gebäudes zu finden waren, war das Gerät klobig und unhandlich. Der Bildschirm war wesentlich kleiner als der in seinem Büro und diente nur dazu Dokumente einsehen zu können, statt mehrere Fenster gleichzeitig zu überwachen. Trotzdem hatte man die Tastatur auf den neusten Stand gebracht. Wie er es gewohnt war, handelte es sich um ein holografisches Bild, das auf die kleine Ablage vor dem Monitor projiziert wurde.
 

Mit einer ausladenden Handgeste präsentierte Levi ihm den Terminal. Eren näherte sich diesem mit vorsichtigen Schritten, eh er den Archiv-Ausweis aus der Innentasche seines Jacketts hervor holte. Er wollte nicht darüber nachdenken, was er gerade machte. Er wusste nicht, ob er Erwins Worte in Frage stellen sollte oder nicht. Ihm blieb keine andere Möglichkeit als es auszuprobieren. Er schob den Ausweis in das Lesegerät, welches im Monitor integriert war. Das Logo des Ministry of Welfare's Public Safety Bureau verschwand und wurde durch ein grünleuchtendes Login-Fenster ausgetauscht.
 

„You’re about to access confidential information.

Please enter your password, Mr Smith.”
 

Eren schreckte zurück. Ratlos blickte er zu Levi, der allerdings vollkommen gelassen blieb.
 

„Eine Passworteingabe wird im Protokoll gespeichert“, sagte Eren mit gesenkter Stimme. Enttäuschung und Aufregung ließen sich nicht verbergen. Erwins Andeutung war derartig verlockend gewesen, dass er diese Hürde nicht bedacht hatte.

„Nicht im Archiv“, entgegnete Levi, der noch immer auf den Bildschirm schaute. „Ich hätte nicht gedacht, dass diese Lücke nach all den Jahren noch nicht gestopft wurde. Jeder Idiot kann sie ausnutzen und jeder weiß davon, dass die Inspectoren heimlich davon Gebrauch machen“, gab Levi von sich.

„Und warum nicht ihr Enforcer?“, fragte Eren überrascht. Levi schnalzte mit der Zunge, als wäre diese Frage unnötig.
 

Er rang sich dazu durch sie zu beantworten: „Wir können nur die Basisinformationen aufrufen. Alle außerordentlichen Einblicke ins Datenarchiv müssen vorher vom Sibyl-System genehmigt werden. Meistens erhalten die Enforcer nur während eines speziellen Einsatzes den Zugang“, erklärte Levi, lehnte sich mit verschränkten Armen seitlich gegen das Terminal. „Hast du überhaupt eine Ahnung, was Erwins Password sein könnte?“ Eren schüttelte verloren mit dem Kopf, den er hängen ließ. Diese Informationen waren neu für ihn. Eren rieb sich den Nasenrücken. Erst war es ein unangenehmes Kribbeln, dann ein immer stärker werdendes Ziehen, dass sich von seinem Hals aus über den gesamten Körper ausbreitete. Der Junior Inspector erstarrte, als er den seichten Atem an seiner Ohrmuschel wahrnahm.
 

„Mike…“ Levi flüsterte nur, zog jedoch jeden Buchstaben überbetont in die Länge. Der Ton verflüssigte sich zu einer einzigen Masse und hämmerte gegen Erens Trommelfell. Er drehte seinen Kopf, starrte den Enforcer an. Die Arme hinter dem Rücken verschränkt, entfernte sich Levi von seiner Seite, grinste dabei dünn. Eren versuchte etwas zu sagen, schnappte stattdessen leicht nach Luft.
 

„Wie lange hat Mike mit Erwin zusammen gearbeitet?“
 

Levi hob seine Schultern. Eren spürte, wie der andere ihm die Unwissenheit lediglich vorspielte.
 

„Genauso lange wie ich. Ungefähr… Neun Jahre…? “, sagte Levi, umrundete Eren hinter seinem Rücken dabei in kleinen Schritten. Zufriedenheit legte sich auf Levis Gesicht, als Eren sein Handgelenk anhob und das Display des Wristcoms aktivierte. Mit schneller Handbewegung navigierte er sich durch das Beamtenregister.
 

„Was machst du da?“, fragte Levi mit ungewohnter Neugierde. Anstatt seine Frage zu beantworten, schloss Eren das Display wieder und schob den Ärmel seines Hemdes wieder über das Wristcom, eh er sich zum Terminal wandte.
 

„Bete zu Gott, dass ich jetzt keinen Fehler mache.“ Beinah vorsichtig begann Eren zu tippen, während Levi ihm interessiert von der Seite zuschaute. Seine Bewegungen waren langsam, als müsste er jede Eingabe genauestens abwägen.
 

Password: 0047-AQYE-4683-3 > Enter

„Access granted.

Valid to use the database.

Welcome, Mr Smith.”
 

Levi stieß einen leisen Pfiff aus, als er die Worte auf dem Bildschirm las und klopfte Eren auf die Schulter.
 

„Mikes alte Enforcer-ID. Ich wusste es“, kommentierte er. In seiner Stimme schwang ein amüsiertes Lachen mit. Eren sagte nichts. Vor seinen Augen baute sich eine Welt auf, zu welcher ihm stets der Zugang verweigert worden war. Die Registerkarten, Einträge, Protokolle, Daten und Berichte zu sehen ließ jegliche Art der Nervosität und Unsicherheit von ihm abfallen. Erens Neugierde wurde eine Macht verliehen, die er bisher nicht einmal für möglich gehalten hatte.
 

„Du bist ein gefährlicher Mensch, Eren“, sagte Levi lediglich leise und wich einen Schritt zurück.
 

„Nein“, entgegnete der Junior Inspector und hob langsam seine Hand, eh er sich mit dem Zeigefinger gegen die Stirn tippte. „Mein Professor brachte mir nur bei, dass die stärkste Waffe eines Menschen seine Neugierde ist.“
 

Seit er hier war, versuchte jeder seine Neugierde zu unterdrücken. Sein Wissensdurst war eine Flamme gewesen, die beinah unter Sibyls Gewalt erdrückt worden war, doch das konnte er nicht länger zulassen. Er war nicht drei Jahre auf der Akademie gewesen, hatte jede Sekunde seines alltäglichen Lebens dafür geopfert um seine Prüfungen mit höchster Benotung abzuschließen, um die Arbeit seiner Dozenten und Professoren im Keim ersticken zu lassen, die ihn zu einem freidenkenden Geist erzogen hatten. Eren bereute es augenblicklich, dass er es zugelassen hatte, wie seine Neugierde in das Licht einer schlechten Eigenschaft gerückt worden war.
 

Levi sagte zunächst kein Wort, während Eren begann die Datenbank zu erforschen. Schweigend stand er neben dem Junior Inspector, dessen Iriden förmlich zu leuchten begannen unter den neuen Eindrücken, die er sammelte.
 

„Ich passe auf, dass uns niemand entdeckt“, sagte der Enforcer, um sich zu beschäftigen. Er ging zum Ende der Regalreihe, von welcher aus man den Hauptgang einsehen konnte. Eren gab einen schwachen Laut der Zustimmung von sich, während er sich auf den Bildschirm konzentrierte. Er brauchte tatsächlich einen Augenblick bis er sich orientiert hatte. Mit seinem eigenen Ausweis konnte er nur ein Minimum dessen einsehen, was sich ihm nun preisgab. Obwohl er der Devision 1 zugehörig war, konnte das Sicherheitslevel seiner ID nicht weit über dem der Enforcer liegen. Er erinnerte sich an den Tag, an welchem er schon einmal versucht hatte ein paar Antworten in den Berichten über die Mitglieder ihrer Devision herauszufinden. Die meisten Dokumente waren verschlüsselt gewesen, folglich für ihn nicht zugänglich, oder waren im Register gar nicht erst aufgetaucht. Die Fragen in seinem Kopf begannen förmlich zu knurren, hungrig darauf endlich gelöst zu werden.

Eren öffnete die Suchleiste des Archivs.
 

Armin Arlert > Enter
 

Die Datenbank brauchte nur wenige Sekunden, um die Personalakte seines besten Freundes aufzubauen. Bisher hatte er nie die Gelegenheit gehabt zu fragen, warum Armins Crime Coefficient gestiegen war. Eren wusste, dass dieser bisher immer stabil gewesen war. Während ihrer Zeit auf der Akademie hatten sie sich stets über den Zustand ihres Psycho-Passes informiert. Es war ein unausgesprochenes Spiel gewesen. Wer konnte gutherziger sein als der andere. Obgleich Eren ihn stets mit seinen Benotungen schlagen konnte, war Armin jedoch derjenige von ihnen gewesen mit dem niedrigeren Crime Coefficient. Eren kannte seinen besten Freund gar nicht anders als mit einem Wert zwischen 40 und 45. Innerhalb der Tabelle mit den monatlichen und halbmonatlichen Kontrollen seit des Beginns beim Ministry of Welfare's Bureau stiegen Armins Werte plötzlich jedoch auf 59,7, nur vier Monate später auf 72,3. Eren konnte sich den plötzlichen Anstieg nicht erklären. Ihm wurde das Datum des Anstiegs angezeigt, doch Eren fand keinen Querverweis zu einem passenden Bericht.
 

Marco Bodt > Enter
 

Das jugendliche Gesicht mit dem verschmitzten, halb unterdrückten Lächeln und den aufgeregten, braunen Augen, die direkt in die Kamera schauten, war Eren vollkommen fremd. Lange musste er auf das Foto schauen, um seinen Vorgesetzten darauf zu erkennen. Es war mit keinem Datum versehen, doch es musste eine alte Aufnahme sein. Marcos Gesicht war noch nicht von Brandnarben verunstaltet worden, keine tiefen Schatten prangerten unter dessen Augen und auch der Ausdruck der Verzweiflung fehlte in den Iriden, die heutzutage trübe und willenlos aussahen.
 

Eren blätterte sich durch die Personalakte, jedoch ohne Erfolg. Eine Vielzahl der Informationen seit Marcos Eintritt als Senior Inspector fehlte gänzlich. Hin und wieder war sein Crime Coefficient notiert, der allerdings genauso nichtssagend war. Marcos Berichte über vergangene Fälle waren auf das Nötigste reduziert. Beim groben Überfliegen machten sie makellosen Eindruck. Eren knirschte lautlos mit den Zähnen. Unzähmbare Frustration presste sich durch seine Adern, gepaart mit der unendlichen Angst erwischt zu werden. Marcos Personalakte war sorgfältig geführt. Fehlerfrei und lückenlos. Einige Einträge waren geschwärzt worden. Eren versuchte es einige Male, doch er konnte die Originalschrift nicht wiederherstellen, geschweige denn auf die Akten zugreifen. Er wusste, dass die ausgedruckten Originale in einem dieser Schränke liegen mussten. Sibyl würde die Schlösser jedoch nicht öffnen, bevor es keinen ersichtlichen Grund gab sie einzusehen. Verbittert blätterte er weiter durch die Personalakte. Jeder seiner Gedanken wurde jedoch gestört von dem infernalen, regelmäßigen Geräusch von der Schuhspitze, die Levi unruhig gegen den Boden tippte.
 

„Du musst dich beeilen, Eren“, hörte er Levi mit gedämpfter Stimme sagen. Ihm wurde bewusst, dass er schon viel zu viel Zeit daran verloren hatte seinem besten Freund wieder ein Stück näher zu kommen.
 

„Ich weiß“, sagte er gehetzt und schloss Marcos Personalakte wieder. Die Daten zu finden würde ihn zu lange aufhalten. Erwin musste schon längst bemerkt haben, dass ihm der Ausweis fehlte.
 

Case file m5-7-8 > Enter

> Loading <

> No Data <

Patient chart M.5-7-8 > Enter

> No Data <

Patient M-5-7-8 > Enter

> No Data <

Case file m.5-7-8 > Enter

> No Data <

> Enter

> No Data <

> Enter
 

Eren schnalzte genervt mit der Zunge, als er ein letztes Mal auf die Entertaste hämmerte. Die Benachrichtigung änderte sich nicht. Das rote „No Data“ grinste höhnend vom Bildschirm auf Eren herab. Der Zeitdruck, der ihm im Nacken saß, machte es unmöglich sich eine Sekunde zu nehmen um logisch nachzudenken. Unablässig wummerte das Herz in seiner Brust, wie die Antriebswelle eines alten Dieselmotors im Bauch eines riesigen Schlachtschiffes. Eren schloss die Augen und atmete tief durch.
 

Er war sich sicher, dass er den Namen der Patientenakte noch richtig im Kopf hatte. Er hatte sich in seine Gedanken eingebrannt, wie ein endloses Mantra. Gerade als er die Sucheingabe ein letztes Mal verändern wollte, hallten Schritte durch die engen Gänge der Stahlschränke.
 

Schlagartig spannte sich jeder Muskel in Eren an. Ruckartig sah er über die Schulter zu Levi, der jedoch eine Hand gehoben hielt und ihm bedeutete zu warten. Sie beide lauschten den Schritten, die sich langsam in einer anderen Regalreihe an ihnen vorbei bewegte. Das protestierende Ächzen der eisernen Scharniere hallte laut durch das gesamte Archiv. Eren zuckte unter dem ohrenbetäubenden Geräusch zusammen, als die Tür sich wieder schloss und die Schritte sich in Richtung Ausgang wieder von ihnen entfernten.
 

Nur langsam beruhigte sich sein rasender Puls wieder. Levi schien es nicht anders zu gehen, denn der Ältere brauchte eine Weile eh er seine Schultern wieder lockerte. Zittrig rang Eren nach Luft, eh er sich wieder zum Terminal herum drehte und die Hand von dem Kartenleser löste. Der Blick auf die Armbanduhr verriet ihm, dass sie sich bereits seit zehn Minuten aufhielten. Für Eren, der seine schweißnassen Hände an den Hosenbeinen abwischte, kam es vor wie eine halbe Ewigkeit. Jede der bereits vergangenen Minuten waren mit einer ergebnislosen Suche verschwendet worden.

„Wir sollten zurückgehen“, schlug Levi witzelnd vor.

„Nein, noch nicht“, sagte er und rieb sich dabei die Schläfen. Eren musste sich eingestehen, dass er die Patientenakte nicht finden würde, doch er wollte das Archiv nicht verlassen. Nicht jetzt. Er war der Wahrheit einen riesigen Schritt weitergekommen. Sie war bereits zum Greifen nahe und er würde nicht eher gehen, bevor er nicht etwas Nützliches herausgefunden hatte.
 

„Wenn Erwin uns hier erwischt–“

Erens Augen weiteten sich, als der Name des Senior Inspectors etwas Undefinierbares in ihm auslöste.

„Das ist es“, sprach er leise seinen Gedanken aus. Warum war er nicht früher darauf gekommen? Seine Finger zitterten, als er mit harten Anschlägen auf der Tastatur tippte.
 

Erwin Smith > Enter
 

Ein endloser Datenkatalog baute sich vor seinen Augen auf. Im ersten Augenblick verlor Eren jegliche Orientierung. Seine Aufmerksamkeit wurde nicht von den persönlichen Daten des Senior Inspectors erregt, sondern von der massigen Anzahl der Berichte, die im System gespeichert waren. Ohne zu wissen wonach er suchte, scrollte Eren in dem Anzeigefenster hinunter. Datierungen, Patientenakten, Personalakten, Einsatzberichte und aufgezeichnete Gesprächsnotizen glitten an ihm vorbei. Plötzlich veränderte sich die Aktenkennzeichnung D2 zu D1. Eren stutzte.
 

Devision 1?
 

Mit einem schnellen Befehl in der Suchleiste öffnete Eren noch einmal Marcos Akte und scrollte herunter bis zum ersten Einsatzbericht, den Marco verfasst hatte. Titel und Fallbezeichnung waren geschwärzt, doch Datum und Kennzeichen waren klar erkennbar. Die letzte Akte, die Erwin mit der Kennzeichnung D1 hatte, war etwa eine Woche vor Marcos erster Akte angelegt worden. Eren zog die Augenbrauen zusammen, eh sich die Spannung in seiner Stirn wieder löste. Mit einmal begann er die Rivalität zwischen den beiden zu verstehen. Laut des Datums war Marco damals nicht viel älter als er gewesen. Erwin war zu diesem Zeitpunkt bereits seit fast zehn Jahren im Dienst gewesen.
 

Doch warum?
 

Seine Vermutung bestätigte sich, noch bevor er die Crime Coefficients miteinander verglichen hatte. Mit einem Wert von 62,8 war Erwin eigentlich längst über den Grenzwert von 40 hinausgestiegen, um rechtmäßig ein Senior Inspector zu sein. Eren konnte es sich nicht anders erklären, als dass es zu dem damaligen Zeitpunkt niemanden mit einem niedrigeren Wert gegeben hatte. Die Auflagen um ein Mitglied in der Devision 1 zu werden waren streng. Und obwohl Marco, frisch von der Akademie, keinerlei Erfahrungen besaß, hatte Zackly ihn wegen seines Wertes von 5,0 direkt auf eine so hohe und verantwortungsvolle Position gesetzt. Marco hatte von Anfang an eine Last zu tragen, die er alleine nicht stemmen konnte.
 

Eren wechselte zurück in Erwins Register und tauchte weiter in die Vergangenheit hinab. Gerade als er seine Suche erfolglos aufgeben wollte, wurde er auf eine Akte aufmerksam, dessen Titel aus einer Reihe geschwärzter Namen herausstach.
 

Case File m.5-7-1
 

Er zögerte keine Sekunde, um das Dokument zu öffnen. Seine Nackenhaare stellten sich auf, als er jedoch das Innere der Akte betrachtete. Jeder Name, jedes Datum und jede Querverweise waren geschwärzt. Anhand der Willkürlichkeit, in welcher die Informationen gelöscht worden waren, muss es Jemand manuell gemacht haben. Selbst die Namen der eingesetzten Enforcer ließen sich nicht mehr zurückverfolgen. Dennoch strahlte die Akte etwas aus, von dem Eren sich nicht lösen konnte. Erwins Schreibstil wich deutlich von den Berichten ab, die er zuvor grob überflogen hatte. Eine emotionale, aufgewühlte Note war hinter jedem Wort zu erahnen.
 

Der leserlichen Teile des Einsatzberichtes ließ das Blut in Erens Adern gefrieren. Der Name des Jungen, als auch die Adresse des Tatortes waren geschwärzt worden, doch Eren spürte eine grausame Verbundenheit zu den Worten. Mühselig schluckte er den Kloß in seinem Hals herunter.
 

Bei dem Opfer handelte es sich um einen Jungen, nicht älter als zehn Jahre, der Zeuge des Mordes gewesen war. Er wurde neben den Leichen seiner Eltern von den Inspectoren gefunden, während die Enforcer die Umgebung großzügig nach dem Täter abgesucht hatten. Sein Zustand war katatonisch. Er reagierte nicht auf Erwins Worte, doch sein Psycho-Pass hatte sich nicht kritisch verändert. Direkt danach war der Junge auf die Psychologische Einrichtung des Ministry of Welfare's Public Safety Bureau eingeliefert worden.
 

Abrupt schloss Eren das Dokument wieder. Er hatte sich immer gewünscht nie wieder an diesen Tag denken zu müssen. Der Name des Jungen ließ sich nicht entziffern, doch anhand der Länge konnte er nicht anders darauf schließen, als dass es sein eigener war. Enttäuscht ließ er den Kopf hängen. Niedergeschlagen loggte er sich aus dem System aus und zog den Ausweis heraus. Eren fröstelte und zog dabei seine Schultern ein wenig zusammen, als hätte einen Eiswürfel in den Nacken gelegt bekommen.
 

„Hast du etwas gefunden?“, fragte Levi, als er bemerkte, dass Eren auf ihn zukam. Der Jüngere schüttelte lediglich den Kopf.
 

Er war kein Stück weiter gekommen.
 

Mit einmal fühlte er sich vollkommen ausgelaugt. Selbst Levis Hand, die sachte auf seiner Schulter ruhte, fühlte sich an, als könnte sie ihn jeden Augenblick auf den Boden drücken. Eren rieb sich die schmerzenden Augen. Mittlerweile wusste er überhaupt nicht mehr, was er sich eigentlich erhofft hatte zu finden.

„Lass uns gehen“, sagte er mit heiserer Stimme. Ein unangenehmes Ziehen breitete sich in seinen Schläfen aus. Sie verließen das Archiv und schlossen die Stahltür so leise wie möglich hinter sich. Das schnappende Geräusch der Verriegelung hallte dennoch unangenehm Laut durch den Flur. Schlagartig wurde Eren wieder nervös, als sein Blick auf das Büro der Devision 2 fiel. Wie bei ihrer Ankunft näherten sie sich zunächst vorsichtig der Glasfront. Eren wusste nicht ob er beruhigt oder noch beunruhigter sein sollte, dass im Innern des Büros die gleiche gähnende Leere herrschte als schon bei ihrer Ankunft. Sie dachten nicht weiter darüber nach, sondern ließen mit schnellen Schritten die letzten Meter bis zum Fahrstuhl hinter sich. Eren spürte wieder eine gewisse Sicherheit, nachdem sich die Türen hinter ihnen schlossen und die dumpfe Stille der kleinen Kabine sie umgab. Ohne auf die Anzeige zu schauen, wählte Eren eine Etage aus.
 

„Du brauchst einen Kaffee“, stellte Levi fest, als der Fahrstuhl in die Tiefe glitt. Der Junior Inspector gab einen schwachen Laut der Zustimmung von sich, eh die Arme vor seiner Brust verschränkte. Abwesend starrte er auf die Fahrstuhlwand, in dessen meliertem Stahl er undeutlich sein eigenes Spiegelbild erkennen konnte. Es war vollkommen verzehrt, trotzdem konnte er erkennen wie viel Kraft ihm die Suche im Archiv gekostet hatte.
 

Wegen des Aktennamens hatte er sich erhofft eine Spur gefunden zu haben, doch stattdessen war er auf seinen eigenen Fall gestoßen. Eren schloss die Lider, um ihnen einen Moment der Entspannung zu gönnen. Ohne es zu wollen tauchte vor seinem geistigen Auge die geschwärzte Akte wieder auf, als hätte sich jede einzelne Zeile in seine Gedanken eingebrannt. Er wollte nicht daran denken, doch er konnte es auch nicht verhindern. Der Wort für Wort geschwärzte Name des Opfers begann mit einmal vor seinem geistigen Auge auf und ab zu tänzeln. Er schwebte dort, als wolle er ihm etwas sagen. Kurz schlug Eren die Augen auf, als ihm ein sehr kleines, kaum sichtbares Detail bewusst wurde. Sofort schloss er wieder seine Lider um es noch einmal zu visualisieren.
 

Aufgrund der Länge der beiden Wörter hielt er es anfänglich für seinen Namen, doch das konnte nicht sein. Der Vorname der eigentlichen Person war zwar genauso lang wie der seinige, aber anders. Entweder es war um einen Buchstaben länger, oder…
 

Die Serifen waren breiter.
 

Das seichte, surrende Geräusch des Fahrstuhls blendete sich langsam aus, während er angestrengt nachdachte. Er stellte sich seinen Namen bildlich vor, schwärzte ihn dann und verglich es in Gedanken mit dem Namen, den er gesehen hatte.
 

„Levi?“ Langsam öffnete er seine Augen wieder, vergrub dabei die Hände in den Hosentaschen. Der Angesprochene löste sich aus seiner Trance des Wartens und schaute Eren abwartend an.
 

„Der Junge, dem du damals begegnet bist… Das war nicht ich, richtig?“, fragte Eren, „Es war Marco.“
 

Zum ersten Mal sah er einen ehrlichen, überraschten Ausdruck auf Levis Gesicht. Noch bevor er antworten konnte, ertönte das leise Geräusch des Fahrstuhls und die Türen glitten auf. Eren ging voran, während Levi einen Moment lang zögerte. Der Junior Inspector spürte einen ungeahnten Triumph in seiner Brust. Die Akte hätte zu ihm passen können, aber ein kleines Detail in der Geschichte war anders. Erst jetzt fiel es ihm wieder ein. Damals hatte man ihn nicht in die Psychologische Einrichtung gebracht, sondern direkt in das Waisenhaus, wo er bis zu seinem Eintritt in der Akademie gelebt hatte.
 

„Worüber freust du dich?“ Erwin lehnte an einer Säule am Eingang der Cafeteria. In seiner Hand hielt er einen Pappbecher, aus welchem seichter Dunst aufstieg. Eren blieb einige Meter entfernt von ihm stehen, dicht gefolgt von Levi. Der Senior Inspector zog leicht seine Brauen zusammen, als er den Enforcer anblickte. Fast sah es so aus, als hätte Erwin an dieser Stelle auf sie gewartet. Eren straffte seine Schultern.
 

„Der Systemfehler. Ich konnte ihn beheben“, sagte er lediglich lächelnd und ging an ihm vorbei. Erwin machte sich nicht die Mühe ihm hinterher zu blicken. Er richtete sich auf und ging in die entgegengesetzte Richtung. Etwas schien nicht zu stimmen, doch Erwin konnte das Gefühl nicht deuten, das sich von seinem Nacken aus auf seinem gesamten Rücken ausbreitete.
 

Je näher er seinem Büro kam, desto unsicherer wurden seine Schritte. Er fühlte sich, als würde er auf eine ungesicherte Klippe zugehen, um einen Blick über dessen Rand zu wagen. Irgendetwas stimmte hier nicht. Als wäre ein Fremder mit dreckigen Schuhen in sein Reich getreten. Erwin spürte, dass Jemand hier gewesen sein musste. Er kannte die Zeiten, wann und wer hier entlang ging um das Archiv zu betreten. Viel zu viele Jahre war er nun schon hier. Mit einem Schluck Kaffee spülte er die Nervosität herunter, die von ihm Besitz ergreifen wollte. Wahrscheinlich taten ihm die Überstunden nicht mehr gut, nur deshalb bildete er sich Dinge ein, die nicht existierten. Dennoch wankte er leicht, als er sein Büro betrat. Sorgsam glitt sein Blick über die Tische, die feinsäuberlich aufgeräumt waren. Er liebte die Ordnung, doch vor seinem geistigen Auge konnte er das Chaos sehen, das Jemand mit seiner Präsenz hinterlassen hatte.
 

Nein, es konnte nicht sein. Kopfschüttelnd wandte er sich von den Tischen ab und durchquerte den Raum. Der Kaffeebecher war mittlerweile fast erkaltet, als er diesen auf seinem Platz abstellte. Doch seine Hand verkrampfte sich um den Pappbecher. Ein Rest der lauwarmen Flüssigkeit lief ihm über die Finger, als er den Becher zerdrückte.
 

Nein, das konnte nicht sein…
 

Er rümpfte die Nase. Langsam trat er ein paar Schritte rückwärts. Wie von Ekel ergriffen, wandte er leicht seinen Kopf ab, konnte seinen Blick trotzdem nicht losreißen von dem, was auf seinem Schreibtisch lag. Seine Hände begannen zu zittern, als er diese hob und begann erst in den Taschen seiner Hose zu suchen. Er hatte seinen Ausweis die ganze Zeit bei sich getragen. Erwin wiederholte diese Worte wie ein Mantra, während er die Taschen seines Jacketts durchsuchte. Er konnte ihn nicht vergessen haben. Er machte keine Fehler. Fehler waren ausgeschlossen.
 

Ruhelos hörte er nicht auf seine Taschen zu durchsuchen. Unablässig starrte er auf den Ausweis, eh seine Gedanken von Erens Lächeln durchkreuzt wurden. Kraftlos ließ er die Arme an seinem Körper hinab baumeln.
 

„Ein Systemfehler… Hah…“ Erwin atmete mehr, als dass er lachte. Sein Gesicht verzerrte sich Fratzenhaft voller Zorn, während er dem fahrigen Klang seiner eigenen Stimme lauschte. Der Ton wandelte sich in einen wütenden Schrei, der aus den Tiefen seiner Lunge hervor platzte. Ruckartig riss er alles von seinem Schreibtisch. Schwer atmend stemmte er die Hände gegen den Schreibtisch, als noch einige Papiere in reißenden Geräuschen zu Boden flatterten.
 

„Wie viel hat der Junge rausgefunden?“

Some may call it a Curse

„Sibyl?“
 

Stille. Er hasste dieses Geräusch. Dieses Gefühl, wenn es sich durch seine Gehörgänge fraß. Es verzerrte jeglichen noch menschlichen Gedanken in seinem Kopf. Marco presste sich die Handballen gegen seine Schläfen, doch der Druck hinter seiner Stirn wollte nicht weichen. Kraftlos ließ er seine Hände fallen. Ziellos wanderte sein Blick durch den Raum, der in Trümmern lag. Marco versuchte sich daran zu erinnern was passiert war.
 

Hanji hatte ihm am Nachmittag aus der Krankenstation entlassen und nach Hause geschickt. Ob er darüber froh sein sollte, wusste Marco immer noch nicht.

„Sag den anderen nicht, dass ich nach Hause gehe. Und lösche die Einträge aus dem System“, hatte Marco die Forensikerin gebeten, welche sich vor Jahren die Bürde auferlegt hatte sich um sein Wohlbefinden zu kümmern.

„Warum?“, war ihre verdutzte Frage gewesen, als sie mit fragendem Blick über den Rand ihrer Brille vom Drehstuhl aus zu ihm aufgeblickt hatte. Marco hatte ihr mit einem Schulterzucken geantwortet. Über diese Bitte war er sich selbst nicht mehr sicher.

„Jean würde sich nur Sorgen machen“, hatte er noch gesagt bevor er gegangen war. Doch der Weg nach Hause war wie der Gang zum Schafott gewesen. Marco war froh darüber, dass die Leute auf den Straßen ihn nicht erkannten solange er nicht den königsblauen Mantel trug, der ihn als Senior Inspector kennzeichnete. Niemand kümmerte sich um ihn. Hin und wieder warfen die Leute ihm einen flüchtigen Blick zu, doch sie glitten an ihm ab. Sie alle hatten Angst vor seinem Gesicht, so wie er vor sich selbst.
 

Als er in seiner Einzimmerwohnung eintraf, die nur mit den wichtigsten Möbeln ausgestattet war, war sie noch in Takt gewesen. Er mochte die saubere, fast sterile Umgebung. Im Gegensatz zu den meisten Bewohnern der Stadt, die es sich leisten konnten, verzichtete er auf einen Holo, das für die Hauswirtschaft zuständig war. Marco wollte nicht, dass er auf Befehl das Aussehen seiner Einrichtung verändern konnte. Es würde ihn nur neidisch machen, dass seine eigenen Gedanken nicht auf die gleiche Weise beeinflussbar waren.

Hanji hatte ihn gebeten wenigstens diese Nacht etwas Schlaf zu finden. Es war ihr stummes Geheimnis, dass er während seines Aufenthaltes auf der Krankenstation nicht eine Sekunde die Augen geschlossen hatte. Hanji hatte es ihm verziehen, denn sie kannte diesen Zustand. Vorsichtig mochte Marco behaupten, dass es vor Jahren schlimmer gewesen war. Doch er hatte ihr versichert seine Tabletten zu nehmen, bevor er unter die Bettdecke kroch.
 

Zumindest hatte er es versucht.
 

Vom Badezimmer aus wehte der saure, beißende Geruch seines eigenen Erbrochenen zu ihm. Auf seinen Lippen klebte noch immer der Geschmack von Galle und Blut. Die leeren Wasserflaschen, die vor ihm im Raum verteilt lagen, zeugten von dem verzweifelten Versuch sich an sein Versprechen zu halten.
 

Direkt nachdem er die Tablette genommen hatte, war der Würgereiz sintflutartig über ihn herein gebrochen. Marco hatte es gerade noch bis zum Badezimmer geschafft, um seinen gesamten Mageninhalt in der Toilette zu entleeren. Noch immer konnte er auf seiner Haut das Vibrieren der Panik spüren, das ihn in diesem Augenblick überfallen hatte. Er hatte es mit einer zweiten Tablette versucht. Dann mit seinem Beruhigungsmittel. Danach mit seinem Antidepressivum und einer weiteren Schlaftablette. Mittlerweile waren die Döschen und Filmstreifen leer. Nichts davon hatte er bei sich behalten können. Sein Körper war mittlerweile an jeden marktführenden Wirkstoff gewöhnt, er stieß ihn einfach wieder ab.
 

Marco ließ die Zunge in seinem Mund rollen, doch der säuerliche Geschmack wollte nicht weichen. Er schürzte die Lippen, während seine Brust in einer Kakofonie aus Wut und Verdammnis zu zerreißen begann. Bittere Tränen stiegen in seinen Augen auf. Die Sicht verklärte sich schlagartig und für einen Moment war er froh darüber, dass sein Sichtfeld verschwamm und er somit die zerstörte Wohnung nicht länger ansehen musste. Schluchzend krümmte er sich zusammen, während er die Stirn gegen seine Knie presste und sein Gesicht mit den Händen von der Außenwelt abschirmte.
 

„Sibyl?“
 

Was hatte er nur falsch gemacht? An welchem Punkt war alles schief gelaufen? Wo hatte er die Kontrolle verloren? Warum saß er nun hier und konnte die Verzweiflung nicht mehr kontrollieren, wie es ihm die Psychologen beigebracht hatten?
 

Du bist ein Teufelskind!
 

Fetzen von längst vergangenen Gesprächen dröhnten in seinen Ohren, wie die Gitarren eines Rockkonzertes. Die Verstärker waren auf Maximum gestellt. Irgendwo in der Ferne hallte ein Faustschlag durch die Luft. Marco konnte den Schlag gegen seinen Kiefer spüren. Wie er brach, wie Zähne splitterten, als sich Erinnerungen aus dem Käfig befreiten, den er errichtet hatte. Das Klingeln in seinem Kopf. Der reißende Druck in seinen Trommelfellen und die Lichtblitze, die hinter seiner Stirn explodierten.
 

„Ich war es nicht…“ Seine flüsternde Stimme versuchte vergebens die Stimmen der Vergangenheit zu überlagern. Selbst die schattenhaften Schläge, die längst verjährt sein mussten, waren ungeahnt präsent. Er durfte nicht daran denken. Schon vor unzähligen Jahren hatte man es ihm verboten. Sein ganzes Leben bestand nur aus Dingen, die er nicht machen durfte. Und jetzt schrie alles durcheinander.
 

Marco, wir haben dich sehr lieb.
 

„Ich war es nicht.“
 

Leg die Hände auf deinen Kopf. Papa wird nur eben den Gürtel holen. Du wartest hier, ja?
 

„Ich war es nicht.“
 

Es wäre besser, du wärst nie geboren worden! Wir hätten in Frieden leben können! Aber nein! Nein! Sibyl muss uns den Teufel schicken!
 

„Ich war es nicht.“
 

Marco, sei ein guter Junge und hol Mama den Hammer. Dann setzt du dich auf deinen Stuhl. Es wird nur kurz wehtun. Okay, mein Spatz?
 

„Ich war es nicht.“
 

Leg das Feuerzeug weg, Marco! Marco!
 

„Ich bin es nicht gewesen!“, kreischte Marco bis seine Stimme abbrach. Er schnappte nach Luft. Die Finger, die er aus seinen Haaren löste, rissen ein paar schwarze Strähnen mit sich. Schwerfällig rang er nach Atem, doch die glühenden Kohlen die er einatmete, verbrannten ihm die Lunge. Der Gestank von verbranntem Fleisch stieg ihm in die Nase, während er mit schweißnassen Händen über das Gesicht fuhr.
 

Er war ein braver Junge. Er machte das, was man ihm sagte. Noch nie hatte er einen Befehl missachtet. Noch nie hatte er sich gegen eine Aufgabe gesträubt. Doch Marco musste sich eingestehen, dass er gegen die Bürden dieser Welt nicht gewachsen war. Mittlerweile war es egal welchen Weg er einschlug um das Richtige zu machen, letzten Endes scheiterte er daran. Hörbar zog Marco die Nase noch, wischte sie kraftlos an seinem Handgelenk ab. Er musste sich zusammenreißen. Doch sein glühender Kopf ließ es ihm schwerfallen einen halbwegs klaren Gedanken zu fassen.
 

Erinnerungen vermischten sich mit Tatsachen.
 

Tatsachen wiederum mit Gegebenheiten.
 

Gegebenheiten mit Vermutungen.
 

Und Vermutungen mit den tiefsten Abgründen seiner Selbst, die er nicht mehr beherrschen konnte.
 


 

Der Dominator in seiner Hand fühlte sich kalt und rau an. Marco verstand bis heute nicht die Sondergenehmigung, die er damals vor zwei Jahren von Zackly erhalten hatte, dass er seinen Dominator bei sich tragen dürfte. Meistens machte Marco keinen Gebrauch davon. Er hielt sich wie alle anderen auch an die Regelung, dass jeder seine Dienstwaffe im Carrier ließ. Nur manchmal, wenn er nicht allein in seiner Wohnung sein wollte, nahm er die Waffe mit. Nicht aus Angst, dass jemand bei ihm einbrechen könnte, sondern weil er die Anwesenheit von Sibyls Stimme genoss. Er mochte die Gespräche mit dem System. Auch wenn es nur eine elektronische Stimme war, die ihm antwortete, hatte er zumindest das Gefühl mit jemandem reden zu können, der ihn nicht für seine Äußerungen verurteilte.
 

„Ich möchte dir eine Frage stellen, Sibyl.“
 

Bitte, Sir“, antwortete Sibyl endlich mit elektronischer Höflichkeit. Er musste sich mehrfach räuspern um den rauen Klang seiner Stimme loszuwerden.
 

„Bin ich ein Monster?“
 

Sir, Sie haben mir diese Frage schon oft gestellt“, erinnerte Sibyl ihn mit warmherziger, dennoch gefühlskalter Stimme. „Ich kann Ihren Psycho-Pass nicht als latent einstufen.
 

Marco hob seinen Blick und starrte auf den Schriftzug, der mit schwarzer Farbe an der gegenüberliegenden Wand geschmiert stand.
 

„Warum verdunkelt er sich nicht“, las er leise vor.
 

Die Erkenntnis darüber traf ihn plötzlich, wie eine Wurzelbehandlung ohne Betäubung. Marco rappelte sich an der Wand hoch, als hätte er endlich Halt an der rettenden Klippe gefasst. Auf einmal wusste er warum. Die Antwort dazu war die ganze Zeit vor seinen Augen, doch seine Angst sie zu erkennen war größer gewesen. Wankend taumelte er durch den Raum. Ergriffen von dem Adrenalin der Wahrheit, das sich durch seine Adern pumpte. Er lachte dünn, als er zu dem Farbeimer griff und den Pinsel eintauchte. Während er die ausgefransten, verbogenen Borsten an der Wand ansetzte, fiel eine Last der Jahrhunderte ab. Freiheit durchströmte ihn, als er den Pinsel bewegte. Das Lachen, das dabei aus seiner Kehle drang, erfüllte die Luft wie das Donnern eines schweren Gewitters.
 

Warum war er nicht früher darauf gekommen? Es hätte alles so leicht sein können, doch der erste Schritt in die richtige Richtung war bekanntlich immer schwer. Sie würden den Mörder nicht finden, bevor er sich nicht selbst gefunden hatte.
 

Erschöpft und außer Atem trat er von der Wand zurück, um sein Werk zu betrachten. Die beiden Schriften vermischten sich miteinander, sodass sie für das menschliche Auge nicht auseinander zu halten waren. Nur Marco konnte es lesen.
 

Mit großen Lettern hatte er die Frage verunstaltet und endlich stand er den Worten gegenüber, die alles beantworteten: Ich habe sie umgebracht. Alle. Und ich werde es wieder tun.
 

Der kleine Lackeimer glitt ihm aus den Fingern, doch Marco kümmerte sich nicht darum wie sich die Farbe auf seinem Fußboden verteilte. Sibyl würde sich schon darum kümmern, die Ausmaße seines gebrochenen Daseins zu beseitigen. Er hob sein Handgelenk und schaute auf die Uhr, die ihm das Wristcom anzeigte. Es war Zeit zurück zur Arbeit zu gehen.

Solemn Vow

Der Kaffee schmeckte fürchterlich. Ergeben betrachtete Eren die schwarze Flüssigkeit im Becher, der seine Hand wärmte. Seine Beine fühlten sich zittrig an, als wäre er einen Marathon gelaufen anstatt die ganze Nacht wach gewesen zu sein. Vage konnte er sich daran erinnern, dass er irgendwann zwischen zwei Uhr und fünf Uhr morgens eingeschlafen sein musste. Seine Wange schmerzte immer noch von den Tasten der Tastatur, auf welcher er gelegen hatte ohne es zu merken. Schwerfällig rieb er sich die Augen und wandte sich von dem Automaten ab. Langsam kehrte im Gebäude die alltägliche Hektik ein. Eren sah nicht weniger zerrupft aus, als all die Mitarbeiter die gerade von der Nachtschicht nach Hause gingen. Sehnsüchtig schaute er ihnen hinterher. Fast konnte er sich nicht mehr daran erinnern, wann er das letzte Mal in seinem eigenen Bett geschlafen hatte. Eren ertränkte sein neidisches Seufzen mit einem weiteren Schluck Kaffee. Sein Gesicht schnitt eine Grimasse, denn der Kaffee hatte keinen besseren Geschmack bekommen. Er massierte sich mit der freien Hand seine Schläfen.
 

Er wurde das Gefühl nicht los, dass sie in ihrer Arbeit stagnierten. Sie mussten einen Mörder finden, doch seit Levi hier war, geriet alles aus den Fugen. Der Signalton seines Wristcoms ließ ihn zusammen zucken. Hastig hob Eren sein Handgelenk, doch die Hoffnung endlich die erlösende Nachricht von Hanji zu bekommen, dass Marco von der Krankenstation zurück war, erlosch sofort. Das Gerät meldete ihm lediglich, dass sich ein weiterer Enforcer in das System im Büro eingeloggt hatte. Selbst wenn der Mörder sich mit einem weiteren Präsent meldete und ihnen vor die Nase hielt, dass sie ihm nicht auf der Spur waren, konnten sie nicht ausrücken. Ohne Marco hatten sie keine Chance eine Erlaubnis für den Transporter zu bekommen. Und Eren glaubte nicht, dass ein anderer Inspector sich bereit erklären würde Marcos Position zu übernehmen. In diesem Fall ging es um etwas Persönliches und Marco wusste dies.
 

Warum ließ sich Marco derartig aus der Bahn werfen? Er war ein erfahrener Inspector, wenn auch ein junger. Eren musste sich an die unzähligen Einträge in der Datenbank erinnern und sie zeugten davon, dass Marco eine Vielzahl von Fällen bearbeitet hatte, als Jean noch Junior Inspector gewesen war. Seit dem Tag, für welches Eren noch immer kein genaues Datum herausgefunden hatte, waren die Fälle jedoch weniger geworden. Acht Monate lang waren keine neuen Einträge im System datiert worden. Eren wollte wissen was in dieser Zeit passiert war. Nein, er musste. Anders konnte er nicht herausfinden, was für ein Spiel hier gespielt wurde. Sein Vorgesetzter war dabei ihn in der eben gleichen Position zurückzulassen, in welcher sich die Division 1 schon einmal befunden hatte.
 

Eren leerte den Becher mit wenigen Zügen und warf ihn in den Mülleimer neben sich. Gerade als er den Klingelknopf des Fahrstuhls betätigen wollte, hielt er inne. Mit leerem Blick starrte er auf die Etagenanzeige, die direkt daneben angebracht war. Erst jetzt wurde er sich der Zeichen bewusst, die er zuvor ignoriert hatte. Sie kannten die Frage. Sie kannten die Herausforderung, der sie sich stellten. Sie wussten, dass jemand hinter Marco her war und anscheinend erfolgreich seinem Plan nachging. Im Verborgenen und trotzdem direkt vor ihren Augen. Sie ließen sich freiwillig an der Nase herumführen, weil Marcos Zustand sich vor dem eigentlichen ablenkte. Der Mörder wollte ihnen die ganze Zeit ein Mahnmal für etwas setzen, doch sie waren unfähig es zu erkennen.
 

Noch einmal öffnete er in seinem Wristcom die Log-In Daten der Enforcer. Levi war noch nicht im Büro. Hektisch betätigte Eren den Klingelknopf und stürmte in den Fahrstuhl, als dieser bei ihm ankam.
 

Mittlerweile war er sich sicher, dass diese Patientenakte etwas damit zu tun haben musste. Dieser Serienmörder spielte auf etwas an, das zwischen dem Senior Inspector und Levi vorgefallen sein musste. Eren wusste davon, auch wenn er die Details nicht kannte. Levi war dafür verantwortlich wie Marco nun war, doch was hatte dieser getan, dass sein Vorgesetzter eine derartig klaffende Wunde in sich trug? Der Mörder wollte nicht gefunden werden. Die Leichen, die Tatorte – Das alles waren nur der Köder, um Marco aus der Reserve zu locken.
 

Eren musste sich zurückhalten nicht zu rennen, als der Fahrstuhl auf ihrer Etage ankam und die Türen mit einem leisen Zischen auseinander glitten. Mit weiten Schritten schnellte er zu ihrem Büro. Petra war die erste, die seine Ankunft wahrnahm, als er geräuschvoll die Glastür hinter sich schloss.
 

„Was ist los?“, fragte die Rothaarige, die sich von ihrem Computer abgewandt hatte und zu Eren aufblickte, der noch einmal den Flur zu beiden Seiten hinunter blickte, um sich zu vergewissern, dass niemand sie stören würde.
 

„Ich muss wissen, was zwischen Marco und Levi vorgefallen ist.“
 

„Darüber reden wir nicht!“, antwortete Jean hastig, aber bestimmt. Eren schaute den Enforcer an, der ihm mit verschränkten Armen gegenüber saß. Er verstand nicht, warum Niemand auch nur ein Sterbenswort darüber verlor. Die Hinweise in den vergangenen Tagen waren zu eindeutig gewesen, anstatt dass er sie ignorieren oder als eine Nichtigkeit abtun könnte. Forschend schaute Eren in die Runde. Während alle seinem Blick auswichen, schaute Petra sorgenvoll zurück. Sie wollte etwas sagen, doch Jean unterbrach sie mit einer harschen Geste.
 

„Wir verlieren unsere Zeit, Jean! Ich muss die Wahrheit wissen“, drängte Eren weiter. Wenn er nicht bald erfahren würde, was dieses Team so im Mark erschüttert hatte, konnte er der Division 1 nicht länger eine Unterstützung sein. Marco war am Ende seiner Kräfte, das wussten sie alle, und doch saßen alle auf diesem Geheimnis wie ein Drache auf seinem Goldschatz.
 

„Und ich habe dir gesagt, dass wir darüber nicht reden. Vor allem nicht mit dir!“
 

„Willst du deinen besten Freund retten oder nicht?“, stieß Eren aufgebracht aus. Jean fuhr zusammen.
 

„Das geht dich nichts an!“, brüllte Jean, der aus seinem Drehstuhl aufsprang. Es war nur eine Bestätigung dafür, dass Eren den Kernpunkt der Geschichte erreicht hatte.
 

„Jean, bitte.“ Es war Petra, die die Hände streitschlichtend anhob und mit fast einem Flehen in ihrer Stimme den Enforcer zur Besinnung zu bringen versuchte. Jean schüttelte mit dem Kopf.
 

„Kommt nicht in Frage!“ Für einen kurzen Moment konnte Eren sehen wie die Lippen des Anderen sich zu einem Lächeln verzogen. Es war voller Bitterkeit, als erinnerte er sich ungewollt an etwas Schmerzvolles. „Du willst das ehrlich noch einmal durchleben, Petra? Willst dich wirklich wieder daran erinnern, was Levi ihm angetan hat?“
 

„Rede nicht so eine Scheiße, Jean! Du bist nicht der Einzige, der sich wünscht, alles rückgängig machen zu können!“
 

„Was angetan?“, schaltete sich Eren dazwischen, dessen Herz zu hämmern begann.
 

„Hör auf deine Nase in alles reinzustecken, Kleiner!“, schnauzte Jean.
 

„Es steht alles hier drin.“ Mikes ruhige Stimme, die plötzlich neben ihm auftauchte, ließ Eren zusammen fahren. Erst starrte er den Mann an, dann die Akte, welche ihm entgegen gehalten wurde. Jean schnalzte mit der Zunge und warf frustriert die Hände in die Luft, eh er sich abwandte und in den Drehstuhl fallen ließ. Vorsichtig, als könne die längst vergilbte Akte in seinen Händen zu Staub zerfallen, nahm Eren sie entgegen. Die Beschriftung, welche er studierte, würde er in seinem Leben wohl nie vergessen. Schon einmal war er auf diesen Begriff gestoßen, doch er hatte sie fast für etwas wie ein Gerücht gehalten. Eine Legende. Wie einer Schauergeschichte, die man sich bei Kerzenschein mit Freunden erzählte.
 

Patientenakte m.5-7-8
 

Die Akte glitt ihm fast aus den Fingern, als Eren jegliche Kraft aus seinen Händen verlor.
 

„Ich dachte, alle Berichte wären vernichtet worden“, gab er entgeistert von sich. Mike nickte nur. Eren konnte den Blick des Größeren nicht einschätzen, doch etwas Bettelndes lag in Mikes Augen. Tatsächlich brauchte er einen Moment, um verstehen, was der Enforcer von ihm wollte. Aus der Tasche seines Jacketts zog Eren ein Bonbon und reichte es dem Hünen. Eigentlich war es für sich selbst gedacht gewesen, doch er musste sich daran erinnern, was er über Mike gehört hatte und anscheinend hatte der Mann lediglich auf eine Belohnung gewartet.
 

„Sind sie auch. Bis auf diese hier“, erklärte Petra derweil widerwillig. „Sibyl hat das ganze System bereinigt, was diesen Vorfall angeht. Sogar die gesamten Backups aus der Zeit wurden gelöscht. Die Akte ist das Letzte, was wir retten konnten. Nicht einmal Marco weiß, dass wir sie haben.“
 

„Und davon darf er auch niemals erfahren“, fügte Jean leise hinzu, welcher vorgebeugt im Drehstuhl saß und ergeben zu Boden blickte.
 

„Du hast Angst, Marco könnte etwas mit den Morden zu tun haben, richtig?“, sagte Eren, wieder mit gefasster Stimme. Jean antwortete ihm nicht, stattdessen knetete nervös seine Hände.
 

„Das haben wir alle“, gestand Petra ehrlich.
 

„Aber das wäre unmöglich“, versuchte sich Jean zu retten und vergrub seufzend das Gesicht in seinen Händen.
 

„So unmöglich wäre das gar nicht.“ Nur langsam äußerte Petra ihre Vermutung. „Ich meine, was machen wir, wenn Levi Recht hat?“ Augenblicklich gewann sie Jeans Aufmerksamkeit zurück.
 

„Was willst du damit sagen?“
 

„Gehen wir diesen Gedanken doch einmal durch“, begann sie vorsichtig und schaute zu Mike, der ihr mit gleichem Interesse zuhörte, „Ich möchte keinen Verdacht aussprechen, aber… Es wäre doch plausibel, oder nicht? Als wir die erste Leiche gefunden haben, wollte Marco den Tatort nicht sehen.“
 

„Weil er mir vertraut hat, Petra. Wir waren Partner“, schaltete sich Jean ernüchternd dazwischen. Die Rothaarige hob sachte die Hände, um ihn zu beschwichtigen.
 

„Vielleicht wollte er dich das glauben lassen. Vielleicht aber hatte er nur vergessen so zu tun, als kenne er diesen Ort gar nicht? Jean, ich bitte dich. Die Richtlinien sagen klipp und klar, dass der Senior Inspector den Tatort gesehen haben muss. Ich weiß nicht, was für Hebel Marco da bei Zackly in Bewegung gesetzt hat, um damit durchzukommen!“
 

„Wir sind die Division 1, Petra. Wir haben Sonderrechte“, entgegnete Jean vollkommen kraftlos, als müsste er die Anschuldigungen über sich selbst ergehen lassen.
 

„Komm endlich zur Besinnung!“ Nun war es Petra, die ihre Stimme erhob. „Scheiße! Stell dir doch nur einmal vor, dass Marco all das hier inszeniert hat, damit er die Genehmigung bekommt um Levi zurückzuholen! Was hat Levi getan, seit er hier ist? Ich kann es dir sagen, Jean! Gar nichts! Aber mittlerweile glaube ich, Marco wollte ihn nur aus der Facility rausholen, damit er sich endlich rächen kann!“
 

Jean lachte entrüstet auf und schüttelte seinen Kopf, während Eren die beiden betrachtete. Petra fluchte lautstark und schlug mit geballter Faust gegen Mikes Schulter, um ihre überkochende Wut irgendwo zu entladen. Der Hüne bewegte sich keinen Zentimeter, als der Schlag ihn traf. Beruhigend legte er stattdessen seine Hände auf die Schultern der viel kleineren Frau, die schweratmend versuchte ihren Zorn zu kontrollieren. Die Papierakte begann in Erens schwitzenden Händen allmählich feucht zu werden. Nervös wischte er sich eine nach der anderen an seinen Hosenbeinen ab.
 

„Jean.“ Der Angesprochene war gerade dabei sich eine Zigarette anzuzünden und würdigte Eren nur eines kurzen Seitenblickes.
 

„Was sagt denn unser Junior Inspector dazu?“, fragte Jean gereizt, noch bevor Eren weiterreden konnte. Die glimmende Zigarette zwischen seinen Lippen, verzerrte dabei dumpf seine Worte.
 

„Ich kann Petras Verdacht nicht bestätigen“, sagte Eren nach kurzem Abwägen, „aber ich kann ihn auch nicht ausschließen. Deshalb muss ich erst wissen, was wirklich passiert ist.“
 

Langsam klappte Eren die Akte auf und begann zu lesen.
 

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„Marco! Bleib bei mir! Marco!“
 

Es war die Stimme seines besten Freundes, die versuchte sein Gehör zu erlangen. Er konnte sie klar und deutlich hören, aber sie konnte nicht verdrängen was in seinem Kopf ablief. Der Mann ihm gegenüber, der seine Fesseln löste, flehte ihn immer wieder an. Unentwegt redete dieser auf ihn ein, schlug sachte auf seine Wange oder rüttelte energisch an seiner Schulter. Sein bester Freund tat alles, um ihn bei Bewusstsein zu halten. Doch für ihn gab es keinen Grund mehr. Er wusste, dass dieses Leben ein Ende nehmen würde. Wenn sein Herz aufhören würde zu schlagen, konnte er endlich alles vergessen, was ihm wiederfahren war.
 

„Du musst bei mir bleiben! Ich hol dich hier raus, ich verspreche es dir! Aber mach nicht die Augen zu, Marco!“
 

Die Verzweiflung, mit der der Andere ihn ansprach, wollte ihn zum Lachen bringen, doch seine Muskeln waren nicht mehr fähig sich zu bewegen. Marco wollte den Namen des Anderen sagen. Ihn wispern. Irgendein Zeichen geben, dass er verstanden hatte, auch wenn er nicht wollte, doch sein trockener Mund und seine rissige Kehle wollten ihm nicht gehorchen. In seinen Ohren dröhnten die Schreie, die er unter höchster Pein von sich gelassen hatte. Sie hüllten ihn in Watte. Und die Wärme, die sich in seinem sterbenden Körper ausbreitete, wollte nach ihm greifen. Ihn in die Tiefen der Dunkelheit ziehen.
 

Doch mit einmal riss er seine Augen wieder auf, als die Erkenntnis in seinen Synapsen einschlug und ihn mit unbarmherziger Grausamkeit an die Realität erinnerte. Er konnte nicht in der Dunkelheit verschwinden. Er konnte sich nicht von ihr locken und holen lassen – Denn er war all die Zeit längst in ihr gefangen gewesen.

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]



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Kommentare zu dieser Fanfic (10)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Christinatheresa
2017-02-06T21:07:54+00:00 06.02.2017 22:07
Wie ich diese fanfic liebe *.*
Wird sie jemals fortgesetzt?
Von:  Xiarr
2016-06-02T09:41:15+00:00 02.06.2016 11:41
Ich hab Psycho Pass zwar noch nicht gelesen, aber finde das atm gar nicht mal so schlimm ^^ hab gerade alles durchgelesen und finde diese fic richtig fesselnd und sehr spannend... freue mich schon sehr darauf wie's weiter geht :3
Hab ja keine Ahnung, wie die Charaktere aus pp so drauf sind aber mit dem snk-Cast kommt das alles richtig gut.... finde Levi und Eren besonders gut charaktertechnisch getroffen, Levi ist ja eh ne Naturgewalt und deshalb finde ich seine Art (bis jetzt, weiß ja nicht was noch kommt^^) perrrrrfekt und einfach nur hammer. *-*
Kurz gesagt, tolle fic, weiter so, werde definitiv weiter lesen und danke fürs posten :3

LG
Antwort von:  Nagakami
08.06.2016 05:20
Erst einmal ein großes Danke sehr dafür, dass dir die Fanfiction so gut gefällt, obwohl du Psycho-Pass nicht gelesen/gesehen hast *-* Das zeugt nur davon, dass ich eine gute Arbeit gemacht habe! Es war meine Intention es so zu schreiben, dass Non-Psycho-Pass-Fans es auch verstehen würden.
Viel Spaß beim weiteren Lesen!

Lieben Gruß,
Kami
Von:  SasuLaw25
2016-05-24T17:46:08+00:00 24.05.2016 19:46
Hui es bleibt spannend. Ich liebe diese ff und hoffe das sie noch lange anhält.
Lg
Antwort von:  Nagakami
28.05.2016 08:20
Danke sehr für dein positives Feedback, das freut mich wirklich sehr!
Und auch dafür, dass du immer so fleißig bei mir mitliest :)

Gruß, Kami
Von:  SasuLaw25
2016-05-08T09:01:01+00:00 08.05.2016 11:01
Okay das hätte ich jetzt nicht erwartet von Marco. Genau so wie die Sache mit Levi ich denke mal nicht das er Eren's cc so schnell trüben kann. Mal sehen wie es weiter geht
Lg
Von: abgemeldet
2015-05-04T14:42:25+00:00 04.05.2015 16:42
Yaaahhhh es geht weiter =D
Das erste Kapital war toll. Freue mich schon wie es weiter geht. *freu*

LG^^Alien^^
Von:  T0HYA
2015-05-03T12:55:13+00:00 03.05.2015 14:55
Ganz ehrlich: wenn ich nicht schon wuesste, wie es weitergeht, waere ich soeben vor meinem Computer vor vollendetem Rage Modus ausgetickt, und haette ich dich imaginaer angebruellt um zu wissen wie es weitergeht XD'
Aber auch wenn ich im Groben weiß, wie es weitergeht, will ich es recht bald aus deiner Feder lesen koennen. Deshalb; schneller hinne mache und niemanden auf die Folter spannen! :3~
Fuehl dich gedrueckt und umarmt~ !
Von:  UmiRella
2015-05-03T10:08:40+00:00 03.05.2015 12:08
Also zu erst einmal: Guten Morgen meine Liebe! (ja ich weiß es nicht mehr morgen verdammt ><)

All in all; dein Prolog macht neugierig. Ziemlich neugierig.
Wenn man beide Animes (vielleicht auch zusätzlich den Manga), kennt, wird man mit der Besetzung, die du für den Prolog gewählt hast, zufrieden sein (ich zumindest *g*). Es passt einfach wie die Faust aufs Auge und ich bin gespannt, wen du noch in den Kapiteln alles erscheinen lässt ^-^
Spannung wird hier ebenfalls schön aufgebaut und bildet eine schräge nach oben ins unendliche, also schreib schnell weiter und gib mir Futttttttttteeeeeerrrrr!!! XD

Liebe Grüße und einen großen Motivationskeks !
Nana
Antwort von:  Nagakami
03.05.2015 13:10
Guten Mittag, die Dame! xD

Danke sehr <3 Du hast ja noch die Rohfassung zu Gesicht bekommen und mir damals schon gesagt, dass sie dir sehr gefällt. Aber es freut mich immer wieder aufs Neue ^-^
Ahahaha, das sagt die Richtige! xD Im Prinzip weißt du doch fast alles über die Story, du Doofkopf!

Und danke fürs Fehler suchen <3
Von: abgemeldet
2015-05-03T09:54:47+00:00 03.05.2015 11:54
Ein super Anfang.

LG^^Alien^^
Antwort von:  Nagakami
03.05.2015 11:55
Danke sehr :) Ich hoffe, es wird dir auch weiterhin gefallen!
Antwort von: abgemeldet
03.05.2015 11:56
Ganz bestimmt. =3 ich liebe die Animeserien Attack on Titan und Physo Pass *-*
Antwort von:  Nagakami
03.05.2015 12:00
Das freut mich! Ich hatte schon Angst, dass Crossover wird hier keine Begeisterung finden x'D
Antwort von: abgemeldet
03.05.2015 12:01
Ach was ... es hört sich ziemlich spannend und vielversprechend an ;)


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