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Die vergessene Kommandantin

Memoiren der Akari
von

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Der Tag an dem wir uns trafen

Ich erinnere mich noch gut an diesen Tag. Es war heiß, die Sonne brannte auf meiner blassen Haut und nur eine leichte Brise zog am Saum meines Rockes.
 

Ich folgte dem üblichen Weg nach Hause und in meiner Hand hielt ich das Ergebnis meiner Mühen: einen Hut.

Dieser Hut, der mich noch so lange verfolgen würde.
 

Ich hatte ihn in der Hauswirtschaftsstunde hergestellt. Die Aufgabe war ein Accessoire entstehen zu lassen. Was auch immer wir wollten: eine Kette, ein Haarband, Armbänder, Schleifen, bestickte Kissen ... die meisten Mädchen in dem Kurs hatten an all solchem Kitsch gewerkelt, nur ich nicht. Ich hatte genug von pinken Haarschleifen, Ketten voller Glitzersteine und falschen Perlen. Nicht, weil ich mich anders fühlte, als die anderen jungen Mädchen in meiner Klasse. Nein auch ich trug hin und wieder die Farbe pink und mochte meine funkelnde Halskette, die meine Mutter mir geschenkt hatte. Doch die Art wie unser Lehrer uns in immer dieselbe Richtung drängte, erweckte etwas in mir. Ein Gefühl von Rebellion.
 

Also hatte ich einen Hut genäht.
 

Zugegeben, die Farbkombination Grün und Weiß war nicht besonders hübsch und er war auch eigentlich viel zu groß für meinen Kopf, aber es sah immerhin aus wie ein Hut.
 

Ich hatte alle Lacher auf meiner Seite. Selbst die Jungs aus unserer Klasse hatten es mitbekommen und im Gang tuschelnd auf meinen Hut gezeigt. Der Unterricht nervte mich von Tag zu Tag mehr. Schon seit drei Jahren besuchte ich nun die Benimmschule. Sie befand sich in Seireitei und nur die Söhne und Töchter der Reichen und Adeligen besuchten sie.

Ich marschierte den Weg weiter, meinen Hut betrachtend. Er war nicht hässlich, nur eben auch nicht besonders schick oder elegant.
 

Er war eher für Jungs.

Für Jungs mit einem seltsamen Geschmack.
 

Seufzend blickte ich auf und ein Schmerz durchfuhr mich. Ein Körper prallte ungebremst gegen mich. Ich war so vertieft in den Hut gewesen, dass ich den heranrasenden Jungen nicht bemerkt hatte und wurde sogleich bestraft.
 

Das gibt eine Beule, dachte ich grimmig.
 

Auch er musste abgelenkt gewesen sein.
 

„’Tschuldigung“, murmelte er und blickte sich ängstlich um.
 

Ich wollte gerade anfangen, ihn gerade fragen, ob er seine Augen nur als Zierde hatte, als ich seinen verzweifelten Blick bemerkte:
 

„Bitte, hilf mir! Zwei brutale Schläger verfolgen mich“, sagte er leise und ich bemerkte die Panik in seiner Stimme.

Da hörte ich auch schon Schritte näherkommen. Rechts, links, keine Möglichkeit eines Versteckes. Was dachte er, wer ich war? Merlin, dass ich ihn verschwinden lassen konnte? Doch als ich die Typen um die Ecke biegen sah, reagierte ich ohne richtig darüber nachzudenken.
 

„Hey ihr beiden, habt ihr den Urahara-Bengel gesehen?“, fragte ein grobschlächtiger Typ, der einen schwarzen Bartflaum über seiner Oberlippe hatte. Der Junge, dessen Gesicht nun unter meinem großen grün und weiß gestreiften Hut versteckt war, schüttelte lediglich den Kopf, ich versuchte nachdenklich zu wirken.
 

„Urahara? Ungefähr so groß, blonde Haare?“, fragte ich und die beiden nickten euphorisch.
 

„Ja genau der!“
 

„Ist in die Richtung!“, antwortete ich und sie rannten in die Richtung, in die mein Finger zeigte.
 

Zufällig kannte ich mich in dieser Gegend etwas aus und wusste, dass sie eine sehr lange Zeit geradeaus laufen würden, bevor sie merkten, dass sie Seireitei verließen.
 

Erst als sie aus Sichtweite waren, seufzte der Junge, scheinbar Urahara, erleichtert auf und zog den Hut vom Kopf: „Dankeschön“, sagte er und hielt ihn mir hin.
 

„Behalt ihn, mir steht er sowieso nicht“, antwortete ich und ging davon. Doch ich hörte schon bald seine trappelnden Schritte und er hatte mich im Nu wieder eingeholt.
 

„Also ... ich bin Kisuke Urahara“, stellte er sich vor und über sein Gesicht huschte ein Lächeln. Ich überlegte einen Moment, eigentlich hatte ich keine besondere Lust mich zu unterhalten. Der miese Schultag hatte meine Laune ordentlich getrübt, doch ich entschied, meinen Unmut nicht an diesem Jungen auszulassen.
 

„Akari Miyazaki“, nannte ich ihm meinen Namen.
 

Er wanderte still neben mir her.
 

„Also dann ... vielen Dank noch einmal, Akari.“
 

Ich nickte, sagte jedoch nichts, bis ich merkte, dass er mich beobachtete.
 

„Was ist?“, fragte ich ihn nun etwas irritiert, doch er zuckte mit den Achseln.
 

„Interessiert es dich gar nicht, warum die mich verfolgt haben?“, fragte er und ich runzelte die Stirn. Ehrlich gesagt hatte ich darüber nicht nachgedacht, da ich in Gedanken noch zu sehr mit mir selbst beschäftigt war, doch jetzt, da er es erwähnte, wurde ich neugierig und sah ihn erwartungsvoll an.
 

„Weißt du, die Typen halten sich für etwas Besseres. Sind gemein zu jedem der kleiner und schwächer ist als sie. Sie geben immer damit an, dass sie bald auf die Shinigami-Akademie aufgenommen werden, weil ihre Eltern Verbindungen haben ... Ich wollte ihnen mal zeigen, wie toll und mutig sie wirklich sind ... Wollte ihnen eine Lektion erteilen und habe ihnen deshalb einen Hollow in ihr Schlafzimmer gesetzt.“
 

Jetzt war ich doch stutzig.
 

„Du hast ein WAS?“, fragte ich und merkte erst nach einer Weile, dass ich stehen geblieben war. Doch Kisuke kicherte nur amüsiert.
 

„Natürlich keinen echten Hollow. Wo sollte ich den denn herbekommen, geschweige denn ihn dazu zu bringen das zu tun, was ich von ihm möchte? Ich habe eine neue Erfindung, die ich Illusionsmeister nenne. Kann einem jedes mögliche Bild vorgaukeln, leider ist es aber auch sehr leicht zu durchschauen. Nachdem sie sich also fast in die Hosen gemacht haben, haben sie realisiert, dass sie hereingelegt wurden.“
 

Ich lachte leise auf und schüttelte etwas ungläubig den Kopf.
 

„Und natürlich wussten sie, dass du es warst?“
 

Kisuke zuckte erneut mit den Achseln.
 

„Gibt nicht sehr viele komische Vögel wie mich, die gern an Erfindungen herumtüfteln“, murmelte er und wir gingen eine Weile stumm nebeneinanderher. Seine Geschichte hatte meine Laune deutlich angehoben.
 

„Scheinbar amüsiert dich meine Geschichte“, stellte nun auch Kisuke fest und ich warf ihm ein schelmisches Grinsen zu.

„Ja und es ist schon süß, wie du dich über so einen albernen Streich freust“, sagte ich und war erstaunt, dass ihn diese Worte schon fast schüchtern werden ließen. Sein Gesicht lief rot an und ich tat, als ob ich dies nicht merkte. Meine Mutter hatte mich schon mehrmals ermahnt, dass ich die Leute zu oft in Verlegenheit brachte.
 

Plötzlich sah Kisuke erschrocken auf, die Sonne stand bereits schräg und der Himmel hatte sich orange verfärbt.
 

„Oh ich sollte mich beeilen. Weißt du, ich komme aus Rukongai und dürfte gar nicht hier drinnen sein“, gestand er und ich warf ein Blick auf eines der Tore.
 

Es war eine friedliche Zeit, weshalb sie tagsüber oft lange unbewacht offen standen. Doch nachts wurden sie stets geschlossen.

„Dann beeil dich lieber“, riet ich ihm.
 

Er dankte mir und rannte los. Ich wollte gerade in eine Gasse einbiegen, als ich erneut Schritte auf mich zu rennen hörte.

„Ach Akari!“ Kisuke kam atemlos vor mir schlitternd zum Stehen.
 

„Du hast ein großes Reiatsu... Wirst du auf die Shinigami-Akademie gehen?“, fragte er keuchend und ich musste erneut grinsen.

„Natürlich! Sobald ich die Zulassung habe hält mich nichts mehr davon ab“, erklärte ich und Kisuke schenkte mir sein frechstes Grinsen.
 

„Dann sehen wir uns spätestens dort wieder.“

Die Shinigami-Akademie

Das Jahr verging langsamer als jedes vorherige.
 

Etwa zwei Wochen nach meiner Begegnung mit Kisuke Urahara begann der Herbst und während ich die Vormittage damit verbrachte zu lernen, mich wie eine anständige Adlige zu benehmen, nutzte ich die Nachmittage fürs Kampftraining.
 

Schon viele Jahre bereitete ich mich auf die Shinigami-Akademie vor und war überzeugt, meine spirituellen Fähigkeiten reichten seit langem aus, um angenommen zu werden.
 

Wäre da nicht ein kleiner Haken: Ich war eine SoulBorn.
 

Eine Seele, die in der Soul Society geboren worden war. Einerseits gehörte ich damit zum Adel, was mir viele Privilegien verschaffte, andererseits galten für uns SoulBorn auch gewisse andere Regularien, als für die Seelen, die aus der Welt der Lebenden zu uns kamen.
 

Erst ab einem Alter von 16 Jahren durften wir selbstbestimmt an die Akademie gehen. Waren wir jünger, brauchten wir die Erlaubnis unserer Eltern. Ätzend.
 

Jede Seele, die in Rukongai lebte und ein Reiatsu hatte, das auch nur halb so stark war wie meins, würde sofort angenommen werden. Ihre spirituellen Kräfte würden den anderen Seelen, um sie herum Schaden zufügen. Ich hingegen war als Bewohnerin Seireteis umgeben von starken Seelen, denen mein Reiatsu absolut kein Haar krümmte.
 

Also wartete Jahr um Jahr auf die Erlaubnis meiner Mutter.
 

Manchmal wünschte ich mir, meine Energien wären so gewaltig, dass ich selbst hier als Gefahr eingestuft würde und meiner Mutter so keine Wahl blieb, als mich gehen zu lassen.
 

Der Wunsch, endlich die Benimmschule hinter mir zu lassen und zum Shinigami ausgebildet zu werden, war in den letzten Jahren so stark geworden, dass ich an nichts anderes denken konnte.
 

Es war ein sonniger Herbsttag, als ich durch die Gänge der Benimmschule schlurfte, auf der Suche nach meinem Bruder.
 

Yamachi war zwei Jahre älter als ich und repräsentierte all das, was unsere Familie erwartete: Stolz, Eleganz, Etikette, kurzum alles, was ich nicht war.
 

Ich fand ihn vor seinem Klassenraum, tief in ein Gespräch mit einigen Gleichaltrigen vertieft. Sie alle stammten aus Adelshäusern, mit denen unsere Familie zu tun hatte. Ich kannte die meisten Gesichter, doch nur die wenigsten von ihnen kannten meines.
 

„Yamachi, kann ich dich kurz sprechen?“
 

Einen Moment lang war es still, seine Freunde starrten mich an, als trüge ich irgendeine Art von seltsamem Kopfschmuck.
 

Yamachi nickte schließlich.
 

„Entschuldigt mich“, sagte er leise und folgte mir, mein Blick fiel erneut auf die düster dreinblickende Gruppe.
 

Der Einzige, der ein leichtes Grinsen auf den Lippen hatte, war Byakuya Kuchiki.
 

Er war unser Nachbar und einer der wenigen, der überhaupt wusste, dass ich zur Familie Miyazaki gehörte.

Außerdem war er mein bester Freund.
 

Yamachi zog die Augenbrauen hoch und lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf sich.
 

„Wenn du weiter so unbeschwert leben willst, solltest du nicht so familiär mit mir sein“, murmelte er und ich seufzte genervt auf.
 

Er hatte Recht, ich war diejenige, die es sich so gewünscht hatte. Unserer Mutter gefiel dies zwar nicht besonders, aber sie konnte mich verstehen. Auch sie hielt oft nichts von den umständlichen Umgangsformen des Adels, doch hatte sie es geschafft, sich zumindest nach außen hin anzupassen. Mir fiel es deutlich schwerer, mich in diese Reihen einzufügen. Ich konnte einfach nicht verstehen, warum die Adelsfamilien sich so sehr an solche Oberflächlichkeiten klammerten. Insgeheim bezeichnete ich sie alles als Snobs. Sogar meinen Bruder, er war wahrscheinlich der größte aller Snobs.
 

„Du bist nun einmal mein Bruder“, murmelte ich und er blieb neben mir stehen.
 

„Ja und ich weiß das. Aber die wissen es nicht und wenn du dich weiterhin wie ein Elefant im Porzellanladen benehmen willst, dann sollten sie das auch nicht herausfinden. Du weißt, dass sie sonst alles an dir analysieren würde, von deiner Frisur bis hin zu deinem unanständigen Benehmen – und all das würde auf unsere Familie zurückfallen!“
 

Yamachi hatte die Fähigkeit, mich auszuschimpfen, ohne dass es sich so anfühlte. Ich konnte ihn dabei einfach nicht wirklich ernst nehmen und rollte nur mit den Augen. Ich wusste, dass er nicht immer so war. Eigentlich nur hier in der Schule, vor den Augen der Anderen.
 

„Schon gut, schon gut, ich spreche dich nur noch in dunklen Gassen an“, murrte ich also sarkastisch und bevor er mich erneut zurechtweisen konnte, sprach ich weiter:

„Gibt es schon etwas Neues von der Shinigami-Akademie?“
 

Meine Frage blieb eine Weile unbeantwortet, so als wüsste er etwas, dürfte es mir aber nicht sagen.
 

„Ich erzähle es dir, wenn wir zu Hause sind“, murmelte er und bevor ich auch nur ein weiteres Wort sagen konnte, kehrte er zu seinen Freunden zurück.
 

Ich biss verärgert die Zähne aufeinander, doch ich konnte nicht lange sauer auf ihn sein. Egal wie er sich so manches Mal verhielt, er war mein Bruder und ich liebte ihn. Selbst, wenn er mir gerade tierisch auf die Nerven ging.
 

Den Rest des Tages war ich nur noch hibbelig und nervös. Ich konnte es nicht erwarten, zu hören, was Yamachi mir zu erzählen hatte.
 

Als der Unterricht endlich vorbei war, wäre ich vor Eile beinahe die Treppe der Schule hinab gestolpert. Etwas langsamer, doch immer noch zügig eilte ich nach Hause, doch Yamachi war noch nicht dort.
 

„Der ist doch noch im Debattierklub“, erinnerte mich meine Mutter und ich seufzte genervt auf.

Er würde also nicht vor fünf Uhr zu Hause sein.
 

Ich aß mit meiner Mutter zu Mittag, half ihr beim Abwasch und brachte sie dann zurück in ihr Bett. Meine Mutter war schon damals sehr krank, sie hatte Schwierigkeiten, sich zu bewegen und es wurde von Jahr zu Jahr schlimmer.
 

Ungeduldig starrte ich aus dem Fenster und beobachtete den Wind, der durch die Bäume wehte, bis ich entschied, meinem besten Freund Byakuya einen Besuch abzustatten. Mit ihm konnte ich über alles reden. Wirklich alles.
 

Ich kletterte auf einen Baum in meinem Garten, schwang mich über einen Ast und landete in seinem Garten, woraufhin ich direkt an die Tür seines Zimmers klopfte. Wir machten das, seitdem wir alt genug waren, auf den Baum zu klettern.
 

„Hallo Fräulein Miyazaki“, begrüßte Byakuya mich spöttisch und ich verdrehte die Augen.

„Hör mir bloß auf mit dem Mist“, murrte ich. Er lachte und ließ mich herein.
 

„Du änderst dich nie“, scherzte er und setzte sich an seinen Schreibtisch. Ich machte es mir in einer Ecke des Raumes gemütlich. Es war meine Ecke. Die Ecke, in der ich immer saß.
 

Ich starrte einfach eine Weile vor mich hin, während Byakuya seine letzten Aufgaben für die Schule erledigte. Ich hatte es nicht eilig, manchmal war es einfach angenehm, seine Nähe zu spüren, beieinander zu sein, auch ohne etwas zu sagen. Sobald er fertig war, würde er es mich wissen lassen. Doch irgendwann lehnte er sich zurück und wir beide schwiegen uns eine ganze Zeit lang an.
 

„Du Akari...“, begann er irgendwann leise.
 

„Ja Byakuya?“ Ich starrte an die Decke und wartete geduldig darauf, dass er weitersprach.
 

„Glaubst du, wenn wir auf die Shinigami-Akademie gehen, wird alles anders?“
 

Ich sah ihn an und überlegte einen Moment.
 

„Natürlich wird alles anders“, stellte ich fest und er seufzte.
 

„Aber anders muss ja nicht schlecht sein“, fügte ich weiter an, doch Byakuya achtete nicht darauf.
 

„Ich meine ... wir werden immer die Außenseiter sein, meinst du nicht? Auch du wirst es nicht verhindern können, dass sie herausfinden, wer du bist.“
 

Es dauerte eine Weile, bis ich ihm darauf eine Antwort geben konnte.

„Weißt du Byakuya ... es ist genau diese Einstellung, die dich zum Außenseiter macht. Wenn du dich selbst als anders ansiehst, werden sie es auch tun. Nur wenn du dich als einer der ihren siehst, werden sie dich auch als einer der ihren akzeptieren und außerdem ...“, ich stockte einen Moment und er blickte mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Außerdem?“
 

„Na ja, außerdem hast du ja noch Yamachi und mich. Wir werden immer deine Freunde bleiben.“

Byakuya lächelte und ich wusste, dass dieses Lächeln von Herzen kam.
 

„Du hast Recht“, stellte er fest und ich stand auf.

„Ja, habe ich immer“, neckte ich ihn mit einem Augenzwinkern und streckte mich, „und ich bin mir sicher, dass wir viele interessante Menschen kennenlernen werden.“
 

Oh wie Recht ich damit haben sollte.
 

Wir aßen noch Süßigkeiten zusammen, bevor ich mich auf den Weg nach Hause machte.
 

Ich entdeckte Yamachi, der auf einem Sessel vor unserem Karmin saß, neben ihm unsere Mutter, die in Gedanken versunken über einem Brief hing.
 

„Was ist los?“, fragte ich und Yamachi winkte mich in den dritten Sessel.
 

Es gab auch noch einen vierten Sessel, aber dieser war schon sehr, sehr lange leer.

Ich konnte mich kaum an meinen Vater erinnern.
 

Ich setzte mich in das gemütliche rot gepolsterten Möbelstück und wartete abermals geduldig ab, bis jemand zu reden begann.
 

„Das ist eure Zulassung für die Akademie“, eröffnete meine Mutter uns schließlich und ich spürte, wie mein Herz einen Schlag schneller schlug.
 

Yamachi grinste mich verschwörerisch an.

„Akari...“, begann meine Mutter nun und ein flaues Gefühl machte sich in meinem Magen breit. Wollte sie es mir nun etwa untersagen? Doch sie schüttelte nur seufzend den Kopf.
 

„Du bist noch so jung... aber ich denke, dass es das Beste für dich ist. Dein Reiatsu hat bereits Yamachis überstiegen, wir sollten nicht noch länger warten.“
 

Yamachis Mundwinkel zuckte einmal kaum merklich, doch er ließ sich ansonsten nicht anmerken, dass die Bemerkung über mein Reiatsu ihn ärgerte. Er wusste selbst, dass ich die stärkere Kämpferin von uns beiden war.
 

„Außerdem halte ich Yamachis Einwand für sehr berechtigt, dass es nicht schlecht ist, wenn ihr gemeinsam an der Akademie anfangt. So kann er ein Auge auf dich haben.“ Sie zwinkerte mir zu und nun war es an mir, ein kurzes Gefühl der Verärgerung zu empfinden.
 

Meine Mutter legte den Brief auf den Tisch und unterschrieb ihn, sogar mit ihrem besten Füller. Yamachi, der nun alt genug war, unterschrieb seinen Brief selbst. Noch nie war ich so glücklich gewesen.
 


 

Die folgenden Wochen sind ein schillernder Zeitabschnitt in meinen Erinnerungen. Nachdem auch Byakuya uns seine Zulassung gezeigt hatte – er war genauso alt wie Yamachi – verbrachten wir drei jeden Nachmittag zusammen, um zu trainieren.
 

Die Vorfreude auf die Akademie ließ selbst Yamachi vergessen, dass er sich eigentlich in die Familienpolitik einleben müsste. Er war immerhin der Nachfolger unserer Mutter und würde eines Tages das Oberhaupt der Familie Miyazaki werden. Aber das stellte er nun hinten an.
 

Es war fast wie früher, als wir noch Kinder waren. Wir verbrachten jede freie Minute entweder in einem unserer Gärten oder an einem See in Rukongai, nicht weit entfernt von Seireitei.
 

Endlich konnte auch Yamachi sich ein wenig fallen lassen und die Maske des Adels eine Weile ablegen. Wir hatten so viel Spaß wie schon lange nicht. Wir übten viel mit Holzschwertern und vor allem Byakuya stellte sich damit ziemlich geschickt an. Selbst als der Winter hereinbrach, gönnten wir uns kaum eine Pause, erst als einige Mitschüler zu tuscheln begannen, weil sie uns drei zusammen gesehen hatten, wurde Yamachi wieder etwas distanzierter.
 

Byakuya nicht. Er sagte: „Es ist deine eigene Schuld, wenn du auffliegst.“
 

Da hatte er nicht ganz Unrecht, aber eigentlich war es mir auch nicht mehr so wichtig, meine Identität geheim zu halten.

Auf der Shinigami-Akademie wurde kein Unterschied gemacht zwischen Adel und Straßenkind, es kam allein auf die Fähigkeiten an.
 

Als das neue Jahr anbrach, trübte ein neuer Anfall meiner Mutter meine Stimmung. Eine Zeit lang konnte sie gar nicht aus dem Bett aufstehen und Yamachi musste einige ihrer Aufgaben übernehmen. Doch als das Wetter wieder wärmer wurde und die ersten Boten des Frühlings sich verbreiteten, ging es ihr besser und so stieg auf wieder meine Laune.
 

Bald würde ich endlich diese Schule verlassen! Ich war so aufgeregt: Würden wir vielleicht einige der Offiziere sehen? Oder sogar Kommandanten? Gut, Ginrei Kuchiki, Byakuyas Großvater, hatte ich schon oft getroffen. Aber da ich ihn schon von klein auf kannte, fühlte es sich nicht an, als treffe man einen Kommandanten der Gotei 13. Er war halt Byakuyas Großvater.
 

„Wen würdest du treffen wollen?“, fragte mich Byakuya eines Tages, als wir gerade eine Pause beim Laufen einlegten.

Yamachi saß röchelnd neben uns.
 

„Yoruichi Shihoin“, antwortete ich und Byakuya warf mir einen ‚Das meinst du nicht ernst‘-Blick zu.

Ja, ich wusste, dass er als Kind von ihr trainiert worden war und das bei ihm nicht gerade in positiver Erinnerung geblieben war. Anscheinend war sie nicht gerade die feinfühligste Lehrerin gewesen.
 

„Und du? Wen möchtest du kennen lernen?“ Er brauchte nicht lange zu überlegen.

„Den General-Kommandanten Yamamoto-Genryusai.“
 

Ich lachte, das war typisch für ihn. Natürlich wollte er das älteste und stärkste Mitglied der Gotei 13 kennen lernen.
 

„Ich frage mich ob wir eines Tages unter einem dieser Kommandanten arbeiten werden“, murmelte ich so vor mich hin, während Yamachi ungläubig die Stirn runzelte, doch er sagte nichts.
 

Als der Sommer über uns hereinbrach, genossen wir die letzten langen Ferien, die wir hatten. In der Akademie gab es zwar auch unterrichtsfreie Zeiten, beispielsweise über den Jahreswechsel, aber wir hatten schon oft gehört, dass die meisten Studenten der Akademie diese Zeit für ihr Training nutzten.
 

Diese letzten freien Tage verbrachten wir mit Faulenzen und ich hatte schon fast ein schlechtes Gewissen, das Training so komplett zu vernachlässigen. So nahm ich es wieder auf, wenn auch weniger verbissen als zuvor.
 

Die letzten Tage der Ferien vergingen wie im Flug und plötzlich war es soweit: Der Tag, auf den ich so lange gewartet hatte, war gekommen. Wie ein kleines Kind, das sich auf seinen Geburtstag freute, marschierte ich durch die massiven Tore der Akademie, in die große Halle.
 

Wir wurden freundlich begrüßt und tatsächlich war ein Offizier anwesend, der eine Rede darüber hielt, wie wichtig alles was wir hier lernten für unsere spätere Arbeit als Shinigami sein würde.
 

Meine Aufregung erschwerte es mir, meine Konzentration auf die Rede des Mannes zu lenken. Unaufhörlich wippte mein Bein auf und ab und meine Finger trommelten auf den Tisch, an dem ich saß.
 

Yamachi hatte schon gedroht, sich von mir wegzusetzen, wenn ich mich nicht beruhigte.
 

Endlich wurden wir in Klassen eingeteilt. Ein Lehrer nach dem anderen führte seine Schüler heraus, bis ich auch endlich aufgerufen wurde. Ich stellte mich zu einigen schüchtern wirkenden Mädchen und hätte fast laut aufgejubelt, als auch Yamachi und Byakuya aufgerufen wurden.
 

Wir gingen in dieselbe Klasse!
 

Der Raum in den sie uns brachten, war aufgebaut wie ein Theater, eine Treppe in der Mitte führte zu den hinteren Tischen hinauf, während die vordersten Tische ganz unten vor dem Lehrerpult standen.
 

Yamachi, Byakuya und ich setzten uns erst einmal relativ neutral in die dritte Reihe.
 

Stundenlang wurden uns Schulregeln erklärt, natürlich notierte ich mir eifrig alles, was ich so aufschnappte, doch nach einer Weile langweilte mich die Ansprache der Lehrerin.
 

Das Einläuten der Mittagspause ließ mich sofort aufspringen. Ich folgte den anderen Schülern aus dem Raum hinaus, als ich hinter mir jemanden hörte, der sich durch die Menge drängelte:

„’Tschuldige, darf ich mal, Tschuldigung, he..hey, Akari!“
 

Ich drehte mich um und riss erstaunt die Augen auf, als ich den mir so vertrauten Gegenstand wahrnahm.
 

„Du trägst diesen Hut tatsächlich!“, rief ich und der Junge vor mir lachte.
 

„Wieso auch nicht, er steht mir ziemlich gut“, ich lachte und schüttelte amüsiert den Kopf.

„Da gehen wir tatsächlich in dieselbe Klasse, was Kisuke?“
 

Er lachte ebenfalls, „Ja ich habe zwar darauf gehofft, dass wir uns treffen, hätte aber nicht damit gerechnet, dass es so schnell geht“, gab Kisuke zu.
 

Wir verließen den Klassenraum. Byakuya und Yamachi waren ohne mich weitergegangen und so verbrachte ich meine erste Mittagspause an der Akademie mit Kisuke Urahara.
 

Schneller, als mir lieb war, verging die Pause und wir befanden uns auf dem Rückweg in unsere Klasse. Plaudernd überquerten wir den großen Hof und liefen, ohne, dass wir es recht bemerkten, in eine Menschentraube hinein.
 

Erst nach einem Moment zog ein großer Junge meine Aufmerksamkeit auf sich. Offensichtlich hatte er uns mehrmals versucht, etwas zuzurufen, doch wir waren einfach zu vertieft in unser Gespräch.
 

„Ey, ihr da aus dem Weg, geht aus dem Weg!“, die meisten folgten seinem Aufruf, doch Kisuke und ich blieben wie angewurzelt stehen.
 

„Hey habt ihr nicht gehört, was ich gesagt...“, der Junge verstummte und ging selbst aus dem Weg, jemand hatte ihm von hinten auf die Schulter gefasst und sanft zur Seite geschoben. Jemand, der bereits eine Shinigami-Uniform trug.
 

Sein Gesicht wirkte fast unheimlich, da er von einem Ohr zum anderen zu grinsen schien und auch die schmalen Augen unterstrichen sein leicht bizarres Aussehen, doch ich spürte nichts Gefährliches von ihm ausgehen.
 

„Gehen dem 3. Offizier nicht aus dem Weg“, hörte ich jemanden in der Menge murmeln und schaute den Shinigami mit gerunzelter Stirn an.
 

„Was macht ein 3. Offizier in der Akademie?“, sprach Kisuke genau das aus, was ich dachte. Ich merkte, wie die anderen um uns herum vorsichtig die Köpfe schüttelten, doch der Offizier vor uns blieb ganz gelassen und grinste noch ein wenig breiter, wenn das überhaupt möglich war.
 

„Ich ähm“, begann ich und machte eine leicht unbeholfene Verbeugung, „bin Akari Miyazaki, freut mich sehr, Sie kennen zu lernen.“
 

Ich war mir nicht sicher, ob es eine offizielle Grußformel für Offiziere gab, doch ich hatte das Gefühl, es sei besser als gar nichts zu sagen. Mit einem kurzen Lachen griff er meine Hand und hauchte einen sanften Kuss auf meinen Handrücken.
 

„Wie nett. Gin Ichimaru, 3. Offizier der 5. Kompanie, sehr erfreut.“
 

Eine Weile noch hielt er meine Hand in seiner, bis Kisuke sich räusperte.
 

„Ich bin Kisuke Urahara“, stellte dieser sich vor und der junge Offizier ließ meine Hand los. Es war eine unglaublich seltsame Situation.
 

„Urahara, mh?“, fragte er und Kisuke warf mir einen besorgten Blick zu.
 

„Von dir habe ich gehört... du erfindest… Dinge, richtig?“, die Art wie er ‚Dinge’ sagte, klang seltsam, doch ich dachte mir nichts weiter dabei.
 

Kisuke nickte langsam und Offizier Ichimaru legte den Kopf schief.
 

„Interessant“, murmelte er, gab dafür aber keinerlei Erklärung ab.

„Ich denke, wir werden und bald wieder sehen. Kisuke Urahara und Akari Miyazaki. Aber jetzt muss ich weiter, mein Vize-Kommandant möchte mich sprechen.“
 

Mit diesen Worten ging er fort. Unsere Mitschüler starrten uns an, doch ich versuchte, das zu ignorieren.
 

„Wow, ich hätte nicht gedacht, dass wir schon so früh einem Offizier begegnen“, murmelte ich an Kisuke gewandt, in dessen Gesicht sich eine Mischung aus Verwunderung und Sorge mischte. Nun erst bemerkte ich, dass Byakuya sich zu uns gesellt hatte, scheinbar hatte auch er die Szene mitangesehen und blickte mit zusammengekniffenen Augen in die Richtung, in der Offizier Ichimaru verschwunden war.
 

„Was ist?“, fragte ich ihn und er zog die Stirn kraus.
 

„Dieser Typ ... er war noch jünger, als wir jetzt sind, als er zum Offizier wurde“, erklärte er sehr leise, darauf bedacht, dass uns niemand zuhören konnte.
 

„Wie hat er das gemacht?“, fragte Kisuke nun mit großen Augen.
 

Byakuya würdigte ihn keines Blickes, antwortete aber dennoch:

„Indem er den ehemaligen Offizier tötete.“
 

Mir lief es eiskalt den Rücken herunter. Es fiel mir schwer, zu glauben, dass es sich tatsächlich so abgespielt hatte. Ich wusste, dass Byakuya uns eine solche Information nicht weitergegeben hätte, wäre er sich nicht sehr sicher, dass sie stimmte, doch aus irgendeinem Grund war mir der Offizier sympathisch gewesen und ich versuchte, die Information zu verdrängen.
 

Wenn es wirklich so gewesen war, gab es dafür bestimmt eine Erklärung, sagte ich mir, denn ich wollte nicht glauben, dass dieser freundliche junge Offizier zu einem brutalen Mord fähig war.
 

Vielleicht hätte ich es glauben sollen.
 


 

Das Unheil begann, als wir knapp zwei Monate an der Akademie waren.

Wir unterhielten uns im Unterricht gerade über die unterschiedlichen Fähigkeiten, mit denen Hollows ausgestattet sein konnten, als es an der Tür klopfte.
 

„Offizier Ichimaru“, rief unsere Lehrerin erstaunt auf, als er eintrat. Kisuke und ich warfen uns einen Blick zu, wir hatten seine Worte nicht vergessen. „Ich denke wir werden uns bald wiedersehen“ – und da war er.
 

„Hallo Sensei“, begrüßte er die Lehrerin mit der förmlichen Anrede, „Ich würde mir gern zwei Ihrer Schüler ausleihen.“

„Schon wieder?“, fragte die Lehrerin etwas empört, offensichtlich geschah so etwas häufiger.
 

Mein Herz begann zu rasen, auch wenn ich es nicht wirklich glauben konnte, hatte ich doch die Hoffnung, dass er uns meinte.

Und das tat er: „Akari und Kisuke.“
 

Wenn ich an jenem Tag gewusst hätte, dass dieser Moment mein Leben auf diese Art und Weise verändern würde, wäre ich wahrscheinlich nicht mitgegangen. Doch naiv, wie ich war, freute ich mich einfach darüber, etwas Besonderes zu sein.
 

Auserwählt aus so vielen Schülern, um mit dem Offizier mitzugehen, während die anderen weiterhin im Unterricht sitzen musste.
 

Ich spürte Yamachis und Byakuyas Blicke auf meinem Hinterkopf, als ich den Klassenraum verließ. Wir folgten Offizier Ichimaru, wie ich ihn damals noch nannte, bis wir an den Eingang eines Übungsfeldes ankamen. Dann erst drehte er sich um und klärte uns auf.
 

„Ich möchte, dass ihr beiden an dieser Übung teilnehmt.“
 

Erst jetzt bemerkte ich ein paar ältere Schüler, die vor einer Art Prüfung zu stehen schienen. Sie alle hatten ihre Zanpakuto, ihr Seelenschwert bei sich und ich fühlte mich relativ unsicher mit meinem noch unbefleckten Schwert.
 

Wir alle hatten nach kurzer Zeit ein so genanntes Asauchi bekommen, ein Schwert, das nach und nach Teile unseres Geistes aufnehmen konnte und so irgendwann zu unseren persönlichen Zanpakuto werden würde. Doch noch waren es lediglich schwache spirituelle Klingen. Die meisten brauchten Jahre, bis sie den Namen ihres Zanpakutos herausfanden und so ihr Shikai entdeckten, die Form, die ein Seelenschwert annahm, wenn es seine wahre Macht zeigte.
 

Ich hatte schon oft mit dem Schwert geübt nach der Schule, manchmal hatte ich sogar das Gefühl, dass Energie in dem Schwert vibrierte, doch das bildete ich mir wahrscheinlich nur ein. Ich merkte, wie auch Kisuke neben mir schluckte.
 

Neben uns tauchte eine weitere Gestalt auf und ich schnappte erschrocken nach Luft, als ich das Zeichen des Vizekommandanten und das Emblem der 5. Kompanie am Arm des Mannes erkannte.
 

Es war meine allererste Begegnung mit Sosuke Aizen.
 

Sein braunes Haar umschmeichelte sein freundliches Gesicht in sanften Wellen, wodurch man die kantige Brille fast nicht bemerkte. Er sah zu uns herüber und marschierte dann mit schnellen, bestimmten Schritten auf uns zu.
 

„Vizekommandant Aizen“, begrüßte Offizier Ichimaru ihn mit einem Lächeln. Aizen nickte ihm zu, allerdings ohne dabei den Blick von Kisuke und mir abzuwenden.
 

„Wie ich sehe, hast du unsere Gäste mitgebracht“, seine Stimme klang sanft und freundlich.
 

Ichimaru warf seinem Vizekommandanten einen Blick zu und für einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl, sie kommunizierten stumm miteinander.
 

„Ich bin Akari Miyazaki“, stellte ich mich Aizen vor und machte eine Verbeugung, dieses Mal etwas eleganter, als noch bei Offizier Ichimaru. Auch Kisuke stellte sich vor.
 

„Sosuke Aizen“, erklärte er ruhig und bat uns, ihm zu folgen.
 

„Wisst ihr... es ist so, dass jede Kompanie stets auf der Suche nach großen Talenten ist, so auch wir. Aber im Gegensatz zu den Anderen, schauen wir uns bereits auf der Akademie um. Ich denke, dass viele Schüler der Akademie großes Talent in sich tragen, aber die Lehrer manchmal einfach nicht in der Lage sind, es zu erkennen.“ Aizen verstummte und Ichimaru, der vor uns hergegangen war, drehte sich zu uns herum.
 

„Da kommen wir ins Spiel“, warf er ein, während Aizen sich den älteren Schülern zuwandte.
 

„Wir suchen Schüler der Akademie, in denen wir Talent erkennen und nehmen sie mit. Die ersten Jahre lernt man in der Akademie fast nur Theorie und etwas Kido ... wir werden euch in eine Situation bringen, in der ihr mehr braucht als Theorie. Ihr sollt an der Zwischenprüfung teilnehmen, natürlich nur wenn ihr euch das zutraut“, die letzten Worte hatte er mit einem noch breiteren Grinsen hinzugefügt.
 

Die Zwischenprüfung.
 

Das war die Prüfung, die ein Schüler der Akademie ein halbes Jahr vor seiner Abschlussprüfung absolvieren musste. Zweck dieser Prüfung war sich an die Kampfsituation zu gewöhnen und auch, damit die Lehrer einschätzen konnten, ob der Schüler wirklich bereit für die richtige Prüfung waren. Die Zwischenprüfung war eine visuelle Situation. Ähnlich wie in den Trainingsräumen wurden Hologramme von Angreifern beschworen, die es zu bekämpfen galt. Es wurden Elektroden am Körper befestigt, die kleine Stromstöße hindurch jagten, sodass jeder Angriff sich täuschend echt anfühlte.
 

Die Abschlussprüfung jedoch wurde stets in der Welt der Lebenden abgehalten, in einer echten Situation, mit einem echten Hollow.
 

Kisuke warf mir einen Blick zu und nickte kaum merklich, auch ich nickte zurück. Ich hatte keine Angst davor, gegen Hologramme zu kämpfen.
 

Ichimaru nickte Aizen zu, um ihm zu Verstehen zu geben, dass wir mitmachten. Die älteren Schüler wirkten hochkonzentriert. Aizen öffnete das Tor zu der Trainingshalle, die größer war, als jede andere, die ich bisher gesehen hatte. Nun, ich hatte bisher nur zwei gesehen und auch nur kurz, da wir bisher zu neunzig Prozent theoretischen Unterricht absolvierten. Praktische Trainings sollten erst ab dem dritten Jahr zum Unterricht gehören, was mich tierisch nervte. Doch nun war ich hier und ich freute mich unbändig auf diesen Kampf.
 

Kisuke war stummer als gewöhnlich und ich kam nicht umhin, zu bemerken, wie er unaufhörlich am Saum seiner Kleidung spielte. Während Ichimaru einige Elektroden an Kisuke befestigte, versuchte ich meine selbst anzubringen, es fühlte sich zuerst etwas unangenehm an, doch nach kurzer Zeit nahm ich sie gar nicht mehr wahr. Sie waren kabellos und störten kaum.
 

Die Hologramme wirkten lebensecht, was normalerweise beängstigend sein sollte, doch im Gegenteil: Ich hatte schon lange nicht so viel Spaß gehabt. Ich schwang mein Schwert und zerschlug einen falschen Hollow nach dem Anderen, die sich daraufhin in Luft auflösten.
 

Ichimaru und Aizen standen in sicherer Entfernung und beobachteten das Ganze. Der junge Offizier schrieb sogar Notizen auf, während der Vizekommandant nur mit verschränkten Armen dastand und alles aufmerksam musterte. Dann trat ein Gegner vor mich, der wesentlich schwieriger zu besiegen war. Er war schneller und stärker als alle anderen und hatte lange, klebrige Tentakeln, die es nach mir warf.
 

Ich sah aus den Augenwinkeln, wie Kisuke mich mit aufgerissenen Augen anstarrte. Ihm schien der Kampf etwas weniger Spaß zu bereiten als mir. Einige der Tentakel begannen mich zu umwickeln und ehe ich mich versah, fand ich mich gefangen in den glibberigen, schwarzen Gliedern des Wesens wieder.
 

Ich sah, wie Ichimaru bereits eine Hand an sein Schwert legte, doch Aizen hob seinen Arm, als wolle er ihn zurückhalten. Ich fragte mich, was Aizen hier sah. Dachte er, ich konnte aus dieser Situation entkommen? Mich wunderte, dass die Elektroden es schafften, mir das Gefühl zu vermitteln zu ersticken. Tatsächlich fühlte ich mich, als würde ich zerquetscht werden und bekam immer schwieriger Luft. Mur wurde schon schwindelig, als ein seltsames Gefühl meine Aufmerksamkeit erregte: ein Pulsieren von Energie. Es dauerte einen Moment, bis ich verstand, dass es mein Schwert war, das diese kleinen Energiestöße von sich gab. Immer wieder schoss mir ein Wort durch den Kopf, doch ich wagte nicht, es laut auszusprechen, dabei käme ich mir lächerlich vor.
 

Vor allem weil jetzt auch einige der Prüflinge mich beobachteten. Doch dann sah ich, wie der Hologramm-Hollow mit einem weiteren Tentakel ausholte und wusste, dass er mich mit voller Wucht ins Gesicht treffen würde.
 

Ich muss das kurz erklären: selbst wenn man weiß, dass es ein Hologramm ist und selbst wenn man weiß, dass man im Gesicht keine Elektroden hat, fühlte sich diese Situation trotzdem so echt an, dass der Körper einfach reagiert, wie in einer echten Gefahrensituation: Er strömt Adrenalin aus.
 

Plötzlich war es mir egal, ob die anderen mich für lächerlich hielten, denn tief in meinem Inneren spürte ich, dass es mir helfen würde: „Hanako, glänze!“, keuchte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und ein Energiestrahl schoss aus meinem Schwert, den ich nicht für möglich gehalten hatte.
 

Ein dumpfer Schlag auf den Rücken, die Luft wurde aus meinen Lungen gepresst, dass mir schwarz vor Augen wurde. Als ich endlich wieder klarsehen konnte, realisierte ich, dass ich gegen die Wand gekracht war. Die Hologramme waren verschwunden und ich merkte, wie alle Augen auf mich gerichtet waren.
 

„Wow Akari, wieso ist dein Schwert so ... rot?“, es war Kisuke, der zuerst seine Sprache wiederfand, doch ich konnte ihm keine Antwort geben. Ich starrte auf mein Schwert hinab, dass breiter und größer geworden war und dabei in einem tiefen Rot glänzte. Plötzlich stand Aizen neben mir. Er musste Shunpo benutzt haben, denn es hatte ausgesehen, als hätte er sich teleportiert. Das war eine Fähigkeit, die ich unbedingt noch erlernen wollte.
 

Aizen musterte mein Schwert interessiert und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
 

„Gin hatte offensichtlich recht, zumindest was dich betrifft Akari Miyazaki. Schon lange hatten wir keinen Schüler mehr, der nach so kurzer Zeit den Namen seines Schwertes kannte.“
 

Ich starrte auf mein Schwert. „Hanako? Es heißt Hanako?“, fragte ich und Aizen zog die Augenbrauen erstaunt hoch, so als hätte er vergessen, dass ich noch da war.
 

„Sieht ganz danach aus“, sagte er dann wieder mit seinem undurchdringbaren Lächeln.
 

Er zog sein eigenes Schwert, murmelte leise etwas und Kisuke und ich betrachteten staunend sein Shikai, es glänzte wie das Leuchten des Mondes.
 

„Hübsch, nicht? Das ist Kyoka Suigetsu.“, sagte er und lächelte freundlich.

Die Tatsache, dass wir sein Schwert betrachteten, schien ihn sehr zu erfreuen.
 

Ich nickte eifrig, dann steckte er es wieder ein und ging auf die Prüflinge zu. Offensichtlich erklärte er jedem, was er noch besser machen konnte und lobte einige für gute Aktionen. Ich bemerkte kaum, dass Ichimaru neben mir Kisuke zu irgendetwas zu überreden versuchte, so fasziniert war ich von meinem Schwert.
 

Nach einigen Sekunden nahm es wieder seine ursprüngliche Form an und ich steckte es zurück in die Schwertscheide, als der grinsende Offizier einen Gegenstand in der Hand hielt, der sehr nach einer von Kisukes seltsamen Erfindungen aussah.
 

„Vizekommandant Aizen, seht Euch das an!“
 

Was auch immer es war, Aizen zeigte so rege Begeisterung dafür, dass es Kisuke die Röte ins Gesicht trieb.
 

Das war der Beginn einer langen und niederträchtigen Geschichte.

Die Sache mit Gin

Das Jahr war voller Überraschungen.
 

Mein Bruder Yamachi und mein bester Freund Byakuya waren die Stars der Schule. Sie gehörten nicht nur zu zwei der mächtigsten Adelsfamilien von Seireitei, von denen sie eines Tages Familienoberhaupt werden würden, nein, sie glänzten auch mit außergewöhnlich guten Leistungen und nicht zuletzt ihrem guten Aussehen. Gerade Yamachi zog stets eine Schar Mädchen hinter sich her, die allen Mut zusammennahmen, ihn anzusprechen. Byakuya ahmte den strengen Blick seines Großvaters nach und schaffte es, sich seine Verehrerinnen so vom Leib zu halten.
 

Kisuke und ich wiederum waren ebenfalls bekannt, weil wir in regelmäßigen Abständen von Ichimaru und Aizen zu Übungen und manchmal sogar zu kleineren Einsätzen mitgenommen wurden. Mit Gin verstanden wir uns mittlerweile so gut, dass die Anrede „Offizier Ichimaru“ nur noch sehr selten aus unseren Mündern zu hören war. Außerdem hatte man Kisuke einen Wissenschaftsraum errichtet, in dem er alle Werkzeuge und Materialien hatte, die er benötigte, um weitere Experimente durchzuführen. Ich besuchte ihn hin und wieder in seinem kleinen Labor, doch dort herrschte ein Chaos, das mich nervös machte.
 

Aizen schien äußerst interessiert an Kisukes Erfindungen und wollte jede Einzelne davon sehen. Das alles war mir schon etwas suspekt. Manchmal hatte ich das Gefühl, etwas Undurchdringliches in Aizens Blick zu erkennen, ganz so als verberge er etwas. Doch ich redete mir ein, dass es bloße Einbildung war. Ich hätte wohl auf mein Bauchgefühl hören sollen?

Aber ich vertraute Gin. Er war so oft in der Akademie und verbrachte seine Freizeit mit uns, dass ich hin und wieder vergaß, dass er eigentlich schon ein voll ausgebildeter Offizier war.
 

Ein paar Monate nach dem Beginn des Schuljahres stellte er uns seine beste Freundin vor.
 

Ich muss zugeben, dass ich in diesem Moment einen kleinen Stich der Eifersucht in meinem Bauch spürte, denn sie war in meinen Augen eine absolute Schönheit. Ihr volles Haar glänzte golden um das ebenmäßige Gesicht, die vollen Lippen waren zu einem frechen Grinsen verzogen und ich kam nicht umhin ihre unglaublich langen Wimpern zu bewundern, als sie uns zu zwinkerte.
 

Es stellte sich heraus, dass sie eine unglaublich unterhaltsame Person war, und wir freundeten uns schnell an.

So lernte ich Rangiku Matsumoto kennen.
 

Sie war meine erste richtige Freundin. Seit ich mich erinnern konnte, hatte ich wenig Zeit mit anderen Mädchen verbracht. Nicht, weil ich mit Männern besser ausgekommen wäre. Es hatte zuvor einfach nie so richtig gefunkt. Meine ganze Kindheit hatte ich mit Byakuya und Yamachi verbracht und ich hatte nie etwas vermisst. Erst als ich Rangiku kennenlernte, fielen mir Dinge auf, die ich zuvor stets mit mir allein ausgemacht hatte und für die ich nun endlich eine Vertrauensperson hatte.
 

Mit Rangiku an unserer Seite, wuchsen wir zu einer kleinen Gruppe heran, die viel Zeit zusammen verbrachte. Fast täglich trafen wir uns auf einer Wiese der Akademie zur Mittagspause. Wir hatten eine verschlissene Decke, die uns als Unterlage diente und teilten Essen untereinander, das wir mitbrachten. Auch an den Abenden, nach dem Unterricht fanden wir uns häufig an unserem Lieblingsplatz ein und tauschten uns aus. Wir waren wie eine kleine Familie, die sich gefunden hatte.
 

Rangiku, Kisuke, Byakuya, Yamachi, Gin und ich.
 

Ich erinnere mich noch gut an einen herbstlichen Nachmittag, Rangiku hatte gebackene Pflaumen mitgebracht, die wir gerade probierten, als eine Stimme mich aufschrecken ließ.
 

„Akari“, ich sprang auf und da sah ich sie: meine Mutter in ihrem wunderschönen blauen Kimono und hochgestecktem Haar. Ich hatte mein Haar von ihr, das gleiche tiefe schwarz, genau wie auch Yamachi.
 

„Mutter“, rief ich und rannte auf sie zu, ich drückte sie nur vorsichtig an mich. Ihr Gesundheitszustand ließ hemmungslose Umarmungen normalerweise nicht zu, doch sie sah wesentlich besser aus, als bei meinem Besuch vor einigen Tagen.

„Was machst du denn hier?“, fragte ich sie erfreut, aber auch verwundert.
 

„Ich hatte einige Dinge mit Ginrei zu besprechen und da dachte ich, ich schaue mich hier ein wenig um. Ich war ja nie hier.“

Meine Mutter war nicht zur Akademie gegangen. Ihr älterer Bruder war seinerzeit zum Shinigami ausgebildet worden, doch er brach zu einer Mission auf und kehrte nie zurück. Aus Angst, meiner Mutter könne das gleiche geschehen, verbot meine Großmutter ihr zur Akademie zu gehen.
 

„Schön habt ihr es hier“, sagte sie mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen, als sie meine Freunde auf der Decke musterte. Ich packte die Gelegenheit beim Schopf, nahm ihre Hand und zog sie zu der kleinen Gruppe heran. Byakuya stand sofort auf und gab meiner Mutter einen eleganten Handkuss, sie lächelte erfreut, es war eine alte Tradition. Byakuya begrüßte meine Mutter schon so, seit ich mich erinnern konnte.
 

„Byakuya, gut siehst du aus“, stellte sie fest und Byakuya erwiderte das Kompliment.

„Das sind Kisuke Urahara, Rangiku Matsumoto und Gin Ichimaru“, stellte ich die anderen vor und meine Mutter musterte sie alle nacheinander.
 

„Es freut mich sehr, euch kennenzulernen. Doch nun werde ich euch mal nicht weiter stören, ich wollte Yamachi noch besuchen, ist er in seiner Schlafeinheit?“, fragte sie und ich nickte. Yamachi war an diesem Tag nicht zu unserem Treffen erschienen. Er konnte es gut verbergen, doch ich spürte, dass ihm der Lernstoff der Akademie und die gleichzeitige Belastung, die er als angehendes Familienoberhaupt hatte, zusetzten.
 

Als meine Mutter fort war, hörte ich wie Gin einmal pfiff und Rangiku einen erstaunten Laut von sich gab.
 

„Was ist?“, fragte ich sie und beide starrten mich mit großen Augen an, warfen sich einen kurzen Blick zu nur um mich dann wieder anzustarren.
 

„Ich mein, wir wissen, dass du Miyazaki heißt, aber dass du zu DER Miyazaki Familie gehörst ... ich mein ... du hast das nie erwähnt!“, ich runzelte die Stirn und ein Lachen löste sich aus meiner Kehle.
 

„Na ja woher sollte ich sonst Yamachi so gut kennen?“, fragte ich sie, während ich mich wieder auf die Decke setzte.

„Er ist dein Bruder!?“, ich war mir nicht sicher, ob es eine Frage oder Feststellung war. Num – Gin und Rangiku hatten von der Beziehung zwischen Yamachi und mir wirklich noch nicht sehr viel mitbekommen, da er in den letzten Wochen oft fehlte bei unseren Treffen.
 

„Ja, man sieht doch, dass wir Geschwister sind“, witzelte ich und Rangiku schien eine Zeit lang angestrengt nachzudenken.
 

„Jetzt, wo du es sagst, ihr seht euch schon ähnlich.“
 

Gin lachte nur und machte Witze darüber, dass ich nicht gerade wie eine Adelige wirkte.
 

„Wie wirkt man denn adlig?“, fragte ich amüsiert und Gin warf einen Blick zu Byakuya hinüber.

„Versuch doch Mal, so ein Gesicht aufzusetzen.“
 

Bis auf Byakuya fanden wir das alle ziemlich lustig.
 

Als wir in unsere Schlafeinheit kamen, rannte meine Mitbewohnerin auf mich zu. Ein freundliches Mädchen, mit dem ich jedoch nicht viel gemein hatte. Wir hatten kaum ein Wort gewechselt.
 

„Hey Akari, ich bin umgezogen in Zimmer 1113, zu meiner Schwester“, erklärte sie und schien ein schlechtes Gewissen zu haben, doch ich redete ihr gut zu, dass es nicht so schlimm sei.
 

„Sag mal, ihr wart doch in einem Zweibettzimmer?“, fragte Rangiku mich, die ihr Zimmer mit drei weiteren Mädchen teilen musste. Ich nickte.
 

„Dann hast du wohl eine neue Mitbewohnerin“, sagte sie grinsend und es dauerte einen kurzen Moment, bis ich verstanden hatte. Ich grinste zurück. Innerhalb von einer halben Stunde hatten wir Rangikus Sachen aus dem großen Zimmer in meines gebracht und die Lehraufsicht darüber informiert.
 

Normalerweise spielte ich diese Karte nicht aus, aber als Mitglied einer mächtigen Familie genoss ich schon das eine oder andere Privileg. Zum Beispiel waren die Zweibettzimmer für die Söhne und Töchter des Adels vorgesehen und als Mitglied eines der vier mächtigsten Adelshäuser wurde mein Wunsch, Rangiku als Mitbewohnerin zu haben, nicht ausgeschlagen. Als wir endlich in den Betten lagen, starrten wir eine ganze Weile stumm an die Decke und redeten nicht.
 

„Also ist Yamachi dein Bruder... du gehörst zu diesem Adelspack“, neckte Rangiku mich und ich lachte.
 

„Deshalb verstehst du dich mit Byakuya auch so gut“, sagte sie und warf mir ein freches Grinsen zu, Ihre Augenbrauen tanzten schelmisch in die Höhe.
 

„Byakuya ist mein bester Freund und mehr auch nicht“, erklärte ich ihr lachend und auch sie musste etwas kichern.

„Wenn Byakuya dein bester Freund ist, was sind dann Gin und Kisuke für dich?“, ihre Frage hallte noch lange in meinem Kopf nach, bis ich schließlich mit den Achseln zuckte.
 

„Auch gute Freunde schätze ich…“
 

Byakuya war wie ein Bruder für mich, mein Ansprechpartner, mein Trainingspartner und der Mensch, dem ich neben Yamachi am meisten vertraute. Natürlich empfand ich eine tiefe Verbundenheit mit ihm, aber auch für Kisuke hatte mittlerweile eine Zuneigung entwickelt, die über eine einfache Bekanntschaft hinausging. Er war einfach vollkommen auf meiner Wellenlänge und wir harmonierten auf eine Art und Weise, die schon manchmal unheimlich war. Ich hätte mir keinen von ihnen wegdenken können. Gin hingegen war geheimnisvoll, stark und vor allem lustig, es machte einfach Spaß, in seiner Nähe zu sein, und doch herrschte zwischen uns noch eine gewisse Distanz.
 

„Weißt du... ich komme aus Rukongai. Gin hat mich dort gefunden.“
 

„Gefunden?“ Rangikus Geschichte berührte mich zutiefst und zum ersten Mal verstand ich, dass Gin mehr für sie war, als ein bester Freund: Er war ihr Retter.
 

Er hatte sie auf den Straßen von Rukongai gefunden, halb verhungert und kränklich. Ihre Stimme klang brüchig, während sie mir von ihrer Vergangenheit erzählte.
 

„Der Tag, an dem er mich fand, hat er zu meinem Geburtstag ernannt, sonst hätte ich keinen“, sagte sie abschließend und ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte.
 

Die Geschichte beschäftigte meine Gedanken noch, als Rangiku schon leise vor sich hin schnarchte. Dass es solche Zustände in Rukongai gab, hatte ich gewusst, doch so richtig bewusst geworden, wie viel Leid die Menschen dort draußen erleiden mussten, war es mir erst durch Rangiku.
 

Die Geschichte hatte noch etwas anderes in mir bewirkt: Sie bestärkte meine Sympathie gegenüber Gin und ich realisierte, dass ich begann, eine tiefe Zuneigung für ihn zu empfinden.
 

„Er ist ein guter Kerl, hm?“, flüsterte ich schließlich, unsicher, ob Rangiku noch wach war, doch ich hatte das Gefühl in der Dunkelheit ihr Lächeln zu spüren.
 


 

Als die ersten Schneeflocken fielen, bereiteten wir ein Weihnachtsfest vor. In Seireitei gab es mehr Feiertage als sonst irgendwo auf der Welt. Das hatte einen einfachen Grund: Wir nahmen alle Feiertage der Lebenden, die uns gefielen und feierten sie. Weihnachten zählte jedoch zu meinen ganz persönlichen Favoriten. Große Tannenbäume wurden aufgebaut und geschmückt, Weihnachtsdekoration überall verteilt und ich liebte Lebkuchen. Die Akademie veranstalte am 24. Dezember immer eine Weihnachtsfeier, zu der auch die Familien eingeladen waren, sogar derer, die aus Rukongai kamen. Die Stimmung war familiär und ausgelassen. Sogar ein wenig Glühwein wurde bereitgestellt, da in Seireitei jeder als Erwachsen galt, der 16 oder älter war. Obwohl ich damit eigentlich noch zu jung war, erlaubte meine Mutter mir einen Becher des dampfenden Getränks und ich genoss den süßlichen Geschmack. Doch er benebelte meinen Kopf auch ein wenig.
 

„Wow Akari, was ist denn mit dir los, dein Gesicht ist ja ganz rot“, lachte Kisuke mich aus und ich musste ebenfalls lachen. Alles schien mir unglaublich witzig zu sein. Eine ganze Zeit lang spielten wir ein altes Kartenspiel. Yamachi, unsere Mutter, Byakuya, Kisuke, Rangiku und ich.
 

Byakuyas Großvater war nur kurz dort gewesen, um Byakuya zu seinen guten Leistungen zu beglückwünschen und ihm ein Geschenk zu überreichen. Byakuya betrachtete es lange, bevor er entschied, dass es ein gutes Geschenk war.
 

„Eine Haarspange, ehrlich?“, fragte ich und musste mir ein Glucksen unterdrücken.
 

„Das ist ein Kenseikan, ein Zeichen des Adels!“, erklärte Yamachi neben mir, der seinen Neid kaum verbergen konnte.
 

„Es ist trotzdem eine Haarspange“, murmelte ich belustigt und stand vom Tisch auf. Ich verließ den Raum und durchquerte den Flur in Richtung der Toiletten, als ich merkte, dass mir jemand gefolgt war.
 

„Gin“, er stand hinter mit und grinste wie eh und je. Ein seltsames Gefühl kribbelte durch meinen Körper. Nur wenige bunte Lichterketten an den Fenstern und Wänden spendeten Licht in den düsteren Flur und tauchte Gins Gesicht in bunte Flecken. Sein Blick richtete sich an die Decke und ich blickte ebenfalls hinauf. Ein grüner Büschel Geäst hing dekorativ direkt über unseren Köpfen.
 

„Das ist ein Mistelzweig. Weißt du was das bedeutet?“, fragte er mich frech und ich starrte den Mistelzweig eine Weile sprachlos an. Mein Herz begann zu rasen, als ich die Bedeutung zu begreifen begann. Mein erster Gedanke war: Flucht. Doch dann hörte ich eine Stimme in mir, die mir leise ins Ohr flüsterte: Warum denn eigentlich nicht?
 

Ich holte Luft, bevor mich der Mut verließ.
 

„Na dann zeig mal, was du kannst, Herr Offizier“, sagte ich, und versuchte, dabei ebenso frech zu klingen, wie er.
 

Für einen Moment war das sonst immer breite Grinsen auf seinem Gesicht verschwunden, doch er hatte sich schnell wieder gefangen. Er trat einen Schritt auf mich zu und ohne zu zögern presste er seine Lippen auf meine. Für eine Sekunde blieb die Welt um uns herum stehen.
 

Der Geruch von frischen Wiesen und Zimt hing in meiner Nase, zweites kam wahrscheinlich von den Zimtplätzchen, die Rangiku gebacken hatte. Seine Lippen waren weicher, als ich es je für möglich gehalten hatte, und mein Bauch fühlte sich an, als würden hunderte von Spinnen darin herumkrabbeln.
 

Ich weiß nicht mehr ganz genau, wie lange wir so dort standen, aber ich erinnere mich, dass wir uns voneinander lösten, als einige Jungs um die Ecke in den Korridor einbogen.
 

Erschrocken drehte ich mich herum und verschwand auf die Damentoilette, wie ich es ursprünglich vorgehabt hatte.

An diesem gesamten Abend ergab sich nicht einmal mehr die Möglichkeit, alleine mit ihm zu sprechen, und so landete ich irgendwann in meinem Bett. Hundemüde, verwirrt aber glücklich.
 

Der nächste Tag war seltsam.

Die Erinnerung an diesen Kuss ließ mich immer wieder nervös werden, mein Bauch rebellierte und ich spürte, wie mir die Hitze ins Gesicht stieg.
 

Nachdem Yamachi einen Witz darüber gemacht hatte, dass ich wahrscheinlich zu viel Glühwein getrunken hatte, schoben alle anderen es ebenfalls darauf. Ich versuchte, alle Gedanken daran beiseitezuschieben.
 

Heute gingen Yamachi und ich nach Hause und verbrachten die restliche, unterrichtsfreie Zeit mit unserer Mutter. Dafür packte ich gerade meine Sachen, als Rangiku hereinkam und mich eine Weile stumm anstarrte.
 

„Was-“, begann ich, doch Rangiku unterbrach mich.
 

„Frag nicht ‚was‘, erzähle mir lieber, wo du mit deinem Kopf die ganze Zeit bist! Irgendetwas stimmt nicht mit dir und ich werde es herausfinden!“
 

Und das meinte sie ernst. Sie ließ mich nicht in Frieden, bis ich mit gepacktem Rucksack die Schlafeinheit verließ und einige Jungen aus einer anderen Klasse vor uns standen.
 

„Das ist doch die Kleine, die gestern unter dem Mistelzweig…“, kicherte der eine und stieß seinen Kumpel mit dem Ellenbogen an. Ich spürte, wie mein Gesicht hochrot anlief und beschleunigte meine Schritte. Rangiku eilte hinter mir her: „Mistelzweig? Du hast doch nicht etwa... Akari! Nein, mit wem?“, sie starrte mich so erwartungsvoll an, sodass ich gar nicht reagieren konnte.

„Etwa doch Byakuya?“, witzelte sie und ich schüttelte heftig den Kopf.
 

„Nein, um Himmels Willen nicht doch! Der war doch bei euch“, antwortete ich hastig und sie zog die Augenbrauen hoch.

„Na klar, als du so lange weg warst... aber wer... Byakuya und Kisuke waren beide noch am Kartenspielen mit mir, also wer...?“, doch sie sprach die Frage nicht zu Ende aus. Einen Moment lang starrte sie mich nur an und erkannte es in meinen Augen, ihre erwartungsvolle Freude schien verflogen zu sein.
 

Dann, als hätte man einen Schalter umgelegt, setzte sie wieder ein freudiges Grinsen auf und klopfte mir auf die Schulter.

„Wow wer hätte das gedacht“, sagte sie und ihre Verabschiedung fiel etwas kurz aus. Ich hätte mich nicht unwohler fühlen können. Ich dachte an Rangikus Geschichte und wie nah sie Gin stand. Wie hatte ich nur übersehen können, dass sie vermutlich Gefühle für ihn hatte? Das schlechte Gewissen drängte sich immer wieder in den Vordergrund, doch ich verdrängte die Gedanken, zumindest so lange ich zu Hause war. Ich nahm mir aber fest vor, die Sache mit Rangiku zu klären, sobald ich an die Akademie zurückkehrte.
 

Wir feierten Weihnachten mit unserer Mutter, auch Byakuya kam am Abend vorbei und aß mit uns. Sein Großvater war wieder unterwegs, Byakuya war es gewohnt, er hatte fast jedes Weihnachten mit uns verbracht, da sein Großvater noch nie viel von den Festlichkeiten der Lebenden gehalten hatte. Das ein oder andere Mal warf Byakuya mir einen seltsamen Blick zu, so als hätte auch er die Sache mit Gin mitbekommen, doch er sagte nichts. Er war zu höflich erzogen, um mich so in Verlegenheit zu bringen, zumindest solange meine Mutter dabei war. Zum Abschied warf er mir noch einen amüsierten Blick zu, bevor er ging.

Einen Tag bevor wir zurück zur Akademie gingen, stieg die Nervosität wieder. Ich lag stundenlang wach im Bett und malte mir die unterschiedlichsten Szenarien aus: Gin, der mich an der Hand nahm und mich in aller Öffentlichkeit abknutschte, oder Gin, der mich komplett ignorierte und mich auslachte, wenn ich ihn danach fragte.

‚Das war doch nur wegen des Mistelzweigs, du dachtest doch nicht etwa...?’.

Rangiku, die mir erklärte, dass unsere Freundschaft nun beendet war und mir sagte, ich sei eh nicht gut genug für einen Offizier oder Rangiku, die mir erklärte, dass sie nur Spaß gemacht hatte, und ich doch ruhig mit Gin etwas anfangen konnte – alle Versionen kämpften in meinem Kopf um Aufmerksamkeit.
 

Meine Nervosität war so schlimm, dass ich mir fast wünschte, ich würde weder Gin, noch Rangiku begegnen.

Doch als ein halber Schultag herum war und ich keinen von beiden getroffen hatte, spürte ich eine tiefe Enttäuschung. Wie seltsam Gefühle doch sind.
 

Erst am späten Nachmittag, als ich allein auf einer Bank saß, hörte ich von weitem jemanden heranschreiten. Mein Herz raste, ich erkannte Rangikus kupferfarbenes Haar. Sie setzte sich zu mir und eine Weile blieben wir stumm. Ich dachte, ich sollte etwas sagen, doch ich wusste beim besten Willen nicht, was.
 

„Hör Mal Akari, es tut mir leid, dass ich mich so seltsam benommen habe... Versteh das nicht falsch, es ist nicht, was du denkst“, begann sie plötzlich und ich traute mich immer noch kaum, sie anzusehen.
 

„Es ist nur...“, fuhr sie fort und sah mir nun direkt in die Augen, „Gin ist die einzige Familie, die ich habe. Ich hatte immer Angst vor dem Tag an dem er... nun mich für eine neue Familie zurücklässt.“
 

Ihre Worte bewegten mich. Natürlich, Gin war nicht nur ihr bester Freund, sondern eine lange Zeit die einzige Konstante in ihrem Leben gewesen.
 

„Also… hast du keine Gefühle für ihn?“, fragte ich erstaunt, Rangiku brach in Gelächter aus.
 

„Bitte was? Nicht doch! So etwas…“, sie klopfte sich vor Lachen auf die Oberschenkel und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
 

„Nein, ganz sicher nicht!“
 

Ich starrte sie an und sie sah mich aufrichtig lächelnd an.
 

„Er hat mir schon vor sehr langer Zeit klargemacht, dass wir eine Familie sind, also habe ich niemals auch nur Ansatzweise in so eine Richtung gedacht, also wirklich, das ist es nicht Akari… aber er ist meine Familie und ich werde ihn beschützen, so wie er mich beschützt hat.“
 

In ihren Augen schimmerte eine Traurigkeit, die mich berührte.
 

„Keine Sorge“, sagte ich bevor ich selbst darüber nachdenken konnte. „Ich habe nicht vor ihn dir wegzunehmen. Außerdem...“, auch ich blickte ihr jetzt tief in die Augen.
 

„Außerdem?“, fragte sie und ich lächelte.
 

„Außerdem gehöre ich jetzt auch zu deiner Familie. Immerhin teilen wir ein Zimmer und kochen zusammen.“

Sie lachte, wobei sich ein Schluchzen aus ihrem Inneren löste, ich stimmte in ihr Lachen mit ein und wir umarmten uns innig. Egal wie diese Sache mit Gin weitergehen würde, die Freundschaft mit Rangiku war mir zu wichtig geworden, um sie aufs Spiel zu setzen.
 

„Ich glaube, ihr gäbt ein gutes Paar ab“, sagte sie plötzlich und ich wurde schon wieder rot.
 

„Ach sag doch nicht so etwas...“, murmelte ich und Rangiku setzte wieder ihr schelmisches Grinsen auf.
 

„Aber wieso denn nicht?“
 

„Na ja wir haben überhaupt nicht darüber geredet, weißt du, seit diesem Moment hatten wir keine Sekunde zu zweit...“

Rangiku stand auf und legte ihren Kopf schief.
 

„Dann solltet ihr das jetzt nachholen“, mit einem Augenzwinkern ging sie davon und erst da merkte ich, dass Gin aufgetaucht war.
 

„Das war ein aufregender Moment unter dem Mistelzweig“, sagte ich irgendwann, um die unheimliche Stille zu unterbrechen.
 

„Oh ja, das war er wohl“ Gin grinste und beugte sich zu mir runter. Ich spürte, wie mein Herz zu klopfen begann.
 

„Aber war es auch mehr?“, fragte er und ich spürte, wie ich rot anlief.
 

„Ich… hab dich sehr gern, aber wir kennen uns noch nicht sehr lang“, brachte ich hervor und Gins Gesichtsausdruck wurde etwas ernster. Er war nun so nah an meinem Gesicht, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spüren konnte.
 

„Dann sollten wir uns besser kennenlernen… ich habe dich nämlich auch sehr gern, Akari.“ Unsere Lippen berührten sich erneut und ich ließ mich darauf ein.
 


 

Gin war mein erster fester Freund.

Anfänglich dauerte es eine Weile, bis wir uns sicher waren, dass wir das wirklich wollten, doch nach ein paar Wochen war es für uns beide fast unvorstellbar, wieder nur noch Freunde zu sein. Wir verbrachten selten Zeit zu zweit, da wir uns meist in der Gruppe aufhielten.
 

Die ersten Kirschblüten läuteten jedoch eine Zeit ein, die ich zum größten Teil ganz allein verbrachte.

Gin war eingespannt in seiner Arbeit als Offizier, Byakuya und Yamachi lernten wie die Verrückten für die schriftlichen Prüfungen, Rangiku, die schon ein Jahr länger an der Akademie war als wir, lernte bereits für ihre ersten praktischen Prüfungen und Kisuke verkroch sich in seinem Labor.
 

Ich begann mich mit einigen weiteren Leuten anzufreunden, doch es war gar nicht so einfach, Leute zu finden, bei denen sich nicht schon nach kurzer Zeit herausstellte, dass sie entweder nur aufgrund meines Adelstitels oder der Tatsache, dass ich mit einem Offizier liiert war, an einer Freundschaft mit mir interessiert waren. Da wünschte ich mir manchmal fast die Snobs von der Benimmschule zurück, die alle von hoher Geburt waren und deren offene Verachtung mir lieber war, als die Heuchelei einiger Studenten.
 

Immerhin fand ich einen neuen Freund, dem sowohl mein Beziehungsstatus als auch mein Adelstitel total egal waren und ich genoss seine Gesellschaft sehr.
 

„Ach die werden schon wieder aus ihren Löchern kriechen, solche Phasen durchlebt jede Freundschaft“, erklärte er mir beim Mittagessen, als ich wieder darüber jammerte, wie wenig Zeit meine Freunde für mich hatten.
 

Er stand kurz vor seiner Abschlussprüfung, wirkte aber im Gegensatz zu allen anderen überhaupt nicht gestresst.

„Ja wahrscheinlich“, murmelte ich und er stand auf, zerzauste mir mit der Hand die Haare und ging in Richtung Tablettabgabe davon.
 

„Kopf hoch, Akari.“
 

„Bereite du dich lieber auf deine Prüfung vor Shin“, antwortete ich mit einer Gabel im Mund und beobachtete, wie Shin nur abwinkte.
 

Er hatte wirklich die Ruhe weg, aber den Gerüchten zufolge war er auch begabt wie kein anderer. Wahrscheinlich würde er sofort nach der Prüfung einen Offiziersplatz belegen.
 

Die restliche Zeit verbrachte ich größtenteils damit, Rangiku beim Training zu helfen. Mir tat es gut einige meiner Grundkenntnisse aufzufrischen und gleichzeitig einer guten Freundin damit zu helfen.
 

Wir kochten viel zusammen und kreierten dabei die seltsamsten Gerichte. Die anderen waren nicht begeistert von den meisten, doch uns schmeckte es.
 

Nach einigen Wochen kam Gin endlich von seinem Einsatz zurück, es fühlte sich an, als hätten wir uns eine Ewigkeit nicht gesehen.
 

Byakuya, Yamachi, Kisuke, Rangiku und ich begrüßten ihn, doch bis auf Rangiku und mich verschwanden alle wieder recht schnell.
 

„Was ist denn mit denen los?“, fragte Gin verwundert.
 

Rangiku und ich zuckten nur mit den Achseln und erzählten ihm von den letzten Wochen.

Als die Prüfungen vorbei waren, führte das unsere kleine Gruppe wieder zusammen, bis auf Kisuke, der sich noch immer in seinen Erfindungen verkroch.
 

An einem besonders sonnigen Tag verlor ich die Geduld. Ich machte einen blöden Spruch und den niemand kommentierte und ein Hauch von Wut und Enttäuschung flammte in mir auf: Kisuke hatte eigentlich stets einen noch blöderen Spruch auf Lager. Er fehlte in unserer Gruppe und ich wollte seine konstante Abwesenheit nicht länger kommentarlos dulden.
 

Ich sprang auf die Beine und stapfte davon. Es war Zeit, ihn aus seinem Loch zu holen. Geradewegs marschierte ich in das Labor. Es war ein großer Raum, der rundum weiß gefliest war, überall standen Werkzeuge und Reagenzgläser, aber auch andere seltsame Dinge herum, die ich nicht einordnen konnte.
 

Kisuke saß an einem Schreibtisch und starrte vor sich hin, vor ihm lag ein Sandwich, dass er nicht angerührt hatte.
 

„Kisuke“, er erschrak. Meine Stimme hallte von den kahlen Wänden wieder und war lauter, als ich beabsichtigt hatte.

„Ach Akari, ich habe dich gar nicht kommen hören“, murmelte er und rieb sich die Augen.
 

Mir war aufgefallen, dass er seit einiger Zeit meinem Blick auswich.
 

„Kisuke das geht so nicht weiter!“, rief ich und Kisuke blinzelte mich verwundert an.
 

„Was meinst du?“
 

Ich ging auf ihn zu und spürte, dass seine Abwesenheit mich wirklich traurig gemacht hatte. Er gehörte zu uns und ich vermisste ihn als Mitglied unserer Gruppe. Ich vermisste meinen guten Freund, mit dem ich so viele wirre Gedanken teilte.
 

„Du verkriechst dich hier und zeigst dich überhaupt nicht mehr, ich mein was ist denn los mit dir? Ich dachte, wir wären Freunde!“
 

Er sagte nichts, starrte nur eine Weile sein Sandwich an. Gerade als ich dachte, er würde gar nicht mehr reagieren, schaute er zu mir hoch und das erste Mal seit Ewigkeiten sahen wir uns in die Augen.
 

„Du hast Recht Akari, es tut mir leid. Ich muss mir mehr Zeit für euch nehmen.“

In seinem Blick lag etwas Trauriges, das ich nicht deuten konnte.
 

„Kisuke... du kannst mit mir reden, wenn dich etwas belastet“, bat ich ihm an und für einen kurzen Moment huschte ein trauriger Ausdruck über sein Gesicht.
 

Dann jedoch setzt er ein Lächeln auf.
 

„Danke, Akari“, aus irgendeinem Grund kribbelte es unangenehm ihn meinem Bauch, als er meinen Namen aussprach.

„Aber ich habe mich wohl nur etwas überarbeitet.“
 

Er stand auf, schnappte sich sein Sandwich und stolperte, ich fing ihn halb auf, das Sandwich landete auf dem Boden und für einen Moment waren sich unsere Gesichter sehr nah.
 

„Hoppala… danke…“ sagte er leise und erneut spürte ich dieses seltsam kribbelige Gefühl in mir. Ich ließ ihn los und versuchte, die Situation mit einem Lachen wieder aufzulockern.
 

„Du musst wohl wirklich dringend ins Bett“, brachte ich hervor, er lachte und kratzte sich am Hinterkopf.

„Da hast du wohl Recht.“
 

Am nächsten Tag gesellte er sich das erste Mal seit Monaten wieder zu uns zum Essen. Erst nahm er nur zaghaft an den Konversationen teil. Es dauerte ein paar Tage, bis er wieder vollends der Alte zu sein schien.
 

Ich konnte mit ihm wieder herum scherzen wie früher und unsere Gruppe war endlich wieder komplett. Wir waren vollständig, eine kleine Freundesgruppe, die unterschiedlicher nicht hätte sein können und doch zu einer Art Familie heranwuchs.
 

So vergingen einige Jahre des Glücks.

Der Moment, der Alles änderte

Ich erinnerte mich noch gut an den Tag, an dem Aizen plötzlich in der Akademie stand.
 

Es war ein Donnerstag und er war auf der Suche nach Gin, der wiederum Zeit mit mir verbrachte.

Wir waren nun fast drei Jahre zusammen.
 

„Wir haben einen Auftrag“, sagte der Vize-Kommandant ruhig und freundlich. Gin antwortete nicht.
 

„In Rukongai treibt sich ein Hollow herum“, fügte Aizen hinzu und ich riss die Augen auf.

„Wie kommt ein Hollow nach Rukongai?“
 

Der Vize-Kommandant musterte mich einen Moment, bis er antwortete.
 

„Genau das ist die Frage.“
 

„Aber warum steht ihr hier noch herum? Da sind Unschuldige, die in Rukongai von einem Hollow angegriffen werden könnten“, rief ich nun und Aizen warf Gin einen erwartungsvollen Blick zu. Der blieb weiter stumm.
 

„Wie wäre es, wenn du uns begleitest?“, Aizens Frage kam nicht unerwartet und doch hatte ich das Gefühl, dass etwas anders war als sonst.
 

Kisuke und Rangiku kamen in diesem Moment um die Ecke. Auch sie boten an, uns zu begleiten, doch Aizen schüttelte sofort den Kopf, was Rangiku nicht wunderte. Kisuke hingegen schien etwas vor den Kopf gestoßen zu sein.
 

„Akari ist die Einzige von euch, deren Reiatsu stark genug ist, um das auszuhalten.“
 

Das machte mich etwas stutzig, da ich mir sicher war, dass auch Kisuke dem standhalten konnte, doch ich widersprach Aizen nicht. Ich ging mit und warf Kisuke noch einen Blick zu, der die Stirn in Falten gelegt hatte.
 

Wir reisten nach Rukongai. Ich war noch nicht häufig dort gewesen, doch jedes Mal schockierten mich die Verhältnisse in den äußeren Bezirken aufs Neue. Je weiter wir Seireitei hinter uns ließen, desto schlimmer wurde es. Kinder, die auf der Straße lebten, Menschen die bettelten und klauten, das war alles Alltag. Endlich waren wir an dem Ort angekommen, an dem sich der Hollow angeblich aufhielt. Es war ein kleiner Wald am Rande eines Dorfes und schon von weitem spürte ich ein seltsames Reiatsu. Es lief mir eiskalt den Rücken herunter.
 

Aizen gab uns nur wenige Instruktionen. Eine wilde Jagd begann. Der Plan war es, das Wesen aus mehreren Richtungen zu umzingeln, sodass wir es schlussendlich alle gemeinsam angreifen konnten, doch es war schneller, als alles, was ich bisher erlebt hatte. Gerade als ich die ersten Ermüdungserscheinungen wahrnahm, wäre ich beinahe mit Gin zusammengeprallt, die Konzentration schien bei uns allen nachzulassen. Er drückte mir einen hastigen Kuss auf die Stirn und packte mich etwas zu grob am Arm.
 

„Geh du nach rechts, ich gehe nach links“, hauchte er und verschwand. Für einen Moment war ich wie angewurzelt. Eine Angst, die ich zuvor nicht gekannt hatte, kroch in mir hoch und sie rührte nicht von der Anwesenheit des Hollow. Es war irgendetwas in Gins Blick, was mich frösteln ließ.
 

Ich stand im dunklen Wald und zögerte. Mein Blick glitt in die Richtung, in die Gin mich geschickt hatte, doch schrie alles in mir, ihm zu folgen. Es war wie ein Instinkt, den ich nicht unterdrücken konnte. Ich begriff, dass die Angst, die in mir aufkeimte, nicht die Angst um mich selbst war, sondern die Angst um Gin.
 

Ohne nachzudenken, eilte ich ihm nach. Ich rannte, so schnell mich meine Beine tragen konnten und platzte auf eine Lichtung des Waldes, auf der ich ein Wesen entdeckte.
 

Ich erstarrte. Einerseits sah es aus wie ein Hollow, doch hatte es so menschliche Züge, wie ich sie noch nie an einem Hollow gesehen hatte. Ich beobachtete einige Sekunden, wie Gin das Wesen bekämpfte. Es war so schnell und geschickt, dass ich stutzte. So etwas hatte ich noch nie gesehen, doch wollte ich mir nicht anmaßen, viel darüber zu wissen. Generell hatte ich bisher, nur wenige echte Hollows zu Gesicht bekommen.
 

Dann geschah etwas, das ich kaum begreifen konnte. Das Monster stieß Gin zu Boden und zog ein Schwert, das ich zuvor gar nicht bemerkt hatte. Ich reagierte bevor ich Denken konnte, ein heller schneidender Schmerz durchzuckte meinen Rücken, während ich auf Gin herabblickte. Ich hatte mich dazwischen gestellt. Niemals werde ich seinen Blick vergessen: weit aufgerissene Augen, der Mund zu einem Schrei geöffnet. Doch ich konnte ihn nicht mehr hören, denn in dem Moment feuerte das Monster ein rotes Licht auf mich ab, das meinen Körper zu zerfetzen schien. Der Schmerz riss an mir, zerrte an meinem Geist und fraß sich brennend in meine Haut. Dankend nahm ich die kühle, schmerzlose Dunkelheit an, die mich umfing.
 

Ich erwachte in meinem Bett und mein Körper fühlte sich an, als wäre er durch eine Mangel gezogen worden. Jemand klopfte ungeduldig an meine Tür und erst jetzt realisierte ich, dass ich wirklich in meinem Bett lag. Zu Hause. Nicht in meiner Unterkunft. Nicht in einer Krankenstation.
 

„Jaa?“, rief ich mit krächzender Stimme und blinzelte gegen das helle Licht an, als meine Mutter hereinkam.

„Du bist wach“, flüsterte sie und setzte sich behutsam auf mein Bett. Ich nickte, doch das war ein Fehler, sofort durchzuckte ein heller Schmerz meinen Kopf.
 

„Dann solltest du dich beeilen, du musst zurück zur Akademie“, ergänzte sie leise und ich runzelte die Stirn.

„Zur Akademie? Was? Wie lange war ich hier?“, fragte ich und meine Mutter runzelte ebenfalls die Stirn.

„Was meinst du? Hier im Bett? Du bist nach dem Abendessen ins Bett gegangen.“
 

Mit diesen Worten stand sie auf und verließ mein Zimmer. Ich war so perplex, dass ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Ich spürte die Wunde auf meinem Rücken, doch sie war nicht einmal halb so schlimm, wie ich erwartet hatte. Sie wirkte schon zum größten Teil abgeheilt, auch wenn mir noch alles schmerzte. Während ich mir in der Küche etwas Essbares aus dem Kühlschrank hervorkramte, versuchte ich es noch einmal.
 

„Also… ich bin seit gestern hier, ja?“
 

Sie runzelte die Stirn und wirkte nun etwas besorgt.
 

„Du bist seit Donnerstag hier Akari, Schatz, geht es dir gut?“ sagte sie mit einem vollkommen ernsten Gesichtsausdruck.

Ich starrte sie an, blickte dann in den Topf voll Curry, der noch auf dem Herd stand. Meine Mutter aß es nicht besonders gern, doch ich liebte es und so kochte sie es gern für mich.
 

„Du hast mir Curry gemacht“, murmelte ich und sie zog die Augenbrauen hoch.
 

„Das haben wir gestern zusammen- also Akari, so langsam mache ich mir Sorgen! Vielleicht sollten wir Unohana aufsuchen.“
 

Ich starrte meine Mutter für einen Moment an, dann lachte ich verlegen und rieb mir die Augen.

„Entschuldige, ich bin einfach noch sehr müde!“ Noch immer sah sie mich besorgt an, doch ich versuchte, mein Entsetzen zu überspielen. Hier geschah etwas Seltsames, aber meine Mutter wollte ich nicht mit hineinziehen.
 

Ich beeilte mich, zurück zur Akademie zu kommen. Ich musste Gin finden – oder Aizen, irgendjemanden, der mir erzählen konnte, was draußen in Rukongai geschehen war, nachdem ich das Bewusstsein verloren hatte. Ich verabschiedete mich nur knapp von meiner Mutter und war innerhalb kürzester Zeit in der Akademie, doch ich hatte keine Zeit zu suchen, ich musste direkt zum Unterricht.
 

Der Tag verging schleppend langsam und erst als endlich Mittagspause war, zog ich Rangiku, die gerade noch einmal das Thema des letzten Unterrichts durchging mit mir zur Seite.
 

„Hey Akari, was ist denn-“, ich unterbrach sie und zog sie weg von den anderen Schülern.
 

„Rangiku, wann haben wir uns das letzte Mal gesehen?“
 

Sie schaute mich irritiert an.

„Ist das so eine Art Rätsel oder…?“
 

Ich schüttelte den Kopf und sah mich um, ganz so als hoffte ich, Gin irgendwo zu entdecken, doch weit und breit waren nur Studenten der Akademie.
 

„Bitte Rangiku, konzentrier dich! Das ist wichtig.“
 

Rangiku runzelte die Stirn und verschränkte die Arme vor der Brust.
 

„Na das war am Donnerstag“, erklärte sie.
 

„Okay gut, wann am Donnerstag?“ Sie wollte schon wieder etwas erwidern, sah aber meinen flehenden Blick.
 

„Als du von deinem Einsatz mit Gin und so wiedergekommen bist. Du hast deine Sachen gepackt und gesagt, deiner Mutter ginge es etwas schlechter, und du wolltest das Wochenende mit ihr verbringen, deshalb hast du dich für Freitag vom Unterricht freigestellt. Akari, testest du gerade, ob ich dir richtig zuhöre oder was soll dieses Verhör?“
 

Ich starrte sie an. Irgendetwas stimmte hier gewaltig nicht. Ich musste unbedingt mit Gin sprechen. Noch immer starrte ich Rangiku an, auf deren Stirn sich Sorgenfalten bildeten und ich versuchte, ein Lachen aufzusetzen.
 

„Ja genau, ich mach bloß Spaß!“, rief ich und klopfte ihr auf die Schulter. Sie wirkte noch immer etwas besorgt, doch ich wollte ihr nichts von alldem erzählen, bevor ich nicht mit Gin gesprochen hatte. Ich schüttelte Rangiku ab und begab mich auf die Suche, doch Gin war weit und breit nirgends aufzufinden. Ich begann, mir Sorgen zu machen. War er doch verletzt worden? Was war nur geschehen? Wie konnte es sein, dass ich keine Erinnerungen an das komplette Wochenende hatte und andere Erinnerungen an mich hatten von Dingen, die nie geschehen waren? Ich spürte Angst in mir aufkeimen, doch ich versuchte sie zu unterdrücken. Ich versuchte, ruhig zu bleiben – Panik hatte noch nie jemandem geholfen.
 

„Und, geht es deiner Mutter besser?“, fragte Byakuya mich plötzlich, ich hatte kaum bemerkt, dass er auf dem Gang stand, den ich gerade durchstreifte.
 

„Ach, ähm, ja schon“, antwortete ich und mein Herz rutschte mir noch etwas tiefer in die Hose. Auch von Byakuya hatte ich mich angeblich am Donnerstag verabschiedet, um das Wochenende daheim zu verbringen. Als ich nicht mehr wusste, wo ich noch suchen sollte, schlenderte ich wirr durch die Gänge und stellte irgendwann überrascht fest, dass mein Unterbewusstsein mich in die Nähe von Kisukes Labor geführt hatte – ich stattete auch ihm einen kurzen Besuch ab.
 

„Gin? Den habe ich noch nicht gesehen heute“, murmelte er nur, als ich ihm von meiner Suche erzählte.
 

„Ja ich weiß“, antwortete ich, ohne darüber nachzudenken. Kisuke sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Es ist nur… irgendetwas Seltsames geschieht hier gerade.“ Kiskue drehte sich abrupt um und sah mich aufmerksam an. „Hat es was mit eurem Einsatz in Rukongai letzten Donnerstag zu tun?“, fragte er und sein Blick war so durchdringend, wie ich ihn nie zuvor bei ihm gesehen hatte.
 

Ich nickte langsam und Kisukes Augen verengten sich.
 

„Ich hatte so ein ungutes Gefühl, als ihr gegangen seid… Aber was ist geschehen?“
 

Für einen Moment haderte ich mit mir, aus irgendeinem Grund hatte ich weder Rangiku noch Byakuya die Wahrheit erzählt, sondern einfach mitgespielt, doch so langsam hatte ich das Gefühl zu platzen. Auch wenn ich eigentlich erst mit Gin sprechen wollte, kroch die Panik von Stunde um Stunde mehr in mir hoch und aus irgendeinem Grund war ich mir sicher, dass Kisuke mir glauben würde. Ich atmete einmal tief durch, bevor ich ihm alles erzählte – von dem seltsamen Hollow, bis hin zu meinem Erwachen in meinem Haus.
 

„Das heißt… du bist dir ganz sicher, dass du dich nie von Byakuya oder Rangiku verabschiedet oder mit deiner Mutter gekocht hast, aber sie sind sich ganz sicher, dass es so war?“, fasste er am Ende zusammen, während er aufstand und ein paar Schritte um mich herum machte.
 

„Wurde ich vielleicht so schwer verletzt, dass es meine Erinnerungsfähigkeit beeinflusst hat?“, fragte ich und Kisuke verschränkte die Arme.
 

„Das glaube ich nicht, dafür hätte es deinen Kopf treffen müssen. Darf ich?“, fragte er und ich bemerkte erst jetzt, dass er interessiert versuchte, an meinem Nacken in mein Oberteil zu schielen. Ich lief rot an, obwohl ich wusste, dass er nur nach meiner Wunde sehen wollte.
 

„Klar“, mit einer Bewegung lockerte ich mein Oberteil etwas, sodass mein Rücken freigelegt wurde, dabei achtete ich darauf, es im vorderen Bereich gut festzuhalten. Kisuke schob mein langes Haar beiseite, ich wartete stumm.
 

„Die Narbe ist ganz blass, aber sie ist da“, stellte er schließlich fest und fuhr mit seinen Fingern über die Stelle an meinem Rücken, die noch immer leicht schmerzte. Mein Herz begann schneller zu schlagen und eine Gänsehaut zog sich über meinen gesamten Körper.
 

„Das muss ein ausgezeichneter Heiler gewesen sein, wenn die Wunde vom letzten Donnerstag ist.“

Hastig zog er plötzlich die Hand zurück und sein Gesicht wurde rot.

„Entschuldige, ich habe recht kalte Hände“, murmelte er verlegen und ich zog mein Oberteil wieder fest zu.
 

„Was hat das zu bedeuten?“
 

Kisukes Blick wurde sehr ernst und er begann sich mit der Hand am Kinn zu kratzen, an dem seit geraumer Zeit ein stoppeliger Drei-Tage-Bart spross. Es klopfte an der Tür und Kiske hielt inne. Ein junger Student steckte den Kopf herein.
 

„Ah, Miyazaki, da bist du ja! Offizier Ichimaru ist auf der Suche nach dir!“
 

„Ich komme“ rief ich und der Student verschwand mit einem Schulterzucken wieder.
 

„Kisuke, es wäre gut, wenn das… erstmal unter uns bleibt.“
 

Er nickte mir stumm zu und ich setzte mich in Bewegung.
 

„Akari?“, ich drehte mich noch einmal herum und hatte das Gefühl, dass er besorgt wirkte.

„Berichte mir, wenn du mehr darüber weißt, ja?“ Ich nickte und verließ sein Labor.
 

Ich spürte Gins Reiatsu und fand ihn auf dem großen Pausenhof der Akademie, der jetzt sehr leer war. Nur vereinzelt saßen noch ein paar Studenten auf Bänken und lasen oder unterhielten sich leise miteinander. Gin stand an einen Baum gelehnt und mein Herz setzte einen Schlag aus, als ich sein düsteres Gesicht erblickte. Ich sagte nichts, bis ich direkt vor ihm stand und wartete, dass er das Gespräch eröffnete.
 

„Akari, es tut mir leid“, begann er und seine Stimme war so kalt, dass ich erschauerte.
 

„Gin, du kannst nichts für das, was passiert ist“, unterbrach ich ihn und seine Augen weiteten sich im Schock.
 

„Ich habe nicht auf dich gehört, du musst gewusst haben, dass dieses… Wesen eine Nummer zu groß für mich ist, aber ich hatte so ein Gefühl, dass du in Gefahr bist, da konnte ich einfach nicht anders… und… es tut mir leid, ich hätte vermutlich auf dich hören sollen. Aber Gin, kannst Du mir erklären, was danach passiert ist? Irgendetwas Seltsames geht hier vor und ich kann es mir einfach nicht erklären…“
 

Noch immer starrte er mich mit aufgerissenen Augen an, was mir fast mehr Angst machte, als die ganze Geschichte so schon. Er packte mich etwas zu fest an den Schultern und fixierte meinen Blick.
 

„Du… erinnerst dich?“ Seine Stimme klang zittrig. Ich nickte, war kaum in der Lage zu antworten.
 

„Erinnerst du dich… an dieses Wochenende?“, fragte er nun und klang dabei fast schon panisch.
 

„Aua, Gin du tust mir weh“, zischte ich und er ließ meine Schultern los.
 

„Bitte beantworte meine Frage“, sagte er nun und klang dabei so flehentlich, dass ich schlucken musste.
 

„Das letzte, was ich noch weiß ist, dass ich das Bewusstsein verloren habe, als dieses rote Licht mich traf und dann, wie ich gestern in meinem Bett aufgewacht bin. Gin, was geht hier eigentlich vor? Meine Mutter erinnert sich an ein ganzes Wochenende mit mir, selbst Byakuya und Rangiku erinnern sich, wie ich mich hier noch von ihnen verabschiedet hab, aber das ist nie wirklich passiert, oder Gin? Jetzt sag schon etwas, du weißt doch, was geschehen ist?“
 

Während ich so redete, kamen mir die Tränen und Gin starrte mich einen Moment entgeistert an, dann zog er mich an sich und legte die Arme fest um mich. Mein Körper erbebte vom Schluchzen und es dauerte ein paar Minuten, bis ich mich wieder gefangen hatte. Dann schob Gin mich sanft von sich, er wischte eine Haarsträhne, die mir ins Gesicht hing, von meiner Stirn und klemmte sie hinter mein Ohr. Seine Augen waren leicht gerötet und er wirkte unglaublich erschöpft. Doch noch etwas anderes blitzte nun aus einem Blick hervor, was ich nicht deuten konnte, es war so etwas wie Hoffnung.
 

„Akari, du musst mir jetzt ganz genau zuhören, okay?“, seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
 

„Hast du irgendjemandem davon erzählt? Deiner Mutter, Rangiku, oder Byakuya?“
 

Ich schüttelte den Kopf, obwohl ich direkt ein schlechtes Gewissen hatte, da ich an Kisuke dachte. Es war ein einfaches Bauchgefühl, aus dem heraus ich entschied, Gin nichts davon zu sagen. Er atmete erleichtert auf und stand einen Moment mit geschlossenen Augen vor mir, dann öffnete er sie wieder und wirkte bitterernst.
 

„Du darfst niemals jemandem davon erzählen, hörst du Akari? Das musst du mir versprechen. Eines Tages werde ich dir alles erklären, das verspreche ich dir, aber im Moment musst du mir einfach vertrauen. Kannst du das?“
 

Ich nickte und spürte einen Kloß in meinem Hals.
 

„Gut“, murmelte er und legte eine Hand an mein Gesicht, seine Augen waren glasig und sein Mund verzog sich nun zu einem traurigen Lächeln.
 

„Ich glaube, du weißt schon, was jetzt kommt oder?“
 

Ich hatte eine Ahnung, wollte es aber nicht wahrhaben, also schüttelte ich den Kopf und spürte heiße Tränen auf meinen Wangen.
 

„Doch, das weißt du und du weißt auch, dass es das Beste ist.“ Ich schüttelte weiterhin den Kopf und war nicht in der Lage ihn anzusehen. Er hielt mein Kinn fest, sodass ich ihm direkt in die Augen sehen musste.
 

„Gin, warum? Wir können das gemeinsam…“, er unterbrach mich. „Ich kann dich da nicht weiter mit reinziehen. Es ist besser so, Akari. Vergiss dein Versprechen nicht.“
 

Ich schloss meine Augen, spürte seine Lippen auf meinen und es schmeckte nach Salz. Unsere Lippen lösten sich voneinander und er hauchte ein „Lebe Wohl“ in mein Ohr.
 

Als ich die Augen öffnete, war er verschwunden.

So endete die Sache mit Gin.

Erwachsen werden

Ich blieb einige Tage zu Hause.

Die schriftlichen Abschlussprüfungen der Akademie waren vorbei und bis wir unseren Dienst als Aushilfsshinigami begannen, würden noch einige Wochen vergehen.
 

Ich schloss mich in mein Zimmer ein und ließ niemanden zu mir, weder meine Mutter und Yamachi, noch Byakuya. Ich wollte allein sein, wollte mit meinem gebrochenen Herzen im Bett liegen und die Decke anstarren.
 

Ich wusste, dass ich zu jenen gehörte, die das brauchten. Ich brauchte meinen Schmerz und meine Trauer, musste das alles zulassen, um mit der Sache fertig zu werden. Immer wieder spielte ich in meinem Kopf das letzte Gespräch mit Gin durch, versuchte zu verstehen, in was er hineingeraten war. Tief in meinem Inneren spürte ich, dass er in etwas Übles verwickelt sein musste. Ich versuchte, ihm zu vertrauen, so wie er mich gebeten hatte und doch fiel es mir unglaublich schwer, mein ungutes Bauchgefühl auszublenden.
 

Zusätzlich versuchte ich noch immer, mir einen Reim darauf zu machen, dass sowohl meine Mutter, als auch einige meiner Freunde Erinnerungen hatten, die ich nicht hatte und dass ich das auf keinen Fall niemanden wissen lassen durfte. Da setzte stets mein schlechtes Gewissen ein, wenn ich darüber nachdachte, dass ich Kisuke alles erzählt hatte. Ich war mir sicher, dass er sein Wort halten und niemandem davon etwas sagen würde und doch hatte ich einen letzten Hauch von Angst. Was wäre, wenn er Gin ansprach? Hin und wieder überlegte ich, ob ich Kisuke einfach erzählen sollte, alles sei nur ein Scherz gewesen oder dass ich mich geirrt hatte, aber ich wusste, dass er mir das nicht abkaufen würde – zumal er die Narbe auf meinem Rücken gesehen hatte.

Ich würde ihn einfach bitten müssen, weiterhin zu schweigen und die Sache auf sich beruhen zu lassen.
 

Ich seufzte. Das tat ich oft diese Tage.
 

Es dauerte ganze zwei Wochen, da standen sie alle vor meiner Tür: Yamachi, Byakuya, Rangiku und Kiskue. Sie zwangen mich, mit ihnen zu kommen, raus an die frische Luft an den Fluss und ich gab nach. Wahrscheinlich würde es guttun, ein wenig unter Freunden zu sein. Ich war still und lauschte ihren Geschichten.
 

Sie sprachen mich nie direkt an, unterhielten sich miteinander und ich schnappte auf, was ich verpasst hatte in Seireitei. Kisuke hatte viel Zeit mit Kommandantin Yoruichi Shihoin verbracht und uns erklärt, dass er bei ihrer Familie aufgewachsen war. Ich hatte mich schon ein paar Mal gewundert, wie es um seine Familie stand, doch er schien zu jenen zu gehören, die nicht in der Soul Society geboren waren. Er war also einer derjenigen, der aus der Welt der Lebenden mit dem Tod in die Soul Society gelangte und das scheinbar schon in einem sehr jungen Alter.
 

Als Kind war er von den Shihoins aufgenommen worden und mit Yoruichi hatte er sich von Anfang an super verstanden (Ich war etwas beleidigt, dass er mir das nie erzählt hatte, wo ich sie doch so bewunderte!).
 

Des Weiteren gingen die Gerüchte herum, dass Kirio Hikifune, Kommandantin der 12. Kompanie vorhatte ihr Amt niederzulegen.

„Wie kommt sie denn darauf?“, fragte ich und für einen kurzen Moment starrten meine Freunde mich irritiert an. Es waren meine ersten Worte, seitdem wir uns am Fluss niedergelassen hatten.

„Man sagt, sie wurde befördert, aber sie wartet noch bis sie einen würdigen Nachfolger gefunden haben“, erklärte Yamachi in einem wichtigtuerischen Tonfall, als hätte er die Infos aus erster Hand.

„Vielleicht wird ja einer von uns ihr Nachfolger“, witzelte er und ich merkte, dass Byakuya die Schultern hängen ließ. Ich wusste, dass auf ihm ein unglaublicher Druck lastete. Alle Welt erwartete, dass er der Nachfolger von Ginrei Kuchiki wurde. Wir würden nach der Akademie ein Jahr als Shinigami-Anfänger arbeiten, bis wir durch Prüfungen und Beobachtungen in die unterschiedlichen Kompanien und Ränke eingeteilt wurden.
 

Yamachi spann weiter herum, in welchen Kompanien wir alle einmal Kommandanten werden würden.

„Genau, wir drei werden Kommandanten und ihr beide werdet unsere Vizekommandanten“, meinte er gerade zu Rangiku und Kisuke, die sich einen vielsagenden Blick zuwarfen. Selbst Byakuya runzelte die Stirn, doch ich lachte.
 

Yamachi wusste besser als jeder andere von uns, dass er keinerlei Chance hatte, ein Kommandant zu werden. Nicht nur, weil ihm die nötige Energie fehlte – er hatte schlicht und einfach keinerlei Ehrgeiz, ein großer Krieger zu werden. Er gab sich damit zufrieden, die Akademie bestehen, und theoretisch in den Dienst der Gotei 13 zu treten. Es war etwas, dass er sich selbst beweisen wollte, und nur das zählte für ihn. Sein Hauptaugenmerk lag auf den Geschäften unserer Familie.

Ich war dankbar, für seine Witzeleien, da ich wusste, dass es ihn viel Überwindung gekostet haben musste, sich über sich selbst lustig zu machen. Eine Sache, die er nicht für jeden getan hätte.
 


 

Ich kehrte an die Akademie zurück und hatte das Gefühl, sowohl die Trennung als auch das traumatische Erlebnis mit dem Hollow langsam verarbeitet zu haben. Es tat gut, Zeit mit meinen Freunden zu verbringen und mich wieder dem Training zu widmen. Tag für Tag vermisste ich Gin weniger und die Erinnerungen an diesen schrecklichen Donnerstag in Rukongai verblassten.
 

Kisuke war nicht gerade begeistert, als ich ihn darum bat, die Angelegenheit zu vergessen. Kurz nach meiner Rückkehr zur Akademie saß ich in seinem Forschungslabor und es fiel mir schwer, seinen Blick zu erwidern.
 

„Er hat mich darum gebeten und ich vertraue ihm…“
 

„Trotz allem?“, Kisukes Frage hatte einen gewissen Unterton und ich sah ihn nicht an.
 

„Ja, trotz allem.“
 

„Und obwohl du ihm vertraust, hast du ihm nicht gesagt, dass du es mir erzählt hast?“
 

Ich war wie erstarrt und fühlte mich ertappt. Ich senkte den Blick und begann mit mir zu ringen, doch ich konnte es selbst kaum in Worte fassen.

„Kisuke… ich bitte dich einfach darum, behalte es für dich, ja?“

Er sagte nichts, nickte aber schließlich und erhob sich.

„Aber vergiss nicht… wenn du doch weiter nachforschen willst, ich bin für dich da“, fügte er noch hinzu und ohne darüber nachzudenken, drehte ich mich herum und umarmte ihn kurz aber herzlich.

„Danke.“ Ich ließ ihn mit hochrotem Kopf zurück.
 


 

Ich hatte meine Trauer gehabt und erholte mich langsam wieder. Verbrachte viel Zeit mit unserer kleinen Gruppe, die wie eine zweite Familie für mich geworden war und als unser Jahr als Aushilfsshinigami begann, stürzte ich mich in die Arbeit.

Nach und nach war ich wieder ganz die Alte.
 

„Es scheint dir besser zu gehen.“, stellte Kisuke nach einigen Wochen fest und betrachte mich mit seinem verträumten Lächeln, dass ich mittlerweile so gern in seinem Gesicht sah. Ich konnte es mir selbst kaum eingestehen, aber nach und nach war er zu meinem engsten Freund geworden – nie hätte ich geglaubt, dass irgendjemand Byakuya diesen Posten einmal streitig machen würde, und doch hätte ich mittlerweile nicht sagen können, mit wem von beiden ich mich besser verstand.
 

Ich kannte Byakuya schon, seitdem ich angefangen hatte zu laufen, doch Kisuke und ich verstanden uns auf eine Art und Weise, die ich kaum beschreiben konnte. Wir waren auf einer Wellenlänge, hatten dieselbe Energie und verstanden uns ohne Worte.

Die Erinnerungen an Gin verblassten mehr und mehr, sodass ich die Sache irgendwann objektiver betrachten konnte. Ich begann zu realisieren, dass er wohl meine erste Liebe war, wir aber von Anfang an dazu verdammt gewesen waren, irgendwann auseinanderzugehen.
 

Denn auch wenn Rangiku es nicht zugeben würde, spürte ich, dass sie insgeheim doch Gefühle für ihn hegte. Allein an der Tatsache wie unglaublich wütend und verletzt sie davon war, dass weder Gin noch ich ihr erzählen konnten, was der Grund für unsere Trennung war, ließ mich aufhorchen. Einerseits war sie besorgt um uns beide, aber ich wusste auch, dass es an ihr nagte, dass wir etwas vor ihr geheim hielten. Selbst jetzt noch, da wir getrennt waren.
 

Sie versuchte, noch ein paar Mal das Thema anzuschneiden, doch ich bat sie, es gut sein zu lassen und nachdem sie eine Weile etwas distanziert war, näherten wir uns wieder an.
 

Eines Abends als sie erst spät aufs Zimmer kam, brach sie fast in Tränen aus, als ich sie fragte, wo sie sich so herumgetrieben hatte und ich wusste sofort, dass sie Zeit mit Gin verbracht haben musste.
 

„Schon gut, er ist deine Familie… das war er schon vor unserer Beziehung und mir war klar, dass es auch danach so bleiben würde. Du kannst ihn ruhig erwähnen, wirklich es ist in Ordnung.“
 

Auch, wenn es mir jedes Mal einen kleinen Stich versetzte, spürte ich, dass es gut so war und von Mal zu Mal schmerzte es mich weniger, wenn sie von ihm sprach.
 

In diesen Monaten verbrachte ich viel Zeit in den Trainingsräumen, um mich auf die praktische Prüfung vorzubereiten, die uns am Ende unserer Zeit als Aushilfsshinigami in die verschiedenen Ränge einteilen würde, um endlich wirklich der Gotei 13 beizutreten.
 

Sehr oft trainierte ich gemeinsam mit Kisuke.
 

Yamachi hatte viel in Familienangelegenheiten zu tun und sowohl Byakuya, als auch Rangiku wollten lieber allein ihr Training absolvieren.
 

Ich sorgte mich um Byakuya, der ein wenig zu verbissen wirkte und unbedingt die Erwartungen seines Großvaters erfüllen wollte. Jeder Rang unterhalb der Offiziersränge, würde eine Schande für die Familie Kuchiki bedeuten – was ich persönlich als absolut lächerlich empfand. Doch ich behielt diese Meinung für mich und versuchte Byakuya gut zuzureden.
 

Rangiku hatte ganz andere Sorgen – sie wollte nicht hinter uns zurückhängen. Sie hatte bereits ein Jahr länger auf der Akademie verbracht, als der Rest von uns, da ihre Leistungen anfangs schwächelten und war nun hochmotiviert, mit uns mitzuhalten.

Sie wusste, dass bis auf Yamachi, alle bessere Kämpfer waren als sie und das kratzte an ihrem Stolz. An manchen Tagen sah ich sie nur abends, wenn sie zum Schlafen in unser gemeinsames Zimmer kam. Sie schien unglaublich erschöpft und noch immer nicht recht zufrieden mit sich. Ich versuchte, ein Auge auf sie zu haben, doch ich war recht eingenommen, von meinem eigenen Training.
 

Eines Tages, als Kisuke und ich gerade einen kleinen Kampf gegeneinander fochten und ich ihn halb durch die Wand schleuderte, erklang ein leises Klatschen und ich fuhr herum.
 

Es war Kommandantin Yoruichi Shihoin.
 

„Das ist ja erbärmlich Kisuke, ich dachte, ich hätte dich etwas besser trainiert“, fluchte sie und schleuderte Kisuke zurück in die Wand, aus der er sich gerade pulte.
 

„Jetzt lasst mich doch mal zu Atem kommen“, grunzte er, setzte aber kurz danach auch schon wieder ein Lächeln auf. Ich hatte Yoruichi bisher nur einige Male von Weitem gesehen, doch nun stand sie direkt neben mir.
 

„Wer hat dich trainiert?“, fragte sie mich mit hochgezogenen Augenbrauen und ich zuckte mit den Achseln, „Ich?“, sagte ich kleinlaut und sie legte den Kopf schief.
 

„Oh das wird super.“ Ihr Lächeln war breit.
 

Das war der Tag, an dem Yoruichi begann auch mich zu trainieren.
 

Es fiel mir schwer, meine Begeisterung im Zaum zu halten. Sie war so schnell, dass ich sie kaum sehen konnte. Sie unterrichtete mich im Shunpo und ich inhalierte jedes Wort aus ihrem Munde, übte jede ihrer Aufgaben bis zur Perfektion und bekam wenig Schlaf in dieser Zeit. Kisuke hatte Shunpo schon früher gelernt und ich wollte zu ihm aufholen. Schon bald waren wir drei nur noch verschwommene Flecken, die miteinander Fangen spielten.
 

Die Aufgabe, die Yourichi uns hierbei stellte, war absurd einfach: Wir mussten es schaffen, sie zu berühren. So einfach, wie es klang, schien die Umsetzung unmöglich. Woche um Woche bemühte ich mich und dann, endlich, geschah das Unglaubliche:

Ich wollte nach ihr greifen und schon war sie fort, doch ich hielt inne. Es dauerte einige Sekunden, bis Yoruichi das begriff und ebenfalls stehen blieb. Innerhalb einer Millisekunde stand sie wieder vor mir.
 

„Was denn, gibst du schon auf?“, fragte sie mit einem hämischen Grinsen und ich öffnete nur langsam die Hand vor ihren Augen. Sie starrte ungläubig auf den kleinen weißen Fetzen, der in meiner Hand lag und suchte danach ihren Haori ab.
 

Tatsächlich fehlte dort ein kleines Stück. Ich hatte sie erwischt. Ihr Blick war schwer zu deuten. Er wirkte wie eine Mischung aus Verärgerung und Stolz.
 

An diesem Abend, wie schon an vielen zuvor, genossen wir unseren Feierabend auf dem Dach des Trainingsraums liegend, den Blick in die Sterne gerichtet.
 

„Sag mal Yoruichi“, begann ich irgendwann und hatte für eine Sekunde das Gefühl, ich hätte Kisuke geweckt, da er kurz erschrocken aufzuckte.
 

„Mh?“, machte die Kommandantin und gähnte danach einmal herzhaft.
 

„Du gehörst zur Familie Shihoin“, begann ich und sah aus dem Augenwinkel, dass sie nickte, „aber du benimmst dich nicht so.“

Sie sagte eine Weile nichts dazu, sah mich dann von der Seite her an.
 

„Das ist einfach nicht meine Welt. Ich glaube nicht, dass die Etikette beim Essen oder die Art, wie ich mich verbeuge, mich zu einem besseren oder schlechteren Menschen macht. Es sind die Taten, die zählen, nicht die Art, wie ich meine Kleidung trage oder der Name, den ich bei meiner Geburt geerbt habe.“

Ich lachte über diese Aussage. Mir war es stets genauso ergangen.
 

„Aber was erzähle ich dir das, du weißt ja, wovon ich spreche“, fügte sie hinzu, ich zuckte mit den Schultern und seufzte.

„Aber du bist sogar Familienoberhaupt“, murmelte ich und merkte, wie Yoruichis Augen einen seltsamen Glanz bekamen. Sie war die erste Frau, die jemals zu einem Adelsoberhaupt ernannt worden war. Meine Mutter war zwar derzeit auch Familienoberhaupt, aber sie war nie dazu ernannt worden. Sie hatte lediglich den Platz meines Vaters eingenommen, nachdem dieser gestorben war, und würde diesen Platz auch nur solange besetzen, bis Yamachi alt genug war, sie abzulösen.
 

„Wir sollten viel mehr Wert auf die Fähigkeiten und den Charakter der Leute legen und weniger darauf, wie oder wo jemand geboren wurde, das ist meine Meinung. Aber die alten Geister Seireiteis sind noch lange nicht soweit. Es wird noch dauern, bis es einen wirklichen Wandel geben wird.“
 

Wir trainierten weiter, doch Yoruichi hielt sich mehr und mehr zurück. Eines Tages steckte sie ihr Schwert ein und schüttelte ungläubig den Kopf.

„Was ist?“, fragte ich sie verblüfft.
 

„Dein Training ist hiermit vorbei“, meinte sie und ich runzelte die Stirn. Sie ging, ohne mir irgendeinen Grund zu nennen.

Ich rannte ihr nach, wollte, dass sie mir erklärte, was ich falsch gemacht hatte, doch sie ließ mich wortlos stehen.

Unglauben und Wut machten sich in mir breit, sodass ich begann, die Hologramme des Trainingsraums mit roher Kraft zu zerschlagen.
 

Ich bemerkte Kisukes Blick aus dem Augenwinkel, gab ihm jedoch keine Chance mich anzusprechen. Ich wollte meine Wut nicht an ihm auslassen und so ging ich ihm bis zum Ende unseres Trainings aus dem Weg.
 

Erst, als wir den Raum verließen, platzte es aus mir heraus.

„Was soll das? Wieso beendet sie grundlos mein Training? Ich mein, habe ich sie irgendwie beleidigt? Oder mich zu doof angestellt? Was soll das denn?“

Kisuke neben mir lachte auf. Ich starrte ihn verblüfft an, doch er grinste nur breit.
 

„Akari“, begann er und wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel, „Sie kann dir im Moment nichts mehr beibringen, weil du für deinen momentanen Rang eigentlich schon viel zu weit bist. Der nächste Schritt wäre wahrscheinlich ein Bankai zu lernen, aber dafür ist es noch viel zu früh.“
 

Ja zu dieser Zeit hatte ich meine eigene Kraft oft unterschätzt. Ich hatte von Kindheit an mit Byakuya einen sehr ambitionierten Trainingspartner gehabt und so oft nicht begriffen, dass wir andere Schüler der Akademie schon von Beginn an hinter uns gelassen hatten.

Nur langsam freundete ich mich mit dem Gedanken an, mein körperliches Training ein wenig herunterzufahren und mich anderen Dingen zu widmen. Den Ausschlag dazu gab mir Kisuke, der an einem verregneten Mittwochmorgen in seinem Labor hinter einem Buch zum Thema Wetterphänomene las.
 

„Viele Kämpfe mag man mit Kraft und Geschick gewinnen, doch die meisten gewinnt man mit dem Verstand. Es kann also nie schaden, sich so viel Wissen wie nur irgend möglich anzueignen.“
 

Den Winter über widmete ich mich also sehr vielen Büchern. Ich las mich in unterschiedlichste Themen ein, beschäftigte mich mit der Welt der Lebenden, so wie der Soul Society, Sprachen, Chemie, Physik, verschiedenen Kulturen und vor allem Psychologie.
 

Mein körperliches Training bestand aus weniger intensiven Einheiten, die ich zumeist allein verbrachte. Kisuke lernte noch immer von Yoruichi und so verbrachte ich einige Zeit allein.
 

Ich besuchte häufig meine Mutter und unterstützte sie und Yamachi bei Familienangelegenheiten oder spazierte einfach so durch Seireitei, prägte mir jede Ecke, jeden Gang ein. Grüßte Leute und beobachtete die Bewohner unserer Stadt bei ihren alltäglichen Aufgaben.
 

Ich erledigte meine aufgetragenen Aufgaben als Aushilfsshinigami gewissenhaft, doch es kribbelte mir in den Fingern. Ich wollte endlich in die Welt der Lebenden, und echte Hollows vernichten. Es reichte mir nicht, anderen Shinigami irgendwelche Dinge hinterherzutragen und Dokumente zu sortieren. Ich freute mich so sehr auf die Prüfung im Sommer, dass ich es kaum erwarten konnte. Zu Weihnachten bekamen wir Urlaub, mussten allerdings dabei helfen die Weihnachtsfeier für die Shinigami Akademie vorzubereiten.
 

Wir Aushilfsshinigami erledigten stets solche Art von Aufgaben, Unterstützung der Akademie, wie auch der bereits ausgebildeten Shinigami.
 

„Du schmückst hier, ich dort hinten“, bestimmte Rangiku, schnappte sich einen Karton und verschwand in einem weiteren Gang der Akademie. Ich war eine Weile nicht dort gewesen, denn obwohl wir noch immer in den Unterkünften der Akademie schliefen, benutzten wir deren Räumlichkeiten selbst kaum noch(außer der Trainingsräume, aber die waren etwas abseits).

Ich schnappte mir ein paar Girlanden aus dem Pappkarton, den Rangiku zurückgelassen hatte, da fiel noch etwas anderes mit heraus. Vorsichtig bückte ich mich, um das grüne Gestrüpp aufzuheben. Es war ein Mistelzweig. Es war genau in diesem Gang gewesen. Die Erinnerung an meinen ersten Kuss mit Gin flammte in mir auf, als wäre es gestern gewesen und ich spürte, wie ein altbekannter Schmerz sich in mir breitmachte.
 

Ich hatte einen Kloß im Hals und musste tief durchatmen, um mich wieder zu fangen. Das war mein Tiefpunkt in diesem Winter.

Obwohl das Weihnachtsfest sehr schön war, musste ich an die letzten Feste denken, die ich mit Gin verbracht hatte. Natürlich hatte ich meine Familie und meine Freunde und doch war es etwas anderes. Es fehlte etwas. Vor allem wünschte ich mir mittlerweile nichts sehnlicher, als endlich mal wieder mit Gin zu sprechen. Seit unserer Trennung hatten wir kein Wort mehr miteinander gewechselt, ich sah ihn nur noch sehr selten und die einzigen Informationen, die ich über ihn erhielt, waren die Dinge, die Rangiku mir erzählte. Doch sie hielt sich immer noch sehr zurück. Ich wollte ihn einfach nur fragen, wie es ihm ging – in was er verwickelt war und ob ich ihm irgendwie helfen konnte. Ich nahm mir vor, ihn aufzusuchen, sobald meine Prüfung vorbei war und ich mich als Shinigami innerhalb der Kompanien der Gotei 13 frei bewegen durfte.
 

Kurz nach Weihnachten entdeckte ich etwas, das mir in den Jahren zuvor entgangen war. Der Jahreswechsel stand an und wie jedes Jahr verbrachte ich diesen Abend mit meiner Familie. Ich kehrte gerade von meinem Besuch bei Byakuya zurück, der den Abend wie stets mit seinem Großvater verbrachte, und schlenderte nach Hause, da lief Yoruichi mir über den Weg.
 

„Hey, dich habe ich gesucht.“

„Mich?“

„Ja, du Akari, hör mal“, begann sie und verschränkte die Arme vor der Brust.“

„Kisuke wird mich dafür hassen, aber ich weiß, dass es ihm eigentlich wichtig ist. Er hält sich selbst nur leider für so unwichtig, dass er nie etwas sagt.“
 

Ich stutzte.

„Kisuke hält sich für unwichtig? Was meinst du?“

„Weißt du, dass heute sein Geburtstag ist?“
 

Mit geöffnetem Mund schüttelte ich den Kopf. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals Kisukes Geburtstag gefeiert zu haben. Aus irgendeinem Grund hatte ich angenommen, sein Geburtstag sei ihm äußerst unangenehm, da er uns nie davon berichtete. Dass es ihm jedoch wichtig war und er aus purem Selbstzweifel nichts davon gesagt hatte, obwohl es ihm eigentlich etwas bedeutete, schmerzte mich. Das schlechte Gewissen fraß sich durch meine Eingeweide und ich ließ die Schultern hängen.

„Armer Kisuke. Was sind wir für schlechte Freunde“, murmelte ich und Yoruichi lachte auf.
 

„Sei nicht zu streng mit dir, Kisuke ist ja auch nicht ganz einfach. Kommt doch gern heute Abend vorbei, dann überraschen wir ihn.“
 

Gesagt, getan.

Rangiku backte einen Kuchen, Yamachi und ich besorgten ein Geschenk, das wir festlich schmückten und Byakuya konnten wir immerhin dazu bringen, auf unserer Karte zu unterschreiben.
 

Nur zu dritt schlenderten Rangiku, Yamachi und ich zum Anwesen der Familie Shihoin. Wir würden nicht lange bleiben können, da Yamachi und ich unsere Mutter nicht ganz allein lassen wollten und auch Rangiku noch eine andere Verabredung hatte. Ich ahnte, mit wem, fragte jedoch nicht.
 

Das Anwesen der Familie Shihoin war unserem nicht unähnlich, doch noch beträchtlich größer. Wir wurden von Bediensteten durch Gärten und Gänge geführt, bis wir schließlich in ein hübsch eingerichtetes Teezimmer platzten.

Kisuke starrte uns einen Moment ungläubig an.
 

„Was macht ihr denn hier?“

„Alles Gute zum Geburtstag!“
 

Schon lange hatte ich keinen so fröhlichen Abend verbracht. Kisuke machte sich mit kindlicher Freude über Kuchen und Geschenke her und bedankte sich mindestens ein mal zu oft bei uns.

Rangiku verabschiedete sich als Erste und auch Yamachi sprang auf.
 

„Ich gehe schon einmal vor. Akari, bleib ruhig noch ein wenig, dann kann ich mit Mutter noch Kamm spielen.“ Es war ein Kartenspiel, dass Yamachi und meine Mutter liebten, ich hasste es. Ich merkte kaum, wie spät der Abend schon vorangeschritten war, da sprang Yoruichi gähnend auf.
 

„Wenn ihr hier kein Ende findet, dann begleite sie doch noch zu ihrer Mutter. Ich bin müde.“

Kisuke sah Yoruichi schmunzelnd an.
 

„Vergiss es“, raunte er und warf mir einen Blick von der Seite zu.

„Sie hat morgen Geburtstag, musst du wissen. Wir feiern unsere Geburtstage immer zusammen.“

„Das hättest du mir vorhin auch gleich erzählen können, dann hätten wir dir auch ein Geschenk mitgebracht.“

Yoruichi lachte. „Ich brauche keine Geschenke. Aber vielleicht können wir nächstes Jahr eine richtige Feier machen, wenn ihr auch alle in die Gotei 13 eingetreten seid.“
 

Ich verabschiedete mich von den beiden und hatte das unbestimmte Gefühl, Kisuke wolle noch etwas sagen, doch er ließ es und verabschiedete sich mit einer innigen Umarmung. Sein Geruch war mir so vertraut wie der meines Bruders. Irgendetwas an Kisuke roch nach zuhause.
 


 

Im neuen Jahr konzentrierte ich mich auf meine Arbeit und versuchte Kontakte zu knüpfen. Byakuya hatte mir diesen Tipp gegeben. Bei meinen kleinen Arbeiten sollte ich doch einfach mal ‚Konversation halten’, wie er es genannt hatte.

Ich versuchte, also mit so vielen unterschiedlichen Shinigami wie möglich ins Gespräch zu kommen, und merkte schon bald, dass es sich bezahlt machte.
 

Einige von ihnen begannen namentlich nach mir zu verlangen, um mir Aufgaben zu erteilen, andere verzichteten darauf mich Papierkram durch die Gänge tragen zu lassen, es war gut, sich ein wenig beliebt bei ihnen zu machen.

„Es ist vor allem praktisch für deine spätere Karriere, wenn sie dich jetzt schon kennen“, hatte Byakuya gesagt. Eine seiner Beschäftigungen bestand auch darin, sich regelmäßig bei den Shinigami sehen zu lassen, damit sie sein Gesicht in Erinnerung behielten.

Eines Abends bekam ich die Aufgabe, einen ganzen Stapel Dokumente in die zehnte Kompanie zu bringen, und war freudig erstaunt, als niemand geringerer, als mein alter Freund Shin mir die Tür öffnete.
 

„Hey Akari, lange nicht gesehen, wie geht es dir so?“

Wir unterhielten uns kurz, er hatte nach seiner Prüfung direkt einen Offiziersrang belegt und in der zehnten Kompanie gab es einiges an Arbeit.
 

„Oh ja, die Einsätze in der Welt der Lebenden machen schon Spaß, aber dieser Papierkram…“, er rollte mit den Augen, während er den Stapel Dokumente auf einem Tisch ablegte, den ich gebracht hatte.

„Du hast diesen Sommer auch deine Prüfung, nicht wahr?“
 

Wir plauderten noch ein wenig, bevor ich mich auf den Rückweg machte. Von diesem Tag an wurde ich öfter von der zehnten Kompanie gerufen, zwar waren die Aufgaben, die ich dort erledigen durfte echt sehr dröge, doch konnte ich mich so immerhin ab und zu mit Shin unterhalten und so seinen Berichten über die Außeneinsätze lauschen.
 

Als das Frühjahr anbrach, hatte ich also gefühlte hundert Bücher gelesen, täglich trainiert und einen Haufen Kontakte geknüpft. Ich konnte Rangiku überreden, jeden zweiten Tag zusammen mit mir zu kochen, und bald saßen wir wieder auf der Wiese und aßen seltsam zusammengestellte Gerichte. Selbst Byakuya und Yamachi fanden wieder ab und an Zeit und so unterhielten wir uns stundenlang über unsere Trainingseinheiten und über das, was wir in unseren Prüfungen wohl zu erwarten hatten. Die Tage flogen dahin und ich freute mich so unendlich auf meine Prüfung, dass die anderen es schon seltsam fanden.
 

„Ich bin so nervös, dass ich kaum schlafen kann, und du freust dich darauf?“, hatte Rangiku eines Abends zu mir gesagt und ich hatte nur geseufzt.

„Ich kann es einfach nicht abwarten endlich etwas Vernünftiges zu tun. Dieses Papier hin und her tragen und das Bekämpfen von Hologrammen ist nicht wirklich erfüllend.“

Vor allem wenn man im Training keine echten Ziele hatte, weil man anscheinend nichts Vernünftiges mehr lernen konnte, fügte ich in Gedanken hinzu.
 

Einer der ersten warmen Sommertage, genau eine Woche vor unserer Prüfung, lockte uns alle wieder auf unsere Wiese. Wir aßen, tranken und tauschten uns aus, bis einer nach dem anderen sich verabschiedete.
 

Rangiku sprang auf, kurz nachdem Yamachi gegangen war und so blieben Kisuke und ich mit dem dreckigen Geschirr und Essensresten zurück.

Wir plauderten, bis der Himmel sich komplett Orange verfärbt hatte. Langsam sammelten wir die Teller und das Besteck auf, legten alles in Rangikus großen Korb und wickelten die Decke ein.
 

Stumm erledigten wir diese Aufgaben und ich bemerkte, dass Kisuke mir verstohlene Blicke von der Seite zuwarf. Er holte Luft, als wolle er etwas sagen, pustete sie jedoch wortlos wieder heraus. Für einen kurzen Moment wollte ich ihn ansprechen, ihn fragen, was er sagen wollte, doch irgendetwas hielt mich zurück. Ein seltsames Gefühl machte sich in meinem Magen breit, kroch bis in meinen Brustkorb und ließ meine Finger kribbeln. Aus irgendeinem Grund hatte ich das Gefühl, als wolle ich nicht hören, was er zu sagen hatte.
 

Er schnappte sich den Korb und ich nahm die Decke, wir schlenderten langsam den Gang zurück zu den Schlafunterkünften und ich überlegte fieberhaft, welch unverfängliches Gesprächsthema ich anschneiden konnte. Doch Kisuke holte erneut Luft und dieses Mal kamen die Worte aus ihm heraus.
 

„Weißt du Akari... heute vor einem Jahr...“, begann er und ich hob die Hand. Ich wollte nicht, dass er weiter redete, ich wusste, was heute vor einem Jahr geschehen war.
 

Es war der Tag gewesen, an dem Gin sich von mir getrennt hatte. Der Tag, an dem ich Kisuke von diesem Einsatz in Rukongai erzählt und ihm meine Narbe gezeigt hatte, die mittlerweile kaum noch sichtbar war. Kisuke warf mir einen traurigen Blick zu und blickte dann in den Himmel.
 

„Als wir uns kennen lernten, wollte ich dich heiraten“, platzte er heraus und ich warf ihm einen belustigten Blick zu. Diesen Themenwechsel hatte ich so nicht erwartet. Kisukes Wangen leuchteten rot und sein Grinsen wurde breiter.
 

„Aber ich hätte damals nicht gedacht, dass wir uns tatsächlich eines Tages so gut kennen würden ... und ich noch immer den gleichen Wunsch habe.“

Ich riss die Augenbrauen hoch und lachte.
 

„Du willst mich heiraten?“, fragte ich belustigt, doch er blieb ernst.

„Nicht sofort“, gab er zu und lächelte. Es war ein trauriges Lächeln.
 

Das Lächeln gefror auf meinen Lippen und das Kribbeln in meinen Fingern verstärkte sich. Ich wich seinem Blick aus. Wollte etwas sagen, doch kein Ton löste sich aus meinem Mund.

„Weißt du... es ist schon lange her, dass ich mich in dich verliebt habe.“
 

Nun spürte auch ich die Hitze in meinem Gesicht, die meine Wangen vermutlich rot glühen ließ. Mein Herz raste in meiner Brust und ich hatte das Gefühl, nicht mehr zu wissen, wie man richtig lief. Meine Knie fühlten sich so weich an, dass ich damit rechnete, jeden Moment einfach wegzusacken, doch ich ging stumm weiter. Den Blick auf den Boden gerichtet.
 

„Aber an dem Abend, an dem ich es dir gestehen wollte... nun da standest du mit Gin unter diesem Mistelzweig“, er drehte sich herum und merkte, dass ich den Atem anhielt, doch er schmunzelte nun.
 

So lange schon hatte er Gefühle für mich und ich hatte es nicht begriffen. Ich schluckte. Die Erinnerung an sein Verhalten am Anfang meiner Beziehung mit Gin durchstreifte meine Gedanken. Er hatte sich zurückgezogen, bis ich ihn zur Rede stellte.

„Ich war erst traurig“, fuhr er fort und spazierte weiter, ich folgte ihm wieder, immer noch stumm.
 

„Dann schließlich war ich wütend. Auf mich selbst, dass ich wirklich dachte, jemand wie du könnte sich jemals für mich interessieren ... also auf eine romantische Art. Aber als ich sah, wie glücklich du warst ... Ich weiß nicht, da konnte ich es auch wieder sein. Es war nicht schön, aber es war irgendwie erträglich. Ich wollte dir ein guter Freund sein.“
 

Er blieb erneut stehen, sodass ich zwei Schritte an ihm vorbei ging. Langsam wandte ich mich um und bemerkte zu meinem Entsetzen, dass sein Gesichtsausdruck sich verändert hatte. Er wirkte ernst, fast schon wütend.
 

„Aber heute vor einem Jahr ... als du zu mir kamst mit dieser Narbe… und mir erzähltest, was passiert war und er…“, in seiner Stimme schwang nun offene Abneigung mit, „… einfach davonging, ohne die Sache aufzuklären… Als er dich nach all dem einfach zurückließ mit deinem Schmerz und der Verwirrung, da schwor ich mir, dich zu beschützen.“
 

Einen Moment lang war es still und nur der Wind blies leicht durch mein langes Haar, das ich offen trug. Ich atmete nicht.

„Kisuke... ich...“, begann ich leise, doch er hob die Hand und sein Lächeln kehrte zurück.
 

„Du musst mir dazu jetzt nichts sagen. Du musst mir gar nie etwas dazu sagen, wenn du nicht möchtest, ich musste das nur endlich loswerden. Aber wenn es dir lieber ist, dann vergiss es einfach.“
 

Ich wollte etwas sagen, doch kein Ton löste sich aus meinem Mund. Kisuke schenkte mir ein Lächeln und die Art, in der er mich ansah, schnürte mir den Atem ab.

„Gute Nacht, Akari.“

Mit diesen Worten ging er weiter und ich folgte ihm nicht.
 

In dieser Nacht hatte ich wirre Träume von Gin und Kisuke, die ein Schachspiel gegeneinander ausfochten, Kisuke redete immer wieder etwas davon, dass er seinen Glückshut nicht aufhatte.

Dieser Traum machte mir eines klar: Kisuke war schon immer an meiner Seite gewesen, genau wie Yamachi und Byakuya.

Er gehörte zu denen, die mich niemals im Stich lassen würden, dessen war ich mir sicher. Was auch immer geschah, ich wollte ihn nicht verlieren, aber noch weniger wollte ich ihm wehtun.
 

„Da ist er ja“, sagte er in meinem Traum und zog den weiß und grün gestreiften Hut aus seinem Ärmel. Er trug ihn nicht mehr jeden Tag, aber ich wusste, dass er ihn noch immer hatte. In unserer Freizeit hatte er ihn oft auf.
 

„Jetzt kann ich dieses Spiel gewinnen“, sagte er zu Gin und machte seinen Zug mit einer grün und weiß gestreiften Schachfigur. Ich erwachte am frühen Morgen und schwor mir, niemals jemandem von diesem Traum zu erzählen.

Der Traum von Anfang an

Der Tag der Prüfung war gekommen.

Es gab mehrere Prüfungsteile und tatsächlich war der erste Teil, auf den ich mich am meisten gefreut hatte, der, der mich am meisten enttäuschte. Wir durften das erste Mal eine echte Schlacht in der Welt der Lebenden ausfechten.
 

Wir besuchten eine Stadt, in der vermehrt Hollows ihr Unwesen trieben, die allerdings für keinen von uns eine Herausforderung darstellten. Innerhalb von wenigen Stunden waren wir wieder zurück in der Akademie.
 

Die weiteren Prüfungsabschnitte waren ähnlich, wie in unserer Zwischenprüfung im Jahr zuvor, nur dass von jeder Kompanie der Gotei 13 jemand vertreten war, der die Anwärter beobachtete und bewertete.
 

Jeder Prüfling durfte vorab Wünsche abgeben, in welche Kompanie er oder sie gerne eingeteilt werden würde, doch ich war unentschieden, weshalb ich keinen Wunsch abgab.
 

Die Prüfungen waren wesentlich länger und intensiver als alle vorherigen, weil wir viele unterschiedliche Aufgabengebiete erledigen mussten.
 

Nicht nur Kido und Schwertkampf, sondern auch Heilkräfte, Organisation, Autorität, Personalführung aber auch Dokumentation. Insgesamt dauerten alle Prüfungsteile zwei Tage und ich weiß noch, dass wir alle nach dem letzten Prüfungsteil auf einer Bank saßen und auf unsere Ergebnisse warteten.
 

Etliche andere saßen um uns herum und erzählten sich gegenseitig, wie sie welche Aufgabe gelöst hatten, wir hatten abgemacht nicht ein Wort über unsere Prüfungen zu verlieren und das war allen recht.
 

„Kuchiki, Byakuya“, war der Erste, der von uns aufgerufen wurde. Ein junger Shinigami, der ein großes Pergament in der Hand hielt, musterte Byakuya mit offener Neugier, als dieser sich auf den Weg zum Prüfungsausschuss machte. Ich drückte seine Schulter kurz und er ging hinein.
 

Eine Weile geschah nichts, dann kam der junge Shinigami zurück, rief einige andere Leute auf, die ich flüchtig kannte. Schließlich las er, „Matsumoto, Rangiku“, vor.
 

Sie schluckte und atmete tief durch, bevor auch sie in den dunklen Gang verschwand. Das Warten war das Schlimmste.

„Miyazaki, Akari“, ich ballte meine Hände zu Fäusten, um die Nervosität aus meinen Fingern zu pressen. Yamachi und Kisuke nickten mir aufmunternd zu und ich folgte dem Weg, den auch Rangiku und Byakuya schon gegangen waren.

Ich fand mich in dem Prüfungssaal wieder und beobachtete die Vertreter, der unterschiedlichen Kompanien auf ihren Papieren herumkritzeln.
 

„Miyazaki, Akari“, begrüßte mich Choujirou Sasakibe, der Vizekommandant der ersten Einheit, der diese Sitzung leitete. Es war meine erste Begegnung mit ihm.
 

„Deine Ergebnisse waren hervorragend, nur deine Heilkünste könntest du noch weiter ausbauen. Wie dem auch sei, wir haben deine Fähigkeiten auf die eines Offiziers im vierten Rang eingestuft und die zehnte Kompanie wünscht dich in ihren Reihen“, er nickte einem älteren Mann zu, den ich als Ivan Youru erkannte, er war der dritte Offizier der Zehnten Kompanie und besetzte damit das zurzeit höchste Amt der Kompanie.
 

Es war schon eine Weile her, dass die Zehnte Kompanie einen Kommandanten oder Vizekommandanten gehabt hatte.

„Nimmst du dieses Amt an?“, fragte Sasakibe mich und ich brauchte einen kurzen Moment, um meine Stimme wiederzufinden, da ich noch immer nicht recht begriff, was ich da gerade gehört hatte.
 

„Ja-ja, das tue ich“, sagte ich und war erstaunt darüber, wie fest meine Stimme klang.
 

Ivan Youru lächelte mich an. Er erhob sich, schnappte sich ein Bündel und kam auf mich zu.

„Herzlich willkommen in der Zehnten“, sagte er freundlich und reichte mir das Bündel. Ich erkannte, dass es sich um meine Shinigami Uniform handelte und dazu ein hölzernes Wappen mit dem Zeichen der Zehnten Kompanie und des vierten Offiziers.

Ich schluckte und nahm das Bündel an.
 

„Danke, ich freue mich“, gab ich zu und er wies mich an, in die Baracken der zehnten Einheit zu gehen. Ich verließ den Raum und atmete einmal tief durch. Dann folgte ich seinen Anweisungen, bis ich an einem großen Raum ankam. Ich schob langsam die Tür auf und erkannte zwei weitere Personen, die ein ähnliches Bündel in den Armen hielten wie ich und auf dem Boden hockten.
 

„Akari!“, schrie die eine und ich erkannte, dass es sich um Rangiku handelte. Sie sprang auf und nahm mich in die Arme.

„Wir sind in der gleichen Kompanie?“, rief sie freudig und auch ich drückte sie an mich, dann fiel ihr Blick auf mein Wappen und ihr stockte der Atem.
 

„Vierte?“, flüsterte sie und ich nickte langsam, hoffte aber, dass sie den Unglauben in meinen Augen erkannte. Sie zeigte mir ihr eigenes Wappen und ich war freudig erstaunt, dass auch sie einen Offiziersrang erreicht hatte.
 

„Zehnte, das ist doch wunderbar“, sagte ich und sie zuckte etwas verlegen mit den Schultern. Sie hatte nicht damit gerechnet, überhaupt einen Offiziersrang zu erreichen. Es gab in jeder Kompanie zwanzig Offiziere. Sie hatte den zehnten Rang, gehörte damit also zu den zehn stärksten der Kompanie. Ihr Training hatte sich also wirklich bezahlt gemacht.
 

Noch einige Weitere kamen in den Raum, aber keiner unserer Freunde war dabei und auch trug keiner von ihnen ein Holzwappen bei sich. Es dauerte fast zwei Stunden, bis Ivan Youru eintraf und uns offiziell noch einmal begrüßen konnte.
 

Er wies allen ihre Schlafräume zu bis auf Rangiku und mir. Er bat uns noch einen Moment dazubleiben, während die anderen nun ihre Sachen aus der Akademie oder von zu Hause holen konnten, um diese in ihre neuen Unterkünfte zu bringen.
 

„Es gibt für jeden Offizier ein Einzelzimmer, die Suiten für Vizekommandanten und Kommandanten sind oben, aber das dürfte euch zurzeit nicht interessieren, da sie nicht besetzt sind, wie ihr sicher wisst“, er kramte in einem Schrank herum, „hier sind die Schlüssel“, er reichte jedem von uns einen kleinen Schlüssel, auf dem eine Zahl eingraviert war.
 

Auf meinem die vier und Rangikus die zehn.

„Sie befinden sich hier im linken Teil des Hauptgebäudes, nur die ersten Zehn haben ihre Zimmer im Hauptgebäude, die unteren zehn haben ihre Unterkünfte zwischen den Schlafräumen der anderen“, erklärte er weiter und zeigte auf eine Karte, welche die Umrisse der Gebäude der Zehnten Kompanie zeigte.

Das war der Beginn meiner Karriere in der Gotei 13.
 

Mein Zimmer war nicht besonders groß, doch im Gegensatz zu unserem Schlafraum in der Akademie wirkte es riesig. Ich hatte mein eigenes kleines Badezimmer und eine eigene kleine Küche. Rangikus Zimmer war eine exakte Kopie von meinem.

An unseren Türen prangten die gleichen Symbole, wie auf unseren Schlüsseln und den Holzwappen: das Emblem der zehnten Kompanie und der jeweilige Rang.
 

Ich hatte mein Zimmer fast fertig erkundet, als es an die Tür klopfte und Rangiku in ihrer Shinigami Uniform vor mir stand. Auch ich hatte mich umgezogen und ein seltsames Gefühl überkam mich. Ich spürte den neuen Lebensabschnitt, den ich gerade betrat.
 

„Steht uns, würde ich sagen“, bemerkte Rangiku mit einem Grinsen und ich lachte.

„Wollen wir?“, fragte sie und ich nickte. Wir hatten zuvor mit den Anderen abgemacht, dass wir uns um elf Uhr an unserem Lieblingsplatz treffen würden, die Wiese an der Akademie.
 

Es war dunkel und eine kühle Brise wirbelte unsere Uniformen auf.

Ich musste mich zurückhalten, um Rangiku nicht abzuhängen, da ich dank Yoruichis Training nun wesentlich schneller war als sie. Als wir auf der Wiese ankamen, saß dort bereits eine Gestalt.
 

Als wir näherkamen, erkannte ich, dass es Kisuke war. Auch er trug die schwarze Shinigami Uniform und auch er hatte ein Holzwappen an seinem Arm befestig.
 

„Guten Abend, ihr hübschen Offizierinnen“, begrüßte er uns schelmisch und Rangiku lachte fröhlich, all die Last schien von ihr abgefallen zu sein. Sie ließ sich auf die Wiese plumpsen.

„Kisuke, Mensch, du auch den vierten Rang?“, fragte sie und musterte sein Wappen.

„Ihr beiden, immer die Streber was“, neckte sie uns und auch ich setzte mich auf die Wiese.
 

Kisuke und ich warfen uns einen Blick zu und lachten, doch ich wendete den Blick schnell wieder ab. Seit unserem Gespräch vor einer Woche war es seltsam zwischen uns. Kisuke verhielt sich mir gegenüber wie zuvor und doch bemerkte ich seine Seitenblicke, wenn er dachte, dass ich nicht hinsah. Ich spürte, dass ich ihm eine Antwort schuldig war und doch war ich dem bisher gezielt aus dem Weg gegangen.
 

„Zweite Kompanie, mh?“, stellte Rangiku fest und riss mich so aus meinen Gedanken. Auch ich warf erneut einen Blick auf Kisukes Wappen. Yoruichi hatte ihn gewählt als Offizier, mich allerdings nicht.

Obwohl ich es nicht zugeben wollte, versetzte mir das einen kleinen Stich. Dann spürte ich einen Windhauch und wie aus dem Nichts saß Byakuya neben mir, ein Bein lang gestreckt und eines gelassen angewinkelt.

Es war für lange Zeit das letzte Mal, dass ich ihn so gelassen auf einer Wiese würde sitzen sehen.

Er grinste breit, als er mein Wappen sah, und ich erwiderte sein Grinsen.
 

„Noch ein vierter Offizier? Mensch mit euch kann ich mich ja gar nicht sehen lassen“, stöhnte Rangiku und Byakuya rollte mit den Augen. Er war vierter Offizier der sechsten Einheit und somit auf einem guten Weg, eines Tages den Platz seines Großvaters, dem Kommandanten der sechsten Kompanie, einzunehmen.
 

Wir plauderten eine Weile entspannt, erzählten uns nun auch ein wenig von den Prüfungen und lachten gemeinsam, als Yamachi endlich auftauchte.
 

Er trug seine übliche Kleidung und setzte sich nicht. Wir verstummten.
 

„Yamachi ...“, begann ich leise, doch er lächelte breit: „Rang des neunzehnten Offiziers der Elften.“
 

Wir gratulierten ihm, doch spürte ich bereits, dass er noch etwas zu sagen hatte. Er sah mich an und alle anderen wurden still.

„Ich habe den Job abgelehnt.“

Ich lächelte und auch die anderen schienen das erwartet zu haben, nur Rangiku wirkte verdutzt:

„Was?“, fragte sie erstaunt.
 

„Wisst ihr... eigentlich habe ich diese Prüfung nur gemacht um mir zu beweisen, dass ich es kann. Aber ich werde schon sehr bald Familienoberhaupt werden und die Familie Miyazaki hat sehr viele Verantwortungsbereiche. Uns gehören viele Firmen in Rukongai, um die ich mich kümmern muss, ich würde auf jeden Fall eines von beidem vernachlässigen ... das könnte ich weder meiner Kompanie, noch meiner Familie antun.“
 

Obwohl ich es seit langem gewusst hatte, stimmte es mich dennoch traurig. Es würde bedeuten, Yamachi deutlich seltener zu Gesicht zu bekommen.

Trotz allem gratulierten wir ihm zu seiner tollen Leistung und stießen auf unsere gelungenen Prüfungen an. Rangiku hatte eine Flasche Sekt dabei und selbst Byakuya ließ es sich nicht nehmen, mit uns anzustoßen.
 

Wir lachten herzlich, erzählten von unseren Prüfungen und aßen Süßigkeiten, als ich plötzlich ein Reiatsu spürte, dass ich schon lange nicht gespürt hatte.

Alle wurden still, als eine Person langsam auf uns zu kam.
 

„Herzlichen Glückwunsch ... euch allen“, sagte er und keiner antwortete ihm. Es war Gin der dort stand.
 

Ich hob den Blick und unsere Augen trafen sich für einen Moment. Die Stille wurde drückend und Gins Lippen verzogen sich zu einem traurigen Lächeln. Er machte auf dem Absatz kehrt und schickte sich an, davonzugehen, da platzte ein „Danke“, aus mir heraus. Er blieb kurz stehen, drehte sich noch einmal um und warf mir ein kurzes Lächeln zu, bevor er erneut verschwand.
 

Ich spürte Kisukes Blick in meinem Nacken und sah, dass seine Hände sich zu Fäusten geballt hatten, doch er sagte nichts. Ich schnappte mein Glas und hielt es Rangiku hin:

„Ich brauch noch einen Drink.“
 


 

Die ersten Einsätze in der Welt der Lebenden waren aufregend, gefährlich und witzig. Die Lebenden konnten uns nicht sehen, was hin und wieder zu amüsanten Gegebenheiten führte und die niederen Hollows ließen sich leicht besiegen.

Doch auch einige stärkeren Gegnern begegneten mir ab und zu. Es dauerte nur ein paar Monate, da wurden Byakuya und Kisuke bereits auf den dritten Rang befördert.
 

Ich nicht. Aber nicht, weil ich nicht die Fähigkeiten dazu hatte, sondern weil es eine Absprache zwischen mir und Ivan war. Ich hatte es meinem dritten Offizier versprochen, auch wenn ich seinen Worten nicht recht glauben wollte.
 

„Hör zu Akari, jetzt schon bist du stärker als ich, aber sie können dich nicht gleich auf einen höheren Rang setzen als den vierten, sie wollen, dass du zuerst Erfahrung sammelst. Deshalb werde sie dir in ein paar Monaten meinen Job anbieten ... ich möchte dich bitten, ihn nicht anzunehmen“, für einen Moment hatte ich ihn fast böse angesehen, doch er schüttelte den Kopf,

„Versteh mich bitte nicht falsch. Es ist nur ... ich möchte nicht degradiert werden und ich bin mir sicher, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie dir den Posten des Vizekommandanten anbieten werden.“
 

Tatsächlich dauerte es nicht lange und ich fand mich in einem Raum erneut Sasakibe gegenüber. Neben ihm saßen noch ein paar Offiziere, die ich nicht kannte.

„Warum?“, fragte der VizeKommandant der ersten Einheit hochgezogenen Augenbrauen, als ich die Beförderung ausschlug. Ich beschloss, bei der Wahrheit zu bleiben.

„Ich möchte niemandem seine Position wegnehmen, wenn ich mit Training und Disziplin eine freistehende Position erreichen kann.“
 

Das hatte ihn belustigt. Ich verbrachte den restlichen Tag mit Rangiku, die ebenfalls befördert worden war. Und wir backten eine Rhabarber-Möhren Torte.

„Hallo Ladies“, hörte ich eine raue Stimme und wir drehten uns herum.

„Shin!?“, rief ich erstaunt aus, als ich meinen alten Freund in der Tür erkannte, den ich zuletzt vor meiner Prüfung gesehen hatte.

„Akari, hab gehört du bist jetzt meine Vorgesetzte“, lachte er und ich grinste ihn breit an.
 

„Rangiku, darf ich dir unseren fünften Offizier vorstellen?“. „Ich wohne im Zimmer nebenan“, erklärte er, setzte sich einfach dazu und nahm sich ein Stück Torte.
 

„Ich bin Isshin Shiba“, stellte er sich Rangiku vor, die seine Hand schüttelte, dabei recht verdattert wirkte.

„Eigentlich wollte ich mir den Rang des vierten holen, aber du kamst mir zuvor“, sein Blick wirkte belustigt, aber auch herausfordernd.
 

„Keine Sorge, den mache ich dir bald frei“, erwiderte ich und Shin brach in Gelächter aus.

„Shiba, mh?“, fragte Rangiku und auch ich kannte den Namen. Die Familie Shiba gehörte zu eine der niederen Adelsfamilien, die außerhalb von Seireitei lebten. Mir war vorher nie bewusst gewesen, dass Shin zu ihnen gehörte.
 

„Ich hatte einen längeren Einsatz in der Welt der Lebenden, mehrere Wochen da unten und das hier ist wie das Paradies. Eure Torte ist selten... aber lecker“, er nahm sich ein zweites Stück und wir lachten.
 

Er war ein witziger Typ, mit dem wir uns gut verstanden.
 

„Hey“, ich drehte mich herum, Kisuke war gekommen. Wir hatten ihn eingeladen um die Beförderungen zu feiern, sein Blick wanderte leicht verwirrt zu Shin, der sich mit vollem Mund vorstellte. Irgendwie ähnelten sie sich auf gewisse Weise. Byakuya schickte uns eine kurze Nachricht, dass er keine Zeit hatte und so schickten wir ihm ein Stück unserer Torte zur sechsten Einheit.
 

„So, ich werde ins Bett gehen“, murmelte Rangiku irgendwann und auch Shin streckte sich genüsslich.

„Dann mache ich mich wohl besser auch auf den Weg“, erklärte Kisuke, doch als Shin und Rangiku mein Zimmer gerade verließen und Kisuke ihnen folgen wollte, rief ich ihn zurück.
 

„Jemand könnte mir schon beim Aufräumen helfen“, brummte ich ihn an, Rangiku beschleunigte ihren Schritt. Mit aufräumen hatte sie es nicht so und Shin tat es ihr gleich, er warf die Tür hinter sich zu. Ich hätte kein Problem damit gehabt allein aufzuräumen, es waren ja eigentlich nur vier Teller, aber ich wollte diese Gelegenheit nutzen, um mit Kisuke allein zu sprechen. Er schien das zu spüren.
 

Ganz ruhig stapelte er die Teller vor sich und sagte nichts. Es fiel mir schwer, die passenden Worte zu finden, vor allem aber fiel es mir schwer, meine Gedanken richtig zu sortieren.
 

„Ich habe viel nachgedacht“, begann ich langsam und Kisuke hielt in seinem Tun inne.

„Als ich damals… diesen Einsatz in Rukongai hatte…“, ich stockte einen Moment. Kisuke blickte mich nun ganz offen an und es fiel mir schwer, ihm direkt in die Augen zu schauen.
 

„Irgendwie müssen damals die Erinnerungen von Rangiku… Byakuya, meiner Mutter und vermutlich noch einigen weiteren Leuten manipuliert worden sein. Ich kann mir nicht ganz erklären, wie… aber das muss schon ein ziemlich mächtiger Shinigami gewesen sein. Ich glaube… als Gin sich von mir trennte, wollte er mich damit beschützen.“

Kisuke senkte den Blick und für einen Moment befürchtete ich, dass er einfach aufstehen und gehen würde. Doch dann sah er mich erneut direkt an.
 

„Ich glaube, du hast Recht“, sagte er ganz einfach und ich konnte fast nicht glauben, was ich da hörte.

„Ich glaube aber auch, dass du die ganze Geschichte gewaltig unterschätzt, Akari.“
 

Ich runzelte die Stirn und sagte nichts, wartete einfach einen Moment, bis er das Ganze weiter ausführte.
 

„Das, was der Hollow auf dich abgefeuert hat… nennt man ein Cero. Das ist ein äußerst mächtiger Angriff und die Heilung einer solchen Wunde erfordert aller höchste Heilkunst und vor allem… Akari, wenn nach drei Tagen von einer solchen Wunde nur noch eine so blasse Narbe zu sehen ist…“ er stockte und ich sah ihn erwartungsvoll an.
 

„Dann was?“ Er legte den Kopf schief.

„Das ist wirklich allerhöchste Heilkunst. Ich will mir nicht anmaßen, mich in diesem Bereich gut auszukennen, deshalb habe ich, natürlich unter höchster Diskretion, ein paar Nachforschungen angestellt damals.“
 

„Du hast was?“, ich wusste nicht genau, ob ich wütend oder verwundert sein sollte, doch Kisuke hob direkt abwehrend die Hände.

„Keine Sorge, ich habe so viele unterschiedliche Fragen gestellt, dass niemandem diese Frage dazwischen aufgefallen sein wird! Aber ja, ich habe mit ein paar Heilern der vierten Kompanie gesprochen und sie alle waren sich einig: Ein solche Wunde so schnell zu heilen, kann nur eine einzige Person in ganz Seireitei vollbringen.“
 

Für einen Moment war es komplett still und ich hatte das Gefühl, die Antwort dazu bereits zu kennen.
 

„Retsu Unohana.“
 

Die Kommandantin der vierten Kompanie, oberste Heilerin der Gotei 13. Ich schluckte.
 

„Aber wenn sie mich damals geheilt hat… Ich mein, ich war eine Studentin der Akademie, hätte sie einen solchen Vorfall nicht melden müssen?“

Kisuke nickte und ich sah, dass seine Hände sich zu Fäusten geballt hatten.

„Ja, das hätte sie bestimmt auch getan… wenn sie sich daran erinnern würde.“

Es traf mich wie ein Schlag und für einen Moment blieb mir die Luft weg.

„Aber kann das… sein?“
 

„Akari, auch Ichimaru hätte das melden müssen oder jeder andere ausgebildete Shinigami, der bei diesem Einsatz damals dabei war. Aber irgendjemand scheint dafür gesorgt zu haben, dass alle vergessen haben, dass es überhaupt passiert ist. Irgendjemand wollte dieses Ereignis vertuschen und wenn dieser jemand die Macht hat, sogar die Kommandantin der vierten Einheit hinters Licht zu führen, müssen wir auf der Hut sein…“

Ich schluckte und wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Meine Kehle brannte, doch ich wollte nicht vor Kisuke weinen, also sagte ich kein Wort.
 

„Ich weiß, dass du Gin vertraust… und ich glaube auch nicht, dass er dir wirklich etwas Böses wollte, aber wer weiß, in was er da hineingeraten ist. Er erinnert sich immerhin noch an alles, was zeigt, dass er da irgendwie mit drinsteckt. Wir sollten ihn im Auge behalten… ihn und diesen Aizen.“
 

„Meinst du, auch Aizen hat etwas damit zu tun?“
 

„Er war der ranghöchste Shinigami, der damals mit euch unterwegs war, richtig? Er war derjenige, der uns damals immer wieder mit auf diese Einsätze nehmen wollte und er ist derjenige… der sich für ziemlich fragwürdige Forschungsgebiete interessiert. Ich traue ihm nicht und das solltest du auch nicht tun, Akari. Und auch wenn Gin dir vielleicht nichts Böses will… wir sollten auch ihm nicht trauen, auch wenn es dir schwerfällt.“
 

Ich stand auf und drehte mich weg, um die Tränen zu verbergen, die mir nun aus den Augen rannen. Ich atmete tief durch und versuchte. Mich wieder zu fassen, doch Kisuke hatte einfach nur bestätigt, was ich bereits befürchtet hatte.

Zwar wusste keiner von uns beiden, was geschehen war, doch wir beide verstanden, dass es nichts Gutes sein konnte und wir gefährlich nah an etwas Unheilvollem waren.
 

Plötzlich spürte ich Kisukes Hand auf meiner Schulter.
 

„Akari“, begann er, doch ich wollte nichts weiter hören, ich drehte mich abrupt herum und vergrub mein Gesicht an seiner Brust. Ohne ein weiteres Wort legte er die Arme um mich und ich genoss diesen Moment einfach. Ich wusste, dass es nicht fair war, ihm körperlich so nah zu kommen, nachdem er mir seine Gefühle gestanden und ich nie darauf geantwortet hatte, doch seine Umarmung schien mich von innen heraus zu heilen.
 

Ich löste mich und sah ihn an.

„Entschuldige“, murmelte ich und wische eine letzte Träne aus meinem Gesicht.

„Schon gut, dafür sind Freunde doch da“, erwiderte er und für einen Moment sahen wir uns an. Ich spürte ein Kribbeln in meinem Bauch und wandte den Blick von ihm ab.
 

„Kisuke, hör mal…“, begann ich stammelnd, doch er wandte sich ab.

„Schon gut, Akari. Wie gesagt, du kannst einfach vergessen, was ich da gesagt habe…“
 

„Aber ich will es gar nicht vergessen… ich kann nur einfach… noch nicht, ich“ Ich stammelte, fand erneut die Worte nicht. Kisuke stand noch immer recht nah bei mir und lehnte sich etwas vor, sodass seine Lippen ganz nah an meinem Ohr waren.
 

„Schon gut. Ich kann warten“, hauchte er und ich spürte seinen Atem auf meiner Haut. Seine Hand griff nach meiner, drückte sie kurz und ohne ein weiteres Wort verschwand er aus meinen Gemächern. Noch eine ganze Weile stand ich wie eine Statue an der Stelle, an der er mich zurückgelassen hatte und spürte die Wärme seiner Hand in meiner.
 


 

Die Monate flogen dahin und zwischen Kisuke und mir kehrte eine gewisse Normalität zurück, bei der ich jedoch stets im Hinterkopf hatte, ihm noch etwas schuldig zu sein. Wir verbrachten weniger Zeit als vor unserer Prüfung miteinander und so konnte ich Situationen aus dem Weg gehen, in denen wir alleine waren.
 

Im späten Herbst jedoch, wurde uns ein Fall in der Welt der Lebenden zugeteilt. Es war eine Entscheidung von weiter oben und so konnte ich mich dem nicht verwehren.

Es war seit langem das erste Mal, dass wir Zeit zu zweit verbrachten und ich mich so wieder den vielen unausgesprochenen Dingen gegenübersah, die zwischen uns lagen.
 

Wir jagten einen äußerst geschickten Hollow durch die Welt der Lebenden, der stärker war als die meisten Hollows, die ich bisher bekämpft hatte und wir hatten so einige Schwierigkeiten, bis wir ihn endlich vernichten konnten. Wir würden das in der Seireitei melden müssen.
 

Bevor wir jedoch zurückkehrten, schlenderten wir durch ein kleines Dorf und musterten die Architektur der Gebäude. Sowohl Kisuke als auch ich hatten Gefallen daran gefunden, die Werke der Menschen zu bestaunen.

In einer kleinen Seitengasse entdeckten wir ein kleines Geschäft. Kisuke musterte das Schaufenster eine Zeit lang und ich beobachtete ihn aufmerksam.
 

„Kann ich mir gut vorstellen“, murmelte ich und er warf mir einen verwirrten Blick zu.

„Was?“
 

„Ich kann mir gut vorstellen, wie du in so einem Laden arbeitest. Du wärst dein bester Kunde.“ Er lachte und warf mir einen Blick tiefster Zuneigung entgegen, der mich verlegen machte.

„Ja wenn ich kein Shinigami wäre, hätte ich sicher so ein Süßwarengeschäft.“
 

Noch eine Weile standen wir so vor dem Laden und beobachtete eine Mutter mit einem kleinen Kind, die eine riesige Tüte voll Bonbons kauften. Wir machten uns auf den Weg zurück in die Soul Society und nachdem wir von unserem Auftrag berichtet hatten, kam mir ein Gedanke.
 

Ich wühlte mich durch meinen Schrank und fand schon bald, was ich gesucht hatte. Flink machte ich mich auf den Weg zu Kisuke, den ich tatsächlich zum allerersten Mal in seiner Unterkunft besuchte.
 

Er öffnete die Tür und blinzelte verwundert, als er mich dort stehen sah. Es war seltsam, meistens hatten wir uns bei Rangiku oder mir getroffen, nie hatte ich sein Zimmer gesehen.
 

Es war ganz ähnlich aufgebaut wie meins, aber mit anderen Möbeln. Außerdem hatte er einen riesigen Tisch, auf dem Reagenzgläser und Werkzeuge standen.

„Ich habe etwas für dich“, sagte ich und ohne Umschweife reichte ich ihm eine Papiertüte, aus der er nun einen großen roten Lolly herauszog. Er begann herzlich zu lachen und es erwärmte mein Herz, ihn so fröhlich zu sehen.

„Vielen Dank für dieses Geschenk!“
 

„Danke, dass du so lange auf mich wartest“, flüsterte ich, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und ließ ihn verwirrt aber lächelnd im Gang zurück.

Es war ein Stück für Stück annähern.
 


 

Ein weiteres Jahr zog ins Land, wir verbrachten öfter Zeit zu zweit. Dieses unangenehme Gefühl zwischen uns schwand mit jedem Tag. Das Gute war, dass wir unglaublich viel zu tun hatten und so kaum Zeit hatten unseren Gedanken nachzuhängen.

Rangiku war nun schon auf den siebten Rang aufgestiegen, sie lernte schneller, seitdem sie echte Kämpfe bestritt. Dann kam ein Tag, an dem ich gerade dabei war einigen Shinigami Fälle zuzuweisen, als die Tür sich öffnete und zwei Kommandanten in der Tür standen.
 

Ich hielt inne in meinem Tun und hielt den Atem an.
 

Yoruichi kannte ich gut, aber mit Unohana hatte ich noch nicht sehr viel zu tun gehabt. Sie war die Kommandantin der vierten Kompanie und die beste Heilerin der Soul Society.

Ein plötzlicher Schmerz, gefolgt von einer verschwommenen Erinnerung durchzuckte meinen Kopf und ich hielt mir die Hände an die Schläfen. Es war, als hätte ich Unohana schon einmal gesehen, über mich gebeugt mit einem ernsten Blick. Das Bild verschwand genauso schnell, wie es gekommen war.
 

Ich musste an mein Gespräch mit Kisuke denken und ein säuerlicher Geschmack legte sich in meinen Mund. Die verschwommene Erinnerung bestätigte Kisukes Vermutung, dass Unohana meine Verletzung damals geheilt hatte und damit schien auch seine Theorie, dass es ein unglaublich starker Shinigami gewesen sein musste, der die Erinnerung meiner Freunde und auch die von Unonaha selbst, manipuliert hatte.
 

„Miyazaki, Akari“, sagte sie leise und riss mich so aus meinen Gedanken. Yoruichi verschränkte die Arme mit einem frechen Grinsen im Gesicht.

„Würdest du bitte mit uns kommen.“
 

Ich folgte den beiden stumm, immer noch in Gedanken vertieft, bis ich erstaunt feststellte, dass wir in der ersten Kompanie angekommen waren.
 

Wir befanden uns in einem Raum, der ein wenig an die Trainingsräume der Akademie erinnerte, jedoch größer und moderner.

„Es ist eine Art Prüfung, bitte gib dein Bestes“, sagte Unohana und Yoruichi nickte mir aufmunternd zu.

Sie legten mir Elektroden an, wie in den Trainingsräumen und setzten sich in einen Nebenraum, den man durch ein Fenster sehen konnte und beobachteten mich.
 

Es begann mit gewöhnlichen Hollows, wurde zu stärkeren und schließlich waren es andere Shinigami, die alle das gleiche Gesicht hatten. Hier musste ich schon ein wenig mehr Geschick anwenden, war jedoch nicht wirklich gefordert.

Schließlich tauchte ein Shinigami in einem weißen Haori auf und griff mich an. Er war schnell, geschickt und stark, sein Reiatsu fühlte sich so echt an, dass ich für einen Moment das Gefühl hatte keine Luft zu bekommen.
 

Ich sammelte meine Konzentration, spannte alle Muskeln in meinem Körper an und atmete tief durch. Seine Kraft presste mich nieder, seine Geschwindigkeit ermüdete mich und sein Geschick ließ mich taumeln. Ich holte tief Luft.

Es gab da etwas, dass ich heimlich trainiert hatte.

Niemand wusste davon, nicht einmal Rangiku oder Kisuke hatte ich davon erzählt, denn ich hatte es lange Zeit nicht unter Kontrolle gehabt. Aber in letzter Zeit war es besser geworden. Ich konnte es kontrollieren, das wusste ich.

Doch ich zögerte noch. War ich bereit, es anderen zu zeigen?

Der Gegner griff mich erneut an, brachte mich ins Wanken und gewann die Oberhand. Ich hatte nur den Bruchteil einer Sekunde Zeit, um eine Entscheidung zu treffen.

„Nun gut Hanako“, murmelte ich meinem Schwert zu, „Bankai.“
 

Ich spürte, wie das Schwert in meiner Hand vibrierte und mein Reiatsu anstieg. Die Luft um mich herum wirbelte und ich fühlte mich frei, wie ein Vogel der endlich seinen Käfig verlassen hatte. Die Form meines Zanpakuto änderte sich. Es war jetzt schmaler, länger und schimmerte in einem dunklen Violett. Ich spürte, wie meine Muskeln stärker wurden und mein Geist wacher.

Ich ging zum Angriff über. Seine Schläge machten mir nichts aus, ich wischte sie mit meinem Schwert weg, wie eine Fliege mit einer Fliegenklatsche. Ich brachte ihn aus dem Gleichgewicht, wirbelte umher, er parierte meinen Schlag, ich riss mein Schwert herum und schlug ihm meinen Schwertgriff ins Gesicht, er taumelte rückwärts. Ich setzte nach, trat ihm gegen die Brust, woraufhin er auf dem Boden landete und hielt ihm die Schwertspitze an den Hals. Er verschwand und ich hörte ein leises Applaudieren hinter mir. Ich drehte mich herum und erkannte Yoruichi und Unohana. Hinter ihnen stand der Generalkommandant.
 

„Erstaunlich“, brummte er und machte einige Schritte auf mich zu.

„Ich muss sagen, dieser Jahrgang birgt einige Überraschungen. Schon zwei außerordentlich begabte Shinigami durfte ich sehen, aber du Akari Miyazaki übertriffst die beiden noch. Die bist die erste, die den Hologramm-Kommandanten tatsächlich besiegt hat“, ich spürte wie eine leichte Röte in mir aufstieg.
 

Ich war die Erste, die den falschen Kommandanten besiegt hatte?

„Sie haben alle genug Punkte gesammelt, aber keiner hat ihn besiegt, also da steht das wohl außer Frage.“, murmelte er weiter und ich verstand nicht, wovon er redete.
 

Yoruichi und Unohana warfen sich vielsagende Blicke zu und schienen begeistert zu sein.

„Miyazaki, Akari“, begann Yamamto-Genryusai feierlich und ohne zu wissen warum, stellte ich mich etwas grader hin.
 

„Hiermit befördere ich, Shigekuni Yamamoto-Genryusai, Generalkommandant der ersten Kompanie, dich vierter Offizier der Zehnten Kompanie, Akari Miyazaki, zur Kommandantin der zehnten Kompanie, mit sofortiger Wirkung.“
 

„Aber... was?“, sagte ich und kam mir reichlich blöd vor. Kommandantin? Ich? Sofort? Ich schnappte nach Luft.

Wie konnte das sein?
 

„Nimmst du diese Beförderung denn an?“, fragte er nun und zog die Augenbrauen in die Höhe, ich glaubte, ein Lachen in seinen Augen zu finden. Ganz offensichtlich hatte sein Vizekommandant ihm von meiner ausgeschlagenen Beförderung zur dritten Offizierin berichtet. Ich nickte verblüfft, bevor ich in der Lage war zu reden.
 

„Ja, ich nehme die Beförderung an“, sagte ich stimmlos und der Generalkommandant nickte zufrieden.

„Wir werden es morgen bekannt geben, hier“, er gab mir einen kleinen Schlüssel.

„Gewänder findest du dort. Morgen früh um Acht im Besprechungsraum der ersten Kompanie.“
 

Damit verschwand er wieder, Unohana und Yoruichie beglückwünschten mich.

„Ich wusste es“, sagte Yoruichi und zwinkerte mir zu. „Also dann, Kommandantin Miyazaki“, verabschiedete Unohana sich und ich wurde etwas verlegen.
 

Ich verließ den Raum und Yoruichi zog mich mit sich einen weiteren Gang entlang, in dem ich Byakuya und Kisuke sah. Byakuya war an eine Wand gelehnt, während Kisuke auf einer Treppe saß.
 

„Akari“, Byakuya bemerkte mich zuerst, und Yoruichi grinste ihn breit an.

„Sie hat ihn besiegt“, rief sie und Kisuke klappte die Kinnlade herunter.

„Also wurdest du auch befördert?“, fragte Byakuya mit zusammen gekniffenen Augen.
 

"Auch?“, fragte ich verwirrt und Kisuke hob etwas in die Luft, dass wie ein Schlüssel aussah. Ich blickte meinen Eigenen an und stutzte.

„Ihr seid auch zu Kommandanten befördert worden?“, sie nickten und ich lachte.
 

Byakuya musste auch lächeln, aber ich sah ihm an, dass er sich ärgerte. Er hatte den Hologramm Shinigami nicht besiegen können, ich schon. Ich wusste, dass dies an ihm nagte.
 

Trotzdem nahm ich ihn in die Arme und war erleichtert, dass er die Umarmung erwiderte. Auch Kisuke drückte ich an mich und seine Körperwärme machte mich nervös.
 

„Ich wusste gar nicht, dass ihr alle Bankai beherrscht“, murmelte Yoruichi nun und jeder von uns warf ihr ein geheimnisvolles Grinsen zu. Eigentlich wussten alle Shinigami, dass jeder sein Bankai still und heimlich für sich trainierte. Einerseits weil es von Vorteil sein konnte, wenn nicht jeder wusste, was für eine Fähigkeit das Bankai hatte, andererseits weil man nicht wollte, dass andere mitbekamen, wenn man scheiterte.
 

Wir plauderten noch eine Weile, bis Ginrei Kuchiki plötzlich auftauchte. Er wollte mit Byakuya sprechen und so verabschiedeten wir uns und machten uns auf den Weg. Yoruichi bog nun in Richtung zweite Kompanie ab und ich runzelte die Stirn.

„Stimmt, für welche Kompanie bist du nun Kommandant?“, fragte ich und Kisuke runzelte die Stirn.
 

„Zwölfte Kompanie, Kirio Hikifune hat ihre Beförderung nun angenommen“, er klang besorgt, „Ich habe gehört, dass meine neue Vizekommandantin dort nicht gerade begeistert ist über einen neuen Kommandanten. Ich hoffe, wir kommen klar.“

Ich hatte von ihr gehört, sie gehörte zu den jüngsten Vizekommandantinnen in ganz Seireitei und sie war scheinbar ziemlich temperamentvoll.
 

Als ich bei meiner Kompanie ankam, betrat ich das Haupthaus. Im Aufenthaltsraum saßen einige Offiziere, auch Ivan, Shin und Rangiku fand ich dort, die Brotstangen knabberten und über einem Plan von Seireitei brüteten.

Ich setzte mich zu ihnen und sie warfen mir empörte Blicke zu.
 

„Wo warst du so lange?“, fragte Rangiku und setzte sich gerade hin. Ich sah sie eindringlich an, legte meinen Finger auf die Lippen, um ihr zu zeigen, dass sie still sein musste, auch Ivan und Shin bekamen das mit und musterten mich neugierig, als ich vorsichtig die Hand öffnete und ihnen den kleinen Schlüssel zeigte.
 

Sie alle drei bekamen große Augen und Rangiku musste ein Quietschen unterdrücken.

„Hilfst du mir, mein Zimmer aufzuräumen?“, fragte ich Rangiku leise, sie sprang sofort auf und so ließen wir Shin und Ivan verdutzt zurück.

Ich erzählte ihr alles über die Prüfung und auch von Byakuya und Kisuke.
 

„Ich bin ebenfalls befördert worden“, platzte sie dann heraus und ich drückte sie.

„Auf den Seschsten“, erklärte sie und ich lächelte.

„Weißt du was? Ab sofort darf ich die Beförderungen in der Kompanie bestimmen“, fiel mir gerade auf und Rangiku riss die Augen kurz auf.
 

„Stimmt!“ „Aber keine Sorge, ich werde mich mit Ivan beraten, er hat einen guten Überblick. Aber... das ist alles so aufregend.“

Rangiku half mir, meine Sachen in das obere Stockwerk zu bringen. Die Gemächer des Kommandanten waren fast vier mal so groß, wie mein vorheriges. Ich hatte ein riesiges Schlafzimmer, ein großes Badezimmer mit einer riesigen Badewanne, eine große Küche die Rangiku schwärmen ließ und einem eigenen Wohnzimmer mit riesigem Sofa und einem Besprechungszimmer. Das Bett war riesig, es hätten locker vier Leute nebeneinander hineingepasst. Ich schlief so gut wie lange nicht mehr.
 


 

Am nächsten Tag erwachte ich und war für einen Moment verwirrt, bis die Erinnerungen des Vortages mich einholten. Ich sprang auf.

Als ich vor dem Versammlungsraum der ersten Kompanie ankam, stand Byakuya bereits dort und wartete. Die Tür öffnete sich nach einiger Zeit wie von selbst. Die anderen Kommandanten und Vizekommandanten trudelten nach und nach ein, nur Kisuke fehlte noch.
 

Ich stellte mich zwischen die Kommandanten der neunten und elften Einheit, der Platz hinter mir blieb leer, da es keinen Vizekommandanten in der zehnten Einheit gab.
 

Ich trat nervös von einem Fuß auf den anderen, Kisuke würde doch wohl nicht an seinem ersten tag als Kommandant zu spät kommen? Ich hörte Schritte, alle anderen Kommandanten hatten sich bereits eingereiht, als Kisuke verwirrt vor der Tür stehen blieb. Der Kommandantenhaori stand ihm ziemlich gut (Byakuya übrigens auch), doch er wirkte etwas unsicher.

„Darf ich hereinkommen?“, fragte er und ich seufzte leise. Natürlich durfte er hereinkommen, er war jetzt Kommandant! An den Gedanken gewöhnte man sich nicht so leicht.
 

Yoruichi hielt ihm einen Vortrag darüber, dass er doch ein wenig aufrechter stehen und seinen Hintern in den Saal bewegen sollte. Ich bemerkte Shinji Hirako, den Kommandanten der fünften Kompanie, der gelangweilt gähnte und Kisuke mit einem belustigen Blick betrachtete.
 

„Was für ein lockerer Typ“, murmelte er und ich wusste aus vielen Geschichten, dass Kommandant Hirako auch nicht gerade die Autorität in Person war. Ginrei Kuchiki legte seinen Kommandantenhaori feierlich ab und ging fort.

Ich weiß bis heute nicht, wohin er damals ging, aber er kam nur einige Male zu Besuch zurück.
 

„Nun gut, beginnen wir mit den neuen Kommandanten“, eröffnete der Generalkommandant und ich atmete tief durch.

„Als Erstes wäre da der neue Kommandant der sechsten Kompanie, Byakuya Kuchiki.“ Er teilte uns mit, dass Byakuya die Prüfung zum Kommandanten unter dem strengen Blick zweier Kommandanten bestanden hatte und die Beförderung angenommen hatte.
 

„Des Weiteren als neue Kommandantin der zehnten Kompanie, Akari Miyazaki“, alle Blicke lagen auf mir und erst jetzt bemerkte ich Vizekommandant Aizen, der hinter Shinji Hirako stand und mich mit einem seltsamen Blick betrachtete.

Auch Kisuke wurde vorgestellt, hinter ihm sah ich ein Mädchen mit blonden Zöpfen, das mit verschränkten Armen und wütendem Blick zu Boden starrte. Sie musste Kisukes neue Vizekommandantin sein.

„Nun verkündet es euren Kompanien.“
 

Wir verließen die erste Kompanie und schon als ich mit dem weißen Kommandantenhaori durch die Gänge eilte, spürte ich die Blicke auf mir. Ich schob die Tür zum Haupthaus der zehnten Kompanie auf und alle Gespräche verstummten, als sie mich sahen.

„Endlich! Wir haben eine Kommandantin!“, rief einer und andere stimmten in den Ruf mit ein. Keiner schien damit ein Problem zu haben, im Gegenteil, sie freuten sich darüber, die höchste Position ihrer Einheit wieder besetzt zu haben.

Wir feierten die halbe Nacht und ich fiel erschöpft, aber glücklich in mein riesiges Bett.
 


 

Anfangs überforderten mich die Aufgaben etwas, aber nach einer Weile gewann ich einen Überblick. Leider hatte Ivan nicht all die Dinge im Griff gehabt, für die unsere Kompanie verantwortlich waren, und so gab es viel aufzuholen.

Natürlich hatte es viele Dinge gegeben, die Ivan sich einfach nicht zugetraut hatte.
 

„Ich werde einen Vizekommandanten brauchen“, eröffnete ich ihm nach einigen Tagen und er nickte.

„Ich weiß. Ich habe hier einige Vorschläge“, sagte er und schob mir zwei Personalakten zu. Es waren die von Shin und Rangiku.

„Sie müssten dann allerdings eine ähnliche Prüfung absolvieren“, erklärte er und ich nickte. Ich zerbrach mir darüber den Kopf. Ich hätte Rangiku gern als meine Vizekommandantin gehabt, doch konnte ich Shin nicht einfach übergehen.
 

Ivan wollte den Posten nicht und ich wusste auch, dass er dazu nicht in der Lage wäre. Er würde nicht mehr sehr lange Shinigami bleiben, dessen war ich mir sicher. Ich beriet mich mit Kisuke über mein Problem, doch er seufzte nur, dass er sich wünschte, er könne sich seinen Vizekommandanten selbst aussuchen.
 

„Hiyori macht mich wahnsinnig. Sie akzeptiert mich nicht als ihren Vorgesetzten“, jammerte er und ich warf ihm einen mitfühlenden Blick zu. Auch die zwölfte Kompanie war noch nicht ganz auf seiner Seite, ich versuchte ihn aufzumuntern, aber er war sehr erschöpft.

Als ich an diesem Abend in meinem Wohnzimmer über einigen Papierkram brütete, klopfte es an meiner Tür.
 

„Ja?“, fragte ich und Shin trat ein.

„Hast du kurz Zeit?“

„Klar, setz dich.“

„Kommandantin Miyazaki“, sagte er und ich lachte.

„Ich bitte dich. Für dich bin ich Akazri“, er lachte und begann von vorn.

„Okay Akari, hör mal ... ich habe mitbekommen, dass ihr mich als möglichen Vize in betracht zieht“, erklärte er und ich nickte langsam.
 

„Ich bin dafür noch nicht bereit“, erklärte er und ich zog die Stirn kraus.

„Es gibt so viele Dinge, in der Welt der Lebenden, die ich noch sehen möchte ... als Vizekommandant ist man sehr an die Soul Society gebunden und das möchte ich nicht.“
 

Ich ließ mir seinen Wunsch durch den Kopf gehen und seufzte erleichtert auf.

„Das erspart mir eine schwierige Entscheidung“, murmelte ich und Shin warf mir ein aufmunterndes Lächeln zu.

„Du machst das schon“, damit ging er wieder.
 

Ich teilte dem Generalkommandanten am nächsten Tag mit, dass ich eine Anwärterin für den Posten der Vizekommandantin hatte und er stellte mir Unohana und Yoruichi zur Seite, um die Prüfung durchzuführen.
 

Es war eine ähnliche Prüfung wie unsere, nur ohne den Hologramm Shinigami, stattdessen wurde sie am Ende von mehreren Menos Grande angegriffen. Nervös knetete ich meine Finger und zuckte jedes Mal zusammen, wenn Rangiku von ihren Gegner zurückgetrieben wurde, doch sie bewies Kampfgeist und das gefiel besonders Yoruichi.
 

„Was ist mit eurem fünften Offizier?“, fragte Unohana mich nebenbei und ich erkläre ihr, dass Shin schon von vornherein gesagt hatte, er würde die Beförderung nicht annehmen. Sie beide kannten allerdings auch Ivan und wussten, dass er all die Jahre nur die Stellung als ranghöchster Offizier gehalten hatte, weil es sonst niemanden gegeben hatte.
 

Die letzten Jahrgänge waren Mau gewesen, was großartige Talente anging. Am nächsten Tag stand Rangiku mit dem Holzwappen der Vizekommandantin in der Tür des Haupthauses. Alle waren begeistert und Shin beförderte ich immerhin zum vierten Offizier.

Byakuya blieb ohne Vizekommandant, aber das schien ihm nichts auszumachen. In nächster Zeit gab es viel zu tun und wir rückten öfter in die Welt der Lebenden aus, als ich gedacht hätte. Doch die Kämpfe gegen die gewöhnlichen Hollows reizten mich nicht mehr und nach einiger Zeit überließ ich die meisten Aufträge Shin.
 

Er war stark, stärker als Rangiku, das wusste ich nun und ich wunderte mich, was ihn so an der Welt der Lebenden reizte. Doch ich ließ ihn gewähren, wenn er das so sehr genoss, würde ich ihn nicht abhalten. Erst zu dieser Zeit realisierte ich, wie stark ich eigentlich war.
 

Nur einige wenige Male ließ ich mein Reiatsu frei heraus und sah selbst einige Kommandanten zusammenzucken und mir Blicke zuwerfen.

So kam es, dass der eine oder andere Kommandant Interesse an einem Duell mit mir zeigte. Ich gewann einige, verlor andere und viele endeten in einem Unentschieden. Unohana hatte hinterher meist einiges mit uns zu tun.
 

Ich genoss das Leben als Kommandantin in vollen Zügen. Ich verbrachte viel Zeit mit der Talentsichtung in den äußeren Bezirken. Es war eine Sache, die ich mir zu Herzen genommen hatte. Rangikus Geschichte hatte mich damals tief bewegt und je mehr Zeit ich in Rukongai verbrachte, desto mehr hatte ich das Gefühl, dass wir all diese Leute im Stich ließen.
 

Eines Tages fand ich ein kleines Mädchen, das weinend in einer Gasse saß. Sie suchte nach ihrer Mama.

Ich wusste, dass es für die Verstorbenen fast unmöglich war, ihre Familien in Rukongai wieder zu finden, doch die Geschichte des Mädchens berührte mich so sehr, dass ich ihr half.

Ihr Name war Mana und sie war erst vor kurzem verstorben.
 

„Wie bist du denn gestorben?“, fragte ich sie und sie schniefte laut, bevor sie begann zu erzählen.

„Meine Mama ist gestorben, weil ein böser Mann sie umgebracht hat und dann haben sie mich an einen furchtbaren Ort gebracht und da bin ich weg gelaufen, weil die Leute gemein waren und ich zu meiner Mama wollte ... und da bin ich auf ein Haus gerannt, auf das Dach und bevor die böse Frau mich einholen konnte...“
 

Sie war gesprungen. Ein neunjähriges Mädchen, das sich vom Dach eines Hauses gestürzt hatte.

Ich musste einen großen Kloß im Hals herunterschlucken und versprach, dass ich alles tun würde, um ihr zu helfen. Ihre Mutter war nur einige Monate vor ihr gestorben. Wir suchten uns durch Rukongai, und ich erfuhr immer mehr über Mana. Ihr Vater hatte sie und ihre Mutter häusliche Gewalt angetan, jahrelang und als sie endlich ihrem Vater entkommen waren und eine neue Wohnung in der Stadt fanden, war ihre Mutter bei einem Überfall in der Nacht gestorben.
 

Das Mädchen hatte nur Leid gesehen in ihrem Leben, ich wollte ihr in ihrem Tod wenigstens etwas Frieden schenken. Die Suche dauerte schon fast drei Monate, als ein kleines Wunder geschah.

„Mana? MANA!“, ich bekam Gänsehaut, als das kleine Mädchen neben mir in Tränen ausbrach und ihrer Mutter in die Arme rannte.
 

„Aber warum bist du denn hier, du solltest leben, warum bist du denn hier“, weinte sie, doch ich beruhigte sie.

„Ihr seid jetzt zusammen, das ist alles, was zählt“, sie bedankte sich immer wieder bei mir und ich versicherte ihr, dass ich sie besuchen würde.
 

Ich weiß noch, dass ich an diesem Abend müde in meine Gemächer zurückkehrte und blinzelte überrascht auf, als ich sah, dass mein Wohnzimmer hell beleuchtet war.

Rangiku hatte eine riesige Torte auf den Tisch gestellt, die sie gerade anschnitt. Kisuke, Byakuya und Shin waren ebenfalls hier.

„Ist heute etwas Besonderes?“, fragte ich und Kisuke lächelte.
 

„Wir sind nun seit einem Jahr Kommandanten“, erklärte er und ich war erstaunt darüber, wie schnell die Zeit vergangen war.

Als ich gerade in meinen Kuchen beißen wollte, klopfte es an der Tür und Yamachi trat ein.
 

„Hallo!“, begrüßte er uns und es war ein bisschen wie früher. Leider hatten Yamachi und ich wenig Zeit uns gegenseitig zu besuchen, deshalb genoss ich seltene Momente wie diese ganz besonders.
 

Wir saßen bis spät in die Nacht und als einer nach dem anderen den Raum verließ, hielt ich Kisuke zurück.

„Warte, ich möchte mit dir reden“, sagte ich und dieses Mal tat ich es nicht heimlich. Alle bekamen es mit.
 

Kisuke saß verdutzt vor mir und einen Moment lang räumte ich nur die Teller zusammen. Ich musterte ihn eine Weile und war fasziniert von ihm: Er warf mir noch immer den gleichen Blick zu, wie vor einem Jahr. Wie vor zwei Jahren.

Er warf mir sein freches Grinsen zu und auch ich musste Lächeln.
 

Er hatte die ganze Zeit nichts dazu gesagt, er hatte mich nie bedrängt, hatte mir nie Vorwürfe gemacht. Er war immer für mich da, seitdem ersten Tag an der Shinigami Akademie.
 

Wir starrten uns einfach eine Zeit lang stumm an und ich wusste nicht, was ich sagen sollte, doch dann grinste er erneut und sagte: „Du musst nichts sagen.“
 

Er beugte sich zu mir und mein Herz schlug so schnell, dass ich das Gefühl hatte, meine Brust müsste gleich zerspringen. Seine Lippen trafen meine und das verdrängte alle anderen Gedanken.
 

Sein Geruch, seine Wärme, alles an ihm schien so neu zu sein und doch vertraut. Ich wünschte, der Moment würde nie vorbeigehen, ich wollte ihn für ewig festhalten.
 

Ich erwachte am nächsten Morgen in seinen Armen, spürte die Wärme seines Körpers neben mir und sein Geruch hing überall in meinem Zimmer. Alle meine Sorgen und Ängste schienen wie verflogen, all die schrecklichen Bilder der Vergangenheit, all die Verlustängste waren wie weggeblasen.
 

Das war der Beginn der schönsten Zeit meines Lebens.
 

Die Beziehung zwischen Kisuke und mir war etwas ganz Besonderes. Wir ergänzten uns. Wir harmonierten. Natürlich gab es auch Uneinigkeiten zwischen uns, vor allem wenn er Mal wieder stundenlang in seine Forschungen vertieft war und dabei sogar das Essen vergaß.
 

Aber alles in allem war ich überglücklich.
 

Ich schaffte es sogar, Gin wieder unter die Augen zu treten und mich mit ihm zu unterhalten. Es würde niemals so werden wie früher, aber wir waren in der Lage, einen kollegialen Kontakt zu pflegen, wann immer wir uns begegneten.
 

Kisuke war nicht besonders begeistert davon, allerdings war es keine Eifersucht, die ihn dabei antrieb, sondern sein Misstrauen, dass er schon immer Gin gegenüber gehegt hatte. Doch ich dachte nicht weiter darüber nach.
 

Es war, als wäre die Vergangenheit vergessen, sie ruhte tief in unseren Herzen und doch spürte ich bereits, dass es Dinge gab, die wieder aufflackern würden. Ich wusste, dass irgendetwas geschehen würde, und es würde nichts Gutes sein.
 

Doch für eine Weile wollte ich einfach nur genießen, was ich hatte.

Wie alles zerbricht

Wie die Jahre so vergingen, wurde auch Byakuya erwachsen.
 

Er fand endlich den einen Menschen, den er nie wieder loslassen wollte. So hatte ich ihm das Gefühl beschrieben, dass ich für Kisuke empfand. Er hatte es nicht verstanden, bis Hisana in sein Leben trat. Sie stammte aus Rukongai und jeder von uns wusste, dass dies gegen all die Regeln verstieß, die Byakuya sonst so vehement zu verteidigen suchte.
 

Allein die Tatsache, dass er diese nun umging, bewies, wie wichtig sie ihm war.
 

Byakuya hatte das Glück, als Oberhaupt eines der größten Adelshäuser einen recht großen Einfluss zu haben. Mit meiner Familie, die ihm den Rücken stärkte und auch der Familie Shihoin, die ebenfalls zu uns hielt, wagte es niemand, Byakuya anzuklagen.
 

Hisana selbst war ein reizendes Wesen.

Doch manchmal wollte ich sie am liebsten schütteln. Sie verehrte Byakuya und auch mich so sehr, dass sie es einfach nicht lassen konnte uns mit Höflichkeitsfloskeln anzusprechen.
 

„Miyazaki-Sama“, ja so hatte man meine Mutter immer genannt, aber mich?
 

Auch zu Byakuya sprach sie stets in höchster Höflichkeit, selbst nach ihrer Hochzeit.
 

Hisana berichtete mir nach einiger Zeit, dass sie schon in Rukongai von mir gehört hatte. Es schien, als hatte ich mir dort einen gewissen Ruf erarbeitet, was mir bis zu diesem Tage nicht bewusst gewesen war.

Die Geschichte mit Mana hatte sich herumgesprochen, aber auch über einige andere Kleinigkeiten, die ich für die Menschen in Rukongai getan hatte, wurden in den Hinterhöfen der Außenbezirke geflüstert.
 

„Die anderen Kommandanten verlassen ihre sicheren Mauern nur selten, sie sehen das Unrecht dort draußen nicht“, hatte Hisana einmal geflucht und hatte sogleich befürchtet, man würde sie dafür rausschmeißen.
 

Aber sie hatte nicht ganz Unrecht. Viele der anderen Kommandanten kümmerten sich nicht um Rukongai.
 

Der Tag, an dem Byakuya und Hisana heirateten, war ein ganz Besonderer für mich. Wir alle feierten, gemeinsam mit unseren Familien und Freunden. Yamachi war Byakuyas Trauzeuge und ich habe ihn selten stolzer gesehen. Vor allem hatte ich Byakuya nie zuvor so glücklich gesehen. Hisanas Kleid war eine Mischung aus traditionellen Gewändern und modernen Stoffen und ich musste mich zusammenreißen, sie nicht unentwegt anzustarren. Irgendwo in meinem Hinterkopf fragte ich mich, ob auch ich eines Tages in so einem Kleid vor einen Altar treten würde.
 

Doch ich wusste, dass Kisuke und ich dazu noch nicht bereit waren. Auch Byakuya hätte sich vielleicht mehr Zeit gelassen, hätten die Gesetze Seireteis Hisanas Aufenthalt nicht infrage gestellt. Als seine Ehefrau jedoch, genoss sie einen gewissen Schutz. Mein Herz platzte vor Freude für Byakuya und ich hatte das Gefühl, als wären wir alle eine große Familie, die stetig wuchs.
 

Jahre zogen ins Land und die Kommandantenarbeit begann, ihre Schattenseiten zu zeigen.

Von langweiligen Alltagsaufgaben, zu stressigen Entscheidungen, wechselten sich die Phasen ab, in denen wir zu viel oder zu wenig zu tun hatten, nie jedoch fühlte ich mich wirklich herausgefordert. Hätte ich geahnt, welch Grauen mir noch bevorstand, so hätte ich jeden dieser Tage viel bewusster genossen.
 

Kisuke hatte das Forschungsinstitut gegründet, was ich durchaus gut fand, aber ihn viel Zeit und Kraft kostete. Außerdem hatte er dafür einen ehemaligen Verbrecher aus seinem Gefängnis geholt: Mayuri Kurotsuchi.
 

Ich fühlte mich unwohl in seiner Nähe, aber Kisuke beharrte darauf, dass er ein absolutes Genie war und er ihn dringend für seine Forschungen brauchte. Was Myuris Intellekt anging, hegte ich keine Zweifel, eher, was seine Moral betraf.

Kisuke beförderte Mayuri sogar zum Vizedirektor der Forschungsabteilung. Ich wollte Kisuke keine Vorträge halten, darum bat ich ihn lediglich vorsichtig zu sein. Selbst Yoruichi stimmte mir Mayuri betreffend zu und die ließ sich sonst nicht so leicht von jemandem gruseln.
 

Mit ihr verbrachte ich ebenfalls viel Zeit, sie war eine erfrischende Abwechslung unter den Kommandanten, bei der ich kein Blatt vor den Mund nehmen musste und einfach sagen konnte, was ich dachte.
 

Es vergingen 9 Jahre.
 

Eines Abends saßen wir wieder gemütlich zusammen und feierten unseren Jahrestag als Kommandanten, in meinen Gemächern. Wir hatten gerade den Kuchen fast aufgegessen und probierten einen Wein, den Kisuke entdeckt hatte, da klopfte es an die Tür.
 

Rangiku öffnete sie und ich sah bereits an der Art, wie sie versteifte, dass es kein gewöhnlicher Besucher war.

Langsam trat sie zur Seite und ließ Gin eintreten.
 

Es wurde still. Ich spürte, wie Kisuke an meiner Seite versteifte, doch er sagte kein Wort.

„So lange Kommandanten“, murmelte Gin und grinste breit, „und ich bin immer noch ein Offizier.“

Ich lachte.
 

Während wir die Karriereleiter steil hinauf gestiegen waren, war Gin noch immer dort, wo er vor Jahren gewesen war.

Obwohl es ein wenig seltsam war, bat ich ihm das letzte Stück des Kuchens an. Es dauerte ein paar Minuten, bis die Stimmung ähnlich ausgelassen war, wie zuvor. Selbst Kisuke legte seine Anspannung, nicht jedoch sein wachsames Auge irgendwann ab.

Eine kühle Brise wehte zum Fenster herein und ich erinnere mich gern an diesen Abend.

Es war die Ruhe vor dem Sturm.
 

Einen Tage später erreichte uns eine Nachricht, dass in der Soul Society Leute verschwanden. Oder zumindest so ähnlich. Es hieß, dass sie keine feste Form mehr annehmen konnten. Was genau es war, konnte man sich nicht erklären, deshalb wurde die neunte Kompanie damit beauftragt, sich damit zu befassen.
 

Kisuke meldete sich freiwillig einen Gigai für die Seelen herzustellen, also einen künstlichen Körper, in dem die Seelen eine Form annehmen konnten. In seinem Forschungslabor war es ihm ein leichtes, solchen seelenlosen Hüllen zu bauen und er machte sich mit freudigem Eifer an die Arbeit.
 

Doch etwas Beunruhigendes lag in der Luft. Ein ungutes Gefühl keimte in mir auf, nistete sich in meinen Brustkorb ein und haftete an mir wie Klebstoff. Was auch immer ich tat, ich konnte es nicht abschütteln.
 

Einen Abend wurde es so unangenehm, dass ich Kisuke in seinem Forschungslabor besuchte, um mich abzulenken.
 

Dort entdeckte ich etwas, das mir ebenfalls eine Gänsehaut einjagte. Es war eine Art Kristall, der eine mir unheimliche Energie ausstrahlte. Er nannte es Hogyoku.
 

Ich hatte nicht so wirklich verstanden, wozu es gut war, allerdings verstand ich eines: Dass es eine unglaubliche Macht innehielt.
 

„Kisuke...“, begann ich, doch er bastelte so vertieft an seinem Gigai, dass er nicht reagierte.
 

„Wo ist eigentlich Hiyori?“, fragte ich nach seiner Vizekommandantin, es dauerte fast zwei Minuten, bis er es schaffte, eine Antwort zu geben.
 

„Ich habe sie losgeschickt, Kensei auszuhelfen.“

Kensei Muguruma, Kommandant der neunten Kompanie, er war mit seiner Kompanie mit diesem seltsamen Fall beauftragt worden.
 

Das ungute Gefühl in meinem Magen rumorte.
 

„Wie lange sind sie schon unterwegs?“, fragte ich und Kisuke streckte sich, warf dann einen Blick auf die Uhr.
 

„Oh schon seit ein paar Stunden“, murmelte er, als wäre ihm das jetzt erst aufgefallen. Er klang besorgt. Ich machte ihm einen Tee und zwang ihn, eine kleine Pause einzulegen. Zu gern vergaß er in seiner Arbeit, sich um sich selbst zu kümmern.
 

Wir knabberten gerade an ein paar Keksen, da erreichte uns ein Höllenschmetterling, der uns telepathisch eine Botschaft des Generalkommandanten übermittelte:

„An alle Kommandanten: es wird eine Notversammlung einberufen. Ich wiederhole NOTVERSAMMLUNG, in der ersten Kompanie, SOFORT.“
 

Kisuke und ich warfen uns einen kurzen Blick zu.
 

„Hiyori...“, murmelte ich und wir beeilten uns, zur ersten Kompanie zu kommen.
 

Der Generalkommandant und einige verschlafen wirkende Kommandanten waren bereits dort. Es dauerte nicht lang, bis schließlich der Rest eintrudelte und Yamamoto-Genryusai beginnen konnte.
 

„Das Reiatsu von Kommandant Muguruma und auch das seiner Vizekommandantin Kuna sind erloschen. Grund bisher unbekannt“, erklärte der Generalkommandant mit strengem Blick.
 

„Lasst mich gehen, bitte!“, platzte es aus Kisuke heraus und alle Blicke richteten sich auf ihn. Ich hörte die Panik in seiner Stimme und es schnürte mir den Atem ab.
 

Der Generalkommandant schüttelte den Kopf.
 

„Ich habe meine Entscheidung bereits getroffen, Kommandant Urahara, wir brauchen euch hier für die Gigais“, erklärte er und zählte nun die Leute auf, die als Rettungstrupp losgeschickt werden würden.

„Hirako, Aikawa, Otoribashi...“, die Tür wurde erneut aufgerissen und der Kommandant und Vizekommandant der geheimen Kidotruppe traten ein.
 

„Ihr beide geht ebenfalls mit“, sagte der Generalkommandant und sie nickten, doch Kommandant Kyoraku mischte sich ein.

„Sag mal Yamajii...“, begann er, niemand außer ihm würde es wagen den Generalkommandanten so anzusprechen, „wäre es nicht besser, wenn wir nicht beide Ranghöchsten der Kidotruppe losschickten?“
 

„Was für ein Benehmen...“, murmelte der Generalkommandant leicht genervt, ging aber auf Kyorakus Argument ein.

„Was schlägst du also vor?“
 

„Meine Vizekommandantin wird gehen“, schlug er vor und Kommandant Ukitake sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Willst du sie jetzt hier her rufen?“, fragte er, doch der braunhaarige Kommandant grinste nur.

„Lisa? Du hast es gehört. Du wirst gehen.“
 

In dem Moment erblickte ich seine Vizekommandantin Lisa Yadomaru im Fenster, die eifrig nickte. Kyoraku murmelte etwas davon, dass er ihr verboten hatte zu lauschen, schickte sie jedoch los.
 

„Ich möchte, dass sie auch ein wenig Erfahrung sammelt und sie ist wirklich zäh, müsst ihr wissen.“

Der Generalkommandant seufzte auf und nickte.

„Also ist es entschieden, Tessai bleibt hier, dafür geht Lisa.“
 


 

Die Versammlung hatte sich aufgelöst und ich spürte, wie Kisuke sich das Hirn zermarterte – ich wusste, dass er unbedingt hinterher wollte.
 

Er würde es sich niemals verzeihen, wenn Hiyori etwas geschah, nur weil er zu beschäftigt gewesen war, selbst zu gehen. Ich nahm ihn bei der Hand und zog ihn in ein leeres Zimmer, dann küsste ich ihn auf den Mund und sagte: „Geh.“

Er sah mir verwirrt an.
 

„Er hat es ausdrücklich verboten“, sagte er und ich nickte. Irgendetwas tief in mir ließ mich spüren, dass Kisuke gehen musste. Es war eine Intuition, die ich nicht ignorieren konnte.
 

„Ich glaube, dass etwas dahintersteckt, das man nicht durch Kampfkraft besiegen kann. Los, wir brechen auf“, doch er hielt mich an den Schultern fest.
 

„Akari, du bleibst hier“, noch nie hatte ich ihn so autoritär erlebt.

„Aber ...?“
 

„Ich habe eine leise Ahnung von dem, was da passiert ... wenn es wirklich das ist, was ich glaube, kannst du dort eh nichts ausrichten. Ich muss allein gehen und du musst dafür sorgen, dass Mayuri die Gigai fertig bekommt.“
 

Ich wollte etwas sagen, doch in dem Moment hörte ich ein Räuspern. Es war Tessai, der Kommandant der Kidotruppe, mit dem Kisuke seit einiger Zeit befreundet war.
 

„Ich muss auch gehen“, erklärte er leise und sah Kisuke eindringlich an.

„Wenn es dich beruhigt Akari, werde ich auf deinen Freund hier aufpassen“, fügte er an und ich lächelte.
 

Tessai war nicht nur äußerst bewandert in Kido, er war auch körperlich sehr stark.

„Ich werde hier die Stellung halten“, versprach ich also schweren Herzens.
 

Kisuke drückte mir einen Kuss auf und sie verschwanden in der Dunkelheit.
 

Ich machte mich auf den Weg zurück in die Forschungsabteilung und weckte Mayuri, etwas unsanft, wie ich gestehen muss.

Als er die Arbeit begonnen hatte, beachtete er mich nicht weiter und ich vergaß sogar, dass ich ihn eigentlich gruselig fand.

Die Nacht war lang, aber nichts hätte mich dazu gebracht, ins Bett zu gehen – dachte ich zumindest.

Als Mayuri die Gigai fertig hatte, verließ er das Labor, ich blieb.
 

Kisukes Geruch hing noch immer in der Luft und ich wusste nicht, wo ich sonst hingehen sollte. Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und versuchte, wach zu bleiben.
 

„Akari!“, es war die Stimme von Tessai. Er hatte Schweißperlen auf der Stirn und schien hochkonzentriert.

Ich spürte einen Zauber, den er aufrecht erhielt und wusste instinktiv, dass es ein wirklich mächtiger Zauber sein musste.
 

„Akari, du solltest weg von hier“, hörte ich Kisuke, der gehetzt durch den Raum lief.

Erst jetzt realisierte ich, was ich vor mir sah.

Ich sprang auf.
 

Acht Leute, die ich als Shinigami kennen gelernt hatte, lagen vor mir, um ihre Gesichter hatten sich knochenähnliche Masken gebildet, so wie sie eigentlich Hollows trugen.
 

Ich öffnete den Mund, doch kein Ton löste sich.
 

„Was kann ich tun?“, fragte ich, als ich den Ernst der Lage begriff. Ich wollte helfen.

„Ins Bett gehen“, antwortete Kisuke knapp und begann den Hogyoku aus seiner Kiste zu befreien.
 

„Kisuke.“ Noch nie hatte ich meine eigene Stimme so bedrohlich gehört, doch es schien auch Kisuke wach zu rütteln. Er warf mir einen kurzen dankbaren Blick zu und nickte.
 

„Du könntest uns Kaffee und etwas zu Essen holen, wir haben viel zu tun.“

Er merkte, dass ich die acht Leute noch immer anstarrte.
 

„Hollowfizierung“, sagte er leise.

Ich schluckte. Wer hatte ihnen das angetan?
 

„Hollowfizierung…“, wiederholte ich murmelnd und bekam eine Gänsehaut bei dem Reiatsu, das von ihnen ausging. Es war unheimlich, aber das Schlimmste an der ganzen Sache war, dass es Vizekommandanten und sogar Kommandanten erwischt hatte – sollten sie sich gegen uns wenden, würde das sehr ernste Folgen haben. Der Raum sah aus wie das reinste Chaos. Auf den sonst weißen, glänzenden Fliesen lagen Erde, Schlamm und auch Blut, verteilt und die Acht Leute, deren Gesichter mit weißer Knochenmasse überzogen waren.
 

Ich wollte eigentlich gar nicht wissen, welche Magie Tessai da benutzte, aber es musste sehr hohe Magie sein, wahrscheinlich sogar verbotene.
 

Seine Stirn war mit Schweißperlen übersäht und sein Gesicht wirkte gepresst. Das hatte bei Tessai schon etwas zu sagen. Immerhin war er der geschickteste Shinigami in allen Formen des Kido, er konnte die höchsten Beschwörungen bewirken, ohne sie dabei laut auszusprechen.
 

Ich beeilte mich, in Kisukes Gemächer zu kommen, sie waren der nächste Ort, an dem ich Kaffee und etwas zu Essen finden sollte. Mit einem Zweitschlüssel, den ich besaß, verschaffte ich mir Zutritt zu seinen Räumlichkeiten in der zwölften Kompanie.

Wir hatten vor einiger Zeit Kopien unserer Schlüssel anfertigen lassen und sie dem jeweils anderen zur Verfügung gestellt. Für Notfälle, von denen wir gehofft hatten, sie würden nie eintreten.
 

Schnell kochte ich eine Kanne Kaffee und schmierte ein paar Brote, Kisukes Kühlschrank war leider nicht sehr ergiebig, und machte mich auf den Rückweg.
 

Als ich gerade das Haupthaus der Zwölften Kompanie verließ stellte sich mir jemand in den Weg.

Es war Gin.
 

„Du solltest ins Bett gehen.“ Sein Gesicht war ernst und es klang wie ein Echo von dem, was Kisuke vor zwanzig Minuten zu mir gesagt hatte.

„Gin lass mich durch, bitte.“
 

Er rührte sich nicht und ich wartete einen Moment. Er machte jedoch keine Anstalten sich zu erklären oder gar zu rühren.

„Ich habe keine Zeit dafür“, murmelte ich und wollte mich an ihm vorbeidrängeln, doch er stellte sich mir abermals in den Weg.

„Du solltest jetzt wirklich ins Bett gehen“, wiederholte er mit Nachdruck, sein Blick wirkte wütend, aber auch einen Hauch von Sorge erkannte ich darin wieder.
 

Mich überkam eine Gänsehaut, was hatte das Alles zu bedeuten?
 

„Nein“, antwortete ich leise und unternahm abermals den Versuch an ihm vorbeizugehen, doch da nahm er die Hand aus der Hosentasche, ich erkannte gerade noch ein schwarzes Pulver, war zu langsam, er hielt es mir ins Gesicht und vor Schreck atmete ich es ein.

Das Letzte, was ich hörte, war das Klirren der Teller auf dem Boden.
 


 

„Akari!“, ich erwachte aus meinen Albträumen, über mich gebeugt stand Yoruichi.

Für eine Sekunde wunderte ich mich, wie sie in mein Zimmer gekommen war, als die Erinnerungen der schrecklichen Ereignisse des Vorabends mich trafen.
 

„Akari, komm zu dir! Was ist denn los, du schläfst doch sonst nicht wie ein Stein“, rief sie aufgeregt und ich setzte mich auf, mein Kopf brummte.
 

„Sonst benutze ich auch kein Schlafmittel“, murrte ich wütend und wunderte mich, wie ich in mein Bett gekommen war.

„Schlafpulver?“, fragte sie nun aufgeregt und war nicht in der Lage still auf einem Fleck stehen zu bleiben.

„Akari, was ist hier letzte Nacht passiert?“ Ihr Blick war ernst und sie schaute sich ständig um, als habe sie Angst verfolgt zu werden.
 

„Warum wurden Kisuke und Tessai festgenommen?“, fügte sie nun leise zischend hinzu und es dauerte einen Moment, bis dieser Satz in mein Innerstes vordrang.
 

“Sie haben WAS?“

Yoruichi erklärte mir, dass vor einer halben Stunde etwa, Leute aus der Zentralkammer 46 herausgeströmt waren, die beiden festgenommen und in die Kammer gebracht hatten.

Sie würden noch heute verurteilt werden.
 

„Verurteilt? Wofür? Dass sie losgezogen sind, obwohl der Generalkommandant es ihnen verboten hat? Für sowas wird man doch nicht von der Kammer bestraft!“, ich war aufgestanden und zog mir hastig meinen Haori über, der lieblos über einem Stuhl gehangen hatte.
 

Wütend stieß ich die Tür auf und verließ meine Gemächer, Yoruichi folgte mir.
 

„Was ist hier los?“, fragte sie nun aufgebracht und ich begann ihr im Flüsterton zu erklären, was am Vorabend geschehen war.

„Aber dann wollten sie ihnen doch helfen! Wer hat ihnen denn so etwas Schreckliches angetan?“

Ich öffnete den Mund, schloss ihn aber sogleich wieder.
 

„Du weißt es auch nicht“, stellte sie murmelnd fest und merkte auf einmal, dass wir auf die Forschungsabteilung zuhielten. Allerdings standen dort zwei Wachen, die von der Zentrale 46 aufgestellt worden waren und uns nicht durchlassen wollten. Sie waren jedoch eher kleinlaut, sie wussten, dass sie im Ernstfall nicht den Hauch einer Chance gegen uns hatten.
 

„Lasst sie rein“, murmelte eine hohe Stimme und ich erkannte Mayuri, der hinter den Wachen aufgetaucht war.
 

„Aber…“, begann die Wache, doch Mayuris Blick reichte aus, um ihn zum Schweigen zu bringen. Wir betraten den Gang und erreichten Kisukes Labor noch vor Mayuri, der hinter uns her geschlendert kam.
 

„Es hat nicht funktioniert“, stellte ich fest, als die Szene im Labor noch genau wie am Vorabend aussah. Ich erklärte Yoruichi von dem Hougyoku, mit dem Kisuke die Hollowfizierung rückgängig machen wollte, als ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnehmen konnte.
 

Yoruichi zuckte zusammen und sog scharf den Atem ein.
 

„Akari… Yoruichi…“, es war Shinji Hirako, der Kommandant der fünften Kompanie, der mit höchster Anstrengung und trotz Knochenmasse in seinem Mund zu uns sprach.
 

„Shinji!“, ich wollte zu ihm, aber noch immer schien Tessais Barriere aktiv zu sein.

Shinji mühte sich sichtlich ab, doch mit jeder Bewegung die er machte, schien die Knochenmaske schneller zu wachsen.
 

„Halt still Shinji, du verschlimmerst es nur!“, rief ich mit hoher Stimme. Doch Shinji hörte nicht auf mich.

„So...So…“, begann er, Yoruichi und ich runzelten die Stirn.
 

„Soso? Was willst du uns sagen?“, fragte ich und hörte Shinji schwer atmen.

„Sosuke ... Aizen.“
 

Es war eine lange Zeit still, bis Yoruichi es schließlich schaffte, sich von diesem Schock zu erholen. Ich war noch immer wie erstarrt.
 

„Aizen? Dein Vizekommandant? Hat ER euch das etwa angetan?“, die Wut aus ihrer Stimme war unüberhörbar.

Shinji, der etwas gruselig wirkte, nickte vorsichtig und versuchte, uns noch etwas mitzuteilen.
 

„Kompli- Komplizen“, zischte er und wir gingen so nah wie möglich an die Barierre heran, um jedes seiner Worte zu verstehen.

„Er hat Komplizen?“, schloss ich und er nickte abermals vorsichtig.

„Tousen“, brachte er hervor, ich erinnerte mich an ihn, er war der fünfte Offizier der neunten Kompanie. Ich nickte, um ihm mitzuteilen, dass ich verstanden hatte, doch da brachte er noch einen Namen hervor.

„Ichimaru“, obwohl ich es geahnt hatte, riss es mir den Boden unter den Füßen weg.

Für einen Moment vergaß ich zu atmen und konnte den Blick nicht von Shinjis noch nicht von Knochenmasse verdecktem Auge abwenden.
 

Dann nickte ich erneut, ganz langsam.

Gin.

Alles um mich herum drehte sich. Ich hielt mir den Kopf und spürte, wie meine Augen sich mit Tränen füllten, ich versuchte, nicht zu blinzeln, damit niemand sie über mein Gesicht kullern sah.
 

„Von Anfang an…“, hauchte ich und schüttelte den Kopf. „Von Anfang an…“, wiederholte ich und merkte selbst, wie brüchig meine Stimme war. Yoruichi sah mich mitleidig an.
 

„Von Anfang an hat dieser Aizen das geplant!“, schrie ich und meine Stimme bebte vor Wut.

„Er wusste von Anfang an… dass er Kisuke benutzen konnte, dass er uns benutzen konnte… VON ANFANG AN!“, Yoruichi zuckte zusammen, sie drückte ihre Hand auf meine Schulter, wie um mich zu beruhigen, doch ich wusste, dass sie den ernst der Lage nicht begriff.
 

Doch Shinji nickte stöhnend, wie um mir zuzustimmen.

„Aizen kann…“ begann ich, als es mir endlich dämmerte.

„Ich glaube er kann… die Gedanken von Menschen irgendwie manipulieren“, wieder sah ich wie Shinji nickte, dieses Mal mit etwas mehr Wucht, sodass man die Knochenmaske knacken hörte.
 

„Es stimmt?“, rief ich und versuchte, einen Schritt auf ihn zuzugehen, doch die Barriere hielt mich ab.

„Ja. Hypnose!“, keuchte Shinji.

„Sein Zanpakuto“, fügte er an und ich erinnerte mich an eine meiner ersten Begegnungen mit Aizen. Ich erinnerte mich, wie er Kisuke und mir stolz sein Shikai präsentiert hatte.
 

„Woher weißt du, dass er soetwas kann?“, hakte Yoruichi nun ein und blickte zwischen Shinji und mir hin und her. Ich erzählte ihr kurz und knapp von meinem Erlebnis während der Zeit in der Shinigami Akademie.
 

„Alle waren der festen Überzeugung, ich wäre das Wochenende bei meiner Mutter gewesen. Sie erzählte mir, was wir alles zusammen gemacht hatten… und jeder andere, der bei dem Einsatz dabei war erinnerte sich an rein gar nichts… Außerdem hat Gin so erschrocken reagiert, als er gemerkt hat, dass ich mich erinnere. Er hat gesagt, das dürfe niemals jemand erfahren!“

Shinji stöhnte wütend auf und Yoruichis Stirn war gerunzelt, sie schien angestrengt nachzudenken.
 

„Du meinst Aizen hat alle hypnotisiert, um zu vergessen, was für einen seltsamen Hollow ihr da bekämpft habt?“, ich nickte eifrig.

„Außerdem… ich wurde geheilt und kann mich ganz schwach daran erinnern, dass es Unohana war, die sich um mich gekümmert hat… aber so einen schweren Angriff auf eine Schülerin, das hätte sie doch sicher jemandem gemeldet…“
 

„Ja das hätte sie bestimmt, wenn sie sich erinnern könnte“, schloss Yoruichi und ich schluckte. Kisuke hatte all dies schon einmal gesagt, vor Jahren und ich hatte es auf die leichte Schulter genommen. Ich hätte auf ihn hören sollen, doch nun war es vielleicht zu spät.
 

„Aber was haben Kisuke und Tessai damit… zu… tun…“, noch während Yoruichi die Worte aussprach, schien es ihr zu dämmern.

„Nein“, murmelte sie und auch ich spürte Panik in mir aufkeimen.
 

„Sie schieben das Ganze doch nicht den beiden in die Schuhe?“, fragte sie und Shinji nickte erneut heftig.

Einen Moment war es still, doch dann bekam Yoruichi ihren üblichen bösen Blick und ein freches Grinsen.
 

„Nein, so leicht werden wir es Aizen nicht machen. Akari, warte hier auf mich, ich suche jemanden, der die Barriere für uns lösen kann und dann bringen wir sie hier weg.“, blinzelnd sah ich zu, wie sie zum Ausgang rannte.
 

„Aber“, begann ich, doch sie warf mir einen ernsten Blick zu: „Danach begibst du dich an einen Ort, an dem viele Leute sind.“

Ich werde auf dich warten

Als ich über den Platz spazierte, spürte ich wie mein Herz immer schwerer wurde.
 

Ich hatte ein ungutes Gefühl, obwohl ich wusste, was gerade geschah.
 

Yoruichi schlüpfte genau in diesem Moment maskiert in die Zentrale 46, um dort Tessai und Kisuke zu befreien, während ich durch die Gegend spazierte und möglichst viele Leute begrüßte.
 

„Akari“, hörte ich ein Flüstern und sah, dass Rangiku neben mir ging. Sie sah mich traurig an und ich seufzte nur.

„Schon gut“, murmelte ich, doch sie wirkte nicht nur besorgt, sondern auch neugierig. Sie wusste schließlich nicht genau, was geschehen war, hatte lediglich von der Festnahme etwas mitbekommen.

Sollte ich ihr also die Wahrheit sagen?
 

Dass ihr bester Freund sich einem verrückt gewordenen Vizekommandanten angeschlossen hatte, um an Shinigamis mit Hollowfizierung zu experimentieren und es danach meinem Freund in die Schuhe zu schieben?
 

Doch ich wusste, es war weder der richtige Ort noch die richtige Zeit darüber laut zu sprechen. Meine Gedanken drehten sich im Kreis. Warum hatte Gin sich Aizen angeschlossen? Was erhoffte er sich davon? Ganz egal schien ich ihm nun auch nicht zu sein, sonst hätte er sich nicht die Mühe gegeben, mich mit Schlafpulver außer Gefecht zu setzen.

Er hatte mich schützen, aus der Sache raushalten wollen.
 

„Ich will dich nicht in die Sache hineinziehen“, fielen mir seine Worte ein, als er mich damals verlassen hatte.

Jetzt verstand ich sie. Verstand, dass er damals entschieden hatte, mich aus seinem Leben herauszuhalten, um mich zu beschützen.
 

Doch er hatte zugelassen, dass Kisuke mit hereingezogen wurde und das würde ich ihm nicht verzeihen.

„Akari“, ein weiteres Flüstern, Byakuya hatte sich zu uns gesellt. Er warf Rangiku einen erwartungsvollen Blick zu, die sich daraufhin von uns absetzte, sodass Byakuya und ich allein reden konnten.
 

Wir standen mitten auf dem Platz, wo uns jeder sehen konnte, trotzdem hatten wir die Möglichkeit ungestört zu reden.

„Sind sie unschuldig?“, fragte er leise und ich nickte.
 

Byakuya achtete das Gesetz, er duldete es nicht, wenn es gebrochen wurde.

„Allerdings werden alle Beweise gegen sie sprechen“, flüsterte ich. Noch während Yoruichi und ich Shinji und die anderen weggeschafft hatten, erzählte Mayuri uns, dass Gerüchte umhergingen: Tessai und Kisuke wurden angeklagt, Experimente mit Hollowfizierung durchgeführt zu haben.
 

Alle Verbrechen Aizens wurden ihnen angelastet und es gab unglaublich viele Zeugen. Vorsichtig erklärte ich Byakuya alles, was ich wusste.
 

Er hörte aufmerksam zu und sein Gesicht verzog sich, als könne er diese Ungerechtigkeit nicht ertragen.

„Aizen kann hypnotisieren…“, murmelte er nachdenklich und ich nickte. Byakuya war noch immer mein bester Freund, ich hätte es nicht ertragen, ihm die Wahrheit vorzuenthalten.
 

„Es sieht schlecht für die Beiden aus“, gestand er nun und wirkte bedrückt. Dann brach ein Tumult los, dessen Lärm uns aufschrecken ließ.
 

„ALARM, ALARM! Zwei verurteilte Verbrecher sind aus der Zentralkammer 46 geflohen! ALARM! Flüchtige verfolgen und einfangen, höchste Priorität, verfolgen und einfangen!“, die Stimme wiederholte diese Sätze immer wieder, während alle im Umkreis anfingen, hektisch loszurennen.
 

„Alles gut?“, fragte ich Byakuya, der das Gesicht zu einer Grimasse verzogen hatte.

„Das ist wohl eine Aufgabe, die nicht dem Niveau von Kommandanten entspricht“, murmelte er und wir drehten uns herum, spazierten gemütlich weiter.
 

„Irgendwann kriegen wir Aizen dafür. Verbrechen zahlt sich niemals aus.“
 

Diese Worte hallten noch lange in meinem Kopf nach. Ich sah ihn einen Moment dankbar an, als ein Höllenschmetterling eine Kommandantenversammlung ankündigte. Wir machten uns auf den Weg zur ersten Kompanie und schon standen die übrig gebliebenen Kommandanten in einem Raum.
 

Yamamoto-Genryusai, Ukitake, Kyouraku, Kenpachi, Unohana, Byakuya und ich selbst.
 

Eine Hand voll Vizekommandanten stand in einer anderen Ecke des Raumes, es kam mir unglaublich leer vor. Während der Generalkommandant allen erklärte, was passiert war, musste ich mich zusammenreißen, Aizen nicht anzuspringen.

Er stand vollkommen unschuldig an seinem Platz, den freundlichsten Blick aufgesetzt, den er zur Verfügung hatte. Oder hypnotisierte er uns wieder? War das gar nicht Aizen?
 

Ich erschauerte. Doch seine Hypnose hatte bei mir schon einmal nicht funktioniert, wieso sollte sie das also jetzt tun? Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf den Generalkommandanten, der nun jeden bat zu berichten, was er in der Nacht getan hatte.

Aizen erzählte, er sei spazieren gewesen, da er nicht hatte schlafen können. Kyouraku konnte das bestätigen und ich musste meine Wut herunterschlucken.
 

Ich wollte ihnen so gern die Wahrheit über Aizens Fähigkeiten sagen, doch wie sollten sie mir glauben? Ich hatte keinerlei Beweise und er konnte sie immerhin alles sehen lassen, was er wollte.
 

Ich fühlte mich so verloren. Byakuya warf mir einen ernsten Blick zu und ich beruhigte mich langsam wieder.

Ja wir sollten mitspielen. Jetzt durchzudrehen würde uns nicht weiterhelfen. Ich war an der Reihe, Bericht zu erstatten.

„Ich habe Kisuke in seinem Forschungslabor besucht gestern Abend. Er arbeitete an den Gigai. Er bat mich etwas Essen für ihn so besorgen, also machte ich mich auf den Weg. Als ich allerdings zurückkehrte, wurde ich von dem Offizier der fünften Kompanie aufgehalten und mit Schlafpulver besprüht, woraufhin ich heute Morgen in meinem Bett erwachte.“

Da Shinji nicht anwesend war, warf der Generalkommandant nun Aizen einen neugierigen Blick zu.
 

„Warum macht euer Offizier so etwas?“, fragte er und Aizen warf mir einen kurzen Blick zu, der mir eine Gänsehaut einjagte.

„Ja, mein Offizier beichtete mir, was er tat. Es war bereits spät in der Nacht und die Verbrechen der beiden Verurteilten waren bereits in vollem Gange, als er Kommandantin Miyazaki durch die Gänge der zwölften Kompanie spazieren sah. Ich bin sicher, er wollte ihr nichts zu Leide tun… Generalkommandant ihr müsst wissen, Ichimaru und Kommandantin Miyazaki waren einst ein Paar in der Schulzeit. Er war um ihr Wohlbefinden besorgt und hat etwas überreagiert, dafür wird er sich natürlich entschuldigen.“
 

„Überreagiert?“, platzte ich heraus und spürte wieder einen warnenden Blick von Byakuya, alle anderen schienen Aizen seine Geschichte abzukaufen.
 

Auch der Generalkommandant nickte, als sei das alles sehr logisch.

„Es tut mir weh, das zu sagen“, begann der Generalkommandant nun, „aber auch Yoruichi Shihoin gehört zu den Verrätern. Sie verhilft ihnen bei der Flucht und auch ihr wird der Kommandantenstatus aberkannt, genau wie den anderen Verbrechern. Wir werden uns natürlich bald darum kümmern, dass ihre Stellen neu besetzt werden, doch nun müssen wir dafür sorgen, die Flüchtigen zurückzubringen. Die Ehre der Gotei 13 steht auf dem Spiel.“
 

Er klopfte mit seinem Stab auf den Boden und damit war das Treffen beendet.

Ich schluckte.
 

Dem Kommandantenamt enthoben?

Stellen neu besetzen? Die anderen Verbrecher?

Scheinbar waren auch Shinji und die anderen als Mittäter verurteilt worden. Ich war überglücklich, dass Yoruichi so gut mitgedacht hatte.
 


 

Ich beteiligte mich nicht an der Suche nach den Flüchtigen und das wurde auch weithin als verständlich angesehen. Ich wusste, dass sie bei Sonnenuntergang die Soul Society verlassen würden, das war Yoruichis Idee gewesen.
 

Sie hatte mir verboten sie noch einmal aufzusuchen, doch mir war von Anfang an klar, dass ich mich daran nicht halten würde. Alle in meiner Kompanie mieden meine Blicke. Ich saß an meinem Schreibtisch und grübelte vor mich hin, in meiner Hand hielt ich eine kleine Kugel aus Milchglas, eine Erfindung von Kisuke. Ich hörte ein Räuspern und sah, dass Rangiku in der Tür stand.

„Ich weiß nicht genau, was passiert ist…“, begann sie mit ernstem Blick, „aber eines weiß ich: Kisuke würde so etwas niemals tun. Ich weiß nicht, wer es war und wie man es ihm anhängen konnte… aber wenn es irgendetwas gibt, was ich für dich tun kann Akari, dann sag es mir bitte.“
 

Einen Moment lang reagierte ich nicht, starrte nur auf meine Kugel. Ich wusste, dass ich das Gleiche für sie tun würde.

„Da gibt es etwas“, murmelte ich und sie kam ein paar Schritte auf mich zu.

„Das wäre?“, fragte sie und ich lächelte.
 

„Geh mit mir baden.“

Sie schaute verdutzt, aber nachdem ich ihr ein paar Mal versichert hatte, dass ich keinen Scherz machte, standen wir mit Handtüchern vorm Badehaus. Ich sorgte dafür, dabei möglichst viel Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen. Im Badehaus hatten wir eine riesige in den Boden eingelassene Wanne für uns zwei. Ich schmiss meine Sachen von mir und setzte mich in das heiße Wasser. Ich spürte, wie meine Muskeln sich entspannten und auch Rangiku seufzte erleichtert auf.
 

Einige Minuten lang lagen wir nur so da, bis ich schließlich entschied, dass ich lange genug entspannt hatte. Ich suchte die Milchglaskugel aus meiner Kleidung heraus und hielt sie ihr hin. Ich konzentrierte mich auf die Kugel, die ein schwaches violettes Leuchten annahm. Rangiku bekam große Augen.

„Die Kugel nimmt dein Reiatsu an?“, fragte sie und ich nickte, unterdrückte dann mein eigenes Reiatsu vollständig.

„Von außen fühlt es sich so an, als wäre ich hier drin.“

Ihre Augen waren noch größer und sie nickte langsam.

„Verstehe, also gehst du…“, ich nickte.
 

„Mich verabschieden.“ Einen Moment lang waren wir still, doch dann fiel mir die weitere Funktion der Kugel ein.

„Wenn du dich konzentrierst, kannst du sie dazu bringen, zu sprechen. In meiner Stimme.“

Rangiku zog die Augenbrauen hoch, nahm die Kugel in die Hand,

„Das probiere ich doch gleich mal aus. Also Akari, was trägst du für Unterwäsche?“

Sie runzelte kurz die Stirn, als konzentriere sie sich, da antwortete die Kugel in meiner Stimme „Gar keine.“

„Wie intellektuell“, warf ich ein und musste schmunzeln.

Sie kicherte leise auf. „Lass dir Zeit… ich habe der Kugel hier einiges zu erzählen.“

Ich bedankte mich bei ihr und erhob mich aus dem Wasser.
 

„Kommandantin Miyazaki“, es war Hiyori, die mich zuerst bemerkte.

Sie sah wieder aus wie sie selbst, nur dass sie ihre Shinigami Uniform gegen gewöhnliche Kleidung getauscht hatte.

„Keine Sorge, sie ist auf unserer Seite“, erklärte Shinji, der langsam auf mich zukam.

„Akari, ich hab doch gesagt du…“
 

„Yoruichi“, Kisuke unterbrach sie und sie verdrehte die Augen.

„Hat dich jemand gesehen?“, fragte sie mich nun und ich warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu.

„Na ja ich habe mein Shunpo bei einer ziemlich mittelmäßigen Lehrerin gelernt, also bin ich mir nicht sicher…“, begann ich und sie knuffte mich mit einem Lachen in die Schulter.
 

„Pass auf, was du sagst!“

„Wir müssen los“, hörte ich nun Tessai keuchen, der noch immer eine Barriere aufrechterhielt. Ich sah ihn bewundernd an, er hielt die Barriere jetzt schon seit Stunden. Ich erkannte schon das Portal in die Welt der Lebenden, Kisuke hatte es bereits errichtet.
 

„Hey Akari“, sagte Shinji und musterte mich.

„Wir alle setzen unsere Hoffnungen auf dich. Du musst die Wahrheit ans Licht bringen, damit der wahre Verbrecher bestraft werden kann.“
 

Einen Moment lang hielt ich seinen Blick, nickte dann langsam und er lächelte.

„Mach’s gut.“
 

„Weißt du Akari… du warst immer eine der wenigen Kommandanten, die ich mochte“, gestand Hiyori mir auf einmal und warf mir ein freches Grinsen zu.
 

„Und sie war wahrscheinlich eine der wenigen Existenzen, die dich mochten“, murmelte Shinji und fing sich darauf ein paar üble Tritte der Kleinen ein.

„Danke Hiyori, ich mag dich auch. Ich komm euch Mal besuchen in der Welt der Lebenden“, versprach ich und Hiyori zeigte mir den hochgestreckten Daumen.
 

„Ich freu mich drauf“, sie folgte Shinji zum Tor und ich bemerkte, dass auch die anderen mich anblickten.

„Mach’s gut“, „Tschüss Akari“, nacheinander betraten sie das Tor, bis schließlich nur Yoruichi, Kisuke und ich übrig blieben.

„Kannst du mir einen Gefallen tun?“, fragte Yoruichi und ich nickte ihr aufmunternd zu, fortzufahren.

„In der zweiten Kompanie… erinnerst du dich an Soifon?“
 

Ich nickte abermals, sie war wie Yoruichis Schatten, immer an ihrer Seite.

„Sie ist unglaublich begabt und ich würde mir wünschen, dass sie meinen Platz einnimmt.“

„Ich schaue, was ich machen kann.“ Sie drückte mich einmal fest und rannte zum Tor, drehte sich noch einmal zu mir um und verschwand.
 

Kisuke und ich waren nun allein. Er nahm mich in den Arm und drückte mich ganz fest an sich.

„Seit unserer Kindheit verbringen wir fast jeden Tag miteinander“, begann er und ich musste feststellen, dass er Recht hatte.

Selbst zu der Zeit, als er sich in seine Forschungen vergraben hatte, hatte es nur wenige Tage gegeben, an denen wir uns gar nicht gesehen hatten.
 

„Es ist irgendwie gruselig fortzugehen an diesen merkwürdigen Ort… und das ganz ohne dich.“

Ich schluckte, was sollte das? Was war das für eine Rede?

„Akari, ich habe mir eins geschworen“, er trat einen Schritt zurück und sah mich ernst an.

„Wenn das hier alles vorbei ist, die Wahrheit ans Licht gekommen ist und wir zurück in die Soul Society können…“, er nahm meine Hände und drückte sie fest, „Wirst du dann meine Frau?“
 

Mir stockte der Atem und ich spürte die Tränen in meinen Augen. Warum wurde ich auf einmal so emotional? Er griff in seinen Kimono, mit dem er seinen Haori ersetzt hatte und holte einen Ring heraus.

Er war in Gold mit einem einfach Muster versehen, ganz schlicht und doch elegant. Ich spürte heiße Tränen meine Wangen hinunterlaufen.
 

„Natürlich will ich das“, flüsterte ich und ließ mir den Ring anstecken.

Er passte wie angegossen.
 

Wir küssten uns und ich wünschte, der Moment würde für immer anhalten, doch schon viel zu bald löste er sich und ich sah, dass auch seine Augen nicht ganz trocken waren.
 

„Du musst mir noch etwas versprechen“; bat ich ihn und er legte den Kopf schief.

„So lange diese ganze Sache nicht geklärt ist, darfst du keinen Fuß in die Soul Society setzen“, er holte Luft und ich wusste, dass er protestieren wollte, doch ich unterbrach ihn sogleich.
 

„Du weißt, wie die Zentralkammer mit flüchtigen Verbrechern vorgeht. Wenn du einen Fuß in die Soul Society setzt, werden sie hinter dir her sein, um dein Zanpakuto zu zerstören und dich einzusperren. Ganz zu schweigen von dem, was Aizen tun könnte. Seine Hypnose ist eine tödliche Waffe, das darfst du nicht riskieren. Du musst es mir versprechen!“

Er betrachtete mich einen Moment, bevor er endlich antowtete: „Ich verspreche es.“
 

Ich spürte einen Hauch von Erleichterung. Er nahm meine Hand und wir gingen zusammen zu dem Tor, das ihn von mir fortbringen würde. Kurz davor blieb ich stehen, er ging weiter, ließ meine Hand dabei aber nicht los.

Als er das Tor schon fast berührte, drehte er sich ein letztes Mal um.
 

„Ich werde auf dich warten.“

Das war das letzte Mal, dass ich ihn sah.

Beförderung und Urteil

Wie ein Fluss in Zeitlupe plätscherten die Tage an mir vorbei.

Ich wusste nichts mit mir anzufangen. Rangiku übernahm den größten Teil meiner Pflichten und ich vegetierte nur so vor mich hin. Ich fühlte mich leblos. Leer, wie eine Puppe.
 

Das einzige Gefühl, dass sich vermehrt in mir regte, war Wut, wann immer ich Aizen, Tousen oder Gin über den Weg lief. Ich konnte Gin nicht mehr in die Augen sehen.

Er versuchte sogar, mit mir zu sprechen, ein Lächeln auf den Lippen wie stets, doch ehe er auch nur einen Satz vervollständigen konnte, hatte ich ihm eine Ohrfeige verpasst. Er war verdutzt, doch er fing sich gleich wieder und kam mir nachgelaufen.
 

„Akari, wieso wechselst du nicht die Seiten?“ Seine Frage war so verstörend, dass ich darauf gar keine Antwort finden konnte.

„Ich soll WAS?“, fragte ich und kümmerte mich nicht darum, dass einige in der Nähe uns besorgt ansahen.
 

„Ganz ehrlich, was wir tun ist nicht so, wie du glaubst. Wenn du eine von uns wirst, kannst du dafür sorgen, dass deinen flüchtigen Freunden nichts geschieht und außerdem werden wir eine neue Welt erschaffen.“

Ich keuchte auf. Eine neue Welt erschaffen?

Ich verstand nicht, wovon er redete.
 

„Vielleicht hättest du lieber darüber nachdenken sollen die Seiten zu wechseln, anstatt deine Freunde zu verraten. Eine neue Welt erschaffen? Das ich nicht lache! Ich will mit dir und dem was ihr tut nichts zu tun haben“, den letzten Satz zischte ich wütend, bevor ich schnellen Schrittes davonlief.
 

Hätte ich zu dem Zeitpunkt geahnt, dass Aizen dieses Gespräch belauscht, hätte ich vielleicht anders reagiert.
 

Es war einige Tage später, ein kühler Wind pfiff durch die Gänge und wehte mir mein dunkles Haar ins Gesicht.

„Akari…“, es war Rangiku, sie schaute mich traurig an. Noch immer kannte sie nicht die ganze Wahrheit, aber ihr reichte das. Ich brachte es nicht über mich, ihr die Wahrheit über Gin zu erzählen. Still kochten wir etwas zusammen und aßen, ohne ein Wort zu sagen. Doch als sie fertig gegessen hatte, legte sie ihre Gabel abrupt auf den Tisch und wirkte auf einmal nervös.
 

„Es gibt das Gerücht eines neuen Kommandanten für die fünfte Kompanie“, ich nickte uninteressiert.

„Wen haben sie vorgeschlagen?“, ich stocherte in meinem Essen herum und spürte, wie sich mich aufmerksam beobachtete.

„Sosuke Aizen.“
 

Ich ließ die Gabel fallen und für einen Moment hörte man nur das Ticken der kleinen Uhr an der Wand.

„Was ist?“, fragte Rangiku und mein Blick musste ihr mehr verraten, als meine Worte.

„Ich kann Aizen nicht ausstehen.“ Es war keine Lüge.
 

„Er hat etwas damit zu tun, richtig?“, fragte sie und ich nickte ganz langsam.

„Ich verstehe. Also ist Gin ebenfalls in diese Sache verwickelt.“ Ihre Stimme zitterte und obwohl es keine Frage war, wartete sie auf meine Reaktion. Erneut nickte ich und ihr Blick schweifte in die Ferne.
 

„Ich werde dich nicht ausfragen, aber wenn du es mir irgendwann erzählen möchtest… werde ich zuhören.“

Es tat gut, jemanden zu haben, dem man vertrauen konnte, auf den man sich verlassen konnte.
 

„Was ist mit den anderen Kommandantenplätzen?“

Die letzten Tage hatte ich einige Besprechungen ausfallen lassen, ich wusste, dass ich das nicht lange durchziehen konnte.
 

„Also für die zweite Kompanie soll es Soifon werden“, ich nickte, es war gut, dass ich Byakuya gebeten hatte, den Vorschlag einzureichen. Ich vermutete, dass man mich im Moment nicht für ganz zurechnungsfähig hielt.
 

„Dritte Kompanie bleib wohl vorerst offen… Oh ja, für die siebte Kompanie steht dieser Komamura im Gespräch, dieser riesige Typ mit der Maske und für die neunte Kompanie dieser Tousen. Ein blinder Shinigami, aber ein erstaunlich guter Kämpfer. Oh und für die elfte Kompanie wird es wohl der gruselige Mayuri.“
 

Ich stützte meinen Kopf auf die Hände und stöhnte laut. Mayuri war zwar gruselig, aber das eigentliche Problem war Tousen. Wenn er und Aizen auf Kommandantenposten kamen, hatten sie unglaublich viel Macht und Freiraum für ihre schrecklichen Experimente.
 

„Aizen und Tousen… vertraue ihnen nicht.“ Rangiku nickte.

„Was Gin angeht…“, sie horchte auf. Ich würde ihr nicht sagen, sie solle sich von ihm abwenden, denn ich wusste, dass sie das nicht verkraften würde und ich spürte, dass Gin ihr nie etwas antun würde. Doch konnte ich nicht sicher sein, wie viel Einfluss Gin auf Aizen hatte und wenn dieser Rangiku als Gefahr sah ...

„Sei einfach vorsichtig, wenn dir etwas merkwürdig vorkommt“, riet ich ihr und sie schien erleichtert zu sein, dass ich nichts Schlimmeres gesagt hatte.
 

Die nächsten Wochen waren der Horror. Mit eigenen Augen mit ansehen zu müssen, wie Aizen im weißen Kommandantenhaori durch die Gegend spazierte war unerträglich für mich.
 

Gin wurde sein Vizekommandant und auch Tousen, Soifon, Komamura und Mayuri wurden befördert.
 

Ich versuchte, meine Wut zu unterdrücken, wann immer wir eine Kommandantenversammlung hatten, doch es fiel mir von Mal zu Mal schwerer.
 

Dann kam ein Tag, an dem eine dieser Versammlungen meine Welt, die eh schon halb zerfallen schien, komplett zusammenbrechen ließ. Aizen war vorgetreten, um etwas zu berichten und je mehr er redete, desto größer wurde mein Entsetzen.
 

„Wir haben gewisse Beweise gefunden, dass dieses Hougyoku nicht wie von der Zentralkammer verordnet, weggesperrt wurde, sondern sich noch immer in der Soul Society befindet und für jedermann zugänglich ist. Es heißt, der Abtrünnige, Kisuke Urahara habe diesen gefährlichen Gegenstand an jemanden weitergegeben, um sein Werk fortzuführen. So entstand auch der hollowfizierte Shinigami, den wir heute Vormittag in Rukongai vernichtet haben, wie jeder weiß.“ ich hielt den Atem an, nein davon hatte ich nichts gewusst.
 

Auch Rangiku hatte große Augen und schüttelte leicht den Kopf, sie hatte es ebenfalls nicht gewusst.

„Es tut mir Leid, das zu sagen, aber alle Beweise sprechen gegen euch, Kommandantin Miyazaki.“

Aizen sah mich mitleidig an, als täte es ihm ehrlich Leid mich zu beschuldigen. Etwas in seinen Augen jedoch lachte siegessicher. Ich entkrampfte meinen Körper, löste die zu Fäusten geballten Hände und atmete tief durch.

Ich wusste, dass ich keine Chance hatte.
 

„Ich habe nichts damit zu tun“, sagte ich trotzdem, Aizen jedoch führte eine Argumentation an, die unschlagbar war. Er hatte Zeugen, die sagten, sie hätten mich gesehen mit dem Hougyoku, hätten gesehen wie ich einen Mann hollowfiziert und dabei etwas von Kisukes Werk gemurmelt hätte und allerlei anderen Blödsinn.
 

Alle sahen mich geschockt an und ich spürte, dass einige ungläubig wirkten. Aber ihnen blieb keine Wahl, es war alles offensichtlich ich gewesen.
 

„Nehmt sie fest“, sagte der Generalkommandant müde, als wäre er es leid das zu sagen. Er schien enttäuscht.

„Einen Moment“, bat ich und trat vor den Generalkommandanten. „Ich möchte nur einen Moment unter vier Augen mit euch sprechen“, er musterte mich einen Moment, schickte die anderen dann jedoch nach draußen.
 

„Ich möchte nur, dass ihr meine Worte im Gedächtnis behaltet. Ich weiß, dass ich im Moment weder meine noch Kisukes Unschuld beweisen kann… aber falls diese Verbrechen hier weitergehen… Habt ein Auge auf Sosuke Aizen.“

Der Generalkommandant hob eine Augenbraue, sagte aber nichts.
 

„Eines Tages wird die Wahrheit ans Licht kommen und dann werde ich eben jene, dir mir und den anderen das hier anhängen eigenhändig vor das Gericht ziehen.“

Mit diesen Worten verließ ich den Raum und wurde sogleich von zwei Wachen von der Zentralkammer mitgenommen.

Es fühlte sich an wie ein schrecklicher Albtraum. Ich weiß noch, dass unglaublich viele seltsame Gesichter um mich herum unaufhörlich die Münder bewegten, dabei aber doch nichts Sinnvolles herauskam. Erst als das Urteil verkündet wurde, lauschte ich auf.
 

„Akari Miyazaki“, ich erhob mich zur Urteilsverkündung.

„Du wirst noch heute deinen Kommandantenhaori niederlegen, wir werden dir dieses Mahnmal anlegen und du wirst Seireitei verlassen. Das Urteil bedeutet Verbannung nach Rukongai, das Betreten von Seireitei ist dir hiermit verboten.“

Ein Mann kam auf mich zu, er hatte zwei dünne schwarze Metallreifen, die er mir um die Handgelenke legte. Sie schrumpften mit einem Stoß von Energie so eng zusammen, dass ich sie nicht mehr abstreifen konnte. Sie waren kühl und fühlten sich seltsam an.

Jemand riss mir meinen Haori von den Schultern, dann wurde ich aus dem Raum geschoben, wurde durch die Gänge von Seireitei getrieben, vorbei an meinen Freunden, die vor Wut kochten, bis hin zum Tor, das nach Rukongai führte.
 

„Akari!“, ich drehte mich um, als ich Yamachis Stimme hörte. Er kam auf mich zu gerannt und nahm mich stürmisch in die Arme.

„Das könnt ihr nicht machen“, schrie er die Wachen der Zentralkammer an, die jedoch rührte das überhaupt nicht.

„Sie ist die Tochter eines der vier mächtigsten Adelshäuser von Seireitei, ich verlange, dass man ihr Urteil überdenkt!“, schrie er, doch noch immer rührten sie sich nicht.
 

Schließlich tauchte einer der Richter hinter der Wache auf und verkündete, dass das Urteil unumstößlich sei und sie schon Gnade hatten walten lassen und mein Zanpakuto behalten durfte. Yamachi rang mit den Tränen, aber ich drückte dankbar seine Hand.

„Schon gut. Wir treffen uns in Rukongai… Wenn ich kein Shinigami sein kann, dann habe ich in Seireitei sowieso nichts verloren“, erklärte ich ihm und er nickte langsam. Ich drückte ihn ein letztes Mal, bevor ich mich auf den Weg zum Tor machte.
 

Es war bereits geöffnet und kurz bevor ich hindurchschritt, warf ich noch einen Blick zurück. Yamachi stand neben Byakuya, der mir aufmunternd zunickte, Rangiku hatte eine Träne auf dem Gesicht und selbst Gin sah ich in einiger Entfernung.

Ich warf ihm einen wütenden Blick zu und war mir nicht sicher, ob er traurig oder erleichtert war, dass ich Seireitei verlassen musste.
 

Ich durchschritt das Tor, das sich mit lautem Krach hinter mir schloss. Eines Tages würde ich zurückkehren und dann musste Aizen sich warm anziehen.
 

Einige Stunden streunte ich durch Rukongai, nicht sicher, wo ich hinsollte, doch da fiel mir etwas wieder ein. Ich erinnerte mich an das kleine Mädchen Mana, das ich einst mit ihrer Mutter Miaka zusammengeführt hatte, außerdem hatte ich ihnen geholfen ein kleines Haus zu bauen.
 

Vielleicht konnte ich für einige Nächte bei ihnen unterkommen. Es dauerte ein paar Stunden, bis ich den Ort wiedergefunden hatte, er lag ziemlich weit außerhalb. Die Tür wurde von Mana geöffnet, die um einiges älter geworden war, seitdem ich sie das letzte Mal gesehen hatte.
 

„Mama, komm schnell!“; rief sie und riss die Tür auf. Miaka kam angelaufen und war hocherfreut. Sie waren sofort einverstanden, stellten Essen auf den Tisch und versorgten mich mit allem, was ich brauchte. Sie hatten sogar noch ein leer stehendes Zimmer für mich. Nachdem Abendessen machte ich noch einen Spaziergang, ich wollte es heute riskieren, Kisuke zu besuchen.

Ich verließ den städtischen Teil, bis ich in einem kleinen Wald angekommen war. Kisuke war derjenige gewesen, der mir einst beigebracht hatte, wie man ein Tor in die Welt der Leben öffnete. Ich atmete tief durch und hatte das Tor schon bald errichtet. Ich streckte mich und spürte eine nervöse Vorfreude in mir. Ich hatte Kisuke jetzt einige Wochen nicht gesehen und freute mich darauf, ihn in die Arme zunehmen.
 

Ich nahm Anlauf und befand mich schon bald in dem Durchgang zur anderen Welt. Erst war alles wie immer, doch dann geschah etwas, dass ich noch nie zuvor erlebt hatte.

Die schwarzen Armreifen, leuchteten auf und mit einem heftigen Ruck, der mir die Luft aus den Lungen presste, wurde ich zurückgeschleudert und saß wieder vor dem Tor.

Ich starrte die Armreifen einen Moment sprachlos an, erhob mich und versuchte es erneut. Dieses Mal mit etwas mehr Schwung und Kraft.
 

Ich wurde zurückgeschleudert.

Wieder und wieder und wieder.
 

Egal wie oft ich es versuchte, ich wurde zurückgeschleudert, egal wie schnell ich lief, wie viel Energie ich verwendete, ich saß am Ende wieder vor dem Tor.
 

Ich weiß nicht mehr, wie oft ich es versucht habe, bis ich reglos vor dem Tor sitzen blieb und mit den Fäusten auf den Boden schlug.
 

Tief in meinem Inneren hatte ich gewusst, dass diese Armreifen nicht nur ein Accessoire sein konnten. Ja ich hatte gespürt, dass Aizen grausamer war, als mich nur nach Rukongai verbannen zu lassen. Ein heftiges Schluchzen löste sich aus meinem Hals.

Diese Fesseln banden mich an die Soul Society, ich hatte Kisuke versprechen lassen, diese nicht zu betreten.
 

„Sie haben uns getrennt… Kisuke.“

Hundert Jahre ohne Dich Teil 1: Schmerz und Erkenntnis

Monate vergingen, ohne dass ich etwas wirklich Sinnvolles tat.
 

Ich verbrachte viel Zeit mit Miaka und Mana, streifte durch die Stadt und versuchte verzweifelt, das Tor in die Welt der Lebenden zu passieren – ohne Erfolg. Alle Versuche scheiterten, ich wurde jedes Mal zurückgeschleudert.
 

„Versuch doch, die Reifen abzunehmen“, riet mir Mana eines Tages, doch auch das blieb ohne Erfolg. Ich versuchte es mit allen Mitteln (sogar meinem Zanpakuto) aber sie blieben stur an meinen Armen hängen.

Es war zum Verzweifeln. Anfangs war ich von Wut wie zerfressen, doch nach und nach machten sich Trauer und Verzweiflung breit. Ich wurde melancholisch.
 

„Akari“, es war Mana, die mich auf einem meiner Spaziergänge eingeholt hatte. Anfangs hatte sie mich stets mit Kommandantin Miyazaki angesprochen, es hatte einige Zeit gedauert, bis sie begriffen hatte, dass ich nun keine Kommandantin mehr war – und es auch nie wieder sein würde.

„Ich finde, du solltest nach Seireitei gehen“, schlug sie vor und ich seufzte.

„Ich bin verbannt von dort“, erklärte ich ihr zum gefühlt tausendsten Mal.
 

„Und hast du dich immer an alle Regeln gehalten? Sie können dir nicht verbieten, dein eigenes Familienhaus aufzusuchen“, empörte sie sich und ich dachte darüber nach.
 

„Außerdem bist du so schnell, dass dich sowieso niemand sieht.“ Von meinen Shunpo Fähigkeiten war sie besonders begeistert.

„Deine Freunde vermissen dich bestimmt schon“, hörte ich sie leise sagen, dann nahm sie mich an der Hand und zog mich mit sich.

„Außerdem haben Mutter und ich ein Geschenk für dich!“
 

Ich folgte ihr durch die Straßen des Dorfes. Nach einem kurzen Weg standen wir vor einem Geschäft, in dem eine junge Frau gemeinsam mit Miaka etwas betrachtete. Ich trat herein und erkannte, dass wir uns in einer Schneiderei befanden.

„Ah Akari, da bist du ja“, begrüßte Miaka mich und zog mich zu sich heran.
 

„Das ist für dich.“ Ich betrachtete eine Schaufensterpuppe, an der Kleidung hing. Ich trug noch immer meine Shinigami Uniform und ich wusste, dass ich das nicht sollte. Doch tief in meinem Inneren hatte ich noch immer einen Funken Hoffnung gehabt, dass ich bald nach Seireitei zurückkehren konnte. Ich atmete tief durch.
 

„Meine Mutter hat immer zu mir gesagt, wenn man Liebeskummer hat, hilft es manchmal etwas an sich zu ändern...“ Ich betrachtete die Schaufensterpuppe.

Es war ein hautenger, schwarzer Anzug, die Arme und Beine waren Dreiviertel lang. Es schien ein fester Stoff zu sein. Darüber befand sich eine Art weißes Kimonooberteil, das man um die Hüfte zusammenband und dann wie ein Rock die Hosenbeine umschmeichelte, vorn war es kürzer.

„Das ist ein altes Kämpferoutfit, ich habe es etwas überarbeitet“, begann die junge Frau, die offensichtlich die Schneiderin war, „Es ist sehr robust, feuerfest und auch elastisch.“
 

Ich hatte es schnell angezogen. Es passte wie angegossen und ich fühlte mich sogleich wohl darin. Es war etwas anderes, als die weiten Kimonos der Shinigami und es wirkte irgendwie frecher. Es weckte etwas Rebellisches in mir.
 

„Ein hoher Pferdeschwanz passt bestimmt gut dazu“, murmelte die Schneiderin und ich betrachtete mich im Spiegel. Das lange schwarze Haar hatte ich meist offen getragen und sah damit sehr brav aus, doch das hatte ein Ende. Ich band mir einen hohen Pferdeschwanz, mit einem violetten Band und machte eine kleine Schleife hinein.

Es hatte die gleiche Farbe wie meine Augen.
 

Erst jetzt bemerkte ich auf dem weißen Stoff einige violetten Nähte, die kleine Muster bildeten. Es war alles stimmig. Ich sah nun wirklich aus, wie eine ExKommandantin. Das gefiel mir.
 

„Danke“, brachte ich hervor und starrte noch eine Zeit lang in den Spiegel. Auch wenn es nur ein Outfit war, gab es mir irgendwie neue Kraft.
 

„Ich danke euch, wirklich. Ich werde heute Abend nach Seireitei gehen“, verkündete ich und zwinkerte Mana zu, die freudig nickte.
 

Ich verabschiedete mich und versprach bald zurück zu sein. Ich brauchte nicht sehr lange nach Seireitei, dieses Mal kannte ich den Weg.
 

Der Himmel war rot, als ich vor dem großen Tor stand. Ich schluckte. Wie sollte ich hindurch kommen? Doch dann erblickte ich ein freundliches Gesicht: Jidanbou der Torwärter grinste mich an. Wir kannten uns ziemlich gut, da ich meist dieses Tor benutzt hatte, wenn ich nach Rukongai gegangen war.
 

Er hob das Tor nur ein kleines Stückchen hinauf, sodass ich hindurchschlüpfen konnte.

„Danke“, flüsterte ich und er schnaubte auf.
 

„Akari ist keine Verbrecherin“, sagte er leise und ich war so dankbar für sein Vertrauen, dass mir ganz warm ums Herz wurde.

„Schön dich zu sehen“, fügte er hinzu und ich verabschiedete mich mit einer festen Umarmung von ihm. In wenigen Minuten hatte ich mein Haus erreicht, ich schlich mich über den Hof und bemerkte, dass nur ein Zimmer unseres Hauses noch beleuchtet war: mein Zimmer.
 

Ich schlich mich in den Garten und hockte mich zwischen zwei Büsche, ich konnte meinen Bruder durch das Fenster sehen. Er saß an meinem Schreibtisch, aber sein Blick war nicht auf irgendwelche Unterlagen gerichtet, sondern in die Ferne. Ich schlich mich näher heran und merkte erst jetzt, dass das Fenster auf Kipp stand. So nah, wie ich war, hätte er mich eigentlich bemerken müssen, doch er träumte weiter vor sich hin.
 

Er war zwar ein relativ guter Kämpfer, doch seine Kidofähigkeiten hatte er nicht so gut trainiert.
 

„Wovon träumst du?“, fragte ich und er zuckte so heftig zusammen, dass er fast vom Stuhl fiel.
 

„Akari!“, er sprang auf und riss das Fenster komplett auf, sodass ich hineinklettern konnte. Ich hatte das Gefühl, als hätten wir uns Jahre nicht gesehen. Sein Haar war um einige Zentimeter gewachsen und seine Augen wirkten müde.

Er war etwas dünner geworden, als hätte er viel Kummer gehabt.
 

„Ich hab dich vermisst! Oh cooles Outfit!“ In seiner Umarmung spürte ich seine Freude darüber, mich wiederzusehen, und so versuchte ich, dieses Gefühl zurückzugeben.
 

„Aber warum sitzt du in meinem Zimmer?“, fragte ich und blinzelte einige Tränen aus meinen Augen.

„Na ja... manchmal setze ich mich hier her, weil ich dann das Gefühl habe dir näher zu sein“, abermals kamen mir fast die Tränen und ich nahm ihn erneut in die Arme.

„Tut mir Leid, dass ich so lange gebraucht habe, um herzukommen.“
 

„Schon gut. Aber versprich mir, dass du von nun an öfter herkommst, ja?“

Ich versprach es ihm.
 


 

„Akari“, ich drehte mich abrupt herum, als meine Mutter die Küche betrat, sie musste uns gehört haben.

Yamachi hantierte gerade mit einem Topf herum und warf ihr einen besorgten Blick zu. Ihr Haar war zerzaust und sie hatte sich nur hastig einen Morgenmantel umgewickelt. Ich nahm sie vorsichtig in den Arm, sie wirkte erschöpft, ihre Krankheit war wieder schlimmer geworden.
 

Sie hielt mich eine Zeit lang in den Armen, flüsterte mir ins Ohr, dass ich öfter vorbeikommen solle und ging wieder ins Bett.

„Es wird schlimmer“, flüsterte Yamachi, während er Gemüse in den Topf kippte, in dem das Fleisch schon brutzelte. Eine Weile saß ich nur da und wartete auf das Essen.
 

„Was habe ich so verpasst?“, fragte ich und Yamachi rollte mit den Augen. „Ohh“, machte er und begann dann zu erzählen.

„Rangiku läuft gegen Wände, weißt du“, erklärte er mit dramatischem Unterton und schwang dabei die Gabel wie ein Dirigent.
 

„Mit Aizen, Gin und Tousen als Kommandanten ist das gar nicht so einfach, vor allem weil sie jetzt den obersten Rang in der Zehnten besetzt.“

Ich runzelte die Stirn.

„Gin ist Kommandant?“

Yamachi hielt kurz inne und nickte langsam.

„Dritte Kompanie.“
 

Ich brauchte einen Moment, um das zu verarbeiten. Ich wusste, dass Gin schon lange stark genug war, einen Kommandantenposten zu besetzen. Wahrscheinlich hatte Aizen es ihm jetzt erst erlaubt. Ich ballte die Hände zu Fäusten, aber Yamachi redete nun munter weiter.
 

„Byakuya scheint sich aus so ziemlich allem herauszuhalten. Zumindest nach Außen hin, aber ich habe mitbekommen, dass einige Pläne von Aizen und seinen Leuten irgendwie schief liefen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Byakuya da im Hintergrund die Fäden zieht, ohne aufzufliegen. Er hat die Unterstützung der Kuchiki Familie, die alles machen was er von ihnen verlangt, ohne nachzufragen.“

Ich musste grinsen, das passte zu Byakuya und ich fühlte einen Hauch von Genugtuung. Immerhin nicht jeder Plan von Aizen verlief so, wie er es sich wünschte und das war zumindest ein Anfang.
 

Nachdem ich das Essen komplett verputzt hatte, lehnte ich mich zurück und schnitt ein Thema an, dass mir auf dem Herzen lag, allerdings wollte ich das nicht so richtig zugeben. Nicht einmal vor Yamachi.

„Gibt es... eigentlich schon einen Nachfolger für meinen Posten?“
 

Ich versuchte, es so nebensächlich wie irgend möglich klingen zu lassen, doch ich erkannte an Yamachis Blick, dass er mich durchschaut hatte. Er lächelte.

„Rangiku verteidigt diesen Job, sie hat bisher alle in Frage kommenden Anwärter ausgeschaltet. Ich glaube, sie hat Hilfe von ihrem Offizier, diesem Shin. Sie selbst will den Job nicht, sie weiß auch, dass sie die Prüfung nicht bestehen würde und dass der Kommandantenposten etwas zu hoch gegriffen wäre für sie.“
 

Ich war stolz auf Rangiku, auch wenn ich ein schlechtes Gewissen hatte, die Zehnte Kompanie hatte vor mir eine lange Zeit ohne Kommandanten bestanden und nun waren sie wieder Kommandantenlos.

Eine Weile lächelten wir uns nur friedlich an, als ich etwas spürte, dass mir eine Gänsehaut über den Rücken jagte.

Yamachi sah mich besorgt an.

„Was ist?“ „Mutters Reiatsu!“, ich sprang auf.
 

Der spirituelle Druck unserer Mutter war gerade auf ein Minimum herabgesunken, ich rannte zu ihrem Zimmer, riss die Tür auf und sah ihren flehenden Blick.

Schnell setzten wir uns zu ihr.
 

„Akari, Yamachi...“, ich betrachtete sie einen Moment und realisierte, dass es sehr ernst um sie stand.

„Hol Unohana!“, schrie ich Yamachi an, doch unsere Mutter schüttelte den Kopf und ihre Finger krallten sich in meine Hand.
 

„Nein, es würde mir nur ein paar Tage verschaffen, die ich nur schlafen würde“; brachte sie gepresst hervor und ich starrte sie ungläubig an.

„Hör mir zu Akari“, ihre Stimme war dünn, fast wie ein Flüstern.

„Ich weiß, dass ich mit euch nicht immer alles richtig gemacht habe. Euer Vater hat euch sehr geliebt und ich auch... ihr seid zwei wundervolle Menschen geworden. Akari, auch du findest deinen Weg zurück, denn egal wie viele Lügen und Intrigen gesponnen werden, die Wahrheit wird immer siegen.“
 

Ihre Worte hallten noch lange in meinem Kopf nach.

„Kämpfe nicht auf Leben und tot, wenn es nichts zu beschützen gibt, hörst du?“

Ich musste lächeln, das war ihre Kampfregel Nummer Eins gewesen. Die Allererste, die sie uns beigebracht hatte.
 

„Akari... pass auf deinen Bruder auf. Er braucht dich mehr, als du glaubst und pass auf deine Freunde auf. Auf alles, was du liebst. Das ist wichtiger als alles andere im Leben. Es tut mir so leid, Akari. Ich habe viele Dinge getan, auf die ich nicht stolz bin. Wiederhole meine Fehler nicht, lass dich nicht hinreißen... Es tut mir so leid. Bitte verzeih mir, Akari.“

Ich wusste nicht, wovon sie sprach und ihre Augen starrten durch mich hindurch, wodurch ich begriff, dass ihr Verstand nicht mehr ganz bei uns war.

„Mutter, es gibt nichts zu verzeihen. Es ist alles gut.“
 

„Es tut mir so leid, so leid ... Ich liebe euch.“

Sie schloss die Augen und ihr letzter Atemzug klang so ruhig, dass ich zurückwich. Endlich hatte ihr Leid ein Ende. Mit einem Mal wurde mir bewusst, dass sie auf mich gewartet hatte. Sich durch Schmerz und Erschöpfung gequält hatte, um mich ein letztes Mal zu sehen, bevor sie fortging.
 

Yamachi drückte meine Schulter, während der Körper unserer Mutter begann, sich in Seelenpartikel aufzulösen.

Wir verließen das Zimmer und brachen im Wohnzimmer zusammen. Yamachi nahm mich in die Arme und stumm schluchzend saßen wir die ganze Nacht so auf dem Boden.
 

Irgendwann war ich so erschöpft, dass mir die Augen zufielen. Das Aufwachen war ebenso unschön.
 

Yamachi rüttelte mich wach und ich spürte sofort, was ihn besorgte: Kommandantin Unohana war ganz in der Nähe unseres Hauses.
 

„Du musst weg“, flüsterte er und ich nickte. Ich wusste, was jetzt folgte. Wenn jemand in der Soul Society starb, löste sich sein Körper komplett auf, nur erfahrene Heiler konnten den Tod hinterher bestätigen, indem sie den Ort des Geschehens analysierten.

Bei Adligen, wie meine Mutter eine war, kam die Kommandantin der vierten Einheit höchstpersönlich. Sie hatte scheinbar ihr Reiatsu erlöschen gespürt und hatte sich auf den Weg gemacht.
 

Ich kletterte aus einem der Fenster und unterdrückte mein Reiatsu komplett. Ich wäre gern dabei gewesen, wollte Yamachi nicht allein dort lassen, doch mir blieb nichts übrig. Ich wusste, dass sie den Tod meiner Mutter bald bekannt geben würden.

Wenn Adlige starben, wurde hinterher eine schwarze Flagge, darunter eine kleinere Flagge mit dem Familienemblem vor dem Haus der Familie gehisst.
 

Es würde bald eine Trauerfeier geben, eine Zeremonie bei der man den Toten gedachte und den Namen des Verstorbenen in die großen Marmorplatten auf dem Friedhof meißelte. Ich hatte unsere Platte schon einige Male gesehen. Sie war riesig und der Name unseres Vaters war der letzte, der eingemeißelt worden war. Ich seufzte und blickte mich um.
 

Ich konnte doch die Trauerfeier meiner eigenen Mutter nicht verpassen? Ich musste irgendwie dort hingehen. Vorsichtig schlich ich mich in die zehnte Kompanie und war überrascht, als ich die Kommandantengemächer noch genau so vorfand, wie ich sie verlassen hatte. Überall lagen noch Sachen von mir herum.
 

Ich suchte in dem großen Kleiderschrank nach einem alten Regenmantel, der eine Kapuze hatte. Das wäre perfekt. Ich schlich mich durch das Hauptgebäude zurück und sah, dass auf Rangikus Schreibtisch noch immer die Glaskugel lag, die ich ihr gegeben hatte um im Bad damit Gespräche zu führen.
 

Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Plauderte sie etwa ab und an mit der Kugel? Ich verschwand in den Gängen von Seireitei, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, das Reiatsu verborgen.
 

Ich wusste, dass ich auffällig wirken musste, doch es war mir lieber, sie hielten mich für einen Kleinkriminellen, als sie wüssten, wer ich tatsächlich war.
 

Ich spazierte einige Zeit lang nur durch die Stadt und prägte mir jede Ecke und Kante ein, als würde ich sie zum ersten Mal sehen. Ein trauriges Lächeln und ein Ziehen in meinem Herzen spürte ich, als ich an der Kreuzung ankam, die zur Benimmschule führte.

Es war der Ort, an dem ich Kisuke vor den Schlägern gerettet hatte. Ob er diesen Hut noch immer bei sich trug? Zu seiner Kommandantenzeit hatte er ihn meist nur in der Freizeit getragen, da es zu seinem Kommandantenhaori echt lächerlich ausgesehen hatte.
 

Plötzlich erschallte ein Horn und ich blickte hinauf. In weiter Ferne erkannte ich eine schwarze Flagge und der Tod meiner Mutter rückte wieder in den Vordergrund meines Bewusstseins. Ich schluckte und machte mich langsam auf den Weg, ich wusste wo die Zeremonie stattfinden würde, sie waren stets am gleichen Ort.
 

Während ich versuchte, nicht zu schnell zu laufen, strömten einige andere Shinigami aus den Gebäuden und machten sich auf den Weg.
 

„Wollt ihr nicht auf euren Kommandanten warten?“, hörte ich eine Stimme den jungen Shinigami hinterherrufen, die sofort erstarrten und leicht besorgt zurückblickten. Ein Mann in einem Kommandantenhaori trat aus der Tür und ich erkannte das Zeichen der dritten Kompanie darauf.
 

„Natürlich Kommandant Ichimaru“, stotterte einer der Shinigami und Gin kicherte leise vor sich hin. Ich hielt den Atem an, erst jetzt begriff ich, dass ich mich im Territorium der dritten Kompanie befand. Wut stieg in mir auf, als er lässig den Shinigami hinterher schlenderte. Wie konnte er so ganz ohne Kummer und Sorge durch Seireitei spazieren? Er grinste breit wie eh und je, als sei nie etwas geschehen. Ich musste tief durchatmen, um meine Wut zu beherrschen.
 

Als Gin abgelenkt war, überholte ich die kleine Gruppe. Ich hätte auch Shunpo benutzen können, aber dabei hätte er mein Reiatsu gespürt, das wollte ich nicht riskieren.
 

„Hey du“, Gins Stimme schien misstrauisch.

„Du mit dem Kapuzenumhang“, rief er erneut. Ich blieb abrupt stehen und drehte mich herum.

„Mh?“, machte ich und versuchte, meinen Zorn zu unterdrücken,
 

„Warum so vermummt? Es ist doch ein wunderschöner Tag?“, meinte er und wies mit der Hand in den blauen Himmel.

„Jemand ist gestorben. Daran ist nichts schön, Ginyanote Ichimaru“, ich spie seinen Namen fast aus, drehte mich herum und benutzte nun doch mein Shunpo. Es war nun egal.
 

Ich musste verschwunden sein, ohne dass sie auch nur Ansatzweise gesehen hatten, wie ich davongelaufen war. Ich wusste, dass Gin mich erkannt hatte. In dem Moment in dem ich seinen Namen ausgesprochen hatte, waren seine Augen aufgezuckt und sein Grinsen hatte sich kurz zu einer Grimasse verzogen.
 

Ob er es Aizen gleich petzen würde?

Ich hoffte, dass er noch genug Herz besaß, mich bei der Trauerfeier meiner Mutter dabei sein zu lassen. Überrascht blieb ich stehen, als ich realisierte, dass ich den Platz erreicht hatte. Stühle waren aufgestellt, die ersten drei Reihen waren stets für den Adel reserviert. Ich sah die Familie Kuchiki und schlich mich dahinter. Byakuya saß direkt vor mir, neben ihm seine Frau, die mit geröteten Augen auf die Marmorplatte vor uns starrte.
 

Ich holte tief Luft und konzentrierte mich darauf, einen winzigen Hauch meines Reiatsu frei zu lassen, gerade so lange und so stark, dass Byakuya es merken würde.

Byakuya saß kerzengerade da und Hisana sah ihn verwundert an.

„Byakuya-Sama...?“, doch er schüttelte nur den Kopf.
 

„Ich dachte nur...“, murmelte er und lehnte sich wieder zurück. Die Zeremonie begann. Als erste spielte eine Harfenistin eines der Lieblingsstücke meiner Mutter, Yamachi musste das organisiert haben, er kannte sich mit solchen Dingen aus. Der erste der sprach, war der Generalkommandant.
 

Er konnte nicht auf jeder Trauerfeier sprechen, aber gerade auf denen der vier großen Adelsfamilien war er stets anwesend. Er sprach von der Bereicherung, die sie für den Adel gewesen war, von ihrer Güte, aber auch von ihrer Stärke nach dem Tod meines Vaters und ihrem Durchhaltevermögen.
 

Als nächstes ging Yamachi nach vorn, seine Augen waren rot und ich wusste, dass meine ähnlich aussehen mussten. Er erzählte eine Geschichte, aus unserer Kindheit, Dinge, die viele von unserer Mutter nicht gewusst hatten. Dass sie sehr wohl eine gute Kämpferin war, obwohl sie niemals die Akademie besucht hatte, dass sie uns viel beigebracht hatte und stets für uns da war.

„Was ich damit sagen will, ist, dass sie nicht nur ein Familienoberhaupt einer Adelsfamilie war. Sondern eine liebende und wundervolle Mutter.“
 

Mir kamen abermals die Tränen und ich schluckte einen Kloß in meinem Hals herunter. Yamachi stand noch einen Moment lang vorn und starrte in die Menge, sein Mund öffnete sich, als wolle er noch etwas sagen, doch er schloss den Mund wieder und ging zurück zu seinem Platz in der ersten Reihe.
 

Ich sah, dass er die Hände zu Fäusten geballt hatte und ich runzelte die Stirn. Yamachi tat das nur, wenn er sehr wütend war. Ich betrachtete ihn so lange, dass ich den nächsten Sprecher zunächst gar nicht bemerkte, bis er die Stimme erhob und ich entsetzt realisierte, dass Sosuke Aizen vor der Marmortafel unserer Familie stand und eine Rede zum Tribut meiner Mutter hielt.
 

Für einen Moment war ich nicht in der Lage zu atmen. Ich krallte meine Hände in meinen Stuhl und spürte, wie ich die Kontrolle über mein Reiatsu verlor.
 

„Auf einer Zeremonie wie dieser sollte alles friedlich zugehen, meinst du nicht, Hisana?“, fragte Byakuya seine Frau, die ihn verwirrt anblinzelte, doch ich wusste, dass seine Worte eigentlich an mich gerichtet waren.

Ich atmete tief durch und brachte mich wieder unter Kontrolle, ich wandte den Blick von Aizen ab, nur um direkt in Gins Augen zu blicken, der in der gleichen Reihe saß wie ich, nur auf der anderen Seite des Ganges.
 

Auf seinen Lippen war kein Grinsen und auch er hatte sich an seinem Stuhl festgeklammert. Sein Verhalten verwirrte mich so sehr, dass ich meine Wut für eine Sekunde vergaß. Er formte mit seinem Mund zwei Wörter: „Bleib ruhig.“
 

In seinem Blick lag eine Warnung, die mich frösteln ließ. Ich entspannte mich langsam und lehnte mich in meinem Stuhl zurück. Ich beachtete nicht, was Aizen über das große Herz und die Güte meiner Mutter erzählte, zu ihren kürzlich erlittenen Schicksalsschlägen, die ihr offenbar sehr zugesetzt hatten. Ich wusste, dass er mich damit nur noch wütender machen wollte. Er wollte mich glauben lassen, dass meine Verbannung ihren Tod verursacht hatte, aber ich wusste, dass dies nicht stimmte.

Ich wusste, dass ihr Leben schon seit Jahren an einem seidenen Faden gehangen hatte. Außerdem beruhigte mich der Gedanke, dass Gin mich nicht an Aizen verraten hatte.
 

Es war, als hätte ich den Funken an Glauben in das Gute wiedergefunden.

Nicht alles war schlecht auf dieser Welt, auch wenn ich soeben meine Mutter verloren hatte.

Ich musste an etwas Gutes glauben, ansonsten würde ich all die Dinge, die meine Mutter sich in ihren letzten Momenten gewünscht hatte, nicht erfüllen können.
 

Ich verschwand, bevor die Zeremonie vorbei war.
 

Den Beginn des Einmeißelns beobachtete ich noch, dann schlüpfte ich vorsichtig durch die Reihen der Stühle, ohne dass Aizen sich auch nur ein einziges Mal nach mir umdrehte.
 

Ich wusste nicht wohin ich gehen sollte, unser Haus würde heute voll von adligen Besuchern sein, die Yamachi ihr Beileid aussprachen, also schlich ich mich auf das Anwesen der Kuchikis.
 

Ich kannte den Ort, an dem ein Ersatzschlüssel lag und verschaffte mir selbst Zugang zu der Villa. Ich machte es mir in einem Sessel im Wohnzimmer bequem und betrachtete die Fotos, die auf dem Kaminsims standen. Einige ältere Bilder von Ginrei Kuchiki standen dort noch herum, aber auch eines von Byakuya, Yamachi und mir, kurz bevor wir in die Akademie aufgenommen wurden.
 

Daneben standen viele neue Fotos, die ich noch nicht kannte. Bilder von Hisana und Byakuya, Hand in Hand unter Kirschbäumen. An einem kleinen Teich, es gab sogar eins, auf dem sie sich küssten, was mich sehr wunderte, da Byakuya nie ein Fan von so etwas gewesen ist.
 

Doch es brachte mich zum Lächeln, wenigstens einer von uns hatte sein Glück gefunden. Mir wurde warm ums Herz. Die Tür wurde langsam aufgeschoben und ich blickte in Hisanas große Augen. Sie blinzelte erschrocken, kam dann auf mich zugerannt.

„Akari-Sama!“, rief sie und drückte mich an sich.
 

„Es tut mir so leid“, fügte sie dann mit Trauermiene hinzu und ich dankte ihr. Byakuya kam ins Zimmer und warf mir einen Blick zu, Hisana stand nun neben ihm und er strich ihr sanft über ihr schwarzes Haar: „Machst du uns etwas Tee?“

Sie nickte und verschwand in der Küche.
 

Ich berichtete Byakuya von den Dingen, die ich erlebt hatte, seitdem ich Seireitei verlassen hatte. Auch von den schwarzen Armreifen erzählte ich ihm.
 

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Leute aus der Zentralkammer 46 so eine Strafe verhängen“, murmelte Byakuya nun nachdenklich und der Gedanke rotierte durch meinen Kopf. Das war mir noch gar nicht in den Sinn gekommen.

„Meinst du... Aizen steckt dahinter?“, fragte ich und Byakuya reagierte nicht, was ich für eine Zustimmung hielt.
 

Hisanas Tee war fabelhaft. Sie schaffte es, dem sonst geschmacklosen Gebräu einen ganz eigenen und intensiven Geschmack zu verleihen. Ich trank mehrere Tassen und verbrachte einige Stunden mit ihnen. Als die Sonne unterging, verabschiedete ich mich.

„Komm uns bald mal wieder besuchen“, schlug Hisana vor und ich nickte. Byakuya warf mir einen ernsten Blick zu, der mir sagte, ich solle vorsichtig sein. Ich schlich mich durch Seireitei und fand mich, schneller als ich darüber nachdenken konnte, vor dem Haupthaus der zehnten Kompanie wieder.
 

„Wenn ihr nicht gleich eure Hintern bewegt und eure Arbeit erledigt, bekommt ihr es mit Haineko zu tun!“, schrie eine Stimme so laut, dass ich zusammenzuckte und mich hinter der Ecke eines Ganges versteckte. Die Shinigami, die angeschrien worden waren, rannten genervt davon und ich erkannte, dass es Rangiku war, die schnaufend hinter ihnen gestanden hatte.

Ich schlich mich lautlos hinter sie.
 

„Schlimm die Jugend von heute“, murmelte ich und sie stimmte mir voll zu: „Das kannst du laut sagen!“

Es dauerte einen Moment, bis sie mich erschrocken anstarrte und einen Meter von mir wegsprang, ihr Schwert gezogen und auf mich gerichtet.
 

„Da bin ich mal eine Weile weg und meine eigenen Freunde erkenne mich nicht mehr ...“, murmelte ich und zog die Kapuze von meinem Gesicht.

Rangiku senkte ihr Schwert.
 

„Akari.“ Dann drückte sie mich fest in die Arme.
 

Ich folgte ihr in die Gemächer der Vizekommandantin und sie bot mit sogleich etwas zu Essen an. Ich merkte erst jetzt, wie hungrig ich war, bei Byakuya und Hisana hatte ich nur ein paar Kekse zum Tee gehabt. Zum dritten Mal wiederholte ich meine Geschichte und Rangiku erzählte ihre. Nun, eigentlich beklagte sie sich mehr über alles und jeden.
 

„Oh Soifon ist eine richtige Spaßbremse, ich weiß gar nicht, warum Youruichi mit ihr befreundet war. Von den anderen neuen Kommandanten brauche ich wohl gar nicht erst anfangen. Es bleibt ein Haufen Arbeit an mir kleben und es gibt niemanden mehr, der sich vor mich stellen kann. Weißt du... manchmal habe ich das Gefühl, Aizen drückt der zehnten Kompanie irgendwelche blöden Aufgaben auf, um uns aus dem Weg zu haben, wenn er wieder irgendetwas abzieht ...“

Eine Weile saßen wir so beieinander und starrten stumm vor uns hin, als es an der Tür klopfte. Noch ehe die Tür offen war, hatte ich mich hinter dem Schrank versteckt.
 

„Hey Rangi... Oh du hast Besuch?“, ich erkannte Shins Stimme und realisierte, dass auf dem Tisch noch immer zwei Teller standen. Ich seufzte erleichtert auf und trat hinter dem Schrank hervor. Shin starrte mich einen Moment lang an, bevor er die Tür hastig hinter sich schloss und mich dann stürmisch in die Arme schloss.
 

„Schön, dass du uns mal besuchen kommst“, stellte er fest. Erleichtert musste ich die Tränen unterdrücken. Shin hatte nie geglaubt, dass ich irgendwelche Verbrechen begangen hatte. Obwohl er die Wahrheit nicht kannte, glaubte er an mich.
 

Daraufhin bestellte auch er mir sein Beileid und für einen Moment war es unangenehm still im Raum.

„Shin“, begann ich und er blickte auf. „Ich bitte dich wirklich nur ungern darum“, seine Augenbrauen verzogen sich zu einer leicht säuerlichen Grimasse.
 

„Du musst dich für meinen alten Posten bewerben“, er blickte eine Zeit lang zu Boden, schüttelte dann aber den Kopf.

„Ich möchte diesen Job nicht. Tut mir Leid.“

Ich seufzte, aber ich konnte ihn schlecht zwingen.
 

Wir saßen noch eine Weile zusammen, bevor ich mich verabschiedete. Es war ein langer Tag gewesen und ich erreichte das Tor von Jidanbou im Licht der Laternen von Seireitei. Er ließ mich hinaus, drückte mir auf die Schulter und teilte mir mit, dass der Tod meiner Mutter ihm leid tat. Ich bedankte mich und wollte durch das Tor schreiten, als ich aus Jidanbous Augen eine Art Warnung las.
 

Ich trat hinaus, das Tor schloss sich hinter mir und nach einigen Schritten realisierte ich, dass ich auf eine Person zuging.

„Ich wusste, dass du dieses Tor benutzen würdest“, der weiße Kommandantenhaori mit dem Emblem der dritten Kompanie wehte im Wind der Nacht. Er schien etwas traurig zu sein, aber grinste.
 

„Du hast Aizen nicht gesagt, dass ich hier war.“

Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, doch Gin nickte langsam und kam einige Schritte auf mich zu.

„Du solltest nicht hier herkommen.“ Er klang besorgt, doch mir war das egal.
 

„Wieso?“, fauchte ich ihn an und er zuckte zurück, scheinbar ein wenig erschrocken über meine Wut.

„Hier sind die Menschen, die ich liebe, warum sollte ich von hier wegbleiben? Hier KANN ich wenigstens herkommen...“, im letzten Teil des Satzes versagte mir die Stimme, ich starrte auf die schwarzen Armreifen und Gin senkte den Blick zu Boden, als schämte er sich dafür.
 

„Du bist Aizen ein Dorn im Auge, Akari.“

Ich lachte verbittert.

„Oh das ist mir ja noch gar nicht aufgefallen“, stöhnte ich sarkastisch und hatte das Gefühl, ich klang leicht wahnsinnig.

„Du verstehst das nicht, der einzige Grund, warum du nicht die Todesstrafe...“, er stockte und sah mich erschrocken an, so als hätte er sich soeben verplappert. Er hatte mir mit seinen Worten soeben bestätigt, was Byakuya und ich vermutet hatten: Aizen hatte sich meine Strafe ausgedacht, nicht die Zentralkammer 46.
 

„Als ob ich nicht wüsste, dass ihr dahintersteckt“, spie ich aus und hatte das Gefühl, dass Gin zusammenzuckte als ich ‚ihr’ sagte.

„Und was ist nun der ominöse Grund, dass ich nicht tot bin?“, fragte ich aufgebracht und Gin legte seine Hände auf meine Schultern, ich spürte seinen Atem in meinem Gesicht.
 

„Der einzige Grund, dass er dich am Leben gelassen hat, ist, dass ich ihn überzeugen konnte, dass du noch nützlich für uns sein könntest. Im Moment hat er noch Verwendung für dich, aber sobald er merkt, dass du mehr eine Belastung als von Nutzen bist, werden auch meine Bitten ihn nicht zurückhalten können.“
 

"Und warum hast du das getan?"

"Weil du mir wichtig bist, Akari."
 

Mein Zorn wurde nur noch stärker. Dass er die alten Gefühle, die uns einst verbanden vorschob, ließ mich rasen.
 

„Soll ich dir jetzt noch dankbar sein oder was?“, er ließ meine Schultern los und in seinen Augen sah ich einen Hauch von Schmerz, so als hätte meine Worte ihn getroffen. Nach all den Jahren hatte er vor mir zugegeben, dass ich ihm noch immer etwas bedeutete, doch meine Reaktion war nicht die gewesen, die er sich gewünscht hatte.
 

„Wenn ich dir wirklich am Herzen liegen würde, Gin, dann würdest du nicht für Aizen arbeiten!“

Mit diesen Worten ließ ich ihn stehen, schritt davon, ohne mich noch ein einziges Mal umzudrehen. Ich ließ ihn zurück und ignorierte seinen Schmerz, ignorierte das Flehen in seinen Augen. Das Einzige, was sich in meinen Kopf eingenistet hatte, war der Gedanke daran, dass Aizen irgendwelche Pläne für mich hatte.
 

Mein Gespräch mit Byakuya fiel mir wieder ein und ich warf einen Blick auf meine Armreifen.

Es fiel mir wie Schuppen von den Augen.
 

Der Grund, aus dem Aizen mir die Fähigkeit nahm in die Welt der Lebenden zu reisen und mich doch nicht einsperrte, sondern frei herumlaufen ließ, war so simpel.
 

Ich war ein Köder, der denjenigen anlocken sollte, hinter dem Aizen wirklich her war.

Kisuke.

Ich ballte meine Hände zu Fäusten und schwor, dass ich es niemals dazu kommen lassen würde.

Hundert Jahre ohne Dich Teil 2: Das Leuchten von Kyoka Suigetsu

Der Winter brach über uns herein wie ein Sturm über ein kleines Boot.
 

Miaka, Mana und ich verbrachten viel Zeit vor unserem kleinen selbstgebauten Kamin und tranken heiße Schokolade. Jeden Monat besuchte ich Seireitei. Die restliche Zeit verbrachte ich mit anderen Arbeiten in Rukongai, half verlorenen Seelen, eine Familie zu finden, baute Häuser auf und jagte Diebe von den Marktplätzen.
 

Die restliche Zeit verbrachte ich im Wald und versuchte alles menschenmögliche, um meine schwarzen Armreifen loszuwerden - ohne Erfolg.
 

Erst im folgenden Sommer, als ich mal wieder ein Duell gegen einen anderen Shinigami gewann, der einige Bewohner meines Dorfes angepöbelt hatte und offensichtlich nicht wusste, wer ich war, fiel mir eine weitere Sache auf: die schwarzen Armreifen begrenzten auch mein Reiatsu.
 

Mit dem Shinigami hatte ich überhaupt keine Probleme, ich besiegte ihn in wenigen Minuten. Doch die Verwunderung darüber, dass ich limitiert war, ließ mich noch stundenlang auf die Armreifen starren.
 

Ich kannte Limitationen. Gerade als Kommandantin hatte ich es oft erlebt, dass wir die Welt der Lebenden nur mit einer Limitation betreten durfte, da unser voller spiritueller Druck so stark wäre, dass er die Lebenden gefährden konnte.

Wir wurden also auf ein Reiatsu limitiert, dass hoch genug war, um ohne Probleme alle Kämpfe zu gewinnen, dabei aber die Lebenden nicht zu belasten. Erst bei Notfällen wie zum Beispiel einem Kampf gegen Menos Grande oder Ähnlichem, konnten wir die Erlaubnis einholen, unsere gesamte Kraft einzusetzen und das Limit wurde aufgehoben. Im Grunde hatte ich dieses Limit nicht gebraucht, da ich imstande war mein Reiatsu soweit selbst zu unterdrücken, aber Vorschrift war Vorschrift.

Aber diese Armreifen hinderten mich dauerhaft daran, meine gesamten Kräfte einzusetzen. Ich fühlte mich schwach und verloren. Ich seufzte, als mir klar wurde, dass Gin es gewusst hatte.
 

Als er mich vor Aizen warnen wollte, hatte er gewusst, dass ich in diesem Zustand nicht den Hauch einer Chance hatte, einen Kampf gegen ihn zu überleben. Ich weiß noch, wie wütend mich dieser Gedanke machte.
 

Ich trainierte wie verrückt, doch ständig spürte ich, wie die Kraft in meinem Inneren nicht in der Lage war an die Oberfläche zu gelangen. Ich war so frustriert, dass ich es schließlich aufgab und sinnlos durch das Dorf spazierte.

„...ja und gesprochen hat sie mit einer tiefen Stimme!“, beteuerte ein Mädchen gerade, das mit ihren Freundinnen ein Spiel unterbrochen hatte.
 

„Eine Katze, die spricht?“, fragte ein zweites Mädchen mit weit aufgerissenen Augen. Ich runzelte die Stirn, dachte aber nicht weiter darüber nach. Kinder erzählten allerlei seltsame Geschichten, wenn ihnen danach war.

Als die Sonne schon tief am Horizont stand marschierte ich zurück zu dem kleinen Haus, in dem ich mit Miaka und Mana lebte. Sie saßen bereits am Tisch, jeder eine heiße Schokolade in der Hand und schienen gerade ein Gespräch unterbrochen zu haben, als ich eintrat. Sie starrten mich stumm an.
 

„Was ist?“, fragte ich, während ich mir ebenfalls eine Tasse mit heißer Schokolade füllte. Mana warf ihrer Mutter einen erwartungsvollen Blick zu, die wiederum auf ihre Tasse starrte:

„Hast du das Gerücht von der sprechenden Katze gehört?“, fragte sie und ich stutzte.
 

„Ein paar Kinder haben so etwas in der Art gesagt...“, begann ich und sah Miakas seltsamen Blick.

„Ich habe sie gesehen“, flüsterte sie und ich musste mich zusammenreißen, meine Tasse nicht fallen zu lassen.

„Eine sprechende Katze?“ Ihr Nicken kam vorsichtig und ich verstand nicht, warum sie dabei so seltsam ernst bleiben konnte.

„Sie hat nach jemandem gesucht, weißt du“, einen Moment war es still und ich starrte Miaka so lange an, bis sie endlich aussprach, was sie mir sagen wollte.
 

„Sie hat nach dir gesucht.“ „Nach mir? Aber warum?“, ich konnte mir beim Besten Willen nicht erklären, warum eine sprechende Katze nach mir suchte.

„Ich habe ihr nicht gesagt, wo du bist. Ich weiß ja, dass du auch Feinde hast ...“
 

Ich nickte langsam und war dankbar, dass sie nichts gesagt hatte, doch ich glaubte nicht daran, dass es sich in diesem Fall um meine Feinde handelte. Eine sprechende Katze war nun wirklich nichts, was von Aizen kommen konnte.

Zumindest würde ich ihn nicht mehr ernst nehmen können, falls es doch von ihm kam. Ich schüttelte den Kopf.

„Ich glaub, ich schaue mir diese Katze mal an“, murmelte ich und ließ mir von Miaka beschreiben, wo sie die seltsame Katze gesehen hatte. Ich machte mich also erneut auf den Weg, es war schon dunkel, als ich durch die Straßen der Stadt stromerte, auf der Suche nach einer auffälligen Katze.
 

Ich war schon fast soweit, aufzugeben, da spürte ich den Blick von leuchtenden Augen auf mir und sah eine schwarze Katze auf dem Dach, die mich beobachtete.

„Na endlich habe ich dich gefunden“, sagte sie mit einer tiefen, männlichen Stimme. Ihr Reiatsu fühlte sich vertraut an, doch der Anblick war so bizarr, dass ich nicht in der Lage war es einzuordnen. Ich begann lauthals zu lachen und es brauchte eine Weile, bis ich mich wieder gefangen hatte. Doch endlich begriff ich, an wen ihr Reiatsu mich erinnerte und mein Lachen erschallte wieder laut auf.
 

„Yo...Yoruichi? Bist du das?“, prustete ich irgendwann zwischen einigen Lachern heraus. Die Katze drehte sich herum und ging davon, ich folgte ihr und atmete einige Male tief durch, beruhigte mich langsam endlich wieder, als die Katze zu zucken begann und zu einem menschlichen Körper heranzuwachsen.
 

„Bist du endlich fertig mit Lachen?“, fragte sie mich mit ihrer normalen Stimme. Sie stand nackt vor mir, was im Normalfall wohl für Aufsehen gesorgt hätte, nicht jedoch in dieser verlassenen Gasse.
 

Ihr Blick wurde plötzlich ernst, fast wütend und ich konnte mich endlich zusammenreißen.
 

„Akari was machst du hier?“, fragte sie forsch und ich zuckte ein wenig zusammen. Ich hatte gewusst, dass dieser Moment kommen würde. Hatte gewusst, dass sie früher oder später vor mir stehen würde und mich fragen würde, ob ich von allen guten Geistern verlassen war, sie solange auf einen Besuch warten zu lassen. Ich seufzte und ging ein paar Schritte an ihr vorbei, nun war auch ich ernst, die Heiterkeit über die sprechende Katze komplett verflogen.
 

„Was hält dich hier solange auf?“ Vorsichtig hob ich meine Arme und hielt sie ihr hin. Sie starrte mich einen Moment ungläubig an, dann erst fiel ihr Blick auf die schwarzen Armreifen und sie zog ihre Stirn kraus.

Ich erzählte ihr alles, was ich erlebt hatte, von dem Tag an, an dem sie fortgegangen waren.
 

„Das mit deiner Mutter tut mir leid“, murmelte sie und ich nickte kurz. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit nun komplett auf meine Armreifen und untersuchte sie einige Minuten lang forschend.
 

„So etwas habe ich noch nie gesehen, das ist ein seltsames Material ... und du hast alles versucht?“

„Alles was mir einfiel und noch eine ganze Menge Dinge, die anderen eingefallen sind, aber nichts half. Sie haben nicht einmal einen Kratzer abbekommen“, die letzten Worte brachte ich knirschend zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor.
 

„Aber nun erzähl mir erst einmal, was bei euch so los war“, wir spazierten langsam durch die Straßen des Dorfes, auf dem Weg zurück zu dem kleinen Häuschen, in dem ich im Moment wohnte.

„Wir hatten eine ganze Menge zu tun. Kisuke hat es geschafft, sie alle so zu trainieren, dass sie den Hollow in sich kontrollieren können, es ist faszinierend. Ich will hier nichts schön reden, aber sie haben dadurch unglaublich starke Kräfte dazu gewonnen. Sie verstecken sich hinter einer starken Barriere in unauffindbaren Gigais und werden wohl vorerst nichts befürchten müssen.“

Erleichterung durchströmte mich, es war schön, zu hören, dass es Shinji und den Anderen gut ging. Eine Weile spazierten wir stumm nebeneinander her, bis Yoruichi schließlich seufzte.
 

„Frag endlich“, brummte sie und ein Lächeln huschte über mein Gesicht, sie kannte mich zu gut.

„Wie geht es ihm?“

Eine Weile antwortete sie nicht und betrachtete mit gerunzelter Stirn den Fußboden vor sich.

„Er tut so, als würde es ihm gut gehen“, oh ja, das kannte ich von ihm zu gut.

„Aber ich weiß, dass er jede Nacht draußen sitzt und den Mond anstarrt, als erwarte er du fielest gleich vom Himmel.“

Wieder musste ich lächeln, doch dieses verblasste sogleich wieder.
 

„Ach und den Hut nimmt er überhaupt nicht mehr ab seitdem wir dort sind ...“, ich hatte das Gefühl, sie murmelte noch irgendetwas davon, dass er sogar Kopien angefertigt hatte.
 

„Er hat mit Tessai einen Süßwarengeschäft eröffnet“, fügte sie lachend hinzu und ich spürte, wie meine Augen feucht wurden, als ich daran dachte, wie wir vor gefühlten Ewigkeiten in der Welt der Lebenden dieses Süßwarengeschäft beobachtet hatten.

„Wenn ich kein Shinigami wäre, hätte ich so ein Süßwarengeschäft.“, hatte er damals gesagt. Ich vermisste ihn.
 

Nun da Yoruichi neben mir stand, spürte ich seine Abwesenheit noch viel stärker als sonst. Trotzdem hatte ich bereits eine Entscheidung getroffen und ich wusste, dass es Yoruichi nicht gefallen würde.
 

„Du musst mir etwas versprechen“; begann ich und sie sah mich forschend an.

„Du darfst ihm nichts davon verraten“, ich betonte jedes einzelne Wort und hielt dabei meine Armreifen hoch. Yoruichi zog die Augenbrauen hoch.
 

„Das kann ich nicht!“, rief sie, doch ich packte sie an den Schultern und sah ihr tief in die Augen.

„Du musst! Yoruichi du weißt genau wie, gefährlich Aizen ist. Dort wo Kisuke jetzt ist, ist er am sichersten. Wenn er hiervon erfährt, kommt er her und das ist zu gefährlich! Zumindest solange Aizen noch hinter diesem Hogyoku her ist.“
 

Einen Moment lang war Yoruichi sprachlos, sie wusste, dass ich Recht hatte, dennoch gefiel es ihr nicht, ihren besten Freund anzulügen. Ich verstand sie gut, doch Kisukes Leben hing davon ab.
 

„Aber was soll ich ihm denn sagen?“, fragte sie nun leise und etwas Flehendes lag in ihrer Stimme. Ich runzelte die Stirn.

„Sag ihm ich stehe unter Beobachtung und dass ich noch einige Dinge zu erledigen habe bevor ich die Soul Society verlassen kann ... irgendwie so etwas. Ich werde alles Mögliche versuchen, um diese Dinger loszuwerden und dann komme ich zu euch, versprochen.“
 

Wir erzählten noch eine ganze Zeit lang weiter, bis sie sich auf den Weg zurück in die Welt der Lebenden machte. Ich trottete nur langsam zurück nach Hause. Miaka und Mana schliefen bereits, doch ich war zu aufgewühlt zum Schlafen. Noch stundenlang hielten mich die Gedanken an Kisuke wach, bis ich schließlich doch noch ein wenig Schlaf fand, der allerdings von Albträumen geprägt war.
 

Ich sah Kisuke und Tessai in einem Süßwarengeschäft, er hielt einen reisigen roten Lolly in seiner Hand und hielt ihn mir entgegen. „Der ist für dich“, sagte er mit einem Lächeln, der grün und weiß gestreifte Hut auf seinem Kopf.

Ich wollte nach dem Lolly greifen, doch so weit ich meinen Arm auch ausstreckte, ich kam nicht heran.

„Akari, was ist?“, seine Frage hallte wie ein Echo immer wieder in meinem Kopf nach, doch ich fand keine Antwort, bis er den Kopf senkte. Der Hut warf ein Schatten auf seine Augen, sodass ich seinen Blick nicht mehr sehen konnte.

„Hast du mich verlassen?“, fragte er und ich schrie aus voller Kraft, dass ich nichts lieber täte, als zu ihm zu kommen, doch er schien mich nicht zu hören.
 

Ich strampelte und schrie, doch er wandte sich von mir ab, der Lolly fiel zu Boden und zerbrach, das war der Moment, in dem ich erwachte. Ich musste mir die Augen reiben, um den merkwürdigen Traum aus meinem Kopf zu kriegen. Ich wusste es in diesem Moment noch nicht, doch mein Versprechen an Yoruichi war schwerer zu halten als gedacht.
 


 

Es vergingen Jahre, ohne dass ich irgendwelche Fortschritte machte.

Mittlerweile hatte ich jede Säge, jedes Messer, jedes Feuer und jede andere Möglichkeit etwas zu zerstören ausprobiert, um die Armreifen loszuwerden. Aber im Gegensatz zu meinen zerkratzen, verbrannten und anders verunstalteten Armen, schaffte ich es nicht einmal einen kleinen Kratzer in die Armreifen zu bekommen.

Sie schienen unzerstörbar.
 

Miaka warnte mich bereits, dass mir noch die Arme abfallen würden. Ich sagte nichts dazu, denn selbst das war unmöglich. Ja ich hatte probiert mir einen Arm abzuschneiden, mir lief es kalt den Rücken herunter, als ich verstand, wie verzweifelt ich war. Yoruichi wurde von Besuch zu Besuch unruhiger.
 

Ich wusste, dass sie Kisuke nicht mehr lange hinhalten konnte und ich wusste, dass es mir schwerfallen würde, doch mir blieb nur eine einzige Wahl.

„Sag ihm, ich will nicht mehr mit ihm zusammen sein. Ich habe einen anderen Mann gefunden und bin hier glücklich.“

Mir gingen diese Worte nur schwer über die Lippen, weshalb ich etwas beleidigt war, als Yoruichi mich schallend auslachte.
 

„Ich meine es ernst!“ Doch sie schüttelte nur den Kopf. „Niemals sage ich ihm so etwas.“

Damit war das Thema für sie beendet.
 

Selbst Byakuya war der Meinung, dass das Risiko gering war und Kisuke doch zu Besuch kommen sollte, doch ich hatte einfach kein gutes Gefühl dabei. Auch Yamachi, von dem ich gedacht hatte, er stünde auf meiner Seite, gab Byakuya Recht. Rangiku hingegen verstand mich vollkommen, was mich fast ein wenig verwunderte.
 

„Aizen ist zu gefährlich. Er wartet nur auf eine Gelegenheit, an dieses Ding zu kommen. Nicht vorzustellen, was er damit anrichten könnte. Aber ich gebe ihnen Recht, dass du so nicht weitermachen kannst Akari. Entweder du triffst dich mit ihm oder du machst Schluss, aber dann musst du es auch so meinen und ihn vergessen. Das ist doch kein Leben so.“
 

Ich musste lange über ihre Worte nachdenken, es schien vernünftig, was sie sagte, doch allein die Vorstellung ihn zu vergessen schmerzte mich. Ihn eines Tages wieder zu sehen war das, woran ich mich verzweifelt festklammerte. Es war der Grund für mich morgens aufzustehen, der Grund für mich, Tag für Tag aus dem Haus zu gehen.
 

In Shinigami Jahren rechnet man ein wenig anders als in Menschenjahren, da wir viel länger Leben, vergeht für uns die Zeit ein wenig schneller. Doch als es auf den Tag genau Zehn Jahre waren, musste ich feststellen, dass Kisukes Gesichtszüge in meiner Erinnerung zu schwinden begannen.
 

Der Klang seiner Stimme war nicht mehr ganz klar in meinem Kopf und selbst sein Geruch verblasste. Es machte mir Angst und doch war es vielleicht wirklich das Beste ihn zu vergessen.
 

Yoruichi berichtete mir, dass Kisuke viel beschäftigt war, nicht nur mit seinem Süßwarengeschäft, sondern auch mit seinem zweiten Geschäft, dass er heimlich im Hinterzimmer betrieb. Einige Shinigami kannten seinen Standort und schienen regelmäßig einige seiner Erfindungen zu kaufen, die sie auf ihrer Jagd nach Hollows benutzten. Bevor Yoruichi fortging, warnte sie mich noch, dass es gut sein kann, dass sie Kisuke nicht mehr lange davon abhalten konnte in die Soul Society zu kommen.

„Er hat es sich vorgenommen, bald herzukommen und du kennst ihn, wenn er sich etwas vorgenommen hat ...“
 

Ich machte mich auf den Weg nach Seireitei, ich brauchte Ablenkung und Miaka und Mana waren gerade nicht zu Hause. Die Stadt lag ruhig vor mir, irgendwie ruhiger als sonst und mir lief ein Schauder über den Rücken. Es war, als hätte ich eine schreckliche Vorahnung.
 

Ich marschierte gerade durch eine Gasse in der Nähe meines Hauses, als Rangiku auf einmal vor mir stand. Sie war schneller geworden.

„Du kommst gerade richtig“, ich erschauerte, ihr Blick verriet nichts Gutes.

„Was...?“, begann ich, doch sie schüttelte den Kopf, murmelte etwas davon, dass wir keine Zeit für lange Erklärungen hatten und nickte in Richtung des Hauses der Familie Kuchiki.
 

„Du musst zu Byakuya, sofort.“

Der dringliche Unterton in ihrer Stimme ließ mich nicht weiter nachfragen. Schneller als ihre Augen es wahrnehmen konnten, war ich verschwunden. Schon als ich vor der Tür der Kuchikis stand, hatte ich das Gefühl, eine seltsame Aura wahrzunehmen. Ein seltsames Gefühl, wie von einem Zauber, den ich schon einmal gespürt hatte.
 

Ich betrat das Haus und spürte sofort, dass Byakuya nicht dort war, deshalb schritt ich geradewegs auf Hisanas Reiatsu zu, dass ich in Byakuyas Schlafgemach wahrnehmen konnte. Es fühlte sich sehr schwach an.

Ich schob die Tür auf und hörte ihr schweres Atmen, sie saß aufrecht auf ihrem Bett und quälte sich gerade in einen Kimono.

„Hisana!“, ich eilte zu ihr und sie sah mich überrascht aber auch irgendwie dankbar an.
 

„Akari... Bitte... Byakuya-Sama muss aufgehalten werden ...“

„Aufgehalten?“, ich verstand nicht, wovon sie redete. Meine Verwirrung begann in Panik umzuschlagen.

„Er hat... Dinge gemacht... jemanden verärgert, ich weiß nicht. Er glaubt, dass es seine Schuld ist, dass ich krank bin. Redete immer davon, dass ich gar nicht krank sei ... Er will jemanden töten!“ Ihre Worte drangen nur langsam zu mir durch und da endlich, sah ich es. Dieser leichten Glanz in ihren Augen, den ich schon einmal gesehen hatte. Vor vielen Jahren, nach einem Wochenende, an das ich mich nicht erinnerte, alle anderen jedoch schon. Ich hatte diesen Glanz in den Augen meiner Mutter gesehen und in denen Rangikus, als sie mir fest überzeugt erzählt hatten, dass ich das Wochenende Zuhause verbracht hatte.
 

Es war genau derselbe Glanz, genau das gleiche Leuchten. Es war Kyoka Suigetsu.
 

„Aizen!“, zischte ich und hielt Hisana fest.
 

„Hisana hör mir zu, Byakua hat Recht, du bist nicht wirklich krank! Man hat dich hypnotisiert!“

Sie schüttelte den Kopf und sah mir nun in die Augen.
 

„Das ist egal.“ Ich wollte etwas erwidern, doch sie unterbrach mich.

„Byakuya-Sama darf sein Leben nicht meinetwegen aufs Spiel setzen... Bitte Akari, du musst ihn aufhalten...“, sie schnappte nach Luft und klappte zur Seite weg, ich fing sie auf und legte sie sanft zurück auf ihr Bett.
 

„Er muss doch noch meine Schwester finden“, murmelte sie leise und schien starkes Fieber zu haben, „Ich habe sie ausgesetzt in Rukongai, sie war doch so klein ... Byakuya-Sama ist meine große Liebe, ihm darf nichts geschehen. Bitte.“

Tränen lösten sich aus ihren Augen.
 

„Bitte hol ihn zurück“, flehte sie und ich sprang auf.

„Hisana hör’ zu, du musst mir versprechen dagegen anzukämpfen. Du musst ganz stark daran glauben, dass du gesund bist, hörst du? Ich gehe und hole Byakuya, du musst in der Zeit stark sein.“
 

Sie rang sich ein Nicken ab, auch wenn ich nicht sicher war, ob sie verstanden hatte.
 

Ich verließ das Haus und versuchte Byakuya aufzuspüren. Aizen. Wie ich ihn hasste.

Er hatte Hisana scheinbar so hypnotisiert, dass sie aus irgendeinem Grund so stark daran glaubte krank zu sein, dass es sie wirklich krank machte.
 

Ich hatte nicht einmal gewusst, dass er zu so etwas imstande war und mir wurde Übel bei dem Gedanken.
 

Als ich Byakuya endlich gefunden hatte, war er schon gefährlich nah an der Fünften Kompanie, ich sprang direkt vor ihn und breitete die Arme aus.

Er sah mich eiskalt an.

„Halt mich nicht auf.“
 

Seine Stimme klang gefährlich, doch in seinem Blick lag etwas, das mich bat stehen zu bleiben.

„Byakuya hör mir jetzt gut zu“, begann ich und packte ihn bei den Schultern.

„Wenn du das jetzt tust, dann wirst du vielleicht hinterher verbannt wie ich oder sogar getötet. Wer soll dann auf Hisana aufpassen? Sie hat niemanden außer dir! Und wenn du kein Kommandant mehr bist, gibt es niemanden mehr, der Aizen in die Quere kommen kann, niemanden der Hisanas Wunsch erfüllen und ihre Schwester suchen...“, genau in diesem Moment spürte, ich wie Hisanas Reiatsu stark absank.
 

Byakuyas Augen weiteten sich im Schock und ich sah die Angst in seinem Gesicht. „Geh zu ihr! Ich erledige das!“

„Aber...“, begann er, doch ich schüttelte den Kopf und schob ihn ein Stück weg von der fünften Kompanie.

„Ich habe hier nichts mehr zu verlieren und außerdem war ich schon immer die Stärkere von uns Beiden. Also geh, sei bei ihr und überlass Aizen mir.“
 

Er sah mich kurz an, seine Augen wirkten feucht und er nahm mich ganz kurz einmal fest in den Arm, bevor er in Richtung seines Hauses verschwand. So einen intensiven Gefühlsausbruch hatte ich schon lange nicht mehr bei ihm erlebt.
 

Ich schluckte, als ich mich zu der fünften Kompanie umdrehte. Ich war froh, dass Byakuya nicht wusste, dass meine Armreifen auch mein Reiatsu limitierten, ich hatte wahrscheinlich keine Chance gegen Aizen. Doch ich musste ihn nur dazu bringen lange genug die Konzentration zu verlieren, sodass Hisana sich erholen konnte.
 

Schweren Herzens machte ich mich auf den Weg in die fünfte Kompanie.

Hundert Jahre ohne Dich Teil 3: Yamachis größter Wunsch

Jeder Schritt fühlte sich unendlich schwer an und noch nie war mir der Weg durch die fünfte Kompanie so lang vorgekommen.

Ich versuchte, schneller zu gehen, doch meine Beine waren wie Gummi. Mein Herz raste in meiner Brust, als wolle es meinen Brustkorb sprengen. Seit der Trauerfeier meiner Mutter hatte ich Aizen nicht mehr gesehen und der Anblick seines Gesichts würde mich sicher in Rage versetzen.
 

Doch im Moment war die Angst um Hisana und Byakuya das, was mich am meisten verunsicherte.
 

Erst als ich direkt davor stand, merkte ich, dass ich das Haupthaus der fünften Kompanie erreicht hatte.
 

Vorsichtig schob ich die Tür auf und betrat den Aufenthaltsraum. Ich kannte ihn noch von der Zeit, als Shinji hier Kommandant war, Aizen schien alles verändert zu haben.
 

Ich durchschritt den Raum, ohne darauf zu achten, dass ich von allen Seiten mit großen Augen angestarrt wurde. Ich bog in den Gang ab, der zu den Gemächern des Kommandanten führte, ich wusste genau wo sie lagen, da das Haupthaus in jeder Kompanie gleich aufgebaut war. Ein Shinigami stellte sich mit ausgestreckten Armen vor mich.
 

„Sie dürfen hier nicht durch!“, rief er und ich strafte ihn mit einem zweifelnden Blick.

„Darf ich nicht?“, spottete ich und trat einige Schritte auf ihn zu. Furcht strahlte aus den Augen des Mannes und mein Gewissen nagte sofort an mir. Wann war aus mir jemand geworden, der unschuldige bedrohte? Ich schüttelte das Gefühl ab, ich hatte keine Zeit dafür.
 

Ich hörte, wie mindestens zehn weitere Shinigami in dem Raum ihre Zanpakutos zogen.
 

„Aizen erwartet mich bereits“, flüsterte ich, doch der Shinigami wich keinen Schritt zurück, bis plötzlich eine Stimme ertönte.
 

„Schon gut, ich erwarte sie wirklich.“ Der Shinigami vor mir zuckte zusammen, drehte sich abrupt herum und verbeugte sich hastig.

„Oh verzeiht Kommandant Aizen, natürlich lasse ich sie durch. Entschuldigung, ich wusste nicht, dass ihr eingeladen wart“, sagte er an mich gewandt mit noch immer skeptischem Gesichtsausdruck. Ich ging langsam an ihm vorbei und zischte ihm ein leises „War ich auch nicht“, zu.
 

Das schien ihn in nur noch größere Panik zu versetzen, doch ich beachtete ihn nicht weiter. Mein Hauptaugenmerk lag auf dem großen Mann, dessen braunes Haar in leichten Wellen lag und dessen schwarze Brille seinen Blick verdeckte.
 

„Nach dir“, sagte er und hielt mir die Tür in ein großes Teezimmer auf. Er schloss die Tür hinter mir und ich lachte kurz auf.
 

„Eine Tasse Tee, bevor du mich tötest?“, fragte ich ihn und er ging an mir vorbei, einen empörten Blick auf mich werfend.

„Wer sagt denn, dass ich dich umbringen möchte?“
 

Eigentlich hatte er dieses Schauspiel gut drauf. Er wirkte so freundlich, dass niemand hinter seine Fassade blickte, doch da ich sein wahres Ich bereits gesehen hatte, versuchte er es bei mir gar nicht mehr. Seine Stimme klang gefährlich.
 

„Nun wenn ich dich mit meinem Schwert attackiere, wirst du sicher versuchen mich umzubringen.“
 

Er senkte den Blick, sodass die Gläser seiner Brille das Licht des Raumes reflektierten und es mir unmöglich machten, seine Augen zu sehen.
 

„So muss das allerdings nicht enden, Akari. Wir können auch darüber reden wie Erwachsene.“
 

Ich lachte ihn aus und merkte sogleich, wie seine Augenbrauen sich ein Stück zusammen zogen.

„Meinst du, wenn ich dich wirklich tot sehen wollte, dass du dann noch am Leben wärst?“
 

Wut packte mich, seine Arroganz war unausstehlich. Ohne weiter darüber nachzudenken zog ich mein Schwert, ich wusste, dass mir nicht viel Zeit blieb, bis ein Kampf unter zwei Shinigami auf Kommandantenniveau die Aufmerksamkeit der Anderen auf sich ziehen würde.
 

Ich wechselte sofort in die Bankaiform.
 

Das war immerhin eine Sache, die ich weiter trainiert hatte und der Überraschungsmoment lag dabei auf meiner Seite. Anfangs hatte ich nur eine lange, schmale, violette Klinge gehabt.
 

Es hatte lange gedauert, bis ich verstanden hatte, dass mein Schwert die Farbe wechseln und so eine andere Fähigkeit annehmen konnte. Im Laufe der Jahre hatte ich mehr und mehr neue Farben und so Fähigkeiten hinzugewonnen.
 

Violett stand für eine starke physische Angriffskraft, doch das würde mir bei Aizen nichts bringen. Mit Rot konnte ich Feuerangriffe starten, verschiede Blautöne ermöglichten Wasser und Eisangriffe, doch damit würde ich keine Zeit verplempern.
 

Ich ging gleich zu einem stechenden grün über. Dabei wusste ich auch ganz sicher, dass Aizen es noch nicht kannte.

Ich griff so schnell an, wie ich konnte. Geschwindigkeit und Überraschung waren meine einzigen Vorteile.
 

Aizen wehrte mein Schwert geschickt ab, wir tauschten einige Schlagabfolgen, bis ich alles daran setzte, ihn irgendwie zu erwischen.

„Was hat diese Farbe zu bedeuten, Akari?“, fragte Aizen grinsend, als wäre das Ganze nur ein lustiges Spiel für ihn. Ich grinste zurück.
 

„Das wirst du bald herausfinden“, knurrte ich und griff erneut an, wieder und wieder und wieder – bis ich einen kleinen, aber fatalen Fehler machte.
 

Ich traf Aizen, leider nur an seiner Kleidung, hatte noch so viel Schwung im Arm, dass ich eine seiner Zimmerpflanzen erwischte. Innerhalb weniger Sekunden erlosch das Reiatsu der kleinen Pflanze, die darauf ausgetrocknet und verwelkt, wirkte.
 

„Gift“, stellte Aizen fest und riss das Stück Stoff von seinem Kommandantenhaori ab, an dem mein Schwert ihn berührt hatte.

„Ein ziemlich tödliches sogar“, fügte er scheinbar beeindruckt hinzu, ich knirschte mit den Zähnen. Jetzt wo er davon wusste, würde er nicht mehr so leichtsinnig sein und jede Berührung mit meinem Schwert verhindern. Doch anstatt mich anzugreifen, ließ er sein Schwert sinken und blickte mir direkt in die Augen.
 

„Akari, du wärst bei uns so viel besser aufgehoben. Diese Leute, die du deine Freunde nennst, haben nicht einmal gegen deine Verbannung protestiert ... warum wechselst du nicht auf unsere Seite? Wir erschaffen eine neue Welt!“

Mir fiel ein, dass Gin mal etwas in der Art gesagt hatte, doch ich schnaubte nur verächtlich auf.
 

„Eher sterbe ich, als für dich zu arbeiten.“
 

Damit attackierte ich ihn erneut, doch Aizen schien nun genug mit mir gespielt zu haben. Mit einem mächtigen Schlag flog ich Meterweit davon, durch die dünnen Wände seiner Gemächer bis auf die Straße vor der fünften Kompanie.
 

Ich lag auf dem Boden und spürte, wie eine tiefe Verzweiflung von mir Besitz ergriff. Etwas Heißes lief über mein Bein und ich brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, dass es Blut aus einer Wunde an meinem Bauch war. Eisige Kälte griff nach meinem Herzen und ich schluckte.
 

Ich hatte Kisuke doch wenigstens noch einmal wiedersehen wollen, bevor ich starb.

Ich versuchte, mich wieder aufzurichten, doch Aizen stand bereits vor mir und sein nächster Schlag schleuderte mich in die Wand. Weiteres Blut spritzte aus meiner Wunde. Es verdampfte in der kühlen Luft dieses Morgens und ein leichtes Lächeln umspielte meine Lippen.
 

Das letzte Mal, dass ich so verletzt gewesen war, war ich noch in der Akademie gewesen. Gin hatte mich damals fortgetragen. Kam jetzt der Teil, wo das ganze Leben an mir vorbeilief? Wo ich all meine Erinnerungen noch einmal sah, bevor ich starb?
 

Doch irgendeine Vorahnung sagte mir, ich würde noch nicht sterben.

Es war jedoch keine gute Vorahnung.
 

Aizen holte erneut zum Schlag aus, ich kniff die Augen zusammen, doch anstatt einer weiteren Welle des Schmerzes hörte ich einen lauten Schrei, der nicht mein eigener war.

Ich riss die Augen auf und erkannte die Silhouette eines Körpers. Blut spritzte auf die Straße und ich keuchte auf, als ich das dunkle Haar meines Bruders erkannte.
 

„YAMACHI!“, ich sprang auf, ignorierte die Schmerzen in meiner pochenden Wunde, schaffte es, gerade noch seinen Körper aufzufangen, bevor er auf den Boden aufprallte.

„Yamachi“, jammerte ich und betrachtete die riesige Wunde auf seiner Brust. Dann blickte ich ihm in die Augen.

„Akari ...“, keuchte er und ich schüttelte den Kopf.
 

„Weißt du ... als dein großer Bruder hätte ich dich beschützen sollen ... aber du warst immer die Stärkere“, ein Husten durchschüttelte ihn und ein Schwall Blut löste sich aus seinem Mund.

„Das war immer mein größter Wunsch, weißt du? Dich einmal beschützen ... Endlich konnte ich dich einmal beschützen“, seine Stimme wurde immer leiser. Hinter flackernden Augenlidern rollten die Augen nach hinten und sein Körper erschlaffte in meinen Armen.

Für einen Moment schien mein Herzschlag auszusetzen.
 

„Wie unnötig“, hörte ich Aizen murmeln und eine unbändige Wut flammte in mir auf. Noch nie hatte ich eine solche Aggression in mir gespürt und nie zuvor war der Wunsch in mir so groß gewesen, diese Wut frei zu lassen. Ich haderte nicht mit mir und ließ es zu.
 

Ließ all den Zorn hinaus, der sich in mir angesammelt hatte. Er wuchs und blendete meine Sicht, ließ mein Reiatsu wachsen und wachsen, bis ich das Gefühl hatte zu explodieren.
 

Ein Gedanke ließ mich zusammenzucken. Mir wurde bewusst, dass ich über solche Macht nicht verfügen sollte, nicht mit diesen Fesseln, die mein Reiatsu limitierten. Ich öffnete die Augen und blickte auf meine Handgelenke hinab.
 

Meine Armreifen schienen zu pulsierten, vibrierten kreiselnd um meine Arme. Fast hätte ich über dieses Schauspiel meine Wut vergessen, doch das Blut meines Bruders auf meinen Händen ließ den Zorn erneut aufflammen.
 

Ich hob mein Schwert auf, das im Gefecht zu Boden gefallen war , wieder auf und ließ meine gesamte Wut hinein fließen. Es veränderte abermals seine Farbe und ein seltsames Gefühl der Macht durchströmte mich.
 

Mein Schwert war pechschwarz.
 

Ich hob es und ließ die angestaute Energie auf Aizen los.
 

Wie bei einer Explosion wurde ich zurückgeschleudert und für einen kurzen Moment war alles um mich herum schwarz. Ich blinzelte die Schleier in meinen Augen davon und versuchte, die Umgebung zu erkennen.
 

Ich sah Aizen, blutüberströmt vor mir. Er torkelte auf mich zu, hielt jedoch inne. Er griff nach Yamachis Körper, ich wollte ihn aufhalten, wollte aufstehen, doch ich spürte, wie die Ohnmacht mich wieder überfiel.
 

Das war das letzte Mal, dass ich Yamachi sah: auf dem Boden, blutüberströmt, darüber Aizen, dessen weißer Kommandantenhaori ebenfalls blutüberströmt, seine Hand um Yamachis Handgelenk geschlungen.
 

Doch das Schlimmste an diesem Bild war Aizens Gesichtsausdruck: eiskalter Hass und tiefverwurzelter Zorn schlug mir aus seinem Blick entgegen. Ich schnappte nach Luft, wollte begreifen, was geschehen war. Doch alles, was sich in meinen Verstand bohrte, war der Gedanke an Yamachi und die Mordlust in Aizens Augen. Ich streckte meine Hand, doch mein Arm gehorchte mir nicht, ein Röcheln löste sich aus meiner Kehle und die Welt vor mir versank in schwarze Finsternis.
 


 

Ich kann mich nicht mehr gut an das erinnern, was darauf geschah.

Byakuya erzählte mir später, dass er mich dort gefunden und zu Kommandantin Unohana gebracht hatte. Sie hatte sich um mich gekümmert und dann im Haus der Kuchikis untergebracht. Ich erwachte dort an dem Platz, an dem ich auch als Kind oft geschlafen hatte, wenn wir eine Übernachtungsparty veranstaltet hatten.
 

Das Erwachen schenkte mir einen süßen Moment. Für ein paar Sekunden sah ich mich verwirrt um, wusste nicht wo ich war oder was geschehen war. Dann traf mich die Realität wie ein Schlag in die Magengrube. Erinnerungen strömten auf mich herein und ich versuchte mit aller Kraft, auf die Beine zu kommen.
 

Schmerz durchzog meinen Körper, doch ich hielt nicht inne. Ich torkelte durch den Raum bis ans Fenster, das ich öffnete und einen kühlen Lufthauch auf meinem Gesicht spürte. Baykuya war nicht zu Hause, Rein Reiatsu war einige Hundert Meter entfernt von mir.
 

Ich sah eine schwarze Fahne an dem Mast direkt vor dem Haus der Kuchikis. Mein verwirrter Verstand brauchte mehrere Minuten, um die Tragweite dessen zu begreifen, was ich sah.

Hisana war gestorben.
 

Tränen füllten meine Augen und ich spürte, wie meine Beine nachgaben. Was auch immer geschehen war, ich hatte Hisana nicht retten können.
 

Meine Finger klammerten sich an die Fensterbank, Schwindel packte mich und die Angst schnürte mir die Kehle zu. Obwohl alles in mir danach schrie, einfach wieder aufs Bett zu fallen und die Welt auszublenden, trugen meine Füße mich mehrere Schritte weiter das Fenster entlang, bis ich freien Blick auf das Nachbaranwesen - mein Familienanwesen - hatte.
 

Dort erblickte ich eine noch größere schwarze Flagge. Es war die Flagge, die gehisst wurde, wenn das Familienoberhaupt eines Adelsclans starb.

Ich sackte zusammen.
 

Yamachi.
 

Meine Kehle brannte und mein Körper erbebte unter Schluchzern, die ich nicht zurückhalten konnte.
 

Yamachi.
 

Er hatte sich für mich geopfert. Hatte sein Leben gegeben, um meines zu retten. Mein großer Bruder, meine Familie. Alles fort.

Ich war die letzte Miyazaki, die letzte meiner Familie.
 

Ich kauerte mich auf dem Boden zusammen, umschlag meine Knie mit meinen Armen. Ich weinte, laut und hässlich, doch mir war alles egal. Ich weinte so lange, bis mein Körper nicht mehr in der Lage war, Tränen zu produzieren und ich unbewegt am Boden lag. Mein Blick war starr auf die Wand gerichtet und eine eisige Leere begann die Trauer in meinem Inneren zu überdecken.
 

Erst als Byakuya zurückkehrte, bewegte ich mich zum ersten Mal an diesem Tag.
 

Ich hatte nichts getrunken, meine Augen waren trocken, genau wie mein Mund. Meine Lippen waren aufgerissen und mein Haar hing zerzaust an mir hinab, klebte teilweise an meinem Gesicht, doch das interessierte mich nicht.
 

Baykuya blieb kurz in der Tür stehen, unsere Blicke trafen sich und erneut schossen mir Tränen in die Augen, von denen ich nicht mehr gedacht hätte, mein Körper können sie noch produzieren.
 

Byakuya setzte sich stumm neben mich auf den Boden und starrte in die Luft. Seine Augen waren gerötet und darunter erkannte ich tiefe Augenringe.
 

Keiner von uns sprach ein Wort, wir saßen einfach da. Schulter an Schulter. Starrten in die Leere.
 

Yamachi. Er war meinetwegen gestorben.

Der Gedanke brachte mich immer wieder zum Schluchzen. Nein, ich wollte nicht glauben, dass er tot war. Es konnte nicht sein. Auch wenn es nur ein Funken von falscher Hoffnung war, ich hatte nicht gesehen, wie Yamachis Körper sich aufgelöst hatte. Aizen hatte ihn mitgenommen und ich würde ihn wiederfinden. Er lebte irgendwo. Das wollte ich zumindest glauben.
 

Erst als die Sonne unterging und das Geräusch von Byakuyas Magen mich aus meiner Erstarrung riss, erhob ich mich. Die schwarzen Fahnen wehten noch immer und ich versuchte sie nicht anzusehen.
 

Ich ging in Byakuyas Küche und begann, aus den vorhandenen Zutaten etwas zu essen zu bereiten.
 

Ich hatte keinen Appetit, aber mein Magen knurrte und auch Byakuya musste etwas essen. Für uns ging das Leben weiter. Ganz einfach so, drehte die Erde sich weiter.
 

Während ich so vor mich hinkochte, merkte ich kaum, dass Byakuya ebenfalls in die Küche gekommen war. Er hatte sich stumm an den Tisch gesetzt und sagte kein Wort.
 

Stumm füllte ich die Teller und wir aßen, ohne uns anzusehen.
 

Danach legten wir uns schlafen, ich ging nicht zurück in mein Haus, sondern legte mich einfach auf die Matte, auf der ich schon die vorige Nacht verbracht hatte.
 

Byakuya legte sich auf eine zweite Matte einige Meter neben mich. Es war gut, beieinander zu sein. Keiner von uns hätte in dieser Nacht allein sein dürfen.
 

Unsere Trauer und unsere Wut hätte uns nur zu Dummheiten verleitet.
 

Es dauerte eine Weile, doch das viele Weinen hatte mich müde gemacht und so schlief ich irgendwann ein.

Ein Schrei riss mich aus dem Schlaf und es dauerte ein paar Sekunden, bis ich begriff, dass es mein eigener Schrei war, der mich geweckt hatte.
 

Byakuya saß neben mir und hatte eine kühle Hand auf meine Stirn gelegt, was mich sogleich beruhigte.
 

„Nur ein Traum“, murmelte er und seine Stimme klang kratzig. Es waren die ersten Worte, die ich seit den Geschehnissen von ihm gehört hatte.
 

Die Erinnerungen an den vorigen Tag wieder über mich herein und erneut löste sich ein Schluchzen aus meiner Kehle.
 

Ich beobachtete wie Byakuya zu seiner Matte zurückkroch und sich wie ein Kind in seine Decke einwickelte.

So hatte ich ihn lange nicht gesehen.
 

„Byakuya“, flüsterte ich, zu schwach, um meine Stimme zu benutzen.

„Irgendwann wird alles wieder gut werden, oder? Richtig?“, ich kam mir dumm vor, doch ich fühlte mich so elendig, als würde nie wieder die Sonne aufgehen. Als würden wir für immer in dieser schrecklichen Nacht feststecken.
 

Für einen Moment war ich mir nicht sicher, ob er mich überhaupt gehört hatte, doch dann flüsterte er schließlich eine Antwort:

„Für diejenigen, die überleben, wird es immer weiter gehen. Ob es gut wird, können nur wir selbst bestimmen.“

Es klang nicht sehr überzeugend, doch es beruhigte mich ein wenig und während ich mir ein kurzes Lächeln abzwang, rollte eine letzte kleine Träne über meine Wange.
 

„Ja ... es liegt in unserer Hand“, murmelte ich und nach einer Weile konnte ich endlich einschlafen. Dieses Mal ohne weitere Träume.
 

Blinzelnd erwachte ich. Die Sonne war gerade aufgegangen und blendete mich durch die Fenster. Byakuya war verschwunden, so wie ich ihn kannte, hatte er sich wieder in die Arbeit vertieft. Wäre ich noch Kommandantin, hätte ich das vielleicht auch getan, um meinen Gedanken zu entkommen, doch dieser Ausweg war mir nicht vergönnt.
 

Als ich ein Geräusch aus der Küche wahrnahm, erschrak ich kurz, merkte allerdings schnell, dass es Rangiku war, die mir ein Frühstück zubereitete.
 

„Duftet köstlich“, murmelte ich und Rangiku ließ den Löffel fallen, als sie mich im Türrahmen erblickte.
 

Sie kam auf mich zu und drückte mich fest an sich, ich erwiderte ihre Umarmung nur kurz, bevor ich sie wegschob.

„Schon gut“, murmelte ich und schob alle Gedanken an Yamachi beiseite. Ich hatte meinen gesamten Vorrat an Tränen aufgebraucht und musste mich jetzt erst einmal zusammenreißen. Es war schwierig, denn jede Kleinigkeit schien mich an meinen Bruder zu erinnern. Ich sah sein Gesicht in jeder Ecke, hörte sein Schimpfen und Meckern über mein Benehmen bei jedem Schritt, den ich machte und ich spürte noch immer seine Umarmung.
 

Hätte ich ihn doch ein letztes Mal umarmt.
 

Ich lenkte meine Gedanken auf das Essen, versuchte, es zu genießen, doch es schmeckte nach nichts. Ich war mir sicher, dass Rangikus Kochkünste nicht nachgelassen hatte, doch meine Zunge schien ähnlich wie mein Geist, betäubt von den Ereignissen des Vortags zu sein.

Es war ein bisschen, als würde ich die Welt durch Watte betrachten.
 

Rangiku hatte etwas Arbeit aus der Kompanie mitgebracht und ich half ihr dabei, so konnte ich mich dann doch ablenken. Erst gegen Mittag kam Byakuya für eine kurze Pause vorbei.
 

„Heute Nachmittag findet Yamachis Zeremonie statt“, murmelte er und mir blieb ein Kloß im Hals stecken.

„Wer hat eigentlich...“, begann ich, war aber nicht in der Lage die Frage zu Ende zu stellen. Byakuya allerdings wusste, was ich fragen wollte.
 

„Kommandantin Unohana“, sagte er nun noch leiser. Wenn Unohana selbst Yamachis Tod festgestellt hatte, konnte ich das wohl kaum anzweifeln. Sie war immerhin die fähigste Heilerin der ganzen Soul Society. Das bisschen Hoffnung, dass ich gehabt hatte, schrumpfte noch weiter in sich zusammen.
 

Unohanas Gedanken wurden schon einmal von Aizen manipuliert, flüsterte eine Stimme in meinem Hinterkopf.

Auch dieses Mal könnte es so sein! Ich klammerte mich verzweifelt an diesen Gedanken, hasste mich gleichzeitig jedoch dafür, denn ich wusste, dass ich Yamachi so niemals gehen lassen könnte.
 

Die nächsten zwei Stunden waren die reinste Qual für mich. Ich hatte beschlossen, auf jeden Fall zu der Zeremonie zu gehen, doch das Warten darauf fiel mir schwer.
 

Endlich war es soweit. Ich machte mich gemeinsam mit Rangiku auf den Weg. Dieses Mal ohne Kapuze, ohne Verkleidung, ohne mich zu verstecken. Niemand würde mir den Mund verbieten, das würde ich nicht zulassen.

Rangiku und Byakuya schien das nicht zu gefallen, doch ich würde mir das nicht nehmen lassen. Ich bat die beiden, sich keine Gedanken zu machen und schickte sie vor, zu ihren Plätzen in den vorderen Reihen gingen. Ich selbst hielt mich vorerst im Hintergrund.
 

Ich beobachtete den Anfang der Zeremonie aus sicherer Entfernung. Nachdem ich Byakuya und Rangiku eine Weile beobachtet hatte, fiel mein Blick auf Gin, der sich nervös umzusehen schien. Ein gehässiges Lächeln huschte über mein Gesicht, er erwartete, dass ich hier auftauchte, und das schien ihm Sorgen zu machen. Dann erblickte ich Aizen.
 

Er sah sich nicht um, er wusste, dass ich Seireitei noch nicht verlassen hatte. Auf seiner Stirn erblickte ich eine Schweißperle, was mir einen Hauch von Befriedigung gab. Ich schien ihn hart erwischt zu haben, leider nicht hart genug.

Er schien dieses Mal nicht vorzuhaben eine Rede zu halten, es war ja auch nicht notwendig. Er musste mich nicht aus meinem Versteck locken und ich war mir sicher, dass er eine Begegnung mit mir im Moment auch nicht gerade erzwingen wollte. Seine Verletzungen versteckte er gut.
 

Die Rede des Generalkommandanten schwappte belanglos über mich hinweg. Er hatte Yamachi kaum gekannt und betete nur die Informationen herunter, die ihm vorab gereicht worden waren. Endlich fertig mit seiner Rede, entfernte er sich vom Pult und ich sprang flink an seinen Platz.
 

Ein Raunen ging durch die Menschenmenge.

„Es tut mir Leid Generalkommandant, dass ich so plötzlich hier auftauche...“, begann ich leise, doch meine Stimme wurde mit jedem Wort fester.

„Aber da ich schon bei der Zeremonie meiner Mutter nicht das Wort an mich nehmen konnte, möchte ich dies nun heute tun.“
 

Der Blick des Generalkommandanten war durchdringend, doch ich spürte Güte aus seinen Augen funkeln. Die Leute wurden unruhig, einige von ihnen bejubelten mich, baten mich darum, zurück zu kommen, wieder andere begannen mich zu verfluchen, als Hexe zu beschimpfen, die unschuldige Menschen hollowfiziert hatte.
 

Die Schimpfenden waren größtenteils jüngere Shinigami, deren Gesichter ich noch nie gesehen hatte. Sie schienen die offizielle Version der Geschichte zu glauben. Erst als Yamamoto-Genryusai mit seinem Stab auf den Boden aufschlug, verstummte die Menge.
 

„Yamachi Miyazaki hat niemals an die Schuld seiner Schwester geglaubt“, erklärte er und ich musste schlucken, als er Yamachis Namen erwähnte.

„Außerdem ist sie die letzte lebendige Angehörige des verstorbenen Oberhauptes der Familie Miyazaki. Deshalb sehe ich es als ihr Recht an, das Wort an sich zu nehmen.“
 

Er nickte mir aufmunternd zu und die Menge war nun vollends verstummt. Ich verbeugte mich dankend vor ihm und wandte mich nun an die Menschen, die gekommen waren, um Abschied zu nehmen.
 

Ich erhaschte Aizens Blick, dessen Augen nicht einmal mehr den Hauch von gespielter Wärme versprühten. Eisige Kälte stach aus seinen ihnen und bohrte sich direkt in meine Seele. Ich musste mich von seinem Blick losreißen, um mein rasendes Herz zu beruhigen, das in meiner Brust zu zerspringen drohte.
 

Ich atmete tief durch, bevor ich zu sprechen begann.

„Yamachi war von je her stolz. Er war stets bestrebt, den Namen unserer Familie zu ehren, doch das weiß jeder über ihn. Aber er war nicht nur ein Adeliger. Er war nicht nur ein Familienoberhaupt. Was viele nicht wissen ist, dass er ein Sohn und ein Bruder war. Er hat sich stets gut um unsere kranke Mutter gekümmert, liebevoll und sanftmütig. Zwar war er kein besonders großer Kämpfer, doch sein Ehrgeiz und sein Willen waren stets ungebrochen. Er hatte den zwölften Offiziersrang erreicht, aber diesen Posten abgelehnt. Denn er war auch noch etwas: verantwortungsbewusst. Er wusste, was ihm die Pflichten als Oberhaupt unserer Familie abverlangen würden“, ich hielt einen Moment inne, ehe sich ein leichtes Lächeln auf meinem Mund ausbreitete, meine Augen füllten sich mit Tränen.
 

„Aber er war auch arrogant und eitel. Es gab eine Zeit, da hielt er sich für jemanden, der mich belehren müsse, weil er Familienoberhaupt werden würde und ich nicht. Er nannte mich oft Trampel. Aber er hatte Recht ... wenn es darum ging, einen guten Eindruck zu machen war er besser als ich. Er wusste immer, was er zu sagen hatte und was man besser verschwieg. Er verbrachte jeden Tag viel mehr Zeit vor dem Spiegel als meine Mutter und ich zusammen“, hier lachten einige Leute leise auf, „was ich sagen will, ist ... er war nicht nur ein Adelsoberhaupt. Er war ein Mensch mit Ecken und Kanten. Aber er war immer für mich da, wenn ich ihn brauchte. Er war für jeden da. Sein Tod ...“, ich hielt für einen Moment inne, die Worte waren mir nur schwer über die Lippen gekommen.
 

„Sein Tod war kein tragischer Unfall“, an dieser Stelle ging wieder ein Raunen durch die Menge.
 

„Und ich werde denjenigen, der dafür verantwortlich ist, büßen lassen. Selbst wenn es das Letzte ist, was ich tue.“
 

Ich brauchte Aizen an dieser Stelle keinen Blick zuwerfen, er würde wissen, dass er gemeint war. Ich sprang von der Empore herab und schritt durch die Stuhlreihen, ohne mich ein einziges Mal umzusehen.
 

Ich spürte Aizens Blick in meinem Nacken, er bohrte sich in meinen Hinterkopf, doch ich wandte mich nicht um.

Mit gebrochenem Herzen und einer Wut im Bauch, die ich nie zuvor gekannt hatte, kehrte ich zurück nach Rukongai.

In meine neue Heimat, zu meiner neuen, kleinen Familie.

Hundert Jahre ohne Dich Teil 4: Verrat

Es dauerte einige Woche, bis ich morgens erwachen konnte, ohne, dass der Kummer über meinen Verlust mir die Luft abschnürte.
 

Nur langsam ebbte die Intensität des Schmerzes in meinem Herzen ab, doch er hinterließ eine Leere, die ich kaum zu füllen vermochte.
 

Ich verbrachte meine Tage damit, Mana das Kämpfen beizubringen. Meine Anwesenheit hatten ihre Kidokräfte geweckt und nun benötigte sie regelmäßig Nahrung.

Ich war es ihr schuldig, sie wenigstens zu unterrichten. Es kam mir jedoch nicht ganz ungelegen, da es eine willkommene Ablenkung für meinen Kopf war.
 

Mana lernte schnell. Sie sog jegliches Wissen in sich auf und trainierte körperlich so hart, dass sie abends nach dem Essen müde ins Bett fiel.

Ihre Mutter Miaka war anfangs skeptisch darüber, doch nach einer Weile verstand sie, dass ihre Tochter diese Kräfte nun hatte. Ob ich sie trainierte oder nicht, änderte nichts an ihrem Zustand. Es gab ihr lediglich die Möglichkeit, die Kräfte, die sie in sich trug, zu kontrollieren.
 

An einem sonnigen Nachmittag unterbrach ein plötzliches Applaudieren unser Training und so die Stille des Nachmittages. Es war Yoruichi, die wieder einmal zu Besuch gekommen war.

Mana verabschiedete sich, höflich und so blieb ich allein mit meiner alten Freundin zurück.
 

„Was tust du hier?“, zischte sie aufgebracht.

„Du solltest versuchen, diese Dinger loszuwerden, anstatt hier Lehrerin zu spielen“, ich verdrehte die Augen und streckte mich genüsslich.
 

„Yoruichi gib’s auf. Die Dinger werde ich nicht mehr los und ich bin es leid, es zu versuchen“, brummte ich und ließ sie verdutzt zurück.
 

Ich setzte mich auf einen Felsen, von dem aus man den kleinen Fluss, der unser Dorf umrundete, beobachten konnte. Sein gleichmäßiges Plätschern und Rauschen erfüllte meinen Geist mit einem Frieden, der mit guttat. Ich kam gern hier her, um zu meditieren.
 

Es dauerte einige Minuten, bis Yoruichi sich gefangen und mich eingeholt hatte.

„Wie? Das war’s? So einfach willst du aufgeben? Was ist nur aus dir geworden?“

Für einen Moment blickte sie mir in die Augen und sie schien etwas darin zu sehen, was ihre Wut beschwichtigte.

„Akari, was ist passiert?“
 

Ich hatte gewusst, dass dieser Tag kommen würde und doch fühlte ich mich nicht bereit. Über die Dinge zu sprechen, die geschehen waren. Die mein Leben, das bereits aus den Fugen gerissen vor mir lag, von einem Tag auf den nächsten vollends ins Schwanken gebracht hatten. Ich schluckte einen großen Kloß in meinem Hals herunter und musste einen tiefen Atemzug nehmen, um die aufkeimenden Tränen zu ersticken.
 

„Er hat Hisana getötet“, erklärte ich mit klarer Stimme.

Yoruichis Augenlider weiteten sich, sie wollte etwas sagen, doch ich erhob erneut die Stimme und schnitt ihr somit das Wort ab.

„Und Yamachi.“
 

Meine Stimme brach und ich brachte kaum mehr als ein Flüstern zustande. Es war das erste Mal seit der Zeremonie, dass ich den Namen meines Bruders ausgesprochen hatte. Er lag schwer wie Blei auf meiner Zunge.
 

Ich musste den Blick von Yoruichis vor Schock verzerrtem Gesicht abwenden. Ihre Augen waren glasig geworden und sie ballte die Hände. Schock wandelte sich in Zorn.
 

„Dieser Bastard...“, fluchte sie leise und setzte sich zu mir.

„Er hat mich gerettet“, flüsterte ich und spürte, wie mir schon wieder die Tränen kamen.

„Ich hätte diejenige sein sollen, die stirbt.“

Yoruichi wollte mir widersprechen, doch ich schüttelte den Kopf.
 

„Yoruichi bitte ... Du weißt, dass ich Recht habe. Yamachi hatte mit all dem nichts zu tun. Aizen spielt nur mit uns, wie mit Marionetten. Er ist der Spieler und wir nur die Schachfiguren und wen er nicht mehr braucht, der wird geopfert. Wir kennen seine Pläne nicht, aber wir wissen eines: Er will das Hogyoku. Und er wird nicht davor zurückschrecken, über Leichen zu gehen, um an dieses Ding zu kommen. Und wir ... nun, wir können es nicht mit ihm aufnehmen. Wir haben keine Chance gegen ihn, vor allem nicht mit der Fähigkeit seines Zanpakutos.“
 

Yoruichi kaute auf ihrer Unterlippe herum, ihre Augen starr auf die Erde gerichtet. Ich spürte, dass sie nach Gegenargumenten suchte, doch sie blieb stumm.
 

„Im Moment ist es das Beste für uns alle, wenn wir uns zurückhalten, bis wir einen Weg finden, Aizen zu bezwingen. Entweder, indem wir eine Möglichkeit finden, ihm seine Fähigkeit zu nehmen oder ihn trotz dieser irgendwie zu besiegen. Bis dahin ...“, ich schluckte. Auf diesen Moment hatte ich mich in den letzten Wochen vorbereitet. Doch auch, wenn ich diese Unterhaltung in Gedanken schon mehrfach durchgespielt hatte, fiel es mir schwer, die Worte auszusprechen.
 

„Bis dahin muss Kisuke dortbleiben, wo er ist und das Hogyoku verstecken. Wenn Aizen dieses Ding in die Finger bekommt, haben wir wahrscheinlich gar keine Chance mehr gegen ihn.“

Yoruichi schloss die Augen, nickte jedoch.
 

„Und was ist mit dir?“

„Ich werde zwei Dinge tun. Zum einen werde ich alles daran setzen, diese Reifen loszuwerden, um wieder zu meiner vollen Kraft zu kommen, damit ich Aizen nicht erneut wehrlos gegenüberstehen muss und zum anderen ... werde ich ein paar Nachforschungen anstellen, was Kyoga Suigetsus Fähigkeit betrifft.“
 

„Wie willst du das anstellen?“

Ich rümpfte die Nase.

„Es gibt nur eine Person, die ich dazu befragen kann, doch es wird sehr riskant sein, dies zu tun.“
 


 

Erst als die Sonne schon untergegangen war, verabschiedete ich mich von Yoruichi und kehrte in mein neues Heim zurück.

Gemeinsam mit Miaka und Mana hatte ich das kleine Holzhaus in den letzten Wochen ausgebaut und so zu einem richtig wohnlichen Ort gemacht. Der Geruch von frischer Suppe war seit dem Erwachen von Manas spiritueller Energie stets durch die Küche unseres Heims bis in den Flur gezogen.
 

Heute jedoch roch es verbrannt.
 

Ich runzelte die Stirn und spürte sofort, wie mein Magen sich zusammenzog. Mit klopfendem Herzen rauschte ich durch alle Zimmer unseres Hauses, fand jedoch keinerlei Spur von den beiden.

Ich rauschte aus dem Haus, die Straße entlang und sah mich mit klopfendem Herzen um. Etwas fiel mir sofort auf: Der kleine Kiosk an der Straßenecke hatte seine Fensterläden zugezogen.
 

Es war eine Art kleiner Notfallkiosk, bei dem es auch bis spät in die Nacht sowohl Lebensmittel, als auch Medizin zu kaufen gab. Die Nachtstunden waren also ihre Haupteinnahmequelle und so war es äußerst ungewöhnlich, ihn verschlossen zu sehen.

Ich hielt auf das Nachbarhaus des Ladens zu, in dem die Besitzer lebten. Meine Hand erstarrte mitten in der Luft vor dem Holz der Tür.
 

Die Angst vor schlechten Nachrichten schnürte mir die Kehle zu und ließ mich zögern. Doch ich hatte keine Wahl.

Ich konnte Miakas und Manas Verschwinden nicht einfach ignorieren. Ich bemerkte, wie zuerst ein Fenster vorsichtig aufgeschoben wurde, die Nachbarsfrau linste durch den schmalen Spalt. Dann gab es einige Geräusche und die Tür wurde vorsichtig geöffnet.
 

„Akari“, murmelte Bert, er war ein großer Kerl mit breiten Schultern. Seine Frau stand ängstlich hinter ihm.

„Was ist hier passiert?“, fragte ich ihn und die beiden warfen sich einen Blick zu.

„Vielleicht solltest du hereinkommen“, sagte er und ich folgte ihm durch einen langen Flur. Seine Frau warf nur einen ängstlichen Blick auf mich, bevor sie leise wie eine Katze wieder in der Küche verschwand.
 

Ich wurde von ihrem Mann in ein Zimmer geführt, dass offensichtlich ein Schlafzimmer war. Neben einem großen Holzschrank stand ein Bett, daneben ein kleiner Nachttisch, auf dem eine Schale mit Wasser abgestellt war. In dem Bett lag niemand anderes als Miaka. Ich erkannte blutige Verbände, die jemand hastig zusammengerollt und in eine kleine Wanne geworfen hatte. Miakas Gesicht war von Schweiß bedeckt und ihre Augen flatterten.
 

„A...kari...?“, fragte sie mit zittriger Stimme und ich hockte mich zu ihr ans Bett.

„Was ist geschehen?“, flüsterte ich ihr zu, nahm ihre Hand, die eiskalt und trotzdem schweißnass war.

„Mana“, sagte sie, ich hatte das Gefühl, sie wollte schreien, doch war sie dazu nicht mehr in der Lage.

„Was ist mit ihr? Wo ist sie?“, meine Stimme klang brüchig. Miaka schien Kraft zu sammeln, um erneut mit mir zu sprechen.

„Mitgenommen“, brachte sie nun hervor und ich runzelte die Stirn.

„Wer hat sie mitgenommen?“
 

Tief in meinem Inneren kannte ich die Antwort, doch ich wollte es nicht wahrhaben.

„Shini...gami.“

Vorsichtig ließ ich Miakas Hand los, zu sehr überkam mich eine heiße Wut.
 

Ich wollte ihr nicht die Hand zerquetschen, merkte schon nach wenigen Sekunden, wie meine Fingernägel sich in meine Handballen bohrten. Meine Atemzüge kamen stoßweise, meine Augen füllten sich mit Tränen.

Wie konnten sie es wagen?

Wie konnten sie ein unschuldiges Mädchen wie Mana in diese Angelegenheit hineinziehen, die nichts mit alldem zu tun hatte?

Aber vor allem: Wie hatten sie herausgefunden, mit wem ich zusammen lebte?
 

Langsam drehte ich mich herum und ging auf die Tür zu.

„Akari“, Miaka streckte die Hand nach mir aus und ich hatte das Gefühl, sie wollte mich zurückhalten.

„Ich bringe sie zurück“, versprach ich und war erstaunt darüber, wie fest meine Stimme klang.
 

Ich verließ das Haus und atmete tief durch. Ich musste mich beruhigen. Mit zu viel Wut im Bauch, trifft man keine guten Entscheidungen – eine der vielen Dinge, die ich von meiner Mutter gelernt hatte.
 

Erst nach einigen Minuten in der Dunkelheit fiel mir auf, wie meine schwarzen Armreifen glühten.

Ich war so erstaunt darüber, dass ich meine Wut für den Bruchteil einer Sekunde vergaß, sogleich erlosch das Glühen.

„Akari“, ich blickte auf und es war niemand anderes, als Yoruichi, die vor mir stand. Sie war zurückgekehrt.
 

„Deine Limitierung“, stammelte sie, ich hatte ihr davon erzählt, dass die Armreifen mein Reiatsu limitierten.

„Eben habe ich für einen Moment dein Reiatsu ziemlich stark gespürt“, erklärte sie und ich runzelte die Stirn.

„Das ist schon einmal passiert“, ich erzählte ihr, wie ich Aizen nach Yamachis Tod mit meinem Zanpakuto getroffen und ihn schwer verletzt hatte.
 

„Es scheint, als wäre deine Wut eine Möglichkeit, zumindest die Limitation teilweise aufzuheben“, murmelte sie und ich nickte, schüttelte dann allerdings heftig den Kopf.

„Ich habe jetzt keine Zeit darüber nachzudenken. Ich muss Mana finden“, kurz erklärte ich ihr, was geschehen war.

Yoruichis Blick war ernst und noch ehe ich zu Ende erzählt hatte, wusste ich, dass sie mit mir kommen würde.

„Ich hab so etwas geahnt, als ich die vielen verschlossenen Fenster im Dorf erblickte.“

„Deshalb bist du zurückgekehrt? Ich danke dir, Yoruichi, aber mir wäre es lieber, wenn du nicht...“, begann ich, doch sie verpasste mir einen Klaps auf den Hinterkopf.

„Ich begleite dich. Ende der Diskussion.“
 

Ich seufzte, wusste aber, dass ich ihre Hilfe durchaus gebrauchen konnte. Wenn wirklich Aizen dahinter steckte, brauchte ich jede Hilfe, die ich kriegen konnte.

Seireitei lag ruhig in der Dunkelheit der Nacht. Yoruichi und ich hatten kein Problem, in das Innere zu gelangen, Jidanbou ließ mich wie immer passieren, obwohl er die Augen etwas verwundert aufriss, als er Yoruichi erblickte.
 

„Shihoin-Sama, Euch hat lange niemand erblickt in der Soul Society ... und das sollte auch besser so bleiben.“

Die letzten Worte flüsterte er leise, es klang wie eine Warnung. Yoruichi winkte ab, allein die Anrede missfiel ihr, das merkte ich gleich.

Ohne große Umwege hielten wir auf die zehnte Kompanie zu. Zuerst wollte ich mit Rangiku sprechen, doch es war seltsam – sie war nirgendwo zu finden.
 

„Lass uns zu Byakuya“, schlug Yoruichi vor, doch mir fiel noch jemand ein, der uns behilflich sein konnte.

Vorsichtig klopfte ich an die Tür des dritten Offiziers der zehnten Kompanie. Die Tür wurde von einem gähnenden Mann aufgerissen, der leicht genervt wirkte, doch sobald er mich erblickte, riss er die Augen auf und zog mich am Handgelenk in das unordentliche Zimmer.
 

Yoruichi folgte uns und schloss die Tür flink hinter sich.

„Akari“, zischte Shin. Sein struppiger Drei-Tage-Bart wirkte länger als sonst und das dunkle Haar stand wirr um seinen kopf.

„Was gibt’s, ist etwas passiert?“
 

Sein Blick flatterte von Yoruichi zu mir und ich wusste, dass er den Ernst der Situation sofort erkannte.

Niemals hätte Yoruichi sich in die Grenzen von Seireitei gewagt, bestünde nicht ein Notfall.
 

„Wo ist Rangiku?“, fragte ich zuerst und Shins Stirnrunzeln ließ mein Herz einen Schlag aussetzen.

„Sie ist vor einigen Tagen nach Rukongai gereist, um neue Talente anzuwerben. Hatte einige gute Tipps für neue Anwärter, für die Akademie. Aber sie ist seither nicht zurückgekehrt und hat sich auch so nicht gemeldet. Ihr Reiatsu ist aber noch aufspürbar, ansonsten hätte das ja schon jemand gemerkt“, den letzten Satz hatte er hastig hinzugefügt, als er merkte, wie sehr mich seine Worte in Sorge versetzten.
 

„Hast du sonst irgendetwas mitbekommen? Etwas Seltsames, das hier in letzter Zeit geschehen ist? Hat sich hier vielleicht jemand nach mir erkundigt, wo ich wohne oder so?“

Shin grübelte eine Weile nach, schüttelte dann den Kopf und ich spürte Enttäuschung in mir auflodern. Ich hatte gehofft, dass er uns weiterhelfen konnte. Ich seufzte.
 

„Kannst du uns sagen, wohin Rangiku gegangen ist?“, fragte Yoruichi nun und Shin blinzelte sie kurz verwirrt an, als hätte er ihre Anwesenheit bereits vergessen.

„Klar“, murmelte er und suchte eine Karte heraus, die er ihr in die Hand drückte. Dort erkannte ich einen äußeren Bezirk von Rukongai, auf dem ein bestimmter Bereich mit einem roten Kreis gekennzeichnet war.
 

„Darf ich fragen, was passiert ist?“, seine Stimme klang leise und ernst, wie ich sie nur selten von ihm gehört hatte. Meistens war er ein fröhlicher, lauter Kerl.

„Sie haben meiner Familie weh getan“, hörte ich mich sagen und Shins Blick wurde nun bitterernst, „Schon wieder.“ Fügte ich hinzu, er musste nicht mehr darüber wissen, das würde ihn nur in Gefahr bringen.
 

Als wir gingen, drehte Youruichi sich ein letztes Mal zu ihm um: „Wir waren nie hier“, zischte sie und ich sah, wie sich ein Grinsen auf Shins Gesicht ausbreitete.

„Natürlich nicht.“
 

Mit schnellen Schritten machten wir uns auf den Weg zur sechsten Kompanie. Ich wusste, dass Byakuya nur noch sehr wenig Zeit in seinem Familienhaus verbrachte, seit Hisanas Tod. Vorsichtig schlichen wir uns in das Haupthaus, hier war das Ganze schon etwas schwieriger. Auch wenn die Haupthäuser der Kompanien ähnlich aufgebaut waren, hatten doch alle etwas Eigenes an sich.

In der Sechsten zum Beispiel war alles sehr penibel geordnet. Typisch Byakuya.
 

Langsam schlichen wir die Treppe hinauf in die Kommandantengemächer. Die Türen waren nicht abgeschlossen, das war auch nicht notwendig.
 

Jemand, der einem Kommandanten wirklich gefährlich werden konnte, konnte auch eine Tür in Zahnstocher verwandeln. Ich drückte also die Tür auf und trat einige Schritte in den Raum hinein, als ich auch schon kalten Stahl an meinem Hals spürte.

„Scharfsinnig wie eh und je“, flüsterte ich und sah Byakuyas Grinsen in den Augenwinkeln.
 

„Nicht scharfsinnig genug“, witzelte nun Yoruichi, die ihrerseits ihr Schwert an Byakuyas Hals gesetzt hatte. Er riss die Augen kurz überrascht auf, er hatte sie nicht bemerkt. Sie beide nahmen ihre Schwerter herunter und Byakuya starrte Yoruichi eine Zeit lang mit ernstem Gesichtsausdruck an.
 

„Du darfst nicht hier sein“, seine Stimme klang kalt und ernst. Yoruichi schnaubte.

„Noch immer ganz der Rechtschaffende, was?“

Doch Byakuya schüttelte langsam den Kopf.

„Das meine ich nicht. Sie haben ihre Augen überall.“

Auch Yoruichi wurde nun wieder ernst, wir beide wussten, wen er meinte.
 

„Was haben sie so getrieben in letzter Zeit?“, fragte die ehemalige Kommandantin und warf ihr violettes Haar über die Schulter. Es wurde ihr allmählich zu lang, bald würde sie es sicherlich wieder abschneiden oder als Zopf tragen. Byakuya seinerseits reagierte nicht auf ihre Frage, starrte sie weiterhin ernst an.
 

„Erinnerst du dich an Miaka und Mana?“, fragte ich und Byakuya drehte sich zu mir um, verwundert über den Themenwechsel. Dennoch nickte er leicht.

„Sie haben Miaka schwer verletzt und Mana entführt. Ich muss sie wiederfinden.“
 

Einen Moment herrschte Stille, bis Byakuya sich plötzlich in Bewegung setzte und auf seinen Schreibtisch zu marschierte. Mit einer flinken Bewegung hatte er einen kleinen Schlüssel aus einer seiner geheimen Taschen hervorgeholt und schloss nun eine Schublade auf, die, wie ich nun erkannte, nicht nur durch ein einfaches Schloss, sondern auch durch Magie verriegelt war.

Nachdem die Schublade offen war, zog er einen großen Stapel penibel geordneter, wahrscheinlich nach Alphabet sortierter Papiere heraus.
 

„Das sind alle Infos, die ich in den letzten Monaten und Jahren über ihre Aktivitäten gesammelt habe.“
 

Wir arbeiteten akribisch alle Infos der letzten Tage und Wochen durch, um eine Info darüber zu finden, wo sie Mana hingebracht haben könnten, doch all die Orte, an denen sie sich aufhielten, schienen so wahllos gewählt zu sein, dass nichts davon einen Sinn ergab.
 

Sie würden Mana wohl kaum in Seireitei gefangen halten, das würde jemandem auffallen.

„Nein“, hörte ich mich selbst murmeln und sprang auf.

„Wir müssen die Idee wieder aufnehmen, dass sie hier ist“, fügte ich hinzu, während ich in dem Zimmer auf und ab ging. Yoruichi und Byakuya warfen sich einen skeptischen Blick zu.
 

„Aber wir haben doch schon ausdiskutiert, dass es sehr unwahrscheinlich ist...“; begann Yoruichi, doch ich unterbrach sie: „Kyoka Suigetsu.“

Yoruichi blinzelte verwirrt auf, doch Byakuya erhob sich ebenfalls.

„Du meinst, sie ist hier irgendwo in Seireitei, aber es fällt niemandem auf, weil Aizen seine Fähigkeit einsetzt und wir sie so nicht sehen können?“
 

Ich nickte eifrig, doch die Begeisterung über diese Erkenntnis fiel sofort ab, als mir auffiel, was das bedeutete.

„Das heißt, es könnte jeder Einzelne sein und nur du allein bist eventuell in der Lage sie zu finden, weil du vielleicht immun gegen diese Fähigkeit bist? Wie willst du denn jeden Keller von Seireitei allein absuchen?“

Yoruichis Worte hallte noch eine ganze Weile in meinem Kopf nach. Während die beiden weiter Byakuyas Notizen durchgingen, starrte ich unentschlossen aus dem Fenster.
 

„Ich werde kurz frische Luft schnappen“, warf ich ein und verließ Byakuyas Gemächer, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Ich wusste, dass wir endlos nach einem Hinweis suchen würden, dabei war es viel einfacher, an eine Antwort zu kommen.

Da ich mein Reiatsu soweit unterdrückt hatte, dass es nicht aufspürbar war, konnte ich mich unbemerkt von der sechsten Kompanie davon schleichen. Es war besser, wenn Byakuya und Yoruichi nicht mitbekamen, welche Idee mir gekommen war.

Es gefiel mir selbst nicht besonders, doch ich war es Mana schuldig. Sie war mir wie eine Schwester. Ich hatte meinen Bruder verloren, ich würde alles dafür tun, sie nicht auch noch zu verlieren.
 

Vorsichtig schlich ich durch die Gänge Seireiteis, benutzte wieder den Haupteingang eines Hauptgebäudes, doch dieses Mal gab ich mir mehr Mühe, unbemerkt in die Kommandantengemächer einzudringen.

Alle Lichter waren aus und ich atmete ein Mal tief durch, bevor ich die Tür langsam öffnete. Dieses Geräusch weckte ihn auf jeden Fall, doch er würde noch nicht wissen, wer ihn aus dem Schlaf riss. Ich erkannte eine verschwommene Bewegung und wusste, dass er in Kampfposition gegangen war. Ein leises Lachen löste sich aus meiner Kehle.
 

„In diesem Zustand hätte ich eh keine Chance“, flüsterte ich und trat mit leicht erhobenen Händen ein.

„Akari“, Gin ließ sein Schwert sinken, auf seinen Lippen war kein Grinsen zu sehen.
 

„Wie komme ich zu der Ehre?“, fragte er und beobachtete, wie ich vorsichtig die Tür hinter mir schloss. Das Licht war noch immer ausgeschaltet, doch der Mond schien hell durch die Fenster. Gins Haar leuchtete gespenstisch.

„Wo ist Mana?“ Gin seufzte auf, machte dann einige Schritte auf mich zu.
 

„Akari, ich hatte dich gewarnt. Hatte dir gesagt, du solltest nicht mehr herkommen ... Als du das letzte Mal hier warst, hast du Aizen einige Schwierigkeiten bereitet ...“.

Ich schnaubte angewidert auf.

„Ach, habe ich das? Einige Schwierigkeiten? Er hat meinen Bruder getötet!“, die letzten Worte spie ich Gin ins Gesicht, der daraufhin die Augen niederschlug.
 

„Erinnerst du dich, Gin? Erinnerst du dich an meinen Bruder? Yamachi! Er war einst auch dein Freund!“, ich konnte mir nicht verkneifen ein wenig lauter zu werden, meine Augen füllten sich erneut mit Tränen und ich merkte, wie Gin einen Schritt auf mich zumachte.
 

Für eine Sekunde dachte ich, er würde mich angreifen, doch dann tat er etwas, dass ich nicht erwartete: Mit einem Ruck drückte er mich an sich und umschlang mich mit seinen Armen.
 

„Als wir damals zusammen gekommen sind, warst du für mich nur ein Mittel zum Zweck“, flüsterte er in mein Ohr und ich schnappte nach Luft.

Ich hatte das Gefühl, dass er zum ersten Mal er selbst war.

Der echte Gin.
 

Ich wich einen Schritt zurück, um ihm in die Augen zu sehen. Ich erkannte keinerlei Freundlichkeit in seinem Gesicht, kein bisschen Humor, nur eisige Kälte und unglaubliche Wut.
 

„Ich habe dich allerdings mit der Zeit gern gewonnen. Ich wusste, dass unsere Beziehung keine Zukunft hatte, aber ich begann dich zu mögen. Das war der einzige Grund, warum ich dich verlassen habe.“
 

Ich hielt den Atem an und spürte eine Spannung in der Luft, die meine feinen Nackenhaare zu Berge stehen ließ.

„Was für einen Zweck habe ich für dich erfüllt?“, fragte ich langsam und Gin senkte den Blick.

„Es gab zweierlei Gründe. Der eine war, dass Aizen mehr über dich und Urahara erfahren wollte. Ob ihr ihm von Nutzen sein könnt. Doch dafür hätte ich dir nie so nah kommen müssen. Der zweite Grund, mein persönlicher Grund, war der, warum ich mich darauf einließ.“
 

„Was war es?“, hauchte ich und spürte die Furcht, die in mir hinaufkroch. Ich spürte, dass dies der Moment war, in dem ich endlich Gins wahren Charakter sehen würde.
 

„Der zweite Grund, warum ich diese Beziehung mit dir einging war, meine wahre Liebe von mir fernzuhalten.“

Ich sah in seine Augen und seine Wut war verflogen. Ich erkannte eine Mischung aus Angst, Trauer und Verzweiflung. Meine Gedanken überschlugen sich und ich wich einen Schritt zurück.
 

„Gin du...“, begann ich und schüttelte den Kopf.

„Rangiku?“, fragte ich und Gin schlug die Augen nieder.

„Sie darf das niemals wissen. Niemals.“

Seine Worte klangen so hart, dass ich schluckte, sodass ich nur einmal kurz nickte.
 

„Du willst sie beschützen“, flüsterte ich, es war keine Frage, sondern eine Feststellung.

Rangiku hatte mir einst die Geschichte erzählt, wie Gin sie vor dem Hungertod gerettet und so ihre Familie geworden war. Und obwohl Gin ihr so viel bedeutete, nahm er sich nur selten Zeit für sie und unterband jegliche Nähe zwischen ihnen.
 

„Warum arbeitest du für Aizen?“, die Frage stellte ich so leise, dass ich befürchtete, er würde sie nicht hören, doch dann setzte er wieder ein schelmisches Grinsen auf.

„Sei deinen Freunden nah. Sei deinen Feinden näher.“
 

Ich wich einen Schritt zurück. Mein Herz raste in meiner Brust und ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Eine einzelne Träne rann mein Gesicht hinab und ich spürte in der Tiefe meines Herzens, dass Gin die Wahrheit sagte.

All mein Zorn, den ich für Gin gehegt hatte, löste sich in Luft auf. Er hatte mich beschützt, mehrfach. Das hätte er nicht tun müssen, doch er hatte es getan. In der Akademie und auch in der Nacht, in der Aizen Shinji und die anderen hollowfiziert hatte.

Mein Atem beschleunigte und ich starrte ihn immer noch mit offenem Mund an.
 

„Akari, du darfst hier jetzt nichts überstürzen“, begann Gin nun und schlenderte zu einem Schrank, aus dem er seine Shinigami Uniform herauszog. Er trug nur einen Morgenmantel.

„Aber...“, begann ich, doch Gin schüttelte den Kopf.
 

„Du bist quasi meine Geheimwaffe!“, zischte er und klang dabei fast säuerlich.

„Ich- was?“

„Bisher habe ich noch keine Möglichkeit gefunden, Kyoka Suigetsus Zauber zu durchbrechen, aber du ... bist immun dagegen. Das darf Aizen nicht erfahren.“
 

„Darum wolltest du nicht, dass ich mit irgendjemandem über diese Sache damals an der Akademie spreche?“

Gin warf mir ein kurzes, freudloses Grinsen zu.
 

„Anfangs dachte ich, Aizen hätte einen Fehler gemacht. Hätte dich vergessen oder so. Aber ich habe Nachforschungen angestellt. Nachdem ich Aizen damals darum bat, dich aus der Sache herauszuhalten, hatte er kein Interesse mehr an dir, sondern nur noch an Urahara und seinen Forschungen. Das kam mir gelegen. Ich konnte in aller Ruhe beobachten, wie er hin und wieder seine Fähigkeiten anwendete, um in Uraharas Forschungslabor herumzuschnüffeln. Er dachte, dass niemand ihr dort gesehen hatte, aber du hast ihn dort gesehen, nicht wahr?“
 

Ich stutzte. Tatsächlich hatte ich Aizen im Forschungslabor ein- und ausgehen sehen, doch nie hatte ich mir darüber Gedanken gemacht.

„Du hast mich nie gewarnt, das niemandem zu sagen“, keuchte ich und Gin zuckte mit den Achseln.

„Das hätte auch keinerlei Unterschied gemacht. Aizen hat dich zu dieser Zeit überhaupt nicht beachtet und das ist mein Trumpf. Er hat keine Ahnung, dass es jemanden gibt, der immun gegen seine Hypnose ist und das muss unbedingt so bleiben, verstehst du das Akari?“
 

Ich nickte und zuckte zusammen. Gin hatte seinen Morgenmantel abgeworfen, um sich umzuziehen. Leicht beschämt drehte ich mich von ihm weg, doch er kicherte nur leise.

„Nichts, was du nicht schon gesehen hast“, witzelte er und ich verdrehte die Augen.
 

„Wie kannst du sicher sein, dass ich nicht Aizen bin?“, fragte ich ihn und er sah mich eine Weile stirnrunzelnd an, während er seine Kleidung zuschnürte.

„Ich kenne ihn mittlerweile ganz gut. Er würde nicht auf die Idee kommen mich auf diese Weise zu testen. Ich bezweifle, dass er überhaupt auf die Idee kommt, dass ich ihn hintergehen könnte.“
 

Es war seltsam. All die Jahre des Zorns und Hasses auf Gin schienen in wenigen Sekunden wie verflogen, obwohl tief in meinem Inneren eine Stimme immer wieder flüsterte: „Was ist, wenn das eine Falle ist?“
 

Doch ich musste an unsere erste Begegnung denken, an all die Male, die er mich gedeckt und geschützt hatte. Es war fast ein wenig verletzend, dass ich die ganze Zeit gedacht hatte, er würde mich schützen, weil ich ihm etwas bedeutete. Die Wahrheit war, dass ich seine einzige Waffe war.
 

Dennoch fühlte ich mich, als hätte jemand eine tonnenschwere Last von mir genommen. Gin warf seinen Kommandantenhaori über seine Schultern, was mir einen kleinen Stich versetzte. Ich vermisste es Kommandantin zu sein.
 

„Akari, niemand darf jemals von dem erfahren, was ich dir heute erzählt habe. Niemand. Nicht Rangiku. Nicht Byakuya, nicht einmal Kisuke. Niemand. Du bist die Einzige, der ich dieses Wissen anvertraue ... Versprich es mir.“
 

„Kisuke weiß es. Ich habe ihm damals von der Sache an der Akademie erzählt.“

Gin runzelte die Stirn und verzog den Mund, lächelte dann jedoch.

„Nun gut, Kisuke ist einer der intelligentesten Leute, die ich kenne. Er wird es nicht herumposaunen. Selbst Aizen fürchtet sich vor seinem Intellekt und das will schon was heißen.“
 

Ich runzelte die Stirn. „Aizen füchtet sich vor Kisuke?“

„Er fürchtet sich vor seinem Verstand. Davor, dass Urahara ihm einen Schritt voraus sein könnte.“
 

Ich schüttelte den Gedanken ab. Die Offenbarung von Gins Verrat hatte meine Gedanken gehörig durcheinandergebracht, doch nun musste ich endlich zu dem zurückkehren, weswegen ich Gin ursprünglich aufgesucht hatte.
 

„Gin“, begann ich, als er sich gerade fertig angezogen hatte.

„Warum das alles?“

Ich spürte, dass er für einen Moment mit sich selbst rang. In seinen Augen erkannte ich einen Schmerz, der mich berührte.

„Er hat ihr wehgetan“, seine Worte waren kaum mehr als ein Flüstern.
 

„Warum? Was hat er getan? Was ist sein Ziel?“ Meine Stimme zitterte. Ich hatte das Gefühl, Aizens Geheimnis so nah zu sein, wie noch nie zuvor in meinem Leben. Gin schloss die Augen und sah mich direkt an.
 

„Ich weiß zu wenig, um sicher zu sein, dass meine Vermutungen wahr sind. Zu diesem Zeitpunkt kann ich dir nur so viel sagen: Wenn Aizen das Hogyoku von Kisuke in die Finger bekommt ... wird es Krieg geben. Diesen Krieg werden viele nicht überleben.“

„Dann dürfen wir nicht zulassen, dass er es in die Finger bekommt.“
 

Gin presste seine Lippen aufeinander. Ich spürte, dass er noch etwas dazu sagen wollte, doch kein Wort löste sich aus seinem Mund.

Er wusste noch irgendetwas, dass er mir nicht verraten wollte. Das spürte ich. Doch mein Gewissen meldete sich und meine Angst um Mana, aber auch um Rangiku zwang mich, nun endlich die Frage zu stellen, für die ich Gin eigentlich aufgesucht hatte.

„Gin, wo ist Rangiku?“
 

Er starrte mich eine Zeit lang etwas verwirrt an.

„Was meinst du? In ihrem Bett will ich hoffen“, sagte er, doch ich spürte eine Unsicherheit in seiner Stimme.

„Sie ist vor drei Tagen nach Rukongai gegangen und noch nicht zurückgekehrt. Bisher hat sie auch nicht von sich hören lassen.“

Gin hielt inne, er hatte gerade sein Zanpakuto wieder angesteckt. Eine Weile starrte er nur vor sich hin und ich sah, wie seine Fingerknöchel hervortraten.
 

„Gin“, er reagierte nicht, „Gin! Wo haben sie Mana hingebracht? Ich gehe stark davon aus, dass auch Rangiku dort ist!“

Beide Hände zu Fäusten geballt marschierte Gin auf die Tür zu, doch ich stellte mich ihm in den Weg.

„Akari...“, begann er, doch ich schlug ihm ins Gesicht. Mein Schlag kam so unverblümt, dass er nicht auswich und mich mit aufgerissenen Augen ansah.
 

„Willst du deine Arbeit von Jahren zunichtemachen, indem du ein Mal überreagierst? Sag mir, wo sie ist, und ich hole sie beide da raus. Aizen wird misstrauisch, wenn du da jetzt auftauchst.“
 

Eine Weile starrte er die Wand an, bevor er sich leicht entspannte.

„Du bist zu schwach...“, begann er, doch ich unterbrach ihn. „Ich habe Verstärkung.“

Er musterte mich aus zusammengekniffenen Augen.

„Yoruichi wird bei mir sein.“
 

Er nickte langsam und wich einen Schritt zurück.

„Wenn ihr bis zum Morgengrauen nicht zurück seid, greife ich ein.“

Ich nickte.
 

„Und Akari ... was auch immer du tust, lass Aizen auf keinen Fall herausfinden, dass du seiner Hypnose nicht verfällst, sonst bist du schneller tot, als dir irgendjemand helfen kann.“

Hundert Jahre ohne Dich Teil 5: Sato

Es war nicht einfach, Byakuyas und Yoruichis Fragen auszuweichen, doch am Ende hatte ich sie davon überzeugt, dass es wichtiger war, den Ort aufzusuchen und herauszufinden, ob Mana wirklich dort war, anstatt weiter zu rätseln, woher ich diese Information hatte.
 

Yoruichi war misstrauisch, doch ich beachtete sie nicht weiter. Ich wusste, dass Gins Geheimnis unbedingt bewahrt werden musste, wenn Aizen neben meiner Immunität irgendeine Schwäche hatte, konnte er sie eventuell herausfinden.

Der Ort befand sich tatsächlich an einem der äußeren Bezirke von Rukongai, ganz in der Nähe von dem Ort, den Rangiku laut Shins Karte hatte auskundschaften wollen.
 

Es war ein seltsamer Ort, weit und breit keine Menschenseele zu sehen. Das einzige, was die Landschaft störte, war ein riesiges Fabrikgebäude aus roten Backsteinen.

„Ziemlich auffällig unauffällig“, brummte Yoruichi und ich musste ihr Recht geben. Es sah genauso aus, wie man sich das Versteck eines Verbrechers vorstellte.
 

„Es fühlt sich an wie eine Falle“, fügte sie hinzu und ich nickte. Genau das hatte Gin mir auch erzählt.

Aizen versuchte vermutlich, mich in eine Falle zu locken, indem er Mana entführte und versteckte.

„Ich frage mich, was du getan hast, um seinen Zorn erneut auf dich zu lenken. Vielleicht will er dir nur eine Lektion erteilen, weil du dich wieder eingemischt hast.“ Gins Worte hallte in meinem Kopf nach. Was diesen Plan anging, schien Aizen ihn nicht eingeweiht zu haben.
 

Ob Rangiku nun auch dort sein würde, würden wir herausfinden. Ich hoffte innig, dass Aizen sie nicht mitgenommen hatte, um Gin zu testen. Sollte er an Gins Treue zweifeln, würde es für diesen schwieriger werden, seinen Posten lange zu halten.

„Wir schleichen uns rein?“, fragte Yoruichi und ich zuckte mit den Achseln.

„Was bleibt uns anderes übrig?“

„Na ja wir könnten auch laut singend durch das Haupttor tanzen.“

„Würde zu gern Aizens Gesicht dabei sehen.“

Ich musste Schmunzeln und auch Yoruichis Mundwinkel zuckten in die Höhe, doch dann atmeten wir tief durch und beeilten uns, auf einen der vielen Fensterbänke zu kommen.
 

Flink hatten wir das Fenster aufgebrochen und quetschten uns hinein. Innen war es düster und die Luft war staubig. Wir befanden uns in einem schmalen Gang, der rechts in einer Sackgasse endete. Wir gingen also links.

Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit, bis wir endlich an eine Biegung kamen. Wir folgten dem Gang weiter, um tiefer ins Gebäudeinnere zu kommen. Nach einer Weile fanden wir uns in einer Art von Saal wieder, aus dem mehrere Treppengänge nach oben und unten führten.
 

„Das Gebäude fühlt sich komplett leer an“, murmelte Yoruichi und ich nickte zustimmend. Es war kein Reiatsu zu spüren.

„Eine unaufspürbare Barriere vermutlich.“

Wir folgten einer Treppe nach unten und wurden nicht enttäuscht: Schon nach wenigen Minuten kamen wir an eine große Tür. Sie sah irgendwie wichtig aus.
 

Die Stirn runzelnd beobachtete ich Yoruichi, die das Schloss aufbrach. Das war schon fast zu offensichtlich eine Falle. Es war fast, als wolle Aizen, dass wir die Falle bemerkten, in die wir liefen. Da musste mehr dahinterstecken. Yoruichi öffnete vorsichtig die Tür und wir schlichen in den Raum. Sofort spürte ich ein vertrautes Reiatsu und Yoruichi atmete scharf ein.

Vor uns an einer Wand hing Rangiku, Ketten fesselten ihre Arme und Beine, ihr Kopf hing schlaff zur Seite und eine kleine Blutlache hatte sich unter ihren Füßen gebildet. Wir sahen uns um, aber weit und breit war niemand zu sehen.
 

„Ist sie das?“, fragte Yoruichi auf einmal und sah mich kurz an. Ich wollte gerade antworten, als mir Gins Warnung einfiel:

„Sei vorsichtig, Aizen plant etwas, wo ich nicht eingeweiht bin. Vielleicht hat es etwas mit Kyoka Suigetsu zu tun.“

Ich starrte Yoruichi weiterhin an, nickte ganz vorsichtig und sie wandte sich von mir ab, rannte dann auf Rangiku zu.

„Hallo Mana, ich bin Yoruichi. Eine Freundin von Akari. Keine Sorge, wir holen dich hier raus.“
 

Rangiku öffnete die Augen, war aber kaum in der Lage zu sprechen. Ich schluckte. War das ein Test? Versuchte Aizen herauszufinden, ob ich gegen seine Hypnose immun war? Ich atmete ruhig durch und folgte Yoruichi.

„Mana, ich bin es Akari“, spielte ich also mit. Ich sah, wie Rangiku verwirrt die Stirn kraus zog, aber weiter nichts sagte.

„Wir sind gekommen, um dich zu befreien.“
 

Gemeinsam schickten wir uns an ihren Ketten aufzubrechen, ich hatte ununterbrochen ein seltsames Gefühl, denn ich war mir sicher, dass man uns beobachtete.

Wir schafften es, Rangiku zu befreien, die schwach und verwirrt in unseren Armen lag. Dann wurde plötzlich die Tür aufgerissen. Ich zuckte zusammen, abrupt drehte ich mich herum und mein Herz machte einen erleichterten Hüpfer, als ich Mana erkannte.

Sie war unverletzt, sah allerdings ebenso verwirrt aus, wie Rangiku.
 

„Akari?“, fragte sie und ich wollte gerade reagieren, als ich merkte, wie Yoruichi ihr Schwert gezogen hatte.

„Na warte, damit kommst du uns nicht davon“, ihre Stimme war verzerrt vor Wut und eine kalte Angst packte mich: Offensichtlich sah Yoruichi nicht Mana, sondern einen Feind vor sich.
 

Entsetzen packte mich. Ich realisierte sofort, dass ich nur den Bruchteil einer Sekunde hatte, um eine Entscheidung zu treffen. Ich konnte entweder mein Geheimnis bewahren, meine Immunität vor Kyoka Suigetsu – oder Mana retten.
 

„Warte“, zischt ich und streckte einen Arm vor Yoruichi, die mit zusammengepressten Zähnen knurrend innehielt.

Ich trat einen Schritt auf Mana zu und versuchte, wütend auszusehen, was Mana offensichtlich einschüchterte.

Ich musste mir etwas einfallen lassen, mein Verstand rotierte, doch die rettende Idee wollte einfach nicht kommen. Ich wollte gerade etwas sagen, als eine riesige Explosion über uns hereinbrach.
 

Ich wollte Mana retten, doch nach einigen Sekunden merkte ich, dass das gar nicht nötig war. Jemand stand über ihr und beschützte sie vor den herabfallenden Felsen: Shin.
 

Ich schnappte nach Luft, hatte allerdings keine weitere Möglichkeit, das Geschehen zu begreifen, schnappte stattdessen Yoruichis Arm und zwang sie, Rangiku mit mir gemeinsam aus dem einstürzenden Gebäude zu bringen.

Wir flohen so schnell und so weit wir konnten, niemand stellte sich uns in den Weg. Erst als unsere Beine schon fast müde wurden, schrie Yoruichi auf einmal auf.
 

„Meine Güte Rangiku! Was ist denn jetzt passiert, vor einer Sekunde warst du...“, ich seufzte erleichtert auf und wir setzten uns an einen breiten Baum, um eine kleine Pause einzulegen.
 

„Ich wollte dich vorhin warnen, aber wir sind höchstwahrscheinlich die ganze Zeit von Aizen beobachtet worden“, erklärte ich ihr und sie runzelte die Stirn.

„Ja natürlich, ich mein er stand direkt vor uns!“

Ich verzog das Gesicht angewidert.
 

„Nein. Das war Mana.“ Yoruichi Gesicht war eine Maske des Horrors.

„Du meinst... ich hätte beinahe...“, begann sie, doch ich drückte ihr behutsam den Arm.

„Wenn Shin nicht aufgetaucht wäre, hätte ich keine Ahnung gehabt, wie wir da wieder herausgekommen wären ... du kannst nichts dafür. Aizens Fähigkeiten sind monströs.“
 

Rangiku schien noch immer benommen, ganz so, als hätte man sie unter Drogen gesetzt. Sie sagte nichts und ihre Augen wirkten leicht benebelt.

„Wir sollten sie so schnell wie möglich zu Unohana bringen“, murmelte ich, da tauchte Shin plötzlich vor uns auf.

„Wirklich Shin?“, fragte Yoruichi und ich nickte leicht schmunzelnd.

„Ja das ist wirklich Shin.“
 

Er hatte sich Mana über die Schulter geworfen und ließ sie nun, mehr oder weniger elegant wieder zu Boden. Sie stürzte verängstigt auf mich zu und ich schloss sie erleichtert in meine Arme.

„Aber wie kann es sein, dass er nicht auf Aizens Hypnose hereinfällt?“ Shin legte den Kopf schief.

„Hypnose?“
 

„Hast du jemals Aizens Shikai gesehen?“, fragte ich und Shin verzog das Gesicht, als würde er angestrengt nachdenken.

„Nicht das ich wüsste. Ich weiß, dass er es einmal vorgeführt hat, aber da war ich wohl unterwegs gewesen oder so.“

Es war nun Zeit, auch Shin in die ganze Sache einzuweihen. Auch wenn ich Gin versprochen hatte, dass dieses Wissen niemals Aizen erreichen durfte, konnte ich meine Verbündeten nicht im Unwissen lassen. Denn es gab etwas, dass ich mir überlegt hatte.

Ich weihte Shin also in so viel ein, wie er zu wissen brauchte, um unsere Situation zu verstehen.
 

“Er scheint zumindest zu ahnen, dass du seiner Fähigkeit gegenüber immun sein könntest. Ich wüsste nicht, welchen Zweck diese ganze Aktion sonst haben sollte“, schlussfolgerte Shin und kratzte sich an seinem Bart.
 

„Irgendwie muss er auch herausgefunden haben, mit wem ich zusammenlebe. Nur meine Freunde wussten das.“

Etwas in Shins Blick gefiel mir nicht, als er begann Rangiku zu mustern.

„Nein“, wehrte ich abrupt ab, doch Shin zuckte mit den Achseln.

„Akari, sieh sie dir an. Sie ist nicht ganz sie selbst... scheinbar wurde sie unter Drogen gesetzt und wer weiß, welche Hypnose er bei ihr eingesetzt hat!“
 

Ich wollte es nicht glauben, aber es ergab Sinn. Rangiku hatte gewusst, wo ich lebte und mit wem. Sie wusste auch, dass Kisuke und die anderen unschuldig waren und obwohl ich mich gehütet hatte, ihr all diese Dinge im Detail zu erklären, war ich mir sicher, dass sie das ein oder andere aufgeschnappt hatte.
 

Wenn Aizen es nun geschafft hatte, dass aus Rangiku herauszuquetschen?
 

„Wir müssen sie zu Unohana bringen“, verlangte ich erneut und strich Rangiku behutsam eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Shin und Yoruichi nickten.

„Nein, Yoruichi. Du kehrst in die Welt der Lebenden zurück. Du hast gesehen, wie es hier zugeht. Lass nicht zu, dass Kisuke auch nur einen Fuß in diese Welt sitzt.“

Yoruichi wollte etwas erwidern, aber ich nahm sie bei den Schultern.

„Du musst SOFORT zurückkehren. Ansonsten wird Aizen dich entführen, um Kisuke anzulocken, nur um an das Hoygoku zu kommen. Er ist zu allem fähig, geh jetzt bitte!“

Yoruichi gefiel das nicht besonders, doch sie ging.
 

Dabei ließ sie es jedoch nicht nehmen, auch mir noch eine Warnung auszusprechen: „Akari, auch du darfst dich nicht entführen lassen. Denn auch, wenn Kisuke es vielleicht nicht erfahren würde – ich werde es und ich werde kommen, um dich zu retten.“

Ich verzog den Mund. Eine Mischung aus Verärgerung und Dankbarkeit kämpften in meinem Magen gegeneinander an.
 


 

„Mana, warte bitte hier auf mich. Shin, bring Rangiku in die vierte Kompanie, sag am Besten du hast sie so gefunden und keine Ahnung, was passiert ist. Es gibt wohl kaum eine Möglichkeit, das ganze zu erklären, ohne noch mehr unangenehme Fragen aufzuwerden.“

„Und was hast du vor?“, Shins Blick durchbohrte mich und ich merkte, wie meine Augen auf Rangiku ruhten.

„Byakuya Bescheid sagen, dass alles gut ist“, es war nicht komplett gelogen. Ich würde auch Byakuya von der ganzen Sache berichten, doch mein erster Weg führte mich in die dritte Kompanie.
 

Ich fühlte mich nicht wohl dabei, Mana zurückzulassen, doch ich konnte sie schlecht mit nach Seireitei nehmen. Gin saß hellwach auf einem Ast, in einem Baum, ganz in der Nähe des Haupthauses, der dritten Kompanie.

Ich landete, so leise, wie ich konnte, neben ihm und spürte seine Anspannung.

„Shin bringt sie zu Unohana“, flüsterte ich und sah, wie Gins Hände sich zu Fäusten ballten.

„Ihre körperlichen Verletzungen scheinen nicht allzu stark zu sein. Allerdings ... haben sie ihr scheinbar irgendwelche Drogen eingeflößt und höchstwahrscheinlich mithilfe von Hypnose dazu gebracht, Informationen preiszugeben. Du solltest sie bald besuchen.“
 

„Informationen?“, fragte er und ich berichtete ihm kurz, was geschehen war.

„Es wirkte, als wolle er testen, ob ich seiner Hypnose verfalle.“

„Die Frage ist, warum er diesen Test nur halbherzig durchgeführt hat.“ Brummte er.

„Was meinst du?“

„Warum hat er nicht weiter nachgebohrt, nachdem Shin auftauchte? Nachdem er so viel auf sich genommen hat, um dich dorthin zu locken, Rangiku unter Drogen gesetzt und Mana entführt hat ... warum so viel Aufwand betreiben und dann einfach aufgeben? Das hört sich nicht nach Aizen an.“

„Was glaubst du, ist passiert?“

„Ich werde versuchen, es herauszufinden.“

„Ich würde ja sagen, lass es mich wissen ... aber das könnte zu riskant sein.“

„Wenn ich eine Möglichkeit sehe, lass ich es dich wissen.“

„Bis bald“, flüsterte ich und war in dem Bruchteil einer Sekunde verschwunden.
 

Byakuya war ebenfalls hellwach und erwartete meinen Bericht. Er hörte aufmerksam zu und schien angestrengt darüber nachzudenken.

„Ihr solltet euch auf jeden Fall ein neues zu Hause suchen“, murmelte er. Das hatte ich auch bereits gedacht, wir konnten dort nicht bleiben. Wir mussten irgendwohin, wo Aizen uns nicht wieder so leicht aufspüren konnte. Ich verabschiedete mich von Byakuya und verließ Seireitei. Mana wirkte müde und ausgelaugt, ich nahm sie auf den Rücken, um den Heimweg schnell hinter mich zu bringen.
 


 

Manas Mutter Miaka erholte sich schnell von ihren Verletzungen, die sie erlitten hatte, als sie die Shinigami davon hatte abhalten wollen, Mana mitzunehmen. Mit ihrer Tochter an ihrer Seite blühte sie schnell wieder auf und bedankte sich zu oft bei mir.

„Hör auf damit... wäre ich nicht gewesen, hätten sie Mana erst gar nicht entführt.“

„Sag so etwas nicht. Wir sind eine Familie Akari. Du gehörst jetzt zu uns.“

Es wärmte mir das Herz, das zu hören.
 

Wir machten uns bereit, um abzureisen, doch eine Sache ließ mir keine Ruhe. Gins Worte.

Irgendetwas musste Aizen davon abgehalten, seinen Test an mir bis zum Ende durchzuführen. Doch was war es?

Nur einen Tag später bekam ich den Hauch einer Ahnung.
 

Wir waren gerade dabei unsere Sachen auf einen alten Kutschbock zu verfrachten, da hörte ich plötzlich, wie Fensterläden zu geknallt wurden. Kinder liefen schreiend in die Arme ihrer Eltern und Männer griffen sich Waffen. Seit Manas Entführung fürchteten die Dorfbewohner jeden, der auch nur annähernd wie ein Shinigami aussah.

Ich griff nach meinem Schwert, doch dann erkannte ich das sich nähernde Reiatsu.

„Shin!“ Er kratzte sich verlegen am Kopf, als sei es ihm unangenehm, eine solche Reaktion auszulösen.

„Keine Sorge, er ist mein Freund, er ist einer von den Guten“, beschwichtigte ich unsere Nachbarin, die ängstlich zurückgewichen war.

„Das kann ich bestätigen. Er hat mich vor der herabstürzenden Decke gerettet!“, hörte ich Mana rufen und die Leute um uns herum begannen sich zu entspannen.
 

„Akari, können wir kurz reden?“, fragte er und wirkte ernst, ich schluckte und folgte ihm ein paar Meter, sodass wir unter vier Augen waren.

„Was gibt es?“

„Zwei Dinge“, begann er und kramte in seiner Tasche. Er holte ein hölzernes Emblem heraus und mir stockte der Atem.

„Wäre das in Ordnung für dich?“, fragte er und ich fiel ihm in die Arme.

„Das wäre mehr als in Ordnung!“, rief ich und spürte, wie sich Tränen der Erleichterung in meinen Augen sammelten. Shin hielt das Kommandantenwappen der zehnten Kompanie in der Hand.

„Es wäre mir eine Ehre, dich als Nachfolger zu haben“, sagte ich und löste mich von ihm. Shin betrachtete das Emblem.

„Du wolltest diesen Job nie, was hat sich nun geändert?“

Er ballte die Hände zu Fäusten, als er meine Frage hörte.
 

„Aizen“, sagte er schlicht.

„Was er mit Rangiku gemacht hat, ist unverzeihlich. Ich habe lange darüber nachgedacht und schließlich festgestellt, dass er nicht so leichtes Spiel gehabt hätte, wenn wir einen Kommandanten gehabt hätten. Als Offizier habe ich keine Befugnis, mich ihm in den Weg zu stellen, als Kommandant allerdings, kann ich wenigstens das Schlimmste verhindern.“

„Danke.“

Shin steckte das Wappen mit dem Zeichen des Kommandanten wieder in seine Tasche und sah sich nun kurz um.

„Da ist noch etwas...“, murmelte er und beobachtete mich nun sehr genau.

„Was denn?“ Er zog einen Brief aus seiner Tasche, auf dem mit einer ordentlichen und leicht verschnörkelten Schrift mein Name geschrieben stand.
 

„Rangiku hat mir den gegeben für dich... Allerdings weiß ich, dass nicht sie ihn geschrieben hat. Ich weiß nicht, von wem er wirklich kommt.“

Ich nahm den Brief vorsichtig in meine Hände und betrachtete die Schrift eindringlich.

„Ich weiß, von wem er kommt“, stellte ich fest und Shin zog eine Augenbraue hoch.

„Na dann ist ja alles gut“, sagte er, doch es klang ein wenig wie eine Frage.

Ich nickte und schob den Brief in meine Innentasche, dann verabschiedete ich mich mit einer festen Umarmung von ihm.

„Pass auf die Zehnte auf, Kommandant Shiba“, raunte ich ihm zu und er antwortete mit einem Grinsen.
 


 

Wir fuhren mit der Kutsche den ganzen Tag durch, erst als die Sonne lange untergegangen war, schlugen wir ein Lager auf. Miaka kochte eine Suppe auf einem Feuer und ich fühlte mich ein wenig wie auf einem Campingausflug. Nach dem Essen schliefen die beiden rasch ein und ich nutzte den Moment, um den Brief aus meiner Tasche zu holen.

Ich erkannte diese Schrift, sie hatte sich in den vielen Jahren nicht geändert: Gin.
 

Vorsichtig öffnete ich den Umschlag, es war ein kurzer Text, den ich stirnrunzelnd durchlas.

„Er wurde verwundet. Irgendjemand hat ihn dort angegriffen.“
 

Das war die gesamte Nachricht. Mein Herz klopfte wild in meiner Brust. Wer hatte Aizen angegriffen? War es ein Verbündeter?

Ein Gedanke, der so absurd war und mir dennoch den Atem abschnürte, kroch in meine Gedanken. Kisuke.

Ich weckte Miaka und sie musterte mich mit einer gerunzelten Stirn.
 

„Ich bin vor dem Morgengrauen zurück“, flüsterte ich und sie packte meinen Arm.

„Akari, hör auf, dich in Gefahr zu begeben.“

Ich presste die Lippen aufeinander. Dann jedoch lächelte Miaka traurig. Sie wusste, dass sie es mir nicht ausreden konnte.
 

Ich brauchte mehrere Stunden, um den Ort wiederzufinden, an dem Rangiku und Mana gefangen gehalten worden waren. Das alte Fabrikgebäude stand eingestürzt vor uns. Weit und breit spürte ich keinerlei spirituelle Energie.
 

Doch warum war das Gebäude überhaupt eingestürzt?

Wie konnte ich mir jetzt erst diese Frage stellen?

Shin hatte berichtet, dass er in das Gebäude eingedrungen war, als es bereits zusammenzubrechen begann.

Doch wer hatte es zerstört?
 

Ich suchte das gesamte Gebiet ab und entdeckte schließlich seltsame Spuren in der Erde. Kampfspuren!

Gin hatte Recht, Aizen musste gegen irgendjemanden gekämpft haben. Übelkeit stieg in mir hoch und meine Hände begannen zu zittern. Ich suchte jeden Zentimeter des Gebietes ab, konnte jedoch keinerlei Reiatsu-Reste entdecken. Meine Fähigkeiten in den medizinischen Bereichen waren zwar nicht besonders ausgeprägt, doch einen kürzlich verstorbenen Shinigami, der auf dem Niveau eines Kommandanten gekämpft hatte, hätte ich sicher wahrgenommen.
 

Ich erlaubte mir, einen Hauch von Erleichterung. Falls Kisuke aus irgendeinem Grund hier aufgetaucht sein sollte, war er nicht tot. Ich schüttelte den Gedanken ab. Mittlerweile war ich mir sicher, dass er es nicht gewesen sein konnte.

Selbst wenn er nach dem Kampf so verletzt zurückgeblieben wäre, dass er es nicht geschafft hätte, sich uns zu zeigen, wäre Yoruichi sein Verschwinden in der Welt der Lebenden aufgefallen. Sie wäre zurückgekehrt und hätte mich darüber informiert. Nein, es war nicht Kisuke, der sich Aizen in den Weg gestellt hatte.

Doch wer dann?

Wer hatte sich hier eingemischt?
 

Ich zuckte zusammen. Aus meinem Augenwinkel hatte ich eine Bewegung wahrgenommen. Innerhalb des Bruchteils einer Sekunde hielt ich mein Schwert in der Hand und musterte den Horizont in der Dunkelheit der Nacht. Da war etwas.

Mit höchster Konzentration hielt ich darauf zu. Ich musste vorsichtig sein, denn auch dies konnte noch immer zum Teil von Aizens Plan gehören.
 

Ich kam an einem Waldrand an und ließ mein Schwert sinken.

Dort auf dem Boden saß ein junger Mann, dessen Körper mit Blut überströmt war. Er lehnte an einem Baum und sein Atem ging rasselnd. Langsam öffnete er seien Augen und ich senkte mein Schwert. In seinem Blick lag keinerlei Feindseligkeit.

„Hast du gegen Aizen gekämpft?“, fragte ich, ehe ich wirklich darüber nachgedacht hatte. Der junge Mann verzog das Gesicht zu einem schmerzverzerrten Grinsen.
 

„Der Shinigami mit der Brille?“, fragte er und ich nickte.

„Dann ja, das habe ich.“

„Warum?“

„Ich sah, wie er zwei Mädchen entführte, und einsperrte. Offensichtlich wollte er sie als Lockvögel benutzen. Du warst auch dort, nicht wahr?“
 

Ich starrte ihn entgeistert an. Auch, wenn ich froh war, dass es nicht Kisuke oder jemand anderes war, den ich kannte, spürte ich einen Hauch von Enttäuschung. Ich dachte, ein Verbündeter habe uns gerettet, doch es stellte sich heraus, dass es nur jemand war, der Aizen bei einem seiner Verbrechen erwischt hatte.

„Wie kann es sein, dass du noch lebst?“
 

Ich wusste, dass ich unhöflich war. Dieser arme Kerl hatte ein Verbrechen gesehen und wollte es bekämpfen und ich entgegnete ihm mit Misstrauen. Doch ich konnte nicht anders. Nicht, nach allem, was ich erlebt hatte.

Er lachte kurz auf.
 

„Die Fähigkeit meine Zanpakuto hat ihn wohl kalt erwischt. Ich konnte ihn überraschen und mich so vor ihm verstecken.“

„Du konntest dich vor ihm verstecken? Warum zeigst du dich mir jetzt also?“

„Weil ich das Gefühl habe, dass du eine von den Guten bist. Vor allem aber, weil du meine einzige Chance bist, zu überleben. Hier kommt kaum jemals jemand vorbei und so würden meine Verletzungen mich innerhalb der nächsten Tage langsam töten. Wenn du nun meine Feindin bist, sterbe ich lediglich schneller.“

Ich ließ mein Schwert nun vollends sinken.
 

„Meine Heilfähigkeiten sind nicht besonders gut“, gab ich zu, doch er lächelte.

„Sie werden reichen. Bring mich bitte nur nicht in diese verfluchte Stadt.“

Ich kniff die Augen zusammen.

„In Seireitei gibt es Leute, die könnten deine Wunde innerhalb von Minuten heilen.“

„Lieber sterbe ich, als dorthin zu gehen. Also, Akari, es ist deine Entscheidung. Wenn du mir helfen willst, dann nur du allein. Ansonsten, lass mich sterben.“

„Woher kennst du meinen Namen?“

„Aizen hat ihn benutzt.“
 

Ich kniete mich zu ihm herunter und sah ihm nun direkt in die Augen. Sie waren voll von Schmerz, doch es war nicht nur der physische Schmerz, der ihn quälte. Ich spürte, dass der Fremde viele Dinge ungesagt ließ, doch ich entschied, ihn danach später zu fragen.

„Ich werde dir helfen. Aber vorher musst du mir noch deinen Namen verraten.“

„Ich heiße Sato.“
 


 

Ich hielt mein Versprechen Miaka gegenüber und kehrte vor Anbruch des Sonnenaufgangs zurück.

Sato trug ich dabei auf meinem Rücken. Ich hatte ihn mehrere Stunden lang mit meinen unausgereiften Heilkräften versucht, wieder auf die Beine zu bringen. Ich musste dringend an diesen Fähigkeiten arbeiten.
 

Immerhin hatte ich es geschafft, Satos Wunden soweit zu verschließen, dass ich ihn transportieren konnte.

Miaka und Mana erschraken erst, nahmen sich unserem Gast jedoch sogleich an. Miaka wusch das Blut von seinem Gesicht und Mana bereitete etwas Essen vor.

Sato bedankte sich überschwänglich und schon bald lag er auf unserem Kutschbock. Wir setzten unsere Suche nach einem neuen Zuhause fort. Erst drei Tage später fanden wir einen Ort, der uns zusagte. Es war ein kleines Dorf am Rande eines hübschen Sees.

Hier würden wir uns ein neues Heim errichten. Es dauerte ein paar Tage, bis das Grundgerüst stand.

Sato, der sich langsam von seinen Verletzungen erholte, begann uns zu helfen. Er verstand sich gut mit Mana und sich sah die beiden oft miteinander scherzen.
 

„Er ist ein netter, junger Mann“, bemerkte Miaka, als sie meinen Blick auf die beiden sah. Ich stimmte ihr zu, konnte jedoch nicht anders, als ihm noch immer zu misstrauen.

Sato war offensichtlich ein Shinigami – zumindest trug er ein Zanpakuto bei sich. Er trug jedoch keine Uniform und hatte sich so vehement geweigert, Seireitei zu betreten, dass er lieber gestorben wäre.

Dies konnte nur wenige Gründe haben. War er ein verstoßener Verbrecher?
 

Und wenn ja – wie konnte ich ihm dabei wirklich misstrauen, wo ich doch auch genau das war? Eine Verbannte?

Irgendetwas an Sato ließ mich stets wachsam bleiben. Ich bemerkte die Seitenblicke, die er mir zuwarf und auch die nachdenklichen Gesichtsausdrücke, die er aufsetzte, wenn er allein war.
 

Doch nach und nach legte sich dieses Misstrauen. Ich schalt mich selbst dafür, denn ich wusste, dass ich es aufrecht halten sollte, doch Sato war ein so liebenswerter Kerl, dass es mir schwerfiel.

Er half den Dorfbewohnern, wo er nur konnte und arbeitete hart, um unserem Haushalt etwas zurückgeben zu können, nachdem wir ihn aufgenommen hatten. Er besorgte Essen, kochte, griff handwerklich ein, wo immer Hilfe benötigt wurde – vor allem aber brachte er eine Freude in unsere kleine Familie, die ich schon verloren geglaubt hatte.
 

Doch obwohl ich begann, seine Nähe zu genießen, kam ich nicht umhin, die Freude aus seinen Augen schwinden zu sehen, wann immer er allein war.
 

Ich fasste mir ein Herz und sprach Sato an.

Mit vielem hatte ich gerechnet, nicht jedoch, dass seine Augen sich mit Tränen füllten.

Er schüttelte den Kopf.

„Verzeih meinen Gefühlsausbruch.“ Er wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln und schenkte mir ein Lächeln. Seine Augen jedoch verrieten mir noch immer seine Trauer.

„Wie kann es sein, dass jemand, der so viel erlitten hat wie du, mich fragt, was mich bedrückt?“, brachte er hervor und ich öffnete den Mund, war jedoch zu verwirrt, um zu antworten.

Sato zuckte mit den Schultern.

„Mana hat mir ein bisschen was über dich erzählt.“
 

Ich zog die Augenbrauen zusammen. Hoffentlich hatte Mana nicht zu viel erzählt. Sato lächelte.

„Ich weiß, dass sie mir nur einen Bruchteil dessen erzählen konnte, was dir wirklich widerfahren ist und doch habe ich eins begriffen ... dein Feind hat dir nach und nach immer mehr genommen. Menschen, die dir wichtig waren, deine Karriere, dein Zuhause ... und doch stehst du hier und wirkst fest entschlossen, ihm weiterhin entgegenzutreten. Das bewundere ich.“

Ich spürte einen Kloß in meinem Hals und Tränen, die sich ihren Weg in meine Augen bahnten. Ich schluckte den Kloß herunter.

„Und was ist mit dir, Sato? Wer ist dein Feind? Ich sehe in deinen Augen, dass auch du viel durchgemacht hast.“
 

Sato lächelte etwas breiter und zog die Schultern hoch.

„Mir wurden Chancen genommen. Meine Vergangenheit war nicht wie deine und doch hege ich einen Groll, der deinem nicht unähnlich ist.“

Für den Hauch einer Sekunde hatte ich das Gefühl, den Zorn durch seine warmen braunen Augen blitzen zu sehen. Dann jedoch kehrte die Trauer zurück.

Ich beschloss, Sato weiterhin im Auge zu behalten, auch wenn ich mittlerweile sicher war, was seine Gesinnung anging.
 


 

Ich versuchte, es in die Länge zu ziehen, kam jedoch nicht umhin, eines zu erkennen: Ich musste nach Seireitei zurückkehren.

Miaka und Mana baten mich, es nicht zu tun, doch ich wusste, dass ich in meinem Kampf gegen Aizen nicht vorankam, wenn ich mich versteckte. Ich musste dringend herausfinden, wie ich die Armreifen loswerden und so zu meiner alten Kraft zurückfinden konnte.

Doch mir war auch klar, dass es Miaka und Mana erneut in Gefahr bringen konnte. Tagelang zermarterte ich mir den Kopf, doch ich kam immer wieder zu der gleichen Erkenntnis.
 

Mein Herz war schwer wie Blei, als ich den beiden meine Entscheidung mitteilen musste.

„Ich werde nicht zu euch zurückkehren.“
 

Mana wollte protestieren, doch Miaka legte ihr eine Hand auf die Schulter und sah mich durchdringend an.

„Ich verstehe, dass du uns beschützen willst, Akari. Sei dir jedoch bewusst, dass du bei uns jederzeit willkommen bist. Was immer auch geschieht, wir würden dich niemals für die Untaten deiner Feinde verantwortlich machen.“

Ich konnte die Tränen nicht verhindern, die mir die Sicht verschwimmen ließen. Mit einer kräftigen Umarmung verabschiedete ich mich von Miaka, dann von Mana, die mich noch immer verzweifelt ansah.
 

„Akari, du bist wie eine Schwester für mich geworden. Bitte versprich mir, dass du das überlebst, und dann kommst du uns besuchen und stellst uns endlich Kisuke vor, ja?“

Ich lachte auf, drückte sie erneut an mich und versprach es ihr. Sato stand im Hintergrund, der Blick unergründlich.

Ich spürte es, noch bevor er es ausgesprochen hatte.

„Ich werde dich begleiten.“
 

Es schien Miaka und Mana nicht zu überraschen und doch sah ich die Enttäuschung in Manas Gesicht. Sie schien sich sehr an seine Anwesenheit gewöhnt zu haben.

„Warum?“, fragte ich und Satos Gesichtsausdruck wechselte von entschlossen zu belustigt.

„Weil ich dir etwas schulde. Du hast mich gerettet, wenn dich nun jemand angreift, werde ich dir helfen.“

„Wenn du mir wirklich helfen willst, bleib hier und kümmere dich um die beiden. Damit wären wir quitt.“
 

„Das kann ich nicht. Ich war schon viel zu lange von zuhause fort und werde bald dorthin zurückkehren müssen. Bis dahin werde ich versuchen, meine Schuld bei dir gutzumachen, Akari.“

Ich gab nach und erlaubte ihm, mich zu begleiten.

Dabei würde ich vielleicht auch endlich herausfinden, was es wirklich mit ihm auf sich hatte. Noch vor wenigen Tagen wäre Sato lieber gestorben, als nach Seireitei zu gehen und nun bat er freiwillig an, mich zu begleiten.

Gedankenverloren knabberte ich an meiner Unterlippe. Ich spürte es. Sato war nicht rein zufällig in meinem Leben aufgetaucht und schon bald würde ich den Grund dafür erfahren.
 

Bitte sei kein Feind, dachte ich und schalt mich selbst sofort für den Gedanken. Ich kannte diesen Mann erst seit wenigen Tagen und durfte meine Deckung nicht vernachlässigen, nur weil ich ihn gut leiden konnte.

Mit einem Lächeln auf dem Gesicht und wachsamen Augen machten wir uns auf den Weg, zurück nach Seireitei.

Hundert Jahre ohne Dich Teil 6: Einsamkeit

Fast zwei Tage waren vergangen, bis wir uns Seireitei endlich näherten.

Sato hatte vorgeschlagen, einen Umweg zu nehmen, um eventuelle Spione meines Feindes nicht zu verraten, aus welcher Richtung wir gekommen waren. Obwohl ich allem, was er sagte, misstrauisch gegenüberstehen wollte, kam ich nicht umhin, den Vorschlag anzunehmen.
 

Miakas und Manas Sicherheit hatte Vorrang und ich würde nicht riskieren, ihren Aufenthaltsort erneut zu verraten. Auch meine Freunde würden nichts über das neue Zuhause der beiden erfahren.
 

Die Stadtmauern Seireiteis kamen in Sichtweite und ein Stein legte sich in meinen Magen. Angst kroch in mir hoch. Meine Hände wurden schwitzig und mein Herz schlug mit jedem Schritt, den ich machte, schneller. Die Furcht, erneut schlechte Nachrichten zu erhalten, verlangsamte mich. Ich nahm einen tiefen Atemzug und versuchte, die Sorgen herunterzuschlucken. Es brachte nichts, sich Gedanken über Dinge zu machen, die noch nicht geschehen war.
 

Ich hielt inne, als mir auffiel, dass Sato mir nicht weiter folgte. Sein Blick schien in weite Ferne zu blicken, dann jedoch grinste er mich an.

„Ich werde hier direkt vor den Toren auf dich warten, Akari.“
 

„Du wirst nicht mit reinkommen?“

Sato grinste noch breiter, doch es erreichte seine Augen nicht. Flink zog er etwas aus seiner Hosentasche, es ähnelte einem kleinen Kristall.

„Nimm das hier mit. Wenn du Hilfe brauchst, umschließe in mit deiner Hand und lass etwas Reiatsu hineinfließen, dann finde ich dich.“

Ich nahm den Stein verdutzt an und runzelte die Stirn.
 

„Also würdest du die Stadt nur dann betreten, wenn ich deine Hilfe bräuchte?“

Er zuckte mit den Achseln. „Wie gesagt, ich schulde dir etwas. Aber solange alles gut ist, gibt es für mich keinen Grund, diesen Ort zu betreten.“

„Warum hasst du Seireitei so sehr?“

Satos Augenlider senkten sich.
 

„Ich bin noch nicht bereit, darüber zu sprechen. Aber vielleicht werde ich das eines Tages. Bis später dann, Akari. Und sei vorsichtig, immerhin ist dein Feind an diesem Ort.“
 

Er warf einen letzten besorgten Blick auf die Stadt und verschwand. Ich betrachtete den milchigen Kristall in meiner Hand und ließ ihn in meiner Hosentasche verschwinden.

Ich straffte die Schultern und betrat die Stadt.
 


 

Den ganzen Weg bis Seireitei hatte ich mir keinerlei Gedanken gemacht, was mein erster Anlaufort sein würde.

Mein Haus kam nicht in Frage. Seit Yamachis Tod gab es dort nichts mehr für mich und es zu betreten würde mich nur schmerzen. Außerdem konnte es zu unangenehmen Fragen kommen, sollte jemand Licht im Anwesen der Miyazaki-Familie sehen.

Mein zweiter Gedanke war, Byakuyas Villa aufzusuchen, doch mir war klar, dass er dort nicht sein würde. Also schlich ich mich ohne Umwege in die sechste Kompanie.
 

Byakuya saß an einem Schreibtisch, der voll mit Papierdokumenten war. Er drehte sich nicht einmal zu mir um, obwohl er mich wahrnehmen musste. Seine Feder glitt über das Papier und er legte es auf einen Stapel, nur um nach dem nächsten Dokument zu greifen.

„Du solltest nicht hier sein“, brummte er und ich ließ mich auf einen Sessel fallen.

Sein Blick streifte mich nur kurz, bevor er sich wieder seiner Arbeit widmete.
 

„Ich weiß. Ich bringe nur alle in Gefahr, das ist mir bewusst. Aber es gibt etwas, um das ich dich bitten muss, Byakuya.“

Byakuya schrieb sein Papier weitere fünf Minuten lang voll, legte es zur Seite und wandte sich mir nun endlich zu. Was ich in seinen Augen entdeckte, schnürte mir den Atem ab. Der Schmerz, den ich bei unserer letzten Begegnung noch in seinem Blick gesehen hatte, wurde von einer kühlen Gleichgültigkeit überschattet.

„Was für einen Gefallen?“, fragte er und ich senkte den Blick auf meine Armreifen.
 

„Ich muss herausfinden, was das für ein Material ist. Du hast Zugang zur Bibliothek der Gotei 13, selbst zur verbotenen Abteilung.“

„Jeder Gang in die verbotene Abteilung wird dokumentiert.“

„Ich weiß. Aber du gehörst zu jenen, die dort hin und wieder hineingehen. Es wird kein Aufsehen erregen, wenn du es wieder tust.“

Byakuya seufzte und schloss kurz die Augen, als müsse er über meine Bitte nachdenken.

„Das stimmt. Es wird kein Aufsehen erregen, wenn ich dort hineingehe. Wenn ich aber mehrere Tage in folge dort meine Zeit verbringe, wird es sicher auffallen. Du musst also Vorarbeit leisten, Akari.“

Ich ballte die Hände zu Fäusten.

„Ich weiß.“
 

„Ich würde dir helfen, aber ich habe zu viel zu tun und Aizen beobachtet mich immer noch. Wenn du also Zeit mit mir verbringst, erhöhst du die Chance, dass er dich entdeckt. Genauso ist es mit Shin. Als dein Nachfolger wird auch er auf Aizens Radar sein, genau wie Matsumoto.“

Ich legte den Kopf schief und lächelte.
 

„Aus der normalen Abteilung können die Bücher mitgenommen werden. Trage es ein paar deiner Untergebenen auf und lass sie mir die Bücher dann bringen, sodass ich mich irgendwo zurückziehen und Nachforschungen anstellen kann. Sobald ich weiß, wonach wir wirklich suchen müssen, gebe ich dir Bescheid.“

Byakuya überlegte einen Moment, nickte dann schließlich.

„Das sollte funktionieren.“
 


 

Bereits wenige Stunden später hielt ich die ersten Bücher in der Hand. Obwohl ich mich lange überwinden musste, hatte ich es schließlich doch gewagt, mein Haus zu betreten.

Ich sorgte dafür, dass alle Vorhänge zugezogen waren und ich nur eine kleine Kerze auf einem Tisch als Lichtquelle nutzte, sodass es von außen nicht auffallen sollte.

Schon nach wenigen Stunden ließ ich den Kopf auf die Tischplatte sinken. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, wo ich beginnen sollte. Byakuya hatte verschiedenste Bücher zusammentragen lassen, dabei auch solche, die absolut nichts mit der Lösung meines Problems zu tun hatten. So wollte er verhindern, dass irgendjemand herausfand, wonach wir suchten.
 

Die Bücher, die ich mir als erstes vornahm, waren die Geschichte der verurteilten Verbrecher Seireiteis und deren Strafen.

Anfangs las ich hochmotiviert von Mördern, Deserteuren und Shinigami, die schlicht und einfach zu viele Regeln gebrochen hatten. Von Verbannung, bis hin zu Gefängnis-, aber auch Todesstrafen fand ich allerlei.

Doch nichts davon war mit meinen Armreifen zu vergleichen.

Ich nahm einen tiefen Atemzug und versuchte, die aufkeimende Verzweiflung zu unterdrücken. Es war wie die Suche nach der Nadel in einem Heuhaufen.
 


 

Ganze drei Tage suchte ich, ohne auch nur den geringsten Fortschritt zu machen. Meine Verzweiflung wuchs und ich fand keinen Weg hinaus.

Byakuya schickte nach und nach Bücher zu mir, doch er selbst hatte keine Zeit, sich zusammen mit mir durch die Texte zu wälzen. Ich musste mit jemandem sprechen, musste mir meine Sorgen von der Seele reden und so stand ich niedergeschlagen vor der zehnten Kompanie. Meine Hand erstarrte in der Luft und ich musterte die Maserung der Tür.
 

Konnte ich Rangiku wirklich weiterhin dieser Gefahr aussetzen? Und Shin? Er war nun Kommandant und hatte sicher alle Hände voll damit, wieder Struktur in die zehnte Kompanie zu bringen. Ich sollte ihn mit meinen Sorgen und Nöten nicht weiter belasten.

Ein Geräusch ließ mich zusammenzucken. So schnell ich konnte, wich ich vom Hauptgebäude der Kompanie zurück und konnte aus einem Baum in der Nähe beobachten, wie Rangiku durch die Tür marschierte. Sie hielt kurz inne, offensichtlich hatte sie einen Hauch meiner Anwesenheit wahrgenommen, zuckte dann jedoch mit den Schultern und setzte ihren Weg fort.
 

Ich starrte ihr einen Moment hinterher und spürte die Trauer, die mein Herz erfüllte. Aizen war dabei, mich nach und nach von allen Menschen zu trennen, die mir wichtig waren. Ein Gefühl, dass ich mein ganzes Leben lang von mir gewiesen hatte, schlich sich in mein Herz, in meinen Verstand. Griff nach mir, mit eisigen Fingern, verschlang mich unbarmherzig.

Einsamkeit.
 

Obwohl es noch immer Menschen gab, die ich über alles liebte, waren sie so weit weg von mir, wie noch nie zuvor in meinem Leben. Rangiku befand sich nur wenige Meter von mir entfernt und doch schien sie eine ganze Welt von mir weg zu sein.

Ihr Leben war weitergegangen, an jenem Tag, an dem Aizen meines erschüttert hatte. Er hatte mich aus meinem Umfeld gerissen und nicht nur die Menschen, die ich liebte von mir gezerrt – nein, er hatte meine Ziele, all meine Träume für die Zukunft in tausend Scherben zersplittern lassen.
 

Rangiku hatte ihre Träume und Ziele noch. Natürlich war auch sie von alldem betroffen und würde immer zu mir stehen und doch war ihr Schicksal nicht so aus den Fugen gerissen, wie meines.

Sie hatte noch eine Zukunft in Seireitei. Ich nicht.
 

Die Tränen auf meinen Wangen holten mich aus meinen düsteren Gedanken. Ich wischte sie weg und erhob mich von dem Ast, auf dem ich saß. Ich musste Rangiku und Shin hinter mir lassen.

Nur so konnte ich darauf hoffen, dass Aizen sie als keine Bedrohung mehr für sich sah und ihnen ihre Leben, wie sie waren, ließen.

Ich hatte schon Byakuyas Zukunft zerstört, indem ich ihn zu sehr in meine Angelegenheiten hereingezogen hatte. Rangiku und Shin sollte nicht dasselbe widerfahren.
 


 

Stunden vergingen, bis ich mich erschöpft auf einen umgefallenen Baum fallen ließ. Ich starrte in den Wald hinaus und genoss die Ruhe der Umgebung.

Nachdem ich beschlossen hatte, Rangiku und Shin nicht mehr aufzusuchen, war ich wahllos durch Rukongai geirrt. Ziellos hatte ich Städte und Dörfer betrachtet, war durch leere Einöden spaziert und hatte die Menschen beobachtet, die versuchten ihre Leben zu meistern.

Nun saß ich in einem Waldstück am Rande eines Dorfes und starrte auf einen kleinen See, der glitzernd das Sonnenlicht reflektierte. In meinem Inneren spürte ich nichts weiter als eine tiefe Leere.

Ich zuckte zusammen. Ein Reiatsu.
 

Mit wachem Blick und der Hand am Schwertgriff sah ich mich um. Erstaunt ließ ich die Hand sinken. Nur wenige Meter neben mir kam ein Junge aus dem Dickicht des Waldes. Er trug zwei Holzeimer, die voll mit Seewasser waren und starrte mich mit skeptischem Blick an. Ich konnte ihm am Gesicht ablesen, dass er angestrengt versuchte, zu erahnen, ob ich eine Gefahr für ihn und sein Dorf darstellte.
 

„Hallo“, begrüßte ich ihn und setzte ein freundliches Lächeln auf.

„Fremde sind hier nicht willkommen“, antwortete er und ich bemerkte seine zu Fäusten geballten Hände.

„Ich habe kein Interesse daran, euer Dorf zu betreten. Ich mache hier nur eine Pause.“

„Ich warne dich! Wenn du uns etwas tust, wirst du es mit einem Shinigami zu tun bekommen. Ich bin nämlich mit einem befreundet!“

Ich riss die Augenbrauen in die Höhe.
 

„Oh, dann werde ich mich hüten, dir etwas zu tun“, gab ich von mir. Der Junge verzog verärgert das Gesicht.

„Mach dich ja nicht über mich lustig!“

Ich erhob mich und er ließ die Eimer fallen, die Hände erhoben. In meinem Herzen spürte ich einen kleinen Stich. Das Misstrauen, dass die Bewohner Rukongais jedem Fremden entgegenbrachten, war nicht unberechtigt. Es schmerzte mich, zu wissen, dass das Leben in diesen Bezirken so hart war und wir in Seireitei im Überfluss lebten.
 

„Ich gebe dir einen Tipp“, im Bruchteil einer Sekunde stand ich direkt neben ihm, spürte seinen Schock und fühlte die Panik, die ihn ergriff. Er realisierte in diesem Moment, dass ich mehr war, als eine fremde Bewohnerin Rukongais.

„Du trägst spirituelle Energie in dir und von dem, was ich so wahrnehme, hast du sehr großes Potential. Wenn du weiter in deinem Dorf bleibst, wirst du selbst bald zu einer Gefahr, für alle, in deiner Nähe.“
 

Ich machte einen Schritt zurück und lächelte ihn an. Er beruhigte sich und ließ die Schultern hängen.

„Ich soll also nach Seireitei gehen und mich zum Shinigami ausbilden lassen? Dabei all meine Freunde zurücklassen?“

Ich sah die Furcht, aber auch etwas anderes, das aus seinen Augen blitzte. Es war die Art von Aufregung, die einen durchflutete, wenn ein großes Abenteuer vor einem lag.
 

„Nur weil du an einem anderen Ort sein wirst, heißt es nicht, dass du deine Freunde hinter dir lässt. Außerdem wirst du viele neue Freunde finden. Kameraden, die ihr Leben für dich riskieren würden.“
 

Ich musste mich zusammenreißen, meine Stimme zitterte. Das Bild von meinen Freunden, lachend auf einer Picknickdecke auf unserer Lieblingswiese der Akademie blitzte vor mir auf. Ich hörte ihr lachen und spürte die Freude, die mich damals durchflutet hatte.

„Du hast Recht. Nur, wenn ich neue Freunde finde, sind die alten ja nicht weg ... dann habe ich eben mehr Freunde. Ich werde darüber nachdenken.“
 

Die Worte drangen in mein Innerstes vor und machten mir etwas klar. Auch ich war in einer ähnlichen Situation. Ich musste meine Freunde hinter mir lassen und einen neuen Lebensabschnitt beginnen.

Der Junge hob die Eimer wieder hoch und ich kratzte mich verlegen am Hinterkopf.

„Entschuldige, dass ich dich erschreckt habe.“
 

Sein Gesicht rötete sich und er murmelte etwas, das ich nicht ganz verstand, aber klang wie „Habe mich nur kampfbereit gemacht“

„Wer bist du eigentlich? Wie ein Shinigami siehst du nicht gerade aus", fragte er mit gerunzelter Stirn.
 

Ich lachte und zuckte mit den Achseln.

„Mein Name ist Akari Miyazaki und ich bin ein Shinigami, aber zurzeit nicht im Dienst. Ich muss auch gleich los, ich habe noch einiges zu erledigen heute. Aber verrate mir doch vorher auch noch deinen Namen.“
 

Er grinste breit: „Ich bin Toshiro. Toshiro Hitsugaya!“

„Das ist ein starker Name“, gab ich zu und Toshiros Grinsen wurde breiter. Seine eisblauen Augen funkelten mich belustigt an, dann jedoch wanderte sein Blick auf meinen Arm.

„Was ist das eigentlich? Es fühlt sich seltsam an! Irgendwie kalt.“

Er zeigte auf meinen Armreifen und ich runzelte die Stirn.
 

„Du solltest wirklich ganz bald nach Seireitei gehen, wenn du so etwas schon wahrnehmen kannst. Das sind Armreifen, die meine Kräfte bannen.“

„Warum solltest du so etwas tragen?“
 

Ich antwortete nicht. Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf und ich hatte das Gefühl, endlich einen Ansatzpunkt zu haben.

„Ich muss los. Danke dir Toshiro! Vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder!“
 

Ohne auf seine Reaktion zu warten, verschwand ich von der Lichtung und machte mich auf den Weg, zurück nach Seireitei.

Doch bevor ich in mein Haus, an meinen Schreibtisch, zurückkehrte, würde ich noch dem einen Menschen einen Besuch abstatten, der seit kurzem zu meinen eigenen, neuen Freunden zählte: Sato.
 

Es dauerte eine Weile, bis ich ihn in einem Wirtshaus, nur wenige Gehminuten von den Toren Seireiteis fand.

Ich war den Hinweisen der Bewohner gefolgt, die mir noch immer wohlgesonnen waren und so betrat ich das Wirtshaus zum Eberkopf.

Sato saß an einem Tisch, den Blick verträumt auf einen Gegenstand in seiner Hand geheftet. Es sah aus, wie der Anhänger einer Halskette, die er stets trug. Sie war mir schon bei unserer ersten Begegnung aufgefallen.
 

Er zuckte zusammen und hob den Blick. Ich hatte einen Hauch meines Reiatsus durchblitzen lassen, um ihm eine Vorwarnung zu geben. Sein Mund verzog sich zu einem zögerlichen Grinsen.

Ich schob mich auf die Bank auf der anderen Seite des Tisches, sodass ich ihm gegenübersaß.
 

„Was darf’s sein, Akari Schätzchen?“, fragte die Wirtin mich und ich grinste sie an. „Bring mir was Starkes, ich hatte einen anstrengenden Tag.“

Sato wartete, bis die Wirtin weg war, bevor er mich ansprach.
 

„Konntest du etwas herausfinden?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Nicht wirklich, aber ich habe eine Erkenntnis gewonnen.“

Satos Augenbrauen tanzten in die Höhe und er legte erwartungsvoll den Kopf schief. „Ach ja?“
 

„Meine Mutter ist tot, mein Bruder ebenfalls ... ich habe die Verbindung zu Yoruichi und Kisuke verloren, musste Miaka und Mana hinter mir lassen, um sie zu schützen und auch meine anderen Freunde sollte ich meiden, um sie nicht weiter in diese Sache hineinzuziehen ... Einsamkeit hat sich in mir breitgemacht. Ich fühlte mich verlassen und das, obwohl all meine Freunde zu mir halten und auch, obwohl du mir deine Hilfe angeboten hast. Ich zögerte, sie anzunehmen, weil ich misstrauisch bin. Dabei hast du mir keinerlei Grund dafür gegeben.“

„Akari-“ Ich ließ Sato nicht ausreden.
 

„Du hast so viel für Miaka und Mana getan, für das Dorf ... du bist mir absolut nichts mehr schuldig Sato. Dass ich das zuvor nie gesagt habe, war, weil ich dich im Auge behalten wollte. Sehen wollte, ob du nicht doch eine Spielfigur Aizens bist“, ich schüttelte den Kopf und konnte ein verbittertes Lachen nicht unterdrücken, „Aber genau das ist es doch, was er will. Er säht Zwietracht und Misstrauen, wo immer er hingeht. Ich glaube nicht, dass Aizen je verstehen wird, was es heißt, Menschen zu haben, denen man von ganzem Herzen vertrauen kann und die man um alles in der Welt beschützen will. Es mag närrisch sein, aber ich mag dich Sato. Du bist ein guter Kerl. Du schuldest mir wirklich absolut gar nichts mehr, aber ...“
 

Ich stockte und sah ihm nun zum ersten Mal, seitdem ich angefangen hatte zu sprechen, tief in die Augen.

„Aber ich würde mich freuen, wenn du bleibst und mir als Freund zur Seite stehst. Ich möchte dir vertrauen, das ist mein naturell. Ich bin kein misstrauischer Mensch, auch, wenn ich das vielleicht mehr sein sollte.“
 

Satos Augen nahmen einen seltsamen Glanz an. Er lächelte.

„Ich wäre gern dein Freund, Akari und werde dir zur Seite stehen. Was kann ich tun, um dir zu helfen?“
 

„Such die Bibliothek hier im ersten Bezirk von Rukongai auf und suche nach allem, was du zum Thema Bannsteine findest. Kristalle, Edelsteine, Metalle – alle Materialien, die Bannzauber in sich tragen können. Ich werde das gleiche in Seireitei tun.“
 

Satos Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen und aus seinen Augen strahlte feste Entschlossenheit: "Aye!"

Hundert Jahre ohne Dich Teil 7: Familie

Mit neuer Energie machte ich mich über die frisch angekommene Fuhre Bücher her. Ich hatte Byakuya eine Nachricht zukommen lassen, Schriften über Bannsteine herauszusuchen.

Was ich nicht bedacht hatte, war, dass es Unzählige davon gab.
 

Nicht wenige Bücher beschrieben die Bannfähigkeit von Metallen, die jedoch oft nicht von langer Dauer war. Edelsteine eigneten sich besser zur Konservierung von Bannzaubern über lange Zeiträume. Doch beschrieben die Bücher oft, wie die Metalle und Steine zu benutzen waren und welche Art von Banne, zu welchem Stein passte. Was sie jedoch ausließen, war immer, wie die Banne gelöst werden konnten.
 

Mein größter Rückschlag war ein Kapitel, dass die großen Vorteile von Bannsteinen beschrieb:

Im Gegensatz zu gewöhnlichen Bannzaubern, überdauern Zauber in Edelsteinen und Kristallen den Tod des Beschwörers und eignen sich so für Werke, die über lange Zeit fortbestehen sollen.

Ich seufzte. Nicht einmal Aizens Tod könnte also diese Fesseln von mir nehmen.
 

Wenn Aizen der Einzige war, der wusste, wie die Armreifen von mir zu nehmen waren, würde sein Tod also sogar bedeuten, dass ich für immer an die Soul Society und die Limitation gefesselt war.

Ich schlug das Buch zu.

Meine Augen schmerzten und ich musste dringend etwas Schlaf nachholen.
 

Am nächsten Morgen kehrte ich nach Rukongai zurück, um Sato zu treffen. Dieser war jedoch nicht im Wirtshaus und so vermutete ich ihn in der Bibliothek.

Ich hatte keine Lust, auf ihn zu warten, und so machte ich mich auf den Weg, ihm entgegenzugehen. Es war eine kleine Strecke, die aus dem bewohnten Gebiet heraus und in ein anderes Dorf hineinführte. Die Bewegung tat mir äußerst gut und so genoss ich den kleinen Spaziergang.
 

Nach einer Weile jedoch nervte mich das langsame Vorankommen und ich wechselte in Shunpo-Geschwindigkeit. Die Bibliothek war weiter außerhalb, als ich es in Erinnerung hatte und so rümpfte ich schon bald die Nase.

Die äußeren Bezirke Rukongais waren noch immer Schandflecke der Soul Society. Ich versuchte, das Gefühl des Bedauerns von mir abzustreifen. Einst hatte ich geschworen, die Umstände in Rukongai zu verbessern und den armen Seelen so zu einem besseren Leben zu verhelfen – nun konnte ich kaum mir selbst helfen.
 

„Haltet die Diebe!“

Ich zuckte zusammen. Zwei Personen liefen geradewegs an mir vorbei, ein aufgebrachter Händler stolperte hinter ihnen her.

Ich stutzte. So in Gedanken vertieft war ich lange nicht gewesen. Für einen Moment dachte ich darüber nach, meinen Weg schlicht fortzusetzen und die Sache zu ignorieren. Seufzend sprang ich dem Händler hinterher. Ich konnte doch nicht so einfach aus meiner Haut, wie gedacht.
 

„Ich kümmere mich darum“, brummte ich dem Händler zu, der nach Luft keuchend stehenblieb.

Ich verfolgte die Diebe unauffällig.

Erst als sie sich in einer kleinen Gasse weit entfernt des Marktplatzes niederließen und sich sicher fühlten, wagte ich es, einen richtigen Blick auf die beiden zu werfen.
 

Sie trugen schmutzige Kleidung, mit Rissen und Löchern versehen. Ein besonders großer Riss an der Hose des Jungen war mit einem Flicken notdürftig verschlossen. Ihre Arme und Beine waren mit Kratzern und blauen Flecken übersäht.

Der Junge biss freudig in den Apfel, während das Mädchen einen hastigen Schluck Wasser nahm.
 

„Das ist aber nicht die feine Art“, sagte ich gerade laut genug, dass sie es hören konnte.

Abrupt sprangen die beiden auf und schienen eine Art Kampfpose anzunehmen. Der Junge hielt sogar ein kleines Messer in meine Richtung. Ich wollte gerade etwas sagen, als mein Blick auf das Mädchen fiel. Mir stockte der Atem.

All meine wohl überlegten Worte fielen von mir ab und ich konnte nicht anders, als mit aufgerissenen Augen aus dem Schatten zu treten, in dem ich mich versteckte.
 

Der Junge attackierte mich mit seinem Messer und ohne mit der Wimper zu zucken wich ich aus, entwedete ihm die Waffe und hielt seine Arme am Rücken überkreuzt fest. Er schrie vor Schmerz auf, doch ich hatte nur Augen für das Mädchen.

Die Ähnlichkeit war unverkennbar. Ein dicker Kloß legte sich in meinen Hals und ich hatte für einen Moment verlernt zu sprechen. Kein Wort löste sich aus meinem Mund, obwohl ich so vieles sagen wollte.
 

Vor meinem inneren Auge blitzte Hisanas Gesicht auf. Wie sie gegen den schleichenden Tod kämpfte. Das Leuchten Kyoka Suigetsus in ihren Augen.

Ich sah Byakuya, dessen Gesicht von Wut und Trauer verzerrt war, erinnerte mich an die schwarzen Flaggen, die traurig im Wind flatterten. Byakuya, der stumm neben mir saß und die Wand anstarrte.

Dieses Mädchen musste Hisanas Schwester sein, daran bestand kein Zweifel.

Sogar ihr Reiatsu fühlte sich ähnlich an.
 

Das Einzige, was sie deutlich von ihrer älteren Schwester unterschied, war der feindselige Blick, mit dem sie mich nun strafte.

„Verschwinde und such dir dein eigenes Essen“, spie sie aus. Ich konnte einen Lacher nicht unterdrücken.

„An eurem Essen habe ich keinerlei Interesse.“

„Woran dann?“

„Recht und Ordnung in Rukongai zu verbreiten.“
 

Der Junge spuckte vor mir aus. „Pah, dass ich nicht lache! Niemand sorgt in Rukongai für Recht und Ordnung!“

Ich betrachtete ihn und stellte peinlich berührt fest, dass sein Gesicht noch immer von Schmerz verzerrt war. Abrupt ließ ich ihn los.

„Da hast du nicht ganz unrecht. Die Privilegierten sollten sich viel mehr darum kümmern. Was ist mit euch?“

„Wie, was ist mit uns?“

„Rukia, lass dich von der nicht in ein Gespräch verwickeln!“

Doch Rukia starrte mich fordernd an. "Sei leise, Renji", zischte sie ihrem Freund zu.

„Nun, warum nutzt ihr nicht eure Privilegien, um für Recht und Ordnung zu sorgen?“
 

„Was für Privilegien haben wir denn schon?“ Rukia rümpfte angewidert die Nase.

Ich nickte auf die gestohlene Nahrung, die am Boden verteilt lag, hauptsächlich Äpfel und Bananen.

„Ihr braucht Essen, also habt ihr spirituelle Kräfte. Warum die also nicht für etwas Gutes nutzen?“

„Etwas Gutes?“, fragte das Rukia nun misstrauisch und ich zuckte mit den Achseln.

„Na ihr könntet Shinigami werden.“

Renji schnaubte genervt auf.
 

„Das ist ja auch unser Plan, aber dafür müssen wir nach Seireitei gelangen und dafür müssen wir nun einmal überleben“, erklärte er patzig und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich sah in seinem Blick, dass er nicht sicher war, ob er mich fürchten sollte.

„Verstehe“, murmelte ich und kratzte mich am Hinterkopf.

„Ist nicht so leicht, sich hier durchzuschlagen, was? Ich mach euch einen Vorschlag. Ihr kommt mit mir zu dem Händler und entschuldigt euch-“, „Warum sollten wir-“, „Und dafür bringe ich euch sicher nach Seireitei.“

Renji wollte etwas sagen, doch Rukia warf ihm einen vielsagenden Blick zu.

„Warum?“, fragte sie und ihr Blick wurde nur noch ernster.
 

Ich schenkte ihr ein Lächeln.

„Einst hatte ich den Traum, das Leben für die Seelen Rukongais besser zu machen. Es war eines meiner großen Ziele. Ich hatte den Willen und die Macht dazu, vieles zu ändern hier draußen. Aber dann ... nun, dann wurde mir die Macht dazu entrissen. Jetzt ist alles, was ich noch habe, mein Willen und auch der ist ein Stück weit gebrochen. Es gibt also nicht mehr viel, das ich tun kann, um meinen einstigen Traum zu verwirklichen. Aber wenn ich damit, dass ich euch helfe, nur das Leben zweier Seelen etwas besser machen kann, dann ist das mehr als nichts. Nennt es albern, wenn ihr wollt. Mir wäre es eine große Freude, euch helfen zu können und so wieder ein kleines bisschen die Person zu sein, die ich einst war. Außerdem“, ich grinste nun breit und blinzelte die aufkeimenden Tränen fort, „Außerdem schulde ich es einem guten Freund von mir.“
 

„Was haben wir mit deinem guten Freund zu tun?“ Renjis Augenbrauen tanzten misstrauisch über seine Stirn.

„Das ist mein kleines Geheimnis. Vielleicht verrate ich es euch, wenn wir da sind.“

Ich marschierte an ihnen vorbei. Erst an der Ecke der Gasse angekommen war, drehte ich mich erneut zu ihnen herum.

„Was ist, kommt ihr nun oder wollt ihr hier Wurzeln schlagen?“

„Wer bist du?“

„Ihr könnt mir Kari nennen.“
 

Mit Rukia und Renji im Schlepptau war ich deutlich langsamer als allein. Hin und wieder erwischte ich mich dabei, ungeduldig mit den Füßen zu wackeln und die beiden voranzutreiben.

Die Strecke, für die ich allein nur ein paar Stunden benötigt hatte, legten wir gemeinsam in drei Tagen zurück.

Endlich kamen die Mauern Seireiteis in Sichtweite. Ich seufzte erleichtert auf. Das Gefühl, viel Zeit für meine Recherchen verschwendet zu haben, hatte sich immer wieder in mir breitgemacht. Doch ich hatte es zu keiner Sekunde gewagt, Rukia aus den Augen zu lassen.
 

Hisanas Tod lastete noch immer schwer auf meinen Schultern.

Auch wenn Byakuya mir niemals die Schuld dafür geben würde, war doch klar, dass Aizen ihn und Hisana nie auf dem Schirm gehabt hätte, hätte ich Byakuya nicht in alles eingeweiht.
 

Ohne dieses Wissen, hätte Byakuya nie versucht, Aizen irgendwelche Steine in den Weg zu legen.

Auch wenn Byakuya dies eigenständig entschieden hatte, so war mir doch bewusst, dass er es mir zuliebe getan hatte. Mir zuliebe und für die Gerechtigkeit.

Ich schüttelte die Gedanken ab. Es ließ sich nun nicht rückgängig machen. Hisana war fort.
 

Rukia hingegen war hier. Sie war real und lebendig – nun, so lebendig, wie man als Bewohner der Soul Society sein konnte – und um nichts in der Welt hätte ich die Chance verpasst, sie in Byakuyas Obhut zu bringen.

Wir durchquerten die Grenze Seireiteis, die seit einiger Zeit nicht mehr durch Stadtmauern beschützt wurde. Offensichtlich waren die Zeiten der großen Vorsicht vorüber.
 

Ohne weitere Vorkommnisse betraten wir die Stadt. Rukia und Renji sahen sich mit großen Augen um und ich kam nicht umhin, sie zu beneiden. Wie gern sähe ich die Welt und vor allem Seireiei auch so unvoreingenommen wie sie.

Wie gern würde ich auch wieder Staunen und die Aufregung eines neuen Lebensabschnittes spüren, so wie einst, als ich der Akademie beitrat? Oder als wir die Prüfungen ablegten und dies auf der Wiese feierten?
 

„Hey, ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte Renji mich und ich wischte mir hastig eine Träne von der Wange.

„Ja, ich äh, wurde nur geblendet.“

Er verzog das Gesicht, sagte jedoch nichts.

„Ich muss mich nun von euch verabschieden, ich habe noch etwas zu erledigen.“
 

„Was? Aber wie sollen wir durch diesen Irrgarten von Stadt die Akademie finden?“, platzte es aus Rukia heraus.

In aller Seelenruhe erklärte ich ihnen den Weg zur Akademie, ließ es sie mehrfach wiederholen, bis es saß.

„Und dann spazieren wir da einfach rein?“, fragte Renji, noch immer misstrauisch.

„Sie werden einen Test mit euch machen.“

„Einen Test? Aber ich hab gar nicht gelernt!“, schrie Renji.
 

„Idiot, sie wollen wahrscheinlich nur sehen, ob wir spirituelle Kräfte haben.“

„Nenn mich nicht Idiot!“

Ich hob beruhigend die Hände. „Aber streitet euch doch nicht gleich. Rukia hat Recht, sie werden testen, ob eure spirituellen Kräfte ausreichen, um Shinigami zu werden. Macht euch keine Sorgen, ich versichere euch, dass euer Reiatsu hoch genug ist. Also dann, viel Erfolg.“
 

Ich nutzte Shunpo und war innerhalb eines Wimpernschlags auf dem Dach eines Hauses in ihrer Nähe.

„Whoa, also ist sie doch ein Shinigami. Hast du gesehen, wie schnell sie war?“

„Jetzt mach den Mund zu Renji, wenn wir gut genug trainieren, können wir das auch irgendwann. Komm!“
 

Sie rannten los. Ich beobachtete sie noch einen Moment, bevor ich mich auf den Weg zur sechsten Kompanie machte.
 

Atemlos klopfte ich am Fenster des Kommandanten. Es wurde langsam aufgeschoben und gab Byakuyas gerunzelte Stirn frei.

„Turn hier nicht so auffällig herum“, murrte er und ich sprang an ihm vorbei in sein Kommandantenbüro. Seufzend schob Byakuya das Fenster wieder zu, doch ich hielt die Hand dazwischen.

„Warte“, murmelte ich und stellte mich direkt neben ihn an das geöffnete Fenster.

„Was wird das?“

„Schau hinaus und wart’s ab“, beschwor ich ihn, doch Byakuyas Gesichtsausdruck verfinsterte sich.
 

„Akari, ich habe keine Zeit für Albernheiten, ich habe viel Arbeit zu erledigen.“
 

Meine kindliche Vorfreude verflog. Um Byakusas Mund hatte sich ein harter Zug gelegt und seine Augen, die mich früher mit Wärme angestrahlt hatten, wirkten kühl und distanziert. Ich verzog den Mund zu einer Linie und ließ die Schultern hängen.

Ein Schmerz bohrte sich in meinen Magen, der nicht von meinem Mittagessen kam.

„Wann bin ich eine Last für dich geworden?“
 

Byakuyas Augenbrauen zuckten kurz hinauf und er senkte die Augenlider.

„Das habe ich nie gesagt-“ „Und doch strahlst du es aus.“

Er seufzte und schüttelte den Kopf.

„Du interpretierst da etwas falsch, Akari. Ich bin im Gegensatz zu dir, eben noch immer ein Kommandant und trage viel Verantwortung.“
 

Meine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, obwohl mein Herz schmerzte.

„Und ich trage kaum noch Verantwortung, das ist wahr. Weil mir alles genommen wurde. Sag Byakuya, habe ich dich je dazu getrieben, deine Verantwortung zu vernachlässigen?“
 

Byakuyas Augenlider senkten sich noch weiter. Schließlich schloss er die Augen und atmete tief durch.

„Nein“, flüsterte er leise. Ich trat einen Schritt auf ihn zu und griff nach seiner Hand, die sich in meiner versteifte. Er riss die Augen auf und sein Blick wurde etwas weicher, als er die Tränen in den meinen bemerkte.

„Doch, aber du sprichst es nicht aus. Sag es.“

„Nein, Akari-“ „Sag ey, Byakuya!“ „Akari, ich-“ „SAG ES!“

„DU HÄTTEST MICH MITKÄMPFEN LASSEN SOLLEN!“
 

Ich verstummte. Seine Augen hatten einen leichten Glanz angenommen, doch er wandte sich nicht von mir ab. Versteckte seine Tränen nicht. Noch immer hielt ich seine Hand.
 

„Ich weiß. Es tut mir so leid. Gemeinsam hätten wir vielleicht eine Chance gegen Aizen gehabt. Dann wäre Hisana...“ Ich brachte den Satz nicht zu Ende, schüttelte nur den Kopf. Die Tränen rannen meine Wangen hinab und tropften auf meine Kleidung.

„Und auch Yamachi“, ergänzte Byakuya und verzog die Lippen zu einem schmerzverzerrten Ausdruck.
 

„Ich habe das Gefühl, dass du manchmal vergisst, dass ich an jenem Tag nicht nur meine Frau verloren habe, sondern auch meinen besten Freund, der mir wie ein Bruder war. Du und Yamachi, ihr wart meine Familie. Hisana wurde ebenfalls ein Teil meiner Familie und dann ... Ich habe nur noch dich, Akari. Versteh doch, wenn ich es nicht ertrage, dass du nicht hier bist, aber ich dich gleichzeitig auch hier nicht sehen will, weil es dich in Gefahr bringt!“
 

Seine Gesichtszüge wurden sanfter und er wischte eine Träne aus seinem Augenwinkel. In meinem Nacken spürte ich das vertraute Reiatsu und zog Byakuya wortlos zurück ans Fenster.

„Vertrau mir und schau kurz einfach hinaus“, bat ich ihn und er wehrte sich nicht. Hand in Hand betrachteten wir den Weg, die unter der sechsten Kompanie entlangführte.
 

„Na komm schon! Erst machst du die ganze Zeit Druck und jetzt wirst du langsamer. Ist die schon die Puste ausgegangen, Rukia?“

Der rothaarige Junge erschien an der Ecke der Straße. Rukia folgte ein wenig später. Byakuyas Griff um meine Hand wurde plötzlich fester.

„Sag mal Renji, merkst du nicht, dass wir voll den Umweg laufen? Das kann nie der schnellste Weg zur Akademie sein!“

„Vielleicht ist das schon die erste Prüfung?“ Renji blieb stehen und kratzte sich nachdenklich am Kinn.

„Oder diese Frau hat uns von vorn bis hinten verar-“
 

„Hey, ihr da! Wo wollt ihr denn hin?“ Ein Shinigami der sechsten Kompanie trat aus dem Haupthaus unter uns auf den Weg.

„Ähm, wir sind auf dem Weg zur Akademie, Herr Shinigami, Sir“, stammelte Renji und der Mann lachte. Ich warf Byakuya einen Blick zu, der Rukia mit offenstehendem Mund und neuen Tränen in den Augenwinkeln anstarrte. Erst als sie und Renji am Ende der Straße verschwanden, nachdem sie der Erklärung des Shinigami gelauscht hatten, wandte Byakuya sich mir wieder zu.
 

„Das ist, das ist-“ Ich hatte ihn selten so sprachlos gesehen. Ich drückte seine Hand und er schloss langsam den Mund. Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln und aus seinen dunklen Augen strahlte endlich wieder die Wärme, die ich von ihm kannte.

„Es ist schon fast unheimlich, wie ähnlich sie sich sehen, nicht war?“, flüsterte ich. Byakuya senkte den Kopf und ich gab ihm einen Moment, um seine Gefühle zu sortieren.

„Wo hast du-“

„In einem Außenbezirk Rukongais. Es war reiner Zufall.“
 

Überschwänglich warf er die Arme um mich und drückte mich an sich. Ich nahm die Umarmung an, drückte meinen besten Freund an mich und genoss den Moment. Es war lange her, dass ich so innig umarmt worden war.

Als wir uns voneinander lösten, musste ich erneut Tränen aus meinen Augenwinkeln wischen. Byakuyas Gesichtsausdruck war nun wieder gefestigter.

„Danke, Akari.“
 

„Pass gut auf sie auf“, flüsterte ich und wandte mich zum Gehen ab.
 

Byakuya griff erneut nach meiner Hand und hielt mich so auf.
 

„Du hast mich damals weggeschickt, zurück zu Hisana, um den Kampf gegen Aizen allein aufzunehmen. Aber es war allein meine Entscheidung, das auch zu tun. Es ist nicht deine Schuld. Ich habe diese Entscheidung genauso getroffen. Aber bitte, verschweig mir nie wieder etwas so Wichtiges, wie deine Limitation.“
 

„Ich verspreche es. Aber du musst mir auch etwas versprechen, Byakuya.“

Er zog die Augenbrauen in die Höhe. „Was?“

„Dass wir für immer Freunde bleiben werden, komme, was wolle.“

„Nicht Freunde, Akari. Wir sind Familie.“

Hundert Jahre ohne Dich Teil 8: Kuroeien

Zuckend erwachte ich im Bett meines alten Zimmers.

Ich hatte am Vorabend keine weiteren Recherchen angestellt und war müde, aber glücklich ins Bett gefallen. Heute würde ich mich wieder eifrig daran machen, weitere Kenntnisse über meine Armreifen und deren einzigartige Magie zu gewinnen.

Ein Geräusch ließ mich innehalten.
 

Vorsichtig schlich ich aus meinem Zimmer, die Hand am Schwertknauf meines Zanpakuto. Der Geruch von gebratenem Ei ließ mich stutzig werden. Etwas lockerer als zuvor durchquerte ich den Flur und schob die Tür zur Küche auf.

„Guten Morgen!“

„Rangiku?“
 

Meine alte Freundin ließ das gebratene Ei aus der Pfanne auf die Teller gleiten.

„Du hast lang geschlafen, nun rasch etwas Futtern und dann zurück an die Arbeit!“

„Rangiku, was machst du denn hier?“
 

„Ich habe sie hergebracht.“ Erschrocken drehte ich mich herum und entdeckte Byakuya, der soeben aus meinem Wohnzimmer kam. Hinter ihm erkannte ich Shin, der auf dem Boden saß und in einem dicken Buch blätterte. Er winkte mir kurz zu, bevor er sich erneut in den Text vertiefte.

„Wenn wir die helfen, geht es schneller“, erklärte Byakuya schlicht und zuckte mit den Achseln.

Ich spürte einen Kloß in meinem Hals.
 

„Aber das ist-“

„Ja, ja, gefährlich, wissen wir! Aber wir helfen dir dennoch, du kannst es uns nicht verwehren. Vor allem nicht, nach allem, was du kürzlich meinetwegen durchgemacht hast.“ Rangikus Blick wurde traurig, sie ließ die Schultern hängen.

„Du konntest nichts für das, was geschehen ist. Das ist allein meine Schuld.“
 

„Nein, Akari. Du bist nicht schuld an Aizens Untaten! Und doch, wenn ich stärker gewesen wäre, hätte er es nie geschafft, mich unter Drogen zu setzen und von mir Informationen über den Aufenthaltsort von Miaka und Mana herauszukriegen. Es ist meine Schuld. Wären du und Yoruichi und Shin nicht gewesen ...“ Rangiku schüttelte den Kopf.

„Es ist auch meine Schuld“, brachte sich Byakuya mit ein und Rangiku runzelte verwirrt die Stirn.

„Seit Hisanas Tod habe ich begonnen, die Augen zu verschließen, mich herauszuhalten. Wäre ich aufmerksamer gewesen, hätte ich vielleicht aufhalten können, dass er dich entführt, Matsumoto.“

Rangiku warf Byakuya ein trauriges Lächeln zu.
 

„Schluss mit den Schuldzuweisungen, niemand ist schuld, außer Aizen“, regte Shin sich auf und stand grinsend zwischen Byakuya und mir.

„Was auch immer er versucht uns anzutun, wir dürfen nicht einfach aufgeben. Wenn wir das tun, hat er schon gewonnen.“ Rangiku klang nun äußerst ernst. Wie gern hätte ich ihr von Gin berichtet, von allem, was er mir erzählt hatte. Doch ich durfte es nicht. Dieses Geheimnis musste unbedingt gewahrt werden.
 

„Danke Leute“, brachte ich nur mit erstickter Stimme hervor. Byakuya drückte meinen Arm kurz liebevoll und wir tauschten einen Blick aus, der mir mehr gab, als jedes Wort, das er hätte sagen können. In seinen Augen lag so viel unausgesprochenes und doch brauchten wir keine weiteren Worte. Wir hatten uns über die Jahre hinweg voneinander entfernt, entfremdet – doch das war nun vorbei. Was auch immer geschah, Aizen würde unsere Freundschaft nicht zerstören.
 

Wir aßen gemeinsam das Frühstück und ich berichtete den dreien von Sato, dem ich heute einen Besuch abstatten wollte.

„Bist du sicher, dass man ihm trauen kann?“

Ich zuckte mit den Achseln.

„Ich habe beschlossen, ihm zu trauen. Doch bei einigen Dingen werde ich generell vorsichtiger sein. Wir sollten uns auf ein Codewort einigen“, schlug ich vor und erntete verwirrte Gesichter. Nur Byakuya schien direkt zu begreifen.

„Eine Art Passwort, mit dem wir sicher sein können, dass wir wirklich miteinander sprechen und nicht mit einer von Aizens Illusionen?“
 

„Genau. Allerdings sollten wir auch nicht zu viel darauf vertrauen, denn wir wissen nicht, wie gut Aizens Hypnose funktioniert.“

„Lasst es uns umgekehrt machen“, schlug Shin nun vor und auch ich war verwirrt.

„Wie, umgekehrt?“

„Nun, wenn wir jedes Mal, wenn wir uns sehen, ein Codewort benutzen, ist die Gefahr zu groß, dass das jemand mitbekommt. Wir sollten uns einen Code ausdenken, den einer von uns anwendet, wenn derjenige das Gefühl hat, dass etwas nicht stimmt. Einen Code, auf den die anderen dann antworten müssen, der aber relativ alltäglich wirkt und kein Misstrauen bei Außenstehenden wecken würde.“

Ich nickte Shin wertschätzend zu und selbst Byakuyas, trotz seiner üblichen Abneigung gegen Shins laute Art, musterte ihn anerkennend.

„Was schlägst du also vor?“
 

„Erinnert ihr euch noch an diesen Dattelkuchen, den ich mal gebacken habe?“, fragte Rangiku und ich rümpfte die Nase. Auch Byakuya und Shin verzogen das Gesicht.

„Genau! Wir alle wissen, wie furchtbar der war. Aber sonst niemand. Der Code könnte sein ‚Ich hätte echt mal wieder Lust auf ein Stück von diesem Dattelkuchen‘.“

Shin nickte begeistert: „Das ist gut!“
 

„Und die anderen antworten dann: ‚Oh ja, mit einem ordentlichen Schlag Walnusssahne‘“, ergänzte ich und nun war es an Rangiku, die Nase zu rümpfen. Vor einigen Jahren hatten wir eine Walnusssahne zusammengerührt und diese in unserem Kühlschrank untergebracht, der kaputt gegangen war. Wir hatten dies allerdings erst gemerkt, nachdem jeder von uns einen großen Klecks saurer Walnusssahne auf seinem Kuchen hatte.
 

„Aber es können ja nicht drei Leute das gleiche antworten, oder?“, hakte Byakuya ein.

„Wir stimmen der Walnusssahne alle positiv zu. Tut das einer von uns nicht oder fragt etwas Komisches dazu, weiß man, dass derjenige nicht eingeweiht ist.“
 


 

Ich fand Sato in der Taverne, in der ich ihn schon vor einigen Tagen gesucht hatte. Er saß an einem Tisch und schien gemütlich in einem Buch zu schmökern.

Sein Gesicht hellte sich auf, als er mich im Türrahmen erkannte.

Ich schob mich auf die Sitzbank ihm gegenüber, bestellte ein Kaltgetränk beim Wirt und entschuldigte mich bei Sato für mein langes Fernbleiben.

„Mir kam etwas dazwischen, als ich dich zuletzt besuchen wollte, das war ungeplant.“

„Schon gut. Ich habe in der Zwischenzeit etwas gefunden, dass dich vielleicht interessieren dürfte.“

Sato zog ein Buch aus der Wolltasche auf dem Sitzplatz neben sich. Sie war prall gefüllt.

Der Einband des Buches war mitgenommen, die Seiten vergilbt und es hatte einen ganz eigenen Geruch an sich.

Flink blätterte Sato die Seite auf, in der sein Lesezeichen klemmte und schob den Wälzer über den Tisch zu mir herüber. Sein Finger tippte auf einen Absatz, den ich begierig durchlas:
 

"Reine Edelsteine wie Emyren und Galaniten sind äußerst geeignet für Bannzauber. Sie können Zauber binden und so konservieren. Galaniten jedoch haben den Nachteil, Energien nicht besonders lang halten zu können und so über die Zeit abzuschwächen. Emyren sind hier besser geeignet. Der wohl mächtigste unter den Emyren ist der seltene schwarze Emyr, auch bekannt als Kuroeien, die schwarze Ewigkeit. Durch die hohe Affinität des Edelsteins gegenüber Energien, bindet er Magie auf ewig und unwiderruflich. Nachteil hierbei ist, dass er äußerst selten vorkommt und nur einmalig eingesetzt werden kann. Ist ein schwarzer Emyr einmal mit einem Bann versehen, kann dieser durch keinen neuen ersetzt werden. Wo der schwarze Emyr gefunden werden kann, ist bis heute unbekannt. Einige Aufzeichnungen beschreiben eine alte Miene im äußersten Bezirk von Rukongai als Fundort, andere von alten Höhlen im Schatten Seireiteis. Dies kann jedoch nicht verifiziert werden, da der letzte Fund dieses magischen Steins Jahrhunderte zurückliegt."
 

Ich riss meinen Blick von dem Buch los und warf ihn Sato zu, der ein entschuldigendes Gesicht aufgesetzt hatte, als fühle er sich schuldig, diese Information gefunden zu haben.

Die Kellnerin stellte mein Kaltgetränk auf dem Tisch ab und ich musste mich dazu zwingen, ihr ein freundliches Lächeln zu schenken. Mir war nicht danach zumute.

Schwarze Ewigkeit. Klingt nicht sehr vielversprechend.
 

Ich betrachtete die Limonade und wünschte mir fast, etwas Stärkeres bestellt zu haben. Ich seufzte und lehnte mich auf der Bank zurück.

„Nun, sieh es als Fortschritt. Wenn wir wissen, was es ist, können wir gezielter Suchen und diese Beschreibung klingt schon sehr stark nach dem, was dich fesselt“, Sato nickte auf meine Armreifen.
 

Ich seufzte erneut, nickte ihm jedoch zu und versuchte, zuversichtlich zu wirken. So viele Jahre suchte ich schon nach einem Weg, die Armreifen loszuwerden, doch alles, was ich fand, ließ mich mehr und mehr daran zweifeln, dass es überhaupt möglich war.

„Und außerdem ... glaubst du, dieser Aizen hätte sich keine Option offengelassen?“

Ich runzelte die Stirn: „Was meinst du?“
 

„Nun, von dem, was du mir bisher über ihn berichtet hast, wirkt er wie jemand, der alle Eventualitäten berechnet. Er scheint für alles einen Plan, aber auch einen Plan B und C zu haben. Würde er also mit dir irgendetwas tun, was unwiderruflich ist?“

Die Leere in meinem Kopf begannen sich mit Gedanken zu füllen. Sato hatte Recht. Was Aizen am allermeisten wollte, war das Hogyoku. Im Moment benutzte er mich mehr oder minder als Lockmittel, um Kisuke in die Soul Society zu bringen. Wenn dies nicht gelang, hatte Aizen sicher ein Ass im Ärmel.
 

Was auch immer seine Pläne B und C waren, irgendwo in der Kette des Alphabets war auch sicher eine Variante, bei der ich als Geisel herhielt. Kisuke war ein äußerst intelligenter Mann, nur leider hatte er eine Schwachstelle. Mich.

Könnte er wirklich einen kühlen Kopf bewahren und spontan einen brillanten Plan aus dem Ärmel zaubern, wenn Aizen drohte mich zu töten, sollte er das Hogyoku nicht herausgeben?
 

Ich schüttelte den Gedanken ab, kam dabei jedoch zu dem Entschluss, dass es irgendwo in Aizens Berechnungen diese Option gab. Und wenn Aizen mich als Geisel nehmen und Kisuke so drohen wollte, musste er mich wohl oder übel mit in die Welt der Lebenden nehmen. Es musste also einen Weg geben, die Reifen von mir zu nehmen.

Doch welcher war es? Wie konnten wir ihn finden?
 


 

Ich verbrachte die nächsten Tage damit, gemeinsam mit meinen Freunden nach allen Informationen zu suchen, die wir über schwarze Emyren finden konnten.

Es war eine frustrierende Arbeit.

Wann immer einer von uns aufschrie, klopfte mein Herz wild in meiner Brust, nur um kurz darauf von Nadeln durchbohrt zu werden. Mit jeder Enttäuschung wurde der Schmerz schlimmer, stach tiefer und fraß sich in meine Seele. Es war wie ein Geschwür, das mich zu erdrücken begann.
 

Die einzigen Informationen, die wir nach drei Tagen über schwarze Emyren gefunden hatten, waren absolut ohne Mehrwert für mich. Schön und gut, dass der schwarze Emyr das Wappen des Seelenkönigs war, dessen Familie einst ein großes Vorkommen besessen hatte. Auch, dass es vor Entstehung der Gotei 13 und somit Seireiteis an genau diesem Ort eine Miene gegeben hatte, in der es ein kleines Vorkommen schwarze Emyriten gegeben hatte, half mir nicht dabei, die Magie loszuwerden, die mich band.

Zur genauen Benutzung des Steins oder gar, wie er zerstört werden konnte, hatten wir nicht ein Wort gefunden.

Ich beschloss, erneut Sato einen Besuch abzustatten. Er hatte mich erst darauf gebracht, um welches Material es sich bei meinen Fesseln handelte. Vielleicht hatte er also in der alten Bücherei Rukongais mehr Glück gehabt.
 

Rangiku, die ihr Gesicht, genau wie ich es zu tun pflegte, unter eine Kapuze verdeckte, begleitete mich nach Rukongai.

Wir betraten die Taverne. Der Schankraum war so gut wie leer und der Wirt polierte klischeehaft seine Gläser.

„Hi, ich bin auf der Suche nach Sato“, sagte ich ihm und der Mann runzelte die Stirn.

„Komisch, der saß eben noch dort in der Ecke. Muss wohl gegangen sein, als ich in der Küche war.“ Er zuckte mit den Achseln. Ich seufzte.
 

„Vielleicht ist er nach oben gegangen“, rätselte der Wirt und zuckte mit den Achseln. Ich nickte ihm dankend zu und schlenderte mit Rangiku im Schlepptau die Treppe hinauf. Sato hatte das Zimmer mit der Nummer 11 gemietet. Ich klopfte an, doch niemand öffnete.

„Vielleicht hat er sich gerade auf den Weg zur Bibliothek gemacht“, überlegte Rangiku und ich seufzte.

Wir verließen die Taverne und beschlossen, uns ebenfalls auf den Weg in die Bibliothek zu machen. Schon seit Längerem wollte ich dort persönlich einmal vorbeischauen und durch die Regale stöbern.
 

Rangiku und ich kamen gut voran, auch sie war mittlerweile sehr schnell geworden. Wir erreichten die alte Bücherei nach etwa einer Stunde. Es handelte sich um ein heruntergekommenes Gebäude, das von außen unbewohnbar wirkte. Einmal durch das große Tor hindurchgeschlüpft, empfing einen eine Geruchskakofonie von Staub und altem Pergament. Es war kein gemütlicher Ort zum Verweilen.
 

Ein paar selbsternannte Wächter beschützten die alte Bücherei, doch sie stellten sich eigentlich nur jenen in den Weg, die dem alten Schatz Rukongais mit Feuer zu nah kamen.

Ein großer Teil der Bibliothek war vor vielen Jahrzehnten verbrannt.
 

Ich schärfte meine Sinne, konnte Satos Reiatsu jedoch nirgends wahrnehmen. Er hatte es vermutlich verborgen.

Wir suchten Regal um Regal ab und fragten schließlich einen der Wächter nach einem jungen Mann, mit braunem Haar, doch dieser zuckte nur mit den Schultern: „Solche gibt es wie Sand am Meer, da musst du schon präziser sein.“

Ich seufzte.

Wir gaben die Suche nach Sato auf und widmeten uns den vielen Schriftrollen und Büchern. Dabei versuchten wir alles einzustecken, was mit Bannsteinen zu tun hatte. Man konnte nie wissen, in welchem kleinen Nebensatz wir vielleicht die Lösung des Problems entdecken würden.
 

Die Sonne stand schon schräg am Himmel, als Rangiku und ich mit gepackten Sachen die alte Bücherei verließen.

Ich warf einen besorgten Blick zurück und das ungute Gefühl, das mich schon seitdem wir Sato nicht in der Bibliothek gefunden hatten, begleitete, verstärkte sich. Wo war er? War ihm etwas geschehen?

„Wir könnten auf dem Rückweg noch einmal in der Taverne vorbeischauen“, schlug Rangiku vor, nachdem ich ihr meine Sorgen anvertraut hatte. Ich befürwortete ihre Idee und so machten wir uns auf den Weg.

Etwas schneller als noch am Vormittag erreichten wir das alte Wirtshaus und noch immer stand derselbe Wirt am Tresen. Er war nun jedoch nicht mehr mit dem Polieren seiner Gläser beschäftigt, sondern zapfte ununterbrochen Getränke in die Gläser seiner durstigen Gäste. Fast alle Sitzplätze des Schankraums waren besetzt, doch von Sato fehlte weiterhin jede Spur.

„Hey, ist Sato zurückgekehrt?“, fragte ich ihn. Der Wirt schob genervt zwei Gläser über den Tresen und widmete sich dann mir.

„Dein Freund war vorhin hier, hat sich Essen geholt. Er meinte, er hat sich einen ruhigeren Ort zum Lesen gesucht, wollte mir aber nicht verraten wo.“

Ich runzelte die Stirn, bedankte mich jedoch bei dem Wirt, indem ich ihm eine Münze zuwarf. Sie verschwand schneller in der Brusttasche des Mannes, als ich gucken konnte.

Gemeinsam mit Rangiku kehrte ich nach Seireitei zurück. Das letzte Stück des Weges, bevor wir die Stadt betraten, spazierten wir gemütlich nebeneinander her.

„Was ist, Akari? Meinst du, an der Geschichte ist was faul?“
 

Ich schürzte die Lippen.

„Ich weiß nicht. Es erscheint mir nicht unlogisch, dass Sato sich für seine Recherchen einen ruhigeren Ort sucht als die alte Taverne. Gerade gegen Abend ist es dort ja schon recht laut, wie wir gerade gesehen haben. Was mich jedoch etwas verwundert ... nun ja, er war ja vorhin da und weiß, dass ich nach ihm gesucht habe. Hätte er dann nicht normalerweise davon ausgehen können, dass ich noch einmal wiederkomme heute? Und dementsprechend dann dort auf mich gewartet? Ich weiß nicht.“

Rangiku machte ein Geräusch, sagte jedoch erst einmal nichts. Ich seufzte: „Vermutlich mache ich mir zu viele Gedanken.“

„Warum kommt er denn nicht eigentlich mit zu dir? Was ist sein Problem mit Seireitei?“
 

Ich hob den Blick auf die ersten Ausläufer der Stadt und straffte meine Schultern. Mit einem Ruck zog ich die Kapuze in mein Gesicht.
 

„Ich weiß es nicht genau, aber wer bin ich, das zu verurteilen?“

Hundert Jahre ohne Dich Teil 9: Faustregel #3

Enttäuscht sank ich in meinem Stuhl zusammen.

Sato saß mir gegenüber und ließ die Schultern hängen. Er schenkte mir ein trauriges Lächeln und ich hatte Schwierigkeiten, es zu erwidern. Er hatte nichts Neues zu dem schwarzen Emyr gefunden.

Auch die vielen Schriften und Bücher, die Rangiku und ich aus der alten Bibliothek Rukongais mitgenommen hatten, lieferten keinerlei neue Erkenntnisse.
 

„Akari, wir müssen vorsichtiger sein. Du hast dich sicher gewundert, warum ich oft nicht aufzufinden war hier.“

Meine Hände verkrampften sich in meinem Schoß. Ich versuchte, meinen Gesichtsausdruck kontrolliert unberührt zu lassen, doch das Misstrauen in meinem Inneren war bereits geweckt worden.

Ich hatte vor einigen Wochen entschieden, Sato zu vertrauen, doch seine Abwesenheit die letzten Tage hatte mich stutzig gemacht.

„Was ist passiert?“
 

„Shinigami haben hier herumgeschnüffelt. Ich mein, es könnte auch reiner Zufall sein, aber falls nicht ...“ Er ließ den Satz unbeendet und zuckte mit den Schultern.

„Falls nicht, ist es vermutlich Aizen, der uns hinterherspioniert und bald seinen nächsten Schritt plant“, brummte ich leise. Sato verzog das Gesicht und leerte sein Glas.

„Du musst vorsichtig sein. Vielleicht solltest du dich in nächster Zeit etwas zurückhalten.“

Ich lächelte Sato zu und wir verabschiedeten uns.
 


 

Ich beherzigte Satos Rat und kehrte ohne Umwege in das Haus meiner Familie zurück. An diesem Tag war ich allein dort.

Shin, Byakuya und Rangiku hatten sich die letzten Tage abgewechselt, mich bei meinen Recherchen zu unterstützen. Doch gerade Shin und Byakuya hatten als Kommandanten zu viele Pflichten, um ständig zu fehlen.

Gähnend durchquerte ich den Flur und schob die Tür zu unserer Küche auf, da fiel mir etwas auf. Ich erstarrte. Etwas Eisiges griff nach mir und ich musste einen Kloß in meinem Hals herunterschlucken.
 

Mit langsamen Schritten entfernte ich mich von der Küche und wandte mich der Tür zu, die ich stets geschlossen hielt. Ich hatte sie seit Jahren nicht geöffnet und doch ließ nun ein winziger Spalt das Licht des Flures in den Raum fallen. Mit zittrigen Fingern schob ich die Tür auf.

Wie vor Jahren lag das Zimmer noch immer genau so da. Das Bett war ordentlich gemacht, auf dem Schreibtisch lagen alphabetisch sortiert Dokumente und am Schrank hin noch immer das dunkle Ausgehgewand meines Bruders an einem Bügel. Yamachis Zimmer.
 

Seit dem Tag seines Todes hatte ich dort nichts geändert. Wollte alles so belassen, wie es war. Um mich an ihn erinnern zu können, ihm nahe zu sein, wenn mir danach war. Doch meistens mied ich es. Mied den Schmerz des Verlustes, über den ich noch immer nicht hinweggekommen war.
 

Eine ganze Weile starrte ich in den Raum, seufzte dann jedoch und die Anspannung fiel von mir ab. Es war alles noch genau so, wie ich es zurückgelassen hatte. Vielleicht hatte Byakuya um der alten Zeiten Willen einen Blick hier hineingeworfen, ich würde ihn danach fragen.

Ich drehte mich gerade um, da traf es mich wie ein Blitz.
 

Mit angehaltenem Atem trat ich auf den Schreibtisch zu. Meine zittrigen Hände griffen nach dem Bilderrahmen, der schon seit jeher ein Foto von Yamachi, unserer Mutter und mir präsentiert hatte.

Er war leer.

Mir wurde schwindelig.
 

Ich schnappte nach Luft und konnte die Tränen nicht zurückhalten, die aus meinen Augen perlten und heiß über meine Wangen rannen. Sie tropften auf den Schreibtisch, auf die wohlsortierten Dokumente meines Bruders und wellten das Papier.

Ich stellte den Bilderrahmen wieder ab, zog den Stuhl zurück und setzte mich. Die Spuren auf meinen Wangen, die noch immer nass von den Tränen waren, fühlten sich feucht und kühl an. Ich schluckte, wischte über meine Wangen und griff nach einem Zettel und einem Stift.
 

Mit einem Schütteln versuchte ich das Zittern aus meiner Hand zu bekommen, bevor ich vorsichtig „#3?“ auf den kleinen Zettel schrieb und diesen in den Bilderrahmen klemmte.

Falls Yamachi wirklich noch leben sollte und in diesem Zimmer gewesen ist, würde er die Botschaft verstehen.

Noch lange saß ich am Schreibtisch meines Bruders und es war weit nach Mitternacht, ehe ich in einen unruhigen Schlaf fiel.
 


 

Müde und unkonzentriert startete ich in den nächsten Tag.

Meine Gedanken hingen bei Yamachi und der Gedanke, er könne leben, versteckt vor allen, ließ mir keine Ruhe. Ich spielte mit dem Gedanken, mein Anwesen zu verlassen, einfach nur, um ihm die Chance zu geben, erneut in sein altes Zimmer zu gehen und die Botschaft auf seinem Schreibtisch zu sehen. Doch ich musste an Satos Worte denken, dass Aizens Leute mich eventuell bereits entdeckt hatten. Solange sie nur glaubten, ich versteckte mich in meinem alten Haus, weil ich nicht wusste, wohin ich sonst gehen sollte, würde Aizen mich vielleicht in Ruhe lassen.
 

Durch Seireitei zu Streunern könnte ihn jedoch dazu veranlassen, erneut in Aktion zu treten. Im Moment konnte ich nichts gegen ihn ausrichten und so war ich nicht besonders scharf auf eine Konfrontation.

An diesem Tag erhielt ich keine Unterstützung von meinen Freunden, da in der Welt der Lebenden ein Fall dafür sorgte, dass sie alle schwer beschäftigt waren. Offensichtlich waren sehr viele Shinigami auf Mission in der anderen Welt und so blieben nicht viele zurück, um die anliegenden Arbeiten in Seireitei zu verrichten.
 

Nach einem üppigen Mittagessen, merkte ich kaum, wie ich über meinem aktuellen Buch, die „Sammlung der antiken Banne“ eindöste.

Meine Sinne rissen mich aus dem Schlaf. Schneller, als ich es selbst begreifen konnte, stand ich mit meinem Schwert in der Hand in meinem Wohnzimmer. Weit und breit war niemand zu sehen, doch ich spürte ein Reiatsu, das äußerst stark war, in nicht allzuweiter Ferne.
 

Ich nahm einen tiefen Atemzug, um meinen ersten Schock zu überwinden und meinen Verstand zu beruhigen. Das Schwert zurück in der Scheide, schlüpfte ich mit der Kapuze tief im Gesicht aus meinem Haus. Das Reiatsu gelöscht, schlich ich mich durch die Stadt, bis hin zu den Toren Seireiteis.

Mir stockte der Atem. Nicht weit vor der Grenze der Stadt tobte ein Kampf. Ein Hollow, von der Größe eines kleinen Hauses, attackierte die Bewohner Rukongais. Erste Shinigami waren bereits eingetroffen und bekämpften das Unwesen.

Ich schlich mich weiter heran und beobachtete erst einmal.
 

„Was ist das für ein Ding?“, schrie ein junger Shinigami, den ich nicht erkannte. Seine Kollegen pflichteten ihm bei und gemeinsam umrundeten sie das Wesen, das von ihnen kaum Notiz zu nehmen schien.

Ich erstarrte. Erinnerungen an einen Tag vor so vielen Jahren blitzte vor mir auf. Rukongai. Der Hollow. Das Cero.

Es sah nicht nur ähnlich aus, wie das Unwesen, das mich einst vor so vielen Jahren angegriffen hatte, es hatte auch ein sehr ähnliches Reiatsu. Meine Hand klammerte sich um den Griff meines Schwertes. Noch immer verfolgte ich den Kampf der jungen Shinigami aus der Sicherheit einer Hausecke.

„Was haben wir hier?“
 

Ich seufzte erleichtert auf. Shin war hinzugekommen und ließ sich von den Jüngeren aufklären. Er hatte sein Schwert bereits in der Hand und schloss sich den Kollegen an.
 

Ich wollte mich gerade abwenden und Shin die Sache überlassen, da bemerkte ich etwas, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Die Maske des Hollows hatte eine seltsame Form. An einer Seite hatte sie merkwürdige Zacken, die denen eines Kenseikan ähnelte. Ähnlich jenem, das Byakuya trug, doch es war etwas anders. Ich schluckte. Genau so einen hatte Yamachi sich zugelegt, als er das Amt des Familienoberhauptes übernommen hatte.

Die Hand um mein Schwertgriff verkrampfte sich. Hitze wallte durch meinen gesamten Körper, stieg mir in den Kopf und schien meinen Verstand zu verbrühen.
 

Das ist nur ein Trick, sagte ich mir. Mein Blick hing auf den Kenseikan, die ich oft als Haarspangen verunglimpft hatte. Ein dicker Kloß legte sich in meinen Hals. Die zerfetzte Kleidung, die noch immer am Körper des Hollows hing, waren dunkle Gewänder aus feinen Stoffen, üblich für die Hochgeborenen des Adels. Doch was mich anzog, war das tiefe Violett, in dem sich die Nähte absetzten und die sich auch als sanftes Muster am Rande des Stoffes wiederfand. Das war unverkennbar Yamachis Kleidung.

Eiskalte Wut packte mich. Ich spürte das Vibrieren meiner Armreifen und zog am Knauf meines Schwertes.

Eine kühle Hand griff nach meinen Händen und drückte mein Zanpakuto zurück in seine Scheide.

„Nicht, Akari! Lösche deine Aura!“
 

Ich war so schockiert, dass ich Satos Anweisung folgte. Die Wut kehrte jedoch sofort zurück und der Schrei des Ungeheuers hinter mir ließ mich herumfahren.

„Ich muss sie aufhalten, sie werden ihn töten“, schrie ich, doch Sato zog mich zurück und drückte mich an die Wand des Hauses.

„Nein, genau das will er doch!“
 

Sein Blick heftete sich so fest auf meinen, dass ich nicht in der Lage war, ihn so einfach zu ignorieren.

„Aber das ist mein Bruder, gegen den sie da kämpfen!“ Ich hingegen kämpfte mit den Tränen. Das Gefühl eines endlosen Falls ergriff von mir Besitz. Yamachi zu verlieren, nur um dann die Hoffnung zu haben, er lebte doch noch, um ihn nun erneut zu verlieren – das ertrug ich nicht.

Satos Griff um meine Arme wurde stärker: „Das ist nicht dein Bruder, bitte vertrau mir. Du musst hier sofort weg, sonst weiß er Bescheid!“
 

„Sato, du weißt nicht, wozu er fähig ist, was er getan hat! Er hat Leute hollowfiziert und dieser Hollow trägt Yamachis Kleidung, ich muss Shin aufhalten, ich muss-“

„Das ist nicht dein Bruder, bitte vertrau mir!“

„Wie soll ich das? Ich weiß kaum, wer du bist!“

In Satos Augen erkannte ich einen Hauch von Enttäuschung und sein Blick wurde härter. In genau diesem Moment zuckte er zusammen. Ein Leuchten strahlte aus dem Ausschnitt seines Kimonoberteils. „Mist, verdammter!“
 

Ich war neugierig, doch Yamachi war wichtiger. Mit Schwung wollte ich mich aus seinem Griff drehen, doch Sato kam mir zuvor. Er stellte mir ein Bein und schneller, als ich es realisieren konnte, schlug er mir in die Magengrube. Ich war darauf nicht vorbereitet und der Schmerz ließ mich Schwindeln.

Wann war ich so schwach geworden?
 

Ich konnte nur zusehen, wie Sato mich über die Schulter warf und vom Schauplatz des Geschehens floh.

Ich fing mich, strampelte, wollte mich von ihm losmachen, doch sein Schlag hatte mich benommen gemacht. Stärker, als es eigentlich sein konnte. Irgendeine Form von besonderem Kido musste in diesem Schlag gelegen haben, anders konnte ich es mir nicht erklären. Zu meiner Angst um Yamachi gesellte sich ein Hauch von Panik um mich selbst. Wer war Sato? Was hatte er mit mir vor?
 

Ehe ich mich versah, setzte er mich auf dem Boden ab.

Erstaunt stellte ich fest, dass wir uns in meinem Garten befanden. Sato fluchte erneut und zog an einer Kette, die er um den Hals trug, einen Anhänger aus seinem Ausschnitt hervor. Noch immer leuchtete dieser grell.

„Sato, ich habe dir vertraut“, brachte ich gequält hervor und Sato schenkte mir ein trauriges Lächeln. Er beugte sich zu mir herunter.
 

„Ich weiß und du wirst es nicht bereuen, versprochen. Aber jetzt musst du mir erneut vertrauen, und mit mir kommen.“

Ich schüttelte den Kopf, obwohl ich überhaupt keine Ahnung hatte, wovon er sprach. „Yamachi“, stieß ich zwischen zwei Schluchzern hervor. Noch nie in meinem ganzen Leben hatte ich mich so wehrlos gefühlt.

„Das war nicht dein Bruder, bitte glaube mir!“

„Woher weißt du das?“

„Weil ich weiß, wo dein Bruder ist.“
 

Ich verschluckte mich. Starrte Sato ausdruckslos an.
 

„Wer zum Teufel bist du? Was weißt du über Yamachi und warum hast du es mir nicht eher gesagt?“

Sato hielt den leuchtenden Anhänger in seiner Hand verborgen, doch ich spürte ein leichtes Pulsieren davon ausgehen. Fast so, als hätte es ein eigenes Reiatsu. Seine Miene verfinsterte sich und er beugte sich zu mir herunter.

„Wenn ich dir zeige, wo Yamachi ist, versprichst du dann, mir ein weiteres Mal zu vertrauen und mit mir zu kommen?“

„Wohin?“

„Das kann ich dir nicht sagen.“
 

Ich überlegte, doch Sato wartete nicht auf meine Antwort. Er griff meine Hand und zog mich auf die Beine, die so langsam wieder zu funktionieren schien: „Komm.“

Trotz meiner Benommenheit konnte ich mit ihm Schritthalten. Sato zog mich durch halb Seireitei und ich spürte, wie das leichte Pulsieren seines Anhängers stärker wurde. Es schwoll an, wurde schneller und gab mir ein ungutes Gefühl.

Abrupt hielt er inne. Wir hockten auf einem Dach und es dauerte einen Moment, bis ich meine Orientierung wiedergefunden hatte.

Wir befanden uns in der elften Kompanie. Ich hatte keine Ahnung, was Sato hier wollte, und wäre ich im Vollbesitz meiner Kräfte gewesen, so hätte ich sicher die Geduld verloren.
 

Sato zog mich das Dach hinab und wir landeten vor einer Tür, die einen Spalt weit offen stand. Wir betraten das Gebäude und durchquerten mehrere Zimmer. In einem überraschten wir einen Shinigami, doch noch bevor er sich zu uns herumdrehen konnte, hatte Sato ihn mit einem geschickten Schlag in den Nacken in die Bewusstlosigkeit geschickt. Endlich blieb er stehen.

Er zog etwas aus seiner Tasche, zog eine Tür auf und pustete es hinein. Noch ehe die beiden Shinigami wussten, was ihnen geschah, lagen sie bewusstlos auf dem Boden.

„Warum tust du das?“, schaffte ich es, Sato zu fragen.
 

„Niemand darf uns hier sehen“, erklärte er und zog mich in den Raum. Hinter uns schob er die Tür zu. Ich sah mich um. Neben den beiden fremden Shinigami war niemand dort.

„Was tun wir hier?“

„Sieh genauer hin, Akari. Ich muss mich konzentrieren.“
 

Sato hielt den Anhänger in seiner Hand mittlerweile mit großer Anstrengung fest, Schweiß perlte auf seiner Stirn. Ich musterte ihn einen kurzen Moment, doch erkannte ich keine Feindseligkeit in seinem Blick. Was geschah hier bloß?

„Beeil dich, uns bleibt nur wenig Zeit“, brachte Sato zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.
 

Ich wandte mich um und betrachtete den Shinigami, der auf dem Boden lag. Er war groß, muskulös mit ausgeprägtem Kieferknochen und sein kahler Kopf reflektierte glänzend das Licht des Zimmers. Ich wandte mich dem anderen zu. Mein Atem stockte.

„Er sieht meinem Bruder ähnlich, aber sein Reiatsu ... es ist anders“, flüsterte ich, zu ängstlich, um dem jungen Mann näher zu kommen, dessen dunkles Haar einen glänzenden Kranz um seinen Kopf auf dem Boden bildete.

„Faszinierende Technik, die eure Mutter euch da beigebracht hat.“

Mein Herz setzte einen Schlag aus.
 

Was wusste Sato über die Techniken, die meine Mutter mich gelehrt hatte? Ich warf ihm einen Blick zu und staunte, als ich die Trauer in seinen Augen erkannte. Mein Verstand begann sich zu überschlagen.

Ich musste es versuchen.
 

Abrupt wandte ich mich um, beugte mich zu dem jungen Mann herunter und konzentrierte meine Sinne. Hinter dem Reiatsu des Shinigamis erkannte ich ein weiteres, reines Reiatsu. Seelenenergie, die in einem Mantel von anderen Energien versteckt lagen. Ich öffnete die Augen und traute mich endlich, ihm ins Gesicht zu schauen. Die lange Nase, die hohen Wangenknochen. Vorsichtig zupfte ich mit den Fingern die grellen Schmuckwimpern ab, die er sich aufgeklebt hatte. Vermutlich, um sein Äußeres, genau wie sein Reiatsu zu verbergen.

Yamachi.
 

Wie konnte es sein, dass er als Shinigami arbeitete? Wie war es möglich, dass ich es nicht gemerkt hatte? Und auch Byakuya?

Ich strich meinem Bruder durch das Gesicht und warf Sato einen Blick zu: „Ich möchte mit ihm sprechen.“

„Das geht leider nicht.“

„Warum?“

„Ich erkläre dir alles, wenn wir hier weg sind, versprochen, Akari.“
 

Erneut wendete ich mich meinem bewusstlosen Bruder zu und fasste in die Innentasche seines Oberteils. Yamachi hatte sich von klein auf angewöhnt, stets Zahnseide und ein Kaugummi in seiner Innentasche mit sich zu tragen. Tränen rannen erneut an diesem Tag über mein Gesicht, als ich beides fühlen konnte. Und noch etwas anderes.

Ein Schluchzer löste sich aus meinem Mund. Es war das Foto von seinem Schreibtisch. Er war es wirklich. Mein Bruder lebte. Ich hatte zwar keine Ahnung, wie er es geschafft hatte, Aizen zu entkommen und sich unerkannt in Seireitei einzuschleichen, aber das Wichtigste war, dass er lebte.

Hastig griff ich nach einem Stift, der auf dem Boden neben mir lag. Yamachi musste ihn fallen gelassen haben, als er das Bewusstsein verloren hatte.
 

„Was machst du“, brachte Sato angestrengt hervor, er war mittlerweile in die Knie gegangen. „Akari, ich kann es nicht mehr lange halten, ich brauche dich!“

„Eine Botschaft, damit er weiß, dass es mir gutgeht.“

Ich schrieb dieselbe Botschaft auf die Rückseite des Fotos, wie jene, die ich auf dem Bilderrahmen hinterlassen hatte, nur dieses Mal mit einem Ausrufezeichen. #3!

Die Faustregel Nummer 3 für Missionen unserer Mutter.

"Wenn du untertauchen musst, tu es ganz und gar. Nicht einmal deine dir nächststehenden dürfen wissen, wo du bist oder was du tust, denn es gefährdet nicht nur dich, sondern auch sie. Wenn du selbst weiß, dass jemand dir Nahes untergetaucht ist, suche nicht nach ihm, wenn er nicht gefunden werden will, da du ihn und dich selbst sonst in Gefahr bringst."
 

Yamachi würde verstehen, was gemeint ist. Er würde nicht nach mir suchen. Erleichtert steckte ich das Foto in seine Innentasche zurück, strich ihm über das Gesicht und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn, der nach dem Salz meiner eigenen Tränen schmeckte. Ich sprang auf und kehrte an Satos Seite zurück, der am ganzen Leib zitterte.

„Gut, ich komme mit dir, Sato. Aber sag, wie willst du in deinem Zustand irgendwohingehen? Und was ist dieses Ding?“

„Greif nach meiner Hand, Akari. Unsere Haut muss sich berühren.“

„Beantworte mir erst die Frage! Was ist das? Und wo gehen wir hin?“
 

„Das ist ein Sender und wir gehen ins Schloss des Seelenkönigs. Beeil dich, sonst werde ich in wenigen Sekunden allein dorthin verschwinden.“

Ich griff nach seiner Hand, doch mein Verstand war wie leer gefegt. Der Seelenkönig? Konnte das wirklich sein?
 

Hitze strömte durch meinen gesamten Körper, brannte auf meiner Haut und innerhalb eines Herzschlags verschwand die Welt um mich herum.

Hundert Jahre ohne Dich Teil 10: Das Angebot des Seelenkönigs

Energie kribbelte von meiner Kopfhaut bis zu den Zehenspitzen.

Ich öffnete die Augen. Ich konnte nicht begreifen, was ich vor mir erblickte. Ein Schloss, dessen schiere Größe ganz Seireitei erfasst hätte, erhob sich vor mir in einen dunklen Nachthimmel.
 

Ein Geräusch riss meine Aufmerksamkeit von dem Bau, dessen Dimension ich noch nicht begreifen konnte, von sich. Schwertspitzen umkreisten Sato und mich.
 

„Wie ich sehe, werden wir erwartet“, brachte Sato hervor und sein Gegenüber, eine junge Frau mit langem, gewellten Haar senkte ihr Schwert. Ich hatte das Gefühl, ihr Gesicht irgendwo schon einmal gesehen zu haben, doch das schien schier unmöglich.

„Es war nicht klug von dir, die heilige Stadt zu betreten, nachdem du dich eindeutigen Befehlen des Königs widersetzt hast Sato. Du weißt, welche Konsequenzen das mit sich trägt.“
 

Schneller, als meine Augen es sehen konnte, schwang die Frau ihr Schwert. Ich wollte aufschreien, doch das Geräusch kam nur als ein Glucksen heraus. Sato war unverletzt, doch der Stoff seines Oberteils fiel in Fetzen von seinem Körper herab, sodass er oberkörperfrei dastand. Er hatte nicht einmal mit der Wimper gezuckt.
 

„Der König erwartet dich“, sagte die Frau mit strengem Blick und steckte ihr Schwert wieder ein. Sato wendete sich an mich.

„Ich werde dir alles erklären, wenn ich zurück-“

„Nein.“ Es war erneut die Frau, die sprach. Sato presste die Lippen aufeinander und warf ihr einen Seitenblick zu.

„Der König erwartet auch dich, Akari Miyazaki. Kommt.“
 

Satos Gesichtsausdruck verfinsterte sich. Ich schluckte. Noch vor wenigen Minuten war mein gesamtes Ich so verzückt vor Freude darüber, Yamachi quicklebendig wiedergefunden zu haben, und nun herrschte in meinem Kopf eine große Verwirrung.

Der König?
 

Wie automatisch bewegten sich meine Füße, einer vor den anderen und ich folgte Sato und der Frau. Ich starrte auf den Rücken ihres weißen Haoris, der den Kommandantenhaoris nicht unähnlich war. Eine große Null prangte darauf.

Sie war ein Mitglied der Königsgarde. Mein Erstaunen wurde von Sorge überdeckt, als mir Satos geballte Fäuste auffielen. Was hatte das alles zu bedeuten?
 

Das doppelflüglige Tor schwang wie durch Geisterhand vor uns auf und gab einen prächtigen Eingangsbereich frei. Glänzender Marmor, strahlende Lampen und Ölgemälde an den Wänden lenkten kaum von dem goldenen Türrahmen ab, der den Weg in den nächsten Saal freigab. Die Mitglieder der Königsgarde blieben stehen.

Sato sah nicht zurück. Er öffnete das Tor und ich folgte ihm mit zittrigen Knien.
 

Der Saal, der sich vor uns erstreckte, raubte mir erneut den Atem. Unzählige Kronleuchter warfen diffuses Licht auf den hellen Marmorboden, ein weicher, roter Teppich wies uns den Weg zu einem Thron, der von Gold und Edelsteinen nur so funkelte.

Darauf saß ein Mann, dessen Gesicht unter einer Maske versteckt war, die seinen gesamten Kopf einhüllte.
 

Erst als wir kurz vor den Stufen ankamen, die zum Thron hinaufführten, hielt Sato inne und fiel auf ein Knie.

„Mein König“, murmelte er und ich kniete ebenfalls nieder.

Ich ahmte Satos Haltung nach und senkte den Blick auf den Boden.

„Du hast meine Befehle missachtet.“
 

Die Stimme des Königs klang ganz anders, als ich erwartet hatte. Ich hätte nicht wirklich beschreiben können, wie ich mir die Stimme des mächtigen Seelenkönigs vorgestellt hatte, doch gewiss nicht so. Sie war tief, dröhnend und doch schwang etwas Warmes darin mit. Etwas, das mich den Blick leicht anheben ließ.

Sato neben mir sah noch immer auf den Boden. Er hatte das Gesicht verzogen, wie jemand, der auf etwas Ekelhaftes gebissen hatte.
 

Der König erhob sich von seinem Thron und kam die Treppe herunter. Direkt vor Sato blieb er stehen.

„Wie ich sehe, hat Kirio dir den Ouken schon abgenommen“, stellte der König fest und nun hob Sato erstmals den Blick. Ich spürte, dass er etwas sagen wollte, doch der König ließ ihn nicht zu Wort kommen.
 

„Du weißt, welche Konsequenzen es hat. Geh nun.“

„Mein König, ich-“

„Ich sagte, geh.“

„Aber Akari-“

„Ich werde mich um sie kümmern. Nun geh, bevor ich mich vergesse, Sato.“

Satos Wut war förmlich greifbar.

„Ja, mein König“, sagte er leise, erhob sich und ließ mich allein vor dem König kniend zurück. Mein Herz pochte wild in meiner Brust.
 

„Erhebe dich, Akari Miyazaki.“

Ich tat, wie mir befohlen und wartete darauf, dass der König etwas sagte, doch er schien mich durch das Netz seiner Maske zu betrachten.

Das Tor fiel hinter uns ins Schloss. Sato war fort.
 

„Bringt uns etwas zu Essen. Komm, Akari. Du musst hungrig sein.“
 

Vor Verwirrung legte ich den Kopf schief. Der König wandte sich ab und umrundete seinen Thron, hinter dem ich nun eine lange Tafel erblickte. Diener eilten herbei und deckten den Tisch mit wohlduftenden Gerichten und mehrere Karaffen, gefüllt mit Flüssigkeiten in den unterschiedlichsten Farben.

Der König setzte sich und wies mit einer Hand auf den Stuhl neben sich. Zwei Diener standen bereit.
 

„Wein?“, fragte der eine. Ich war zu perplex, um irgendetwas anderes zu tun, als zu nicken. Mein Glas wurde mit Wein gefüllt und ich betrachtete die Speisen, die vor mir ausgebreitet waren.

„Iss ruhig“, beschwichtigte der König mich, doch ich biss mir auf die Unterlippe.
 

„Eure Majestät, verzeiht, wenn ich undankbar wirke. Es ist nur, nun Sato hat mir sehr geholfen, er scheint mir ein guter Kerl zu sein ... ich weiß nicht, welchen eurer Befehle er missachtete, doch es täte mir ungemein leid, wenn er meinetwegen irgendwelche Schwierigkeiten bekäme.“
 

Ein leises Lachen klang unter der Maske hervor. Es klang belustigt.

„Mach dir keine Sorgen, Akari. Ich weiß, dass Sato ein gutes Herz hat und alles, was er tat, einen guten Grund hatte. Dennoch kann ich es nicht einfach ignorieren, dass er einen direkten Befehl meinerseits wissentlich missachtete. Er kannte die Konsequenzen und wird sie nun tragen müssen. Aber er wird zufrieden sein, denn im Endeffekt wird er seinen Willen bekommen.“

Ich legte den Kopf schief und versuchte, durch die Maschen seiner Gesichtsmaske etwas zu erkennen. Ich hatte das Gefühl, ein Lächeln zu sehen, doch das konnte genauso gut Einbildung sein.
 

„Satos Willen?“, fragte ich und der König griff nach seinem Weinglas. Er führte es an den Mund und trank, ohne auch nur einen Millimeter Haut zu entblößen.

Der König setzte sein Glas ab und ich hatte das Gefühl, er mustere mich nun sehr genau.

„Sosuke Aizen“, sagte er und ich erstarrte.

„Er ist auch mir ein Dorn im Auge.“

Ich schluckte.

„Also ist Aizen so mächtig, dass selbst Ihr von seinem Treiben Wind bekommen habt?“ Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

Der König machte ein Geräusch, das einem Glucksen ähnlich war.
 

„Hiefür muss ich vielleicht ein wenig weiter ausholen. Kennst du die Entstehungsgeschichte der Soul Society, Akari?“

Ich brauchte nicht lange zu überlegen.
 

„Es heißt, vor vielen Jahrtausenden, als die Welt entstand, gab es nur eine Dimension. Leben erblühte und verbreitete sich. Mehr und mehr Lebewesen kamen in die Welt und sie begannen, sich zu bekriegen. Doch es gab keinen Tod und so wurden die Schwachen nicht getötet, sondern von den Starken absorbiert. Mehr und mehr mächtige Krieger entstanden, breiteten sich aus und die Welt wurde zu einem grausigen Schlachtfeld. Da schlossen sich jene zusammen, die Frieden herbeisehnten. Sie bündelten ihre Seelen und so entstand der Allmächtige, der Seelenkönig. Er erschuf die Soul Society, Hueco Mundo und die Hölle. Zwischen diese drei Welten und die der Lebenden zog er eine Grenze. So entstand der Tod.

Der Allmächtige kümmerte sich darum, die Seelen bei ihrem Übergang zu begleiten und die Welt bekam einen geregelten Lauf. Doch schon bald wurden es zu viele Seelen und so begann der Allmächtige, sein Wissen und seine Fähigkeiten zu teilen. Mit jenen, die er für rein genug empfand. So entstanden die ersten Shinigami.

Noch einige Jahre begleitete der Allmächtige, der Seelenkönig die Shinigami bei ihrer Arbeit und diente ihnen als Kommandant, bis er begriff, dass es Zeit für ihn wurde, sich zurückzuziehen und die Shinigami sich selbst zu überlassen. Er erschuf die Dimension null, in die er sich zurückzog und das einzige, was er in der Soul Society hinterließ, waren Gesandte der Zentralkammer 46, die seinen Willen und seine Gesetze in der Soul Society vertreten sollten.“
 

Der König klatschte einmal in die Hände.

„Richtig! Gut aufgepasst. Genau so ist es. Mein Großvater erschuf den Tod und gründete die Grenzen der Welten, wie wir sie heute kennen.“

„Der Allmächtige war also euer Großvater?“ Meine Frage klang kindlich, doch der König ließ sich dadurch nicht davon abbringen, mir zu antworten.
 

„Ganz genau. Er zog sich in diese Dimension zurück und genoss einige Jahre der Ruhe. Doch schon bald musste er feststellen, dass es zu viel der Ruhe war. Er fühlte sich einsam und obwohl er es leid war, sich um die Sorgen der Welt zu kümmern, vermisste er einen Sinn in seinem Leben. Er gründete also die Königsgarde und begann nach und nach dieses Schloss mit Leben zu füllen. Es war nicht immer so riesig, wie es jetzt ist, musst du wissen. Er gründete eine Familie und als sein Sohn, mein Vater, alt genug war, um die Zügel selbst in die Hand zu nehmen, beschloss mein Großvater, zu sterben und so seine mächtige Seele wieder freizugeben, die einst aus Tausenden von Seelen entstanden war. Du fragst dich jetzt sicher, was das alles mit Sosuke Aizen zu tun hat, richtig?“
 

Ich lachte auf. Tatsächlich hatte ich meinen Erzfeind für den Hauch einer Sekunde fast vergessen, so interessant fand ich die Informationen, die der König mir soeben offenbart hatte.

„Mein Großvater, der Allmächtige, hätte Sosuke Aizen mit einem Fingerschnippen in seine Schranken weisen können. Aber wie schon gesagt, sein Reiatsu bestand aus dem von Tausenden von Seelen. Zwar haben mein Vater und so auch ich große Macht geerbt, aber nicht annähernd wie die, meines Großvaters. Ich kann keine Welten erschaffen, keine Grenzen zwischen ihnen ziehen, nein, ich kann den Tod nicht entstehen lassen oder aushebeln. Die Aufgabe, die der Allmächtige meinem Vater hinterließ und die dieser an mich weitergab, war, die Ordnung der Welten, wie er sie erschaffen hatte, zu bewahren. Das ist mein wahres Erbe.“
 

„Und Sosuke Aizen könnte diese Ordnung zerstören?“

„Er hat bereits damit begonnen.“
 

Ich erschauerte. Die Stimme des Königs klang nun äußerst ernst. Zu gern hätte ich seinen Gesichtsausdruck gesehen, ihm in die Augen geblickt, während er mir all diese Dinge erzählte. Ich fühlte mich entblößt, fast nackt, während er mein Gesicht hinter seiner Maske betrachten konnte und ich kaum eine seiner Gefühlsregungen wahrnehmen konnte.
 

„Wir beobachten ihn schon sehr lange. Das ist es, was wir hauptsächlich tun. Die Königsgarde, nun, der Name ist eigentlich fehlleitend, da sie nicht wirklich hier ist, um mich zu beschützen. Nein, sie ist hier, um mich bei meiner Aufgabe, die Welt zu beschützen, zu unterstützen. Sie und ihre Teams beobachten Individuen in all den Welten, werten aus, wer zur Gefahr werden könnte und Handeln, falls notwendig. Hierbei gehen wir alle mit äußerster Vorsicht vor, denn wenn sich herumspräche, was wir tun, würden die Leute versuchen, sich vor unseren Blicken zu verbergen. Deshalb war es auch so riskant von Sato, sich dir zu offenbaren.“
 

Ich kaute auf meiner Unterlippe herum.

„Was soll das heißen, er hat sich mir offenbart?“

Die Finger des Königs trommelten leise auf den Tisch und es wirkte, als dachte er sehr genau über das nach, was er als Nächstes sagen wollte.

„Du warst eine der Individuen, die Sato beobachtete.“
 

Ich öffnete den Mund, brachte aber keinen Ton heraus. Geschockt von dieser Offenbarung lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück.

„Ich wurde als Risiko für die Ordnung der Welten gesehen?“

Der König lachte.

„Nun, wir teilen diejenigen, die wir beobachten, in unterschiedliche Kategorien ein. Es gibt jene, deren Tun und Handeln uns dazu bringen, sie zu beobachten, dann solche, deren Macht uns dazu zwingt, ein Auge auf sie zu werfen und natürlich die, auf die beides zutrifft. Wir kategorisieren sie in Stufen, wie groß die Gefahr ist, die von ihnen ausgeht und je nachdem, welche Kategorie und Stufe sie haben, wandern die Fälle von unsern Angestellten zu unseren Kommandanten und schließlich bis zu mir hinauf. Als Sato Kommandant wurde, war er noch sehr jung und so wiesen wir ihm einen Fall zu, der interessant, aber nicht bedrohlich war: Dein Fall. Du bist mit einem großen Reiatsu zur Welt gekommen und dein Bankai hat eine außergewöhnliche Fähigkeit.“
 

„Also hat Sato mich schon seit vielen Jahren beobachtet und dann ... dann wollte er mir helfen, obwohl das gegen die Regeln war?“, fragte ich und der König stützte seine Ellenbogen auf dem Tisch auf und verschränkte die Hände vor seinem maskierten Gesicht.

„Ja und nein. Sato wollte dir helfen, vor allem aber wollte er seine These unterstützen und mir etwas beweisen.“

Ich runzelte die Stirn.

„Er ist der Auffassung, dass durch die Mischung aus deinem Bankai und deiner Immunität gegenüber Sosukes Kyoka Suigetsu, du in der Lage wärst, ihn zu besiegen.“

Meine Hände verkrampften sich langsam und klammerten sich den Saum meines Oberteils auf meinem Schoß.

„Einst mag das wahr gewesen sein“, begann ich, doch der König unterbrach mich.
 

„Ja, Kuroeien, die schwarze Ewigkeit. Ein ausgeklügelter Schachzug von Sosuke. Sato sucht schon seit langem eine Möglichkeit, den Bann von dir zu nehmen. Außerdem liegt er mir seit Jahren damit in den Ohren, dich hier herzuholen und zu trainieren. Seitdem Tag, an dem er das erste Mal deine schwarze Klinge gesehen hat, die den Bann, wenn auch nur kurzzeitig, überwinden konnte.“

„Aber Ihr wart dagegen, mich hier herzuholen.“
 

„Es ist nichts Persönliches, Akari. Es ist nur so, dass ich jene, die für mich und so das Wohl der Welt arbeiten, sehr sorgfältig auswähle. In den letzten Jahrzehnten hatten wir einen sehr großen Zuwachs an neuen Leuten, die zu uns kamen und mein Großvater bat mich, diesen Ort hier nur mit jenen zu teilen, denen ich voll und ganz vertrauen kann. Nachdem wir in den letzten Dekaden also so viele neue Gesichter in diese Dimension holten, schob ich einen Riegel davor. Ich hoffte außerdem, Sosuke Aizen mit dem Personal in den Griff zu bekommen, dass ich bereits um mich geschart hatte. Deshalb lehnte ich Satos Vorschlag ab. Aber nun bist du hier.“

Ich presste die Lippen aufeinander.
 

„Du bist hier und wir haben bisher noch keinen Weg gefunden, keinen Plan, mit dem wir uns Aizen in den Weg stellen können. Darum habe ich beschlossen, Satos Wunsch nun zu erfüllen, auch wenn es mir nicht richtig erscheint, sein Fehlverhalten zu belohnen. Aber das Wohl der Welt ist wohl wichtiger, nicht wahr? Also Akari, was sagst du dazu? Bist du bereit, deine Fähigkeiten zu trainieren, um eines Tages deinen Erzfeind besiegen zu können?“
 

Ich konnte nicht verhindern, dass mir Tränen in die Augen schossen. Ein dicker Kloß in meinem Hals machte mir das Sprechen unmöglich und so nickte ich lediglich. Nach all den Jahren fühlte es sich so unwirklich an, endlich wieder Hoffnung im Kampf gegen Aizen wahrzunehmen.
 

„Gut. Allerdings würde das bedeuten, dass du deine Freunde für eine lange Zeit nicht sehen wirst. Bis du auch dazu bereit?“

„Es ist schwer, aber wenn ich dadurch in der Lage sein werde, Aizen aufzuhalten und sie so alle zu beschützen, dann ist es das auf jeden Fall Wert!“



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Kommentare zu dieser Fanfic (41)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Yunataria
2016-11-20T19:59:06+00:00 20.11.2016 20:59
Hallo, Yunataria hier,
Ich habe da mal ne Frage: wann schreibst du endlich mal wieder weiter?? Das soll nicht böse gemeint sein aber ich will wissen wie es weiter geht. Und ich bin sicher nicht der einzige wissbegierige Fan hier ;) Also setz dich in deinen PC Stuhl und schreib weiter! 😚
LG Yunataria
Von:  Serra
2014-12-09T20:11:53+00:00 09.12.2014 21:11
Ach je, arme Akari
Erst wird sie gemindfucked und dann verlassen :DD
Antwort von:  Kenja
09.12.2014 21:17
so kann man es auch sagen :D :D :D
Von:  Serra
2014-12-09T19:55:25+00:00 09.12.2014 20:55
War das mit Gin und Akari damals auch schon oder hab ich das nur vergessen? XD
Find ich aber cool, als Gins 'große Schwester' beführworte ich das einfach mal :DD Du hast die Erblaubnis meinen Bruder glücklich zu machen (Götter klingt das dämlich XD)

>So vergingen einige Jahre friedlich, fröhlich und ohne größere Ereignisse.
Und dann BÄM - Return of Douchebag Aizen

Antwort von:  Kenja
09.12.2014 20:58
Haha ja das war damals auch schon :D Aizen hat es irgendwie drauf alles kaputt zu machen ... xD
Von:  Serra
2014-11-21T19:32:10+00:00 21.11.2014 20:32
Wie Aizen einfach noch... sympathisch ist. Kaum zu glauben, wenn man bedenkt, was der noch alles tun wird...

Du hast echt einen Narren an dem Namen Hanako gefressen, kann das sein? :D
Ich mag es, dass Gin auftaucht XD (Mir fällt gerade auf, dass er ja älter ist als Akari... das heißt dann ja, dass 'Chizei' auch älter wäre als Akari XD)

Mir gefällt besonders der letzte Satz~
Irgendwie schön poetisch XD
Von:  Serra
2014-11-21T18:51:40+00:00 21.11.2014 19:51
> Eher für Jungs. Für Jungs mit einem seltsamen Stil.

Perfekte Beschreibung für Kisuke XD

Also abgesehen davon, dass ich finde, dass du ruhig ein paar Absätze machen könntest (So ist es etwas anstrengend zu lesen), mag ich es, wie es geschrieben ist.
Ich weiß gar nicht mehr genau, wie lange es her ist, dass ich die 'alte' Version gelesen habe, aber soweit ich mich erinnere, scheint Akari etwas verspielter geworden zu sein.
(Oder ich habe einfach eine andere Sicht der Dinge jetzt XD)

Auf zum nächsten Kapitel~
Von:  fahnm
2014-10-10T00:09:32+00:00 10.10.2014 02:09
Klasse Kapi^^
Mach weiter so
Antwort von:  Kenja
10.10.2014 11:34
:)) thx
Von:  fahnm
2014-10-07T20:03:14+00:00 07.10.2014 22:03
Super Kapi^^
Antwort von:  Kenja
08.10.2014 22:24
vielen Dank :)


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